Protokoll:
14233

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 233

  • date_rangeDatum: 25. April 2002

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:27 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Erweiterung und Änderung der Ta- gesordnung 23111 A, 23112 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 6, 20 (ohne 20 c) und 26 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23112 B Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 23112 C Begrüßung des Präsidenten des Parlaments der Republik Estland, Herrn Dr. Toomas Savi, und seiner Delegation . . . . . . . . . . . . . . 23112 D Tagesordnungspunkt 3: Abgabe einer Regierungserklärung zur Lage im Nahen Osten . . . . . . . . . . . . . . . 23113 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Volker Rühe, Karl Lamers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Eine deutli- che gemeinsame europäische Position für eine gerechte Friedenslösung im Na- hen Osten (Drucksache 14/8862) . . . . . . . . . . . . . . . . 23113 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Petra Bläss, Dr. Heinrich Fink, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der PDS: Die Gewaltspirale im Na- hen Osten beenden (Drucksachen 14/8271, 14/8877) . . . . . . . 23113 A Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . . 23113 B Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident (Bayern) 23117 B Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 23121 B Dr. Wolfgang Gerhardt FDP . . . . . . . . . . . . . . 23124 B Dr. Peter Struck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 23125 A Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . . . . . . . 23127 A Christa Nickels BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23127 C Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23128 A Roland Claus PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23129 C Christoph Moosbauer SPD . . . . . . . . . . . . . . . 23130 C Karl Lamers CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 23132 C Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23134 A Dr. Wolfgang Gerhardt FDP . . . . . . . . . . . 23135 D Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 23136 D Hans-Ulrich Klose SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 23138 B Joachim Hörster CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 23139 D Günter Gloser SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23140 D Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU . . . . . . . . . . . 23142 B Dagmar Schmidt (Meschede) SPD . . . . . . . . . 23143 A Tagesordnungspunkt 17: a) Antrag der Abgeordneten Volker Rühe, Dr. Karl-Heinz Hornhues, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Dr. Klaus Kinkel, Dr. Werner Hoyer und der Plenarprotokoll 14/233 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 233. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 25. April 2002 I n h a l t : Fraktion der FDP: Die zweite Runde der NATO-Erweiterung auch als Bei- trag zur Stabilisierung Südosteuro- pas konzipieren (Drucksache 14/8835) . . . . . . . . . . . . . 23143 D b) Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Die NATO vor der Erweiterung (Drucksache 14/8861) . . . . . . . . . . . . . 23144 A Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . . . . . . 23144 A Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23144 C Dieter Schloten SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23146 A Dr. Werner Hoyer FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23148 A Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23149 C Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 23150 C Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 23151 D Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) CDU/CSU 23153 C Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23154 A Markus Meckel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23155 B Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23155 D Überweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23161 C Tagesordnungspunkt 34: Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Harald Friese, Anni Brandt- Elsweier, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD, den Abgeordne- ten Beatrix Philipp, Renate Diemers, weiteren Abgeordneten und der Frak- tion der CDU/CSU, den Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN sowie den Abgeordne- ten Ina Lenke, Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Frak- tion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung anony- mer Geburten (Drucksache 14/8856) . . . . . . . . . . . . . 23157 D b) Erste Beratung des von den Abgeord- neten Monika Griefahn, Hermann Bachmaier, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Ab- geordneten Dr. Antje Vollmer, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Preisbin- dung bei Verlagserzeugnissen (Drucksache 14/8854) . . . . . . . . . . . . . 23158 A c) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 30. November 2000 zurÄnderung des Europol-Übereinkommens (Drucksache 14/8709) . . . . . . . . . . . . . 23158 B d) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Über- einkommen vom 16. Januar 1992 zum Schutz des archäologischen Er- bes (Drucksache 14/8710) . . . . . . . . . . . . . 23158 B e) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sprengstoffgesetzes und anderer Vorschriften (2. SprengÄndG) (Drucksache 14/8771) . . . . . . . . . . . . . 23158 B f) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung und sonstiger ge- werberechtlicher Vorschriften (Drucksache 14/8796) . . . . . . . . . . . . . 23158 B g) Antrag der Abgeordneten Petra Bläss, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der PDS: Kon- krete Schritte gegen die Bedrohung durch biologische Waffen (Drucksache 14/8698) . . . . . . . . . . . . . 23158 C h) Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Förderung der Energiespeicherforschung (Drucksache 14/5576) . . . . . . . . . . . . . 23158 C i) Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Entlastung der Bundes- regierung für das Haushaltsjahr 2001 – Vorlage der Haushaltsrech- nung und Vermögensrechnung des Bundes (Jahresrechnung 2001) (Drucksache 14/8729) . . . . . . . . . . . . . 23158 D in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 20: c) Antrag der Abgeordneten Hartmut Schauerte, Dagmar Wöhrl, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Fairen Wettbewerb im Strom- und Gasmarkt effektiv und effizient sichern (Drucksache 14/7614) . . . . . . . . . . . . . 23158 D in Verbindung mit Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2002II Zusatztagesordnungspunkt 4: Weitere Überweisungen im vereinfach- ten Verfahren (Ergänzung zu TOP 34) a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zurÄnderung des Grundgeset- zes (Staatsziel Tierschutz) (Drucksache 14/8860) . . . . . . . . . . . . . 23158 D b) Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Fortentwicklung der sozialen Pflege- versicherung (Drucksache 14/8864) . . . . . . . . . . . . . 23159 A c) Antrag der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Matthias Wissmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Kein Emissionszertifikate- handel zum Nachteil des Wirtschafts- standortes Deutschland (Drucksache 14/8852) . . . . . . . . . . . . . 23159 A d) Antrag der Abgeordneten Dr. Michael Meister, Dirk Fischer (Hamburg), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Verbraucherschutz im Bereich des öffentlichen Personen- verkehrs noch immer unzureichend (Drucksache 14/8853) . . . . . . . . . . . . . 23159 B Tagesordnungspunkt 35: Abschließende Beratungen ohne Aus- sprache a) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 19. September 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die gegenseitige Hilfe- leistung bei Katastrophen und schweren Unglücksfällen (Drucksachen 14/7096, 14/8868) . . . . 23159 B b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durch- führung der Rechtsakte der Europä- ischen Gemeinschaft über gemeinschaft- liche Informations- und Absatzför- derungsmaßnahmen für Agrarerzeug- nisse (Agrarabsatzförderungsdurch- führungsgesetz) (Drucksachen 14/8526, 14/8811) . . . . 23159 C c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Rechtsakte der Europäischen Ge- meinschaft über die Etikettierung von Fischen und Fischereierzeugnissen (Fischetikettierungsgesetz) (Drucksachen14/7726,14/8196,14/8810) 23160 A d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Ersten Gesetzes zur Än- derung des Gesetzes über den Aus- wärtigen Dienst (GAD) (Drucksachen 14/8225, 14/8833) . . . . 23160 B e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissions- schutzgesetzes (Drucksachen 14/8450, 14/8895) . . . . 23160 C f) – j) Beschlussempfehlungen des Petitions- ausschusses: Sammelübersichten 378, 379, 380, 381, 382 zu Petitionen (Drucksachen14/8801,14/8802,14/8803, 14/8804, 14/8805) . . . . . . . . . . . . . . . . 23160 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache (Ergänzung zu TOP 35) a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Grundstoffüberwachungs- gesetzes (Drucksachen 14/8387, 14/8882) . . . . 23161 A b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Änderung des Ge- sundheitsstrukturgesetzes (Drucksachen 14/7462, 14/8883) . . . . 23161 B Zusatztagesordnungspunkt 6: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- desregierung zu den Wachstumspro- gnosen der Wirtschaftsforschungsinsti- tute in ihrem Frühjahrsgutachten 2002 23161 C Matthias Wissmann CDU/CSU . . . . . . . . . . . 23161 D Dr. Rainer Wend SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23162 C Rainer Brüderle FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23163 C Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23164 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2002 III Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23165 D Hans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . . . 23167 A Dr. Hansjürgen Doss CDU/CSU . . . . . . . . . . . 23169 A Jörg-Otto Spiller SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23170 A Steffen Kampeter CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 23171 B Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23172 D Dagmar Wöhrl CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 23174 A Nina Hauer SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23175 A Max Straubinger CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 23176 C Hubertus Heil SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23177 D Tagesordnungspunkt 5: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Peter Eckardt, Jörg Tauss, weiteren Ab- geordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, Hans-Josef Fell, weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmen- gesetzes (6. HRGÄndG) (Drucksachen 14/8361, 14/8878) 23179 B – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Hochschul- rahmengesetzes (6. HRGÄndG) (Drucksachen 14/8732, 14/8878) 23179 B – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Maritta Böttcher, Dr. Heinrich Fink, weite- ren Abgeordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Än- derung des Hochschulrahmen- gesetzes (6. HRGÄndG) (Drucksachen 14/8295, 14/8878) 23179 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Ein neues Hochschuldienstrecht für eine mo- derne, leistungsfähige und attraktive Bildung und Forschung in Deutsch- land (Drucksachen 14/7077, 14/8878) . . . . . 23179 C Edelgard Bulmahn, Bundesministerin BMBF 23179 D Thomas Rachel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 23183 A Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23185 C Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23186 B Maritta Böttcher PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23189 D Dr. Peter Eckardt SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23190 D Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen) CDU/CSU 23192 A Jörg Tauss SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23194 A Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23195 B Tagesordnungspunkt 19: Schlussbericht der Enquete-Kommission „Demographischer Wandel – Heraus- forderungen unserer älter werdenden Gesellschaft an den Einzelnen und die Politik“ (Drucksache 14/8800) . . . . . . . . . . . . . . . . 23196 D Walter Link (Diepholz) CDU/CSU . . . . . . . . . 23197 A Gabriele Iwersen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23198 B Klaus Haupt FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23200 A Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23201 B Heidemarie Lüth PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23203 A Christa Lörcher fraktionslos . . . . . . . . . . . . . . 23204 B Arne Fuhrmann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23204 D Andreas Storm CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 23206 C Andrea Nahles SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23208 C Tagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Maria Böhmer, Wolf-Michael Catenhusen und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Sicherstellung des Em- bryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stammzell- gesetz) (Drucksachen 14/8394, 14/8846) . . . . . . . 23209 D Margot von Renesse SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 23210 A Werner Lensing CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 23211 C Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23212 C Ulrike Flach FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23214 A Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23215 B Dr. Wolfgang Wodarg SPD . . . . . . . . . . . . . . . 23216 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2002IV Hubert Hüppe CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 23217 C Monika Knoche BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23218 C Dr. Carola Reimann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 23219 C Peter Hintze CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 23220 C Wolf-Michael Catenhusen SPD . . . . . . . . . . . 23221 C Dr. Hermann Kues CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 23223 D Dr. Maria Böhmer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 23224 D Namentliche Abstimmungen . . . . . . 23226 D, 23230 A Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23227 C, 23231 D Tagesordnungspunkt 8: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Norbert Geis, Ronald Pofalla, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Ent- wurfs eines ... Strafrechtsänderungsge- setzes (Stärkung des Toleranzgebotes durch einen besseren Schutz religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen gemäß § 166 StGB) (Drucksache 14/4558, 14/8379) . . . . . . . . 23230 B Joachim Stünker SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23230 C Norbert Geis CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 23234 D Christa Nickels BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23236 B Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23237 A Jörg van Essen FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23238 A Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23238 D Alfred Hartenbach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 23239 C Johannes Singhammer CDU/CSU . . . . . . . . . 23240 C Tagesordnungspunkt 9: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Moder- nisierung des Stiftungsrechts (Drucksachen 14/8277, 14/8894) . . . . 23241 C – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Modernisie- rung des Stiftungsrechts (Drucksachen 14/8765, 14/8894) . . . . 23241 C – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Rainer Funke, weiteren Ab- geordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für eine Reform des Stiftungszivilrechts (Stiftungsrechtsreformgesetz) (Drucksachen 14/5811, 14/8894) . . . . 23241 C Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus Kinkel, Dr. Helmut Haussmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP so- wie der Abgeordneten Hans-Dirk Bierling, Dr. Wolfgang Bötsch, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der CDU/CSU: Land- minen ohne integrierte Selbstneutra- lisierungs- oder Selbstzerstörungsmecha- nismen ächten – Minenräum- und Mi- nenopferhilfe deutlich erhöhen (Drucksache 14/8654) . . . . . . . . . . . . . . . . 23242 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Petra Ernstberger, Uta Zapf, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Angelika Beer, Rita Grießhaber, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN: Für eine Weiterentwicklung der humanitären Rüstungskontrolle bei Landminen (Drucksache 14/8858) . . . . . . . . . . . . . . . . 23242 C Tagesordnungspunkt 11: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuches (Drucksachen 14/8524, 14/8892) . . . . 23242 D b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Römischen Statuts des Inter- nationalen Strafgerichtshofes vom 17. Juli 1998 (Drucksachen 14/8527, 14/8888) . . . . 23242 D Tagesordnungspunkt 12: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Böns- trup), Dirk Fischer (Hamburg), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Untersuchung von Seeunfällen (Seeunfalluntersuchungsänderungs- gesetz) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2002 V (Drucksachen 14/8108, 14/8707) . . . . . 23243 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Bildung einer Leit- stelle für Seesicherheit (Drucksachen 14/5450, 14/8611) . . . . . 23243 D c) Antrag der Abgeordneten Reinhold Hiller (Lübeck), Reinhard Weis (Sten- dal), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD, der Abgeordneten Renate Blank, Wolfgang Börnsen (Böns- trup), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordne- ten Gila Altmann (Aurich), Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abgeordne- ten Horst Friedrich (Bayreuth), Hans- Michael Goldmann, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Maritime Sicherheit auf der Ostsee (Drucksache 14/8855) . . . . . . . . . . . . . 23243 D Tagesordnungspunkt 13: a) Antrag der Abgeordneten Reinhold Hemker, Adelheid Tröscher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion SPD so- wie der Abgeordneten Monika Knoche, Dr. Angelika Köster-Loßack, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Afrikas neues Denken unterstützen (Drucksache 14/8859) . . . . . . . . . . . . . 23244 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- sammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU: Afrika darf nicht zu einem vergesse- nen Kontinent werden (Drucksachen 14/2571, 14/4970) . . . . . 23244 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. R. Werner Schuster, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Ab- geordneten Dr. Angelika Köster- Loßack, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: EU-AKP-Zusam- menarbeit – bewährte Partner- schaft mit großer Zukunft – zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU: Reform der EU-Ent- wicklungszusammenarbeit ist bis- lang Stückwerk und muss konse- quent vorangetrieben werden (Drucksachen14/3396,14/3771,14/8617) 23244 C d) Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Irmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Afrika-Politik der Bundes- regierung (Drucksachen 14/4181, 14/5582) . . . . . 23244 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Irmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für eine europä- ische Ausrichtung der deutschen Afrika- politik (Drucksachen 14/5090, 14/8849) . . . . . . . 23244 D Reinhold Hemker SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23245 A Marlies Pretzlaff CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 23246 B Dr. Uschi Eid, Parl. Staatssekretärin BMZ . . . 23247 D Marlies Pretzlaff CDU/CSU . . . . . . . . . . . 23248 A Joachim Günther (Plauen) FDP . . . . . . . . . 23248 D Ingrid Becker-Inglau SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 23249 D Klaus-Jürgen Hedrich CDU/CSU . . . . . . . . . . 23251 A Joachim Tappe SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23252 A Tagesordnungspunkt 14: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Getto und zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (Drucksachen 14/8583, 14/8823) . . . . . 23253 B – Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der PDS eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Zahlbarma- chung von Renten aus Beschäftigun- gen in einem Getto und zur Änderung des Sechsten Buches So- zialgesetzbuch (Drucksachen 14/8602, 14/8823) . . . . . 23253 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2002VI Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Petra Bläss, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Bündnisfall aufheben (Drucksache 14/8664) . . . . . . . . . . . . . . . . 23253 C Heidi Lippmann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23253 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23254 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 23255 A Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stammzellgesetz – SZG) (Drucksache 14/8846) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23255 D Dr. Hans Georg Faust CDU/CSU . . . . . . . . . . 23255 D Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23256 A Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . . . . . . . . . 23256 B Dr. Ernst Dieter Rossmann SPD . . . . . . . . . . . 23256 C Heinz Schemken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 23256 D Dr. Rupert Scholz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 23257 B Reinhard Freiherr von Schorlemer CDU/CSU 23257 C Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christina Schenk, Dr. Ruth Fuchs, Dr. Dietmar Bartsch und Dr. Uwe-Jens Rössel (alle PDS) zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher em- bryonaler Stammzellen (Stammzellgesetz – SZG) (Drucksache 14/8846) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23257 D Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten René Röspel, Wolfgang Thierse, Hans-Werner Bertl, Willi Brase, Christel Deichmann, Marga Elser, Gabriele Iwersen, Klaus Kirschner, Horst Kubatschka, Helga Kühn-Mengel, Dirk Manzewski, Andrea Nahles, Günter Oesinghaus, Dagmar Schmidt (Meschede), Regina Schmidt-Zadel, Walter Schöler, Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk, Adelheid Tröscher, Rüdiger Veit, Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker, Arne Fuhrmann, Dr. Martin Pfaff, Waltraud Wolff (Wolmirstedt) und Christel Riemann- Hanewinckel (alle SPD) zur namentlichen Ab- stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stammzellgesetz – SZG) (Drucksache 14/8846) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23258 A Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Hermann Kues, Kurt-Dieter Grill, Jochen Borchert, Sylvia Bonitz und Hermann Gröhe (alle CDU/CSU) zur namentlichen Abstim- mung über den Entwurf eines Gesetzes zur Si- cherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stammzellgesetz – SZG) (Drucksache 14/8846) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23258 D Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Entwurfs eines Gesetzes zur Moder- nisierung des Stiftungsrechts – des Entwurfs eines Gesetzes für eine Re- form des Stiftungszivilrechts (Stiftungs- rechtsreformgesetz) (Tagesordnungspunkt 9) . . . . . . . . . . . . . . . . . 23259 A Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23259 A Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23260 A Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Landminen ohne integrierte Selbstneutra- lisierungs- oder Selbstzerstörungsmecha- nismen ächten – Minenräum- und Minen- opferhilfe deutlich erhöhen – Für eine Weiterentwicklung der huma- nitären Rüstungskontrolle bei Landminen (Tagesordnungspunkt 10 und Zusatztagesord- nungspunkt 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23260 C Uta Zapf SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23260 D Verena Wohlleben SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23261 D Hans-Dirk Bierling CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 23262 D Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23264 A Dr. Klaus Kinkel FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23265 B Heidi Lippmann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23266 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2002 VII Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Entwurfs eines Gesetzes zur Ein- führung des Völkerstrafgesetzbuches – des Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofes vom 17. Juli 1998 (Tagesordnungspunkt 11) . . . . . . . . . . . . . . . . 23267 A Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD . . . . . . . . . . . . . 23267 A Dr. Norbert Röttgen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 23268 A Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23268 D Dr. Edzard Schmidt-Jortzig FDP . . . . . . . . . . 23270 A Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 23270 C Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23270 D Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Untersuchung von Seeunfällen (Seeunfalluntersuchungsände- rungsgesetz – SeeUÄndG) – der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Bildung einer Leitstelle für Seesicherheit – des Antrags: Maritime Sicherheit auf der Ostsee (Tagesordnungspunkt 12 a bis c) . . . . . . . . . . . 23272 A Annette Faße SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23272 A Reinhold Hiller (Lübeck) SPD . . . . . . . . . . . . 23273 A Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU . . . . 23273 C Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23275 D Hans-Michael Goldmann FDP . . . . . . . . . . . . 23276 C Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Antrags: Afrikas neues Denken unter- stützen – der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Afrika darf nicht zu einem vergessenen Kontinent werden – der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – EU-AKP-Zusammenarbeit – bewährte Partnerschaft mit großer Zukunft – Reform der EU-Entwicklungszusam- menarbeit ist bislang Stückwerk und muss konsesquent vorangetrieben wer- den – der Großen Anfrage: Afrikapolitik der Bun- desregierung – der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Für eine europäische Aus- richtung der deutschen Afrikapolitik (Tagesordnungspunkt 13 a bis d und Zusatzta- gesordnungspunkt 8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23277 A Joachim Günther (Plauen) FDP . . . . . . . . . . . 23277 B Carsten Hübner PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23278 B Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Entwürfe eines Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Getto und zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (Tagesordnungspunkt 14) 23279 A Claudia Nolte CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 23279 A Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23280 B Dr. Irmgard Schwaetzer FDP . . . . . . . . . . . . . 23280 D Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23281 B Ulrike Mascher, Parl. Staatssekretärin BMA 23282 A Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Bündnisfall aufheben (Tagesord- nungspunkt 15) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23283 C Markus Meckel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23283 C Eckart von Klaeden CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 23285 A Hildebrecht Braun (Augsburg) FDP . . . . . . . . 23286 C Dr. Ludger Volmer, Staatsminister AA . . . . . . . 23287 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2002VIII Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2002
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2002 Heidi Lippmann 23254 (C) (D) (A) (B) 1) Anlage 12 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2002 23255 (C) (D) (A) (B) Balt, Monika PDS 25.04.2002 Behrendt, Wolfgang SPD 25.04.2002* Bindig, Rudolf SPD 25.04.2002* Breuer, Paul CDU/CSU 25.04.2002 Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 25.04.2002* Klaus Erler, Gernot SPD 25.04.2002 Ernstberger, Petra SPD 25.04.2002 Friedrich (Altenburg), SPD 25.04.2002 Peter Haack (Extertal), SPD 25.04.2002* Karl-Hermann Hofbauer, Klaus CDU/CSU 25.04.2002 Hoffmann (Chemnitz), SPD 25.04.2002 Jelena Dr. Hornhues, CDU/CSU 25.04.2002* Karl-Heinz Hornung, Siegfried CDU/CSU 25.04.2002* Irmer, Ulrich FDP 25.04.2002 Jäger, Renate SPD 25.04.2002* Jünger, Sabine PDS 25.04.2002 Koschyk, Hartmut CDU/CSU 25.04.2002 Lintner, Eduard CDU/CSU 25.04.2002* Dr. Lippelt, Helmut BÜNDNIS 90/ 25.04.2002* DIE GRÜNEN Dr. Lucyga, Christine SPD 25.04.2002* Michels, Meinolf CDU/CSU 25.04.2002* Müller (Berlin), PDS 25.04.2002* Manfred Neumann (Gotha), SPD 25.04.2002* Gerhard Nietan, Dietmar SPD 25.04.2002 Onur, Leyla SPD 25.04.2002* Ostrowski, Christine PDS 25.04.2002 Palis, Kurt SPD 25.04.2002* Philipp, Beatrix CDU/CSU 25.04.2002 Raidel, Hans CDU/CSU 25.04.2002 Reiche, Katherina CDU/CSU 25.04.2002 Roos, Gudrun SPD 25.04.2002 Rühe, Volker CDU/CSU 25.04.2002 Rupprecht, Marlene SPD 25.04.2002* Scharping, Rudolf SPD 25.04.2002 Schily, Otto SPD 25.04.2002 Schlee, Dietmar CDU/CSU 25.04.2002 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 25.04.2002 Hans Peter von Schmude, Michael CDU/CSU 25.04.2002* Schultz (Köln), Volkmar SPD 25.04.2002 Seehofer, Horst CDU/CSU 25.04.2002 Siemann, Werner CDU/CSU 25.04.2002 Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 25.04.2002 Thönnes, Franz SPD 25.04.2002 Zierer, Benno CDU/CSU 25.04.2002* * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Sicherstellung des Em- bryonenschutzes im Zusammenhang mit Ein- fuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stammzellgesetz – SZG) (Druck- sache 14/8846) Dr. Hans Georg Faust (CDU/CSU): Ich lehne den Import von menschlichen embryonalen Stammzellen aus grundsätzlichen Erwägungen heraus ab und stimme des- halb dem Gesetzentwurf nicht zu. Erstens. Bei der Entscheidung des Deutschen Bun- destages vom 30. Januar 2002 handelt es sich um eine grundlegende Weichenstellung. Damit wird ein Weg ein- geschlagen, den ich ablehne. Er widerspricht meinem grundlegenden Verständnis von der unteilbaren Würde des Menschen von Anfang an, beginnend mit der Ver- schmelzung von Ei und Samenzelle. entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Zweitens. Unabhängig davon respektiere ich die Mehr- heitsentscheidung, da eine grundsätzliche Regelung des Imports von embryonalen Stammzellen dringend erfor- derlich ist. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich lehne den Import embryonaler Stammzellen ab. Für mich beginnt das menschliche Leben mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle. Dieses Leben in seiner Individu- alität muss den vollen Schutz des Grundgesetzes nach Art. 1 und 2 – die Unantastbarkeit der Würde des Men- schen sowie das Recht auf Leben – genießen. Diese ethi- sche Bewertung trifft auch für im Ausland erzeugte Em- bryonen zu. Am 30. Januar 2002 hat nach kontroverser und grundsätzlicher Debatte die Mehrheit des Deutschen Bun- destages dafür gestimmt, eine gesetzliche Regelung zum Stammzellenimport mit strikten Auflagen herbeizu- führen. Daraufhin habe ich mich dafür eingesetzt, eine klare und strenge Reglementierung in das Gesetz einzu- bringen, die gewährleistet, dass für die Stammzellfor- schung in Deutschland keine Embryonen getötet werden. Dies ist gelungen. Im Endeffekt stellt der jetzt vorliegende Gesetzentwurf eine wesentliche Verbesserung und Ver- schärfung der geltenden Gesetzeslage dar, die bisher keine Importeinschränkungen vorsieht. Deshalb kann ich dem jetzt vorliegenden Entwurf inklusive des Ände- rungsantrages Renesse/Fischer, der eine Klärung in den Strafvorschriften beinhaltet, zustimmen. Dieses Ergebnis ist ein großer Erfolg der Arbeit der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ sowie der öf- fentlichen Debatte, insbesondere der Beiträge von Kir- chen und NGOs. Noch vor einem Jahr wäre es so nicht zu- stande gekommen. Eine Rückholung der demokratischen Entscheidung vom 30. Januar durch einen Änderungsantrag, der den Im- port embryonaler Stammzellen gänzlich verbietet, halte ich trotz meiner oben dargelegten Auffassung zu diesem Thema für demokratisch und rechtlich problematisch. Eine Zustimmung zu diesem Antrag entspräche meiner Auffassung nach nicht dem Auftrag der Bundestagsmehr- heit zur Einbringung eines Gesetzesentwurfs mit strengen Richtlinien und würde den weiteren parlamentarischen Entscheidungen nicht standhalten. Im Gegenteil, eine sol- che Entscheidung wird zu rechtlich begründbaren Gegen- reaktionen führen und den Konsens gefährden. Daher werde ich mich an diesem Punkt enthalten. Dr. Norbert Lammert (CDU/CSU): Dem Gesetzent- wurf zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zu- sammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen – Drucksache 14/8394 – stimme ich zu in Respekt vor der Mehrheitsentscheidung des Bundestages vom 30. Januar dieses Jahres. In der damali- gen Debatte habe ich meine prinzipiellen Einwände gegen die Forschung an menschlichen Embryonen vorgetragen und meine Zweifel, ob die von der Mehrheit schließlich entschiedene Zulassung unter genau und eng definierten Grenzen auf Dauer haltbar und praktikabel ist. Diese Zweifel sind durch den vorliegenden Gesetzentwurf für mich keineswegs ausgeräumt, gleichwohl ist nicht zu be- streiten, dass dieser Entwurf die Grundsatzentscheidung der Mehrheit des Bundestages vom 30. Januar so genau wie eben möglich umsetzt. Ich stimme dem Gesetzentwurf nur deshalb zu, weil das geltende Embryonenschutzgesetz den Import embry- onaler Stammzellen nicht ausdrücklich ausschließt und daher eine Ergänzung und Präzisierung des Gesetzes- textes dringend geboten ist. Dies will ich nicht durch die Ablehnung dieses überfraktionellen Gesetzentwurfes ge- fährden, auch wenn er meinen persönlichen Überzeugun- gen im Grundsatz nicht entspricht. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Das deutsche Embryonenschutzgesetz verbietet den Verbrauch von Embryonen zu Forschungszwecken. In diesem Sinne lehne ich nach wie vor die Nutzung von Embryonen zu Forschungszwecken aus ethischen, moralischen und for- schungspolitischen Gründen ab. Folgerichtig resultiert daraus auch meine Ablehnung des Imports im Ausland hergestellter embryonaler Stammzellen. Eine Zulassung des Imports bedeutet, dass im Ausland gemacht wird, was in Deutschland verboten und nicht gewollt ist. Ethische Grundsätze aber ändern sich nicht mit dem Überschreiten politischer Grenzen. Der Deutsche Bundestag hat nach einer intensiven De- batte am 30. Januar 2002 die grundsätzliche Entscheidung in dieser Frage getroffen. Er hat sich mehrheitlich dafür ausgesprochen, den Import embryonaler Stammzellen auf bestehende Stammzelllinien, die zu einem bestimmten Stichtag etabliert wurden, zu beschränken. Wenngleich ich den Versuch der Befürworter und Befürworterinnen eines beschränkten Imports anerkenne und respektiere, über einen solchen Weg den Verbrauch neuer Embryonen verhindern zu wollen, halte ich die getroffene Entschei- dung nach wie vor für falsch. Ich hätte es meiner Wertvorstellungen wegen gerne verhindert, dass menschliches Leben für spekulative For- schung genutzt wird. Ich hätte es forschungspolitisch für sinnvoller gehalten, die Kräfte zu bündeln und auf die the- rapeutisch erfolgreicheren adulten Stammzellen zu kon- zentrieren. Wenn ich mich heute beim Gesetzentwurf in der geän- derten Fassung enthalte, so geschieht das vor dem Hinter- grund der Befürchtung, dass eine Ablehnung des vorlie- genden Entwurfs dazu führen könnte, dass am Ende keine Regelung zustande kommt und die gesellschaftliche und politische Akzeptanz für eine Beschränkung schwindet. Der nach dem Embryonenschutzgesetz mögliche unge- hinderte Import embryonaler Stammzellen aber stellt für mich das größere Übel dar, denn er würde einem Ver- brauch neu hergestellter Embryonen im Ausland Vor- schub leisten. Heinz Schemken (CDU/CSU): Ich stimme gegen den Gesetzentwurf auf Bundestagsdrucksache 14/8394 „Entwurf eines Gesetzes zur Sicherstellung des Embryo- nenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwen- dung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stamm- zellgesetz – SZG)“. Es zeigt sich jetzt immer deutlicher, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 200223256 (C) (D) (A) (B) dass der Beschluss des Deutschen Bundestages vom 30. Januar 2002 mit der bedingten Öffnung der Einfuhr von menschlichen embryonalen Stammzellen und die Forschung an diesen Zellen uns in eine zwangsläufige Folge weiter gehender Entscheidungen führt. Damit geht auch dieser Gesetzentwurf immer mehr vom Geist des Embryonenschutzgesetzes weg. Das geltende Embryo- nenschutzgesetz schließt eindeutig Forschungen an Em- bryonen ebenso aus wie das so genannte „therapeutische“ Klonen, bei dem ein lebensfähiger Embryo zerstört wird. Statt der Forschung mit embryonalen Stammzellen sollte die Forschung mit adulten Stammzellen einschließlich der Stammzellen aus Nabelschnurblut intensiviert werden. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse deuten darauf hin, dass auf diesem Wege weit reichende Erkenntnisse zu ge- winnen sind. Leben ist mehr als Gesundheit und genetische Perfek- tion. Zum menschlichen Leben gehören ebenso Inspira- tion und Ideenreichtum, Engagement und Wille, aber auch Begrenzung und Behinderung. Als Christen glauben wir, dass Gott den Menschen nach seinem Bild geschaf- fen hat. Daher ist das Leben der Verfügbarkeit des Men- schen entzogen. Der Mensch darf nicht sein eigener Schöpfer werden und selbst den Maßstab gelingenden Le- bens festsetzen. Die Würde des Menschen ist unantastbar – das ist Grundlage unserer demokratischen Verfassung. Die Fortschritte im Bereich der Lebenswissenschaften wecken Erwartungen und Hoffnungen, aber auch Be- fürchtungen. Meine Auffassung ist die, dass technische Machbarkeit von Verfahren in der Biotechnologie und Me- dizin nicht zum Maßstab für eine ethische Rechtfertigung werden darf. Auch ökonomische Interessen sowie die Stan- dortfrage können nicht gegen Lebensschutz und Menschen- würde aufgewogen werden. Wer daher jetzt dem Drängen interessierter Kreise nachgibt, wird es zukünftig schwer ha- ben, entsprechende weiter gehende Forderungen abzu- wehren. Die Feststellung der EnqueteKommission, dass a ngesichts der ethischen Konflikte die Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen, bei denen menschliches Leben vernichtet wurde, weiterhin nicht verantwortbar sei, muss deshalb wegweisend und bindend bleiben. Dr. Rupert Scholz (CDU/CSU): Ich stimme dem Stammzellgesetz, eingeschlossen die vorliegenden Ände- rungsanträge, nicht zu. Nach meiner Auffassung bedarf es eines solchen Gesetzes nicht, sind die von ihm für die Em- bryonenforschung errichteten rechtlichen Schranken zu ri- gide. Der Schutz menschlichen Lebens kann grundsätzlich nur mit der Nidation beginnen. Vor der Nidation ist eine em- bryonale Stammzelle prinzipiell noch nicht als menschli- ches Leben im verfassungsrechtlich geschützten Sinne zu qualifizieren. Es besteht demgemäß kein verfassungsrecht- liches Erfordernis für eine Gesetzgebung der hier vorgese- henen Art. Im Gegenteil, gerade die Prinzipien des Schutzes der Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 GG und des Schutzes von Leben und Gesundheit für jeden Menschen gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gebieten zumindest die prin- zipielle Zulassung auch der Stammzellenforschung. Denn Stammzellenforschung dieser Art eröffnet medizinisch emi- nente Möglichkeiten zur Heilung von Erbkrankheiten und zur Bekämpfung von Gesundheitsschäden gerade genetisch bedingter Art. Solche Forschungen auszuschließen ist nicht nur mit Art. 5 Abs. 3 GG, sondern auch mit dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG unvereinbar. Richtig ist, dass es bei Fragen dieser Art immer eines verhältnismäßigen Ausgleichs bedarf. Dies bedeutet ins- besondere, dass der Forschung an und mit adulten Stamm- zellen stets der Vorrang vor der Forschung mit embryona- len Stammzellen zu geben ist. Ein generelles Verbot der Forschung mit und an embryonalen Stammzellen ist je- doch unverhältnismäßig und meines Erachtens nicht ge- rechtfertigt. Aus diesem Grunde macht es auch keinen Sinn, ein entsprechendes Importverbot zu verhängen. Die Forschung an und mit embryonalen Zellen wird weltweit betrieben, stößt in aller Regel nicht auf vergleichbare Schranken, wie sie durch das Stammzellgesetz vorgese- hen werden. Aus Gewissensgründen wie aus verfassungs- rechtlichen Gründen kann ich dieser Gesetzgebung dem- gemäß nicht zustimmen. Reinhard Freiherr von Schorlemer (CDU/CDU): Ich lehne den Import von menschlichen embryonalen Stammzellen aus grundsätzlichen Erwägungen heraus ab und stimme deshalb dem Gesetzentwurf nicht zu. Bei der Entscheidung des Deutschen Bundestages vom 30. Januar 2002 handelt es sich um eine grundlegende Weichen- stellung. Damit wird ein Weg eingeschlagen, den ich ab- lehne. Er widerspricht meinem grundlegenden Verständ- nis von der unteilbaren Würde des Menschen von Anfang an, beginnend mit der Verschmelzung von Ei und Samen- zelle. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christina Schenk, Dr. Ruth Fuchs, Dr. Dietmar Bartsch und Dr. Uwe-Jens Rössel (alle PDS) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Sicherstel- lung des Embryonenschutzes im Zusammen- hang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stammzellgesetz – SZG) (Drucksache 14/8846) Wir stimmen – im Unterschied zur Mehrheit unserer Fraktion – dem oben genannten Gesetzentwurf zu. Am 30. Januar 2002 hat der Deutsche Bundestag beschlossen, in Deutschland – unter strengen Auflagen – die Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen zu hochran- gigen Zwecken zu ermöglichen. In der Abwägung zwischen den verschiedenen Beden- ken gegenüber der Verwendung von menschlichen em- bryonalen Stammzellen für Forschungszwecke, den Ge- fahren der Kommerzialisierung der Stammzellgewinnung und den sich aus der Forschung an embryonalen Stamm- zellen möglicherweise ergebenden Heilungschancen für schwere Erkrankungen haben wir diesen Beschluss be- grüßt. Wir sind der Auffassung, dass neben der Schutzwür- digkeit möglichen und werdenden Lebens auch die Inte- ressen von Schwerkranken zu berücksichtigen sind. Dabei gehen wir davon aus, dass menschliche Embryonen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2002 23257 (C) (D) (A) (B) keinesfalls beliebige Forschungsgegenstände sind, son- dern nur unter strengen Regeln und ausschließlich zu hochrangigen Forschungszwecken genutzt werden dür- fen. Der vorliegende Gesetzentwurf setzt aus unserer Sicht den im Januar beschlossenen Kompromiss um, wenn auch mit zusätzlichen Restriktionen. Dennoch stimmen wir ihm zu, damit für die medizinische Forschung die not- wendige Rechtssicherheit hergestellt wird – auch wenn in Details andere Festlegungen wünschenswert gewesen wären. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO derAbgeordneten René Röspel, Wolfgang Thierse, Hans-Werner Bertl, Willi Brase, Christel Deichmann, Marga Elser, Gabriele Iwersen, Klaus Kirschner, Horst Kubatschka, Helga Kühn- Mengel, Dirk Manzewski, Andrea Nahles, Günter Oesinghaus, Dagmar Schmidt (Meschede), Regina Schmidt-Zadel, Walter Schöler, Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk, Adelheid Tröscher, Rüdiger Veit, Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker, Arne Fuhrmann, Dr. Martin Pfaff, Waltraud Wolff (Wolmirstedt) und Christel Riemann-Hanewinckel (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Sicherstellung des Embryonen- schutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Ver- wendung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stammzellgesetz – SZG) (Drucksache 14/8846) Das deutsche Embryonenschutzgesetz verbietet den Verbrauch von Embryonen zu Forschungszwecken. In diesem Sinne lehnen wir nach wie vor die Nutzung von Embryonen zu Forschungszwecken aus ethischen, moralischen und forschungspolitischen Gründen ab. Fol- gerichtig resultiert daraus auch unsere Ablehnung des Imports im Ausland hergestellter embryonaler Stamm- zellen. Eine Zulassung des Imports bedeutet, dass im Ausland gemacht wird, was in Deutschland verboten und nicht gewollt ist. Unsere ethischen Grundsätze aber än- dern sich nicht mit dem Überschreiten politischer Gren- zen. Wenn wir heute dem Gesetzentwurf in der geänderten Fassung trotzdem zustimmen, so geschieht das vor dem Hintergrund der Befürchtung, dass eine Ablehnung des vorliegenden Entwurfs dazu führen könnte, dass am Ende keine Regelung zustande kommt und die gesellschaftliche und politische Akzeptanz für eine Beschränkung schwin- det. Der nach dem Embryonenschutzgesetz mögliche un- gehinderte Import embryonaler Stammzellen aber stellt für uns das größere Übel dar, denn er würde einem Ver- brauch neu hergestellter Embryonen im Ausland Vor- schub leisten. Der Deutsche Bundestag hat nach einer intensiven De- batte am 30. Januar 2002 die grundsätzliche Entscheidung in dieser Frage getroffen. Er hat sich mehrheitlich dafür ausgesprochen, den Import embryonaler Stammzellen auf bestehende Stammzelllinien, die zu einem bestimmten Stichtag etabliert wurden, zu beschränken. Wenngleich wir den Versuch der Befürworter und Befürworterinnen eines beschränkten Imports anerkennen und respektieren, über einen solchen Weg den Verbrauch neuer Embryonen verhindern zu wollen, halten wir die getroffene Entschei- dung nach wie vor für falsch. Darüber hinaus kritisieren wir, dass der vorliegende Gesetzentwurf nicht dem Bundestagsbeschluss vom 30. Januar entspricht: Die in § 3 formulierte Definition von Stammzelllinien ist wirklichkeitsfremd und führt ge- genüber der Intention des Beschlusses vom 30. Januar zu einer erheblichen Ausweitung der Zahl benutzbarer Zel- len. Grundsätzlich müssen aus einem Gewebe oder Em- bryo isolierte Zellen immer zunächst in Kultur genommen und (zumindest für kurze Zeit) gehalten werden. Als Zell- linien werden aber üblicherweise solche Zellen bezeich- net, die über längere Zeiträume stabil in Nährmedien kul- tiviert werden können, ohne wesentliche Eigenschaften zu verlieren. Die vorliegende Definition wird dazu führen, dass nicht nur die etwa 80 zum Zeitpunkt des Beschlusses am 30. Januar bekannten „Stammzelllinien“ importiert werden dürfen, sondern alle zum Stichtag vorhandenen embryonalen Stammzellen (vermutlich mehrere Hundert oder Tausend weltweit). Eine weitere Veränderung findet sich zum Beispiel in Bezug auf die so genannte Zustim- mungsregelung. Im Bundestagsbeschluss vom 30. Januar wurde die informierte Einwilligung der Eltern als Grund- lage für eine Genehmigung gefordert. Im zur Abstim- mung stehenden Entwurf wird der Anspruch aufgegeben, Anforderungen an die informierte Zustimmung zu stel- len, wie sie für das deutsche Recht in anderen Fällen diskutiert werden. Stattdessen wird nur noch die Übe- reinstimmung mit der Rechtslage im Herkunftsland ge- fordert. Wir hätten unserer Wertvorstellungen wegen gerne verhindert, dass menschliches Leben für spekulative For- schung genutzt wird. Wir hätten es forschungspolitisch für sinnvoller gehalten, die Kräfte zu bündeln und auf die therapeutisch erfolgreicheren adulten Stammzellen zu konzentrieren. Die Wahl zwischen der schwachen Begrenzung und der Alternative der Regellosigkeit lassen uns keine andere realistische Möglichkeit, als dem Gesetzentwurf zuzu- stimmen. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Hermann Kues, Kurt- Dieter Grill, Jochen Borchert, Sylvia Bonitz und Hermann Gröhe (alle CDU/CSU) zur namentli- chen Abstimmung über den Entwurf eines Ge- setzes zur Sicherstellung des Embryonen- schutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stamm- zellen (Stammzellgesetz – SZG) (Drucksache 14/8846) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 200223258 (C) (D) (A) (B) Wir lehnen den Import von menschlichen embryona- len Stammzellen aus grundsätzlichen Erwägungen he- raus ab und stimmen deshalb dem Gesetzentwurf nicht zu. Erstens. Bei der Entscheidung des Deutschen Bundes- tages vom 30. Januar 2002 handelt es sich um eine grund- legende Weichenstellung. Damit wird ein Weg einge- schlagen, den wir ablehnen. Er widerspricht unserem grundlegenden Verständnis von der unteilbaren Würde des Menschen von Anfang an, beginnend mit der Ver- schmelzung von Ei und Samenzelle. Zweitens. Unabhängig davon respektieren wir diese Mehrheitsentscheidung. Das Parlament muss jetzt Rege- lungen beschließen, die diesem Abstimmungsverhalten entsprechen. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden Zur Beratung – des Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Stiftungsrechts – des Entwurfs eines Gesetzes für eine Reform des Stiftungszivilrechts (Stiftungsrechtsreformgesetz) (Tagesordnungspunkt 9) Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heute ist ein glücklicher Tag für das bürgerschaftliche En- gagement, denn heute wird die Reform des Stiftungs- rechts abgeschlossen. Fünf Jahre nachdem die Grünen sich dieses Themas angenommen haben und nachdem sich die Regierungskoalition vorgenommen hatte, das Thema zu einem zufrieden stellenden Abschluss zu brin- gen, sind wir heute hier und beraten den Gesetzentwurf zum letzten Mal – jedenfalls in dieser Legislaturperiode. Was haben wir geschafft? 1997 haben wir mit dem bündnisgrünen Gesetzentwurf das damalige Stiftungs- recht auf seine Schwächen und Stärken abgeklopft und ei- nen umfassenden Vorschlag zu seiner Verbesserung vor- gelegt. Das Hauptziel war, Anreize für Stifter und Interesse für Stiftungen zu wecken. Denn wir hatten er- kannt, was heute jedermann verstanden hat: Stiftungen wecken kreative Kräfte, sie sind Ideenschöpfer für eine moderne, globale Gesellschaft. Im Sommer 2000 setzten wir zusammen mit der SPD steuerrechtliche Reformen für die Stiftungen und die Stifter durch. Das schaffte konkrete Anreize vor allem auch für Stifter mit kleinen Vermögen, sich für eine gute Sache zu engagieren. Die Bürger und Bürgerinnen ergriffen die Gelegenheit beim Schopf. Vor allem die Bürgerstiftungen wuchsen allerorts aus dem Bo- den. Die Stiftungspraxis beweist, dass wir mit unserer Re- form unser Ziel erreichen: Allein im letzten Jahr sind an die 1 000 neue Stiftungen gegründet worden. Jetzt wird der vorläufig letzte Schritt vollzogen: Wir haben uns den zivilrechtlichen Regelungen im Stiftungs- wesen zugewandt und vier Regelungen vorgeschlagen: Erstens. Ein formuliertes „Recht auf Stiftung“. Was in juristischen Fachkreisen schon längst anerkannt ist, wird nun auch im Gesetz fest geschrieben. Zweitens. Eine abgeschlossene Liste der materiellen Voraussetzungen zur Errichtung einer Stiftung wird in das Gesetz aufgenommen. So ist ein Mindeststandard für die Errichtung einer Stiftung gewährleistet. Das bringt Über- sichtlichkeit, Einfachheit und Transparenz ins Stiftungs- wesen. Das ist stifterfreundlich. Drittens. Stiftungszweck kann jedes Anliegen eines Stifters sein, das nicht gegen die Gesetze verstößt. Nur so ist die Vielfalt der Stiftungen zu gewährleisten. Viertens. In Zukunft werden Stiftungen von den Behör- den nicht mehr länger genehmigt, sondern sie werden an- erkannt. Auch hier spiegelt sich die Auffassung wider, dass der Mensch ein Recht darauf hat, sich in Form einer Stiftung zu entfalten. Gestern meldeten sich schon die Stimmen der Kritik. Peter Rawert aus Hamburg wies nicht zu Unrecht auf den weitaus umfassenderen ersten Entwurf von 1997 hin. Und auch der Kulturrat bemängelte, dass man sich vor allem um eine eindeutigere Definition der Institution Stiftung hätte kümmern sollen. Mir persönlich ist es besonders bedauerlich, dass uns vonseiten des Parlaments die Hände vor allem dahin ge- hend gebunden waren, dass der Entwurf das Stiftungsre- gister mit all seinen Konsequenzen nicht aufnehmen konnte. Denn die Länder hatten von vornherein signali- siert, dass sie einem bundesweiten Register für Stiftungen nicht zustimmen würden. Mit einem solchen Register wäre dem legitimen Be- dürfnis der Öffentlichkeit Rechnung getragen worden, über die privilegierte Rechtsform Stiftung mehr und ein- heitlicheres zu erfahren, als die Stiftungen selbst bereit sind, bekannt zu geben. Stiftungen werden – so sie denn gemeinnützig sind – vom Staat vor allem steuerlich be- günstigt. Wir hätten uns also durchaus auch eine weiter gehende Reform vorstellen können, bei der gemeinnüt- zige echte Stiftungen im bürgerlichen Gesetzbuch defi- niert, durch bestimmte Rechtsformzusätze – entsprechend etwa dem „e. V.“ bei eingetragenen Vereinen gekenn- zeichnet und in einem öffentlich zugänglichen Re- gister geführt werden müssten. Mehr Transparenz in dieser Form hätte dem Stiftungs- wesen gut getan. Die Anhörung im Rechtsausschuss hat uns in dieser Hinsicht bestärkt, denn die Mehrheit der Re- ferenten sprach sich für ein Stiftungsregister aus. Wir ha- ben in dieser Hinsicht unsere parlamentarischen Möglich- keiten ausgeschöpft, indem wir im Ausschuss für Kultur und Medien einen interfraktionellen Entschließungsantrag einbrachten. Jetzt ist der Entschließungsantrag sogar ins Plenum eingebracht worden. Darin bitten wir die Länder, zumindest die regionalen Verzeichnisse zu vervollständi- gen, zu vernetzen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das hat mit einem Register wenig zu tun, schafft aber immerhin mehr Öffentlichkeit für die Arbeit und die Organisation der Stiftungen. Wir haben den Ländern wei- terhin nahe gelegt, selbst die Register in ihre Landesge- setze aufzunehmen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2002 23259 (C) (D) (A) (B) Wir werden die Praxis beobachten. Das Thema lässt uns noch nicht los. Sollte sich herausstellen, dass sich in Sachen Transparenz zu wenig bewegt, werden wir noch einmal über eine diesbezügliche Verbesserung nachden- ken müssen. Wir haben in der vorliegenden Reform auch Abstand davon genommen, uns mit den vielfältigen Mög- lichkeiten des Missbrauchs von Stiftungen auseinander zu setzen. Auch hier werden wir wachsam sein und beo- bachten, ob weitere spektakuläre Fälle den Namen der Stiftung in Misskredit bringen. Vielleicht müssen wir spä- ter auch hier noch einmal nachhaken. Jetzt wollen wir erst einmal diesen Teil der Reform an- gemessen begrüßen. Genauso sehr wie ich mich über den Abschluss insgesamt freue, ist es mir ein besonders großes Vergnügen, festzustellen, dass die Arbeit an dieser Reform wieder etwas Schönes gezeigt hat: Manche The- men eignen sich so wenig zur Polemisierung, dass die Sa- che wieder in den Vordergrund rückt. Das freut mich für unser Parlament und heute ganz besonders für eine große und wichtige Angelegenheit der Zivilgesellschaft; dem persönlichen Einsatz der Bürger und Bürgerinnen, die Stiftung. Rainer Funke (FDP): Wir sind uns sicherlich in die- sem Hause einig, dass das Stiftungsrecht modernisiert werden muss. Aus diesem Grund haben die Grünen einen umfangreichen Gesetzentwurf bereits am Ende der letzten Legislaturperiode eingebracht, der von dem angesehenen Notar Professor Dr. Rawert ausgearbeitet war. Die FDP hat einen eigenen Gesetzentwurf zu Beginn dieser Legis- laturperiode vorgelegt, der das materielle Stiftungsrecht, also die Bestimmungen des BGB und das Steuerrecht, umfasste. Das Stiftungssteuerrecht ist inzwischen durch Be- schlussfassung des Bundestages im Bundesgesetzblatt. Auch wenn uns diese steuerlichen Entlastungen für Stif- ter und Stiftungen nicht weit genug gehen, räume ich ein, dass wir mit diesem Stiftungssteuerrecht auf dem richti- gen Weg sind. Erfreulich ist auch, dass die Bereitschaft, gemeinnützige Stiftungen zu gründen, zugenommen hat. Aber gerade um diese Stiftungskultur in Deutschland auf eine neue Stufe der Qualität und Quantität zu heben, muss das materielle Stiftungsrecht grundlegend vereinfacht werden und vom Konzessionssystem zum Normativsys- tem verändert werden. Gerade diese Grundvoraussetzung erfüllt der Regierungsentwurf bzw. der Entwurf der Ko- alitionsfraktionen nicht. Aus diesem Grunde werden sie von uns auch abgelehnt. Die geringfügigen Änderungen in § 80 und § 81 BGB führen nicht dazu, dass das Stif- tungsrecht, wie der Titel heißt, modernisiert wird; denn all das ist lediglich ein Etikettenschwindel. Ich frage mich wirklich, wie glaubwürdig gerade die Grünen sind, die noch vor vier Jahren einen Entwurf von Professor Rawert vorgelegt haben, der, auch wenn man nicht in allen Punk- ten mit ihm einverstanden sein musste, grundlegende Ver- änderungen gebracht hätte. Auch die Sachverständigenanhörung hat deutlich ge- macht, dass der heute zur Debatte stehende Gesetzentwurf abgelehnt und als nicht weitgehend genug bezeichnet wird. Das deckt sich im Übrigen mit dem Votum des Deut- schen Kulturrates, der die Stiftungsreform halbherzig nennt und mit der Auffassung Professor Rawerts in der „FAZ“ vom 23. April 2002, der das neue Stiftungsgesetz als Rückfall in das 19. Jahrhundert bezeichnet. Recht hat er; denn das Stiftungsrecht verbleibt bei den alten Rege- lungen des Jahres 1896 und den Partikularinteressen und Partikularrechten der Länder. Damit kann man keine An- reize für Stifter geben. Hier ist eine gute Gelegenheit ver- tan worden, das Stiftungsrecht wirklich zu modernisieren. Dies wäre auch möglich gewesen gegen den Widerstand der Länder, in denen das Stiftungsgeschäft so gestaltet worden wäre, dass das Normativsystem eingeführt und damit das Gesetz vom Zustimmungsgesetz zum Ein- spruchsgesetz verändert worden wäre. Der Gesetzentwurf der FDP, der diesem Kriterium der Modernisierung entspricht, hat weitgehende Zustimmung bei den Sachverständigen gefunden. Frau Kollegin Vollmer war zwar im Ausschuss der Auffassung, dass dem Gesetzentwurf der FDP handwerkliche Mängel anhaften würde, aber sie war auch nicht bereit, diese angeblichen Mängel zu beseitigen. So verbleibt es heute dabei, dass das Stiftungsrecht nicht modernisiert wird und dieses Vorhaben zu Beginn der nächsten Legislaturperiode wie- der aufgerufen und dann eine wirkliche Reform mithilfe der FDP beschlossen werden wird. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Landminen ohne integrierte Selbstneutralisie- rungs- oder Selbstzerstörungsmechanismen äch- ten – Minenräum- und Minenopferhilfe deutlich erhöhen – Für eine Weiterentwicklung der humanitären Rüstungskontrolle bei Landminen (Tagesordnungspunkt 10 und Zusatztagesord- nungspunkt 7) Uta Zapf (SPD): Uns liegen heute zwei Anträge vor, die in langen Passagen bemerkenswerte Übereinstim- mungen aufweisen. Ich rätsele noch heute darüber, wie Teile des Textes des SPD/Grünen-Antrages, der erst gestern in den Bundestag eingebracht wurde, in den gemeinsamen Antrag von FDP und CDU/CSU vom 20. März 2002 gerieten. Der Ur- sprungstext des FDP-Antrages vom 20. Juni 2001 wurde jedenfalls dadurch wesentlich verbessert. Dies gibt Hoff- nung, dass in den Ausschussberatungen noch ein gemein- samer Antrag des ganzen Hauses entstehen kann. Wir sind uns alle darüber einig, dass Minen ein schwer wiegendes humanitäres Problem darstellen. Weltweit dürfte der Bestand an Antipersonenminen 230 bis 245 Millionen betragen, und täglich kommen mehr neue Minen hinzu, als geräumt werden können. Es sterben täglich viele Menschen oder werden verkrüppelt, weil sie auf zurückgelassene An- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 200223260 (C) (D) (A) (B) tipersonenminen treten. Ganze Landstriche sind nach Kon- flikten unbetretbar, weil sie minenverseucht sind. Das Minenprotokoll von 1996, das bestimmte Minen- arten ächtet, zum Beispiel booby-traps, und bei Verlegung von Minen strenge Vorschriften vorsieht, wie Kartierung und Markierung des Verlegegebietes, und das Standards für Detektierbarkeit und Wirkzeitbegrenzungen setzte, war ein begrüßenswerter Fortschritt, aber unzureichend. Diese Kriterien sind weltweit auch heute noch nicht um- gesetzt. Das Ottawa-Übereinkommen vom 4. Dezember 1997 ächtet die gesamte Kategorie von Antipersonenminen völlig. Man muss an dieser Stelle das „7-Punkte-Aktions- programm“ des damaligen Außenministers Kinkel lobend erwähnen. Die Bundesrepublik war hier sicher ein maß- geblicher Unterstützer des Verbotsprozesses. 142 Staaten sind diesem Übereinkommen beigetreten; 122 Staaten ha- ben es mittlerweile ratifiziert. Aber wesentliche große Staaten, die produzieren und exportieren, fehlen. USA, China, Russland, Indien und Pakistan – insgesamt 14 Staa- ten produzieren auch heute noch Antipersonenminen. Auf der anderen Seite ist jedoch positiv zu vermerken, dass seit dem Beginn des Ottawa-Prozesses circa 27 Milli- onen gelagerte Antipersonenminen von mehr als 50 Staaten zerstört worden sind. 29 Staaten haben ihre Bestände be- reits vollständig zerstört, andere sind dabei. Nach dem Ot- tawa-Übereinkommen muss ein Staat in den vier Jahren, nachdem das Übereinkommen für ihn in Kraft getreten ist, alle Vorräte an Antipersonenminen vernichtet haben. Für die Bundesrepublik läuft diese Frist am 1. März 2003 ab, sie hat aber bereits vor In-Kraft-Treten des Übereinkom- mens 1999 alle Vorräte an Antipersonenminen vernichtet. Der größte Teil – fast 90 Prozent – der weltweit existieren- den Antipersonenminen befindet sich jedoch im Besitz von Staaten, die dem Ottawa-Übereinkommen nicht beigetre- ten sind. Ein vordringliches Ziel muss deshalb die Univer- salisierung des Ottawa-Übereinkommens sein. Darin sind sich die vorliegenden Anträge einig. Der Deutsche Initiativkreis zum Verbot von Landmi- nen fordert ein umfassendes Verbot aller Minen, also auch der bisher erlaubten Kategorie der Antifahrzeugminen, während die International Campaign to Ban Landmines diese radikale Forderung bislang nicht erhoben hat. Sie verfolgt einen schrittweisen Ansatz. Der ursprüngliche Antrag der FDP forderte einen Verzicht auf alle Antifahr- zeugminen, die sich „nicht ausschalten lassen oder selbst zerstören“. Diese Initiative hat die Bundesregierung be- reits längst in den internationalen Verhandlungsprozess eingebracht. Eine Ottawa-Folgekonferenz mit eben die- sem Ziel wäre wünschenswert, löst aber nicht das Di- lemma, dass bei Ottawa die großen Minenproduzenten und -nutzer wie USA, Russland und China nicht dabei sind. Die Bundesregierung hat diese Forderung deshalb bei der VN-Waffenkonvention thematisiert, weil Hoffnung besteht, dass diese großen Länder dieser Forderung folgen könnten. Aber auch dies löst das Dilemma keineswegs, weil die VN-Waffenkonvention nur Restriktionen bei An- tipersonenminen, jedoch nicht das völlige Verbot wie Ot- tawa vorsieht. Wenn wir Fortschritte erzielen wollen, müssen wir auf allen Ebenen ansetzen. Wir müssen mit Nachdruck für die Universalisierung des Ottawa-Übereinkommens eintreten, damit diese schreckliche Kategorie von Waffen wirklich vom Erdboden verschwindet. Wir müssen gleichzeitig ver- suchen, im Rahmen des VN-Waffenübereinkommens alle Minen zu ächten, die nicht detektierbar sind und die keine Wirkzeitbegrenzung haben. Dies wird nur schrittweise zu erreichen sein. Erster Schritt ist, wie in unserem Antrag gefordert, sol- che Antifahrzeugminen, die sensible Zündmechanismen haben und somit von einzelnen Personen unbeabsichtigt ausgelöst werden können, zu verbieten. Sie müssen wie Antipersonenminen behandelt werden. Außerdem fordern wir im Antrag das Verbot von nicht detektierbaren Anti- fahrzeugminen und solchen, die über keine Wirkzeitbe- grenzung verfügen. Alle diese Minen gefährden die Men- schen noch viele Jahre nach Beendigung eines Konfliktes. Was heute leistbar ist und was wir unbedingt brauchen, ist ein Einstieg in das Verbot bei der VN-Waffenkonven- tion. Deshalb beginnen wir mit der Forderung nach dem Verbot der Antifahrzeugminen, die wie Antipersonenmi- nen wirken. Auch diese Forderung muss im Rahmen des Ottawa-Übereinkommens bekräftigt werden. Es gibt ei- nen Interpretationsstreit über die Reichweite des Verbotes für Minen im Ottawa-Übereinkommen: ob auch Antifahr- zeugminen, die eine Aufhebesperre haben, aber unbeab- sichtigt zur Explosion gebracht werden können, umfasst sind. Dieser Interpretationsstreit muss ausgeräumt wer- den. Vergessen wir nicht, dass bei seriösen Staaten Anti- fahrzeugminen als defensives Schutzsystem für Soldaten eingesetzt werden. Ehe wir diesen Schutz nicht anders ge- währleisten können, wird eine Forderung nach schnellem völligen Verbot illusorisch sein. Deutschland stellt für humanitäres Minenräumen er- hebliche Mittel zur Verfügung. Seit 1993 hat es Projekte in 31 Ländern mit circa 155 Millionen DM finanziert. Im Jahr 2002 stellte die Bundesrepublik allein circa 17 Mil- lionen Euro für Minenräumaktivitäten zur Verfügung. Dazu kommen noch die Mittel, die auf EU-Ebene für Mi- nenräumen aufgewandt werden. Im vergangenen Jahr wurden hierfür circa 125 Millionen Euro ausgegeben. Wir fordern die Bundesregierung auf, ihr Engagement in die- sem Bereich fortzusetzen und ihre Beiträge hierfür zu ver- stärken. Verena Wohlleben (SPD): Eine Weiterentwicklung der humanitären Rüstungskontrolle – und hier gerade bei Landminen – ist dringend geboten. Ich denke, soweit be- steht Einigkeit des Hauses. Uns allen sind die schreckli- chen Bilder geläufig von Minenopfern aus der Zivilbe- völkerung. Deshalb sind wir tätig geworden und bringen heute den Antrag der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen ein. Wir hätten uns gewünscht, einen gemeinsamen Antrag mit der Opposition einzubringen. Dies ist leider nicht gelun- gen; aber vielleicht besteht nach abschließender Beratung noch die Möglichkeit dazu. Unser Antrag geht über die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2002 23261 (C) (D) (A) (B) bestehenden Übereinkommen hinaus, nämlich das Ot- tawa-Übereinkommen zum Verbot von Antipersonenmi- nen und das Protokoll II der VN-Waffenkonvention zur Verbesserung der humanitären Standards von Landminen allgemein. Der entschiedene Kampf gegen das durch Minen ver- ursachte menschliche Leiden ist unser besonderes Anlie- gen, aber natürlich auch die Forderung der Bundesregie- rung. Sie ist dazu in den VN, der EU und den Gremien des Ottawa-Übereinkommens aktiv. Auch verfolgt die Bun- desregierung derzeit einen schrittweisen Ansatz, der die Universalisierung der bestehenden Abkommen in den Vordergrund stellt, aber parallel dazu Bemühungen um die Anhebung der humanitären Standards und die Aus- weitung der bestehenden Abkommen aktiv unterstützt. Die Forderung nach Universalisierung des Ottawa- Übereinkommens, Anhebung der humanitären Standards im Protokoll II des VN-Waffenübereinkommens, insbeson- dere auf Detektierbarkeit von Minen, die Wirkzeitbegren- zung für fernverlegte Minen, Unterstützung der Ini-tiative in den geeigneten Foren und Erweiterung humanitärer Hilfe sind für uns äußerst wichtig. Unser Ziel ist es, alle Minen zu ächten, die wie Anti- personenminen wirken. Die Ausrüstung von Antifahr- zeugminen mit sensiblen Zündmechanismen ist ein mög- licher Ansatz, um Unfälle durch Nichtkombattanten zu vermeiden. Diesbezügliche Ansätze waren bislang daran gescheitert, dass eine technische Definition von Sensibi- lität nicht zu erzielen war. Es geht dabei nicht nur um ein- fache Gewichtsbegrenzungen für Druckzünder, sondern um verschiedene Kriterien für unterschiedliche Zünder, zum Beispiel Magnetimpulse und Ähnliches. Eine ent- sprechende Initiative erscheint zwar derzeit international wenig erfolgversprechend, doch sollte dies in einem er- neuten Versuch ausgelotet werden. Der geeignete Rah- men dazu ist die VN-Waffenkonvention. Nun zum Problem des unbeabsichtigten Auslösens von Minen. Bisher gibt es keine Minentechnologie, die ver- lässlich zwischen beabsichtigter oder unbeabsichtigter, das heißt zufälliger Störung differenzieren könnte. Er- laubtheit oder Verbotensein einer Mine wäre damit von der Zufälligkeit des Geschehens abhängig, also von Ge- gebenheiten, die außerhalb des Einflussbereichs des Herstellers und des Anwenders lägen. Wir müssen dabei genau abwägen und überlegen, dass bei Einführung ei- nes derartigen Kriteriums praktisch alle Minen verboten werden würden. Dies wäre international nicht durchsetz- bar. Auch die Unterscheidung nach Fern- und Nahverle- gung ist zu beraten. Findet diese Unterscheidung nicht statt, würden auch nahverlegte Minen infrage gestellt, die aber im Spektrum an Sperr- und Wirkmitteln ein spezifi- sches, unverzichtbares Fähigkeitsprofil abdecken und ins- besondere dem unmittelbaren Selbstschutz unserer Solda- ten im Einsatz dienen, PzAbwMi DM 21. Ein Verzicht auf diese Mine würde die Gefährdung vor allem bei leichter un- gepanzerter eigener Truppen drastisch erhöhen. Die Vertei- digungsmöglichkeiten gegenüber gegnerischen gepanzer- ten Kräften würden erheblich eingeschränkt werden. Die dann vorhandene Fähigkeitslücke müsste durch neue ko- stenintensive Waffensysteme geschlossen werden. Nahverlegte Minen benötigen vorgenannte Wirkzeit- begrenzungen nicht notwendigerweise, wenn sie, wie nach den strengen Kriterien der Bundeswehr praktiziert, offen verlegt, gekennzeichnet, in einem Sperrplan sorg- fältig dokumentiert, durch Soldaten überwacht und beim Verlassen des jeweiligen Gebietes vollständig wieder auf- genommen werden. Eine eventuelle Wirkung wie bei An- tipersonenminen ist somit nicht gegeben. Daher wird eine Gefährdung der unbeteiligten Zivilbevölkerung nahezu ausgeschlossen. Daher ist zu überdenken, diese Differen- zierung, das heißt Beschränkung der Wirkzeitbegrenzung, auf fernverlegte Antifahrzeugminen, verknüpft mit den vorgenannten Kriterien, aufzunehmen. Zusammenfassend möchte ich feststellen: Es ist gut, dass heute der Antrag eingebracht wird. Es ist gut, dass wir in dieser Frage endlich zu einem Ergebnis kommen und den nächsten Schritt machen. Es ist gut, dass diese Anträge in verschiedenen Punkten in den Fachausschüs- sen noch beraten werden. Zu bedenken gebe ich: Es geht heute nicht mehr nur da- rum, dass wir es mit Staatsarmeen zu tun haben, die sich an die Regeln halten. Die terroristische Szene nutzt jede Gelegenheit, um tätig zu werden. Aus diesem Grunde darf man sich nicht alle Möglichkeiten des Schutzes selbst nehmen. Bei einer Gesamtächtung unterstellt man, dass alle Staaten sich an die Regeln halten. Aber im terroristi- schen Lager wird sich nicht daran gehalten, sondern die arbeiten weiter mit Dingen, die nicht unter die Verbote fal- len und deswegen muss man sich auch schützen können. Wenn dies aber nicht mehr möglich ist, hätte dies unüber- sehbare negative Folgen für die Operationsfähigkeit des Heeres und den Schutz sowie die Überlebensfähigkeit un- serer deutschen Soldaten. Demgegenüber würde sich aber die Gefährdungslage der Zivilbevölkerung nicht positiv verändern. Deshalb gilt es, streng darauf zu achten, dass wir nicht mit gut gemeinten Vorschlägen Leib und Leben unserer Soldaten gefährden. Hans-Dirk Bierling (CDU/CSU): Lassen Sie mich ei- nen prinzipiellen Satz vorausschicken: Es ist wieder ein- mal spät am Abend, und deshalb wird diese Debatte nicht mehr geführt, sondern zu Protokoll gegeben – ein abrüs- tungspolitisches Thema von internationaler Brisanz! Ich weiß, wir hatten bereits spät nachts liegende Termine für diese Thematik – aber trotzdem – vielleicht sollten wir uns in Zukunft bemühen, derartige Themen zu einer Zeit in diesem Hause zu diskutieren, die der Wichtigkeit des Themas Abrüstung entspricht. – Aber das nur vornweg. Angesichts der Bilder, die uns beinahe täglich via Bild- schirm von Minenopfern erreichen, darf man eines nicht vergessen, auch wenn es leider beinah alltäglich gewor- den scheint: Jedes der Opfer ist ein Einzelschicksal! Jedes der beinamputierten Kinder, jeder der einarmigen Män- ner, jede verstümmelte Frau hat eine eigene Leidensge- schichte! Und keiner weiß genau, wie viele dieser Minen noch überall in der Welt versteckt in der Erde liegen und eine Gefahr für die jeweilige Zivilbevölkerung darstellen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 200223262 (C) (D) (A) (B) Jeden Tag müssen wir damit rechnen, dass irgendwo in Kambodscha, im Sudan, in Afghanistan oder anderswo Menschen durch Minen verstümmelt oder getötet werden. Jeden Tag wird die Zukunft von Menschen zerstört, die ihr ganzes Leben noch vor sich haben oder ihre Familien ernährt und versorgt haben. Da ist es auch wenig beruhi- gend, dass die Zahl der Todesopfer im Jahr 2000 leicht rückläufig war. Weltweit starben etwa 8 000 Menschen – ich wiederhole: 8 000 Tote! –, davon die meisten Zivilis- ten, durch Landminen. Man darf die Heimtücke und Unberechenbarkeit dieser Waffe nicht vergessen. Sie kann jahrelang im Boden lie- gen ohne unwirksam zu werden. Selbst wenn die eigent- lichen Kampfhandlungen vielleicht schon lange Zeit zurückliegen und die Region sogar befriedet ist, sie blei- ben eine unkalkulierbare Gefahr für die ansässige Bevöl- kerung. Genau da setzt der gemeinsame Antrag von CDU/CSU-Fraktion und FDP-Fraktion an. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich für die Ächtung von Minen ohne Wirkzeitbegrenzung international stark zu machen. Deutschland hat sich in der Zeit der CDU/CSU-FDP-Re- gierung international stark engagiert, um eine Ächtung von Antipersonenminen weltweit zu erreichen. Wie Sie wissen, war es vor allem die deutsche Seite, die sich bei den Ver- bündeten in EU und NATO für eine Vernichtung von Anti- personenminen eingesetzt hat und selbst mit gutem Beispiel vorangegangen ist, indem sie bereits vor dem In-Kraft-Tre- ten des Ottawa-Übereinkommens sämtliche Bestände von Antipersonenminen der Bundeswehr beseitigt hat. Zudem hat die deutsche Regierung sich 1998 auch bei den Vereinten Nationen als Miteinbringer mehrerer Reso- lutionen für eine rasche Umsetzung des Ottawa-Überein- kommens und des revidierten Minenprotokolls von 1996 eingesetzt. Bereits 1994 hat die unionsgeführte Bundesregierung ein Exportmoratorium für Antipersonenminen erlassen, dieses 1996 für unbefristete Zeit verlängert und sich seit 1993 ak- tiv an Maßnahmen zur Minenbeseitigung in 23 Ländern be- teiligt. Durch ihr Handeln hat Deutschland internationale Reputation beim Kampf gegen Antipersonenminen und bei der Betreuung von deren Opfern erworben. Und genau diese gilt es international zu nutzen und nun auf das Verbot wei- terer, nicht weniger unterschiedslos wirkender Landminen auszuweiten. Der Antrag von CDU/CSU und FDP verliert dabei die Realität nicht aus den Augen. Wir wissen, dass es derzeit nicht möglich ist, alle Landminen ohne Wirkzeitbegren- zung ebenfalls zu verbieten. Die Armeen der NATO verwenden Panzerminen mit Wirkzeitbegrenzung durch die Pioniertruppe in drei ver- schiedenen Typen, die auf Stunden oder Tage program- miert werden können. Diese Minen werden aber nicht durch die übrigen Truppen zur Sicherung eingesetzt. Für diese bedarf es der heute noch verwendeten Panzermine DM 21, die leicht zu handhaben ist und von jedem Infan- teristen etc. als überwachte Minensicherung zum Schutz der eigenen Truppe verlegt werden kann. Von diesen Mi- nen hat selbst die Bundeswehr einen Vorrat von circa 120 000 Stück. Die Herstellungskosten sind gering, aber eine Wirkzeitbegrenzung ist nicht einbaubar. Vielleicht ist es aber auch hier an der Zeit umzudenken und einen neuen Weg einzuschlagen, nach neuen Wegen und Formen zu suchen, die eigenen Truppen zu schützen. Gerade Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, aber auch nicht wenige Abgeordnete der SPD-Fraktion hatten eben dieses in der letzten Legislaturperiode gefor- dert. Ihren eigenen Forderungen in der Zeit der Opposi- tion haben Sie bislang auch hier keine Taten folgen lassen. Seine Vorreiterrolle bei der Ächtung von Minen sollte Deutschland dadurch untermauern, indem unser Land einseitig und beispielgebend auf die Erprobung, Herstel- lung und den Export nicht detektierbarer Landminen so- wie Minen ohne Wirkzeitbegrenzung verzichtet. Militärs weltweit betrachten Fahrzeugminen als legiti- mes Defensivmittel zum Schutz des eigenen Territoriums oder der eigenen Soldaten gegen mögliche Aggressoren. Zudem werden Fahrzeugminen und ihre Verlegung von regulären Armeen durch exakte Minenpläne dokumen- tiert. So ist es möglich, nach Beendigung der Konfliktsi- tuation die Minen zu entfernen und damit das Risiko für die Zivilbevölkerung weitgehend zu minimieren. Allerdings, Sie bemerken meine Einschränkung, ist die Herstellung und Beschaffung von Minen jeglicher Art auch für nicht reguläre militärische Verbände, wie die Ausrüstung verschiedener paramilitärischer Guerillaver- bände beweist, kein Problem, da ihre Herstellung relativ simpel ist. Eine internationale Verifikation eines etwaigen Abkommens über das Verbot von Minen ohne Wirkzeit- begrenzung ist derzeit äußerst kompliziert. Doch wer re- signiert, hat schon verloren! Und Deutschland und seine Partner dürfen in dieser Frage nicht resignieren! Daher unterstützt die CDU/CSU-Fraktion Initiativen, die der Ächtung von Minen auf lange Sicht hin dienen. In den vergangenen Jahren gab es ja einige Erfolge, die Mut machen sollten. Das Ottawa-Obereinkommen wurde von mehr als 120 Staaten unterzeichnet. Um seine tatsächliche Wirksamkeit zu erreichen, fordern wir die Bundesregie- rung auf, sich auch weiterhin für den Beitritt wichtiger Minenproduzenten wie China, Russland und auch des NATO-Partners USA einzusetzen. Denn nur so kann der Druck auf Staaten wie Irak, Pakistan, Indien oder Nord- und Südkorea erhöht werden, ebenfalls ihre Produktion von Antipersonenminen einzustellen. Im Rahmen des VN-Waffenübereinkommens fordern wir die Bundesre- gierung auf, nachdrücklich auf ein Verbot von Antifahr- zeugminen mit sensiblen Zündern hinzuwirken. Denn auch die können von Zivilisten ausgelöst werden. Sie ma- chen eben meist keinen Unterschied zwischen einem Pan- zer oder Militärtransporter und einem Traktor oder einem zivilen Autobus. Vergessen wir aber eines nicht: Mit dem Verbot der Mi- nen ohne Wirkzeitbeschränkung ist das Problem der be- reits verlegten Minen nicht gelöst. Vor allem in den Staa- ten, wo paramilitärische Einheiten Minenfelder gelegt haben, existieren keine Pläne darüber. Die Suche und Zer- störung der Minen ist ein zeitaufwendiges und teures Un- terfangen, von seiner Gefährlichkeit ganz zu schweigen. Wir wissen alle, dass die betroffenen Staaten nicht in der Lage sind, dies allein zu bewältigen, weder technisch noch logistisch und schon gar nicht finanziell. Auch die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2002 23263 (C) (D) (A) (B) medizinische und psychologische Betreuung der Opfer von Minen ist in den meisten Ländern schwierig. Hier darf Deutschland die betroffenen Ländern nicht allein lassen. Bislang haben deutsche Spezialisten und Techniker in 23 Ländern bei der humanitären Minenräumung und der medizinischen Betreuung der Opfer geholfen und sich da- bei Ansehen und internationale Anerkennung erworben. Um dies nicht zu gefährden, muss die Höhe der dafür bereitgestellten Mittel im Haushalt – die Summe stagniert seit einigen Jahren – deutlich erhöht werden. Unverständ- lich sind mir im Übrigen die teilweise sehr versteckten Ti- tel, unter denen die Summen vor allem im BMZ deklariert werden. Demokratisierungs- und Ausstattungshilfe als Gelder für das Minenräumen zu erkennen ist nicht einfach und das Finanzministerium war auf Anfrage überhaupt nicht bereit, Auskunft über die exakte Höhe der bereitge- stellten Mittel zu erteilen – aber das nur am Rande. Ich bitte Sie, dem Antrag der CDU/CSU- und FDP- Fraktion zur Ächtung von Landminen ohne Selbstneutra- lisierungs- oder Selbstzerstörungsmechanismen zuzu- stimmen und sich für die Erhöhung der Haushaltstitel für das Minenräumen und die Opferhilfe einzusetzen. Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Landminenproblem – das ist Konsens hier im Hause – ist längst nicht beseitigt; es besteht Handlungsbedarf. Immer noch sterben monatlich bis zu 2 000 Menschen. Allein in Afghanistan gibt es schätzungsweise zwischen 300 und 360 Opfer pro Monat. Zwar ist es gelungen – nicht zuletzt dank der Initiative der internationalen Landminenkam- pagne – ein Verbot von Antipersonenminen zustande zu bringen. Interessierte Staaten haben sich hier gefunden und eine Koalition mit den Nichtregierungsorganisatio- nen gebildet. Der Ottawa-Vertrag war ein wichtiger Schritt im Kampf für die Ächtung aller Landminen. Die internationale Kampagne gegen Landminen wurde dafür mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Allerdings haben wichtige Länder den Vertrag noch nicht unter- schrieben und seine Reichweite ist begrenzt. Der Prozess war beispielhaft für eine neue Art des Verhandelns in der Rüstungskontrolle. Der Kampf gegen Minen geht weiter. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir dafür eintreten wollen, „besonders grausame Waffen wie Landminen weltweit zu verbieten“. Unser Koalitionsantrag stellt ei- nen wichtigen Schritt in diese Richtung dar. Herr Kollege Kinkel, Sie haben am 11. Dezember 1997 gesagt: „Wenn es irgendwie geht, müssen wir ... uns natür- lich langfristig darauf konzentrieren, irgendwann ohne Panzerminen zu sein“. Dem kann ich voll zustimmen. Nur kann ich aus dem Oppositionsantrag nicht erkennen, dass sich dies bei Ihnen durchgesetzt hat. Er macht den Ein- druck, in erster Linie nach einem schnellen und öffentli- chen Effekt zu suchen. Wir haben in unserem Antrag einen Step-by-step-An- satz gewählt, mit dem Ziel, schrittweise die Ächtung aller Landminen zu erreichen. Uns ist klar, dass Fortschritte im Rahmen internationaler Verhandlungen schwierig und lang- wierig sind. Von verschiedensten Seiten werden industrie- politische, sicherheitspolitische und andere Interessen vorgebracht, die einen schnellen Erfolg erschweren. Da- her erscheint uns ein schrittweiser Ansatz am sinnvolls- ten. Wir können versuchen, analog zum Ottawa-Prozess, gleichgesonnene Partner zu gewinnen. Gleichzeitig müs- sen aber auch die Verhandlungen im Rahmen des Genfer Waffenprotokolls weitergehen. Wir haben machbare und gleichzeitig wegweisende Schritte formuliert, die neue Spielräume für die Bundes- regierung öffnen und sie in ihren bisherigen Aktivitäten unterstützen. Erster Schritt ist die Universalisierung des Ottawa-Prozesses: Wichtige Staaten wie Russland, China, Indien, Pakistan, die Türkei und nicht zuletzt die USAha- ben den Vertrag noch nicht unterzeichnet. Wir müssen auf diese Staaten einwirken, damit sie dem Ottawa-Abkom- men beitreten. Weiterhin gibt es einzelne Staaten, die das Abkommen zwar unterzeichnet haben, es aber nicht ein- halten. Insbesondere hier versucht die Bundesregierung, die Staaten zur Umsetzung des Vertrages zu drängen. Antifahrzeugminen, die aufgrund sensibler Zündmecha- nismen auch von Personen ausgelöst werden können, sind als Antipersonenminen anzusehen und werden daher be- reits vom Ottawa-Abkommen erfasst. Wir wollen diese Position auch bei anderen Teilnehmern des Ottawa-Regi- mes durchsetzen, da es hier unterschiedliche Interpretati- onsweisen gibt und eine Präzisierung im Rahmen des Ab- kommens möglich und politisch sinnvoll ist. Wir sprechen in unserem Antrag auch das schwierige Thema der einseitigen Vorleistungen an. Wir sind dafür, noch vorhandene Minen, die von Personen unbeabsichtigt ausgelöst werden können, aus dem Bestand der Bundes- wehr zu entfernen und Herstellung, Erprobung, Produk- tion, Lagerung und Export zu unterbinden, um im Sinne der humanitären Rüstungskontrolle ein Signal auch für andere Staaten zu setzen. Dies ist notwendig, damit die Bundesrepublik Deutschland weiterhin ihre Vorreiterrolle in diesem Bereich wahrnehmen kann. Jetzt schon zu ent- scheiden, welche Vorleistungen wir erbringen, wäre ver- früht. Wir wollen darüber sorgfältig diskutieren und dann die geeigneten Schritte umsetzen. Die Bundesregierung hat im Bereich der humanitären Minenräumung bereits viel unternommen. 1998 wurden 16,6 Millionen DM ausgegeben. In diesem Jahr stehen 16,4 Millionen Euro zur Verfügung, also fast das Dop- pelte. Dazu kommen noch Mittel im Rahmen der EU und der Vereinten Nationen und die des BMZ. Minenräumung wird von uns auch als Beitrag zur Ent- wicklungszusammenarbeit gesehen. Im Bad Honnefer Konzept der Nichtregierungsorganisationen wurde das herausgearbeitet. Deswegen sind im BMZ auch Mittel für die Opferrehabilitierung eingesetzt. Ich möchte betonen: Unsere Politik und die der Kam- pagne gegen Landminen ergänzen sich. Wir als Grüne un- terstützen die Bemühungen der Kampagne auf mehreren Ebenen, sowohl als Partei wie auch als Koalitionsfrak- tion. An dieser Stelle möchte ich auch das Engagement von Personen wie Sabine Christiansen, Marius Müller- Westernhagen oder Dr. Fritz Pleitgen hervorheben, die sich für ein Verbot aller Minen einsetzten. Es ist verständlich, dass es vielen engagierten Men- schen aus den Nichtregierungsorganisationen nicht Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 200223264 (C) (D) (A) (B) schnell genug geht. Aber die Prozesse der Einigung in in- ternationalen Verhandlungen sind äußerst schwierig. Da- her benötigt es einen langen Atem. Dass er zum Erfolg führen kann, hat das Ottawa-Abkommen bewiesen. Die Lage für Rüstungskontrollverhandlungen ist nicht leichter geworden. Gestern hat das Kabinett den Jahres- abrüstungsbericht 2001 verabschiedet. Aus ihm lassen sich die vielfältigen Bemühungen der Bundesregierung für Abrüstung und Rüstungskontrolle ablesen. Dennoch müssen wir ein Krise der Rüstungskontrolle im Allgemei- nen feststellen. Unsere amerikanischen Partner haben durch den unilaterialistischen Kurs zur Krise der Rüs- tungskontrolle beigetragen. Lassen Sie uns zusammen al- les daransetzen, sie davon zu überzeugen, wieder auf den Weg multilateraler Politik zurückzukehren. Unser Antrag zur Weiterentwicklung der humanitären Rüstungskon- trolle bei Landminen soll ein Beitrag in einem spezifi- schen Bereich sein, der hilft, diese Blockade zu beheben. Zum Abschluss möchte ich noch betonen: Die Kon- flikte, bei denen Landminen eingesetzt werden, gibt es nicht wegen dieser grausamen Waffen. Daher ist es not- wendig, unsere Politikansätze der Prävention weiterzu- entwickeln. Im Kampf gegen die Minenplage müssen wir auf mehreren Ebenen vorgehen: zum einen reagierend, um die akute Not und das Leiden der Menschen zu lin- dern, zweitens mittelfristig agierend, auf der völkerrecht- lichen Ebene, um diese Waffenkategorie endgültig abzu- schaffen, aber auch generell für eine effektive Export- und Importkontrolle zur Verhinderung destabilisierender Waf- fenlieferungen und drittens vorbeugend, indem wir die Mittel der Prävention und der Konfliktursachenbekämp- fung im Rahmen einer Weltinnenpolitik fördern. Das er- fordert eine Verstärkung der Mittel für Prävention und Entwicklungszusammenarbeit. Wenn diese drei Politik- ebenen zusammenwirken, kann es uns gelingen, die Landminenplage als ein zentrales humanitäres und sicher- heitspolitisches Problem zu lösen. Ich bitte dazu auch die Kollegen und Kolleginnen der Opposition um Unterstüt- zung. Dr. Klaus Kinkel (FDP): Landminen sind eine schlimme Menschheits-Geißel. Sie behalten ihre tödliche Wirkung noch Jahre über das Ende von Kriegshandlungen hinaus. Denn Minen kennen keinen Waffenstillstand, kei- nen Frieden. Weltweit fallen Jahr für Jahr Tausende den Minen zum Opfer, werden getötet oder auf schreckliche Weise verstümmelt. Weltweit gibt es heute über 200 Mil- lionen davon, und immer noch werden jährlich circa 10 Millionen neue Minen produziert. Deshalb war es so wichtig, dass vor vier Jahren in Ottawa das Übereinkommen über das Verbot von Antipersonenmi- nen beschlossen wurde: 122 Staaten sind dem Abkommen bis heute beigetreten, Deutschland war mit einer der ersten Unterzeichner. Wichtige Staaten wie die USA, Russland, China, Indien und Pakistan haben leider noch nicht unter- zeichnet. Auch die Umsetzung durch die Unterzeichner lässt bis heute zu wünschen übrig; leider auch bei uns in Deutsch- land. Die Bundesregierung hat am 31. August 1999 verkün- det, man habe das Ottawa-Abkommen umgesetzt, alle Antipersonenminen seien aus dem Bestand der Bundes- wehr entfernt. Heute höre ich, dass das nicht zutrifft. Deutsche Tornado-Flugzeuge sind bis heute mit Antiper- sonenminen ausgestattet. Über 80 000 Munitionskörper der Submunition MUSPA des MB1-Körpers für das Kampfflugzeug Tornado befinden sich im Bestand der deutschen Luftwaffe. Alle anderen Tornado-Nutzerstaaten, die das Ottawa-Ab- kommen ratifiziert haben, sind der Meinung, dass es sich da- bei eindeutig um Antipersonenminen handelt, die seit Ottawa verboten sind. Großbritannien etwa hat deshalb schon vor längerer Zeit die Submunition MUSPA der briti- schen Royal Airforce vollständig vernichtet, Italien auch. Ich frage den Bundesverteidigungsminister: Wussten Sie das, als Sie stolz die vollständige Umsetzung von Ot- tawa verkündet haben? Im BMVg weiß offensichtlich die linke Hand nicht, was die rechte tut. Diese Geschichte könnte die nächste Mine werden, auf die der Bundesver- teidigungsminister tritt. Das Abkommen von Ottawa war beschränkt auf Anti- personenminen; Antipanzerminen waren ausgenommen. Mehr war damals leider noch nicht drin. Trotzdem war Ottawa ein wichtiger erster Schritt im Kampf gegen die Minen-Geißel. Rot-Grün hat das damals aus der Opposi- tion heraus als nicht weit gehend genug kritisiert. In der Regierungsverantwortung hat Rot-Grün sich dann selbst das Engagement für die Abrüstung groß auf die Fahnen geschrieben. In der Koalitionsvereinbarung stand der Ein- satz für die Umsetzung von Ottawa und für das weltweite Verbot aller Landminen als ein zentraler Punkt mit drin. Aber was ist seitdem passiert, was haben die selbster- nannten rot-grünen Abrüstungspäpste zur Umsetzung ih- rer hehren Ziele unternommen? Leider nichts. Weil die weltweite Bedrohung durch Landminen nicht ab-, sondern zugenommen hat – denken Sie nur an Angola, Mosambik, Kosovo und nicht zuletzt Afghanistan – hat die FDP-Frak- tion bereits im vergangenen Jahr einen Antrag zu Landmi- nen im Deutschen Bundestag eingebracht; mit der Forde- rung, den Einsatz für die Umsetzung von Ottawa zu verstärken und mehr Geld für die Erprobung und Entwick- lung von maschinellem Minenräumgerät aufzubringen. Denn Minen allein von Hand zu räumen, das ist wie eine Sanddüne mit dem Fingerhut abzutragen. Wir brau- chen deshalb zuverlässiges Großgerät zum Minenräumen. Damit könnten nach Expertenmeinung bis zu 60 Prozent der Minen geräumt werden. Die deutsche Industrie hat in der letzten Zeit große Fortschritte bei der Entwicklung von solchem Gerät gemacht. Sie verdienen eine Chance, diese mit viel Aufwand entwickelte Technologie in der Praxis einzusetzen. Da ist die Bundesregierung in der Pflicht. Vor allem aber zielte unser Antrag darauf, jetzt die Ini- tiative zu ergreifen und in einer zweiten Stufe nicht nur Antipersonenminen, sondern auch solche Antipanzermi- nen zu verbieten, die sich nicht selbst zerstören. Denn für diese Minen gilt dasselbe wie für Antipersonenminen: Sie gefährden das Leben von Zivilisten auch noch weit nach dem Ende der Kampfhandlungen. Antipanzerminen un- terscheiden nicht, ob es ein Panzer ist oder ein Schulbus, durch den sie ausgelöst werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2002 23265 (C) (D) (A) (B) Der Antrag wurde in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages im Sommer letzten Jahres abgelehnt. Die Abgeordnete Beer hat das damals damit begründet, die Forderungen der FDP gingen ihr nicht weit genug. Rot-Grün würde lieber an der Zielvorgabe der Koaliti- onsvereinbarung festhalten und alle Landminen verbieten lassen – also auch die so genannten „intelligenten“ Pan- zerminen, die sich nach einer gewissen Zeit selbst aus- schalten. Darüber lässt sich streiten. Aber was ist in den letzten neun Monaten passiert? Wieder nichts. Rot-Grün kriegt es einfach nicht auf die Reihe. Der Verteidigungsminister blockiert. Deshalb kommt die FDP jetzt erneut mit einem Antrag, in dem sie von der Bundesregierung eine Initiative zur internationa- len Ächtung von Antipanzerminen, die sich nicht selbst zerstören, fordert und in dem sie von der Bundesregierung als Signal fordert, auf die Minen, die sich heute im Be- stand der Bundeswehr befinden, einseitig zu verzichten und die Herstellung solcher Minen zu untersagen. Die Union hat sich unserem Antrag angeschlossen. Wir be- grüßen das ausdrücklich. Die rot-grüne Regierungskoalition hat zunächst lange herumgeeiert, vorsichtig Unterstützung signalisiert, und jetzt, gestern, einen Tag vor der Debatte, einen eigenen Antrag eingebracht, einen Antrag, der unsere Formulie- rungen in weiten Teilen übernimmt, aber an zwei ent- scheidenden Stellen kneift: Die DM 21-Minen der Bun- deswehr, die bei uns eindeutig genannt werden und die als Vorleistung sofort abgerüstet werden sollten, werden nicht beim Namen genannt, sondern verschwinden in ei- ner nebulösen Forderung nach einer „schrittweisen Ent- fernung“ einiger nicht genauer benannter Minen. Die For- derung nach einseitigem Verzicht auf Erprobung, Herstellung, Lizenzvergabe, Lagerung und Export sol- cher Minen taucht überhaupt nicht auf. Wir sollen das Teufelszeug also schrittweise abbauen, aber weiter expor- tieren? Das kann doch wohl nicht ihr Ernst sein! Frau Beer, ich wende mich jetzt ganz bewusst einmal an Sie, die verteidigungspolitische Sprecherin der Grü- nen: Sie haben mir im Sommer letzten Jahres öffentlich vorgeworfen, unsere Initiative reiche nicht weit genug. Jetzt bringen Sie hier im Deutschen Bundestag endlich eine eigene Landminen-Initiative ein. Schön und gut – man muss diese rot-grüne Bundesre- gierung wie immer zum Jagen tragen, bis überhaupt etwas passiert. Aber Ihre Initiative fällt in entscheidenden Punk- ten ganz bewusst hinter das, was wir wollen, zurück. Was ist eigentlich mit Ihnen los? Rot-Grün ist wirklich meilen- weit davon entfernt, den eigenen Zielen und Ansprüchen zu genügen. Aber hier geht es um das Leben Tausender un- schuldiger Zivilisten in den ärmsten Ländern der Welt. Und da sollte auch Rot-Grün einmal über den eigenen Schatten springen und unseren weiter gehenden Antrag unterstützen – auch mit den Forderungen nach einseitigen deutschen Vorleistungen, nach einem echten Signal für die Abrüstung und gegen die Landminen. Heidi Lippmann (PDS): Um es vorwegzunehmen: Beim Antrag der FDP werden wir uns enthalten, weil er nur einen klitzekleinen Schritt nach vorn weist und da- rüber hinaus einen fragwürdigen Ansatz verfolgt: Die High-Tech-Minen der großen Militärnationen sollen tabu bleiben, während die anderen abrüsten sollen. Das passt nicht zusammen. Dem Antrag der Koalitionsfraktion wer- den wir zustimmen, weil er über den Status quo hinaus- weist, richtige Schritte enthält und auch Einschnitte im Minenarsenal der Bundeswehr verlangt. Wir unterstützen die Universalisierung des Ottawa- Protokolls, aber wir sind uns darüber im Klaren, dass da- mit nur ein kleiner Teil des Minenproblems gelöst wäre. Daher ist es unabweisbar über Ottawa hinauszugehen. Dies betrifft alle Anti-Tank-Minen, die die Zivilbevölke- rung gefährden, und in letzter Konsequenz alle Landminen. Hier werden wir weiterhin die Auffassungen der Interna- tionalen Kampagne gegen die Landminen ohne Wenn und Aber unterstützen. Dass auch die Bundeswehr Ernst machen soll mit der Entfernung einer ganzen Kategorie von Landminen, fin- den wir richtig. Es bleibt zu hoffen, dass die Formulierung im Koalitionsantrag, dass diese Waffen „schrittweise zu entfernen“ seien, nicht als Alibi benutzt wird, diesen Pro- zess endlos hinauszuzögern. Es muss unmittelbar damit begonnen werden und diese todbringenden Waffen müs- sen zügig aus dem Bestand entfernt werden. Das muss da- mit beginnen, dass offen gelegt wird, über welche Waffen dieser Kategorie die Bundeswehr verfügt. Wir werden – sicherlich in Verbindung mit den zivilgesellschaftlichen Initiativen – darauf zu achten haben, dass der heutige Be- schluss des Bundestages konsequent umgesetzt wird. Der Antrag der Regierungsfraktionen berücksichtigt leider nicht das Problem der Mehrzweckbomben, die in gleicher Weise unterschiedslos Zivilbevölkerung wie Sol- daten treffen und in ihrer Wirkung von den Minen nicht zu unterscheiden sind: Ich denke hier an die auch von der NATO im Jugoslawien-Krieg eingesetzten Cluster-Bom- ben. Die darin enthaltenen „bomblets“ widersprechen ebenso wie die Minen dem humanitären Kriegsvölker- recht: Sie differenzieren nicht zwischen Zivilist und Sol- dat. Auch dieser Bombentyp muss unseres Erachtens auf die Liste der zu ächtenden Waffen. Die PDS hat im Mai 1995 erstmals den Antrag gestellt, Landminen weltweit zu ächten. Darin haben wir unter an- derem gefordert, dass die Bundesrepublik auf Forschung, Entwicklung, Produktion und Export aller Landminen so- fort verzichten sollte. Weiter wollten wir, dass die Mittel, die bis zu diesem Zeitpunkt für die Erforschung und Be- schaffung neuer Minen aufgewandt wurden, für die zivile Minenräumung umgewidmet werden. Seitdem stellen wir Jahr für Jahr bei den Haushaltsberatungen den Antrag, die Mittel für die Minenräumung, für die Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer kräftig aufzustocken, und zwar aus den Finanzmitteln, die im Wehretat bisher für die Mi- nenrüstung aufgebracht werden. Diese Anträge wurden von dem Rest des Hauses immer wieder abgelehnt. Sie werden uns vorwerfen, uns ginge es nur um billige Symbolik. Das ist nicht der Fall. Richtig ist, dass es um eine Grundsatzentscheidung geht: Geld, das für die Ent- wicklung neuer Waffen ausgegeben wird, ist besser für die zivile Krisenbewältigung und die Abrüstung ausgegeben. Es geht uns aber nicht zuletzt darum – das ist für uns ein moralisches Prinzip –, dass wir das doppelbödige Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 200223266 (C) (D) (A) (B) Spiel der Konzerne nicht mitmachen, die einerseits neue Waffen dieses Typs entwickeln, andererseits bei der Räu- mung der Minen noch einmal Kasse machen wollen. Es bleibt zu hoffen, dass mit der heutigen Debatte und der Entschließung des Bundestages die Bekämpfung der Landminen wieder einen höheren Stellenwert erhält. Die- ses Engagement muss über den 22. September hinausrei- chen. Die PDS wird ihren Teil dazu beitragen. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuches – des Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Römischen Statuts des Internationalen Strafge- richtshofes vom 17. Juli 1998 (Tagesordnungspunkt 11 a und b) Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD):Am 22. März hat die erste Lesung des Gesetzes zur Einführung des Völker- strafgesetzbuches sowie des Ausführungsgesetzes zum Römischen Statut stattgefunden. In den fünf Wochen da- nach sind wir der von allen Fraktionen dieses Hauses ge- wollten Einrichtung des ersten weltweit zuständigen Strafgerichtshofes und der Sicherung seiner Arbeitsfähig- keit erneut mit großen Schritten näher gekommen. Die er- forderliche Mindestzahl von 60 Ratifikationen ist am 11. April erreicht und sogar deutlich überschritten wor- den. Das Römische Statut wird damit am 1. Juli in Kraft treten. Von diesem Tag an können Verbrechen wie Völ- kermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen im Rahmen eines neuen internationalen Rechtssystems geahndet werden. Es wird wohl weniger als ein Jahr dauern, bis der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag seine Arbeit tatsächlich aufnehmen kann. In der am 22. März verabschiedeten Entschließung ha- ben wir die Bundesregierung aufgefordert, auf die Regie- rung der Vereinigten Staaten einzuwirken, damit sie keine direkten oder indirekten Maßnahmen gegenüber Staaten ergreift, die den Römischen Vertrag zu ratifizieren beab- sichtigen. Dieser Appell hat nun zusätzliches Gewicht. Bei dem Besuch einer Delegation des Rechtsausschusses in New York sechs Wochen nach den Terroranschlägen vom 11. September haben uns hochrangige Vertreter der amerikanischen Regierung zugesichert, dass die USAsich im Falle der Errichtung des Internationalen Strafgerichts- hofes und nach positiven Erfahrungen mit der Rechts- staatlichkeit der Verfahren dazu entschließen könnten, sich dem Gerichtshof anzuschließen. Dieser Schritt ist in hohem Maße wünschenswert, weil der Gerichtshof ganz besonders auf die Amts- und Rechtshilfe amerikanischer Polizei- und Justizbehörden angewiesen sein wird. Die gelegentlich befürchtete Anklageerhebung gegen ameri- kanische Politiker und Militärs hat sich in unseren Ge- sprächen als Scheinargument erwiesen. Denn selbstver- ständlich sind die USA ein Rechtsstaat, der die von eigenen Staatsangehörigen begangenen Verbrechen vor den eigenen Gerichten anklagt und zur Aburteilung bringt. In diesem Falle aber entsteht die Strafgewalt des Internationalen Strafgerichtshofes nicht, die bekanntlich dem Grundsatz der Komplementarität folgt. Sie ist also davon abhängig, dass das an sich zuständige nationale Ge- richt das Strafverfahren nicht durchführen kann oder will. Für die Bundesrepublik Deutschland haben wir in den vergangenen Wochen durch außerordentlich konstruktive und zügige Beratungen des Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuches die Vorausset- zungen dafür geschaffen, dass auch bei uns in praktisch allen relevanten Fällen der Grundsatz der Komplementa- rität greift. Dabei haben wir den an sich schon vorzügli- chen Entwurf an zwei Stellen noch einmal verbessert. Zum einen haben wir die Möglichkeit paralleler Ermitt- lungen durch die deutschen Staatsanwälte auch in Fällen, in denen ein Internationaler Strafgerichtshof oder ein vor- rangig zuständiger Gerichtshof eines anderen Staates die Verfolgung übernommen hat, erweitert. Wir haben die ur- sprünglich vorgesehene Soll-Einstellung des deutschen Verfahrens in eine Kann-Einstellung umgewandelt, wo- mit wir die internationale Zusammenarbeit bei der Auf- klärung schwerster Verbrechen verbessern wollen. Zum anderen haben wir aufgrund der Stellungnahme des Bun- desrates und entsprechender Änderungsanträge der CDU/CSU-Fraktion die neuen Tatbestände des Verbre- chens gegen die Menschlichkeit sowie der Kriegsverbre- chen in mehrere Tatbestände unseres Strafgesetzbuches eingefügt, in denen bisher beispielsweise die Nichtan- zeige von Verbrechen lediglich bei geplanten Taten wie Mord, Totschlag oder Völkermord für strafbar erklärt worden war. Die gewünschte Einfügung der neuen Straftatbestände des Völkerstrafgesetzbuches in die Straf- prozessordnung haben wir allerdings zurückgestellt. Es geht dabei insbesondere um die Möglichkeit der Telefon- und Wohnraumüberwachung. Wir sind der Auffassung, dass es insoweit nicht nur um eine Überprüfung der De- liktskataloge gehen darf, sondern auch eine kritische Überprüfung der bisher bestehenden und aus unsere Sicht noch nicht ausreichenden rechtsstaatlichen Kontrollen notwendig ist. Bei den dazu notwendigen Beratungen wollen wir uns auf das von der Bundesregierung in Auf- trag gegebene rechtsvergleichende und rechtstatsächliche Gutachten des Freiburger Max-Planck-Instituts für aus- ländisches und internationales Strafrecht stützen. Die Er- stellung dieses Gutachtens ist leider nicht zuletzt durch die lange Zeit verweigerte Herausgabe von Akten seitens der Landesregierungen von Bayern und Baden-Württem- berg verzögert worden. Wir wollen bei unseren Beratun- gen auch die Anregungen des neuen Gremiums nach Art. 13 Grundgesetz berücksichtigen, in welchem die Mit- glieder aller Fraktionen mit den bisher durch die Landes- regierungen ermöglichten Kontrollen unzufrieden sind. Das heute ebenfalls in dritter Lesung zu beratende und zu verabschiedende Gesetz zur Ausführung des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofes vom 17. Juli 1998 ist mit großer Einmütigkeit von allen Fraktionen dieses Hauses gutgeheißen worden. Das Aus- führungsgesetz dient der effektiven Zusammenarbeit zwischen den deutschen Justizbehörden und dem künfti- gen Internationalen Strafgerichtshof. Die von der Bun- desregierung in Formulierungshilfen vorgeschlagenen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2002 23267 (C) (D) (A) (B) Verbesserungen des Entwurfes sind von allen Fraktionen begrüßt worden. Ich nehme das zum Anlass, insbesondere den Beamten des Bundesministeriums der Justiz, aber auch der von die- sem Ministerium eingesetzten Expertengruppe den Dank sicherlich aller Fraktionen auszusprechen. Nach meiner Überzeugung wird das Völkerstrafgesetzbuch auch in an- deren Staaten, die sich dem Gerichtshof bereits ange- schlossen haben, große Beachtung finden. Es ist sicher gut, wenn nicht nur deutsche Autobauer, sondern gele- gentlich auch der deutsche Gesetzgeber in anderen Län- dern geschätzte Exportartikel erarbeiten. Die Botschaft des Römischen Statuts, dass sich die Schreibtischtäter und Folterknechte dieser Welt nirgendwo und zu keiner Zeit mehr sicher fühlen dürfen, beginnt, ihre Wirkung zu ent- falten. Nach meiner Überzeugung wird allein die Tatsache der Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofes ein wesentlicher Beitrag dazu sein, die generalpräventive Wirkung des Römischen Statuts und unseres Völkerstraf- gesetzbuches weiter zu verstärken, noch bevor auch nur ein einziger Prozess in Den Haag begonnen hat und abge- schlossen worden ist. Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU):Wir haben in die- sem Hause in dieser Legislaturperiode viele rechtspoliti- sche Kontroversen geführt. Der Einsatz Deutschlands für eine internationale Strafrechts- und Strafgerichtsordnung war und ist aber kein Streitthema, sondern bildet einen Grundkonsens deutscher Rechts- und Außenpolitik. Die Grenzen fallen, die Welt wächst zusammen. Dies hat sehr viele positive Seiten, aber wir erleben gerade in diesen Tagen auch den ambivalenten Charakter der Glo- balisierung. Neben Ängsten besteht die konkrete Besorg- nis, dass die Schwächung der Staaten nicht kompensiert wird durch internationale Institutionen, sondern ein Va- kuum zurücklässt. Es formieren sich die Globalisierungs- gegner. Aber die Wirklichkeit, die uns nicht gefällt, ruft nicht nach Verneinung, sondern nach Gestaltung, also nach einer Ordnung. Dies ist nach unserer kulturellen Vor- stellung eine Ordnung des Rechts und durch das Recht. Das Strafrecht ist elementarer Teil auch der internationa- len Rechtsordnung und umfasst die unverzichtbaren Werte und Regeln für ein friedliches Zusammenleben. Wir sind Zeugen, dass diese alte Erkenntnis Gestalt an- nimmt. Sie hat begonnen mit der Schaffung des Interna- tionalen Strafgerichtshofes und setzt sich fort durch das Völkerstrafgesetzbuch, das wir heute beschließen. Mit diesem Völkerstrafgesetzbuch werden schwerste Verlet- zungen des humanitären Völkerrechts nun auch durch die nationale Rechtsordnung und nationale Institutionen geächtet und verfolgt. Dies hat einen unmittelbaren prak- tischen Nutzen, indem so die Anwendung der völker- rechtlichen Bestimmungen, also die Verfolgung der Straftaten, sichergestellt wird. Es ist auch ein Signal der Ernsthaftigkeit; die Ächtung schwerster Verbrechen ge- gen die Menschlichkeit ist keine symbolische Geste, son- dern Gegenstand effektiven staatlichen Handelns. Die politische Dimension dieses Prozesses geht aber über diese praktischen Wirkungen hinaus: Die Über- nahme völkerrechtlicher Bestimmungen in nationales Strafrecht leitet eine Entwicklung ein, die den Dualismus zwischen dem zwar weltweit geltenden, aber durchset- zungsschwachen Völkerrecht einerseits und dem zwar durchsetzungsstarken, aber regional begrenzten staat- lichen Recht andererseits partiell auflöst und an seiner Stelle gemeinsames Recht vieler Staaten schafft. Das Recht antwortet damit der Wirklichkeit, in der sich die Unterscheidung zwischen innen und außen, zwischen in- nerer Bedrohung und äußerer Bedrohung, innerem Frieden und äußerem Frieden zunehmend auflöst. Die Entschei- dung für den Internationalen Strafgerichtshof und das Völ- kerstrafgesetzbuch sind der ernste und verbindliche Aus- druck der Geltung gemeinsamer universaler Werte. Sie sind die zivilisierte Antwort auf Terror und Krieg. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat diesen Prozess immer positiv begleitet. Dies gilt auch für das jetzige Ge- setzesvorhaben. Der von unserer Fraktion gestellte Ände- rungsantrag umfasste zum einen die Einbeziehung der Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch in die Straftatenkataloge der §§ 126, 129 a und 138 des Strafge- setzbuches. Wir begrüßen, dass die Koalition in der letz- ten Sitzung des Rechtsausschusses diesem Teil unserer Änderungsanträge doch noch zugestimmt hat. Darüber hinaus zielt unser fortbestehender Änderungs- antrag darauf ab, dass die Bundesrepublik zur Verfolgung der schwersten Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch die strafprozessualen Mittel der §§ 100 a und 100 c der Strafprozessordnung einsetzt. Wir bedauern aus- drücklich, dass die rot-grüne Koalition aus rein internen, koalitionstaktischen Gründen hierzu die Kraft nicht auf- gebracht hat. Dies ist Ausdruck der inhaltlichen Auszeh- rung und politischen Schwäche der rot-grünen Koalition auch auf dem Gebiet der Rechtspolitik. Es ist schade, dass das Gesetzesvorhaben hiermit belastet wird. Aber ent- scheidend ist: Mit dem Völkerstrafgesetzbuch wird ein konkreter und zukunftsweisender Beitrag für eine gerech- tere und friedlichere Weltordnung geleistet. Darum stim- men wir dem Gesetzentwurf zu. Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit Freude und Genugtuung stehe ich heute Abend hier und rede zu und mit Ihnen über unsere beiden von der Bun- desregierung vorgelegten Gesetzentwürfe zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuches sowie zur Ausführung des Statutes von Rom. Als ich mich vor vielen Jahren nicht nur, aber auch in diesem Hause intensiv mit der juristi- schen Aufarbeitung des immensen von den beiden deut- schen Diktaturen im letzten Jahrhundert unzähligen Men- schen beigebrachten Unrechtes beschäftigt habe, musste ich wieder einmal erkennen: Das schlimmste, wirkungs- vollste und monströseste Unrecht liegt gar nicht in indivi- duellen Rechtsverletzungen oder Straftaten. Diese nehmen sich – gerade im 20. Jahrhundert! – minimal aus gegen das- jenige Unrecht, das in Befolgung der Gesetze geschehen ist. Diktaturen, gerade auch in Deutschland, haben es an sich, dass sie Gesetze erlassen, gegen die jedes menschli- che Empfinden rebelliert, dass sie formal zu Recht erklären, was jeden Gedanken von Freiheit, Demokratie, Toleranz und Menschenwürde zutiefst widerspricht: Verbrechen ge- gen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Verfolgung und Unterdrückung bis hin zu Mord und Völkermord. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 200223268 (C) (D) (A) (B) Die juristische Aufarbeitung solchen Unrechts gestal- tet sich schwierig. Dafür sorgt schon das verfassungs- rechtliche Rückwirkungsverbot. Der Grundsatz „nulla poena sine lege“ zwingt uns, immer nur dasjenige Recht anzuwenden, das zur Tatzeit für den Täter galt. So sind der justiziellen Aufarbeitung von Unrecht im nationalen Rechtsgefüge oft enge Grenzen gezogen. Diese Erkenntnis war ein Grund für mich – sicher nicht der einzige, allerdings aber ein sehr wichtiger – , mich sehr früh schon für die Einführung eines Völkerstrafge- setzbuches und die Schaffung eines ständigen Internatio- nalen Strafgerichtshofes einzusetzen. Nach unzähligen Gesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern internatio- naler Juristenvereinigungen, von Amnesty International und auch aus dem Außen- und dem Justizministerium un- serer Bundesregierung, nach Kongressen, öffentlichen Anhörungen usw. habe ich schließlich in der vergangenen Legislaturperiode einen Antrag zur Schaffung eines stän- digen Internationalen Strafgerichtshofes im Deutschen Bundestag eingebracht – Drucksache 13/19935 –. Es ver- schafft mir große Befriedigung, nun heute mit Ihnen allen gemeinsam sowohl das rechtswirksame Zustandekom- men dieses Internationalen Strafgerichtshofes durch die Ratifizierung von mehr als 60 Mitgliedstaaten feiern und gleichzeitig auch die notwendige Umsetzung des Ergeb- nisses der in Rom hierüber getroffenen Vereinbarungen in das deutsche Recht vornehmen zu können. Das Zustandekommen dieses Internationalen Strafge- richtshofes ist ein Meilenstein in der Geschichte des Völ- kerrechtes. Die zügige Ratifikation so vieler Staaten belegt eindrucksvoll den Willen der internationalen Gemeinschaft zur Ächtung von Kriegsverbrechen, Völkermord und Ver- brechen gegen die Menschlichkeit. Derartige Handlungen haben keinen Platz mehr in unserer immer enger werden- den, dichter vernetzten und immer stärker aufeinander an- gewiesenen Welt. Es gibt einen starken und eindrucksvollen Willen, ele- mentaren Grundsätzen des Menschen- und Völkerrechtes über die Grenzen von Staaten und Systemen hinweg welt- weit Geltung zu verschaffen. Dies ist ein elementarer Fortschritt in der Geschichte der Menschheit. Künftig wird es möglich sein, auf der Basis international vertrag- lich vereinbarten Rechtes einzelne Personen, Gewalttäter, Terroristen oder auch rücksichtslose Diktatoren wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord vor Gericht zu stellen. Das so vereinbarte Recht schützt die Schwachen. Und es macht, das ist wichtig, vor der Mächtigen, vor den Thronen dieser Welt nicht halt. Denn auch regierende Per- sonen sind ausdrücklich vor Anklagen nicht geschützt. Dabei haben betroffene Staaten die Chance, selbst mit den Mitteln der Strafverfolgung und des Rechtes tätig zu werden. Nur dann, wenn und dort, wo sie das nicht können oder tun, wird der Internationale Strafgerichtshof tätig. Der oft, zum Beispiel auch im Falle der Nürnberger Prozesse oder aktuell im Falle des Jugoslawien-Gerichts- hofes von interessierter Seite erhobene Vorwurf der „Sie- gerjustiz“ geht gegenüber diesem ständigen Strafgerichts- hof ins Leere. Dies nicht nur, weil ein großer und ständig wachsender Teil der Staatengemeinschaft sich seinen Grundsätzen und seiner Jurisdiktion bereits freiwillig und auf Dauer unterworfen hat, sondern auch deshalb, weil seine Richterinnen und Richter nicht nur aus einem Land oder einem Teil der Erde, sondern auf Dauer aus allen der 139 Unterzeichnerstaaten kommen werden. Dies wird die Bereitschaft zur Anerkennung des Gerichtes als unpartei- ischer Wahrer des auf Grundlage frei getroffener Verein- barungen international geltenden Weltrechtes wesentlich befördern. Noch wichtiger ist ein zweiter Punkt: Anders als etwas das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal wird der Inter- nationale Strafgerichtshof die Rechtmäßigkeit seiner Strafverfolgung nicht mit hohem rechtsphilosophischen Aufwand lange nach den begangenen Taten erst begrün- den müssen. Denn die Taten, die vor seine Schranken kommen, werden vorher schon ausdrücklich und für je- dermann bekannt von jetzt an unter Strafe gestellt. Dies wird die wichtigste Funktion der Existenz dieses Gerichtes fördern: die Abschreckung. Wer künftig Verbre- chen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen oder das Verbrechen des Völkermordes begeht, muss und wird vom ersten Moment an wissen, dass er, für den Fall, dass er über- lebt, der Folgen seiner Taten nicht froh werden kann. Er muss und wird wissen, dass das Gericht auf ihn wartet und dass er weltweit in allen Staaten, die mit diesem zusam- menarbeiten, verfolgt werden wird – und dies so lange, bis er, vor Gericht gebracht, für seine Taten sühnen muss. Das heißt: Mit der Schaffung dieses Gerichtshofes wird die Welt für Menschen, die guten Willens sind, ein klein wenig sicherer und für Terroristen und Machthaber, die ihre Macht zur Begehung schrecklicher Verbrechen missbrauchen, etwas unsicherer werden. Mit dem NS-Unrechtsstaat hat Deutschland in einem Rechtssystem, das jedes Maß verlor, das Recht perver- tiert, hat Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, Kommu- nisten, Pazifisten, Christen, anders Denkende pauschal rechtlos gestellt und der Verfolgung und Vernichtung aus- gesetzt. Wir dürfen und wir werden das nicht vergessen. Umso mehr ehrt es unser Land, dass gerade Deutschland zu den wichtigsten, engagiertesten und aktivsten Wegbe- reitern dieses Gerichtshofes gehört. Mein besonderer Dank gilt daher denjenigen Vertretern unseres Landes und unserer Regierung, die – über Partei- grenzen und den Wechsel von Regierungsmehrheiten hin- weg – dieses Projekt so tatkräftig vorangetrieben haben. Und mein Dank gilt den vielen Juristen- und Menschen- rechtsinitiativen und Verbänden, die diese Idee mit ent- wickelt, vorangetrieben und gefördert haben. Meine dringende Bitte richtet sich an Russland, China und die Vereinigten Staaten von Amerika, die bisher die Zu- sammenarbeit mit dem Gericht noch verweigern. Wer dem Recht auf Dauer Geltung verschaffen will, wer möchte, dass Freiheit, Menschenwürde und Menschenrechte welt- weit Gültigkeit erlangen, darf sich der Zusammenarbeit mit dem Internationalen Völkerstrafgerichtshof nicht ver- weigern, will er nicht seine Glaubwürdigkeit verlieren. Die Stärkung des internationalen Rechtes ist die Alter- native zur Sprache der Waffen und der Gewalt. Der Aus- bau des Internationalen Rechtes stärkt Frieden, Freiheit, Menschenrecht und Menschenwürde. Geben wir diesem Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2002 23269 (C) (D) (A) (B) Weg eine Chance! Stärken wir das Recht als Mittel gegen Terror und Gewalt! Deshalb darf ich Sie um Unterstützung für die vorlie- genden Gesetzentwürfe bitten! Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (FDP): Die nur sehr kurze mir zur Verfügung stehende Redezeit will ich dem Völkerstrafgesetzbuch widmen; denn allein dieses ist das politisch Innovative. Der zweite Gegenstand unserer heuti- gen Befassung, das Ausführungs- bzw. Zusammenarbeits- gesetz, setzt lediglich – was ja auch gut und richtig ist – die Vorgaben des Römischen Statuts vom 17. Juli 1998 um, welches im Übrigen politisch maßgeblich von den Libera- len in der damaligen Bundesregierung mit zustande ge- bracht wurde. Deutschland ist nach dem Römischen Statut nicht ver- pflichtet, die dort thematisierten schweren Völkerrechts- verbrechen selber unter Strafe zu stellen. Es muss dann aber, wenn es eine innerstaatliche Pönalisierung nicht vor- sieht, Tatverdächtige zur Strafverfolgung an den Interna- tionalen Strafgerichtshof überstellen, und zwar auch, wenn es sich um eigene Staatsangehörige handelt. Stellt Deutschland also mit einem Völkerstrafgesetzbuch wie dem vorliegenden die inländische Strafverfolgung sicher, verhindert es zugleich, dass deutsche Staatsangehörige an den Internationalen Strafgerichtshof ausgeliefert werden müssen. Schon deshalb kann man die Gesetzesinitiative eigentlich nur unterstützen. Es geht zugleich aber auch um den Ausbau des deut- schen Strafrechts zu einer im Hinblick auf die internatio- nalen Verpflichtungen und Herausforderungen leistungs- fähigen, modernen und den eigenen Ansprüchen gerecht werdenden Rechtsordnung. Wir wollen ja die Domesti- zierung des internationalen Geschehens, also auch die Friedenssicherung, durch das Recht. Wir wollen die inter- nationale rechtliche Verbindlichkeit der grundlegenden, gemeinsamen Wertvorstellungen auf diesem Globus. Wir wollen die persönliche Verantwortlichkeit staatspoliti- scher Täter vor der Völkergemeinschaft. Deshalb müssen wir in dieser Richtung auch alle Schritte unternehmen, die uns unserem Ziel näher bringen. Und es erübrigt sich, zu sagen, dass dies dann natürlich auch die Bereitschaft vo- raussetzt, das bisherige System zu reformieren und über- kommene, enge Souveränitätsvorstellungen aufzugeben. Auch dies wäre reizvoll näher auszuführen; ich kann das aber wegen der Kürze der Zeit leider nicht tun. Denn schließlich, drittens, soll das Völkerstrafrecht ja als solches noch vorangebracht und weiterentwickelt werden. Insofern haben wir die Chance, mit unserem Völkerstrafge- setzbuch jetzt einen Markstein zu setzen und gewisser- maßen eine kodifikatorische Vorbildfunktion zu überneh- men. Dies ist mit dem vorgelegten Corpus – das will ich freudig anerkennen – insgesamt gut gelungen. Ich möchte deshalb an dieser Stelle vor allem der vom Bundesjustizmi- nisterium eingesetzten Expertenarbeitsgruppe für ihre maß- stabsetzende Entwurfsfassung danken und – das sehen Sie mir hoffentlich nach – meiner Genugtuung Ausdruck geben, dass die parlamentarische Beratung an diesem geschlos- senen Konzept nicht sonderlich herumfrisiert hat. Die FDP jedenfalls wird den Gesetzesvorlagen gerne zustimmen. Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Meine Fraktion wird bei- den Gesetzentwürfen zustimmen. Das Völkerstrafgesetz- buch setzt das materielle Recht des Römischen Statuts im Großen und Ganzen adäquat in deutsches innerstaatliches Recht um. Es ist zweifellos ein gewichtiges Gesetzes- werk. Das Ausführungsgesetz regelt die Zusammenarbeit deutscher Behörden mit dem Internationalen Strafge- richtshof auf eine Weise, die rechtsstaatlichen Erforder- nissen und praktischen Notwendigkeiten entspricht. Auch ich halte das In-Kraft-Treten des Statuts für ein außerordentlich bedeutsames politisches und völkerrecht- liches Ereignis. Ich würdige ausdrücklich den Anteil der deutschen Diplomatie an seinem Zustandekommen. Erst- malig in der Geschichte kann ein internationaler Ge- richtshof mit universalem Anspruch schwerste internatio- nale Verbrechen verfolgen lassen und bestrafen. Das gilt allerdings nur, wenn ein Vertragsstaat nicht willens oder nicht in der Lage ist, die Strafverfolgung selbst zu betreiben. Er ergänzt also nur die innerstaatliche Strafgerichtsbarkeit. Der Gerichtshof kann seinen univer- salen Anspruch nur in dem Maße verwirklichen, wie im- mer mehr Staaten Vertragspartner des Statuts werden. Ge- genwärtig fehlen noch etwa 120 Ratifikationen, darunter die von China, Indien, Pakistan, Russland, der Türkei und der USA. Die USA veranstalten geradezu ein Kesseltrei- ben gegen das Statut und den Gerichtshof. Ich bin mir nicht sicher, ob die Regierung dagegen das oft beschwo- rene gewachsene Gewicht Deutschlands mit aller Deut- lichkeit in die Waagschale wirft. Ich habe schon bei früherer Gelegenheit darauf auf- merksam gemacht, dass das Römische Statut auch Defi- zite enthält. Es ist ja ein Kompromiss zwischen vielen Staaten. Diese Defizite werden durch das vorliegende Ge- setz nun im innerstaatlichen Recht sozusagen fortgeschrie- ben. Man sagt, das geht nicht anders, weil die beanspruchte Geltung des Weltrechtsprinzips es verbietet, dass das Völ- kerstrafgesetzbuch über die vertraglich oder gewohnheits- rechtlich eindeutig abgesicherten Verbrechenstatbestände hinausgeht. Ich meine, das Problem hätte sich juristisch lösen lassen. In meinen Augen ist es mehr als ein Schönheitsfehler, dass das deutsche Völkerstrafgesetzbuch keinen Tatbe- stand des Aggressionsverbrechens enthält. Der Erstein- satz von Atomwaffen wird im Entwurf der Regierung nicht unter Strafe gestellt, ebenso wenig wie die Anwen- dung besonders grausamer Waffen, wie Laserwaffen und Antipersonenminen, von Streu- und Splitterbomben. Ich nenne nur einige gravierende Defizite. Unser Entschließungsantrag verfolgt das Ziel, die Defi- zite sowohl im Römischen Statut als auch im Völkerstraf- gesetzbuch zu überwinden. Ich bitte um Ihre Zustimmung. Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der Justiz: Ich freue mich sehr, dass wir bereits heute das Ge- setz zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuches und das zur Ausführung des Römischen Statuts des Internationa- len Strafgerichtshofs in zweiter und dritter Lesung bera- ten und beschließen können. Das zeigt nicht nur, dass die Bundesregierung auch hier sehr gut gearbeitet hat, son- dern macht die parteienübergreifende breite Unterstüt- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 200223270 (C) (D) (A) (B) zung für die Errichtung und die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs hier im Deutschen Bundestag deutlich. Deutschland nimmt seine Verantwortung wahr und leistet seinen Beitrag zur Bekämpfung und Verfolgung der schwersten Verbrechen in unserer internationalen Gemein- schaft: Bei Völkermord, Verbrechen gegen die Mensch- lichkeit und Kriegsverbrechen darf es künftig nirgendwo auf dieser Welt mehr Straflosigkeit geben. Vor knapp vier Jahren, am 17. Juli 1998, ist in Rom das Statut des künftigen Internationalen Strafgerichtshofs von 120 Staaten angenommen worden. Er soll seinen Sitz in Den Haag bekommen und die ständige Gerichtsbarkeit über die schwersten Völkerrechtsverbrechen ausüben. Deutschland hat die Errichtung dieses Internationalen Strafgerichtshofes immer breit gefördert und das Statut bereits am 11. Dezember 2000 ratifiziert. Bei aller Unter- stützung bleibt doch darauf hinzuweisen, dass selbst die größten Optimisten die für das In-Kraft-Treten des Status nötigen Ratifikation durch 60 Vertragsstaaten erst in eini- gen Jahren erwartet hatten. Tatsache ist jedoch, dass der Gerichtshof schon sehr bald seine Arbeit aufnehmen kann. Nachdem vor zwei Wochen in New York nicht nur die 60., sondern schon die 66. Ratifikationsurkunde hin- terlegt wurde, kann das Statut am 1. Juli 2002 in Kraft tre- ten. Das ist ein großer Erfolg. Der IStGH wird ein echter „Weltstrafgerichtshof“ sein. Zwar stehen heute noch große Staaten der Welt, auch sol- che mit rechtsstaatlicher Tradition – wie etwa die USA – beiseite. Das ist bedauerlich, deshalb werben nicht nur wir hier in Deutschland, sondern alle Mitgliedstaaten der EU darum, dass die Regierung der USA ihre derzeitige politi- sche Skepsis überwindet und mitarbeitet. Ich werde auch die G-8-Konferenz der Justizminister in Kanada in eini- gen Tagen dazu nutzen, dafür zu werben. Insgesamt bin ich auch in diesem Punkt optimistisch – die Arbeit des ständigen Internationalen Strafgerichtshofs wird dazu beitragen, dass dieses globale Recht immer stärker auch für diese großen Staaten gelten wird. Sie sollen nicht auf Dauer abseits stehen. Für uns in Deutschland geht es jetzt nicht allein darum, die Aufbauarbeit des Internationalen Strafgerichtshofs zu unterstützen. Wir – und das geschieht durch die heute be- ratenen Gesetze – richten auch unser innerstaatliches Recht auf die künftigen Anforderungen aus, soweit dies nötig und sinnvoll ist. Das Ausführungsgesetz schafft die innerstaatlichen Voraussetzungen für die Zusammenarbeit der deutschen Strafverfolgungsbehörden mit dem Internationalen Straf- gerichtshof, etwa bei der Überstellung beschuldigter Per- sonen und der Übersendung von Beweismaterial. Die Re- gelungen folgen dem Statut und berücksichtigen die guten Erfahrungen der Zusammenarbeit insbesondere mit dem Jugoslawien-Gerichtshof, dem wir, ebenso wie dem Ruanda-Gerichtshof für seine hervorragende Arbeit auch an dieser Stelle ausdrücklich danken. Wir alle wissen auch, dass die Verfolgung von Völker- rechtsverbrechen vor den deutschen Gerichten wichtig bleibt. Der Komplementaritäts-Grundsatz des Römischen Status setzt ja fest, dass die Gerichtsbarkeit des Interna- tionalen Strafgerichtshofs nur greift, wenn Staaten nicht willens oder nicht in der Lage sind, eines der vom Statut erfassten Kernverbrechen strafrechtlich zu verfolgen. Das heißt, die Vertragsstaaten behalten ihre Verantwortung für die internationale Strafgerichtsbarkeit, soweit sie das kön- nen. Wir als Rechtsstaat können und wollen das. Mit unserem Völkerstrafgesetzbuch schaffen wir eine verbesserte Rechtsgrundlage für die Verfolgung von Völ- kerrechtsverbrechen. Bei Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen gelten jetzt die besonderen Straftatbestände. Diese schrecklichen Verbre- chen sind heute durch das allgemeine Strafrecht zwar er- fasst; ihr besonderer Unrechtsgehalt, etwa bei Massen- vergewaltigungen und ethnischer Säuberung im Rahmen systematischer Angriffe gegen die Zivilbevölkerung oder in einem Krieg, kommt jedoch in den Bestimmungen des Völkerstrafgesetzbuchs besser zum Ausdruck. Das gilt auch für die anderen hier angesprochenen Verbrechen wie etwa die Folter, die jetzt gesondert und nicht mehr allein über einen Tatbestand der Körperverletzung bestraft wird. Das Völkerstrafgesetzbuch setzt das Römische Statut um und nimmt zugleich gesichertes Völkergewohnheits- recht auf. Damit erleichtert es die Arbeit der Praxis und fördert darüber hinaus die Entwicklung und Verbreitung des humanitären Völkerrechts. Ein Wort noch zum Weltrechtsprinzip. Auch Täter, die weder selbst Deutsche sind, noch ihre Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Deutschland oder an Deutschen be- gehen, können hier zur Verantwortung gezogen werden. Das ist vernünftig, einfach um die globale Bedeutung der Ächtung und Verfolgung solcher schwerster Straftaten zu unterstreichen. Allzu häufig werden freilich solche Fälle nicht sein. Die vorgesehene Einstellungsmöglichkeit stellt zudem sicher, dass die deutsche Justiz mit Verfahren ohne Aussicht auf einen erfolgreichen Abschluss im Inland oder bei bestehender Strafverfolgung durch vorrangig be- rufene andere Staaten oder durch die internationale Ge- richtsbarkeit nicht unnötig belastet wird. Ich habe schon erwähnt, die vorliegenden Gesetze sind gut. Und ich danke allen, die bei ihrer Erarbeitung und Be- ratung mitgewirkt haben: Das ist zum einen die Exper- tenkommission mit den Professoren Wehrle, Fischer, Weigend, Zimmermann, Ambos; das sind zum anderen die hervorragenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Strafrechtsabteilung des Bundesministeriums der Justiz unter Ministerialdirektor Wilkitzki, die sich ja seit Jahren nicht nur bei der Erarbeitung des Römischen Statuts, son- dern gerade auch beim Aufbau des Internationalen Strafgerichtshofs engagieren, und die Experten aus dem AA und dem BMV. Ich danke auch in besonderem Maße den Kolleginnen und Kollegen auf allen Seiten dieses Hauses, die sich beteiligt haben. Unser Völkerstrafgesetzbuch stößt auf großes Interesse auch im Ausland. Gerade auch bei den Staaten, die ebenfalls vor der Frage stehen, wie sie das Römische Statut umsetzen. Deshalb gibt es bereits eine englische und französische, eine russische und spanische Fassung; eine chinesische wird in Kürze folgen. Die deutsche Delegation hat es bei der jüngs- ten Tagung der Vorbereitungskommission für den Interna- tionalen Strafgerichtshof im April in New York vorgestellt – mit außerordentlich positivem Echo. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2002 23271 (C) (D) (A) (B) Die Botschaft des Ständigen Internationalen Strafge- richtshofs ist: Die Folterknechte und Schreibtischtäter dieser Welt können sich nirgendwo und zu keiner Zeit mehr vor einer gerechten Strafverfolgung sicher fühlen. Diese Botschaft unterstreichen und stärken wir heute. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ge- setzes über die Untersuchung von Seeunfällen (See- unfalluntersuchungsänderungsgesetz SeeUÄndG) – der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Bildung einer Leitstelle für Seesicherheit – des Antrags: Maritime Sicherheit auf der Ostsee (Tagesordnungspunkte 12 a bis c) Annette Faße (SPD): Wir – die rot-grüne Bundesre- gierung und die Koalitionsfraktionen – haben auf dem Gebiet der Schiffssicherheit eine Menge erreicht. Der Bundesverkehrsminister hat mit der umfassenden Neu- konzeption der maritimen Notfallvorsorge Maßnahmen eingeleitet, die wesentlich dazu beitragen werden, das Schiffssicherheitskonzept zu optimieren. Ich möchte dem Ministerium an dieser Stelle – insbesondere auch als Be- troffene, als Küstenbewohnerin – meinen ausdrücklichen Dank für die effektive und erfolgreiche Arbeit in den ver- gangenen vier Jahren aussprechen. Im Gegensatz zu den Damen und Herren von der Opposition haben wir unsere Hausaufgaben gemacht. Im Falle eines schweren Seeunfalls ist ein zügiges, ef- fektives und kompetentes Eingreifen unbedingt erforder- lich. Hier zumindest scheinen wir einer Meinung zu sein. Mit der Errichtung eines Havariekommandos wird dies gewährleistet, und zwar auch ohne eine Änderung des Grundgesetzes. Uns ist es in erster Linie wichtig, dass das Havariekommando so schnell wie möglich seine Arbeit aufnehmen kann. Überflüssige Grundgesetzänderungen würden den Prozess der Optimierung des Sicherheitskon- zepts nur unnötig verlängern. Ich bin schon etwas verwundert, wenn uns die CDU/ CSU in ihrem Antrag mit der Errichtung des Havariekom- mandos eine „Alibi-Aktion“ unterstellt und plötzlich vehe- ment eine Zusammenfassung der bisher getrennten Aufga- benzuordnung von Bund und Ländern einfordert. Wenn ihr das so wichtig ist, frage ich mich allerdings, warum sie das nicht angegangen ist, als sie die Gelegenheit dazu hatte. Zeit genug dazu hatte sie. Dass sie es nicht tat, liegt wohl daran, dass sie die be- stehende Struktur für vollkommen ausreichend hielt. Dies kann sie gerne in der Antwort der alten Bundesregierung auf die Kleine Anfrage „Sicherheit in der Deutschen Bucht V“, Drucksache 13/11453, nachlesen. Dort heißt es: „Die bestehende Einsatzleitungsstruktur hat sich bei der Bekämpfung von Unfallfolgen und den regelmäßig durchgeführten Übungen bewährt.“ Also möge sie uns bitte nicht erzählen, das geplante Havariekommando sei unzureichend. Im Übrigen setzen wir mit dem Havariekommando in Konsens mit den Küstenländern zentrale Empfehlungen der Grobecker-Kommission um. Bereits seit Dezember 2001 werden in Cuxhaven die Voraussetzungen geschaffen, damit das Havariekom- mando noch in diesem Jahr seine Arbeit aufnehmen kann. Die entsprechenden Vereinbarungen mit den Landesre- gierungen sind auf Arbeitsebene abgestimmt und den Län- dern zugeleitet worden. Es ist also davon auszugehen, dass die Länderkabinette bald ihre Zustimmung erteilen werden. Die Einsatzzentrale des Havariekommandos wird ein in 24-Stunden-Bereitschaft gehaltenes maritimes Lagezen- trum sein, das aus dem Bereich der Wasser- und Schiff- fahrtsverwaltung des Bundes und den Wasserschutzpoli- zeien der Küstenländer derzeit aufgebaut wird. Dort laufen künftig alle notwendigen Informationen zusammen. Der Leiter des Havariekommandos übernimmt die Führung des Einsatzes, wobei er von Arbeitsstäben für Schadstoff- und Brandbekämpfung, Verletztenversorgung, Bergung und Öffentlichkeitsarbeit beraten wird. Für den Einsatz kann er allen notwendigen Kräften des Bundes und der Küstenländer, zum Beispiel der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, den Feuerwehren, den Schleppern und den Ölbekämpfungsschiffen, Einsätze er- teilen und Einsatzabschnitte einrichten. Die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger und die Bundesmarine werden vollständig in die Arbeit des Havariekommandos integriert. Da der konkrete Einsatzfall hoffentlich künftig der ab- solute Ausnahmefall bleibt, wird unter dem Dach des Ma- ritimen Lagezentrums ein Kompetenzzentrum für alle Fra- gen der maritimen Unfallbekämpfung eingerichtet. Darin werden alle bisherigen Aufgaben, wie der Zentrale Melde- kopf oder die Sonderstellen zur Schadstoffbekämpfung, aufgehen. Für die Schiffsbrandbekämpfung gibt es dann erstmals eine zentrale Stelle. Neben dem Havariekommando ist die Vorhaltung aus- reichender Schleppkapazität ein elementarer Bestandteil eines optimalen Sicherheitskonzepts. Ich habe es sehr be- grüßt, dass mit Beginn des letzten Winterhalbjahres erst- mals auch in der Ostsee zwei Notschlepper in Rostock und Kiel stationiert sind. Ziel sind möglichst kurze Eingreifzeiten von maximal zwei Stunden in Nord- und Ostsee. Für die Nordsee ist der Chartervertrag für den Hochseeschlepper „Oceanic“ um weitere sechs Monate verlängert worden. Darüber hinaus ist im Frühjahr dieses Jahres ein europaweites Interessen- bekundungsverfahren eingeleitet worden. Dieses gibt den Schleppreedereien die Möglichkeit, ihre Vorstellungen und Angebote zur Umsetzung des Notschleppkonzepts darzulegen. Damit ist der teilweise geäußerten Kritik an den technischen Anforderungen des Notschleppers be- gegnet worden. Ich komme nun zu dem Bereich, der im Februar an die- ser Stelle höchst umstritten war, die Reform der Seeun- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 200223272 (C) (D) (A) (B) falluntersuchung. Sie war umstritten, weil die Opposition entweder von falschen Voraussetzungen ausgegangen ist oder bewusst Unwahrheiten verbreitet hat, die sie auch noch weiter verbreitet. Aber lange werden die Leute ihr nicht mehr auf den Leim gehen; denn es wird sich zeigen, dass die Seeämter auch mit der neuen Gesetzeslage erhal- ten bleiben. Ich bleibe dabei: Die Reform der Seeunfallunter- suchung ist ein wichtiger und notwendiger Beitrag zur Ver- besserung der Schiffssicherheit und zur Unfallvermeidung. Damit haben wir mit unserem Gesetz die Unfallunter- suchung endlich an den internationalen Standard angepasst. Ihr Gesetzentwurf ist damit gegenstandslos geworden. Er wird im Übrigen den deutschen rechtlichen Anforderungen nicht gerecht. Ein wasserdichtes Notfallmanagement gibt es leider nicht. Aber wir haben mit den in den vergangenen vier Jahren eingeleiteten Maßnahmen die maritime Sicherheit entscheidend verbessert. Eine Optimierung werden wir Schritt für Schritt weiterverfolgen. Reinhold Hiller (Lübeck) (SPD): Mit dem vorliegen- den Antrag fordern alle Fraktionen des Deutschen Bun- destages die Bundesregierung auf, bis Ende Mai dem Bundestag einen Bericht zur maritimen Sicherheit im Ost- seeraum zuzuleiten. In diesem Bericht sollen die Maßnah- men aufgeführt werden, die bereits realisiert oder geplant sind. Derartige Berichte sollen in allen Ostseeanrainer- staaten erarbeitet und veröffentlicht werden. Damit kann zum ersten Mal eine vergleichende Analyse für den ge- samten Ostseebereich erstellt werden. Die Berichte stellen dann zusammen mit den Ergeb- nissen einer im Mai stattfindenden Experten-Anhörung in Kopenhagen die Grundlage für Beschlussempfehlungen der 11. Ostseeparlamentarierkonferenz im September in St. Petersburg dar. Zur Erarbeitung von Vorschlägen zur Beschlussfassung für die Konferenz in St. Petersburg ist eigens und erstmals eine Arbeitsgruppe der Ostseeparla- mantarierkonferenz eingesetzt worden. Es ist sehr erfreu- lich, dass sich der Deutsche Bundestag bei diesem Antrag einig ist, und ich bin mir sicher, dass die Bundesregierung einen Bericht erstellen wird, der sich sehen lassen kann. Ist in Deutschland bisher vorrangig die maritime Si- cherheit auf der Ostsee aus nationaler Sicht diskutiert worden, zum Beispiel bezogen auf die nationalen Gewäs- ser, so hat sich bei Havarien insbesondere bei der Kader- rinne gezeigt, dass es sich hier um eine internationale Auf- gabe handelt. Diese internationale Aufgabenstellung wurde bisher be- sonders von der HELCOM wahrgenommen, meiner Mei- nung nach mit sehr großem Erfolg, besonders auch unter umweltpolitischen Aspekten, wie Kollegin Deichmann und ich in Helsinki feststellen konnten. Aber auch die Ost- seeparlamentarierkonferenz hat sich dieser internationalen Aufgabe gestellt: Die Einrichtung einer Arbeitsgruppe „Maritime Sicherheit“ ist der Anfang. Auf der Konferenz in Helsinki sind bereits diverse Maßnahmen gefordert worden. Hierauf wird der Bericht der Bundesregierung besonders eingehen. Die Konse- quenzen aus den verschiedenen nationalen Berichten wird dann der nächste Deutsche Bundestag nach der Ostsee- parlamentarierkonferenz in St. Petersburg ziehen. Die Ostseeparlamentarierkonferenz hat natürlich wenig von dem, was man Institution nennt. Deshalb hat sich be- sonders der Landtag Mecklenburg-Vorpommern große Ver- dienste bei den Vorbereitungen der Aktivitäten erworben, insbesondere der Vorsitzende Dr. Henning Klostermann. Das gilt auch für die im Mai stattfindende internatio- nale Anhörung in Kopenhagen. Dazu muss ich erneut eine Bitte an die Bundesregierung richten: Es wäre gut, wenn sie Clauß Grobecker als Sachverständigen vorschlagen würde, gegebenenfalls auch einen Mitarbeiter aus dem Verkehrsministerium. Fast alle anderen Ostseeanrainerstaaten sind vertreten. Außerdem könnte das Grobecker Gutachten offizielle Be- ratungsgrundlage werden. Ich glaube nicht, dass wir uns verstecken müssen und eine internationale Parlamentarier- konferenz ist auf eine entsprechende Zuarbeit angewiesen. Vielleicht überlegt sich das Verkehrsministerium diese Bitte noch einmal. Alle weiteren inhaltlichen Aspekte sind nach der Vorlage des Berichtes der Bundesregierung nach der Konferenz in St. Petersburg zu beraten. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Schwer- punkt aller politischen Maßnahmen um zu mehr Seesi- cherheit zu kommen, muss die Unfallvermeidung sein. Deshalb halten wir von der Union an unserer Forderung nach einer nationalen Küstenwache fest. Das im letzten Sommer von Bundesverkehrsminister Bodewig konzi- pierte Havariekommando ist nur ein erster Schritt dazu, es erfüllt nicht die notwendigen Anforderungen an ein nau- tisches Sicherheitskonzept aus einem Guss. Wir brauchen eine nationale Küstenwache, wie sie in anderen Ländern mit Erfolg praktiziert wird, weil wir im Falle einer Hava- rie kurze Reaktionszeiten benötigen, weil wir eine straffe, alle Kompetenzen umfassende Organisation brauchen, weil alle an der Rettung Beteiligten nach einheitlichen Grundsätzen handeln müssen und weil die Handelnden als Team aufeinander eingespielt sein müssen und nicht erst im Falle eine Havarie kurzfristig zusammengerufen werden können. Das Havariekommando steht nur in einem konkreten Havariefall unter einheitlicher Führung, eine ständige Einrichtung aller mit einem eingespielten Team ist es nicht. Kontraproduktiv ist das Ausgrenzen von Zoll, BGS und Bundesmarine, so Kritiker von der Küste. Die nauti- schen Vereine sowie die Arbeitsgemeinschaft der Berufs- feuerwehren, machten erst vor kurzem wieder darauf aufmerksam, dass effektiver Küstenschutz nur unter Ein- beziehung der SAR-Hubschrauber, Ölaufklärungsflug- zeuge und Ölauffangschiffe der Bundesmarine möglich ist, so sehen es auch andere Experten. Von den Schleppern bis hin zu den Ölbekämpfungs- schiffen verfügt allein der Bund über 100 Boote. Noch im- mer gelten für den Einsatzverbund Küste zwei Zentren: Neustadt für die Ostsee, Cuxhaven für die Nordsee. Der Bundesrechnungshof hat, wie auch der Haushalts- ausschuss des Deutschen Bundestages, die Bundesregie- rung mehrfach auf die Notwendigkeit der Konzentration Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2002 23273 (C) (D) (A) (B) aller Seedienste hingewiesen; auch aus fiskalisch-ökono- mischen Überlegungen. Das Management aller Boote aus einer Hand im Krisenfall wurde als Zielmarke herausge- stellt. Handlungsdruck kommt auch von der EU-Kom- mission und durch das Europäische Parlament. Die EU will eine europäische Küstenwache. Deutschland kann aber diesem Erfordernis nur dann entsprechen, wenn es zuerst einmal eine nationale See- und Küstenwache schafft. Die EU-Kommission hat deutlich gemacht, dass man eine einheitliche Schiffssicherheitsbehörde, ein Amt für Seesicherheit, mit allen Kompetenzen im Katastro- phenfall benötigt. Das alles ist in dem Bericht der Kom- mission über die „Gesamtstrategie der Gemeinschaft für die Sicherheit im Seeverkehr“ nachzulesen. Es fehlt ein Unfallmanagement aus einem Guss mit klaren Zuständigkeiten, einheitlicher Führung und dem Recht des direkten Zugriffs auf alle Einheiten. Seit der „Pallas-Katastrophe“ vor dreieinhalb Jahren sind nur unzulängliche Entscheidungen getroffen worden, weil sie in unserem föderalen Zuständigkeitswirrwarr of- fensichtlich auch gar nicht zu treffen sind. Deshalb muss die Bundesregierung in diesem Punkt endlich für eine Neuordnung der Zuständigkeiten sorgen. Notwendig dafür ist eine Grundgesetzänderung. Zu die- sem Schluss kommt auch das fundierte Gutachten der Universität Rostock, das im Auftrag der Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern erstellt wurde. Es liegt in unserer Verantwortung als Parlament, das aufzugreifen, was unter anderem der Schleswig-Holsteinische Landtag unter Einbindung von Sozialdemokraten, Christdemokra- ten, Bündnisgrünen und Freien Demokraten vor mehr als zweieinhalb Jahren beschlossen hat. Dort wurde, wie 2001 in Schwerin, eine Grundgesetzänderung gefordert, um zu einer einheitlichen Lösung beim Seekatastrophen- schutz zu kommen. Diese Anregungen aus Kiel und Schwerin, fachlich und sachlich begründet, sind von der Bundesregierung nicht aufgegriffen worden. Delegiert von den beteiligten Behörden wird im Kata- strophenfall beim Havariekommando nur auf Zeit. Jeder bleibt in seiner Uniform. Die Abgabe von Kompetenzen kann kurzfristig widerrufen werden. Auch wechseln viele der verantwortlichen Personen erst im Notfall ihre Posi- tion unter das Dach des Kommandos. Eine Kontinuität der Zusammenarbeit ist trotz vorgesehener Trainingsperioden schwer erkennbar. Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben mit der Zielrichtung einer konsequenten, unmittelbaren See- Katastrophen-Abwehr zahlreiche Initiativen ergriffen. Das gilt auch für die CDU/CSU-Landtagsfraktionen in Kiel und Schwerin. Als Berliner Anträge sind die Große Anfrage der Union von 1999 mit dem Titel „Schaffung ei- ner deutschen Küstenwache“, die Kleine Anfrage aus dem Jahr 2000 „Sicherheits- und Notfallkonzept für Nord- und Ostsee“, 2001 die erst heute auf der Tagesordnung ste- hende Initiative „Bildung einer Leitstelle für Seesicher- heit“, unser Antrag „Optimierung der Ostseesicherheit im Bereich der Kadetrinne“ sowie aktuell aus diesem Jahr der „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Untersuchung von Seeunfällen“ und die heute zu debattierende überfraktionelle Initiative „Maritime Si- cherheit auf der Ostsee“ zu erwähnen. Alle Initiativen der Opposition wurden von der Regie- rungsbank bisher abgeschmettert, stattdessen das umstrit- tene Havariekommando ins Leben gerufen. Selbst in des- sen Struktur eingebundene Einrichtungen wissen bis heute nicht, was ihre Aufgaben und Kompetenzen inner- halb des Kommandos sind, wie ich erst diese Woche von Petenten erfahren musste. Jährlich nehmen 90 000 Schiffe Kurs auf die Deutsche Bucht. Täglich sind folgenschwere Unfälle auf See mög- lich. In den letzten zehn Jahren kam es zu über 100 schwe- ren Schiffsunfällen in Nord- und Ostsee, über 20 alleine in dem nur 50 Quadratkilometer großen Bereich der Ka- detrinne. Sie ist eine der meistbefahrenen Schifffahrts- wege in der Ostsee. Täglich passieren drei bis vier Tanker, dazu circa fünf Massengutfrachter, diese Strecke, jährlich etwa 50 000 Schiffe. Die Kadetrinne hat teilweise nur eine Tiefe von 18 Metern, was sie extrem risikoreich für tief liegende 100 000-Tonnen-Tanker macht. Da es sich um ein internationales Gewässer handelt, gibt es hier weder eine Lotsannahmepflicht noch eine Ra- darüberwachung, noch ist es ein Verkehrstrennungsge- biet. Die Gefahr einer Ölpest ist täglich gegeben, wie das Tankerunglück der „Baltic Carrier“ vom 29. März letzten Jahres zeigte. Hier ist vom Bundesverkehrsminister erst nach öffentlichen Protesten, aber bisher nicht ausreichend gehandelt worden. Eine Risikolücke besteht weiterhin. Sie soll offenbar sogar vergrößert werden: Es ist auf- merksamen Gewerkschaftern zu verdanken, dass im Spät- sommer des vergangenen Jahres die Geheimpläne des Bundesministers über einen radikale Stellenabbau von 6 200 Planstellen im Bereich der See- und Wasserbehör- den bekannt wurden. Durch Privatisierung von Diensten, Ausgabenverlage- rung und Abbau von Arbeitsplätzen will Bodewig sein ehrgeiziges Ziel durchsetzen. Zwar hat ihn der Protest der Personalräte derzeit einknicken lassen, doch die Gutach- ten haben ihre Aktualität nicht verloren. Die jetzt begin- nende personelle Entleerung der Seeämter wird von Ge- werkschaftern als Anfang des größten Personalabbaus in der Geschichte des Bundesverkehrsministeriums gesehen und auch als einen Verlust von Sicherheit. Auch wenn die Bodewig-Pläne in die Schublade zurückgelegt wurden, haben sie doch zu Unruhe, Besorgnis und Ängsten bei Tausenden von Familien und bei den Seesicherheitsver- bänden an der Küste geführt. Eine ganze Legislaturperiode ist nichts Grundlegendes geschehen, sieht man einmal davon ab, dass sich jetzt be- reits ein dritter SPD-Verkehrsminister einarbeiten musste. Jetzt einen Bericht der Bundesregierung zur „Maritimen Sicherheit auf der Ostsee“ zu fordern, ist für vier Jahre Regierungsbilanz mehr als mager, aber immer noch bes- ser als gar nichts. Eine weitere Bestandsaufnahme wird keine zusätzliche Sicherheit bringen, wird aber auch kei- nen weiteren Schaden anrichten, wie das vor wenigen Wo- chen radikal und undemokratisch geänderte Seeunfallun- tersuchungsverfahren. Deshalb werden wir heute dem überfraktionellen An- trag zustimmen und auf interessante Anregungen für un- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 200223274 (C) (D) (A) (B) sere Regierungszeit nach dem 22. September hoffen. Das vor wenigen Wochen von der Regierung geänderte See- unfall-Untersuchungsgesetz schließt in Zukunft die Öf- fentlichkeit von Seeamtsverhandlungen aus. Es verlagert die Fachaufsicht in die Bundesbehörde. Es ermöglicht die Weitergabe aller personengestützten Daten. Es schafft das Widerspruchsverfahren ab. Es verzichtet auf die Einbezie- hung von ehrenamtlichen Fachleuten. Ich greife bewusst noch einmal unsere Hauptkritikpunkte aus der 1. Lesung auf: Erstens. Damit verstößt das Gesetz gegen den Grund- satz von Transparenz bei Seeunfalluntersuchungen, in de- nen der Staat oder seine Verwaltung eine Mitschuld trägt. Der Angeklagte ist in Zukunft sein eigener Richter. Zweitens. Damit verstößt das Gesetz gegen die Presse- freiheit, weil aus den bisher öffentlichen Seeamtsver- handlungen jetzt behördeninterne Verfahren werden. Den Journalisten und Angehörigen von Unfallopfern ist es in Zukunft verboten, an 90 Prozent aller Seeamtsverhand- lungen teilzunehmen. Drittens. Damit verstößt das Gesetz gegen den Persön- lichkeitsschutz. Kommt es zu einem Seeunfall, wird ein Matrose oder Offizier beschuldigt, können sie sich nicht mehr öffentlich dagegen wehren. Die Verhandlungen erfolgen hinter verschlossenen Türen. Und ist der Beschuldigte auch schuldlos, der Ma- kel bleibt, dem Rufmord sind Tor und Tür geöffnet. Recht hat nur noch die Behörde. Das Gesetz verstößt gegen eine Reihe grundsätzlicher Prinzipien unserer Demokratie. Deshalb kämpften aufrechte Demokraten und nahezu alle Fachleute von Nord- und Ostsee sowie Verbände gegen das Kritik-Verhinderungsgesetz von Rot-Grün. Gewerkschafter und Greenpeace protestierten dagegen, die Lotsenkammer, die Reeder, die nautischen Vereine, die Schiffsingenieure, die Schutzgemeinschaft deutsche Nord- seeküste, die Seglerverbände, die Wasserschutzpolizei, Be- triebs- und Personalräte aus der maritimen Wirtschaft, Um- weltschützer, Fischer, auch der schleswig-holsteinische Journalistenverband. Obwohl sich unter dieser geballten Front der Küsten- kritiker Sympathisanten der Koalition befinden, ließ Bun- desminister Kurt Bodewig dieser Protest kalt. Diese Kalt- schnäuzigkeit im Umgang mit kritischen Bürgern gilt auch für Teile der SPD und der Bündnisgrünen. „Keine Anregung, kein Ratschlag von uns“, so ein Sprecher der Aktionskonferenz Nordsee, „wurde von Bodewigs Minis- terium oder von SPD und Grünen akzeptiert. Zwei Mal standen wir als Bittsteller vor verschlossenen Türen.“ Dieser außergewöhnliche Vorgang lässt nach den Be- weggründen von Bundesverkehrsminister Kurt Bodewig fragen, warum hier ein im Ansatz undemokratisches Ge- setz mit der Brechstange durchgeboxt worden ist. Da geht es zuerst einmal um das Reform-Image des Ministers. Mit diesem Gesetz werden die Seeämter von Emden, Bremer- haven, Hamburg und Rostock im Prinzip aufgelöst und das Seeamt Kiel verkleinert. Es bleibt das Oberseeamt in Hamburg. Dieses wird in Zukunft allein für die Seeamtsverhandlungen zuständig sein, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Aufsicht über dieses Amt übt das Bundesverkehrsministerium aus. Verwaltungstechnisch ist das Hamburger BSU beim Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie angesie- delt. Auch diese Behörde ist wiederum Berlin unterstellt. „Reformziel erreicht“, kann Kurt Bodewig melden, „mehr Zentralisierung, weniger Personal und doppelte Abhän- gigkeit der neuen Behörde vom eigenen Ministerium.“ Einen weiteren Beweggrund dieser eiskalten Seeamts- reform sehen die Küstenkritiker in der Tatsache, dass sich nach der Havarie der „Pallas“ Seeämter – also Behörden- vertreter – erdreistet haben, ebenso wie viele Fachleute Kritik an dem dilletantischen Krisenmanagement von Rot-Grün in Kiel, aber auch am Berliner Ministerium zu üben. Der schleswig-holsteinische Journalistenverband spricht mit Recht von einer „Lex-Pallas“, die verabschie- det worden ist. Gleichzeitig baut man mit diesem Transpa- renz-Verhinderungsgesetz eine Mauer des Schweigens um das zukünftige Havariekommando und verhindert so, dass mögliche Behördenfehler aufgedeckt werden, wie Green- peace es öffentlich anprangert. Noch nie zuvor hat diese Bundesregierung eine so klare Aussage zu ihrem politischen Grundverständnis ge- troffen, wie in ihrer Begründung für das neue Seeunfall- untersuchungsverfahren. Sie erklärt darin wörtlich, dass eine öffentliche Ver- handlung, Ausdruck, und jetzt kommt es, „einer von alters her überkommenen, ... Streitkultur“ ist. Ich wiederhole noch einmal: Die Bundesregierung hält ein transparentes öffentliches Verfahren für das Instru- ment einer überkommenen Streitkultur. Das nenne ich antidemokratisch! Dieses Politikverständnis setzte sich am 22. März im Bundesrat fort. Die Küstenländer hatten sich in einer einheitlichen Empfehlung gegen das Bodewig-Gesetz ausgesprochen und wollten den Vermitt- lungsausschuss anrufen. Der Auszug der Union aus dem Bundesrat hat eine klare Entscheidung verhindert. Doch die verbliebenen rot-grünen Regierungen haben das Vo- tum der betroffenen Küstenländer missachtet und die Lage genutzt, das heißt missbraucht, um Bodewigs Wil- len durchzusetzen. Die Abstimmung hätte zurückgestellt werden müssen, als nach der kontroversen Entscheidung über das Zuwan- derungsgesetz im Bundesrat nur noch eine Minderheit anwesend war; das wäre fair gewesen. Doch Rot-Grün missachtete den Willen der Betroffenen und setzte ein un- demokratisches Gesetz auf undemokratische Weise durch. Diesen Kollisionskurs für die Seesicherheit werden wir nach dem 22. September korrigieren und dabei auf das be- währte, transparente und demokratische Verfahren unter Einbindung der ehrenamtlichen Fachkräfte von der Küste setzen. Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, Ihr heute in zweiter und dritter Lesung zu be- ratender Antrag zum Thema „Seeunfalluntersuchung“ hat es natürlich schwer, unsere Zustimmung zu finden. Das liegt nicht zuletzt daran, dass bereits vor über zwei Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2002 23275 (C) (D) (A) (B) Monaten, am 21. Februar diesen Jahres, der Koalitions- antrag hierzu eine Mehrheit des Hauses erzielen konnte. Seien Sie mir bitte nicht böse, aber das Gesetz, auf den sich Ihr Antrag bezieht, gibt es schlichtweg in der von Ih- nen dargestellten Form nicht mehr. Aber auch inhaltlich greift Ihr Antrag gegenüber den von uns eingebrachten Neuerungen nicht weit genug. Unser Gesetzentwurf sieht daher unter anderem eine Reform der Seeunfalluntersuchung nach internationalem Standard vor. Er trennt erstmals die objektiven Ermittlun- gen der Unfallursachen – zuständig ist hierfür zukünftig eine unabhängige und weisungsungebundene Bundes- stelle – von der individuellen Verantwortlichkeit und dem damit unter Umständen verbundenen Entzug der Patente; hierfür sind weiter wie bisher die Seeämter zuständig. Sinn und Zweck dieses Gesetzes ist in erster Linie die Un- fallverhütung. Die Bevölkerung und die Natur der Küsten soll zukünftig so effektiver geschützt werden können als bisher. Darum müssen die Fragen der persönlichen Vor- werfbarkeit für einen Unfallhergang von der systemati- schen Unfalluntersuchung und den Lehren, die daraus zu ziehen sind, strikt getrennt werden. Die weisungsunabhängige Behörde soll neben der um- fassenden Unfalluntersuchung auch Vorschläge – das ist das Entscheidende – zur zukünftigen Unfallvermeidung unterbreiten. Der Bericht, den die Bundesstelle erstellt, hat den Sinn und Zweck, die Öffentlichkeit über Unfall und entsprechende Präventionsmaßnahmen zu unterrich- ten. Er soll Fakten liefern, die in erster Linie die Politik unterstützen soll, unter Umständen geeignete Gegenmaß- nahmen zu beschließen. Der Gesetzentwurf entspricht dem 1998 einstimmig verabschiedeten Flugunfall-Unter- suchungsgesetz! Die IMO – International Maritim Organisation – hat das Verfahren des Luftverkehrs auf den Seeverkehr über- tragen. Dazu gibt es meines Erachtens keine stichhaltige Alternative. Auch der Antrag der CDU/CSU bezüglich der Bildung einer Leitstelle für Seesicherheit kann nicht unsere Zu- stimmung finden. Die Bundesregierung hat in den letzten drei Jahren intensiv an der Verbesserung des Küsten- schutzes gearbeitet. Eine Reihe von Arbeitsgruppen prüft die Vorschläge der Grobecker-Kommission und hat zu vielen Punkten auch bereits konkrete Maßnahmen vorge- legt. Dazu zählt auch der sehr konkrete Vorschlag zur Ein- richtung eines Havariekommandos, mit dem eines der großen strukturellen Probleme nach der Havarie der „Pal- las“, nämlich das Kompetenzgerangel, durch die Bünde- lung der Entscheidungsstrukturen behoben werden soll. Bei schweren Seeunfällen wird das neu zu errichtende Havariekommando unter der Leitung eines Bundesbeam- ten eine einheitliche Einsatzleitung über alle infrage kom- menden Einsatzkräfte des Bundes und der Länder sichern. Dessen Kern ist ein in 24-Stunden-Bereitschaft gehalte- nes maritimes Lagezentrum. Es wird aus dem Bereich der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes und den Wasserschutzpolizeien der Küstenländer aufgebaut. Dort werden zukünftig alle relevanten Informationen zusam- menlaufen. Bei einer Havarie übernimmt der Leiter des Havariekommandos die Führung des Einsatzes. Eine Än- derung des Grundgesetzes brauchen wir, im Gegensatz zu Ihnen, dafür allerdings nicht. Die Verabschiedung des interfraktionellen Antrages zur maritimen Sicherheit auf der Ostsee halte ich hingegen für geboten. Die Offenlegung der grundsätzlichen politischen und fachlichen Positionen durch die Bundesregierung zu Fragen der maritimen Sicherheit im Ostseeraum ist vor dem Hintergrund der bevorstehenden 11. Konferenz der Ostseeparlamentarier angezeigt. Nur durch noch stärkeres und weiter gehendes gemeinsames Handeln der Ostseean- rainerstaaten kann der besonderen Gefährdung der Ostsee und ihrer Küsten durch Schiffshavarien effektiv begegnet werden. Michael Goldmann (FDP): Noch einmal steht heute das Seeunfalluntersuchungsgesetz auf der Tagesordnung. Es ist schon wirklich dreist, mit welchen Halbwahrheiten die Regierungskoalition versucht, den Menschen an der Küste Sand in die Augen zu streuen. In den letzten Wo- chen wurde immer wieder von Ihrer Seite vorgebracht, dass die Seeämter doch erhalten blieben und der Vorwurf, es handele sich künftig nur noch um Briefkastenämter, aus der Luft gegriffen sei. Sie wissen aber ganz genau, dass die Seeämter künftig nur noch in Fällen von Patententzugsverfahren tätig wer- den und dass dies nur circa 10 Prozent der bisherigen Ver- fahren sind. Das Seeamt Kiel soll das einzige Seeamt mit Personal bleiben und dieses dann gegebenenfalls nach Bremerhaven oder Emden oder Rostock schicken. Ich frage Sie: Wie würden Sie ein Amt nennen, das nur noch ein Schild an der Wand hat, damit das ab und an auftau- chende Personal das Amt auch findet? Das Schöne ist, dass Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, sich mit nahezu jeder Äußerung zu diesem Thema an der Küste lächerlich machen. Alle In- teressierten kennen den wahren Sachverhalt und sie las- sen sich von Ihnen kein X für ein U mehr vormachen. Am 22. September werden Sie dafür die verdiente Quittung bekommen. Doch auch die CDU/CSU hat sich unter Führung ihres Kanzlerkandidaten Stoiber in der Bundesratssitzung am 22. März skandalös verhalten. Nachdem es vielen enga- gierten Menschen durch unermüdlichen Einsatz gelungen war, die Ablehnungsfront im Bundesrat entgegen allen Anfeindungen aus dem Bundesverkehrsministerium auf- rechtzuerhalten, und die Mehrheit zur Anrufung des Ver- mittlungsausschusses in Sachen Seeunfalluntersuchung feststand, stellt sich die CDU/CSU ein Armutszeugnis aus. Wie beleidigte Kinder hat sie den Saal zu verlassen. Das war ein Skandal, wegen dieses einstudierten Theaters kann nun ein Gesetz in Kraft treten, das niemand an der Küste will. Damit hat die CDU/CSU der Sache einen Bärendienst erwiesen und ich hoffe, dass Sie, liebe Kolle- ginnen und Kollegen der CDU/CSU, Ihren Ministerpräsi- denten ordentlich die Meinung gesagt haben, denn auch Ihre Arbeit wurde damit zunichte gemacht. Am 22. November 2001 haben die fünf Küstenländer eine gemeinsame Empfehlung verabschiedet, die eine so genannte kleine Lösung vorsieht. Die CDU hat diese Empfehlung aufgegriffen und als eigenen Antrag einge- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 200223276 (C) (D) (A) (B) bracht. Leider hat die Regierungskoalition keinerlei Ein- sehen gezeigt, sodass auch dieser Kompromissvorschlag verpufft ist. Ein Gesetz, das wie das SUG der Regierung dazu dient, „Mauscheleien“ von Behörden zu ermöglichen und die Verantwortung für Seeunfälle zu vernebeln, darf keinen Bestand haben. Nach dem 22. September werden die Karten neu ge- mischt und dann wird die FDP die notwendigen Korrek- turen an der Seeunfalluntersuchung vornehmen. Heute geht es aber nicht nur um die Seeunfalluntersu- chung, sondern auch um die künftige Sicherheit auf der Ostsee. In dem gemeinsamen Antrag fordern wir zu Recht einen Bericht der Bundesregierung an. Die Ostsee ist schließlich der wichtigste Verkehrsweg zu den baltischen Staaten und mit einer weiteren Zunahme des Schiffsver- kehrs ist in den nächsten Jahren zu rechnen. Ich freue mich, dass wenigstens auf diesem Gebiet die Regierungs- koalition auf den Weg zum gemeinsamen Handeln zurückgefunden hat. Die FDP unterstützt den Antrag. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Antrags: Afrikas neues Denken unter- stützen – der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Afrika darf nicht zu einem ver- gessenen Kontinent werden – der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – EU-AKP-Zusammenarbeit – bewährte Partnerschaft mit großer Zukunft – Reform der EU-Entwicklungszusammen- arbeit ist bislang Stückwerk und muss kon- sequent vorangetrieben werden – der Großen Anfrage: Afrikapolitik der Bun- desregierung – der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Für eine europäische Ausrich- tung der deutschen Afrikapolitik (Tagesordnungspunkt 13 a bis d und Zusatz- tagesordnungspunkt 8) Joachim Günther (Plauen) (FDP): Seit dem Ende der Ost-West-Konfrontation haben sich neue Ansätze für einen nachhaltigen Strukturwandel durch Reformen und für einen intensiven politischen Dialog mit den afrikani- schen Staaten ergeben. Mit unserem Antrag „Für eine eu- ropäische Ausrichtung der deutschen Afrikapolitik“ legen wir ein politisches Rahmenkonzept für Stabilität und Si- cherheit, nachhaltiges Wachstum, regionale Kooperation und Förderung der Innovationsfähigkeit vor. Wir fordern auch, endlich die Vorgaben des Amsterda- mer Vertrages umzusetzen und eine gemeinsame europä- ische Afrika-Strategie im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zu entwickeln. Der Hin- weis der Bundesregierung darauf, dass regionale Kon- zepte nicht mehr zeitgemäß seien, darf nicht zur Untätig- keit führen. In diesen Kontinent darf nicht weiter so hineingestolpert werden, wie das bei den letzten Afrika- Besuchen des Bundesaußenministers geschah. Konzepte hin oder her: Das von der Bundesregierung wortreich angekündigte Afrika-Engagement muss finan- ziert werden. Es ist da schon ein Trauerspiel, dass wir nun schon im vierten Jahr nach dem Amtsantritt von Rot-Grün zusehen müssen, wie die deutsche Entwicklungspolitik an Substanz und – was fast noch schlimmer ist – an Glaub- würdigkeit verliert. Allen Sonntagsreden zum Trotz ist die Bundesregierung inzwischen zum entwicklungspoliti- schen Schlusslicht in der Europäischen Union geworden. Auch bei der Außenpolitik ist Afrika im Streichkonzert der Botschaften besonders bedacht worden. Vier Bot- schaften, drei Goethe-Institute und mehrere Außenstellen fielen dem Rotstift zum Opfer. Wir haben im mittleren Afrika praktisch eine botschaftsfreie Zone erreicht. Ist es nicht gerade die Perfektion der Abstimmung zwischen den Ministerien, wenn in einem Schwerpunktland der Entwicklungshilfe, Burundi, die Botschaft geschlossen wird? Diese Unkoordiniertheit muss endlich beendet wer- den. Lassen Sie mich noch einige Punkte anschneiden, bei denen Anspruch und Realität weiter auseinander klaffen als das Maul eines Krokodils. In erster Linie wäre hier die vollmundige Ankündigung der Bundesregierung auf dem Millenniumgipfel in New York zu nennen, aktiv an der weltweiten Armutsbekämpfung mitwirken zu wollen. Tat- sache ist, dass die KfW ihre Finanzierungszusagen unter anderem für Armutsbekämpfungsprojekte wegen sinken- der Bundeszuschüsse radikal zurückfahren muss. Da nutzt auch nicht der lautstark propagierte Rückgriff auf so genannte Marktmittel. Entwicklungsländer, die sich auf den internationalen Finanzmärkten zu Marktkonditionen finanzieren können, sind auf die KfW nicht angewiesen und gehören daher im Zweifel auch nicht zu der Ziel- gruppe der Ärmsten. Wenn die Bundesregierung, wie von Ministerin Wieczorek-Zeul öffentlich angekündigt, nicht einmal Mittel zur Kofinanzierung des Internationalen Fonds für Aids-Hilfe zur Verfügung stellt, dann muss sie sich schon fragen lassen, wie sie überhaupt entwicklungspolitisch in Afrika noch eine Rolle spielen will. Da hilft auch nicht die auf der Konferenz in Monterrey überstrapazierte Forde- rung nach einer Tobinsteuer als Wunderwaffe gegen knappe Kassen. Wir brauchen keine neuen Steuern, son- dern intelligente Konzepte für eine Entwicklungspolitik, deren Erfolg nicht nur an der Höhe der Transferleistungen messbar ist. Jede noch so gute Entwicklungszusammenarbeit kann zur wirtschaftlichen Entwicklung nur einen begrenzten Beitrag leisten. Wir müssen uns von der Vorstellung lösen, die Armut in Afrika durch Finanztransfers oder großange- legte Entschuldungsaktionen allein beseitigen zu können. Deutsche Entwicklungspolitik darf nicht als Politik der Grundbedürfnisbefriedigung systematisch missverstanden Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2002 23277 (C) (D) (A) (B) werden. Die FDP-Bundestagsfraktion bekennt sich dazu, auch in Zukunft den Menschen in Afrika in Notsituatio- nen, zum Beispiel durch Lieferung von Nahrungsmitteln und Medikamenten, zu helfen. Dies trifft gerade auch auf die Krisenregionen am Horn von Afrika, im Gebiet um die Großen Seen und in Westafrika zu. Nachhaltige Entwick- lungspolitik muss aber über diese notwendige Form karita- tiver Hilfe hinausgehen. Entwicklungshilfe muss dazu beitragen, politische, ökonomische und gesellschaftliche Strukturen aufzubauen, die es den Menschen vor Ort er- möglichen, sich auf Dauer selbst zu helfen. Eliten in Afrika müssen ihre Märkte vom staatlichen Dirigismus befreien, Landreformen zulassen und für klare Eigentumsverhältnisse sorgen. Wenn es nicht gelingt, eine solche Entwicklungsstrategie für die ländlichen Räume zu schaffen, wird der Drang zur Bildung von nicht mehr lenkbaren großstädtischen Agglomerationen und damit zur Landflucht und mit allen damit verbundenen Proble- men noch weiter verstärkt. Dreh- und Angelpunkt der wirtschaftlichen Entwick- lung ist aus unserer Sicht ein verstärkter Einsatz markt- wirtschaftlicher Instrumente. Dazu gehört in erster Linie die Förderung und Entwicklung des Finanzsektors. We- sentliche Elemente sind unter anderem der Zugang zu Kleinkrediten, der Aufbau von Dorfbankensystemen, die Ausbildung von Bankfachleuten, eine stabile Geldpolitik der Entwicklungsländer und Rechtssicherheit im Finanz- wesen. Ganz entscheidend für die Entwicklungschancen unserer Partnerländer ist darüber hinaus ihre volle Teil- nahme am freien Welthandel. Nach wie vor gilt: Handel ist besser als Hilfe. Gerade angesichts rückläufiger Mittel für die Außen- und Entwicklungspolitik wird eine zukünftige deutsche Afrikapolitik nur im Rahmen einer europäischen Aus- richtung erfolgreich sein können. Deshalb muss die Bun- desregierung sich vorrangig dafür einsetzen, dass die bilaterale Afrikapolitik der EU-Mitgliedstaaten und der Europäischen Union zu einer wirksamen gemeinsamen Politik zusammengeführt wird. Die hierfür von dem Kairoer Gipfel festgelegte Frist bis zum Jahre 2003 muss die Bundesregierung dringend nutzen, um einen aktiven Beitrag zur Entwicklung einer europäischen Afrikapolitik zu leisten. Wir haben dafür ein Konzept ausgearbeitet und dem Deutschen Bundestag als Antrag für eine europä- ische Ausrichtung der deutschen Afrikapolitik vorgelegt. Carsten Hübner (PDS): Es ist an Symbolwirkung kaum zu überbieten, wenn vom Bundestag kurz vor dem Ende der Legislaturperiode als Botschaft in die Welt geht: Wir nehmen uns ganze 45 Minuten Zeit für Afrika und das zu nachtschlafender Zeit. Eigentlich sagt das schon so ziemlich alles, was zum deutschen Engagement für Afrika zu sagen wäre. Dabei ist – oberflächlich betrachtet – das Interesse für Afrika auch hierzulande gestiegen: So hat der Bundes- kanzler zum Beispiel persönlich den Afrika-Wirtschafts- tag vor wenigen Tagen eröffnet. Es gibt mit Frau Dr. Eid eine persönliche Afrikabeauftragte, es gibt neue konkur- rierende Strategiepapiere zur Afrikapolitik aus dem BMZ und dem Auswärtigen Amt sowie zahlreiche Bekundun- gen und eine erklärte Aufbruchstimmung. Bei genauerem Hinschauen aber sieht es weiterhin trüb für Afrika aus, insbesondere trüb an Ideen, wie wir mit den Menschen in Afrika und ihren immensen Problemen umgehen sollen. Genau das spiegelt auch ein Teil der An- träge wider. Dabei stimmt die Analyse der meisten An- träge durchaus: Afrikas Anteil an den „Segnungen“ der Globalisierung beschränkt sich weit gehend auf die Län- der Südafrika und vielleicht noch Nigeria, die mit mehr als 50 Prozent den größten Anteil an den minimalen Aus- landsdirektinvestitionen in Afrika haben. Deren Volumen beläuft sich allerdings gerade mal auf 1,6 Prozent der glo- balen Auslandsdirektinvestitionen. Hier gibt es 80 Pro- zent der weltweit HIV/Aids-Infizierten. Hier gibt es in mehr als 16 Ländern gewaltsame Konflikte und Bürger- kriege. Hier müssen fast 50 Prozent der Bevölkerung mit weniger als 1 Euro täglich auskommen, leben also in bit- terster Armut. Hier gibt es circa 6 Millionen Binnen- flüchtlinge, die größten Wüstengebiete, die längsten Dür- rekatastrophen usw. Afrika ist Spitzenreiter auf der nach oben offenen Katastrophenskala. Trotz alledem scheint für die deutsche Wirtschaft aus Afrika aber noch einiges herauszuholen zu sein – so zu- mindest der Tenor der vorliegenden Anträge, die selbst Mittel der Entwicklungszusammenarbeit nicht etwa für die Basisversorgung der Bevölkerung, sondern für Pro- jekte der privaten Wirtschaft in Afrika mobilisieren wol- len. Alles andere sollen die Afrikaner gefälligst selbst fi- nanzieren. Das stellt die NePAD-Initiative, also die „Neue Part- nerschaft für Afrikas Entwicklung“ geradezu auf den Kopf. Afrika braucht keine forcierte Implementierung der Wirtschaftsinteressen des Nordens nun auch durch die Entwicklungszusammenarbeit. Afrika braucht – und das sagt NePAD ganz deutlich – Hilfe zur Selbsthilfe, das heißt, Hilfe bei der Grundversorgung mit Bildung, Nah- rung und in der Gesundheitsfürsorge, für die Bekämpfung von Seuchen und Krankheiten, für den Aufbau eigener Kapazitäten und Potenziale in Verwaltung und Manage- ment. Das heißt, Afrika endlich die Chance auf eine ei- genständige Entwicklung eröffnen; nach Sklaverei, Kolo- nialismus und postkolonialer Abhängigkeit. In keinem der vorliegenden entwicklungspolitischen Anträge finden sich die Forderungen des Südens, insbe- sondere der dortigen Zivilgesellschaft wieder, zum Bei- spiel die Forderung nach umfassenden Entschuldungs- initiativen, die über eine HIPC-Initiative hinausgehen und auch nach der Legitimität der Schulden fragen, zum Bei- spiel im Fall Südafrikas. Dies gilt auch für Forderungen nach dem Fall der EU- Zollbarriere und einem besseren Zugang zu den Märkten des Nordens, zum Beispiel für Zucker, Mais und verar- beitete Produkte und Fertigerzeugnisse, oder die Forde- rung nach Streichung der EU-Agrarsubventionen und nach einem wirksamen Schutz lokaler und regionaler Märkte des Südens gegen das freie Spiel ungleicher Kräfte im so genannten Freihandel. All dies findet man in den vorliegenden Anträgen nicht. Im Gegenteil, im Mittelpunkt steht bei Ihnen die Frage: Wie können wir über neue Instrumente der EZ, wie etwa die Public Private Partnership, die Marktzugänge für Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 200223278 (C) (D) (A) (B) deutsche Unternehmen weiter ausbauen und verdeckt staatlich subventionieren lassen? Das ist genau die falsche Konsequenz aus den Fehlern der Vergangenheit. Deshalb kann ich Sie nur dringend auffordern, in der afrikanischen Zivilgesellschaft, in afri- kanischen Frauenvereinigungen und den Intellektuellen endlich einen ernst zu nehmenden Partner zu sehen. Ihre Erfahrungen und Ansätze müssen sich in der deutschen und europäischen Afrikapolitik niederschlagen, nicht die Interessen von Shell, de Beers und anderen Konzernen. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Entwürfe eines Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigun- gen in einem Getto und zur Änderung des Sechs- ten Buches Sozialgesetzbuch (Tagesordnungs- punkt 14) Claudia Nolte (CDU/CSU): Heute beraten wir über den „Entwurf eines Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Getto und zur Än- derung des SGB VV“. Hinter diesem doch recht techno- kratischen Titel verbergen sich zwei Regelungsbereiche, die die Unterstützung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion finden. Bei allen Grabenkämpfen in dieser Wahlperiode zum Thema Rente begrüße ich ausdrücklich, dass wir uns in beiden Bereichen zu einem interfraktionellen Gesetz- entwurf haben verständigen können. Kurz zum Inhalt des Gesetzentwurfs: Zunächst geht es um Regelungen zur Zahlung von Renten an ehemalige Beschäftigte in einem Getto. Damit ist endlich eine bisher bestehende Lücke bei der Wiedergutmachung nationalso- zialistischen Unrechts geschlossen worden. Kritiker des Gesetzentwurfs mögen einwenden, mit dem Gesetz werde nur das umgesetzt, was das Bundessozialgericht dem Ge- setzgeber ohnehin vorgeschrieben hat. In der Tat hat uns – wie im Übrigen auch viele andere – die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aus dem Jahre 1997 sehr über- rascht. Denn in der Vergangenheit war man überwiegend davon ausgegangen, dass innerhalb eines Gettos Zwangs- arbeit aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Gewaltver- hältnisses geleistet wurde und deshalb wegen der er- zwungenen Arbeitsleistung keinBeschäftigungsverhältnis und damit auch keine Rentenzahlung aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Betracht kam. Eine Lösung für die Betroffenen innerhalb der gesetzlichen Rentenversiche- rung war deshalb nicht erwogen worden. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hat al- lerdings nunmehr den Weg vorgezeichnet, dass die Be- troffenen eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversiche- rung erhalten müssen. Das ist sicher auch ein gangbarer Weg. Allerdings gerät dabei nach meiner Einschätzung ein wichtiger Aspekt aus dem Blickfeld, nämlich dass es sich bei der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Un- rechts um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt. Wenn eine Lösung innerhalb des Systems der gesetzli- chen Rentenversicherung gewollt ist, wäre es aus meiner Sicht auch wichtig, für die gesetzliche Rentenversiche- rung eine entsprechende Erstattungsregelung vorzusehen. Denn warum sollen nur die Beitragszahler diese gesamt- gesellschaftliche Aufgabe bezahlen? Eine Erstattungs- regelung zugunsten der Rentenversicherung, wie sie im Übrigen ursprünglich auch vom Bundesarbeitsministe- rium erwogen wurde, ist aber leider an den Widerständen des Bundesfinanzministeriums gescheitert. Das bedaure ich sehr. Ich sage Ihnen jetzt schon vo- raus: In naher Zukunft, wenn im Zusammenhang mit der angespannten finanziellen Situation der gesetzlichen Ren- tenversicherung wieder von den so genannten versiche- rungsfremden Leistungen die Rede ist, wird man unwei- gerlich auch auf diese Aufwendungen zu sprechen kommen. Und das wäre alles andere als angebracht. In diesem Zusammenhang noch eine weitere Anmer- kung: Bei den Betroffenen handelt es sich ausschließlich um ältere Personen. Deshalb ist es besonders wichtig, si- cherzustellen, dass auch alle zu ihrem Recht kommen. Ich weiß, dass bei den Rentenversicherungsträgern eine Viel- zahl von Anspruchsberechtigten unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ihre Ansprüche bereits geltend gemacht haben. Gleichwohl muss gewähr- leistet werden, dass auch wirklich alle anspruchsberech- tigten Personen die für die Rentenleistung erforderlichen Anträge stellen. Weil sich die betroffenen Personen im Ausland aufhalten, muss über das Gesetz ausreichend in- formiert werden. Diese Forderung richtet sich an die Ren- tenversicherung und an die Politik gleichermaßen. Zum zweiten Regelungsbereich des Gesetzentwurfs: Für ehemalige Bezieher von Invalidenrenten oder Blin- den- und Sonderpflegegeld nach dem Recht der ehemali- gen DDR werden nunmehr bei der Rentenberechnung Beschäftigungszeiten vor Erreichen der Altersgrenze 65 als Beitragszeiten anerkannt. Bisher bestandene Nachteile bei der Regelaltersrente, bei der sich diese Beschäftigungs- zeiten nicht ausgewirkt haben, werden damit beseitigt. Auch diese Änderung wird von der CDU/CSU-Bun- destagsfraktion begrüßt. Wichtig ist vor allem, dass von dieser Neuregelung auch Personen profitieren, die bereits einen Rentenbescheid erhalten haben, in dem solche Zei- ten auf der Grundlage der bisher geltenden Rechtslage noch nicht berücksichtigt sind, und die diesen Bescheid haben bestandskräftig werden lassen. Auch wenn man nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 30. Au- gust 2001 in dieser Frage wohl keine andere Wahl hatte, erscheint mir die gefundene – für alle Betroffenen und rückwirkend ab 1. September 2001 geltende Lösung ver- nünftig. Zumal es auch für die Menschen einen Unter- schied macht, ob sie einen Anspruch gemäß Richterrecht haben oder kraft Gesetzes. Aber auch in diesem Zusammenhang habe ich eine kri- tische Anmerkung. Zwar ist die Neuregelung für die be- troffenen Personen sicher äußerst positiv. Auf die Schul- tern sollten wir uns deshalb aber nicht klopfen. Denn viele Fragen im Zusammenhang mit dem Recht der Rentenüberleitung bleiben nach wie vor ungelöst. Das führt zu einem Verdruss bei den Menschen in den neuen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2002 23279 (C) (D) (A) (B) Bundesländern. Diese gewinnen allmählich den Ein- druck, der Gesetzgeber wird nur dann aktiv, wenn ihm nach Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts oder – wie hier – des Bundessozialgerichts keine andere Wahl bleibt. Und wenn der Gesetzgeber dann etwas tut, dann immer nur die Minimallösung. Das war so beim Zweiten Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüber- führungsgesetzes von Mitte letzten Jahres, und auch bei dem heute zu beschließenden Gesetz ist es nicht anders. Ich möchte hier und heute nicht alte Schlachten aus dem letzten Jahr schlagen. Sie kennen meine Forderungen im Zusammenhang mit dem Gesetzgebungsverfahren zum Zweiten Gesetz zur Änderung und Ergänzung des An- spruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes und die Anträge der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Allerdings möchte ich ganz nachdrücklich auf die nach wie vor un- befriedigende rentenrechtliche Situation der Menschen in den neuen Bundesländern aufmerksam machen. Viele Personen sind nach wie vor unzufrieden, viele Fragen sind und bleiben regelungsbedürftig. Angesichts der zahlrei- chen Briefe, die wir von den Bürgern aus den neuen Bun- desländern erhalten, wissen wir dies alle. Deshalb richtet sich an dieser Stelle meine Kritik an die Bundesregierung, der es in dieser Wahlperiode nicht gelungen ist, den Bür- gern aus den neuen Bundesländern zu vermitteln, dass ihre rentenrechtlichen Probleme ernst genommen werden. Allerdings bin ich mir sicher, dass der Rechtsstreit wei- tergehen wird, zumal wir heute in meinen Augen einen Präzidenzfall schaffen: Bei der Beratung zum 2. AAÜG- Änderungsgesetz wurde bei den Reichsbahnern und den Beschäftigten der Post der 1,5-prozentige Steigerungssatz in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht zuerkannt mit dem Argument, dass dafür keine individuellen Bei- träge gezahlt wurden. Allerdings wurde dafür damals sei- tens der Betriebe sehr wohl im Umlageverfahren Beiträge an die Sozialversicherung abgeführt – also eine analoge Situation wie bei der Personengruppe, über die wir heute reden. Wenn nunmehr eine rentenwirksame Anerkennung erfolgt, dann werden wir uns sicher auch noch einmal über die Reichsbahner und Postler verständigen müssen. Aber genug der Kritik. Ich möchte so versöhnlich schließen wie ich begonnen habe. Der Gesetzentwurf ist eine gute Sache und weist den Weg in die richtige Rich- tung. Deshalb findet er die volle Unterstützung der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem Getto-Renten-Gesetz wird endlich eine weitere Lücke im Entschädigungsrecht geschlossen. Ich bin froh darüber, dass wir diese Verbesserung hier einmütig mit Zustimmung aller Fraktionen auf den Weg bringen kön- nen. In dieser Wahlperiode ist es gelungen, die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ zur Entschädi- gung von NS-Zwangsarbeit zu errichten. Damit wurde endlich dieses Unrecht offiziell anerkannt und eine hu- manitäre Geste für die noch lebenden Zwangsarbeiterin- nen und Zwangsarbeiter ermöglicht. Bei dem heute vorliegenden Getto-Renten-Gesetz geht es um einen Personenkreis, der nicht unter die Regelun- gen der Zwangsarbeiter-Stiftung fällt, dem aber dennoch schweres Unrecht geschehen ist. Es betrifft Personen, die von den Nazis in ein Getto gezwungen wurden und die dort in dieser Zwangssituation, um überleben zu können, einer entlohnten Beschäftigung nachgingen. Wir alle wis- sen, in welch schrecklichen Zuständen die Menschen le- ben mussten, die von den Nazis ins Getto gepfercht wur- den, in Warschau, in Lodz und an vielen anderen Orten. Durch das neue Gesetz kann dieser Personenkreis nun für die Arbeitszeit im Getto Rentenzahlungen erhalten. Es ist dabei sichergestellt, dass die Zahlungen die Betroffenen rasch erreichen. Rentenrechtliche Hürden wurden beseitigt. So müssen die Betroffenen nicht nachträglich noch Beiträge zur Rentenversicherung entrichten. Der Anspruch gilt zudem rückwirkend ab dem Stichtag 18. Juni 1997. Es ist sehr erfreulich, dass es – aufbauend auf den Urteilen des Bundessozialgerichts – gelungen ist, diese unbürokratische Lösung zu finden, damit die Betroffenen auch wirklich zeitnah Leistungen empfangen können. Das Getto-Renten-Gesetz zeigt auch: Einen bisweilen geforderten Schlussstrich unter die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit kann und darf es nicht geben. Immer wieder werden wir auch heute noch mit Verfolgungs- schicksalen konfrontiert, für die das Entschädigungsrecht noch keine Regelung parat hat. Immer noch gibt es NS-Verfolgte, die keine oder keine ausreichende Entschä- digung für das ihnen angetane Unrecht erhalten haben. Wir setzen uns dafür ein, die Anliegen von NS-Verfolgten sehr genau zu prüfen und wo immer möglich Abhilfe zu schaffen. Hier gibt es noch einiges zu tun. Das Getto-Ren- ten-Gesetz ist dabei ein wichtiger Schritt. Noch ein Wort zur Änderung des SGB IV: Auch diese neue Regelung dient dazu, mehr Gerechtigkeit zu schaf- fen. Bisher bestehende rentenrechtliche Nachteile für die Bezieherinnen und Bezieher von Invalidenrente oder Blinden- und Sonderpflegegeld nach dem Recht der ehe- maligen DDR werden damit beseitigt. Hier wird ebenfalls eine Lücke geschlossen. Lassen Sie mich noch abschließend zum Verlauf der Beratungen sagen: Über alle Fraktionsgrenzen hinweg ist es gelungen, mit diesem Gesetz sehr einmütig Verbesse- rungen zu erreichen. Dafür danke ich allen daran Betei- ligten im Parlament und in der Bundesregierung. Das ist ein schöner Erfolg. Dr. Irmgard Schwaetzer (FDP): Über ein halbes Jahrhundert nach dem Ende der Naziherrschaft in Deutschland und dem Zweiten Weltkrieg wird heute einer Personengruppe genüge getan, die immer im Schatten an- derer Opfergruppen gestanden hat, aber unendliches Leid zu tragen hatte: Menschen, die als Verfolgte in Gettos zur Arbeit gezwungen wurden, aber nach dem Krieg nie oder nur kurze Zeit in Deutschland gelebt haben. Zu keiner Zeit haben sie für ihre Arbeit eine angemessene Entlohnung, nie eine Rente erhalten. Nachdem nun durch erhebliche Anstrengungen der Bundesregierung, des gesamten Bun- destags und der deutschen Industrie die Entschädigung der Zwangsarbeiter, nicht zuletzt durch das Verhand- lungsgeschick von Graf Lambsdorff ermöglicht wurde, muss dieses Problem dringend gelöst werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 200223280 (C) (D) (A) (B) Es handelt sich bei diesem Gesetzentwurf um eine an- gemessene Regelung, die für viele zu spät, aber hoffent- lich für viele noch eine Genugtuung für die erlittenen Lei- den darstellt. Hier wird eine Rechtslücke geschlossen, die durch ein Urteil des Bundessozialgerichts erst offensicht- lich gemacht worden ist, denn bis 1997 wurde davon aus- gegangen, dass Arbeit in einem Getto Zwangsarbeit sei und damit rentenrechtlich nicht in Betracht komme. 1997 und dann in einem weiteren Urteil 2001 hat das Bundes- sozialgericht die Grundlage für eine neue Bewertung die- ser Arbeit geschaffen, die mit diesem Gesetz nun in tatsächliche Rentenansprüche umgesetzt wird, die auch ins Ausland zahlbar sind. Wir sind einen weiten Weg gegangen, um diesen Men- schen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Es ist zutiefst bedauerlich, dass mehrere Jahrzehnte ins Land gehen mussten, bis Politik und Rechtsprechung eine für die Be- troffenen nutzlose Grundsatzdebatte über die Bewertung der Arbeit im Getto in einer sehr pragmatischen Weise po- sitiv beendet haben. Dabei ist Arbeit auch außerhalb des Gettos von diesem Gesetz umfasst, wenn sie Ausfluss der Beschäftigung im Getto war. Auch andere Unklarheiten, die sich im Wesentlichen auf Verfahrensfragen bezogen, konnten ausgeräumt werden. Natürlich können diese Ren- ten auch ins Ausland gezahlt werden! Wartefristen entfal- len. Auch Hinterbliebene erhalten diesen Rentenanspruch, wenn der Verfolgte nach dem 18. Juni 1997, dem Datum des Gerichtsurteils, verstorben ist. Es ist gut, dass heute dieses Gesetz mit großer Mehrheit verabschiedet wird. Das Gesetz enthält aber auch eine Regelung, die Bezie- her von Invaliden- oder Blindenrenten aus der ehemaligen DDR nun einen zusätzlichen Rentenanspruch zuspricht, wenn sie gleichzeitig eine Beschäftigung ausgeübt haben. Auch damit wird eine Rechtslücke geschlossen, die für die Betroffenen schmerzlich war. Rentenrecht ist nicht nur kompliziert, sondern auch häufig ungerecht. Es ist gut, dass wir einige der Unge- rechtigkeiten heute beseitigen können. Dr. Ilja Seifert (PDS):Mehr als 50 Jahre nach Ende des Nationalsozialismus wird dem Anspruch der Beschäftig- ten des Gettos Lodz auf wohlverdiente Rente endlich nachgekommen. Nach dem Motto „besser spät als nie“ ist eine neue, dringend gebrauchte Regelung der Rente von Beschäftigten in einem Getto auf den Weg gebracht wor- den. Vielleicht kann diese Tatsache angesichts des hiermit behobenen Unrechts Bürgerinnen und Bürger im Nach- hinein wenigstens etwas versöhnen. Es kommt nicht so oft vor, dass es Einigkeit innerhalb dieses Hohen Hauses gibt, und darüber können wir uns auch freuen. Endlich liegt ein langerwartetes Gesetz auf dem Tisch. Aber richten Sie ein- mal Ihre Blicke hinter die Kulissen! Was das Ansehen des gesamten Bundestages – ja, Deutschlands – nach innen und außen – hätte aufwerten können, wird von kleingeisti- gem, parteitaktischem Kalkül und durch Ausgrenzung ent- würdigt. Die PDS wurde absichtlich – das nicht zum ers- ten Mal – von einem überparteilichen Gesetzesantrag ausgeschlossen. Wenn sachliche Argumente fehlen, blüht der Opportunismus und werden – im anachronistischen Denken verhaftet – realitätsabgekehrt und höchst unde- mokratisch immer wieder ideologische Barrieren aufge- richtet oder ideologische Ressentiments bemüht. Wir werden trotz alledem weiterhin kritisch-konstruk- tiv und sachbezogen Politik zum Nutzen und im Interesse der betroffenen Menschen betreiben. Die PDS hat sich im Bundestag stets für Rentengerechtigkeit und gegen Über- führungslücken eingesetzt. Wir sind die einzige Fraktion, die Anträge zum Abbau der Überführungslücken in der gesetzlichen Rentenversicherung gestellt hat. Das gilt auch für die Anerkennung rentenrechtlicher Zeiten von DDR-Invalidenrentnern und Blinden- oder Sonderpflege- geldempfängern. Elf Jahre lang haben Betroffene und Behindertenver- bände eine gesetzliche Regelung eingefordert. Elf Jahre lang haben diverse Bundesregierungen „geprüft“ und vor allem eine solche Regelung verzögert. Elf Jahre lang hat die PDS diese Forderungen im Bundestag mit parlamen- tarischen Initiativen unterstützt. Noch 2001 lehnte die rot- grüne Mehrheit im Bundestag mit Unterstützung von CDU/CSU einen entsprechenden PDS-Antrag – Drucksa- che 14/4041 vom 6. September 2000 – ab. Jetzt – nach unzähligen Klagen vor den Sozialgerich- ten bis hin zum Bundessozialgericht, unter anderem auch von mir selbst – legt die rot-grüne Regierung kurz vor Ende der Wahlperiode eine Änderung zum SGB VI vor, mit der endlich die rentenrechtlichen Zeiten von DDR-In- validenrentnern und Blinden- oder Sonderpflegegeld- empfängern anerkannt werden. Die Verbesserungen kön- nen ab 1. September 2001 in Anspruch genommen werden, denn seit dem 30. August 2001 liegt eine ent- sprechende Entscheidung des Bundessozialgerichts vor. Damit – das sei hier ausdrücklich angemerkt – wird aber verhindert, dass betroffene Menschen ihre berechtigten Ansprüche rückwirkend seit 1992 geltend machen kön- nen. Ihnen gehen so auch entsprechende Dynamisierun- gen verloren. Trotzdem sind diese lange überfälligen Regelungen eine Verbesserung. Viele der Betroffenen wurden mit der Nichtanerkennung ihrer rentenrechtlichen Ansprüche für eine Regelung bestraft, die sie nicht beeinflussen konnten. In der DDR konnten sie eine Erwerbstätigkeit ausüben, waren aber von der Zahlung ihres Anteils zur Rentenver- sicherung freigestellt. Dieser Nachteilsausgleich wurde mit der Überführung in bundesdeutsches Rentenrecht ohne einen wirklich vernünftigen Grund zu ihrem Nach- teil ungemünzt. Die Beseitigung dieser Ungerechtigkeit wäre bei ent- sprechendem politischen Willen von schwarz-gelb oder rosa-grün schon lange möglich gewesen. Stattdessen ha- ben viele der betroffenen Menschen Jahre lang Zeit, Geld und Nerven aufwenden müssen, um ihr Recht zu erstrei- ten. Wenn jetzt SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP unter Ausschluss der PDS einen „fraktionsüber- greifenden“ Gesetzentwurf vorlegen, so ist das offenbar ein Ausdruck des schlechten Gewissens und der Hoff- nung, dass die Wähler im Osten vergesslich wären. Aber solche Spekulationen sind bekanntlich gefährlich. Schließlich verlangten viele Betroffene schon seit ver- gangenem Herbst – nicht zuletzt mit Verweis auf die von mir vor dem Bundessozialgericht erstrittene Anerkenntnis Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2002 23281 (C) (D) (A) (B) meiner rentenrechtlichen Zeiten durch die Bundesversi- cherungsanstalt für Angestellte – eine Neuberechnung ih- rer Rente. Vielleicht deutet diese positive Änderung des SGB VI auf ein neues Verhalten in Richtung zu mehr Rentenge- rechtigkeit hin. Das würde vielen Menschen Mut und Hoffnung geben, denn es gibt noch viel zu tun, so zum Beispiel: die Umsetzung der Forderungen zum AAÜG, das Schließen der immer noch existierenden Über- führungslücken bei der Rentenüberleitung von An- sprüchen ehemaliger DDR-Bürger in das bundesdeutsche Recht oder die Angleichung der Renten im Osten an das Westniveau. Ob oder inwieweit die rot-grüne Regierung sowie die CDU/CSU- und FDP-Fraktion diese Punkte vernünftig umsetzen werden, kann ich nicht sagen. Aber Folgendes kann ich mit Sicherheit versprechen: Die PDS wird sich als Partei des Friedens und der sozialen Gerechtigkeit auch weiterhin für die ureigensten Interessen ihrer Mit- bürgerinnen und Mitbürger einsetzen. Ulrike Mascher, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- minister für Arbeit und Sozialordnung: Mit den rege- lungsgleichen fraktionsübergreifenden Gesetzentwürfen soll einerseits der Rechtsprechung des Bundessozialge- richt BSG, zu so genannten Getto-Beitragszeiten von Ver- folgten des Nationalsozialismus Rechnung getragen wer- den und andererseits ein sich in den neuen Ländern stellendes rentenrechtliches Problem für die früheren Empfänger von Blinden- und Sonderpflegegeld gelöst werden. Für Menschen, die zwischen 1939 und 1945 in einem Getto, zum Beispiel in Lodz, beschäftigt waren, war es in der Vergangenheit nicht möglich, eine Anerkennung die- ser Zeiten als Beitragszeiten in der Rentenversicherung zu erreichen. Bisher waren die Rentenversicherungsträger im Regelfall davon ausgegangen, dass innerhalb eines Gettos Zwangsarbeit aufgrund eines öffentlich-rechtli- chen Gewaltverhältnisses geleistet wurde. Allein wegen dieser erzwungenen Arbeitsleistung kam eine Anerken- nung als Beitragszeit in der gesetzlichen Rentenversiche- rung nicht in Betracht. 1997 hat das Bundessozialgericht eine entscheidende Weichenstellung vorgenommen: Auch eine Tätigkeit in einem Betrieb im Getto Lodz kann die Voraussetzung für eine rentenrechtlich relevante Beschäftigung erfüllen und diese Tätigkeitszeiten sind dann als Beitragszeiten der ge- setzlichen Rentenversicherung anzuerkennen. Wir wollen für Menschen, die alle bereits ein hohes Alter erreicht ha- ben und gewöhnlich im Ausland leben, eine Lücke im Recht der Wiedergutmachung schließen. Bisher kann eine Rente, die sich aus einer Beschäftigung in einem Getto er- gibt, nicht ins Ausland gezahlt werden, weil keine Bei- tragszeiten aus Beschäftigung im Gebiet der Bundesrepu- blik im erforderlichen Umfang vorliegen. In der Vergangenheit war Verfolgten des Nationalso- zialismus durch verschiedene Regelungen zur Wiedergut- machung nationalsozialistischen Unrechts die Möglich- keit eröffnet worden, Beiträge nach dem vor 1992 geltenden Recht nachzuzahlen. Heute würde die Eröff- nung neuer Nachzahlungsmöglichkeiten mit dem Ziel, für Beschäftigungszeiten in einem Getto auch Leistungen ins Ausland zahlbar zu machen, insbesondere im Hinblick auf das Alter der Betroffenen und dem seit 1992 gelten- den Auslandsrentenrecht vergleichsweise hohe Vorleis- tungen erfordern, die den Betroffenen angesichts ihres Al- ters nicht zugemutet werden sollen. Wir wollen jetzt die Zahlbarkeit dieser Renten aus Getto-Beschäftigungszeiten dadurch erreichen, dass diese Beschäftigungszeiten für die Erbringung der Leistung ins Ausland als Beitragszeiten im Bundesgebiet gelten. Damit unabhängig von der jeweiligen geographischen Lage des Gettos und den an diesen Orten jeweils gege- benen sozialrechtlichen Verhältnissen einheitliche Grundsätze für die Berechnung der Rente aus Getto-Be- schäftigungszeiten Anwendung finden, wird darüber hi- naus bestimmt, dass für die Berechnung der Rente Getto- Beschäftigungszeiten als Beitragszeiten nach den Reichsversicherungsgesetzen außerhalb des Bundesge- biets zu behandeln sind. Abstellend auf die im Juni 1997 ergangene Rechtspre- chung des BSG ist eine rückwirkende Rentenzahlung ab dem 1. Juli 1997 vorgesehen. Außerdem wird bestimmt, dass bei Vorliegen der durch die Rechtsprechung des BSG nunmehr anerkannten Versicherungszeiten für die Be- rechnung einer Rente davon auszugehen ist, dass die Vor- aussetzungen für einen Rentenanspruch bereits mit Voll- endung des 65. Lebensjahres vorgelegen haben. Diejenigen Getto-Beschäftigten, die das 65. Lebensjahr bereits vor dem 1. Juli 1997 vollendet haben, erhalten da- mit nach den allgemeinen Grundsätzen der Rentenbe- rechnung für jeden Monat des „Nichtbezugs“ der Rente vom vollendeten 65. Lebensjahr bis zum 1. Juli 1997 ei- nen Zuschlag in Höhe von 0,5 Prozent. Somit ergibt sich für jedes Jahr des „Nichtbezugs“ der Altersrente vor dem 1. Juli 1997 ein Zuschlag zur Rente von 6 Prozent. Für den Fall, dass der Verfolgte bereits verstorben ist, wird für Hinterbliebenenrenten auf den Todestag abgestellt, womit Rentennachzahlungen an die Hinterbliebenen sicherge- stellt sind. Mit den Vorschriften des Art. 2 des Gesetzentwurfs wird ein Problem gelöst, das nach der Überleitung des ein- heitlichen Rentenrechts des Sechsten Buches Sozialge- setzbuch auf die neuen Bundesländer bei der Berechnung von auf Invalidenrenten folgenden Alters- und Hin- terbliebenenrenten zu unbefriedigenden Ergebnissen ge- führt hat. Die Bewertung von Beschäftigungszeiten insbeson- dere während des Bezuges von Blinden- und Sonderpfle- gegeld in der ehemaligen DDR war in der Vergangenheit wiederholt Gegenstand von parlamentarischen Anträgen und Anfragen. Parlamentarische Mehrheiten für eine po- sitive Lösung des Problems hat es in den vergangenen Le- gislaturperioden nicht gegeben. Die SPD hat jedoch im- mer ein Bedürfnis für die Korrektur des geltenden Rentenrechts für diesen Personenkreis gesehen. Es ist nun besonders erfreulich, dass wir in einer fraktionsübergrei- fenden Initiative doch noch eine dem Sachverhalt gerecht werdende Lösung gefunden haben. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 200223282 (C) (D) (A) (B) Nach dem Sozialversicherungsrecht der ehemaligen DDR waren Bezieher einer Rente der Sozialversicherung für neben der Rente erzielte Arbeitsentgelte grundsätzlich von der persönlichen Beitragszahlung zur Sozialpflicht- versicherung-Arbeitnehmeranteil – befreit. Invaliden- rentner waren berechtigt, neben der Rente in einem Lohn- drittel Hinzuverdienst zu erzielen. Das Lohndrittel wurde von dem vor dem Rentenbezug erzielten Arbeitsverdienst abgeleitet. Bei monatlichen Arbeitsverdiensten bis zu 1 200 DM lag die Hinzuverdienstgrenze einheitlich bei 400 DM. Für Bezieher von Blinden- und Sonderpflege- geld galten darüber hinaus Besonderheiten. Anders als in den alten Bundesländern galten sie ab 1. September 1972 automatisch als Invalide und durften im Unterschied zu anderen Beziehern einer Invalidenrente neben ihrer Inva- lidenrente und dem Blinden- oder Sonderpflegegeld un- eingeschränkt hinzuverdienen. Der von Rentnern – Al- ters- und Invalidenrentner – erzielte Hinzuverdienst war für die Arbeitgeber beitragspflichtig zur Sozialversiche- rung; die Arbeitnehmer waren jedoch – ebenfalls ab dem 1. September 1972 – für einen Arbeitsverdienst bis zu 600 DM monatlich von der persönlichen Beitragszahlung befreit. Anders als „normale“ Invalidenrentner mit Hin- zuverdienst im so genannten Lohndrittel waren Bezieher von Blinden- und Sonderpflegegeld jedoch berechtigt, der freiwilligen Zusatzrentenversicherung, FZR, beizutreten. Bei der Berechnung von Renten nach dem geltenden Recht werden diese zwischen dem 1. September 1972 und dem 31. Dezember 1991 zurückgelegten Beschäftigungs- zeiten wegen der fehlenden Zahlung des Arbeitnehmer- anteils am Sozialversicherungsbeitrag nicht als Beitrags- zeiten berücksichtigt. Zeiten, in denen Bezieher von Blinden- und Sonderpflegegeld Beiträge zur FZR gezahlt haben, werden zwar als Pflichtbeitragszeiten anerkannt; es wird aber nur der tatsächlich versicherte Verdienst oberhalb von 600 DM monatlich bei der Rente berück- sichtigt. Dies hat zur Folge, dass sich aus der dem Grunde nach versicherungspflichtigen Beschäftigung je nach Lage des Falles keine oder nur eine sehr geringfügige Er- höhung der ab dem 65. Lebensjahr zu zahlenden Alters- rente ergibt. Die Auswirkungen auf die Rentenhöhe sind je nach in- dividueller Versicherungsbiografie unterschiedlich. Be- sonders nachteilig wirkt sich das geltende Recht bei Personen aus, die – vor Einführung des einheitlichen Bei- tragsrechts ab 1. Januar 1992 – eine Beschäftigung noch nach Vollendung des 55. Lebensjahres ausgeübt haben, weil Zurechnungszeiten wegen des Bezuges einer Er- werbsminderungsrente bislang nur bis zum vollendeten 55. Lebensjahr und die Zeit zwischen dem 55. und 60. Le- bensjahr zu einem Drittel anrechenbar waren. Mit der geplanten Rechtsänderung sollen die sich nach dem bisherigen gesamtdeutschen Rentenrecht ergeben- den Nachteile bei der Berechnung von Folgerenten für In- validenrentner und Bezieher von Blinden- und Sonder- pflegegeld aufgrund der besonderen beitragsrechtlichen Vorschriften des DDR-Rechts beseitigt werden. Insbeson- dere die Anerkennung von Pflichtbeitragszeiten nach dem vollendeten 55. Lebensjahr wird zur Erhöhung dieser Fol- gerenten führen. Die Verbesserungen sollen rückwirkend für die Zeit ab dem 1. September 2001 gezahlt werden. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Bündnisfall aufheben (Tagesordnungspunkt 15) Markus Meckel (SPD): Bevor ich auf den Antrag der PDS im Einzelnen eingehe, möchte ich die Vorgeschichte des hier zur Debatte stehenden NATO-Beschlusses in Er- innerung rufen. Die schrecklichen Terroranschläge vom 11. September 2001 haben nicht nur New York und Wa- shington getroffen, sondern sie haben die gesamte freie Welt erschüttert. Der Schock sitzt noch immer tief. Skru- pellose Attentäter ermordeten über 3 000 unschuldige Zi- vilisten. Menschen aus über 80 Nationen starben in den Trümmern des World Trade Centers in New York. Zu- gleich richtete sich der Angriff gegen Symbole der Welt- macht USAund der liberalen internationalen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Das konnten wir nicht tatenlos hinnehmen! Die Reaktion der internationalen Gemeinschaft war eindeutig und unmissverständlich. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verurteilte schon am 12. September in der grundlegenden Resolution 1368 die Anschläge von New York und Washington einmütig, also mit chinesi- scher und russischer Zustimmung. Er stellte erstmals fest, dass terroristische Anschläge eine Bedrohung des Welt- friedens und der internationalen Sicherheit darstellen. Der Weltsicherheitsrat hat damit eine Weiterentwicklung des bisherigen Völkerrechts vorgenommen und die Voraus- setzungen für ein entschiedenes, auch militärisches Vor- gehen gegen den Terrorismus geschaffen, das auf dem Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung beruht. Der NATO-Rat signalisierte den Vereinigten Staaten noch am gleichen Tag die Bereitschaft, erstmals den Bünd- nisfall nach Art. 5 des Washingtoner Vertrages zu erklären. Am 4. Oktober 2001 stellte der NATO-Rat fest, dass die Anschläge ihren Ursprung im Ausland hatten, und be- schloss den Bündnisfall. Über 50 Jahre hatten die USAdie Sicherheit in Europa garantiert und alle waren davon aus- gegangen, dass im Zweifelsfall die USAden europäischen oder kanadischen Verbündeten beistehen würden. Nun zeigte sich: Die transatlantische Solidarität gilt in beide Richtungen. Dies war eine wichtige Erfahrung für unsere amerikanischen Verbündeten. Auf dieser Grundlage ge- lang es der US-Administration in den Wochen nach dem Anschlag, eine globale Koalition gegen den Terrorismus zu schmieden, der sich weit über 100 Staaten, neben Russ- land und China auch beinah alle muslimischen Staaten, an- schlossen. Nachdem das Taliban-Regime mehrere Ultimaten hatte verstreichen lassen, den Drahtzieher der Anschläge, Osama Bin Laden, auszuliefern und die terroristische In- frastruktur im Lande zu zerstören, begannen die USA am 7. Oktober mit der militärischen Operation „Enduring Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2002 23283 (C) (D) (A) (B) Freedorm“. Zunächst handelten hauptsächlich US-Trup- pen allein. Nur britische Verbände baten sie, sich zu be- teiligen. Die Beiträge anderer Verbündeter und Partner beschränkten sich anfänglich auf logistische Unterstüt- zung, die Bereitstellung von Militärbasen und Überflug- rechte. Später wurden selektiv bestimmte Kapazitäten an- derer Alliierter angefragt. Der Deutsche Bundestag hat am 16. November 2001 der Entsendung von bis zu 3 900 Sol- daten zugestimmt, die überwiegend logistische und de- fensive Aufgaben übernehmen. Die effektive Kombina- tion von US-Luftangriffen und Bodenoperationen der von Russland seit Jahren unterstützten oppositionellen Nord- allianz führte unerwartet schnell zum Zusammenbruch des Taliban-Regimes. Damit wurde dem terroristischen Netzwerk Bin Ladens die wichtigste Operationsbasis ent- zogen. Der Freudentaumel der Bevölkerung in Afghanis- tan zeigte, dass die Mehrheit das Ende des tyrannischen Regimes als Befreiung empfindet. Die militärischen Operationen bahnten den Weg für ei- nen politischen Neuanfang in Afghanistan nach 22 Jahren Bürgerkrieg. Einen ersten Schritt bildete das unter UN- Vermittlung und mit maßgeblicher Unterstützung der Bun- desregierung am 5. Dezember 2001 zustande gekommene „Bonn Agreement“. Die wichtigsten politischen Kräfte ha- ben sich dabei auf eine zweijährige Übergangsphase zur Normalisierung des politischen Lebens und die Bildung einer multiethischen, parteiübergreifenden Übergangsre- gierung unter Hamid Karzai verständigt. Angesichts der zahlreichen Kriegsherren und verbliebener Taliban-An- hänger wird die Übergangsregierung durch die Internatio- nal Security Assistance Force in der Hauptstadt Kabul ge- schützt. Die ISAF wurde auf der Basis eines UN-Mandates gebildet und steht bis Mai 2002 unter britischer Führung. Danach leitet die Türkei die Operation. Deutschland hat im März das taktische Kommando über die in Kabul operie- rende multinationale Brigade erhalten und zur Führung ei- nen integrierten multinationalen Stab gebildet. Die Frie- denstruppe soll der Stabilisierung der Lage dienen und die Voraussetzungen für den Beginn des Wiederaufbaus schaf- fen. Eine internationale Geberkonferenz in Tokio hat zur Unterstützung Afghanistans in den nächsten fünf Jahren bereits 5 Milliarden Dollar zugesagt. Deutschland allein wird dazu in den nächsten vier Jahren Millionen von Euro beitragen. Die Lage im Land ist aber weiterhin instabil und es zeigen sich starke Wiederstandsnester von al-Qaida- und Taliban-Kämpfern. Ist die Gefahr damit gut acht Monate nach den An- schlägen vom 11. September gebannt? Die Antwort lautet leider: Nein. Die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus dauert an. Der schreckliche Selbstmordan- schlag auf die Synagoge von Ghirba auf der tunesischen Insel Djerba vom 11. April sollte reichen, um jedem von uns in Erinnerung zu rufen, dass sich diese Bedrohung auch gegen uns richtet. 16 Menschen kamen bei der Ex- plosion eines Tanklastzuges in den Flammen um. Über- wiegend waren die Opfer deutsche Touristen. Die bisheri- gen Ermittlungen weisen darauf hin, dass es sich bei den Tätern um Mitglieder einer islamistischen Organisation handelt, die über Verbindungen zu al-Qaida verfügt. Auch wenn sich derzeit noch nichts Abschließendes über die Urheber und ihre Ziele sagen lässt, zeigt dieser Anschlag, dass Warnungen vor weiteren Anschlägen in den USAund andernorts ernst zu nehmen sind. Wir können nicht ein- fach die Hände in den Schoß legen. Die Urheber der Anschläge vom 11. September sind noch nicht dingfest gemacht worden. Mit dem Sturz des Taliban-Regimes wurde zwar die Operationsbasis al-Qai- das in Afghanistan weitgehend zerstört, aber das interna- tionale terroristische Netzwerk besteht fort. Das zeigt die Festnahme einer Reihe von Mitgliedern der Gruppe Al- Tawhid in dieser Woche in Deutschland. In Afghanistan ist selbst die militärische Phase in der Auseinanderset- zung mit dem Terrorismus noch nicht abgeschlossen. Af- ghanistan ist ein Testfall für die Glaubwürdigkeit der Ko- alition gegen den Terror. Zu den vorrangigen Aufgaben gehört eine Stabilisierung der Übergangsregierung und das Anlaufen des wirtschaftlichen Wiederaufbaus. Aber noch immer leisten bis zu 5 000 Kämpfer al-Qaidas und der Taliban im Land Widerstand beziehungsweise for- mieren sich in Pakistan neu. Sie sind auszuschalten. Nur dann kann der Wiederaufbau des Landes dauerhaft erfolg- reich verlaufen und können die Wurzeln des Terrorismus gekappt werden. Der Einfluss der Übergangsregierung beschränkt sich bislang weitgehend auf den Raum Kabul, wo die Regierung von ISAF geschützt wird. In den ande- ren Regionen häufen sich in den letzten Monaten die Aus- einandersetzungen zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen und lokalen Führern, die um die Vormachtstel- lung ringen. Da eine Ausweitung des ISAF-Mandats über Kabul hinaus aufgrund der notwendigen Vergrößerung des Umfangs der Truppe keine Chance hat, ist es wichtig, die Übergangsregierung beim Aufbau einer nationalen Armee zu unterstützen. In der Zwischenzeit werden Ver- bände der USA und ihrer Verbündeten im Rahmen der Operation „Enduring Freedom“ auch Aufgaben bei der Gewährleistung der Sicherheit außerhalb Kabuls über- nehmen. Auch hier ist also noch kein Zeichen zur Ent- warnung in Sicht. Das Militär kann zwar nur einen be- grenzten Beitrag zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus leisten; aber dieser Beitrag ist essenziell. Wie ich bereits zuvor ausgeführt habe, war die Er- klärung des Bündnisfalls nach Art. 5 ein wichtiges Zei- chen transatlantischer Solidarität. Am Ende Ihres Antra- ges räumt auch die PDS ein, der Antrag habe keine NATO-Operation nach sich gezogen. Mithin gibt es auch rechtlich keine Maßnahme, die außer Kraft zu setzen wäre. Militärisch würde sich also gar nichts ändern. Kein einziger deutscher Soldat müsste zurückgezogen werden. Der Antrag ist also eigentlich gegenstandslos. Aber ich möchte nicht nur formal argumentieren. Was wären die politischen Folgen, wenn wir uns derzeit im Bündnis für eine Aufhebung einsetzen würden? Angesichts der fort- dauernden Bedrohung durch den internationalen Terroris- mus – selbst durch die konkrete Organisation aI-Qaida – würde der Vorstoß bei unseren Verbündeten auf absolutes Unverständnis stoßen. Wir wären isoliert. Man würde da- ran zweifeln, dass wir wirklich eine gemeinsame Haltung im Kampf gegen den Terrorismus einnehmen. Unsere amerikanischen Verbündeten würden dies nicht nur als Zeichen von Unentschlossenheit, sondern als Misstrauen- serklärung gegenüber ihrer Führung, der internationalen Koalition gegen den Terrorismus und der Operation Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 200223284 (C) (D) (A) (B) „Enduring Freedom“ werten. Dies würde die Beziehun- gen zu unserem wichtigsten Partner auf lange Sicht be- lasten. Daher müssen wir einen solchen Vorstoß mit Nachdruck ablehnen. Wir werden als SPD-Fraktion gegen den Antrag der PDS stimmen. Im Übrigen möchte ich Sie daran erinnern, dass die Er- klärung des Bündnisfalls keine Generalermächtigung dar- stellt. Jedes Mitgliedsland entscheidet souverän, welchen Beitrag es zur Abwendung einer Bedrohung leistet und an welchen konkreten Operationen der NATO es sich betei- ligt. Diese Aussage gilt analog für die US-geführte Ope- ration „Enduring Freedom“. Abschließend möchte ich auf Folgendes hinweisen: Wenn die Sicherheitslage dies zulässt, ist es jederzeit im Konsens aller NATO-Mitglieder möglich, den Bündnis- fall durch einen neuerlichen Beschluss des NATO-Rates zu beenden. Wenn dieser Zeitpunkt gekommen ist, wird dies sicherlich geschehen. Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Befreit man den Antrag der PDS zur Aufhebung des Bündnisfalles von sei- nem juristischen Pulverdampf und schaut man auf die in- haltliche Substanz, so wird eins deutlich: Es geht der PDS nicht um eine korrekte Anwendung völkerrechtlicher Normen, auch wenn es auf den ersten Blick so scheinen mag. Wie egal ihr völkerrechtliche Normen und Grundsätze sind, hat sie ja eindrucksvoll bewiesen, als Gregor Gysi Slobodan Milosevic hofierte. Die PDS will nur eins: die Solidarität mit den USA aufkündigen und Deutschland international isolieren. Dazu ist ihr offen- sichtlich jedes Mittel recht und kein Preis zu hoch. Ihren antiamerikanischen Ressentiments freien Lauf lassend ist die PDS auch bereit, den Kampf gegen den internationa- len Terrorismus aufzugeben und weitere Opfer dieses Ter- rorismus hinzunehmen. Von Anfang an war die PDS ge- gen den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr und das Bündnis mit den USA. Und nun versucht sie, auf juristi- schen Schleichwegen ihr Ziel zu erreichen. Ich werde mich mit der in dem Antrag enthaltenen ju- ristischen Argumentation nicht weiter auseinander setzen, sondern mich auf die zentralen Aussagen Ihres Papiers be- schränken. Ihre Behauptung, eine reale Verteidigungssituation ge- gen einen gegenwärtigen Angriff auf die USA oder ihre Verbündeten sei nicht mehr gegeben, ist falsch. Gerade die Ereignisse der letzten Tage und Wochen müssen doch auch Ihnen deutlich gemacht haben, wie konkret und ge- genwärtig die von islamistischen Terroristen ausgehende Bedrohung für uns alle ist. Ich will Ihnen noch einmal die wichtigsten Ereignisse nennen und empfehle künftig den Blick in die Tageszeitung. In Frankfurt stehen mutmaßliche Terroristen vor Ge- richt, die ein Attentat auf die jüdische Synagoge in Straß- burg geplant haben. Ein Angeklagter hat ausgesagt, er habe zuvor ein Jahr in afghanischen Lagern verbracht. Drei Monate Glaubensschule der Taliban und neun Mo- nate Militärlager waren seine Schulung. Vor wenigen Tagen wurden zwölf palästinensische Is- lamisten in Deutschland verhaftet. Es besteht der begrün- dete Verdacht, dass mindestens diese zwölf Männer terro- ristische Anschläge in Deutschland geplant haben. Auch ein Kontakt zur al-Qaida Osama bin Ladens wird nicht aus- geschlossen: Der Generalbundesanwalt hat mitgeteilt, dass die Gruppe durch die gemeinsame Ausbildung in Lagern in Afghanistan entstanden sei. Wörtlich sagte er: „Da diese Lager überwiegend von al-Qaida finanziert werden, ist es nahe liegend, dass hier auch Verbindungen bestehen.“ Der Name der Organisation, der diese Männer an- gehören, ist Al Tawhid. Er bedeutet Einheit Gottes und ist für Fachleute Programm. Nicht die friedliche Missionie- rung ist das Ziel, sondern die Missionierung mit Feuer und Schwert. Die westliche Kultur und die angeblichen Feinde des Islam sollen vernichtet werden. Und dafür ste- hen die USA, Israel und deren Verbündete. Auch Deutsch- land steht also auf der „Schwarzen Liste“. Die Ermittler decken jeden Tag neue, internationale Netzwerke von Terroristen auf. Und immer wieder stoßen sie auf die Begriffe Afghanistan, Taliban oder al-Qaida. Internationale Truppen, die Truppen, die Sie zurückrufen wollen, sind bei der Suche nach al-Qaida- und Tali- bankämpfern in Afghanistan auf weitere Waffenlager ge- stoßen. Im Südosten des Landes haben die Soldaten Depots mit Handfeuerwaffen, Raketen und Munition gefunden. Auch die Befürchtung, dass Terroristen in der Lage sind, Massenvernichtungswaffen herzustellen, besteht weiter. Was jetzt ans Licht kommt, ist nur die Spitze des Eis- bergs. Viel zu lange hatten die Terroristen Zeit, Pläne zu schmieden und ein weltweites Verbindungsnetz aufzu- bauen, ungestört und in aller Ruhe. Und da wagen Sie zu behaupten, eine Bedrohung bestehe nicht mehr. Wollen Sie das tatsächlich den Opfern des Terroranschlages auf Djerba und deren Angehörigen erklären? Die Terroristen tragen Angst, Mord und Unglück bis vor unsere Haustür und Sie wollen allen Ernstes behaupten, es bestehe keine Gefahr mehr? Sie behaupten weiter, die UNO habe mit der Entsen- dung der ISAF nach Kabul alle notwendigen Maßnahmen im Sinne von Art. 51 der UNO-Charta ergriffen. Folge sei, dass das kollektive Selbstverteidigungsrecht nach Art. 5 des NATO-Vertrages verdrängt werde. Dies ist falsch. Art. 5 des NATO-Vertrages bestimmt, dass Maßnahmen der individuellen und kollektiven Selbstverteidigung ein- zustellen sind, wenn der UN-Sicherheitsrat seinerseits Maßnahmen zur Wiederherstellung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit eingeleitet hat. Um solche Maßnahmen zur Wiederherstellung des in- ternationalen Friedens und der internationalen Sicherheit handelt es sich bei der Entsendung der ISAF nach Kabul aber gerade nicht. Und das wissen Sie auch. Denn Sie sa- gen selber, dass der Auftrag der ISAF darauf beschränkt ist, der afghanischen Interimsregierung bei der Herstel- lung und Aufrechterhaltung der Sicherheit in und um Ka- bul beizustehen. Es handelt sich um nationale Friedenssi- cherung. Der internationale Frieden und die internationale Sicherheit werden hingegen ausschließlich durch den Einsatz von „Enduring Freedom“ gesichert. Und wie sehr der internationale Frieden und die internationale Sicher- heit gefährdet sind, habe ich an anderer Stelle ja bereits er- wähnt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2002 23285 (C) (D) (A) (B) Sie berufen sich auf Kofi Annan. Mir ist nicht bekannt, dass Kofi Annan den von der NATO ausgerufenen Bünd- nisfall und den Einsatz von NATO-Truppen im Rahmen von „Enduring Freedom“ kritisiert und als völkerrechts- widrig abgelehnt hätte. Es ist vielmehr so, dass „Enduring Freedom“ in Übereinstimmung mit UN-Resolutionen statt- findet. Da Sie ja schon mit der Erinnerung an Ereignisse der jüngsten Vergangenheit Schwierigkeiten zu haben schei- nen, können Sie sich sicherlich auch nicht so gut an die Geschehnisse aus dem September und Oktober des ver- gangenen Jahres erinnern. Daher noch einmal eine kurze Darstellung der Ereignisse. Bereits am 12. September 2001 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat die Resolu- tion 1368 (2001), in der die Anschläge als Bedrohung für den internationalen Frieden und die internationale Sicher- heit qualifiziert werden. Die Resolution bestätigt die Not- wendigkeit, alle erforderlichen Schritte gegen solche Be- drohungen zu unternehmen, und unterstreicht das Recht zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung. Ebenfalls am 12. September 2001 beschloss der NATO- Rat, dass die Terrorangriffe, sofern sie von außen gegen die USA gerichtet gewesen seien, als Angriffe auf alle Bündnispartner im Sinne der Beistandsverpflichtung des Art. 5 des NATO-Vertrages zu betrachten seien. Mit der Resolution 1368 vom 28. September 2001 hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zur Bekämp- fung des internationalen Terrorismus mit allen politi- schen, wirtschaftlichen, polizeilichen und gesetzgeberi- schen Maßnahmen aufgerufen. Sprecher der al-Qaida haben öffentlich weitere Angriffe auf die USA angekün- digt und andere dazu aufgerufen. Wie dieser Aufruf um- gesetzt wurde und, wenn wir nicht aufpassen, auch künf- tig umgesetzt werden wird, habe ich an anderer Stelle ja bereits ausgeführt. Am 2. Oktober 2001 legten die USAim NATO-Rat dar, dass die Angriffe nachweislich von außen gegen die USA gerichtet waren. Daraufhin bekräftigte und präzisierte der NATO-Rat am 4. Oktober 2001 die Beistandsverpflich- tung aus Art. 5. Damit ist auch die Bundesrepublik Deutschland aufgefordert, im Rahmen der kollektiven Selbstverteidigung zu Maßnahmen der Bündnispartner gegen den Terrorismus beizutragen. Am 7. Oktober 2001 unterrichteten die USA und das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen über ihre Maßnahmen zur Bekämp- fung des Terrorismus gemäß Art. 51 der Satzung der Ver- einten Nationen im Rahmen der Operation „Enduring Freedom“. In seiner Presseerklärung vom 8. Oktober 2001 würdigte der Präsident des Sicherheitsrats der Ver- einten Nationen die Unterrichtung durch diese beiden Staaten und bekräftigte die Entschlossenheit, die Resolu- tion 1368 (2001) und die ergänzende, am 28. September 2001 verabschiedete Resolution 1373 (2001) vollständig umzusetzen. Deutschland beteiligt sich damit an einer Koalition aus vielen Staaten der Welt, die dem Aufruf des Sicherheits- rates der Vereinten Nationen gefolgt sind. Zur Bekämp- fung des Terrorismus bedarf es eines langfristigen, strate- gischen Ansatzes. Der Einsatz militärischer Mittel ist unverzichtbar, um die terroristische Bedrohung zu bekämpfen und eine Wiederholung von Angriffen wie am 11. September 2001 nach Möglichkeit auszuschließen. Natürlich handelte es sich bei der Ausrufung des Bünd- nisfalls auch um eine politische Solidaritätserklärung. Sie versuchen, Deutschland als willigen und unkritischen Ge- folgsmann der Vereinigten Staaten darzustellen. Das ist falsch. Was die europäischen NATO-Partner gemacht ha- ben, war, die Solidarität zu leisten, die sie von den USA in den Dekaden des Kalten Krieges erwartet und um ein Vielfaches erhalten haben. Dies gilt auch und gerade für Deutschland, dessen Freiheit und Wohlstand ohne das Engagement der Vereinigten Staaten undenkbar gewesen wäre. Folgerichtig waren es auch nicht die USA, die im Nordatlantikrat die Bündnissolidarität einforderten. Die Initiative ging stattdessen von Generalsekretär George Robertson aus. Diese Solidarität kann man von einer Par- tei, die ihre Herkunft aus der SED ableitet und damit für die Teilung Deutschlands und Europas mitverantwortlich ist, natürlich nicht erwarten. Sie wollen nur eins: Sie wollen politisches Kapital schlagen aus einer vorgezogenen Diskussion um die wei- tere Entsendung deutscher Soldaten nach Afghanistan. Nachdem Sie durch ihre Verweigerungshaltung in der ers- ten Entsendedebatte bereits gehofft hatten, die Pazifisten abzugrasen, die sich bei den Grünen nicht mehr zu Hause fühlen, versuchen Sie nun, dieses Thema für den Wahl- kampf zu nutzen. Dies ist unredliches Spiel. Hildebrecht Braun (Augsburg) (FDP): Normaler- weise wäre ich unglücklich, weil ich nur dreieinhalb Mi- nuten habe, um die Stellungnahme für die FDP abzuge- ben. Heute reicht diese Zeit üppig aus. Die Stellungnahme ist nämlich kurz und bündig. Wir werden dem Antrag der PDS nicht folgen. Die Gründe in aller Kürze: Dass die NATO nach dem 11. September des vergangenen Jahres erstmalig den Bündnisfall beschlossen hat, war nicht nur nachvollzieh- bar, sondern notwendig. Der Bundestag hat sich dieser Er- klärung der Regierungschefs nahezu einmütig ange- schlossen. Die Gründe für die Erklärung des Bündnisfalls waren primär die, dass alle NATO-Staaten die Bedrohung durch internationalen Terrorismus als nicht nur gegen die USA, sondern gegen den nicht moslemischen Teil der Welt ins- gesamt gerichtet wahrgenommen haben. In erster Linie ging es den NATO-Staaten darum, ihre Solidarität mit den USA auszudrücken, zugleich wurde aber auch erklärt, dass die NATO-Staaten den Kampf ge- gen al-Qaida und vergleichbare terroristische Strukturen gemeinsam führen wollen. Es hat sich nun gezeigt, dass die USA die Unterstüt- zung der NATO als Institution gar nicht in Anspruch ge- nommen haben. Vielmehr schallt uns der Spruch noch im Ohr: „We will call you, when we need you.“ Die NATO, die bis zum 11. September 2001 als das Machtzentrum der Welt angesehen wurde, wurde von den Amerikanern gar nicht gefordert, da die USA das Thema selbst zu lösen trachteten. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 200223286 (C) (D) (A) (B) In der Zwischenzeit sind zwar Soldaten aus verschie- denen NATO-Staaten im globalen Zusammenhang der Terrorismusbekämpfung aktiv geworden. So sind deut- sche Soldaten nicht nur in Afghanistan, sondern in Dschi- buti, in Kenia und in Kuwait tätig. Das Mandat für diese Auslandseinsätze beruht aber nicht auf dem NATO-Bünd- nisfall, sondern auf entsprechenden Beschlüssen des Si- cherheitsrates der Vereinten Nationen, die den Deutschen Bundestag zu entsprechenden Ermächtigungsbeschlüssen veranlasst haben. Ich will es in aller Deutlichkeit ausdrücken: Die USA haben auch weiterhin unsere Solidarität. Wir sehen uns im gemeinsamen Kampf gegen die neue Bedrohung der Frei- heit der Menschen in der Welt, die mit dem Stichwort Terrorismus umschrieben wird. Gerade die NATO als eine Wertegemeinschaft fühlt sich den USA hier nach wie vor besonders verbunden. So wird es auch in der nahen Zu- kunft bleiben. Es gibt keinen Grund, weder einen politischen noch ei- nen rechtlichen, weswegen ausgerechnet der Deutsche Bundestag darauf drängen sollte, den Solidaritätsbeschluss der NATO aufzuheben. Ein solcher Beschluss wäre ein Si- gnal, das nirgends in der Welt verstanden würde. Er ist von der Sache her nicht geboten. Ganz im Gegenteil: Er würde nur Probleme schaffen, die wir nicht wollen. Es mag sein, dass die PDS noch immer nicht die Be- deutung der weltweiten Bedrohung durch Terrorismus er- kannt hat. Der Bundestag hat oft zu diesem Thema disku- tiert. Es ist zwar betrüblich, wenn Kollegen im Bundestag die Botschaft, hinter der immerhin vier von fünf Fraktio- nen stehen, nicht verstehen wollen oder können. Wir müs- sen wohl weiter mit der Wahrnehmung leben, dass die PDS in der Welt von heute noch nicht angekommen ist. An diesem Umstand werden wir heute Nacht auch nichts ändern können. Deutschland ist sich seiner Verantwor- tung für den Frieden bewusst. Dies wollen wir auch heute nochmals klarstellen. Dr. Ludger Volmer, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Am 11. September sind schlagartig Albträume zur Wirklichkeit geworden. Ein zu allem bereiter Terrorismus hat die Menschen und die Regierung der Vereinigten Staa- ten von Amerika angegriffen, aber es hätte auch jede an- dere offene Gesellschaft treffen können. Vom ersten Au- genblick an war klar, dass dieser Angriff auf unseren wichtigsten Bündnispartner uns allen galt, unserer Vor- stellung von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten, und dass die USA unserer Solidarität bedurften, dass Deutsche und Europäer in der Pflicht waren, die Solida- rität jetzt unsererseits zu leisten. Wir müssen uns gemein- sam der Gefahr stellen. Allen Beteiligten war zum Zeitpunkt dieser Entschei- dungen klar, dass die Bekämpfung der terroristischen Strukturen der al-Qaida eine ungewohnte Herausforde- rung ist, die einen langen Atem erfordert: Der Gegner ist nicht ein Staat, sondern eine international organisierte und weltweit agierende Gruppierung von Terroristen. Das Netzwerk dieser Terrorgruppe in Afghanistan konnte zwar weitgehend zerschlagen werden. Insbesondere konnte das Taliban-Regime, das dieser Gruppierung Beherbergung und Schutz bot, abgelöst werden. Das Ziel einer nachhaltigen Zerschlagung der al- Qaida Strukturen ist aber noch nicht erreicht. Die al-Qaida verfügt weiter über Stützpunkte in Afghanistan, Mitglie- der des Netzwerks haben in anderen Regionen Basen so- wie Führungs- und Ausbildungseinrichtungen. Sprecher der al-Quaida haben sich nicht nur zu den Anschlägen vom 11. September bekannt, sondern öffentlich weitere Angriffe gegen die USA angekündigt und andere dazu aufgerufen. Dies nicht ernst nehmen zu wollen, wäre völ- lig verantwortungslos. Ich erinnere daran: Schon der Anschlag auf den Nord- turm des World Trade Centers in New York 1993 hatte das Ziel, den Nord- und den Südturm zum Einsturz zu brin- gen. Auf diese versuchten Attentate haben die USA da- mals lediglich politisch und strafrechtlich, nicht jedoch militärisch reagiert. In den USAwird nun eine Debatte da- rüber geführt, ob das nicht ein Fehler war. Nach den jüngsten Androhungen der al-Quaida werden weitere An- schläge folgen, wenn wir sie nicht verhindern können, wenn wir den Terroristen nicht das Handwerk legen. Unsere Gesellschaften bleiben verwundbar. Die kon- krete Bedrohung, so die gemeinsame Überzeugung der NATO-MS, ist nicht beendet. Das zeigen nicht nur aktu- elle Ermittlungen der Bundesanwaltschaft. Auch die To- ten und Verletzten auf Djerba sind Opfer des Terrorismus. Die Ihrem Antrag zugrunde liegende Behauptung, die Bedrohung bestehe nicht mehr, ist vor diesem Hinter- grund völlig realitätsfern. Sie suggerieren eine Illusion, der wir uns nicht hingeben können, auch wenn die USA mit ihren Bündnispartnern an der Seite ohne Zweifel wichtige Erfolge erzielt haben. Es besteht daher kein An- lass, die Grundlagen für die Aufrechterhaltung des Art. 5 infrage zu stellen. Das deutsche militärische Engagement ist legitimiert, berechenbar und verhältnismäßig. Es hält sich in jeder Einzelheit an das Völkerrecht. Es kommt für uns nicht in Frage, uns in militärische Abenteuer hinein ziehen zu las- sen. Unsere militärische Beteiligung an der Terrorismus- bekämpfung hält sich strikt an die Aufgaben, die durch die einschlägigen Resolutionen des VN-Sicherheitsrates im Zusammenhang mit den Terrorangriffen auf die USA, durch die Anrufung des Art. 5 des NATO-Vertrages und durch den Beschluss des Bundestages vom 16. November 2001 vorgegeben sind. Auch die in Kuweit eingesetzten deutschen Streitkräfte sind selbstverständlich an das vom Deutschen Bundestag am 16. November 2001 erteilte Mandat gebunden. Die Bundesregierung wird diese Kräfte auch weiterhin nur nach Maßgabe dieses Mandats einsetzen. Schon deshalb steht die Präsenz deutscher ABC-Abwehrkräfte in Kuweit in keinem Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion über die auch von der EU geteilten Aufforderung an die irakische Führung, ihre Verpflichtungen aus den einschlä- gigen Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Na- tionen – insbesondere die Wiederzulassung der Inspektio- nen gemäß SR-Resolution 1284 – zu erfüllen. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat festge- stellt, dass das Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung gegeben ist und in seiner Resolution 1373 von 28. September die Mitgliedstaaten der VN zur Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2002 23287 (C) (D) (A) (B) Bekämpfung des internationalen Terrorismus mit politi- schen, wirtschaftlichen, polizeilichen und gesetzgebe- rischen Maßnahmen aufgerufen. Das Atlantische Bündnis hat die Feststellung getroffen, dass die Beseitigung dieser Bedrohung gemeinsame An- gelegenheit ist. Dabei beschränkt sich das Engagement des Bündnisses nicht auf politische Rückendeckung. Die NATO ist zum Beispiel auf Bitten der USAzum Schutz des amerikanischen Luftraumes seit Oktober 2001 engagiert. Der Deutsche Bundestag hat dies bei mehreren Gele- genheiten, am 19. September 2001 und bei der Entschei- dung über die Beteiligung der Bundeswehr an den Opera- tionen von „Enduring freedom“ am 16. November 2001, mit Nachdruck unterstützt. Bei all dem bleibt klar: Deutschland wird weiterhin keine Chance ungenutzt lassen, um mit politischen Mit- teln an der Bewältigung der Ursachen für Hass und damit an den Ursachen des internationalen Terrorismus zu ar- beiten. In Afghanistan hat die entschlossene Strategie der politischen Stabilisierung, die von Deutschland maßgeb- lich mitgestaltet wurde, eine Umkehr der Entwicklungen bewirkt. Noch ist der Erfolg der Befriedung Afghanistans und seiner Befreiung vom Terrorismus nicht gesichert, doch haben die Bildung einer Übergangsregierung in Ka- bul und der Beginn des Wiederaufbaus wichtige Voraus- setzungen geschaffen, dass das Land seinen Weg zurück in die Staatengemeinschaft findet. Unsere Außen- und Sicherheitspolitik ist von Verläss- lichkeit, Zielstrebigkeit und von Ausdauer gekennzeich- net. Sie wollen Sprunghaftigkeit, Kurzatmigkeit und Selbsttäuschung einziehen lassen. Damit das nicht ge- schieht, muss dieser Antrag abgelehnt werden. Darum bitte ich das Haus. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 200223288 (C)(A) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423300000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen
vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:

1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der SPD und
des BÜNDNISSES 90/Die GRÜNEN: Haltung der Bundes-
regierung zu aktuellen Vorschlägen, in der GKV die Lohn-
fortzahlung zu kürzen und die Vorleistungspflicht der
Krankenversicherten einzuführen (siehe 232. Sitzung)


2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Rühe, Karl
Lamers, Christian Schmidt (Fürth), weiterer Abgeordnerter und
der Fraktion der CDU/CSU): Eine deutliche gemeinsame
europäische Position für eine gerechte Friedenslösung im
Nahen Osten – Drucksache 14/8862 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

3. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-
wärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Petra Bläss, Dr. Heinrich Fink, Wolfgang Gehrcke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Die Gewalt-
spirale im Nahen Osten beenden – Drucksachen 14/8271,
14/8877 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Christoph Moosbauer
Karl Lamers
Christian Sterzing
Dr. Helmut Haussmann
Wolfgang Gehrcke

4. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren

(Ergänzung zu TOP 34)

a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, der

CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Grundgesetzes (Staatsziel Tierschutz) – Drucksache
14/8860 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

b) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Fortentwicklung der
sozialen Pflegeversicherung – Drucksache 14/8864 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek,
Matthias Wissmann, Kurt-Dieter Grill, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der CDU/CSU: Kein Emissionszertifi-
katehandel zum Nachteil des Wirtschaftsstandortes
Deutschland – Drucksache 14/8852 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Michael
Meister, Dirk Fischer (Hamburg), Eduard Oswald, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Verbrau-
cherschutz im Bereich des öffentlichen Personenver-
kehrs noch immer unzureichend – Drucksache 14/8853 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft

5. Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache

(Ergänzung zu TOP 35)

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung

eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Grundstoffüberwachungsgesetzes – Drucksache 14/8387 –

(Erste Beratung 224. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ge-
sundheit (14. Ausschuss) – Drucksache 14/8882 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Ruth Fuchs

b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesund-

(Erste Beratung 227. Sitzung)


23111


(C)



(D)



(A)



(B)


233. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 25. April 2002

Beginn: 9.00 Uhr

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ge-
sundheit (14. Ausschuss) – Drucksache 14/8883 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Hans Georg Faust

6. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:
Haltung der Bundesregierung zu den Wachstumsprogno-
sen derWirtschaftsforschungsinstitute in ihrem Frühjahrs-
gutachten 2002

7. Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra Ernstberger, Uta
Zapf, Rainer Arnold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD sowie der Abgeordneten Angelika Beer, Rita
Grießhaber, Dr. Helmut Lippelt, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDISSES 90/DIE GRÜNEN: Für eine Wei-
terentwicklung der humanitären Rüstungskontrolle bei
Landminen – Drucksache 14/8858 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

8. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-
wärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Irmer, Joachim
Günther (Plauen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP: Für eine europäische Ausrichtung der deutschen Afri-
kapolitik – Drucksachen 14/5090, 14/8849 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Joachim Tappe
Carl-Dieter Spranger
Rita Grießhaber
Dr. Helmut Haussmann
Wolfgang Gehrcke

9. Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache am
Freitag
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung

eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung
der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft auf dem

(Öko-Landbaugesetz – ÖLG)

zung)
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ver-

(10. Ausschuss)

Berichterstattung:
Abgeordnete Marita Sehn

b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschus-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423300100
Sammelübersicht 383 zu Petitionen
– Drucksache 14/8871 –

c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschus-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423300200
Sammelübersicht 384 zu Petitionen
– Drucksache 14/8872 –

d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschus-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423300300
Sammelübersicht 385 zu Petitionen
– Drucksache 14/8873 –

e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschus-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423300400
Sammelübersicht 386 zu Petitionen
– Drucksache 14/8874 –

Von der Frist für den Beginn der Beratung soll – soweit
erforderlich – abgewichen werden.

Darüber hinaus wurden folgende Änderungen verein-
bart: Tagesordnungspunkt 17 – NATO-Erweiterung – soll
bereits heute nach der Nahostdebatte aufgerufen werden,
Tagesordnungspunkt 4 – Beschäftigungspolitik – soll an
zweiter Stelle am Freitag beraten werden, Tagesord-
nungspunkt 6 – Situation in der Landwirtschaft – soll ab-

gesetzt, dafür Tagesordnungspunkt 19 – Demographi-
scher Wandel – an diese Stelle vorgezogen werden. Die
Vorlagen unter Tagesordnungspunkt 20 werden bis auf
den Antrag unter Buchstabe c, der ohne Debatte überwie-
sen werden soll, abgesetzt. Dafür soll an dieser Stelle Ta-
gesordnungspunkt 29 – Waffenrecht – beraten werden.
Die Vorlagen unter Tagesordnungspunkt 26 – Gentech-
nikgesetz – sollen abgesetzt werden.

Außerdem mache ich auf nachträgliche Ausschussüber-
weisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:

Der in der 230. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll dem Haus-
haltsausschuss nicht mitberatend, sondern nur gemäß
§ 96 GO überwiesen werden.

Von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachter Entwurf
eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Regio-
nalisierungsgesetzes – Drucksache 14/8781 –
überwiesen:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Der in der 230. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur
Mitberatung überwiesen werden.

Antrag der Abgeordneten Klaus Haupt, Jürgen
Türk, Dr. Irmgard Schwaetzer, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der FDP: Für ein faires
Rentenrecht für das ehemalige mittlere medizi-
nische Personal – Drucksache 14/7612 –
überwiesen:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentribüne
hat der Präsident des Parlaments der Republik Est-
land, Herr Dr. Toomas Savi, mit einer Abgeordneten-
delegation Platz genommen. Ich darf Sie von hier aus im
Namen des ganzen Hauses herzlich willkommen heißen.


(Beifall)

Die Wiederherstellung der Unabhängigkeit Estlands

und die Wiedervereinigung Deutschlands haben ihre ge-
meinsame Wurzel in der Überwindung der Teilung Euro-
pas im Jahre 1989. Uns verbindet seither in besonderem
Maß der Wunsch nach einer gesicherten Existenz in ei-
nem freien und geeinten Europa. Bei meinem Besuch in
Estland konnte ich feststellen, mit welch bewundernswer-
ter Konsequenz Ihr Land seine volle Integration in die Eu-
ropäische Union und die Atlantische Allianz anstrebt. Ich
hoffe, dass Sie bei Ihren Begegnungen hier in Berlin und
morgen in Thüringen spüren können, mit wie viel Sym-
pathie wir Sie auf diesem Weg begleiten.

Ich danke Ihnen für Ihren Besuch und wünsche Ihnen
noch einen angenehmen Aufenthalt in unserem Land.


(Beifall)





Präsident Wolfgang Thierse
23112


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 sowie die Zusatz-
punkte 2 und 3 auf:

3. Abgabe einer Regierungserklärung durch den
Bundeskanzler
zur Lage im Nahen Osten

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Rühe, Karl Lamers, Christian Schmidt (Fürth),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Eine deutliche gemeinsame europäische Posi-
tion für eine gerechte Friedenslösung im Nahen
Osten
– Drucksache 14/8862 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Bläss, Dr. Heinrich Fink, Wolfgang Gehrcke, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Die Gewaltspirale im Nahen Osten beenden
– Drucksachen 14/8271, 14/8877 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Christoph Moosbauer
Karl Lamers
Christian Sterzing
Dr. Helmut Haussmann
Wolfgang Gehrcke

Zur Regierungserklärung liegt je ein Entschließungs-
antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen sowie der Fraktion der FDP vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung
zwei Stunden vorgesehen, wobei die PDS 15 Minuten er-
halten soll. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so be-
schlossen.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
Bundeskanzler Gerhard Schröder.


(von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit Beifall begrüßt)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Der furchtbare Terroranschlag auf der tunesischen Insel
Djerba, aber auch die Aufdeckung eines terroristischen
Netzwerks, das offenbar auch Attentate in Deutschland
vorbereitet hatte, haben uns allen erneut die fortdauernde
Gefahr durch einen brutalen und sinnlosen Terrorismus
vor Augen geführt.

Ich will auch von dieser Stelle aus noch einmal den
Hinterbliebenen der Opfer von Djerba mein tief empfun-
denes Beileid aussprechen und den Verletzten, wie ich

denke, unser aller Wünsche für eine baldige und vollstän-
dige Genesung übermitteln.


(Beifall im ganzen Hause)

Die Bundesregierung wird alles in ihren Kräften Ste-

hende tun, um dieses schreckliche Verbrechen rückhaltlos
aufzuklären, die Täter, aber auch ihre Hintermänner auf-
zuspüren und, wo immer uns möglich, auch zu bestrafen.
Gewalt und Terror gegen unschuldige Zivilisten, all dies
werden wir auch weiterhin mit aller Entschiedenheit
bekämpfen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der PDS)


Die jüngsten Fahndungserfolge haben gezeigt, dass wir
in dieser Hinsicht auf die Kenntnisse, auf die Entschlos-
senheit und auf die Effizienz unserer Sicherheitsorgane
bauen können. Ich bin ihnen und all den dort Beschäftig-
ten für ihre schwierige, aber eben auch erfolgreiche Arbeit
sehr dankbar.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der PDS)


Terror und Gewalt schon im Ansatz zu bekämpfen, das
gilt für New York, das gilt für Washington, das gilt ebenso
für Djerba und für den gesamten Nahen Osten, eine Re-
gion, der wir uns als europäische Nachbarn auf so vielfäl-
tige Weise besonders verbunden fühlen. Die Terroran-
schläge in Israel schockieren uns ebenso wie die Bilder
von zivilen Opfern auf palästinensischer Seite. Wir alle
haben ein eminentes Interesse daran, dass das Leiden so
vieler unschuldiger Menschen im Nahen Osten endlich
ein Ende findet.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Genau das hat der amerikanische Präsident, George W.
Bush, gemeint, als er gesagt hat: „Genug ist genug.“ Das
ist in der Tat so.

Bevor ich auf die Einzelheiten des Nahostkonfliktes zu
sprechen komme, gestatten Sie mir noch einen kurzen
Rückblick. Erinnern wir uns: Noch unter dem Schock der
Ereignisse vom Vortag haben wir uns am 12. September
vergangenen Jahres hier, im Deutschen Bundestag, ver-
sammelt, um unsere Solidarität mit den Vereinigten Staa-
ten von Amerika zum Ausdruck zu bringen und um wirk-
same Maßnahmen zu ergreifen, terroristische Strukturen
zu zerschlagen und nicht zuletzt auf diese Weise dem Ter-
rorismus weltweit den Nährboden zu entziehen.

Der 11. September – das ist gewiss wahr – hat die Welt
verändert. Auch für Deutschland ging nicht zuletzt an die-
sem Tag eine Etappe deutscher Nachkriegszeit vorbei. In
bislang nicht gekannter Weise mussten wir uns unserer in-
ternationalen Verantwortung neu stellen und haben es
auch getan. Wir haben mit Unterstützung dieses Hauses
einen wichtigen Beitrag zur globalen und umfassenden
Terrorismusbekämpfung geleistet: durch Verstärkung
der politischen, der wirtschaftlichen und der kulturellen
Zusammenarbeit, aber auch durch unser militärisches




Präsident Wolfgang Thierse

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(C)



(D)



(A)



(B)


Engagement im Rahmen der internationalen Allianz ge-
gen den Terror und nicht zuletzt in der Sicherheitsunter-
stützungstruppe in Afghanistan, in Kabul.

In Afghanistan hat die internationale Gemeinschaft ei-
nen wichtigen Etappensieg im Kampf gegen den Terro-
rismus errungen. Diesen wichtigen Etappensieg gilt es
auszubauen, damit denen, die für die Untaten des Terro-
rismus vielleicht noch anfällig sind, den Massen, die als
politischer Hintergrund benutzt werden, klar wird, dass
die zivilisierte Staatengemeinschaft gleichsam eine Auf-
baudividende für die Rückkehr in ebendiese zivilisierte
Staatengemeinschaft zahlt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nicht unwichtig ist, dass die Konferenz auf dem
Petersberg bewiesen hat, dass die internationale Ge-
meinschaft und mitten in ihr Deutschland unter Führung
der Vereinten Nationen durchaus in der Lage ist, auch
schwierigste Konflikte politisch zu lösen. Das ist – das ist
zu unterstreichen – eine ermutigende Botschaft für die
Menschen in unserem Land und darüber hinaus, eine Bot-
schaft, die uns auch Ansporn für die Lösung der Krise im
Nahen Osten sein sollte.

Ebenso wie auf dem Balkan kommt es jetzt darauf an,
nach dem Krieg den Frieden zu gewinnen. Das gilt nicht
zuletzt für Afghanistan.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist der Grund, warum sich Deutschland in besonderer
Weise beim Wiederaufbau des Landes engagiert – huma-
nitär, im Hinblick auf die Ausstattung mit Bildungsein-
richtungen, aber eben auch wirtschaftlich. Deshalb habe
ich eine Einladung der Übergangsregierung akzeptiert,
Afghanistan zusammen mit einer Wirtschaftsdelegation
in den nächsten zwei Wochen zu besuchen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe in
vielen Gesprächen auch mit denjenigen, mit denen wir uns
ansonsten politisch hart auseinander setzen, gemerkt, dass
es keinen Zweifel daran geben kann: Die aktuelle Ent-
wicklung im Nahen Osten erfüllt uns mit tiefer Sorge. Ich
denke, das gilt für alle in diesem Hohen Hause. Eine wei-
tere Zuspitzung des Konflikts gefährdet nicht nur unsere
wirtschaftlichen Interessen, sondern eben auch unsere po-
litischen; mehr noch, sie gefährdet unser aller Sicherheit.
Den Konfliktparteien muss endlich klar werden, dass es
keine militärische Lösung des Konfliktes geben kann.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS)


Das vorrangige Ziel aller internationalen Bemühungen
ist es gegenwärtig, einen tragfähigen Waffenstillstand,
den Rückzug der israelischen Truppen gemäß den Reso-
lutionen 1402 und 1403 des Weltsicherheitsrates sowie
die Rückkehr zu einer politischen Perspektive zu errei-
chen. Die Bundesregierung unterstützt gemeinsam mit
ihren europäischen Partnern nachdrücklich alle interna-
tionalen Friedensbemühungen. Ich begrüße daher, dass
Javier Solana jetzt erneut in die Region gereist ist.

Auf der Konferenz der Außenminister der Europä-
ischen Union und der Mittelmeeranrainer am vergangenen
Montag haben auch die Vertreter der beiden Konfliktpar-
teien deutlich erklärt, dass sie ein gemeinsames Engage-
ment Europas und der Vereinigten Staaten wünschen.

Niemand hat eine Zauberformel für die Lösung des
schon so lange andauernden Konfliktes, der mit histori-
schen Ängsten, aber eben auch mit historischen An-
sprüchen mehr als überlastet ist. Lassen Sie mich vor die-
sem Hintergrund noch einmal sehr deutlich sagen: Das
Eintreten für das Existenzrecht und die Sicherheit
Israels in anerkannten Grenzen war und bleibt unver-
äußerliche Grundlage deutscher Außenpolitik.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das war immer Konsens aller Parteien in diesem Haus.
Ungeachtet der Auseinandersetzungen über Details unse-
rer Nahostpolitik habe ich die Hoffnung, dass dieser
Grundkonsens der demokratischen Parteien in Deutsch-
land bestehen bleibt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der PDS und des Abg. Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU])


Lassen Sie mich eines hinzufügen: Üblicherweise – das
ist ja nicht falsch – wird dieser Grundkonsens nicht zuletzt
dadurch begründet, dass wir auf die schreckliche Ge-
schichte hinweisen, auf den Holocaust, verursacht von
Deutschen, der uns unauflöslich mit Israel verbindet und
der unsere besondere Verantwortung deutlich macht. Das
ist gewiss richtig – und das bleibt für alle Zeiten richtig.

Aber mir geht es darum, dass deutlich wird, dass noch
etwas anderes ebenfalls richtig ist: Uns verbindet mit
Israel eine intakte und funktionierende Demokratie, eben
auch ein Grundkonsens über die Werte, die Demokratie
ausmachen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es gibt – das ist mir wichtig zu betonen – in dieser Region
nicht so schrecklich viele funktionierende Demokratien.
Hier liegt, ganz jenseits der historischen Verantwortung,
ein höchst aktueller Grund für unsere enge und unauflös-
liche politische Beziehung.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Natürlichmuss das,was ich gesagt habe,Konsequenzen
haben, und genau diese Konsequenzen hat es in unserer
Politik. Es bedeutet nämlich, dass wir aufgrund unserer
historischen Verantwortung, aber auch aufgrund der
Verteidigung gemeinsamer Werte keine Embargo- oder
Boykottmaßnahmen gegen Israel beschließen oder mit-
tragenund schongar nicht selbstwelche verhängenwerden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der PDS)





Bundeskanzler Gerhard Schröder
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(B)


Ich will ganz unmissverständlich sagen: Israel bekommt
das, was es für die Aufrechterhaltung seiner Sicherheit
braucht, und es bekommt es dann, wenn es gebraucht
wird.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Ach so!)

Als Freunde Israels haben wir aber auch das Recht und

die Pflicht, unsere Stimme offen und gelegentlich auch öf-
fentlich zu erheben. Ohne eine umfassende politische Lö-
sung, welche die Schaffung eines lebensfähigen palästi-
nensischen Staates einschließen muss, wird es für Israel
und für die Region keine dauerhafte Sicherheit geben.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS)


Schon der ermordete Premierminister und Friedensnobel-
preisträger Yitzhak Rabin hatte erkannt: Israel wird sich,
schon um seiner eigenen Sicherheit willen, auf Dauer dem
Gedanken nicht verschließen können, widerrechtlich er-
richtete Siedlungen in den Palästinensergebieten zu räu-
men, wie das im Übrigen von vielen gewichtigen Stim-
men in Israel selbst und in der dortigen Öffentlichkeit
immer wieder gefordert wird.

Zu einer Lösung gehört auch, dass die Palästinenser als
gleichberechtigte Nachbarn und Verhandlungspartner mit
Würde und mit Respekt behandelt werden.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS)


In der so genannten Berliner Erklärung haben die Staats-
und Regierungschefs der Europäischen Union im März
1999 hier in Berlin ihre Überzeugung geäußert, dass

die Schaffung eines demokratischen, existenzfähigen
und friedlichen souveränen palästinensischen Staates
auf der Grundlage bestehender Vereinbarungen und
auf dem Verhandlungsweg die beste Garantie für die
Sicherheit Israels und seine Anerkennung als gleich-
berechtigter Partner in der Region ist.

Dies ist die ganze Zeit über und auch schon vorher die
Leitlinie deutscher Außenpolitik gewesen, die mit Ent-
schiedenheit und mit einem hohen Maß an Sensibilität
innerhalb und außerhalb der Region von Bundesaußen-
minister Fischer immer wieder vertreten worden ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Diese Überzeugung kommt inzwischen auch in der Be-
schlusslage des Weltsicherheitsrates zum Ausdruck.

Genau auf dieser Basis und parallel dazu hat der Bun-
desaußenminister ein Ideenpapier entwickelt, das den
Weg zu einem Waffenstillstand mit einer politischen Lö-
sungsperspektive aufzeigt. Seine international anerkann-
ten Bemühungen verdienen, so denke ich, die Unterstüt-
zung des gesamten Hohen Hauses.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Diese Wegskizze versucht, verschiedene Lösungs-
ansätze zusammenzufügen und, indem sie das tut, sie
auch weiterzuentwickeln. Sie enthält einen verbindlichen
Zeitplan sowie internationale Garantien und – auch das ist
wichtig – eine Sicherheitskomponente.

Die Konfliktparteien sind nicht mehr imstande – das hat
sich erwiesen –, allein zu einer politischen Lösung zu ge-
langen. Deshalb ist es entscheidend, dass die Vereinigten
Staaten, die Europäische Union, die Vereinten Nationen,
aber nicht zuletzt auch Russland bei den weiteren Frie-
densbemühungen eng zusammenarbeiten, so wie das in
Madrid auf der Konferenz derVier deutlich geworden ist.

Dieses erste Treffen des so genannten Quartetts in
Madrid fand vor der Reise des amerikanischen Außenmi-
nisters Powell statt, die ich übrigens nicht für einen Miss-
erfolg, sondern für einen wichtigen Schritt auf dem Weg
hin zu einer politischen Lösung halte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dass diese Vier zusammengekommen sind, zusammen-
bleiben wollen und – wie ich hoffe – auch zusammen-
bleiben werden, um zu einer politischen Lösung zu kom-
men, ist, denke ich, für die friedliche Entwicklung im
Nahen Osten ein wichtiger Schritt, ein Schritt nur, keine
Frage, aber ein eminent wichtiger Schritt.

Die Bundesregierung begrüßt den Vorschlag, eine in-
ternationale Konferenz einzuberufen, bei der neben den
Vereinigten Staaten, der Europäischen Union, Russland
und den Vereinten Nationen naturgemäß auch die wich-
tigsten Akteure im Nahen Osten selbst eingebunden wer-
den müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung sieht darüber hinaus – das wi-
derspricht dem Plan von Bundesaußenminister Fischer
nicht – in der Initiative des saudi-arabischen Kronprinzen,
die auf dem Gipfel derArabischen Liga von allen arabi-
schen Staaten verabschiedet wurde, ein ganz bedeutendes
Signal. Im Kern geht es dabei um eine Friedensperspek-
tive für die gesamte Region. Im Kern geht es dabei auch
darum, dass nicht nur von der internationalen Staaten-
gemeinschaft, sondern auch von den arabischen Staaten
selbst die Integrität des Staates Israel ein für alle Mal an-
erkannt wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aus eigener Erfahrung wissen gerade wir Europäer,
dass die dauerhafte Sicherung von Frieden und Wohlstand
nur über regionale Zusammenarbeit und durch Integration
erreicht werden kann. Die Konflikte auf dem Balkan und
in Afghanistan haben uns gelehrt, dass wir nicht den Feh-
ler machen dürfen, den Sicherheitsbegriff, nach dem wir
politisch handeln, nach dem wir übrigens auch Ressour-
cen verteilen, nur auf das Militärische zu verengen.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr wahr!)

Das ist wichtig und in manchen historischen Phasen

leider sehr wichtig geworden, um Frieden zu erringen.
Aber die jüngere Geschichte lehrt uns auch, dass jede
Verengung dessen, was wir unter Sicherheit verstehen,
auf das Militärische allein uns eben nicht dauerhaft
Sicherheit garantiert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)





Bundeskanzler Gerhard Schröder

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(A)



(B)


Vor diesem Hintergrund gilt aber auch das Umge-
kehrte. Wir haben bitter lernen müssen – auch in diesem
Hohen Hause –, dass es historische Situationen gibt, in
denen Frieden eben doch nur unter Zuhilfenahme mi-
litärischer Mittel erreicht werden kann. Deshalb müssen
wir uns davor hüten, in alte Vorstellungen zurückzufallen
und alte Tabus wieder zu errichten.

Im Nahen Osten – das ist klar – steht die Frage einer
deutschen Beteiligung an einer internationalen Sicher-
heitskomponente heute nicht auf der Tagesordnung.
Aber wir stehen zu unserer Verantwortung gegenüber
dieser Region. Wir werden auch in Zukunft unsere
internationalen Verpflichtungen der Staatengemein-
schaft gegenüber erfüllen. Dabei werden wir von Fall zu
Fall über den Umfang unserer Beteiligung nach dem Ge-
sichtspunkt entscheiden, was wir leisten können und was
wir sinnvoll und effizient leisten sollten. Dass dabei
auch besondere historische Sensibilitäten beachtet wer-
den müssen, habe ich immer wieder betont und dabei
bleibt es auch.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aktuell geht es darum, mithilfe der internationalen Ge-
meinschaft schnellstmöglich den Einstieg in einen erneu-
ten Verhandlungsprozess mit dem Ziel einer umfassen-
den politischen Lösung zu finden. Die Gewalt im Nahen
Osten hat ein für niemanden mehr erträgliches Ausmaß
erreicht. Der Terror muss ein Ende finden. Die Menschen
in Israel und Palästina müssen endlich wieder ein Leben
ohne Angst, aber auch ohne wirtschaftliche Not führen
können. Auch das verlangt unsere Unterstützung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Glasklar muss sein, dass die Bundesregierung von der
palästinensischen Autonomiebehörde, insbesondere von
Präsident Arafat, aber auch den anderen arabischen Füh-
rern, klare Worte und Taten gegen den Terror und eine
Rückkehr zu dem in Oslo vereinbarten Prinzip, dass keine
Seite Terror und Gewalt als Mittel zur Erreichung politi-
scher Ziele einsetzen darf, braucht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der PDS)


Man muss hinzufügen, dass es aufseiten von Präsident
Arafat an dieser Entschiedenheit in der Vergangenheit lei-
der häufig genug gefehlt hat.

Auf der anderen Seite appellieren wir an die israelische
Regierung, alle Resolutionen des Weltsicherheitsrates zu
erfüllen und jetzt insbesondere den Hausarrest von Präsi-
dent Arafat aufzuheben. Nur so kann er seiner Verant-
wortung und seinen Verpflichtungen nachkommen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS)


Die Lösung des Nahostkonflikts stellt eine der größten
Herausforderungen für die internationale Politik dar. Wir
Deutschen können, selbst wenn wir wollten, dabei nicht
abseits stehen, schon deshalb nicht, weil wir selbst
betroffen sind. Wir werden auch weiterhin alle nur er-

denklichen Anstrengungen unternehmen, um das Leben
und die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger unseres
Landes zu schützen. Wir haben bereits unmittelbar nach
dem 11. September unsere Entschlossenheit zum Han-
deln unter Beweis gestellt, die innere Sicherheit unseres
Landes zu gewährleisten, ohne dabei die Prinzipien der
Rechtssicherheit und der Rechtsstaatlichkeit zu beein-
trächtigen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die jüngsten Fahndungserfolge bestätigen uns in un-
serem Kurs. Mit § 129 b haben wir nun auch eine rechts-
staatliche Handhabe geschaffen, um die Aktivitäten ter-
roristischer – ich betone: terroristischer – Gruppen und
Netzwerke auf deutschem Boden strafrechtlich nachhal-
tiger als in der Vergangenheit zu verfolgen.

Die innere Sicherheit in Deutschland gewährleisten
wir aber auch durch verstärkte Anstrengungen zur Inte-
gration der bei uns lebenden Minderheiten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir dürfen und wir werden nicht zulassen, dass sich in der
Bundesrepublik Parallelgesellschaften bilden, die mei-
nen, sich den Gesetzen und der Verantwortung des Zu-
sammenlebens in unserer demokratischen Gesellschaft
entziehen zu können. Das werden wir nicht dulden und
dagegen werden wir mit aller Entschiedenheit vorgehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der PDS)


Aber genauso klar muss sein, dass wir dieses so
schwierige, so sensible Feld nicht irgendwelchen Popu-
listen von rechts überlassen, die in unverantwortlicher
Weise Ängste und Hass schüren.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS – Zuruf von der CDU/CSU: Und von links!)


Wohin ein solcher oberflächlicher und populistischer Um-
gang mit speziell diesem Thema führen kann, haben wir
gerade gemeinsam mit unseren Freunden in Frankreich
erleben müssen.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr wahr!)

Ich habe nicht den geringsten Zweifel an der demokrati-
schen Reife des französischen Volkes. Ich sage aus eige-
ner Kenntnis sehr deutlich: Ich bin froh darüber, dass es
einen solch untadligen Demokraten und überzeugten
Europäer wie Jacques Chirac gibt – er wird sicher mit
überwältigender Mehrheit als Präsident wiedergewählt –,


(Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD] – Lachen bei der CDU/CSU)


der dafür sorgen wird, dass Rechtspopulisten wie Le Pen
in Frankreich und anderswo keine Chance haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS – Michael Glos [CDU/CSU]: Auslaufendes Modell Jospin!)





Bundeskanzler Gerhard Schröder
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(D)



(A)



(B)


Meine Damen und Herren, die Verantwortung, von der ich
eben gesprochen habe, ist auch Ihre Verantwortung. Wir
werden sehen, ob und wie Sie sie wahrnehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Zu unserer Verantwortung für die innere Sicherheit
gehört aber auch, dass wir dem Terrorismus den Nährbo-
den und seine falsche Berufungsgrundlage entziehen. Wir
wollen und müssen Israel, den Palästinensern und unseren
anderen arabischen Partnern daher aktiv dabei helfen,
eine dauerhafte Friedens- und Wohlstandsperspektive
zu erhalten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nach der Überwindung des Ost-West-Gegensatzes darf
im Süden der Europäischen Union keine neue Sicher-
heits- und Wohlstandsgrenze entstehen. Das können wir
nur erreichen, wenn wir gemeinsam mit unseren Freunden
und Verbündeten und im Rahmen der Vereinten Nationen
als zuverlässiger – ich betone: zuverlässiger – Partner un-
serer gewachsenen internationalen Verantwortung weiter-
hin gerecht werden.

Angesichts neuer internationaler Bedrohungen, aber
auch angesichts unserer Position nach der Erlangung der
vollen Souveränität haben wir uns heute internationalen
Verpflichtungen zu stellen, die für unsere Partner in Eu-
ropa und in der Welt längst selbstverständlich geworden
sind. Wir tun dies; wir tun dies in Solidarität und in Ver-
folgung klarer Prinzipien: für Frieden, für nachhaltige
Entwicklung, für Rechtssicherheit und Interessenaus-
gleich. Unserer Verantwortung kommen wir im Rahmen
unserer Möglichkeiten nach, aber auch nach Maßgabe
dessen, was die internationale Staatengemeinschaft billi-
gerweise von uns erwarten kann.

Unsere Lage in Europa, aber auch unsere historische
Verantwortung gebieten uns, dass wir mit Nachdruck für
eine Konfliktregelung, für friedlichen Interessenaus-
gleich, für Entwicklungs- und Wohlstandsperspektiven
insbesondere im Nahen Osten – aber nicht nur dort – ein-
treten. Das war und das ist die Politik der Bundesregie-
rung, die wir gemeinsam mit unseren Partnern in Europa
verfolgen und umsetzen. Wir tun dies, damit statt Terror
und Trümmern endlich wieder Hoffnung und Sicherheit
den Alltag der Menschen im Nahen Osten und möglichst
überall in der Welt bestimmen.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423300500
Ich erteile das Wort
dem Ministerpräsidenten des Freistaates Bayern, Edmund
Stoiber.

Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident (Bayern)


(von der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident!

Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Lage im
Nahen Osten ist inzwischen für alle Beteiligten verzwei-
felt. Die Bilder von grausam zugerichteten israelischen

Opfern des Terrors und von den schrecklichen Leiden der
Palästinenser sind für jeden schmerzlich, ja unerträglich.

Die große Tragik dieser Region ist, dass dort seit über
einem Jahrhundert zwei Ansprüche aufeinander prallen,
die in einem schier unlösbaren Konflikt miteinander ste-
hen. Terror, Unterdrückung und Gewalt verschärfen die
Lage für die schwer getroffenen Menschen in der Region.
Ich glaube, dass wir alle darin einer Meinung sind, dass
dies keine Mittel zur Lösung des Konflikts sind. Sie ver-
schärfen den Konflikt ins bisher unvorstellbar Grausame.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ulrich Heinrich [FDP])


Wir alle verurteilen sie auf das Schärfste. Niemand kann
angesichts solch schrecklicher Bilder einfach wieder zur
Tagesordnung übergehen. Wir müssen alles tun, was in
unseren Kräften und in unseren Möglichkeiten steht, um
einen Beitrag zur Herstellung des Friedens im Nahen
Osten zu leisten.

Der Konflikt im Nahen Osten ist das beherrschende
Thema in der Außenpolitik. Ich habe heute gelesen und
bin auch immer wieder darauf angesprochen worden, dass
die heutige Debatte ein Duell zwischen dem Kanzler und
seinem Herausforderer sein wird.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Oje!)

Das halte ich angesichts der Tragik der Situation und vor
allen Dingen der vielen Opfer dieses Konflikts für völlig
abwegig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])


Ich spreche für die Union in diesem Hause. Uns ist
natürlich an einer verantwortungsvollen deutschen
Außenpolitik gelegen. Nach dem Ende des Kalten Krie-
ges sind Deutschland neue Aufgaben in der Außen- und
Sicherheitspolitik zugewachsen. Von uns Deutschen wird
erwartet, dass wir sehr viel stärker als bisher Verantwor-
tung für Frieden und Freiheit auf unserem Kontinent und
in der Welt übernehmen, wie das auch andere europäische
Nationen tun.

Dass Deutschland in schwieriger Situation dazu bereit
und fähig ist, hat die Bundesregierung unter Helmut Kohl
schon Anfang der 90er-Jahre auf dem Balkan unter Be-
weis gestellt. Damals gab es leider keinen so großen Kon-
sens, wie es ihn heute gibt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist sehr vorsichtig ausgedrückt!)


Bei allen Überlegungen, deutsche Soldaten einzuset-
zen, ist auf fortwirkende historische Belastungen Rück-
sicht zu nehmen. Das gilt in besonderem Maße bei der
Frage eines deutschen Engagements in Israel und im Na-
hen Osten. Bei aller Gemeinsamkeit in diesen Fragen
müssen wir gerade angesichts des Ernstes dieses Themas
in diesem Hohen Hause deutlich ansprechen, wo die Un-
terschiede zwischen der Bundesregierung und der Oppo-
sition liegen, wenn es um einen deutschen Friedensbeitrag
im Nahen Osten geht.




Bundeskanzler Gerhard Schröder

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(C)



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(A)



(B)


Herr Bundeskanzler, meines Erachtens haben Sie
durch Ihre Äußerungen auf der Kommandeurstagung der
Bundeswehr in Hannover am 8. April gezeigt, dass Sie
den geschichtlichen Hintergrund eines deutschen Enga-
gements in Israel völlig verkennen. Sie haben laut darüber
nachgedacht, dass deutsche Soldaten daran beteiligt sein
könnten – ich zitiere –,

die Konfliktparteien, wenn es eine Chance gibt, eine
friedliche Entwicklung durch Druck von außen ein-
zuleiten, auch zu trennen und dafür eben auch – legi-
timiert durch die Vereinten Nationen – militärische
Mittel einzusetzen.

Auf die besorgte Frage eines Kommandeurs nach einer
Beteiligung der Bundeswehr an einer internationalen
Friedenstruppe haben Sie unwidersprochen gesagt – ich
zitiere noch einmal –:

Das wäre sicherlich eine zu theoretische Debatte
über Eier, die noch nicht gelegt sind.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist auch richtig!)

Aber ich will wenigstens so weit gehen, Ihnen fair
auf Ihre Frage zu antworten, dass ich das, was in der
Frage intendiert war, nicht ausschließen kann und
will.

(Zuruf von der SPD: Haben Sie auch eine ei gene Meinung, Herr Stoiber?)

Auch wenn Sie in der Zwischenzeit Ihre Aussagen re-

lativieren, sage ich Ihnen: In dieser Frage unterscheiden
wir uns grundsätzlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir sind zu jeder möglichen politischen und humanitären
Hilfeleistung bereit.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Aha!)

Aber vor dem Hintergrund unserer Geschichte wird es
im Nahostkonflikt einen Einsatz deutscher Soldaten
– selbst unter UNO-Mandat – mit unserer Zustimmung
nicht geben.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der PDS)


Auch wenn heute das Verhältnis Deutschlands zu Israel
gut und freundschaftlich ist, wird es angesichts der Opfer
des Holocausts immer ein besonderes Verhältnis sein.
Dieses besondere Verhältnis besteht auch in der schreck-
lichen Konfliktsituation, in der sich der ganze Nahe Osten
zurzeit befindet.

In dem Land, in dem viele heilige Stätten, zum Beispiel
die Geburtskirche in Bethlehem, liegen, mit denen gläu-
bige Menschen Symbole für Hoffnung und Frieden ver-
binden, herrschen Terror und Krieg. Zwei Völker erheben
Anspruch auf dasselbe Stück Erde. Dabei geht es nicht nur
um gegensätzliche territoriale Ansprüche. Hinter diesen
Ansprüchen steht ein tiefer, religiös begründeter Konflikt,
der sich im Streit um Jerusalem zuspitzt. Diese Stadt ist
beiden Seiten heilig. Wenn sich aber beide Seiten darauf
berufen und unnachgiebig auf ihrer Position beharren,
dann mündet das geradezu zwangsläufig in einen blutigen

Konflikt ohne jede Bereitschaft zur Versöhnung. Aber nur
Offenheit und Toleranz gegenüber dem anderen Stand-
punkt führen zu einer politischen Lösung dieses Konflikts.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf von der SPD: Das musst du gerade sagen!)


Obwohl dieser Konflikt nicht in erster Linie ökono-
misch oder sozial begründet ist, wird er durch die enorme
Spreizung des Pro-Kopf-Einkommens zwischen Israelis
und Palästinensern erheblich verschärft. Konzepte, die
diese religiösen, ökonomischen und sozialen Gegensätze
außer Acht lassen, werden keinen Erfolg haben. Palästi-
nenser beklagen, dass sich die Israelis überheblich benäh-
men. Sie fühlen sich innerhalb Israels als Bürger zweiter
Klasse, erst recht in den 1967 eroberten Gebieten. Neben
den wirtschaftlichen und rechtlichen Benachteiligungen
empfinden sie vor allem eine tiefe Verletzung ihres per-
sönlichen und des nationalen Stolzes. Palästinenser be-
harren auf dem Recht der Rückkehr in ihre angestammte
Heimat. Sie empfinden die israelischen Siedlungen als
Dorn im eigenen Fleisch.

Die Israelis befürchten von der Rückkehr der Flücht-
linge eine massive Veränderung der Bevölkerungsstruk-
tur, mit Auswirkungen auf den Charakter ihres jüdischen
Staates. Bis heute hat die große Mehrheit der arabischen
Staaten Israel nicht anerkannt und ist dem Land feindlich
gesinnt.

Was die Menschen in dieser Region zurzeit durchma-
chen, das ist eine der schlimmsten Heimsuchungen, die
eine zivilisierte Gesellschaft erleben kann. Wäre Deutsch-
land in gleicher Weise wie Israel von Terroranschlägen
betroffen, dann würde das gewaltige Ausmaß von Furcht,
Angst und Schrecken weite Teile des öffentlichen Lebens
lähmen. Es ist eine schreckliche Vorstellung, dass sich in
deutschen Städten kein Mensch mehr in ein Restaurant
wagen könnte. Die Marktplätze und Einkaufszentren
wären leer, weil man fürchten müsste, jederzeit Opfer ei-
nes Terroranschlags zu werden. Das ist doch die Lage, in
der sich Israel zurzeit befindet.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Menschen haben Angst, weil sie wissen, dass vor
kurzem in ihrer Nachbarschaft ein Selbstmordattentäter
für Tod und Verwüstung gesorgt hat und dass dies jeder-
zeit wieder geschehen kann.

Trotz einer Vielzahl von Treffen, von Vereinbarungen
und Plänen dreht sich die Spirale von Hass und Gewalt
weiter. Ihr können die Konfliktparteien nur entkommen,
wenn beide Seiten die gewaltsamen Auseinandersetzun-
gen umgehend beenden. Dabei muss allen klar sein, dass
sie zu schmerzhaften Kompromissen bereit sein müssen.
Denn Tatsache ist: Heute lebt Israel mit weniger Sicher-
heit und mit weniger Frieden. Daran hat die Politik von
Ministerpräsident Scharon, der mit dem Versprechen an-
getreten ist, mehr Sicherheit für Israel zu schaffen, nichts
geändert, leider ganz im Gegenteil. Die Palästinenser ha-
ben durch den Rückfall zum Terror und ihren Griff zum
Mittel des menschenverachtenden Selbstmordattentats
viel Vertrauen in der Welt verloren.




Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber (Bayern)

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(C)



(D)



(A)



(B)


In der jetzigen Situation ist es mehr denn je Aufgabe
der politischen Führung beider Seiten, beiden Völkern die
dringende Notwendigkeit von Kompromissen unge-
schminkt zu vermitteln. Wir appellieren an die israelische
Regierung, die UNO-Kommission zur Untersuchung der
Vorgänge in Dschenin zu unterstützen, damit die schwe-
ren Anschuldigungen entkräftet werden können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das darf nicht die Quelle für eine neue furchtbare Runde
von Terror und Gewalt werden. Genauso appellieren wir
an Arafat und die palästinensische Führung, für ein Ende
des Terrors zu sorgen, damit es zu einem Waffenstillstand
kommt.

Wir stehen – hier sind wir in der Tat aufgrund unserer
gesamten geschichtlichen Erfahrungen einer Meinung –
ohne Einschränkungen zum Existenzrecht Israels in
Frieden und in gesicherten Grenzen. Dazu gehört auch,
ohne Terrorangst leben zu können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich habe heute mit Befriedigung zur Kenntnis genom-

men, dass Sie, Herr Bundeskanzler, kein Embargo oder
Boykottmaßnahmen gegen Israel beschließen oder mit-
tragen werden.


(Unruhe bei der SPD)

Aber angesichts der vorangegangenen Fragen und Irrita-
tionen haben wir natürlich schon ein Anrecht zu wissen:
Was haben Sie zurückgehalten und was liefern Sie jetzt?
Auch hierzu hatte ich heute eine klare Antwort erwartet.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP– Hans Georg Wagner [SPD]: Sie haben selbst doch nichts gesagt!)


Meine Damen und meine Herren, wir unterstützen aber
auch die Ansprüche des palästinensischen Volkes auf ei-
nen eigenen Staat. CDU und CSU treten ein für eine Re-
gion, in der zwei Staaten, Israel und Palästina, Seite an
Seite innerhalb sicherer und von allen Nachbarn aner-
kannter Grenzen leben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich halte es auch deswegen für notwendig, diese De-

batte zu führen, sie vielleicht öfter zu führen, weil ich
glaube, dass unsere Bevölkerung über die Ursachen und
die Schwierigkeit dieses Konflikts Informationen
braucht, die gerade auch in der politischen Debatte ent-
stehen, damit es gar nicht erst zu Einseitigkeiten in der
Bewusstseinslage kommt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Solange dieser Konflikt nicht gelöst ist, bleibt er ein
Nährboden für weltweiten Terror. Er war der Hintergrund
für das Olympia-Attentat 1972 in München. Er war nicht
allein, aber auch der Hintergrund für den Terrorkrieg, der
am 11. September Amerika direkt und damit letztlich mit-
telbar der gesamten freien Welt erklärt wurde. Er ist auch
eine Ursache für das Attentat von Djerba, dessen Opfern
und deren Angehörigen unser tiefstes Mitgefühl gilt. Wie
die jüngsten Ermittlungen deutscher Behörden aufgedeckt

haben, liegen Knoten des Terrornetzes in Europa, mitten in
Deutschland. Kein Konflikt rechtfertigt Terror. Aber es ist
die bittere Realität, dass wir mit dieser Bedrohung leben.
Niemand weiß, wo der Terror morgen oder übermorgen
zuschlägt und wie viele Opfer er noch fordert.

Der Schlüssel für die Lösung des Konflikts liegt ganz
entscheidend in den USA.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist mal was Neues!)


Zusammen mit der Europäischen Union, mit Russland
und der UNO und gemeinsam mit den arabischen Nach-
barn Israels können sie einen Beitrag zu einer dauerhaften
Lösung des Konflikts zwischen Israelis und Palästinen-
sern und zum Frieden in der Region leisten.

Ich bin ein überzeugter Verfechter einer Gemeinsamen
Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union.


(Unruhe bei der SPD – Hans Georg Wagner [SPD]: Aha! Das ist was Neues!)


Ich bin auch der Meinung, dass in Europa in Zukunft ein
höheres Maß an Zuständigkeit vorhanden sein muss.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP] – Joachim Poß [SPD]: Das musste mal gesagt werden!)


Bei aller Wertschätzung der nationalen Souveränitäten,
die gerade in der Außenpolitik zum Ausdruck kommen –
hier brauchen wir mit Sicherheit eine Weiterentwicklung
gerade auch aus der Säule drei in die Säule eins der euro-
päischen Verträge. Sie würde eine europäischere Außen-
und Sicherheitspolitik ermöglichen, sie würde das trans-
atlantische Bündnis festigen. Das gilt gerade auch im Ver-
hältnis zum Nahen Osten.

Leider hat der Fischer-Friedensplan, der jetzt vom
Bundeskanzler sozusagen zu einer Wegskizze herabge-
stuft wird, dazu keinen glücklichen Beitrag geleistet.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, Stoiber!)


Besser wäre es gewesen, wenn er ihn in die Beratungen
der Europäischen Union eingebracht und mit den USAab-
gestimmt hätte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Europäer werden nur dann eine wirksame Rolle

spielen können, wenn sie handlungsfähig sind. Gewiss: Wir
haben im Sommer 2000 die europäische Politik für den
Mittelmeerraum ein Stück weit harmonisiert. Doch seiner-
zeit wurde der arabisch-israelische Friedensprozess bis
zum Abschluss eines umfassenden Friedens aus der gemein-
samen Strategie herausgenommen. Ausgerechnet dort, wo
die Stabilität einer ganzen Region auf dem Spiel steht, ha-
ben sich die europäischen Regierungen einschließlich der
Bundesregierung der Vielstimmigkeit verschrieben. So
können wir die europäische Außen- und Sicherheitspolitik
mit Sicherheit nicht erfolgreich betreiben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Susanne Kastner [SPD]: So was!)





Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber (Bayern)


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(B)


Die Europäer können aufgrund ihrer guten Beziehun-
gen zu den meisten arabischen Staaten die Fähigkeit an-
bieten, Brücken über die tiefen Gräben zu schlagen. Das
ist angesichts der historischen Mitverantwortung Europas
im Nahen Osten eine angemessene Rolle, aber auch der
spezielle Beitrag, den die Europäer leisten können. Ich bin
der festen Überzeugung, dass nur alle miteinander, die
Vereinigten Staaten von Amerika und die Europäer zu-
sammen mit Russland und der UNO, die Entscheidungen
vorantreiben können. Hier werden die Europäer gerade
auch wegen ihrer Glaubwürdigkeit gegenüber den arabi-
schen Staaten gebraucht.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wenn Sie schon Joschka Fischer zitieren, dann müssen Sie das richtig machen!)


Ein militärischer Beitrag Deutschlands wäre vor
dem Hintergrund unserer eigenen Geschichte ein Irrweg.
Er ist deshalb für die Union völlig ausgeschlossen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Bundeskanzler, Sie haben zwar heute gesagt, die
Frage einer deutschen Beteiligung an einer internationalen
Sicherheitskomponente stehe derzeit nicht auf der Tages-
ordnung; Sie haben aber hinzugefügt, Sie würden von Fall
zu Fall über den Umfang einer deutschen Beteiligung nach
dem Gesichtspunkt entscheiden, was Deutschland leisten
kann und was es sinnvoll und effizient leisten sollte.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Was denn sonst? – Weiterer Zuruf von der SPD: So ist das nun einmal!)


Ein militärischer Beitrag ist für uns keine Frage der Ta-
gesordnung. Wir lehnen ihn im Nahostkonflikt aus
grundsätzlichen Erwägungen ab.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans Georg Wagner [SPD]: Ich bin gespannt, wie lange!)


Im Übrigen – das wäre an anderer Stelle zu debattie-
ren – drängt sich der Verdacht auf, dass Ihre Bereitschaft,
deutsche Truppen im Ausland einzusetzen, in diametra-
lem Gegensatz zu Ihrer Bereitschaft steht, für die Bun-
deswehr mehr zu tun. Auch dies muss man deutlich sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen, meine Herren, lassen Sie mich noch ein

Wort an die in Deutschland lebenden Juden richten.

(Zuruf von der SPD: Jetzt kommt nur blau weiße Luft!)

Sie sind loyale Bürger unseres Staates, aber es ist nur allzu
verständlich, wenn sie sich mit Israel in besonderer Weise
verbunden fühlen. In Israel leben viele ihrer Freunde, viele
ihrer Bekannten, vieler ihrer engsten Verwandten. Ich kann
die Verbitterung verstehen, wenn bei antiisraelischen De-
monstrationen in Europa und ganz besonders in Deutsch-
land antisemische Untertöne zu vernehmen sind oder wenn
es gar wie in Frankreich, aber leider auch schon vereinzelt
in Deutschland, zu offenen antisemischen Feindseligkeiten
kommt. Dies stößt auf unseren erbitterten Widerstand.

Kritik an der israelischen Politik ist in einer Demokra-
tie ein selbstverständliches Recht. Wir treten aber ganz

entschieden all denen entgegen, die unter dem Deckman-
tel des Protestes gegen die israelische Politik


(Zuruf von der SPD: Möllemann!)

uralte antisemitische Klischees aufpolieren, um so aus
dem Leiden des Nahen Osten schäbiges politisches Kapi-
tal zu schlagen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Für viele Zwischenrufe habe ich Verständnis, aber den
Zwischenruf, den ich gerade gehört habe,


(Susanne Kastner [SPD]: Welchen Zwischenruf haben Sie denn gehört?)


verstehe ich nicht, besonders in Anbetracht unserer Ver-
antwortung für Israel insgesamt und für die Situation der
Juden in unserem Lande. Hier sind Ängste vorhanden.
Mit denen kann man nicht so umgehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Bundeskanzler, Sie haben das Thema Frankreich

und die französischen Wahlen angesprochen. Ich möchte
darauf kurz eingehen. Ich glaube, wir sind beide zutiefst
bedrückt darüber, zu welcher Stichwahlentscheidung es
gegenwärtig in Frankreich gekommen ist. Dies entspricht
mit Sicherheit nicht der politischen Kultur in diesem Land.
Aber es zeigt natürlich auch, zu welchen Schwierigkeiten
es kommt, wenn die großen Volksparteien Themen aus der
politischen Auseinandersetzung herauszunehmen versu-
chen, obwohl sie Themen der Gesellschaft sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD – Hans Georg Wagner [SPD]: Le Pen pur! – Weiterer Zuruf von der SPD: Wahlkampf!)


Ich habe mit Sicherheit nicht weniger für Populisten
übrig als Sie, Herr Bundeskanzler.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Peter Zumkley [SPD]: Wer spricht denn da?)


Aber Sie müssen auch dafür sorgen, dass nicht rechts-
extremistische und rechtsradikale Parteien weit über
ihren Anhang hinaus verärgerte, unsichere Bürger hinter
sich scharen können


(Hans Georg Wagner [SPD]: Sie schüren das doch!)


und damit politisches Gewicht bekommen, das ihnen in
unserem Lande überhaupt nicht zusteht. Dafür werden wir
wieder sorgen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte in diesem Zusammenhang – weil Sie es an-

gesprochen haben – deutlich den Unterschied zu Frank-
reich herausstellen:


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Freund von Berlusconi! – Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Koalition mit Schill in Hamburg!)





Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber (Bayern)

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Wir haben eine andere politische Kultur. Das ist richtig.
Aber es ist vor allen Dingen auch CDU und CSU in den
50 Jahren der Geschichte der Bundesrepublik Deutsch-
land gelungen, rechtsextremistische und rechtsradikale
Parteien aus den Parlamenten herauszuhalten. Ich wäre
froh gewesen, wenn dies auch Ihnen gelungen wäre.


(Beifall bei der CDU/CSU – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt der politische Freund von Berlusconi! – Dr. Peter Struck [SPD]: Sagen Sie doch etwas zu Schill in Hamburg! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


DiewestlichenStaaten unter FührungderUSA, dieEuro-
päische Union, Russland und auch wir in Deutschlandmüs-
seneinenBeitragzurBeendigungdieses schrecklichenKon-
flikts leisten. Aber ohne den Mut der verantwortlichen
Politiker im Nahen Osten, aufeinander zuzugehen, kann es
keinen Frieden geben. Wir können mit unseren diplomati-
schen, politischen und ökonomischenMöglichkeiten solche
Bereitschaft ermutigen und fördern. Wir wünschen den
Menschen im Nahen Osten, dass die führenden Persönlich-
keiten ihrerLänderwiederdenMutunddieKraft finden,wie
sieAnwarelSadat,MenachemBeginundYitzhakRabinhat-
ten, die gegen alle Tabus undWiderstände in ihren Ländern
offenundvertrauensvoll dieHändezueinander ausstreckten.

Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Bei fall bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423300600
Ich erteile nun Bun-
desminister Joseph Fischer das Wort.

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen

(vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie von Abgeordneten der SPD mit Beifall begrüßt)

Meine Damen und Herren! Nachdem wir die beiden Vor-
redner, den Bundeskanzler und Ministerpräsident Stoiber
für die CDU/CSU, gehört haben, ist es für die deutsche
Außenpolitik und insbesondere die deutsche Nahostpoli-
tik in diesem tragischen Konflikt wichtig, die Gemein-
samkeiten, die in beiden Reden zum Ausdruck gekommen
sind und die, wie ich denke, in diesem Hause breit getra-
gen werden, zu Beginn meines Beitrags herauszuarbeiten.

Ich habe beiden Beiträgen Folgendes entnommen:
Erstens. Es besteht in der deutschen Nahostpolitik ein

breiter Konsens darüber, dass das Sonderverhältnis
Deutschlands zu Israel, das historisch begründet und von
David Ben-Gurion und Konrad Adenauer entwickelt
wurde, unverändert fortbesteht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zweitens. Wir alle bejahen uneingeschränkt das Exis-
tenzrecht Israels, und zwar ein Existenzrecht in sicheren
Grenzen und in Frieden ohne Angst vor Terror für den
Staat und die Bürgerinnen und Bürger.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Drittens. Wir wissen, dass die dauerhafte Sicherung der
Existenz Israels und seiner Menschen eine Umsetzung der
legitimen Interessen der Palästinenser in einem eigenen
Staat als wesentliches Element bedingt, einen Staat
Palästina, der in gemeinsamer Sicherheit als Nachbar
mit Israel in Frieden verbunden ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Viertens – auch das finde ich wichtig –. Die Rolle der
internationalen Gemeinschaft, vor allen Dingen des so
genannten Quartetts – die USA, die Europäische Union,
Russland und der Generalsekretär der Vereinten Natio-
nen –, wird ebenfalls als zentraler Punkt angesehen. An-
geführt wird die internationale Gemeinschaft ohne je-
den Zweifel von den USA, die die entscheidende Rolle
spielen. Aber völlig klar ist auch – das hat leider der
Camp-David-Prozess gezeigt –, dass selbst die mächtigen
und großen Vereinigten Staaten von Amerika allein nicht
ausreichen, um als dritte Partei einen Frieden durchsetzen
zu können.

Eines allerdings, Kollege Stoiber, wird Ihnen der Bun-
deskanzler nicht beantworten können, nämlich die Frage
nach den Erörterungen des Bundessicherheitsrates;


(Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist geheim!)

denn diese unterliegen der Geheimhaltung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich um
einen tragischen Konflikt handelt. Es ist ein sehr gefähr-
licher Konflikt in unserer direkten und unmittelbaren
Nachbarschaft. Wir sind mit Israel historisch verbunden,
aber wir als Deutschland, wir Europäer sind auch unmit-
telbare Nachbarn dieser Konfliktregion. Wenn dieser tra-
gische Konflikt eskaliert oder gar explodiert, würde das
Konsequenzen für die Menschen bei uns haben. Wir ha-
ben es auf furchtbare Art und Weise in Djerba erleben
müssen, dass es sich hierbei nicht nur um Vorhersagen,
sondern um ganz aktuelle Gefahren handelt. Deswegen ist
es so wichtig, dass die deutsche Außenpolitik, eingebettet
in die europäische Politik, hier als Friedenspolitik mit ini-
tiativ ist und zur Beendigung dieses tragischen Konflikts
beiträgt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich weiß um die Kraft der Bilder. Aber ich warne davor,
allein auf die Bilder zu vertrauen. Man wird diesen Kon-
flikt nicht verstehen, wenn man einseitig Schuld-
zuweisungen vornimmt; denn man wird dann mindestens
zur Hälfte falsch liegen. Das ist jedenfalls meine Erfah-
rung. Es wird stattdessen ganz entscheidend drauf ankom-
men, die Gesprächsfähigkeit beider Seiten wieder herzu-
stellen und sich in die Ängste der jeweils anderen Seite
hineinzudenken; denn nur auf dieser Grundlage wird es
möglich sein, den Friedensprozess erneut zu beginnen.
Das Fatale am Zusammenbruch des Camp-David-Prozes-
ses war und ist, dass er zu einem völligen Zusammenbruch
des Vertrauens und auch der politischen Friedensvision




Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber (Bayern)


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geführt hat. Dies wieder herzustellen wird den beiden
Konfliktparteien allein nicht gelingen. Es wird hier viel-
mehr einer starken dritten Kraft, des Quartetts, bedürfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


In diesem Zusammenhang ist die deutsche Position
zu sehen. Wer die ganze Komplexität in kurzer, zusam-
mengefasster Form verstehen will, dem kann ich nur
empfehlen, das Interview mit Sari Nusseibeh, dem beein-
druckenden palästinensischen Intellektuellen und Direk-
tor der Al-Quds-Universität in Jerusalem, in der heutigen
Ausgabe der „Zeit“ zu lesen. Er bringt in diesem Inter-
view die ganze Komplexität des Konflikts zwischen den
beiden Seiten in wenigen Sätzen zum Ausdruck und
macht klar, dass Schuldzuweisungen den Konflikt immer
weiter eskalieren lassen und dass stattdessen nur das Auf-
einanderzugehen, ein historischer Kompromiss, eine Per-
spektive für die beiden Völker eröffnet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Weder die Realität des palästinensischen Volkes noch die
des israelischen Volkes wird ungeschehen gemacht wer-
den können, denn das wäre ein furchtbares Verbrechen. Es
wird also nur einen Kompromiss geben können. Wir müs-
sen dazu beitragen, dass ein Kompromiss Realität wird.
Das ist gegenwärtig schwerer denn je.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Wir haben ein Ideenpapier entwickelt. „Ideenpapier“
deswegen, weil wir unsere Ideen in die Europäische
Union einbringen wollten. Das haben wir auch getan. Wir
haben vorher darüber mit der amerikanischen Seite intern
diskutiert. Ihren Versuch, Herr Ministerpräsident Stoiber,
hier Differenzen aufzubauen, verstehe ich nur als innen-
politisches Bemühen, in dieser Debatte zwischen Ihrer
und unserer Position Abstand zu schaffen. Ich dagegen
bin sehr froh, dass es hier einen breiten Konsens gibt. Ich
entnehme Ihren Worten auch keine Sachkritik an der Po-
litik, die wir betreiben. Das freut mich. Denn ich kann auf-
grund meiner Erfahrungen nur sagen: Wir brauchen hier-
bei in der Tat eine breite Unterstützung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Warum? Es sind im Wesentlichen vier Elemente, die
ich für unverzichtbar halte, wenn wir wieder einen Frie-
densprozess in Gang setzen wollen: Das erste Element ist
die Schaffung zweier Staaten. Das hat auch Bush, Präsi-
dent des mächtigsten Staates des gegenwärtigen politi-
schen Staatensystems, in seiner Rede vom 11. April – ich
finde, an dieser strategischen Orientierung sollten wir
unbedingt festhalten – zum Ziel erklärt. Selbst die USA
– die Europäer haben dies schon lange getan – erklären die
Schaffung zweier Staaten jetzt als Ziel, das es zu erreichen
gilt. Es bleibt für uns die Aufgabe, darüber nachzudenken,
wie wir eine Brücke bauen können, um aus der gegen-
wärtig furchtbar zugespitzten Situation heraus dieses
Endziel zu erreichen.

Meine Damen und Herren, aufgrund der Erfahrungen,
die ich vor allem im letzten Jahr gesammelt habe, sind drei

Dinge unverzichtbar, wenn es funktionieren soll: Erstens.
Wir brauchen einen Wegeplan, das heißt, die einzelnen
Schritte des Friedensprozesses müssen vereinbart sein. Das
allein führt aber zu gar nichts. Dann steht man noch immer
– diese Erfahrungen haben wir mit den hervorragenden
Vorschlägen des ehemaligen Senators Mitchell und seiner
Kommission gemacht – vor verschlossenen Türen und
kommt nicht voran, obwohl alle behaupten, sie seien dafür.
Denn es würde dann – zweitens – noch immer ein ver-
bindlicher Zeitplan für beide Konfliktparteien fehlen.
Aber selbst ein solcher Zeitplan – ich verweise nur auf
Oslo, wo ein verbindlicher Zeitplan vereinbart wurde –
führt allein zu nichts. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Ich
verdeutliche das an einem praktischen Beispiel, damit die
Zuhörerinnen und Zuhörer es verstehen:


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Fischers Volkshochschule!)


Wenn Sie im Nahen Osten eine Vereinbarung treffen, die
„Guten Tag“ heißt, dann interpretiert die eine Seite das als
„Guten Morgen“ und die andere Seite als „Gute Nacht“.
Das ist die Realität. Das bedeutet: Wenn Sie den Kon-
fliktparteien die Umsetzung überlassen, dann werden Ih-
nen Wegeplan und Zeitmechanismus allein nichts nützen.
Deswegen brauchen Sie die Einbeziehung einer starken
dritten Partei. Sie ist sozusagen die Umsetzungsgarantie.
Diese Konsequenz müssen wir ziehen, wenn wir das Ziel
zweier Staaten, die in Frieden nebeneinander leben, errei-
chen wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Diese Elemente liegen unserer Ideenskizze zugrunde,
weil es meines Erachtens diese Punkte sind, die umgesetzt
werden müssen. Ob eine Konferenz am Ende oder am Be-
ginn dieses Prozesses steht, halte ich für eine zwar wich-
tige, aber taktisch operative Frage. Entscheidend ist, dass
wir jetzt auf der Grundlage der Realität im Nahen Osten
handeln. Wir müssen uns der Frage der Trennung stellen.
Diese Debatte beginnt in Israel. Diese Trennung nicht zu
nutzen, sondern politisch folgenlos zu lassen, sie nicht als
Beginn eines Friedensprozesses zu begreifen, hieße, eine
riesengroße Chance zu verspielen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Allerdings darf diese Trennung, die kommen wird,

nicht dazu führen, dass man versucht, die Palästinenser
abzuriegeln. Das würde auf Dauer nicht funktionieren,
sondern nur zu einer weiteren Eskalation mit enormen Si-
cherheitsrisiken für Israel führen. Vielmehr muss – und
das sieht unser Ideenpapier vor – dieser Trennungsprozess
den Beginn eines politischen Prozesses einleiten, in des-
sen Zuge nicht völkerrechtliche Annexionen betrieben
werden und nicht ein dauerhafter Status festgeschrieben
wird, wohl aber Sicherheit und Entzerrung der Konflikt-
parteien entstehen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Der zweite Schritt in diesem Zusammenhang ist mit der
palästinensisch-arabischen Seite zu diskutieren. Es geht
um die Idee unserer französischen Freunde, die auch vom
israelischen Außenminister Peres und vom palästinen-




Bundesminister Joseph Fischer
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(C)



(D)



(A)



(B)


sischen Verhandlungsführer, dem Parlamentspräsidenten
Abu Alaa, formuliert wurde, die Ausrufung eines palästi-
nensischen Staates auf vorläufiger Grundlage, das heißt
ohne eine abschließende Entscheidung über den End-
status, schnell vorzunehmen. Ich will zunächst darauf zu
sprechen kommen, warum das für die Palästinenser
schwierig ist, bevor ich die Vorteile nenne. Die Paläs-
tinenser fürchten, dass dieser Zwischenstatus quasi zu
einem Endstatus wird. Das wollen sie nicht. Sie sagen: Wir
begnügen uns heute schon mit 22 Prozent des ursprüng-
lichen Territoriums – was wiederum von Israel aufgrund
des Teilungsbeschlusses der Vereinten Nationen von 1958
infrage gestellt wird – und wollen uns nicht mit weniger
begnügen. Diese Position ist durchaus ernst zu nehmen.

Dennoch meine ich, dass die französische Idee und der
Peres-Abu-Alaa-Plan an diesem Punkt einen großen Vor-
teil bieten. Denn ein Mangel der Osloer Verhandlungen
war doch, wie wir festgestellt haben, dass der demokra-
tische Staatsaufbau, das heißt das Schaffen demokrati-
scher Institutionen, in den palästinensischen Gebieten
nicht in dem Maße Priorität hatte, wie das der Fall sein
muss. Diese beiden Staaten werden immer aufs Engste
miteinander verbunden sein. Ich kann mir nicht vorstel-
len, dass Frieden funktionieren kann, wenn in Israel – der
Bundeskanzler hat das völlig zu Recht unterstrichen –
eine Demokratie besteht und zehn bis 15 Kilometer außer-
halb von Jerusalem ein autoritäres Regime herrscht. Das
wird nicht zusammenpassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen ist die Frage des Aufbaus eines demokra-
tischen Staates von zentraler Bedeutung.

Beide Konfliktparteien müssen einen Gewaltverzicht
leisten und Terrorismus aktiv und entschlossen, ohne
Wenn und Aber, bekämpfen. Beide Seiten müssen sich
verpflichten, Verhandlungen über den Endstatus zu füh-
ren und – das ist noch wichtiger – sie auch zum Abschluss
zu bringen. Wir schlagen dafür einen Zeitraum von zwei
Jahren vor. In diesem Zusammenhang muss es eine inter-
nationale Garantie zur Umsetzung dieses Beschlusses ge-
ben. Dieser Punkt ist zentral.

Herr Ministerpräsident, ich verstehe Sie ja: Es ist Wahl-
kampf und man muss darum auch Dissense herausstellen.
Ich kann Ihnen aber nur Folgendes sagen: Die Beteiligung
der Europäer und der Deutschen hat sich im Bereich des
Monitoring schon als sehr wichtig erwiesen. Nach dem
furchtbaren Attentat vor dem Dolphinarium am 1. Juni
letzten Jahres hat dieser Ansatz beim Versuch, einen Waf-
fenstillstand hinzubekommen, ganz besonders im Süden
von Jerusalem Wirkung gezeigt. Er hat ganz besonders gut
in Beit Jala, im Süden von Jerusalem, zwischen Bethlehem
und Jerusalem, einem ganz besonders heißen Punkt, wo
nahezu nächtlich auf Gebäude israelischer Siedler ge-
schossen wurde, funktioniert, weil dort sechs Monitore der
Europäischen Union, darunter auch ein Deutscher, tätig
waren. Die Arbeit dieser Geheimdienstmitarbeiter unter
Führung eines Briten, Alister Crooke, wurde von Minis-
terpräsident Sharon mir gegenüber mehrmals nachdrück-
lich gelobt. Dieses Modell des Monitoring ist meines Er-
achtens von entscheidender Bedeutung allein deshalb, um
die zentrale Frage der Terrorismusbekämpfung, ob jemand

festgenommen wurde, wo er und unter welchen Bedin-
gungen er im Gefängnis sitzt, zu beantworten – was in der
Region alles andere als einfach ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Diese Monitore wurden zwar von Israel offiziell ab-
gelehnt, weil die Internationalisierung abgelehnt wurde,
aber ihre Arbeit, die deshalb von mir ironisch als „non-
existing monitoring“ bezeichnet wurde, wird dort sehr ge-
schätzt; sie haben bei den oben beschriebenen Aufgaben
eine sehr wichtige Funktion wahrgenommen. Darum geht
es doch bei einem Sicherheitsmechanismus. Dass das zu
mehr führen muss, kann doch heute beim besten Willen
niemand behaupten.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Sagen Sie es ihm! – Michael Glos [CDU/CSU]: Er hat doch gar nicht von Monitoring geredet!)


Schon gar nicht, Herr Glos, wird eine Ausweitung des
Mandats gegen den Willen der Konfliktparteien möglich
sein. Das zu glauben ist doch völlig abstrus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS – Michael Glos [CDU/CSU]: Macht den Kanzler lächerlich, und Sie klatschen!)


– Ich weiß, dass Sie hauptsächlich die innenpolitische
Kontroverse interessiert, mich interessiert aber der Frie-
densprozess.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Da ist ein solcher Mechanismus von zentraler Bedeutung.
All das kann nur erreicht werden, wenn die dritte Partei
zusammenhält.

Gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, noch ei-
nen Aspekt in diesem Zusammenhang anzusprechen. Ich
halte auch deswegen nichts von Sanktionen, weil diese
nicht wirken werden.


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sag das dem Scharping!)


In der Europäischen Union und im Europaparlament gab
es diesbezügliche Forderungen. Die einzige Wirkung, die
Sanktionen der EU hätten, wäre, dass das Verhältnis zwi-
schen der Europäischen Union und Israel endgültig
zerrüttet würde. Selbst wenn ich zu 100 Prozent der Mei-
nung derer wäre, die für diese sehr israelkritische Position
eintreten – ich teile diese Meinung überhaupt nicht –,
würde ich sagen: Frieden stiftet man nicht mit sich selbst,
sondern man muss Gespräche mit beiden Seiten führen.
Deshalb kommt es zentral darauf an, dass die Europäische
Union gesprächsfähig bleibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen nochmals
an diesem Punkt versichern: Wir als Bundesrepublik
Deutschland stehen historisch in einem Sonderverhältnis
zu Israel. Daran gibt es nichts zu deuten und daran darf




Bundesminister Joseph Fischer

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(C)



(D)



(A)



(B)


von niemandem gerüttelt werden. Ich fände es gut, wenn
das hier von allen Fraktionen eindeutig klargestellt würde
und wir im jetzt beginnenden Wahlkampf keine Kontro-
versen über diesen Punkt hätten.

Zum einen ist besonders wichtig, dass wir den jüdi-
schen Deutschen, unseren jüdischen Bürgern – man muss
nicht die Frage der Loyalität betonen, wir betonen auch
nicht die Loyalität von nicht jüdischen Deutschen –,


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der PDS)


das Gefühl geben, dass wir an ihrer Seite stehen, dass An-
tisemitismus in Deutschland keine Chance mehr hat und
dort, wo er auftaucht, mit aller Macht des Staates, der
Justiz und der Politik bekämpft wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Zum anderen müssen wir in Europa und in der Welt mit
unserer ganzen Kraft dafür eintreten, den Frieden, der so
unwahrscheinlich geworden, aber zugleich so alternativlos
ist, zu erreichen. Wie hat ein Außenminister aus der Region
bei meinem letzten Besuch gesagt: Es ist absurd, dass wir
wissen, wie das Ergebnis sein wird und sein muss – zwei
Staaten –, aber nicht wissen, wie wir dort hinkommen; jetzt
sterben deswegen viele unschuldige Menschen. Wir müs-
sen unsere ganze Kraft darauf richten zu erfahren, wie wir
diesen Frieden erreichen, nämlich das Ziel von zwei Staa-
ten, verbunden in Frieden und gemeinsamer Sicherheit.


(Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423300700
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Wolfgang Gerhardt, FDP-Fraktion.

Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP) (von der FDPmit Bei-
fall begrüßt): Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Es gibt Debatten, in denen man nicht mit dem Mikroskop
nach Unterschieden suchen sollte. Man sollte vielmehr
einmal sagen, dass die Zielrichtung deutscher Politik ge-
genüber Israel in Bezug auf die Lösung dieses Konflikts
im Großen und Ganzen stimmt. Es gibt dazu keine ernst-
hafte Alternative.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Diese Politik wurzelt zutiefst in den Grundbausteinen
unseres Landes. Sie ist ein Stück weit wie die deutsch-
französische Freundschaft; sie ist ein Stück weit wie die
europäische Einbettung deutscher Politik. Man kann sie
als ein Stück Staatsräson aus der Gründungsgeschichte
unserer Bundesrepublik heraus beschreiben. Die FDP
hat diese Politik immer mitgetragen und dabei bleibt es
auch.


(Beifall bei der FDP)

Wir suchen keine falsche Kontroverse.

Es ist wichtig, zu sagen: Diese Politik hat sich niemals,
unter keinem Außenminister der Bundesrepublik Deutsch-
land, gegen legitime, verständliche Interessen des palästi-

nensischen Volkes gerichtet. Genauso wie Deutschland
aus geschichtlicher Verantwortung und demokratischer
Überzeugung an der Seite Israels stand, hat es auch nie-
mals die legitimen Rechte des palästinensischen Volkes
zurückdrängen wollen.

Jedem ist klar – der Außenminister hat es zum Aus-
druck gebracht –: Natürlich haben die Palästinenser ein
Recht auf ihren eigenen Staat. Er wäre im Übrigen – das
dürfen wir auch unseren Freunden und der israelischen
Gesellschaft, die das in ihrer überwiegenden Mehrheit
weiß, offen sagen – zugleich die beste Garantie für die
Sicherheit Israels, viel besser als die Panzer, die dort jetzt
in bestimmten Gebieten stehen.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])


Neben unseren zahlreichen Bemühungen um Konflikt-
lösungen ist es auch richtig, den beiden Gesellschaften ei-
niges mit kluger Wortwahl zu sagen. Es ist ein tragischer
Irrtum der dort Verantwortlichen, sowohl des Vorsitzen-
den der Palästinensischen Autonomiebehörde als auch
des israelischen Ministerpräsidenten, zu glauben, auf der
einen Seite mit Gewalt mehr zu bekommen und auf der
anderen Seite mit Gewalt und Druck weniger geben zu
müssen. Darin wird keine Lösung liegen.


(Beifall bei der FDP)

Mit Bezug auf eine Passage der Rede des bayerischen

Ministerpräsidenten stelle ich ganz eindeutig fest – im
Grunde genommen ist es auch die Konsequenz dessen,
was der Bundesaußenminister vorgetragen hat –: Natür-
lich wissen die meisten dort, dass am Ende zwei Staaten
friedlich nebeneinander leben müssen. Die Kernfrage ist,
ob die Führungen dort die Courage haben, ihren jeweili-
gen Gesellschaften die Tabuschwellen zu nehmen und ih-
nen etwas zuzumuten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daran, dass dies bisher nicht der Fall war, sind die Lö-
sungen gescheitert.

Bei uns besteht das Tabu, der palästinensischen Seite
ganz offen zu sagen: Wenn wir in Deutschland auf
Straßen, auf Plätzen, in Restaurants, in Kinos Ähnliches
wie das erleben müssten, was palästinensische Selbst-
mordattentäter in Israel tun, dann könnte auch bei uns nie-
mand mit Sicherheit behaupten, ob er die Fähigkeit ent-
wickeln würde, jeden Tag wieder in einen Dialog
einzutreten, jeden Tag wieder zu akzeptieren, dass der
Dialog der richtige Weg zu einem Staatswesen ist.


(Beifall bei der FDP)

Deshalb muss man der palästinensischen Seite, auch dem
palästinensischen Volk sagen: Kein Widerstandsrecht der
Welt legitimiert jemanden, Selbstmordattentäter auf die
Straße zu schicken, im Übrigen auch nicht, Kindern At-
trappen um den Bauch zu binden, um auf diese Weise für
sein Recht zu kämpfen. Das ist nicht akzeptabel.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)





Bundesminister Joseph Fischer
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(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423300800
Kollege Gerhardt, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Struck?


Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Rede ID: ID1423300900
Ja, natürlich.

(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Jetzt kommt der Wahlkampf!)



Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID1423301000
Jetzt kommt kein Wahl-
kampf. Seien Sie einmal ganz friedlich!

Herr Kollege Gerhardt, darf ich Sie fragen, wie Ihre so-
eben vorgetragenen Bemerkungen über die „Legitimität“
von palästinensischen Terrorakten – ich unterstreiche Ihre
Worte absolut – mit Äußerungen Ihres Kollegen
Möllemann zu vereinbaren sind? Darf ich Sie bitten, sich
von den Äußerungen des Kollegen Möllemann zu distan-
zieren?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Rede ID: ID1423301100
Wenn Sie wie ich die
Meldung über die Äußerungen des Kollegen Möllemann
gelesen hätten, die über den Ticker gegeben worden sind
– zehn Minuten, nachdem diese Missverständnisse aufge-
treten sind –, hätten Sie die Zwischenfrage als entbehrlich
empfunden.


(Beifall bei der FDP)

Ich sage Ihnen ganz klar: Das ist die Haltung der gesam-
ten FDP, jedes einzelnen Mitgliedes; nichts anderes gilt.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Ich schlage Ihnen vor, dass wir beide uns bei einer Tasse
Kaffee über die beiden Meldungen unterhalten. Dann
können wir das hier völlig herauslassen. Bitte bauen Sie
keinen Popanz auf!

Dieser Bemerkung mit Blick auf die palästinensische
Seite füge ich hinzu, dass es die israelische Regierung
ihren Freunden auch verdammt schwer macht.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD)


Da vorhin gesagt worden ist, dass wir auch deshalb so
an der Seite Israels stehen, weil das die weithin einzige
Demokratie in dieser Region ist, möchte ich den israe-
lischen Freunden und ihrer Gesellschaft sagen: Unter
Demokraten muss man sich auch öffentlich etwas sagen
können. Das, was wir von deutscher Seite unseren isra-
elischen Freunden und der israelischen Gesellschaft
– aber eher noch der israelischen Regierung – öffentlich
kritisch sagen, ist nicht antisemitisch, trifft nicht das
israelische Volk, sondern gehört zur normalen Ausspra-
che zwischen Gesellschaften und Regierungen über
wichtige weltpolitische Themen. Dies muss so sein.


(Beifall bei der FDP)

Deshalb sagen wir das klar an die Adresse der israeli-

schen Regierung: Es wird dort am Ende nur Frieden ge-
ben, wenn die Palästinenser einen Staat bekommen, der

nicht so löchrig ist wie ein Schweizer Käse. Deshalb muss
die israelische Regierung zusammen mit dem israelischen
Volk die Tabuschwelle im Hinblick auf die Siedlungs-
politik durchbrechen, die Siedlungen zurücknehmen und
die Panzer aus diesen Gebieten zurückziehen.


(Beifall bei der FDP)

Daran führt kein Weg vorbei. Das weiß auch die Mehrheit
in der israelischen Gesellschaft. Deshalb ist es nicht miss-
zuverstehen und nicht falsch zu interpretieren, wenn ein
deutscher Demokrat oder eine deutsche liberale und demo-
kratische Partei dies auch den israelischen Freunden und
der dortigen Gesellschaft sagt. Nichts daran ist unge-
wöhnlich, sondern es stärkt sogar das Gefühl richtig ver-
standener Zusammenarbeit, wenn man sich unter Freun-
den etwas öffentlich sagen kann.


(Beifall bei der FDP)

Das wollte ich hier einmal klar ausdrücken: Wir sollten
auf eine innenpolitische Diskussion der Schuldzuwei-
sung verzichten, wenn jemand in einer öffentlichen De-
batte stilsicher und präzise ein solches Wort ergreift.

Wir wissen – der Bundesaußenminister hat das auch
ausgedrückt –, dass diese beiden Gesellschaften, die beiden
Völker wahrscheinlich aus eigener Kraft, auch wenn sie das
Ziel kennen, die nächste Wegstrecke nicht so verabreden
können, dass eine entsprechende Vereinbarung hält und
trägt. Deshalb muss internationaler Druck aufgebaut wer-
den und muss am Ende eines solchen Prozesses und einer
solchen Lösung eine internationale Sicherheitsgarantie ste-
hen. Daran führt überhaupt kein Weg vorbei, weil wir wis-
sen, dass Misstrauen zwischen den beiden Parteien noch
auf längere Zeit bestehen wird und dies nur – mindestens in
seinen extremen Auswirkungen – abgebaut werden kann,
wenn beide eine Sicherheitsgarantie bekommen.

Im Übrigen werden Pläne für vertrauensbildende
Maßnahmen, wie sie aus dem Osloer Prozess hergeleitet
wurden, nicht mehr hilfreich sein. Wir müssen sehr schnell
zu einer endgültigen Lösung kommen. Ich glaube, dass der
Prozess, dessen dramatische Auswirkungen wir heute be-
sprechen, im Kern ein Prozess der gescheiterten Vertrau-
ensbildung gewesen ist. Mir erscheint es nicht sehr Erfolg
versprechend, erneut einen solchen Prozess zu initiieren
und die palästinensische Seite wieder auf ein Staatswesen
zu vertrösten, das dereinst nach einem Jahrzehnt kommen
soll. Ich glaube, dass das palästinensische Volk diese
Chance in absehbarer Zeit wahrnehmen können sollte.

Noch eine Bemerkung zur arabischen Welt: Das sind
Länder, die sich in Deutschland oft argumentativ beteili-
gen, deren Bürgerinnen und Bürger ich auch oft bei De-
monstrationen sehe und die uns Vorschläge unterbreiten,
wie wir mit der arabischen Welt umgehen sollten. Zur Of-
fenheit gehört auch, der arabischen Welt zu sagen: Wir ha-
ben kein Verständnis dafür, dass Länder aus dieser Region
mit ihren nationalen Eliten so wenig zu konstruktiven Lö-
sungen dieser Katastrophe beigetragen haben


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


und, obwohl sie nicht arm sind, nicht die Kraft aufgebracht
haben, den Palästinensern in den Lagern menschlich ein






(C)



(D)



(A)



(B)


Stück weit Perspektive zu bieten: im Hinblick auf den Ar-
beitsmarkt, auf soziale Sicherheit, auf Bildung und Qua-
lifizierung. Nur in Europa kraftvoll als Arabische Liga zu
sprechen und uns Vorschläge zu machen, reicht nicht aus.
Die nationalen Eliten müssen sich auch selbst fragen, was
sie denn in ihren Ländern zustande bringen, um einen Bei-
trag zu diesem Prozess zu leisten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die deutsche Politik hat einen breiten politischen Kon-
sens. Sie hat auch Substanz. Sie kann mit unseren euro-
päischen Nachbarn zusammen auf ein Vertrauenskapital
bauen, das sie in langen Jahrzehnten mit Solidarität zu Is-
rael auch in der arabischen Welt aufgebaut hat. Deutsche
Politik hat man niemals als einseitig verstanden, obwohl
alle genau wussten, dass wir an der Seite Israels stehen.
Das ist ein Stück außenpolitischer Kunst und Fähigkeit,
die von allen Außenministern in der Kette – auch von Ih-
nen, Herr Bundesaußenminister – entwickelt und beibe-
halten worden ist. Das ist ganz enorm wichtig.


(Beifall bei der FDP)

Deshalb wollen wir dieses Kapital nutzen. Sie haben

einige Vorschläge gemacht. Ich will Sie ermuntern, auf ei-
nem Weg zu bleiben, der ein stärkeres europäisches En-
gagement beinhaltet. Natürlich wird der Schlüssel zur Lö-
sung in den Vereinigten Staaten bleiben. Aber auch die
einzige übrig gebliebene Supermacht spürt in diesen Ta-
gen – die Colin-Powell-Reise mag von Ihnen, Herr Bun-
deskanzler, anders interpretiert worden sein –, dass es eine
Erkenntnis gibt: Pendeldiplomatie reicht nicht mehr aus.

Wenn die Europäische Union, ohne dass die Staaten
auseinander getrieben werden können, jetzt nicht mit den
Vereinigten Staaten an einem Strang zieht, wirklich Druck
aufbaut und sich dabei – dazu diente die Madrider Kon-
ferenz – Bundesgenossen an die Seite zieht, die in die je-
weiligen Gesellschaften und in die politischen Führungs-
ebenen hinein wirken können, dann wird das nichts
werden. Nachdem der Prozess in Madrid begonnen
wurde, darf er keinen Millimeter zurückgedreht werden.

Es geht nicht nur um einen israelisch-palästinensischen
Konflikt, es geht doch um die gesamte Region.Auch mit
einer Regelung über die Grenze zwischen den beiden Ge-
sellschaften und Staaten wäre doch die Arbeit noch nicht
geleistet. Die ganze Region wartet darauf, sich so zwi-
schen Regierungen und zwischen Gesellschaften zu ver-
ständigen, wie das mit dem Helsinki-Prozess in Europa
eingeleitet worden ist. Ich erinnere mich daran, dass wir
eher belächelt wurden, als wir hier den Antrag stellten
– wir haben uns nie etwas vorgemacht –, recht frühzeitig
so etwas wie eine Konferenz zur Sicherheit und Zusam-
menarbeit im Nahen Osten einzurichten. Sie haben von
der Regierungsbank genauso gelächelt, wie das die
frühere Oppositionspartei CDU/CSU gemacht hat, als
Hans-Dietrich Genscher das für Europa vorgeschlagen
hat. In Europa hat man geglaubt, Helsinki könne nichts
werden. Das war die alte bipolare Welt, in der sich die bei-
den Seiten in unterschiedlichen Systemen waffenstarrend
gegenüber standen.

Was ist denn die Alternative für eine freiheitliche De-
mokratie wie die Bundesrepublik Deutschland dazu, zu

Konfliktlösungen beizutragen? Es gibt keine Alternative.
Wir müssen auch die arabische Welt dazu bewegen, end-
lich die kommunikativen Fähigkeiten zu entwickeln, mit
anderen Staaten zusammenzuarbeiten, und nicht in ihrem
nationalen und gesellschaftlichen Gehäuse zu bleiben.
Sonst wird das nichts werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es muss über die Wasserrechte gesprochen und über die
ökonomischen Zukunftschancen verhandelt werden. Es
muss Transparenz in die militärischen Kapazitäten in die-
ser Region kommen. Vertrauensbildung nur zwischen Is-
rael und Palästina reicht nicht aus. Diese Region muss jetzt
wissen, wo ihr Platz in der Zukunft ist. Den wird sie nicht
behalten, wenn sie den Konflikt aus ihren gesellschaftli-
chen Schichten schürt, wenn die Staatsmänner dieser
Ebene nicht die Kraft haben, ihren Völkern zu sagen, dass
die extremen Gruppen jetzt zurückgedrängt werden müs-
sen. Um es auf den Kern zurückzuführen: Wenn der israe-
lische Ministerpräsident nicht die Kraft hat, der rechten
Seite Einhalt zu gebieten, wird der Friedensprozess in einer
Gesellschaft schwieriger. Wenn Arafat nicht die Chance
und nicht die Kraft hat, seinen Extremen Einhalt zu gebie-
ten und es ihnen auch zu sagen, und zwar in der palästi-
nensischen Sprache und nicht in Englisch, dann wird das
nichts werden. Auch der beste Vorschlag des saudi-arabi-
schen Kronprinzen nützt nichts, wenn die nationalen
Führungseliten der arabischen Staaten ihre Gesellschaften
nicht endlich hinter solche Vorschläge bringen.


(Beifall bei der FDP)

Die Gipfelkonferenzen vieler arabischer Staaten sind
doch beredtes Zeugnis dafür, dass dort die Kultur der Zu-
sammenarbeit noch nicht das Maß erreicht hat, das für
eine wirkliche Friedensregelung im Nahen Osten ziel-
führend wäre.

Wir sind der Überzeugung, da die beiden Gesellschaf-
ten in ihrer großen Mehrheit eigentlich genau wissen,
worauf es hinauslaufen muss, dass mit Sicherheit in jeder
Familie in Israel – in Jerusalem, in Tel Aviv, wo immer sie
sind – genauso über die Zukunft gesprochen wird, wie wir
das hier meistens getan haben. Sie wissen, dass es nur
dann Frieden gibt, wenn die beiden Völker in gesicherten
Grenzen nebeneinander leben können.

Deshalb weiß das palästinensische Volk auch, dass es
seine Zukunft nicht durch Selbstmordattentäter herbei-
bomben kann, und die israelische Gesellschaft weiß, dass
Sicherheit für das israelische Volk nicht durch Hineinfah-
ren von Panzern in palästinensische Gebiete erreicht wer-
den kann. Das bei jedem Treffen mit den Freunden dort
öffentlich auszusprechen ist unverzichtbar.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb wollen wir uns nichts vormachen. In der heu-
tigen Debatte bleibt uns einstweilen nur ein Stück Hoff-
nung, dass es so gehen wird. Am Ende aber, glaube ich,
werden wir alle davon überzeugt sein, dass es das sein
wird. Je eher es geschieht, desto besser. Deshalb ist es
aber auch unsere Pflicht als deutsche Demokraten, mit un-
seren israelischen Freunden und mit denjenigen, die in




Dr. Wolfgang Gerhardt
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(C)



(D)



(A)



(B)


Palästina – das wäre vom Osloer Prozess her schon jetzt
geboten gewesen – Demokratie aufbauen wollen, die
Arafat in diesem Maße nicht konstruktiv aufgebaut hat,
hierüber ohne Vorbehalte zu reden. Deshalb wäre es auch
für die beiden, die ein Interesse nicht nur an einer friedli-
chen, sondern auch an einer freiheitlich-demokratischen
Zukunft haben, wichtig, die offene Aussprache zu suchen,
mit guten Stilmitteln, mit guten Worten, aber ohne die
Lage zu beschönigen.

Dies sagen wir am Ende einer solchen Aussprache als
überzeugte solidarische Freunde Israels, aber auch als
Brückenbauer in eine arabische Welt. Wir wollen, dass
dort Frieden herrscht, weil auch unsere Sicherheit und un-
sere Existenz vom Frieden in dieser Region abhängt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423301200
Ich erteile dem Kolle-
gen Gert Weisskirchen, SPD-Fraktion, das Wort.


Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1423301300
Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gerade zehn
Jahre her, da hat es so etwas wie eine Hoffnung, wie einen
Aufschwung im Nahen Osten gegeben. Der Frieden war
greifbar nahe. Palästinenser und Israelis machten sich auf
einen gemeinsamen Weg. Es schien so, als hätten sich
Partner gefunden, Partner, die bereit waren, Berge von
Misstrauen abzubauen, Steine aus dem Weg zu räumen.
So hieß dann auch ein Buch, das Schimon Peres zu jenem
Zeitpunkt geschrieben hat: „Die Versöhnung: der neue
Nahe Osten“. Diese historische Chance hat er so be-
schrieben, dass in der Region versucht werden muss, mit-
einander so zu kooperieren, dass sie zu einer Region des
Friedens werden kann. Das ist ein alter Gedanke. Abba
Eban hatte ihn schon 1964 beschrieben: Das Schicksal
dieser Region liege in der pluralistischen Zusammen-
arbeit Asiens, Europas und Afrikas, des Judentums, des
Christentums und des Islam.

Die Sorgen hat Schimon Peres in seinem 1993 erschie-
nenen Buch allerdings auch schon beschrieben. Die he-
raufziehenden Gefahren hat er genau erkannt. Er warnte da-
vor, dass „Fanatismus, Fundamentalismus und falscher
Messianismus“ aus dem Hass geboren werden könnten und
die Spur zum Krieg legen könnten. Er hat aber auch deut-
lich gesagt, – dabei hat er sich auf die innerisraelische De-
batte bezogen –, dass die Frage, welches Israel, nicht auf
territoriale Fragen verkürzt werden dürfe. Er hat ausdrück-
lich Yehezkel Kaufmann zugestimmt, der geschrieben hat:

Es gibt keinen Zusammenhang zwischen sicheren
Grenzen und dem wahren Israel, auch nicht zwischen
sicheren Grenzen und dem idealen Land und dem
idealen Staat, den die Nation historisch anstrebte.

Das ist der tiefe Unterschied zu dem im gleichen Jahr
erschienenen Buch von Netanjahu „A place among the
Nations: Israel and the World“.

Da ist der Widerspruch zwischen zwei Hälften der is-
raelischen Gesellschaft erkennbar. Netanjahu schreibt:
Ohne Kampf um das Überleben endet das Leben selbst. Er

und ein Teil der Rechten schreibt, dass die Juden niemals
wieder hilflose Opfer sein dürfen und zu einem Volk ge-
worden sind, das „stark genug ist, über sein eigenes
Schicksal zu bestimmen“.

Über die beiden Bilder von Israels Rolle im Nahen
Osten gibt es seit dem Oslo-Prozess einen erbitterten
innergesellschaftlichen Streit. Es ist aber doch gerade die
Stärke der israelischen Demokratie, dass es diese De-
batte in Israel gibt. Ich finde, das ist ein Beweis dafür, dass
die Chancen in Israel groß sind, dass dieser Kampf so aus-
getragen werden kann, dass die Demokratie dabei wächst.

Das ist ein deutlicher Unterschied zu den Bildern, die
die Palästinenser in die Region projizieren. Sie haben
noch nicht die innere demokratische Kraft gefunden, auch
selbstkritisch mit der eigenen Zukunft umzugehen und
eine gemeinsame, kooperative Lösung in der Region zu
schaffen.

Ich bitte darum, dass unsere Kritik, wenn sie denn an
Israel gewendet werden darf, mit vollem Verständnis für
die, die innerhalb Israels um das Selbstbild des eigenen
Landes kämpfen, einhergeht. Unsere Kritik kann nur in
Sympathie für die Kolleginnen und Kollegen in Israel er-
folgen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423301400
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage der Kollegin Nickels? – Bitte.


Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423301500

Herr Kollege Weisskirchen, ich stimme mit allem überein,
was Sie sagen; aber ich habe eine Frage, die mich wirk-
lich schier zur Verzweiflung treibt: Wie soll man praktisch
ein Stück weiterkommen, wenn, bei allem, was Sie an
richtiger Kritik bezogen auf beide Seiten gesagt haben, in
dem Prozess, in dem auch international alle Kräfte mobi-
lisiert werden, um auf den Weg des Friedens zu kommen,
der israelische Ministerpräsident Scharon ankündigt – das
hat er vorgestern getan –, dass er bei Hebron, also im
Kernland, wieder eine neue Siedlung errichten will?


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Gute Frage!)



Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1423301600
Liebe Kolle-
gin Nickels, offensichtlich haben Sie nicht wirklich das
innere Verständnis dafür gefunden, unter welch ungeheu-
rem Druck die israelische Gesellschaft jetzt einen Weg
sucht, um selbst zum Frieden zu gelangen. Dies ist und
bleibt unbezweifelbar das Ziel Israels. Aber angesichts
der terroristischen Anschläge im eigenen Land müssen
Sie bitte Verständnis dafür haben – Sie müssen nicht je-
den einzelnen Schritt der Regierung Scharon billigen –,
dass sich der Binnendruck, unter dem die Regierung
Scharon jetzt arbeitet, einen eigenen Weg sucht. Dass er
sich auf die militärische Karte verengt, ist unsere Kritik.
Wir möchten gerne, dass eine politische Strategie erkenn-
bar wird, durch die ein gemeinsamer Ausweg aus dieser
schweren Krise gefunden wird. Dabei wollen wir alle Is-
raelis unterstützen.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das ist doch keine Antwort!)





Dr. Wolfgang Gerhardt

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(A)



(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423301700
Es gibt noch eine
Zwischenfrage, und zwar der Kollegin Vollmer. – Bitte.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423301800

Herr Kollege, ich finde es schwer nachzuvollziehen,
wenn Sie sagen, wir sollten Verständnis für den Binnen-
druck in Israel entwickeln, und meinen, dass wir damit
auch Verständnis für eine neue Entscheidung in der Sied-
lungsfrage in dieser Situation aufbringen sollen. Können
Sie sich vorstellen, welchen Binnendruck die Fortsetzung
der Siedlungspolitik auf palästinensischer Seite erzeugt?


Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1423301900
Jeder von uns
weiß, liebe Kollegin Vollmer, dass – das hat der Außen-
minister hier sehr klar und sehr deutlich beschrieben – der
Weg aus diesem Konflikt nur dann möglich ist, wenn
beide Seiten, Palästinenser und Israelis, zu jenem Ver-
handlungsprozess zurückfinden, der in der Zwischenzeit
durch Gewalttaten, durch terroristische Anschläge, die ja
von einer Seite begonnen worden sind, unterbrochen wor-
den ist. Das ist unser Ziel. Jeden, der diesen Verhand-
lungsprozess stört, durch welche Taten auch immer, müs-
sen wir kritisieren. Das geschieht auch.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese Chance wurde in Oslo vielleicht deswegen ver-
spielt – vergessen Sie das bitte nicht; das hat der Außen-
minister schon deutlich gemacht –, weil es ein unter-
schiedliches Verständnis jenes Prozesses gegeben hat.
Arafat hat aus diesem Prozess etwas anderes abgeleitet als
die israelische Seite. Bedenken Sie doch bitte: Am Ende
der Verhandlungsrunde in Oslo wurde von palästinen-
sischer Seite plötzlich die Forderung erhoben, es müsse
am Schluss des Verhandlungsprozesses das Rückkehr-
recht der 1948 Geflohenen eingebaut werden.

Herr Ministerpräsident, Sie haben das Thema Vertrie-
bene ebenfalls erwähnt. Warum sollte es nicht denkbar
sein, mit der arabischen Seite darüber zu reden, wie man
eine gemeinsame Konzeption finden kann – dieser Pro-
zess braucht die Unterstützung der Europäer und damit
auch der Deutschen –, damit nicht immer und immer wie-
der die Vertriebenen als ein Instrument genutzt werden,
um den Friedensprozess zu gefährden? Müssen wir nicht
vielmehr zu diesem Prozess beitragen und unsere Erfah-
rungen, die wir in Europa und in Deutschland gemacht ha-
ben, anbieten, die zeigen, dass dieses Thema in der poli-
tischen Auseinandersetzung nicht verwendet werden darf ?
Die Tatsache, dass es Vertriebene gibt, sollte dazu führen,
dass es in dieser Region endlich zur Befriedung und zur
Pazifizierung kommt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Frau Vollmer und liebe Frau Nickels, Verständ-
nis kann doch nur da beginnen, wo Gewalt aufhört. Wo
Gewalt aber zum Selbstzweck wird, beginnt Terror.Mich
erschreckt es einfach, wenn ich lesen muss, dass Ahmed
Abdelrahman, der Generalsekretär der palästinensischen
Autonomiebehörde, kürzlich nach dem Selbstmord-
anschlag bei Haifa öffentlich gesagt hat – so war es in der

„FAZ“ zu lesen –, dass er jenen Selbstmordanschlag bil-
ligt; denn Palästinenser hätten nun keine andere Wahl, als
sich in lebende Bomben zu verwandeln. Demjenigen, der
so etwas denkt, und das auch noch als Generalsekretär ei-
ner verantwortungsbewussten Organisation, muss man
einfach Einhalt gebieten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ginge die Bereitschaft, sich zu verstehen, verloren,
dann würde schließlich nackte Angst um die persönliche
und kollektive Existenz jenen Platz besetzen. Ist es nicht
fast schon so, dass jeder Terroranschlag gegen Zivilper-
sonen den Einsatz militärischer Gewalt geradezu provo-
ziert? Dies wäre eine Spirale ohne Ende.

Warum nur erweckt Yassir Arafat den Eindruck, als
wolle er dem furchtbaren Treiben nicht überzeugend ge-
nug Einhalt gebieten? Vielleicht deshalb, weil der Terror
gegen die Zivilbevölkerung zum einzigen Kampfmittel
geworden ist. Was aber wäre der Charakter Palästinas,
wenn am Ende dieses Palästina auf den Gräbern von je-
nen Märtyrern aufgebaut würde, die ihr Leben als Fanal
hingeben? Ein furchtbarer Gedanke! Das wäre ein
schrecklicher Charakter jenes Landes, für dessen Existenz
wir uns gemeinsam einsetzen.

Die Bundesrepublik Deutschland – der Außenminister,
der Bundeskanzler und auch der Ministerpräsident haben
es deutlich gesagt – verbindet mit Israel – das gibt es sonst
nicht in der Staatengemeinschaft – ein Bündnis, das nicht
zerbrechen darf. Adenauer und Ben Gurion haben es ge-
schlossen. Dieses Bündnis gilt; wir haben eine besondere
Verantwortung gegenüber Israel. Wenn die staatliche
Existenz Israels infrage gestellt wird, dann wird Deutsch-
land Partei und dann wird Deutschland Partei bleiben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Alle Bürgerinnen und Bürger in Israel müssen ihr Le-
ben ohne Terrorangriffe in sicheren und anerkannten
Grenzen führen können. Deshalb hat Israel auch ein Recht
auf Selbstverteidigung. Auch dieses Recht auf Selbstver-
teidigung unterliegt internationalen Regeln. Kürzlich
schrieb die „Washington Post“ über den israelischen Re-
gierungschef:

Wenn Scharons Armee Frauen und Kinder tötet, un-
bewaffnete Männer foltert und terrorisiert und das
Eigentum und die Würde der Menschen im West-
jordanland zerstört, bewirkt sie das Gegenteil von
dem, was sie erreichen will.

Mich bedrückt es sehr, den Eindruck kaum noch ab-
wehren zu können, dass eine überzeugende politische
Strategie von Ariel Scharon kaum zu erkennen ist. Beide
Seiten können den Konflikt gegenwärtig wohl nicht al-
leine bewältigen. Zu sehr sind sie Gefangene ihrer jeweils
gegeneinander gerichteten Ängste geworden. Irritierend
und tragisch ist, wie sich beide mehr und mehr ineinander
verstricken. Der Schlüssel, der die Tür zu einer anderen
Zukunft öffnen würde, wäre vermutlich, auf Gewalt zu
verzichten.






(C)



(D)



(A)



(B)


Beide wissen doch, dass sie in der Region nur gemein-
sam überleben können und dass sie sich ihre jeweiligen
Nachbarn und Partner sowie deren Regierungen nicht
aussuchen können. Sie sind aufeinander angewiesen. Der
Sinn des Prozesses, den der Außenminister vorantreibt,
den die Bundesregierung unterstützt und auf den sich die
internationale Staatengemeinschaft verpflichtet hat, ist es,
dieses Denken wiederzubeleben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Noch ein Wort zur politischen und religiösen Repräsen-
tanz vieler arabischer Länder: Auch sie sollten aufhören,
Terror als Widerstandskampf zu heroisieren. Durch die
Rede, die am letzten Freitag in Mekka gehalten wurde,
wurde erneut Öl ins Feuer des Konfliktes geschüttet und es
wurde versucht, ein Fanal zu erzeugen. Dies sind in der Tat
Aufgaben, die wir gemeinsam bewältigen müssen. Lieber
Kollege Gerhardt, ich frage mich allerdings, ob „drücken“
bzw. „schieben“ – wie auch immer Sie es bezeichnet ha-
ben – wirklich einen Sinn macht. Das wissen wir nicht.

Der Herr Ministerpräsident hat offensichtlich den An-
trag der Union nicht gelesen, da er Kritik an der Regie-
rung geäußert hat. Lesen Sie bitte einmal Punkt 5 Ihres
Antrags, lieber Herr Stoiber.


(Horst Kubatschka [SPD]: Er hört nicht zu!)

In diesem wird gefordert – zugegebenermaßen kommt das
Wort „Sanktionen“ nicht vor –, dass durch die Bundesre-
gierung Maßnahmen auf der europäischen Ebene einge-
leitet werden sollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen,
was würde geschehen – denken wir eine Sekunde darüber
nach –, wenn solche Überlegungen Realität würden?
Glauben Sie denn wirklich, dass dann die Europäische
Union in der Region und besonders in Israel als ein
freundlicher Partner aufgenommen werden könnte? Glau-
ben Sie denn, dass dann ein Friedensprozess vorankom-
men könnte? Entschuldigung, aber wer das glaubt, hat of-
fensichtlich nicht begriffen, dass Sanktionspolitik genau
das Gegenteil dessen auslöst, was in diesem Falle von de-
nen, die es aufgeschrieben haben, gewünscht wird. Der
Weg, der hier eingeschlagen werden soll, ist falsch.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nein, die Intifada begann als Volksaufstand. Die Ant-
wort des israelischen Militärs hat die Intifada zusammen-
brechen lassen. Die Terroranschläge von Palästinensern
und die darauf folgende militärische Härte rufen Gefühle
der Verwirrung, Verzweiflung und Angst hervor. Dennoch
gibt es für beide keine andere Möglichkeit, als auf den
Weg zurückzugehen, der in Oslo begonnen hat. Diesen
müssen sie von neuem begehen, damit diese Region die
Chance hat, Partner der Europäischen Union sowie der in-
ternationalen Staatengemeinschaft zu werden und im In-
nern eine gute Nachbarschaft zu erreichen. Es muss dafür
gesorgt werden, dass Palästina international anerkannt
wird und dass Israel endlich das volle und eindeutige
Recht erhält, in seinen Grenzen zu existieren.

Das ist das Ziel der deutschen Außenpolitik. Für dieses
Ziel werden sich die Sozialdemokraten einsetzen, damit
die Bundesregierung in gleicher Weise weiterarbeiten

kann. Wir wünschen uns sehr, dass der Außenminister mit
seinen Gesprächen in den USA dazu beitragen kann und
dass sein Plan von der internationalen Staatengemein-
schaft positiv aufgenommen werden wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423302000
Ich erteile dem Kolle-
gen Roland Claus, PDS-Fraktion, das Wort.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1423302100
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Ich will an ein Ereignis erin-
nern, das mir ein wenig in Vergessenheit geraten zu sein
scheint. Warum sind wir – auch alle im Bundestag vertre-
tenen Parteien – am 9. November des Jahres 2000, dem
Jahrestag der Pogromnacht, in Berlin auf die Straße ge-
gangen? – Weil wir alle Anlass hatten, gegen rechtsradi-
kale Gewalt und gegen Antisemitismus zu demonstrieren.
Alle Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens
sollen in dieser Situation wissen, dass wir ihre aktuellen
Sorgen ernst nehmen, dass uns das etwas angeht und dass
Antisemitismus und Rassismus bekämpft gehören.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der FDP)


Antisemitismus und Rassismus wollen wir in Deutsch-
land nicht. Wir alle sind uns einig: Das Existenzrecht
Israels darf nicht infrage gestellt werden und wird nicht
infrage gestellt.

Warum ist es uns nach dem 11. September des vergan-
genen Jahres gelungen, einen Aufruf aller im Bundestag
vertretenen Parteien unter dem Motto „Solidarisch gegen
den Terror“ zu verfassen? – Weil wir Terror und Gewalt
nicht wollen. Deshalb nehmen wir bedrückt zur Kenntnis,
dass Terror und Gewalt heute den Nahen Osten beherr-
schen. Das geht uns etwas an. Wir sind keine Zuschauer.


(Beifall bei der PDS)

Terror ist durch nichts zu rechtfertigen: nicht der Terror
von Selbstmordattentätern, aber auch nicht der Terror
Israels in den Palästinensergebieten wegen der Terroran-
schläge auf Zivilisten.

Herr Bundeskanzler, Sie haben hier heute viele zustim-
mungsfähige Aussagen getroffen. Sie haben auch von un-
serer Fraktion Zustimmung bekommen. Ich halte diese Zu-
stimmung auch für wichtig. Die Differenz, die in diesem
Zusammenhang besteht, liegt mehr in dem, was Sie nicht
gesagt haben. Denn Sie konnten hier keinen hinreichenden
Beitrag zur aktuellen Konfliktlösung bieten. Sie sind in
vielem unverbindlich geblieben. Hier wird – ich finde, zu
Recht – oftmals eine starke dritte Kraft eingefordert. Das
sind Sie uns in Ihrer Erklärung schuldig geblieben.

Terror und Gewalt im Nahen Osten haben nicht eine
Ursache oder eine Lösung. Aber das Entscheidende für
uns ist – darin besteht offenbar die Differenz –, dass der
Schlüssel für den Weg zum Frieden im Moment bei Isra-
els Regierung liegt.


(Beifall bei der PDS)





Gert Weisskirchen (Wiesloch)


23129


(C)



(D)



(A)



(B)


Herr Bundeskanzler, es genügt nicht, die Kritik an der
israelischen Politik in mahnend milde Botschaften zu hül-
len. Herr Bundeskanzler, eine Politik des Unentschiedens
genügt nicht. Es genügt keine Politik der stillen Diploma-
tie und keine Politik der Kritiklosigkeit.

Premier Scharon sieht sein Handeln durch die Verei-
nigten Staaten von Amerika bestätigt, indem er den
Kampf gegen den Terror als Rechtfertigung für sein
Vorgehen verwenden kann. Deshalb sagen wir Ihnen hier:
Krieg ist das falsche Mittel im Kampf gegen den Terror.


(Beifall bei der PDS)

Außenminister Powell verhandelt vergeblich, um Frie-
denslösungen zu erzielen, weil die Kriegslösung zuvor in
Afghanistan legitimiert wurde.

Die Vorsitzende meiner Partei war in dieser Woche in
Israel und im Flüchtlingslager Dschenin. Sie hat die Zu-
stände dort gesehen und darüber gesprochen. Sie haben
hier Israel mehrfach als eine intakte und funktionierende
Demokratie bezeichnet. Das, was in Dschenin zu sehen
ist, ist nicht das Ergebnis einer intakten und funktionie-
renden Demokratie; das muss in dieser Klarheit ausge-
sprochen werden.


(Beifall bei der PDS)

Das ist keine Terrorbekämpfung durch Demokraten, son-
dern staatlich sanktionierte Gewalt gegen Menschen, die
in ihrer großen Mehrzahl den Terror verabscheuen.

Die PDS-Fraktion hat zwölf Vorschläge für Friedens-
lösungen im Nahen Osten eingebracht. Diese Vorschläge
werden Sie heute mit der Mehrheit des Hauses bei, wenn
ich richtig informiert bin, Enthaltung der Freien Demo-
kraten ablehnen. Aber diese Vorschläge bleiben natürlich
aktuell.

Der Nahe Osten braucht die Rückkehr zu dem Schritt
der UNO-Resolution 242. Man muss wieder auf den Weg
des Friedensprozesses von Oslo kommen. Wir sehen doch
einen Fortschritt in der saudi-arabischen Initiative, end-
lich das Existenzrecht Israels nicht infrage zu stellen, aber
auch die Gründung eines palästinensischen Staates zu be-
fürworten. Wir brauchen weiter die Forderung nach Be-
wegungsfreiheit für die Autonomiebehörde und Präsident
Arafat. Wie soll er denn zwischen Kanonenrohren für ein
Ende der Gewalt eintreten? Wir brauchen die Anerken-
nung der Zweistaatlichkeit. Und das geht nicht, wenn Ver-
sorgungssysteme, das Gesundheitswesen und die Wasser-
versorgung zerstört werden.


(Beifall bei der PDS)


( V o r s i t z: Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters)

Wir brauchen den Rückzug der israelischen Armee und
wir brauchen den Rückbau von israelischen Siedlungen.
Erst dann ist es möglich, eine Nahost-Friedenskonferenz
einzuberufen, die von der UNO, der EU, den Vereinigten
Staaten und Russland begleitet und mitgetragen werden
sollte, wenn nötig auch in Begleitung einer UN-Mission
zur Überwachung der Friedenspflicht beider Seiten. Aber
an die deutsche Adresse sei hier deutlich gesagt: Deutsche
Soldaten gehören dort nicht hin.


(Beifall bei der PDS)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch in diesem Jahr
werden wir der Ereignisse des 9. November gedenken.
Ich wünschte mir in dieser schwierigen Situation, die jü-
dische und die palästinensische Gemeinde hier in
Deutschland, in Berlin würde mit uns allen gemeinsam
ausrufen: Schluss mit Terror und Gewalt! Lasst endlich im
Nahen Osten Frieden sein!

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423302200
Ich erteile
das Wort für die SPD-Fraktion dem Kollegen Christoph
Moosbauer.


Christoph Moosbauer (SPD):
Rede ID: ID1423302300
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wie alle, die heute in dieser Debatte das
Wort ergreifen oder ergriffen haben, habe ich lange da-
rüber nachgedacht, was heute zu sagen ist und vor allem
auch wie es zu sagen ist. Ich meine, wir alle haben ein ge-
meinsames Ziel und das sollten wir uns gegenseitig auch
nicht absprechen: Wir wollen tun, was wir können, um
einen Beitrag dazu zu leisten, dass die jetzige Situation im
Nahen Osten deeskaliert, dass das Blutvergießen aufhört
und dass der kleine Faden gefunden wird, der es ermög-
licht, wieder ins Gespräch zu kommen, in der Hoffnung,
dass am Ende dieser Gespräche ein Miteinander in der Re-
gion möglich ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Amos Oz hat schon 1991 geschrieben, dass es dabei
nicht um eine Hochzeit, sondern vielmehr um eine Schei-
dung geht, dass eine Scheidung beiden Seiten wehtut,
dass beide Seiten verletzt sein werden und dass man
lange Zeit nicht miteinander sprechen kann. Aber viel-
leicht wird es eines Tages wieder möglich sein, sich zu-
sammenzusetzen und eine Tasse Kaffee zu trinken und
vielleicht spricht man auch irgendwann über die gemein-
same Vergangenheit. Vielleicht, so schreibt er, kommt
einmal der Tag, an dem man sogar gemeinsam darüber la-
chen kann.

Dieser Tag erscheint uns heute ferner denn je. Nicht,
dass es nicht schon Momente gegeben hätte, in denen ein
friedliches Auskommen zwischen Israel und seinen ara-
bischen Nachbarn noch viel ferner lag als heute. Aber
nach den hoffnungsvollen Jahren der Annäherung, nach
den hoffnungsvollen letzten zehn Jahren erscheint der
Rückfall in die Gewalt noch brutaler und noch schockie-
render.

Meine Damen und Herren, das Groteske an der Situa-
tion ist in der Tat – darauf wurde schon hingewiesen –,
dass eigentlich jeder weiß, wie eine Lösung am Ende aus-
zusehen hat. Natürlich gibt es dabei Differenzen im De-
tail, aber die groben Züge sind, meine ich, jedem klar.
Dennoch erlaubt die tragische Dynamik des Konflikts
nicht, die jetzt notwendigen Schritte zu gehen, die zurück
auf den Weg zu Verhandlungen und zu einem Frieden
führen. Sie sind vielfach skizziert worden. Ich bin dem




Roland Claus
23130


(C)



(D)



(A)



(B)


Bundesaußenminister dankbar dafür, dass er mit seinem
Ideenpapier nicht einen weiteren Masterplan für die Re-
gion hinzugefügt hat; davon gibt es schon viele. Aber er
hat die bestehenden Vorschläge in eine umsetzbare Ord-
nung gebracht, die eine klare Perspektive bietet, und zwar
für beide Seiten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auch wenn ein solcher Plan nur mit einer europäischen
Initiative insgesamt politisches Gewicht entfalten kann,
bin ich froh, dass es gerade die deutsche Regierung ist, die
sich hier in der Verantwortung fühlt.

Die Beziehungen zwischen Israel und Deutschland
sind besondere Beziehungen, vor allem aufgrund unserer
Geschichte. Aber wir haben auch besondere Beziehungen,
weil in den letzten Jahrzehnten zwischen Deutschland und
Israel etwas gewachsen ist, nämlich eine Freundschaft
zwischen zwei Völkern und zwischen zwei Staaten. Es
gibt wenig andere Länder, mit denen der Austausch in Kul-
tur, in Wirtschaft und vor allen Dingen auch in der Zivil-
gesellschaft so intensiv ist, als das aus deutscher Sicht mit
Israel der Fall ist. Auch das ist eine Wurzel der besonderen
Beziehungen, die wir zu Israel haben. Daher – der Bun-
deskanzler hat in seiner Regierungserklärung darauf hin-
gewiesen – ist und wird die sichere Existenz des Staates Is-
rael immer oberste Priorität deutscher Nahostpolitik sein.

Aber gerade weil die Sicherheit des Staates Israel
nichts mehr gefährdet als die Perspektivlosigkeit des
palästinensischen Volkes, muss eines klar sein: Die Si-
cherheit des Staates Israel ist unmittelbar verknüpft mit
dem Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser. Es muss
einen unabhängigen Staat Palästina geben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, die Welt ist sich einig, dass
Terror kein Mittel der Politik sein darf. Der Terror gegen
die israelische Zivilbevölkerung ist widerwärtig und fin-
det unseren schärfsten Widerspruch. Wer Terror billigend
in Kauf nimmt oder zu entschuldigen versucht, macht sich
schuldig, auch und gerade hier in Deutschland. Im Übri-
gen bringt er die berechtigten politischen Anliegen des
palästinensischen Volkes in Misskredit.

Kollege Gerhardt, ich bin schon etwas enttäuscht, dass
Sie in diesem Zusammenhang die Äußerungen von
Möllemann nicht deutlicher kritisiert und sich nicht deut-
licher von ihnen distanziert haben,


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Erzählen Sie sie mir doch einmal!)


die nicht damit erledigt sind, dass man zehn Minuten spä-
ter eine Presseerklärung hinterherschickt, wenn er am sel-
ben Abend den Sinn seiner Äußerungen abermals wieder-
holt und wenn man dann im nordrhein-westfälischen
Landtag aus innenpolitischen Gründen, um nämlich die
Mehrheit von Rot-Grün zu schwächen, einen Kollegen,
der ehedem bei den Grünen war und dem, wie er selber
sagt, eine gewisse Nähe zu Saddam Hussein nicht fremd
ist, mit offenen Armen in der eignen Fraktion aufnimmt.
Man muss sich schon fragen, ob es konsistent ist, wenn

man sich hier hinstellt und den Terror ablehnt, aber auf der
anderen Seite diese Kollegen in Schutz nimmt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Was? Das ist doch absurd!)


– Das ist nicht absurd.
Meine Damen und Herren, eines muss bei aller Verur-

teilung des Terrorismus klar sein: Der Kampf eines
Rechtsstaates gegen den Terrorismus darf nicht das Prin-
zip der Verhältnismäßigkeit aus den Augen verlieren. Da-
her bestehen die zentralen Forderungen des vorliegenden
Entschließungsantrages von Bündnis 90/Die Grünen und
SPD in zwei Appellen: Erstens ist dies der Appell an die
palästinensische Autonomiebehörde und ihren Vorsit-
zenden Arafat, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um
den Terrorismus gegen Israel zu stoppen. Wir wissen, dass
das nicht zu hundert Prozent möglich sein kann. Aber was
getan werden kann, muss getan werden, auch von Arafat
und auch von der Autonomiebehörde.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Und unser Appell an die israelische Regierung und an
Premierminister Scharon: Stoppen Sie die Zerstörung der
palästinensischen Autonomie und der palästinensischen
Infrastruktur. Sorgen Sie dafür, dass das Leiden der
palästinensischen Zivilbevölkerung beendet wird.

Ich kann noch Verständnis dafür aufbringen, wenn auf
Terrorismus, der sich militärischer Mittel bedient, auch
mit militärischen Maßnahmen reagiert wird. Aber ich ver-
stehe nicht, was die Zerstörung des palästinensischen
Statistikamtes, was das Entwurzeln von Olivenbäumen
oder was das Demolieren von Wasserversorgungseinrich-
tungen mit dem Kampf gegen den Terrorismus zu tun hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])


Eine Demokratie wie Israel muss sich auch an den Mit-
teln messen lassen, mit denen sie gegen den Terrorismus
und gegen die Feinde der Demokratie vorgeht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])


Meine Damen und Herren, in den letzten Wochen ist
oft vorgebracht worden, die Kritiker am israelischen Vor-
gehen seien auf einem Auge blind und griffen Israel ein-
seitig und unausgewogen an. – Das ist im Übrigen noch
einer der harmloseren Vorwürfe in diesem Zusammen-
hang. – Wer sich heute mit Nahostpolitik beschäftigt und
versucht, eine halbwegs differenzierte Meinung zu ver-
treten, findet sich schnell zwischen allen Stühlen wieder.
Das ist zwar eine unbequeme Position, aber vielleicht ge-
rade deshalb keine falsche.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle, ausdrücklich den
Kollegen Lamers in Schutz zu nehmen. Wer ihm eine an-
tiisraelische Haltung vorwirft, zeigt auf den Falschen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)





Christoph Moosbauer

23131


(C)



(D)



(A)



(B)


Man findet sich schnell in eine Ecke gestellt. Berechtigt
ist das nicht immer, aber es zeigt, wie schnell man hier wie
dort in Misskredit kommt.

Ich will zwei Dinge klarmachen: Ich stehe zur deutsch-
arabischen Freundschaft. Ich halte es sogar – auch im In-
teresse Israels – für wichtig, dass wir unsere Beziehungen
zu den arabischen Ländern weiter verbessern. Das steht
nicht in Widerspruch zu einem besonderen Verhältnis zu
Israel. Es kann im Gegenteil deeskalierend wirken und
dem regionalen Frieden zuträglich sein.

Lassen Sie mich aber auch eines in aller Deutlichkeit
festhalten: Meine Solidarität mit Israel steht nicht infrage
und ist auch durch nichts zur Disposition zu stellen.


(Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])


Nur, Solidarität und Freundschaft heißt nicht, sich unkri-
tisch hinter die jeweilige Regierung zu stellen. Um eines
klar zu sagen: Wer für die Politik von Yitzhak Rabin war,
kann nicht für die Politik von Ariel Scharon sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Es ist doch nicht so, dass es nicht auch in Israel
Widerstand gegen die Regierungspolitik gibt, und nicht
nur von den üblichen Verdächtigen. Wenn Hunderte Re-
serveoffiziere den Dienst in den besetzten Gebieten ver-
weigern und eher bereit sind, ins Gefängnis zu gehen, und
wenn sie dies in einer Erklärung eben genau damit be-
gründen, dass dies dem Geist des Zionismus entspricht,
den sie gelernt haben, dann kann dies nicht als Rand-
erscheinung abgetan werden.

Ich bin solidarisch mit Israel, solidarisch mit der Frie-
densbewegung „Frieden jetzt“, mit der „Koalition für
Frieden“, mit dem Teil der Arbeitspartei, der eine politi-
sche Alternative zur aktuellen Politik vertritt. Ich werde
alles dafür geben, dass der ursprüngliche zionistische
Traum verwirklicht werden kann: eine Heimstätte für die
Juden in sicheren und anerkannten Grenzen, im Frieden
mit seinen Nachbarn und mit der Welt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Als ich 1993 mit meinen israelischen Freunden über
die Pessachfeiertage in Eilat am Roten Meer war, war ge-
rade ein Lied mit dem Titel „Happy Nation“ Nummer eins
in der israelischen Hitparade. Da ein Großteil der israeli-
schen Jugendlichen über die Feiertage nach Eilat fährt,
gibt es zu dieser Zeit dort zu wenige Unterkünfte und wir
schliefen wie die meisten anderen auch im Sand direkt am
Meer. Die ganze Nacht dröhnte alle zehn Minuten das
Lied „Happy Nation“ über den Strand. Dies machte mich
damals fast wahnsinnig. Heute würde ich sonst etwas da-
rum geben, wieder am Strand zu sitzen und eine ganze Ge-
neration tanzen und singen zu hören: „We are living in a
happy nation.“

Das ist mein Israel, das ist das Israel meiner Freunde,
die heute Demonstrationen gegen die Politik Ariel
Scharons organisieren, weil sie glauben, dass die aktuelle
Politik ihrer Regierung dem Land schadet, weil sie an eine

Zukunft Israels nur dann glauben, wenn die Palästinenser
endlich ihr Recht auf Selbstbestimmung bekommen, weil
sie ihr Land lieben. Wenn ich wie sie heute Kritik an der
israelischen Regierung übe, dann nur aus einem Beweg-
grund: aus tiefer Sorge um ein geliebtes Land.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423302400
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Karl Lamers.


Karl Lamers (CDU):
Rede ID: ID1423302500
Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Nachdem Edmund Stoiber die
Haltung meiner Fraktion eindrucksvoll dargelegt hat,
nachdem der Außenminister bestätigt hat, dass wir in den
wesentlichen Fragen einer Meinung sind, auch in der, was
jetzt Not tut, nachdem hier von allen Rednern festgestellt
worden ist, dass wir eine besondere Verantwortung für die
Existenz, die Zukunft und die Sicherheit Israels haben,
will ich versuchen, darzustellen, wie diese Verantwortung
aus meiner Sicht heute wahrgenommen werden muss.

Ich bin Ihnen, Kollege Moosbauer, dankbar, dass Sie
darauf hingewiesen haben, dass ich nicht in eine antiisra-
elische oder gar antisemitische Ecke gehöre. Wenn mich
etwas verletzt hat, dann das.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir sind doch zer-
rissen angesichts des Umstandes, dass die Existenz Isra-
els durch den Terror einerseits, andererseits aber auch
– wie ich befürchte – durch die Art und Weise infrage ge-
stellt wird, wie die scharonsche Regierung darauf rea-
giert. Infrage gestellt wird Israels Existenz unmittelbar
und moralisch durch den Terror, denn dessen Zweck ist
die Demoralisierung, sind Angst, Zweifel an der Zukunft,
Kapitulation. Legitime Ziele der Palästinenser werden
durch illegitime Mittel diskreditiert. Der Zweck heiligt
eben nicht die Mittel. Das muss am Anfang einer jeden
Beurteilung der Lage in der Region stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Terror lässt sich zumindest teilweise erklären, aber
nicht entschuldigen.


(Beifall der Abg. Christa Nickels [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Erklärungen sind allerdings notwendig, um die rechten
Mittel zur Bekämpfung des Terrors zu wählen und dabei
das rechte Maß einzuhalten, mag das noch so schwer fal-
len. Nur so lässt sich vermeiden, dass die falschen Mittel
die eigene moralische Substanz ebenso zermürben, wie es
die Angst tut.

Terrorismus stellt dem Angegriffenen eine Falle, in-
dem er ihn vor die teuflische Alternative stellt: Kapitula-
tion und totale Niederlage oder totale Feindschaft. Wer
vom „totalen Krieg“ redet, wie das Scharon leider getan
hat, der ist schon in diese Falle hineingelaufen. Die Wei-
gerung Hunderter von Soldaten und Offizieren der Re-
serve, in den besetzten Gebieten Dienst zu tun – ein uner-




Christoph Moosbauer
23132


(C)



(D)



(A)



(B)


hörter Vorgang –, ist ernster, aber nicht einziger Ausdruck
einer dadurch hervorgerufenen Krise. Der Name für den
militärischen Sieg ist derselbe wie für die moralische Nie-
derlage: Dschenin, wie einst Sabra und Schatila, selbst
wenn die Verwüstungen in Dschenin die Bezeichnung
„Massaker“ nicht verdienen sollten.

Militärische Erfolge wandeln sich auch dann in politi-
sche Niederlagen, wenn sie einem falschen, nicht legiti-
men und nicht realisierbaren politischen Ziel dienen. Die
Zerschlagung der Struktur – Kollege Moosbauer, Sie ha-
ben schon darauf hingewiesen – in allen Teilen der Auto-
nomiebehörde und auch eines großen Teils der Wirt-
schaftsstruktur ist ein solches nicht legitimes Ziel. Es
heißt nämlich, das Recht der Palästinenser zu verneinen,
überhaupt in Existenz treten zu können, also einen Staat
bilden zu können, der diesen Namen verdient, nicht ein
demütigendes und lebensunfähiges Bantustan zu sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [PDS])


Es muss immer wieder gesagt werden: Natürlich hat
Israel das Recht, sich gegen den Terror zu verteidigen. Ich
füge vorsichtig, aber, wie ich hoffe, richtig hinzu: Selbst
die falschen, weil überzogenen Mittel wären durch die
vom Terror erzeugte Angst erklärlich und vielleicht ein
Stück verzeihbar. Aber das Ziel, die Entstehung eines
Palästinenserstaates unmöglich zu machen, ist das eigent-
liche Skandalon des scharonschen Feldzuges. Es ist das
Fehlen irgendeiner Vorstellung einer politischen Lösung,
die auch für die andere Seite akzeptabel ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dieser Kampf – das ist meine Sorge – ist nicht zu ge-
winnen. Es ist ein Kampf gegen die äußeren Feinde und
zugleich gegen die eigene Moral, gegen die Ideale des
Zionismus. Manchmal, verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen, habe ich die Angst, dass die düsteren Prophezeiun-
gen von Nahum Goldmann und Hannah Arendt in diesen
Wochen in Erfüllung zu gehen drohen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Gott bewahre!)


Ich empfehle Ihnen allen: Lesen Sie sie noch einmal nach.
Die äußeren Feinde, das ist ein Teil der Palästinenser,

keineswegs alle, aber ihre Zahl wächst natürlich von Tag
zu Tag. Zu den äußeren Feinden gehört, so fürchte ich, die
Mehrheit der arabischen Staaten, die die Existenz Israels
bis heute in ihrer Mehrheit innerlich nicht wirklich ak-
zeptiert hat. Natürlich haben auch sie das Recht und
gewissermaßen die Pflicht, die Palästinenser zu unterstüt-
zen. Aber auch sie haben kein Recht, den Terror zu unter-
stützen. Auch sie müssen sich davon klar distanzieren.

Dass die Enttäuschung der Palästinenser zunimmt –
wer könnte das nicht verstehen? Ihre Wut und ihr Hass sind
durch Jahrzehnte schikanöser und demütigender Behand-
lung, durch wachsende Enttäuschung, Frustration und Per-
spektivlosigkeit infolge der immer wieder verzögerten und
nur bruchstückhaften Umsetzung des Osloer Abkommens

und vor allen Dingen durch den provokativen Siedlungs-
bau genährt, der durch die vorgestrige Entscheidung der is-
raelischen Regierung eine für mich bislang unvorstellbare
Steigerung erfahren hat; denn er bedeutet auch eine Pro-
vokation des amerikanischen Präsidenten. Nochmals: Die
Palästinenser haben zwar das Recht, sich gegen das alles
zu wehren, aber kein Recht auf Terror.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Trotz der dramatischen Lage oder vielleicht sogar we-
gen ihr gibt es eine Friedensperspektive. Es gibt sie, ob-
wohl 80 Prozent der israelischen Bürger die scharonsche
Politik unterstützen; denn sie tun das in dem dunklen,
dumpfen und doch ganz klaren Gefühl, dass diese Politik
keine Lösung bietet. Deswegen müssen wir den Israelis
sagen: Rennt nicht weiter in diese falsche Richtung und in
euer Unglück! Ergreift die Chance, die etwa die saudische
Friedensinitiative bietet! Sie ist zwar kein Ausdruck von
Liebe und Zuneigung zu den Palästinensern und schon gar
nicht zu den Israelis. Aber sie ist der Ausdruck einer exis-
tenziellen Angst, die nur allzu berechtigt ist. Wir müssen
deutlich sehen, dass die breite Mehrheit der Menschen in
den arabischen Ländern immer mehr zu Feinden Israels
wird. Sie projizieren ihre Frustrationen und ihre Wut auf
die USA. Sie tun es übrigens auch aus Frustration und Un-
zufriedenheit über die Leistungen der eigenen Regime.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr richtig! Das ist es!)


All das schafft eine Situation, die uns alle, den ganzen
Westen, in Feindschaft mit diesem Teil der Menschheit
bringt. Deswegen müssen wir den Israelis zurufen: Kehrt
auf eurem bisherigen Weg um! Befolgt die Resolution des
Weltsicherheitsrates! Seht, dass eure Existenz und die der
Palästinenser nicht voneinander zu trennen sind! Entwe-
der haben beide eine Zukunft oder beide haben keine.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS)


Beide Völker haben ein Existenzrecht. Das ist mittler-
weile auch Kern der amerikanischen Politik. Wir müssen
den Israelis weiter zurufen: Gefährdet durch eure kurz-
fristigen militärischen Erfolge nicht eure moralische Sub-
stanz und langfristig auch eure politische Zukunft! Nutzt
vielmehr die Chancen, die sich aus eurer heutigen weit
überlegenen Stärke ergeben, die euch die größere Verant-
wortung zuweist!

Den Palästinensern müssen wir zurufen: Ihr könnt mit
Gewalt und Terror noch weniger gewinnen als Israel mit
seiner Armee! Ihr seid schon kurzfristig als politische Ge-
meinschaft gefährdet! Die Anerkennung des Existenz-
rechts Israels heißt heute Verzicht auf Terror.

Nochmals: Israel und Palästina sind nicht voneinander
zu trennen. Israel und Europa und vor allem Israel und
Deutschland sind in Vergangenheit und Zukunft nicht
voneinander zu trennen. Die europäische und die deutsche
Verantwortung für die Sicherheit, die Existenz und die
Zukunft Israels hat sich zwar in ihrem Ausdruck mit der
Zeit verändert und muss sich entsprechend der konkreten




Karl Lamers

23133


(C)



(D)



(A)



(B)


Lage verändern. Aber sie wird nicht enden, bis die Zu-
kunft Israels endgültig gesichert ist. Sie ist für die Deut-
schen ein Teil ihrer selbst und schließt unvermeidlicher-
und notwendigerweise aber auch die Verantwortung für
die Folgen der Gründung des Staates Israel, das Leid der
Palästinenser und das Unrecht an ihnen ein.

Wer könnte uns Deutschen nicht die Sehnsucht nach-
empfinden, dass sich Schillers Wort vom Fluch der bösen
Tat, nämlich der des Holocaust, die fortwährend Böses
gebärt, nicht immer wieder bestätigt. Das einmalige
historische Projekt Israel darf nicht scheitern. Sonst wür-
den auch wir scheitern. Deswegen muss auch Palästina
werden, wie Israel bleiben muss.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423302600
Das Wort
hat die Kollegin Kerstin Müller für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die
Bilder, die uns aus dem Nahen Osten erreichen – viele
meiner Kolleginnen und Kollegen haben sie bereits be-
schrieben –, sind schrecklich: Wir sehen Bulldozer und
Panzer der israelischen Armee, die in den Straßen von Ra-
mallah, Tulkarem und Nablus die Straßen aufreißen und
Häuser dem Erdboden gleichmachen. Sie haben im
Flüchtlingslager Dschenin eine fürchterliche Verwüstung
mit einer bisher unbekannten Zahl von Toten hinterlassen.
Wir sehen weinende Kinder, die mit ihren Schulheften in
der Hand im Straßengraben kauern und von Soldaten
durchsucht werden.

Gleichzeitig gibt es in Israel immer wieder – fast täg-
lich – fürchterliche Selbstmordattentate: Beim Warten an
der Bushaltestelle, im Café im Zentrum von Jerusalem,
bei der Feier der Bar-Mizwa und beim Tanzen in der
Disco werden Israelis durch menschliche Bomben ermor-
det. Allein im letzten Monat zählte man 112 Todesopfer.
Jeder in Israel kennt diese Zahl. Die Menschen haben das
öffentliche Leben auf den Straßen auf das Notwendigste
beschränkt; so erzählen es mir meine Freunde. Die nackte
Todesangst dominiert den Alltag.

Und dann dieses Attentat am Vorabend des Pessachfes-
tes, das ein Blutbad unter den 200 Hochzeitsgästen anrich-
tete. Man muss sich das einmal vorstellen: Das wäre so, als
wenn am Weihnachtsabend im voll besetzten Kölner Dom
eine Bombe hochginge. So wurde das in Israel aufgenom-
men. Was wäre in einer solchen Situation in Deutschland
los? Das muss man sich einmal fragen. – In Israel hat die-
ses Attentat – eines von vielen – zur Folge, dass eine große
Mehrheit der Gesellschaft subjektiv das Gefühl hat, es geht
um die Existenz Israels. Die Regierung Scharon reagierte
darauf mit einem massiven militärischen Einmarsch in die
Städte der Westbank, zuletzt heute Morgen in Hebron.

Der Teufelskreis der Gewalt im Nahen Osten scheint
zurzeit unauflösbar. Was können wir tun? Welchen Bei-

trag können wir leisten, damit die Gewalt beendet wird?
Das sind die Fragen, die uns und viele Bürgerinnen und
Bürger im Land beschäftigen. Eines steht jedenfalls für
mich fest: In einer Situation, in der beide Gesellschaften
durch den jahrzehntelangen Konflikt zutiefst traumatisiert
sind, in der sie – natürlich mit ganz subjektiven Sichtwei-
sen auf ihre jeweilige Situation – um ihr Überleben und
um ihre Existenz kämpfen, verbietet sich gerade für uns
Deutsche eine vorschnelle und einseitige Parteinahme.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Detlef Dzembritzki [SPD])


Gerade wir haben aufgrund unserer Geschichte ein be-
sonderes Verhältnis zu Israel. Wer meint, dieses Verhält-
nis im Zuge dieses furchtbaren und tragischen Konflikts
kurzerhand normalisieren zu können, handelt geschichts-
vergessen und verantwortungslos. Das geht nicht. Gerade
für uns steht die Anerkennung des Existenzrechts Israels
in anerkannten Grenzen außerhalb jeder Debatte. Daran
darf es keinen Zweifel geben. Daraus folgt eben auch die
bleibende Verpflichtung, für die Sicherheit Israels und
seiner Menschen einzutreten. Das bedeutet natürlich kei-
nen generellen Verzicht auf Kritik an der jeweiligen isra-
elischen Regierung. Herr Lamers, ich stimme Ihnen dies-
bezüglich zu. Jede Kritik muss sich aber an der
besonderen Verantwortung Deutschlands messen lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es war richtig, dass der Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen mit den Resolutionen 1402 und 1403 den Rück-
zug der israelischen Truppen aus den palästinensischen
Städten gefordert hat, wie er auch die terroristische Ge-
walt der Selbstmordattentäter, die von Teilen der Palästi-
nenser ausgeht, verurteilt hat. Es ist klar, dass die
Vorgänge in Dschenin von einer internationalen Untersu-
chungskommission aufgeklärt werden müssen und huma-
nitären Organisationen Zugang zu den Verletzten gewährt
werden muss.

Ich habe die große Sorge, dass die militärische Gewalt
als Antwort auf Terror und Selbstmordattentate Israel auf
Dauer nicht mehr, sondern weniger Frieden und Sicher-
heit geben wird. Terror wird mit militärischer Gewalt und
die wiederum mit Terror beantwortet. Dieser heillose Teu-
felskreis kann nur durch die Wiederaufnahme von politi-
schen Verhandlungen durchbrochen werden. Es gibt
keine militärische Option, um Frieden im Nahen Osten zu
erreichen, für keine Seite. Ein unabhängiger palästinensi-
scher Staat wird nicht durch Terror, sondern nur durch
Verhandlungen zu erreichen sein. Frieden und Sicherheit
für Israel wird es vermutlich erst geben, wenn Siedlungen
geräumt werden und Israel sich aus den besetzten Gebie-
ten zurückzieht, wenn also die palästinensische Gesell-
schaft endlich wieder eine politische Perspektive erhält.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Genau das ist der Kerngedanke des Ideenpapiers des
Außenministers, das zu Recht international und auf euro-
päischer Ebene hohe Anerkennung gefunden hat.

Ohne gemeinsame Anstrengungen der USA, der UNO,
Russlands und der EU werden die Beteiligten nicht an den




Karl Lamers
23134


(C)



(D)



(A)



(B)


Verhandlungstisch zurückkehren. Auch das ist ein wichti-
ger Vorschlag in dem Ideenpapier. „Wir brauchen eine
dritte, gemeinsame Partei von außen“ – so haben es Yossi
Beilin, der ehemalige Justizminister Israels, und Jassir
Abed Rabbo, der palästinensische Minister für Informa-
tion und Kultur, schon im März formuliert. Beide sind
auch Mitbegründer der israelisch-palästinensischen Frie-
denskoalition, die ganz intensiv daran arbeitet, dass wie-
der ein gemeinsamer Dialog möglich wird. Sie haben ge-
sagt: Ohne Hilfen von außen und ohne internationale
Garantien werden wir, die Konfliktparteien, es nicht
schaffen, Frieden herzustellen.

Im Rahmen der EU wird sicher das eine oder andere
am Ideenpapier verändert werden. Für mich steht aber ei-
nes fest: Es ist ein wichtiger Beitrag zur Bildung einer ge-
meinsamen EU-Position.

Ich bin auch der Überzeugung, Debatten über Sanktio-
nen oder Boykottmaßnahmen vonseiten der EU – Sie ha-
ben das ja, Herr Lamers, heute nicht erwähnt; ich habe es
an anderer Stelle von Ihnen gelesen – bringen die EU bei
der Lösung des Nahostkonflikts nicht weiter, sondern ver-
härten die Fronten. Wir als Deutscher Bundestag sollten
daher gemeinsam diese konstruktive Initiative mit allen
Kräften unterstützen. Das könnte eine Chance sein, um
den politischen Prozess und politische Gespräche wieder
in Gang zu bringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das ist das Gebot der Stunde. Es geht darum, wie dieser
Prozess wieder in Gang kommt, und nicht – das will ich
sehr deutlich sagen – um eine innenpolitische Instrumen-
talisierung zu durchsichtigen Zwecken.

Herr Gerhardt, natürlich darf und muss man die kon-
krete Politik der israelischen Regierung kritisieren. Ich
habe das eben sehr deutlich gesagt. Ich bin völlig einver-
standen damit, dass Sie sagen: Kein Widerstandsrecht der
Welt legitimiert Terror. Da bestehen zwischen uns keine
Differenzen; das ist Konsens unter uns. Aber – das will ich
hier noch einmal sehr deutlich sagen – das verträgt sich
nicht mit dem, was Herr Möllemann in einem „taz“-Inter-
view im April gesagt hat,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


von dem er sich nicht distanziert hat. Der Herr Parteivor-
sitzende Westerwelle hat dieses sogar im Nachhinein
noch beschönigt, indem er gesagt hat, Kritik muss doch
möglich sein. Ich will hier noch einmal vortragen, was
Herr Möllemann gesagt hat. Ich habe nämlich den Ein-
druck, dass das in der Debatte hier heruntergespielt wird,
während es in Israel eine große Rolle gespielt hat.

Er hat gesagt:
Was würde man denn selber tun, wenn Deutschland
besetzt würde? Ich würde mich auch wehren, und
zwar mit Gewalt. Ich bin Fallschirmjägeroffizier der
Reserve. Es wäre dann meine Aufgabe, mich zu weh-
ren. Und ich würde das nicht nur im eigenen Land
tun, sondern auch im Land des Aggressors.

Herr Gerhardt, der Terror der Selbstmordattentäter, der
unschuldige Zivilisten trifft, sei legitim im Kampf gegen

Israel; er würde sich daran auch beteiligen. Das hat
Möllemann gesagt.


(Walter Hirche [FDP]: Nein!)

Das hat Herr Westerwelle als so genannte legitime Kritik
in einer Situation verteidigt, in der sich in Israel viele
Menschen aus Todesangst nicht mehr auf die Straße
trauen, in der es für Israel subjektiv um das Existenzrecht
geht. Ich finde das beschämend.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich bin der Meinung, Herr Gerhardt – Ihr Vorsitzender,
Herr Westerwelle, hat sich schon verzogen –, dass Sie das
hier und heute in dieser Debatte ganz deutlich zurückneh-
men müssen. Mit solchen Äußerungen machen Sie, ob Sie
das wollen oder nicht – ich will Ihnen das nicht unterstel-
len –, Antisemitismus in Deutschland wieder salonfähig.
Das ist hochgefährlich, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Walter Hirche [FDP]: Das ist eine ungeheure Behauptung!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423302700
Frau Kolle-
gin Müller, der Kollege Gerhardt hat sich zu einer Zwi-
schenfrage gemeldet. Wenn Sie ihm die gestatten, gebe
ich ihm jetzt das Wort.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Ja, sicher.


Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Rede ID: ID1423302800
Frau Kollegin, ers-
tens: Ist Ihnen, nachdem die erste Kritik an dieser Äuße-
rung in einem Interview vorgetragen wurde, bekannt, dass
Herr Möllemann auf mögliche Missverständnisse klar
und eindeutig hingewiesen hat? Er hat ausgeführt – ich
gebe es im übertragenen Sinne wieder –, dass es keine Ak-
zeptanz von Selbstmordattentätern gibt, selbst dann nicht,
wenn sie für die Ziele des eigenen Volkes kämpfen. Ich
bin gerne bereit, Ihnen die entsprechende Äußerung
schriftlich nachzureichen.

Zweitens. Sind Sie auch bereit, endlich davon Abstand
zu nehmen, dass jedes Argument, das in dieser Debatte
geäußert wird, mit dem Vorwurf des Antisemitismus be-
legt wird?

Drittens. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass ich keine
Sekunde gezögert hätte, mich hier von Herrn Möllemanns
Äußerungen zu distanzieren, wenn er sie in einer zusätz-
lichen Erklärung nicht klargestellt hätte. – Damit kann
diese Debatte nun wirklich beendet werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist ja unglaublich!)


Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Herr Gerhardt, ich kenne diese Distanzierung
nicht.

Da Sie diese Zwischenfrage gestellt haben, möchte ich
noch etwas, was ich eben nicht erwähnt habe, hinzufügen.




Kerstin Müller (Köln)


23135


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich habe auf der Internetseite der Deutsch-Arabischen
Gesellschaft, deren Präsident Herr Möllemann ist, die
Pressemitteilung eines ehemaligen Kollegen von mir aus
NRW gefunden. Die Überschrift dieser Presseerklärung
lautet: „Israelische Armee wendet Nazi-Methoden an.“
Ich habe mich mit dem Kollegen, der für diese Äußerung
verantwortlich ist, einmal auseinander gesetzt. Er ist jetzt
Mitglied der FDP.


(Walter Hirche [FDP]: Ist er nicht! Er ist in der Fraktion, aber nicht in der FDP! – Weiterer Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP])


– Herr Gerhardt, hören Sie zu!
Auf dieser Internetseite – ich bin jetzt bei der

Deutsch-Arabischen Gesellschaft, deren Präsident Herr
Möllemann ist – steht:

Diese Erklärung von Herrn Karsli, die wir uneinge-
schränkt unterstützen ...

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich! Den müssen Sie rausschmeißen! – Walter Hirche [FDP]: Fragen Sie den Vizepräsidenten Moosbauer!)


Wir müssen uns da nicht verzetteln. Diese Äußerung muss
zurückgenommen werden; davon muss man sich distan-
zieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe Ihnen nicht Antisemitismus vorgeworfen. Ich
habe gesagt – ob Sie es wollen oder nicht –: Damit macht
man Antisemitismus in Deutschland salonfähig. Das ist
das Gefährliche an dieser Diskussion.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423302900
Gestatten
Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Gerhardt?


(Hans-Ulrich Klose [SPD]: Muss das sein? Das ist nicht gut!)


Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Bitte.


Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Rede ID: ID1423303000
Ich möchte nicht,
dass wir diese Debatte beenden, ohne dass Klarheit über
meine Haltung herrscht.

Meine erste Zwischenfrage haben Sie nicht beantwor-
tet, weil Sie den von mir genannten Sachverhalt überhaupt
nicht zur Kenntnis genommen haben. Das können Sie
nachträglich noch tun.

Zum Zweiten möchte ich ganz einfach feststellen:
Nehmen Sie bitte – wenn Sie diese Aussage erwarten – zur
Kenntnis, dass niemand glauben sollte, er könnte in der
FDP eine Heimat für antiisraelische Politik finden.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat er doch gemacht!)


Wer das glaubt, der irrt sich gewaltig.

(Beifall bei der FDP)


Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Das war keine Frage. Wir haben es zur Kenntnis
genommen.

Man darf das nicht unterschätzen. Wer die öffentliche
Debatte in den Medien in Israel verfolgt hat, der hat mit-
bekommen, dass diese Angelegenheit dort eine große
Rolle gespielt hat. Sie hat auch hier eine große Rolle ge-
spielt. Ich habe nur ganz ruhig gesagt: Davon muss man
sich distanzieren.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Haben wir!)

Wenn wir in diesem Haus in dieser Frage einen Konsens
haben, wenn Unklarheiten beseitigt wurden, dann bin ich
darüber sehr froh. Aber das muss sein.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423303100
Frau Kolle-
gin Müller, ich muss Sie fragen, ob Sie eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Niebel beantworten möchten.


(Peter Dreßen [SPD]: Nein, das wird doch peinlich!)


Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Nein, ich möchte jetzt zum Ende kommen. Ich
denke, wir haben das klargestellt.

Wenn wir wollen, dass unsere berechtigte Kritik am
Vorgehen Israels gehört wird, wenn wir wollen, dass die
Konfliktparteien an den Verhandlungstisch zurückfinden,
wenn wir wollen, dass die palästinensische Gesellschaft
wieder eine politische Perspektive erhält, dann ist es
wichtig, dass wir konstruktiv daran mitwirken, den Frie-
densprozess und den Dialog wieder in Gang zu bringen.
Lassen Sie uns vor allem die verhandlungsbereiten Frie-
denskräfte auf beiden Seiten stärken und unterstützen!
Das ist unsere Aufgabe. Damit, so meine ich, werden wir
unserer besonderen Verantwortung gerecht.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423303200
Nun gebe
ich das Wort dem Kollegen Wolfgang Gehrcke für die
Fraktion der PDS.


(Hans-Ulrich Klose [SPD]: Denken Sie daran, Herr Gehrcke, dass Sie aus Hamburg kommen!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423303300
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass es bei dem
jetzigen Stand der Debatte sinnvoll ist, nachzuprüfen,
welche Gemeinsamkeiten oder, um es etwas vorsichtiger
zu sagen, Nähen es in der deutschen Nahostpolitik gibt
oder geben kann.

Die PDS-Fraktion geht in ihren Überlegungen von fol-
gendem Grundsatz aus: Wer Frieden will, darf Gerechtig-




Kerstin Müller (Köln)

23136


(C)



(D)



(A)



(B)


keit nicht verweigern. Frieden wird aus Gerechtigkeit
wachsen. Diesen Gedanken wollen wir politisch veran-
kern.


(Beifall bei der PDS)

Dies führt uns zu vier Überlegungen, die Ziele und zu-
gleich auch Wege einer deutschen Nahostpolitik skizzie-
ren könnten. Ich will diese Überlegungen vorstellen.

Erstens. Als Ergebnis auch der deutschen Bemühungen
wollen wir erreichen, dass ein eigener, anerkannter, le-
bensfähiger Staat der Palästinenser entsteht, und zwar
nicht irgendwann, sondern in klar definierten Zeiträumen.
Dies erfordert zwingend – das ist das Problem der gestrigen
Erklärung von Scharon, neue Siedlungen zu gründen – die
Rücknahme der israelischen Siedlungspolitik, weil sonst
kein Weg eröffnet wird.


(Beifall bei der PDS)

Zweitens. Zugleich wollen wir sicherstellen, dass Is-

rael in gesicherten Grenzen, ohne Bedrohung und in Frie-
den mit seinen Nachbarn leben kann. Dies erfordert zwin-
gend die Anerkennung Israels durch die arabischen
Nachbarstaaten, das Ende von Anschlägen und des Infra-
gestellens des Existenzrechtes Israels.


(Beifall bei der PDS)

Für diese Ziele werben wir auf beiden Seiten, damit ein
Friedensprozess wieder in Gang kommt. Es fehlt Ver-
trauen; es herrscht Angst.

Eine gemeinsame Initiative von EU, USA, Russland
und den Vereinten Nationen ist sinnvoll. Internationale
Beobachter und Blauhelme können in einer bestimmen
Etappe für die Konfliktparteien hilfreich sein. Ich möchte
sie nicht als Instrument gegen die Konfliktparteien, son-
dern als Hilfe für diese verstanden wissen. Ein Einsatz
deutscher Soldaten in Israel scheidet jedoch aus histori-
schen und aktuellen Gründen vollständig aus


(Beifall bei der PDS)

und muss von diesem Hause auch vollständig und ohne
Grautöne ausgeschlossen werden. Ich weiß nicht, was den
Bundeskanzler geritten hat, ausgerechnet auf einer Kom-
mandeurstagung der Bundeswehr die Frage anzuspre-
chen, ob sich deutsche Soldaten auch an einem solchen
Einsatz beteiligen sollten. Ich halte das nicht für ernst-
hafte Politik, sondern für Schwafelei.


(Hans-Ulrich Klose [SPD]: Na, na!)

Drittens. Wenn wir weiterkommen wollen, darf es auch

hinsichtlich der Menschenrechte keine Zweideutigkeit
geben. Ich glaube, die Bundesregierung sollte sich
bemühen, in dieser Frage nicht zweideutig zu sein. Die
Menschenrechtsverletzungen durch Israel müssen ge-
nauso verurteilt werden wie Gewalt- und Selbstmordan-
schläge. Deswegen ist das Verhalten der Bundesregierung
bei der VN-Menschenrechtskommission, wo sie eine ent-
sprechende kritische Auseinandersetzung mit Israel
blockiert hat, eben nicht logisch und stringent, sondern
gibt Anlass, nachzufragen.

Wir müssen rasche humanitäre Hilfe leisten. Das be-
trifft das Flüchtlingslager Dschenin, aber auch Ramallah.

Ich habe gestern Nacht noch einmal mit den internationa-
len Beobachtern telefoniert, die zusammen mit Arafat ein-
geschlossen sind. Sie haben seit sechs Tagen kein Essen
mehr erhalten. Solana wollte Nahrung mit hineinbringen;
ihm ist von der israelischen Seite gesagt worden, Zugang
zu Arafat gebe es nur ohne Transport von Essen. Sie ha-
ben keine Medikamente mehr. Müssen solche Demüti-
gungen sein?

Auch hier müsste die deutsche Politik deutlicher und
eindeutiger beweisen, dass Menschenrechtsverletzungen
nicht selektiv gesehen werden und dass nicht unter-
schiedlich mit ihnen umgegangen wird.


(Beifall bei der PDS)

Viertens. Aus meiner Sicht ist ein Gewaltverzicht aller

Seiten, ein Ende der Besatzung und ein Ende von An-
schlägen notwendig. Das bedeutet aber in der jetzigen Si-
tuation einen sofortigen Abzug des israelischen Militärs
aus den besetzten Gebieten sowie ungehinderte Bewe-
gungsfreiheit für Arafat. Wenn man verhandeln will, kann
man den Verhandlungspartner nicht einsperren. Das
macht doch keinen Sinn; das schafft doch kein Vertrauen.


(Beifall bei der PDS)

Ich will auch meine Sorge darüber nicht verhehlen,

dass neue Militärschläge Israels gegen den Libanon und
gegen Syrien nicht auszuschließen sind. Auch das muss
man hier aussprechen. Man muss auf Israel einwirken,
keine weitere Eskalation der militärischen Auseinander-
setzung vorzunehmen.


(Beifall bei der PDS)

Ich will, dass endlich damit Schluss gemacht wird, dass

junge Palästinenser ihr Leben beenden, indem sie sich als
Waffe gegen andere einsetzen. Ich will aber auch, dass da-
mit Schluss gemacht wird, dass junge Bürger Israels ihr
Leben mit den Gräueln des Krieges belasten. Gewaltver-
zicht in der Region – dieser Gewaltverzicht trifft dann
auch Hisbollah und andere – ist ohne Alternative. Auch
das sollten wir hier deutlich machen.


(Beifall bei der PDS)

Ich habe eine Frage an die Regierung, die ja wieder ge-

gangen ist. Es ist inzwischen üblich geworden: Wenn die
PDS spricht, verschwinden der Kanzler und der Außen-
minister.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Das wird auch in Zukunft so bleiben!)


Das kann man durchhalten, aber es macht keinen Sinn,
weil man immer mit den konkreten Kontrahenten reden
muss.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Die koalieren doch miteinander!)


Meine Frage bezieht sich auf die Grundlagen der Nah-
ostpolitik. Beim Antrag von SPD und Grünen fällt schon
auf, dass der Grundlagenbeschluss 242 der Vereinten Na-
tionen überhaupt nicht erwähnt worden ist, anders als bei
dem Antrag der CDU/CSU, den ich in vielen Teilen, wenn
ich das sagen darf, überhaupt besser finde. Erste Grundlage
also: zwei Staaten. Zweite Grundlage: alle Resolutionen




Wolfgang Gehrcke

23137


(C)



(D)



(A)



(B)


der Vereinten Nationen ohne Doppeldeutigkeiten. Dritte
Grundlage: Einsatz für Menschenrechte. Vierte Grund-
lage: Gewaltverzicht auf allen Ebenen. Könnten das die
Grundlagen einer gemeinsamen Nahostpolitik sein?
Diese Frage wird die Bundesregierung zu beantworten
haben, wenn sie ein Interesse daran hat, dass neben ihr
auch die anderen Fraktionen im Haus über diese Politik
mitdiskutieren.

Ich will auch deutlich sagen, dass es aus meiner Sicht
bedrückend ist, wenn jüdische Bürgerinnen und Bürger,
aber auch palästinensische Bürgerinnen und Bürger in un-
serem Land sagen, dass sie Angst haben. Ich bitte alle,
nicht leichtfertig mit dem Vorwurf von Antisemitismus
gegenüber Kritikern Scharons umzugehen. Ich bitte aber
gleichfalls darum, die Sorgen vor Antisemitismus in un-
serem Land sehr ernst zu nehmen.


(Beifall bei der PDS)

Die Geschichte unseres Landes, der bedauerliche Auf-
schwung rechtsextremer Gruppen und Auffassungen, aber
auch solche Vorkommnisse und Entwicklungen wie Le
Pen in Frankreich geben Anlass zur Sorge. Wir sollten aber
auch deutlich aussprechen: Wer Kritik an Scharon mit An-
tisemitismus gleichsetzt, verharmlost Antisemitismus.


(Beifall bei der PDS)

Deutsche Schuld kann nicht auf dem Rücken von Paläs-

tinensern ausgetragen werden. Der deutsche Stammtisch
formuliert, dass sich Juden und Araber eben nicht vertra-
gen können. Ich finde, das ist ein dummes Argument.
Noch vor einigen Jahrzehnten wurde gesagt, Deutsche
und Franzosen seien Erbfeinde. Ich bin überzeugt: Juden
und Araber, Bürger Israels und Bürger Palästinas können
miteinander leben. Sie werden auf der Grundlage von
zwei Staaten auch beweisen können, ob sie sogar einmal
Kern von Demokratien in der Region werden. Das ist
heute nicht vorstellbar, aber dennoch denkbar.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423303400
Für die
SPD-Fraktion spricht der Kollege Hans-Ulrich Klose.


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1423303500
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Mit meinem ersten Satz
möchte ich gern eine kritische Zwischenfrage von Christa
Nickels aufgreifen. Ich wünschte mir, liebe Christa
Nickels, die israelische Regierung hätte nicht vor zwei
Tagen beschlossen, eine neue große Siedlung im West-
jordanland zu bauen. Ich glaube nicht, dass das hilfreich ist.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der PDS)


Ich wünschte mir, dass arabische Politiker aufhören wür-
den, von dem „so genannten Staat Israel“ oder von die-
sem „zionistischen Gebilde“ zu sprechen. Die Sprache ist,
fürchte ich, Programm.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und der PDS)


Ich wünschte mir, dass Arafat in deutlicher – Sie haben es
gesagt – arabischer Sprache


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das ist richtig!)


zu einem Ende der Gewalt aufrufen würde. Ich wünschte
mir, dass Israel die Entschließungen des UN-Sicherheits-
rates beachten und sich aus den palästinensischen Gebie-
ten zurückziehen würde. Ich wünschte mir, dass beide
Streitparteien endlich darangingen, gemeinsam nach einer
politischen Lösung zu suchen, statt wie bisher aus-
schließlich auf Gewalt zu setzen. Es gibt – da sind wir si-
cher alle einig – keine militärische Lösung des Nahost-
problems.


(Beifall im ganzen Hause)

Ich glaube, in diesem Punkt jedenfalls sind wir Europäer
untereinander, aber auch mit den USA und mit Russland
sowie der UNO einig.

In Wahrheit wissen wir alle, die wir uns mit dem
Thema beschäftigen, wie in etwa eine politische Lösung
aussehen müsste. Erstens. Es gibt keine politische Lösung
ohne die Gründung eines unabhängigen Palästinenser-
staates. Den gibt es nicht, wenn alle Siedlungen im Gaza-
streifen und in der Westbank aufrechterhalten und neue
gegründet werden.

Zweitens. Es gibt keine politische Lösung ohne eine
vernünftige Regelung des Flüchtlingsproblems. Unver-
nünftig ist es, das volle Rückkehrrecht für alle aus
Palästina vertriebenen Menschen sowie ihre Kinder und
Kindeskinder zu fordern. Das wäre – das weiß jeder, auch
die arabische Seite – das Ende des jüdischen Staates.


(Michael Glos [CDU/CSU]: So ist es!)

Drittens. Es gibt keine politische Lösung ohne eine

faire Entscheidung über Ostjerusalem und ohne eine fair
geteilte, am besten gemeinsame Souveränität über den
Tempelberg.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Richtig!)

So in etwa müsste eine politische Lösung aussehen. Das

wissen wir alle, viele Israelis und viele Palästinenser ein-
geschlossen. Warum kommt es nicht zu dieser politischen
Lösung? Dafür sind zwei Gründe maßgeblich: erstens weil
die Palästinenser glauben, dass sich Kooperation und Zu-
warten nicht auszahlen – richtig ist, dass sie in den zehn
Jahren nach Oslo mehr Land verloren haben als in den
zehn Jahren vor Oslo –, und weil sie aus dem Rückzug der
Israelis aus Südlibanon den falschen Schluss gezogen ha-
ben, nämlich dass sich Gewalt auszahlt. Weil das so ist,
haben die Israelis ihrerseits beschlossen, gegen diesen Irr-
tum mit aller Gewalt anzukämpfen und deutlich zu ma-
chen, dass sie unter Gewalt niemals nachgeben werden. In
diesem Punkt stimmen 80 Prozent der israelischen Bevöl-
kerung mit Scharon überein, nicht mit seiner Politik.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Richtig!)

Zweitens. Der gesamte Friedensprozess hat von An-

fang an darunter gelitten, dass er auf der Basis totalen
Misstrauens eingeleitet wurde, und alle Versuche, eine
tragfähige Vertrauensbasis zu schaffen, sind durch die




Wolfgang Gehrcke
23138


(C)



(D)



(A)



(B)


Eskalation der Gewalt zunichte gemacht worden. Der ge-
meinsame Nenner dieses Konfliktes ist Angst, Hass und
Misstrauen. Alle Akteure haben Angst – Angst vor den ei-
genen Leuten, Angst vor dem Gegner, Angst vor militä-
rischer und terroristischer Gewalt und traumatische Angst
vor massenhafter Vertreibung zurück ins Meer oder über
den Jordan.

In einer solchen Situation eindeutige Erklärungen, Ak-
tionen und Sanktionen zu fordern, zu fordern, dass Druck
ausgeübt werden müsse – Kollege Gerhardt, Sie haben
das Verbum zwingen benutzt –, hilft nichts.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Wer solche Forderungen erfüllt, wird schnell zu einer
Partei in einer Auseinandersetzung, in der es unmöglich
ist, eindeutig und widerspruchslos zwischen Gerechten
und Ungerechten zu unterscheiden. Die Tragik des Kon-
fliktes besteht doch darin, dass beide Seiten Opfer und Tä-
ter sind, beide aber immer nur sich selbst als Opfer und
die andere Seite als Angreifer sehen.

In einer solchen Situation ist es für uns vor allem wich-
tig, für beide Seiten als Ansprechpartner zur Verfügung zu
stehen, Moderator zu sein, so bescheiden diese Rolle im
Konkreten auch ausfallen mag. Statt über Sanktionen ge-
gen die eine oder andere Seite zu sprechen, muss über
Hilfe für die leidenden Menschen, über vertrauensbil-
dende Maßnahmen und über Wege gesprochen werden,
beide Seiten an den Verhandlungstisch zurückzuführen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb und mit diesem Ziel unterstützen wir die
Bemühungen des amerikanischen Außenministers Powell
– von denen wir nicht sagen sollten, dass sie gescheitert
sind – begrüßen wir auch die Initiative unseres Außen-
ministers. Deshalb verzichten wir ausdrücklich darauf,
mit vollmundigen Erklärungen die emotionalen Erwar-
tungen des eigenen Publikums befriedigen zu wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Dies ist keine innenpolitische, sondern eine außenpoli-
tische Debatte. Unsere Aufgabe, die Aufgabe der Deut-
schen, kann es nicht sein, eine Lösung in Nahost zu er-
zwingen. Wer den Eindruck erweckt, das könnte man,
indem man Druck ausübt, schafft bestenfalls Illusionen.

Das sage ich deshalb, weil es, wie wir alle wissen, in
unserem Land Sympathisanten für die eine und für die an-
dere Seite gibt. Beide erwarten von uns Erklärungen zu-
gunsten ihres jeweiligen Standpunktes. Vorsicht, kann ich
nur sagen. Wir alle bekommen viele Briefe, auch ich;
manche sind gut, es sind aber auch viele dabei, von denen
ich wünschte, sie wären nicht geschrieben worden.

Ich möchte noch zwei Bemerkungen anfügen, die ich
an die Sympathiegruppen für die eine und die andere
Seite richte. Zunächst ein Wort an die Sympathiegruppe
Palästina. Auch Sie können und dürfen nicht übersehen,
dass, wie wiederholt gesagt worden ist, uns unsere deut-
sche Geschichte eine besondere Verantwortung gegen-

über Israel auferlegt und dass eine einseitige Stellung-
nahme zugunsten der Palästinenser schon deshalb ausge-
schlossen ist, weil auch die Palästinenser oder wesentli-
che Teile von ihnen das Existenzrecht Israels bis zum
heutigen Tage nicht anerkannt haben.

Für die Sympathiegruppe Israel füge ich hinzu: Die be-
sondere Verantwortung gegenüber Israel verbietet uns
nicht, die israelische Regierung für Dinge, die sie tut oder
nicht tut, zu kritisieren. Solche Kritik, wenn sie in ange-
messener Form vorgetragen wird, ist nicht immer gleich
als antisemitisch zu brandmarken. Das zu tun ist falsch
und kontraproduktiv. Es ist ungerecht, wenn Kollegen, die
solche Kritik äußern, in diese Ecke geschoben werden;
dort gehören sie nicht hin.

Ich sage dies auch mit einem besorgten Blick auf man-
che Kommentare aus Amerika. Am liebsten würde ich
mich an die Kommentatoren selber wenden und sagen:
Liebe Freunde, wir sind nicht die verräterischen Europäer.
Wir sind Menschen, die voll Trauer und Entsetzen erle-
ben, dass die Gewalt in Nahost eskaliert. Wir sehen, wie
Menschen leiden, Palästinenser und Israelis. Einen wenn
auch bescheidenen Beitrag zur Lösung dieses Problems
zu leisten, damit das Leiden der Menschen aufhört, das
treibt uns an und um.

Nur dies, der Wunsch, außenpolitisch hilfreich zu sein,
sollte uns bei innenpolitischen Debatten beflügeln und
leiten.

Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423303600
Ich erteile
das Wort für die CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen
Joachim Hörster.


Joachim Hörster (CDU):
Rede ID: ID1423303700
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Ich habe, auch im Hinblick auf
die Zeit, nicht die Absicht, Dinge zu wiederholen, die an
diesem Vormittag schon gesagt worden sind. Ich möchte
mich insbesondere auf Ministerpräsident Stoiber, den
Kollegen Lamers, den Kollegen Moosbauer und auch den
Kollegen Klose beziehen, aus deren Worten deutlich ge-
worden ist, dass wir zumindest innerhalb des Parlamentes
eine sehr breite gemeinsame Grundlage bei der Beurtei-
lung dieses Konfliktes haben.

Was nach meinem Dafürhalten in dieser Betrachtung
ein bisschen zu kurz kommt, ist die Situation auf der
arabischen Seite; denn ich glaube, dass wir den Kon-
flikt nicht nur als Konflikt zwischen Palästinensern und
Israelis sehen können, sondern nicht übersehen dürfen,
dass er weiter geht, über Israel und Palästina hinaus. Des-
halb heißt die Debatte Nahostdebatte.

Bei der Überlegung, welche Lösungsmöglichkeiten
bestehen, stellt sich die Frage: Wie sieht der Rahmen für
solche Lösungsmöglichkeiten aus? Gibt es einen Rah-
men, gibt es Bewegungen auch außerhalb von Palästina
und Israel?

Wir täten gut daran, uns einmal den Friedensplan
genauer anzuschauen, den der saudische Kronprinz




Hans-Ulrich Klose

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(C)



(D)



(A)



(B)


Abdallah vorgelegt hat. Der saudische Kronprinz ist ja
nicht irgendwer. Es kommt nämlich nicht darauf an, dass
es einen Friedensplan gibt, sondern darauf, von wem er
vorgelegt wird. Selbstverständlich ist dieser Friedensplan
nicht der Weisheit letzter Schluss. Aber in ihm werden ei-
nige sehr bemerkenswerte Punkte angesprochen.

Zunächst einmal ist festzustellen, dass er sich auf die
Resolution der Vereinten Nationen bezieht und den Rück-
zug der Israelis aus allen besetzten Gebieten – einschließ-
lich der Golanhöhen – in die Grenzen von 1967 verlangt.
Dann fordert er die Rückführung der Flüchtlinge nach
UN-Resolution 194, wobei wir alle wissen – das wissen
auch alle arabischen Regierungen –, dass dies eine Ver-
handlungsposition ist, deren Erfüllung gänzlich unrealis-
tisch ist.

Herr Kollege Gerhardt, in diesem Zusammenhang eine
Bemerkung: Die Kritik an den arabischen Staaten hin-
sichtlich der Behandlung der Flüchtlinge, die Sie geübt
haben, ist nur teilweise berechtigt. Die UN-Flüchtlings-
kommission für Palästina hat mittlerweile festgestellt,
dass sowohl in Jordanien als auch in Syrien mehr als
80 Prozent der palästinensischen Flüchtlinge in die Be-
völkerung integriert sind, also nicht mehr in Lagern leben,
sondern als Staatsbürger voll akzeptiert werden. Ein Son-
derproblem stellt zweifelsohne der Libanon dar. Wir wis-
sen, dass in diesem Land von allen Seiten die härtesten
Fronten aufgebaut werden. Ich will diesen Punkt jetzt aber
nicht vertiefen; ich wollte ihn nur kurz erwähnen.

Der Friedensplan von Abdallah verlangt die Anerken-
nung eines souveränen und selbstständigen palästinen-
sischen Staates auf der Westbank und im Gazastreifen.
Dabei handelt es sich im Übrigen um eine Forderung, die
von allen Seiten dieses Hauses geteilt wird. Das ist auch
die Position der Vereinten Nationen und der Europäischen
Union; sie wird ebenfalls von den Vereinigten Staaten von
Amerika akzeptiert.

Im Gegenzug bietet der Friedensplan an – in diesem
Punkt kommt es auf die genaue Beachtung der Sprache
an –, dass der israelisch-arabische Konflikt für beendet er-
klärt wird. Abdallah will dies durch ein Friedensabkom-
men mit Israel erreichen, in dem die Sicherheit für alle
Staaten in der Region gewährleistet werden soll. Der Frie-
densplan bietet weiterhin die Herstellung normaler Be-
ziehungen zu Israel in Übereinstimmung mit dem umfas-
send vereinbarten und zuvor geschlossenen Frieden an.

Das ist vor dem Hintergrund dessen, was sich in den
letzten Jahrzehnten entwickelt hat, ein gewaltiger Schritt.
Denn alle Verhandlungsprozeduren, die wir seit 1978 bis
zum heutigen Tag erlebt haben – ich erinnere an die Tref-
fen von Jimmy Carter, Anwar al-Sadat und Menachem Be-
gin in Camp David –, haben zu keinem Zeitpunkt eine ver-
gleichbare arabische Position hervorgebracht. Diese
Position ist auf dem Gipfel der Arabischen Liga – es haben
zwar einige wichtige Staatschefs gefehlt; aber ihre Vertre-
ter waren anwesend – in Beirut beschlossen worden.

Das heißt, wir haben jetzt eine vom gesamten ara-
bischen Umfeld gebilligte Perspektive für eine Friedens-
lösung für Palästina. Was können die Europäer dazu bei-
tragen? Wir haben in der heutigen Debatte noch kein Wort

über den Barcelona-Prozess verloren. Im Zusammen-
hang mit dem Abkommen von Oslo und mit dem Gaza-
Jericho-Abkommen hat die Europäische Union auf dem
Gipfel in Essen – ich darf daran erinnern: unter der Rats-
präsidentschaft von Helmut Kohl – die Weichen für die
Außenministerkonferenz in Barcelona gestellt.

Die Außenministerkonferenz in Barcelona hatte zum
Ergebnis, dass die Europäische Union und die zwölf süd-
lichen und östlichen Mittelmeeranrainer in ein besonderes
Verhältnis eintreten. Dieses besondere Verhältnis betrifft
als Mittelmeeranrainer sowohl Palästina und Israel als
auch Syrien und Ägypten. Wir haben also einen Rahmen
geschaffen, in dem wir mit den Mittelmeeranrainern und
damit auch mit den Staaten des Konfliktgebietes umgehen
wollen.

Die Europäische Union hat mit diesem Schritt deutlich
gemacht, wo der Unterschied zwischen ihrer und der Po-
sition der Vereinigten Staaten liegt. Für uns ist dieses Ge-
biet der Nahe Osten und nicht der Mittlere Osten. Es sind
unsere Nachbarn, mit denen wir gemeinsam leben und mit
denen wir gemeinsam eine Reihe von Problemen bewäl-
tigen müssen. Das Migrationsproblem ist nur eines von
diesen Problemen.

Mit diesem Rahmen sind die Voraussetzungen für die
notwendigen Leistungen für den Aufbau der Infrastruktur
eines palästinensischen Staates geschaffen worden. Seit
1994 hat die Europäische Union 2,5 Milliarden Euro für
diese Region ausgegeben, von denen nach den jetzigen
Ereignissen so gut wie nichts mehr übrig geblieben ist.
Wer sich das Ganze auch noch inhaltlich vor Augen hält,
wird feststellen, dass dieser Barcelona-Prozess drei Körbe
enthält, die für die ganze Region und auch für die Ent-
wicklung der Zivilgesellschaft von einer unschätzbaren
Bedeutung sind.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist not-
wendig, keine Politik der lauten Worte zu betreiben. Wir
müssen in dem von uns vorgefundenen Rahmen eine stille
Diplomatie betreiben, um damit die Ängste abzubauen,
von denen der Kollege Klose gesprochen hat, und um den
sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Rahmen zu
schaffen, der einen Aufbau und ein vernünftiges Zusam-
menleben im Nahen Osten ermöglicht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423303800
Ich gebe
dem Kollegen Günter Gloser das Wort. Er spricht für die
Fraktion der SPD.


Günter Gloser (SPD):
Rede ID: ID1423303900
Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Was kann ein gewöhnlicher Mensch tun, der vor ei-
nem gewaltigen Feuer steht? Er kann versuchen, dem
Brand zu entkommen und all die ihrem Schicksal
überlassen, die nicht schnell genug laufen können
oder nicht wissen, wohin. Er kann herumstehen und




Joachim Hörster
23140


(C)



(D)



(A)



(B)


jammern. Er kann die Schuld auf andere schieben. Er
kann aber auch den Teelöffel, den er in der Hand hält,
immer wieder mit Wasser füllen und es in die Flam-
men spritzen.

So beginnt ein Beitrag von Amos Oz in der „Süddeut-
schen Zeitung“ von vor wenigen Tagen. Er fährt fort:

Jeder von uns hat so einen Teelöffel. In diesen Tagen
muss jeder, der für Frieden ist, Wasser besorgen
– wenigstens einen Teelöffel voll – und es in das
Feuer gießen: Er muss seine Stimme erheben gegen
die Kriegsverbrechen der einen wie der anderen Seite
und den Opfern dieser Verbrechen seine Hilfe anbie-
ten; er muss demonstrieren, überreden, diskutieren,
Unterstützung für vernünftige Kompromisse einho-
len und argumentieren gegen die Fortsetzung der
israelischen Besatzung wie auch gegen die isla-
misch-antisemitische Kampagne zur Auslöschung
Israels. Der Löffel in der Hand eines gewöhnlichen
Menschen ist wohl sehr klein und das Feuer sehr
groß – aber trotzdem muss er ihn benutzen.

Amos Oz fährt mit einem schönen Beispiel fort. Er sagt:
Wir brauchen in Israel wie auch in Palästina eine
„Teelöffel-Kampagne“, bei der jeder mitmacht und
sein Äußerstes gibt, um dieses ewige Rad von Unter-
drückung, Mord, Vergeltung und Vergeltung der Ver-
geltung endlich anzuhalten.

Um das Bild von ihm aufzugreifen: Ich meine, dass
auch die Europäische Union einen solchen Teelöffel in die
Hand nehmen muss. Ich glaube, sie hat nicht nur einen
Teelöffel in die Hand genommen, sondern mehrere. Das
heißt wiederum, dass auch wir Deutsche uns daran betei-
ligen müssen. Dies ist im Verlaufe dieser Debatte bereits
in vielfältigster Weise angesprochen worden.


(Beifall bei der SPD)

Europa muss – nicht nur, weil wir vielleicht ein ureige-

nes Interesse daran haben – für die Menschen in dieser Re-
gion, die auf beiden Seiten, in Palästina und in Israel, be-
troffen sind, aktiv werden. Jeder, der in dieser Region
engagiert ist, weiß, dass das aber auch für die Nachbarn
gilt. Als Beispiel spreche ich Jordanien an, das unter die-
sem Konflikt ebenfalls sehr leidet. Ich glaube, dass wir ge-
lernt haben, dass Europa nur in Abstimmung mit den Ver-
einten Nationen, den Vereinigten Staaten und mit Russland
einen abgestimmten politischen Beitrag leisten kann.

Ich halte daher die Überschrift und Kommentierung in
einer deutschen überregionalen Zeitung für falsch. Sie
schreibt: „Das Scheitern der EU als Friedensstifter“. Dies
hilft der Politik wenig weiter.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es wird nämlich der Eindruck erweckt, als ob Scheitern
das Ende jeglichen politischen Handelns bedeuten würde.
Im Gegenteil: Die Europäische Union beteiligt sich sehr
aktiv an den Verhandlungen. Das ist sicherlich ein Unter-
schied zu früheren Jahren. Damals wurde gelegentlich
kritisiert, dass die Amerikaner verhandeln und die
Europäer finanzielle Unterstützung leisten. Aber auch das

ist Politik; man darf sie nämlich nicht nur in einem engen
Blickwinkel sehen.

Ich denke, es ist wichtig, auch weiterhin finanzielle
Unterstützung für diese Region zu leisten. Gerade in den
palästinensischen Gebieten muss der Aufbau einer zivilen
Infrastruktur unterstützt werden. Diese finanzielle Unter-
stützung muss natürlich einer Kontrolle unterliegen. Hier-
für gibt es Institutionen.

Es ist mehrfach erwähnt worden, dass in diesen Tagen
Forderungen nach Sanktionen gegen Israel laut gewor-
den sind. Unabhängig davon, ob sie mehr schaden oder
nutzen: Wir können doch angesichts dessen, dass wir vor
wenigen Monaten in einer anderen benachbarten Region
gesagt haben, dass Sanktionen letztendlich unwirksam,
maßlos oder sogar verwerflich sind, keine Sanktionen for-
dern. Solche doppelten Standards würden uns zurückwer-
fen. Dafür sollten wir uns nicht hergeben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Genauso wenig halte ich natürlich von Forderungen, wo-
nach die finanziellen Hilfen für die Palästinenser einge-
stellt werden sollen. Ich glaube, dass es wichtig ist – das
ist hier an verschiedensten Punkten deutlich geworden –,
über eine zivile Infrastruktur zu verfügen.

Leider stellen Zeitungsberichte, aber auch das Fernse-
hen – das können sie manchmal auch nicht – nicht all die
Dinge dar, die wichtig sind und die zu Hoffnungen in die-
ser Region geführt haben. Ich möchte ein Beispiel erwäh-
nen, das zurzeit leider auf Eis liegt, für das sich aber mein
Kollege Christoph Moosbauer sehr stark engagiert hat.
Ich meine das von der Friedrich-Ebert-Stiftung ange-
stoßene und von der Europäischen Union finanzierte Pro-
jekt in der Nähe von Dschenin, das jetzt in der Tat zum Er-
liegen gekommen ist. Dies ist ein Projekt, das den Willen
zum Frieden und zur Zusammenarbeit gezeigt und das
eine grenzüberschreitende kommunale Zusammenarbeit
gefördert hat. Wer die Initiatoren auf beiden Seiten be-
obachtet hat, fühlte sich gelegentlich an europäische
Grenzsituationen erinnert, da über Grenzen hinweg eine
eindrucksvolle kooperative Zusammenarbeit geleistet
worden ist. Welch eine Hoffnung, welch ein Signal! Lei-
der ist es momentan zum Stillstand gekommen.

Ich greife gern das Stichwort Mittelmeerprozess
– Kollege Hörster hat es angesprochen – auf. In der Tat,
das alles hängt zusammen. Ich fand es gut, dass auf der
Konferenz in Valencia der Dialog letztendlich fortgesetzt
worden ist. Er ist nicht unterbrochen worden, auch wenn
manche Länder gelegentlich gefehlt haben. Es war ein Fo-
rum, am Rande auch über diesen Prozess zu diskutieren.

Wir alle – auch mehrfach in diesem Haus – haben nach
dem 11. September 2001 vieles gefordert und uns einiges
gewünscht. Daher ist es äußerst wichtig – es gibt hier
überhaupt keinen Unterschied zu den Ausführungen des
Kollegen Hörster –, dass wir den Dialog gerade in dieser
Region fördern, und zwar nicht nur den wirtschaftlichen,
sondern auch den Dialog mit den Inhalten, wie er in
Korb III der KSZE-Schlussakte formuliert worden ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Günter Gloser

23141


(C)



(D)



(A)



(B)


Denn es gilt doch für beide Seiten, für Israel und für die
palästinensischen Gebiete: Auf beiden Seiten leben Men-
schen in Angst, Menschen, die keine Perspektive haben.
Auf beiden Seiten leben Menschen, die schon seit einigen
Monaten nur Gewalt erleben. Aus unserer Sicht fragt man
sich natürlich: Warum finden sie nicht zusammen?

Ich möchte am Schluss meiner Rede auf einen weite-
ren Punkt zu sprechen kommen. Denn ich finde, dass es
auch andere Stimmen gibt. Wir sprechen immer von den
Israelis und den Palästinensern. In seinem jüngsten Buch
zitiert der britische Historiker Bernhard Wasserstein den
schon vorhin von Herrn Fischer zitierten Sari Nusseibeh,
den Präsidenten der Al-Quds-Universität. Er sagte in ei-
nem Gespräch mit israelischen Politikern, das in den Me-
dien veröffentlicht wurde:

Ich wäre ja blind, wenn ich die jüdische Beziehung
zu Jerusalem bestritte. Die existenzielle Beziehung,
die die Juden zu Jerusalem haben, muss anerkannt
und respektiert werden, genauso wie die islamische
und arabische Beziehung zu Jerusalem.

Wir sollten Personen wie ihn und Personen wie bei-
spielsweise Jossi Beilin, der auch einer Minderheit an-
gehört, auch von europäischer Seite unterstützen. Denn
ich glaube, dass sie den Teelöffel, den ich gemäß Amos Oz
zitierte habe, in der Hand haben. Ich denke, das könnte ein
Weg zu einem friedlichen Prozess in dieser Region sein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423304000
Der Kollege
Friedbert Pflüger spricht für die Fraktion der CDU/CSU.


Dr. Friedbert Pflüger (CDU):
Rede ID: ID1423304100
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Rachel Lewi
war 17 Jahre alt und Israelin. Ajat al-Achras war 18 Jahre
alt und Palästinenserin. Sie sahen sich ähnlich. Sie haben
ein paar Kilometer voneinander entfernt gelebt. Wenn sie
sich unter anderen Umständen, in anderen Zeiten, begeg-
net wären, wären sie vielleicht Freundinnen geworden.
Sie haben sich einmal kurz gesehen, zufällig, vor einem
Supermarkt in Jerusalem. Dann zündete Ajat den Spreng-
stoffgürtel. Beide sind dabei umgekommen.

Man muss die Frage stellen, inwieweit wir in einem
solchen Klima des Terrors und der Selbstmordattentate
überhaupt Friedensverhandlungen fordern können. Man
muss doch wenigstens, bei aller Kritik, die auch legitim
ist, verstehen, dass irgendwann die Frage gestellt wird:
Wie lange wollen wir zusehen, dass in Hotels oder bei re-
ligiösen Festen dieser furchtbare Terrorismus immer wie-
der zuschlägt? Hundert zivile Tote, Frauen und Kinder, in
Israel in einem Monat, im Monat März – umgerechnet auf
die Größe der Bundesrepublik Deutschland würde das
1 250 Tote bedeuten. In welchem Land der Welt könnte
man unter solchen Umständen Friedensverhandlungen
führen? Terror und Frieden passen nicht zusammen.

Es gibt viele Gründe dafür und wahrlich nicht nur auf
einer Seite; dazu ist heute bereits viel Gutes gesagt wor-

den. Aber ein Grund für diesen Terror, diesen Hass liegt
darin, dass in Palästina in den Schulbüchern nach wie
vor Hass gepredigt wird. In den Schulbüchern in Palästina
gibt es den Staat Israel nicht – eine Geografie, in der isra-
elische Städte nicht vorkommen. In Schulbüchern für die
fünfte Klasse heißt es zum Beispiel:

Schreibe fünf Zeilen über die Tugenden der Märty-
rer und ihre herausragende Stellung.

Oder:
Bestimme in folgenden Sätzen, was Subjekt, was
Prädikat ist: Der Heilige Krieg ist eine religiöse
Pflicht jedes muslimischen Mannes und jeder musli-
mischen Frau.

Wir unterstützen die palästinensische Autonomie-
behörde. Es ist richtig, dass wir diesen Beitrag leisten und
dass wir in Palästina helfen, vor allem auch humanitär. Aber
vielleicht müssen wir doch in Zukunft die wenigen Hebel,
die wir haben, stärker nutzen und zum Beispiel dafür sor-
gen, dass es solche Schulbücher, solche Aufrufe zu Hass
und Gewalt gegen die Existenz Israels nicht mehr gibt.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Ich bin 1999 in Israel gewesen – ich war inzwischen
wieder da –; damals gab es eine Hoffnung und eine Auf-
bruchstimmung. Damals sagten die Israelis: Wir glauben,
dass die Araber jetzt endlich verstanden haben, dass sie
mit Israel rechnen müssen und dass wir zu einem Aus-
gleich kommen müssen. Diese Hoffnung ist heute in
Israel zerstört. Natürlich haben die Israelis zum Beispiel
durch ihre Siedlungspolitik dazu beigetragen; aber sie
würden – davon bin ich nach meinen vielen Erfahrungen
in Israel felsenfest überzeugt – einem palästinensischen
Staat zustimmen. Sie haben im Jahr 2000 mit Clinton,
Barak, Arafat solche Regelungen ausgehandelt. Es gab
Wege, den Terrorismus und die Gewalt frühzeitig zu ver-
hindern. Sie sind nicht gegangen worden. Ich finde, wir
sind manchmal in der Gefahr, in diesen Tagen etwas zu
einseitig die Fehler bei denjenigen zu sehen, die die
schlimmeren Fernsehbilder produzieren, den Israelis.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir wissen – Kollege Hintze hat es gestern im Europa-
ausschuss gesagt –, dass Arafat seit langem in einem
Dreieck zwischen Duldung, Billigung und Steuerung des
Terrorismus gefangen ist. Es gibt Dokumente, die jetzt
von unserer Bundesregierung als echt bestätigt worden
sind, die vielleicht nicht beweisen, aber nahelegen, dass
Arafat und die Al-Aksa-Brigaden zusammenarbeiten.
Wenn wir jetzt angebliche Massaker in Dschenin überprü-
fen – ich finde es richtig, dass wir sie überprüfen und dass
die Vereinten Nationen eine Untersuchung einleiten –,
müssen wir auch über solche Dokumente reden, auch
wenn sie uns vielleicht nicht in den Kram passen. Dann
müssen wir uns auch die Frage stellen, ob von unserer
Seite nicht viel zu lange zugeschaut wurde, wenn Terro-
rismus gebilligt, geduldet oder vielleicht sogar gesteuert
worden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)





Günter Gloser
23142


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423304200
Herr Kol-
lege Pflüger, ich kann Ihnen leider jetzt keine weitere Re-
dezeit geben.


Dr. Friedbert Pflüger (CDU):
Rede ID: ID1423304300
Ich möchte noch
einen letzten Satz sagen, Herr Präsident.

Worauf es ankommt, ist, das Existenzrecht Israels mit der
Würde der Araber und der Palästinenser zu verbinden. Das
ist eine große Aufgabe und an dieser Aufgabe müssen wir
alle zusammen über alle Parteigrenzen hinweg arbeiten.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423304400
Als letzter
Rednerin in dieser Aussprache gebe ich nun das Wort der
Kollegin Dagmar Schmidt für die Fraktion der SPD.


Dagmar Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1423304500
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer wie wir in der Ent-
wicklungspolitik ein Instrument der Krisenprävention
und der Armutsbekämpfung sieht, muss über die aktuelle
Situation im Nahen Osten besonders enttäuscht sein.
Wenn man nicht differenzierte, wenn man sich nur von
den Bildern der Gewalt leiten ließe, müsste totale Hoff-
nungslosigkeit die Folge sein.

Der Bundeskanzler und unsere Außenpolitiker haben
in dieser Debatte die Leitlinien der deutschen Nahost-
politik dargestellt. Alle haben deutlich gemacht: Die Ge-
walt muss ein Ende haben. Gewalt darf keine Sympathie
finden. – Sympathie für die Menschen im Nahen Osten
konnte wachsen, solange dort politische Entscheidungs-
träger das Prinzip Hoffnung verkörperten. Entwicklungs-
politische Maßnahmen in den palästinensischen Gebieten
wurden als wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung
und damit für die Krisenbewältigung angesehen. Glaub-
würdigkeit für unsere Instrumente haben wir nur gefun-
den, weil wir den oft gehörten Vorwurf der Doppelstan-
dards entkräften konnten, weil wir unsere Haltung, Terror,
Gewalt und Hass grundsätzlich zu verurteilen, nicht op-
portunistisch relativieren. Wir müssen weiterhin für die-
sen gewaltfreien Weg werben und extremistische Kräfte
verurteilen.

Unsere Politik hat immer in der Stärkung der Zivil-
gesellschaft und somit in der Förderung von Demo-
kratisierungsprozessen und der Sicherung von Men-
schenrechten ihr Ziel gesehen. Wir betonen das Recht
der Palästinenser, in einem eigenständigen, demokrati-
schen Staat zu leben, der die Existenz und die
Sicherheitsinteressen Israels akzeptiert. Deshalb müssen
wir unsere Anstrengungen zur Stärkung demokratischer
Strukturen in den Autonomiegebieten intensivieren.
Hier können wir auf der international anerkannten Ar-
beit der politischen Stiftungen aufbauen. Es muss gelin-
gen, die Feindbilder in den Köpfen der Menschen abzu-
bauen. Erziehung zum Frieden setzt eine große
Verantwortung von Lehrern und Journalisten voraus.

Gemeinsame Schulbuchkommissionen können hier, wie
die europäische Erfahrung zeigt, einen wichtigen Bei-
trag leisten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, die Hoffnung muss wieder
Raum finden. Außenpolitik und Entwicklungspolitik
beteiligen sich gemeinsam an den UN-Notprogrammen
und an den Programmen der Caritas, um die Besorgnis er-
regende Versorgungslage zu entschärfen. Wir halten Be-
schäftigungsprogramme gerade für Jugendliche für beson-
ders wichtig. Junge Menschen brauchen eine Perspektive
jenseits von Hass und Gewalt.

Wir sind darauf vorbereitet, unsere bewährten ent-
wicklungspolitischen Erfahrungen schwerpunktmäßig in
die Bereiche Wasser, Förderung der Zivilgesellschaft so-
wie Aufbau und Sicherung der Demokratie einzubringen,
sobald die aktuelle Sicherheitslage dies erlaubt.

Gerade im Gespräch mit den Vertretern zahlreicher
Nichtregierungsorganisationen auf beiden Seiten bekom-
men wir oftmals die auch in dieser Region existierende
Erkenntnis vermittelt, die auf politischer Ebene so schwer
zu verwirklichen ist: Nur im Dialog, im gegenseitigen
Respekt und in vertrauensbildenden Maßnahmen liegt
eine Zukunft für den Nahen Osten. Auf diese Vernunft
setzen wir unsere Hoffnung.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423304600
Ich schließe
die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf der
Drucksache 14/8862 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Entschließungs-
anträge zur Regierungserklärung auf den Drucksachen
14/8879 und 14/8904 sollen an dieselben Ausschüsse
überwiesen werden. – Ich sehe, dass das Haus damit ein-
verstanden ist. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.

Zum Zusatzpunkt 3 gibt es die Beschlussempfehlung
des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 14/8877 zu
dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem Titel „Die Ge-
waltspirale im Nahen Osten beenden“. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/8271 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Dann stelle ich fest, dass
die Beschlussempfehlung mit den Stimmen von SPD,
Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU bei Enthaltung
der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der PDS angenom-
men ist.

Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 17 a und
17 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Rühe, Dr. Karl-Heinz Hornhues, Hans-Peter
Repnik, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Helmut






(C)



(D)



(A)



(B)


Haussmann, Dr. Klaus Kinkel, Dr. Werner Hoyer
und der Fraktion der FDP
Die zweite Runde der NATO-Erweiterung auch
als Beitrag zur Stabilisierung Südosteuropas
konzipieren
– Drucksache 14/8835 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung

b) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Die NATO vor der Erweiterung
– Drucksache 14/8861 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe als erstem Redner
dem Kollegen Christian Schmidt für die Fraktion der
CDU/CSU das Wort.


Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1423304700
Herr Präsi-
dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn
sich die Staats- und Regierungschefs der NATO im No-
vember dieses Jahres zu ihrem nächsten Gipfeltreffen in
Prag zusammenfinden, steht auch die Aufnahme weiterer
Mitglieder in die Allianz auf der Tagesordnung. Man er-
innere sich: Die erste Erweiterungsrunde der NATO mit
Polen, Ungarn und der Tschechischen Republik wurde
maßgeblich von Deutschland mitgestaltet. Die damalige
Regierung Kohl hat die historische und strategische Di-
mension dieses Prozesses rechtzeitig erkannt, sich ent-
sprechend verhalten und schon damals darauf hingewie-
sen, dass es eine zweite Erweiterungsrunde geben wird.

Ganz anders stellt sich das Bild anlässlich der zweiten
Öffnungsrunde der Allianz dar: Es gibt keine deutsche Ini-
tiative und keine öffentliche Debatte. Es ist, im Gegenteil,
fast eine Tabuisierung des Themas festzustellen. Erst die
Rede des amerikanischen Präsidenten in Warschau vor ei-
nem Jahr hat unserer Regierung das Thema quasi aufge-
zwungen. Dennoch ist die Zurückhaltung nicht zu über-
sehen. Wir wollen heute mit unserem Antrag einen
Beitrag dazu leisten, dass diese Zurückhaltung aufgege-
ben wird; denn sie ist misslich. Durch das Fehlen dieser
Debatte werden auch die strategischen Fragen, die mit der
Erweiterung zusammenhängen, nicht diskutiert.

Ich hoffe, dass wir die Bundesregierung trotz des vor
uns liegenden Wahlkampfes dazu bringen werden, diesem
Thema genügend Aufmerksamkeit zu widmen. An uns
soll und wird es auf jeden Fall nicht liegen. Unsere Über-
legungen zu dieser Frage sind umfangreich und politisch
klar gegliedert, sodass wir die deutsche Position beim

Prager Gipfel auch nach der Bundestagswahl gut werden
einbringen können.

Zunächst steht die Erweiterung der NATO um zwi-
schenzeitlich sieben Länder – die drei baltischen Staaten,
die Slowakei, Slowenien, Bulgarien und Rumänien – un-
ter der Überschrift der Stabilitätsgewinnung und Erweite-
rung für ganz Europa. Nach wie vor ist die Rolle der
NATO als Anker der Stabilität in Europa wichtig. Dies be-
trifft nicht nur Fragen der Binnenstabilisierung in den
Beitrittsländern – hierzu wäre die NATO wohl ein nur
sehr begrenzt adäquates Instrument –, sondern auch re-
gionale und geostrategische Überlegungen.

Durch diese werden Bulgarien und Rumänien näher
an die NATO herangeführt – wir haben uns in unserem
Antrag dazu sehr deutlich positioniert – als durch rein mi-
litärische Kriterien. Der Zustand ihrer militärischen Fä-
higkeiten lässt dies gegenwärtig möglich erscheinen.
Diese Länder bei der nächsten Runde zu berücksichtigen
ist ein perspektivischer Antrag.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423304800
Herr Kol-
lege Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihres
Fraktionskollegen Freiherr von Stetten?


Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1423304900
Gerne.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: War das bestellt?)



Dr. Freiherr Wolfgang von Stetten (CDU):
Rede ID: ID1423305000

Herr Kollege, wir wollen, wie es im Antrag steht, sieben
Staaten aufnehmen. Stimmen Sie mit mir überein, dass
wir für die Länder Litauen, Lettland und Estland eine
besondere Verantwortung haben, nachdem sie 1939 durch
den Hitler-Stalin-Pakt von uns zum Spielball zweier
Großmächte wurden, und auch die Westmächte 1940,
1941 und 1945 nichts gegen die Unterdrückung dieser
Länder getan haben?


Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1423305100
Herr Präsi-
dent, ich darf zuerst den Zwischenruf kommentieren. Wer
den Kollegen von Stetten kennt, der weiß, dass er keine
Aufforderung braucht, um sich für die baltischen Staaten
einzusetzen, und dass seine Frage nicht bestellt war.

Ich nehme nun die Zwischenfrage gerne auf. Sehr ver-
ehrter Herr Kollege von Stetten, ich stimme der in Ihrer
Frage enthaltenen Tendenz zu. Wir haben sowohl von un-
serer Seite als auch – ich darf das einmal so sagen – von
jener der Russischen Föderation her eine gewisse histori-
sche Verantwortung und Verpflichtung, die Unabhängig-
keit, aber auch die Entscheidungsfreiheit der baltischen
Staaten sicherzustellen. Zur Entscheidungsfreiheit gehört
auch die Freiheit der Bündniswahl. Von dieser Wahlfrei-
heit wollen die Länder Gebrauch machen. Wir haben heute
im Gespräch mit dem estnischen Parlamentspräsidenten
und seiner Delegation davon gehört. Ich bin deswegen der
Ansicht, dass wir dieses Anliegen unterstützen sollten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Danke schön!)





Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
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(C)



(D)



(A)



(B)


In diesen Ländern ist übrigens die binnenstabilisie-
rende Wirkung sehr groß, möglicherweise größer, als das
in Slowenien und der Slowakei der Fall ist. Ich will die
Länder nicht im Einzelnen bewerten. Dazu werden wir
noch kommen.

Allerdings muss ich beim Stichwort Slowakei etwas
einflechten. Hier zeigt sich: Eine Stabilisierung ist auch
innerhalb der Länder notwendig. Die Botschaft, die wir
aussenden, ist auch: Diejenigen, die mit der NATO nichts
anfangen können und die früher in diesem Land Verant-
wortung getragen haben, sollten sich nicht einbilden, dass
es nun einfach „Schwamm drüber“ heißt. Damit meine ich
Herrn Meciar und seine Vorstellungen, die er vor Jahren
entwickelt hat und mit denen er uns konfrontiert hat. Ich
vermag bisher nicht festzustellen, dass sich die Haltung
seiner Partei in dieser Frage sehr geändert hat. Diese klare
Botschaft wird, wenn ich das richtig sehe, nicht nur von
den Amerikanern, sondern, Herr Bundesminister, auch
von den Europäern in die Slowakei transportiert.

Ich will zum Thema der Stabilisierung nach außen ei-
nen Aspekt ansprechen, über den wir leider zu wenig re-
den. Es geht nicht nur um das Treffen der Staats- und Re-
gierungschefs im November in Prag, sondern auch um das
bevorstehende NATO-Außenministertreffen in Reykjavik
im Mai. Gerade im Hinblick auf die Bündniswahlfreiheit
der baltischen Staaten werden entscheidende Weichen-
stellungen vorgenommen werden. Es wird darauf ankom-
men, das Verhältnis der NATO zur Russischen Föderation
neu zu justieren. Wir halten eine Kooperation, besonders
im Bereich der Terrorbekämpfung und der Antiterrorko-
alition, mit Russland für notwendig. Das ist bisher unbe-
friedigend behandelt worden.

Ich möchte jetzt nicht untersuchen, wieso der NATO-
Russland-Rat nicht funktioniert hat. Aber ich habe den
Eindruck, dass das nicht allein die NATO-Strukturen be-
trifft. Ich möchte auch an die russische Seite appellieren,
noch einmal genau zu überlegen, mit welchem Impetus
man an solche Veranstaltungen herangeht. Nur von 19
plus 1 auf 20 umzustellen, wird das Problem nicht lösen.
Man muss sich von der Haltung verabschieden, man
könne alles allein entscheiden, die anderen hätten zu fol-
gen. Nein, so wird es nicht sein und nicht sein können.
Trotzdem bejahen wir eine neue Struktur, die Russland
näher an uns heranführt und eine Leitlinie für unser Han-
deln darstellt.

Ich glaube, dass die amerikanische Sicherheitsberate-
rin Condi Rice Recht hat, als sie sagte, dass ein Beitritt
Russlands zur NATO gegenwärtig nicht auf der Tages-
ordnung stehen kann.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Wer hätte das gedacht!)


– Es gibt aus verschiedenen Richtungen, unter anderem
aus Ihrer, ab und zu Vorstellungen, die etwas anderes wol-
len. Ich meine, dass wir uns sehr genau überlegen sollten,
wie wir mit Russland umgehen. Aber das Thema des Bei-
tritts sollten wir im Augenblick nicht diskutieren. Wenn
ich „im Augenblick“ sage, dann meine ich damit die
nächsten Jahre und möglicherweise auch Jahrzehnte. Es
geht darum, dass wir verhindern, dass aus der NATO eine
OSZE wird. Es geht darum, dass wir die Frage, die sich

durch die Erweiterung um sieben Staaten stellen wird,
nämlich wie das Konsensprinzip effektiv aufrechterhalten
werden kann, beantworten müssen. Es wird innerhalb der
NATO eine Strukturdebatte geben. Ich fordere, dass be-
reits im Mai in Reykjavik anhand der Frage der Zusam-
menarbeit mit Russland über diese interne NATO-Frage
diskutiert wird und entsprechende Vorschläge entwickelt
werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Bundesministers Joseph Fischer)


– Das ist zum Beispiel die Frage, ob die Europäer insge-
samt in der NATO stärker auftreten sollten oder nicht.
Momentan geht man ja von der Formel 19 plus 1 gleich
20 aus. Vielleicht wäre 1 plus 1 plus 1 die bessere Per-
spektive.


(Karl Lamers [CDU/CSU]: Sehr gute Idee! Das ist Stoiber! – Zuruf des Bundesministers Joseph Fischer)


– Herr Minister, in diesen Fragen ist in den letzten Jahren
nur wenig gelaufen. Wir möchten Butter bei die Fische.

Es geht jedenfalls nicht, neue Staaten nacheinander an
das bisherige System anzuflanschen, ohne sich zu überle-
gen, wie man mit 26 NATO-Mitgliedern oder mehr eine
vernünftige, entscheidungsfähige und den Amerikanern
vermittelbare Politik machen kann. Das ist doch das Pro-
blem, das wir gegenwärtig in der NATO haben. Wieso ist
denn der Bündnisfall im Zusammenhang mit dem 11. Sep-
tember zwar ausgerufen, aber nie eingefordert worden?
Wieso hat er denn nicht zu Konsequenzen geführt?

Kollege Pflüger hat vor einiger Zeit einen sehr interes-
santen Vorschlag gemacht. Er hat gesagt, wir bräuchten ei-
gentlich so etwas wie einen neuen Harmel-Bericht. Die-
ser Bericht führte 1967 zur Neujustierung des
Zusammenspiels von politischen und militärischen Fähig-
keiten. In der Tat hat sich die Welt so verändert, dass die
NATO wohl einen neuen Harmel-Bericht herausgeben und
sich über die Frage Gedanken machen muss – diese hat sie
ansatzweise bereits auf ihren Gipfeln von Madrid bis
Washington in ihrer neuen Strategie berücksichtigt –, wie
man die Notwendigkeit der Binnenstabilisierung Europas,
also eine stark politische Komponente, mit einer mög-
lichen Befriedung an der Peripherie, mit der Erhaltung der
militärischen Schlagkraft und auch der militärischen Inter-
ventionsfähigkeit der NATO verknüpfen kann. Gegenwär-
tig sind die Amerikaner – wer mag es ihnen verdenken –
der Meinung, mit den Europäern sei nicht viel anzufangen,
wenn sie den Vertrag über die Defense Capability Initia-
tive – auf Deutsch: Verteidigungsfähigkeitsinitiative –, den
sie unterschrieben hätten – die militärischen Fähigkeiten
sollten in 58 Punkten verbessert werden –, nicht erfüllten.


(Karl Lamers [CDU/CSU]: Das muss man immer wieder sagen!)


– Ich möchte ja Abstand davon nehmen, den Rücktritt von
Herrn Scharping zu fordern. Den fordert die Koalition
zwischenzeitlich schon selber. Die Situation ist misslich,
weil mit dem Mann – so ist jedenfalls mein Eindruck –
überhaupt nicht mehr zu reden ist. Vielleicht sagt ihm ja
der eine oder andere in Washington wieder einmal, um
was es wirklich geht.




Christian Schmidt (Fürth)


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(C)



(D)



(A)



(B)


Es geht darum, dass die NATO nach der bevorstehen-
den Erweiterungsrunde und aus der Diskussion, die in
Reykjavik geführt werden wird, als ein Bündnis hervor-
geht, das militärisch und politisch handlungsfähig ist. Das
Bündnis ist gegenwärtig militärisch nur beschränkt hand-
lungsfähig. Das wiederum beschränkt die außenpoliti-
schen Fähigkeiten unseres eigenen Landes und unseres
Kontinents. Das kann uns nicht gleichgültig sein. Deswe-
gen muss sich hier etwas verändern. Dies steht neben dem
Beitritt der genannten Länder auf der Tagesordnung.

Ich bin überzeugt davon, dass es viel Unterstützung für
die baltischen Staaten, für Slowenien, für die Slowakei
mit den genannten Kautelen, für Bulgarien und Rumänien
geben wird. Diese Länder werden unseren Kontinent mit
stabilisieren und in der Lage sein, einen militärischen Bei-
trag zu leisten, wenn sie den Membership Action Plan der
NATO entsprechend erfüllen. Nur, man tut sich gegen-
wärtig etwas schwer, diesen Ländern zu sagen: Ihr müsst
dieses und jenes machen. Denn es könnte ja sein, dass
diese zurückfragen: Wie haltet ihr es denn selber mit eu-
ren Zusagen und Fähigkeiten?

In diesem Sinne schließe ich meine Rede und bitte um
Unterstützung für unseren Antrag.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423305200
Der Kollege
Dieter Schloten spricht jetzt für die Fraktion der SPD.


Dieter Schloten (SPD):
Rede ID: ID1423305300
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Eingangs möchte ich an eine Epi-
sode erinnern, die vielen von Ihnen nicht mehr gegenwär-
tig sein dürfte: Auf Initiative der Parlamentarischen
Versammlung der NATO kam es im Frühjahr 1988 auf der
schönen Insel Madeira zu einer wichtigen und richtung-
weisenden, allerdings höchst umstrittenen Entscheidung.
Sie bestand darin, den damaligen Staatssekretär im unga-
rischen Außenministerium namens Gyula Horn einzula-
den, auf der Herbsttagung des selben Jahres im Hambur-
ger Rathaus zu den Mitgliedern des Politischen und des
Verteidungsausschusses zu sprechen. Das war 1988. Ein
Jahr später war es ebenfalls Gyula Horn, der den Eisernen
Vorhang durchschnitt.

Mit der Einladung eines Politikers, der dem War-
schauer Pakt angehörte, leiteten die Parlamentarier des
Bündnisses eine bahnbrechende Entwicklung ein. Bereits
ein Jahr später, am 9. Oktober 1989, also einen Monat vor
dem Fall der Mauer, sprachen der Oberbefehlshaber der
NATO und der des Warschauer Paktes, die Herren Ge-
neräle Galwin und Lobow, vor demselben Gremium der
Nordatlantischen Versammlung in Rom. Der damit einge-
schlagene Weg gipfelte in der Römischen Erklärung für
Frieden und Zusammenarbeit beim Treffen der Staats-
und Regierungschefs am 7. und 8. November 1991. Hier
wurde das neue strategische Konzept verabschiedet. Die-
ser Gipfel sandte an die Länder Mittel- und Osteuropas
ein deutliches Signal zur Möglichkeit einer späteren en-
geren Zusammenarbeit und sogar einer Mitgliedschaft.

Drei Jahre nach dem Beitritt Polens, Ungarns und der
Tschechischen Republik steht die NATO nun vor der Ent-

scheidung über das Ausmaß der nächsten Erweiterungs-
runde. Auf das Treffen der Außenminister in Reykjavik
wird am 28. Mai der NATO-Russland-Gipfel in Rom fol-
gen, der eine neue Form unserer Zusammenarbeit mit der
Russischen Föderation festschreiben wird. Ende Novem-
ber wird der Gipfel in Prag dann Gewissheit über die
zukünftigen Umrisse des Bündnisses bringen.

Herr Kollege Schmidt, ich teile nicht Ihre Meinung von
einer Tabuisierung. Im politischen Raum ist es schon fast
zu einer Selbstverständlichkeit geworden, dass die Erwei-
terung der NATO fortschreitet. Ich glaube nicht, dass ir-
gendjemand Probleme hat, darüber zu sprechen. Ich
werde das gleich an einem anderen Beispiel belegen. Die-
ses Jahr ist jedenfalls für die NATO ein wichtiges Jahr, ein
Jahr der Reformen und ein Jahr der Anpassung an die
weltpolitischen Veränderungen.

Die NATO ist nicht nur eine Militär-, sondern in erster
Linie eine Wertegemeinschaft. Im grundlegenden Doku-
ment des Bündnisses, dem Nordatlantikvertrag von 1949,
heißt es: Das Bündnis beruht auf „den Grundsätzen der
Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft
des Rechts“. Es hat sich erwiesen, dass die Aussicht auf
eine NATO-Mitgliedschaft und die Einbindung in die
Heranführungsprogramme „Partnerschaft für den Frie-
den“ sowie den Mitgliedschaftsaktionsplan, MAP, Instru-
mente demokratischer Reformen für die Kandidatenlän-
der Mittel- und Osteuropas waren und sind.

Die Beratung und die praktische Unterstützung bei der
Ausbildung haben Früchte getragen. Besonders möchte
ich in diesem Zusammenhang das NATO Defence Col-
lege in Rom erwähnen, in dem seit 1991 Parlamentariern,
Diplomaten, Offizieren und Beamten aus Mittel- und Ost-
europa gemeinsam mit Kollegen aus NATO-Ländern die
Grundwerte und demokratisches Engagement vermittelt
wurden.

Die NATO hat bewusst keine starren, quasi einklagba-
ren Kriterien für die Mitgliedschaft festgeschrieben. Es
gibt aber eine Messlatte für die so genannte Beitrittsreife.
Wenn die Beitrittskandidaten die Voraussetzungen erfül-
len, sollte die Erweiterungsrunde so großzügig wie mög-
lich ausfallen. Die Anstrengungen der Kandidaten sowie
ihre erfolgreichen Reformbemühungen sollten honoriert
werden. Ich möchte auch erwähnen, dass die erfolgrei-
chen Anstrengungen Rumäniens und Bulgariens, die
während der gesamten Balkankrise zur Stabilisierung bei-
getragen haben, in diesen Zusammenhang gehören. Den-
noch halte ich eine Spekulation über eine ganz bestimmte
Anzahl von Kandidatenländern und die Nennung der Na-
men an dieser Stelle und in diesem Kontext für fehl am
Platze, zumal nicht alle Kandidaten – der Kollege
Schmidt hat das erwähnt – die militärischen Vorausset-
zungen erfüllen.

Klar ist, dass diese Erweiterungsrunde umfangreicher
sein wird, als vor einem Jahr vermutet wurde. Klar ist
auch, dass das Entgegenkommen Russlands und die ver-
änderte Weltlage nach dem 11. September 2001 die Ent-
scheidungsbildung beeinflusst haben. Wir begrüßen eine
große Erweiterung, die über die relativ sicheren Kandida-
ten Slowenien und wahrscheinlich auch Slowakei hinaus-
geht. Darin stimmen wir mit den Forderungen Ihres An-




Christian Schmidt (Fürth)

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(C)



(D)



(A)



(B)


trags überein. Wir halten es aber für wenig sinnvoll, in
diesem Stadium bereits abschließend eine Gruppe von
sieben Staaten zu benennen und Rumänien, wo die Re-
formen noch nicht so weit sind wie bei anderen, quasi als
Anhängsel zu bezeichnen. Das gehört, wie ich glaube, in
einen solchen Antrag nicht hinein.

Ich muss Sie von der CDU/CSU noch auf etwas ande-
res hinweisen: Ihr bayrischer Ministerpräsident hat ja
heute Morgen fälschlicherweise beklagt, es sei in der
Nahost-Frage keine ausreichende Abstimmung mit den
USA in Bezug auf die Ideen des Fischer-Planes erfolgt.


(Karl Lamers [CDU/CSU]: Das war nichts als die nackte Wahrheit!)


Nun vermisse ich das: Ich glaube nicht, dass Sie die Na-
men der Länder, für deren Aufnahme in der nächsten
Runde zu sorgen Sie der Regierung in Ihrem Antrag auf-
geben, bereits mit den USA abgestimmt haben.


(Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])


Wir sind zufrieden, dass der Vorschlag, Herr von
Stetten, nicht weiter verfolgt wird, zunächst nur einen der
baltischen Staaten, nämlich den NATO-Anrainer Litauen,
gewissermaßen als Testfall für eine mögliche Belastung
der Beziehungen zu Russland aufzunehmen. Die balti-
schen Staaten als europäische Kernländer sollen in ihrer
Gesamtheit gleichzeitig Mitglieder der NATO werden.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Und das gleich!)


Dies ist eines der vorrangigen Ziele unserer Außenpolitik.
Es entspricht ihren Fortschritten in den letzten Jahren.
Dieses Ziel sollte von uns auch nicht zuletzt aufgrund un-
serer historischen Verantwortung ihnen gegenüber unter-
stützt werden.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Es ist auch die logische Fortschreibung der militärischen
Kooperation untereinander, die die baltischen Länder mit
Unterstützung der NATO in den letzten Jahren erfolgreich
betrieben haben.

Die jüngsten Entwicklungen im Verhältnis der NATO
zu ihrem russischen Partner stimmen durchaus optimis-
tisch. Die Absicht, so eng wie möglich in einer Weise zu-
sammenzuarbeiten, die über das aktuelle Forum des
NATO-Russland-Rates weit hinausgeht, unterstützen
wir. Eine NATO-Mitgliedschaft im eigentlichen Sinne
wird auch von Russland zurzeit nicht gewollt.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Dafür gibt es ja auch keinen Grund!)


Über den Anspruch auf ein begrenztes russisches Vetorecht
bei Militäreinsätzen oder Manövern der NATO gibt es in
Moskau offenbar unterschiedliche Ansichten. Wenn jedoch
im Rahmen einer Gruppe, bisher noch der 19 plus 1,
Russland in wichtigen Fragen ein Mitspracherecht erhält,
etwa bei den Themen Abrüstung, Rüstungskontrolle, An-
titerrorkampf, Nichtverbreitungspolitik und Konflikt-
prävention, ist das ein Gewinn. Dabei muss klar sein, dass
Russland in diesem Zusammenhang auch Verantwortung

tragen und Pflichten erfüllen muss und sicherlich keine
uneingeschränkte Vetomacht in der NATO werden kann.

Durch eine engere Anbindung erreichen wir eine dau-
erhafte Stabilisierung und – wie abzusehen ist – wohl
auch eine größere russische Akzeptanz beim Überschrei-
ten der so genannten roten Linie, also der Erweiterung der
NATO hin auf ehemaliges Territorium der Sowjetunion.
Der Direktor des Russischen Rates für Außen- und Si-
cherheitspolitik, Andrej Fjodorow, erklärte am Montag
dieser Woche, die Aufnahme der baltischen Staaten in die
NATO sei unausweichlich und bedeute Moskau – ich zi-
tiere – „nicht mehr allzu viel“.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das ist sehr gut!)


Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein
Wort zur Erweiterung von EU und NATO: Da gibt es eine
weit gehende inhaltliche Parallelität, nicht aber eine zeit-
liche. EU-Mitglieder und Beitrittskandidaten, die dies
wollen, sollten NATO-Mitglieder werden dürfen. Auf-
grund der erweiterten Kriterien und Inhalte der EU-Mit-
gliedschaft kann dies natürlich nicht automatisch umge-
kehrt gelten. Die Verwirklichung der ESVP schreitet
voran, und je intensiver der europäische Einigungspro-
zess auf politischer Ebene wird, desto mehr drängt sich
die Diskussion auf, wie die politische und militärische Zu-
kunft der EU letztlich aussehen wird. Es liegt doch ge-
wissermaßen in der Folgelogik der Einigung, ein Bei-
standsbündnis – analog zu Art. 5 des WEU-Vertrages – zu
werden, dem alle Mitgliedsländer angehören sollten.

Nun ein letzter Aspekt, auf den auch der Kollege
Schmidt eingegangen ist. Es gibt das Argument, die Er-
weiterung gerade um kleinere, militärisch wenig zur Ein-
satzkraft der NATO beitragende Staaten bedeute eine
Schwächung, eine Verwässerung des Bündnisses. Gewiss
muss die NATO handlungsfähig bleiben und Entschei-
dungsfindungen dürfen nicht noch komplizierter werden.
Politisch ist die Erweiterung ein Gewinn. Sie läuft auf eine
Aufwertung des politischen Charakters der NATO gegen-
über dem rein Militärischen hinaus. Damit ergibt sich aber
zugleich die Pflicht zum Nachdenken über eine bessere
Verteilung der Aufgaben. Mit Blick vor allem auf die
OSZE stehen wir vor der Notwendigkeit einer klaren Auf-
gabenabgrenzung. Eine unnütze Doppelung im großen eu-
ropäischen Sicherheitssystemmuss vermieden, eine ver-
nünftige Aufgabenteilung vorgenommen werden. Wir als
erfahrene Europäer im Deutschen Bundestag sollten für
die Neujustierung unserer europäischen Organisationen so
bald wie möglich konkrete Vorschläge machen.

Die Europäer wollen keine Aufweichung des Bündnis-
ses. Die NATO bleibt die transatlantische Sicherheitsga-
rantie. Sie darf nicht zum Bestandteil oder zur Alternative
beliebig neuer Koalitionen werden.

Die Kriterien, die sich die NATO setzt, müssen aller-
dings von allen Mitgliedern eingehalten werden. Das be-
deutet, dass wir neue Anstrengungen unternehmen müs-
sen, um den europäischen Pfeiler des Bündnisses zu
stärken. Dies geht nur, indem die einzelnen nationalen Be-
schaffungs-, Rüstungs- und Verteidigungspolitiken stär-
ker koordiniert werden, mit dem Ziel, eine gemeinsame
europäische Verteidigungspolitik aufzubauen.




Dieter Schloten

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(C)



(D)



(A)



(B)


Die Erfahrungen unserer Vergangenheit lehren uns: Die
Erweiterung der NATO, die Schaffung eines gesamt-
europäischen Sicherheitsraumes sowie die Stärkung der
transatlantischen Beziehungen sind für eine friedliche und
demokratische Zukunft unseres Kontinents unverzichtbar.

Ich danke Ihnen für Ihre – teils geteilte – Aufmerk-
samkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP])



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423305400
Für die
FDP-Fraktion spricht der Kollege Dr. Werner Hoyer.


Dr. Werner Hoyer (FDP):
Rede ID: ID1423305500
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! So viel Richtiges ist gesagt wor-
den. Es gibt Gott sei Dank einen so weit gehenden Grund-
konsens, dass man jetzt, um Abweichungen festzustellen,
Nuancierungen herausarbeiten müsste. Das könnte man
natürlich im Hinblick auf Mazedonien und Albanien.
Man könnte es aber auch im Hinblick auf die Frage: Bei-
tritt der sieben Kandidaten mit einer zeitlichen Perspek-
tive oder sofort? Wir sind uns darüber einig: Die Grund-
richtung stimmt. Deswegen möchte ich mich gerne auf
einen anderen Aspekt konzentrieren.

Es wird im Herbst höchstwahrscheinlich bei sehr viel
mehr Staaten in Mittelost- und Südosteuropa, als es vor ei-
niger Zeit noch erwartet worden ist, viel Freude geben.
Für sie geht ein Traum in Erfüllung. Es ist angesichts des
unglaublich attraktiven Angebots, das die Europäische
Union macht, ein bisschen ungerecht, wenn diese Staaten
sagen: Die NATO-Mitgliedschaft ist das Allerwichtigste;
sie brauchen wir zuerst. Wenn man sich vergegenwärtigt,
welch risikoreichen, welch mutigen Weg diese Länder in
den letzten zwei Jahrzehnten gegangen sind, dann muss
man das aber verstehen.


(Beifall bei der FDP)

Die NATO war und ist dabei die ersehnte Rückversiche-
rungspolice.

Bald werden diese Staaten also Mitglieder der NATO
sein. Es stellt sich nur die Frage: In welcher NATO eigent-
lich? Die NATO ist nicht nur das erfolgreichste sicher-
heitspolitische Bündnis der Weltgeschichte. Sie ist neben
den Vereinigten Staaten und, mit Einschränkungen, Russ-
land der einzige handlungsfähige Akteur mit logistischer
Fähigkeit, Kommandostruktur und operativen Kapazitäten,
der sich möglichen neuen Herausforderungen stellen kann.
Nach der längsten Friedensperiode, die die NATO zumin-
dest dem größten Teil Europas beschert hat, müssten wir
von allen guten Geistern verlassen sein, wenn wir dieses In-
strument leichtfertig aus der Hand gäben. Ein schlichtes
„Weiter so!“ kann es aber eben auch nicht geben; deswegen
muss der Gipfel in Prag nicht nur ein Erweiterungsgipfel,
sondern auch ein Transformationsgipfel werden.

Die NATO hat sich bereits nachhaltig verändert und
wird dies auch weiterhin tun. Am krassesten ist das da-
durch zum Ausdruck gekommen, dass der NATO-Rat den
Bündnisfall nicht auf Initiative der Amerikaner, sondern

des Generalsekretärs Robertson festgestellt hat, ohne
dass im Rahmen der NATO anschließend noch etwas Ent-
scheidendes passiert ist. Das mag aus amerikanischer
Sicht auf den ersten Blick verständlich erscheinen. Wir
alle kennen die Argumente. In der Tat erwarten die Eu-
ropäer Einbindung und Abstimmung, auch wenn das
mühsam ist.

Dieser Umgang mit den einzigartigen, erprobten, leis-
tungsfähigen Strukturen der militärischen Integration der
NATO könnte sich nach meiner Auffassung eines Tages
noch als kurzsichtig erweisen. Eine noch so pragmatisch
erscheinende grundsätzliche Abstützung auf so genannte
„coalitions of the willing“ birgt nämlich die Gefahr einer
Renationalisierung der Sicherheits- und Verteidigungspo-
litik in sich. Das wäre ein historischer Rückschritt.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU])


Wir müssen uns immer wieder klar machen: Einer der
größten Fortschritte, der mit der nicht nur politischen,
sondern auch militärischen NATO-Integration einher-
ging, ist das Abrücken von einem Nationaldenken in der
Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Eine Renationali-
sierung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik wäre
ein historischer Rückschritt und könnte in die Katastrophe
führen.

Die beispiellos tiefe militärische Integration in die
NATO war und ist Friedensgarant für Europa; denn durch
sie gewährleistet das Bündnis zum einen als System kol-
lektiver Verteidigung den Schutz nach außen. Zum ande-
ren aber führt diese Tiefe der militärischen Integration zur
garantierten strukturellen Nichtangriffsfähigkeit der
Partner untereinander. Angesichts der Geschichte Euro-
pas in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts ist das ein
großartiger Fortschritt.


(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die NATO hat einen einzigartigen „Friedensraum“ ge-
schaffen. Das ist natürlich auch für die neuen Mitglieder
von großer Bedeutung und macht das Bündnis für sie
noch attraktiver.

Einen Denkfehler, der vorhin schon einmal indirekt an-
gesprochen wurde, sollte man allerdings nicht begehen,
wenn man jetzt an die Weiterentwicklung der NATO geht.
Durch diese Eigenschaft, auch nach innen friedenserhal-
tend und stabilisierend zu wirken, wird die NATO selbst
nicht zu einem System kooperativer Sicherheit wie die
OSZE oder die UNO; vielmehr bleibt sie im Kern ein Sys-
tem kollektiver Verteidigung. Ihre Aufgabe ist es im
Zweifel, Angriffe von außen abzuwehren, während die
Systeme kooperativer Sicherheit zunächst einmal die
Aufgabe haben, Konflikte im Inneren auf zivilisierte Art
und Weise zu beherrschen und zu entschärfen. Deswegen
muss die NATO im Kern ein System kollektiver Verteidi-
gung bleiben. Das heißt natürlich nicht, dass sie ihre ein-
zigartigen Fähigkeiten nicht in den Dienst von Systemen
kooperativer Sicherheit wie der UNO oder der OSZE stel-
len könnte, was sie auch schon sehr erfolgreich getan hat.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)





Dieter Schloten
23148


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir stehen also erst am Anfang einer Debatte über die
Weiterentwicklung der NATO. Diese Debatte findet zu ei-
nem Zeitpunkt statt, zu dem wir auch die große und his-
torisch bedeutsame Debatte über die Weiterentwicklung
der Europäischen Union und die Hinzufügung einer wirk-
lichen sicherheits- und verteidigungspolitischen Dimen-
sion des europäischen Integrationsprozesses führen. Des-
wegen sollte man das im Zusammenhang sehen. Das
Problem bei den großen Krisen der letzten Zeit bestand
doch nicht darin, dass es zu viel Amerika gegeben hätte,
sondern darin, dass zu wenig Europa da war.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

In Bosnien war zunächst deutlich geworden, wie

Europa politisch gefordert war. Aber im Kosovo wurde
schon klar, dass wir auch auf militärischem Gebiet un-
seren Beitrag leisten müssen. Deswegen gehören die
Debatten über die Entwicklung der NATO und die der
EU zusammen, und zwar nicht nur unter dem Gesichts-
punkt der Schonung finanzieller und personeller
Ressourcen – dies gilt ohnehin; Herr Kollege Scholten,
Sie haben es angesprochen –, sondern auch ganz
grundsätzlich.

Das ist auch von großem Interesse für unsere neuen
Partner in der NATO und mit gewisser Verzögerung in der
Europäischen Union. Wir müssen jetzt eben nicht nur ent-
schlossene Reformschritte in den EU-Altländern machen,
um die Herausforderungen anpacken und allein schon
wirtschaftlich bestehen zu können, sondern wir müssen
auch in der europäischen Integration entschlossene und
beherzte Sprünge nach vorn machen, vor allem im Hin-
blick auf die Sicherheitspolitik.

Kollege Meckel hat als Berichterstatter für die Nordat-
lantische Versammlung hier einen Bericht abgegeben, in
dem diese Herausforderungen sehr genau aufgelistet sind.
Ich frage mich manchmal, ob das hinreichend gelesen
wird, Herr Kollege Meckel; denn darin finden sich alle
diese Themen, denen wir uns in der sicherheitspolitischen
Diskussion in Deutschland nach meiner Auffassung nicht
in der angemessenen Tiefe zuwenden. In den Partnerlän-
dern wird diese überaus heikle Debatte über Begriffe wie
„prevention“ und „preemption“ längst geführt. Wer führt
diese Debatte eigentlich bei uns? Wollen wir in diese
Richtung gehen? Können wir das eigentlich? Welche Vo-
raussetzungen müssen wir in verfassungsrechtlicher und
europarechtlicher Hinsicht schaffen?


( V o r s i t z : Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Welche Kompetenzen und gegebenenfalls auch Souverä-
nitäten sind wir bereit zur Disposition zu stellen, wenn wir
solche Schritte machen? Ich denke, wir brauchen eine
ernsthaftere Diskussion über dieses Thema.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme
zum letzten Aspekt. Alles, was wir im Bereich der Wei-
terentwicklung der NATO wie im Bereich der Weiterent-
wicklung der Europäischen Union tun, setzt Bündnis-
fähigkeit voraus – Bündnisfähigkeit der Europäischen
Union gegenüber ihren Partnern draußen, wenn sie glo-
baler Sicherheitsakteur sein will, aber eben auch Bünd-
nisfähigkeit der Mitgliedsländer von NATO und EU. In

dieser Hinsicht haben wir in der letzten Zeit ein ziemlich
schlechtes Bild abgegeben.


(Beifall bei der FDP)

Die Debatte, die wir gestern im Haushaltsausschuss

geführt haben, und das, was sich gestern Abend und heute
angeschlossen hat, macht uns deutlich, wie ernst die Lage
im Hinblick auf das Ernstgenommenwerden Deutsch-
lands als sicherheitspolitischer Akteur in EU und NATO
ist. Wenn der Sprecher des französischen Verteidigungs-
ministeriums uns heute über die Nachrichtenagenturen
mitteilt, dass Deutschland nur noch 20 oder 25 A400M
bekommt, sofern es bei der gegenwärtigen Beschlusslage
bleibt, dann zeigt das, dass wir an der Grenze der Bünd-
nisfähigkeit angelangt sind.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dirk Niebel [FDP]: Es zeigt vor allem, dass der Verteidigungsminister gelogen hat!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423305600
Das Wort hat die
Abgeordnete Rita Grießhaber.


Rita Grießhaber (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423305700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
CDU/CSU hat ihre Irrungen und Wirrungen des letzten
Jahres überwunden und zu einer einheitlichen Linie bei
der Frage der NATO-Erweiterung gefunden.


(Karl Lamers [CDU/CSU]: Dafür die Regierung nicht!)


Während sich Volker Rühe im Januar explizit gegen und
Friedbert Pflüger zwei Monate später für die Aufnahme
der baltischen Staaten ausgesprochen hat, haben Sie jetzt
den Maßstab gefunden – ich zitiere –: „Soweit es die je-
weilige innenpolitische Lage und die Aufrechterhaltung
der uneingeschränkten Handlungsfähigkeit des Bündnis-
ses erlauben“, sollen nun möglichst sieben Staaten in der
nächsten Erweiterungsrunde dabei sein. – Herzlichen
Glückwunsch! Wären Sie unserer Politik schon früher ge-
folgt, hätten Sie sich nicht so verzetteln müssen.


(Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])


Inhaltlich sind wir uns weitgehend einig. Die erste Er-
weiterungsrunde war positiv. Polen, Ungarn und die
Tschechische Republik sind jetzt im Bündnis fest veran-
kert. Für die Stabilität in Europa ist das ein Gewinn.
Bereits im Vorfeld der zweiten Runde sind bedeutende
Stabilitätstransfers nach Mittel- und Südosteuropa festzu-
stellen. Dabei hat sich der „Membership Action Plan“ als
besonders wertvoll und nützlich erwiesen; denn mit die-
sem Plan wurden nicht nur militärische Voraussetzungen
für die Mitgliedschaft im Bündnis, sondern auch ökono-
mische und politische Erwartungen an die potenziellen
Mitglieder festgelegt.

Die NATO ist bekanntlich eine Wertegemeinschaft
gleich gesinnter Staaten, die sich nicht nur zum Zweck der
Verteidigung, sondern zum Erhalt von Sicherheit und
Stabilität zusammengetan haben. Kollege Schloten hat es
schon erwähnt: Zu den Grundprinzipien des Washing-
toner Vertrages zählen Demokratie, Freiheit und Rechts-
staatlichkeit. Im „Membership Action Plan“ werden die




Dr. Werner Hoyer

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Beitrittskandidaten genau auf diese Grundprinzipien ver-
pflichtet, ebenso wie auf die Einhaltung der OSZE-Nor-
men und -Prinzipien. Für uns sind das keine Leerformeln.
Ganz besonders wichtig sind die friedliche Beilegung eth-
nischer Konflikte und die Unterstellung der Streitkräfte
unter zivile Kontrolle durch die Aspiranten.

Die Ergebnisse zeigen: Bereits jetzt sind die Aspiran-
ten besser vorbereitet als die Kandidaten der ersten
Runde. Wir können die Reduzierung der Streitkräfte ge-
rade in südosteuropäischen Beitrittsländern wie Rumä-
nien und Bulgarien feststellen, vor allem aber die positive
Entwicklung bei der demokratischen Kontrolle der Streit-
kräfte. Die Botschaft ist klar: Es gab enorme Anstren-
gungen; das Bündnis hat sie gezielt unterstützt. Aber die
Beitrittskandidaten haben es selbst in der Hand. Es liegt
in ihrer Verantwortung, ob sie beitrittsfähig sind. Wir
wünschen uns und ihnen, dass sie weiterhin Fortschritte
erzielen.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Bei wem denn?)


Eine Debatte zur NATO auf die anstehende Erweite-
rung zu reduzieren wäre sehr kurz gedacht. Die weltpoli-
tischen Ereignisse des letzten Jahres haben uns neue Er-
kenntnisse, vor allem aber viele neue Fragen beschert.
Zum ersten Mal in seiner 50-jährigen Geschichte hat der
NATO-Rat am 12. September letzten Jahres den Bündnis-
fall ausgerufen. Wir befinden uns mitten in der Debatte
über Ziele und Funktionen des Bündnisses, und die Ana-
lysen reichen von „Militärisch ist die NATO weitestge-
hend bedeutungslos geworden“ bis hin zu „Wir brauchen
eine neue NATO“.

Art. 2 des Nordatlantikvertrages legt fest, dass die
NATO nicht nur Militärorganisation ist. Sie ist gleichzei-
tig ein politisches Bündnis – übrigens ein Aspekt, den die
Franzosen schon immer so gesehen haben. Interessant
wird es, in welche Richtung sie ihn weiter verfolgen. Je-
denfalls wird dieser politische Aspekt eine immer größere
Bedeutung erlangen, vielleicht sogar zu sehr in der Form,
wie die Grünen ihn sich früher als „OSZEtisierung“ der
NATO gewünscht haben.

Spätestens seit dem Balkankrieg bewertet der amerika-
nische Partner die Rolle der NATO neu. Der Nutzen der
Allianz liegt für ihn und für uns nicht zuletzt in der poli-
tischen Stabilisierung Europas. Dafür sind die Einbin-
dung der mittel- und osteuropäischen Staaten und die
Neugestaltung der Beziehungen zu Russland und anderen
GUS-Staaten geeignete Instrumente.

Das bewirkt eine Politisierung der NATO – die Zu-
sammenarbeit, auch innerhalb der roten Linie – mit frühe-
ren Gegnern, die natürlich nicht nur eine militärische sein
kann. Zum strategischen Ziel einer gesamteuropäischen
Sicherheitsarchitektur, deren Bestandteil eine erwei-
terte NATO ist, gehört aber vor allem die Stärkung des
EU-Pfeilers in der NATO. Deshalb brauchen wir dringend
Fortschritte in der europäischen Sicherheits- und Vertei-
digungspolitik; denn mit der Bekämpfung des Terroris-
mus wurde klar, dass sich der Charakter der militärischen
Auseinandersetzung verändert hat. Der rein militärische
Nutzen der NATO für die USA ist begrenzt. Für unseren
Partner mit Hang zum Unilateralismus sind die Mitspra-

cherechte der Verbündeten, freundlich ausgedrückt, eher
zeitraubend.

Mit diesen veränderten Rahmenbedingungen gilt es,
produktiv umzugehen. Aber unabhängig davon, wann
alle Beitrittskandidaten aufgenommen werden, haben
wir auf lange Sicht nur eine gemeinsame Chance, näm-
lich die einer gesamteuropäisch-transatlantischen Sicher-
heitsstruktur.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423305800
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Wolfgang Gehrcke.


(Joseph Fischer, Bundesminister: Großer Freund der NATO!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423305900
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! In der vorangegangenen De-
batte ist parteiübergreifend so viel Falsches gesagt wor-
den, dass selbst ich das nicht in 5 Minuten korrigieren
kann. Deswegen beschränke ich mich auf einige Punkte.


(Zuruf von der SPD: Ein Glück, dass Sie nur so eine kurze Redezeit haben!)


Ich will für mich festhalten: Mehr NATO heißt weni-
ger Sicherheit, weniger Stabilität und mehr Dominanz der
USA in Europa. Deswegen bleiben wir als PDS bei unse-
rem Nein zur NATO und sagen auch Nein zu ihrer Erwei-
terung.


(Johannes Kahrs [SPD]: SDAJ 1968!)

Die NATO hat ihre Aufgaben nach dem Kalten Krieg
1999 inmitten des Kosovo-Krieges grundlegend verän-
dert. Aus einem Verteidigungsbündnis wurde ein Bünd-
nis, das weltweite Interventionen für Naturressourcen,
Handelswege, geostrategische Interessen auf seine Tages-
ordnung geschrieben hat.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Projektion!)


In der NATO ist die Dominanz der USA derart ge-
wachsen, dass die USA die NATO ein- und ausschalten
können, wie sie es wollen.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben nicht einschalten, wie sie will! – Johannes Kahrs [SPD]: Sie sollten die Realität einschalten!)


Der Umgang mit dem Bündnisfall – „NATO einschal-
ten“ – und die anschließende Kooperation ausschließlich
mit ausgewählten Staaten – „NATO ausschalten” – spre-
chen hier Bände.

Es ist auch notwendig, darauf hinzuweisen, dass die
USA ihre Militärstrategie grundlegend geändert haben,
und sie ändern sie weiter. Das so genannte Raketenab-
wehrsystem spaltet die Welt und Europa in Zonen unter-
schiedlicher Sicherheit. Die USAwollen Waffen im Welt-




Rita Grießhaber
23150


(C)



(D)



(A)



(B)


raum stationieren, kündigen Rüstungskontrollverträge
und debattieren eine neue Atomstrategie, welche die
Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen herabsetzen
will.

Ich glaube, daraus ist die Schlussfolgerung zu ziehen,
dass sich Europa auf keinen Fall in ein neues Wettrüsten
mit den USA hineinziehen lassen darf.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Dass die USA auf dieses Wettrüsten drängen, wissen wir
alle. Ich glaube, das wäre schlimm für die europäische Si-
cherheit und tödlich für die Sozialstaaten in Europa.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die PDS-Bundestags-
fraktion folgt der Sicherheitsanalyse des sozialdemokrati-
schen Sicherheitsvordenkers Egon Bahr. Ich darf aus sei-
ner Dresdner Rede zu diesem Thema zitieren – hören Sie
gut zu, sozialdemokratische Kolleginnen und Kollegen –:

Wo die NATO bestimmt, kann Europa nicht bestim-
men. Wenn die große Abschreckung die NATO in
Europa zu ihrem Instrument gewinnt, werden ge-
samteuropäische Überlegungen, europäische Selbst-
bestimmung, NATO-Russland-Akte und OSZE zu
Fragen nachgeordneter Spielfelder, und zwar umso
mehr, je mehr die NATO erweitert wird.

Wir, die PDS, nehmen es ernst, wenn Altbundeskanz-
ler Helmut Schmidt die NATO-Erweiterung für die Euro-
päische Union als eher schädlich bezeichnet – ich zitiere
auch ihn; auch hier bitte ich Sie, zuzuhören –, „weil sie
den Amerikanern nicht ein Mitspracherecht, sondern ein
Übersprachrecht über europäische Dinge beschert.“


(Joseph Fischer, Bundesminister: Das müssen Sie ganz zitieren!)


Ich finde es schon interessant: Die PDS macht sich die
Analyse des sozialdemokratischen Sicherheitsexperten
Egon Bahr zu Eigen, greift in vielem auf das Denken des
Ex-SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine zurück – auch in
der Außen- und Globalisierungspolitik –,


(Johannes Kahrs [SPD]: Sie müssen doch nicht jedem Irrtum auf den Leim gehen!)


bittet den Bundestag, auf die Warnungen des Altbundes-
kanzlers Helmut Schmidt zu hören, während die sozial-
demokratische Fraktion diese Warnungen in den Wind
schlägt und sich auf einer Linie bewegt, die in Wider-
spruch zu ihrem eigenen Programm steht.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Herr Schmidt würde es sich verbitten, dass Sie ihn zitieren! – Johannes Kahrs [SPD]: Sie sollten unser Programm mal lesen!)


Das möchte ich gerne festgehalten wissen.

(Beifall bei der PDS)


Ich finde, der CDU/CSU-Antrag ist insofern logisch,
als das Ihre Politik war und geblieben ist.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Und das war immer die richtige Politik, Herr Gehrcke!)


Den sozialdemokratischen Kolleginnen und Kollegen
will ich sagen: Passen Sie auf, dass die Wählerinnen und
Wähler das Original und nicht die Kopie wählen. In die-
ser Falle sitzen Sie. Wir brauchen eine Änderung der
Sicherheitspolitik.

Zum Schluss. Wenn ich Zyniker wäre

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Das sind Sie überhaupt nicht!)


und die Linke mehr Humor hätte, dann würde ich Ihnen
sagen, wir folgen Ihren Anträgen. Den Brocken, den Sie
in die NATO aufnehmen werden, werden Sie schwer ver-
dauen können.


(Beifall bei der PDS – Johannes Kahrs [SPD]: Das haben Sie am Warschauer Pakt schon erlebt!)


Weil ich aber kein Zyniker bin und die Linke in NATO-
Fragen keinen Humor hat, sage ich ernsthaft: Wir werden
Ihren Antrag auf Erweiterung der NATO ablehnen.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Welche Überraschung!)


Das richtet sich nicht gegen die Länder, sondern auf mehr
Sicherheit und mehr Stabilität in Europa.


(Beifall bei der PDS)

Hören Sie auf Helmut Schmidt, auf Egon Bahr, auf

Oskar Lafontaine.

(Dieter Schloten [SPD]: Oskar auch?)


Oder haben Sie diese Namen und deren Verdienste
schon längst vergessen?


(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423306000
Das Wort hat
jetzt der Herr Bundesaußenminister, Joschka Fischer.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423306100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe
hier gewiss nicht die sozialdemokratische Fraktion in
Schutz zu nehmen, wohl aber auf einige Widersprüche der
PDS hinzuweisen. Ich finde es gut, dass Sie sich zu Egon
Bahr bekennen, aber ich weiß nicht, ob Sie wissen, was
Sie gerade getan haben. Denn Egon Bahr ist mit allem
Nachdruck dafür, dass es eine starke europäische militäri-
sche Komponente gibt. Wenn das neuerdings die Position
der PDS ist, eine starke militärische Europäische Union
statt einer NATO-Erweiterung, dann hätten Sie Egon Bahr
in der Tat gerade zu Recht zitiert. Ich will Ihnen aber nicht
unterstellen, dass das die Position der PDS ist. Dasselbe
gilt selbstverständlich für Helmut Schmidt.

Die Debatte darüber, wie weit sich eine NATO-Erwei-
terung mit einer Stärkung des europäischen Pfeilers und
der europäischen Integration, auch und gerade in der
Außen- und Sicherheitspolitik, verträgt, ist eine, wie ich
finde, sehr wichtige und zentrale Debatte. Der Beitrag der
PDS besteht allerdings darin, dass sie zu allem Nein sagt.
Es ist auch nichts Neues, wenn Sie, Herr Kollege
Gehrcke, behaupten, dass die NATO jetzt, nach dem Ende




Wolfgang Gehrcke

23151


(C)



(D)



(A)



(B)


des Kalten Krieges, nicht mehr in erster Linie für Sicher-
heit stehen würde. Sie waren ja auch schon vorher,
während des Kalten Krieges, dieser Meinung, weil Sie ja
damals eher den Warschauer Pakt vertreten haben, wenn
Sie ehrlich sind; das dürfen wir nicht vergessen. Ich
möchte da nicht nachkarten; darum geht es hier nicht.
Aber Sie sollten sich hier nicht mit dem Gestus des Ehrli-
chen hinstellen. Sie machen hier Innenpolitik und Wahl-
kampf; das ist Ihr gutes Recht. Aber das hat mit der De-
batte nichts zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir stehen vor einer wichtigen Entscheidung, der Ent-
scheidung über die NATO-Erweiterung. Die NATO-Er-
weiterung wird kommen. Das ist etwas, was im deutschen
und europäischen Interesse liegt. Ein sich vereinigendes
Europa wird, gerade aus deutscher Sicht, immer ein Inte-
resse an einer starken transatlantischen Bindung, einer
starken transatlantischen Rückversicherung haben müs-
sen. Denn die Präsenz derVereinigten Staaten von Ame-
rika – wir dürfen das nicht vergessen – ist in den Zeiten
des Kalten Krieges nicht nur unter dem Sicherheitsge-
sichtspunkt der Abwehr expansiver Vorstellungen seitens
der damaligen Sowjetunion zu sehen gewesen, sondern
war vor allen Dingen auch für die innere Stabilität des sich
vereinigenden Europas von zentraler Bedeutung.

Deutschland wäre, wenn die USA auf diesem Konti-
nent nicht mehr präsent wären, sofort in einer anderen Si-
tuation. Nie wird das klarer, als wenn Sie mit polnischen
Freunden über diese Situation in Europa sprechen. Inso-
fern haben wir ein Interesse daran – unbeschadet dessen,
wie wir die Politik der jeweiligen Regierungen bewer-
ten – dass die Sicherheit in Europa und einem sich ver-
einigenden Europa durch die transatlantischen Beziehun-
gen dauerhaft, auch in Zukunft, gewährleistet wird.

Ich kann nur nochmals unterstreichen: Wenn weitere
Kandidaten in die NATO aufgenommen werden wollen,
dann müssen wir das ernst nehmen und die notwendigen
Bedingungen prüfen. Die Kandidaten müssen die not-
wendigen Bedingungen schaffen. Es zeichnet sich ab
– viele Kollegen haben das erwähnt, ohne dass ich mir das
heute schon abschließend als Standpunkt der Bundesre-
gierung zu Eigen machen kann –, dass es eine große Er-
weiterungsrunde geben wird, in der Größenordnung, wie
das verschiedene Kollegen hier schon dargestellt haben.
Ich betone nochmals: Dies liegt im europäischen, im deut-
schen und im transatlantischen Interesse;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


denn wir werden damit mehr Stabilität und Sicherheit be-
kommen.

Ich behaupte, dass die Diskussion dann erst beginnt.
Sie findet in einem doppelten Spannungsverhältnis statt;
denn die Erweiterung wird die NATO selbstverständlich
transformieren. Diese Transformation wird nicht in Rich-
tung OSZE erfolgen. Aber es wird sich eine Reihe von re-
levanten Fragen ergeben, die nicht kurzfristig zu beant-
worten sein werden.

Dieser Transformationsprozess ist durch die histori-
sche Zäsur, die sich aus dem Ende des Kalten Krieges, aus
dem Verschwinden der Sowjetunion und damit aus dem
Zusammenwachsen Europas ergab, in Gang gesetzt wor-
den. Ich sage in Ihre Richtung – ich möchte jetzt keine in-
nenpolitische Debatte darüber führen, wer für die Kür-
zung des Verteidigungshaushaltes und für den jetzigen
Zustand der Bundeswehr verantwortlich ist –: Wir müssen
feststellen, dass der Transformationsprozess von der auf
den Kalten Krieg ausgerichteten Bundeswehr hin zu einer
Bundeswehr, die den neuen – auch den europäischen – Er-
fordernissen und den strategischen Herausforderungen
gerecht wird, eben nicht in dem Maße in der Vergangen-
heit vorangebracht wurde, wie es notwendig gewesen
wäre. Die Weizsäcker-Kommission hat in der Regie-
rungszeit von Bundeskanzler Gerhard Schröder und unter
Verteidigungsminister Rudolf Scharping die Grundlagen
für diese Transformation herausgearbeitet.

Mir geht es um etwas anderes. Wenn Sie sagen, die
NATO sei nur eingeschränkt handlungsfähig, dann muss
ich fragen: Auf was beziehen Sie diese Aussage? Bezie-
hen Sie sie auf die Handlungsfähigkeit der einzigen glo-
balen Macht, nämlich der USA? In diesem Sinne war die
NATO in der Vergangenheit immer nur eingeschränkt
handlungsfähig, es war immer asymmetrisch und wird es
auch in der Zukunft sein. Oder beziehen Sie Ihre Aussage
auf etwas anderes, nämlich auf die Tatsache, dass wir be-
stimmte Kapazitäten wie zum Beispiel im Bereich der
Langstreckentransporter – während des Kalten Krieges
brauchten wir sie nicht, weil die Frontlinie in Deutschland
sozusagen in Fußmarschweite lag; Gott sei Dank gibt es
diese Situation nicht mehr – noch nicht haben? Wenn das
der Fall ist, dann müssen wir darüber sprechen. Aber die
Frage, die Sie aufwerfen, weckt zugleich die Illusion, dass
die NATO nur dann voll einsatzfähig wäre, wenn das
Niveau der wichtigsten europäischen Mitgliedstaaten
innerhalb der NATO mit dem Niveau der global handeln-
den USA mithalten könnte. Ich halte diese Auffassung
für schlichtweg illusionär und für politisch nicht erstre-
benswert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Für uns ist ganz entscheidend, dass diese Erweiterung
solide gemacht wird. Weitere wesentliche Punkte, um die
es dabei geht, sind, dass es eine Integration geben muss,
dass die Kohäsion der NATO in ihren wesentlichen Ele-
menten erhalten bleibt und dass das Sicherheitssystem
nicht gelockert wird.

Aber selbstverständlich gibt es, meine Damen und
Herren von der Opposition, noch ein zweites Problem, das
hier schon angeklungen ist. Das ist das Verhältnis von
NATO und Europäischer Union. Ich habe das grund-
sätzliche Spannungsverhältnis schon erwähnt. Ich bin der
Meinung, dass die USA für die Sicherheit und Stabilität
auch in einem sich vereinigenden oder sogar in einem
schon vereinigten Europa unverzichtbar sind.

Klar ist aber auch: Wir werden die europäische Sicher-
heits- und Verteidigungspolitik, die ja nicht Aufgaben
nach Art. 5 des NATO-Vertrages umfasst, nicht vernach-
lässigen. Wir werden die Entwicklung einer europäischen




Bundesminister Joseph Fischer
23152


(C)



(D)



(A)



(B)


Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Rahmen der Eu-
ropäischen Union als die zentrale Herausforderung neben
der Erweiterung anzugehen haben.

Da habe ich eine gewisse Sorge; denn wir stehen jetzt
vor sehr wichtigen Fragen. Die NATO-Erweiterung ist
relativ einfach, vergleicht man sie mit der EU-Erweite-
rung, bei der es um das Zusammenführen ganzer Volks-
wirtschaften und um die Überwindung großer Unter-
schiede hinsichtlich der Mentalitäten geht. Im Rahmen
dieser Erweiterung liegen noch schwierige Kompromisse
vor uns. Wir werden gleichzeitig die NATO-Erweiterung
haben. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird es eine große
Runde geben. Wir werden dann in beiden Bereichen vor
der Frage der Handlungsfähigkeit, der Integration und der
Absorption stehen. Das heißt, die Frage hinsichtlich der
institutionellen Handlungsfähigkeit – in Bezug auf die
NATO wurde sie schon angesprochen – wird sich in Be-
zug auf die EU noch wesentlich zuspitzen. Die finanzielle
Dimension, die ab dem Jahr 2006 aktuell wird, verlangt
sehr schwierige Kompromisse.

Wir haben heute morgen die Situation im Nahen Osten
diskutiert. Angesichts dieser aktuellen weltpolitischen
Lage muss man hinzufügen, dass wir nicht nur eine hoch
gefährliche Zuspitzung im iraelisch-palästinensischen
und im iraelisch-arabischen Konflikt haben. Man muss
ehrlicherweise hinzufügen, dass die Gefahr des islamisti-
schen Terrorismus mitnichten vorüber ist. Afghanistan
stellt noch große Herausforderungen an uns. Das heißt,
wir bewegen uns in einem alles andere als stabilen und si-
cheren Umfeld.

Insofern nützt es überhaupt nichts, wenn wir die Augen
davor verschließen, dass wir vor sehr herausfordernden
und historisch zu nennenden Schritten stehen. Bestimmte
Wahlergebnisse in Europa kann ich nicht dahin gehend in-
terpretieren, dass es einen Integrationsschub gibt.

Das ist die Lage, in der wir uns befinden. In dieser in-
ternen Großwetterlage Europas und vor dem Hintergrund
der Herausforderungen müssen wir die Zuordnung der
vor uns liegenden Schritte vornehmen.

Herr Kollege Gehrcke, ich kann Ihnen nur sagen: In ei-
ner solchen Lage eine Position wie Sie einzunehmen be-
deutet wirklich, aus innenpolitischen und wahltaktischen
Gründen den Kopf in den großen Sandhaufen zu stecken
und in diesem beide Hände vor die fest zugekniffenen Au-
gen zu halten, damit man garantiert nichts wahrnimmt.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der SPD)


Die Menschen in unserem Lande wissen, dass wir es
uns in unserer Zeit nicht leisten können, wegzuschauen.
Die nächste Erweiterung der NATO und die Verbindung
zu den USA werden einen großen Diskussionsbedarf mit
sich bringen. Wir werden strategische Fragen zu diskutie-
ren haben. Die Europäer müssen ihre Leistungen auf dem
Balkan und an anderer Stelle mit einem entsprechenden
Selbstbewusstsein klar zum Ausdruck bringen.

Die nächste Erweiterungsrunde liegt im europäischen
Interesse. Die Bundesregierung wird sich im europä-
ischen und im NATO-Rahmen dafür einsetzen, dass so-

wohl die Erweiterung der NATO als auch die Erweiterung
der EU erfolgreich angegangen und in integrative Schritte
umgesetzt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423306200
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Karl Lamers.


Dr. Karl A. Lamers (CDU):
Rede ID: ID1423306300
Frau
Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die
NATO, über deren weitere Öffnung wir heute sprechen,
hat eine beispiellose Erfolgsgeschichte hinter sich.
Während des so genannten Kalten Krieges, also während
der Konfrontation der Militärblöcke, war sie 40 Jahre lang
Garant für Stabilität und Frieden in Europa.

Nach dem weltgeschichtlichen Umbruch von 1989/90
sorgte sie bis heute – sie wird es auch weiterhin tun – für
Partnerschaft und Kooperation mit den ehemaligen Geg-
nern, vor allem mit Russland. Außerhalb des Bündnisge-
bietes steht die NATO für Stabilität, für den Abbau von
Konflikten und für Wiederaufbau. Konfliktprävention
und Krisenmanagement sind Aufgaben, denen sich das
Bündnis – legitimiert durch die UNO – mit Erfolg stellt.

Die Erfolgsgeschichte des Bündnisses setzt sich in der
Aufnahme neuer Mitglieder fort. Polen, die Tschechische
Republik und Ungarn, drei ehemalige Mitglieder des War-
schauer Paktes, wurden am 50. Gründungstag der NATO
im Jahre 1999 aufgenommen. Mit dieser konsequenten
Vorgehensweise hat die NATO maßgeblich zur Überwin-
dung der Spaltung unseres Kontinents beigetragen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Aufnahme dieser Mitgliedstaaten vor nunmehr genau
drei Jahren hat sich als großer Gewinn für die Stabilität
und Sicherheit Europas erwiesen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und
Herren, jetzt stehen wir vor der zweiten Öffnung. Ich
spreche bewusst von Öffnung, um deutlich zu machen,
dass die NATO nicht von sich aus auf andere Staaten zu-
greift, sondern vielmehr den Wünschen beitrittswilliger
Staaten Rechnung trägt. Diese zweite Runde müssen und
werden wir ebenfalls zum Erfolg führen. Sie bietet die
Chance, Frieden und Stabilität in Europa weiter zu vertie-
fen. Auch nach dem nächsten Öffnungsschritt muss die
Tür des Bündnisses für weitere Mitglieder offen bleiben.
Gerade auf diese Feststellung lege ich besonderen Wert.

Meine Fraktion bekennt sich voll und ganz zu dieser
zweiten Beitrittsrunde, in der, soweit – das ist in der Tat
richtig – es die jeweilige innenpolitische Lage erlaubt, sie-
ben europäische Länder, nämlich Bulgarien, Estland,
Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakische Republik und
Slowenien, aufgenommen werden. Das ist doch ein ganz
wichtiges, politisch bedeutsames Ereignis für die NATO.
Deshalb habe ich, Herr Bundesaußenminister, überhaupt
kein Verständnis dafür, dass die Bundesregierung in den
zurückliegenden Wochen und Monaten so wenig getan
hat, um von sich aus eine Initiative zu ergreifen.


(Johannes Kahrs [SPD]: Woher wollen Sie denn das wissen?)





Bundesminister Joseph Fischer

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(C)



(D)



(A)



(B)


Sie hat auch nichts dazu getan, eine öffentliche Debatte
über Sinn und Nutzen der Öffnung der NATO zu führen.
Aber genau das ist wichtig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Welche Chancen sich hier auftun, genau dies müssen wir
den Menschen in unserem Land darlegen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423306400
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von
Stetten?


Dr. Karl A. Lamers (CDU):
Rede ID: ID1423306500
Bitte
schön.


Dr. Freiherr Wolfgang von Stetten (CDU):
Rede ID: ID1423306600
Es
geht mir um die baltischen Staaten, um die drei Staaten Li-
tauen, Lettland und Estland. In der Vergangenheit gab es
Irritationen – auch zum Teil seitens der CDU/CSU. Man
meinte, diese drei Staaten aus Rücksicht auf Russland
bzw. Putin vielleicht nicht gleich in der ersten Runde mit
aufnehmen zu sollen. Sind Sie mit mir der Ansicht, dass
diese Bedenken inzwischen ausgeräumt sind und dass die
Aufnahme gerade für diese drei Staaten aus innenpoliti-
scher Sicht wichtig ist, damit sie keine Angst mehr haben
müssen, Spielball in Europa zu werden?


Dr. Karl A. Lamers (CDU):
Rede ID: ID1423306700
Vielen
Dank, Herr Kollege von Stetten. Ich möchte Ihnen in
Ihrem ersten Aspekt zustimmen. Ich würde es insbeson-
dere unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten sehr
begrüßen, wenn die baltischen Staaten, die den Wunsch
haben, Mitglied der NATO zu werden, diesen Weg auch
gehen könnten.

Das Zweite ist – ich spreche hier als Mitglied der Par-
lamentarischen Versammlung der NATO –: Wir waren vor
wenigen Wochen mit einem kleinen Kreis in Moskau und
haben auch und gerade über diese Frage, wie Russland
reagiert, mit unseren Kollegen in der russischen Staats-
duma gesprochen. Nach all diesen Gesprächen hatten wir
den Eindruck, dass sich die russischen Gesprächspartner
bereits auf die mögliche Aufnahme der baltischen Staaten
in die NATO eingestellt hatten. Herr Außenminister, die
Russen sind in dieser Frage sehr realistisch. Größere
Ängste und Befürchtungen konnten wir in unseren Ge-
sprächen vor wenigen Wochen in Moskau eigentlich nicht
feststellen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich habe deutlich gemacht,

dass wir, Herr Minister, über den Sinn und Nutzen der
Öffnung der NATO auch öffentlich miteinander sprechen
müssen. Man muss den Menschen sagen, welche Chancen
sich hier für den Zuwachs an Stabilität und Sicherheit auf
dem Balkan, aber auch in ganz Europa auftun. Hier muss
Deutschland vorangehen. Sie haben das versäumt.

Doch blicken wir nach vorne: Die von uns genannten
Länder haben beachtliche Erfolge auf dem Weg zu
Rechtsstaat, Demokratie und Marktwirtschaft erzielt. In
diesen Völkern lebt die große Hoffnung, in die Gemein-

schaft der freiheitlichen Demokratien, in die NATO und
in die Europäische Union, aufgenommen zu werden. Aber
auch für uns ist dies eine großartige Entwicklung. Hier
vollzieht sich Stück um Stück die Wiedervereinigung
Europas in enger Partnerschaft und Freundschaft mit
Amerika und allen übrigen Nachbarstaaten.

Manche verengen diesen historischen Prozess aller-
dings schon wieder auf das Thema Geld. Sie sprechen von
Lasten, die eine weitere Bündnisöffnung mit sich bringen
wird. Diese Skeptiker sollten bedenken, dass sich alle
Horrormeldungen vor der ersten Beitrittsrunde, in denen
von astronomischen Zahlen die Rede war, als falsch und
völlig überzogen erwiesen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es geht um Freiheit, es geht um Sicherheit und es geht um
Stabilität. Das zahlt sich aus; das rechnet sich.

Das Bündnis wird durch die zweite Beitrittsrunde auch
nicht geschwächt, wie einige Pessimisten prophezeien, im
Gegenteil: Das Bündnis wird gestärkt. Wir stolpern doch
nicht in diesen Prozess hinein. Wir, jedes einzelne Land
für sich und das Bündnis selbst, sind gut vorbereitet.

Es wird schließlich auch keine unlösbaren Probleme
mit Russland geben. Ich habe es gerade Herrn von Stetten
gesagt: Die Russen sind realistisch. Sie haben gespürt,
dass sich die NATO gegen niemanden – auch und gerade
nicht gegen Russland – richtet. Wer schon bei der ersten
Öffnung eine Konfrontation mit Russland als Gefahr be-
schworen hat, sieht sich heute eines Besseren belehrt. Das
partnerschaftliche Miteinander, die Zusammenarbeit mit
Russland im NATO-Russland-Rat, hat an Intensität eher
gewonnen. Auch die Kündigung des ABM-Vertrages
durch die USA hat nicht zu der viel beschworenen Kata-
strophe geführt.

Wegen der bevorstehenden Aufnahme der baltischen
Staaten werden jetzt erneut Konflikte beschworen. Dazu
sage ich: Wer derartige Ängste schürt, hat die Chance ver-
wirkt, zu vernünftigen Zukunftslösungen zu kommen.
Die baltischen Staaten wollen in die NATO und – das sage
ich klar – sie gehören in die NATO.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Auch dies wird Russland in keiner Weise negativ
berühren. Wir leben in einer veränderten Welt, die auf
Miteinander ausgerichtet ist. Das Gegeneinander gehört
der Vergangenheit an. Auch das weiß die heutige rus-
sische Führung.

Der Stabilitätsraum Europa wird durch den Beitritt der
sieben Länder insgesamt größer werden. Davon bin ich fest
überzeugt. Mit der Aufnahme Rumäniens und Bulgariens
wird ein weiterer Markstein gesetzt, um die Krisenregio-
nen des Balkans zu befrieden. Dies fügt sich sinnvoll
ein in die laufenden Bemühungen um die Stabilisierung
Südosteuropas. Rumänien und Bulgarien sind bereits
heute Stabilitätsanker in diesem labilen Umfeld. Ein
NATO-Beitritt wird – davon sind wir überzeugt – erheb-
lich zur Stabilisierung dieser Region insgesamt beitragen.

Insbesondere nach dem 11. September 2001 erscheint
es mir richtig, den strategischen Fokus des Bündnisses
nach Südosten auszurichten. Für Europa hat sich das Ge-




Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg)

23154


(C)



(D)



(A)



(B)


fährdungspotenzial in Richtung Süden bzw. Südosten ver-
lagert. Konflikte tun sich auf im Krisenbogen nördliches
Afrika, im Nahen und Mittleren Osten und im Kaukasus.
Ich meine, dass wir mit der nächsten Beitrittsrunde aus
dieser Entwicklung die richtigen Konsequenzen ziehen.

Das Ganze hat auch strategisch eine große Bedeutung,
schließt sich doch mit der Aufnahme Bulgariens und
Rumäniens die Landverbindung zwischen Westeuropa
und der Türkei bzw. Griechenland. Dies gilt auch mit
Blick auf Slowenien und die Slowakei als Bindeglied zwi-
schen Bündnispartnern. Der Stabilitätsraum südöstliches
Europa wird so zur Wirklichkeit. Das ist es, was man den
Menschen sagen muss, was sich mit der NATO-Öffnung
verbindet, was Nutzen und Sinn und dessen Bedeutung
ausmacht.

Meine Damen und Herren, der europäische Pfeiler
der NATO erhält zusätzliches Gewicht. Meine Fraktion
hält daran fest, dass die Europäische Union und die
GASP/ESVPmit dem Atlantischen Bündnis fest verzahnt
sein und bleiben muss. Alle Länder der Europäischen
Union müssen die Möglichkeit haben, der NATO beizu-
treten. Die neuen Mitglieder werden den europäischen
Pfeiler im Bündnis stärken. Jedes neue Mitgliedsland
wird sich die Frage stellen müssen, welchen spezifischen
verteidigungspolitischen Beitrag es zur Erfüllung der
Bündnisaufgaben leisten kann. Da gibt es Erwartungen.
Ich bin überzeugt, dass die neuen Mitglieder ihre Pflich-
ten erfüllen werden. Wir legen die Verantwortung auf
mehr Schultern und damit teilen wir zugleich die Lasten.
Das größere Gewicht Europas im Bündnis stärkt die
NATO insgesamt. Wir brauchen ein Mehr an europäischer
Sicherheits- und Verteidigungspolitik, aber zugleich eine
stringente Verzahnung mit dem Atlantischen Bündnis.
Keinesfalls darf sich bei der Europäischen Union eine
neue Bürokratie und eine neue Struktur auf dem Gebiet
der Sicherheit und Verteidigung entwickeln, die mit der
NATO konkurriert oder gar auf deren Kosten durchgesetzt
wird. Ich sehe uns da in einem guten Miteinander, aber
dies erfordert Augenmaß für die Zukunft.

Meine Damen und Herren, die NATO bleibt auch im
21. Jahrhundert Garant deutscher und europäischer
Sicherheit. Sie ist tragender Teil der Sicherheitsarchitek-
tur in Europa. Sie hat wesentlich zur Überwindung der
Teilung Europas beigetragen. Die NATO bindet unsere
amerikanischen Partner an Europa und trägt so zur Kon-
solidierung der Vision des transatlantischen Sicherheits-
raumes bei. Die NATO schafft Stabilität. Diese Stabilität
im Innern strahlt aus auf ganz Europa und ist so Voraus-
setzung für Frieden und Freiheit.

Aus all diesen Gründen ist die zweite Öffnungsrunde
der NATO für neue Mitglieder unverzichtbar. Wir setzen
uns aus Überzeugung voll und ganz dafür ein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423306800
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Markus Meckel.


Markus Meckel (SPD):
Rede ID: ID1423306900
Verehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass in

den Grundfragen dessen, was wir heute hier behandeln,
eine sehr große Einigkeit besteht.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP])


Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, wenn wir an das
denken, was der Bundesaußenminister hier sehr klar und
deutlich gesagt hat: Diese Erweiterung liegt in unserem In-
teresse. Sie liegt im Interesse von Deutschland als einem
Land im Zentrum Europas und sie liegt im Interesse der
Staaten, die beitreten und für die – das sollten wir nicht
vergessen – sich hier ein Kreis schließt, der 1989/90 mit
dem Kampf um und dem Durchsetzen von Freiheit und
Demokratie in diesen Ländern begonnen hat. Sie gehören
dann zu dieser Wertegemeinschaft und ihren Institutionen.

Nach allem, was man heute weiß, wird Ende dieses
Jahres eine große Entscheidung zur Europäischen Union
fallen, ebenso im November zur NATO. Ich denke, das ist
ein ganz zentraler Punkt: Zwölf Jahre nach diesem Ereig-
nis ist ein großer Teil dann wirklich auch in Strukturen
und gemeinsame Institutionen umgesetzt. Dies macht
nicht nur mich allein, sondern, wie ich glaube, sehr viele
in diesem Haus froh. Es liegt, wie gesagt, in deutschem
Interesse.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP])


Die erste Runde der NATO-Erweiterung war ein Er-
folg. Darüber ist gesprochen worden. Die NATO ist rela-
tiv spät darauf gekommen, dass sie sich erweitern sollte.
Sie glaubte am Anfang, andere Strukturen der Koopera-
tion und der Kommunikation würden reichen. Ich glaube,
dass die Entscheidung, die 1997 endlich fiel, richtig war,
nämlich eine umfassende Erweiterung der NATO vorzu-
bereiten. 1993 in Travemünde wurde noch überlegt, mit
der „Partnerschaft für den Frieden“ eine Alternative zur
künftigen Mitgliedschaft zu schaffen. Das ist vom Tisch.
Wir sind künftig in einer größeren Runde.

Wir haben heute leider über zwei Anträge zu entschei-
den. Der einzige Unterschied in den Anträgen gründet
sich darauf, dass wir uns nicht einigen konnten, ob es
sinnvoll ist, die Bundesregierung heute durch einen Be-
schluss des nationalen Parlamentes festzulegen. Wir sind
der Meinung: Es ist gut, dass man, wie die NATO be-
schlossen hat, keinen Wettlauf macht, sondern im Kreis
der Mitgliedstaaten einen Konsens sucht.

Sie wissen, dass ich zu denen gehöre, die von Anfang
an der Meinung waren: Wir brauchen die europäische und
die transatlantische parlamentarische Debatte. Wir haben
sie auf verschiedenen Ebenen geführt. Herr von Stetten,
Sie kennen ja die verschiedenen Initiativen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423307000
Er möchte eine
Zwischenfrage stellen. Gestatten Sie die?


Markus Meckel (SPD):
Rede ID: ID1423307100
Ja. Das war Ihr Stichwort.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)



Dr. Freiherr Wolfgang von Stetten (CDU):
Rede ID: ID1423307200

Ich danke sehr, Herr Kollege Meckel. Sie waren einer




Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg)


23155


(C)



(D)



(A)



(B)


derjenigen, die schon sehr frühzeitig für die Aufnahme der
drei Staaten Litauen, Lettland und Estland in die NATO
waren; zumindest haben Sie das erklärt.

Ich bedauere, dass wir zwei Anträge haben. Die Sache
ist ein wenig schwierig nach außen zu erklären. Wir ha-
ben wenigstens einen parlamentarischen Weg gefunden:
Der eine wird überwiesen, über den anderen wird abge-
stimmt.

Können Sie, wenn Sie die Rücksicht, die man als Re-
gierungspartei gegenüber der Regierung nehmen muss,
außer Acht lassen, bestätigen, dass Ihre Meinung ist, dass
gerade die drei baltischen Staaten den NATO-Beitritt
nicht nur verdient, sondern auch nötig haben?


Markus Meckel (SPD):
Rede ID: ID1423307300
Sehr geehrter Herr Kollege
von Stetten, ich möchte, weil diese Zeit mir nicht ange-
rechnet wird, die Gelegenheit dieser Frage nutzen, um
festzustellen, dass Ihr Engagement für die baltischen
Staaten – gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen
in der Deutsch-Baltischen Parlamentariergruppe – ganz
wesentlich war, und zwar zu einer Zeit, in der Ihr und un-
ser aller Kanzler dies noch gar nicht für so gut und wich-
tig hielt. Für dieses Engagement für die baltischen Staa-
ten, das wir und viele Kollegen hier im Raum teilen,
möchte ich mich bei Ihnen bedanken.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Ich glaube, dies war eine ganz wichtige Tätigkeit. Da Sie
aus dem Bundestag ausscheiden, möchte ich dies an
dieser Stelle erwähnt haben.

Meine Position kennen Sie. Sie wissen, dass ich schon
lange dafür eintrete. Ich muss aber gleichzeitig sagen: Ich
halte eine parlamentarische Debatte darüber für notwen-
dig. Ich glaube auch, dass wir bei dem Zusammentreffen
der NATO-Parlamentarier in Sofia in der Resolution die
Namen aller sieben Beitrittskandidaten nennen sollten,
wie wir dies hier schon öfter getan haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Übrigens sind im Augenblick noch die amerikanischen

Kongresssenatoren dagegen, dass wir dort Namen nen-
nen. Es gibt also unterschiedliche Verständnisse von einer
parlamentarischen Diskussion. Ich bin dafür, dass die Par-
lamentarier ihre Positionen beschreiben und die Regie-
rungen sich erst kurz vorher festlegen.

Ich sage Ihnen auch, weshalb ich es für gut halte, diese
Frage offen zu halten. Ich denke dabei an die Slowakei.
Schon zu Beginn der Debatte habe ich gesagt, dass die
Slowakei dazugehört. Mittlerweile ist dies für nieman-
den strittig. Am Anfang schien es sogar so, als ob nur die
Slowakei und Slowenien die sicheren Kandidaten seien.
Angesichts des in der Slowakei zu befürchtenden Wahl-
ergebnisses muss man jedoch deutlich sagen: Ich kann
mir überhaupt nicht vorstellen, dass ein NATO-Gipfel
mit Herrn Meciar stattfindet. Dies halte ich angesichts
der Erfahrungen, die wir mit Herrn Meciar gemacht ha-
ben, für schlichtweg unmöglich. Da aber an die HZDS
ohne Herrn Meciar kaum zu denken ist, muss man allen
möglichen Koalitionspartnern der HZDS in der Slowakei

sagen: Seid vorsichtig, das ist kein Weg in die Zukunft
und schon gar nicht in die europäische und transatlanti-
sche Integration. Solche Botschaften sind wichtig. Wir
müssen erst abwarten, was dort passiert, und können erst
kurz vor dem NATO-Gipfel in Prag eine wirklich klare
und verbindliche Aussage dazu machen, wer eingeladen
wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Diese Frage der Einladung ist von zentraler Bedeu-
tung. Allerdings steht außer Frage – wie dies auch der
Kollege Lamers mit Recht gesagt hat –, dass die NATO
auch danach offen bleiben muss. Natürlich ist es wich-
tig, Kroatien, das hinsichtlich seiner demokratischen
Entwicklung nach den Wahlen große Fortschritte ge-
macht hat, klarzumachen, dass es, wenn die Regierung
es möchte, auch in die NATO kann. Die Regierung hat
aber den Antrag im Rahmen des „Membership Action
Plan“ noch nicht gestellt. Dies muss noch kommen,
wenn die Regierung es möchte. Insofern ist noch einiges
zu tun.

Aber auch Mazedonien und Albanien, die in diesen
Kreis gehören,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

brauchen diese Perspektive für den Fall, dass sie die
Voraussetzungen erfüllen. Dabei handelt es sich nicht nur
um militärische Voraussetzungen, sondern zuallererst um
die Demokratie, die Stabilität und die Orientierung in
diesen Ländern betreffende Fragen. Alle Probleme, die
wir mit Mazedonien im Laufe des letzten Jahres hatten,
machen deutlich, wie schwierig dieser Weg in diesen Län-
dern oft ist.

Für die NATO selber ist in den letzten Monaten immer
wieder die Frage gestellt worden: Welche Rolle spielt die
NATO eigentlich noch? Unmittelbar nach dem 11. Sep-
tember 2001 haben wir den Bündnisfall – darüber wird
heute noch diskutiert werden – beschlossen, weil die
NATO gesagt hat: Dies ist ein ganz zentraler Punkt. Hier
müssen die NATO-Staaten zusammenstehen. Zur großen
Verwunderung Russlands, das glaubte, Art. 5 des NATO-
Vertrages für sich gepachtet zu haben, hat die NATO in ei-
nem ganz anderen Kontext den Bündnisfall gemäß Art. 5
des NATO-Vertrages beschlossen. Dies war wichtig.
Viele sagen: Dass die USA dies nicht entsprechend wahr-
genommen haben, werde den Beschluss nichtig machen.
Ich halte das für falsch.

Es geht nicht nur darum, dass wir dort unsere AWACS
zur Entlastung der Amerikaner und für unsere eigene
Sicherheit stationiert haben. Vielmehr müssen wir auch
deutlich machen, dass für die Amerikaner auch in der Ver-
gangenheit die Perspektive immer schon eine andere war.
Für diese, die sich schon immer als globaler Akteur ver-
standen haben, war die NATO ein Instrument für die
transatlantische bzw. euroatlantische Sicherheit. Aber
wenn sie es für notwendig hielten, haben sie auch schon
vorher woanders ohne die NATO eingegriffen und sind
militärisch aktiv gewesen.




Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
23156


(C)



(D)



(A)



(B)


Für uns als Europäer war die Frage der transatlan-
tischen und euroatlantischen Sicherheit immer auf diese
Region, auf den euroatlantischen Raum, beschränkt. Uns
ist lange Zeit nicht wirklich klar gewesen, dass Bedro-
hungen von ganz anderen Teilen der Welt auf uns zukom-
men könnten, sodass die Frage der globalen Rolle der
NATO eine für uns durchaus schwierige und zu diskutie-
rende Frage ist. Nicht umsonst heißt es im strategischen
Konzept der NATO: Ziel der NATO ist die Sicherheit für
den transatlantischen, den euroatlantischen Raum. Dies
ist das Ziel, woher auch immer die Bedrohung kommt. In-
sofern spielt für uns Europäer die NATO für unsere eigene
Sicherheit eine viel zentralere Rolle, als dies etwa für die
Amerikaner der Fall ist.

Das müssen wir in zweierlei Hinsicht deutlich machen.
Auch darüber ist heute schon gesprochen worden. Zum ei-
nen geht es um die Handlungsfähigkeit und Stärkung
der NATO. Auch im Rahmen der Erweiterung ergeben
sich eine ganze Reihe von Fragen: Ich nenne neben der
Handlungsfähigkeit – der Bundesaußenminister hat da-
von gesprochen – die Straffung der Strukturen und der
Entscheidungsabläufe, die Reduktion der Zahl von Koor-
dinierungsausschüssen und militärischen Kommandos,
aber eben auch die Frage, ob man dem Generalsekretär
nicht mehr Kompetenzen geben sollte. All das wird zur-
zeit diskutiert.

Interessanterweise geschieht dies relativ spät. Vor ei-
nem Jahr noch hieß es dazu in der NATO: Das funktioniert
doch alles; das ist anders als bei der Europäischen Union.
Inzwischen ist man sich darüber klar geworden, dass die
Frage der Strukturen innerhalb der NATO ein Thema ist.
Ich denke, bis zum Herbst wird man zu gemeinsamen Vor-
schlägen kommen, sodass für den November nicht allein
die Erweiterung, sondern eben auch die Straffung der
Strukturen und die Handlungsfähigkeit innerhalb der
NATO im Zentrum steht.

Zum anderen geht es um die Frage, welche Rolle
die NATO im Kampf gegen den Terrorismus spielen
kann und welches ihre globalen Aufgaben sind. Es ist
für uns wichtig, deutlich zu machen, dass die NATO
nicht klein geredet werden darf, weil sie im Rahmen der
Terrorismusbekämpfung nur eine begrenzte Aufgabe
hat. Es ist klar: Mit militärischen Mitteln lassen sich
viele Fragen zum Terrorismus gar nicht beantworten.
Darüber ist in diesem Hause in den letzten Monaten viel
gesprochen worden. Die Bundesregierung ist auf die-
sem Feld sehr aktiv gewesen, auch im Rahmen der in-
ternationalen Institutionen und gemeinsam mit den
Amerikanern.

Klar ist: Wenn die Rolle der NATO im Zusammenhang
mit der Terrorismusbekämpfung nur begrenzt ist, dann
kann das noch lange nicht heißen, dass sie für uns etwa an
Bedeutung verloren hätte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb bin ich dem Kollegen Hoyer sehr dankbar, dass
er diese Fragen vorhin sehr deutlich angesprochen hat.

Schon 1989/90 war es für die mittel- und osteuropä-
ischen Staaten eine zentrale Frage, ihre Sicherheit nicht
nur national zu organisieren. Auch wir hatten daran ein In-

teresse. Zum einen nämlich sind nationale Sicherheitsor-
ganisationen immer teurer, zum anderen schüren sie – be-
sonders angesichts der Geschichte dieser Länder und ih-
res Verhältnisses zueinander – die Gefahr der Instabilität.
Das haben wir wahrhaftig zuhauf erfahren. Was wir brau-
chen, sind integrierte Strukturen zur Stabilisierung des
transatlantischen Verhältnisses.

Die Frage für uns lautet, wie wir als Europäer unsere
Sicherheit organisieren wollen, um dann die notwendigen
Schritte auch im Haushalt einzuleiten. Das Wichtigste in
dieser Frage ist aber der politische Wille. Hier muss ich
gestehen, dass wir mit den Kolleginnen und Kollegen der
anderen europäischen Parlamente und den anderen euro-
päischen Regierungen noch viel zu tun haben, um zu ge-
meinsamen Positionen zu kommen. Das soll nicht etwa
ein Bündnis gegen die Amerikaner sein, sondern wir wol-
len mit ihnen gemeinsam für Frieden und Sicherheit nicht
nur im transatlantischen Raum, sondern auch weltweit
sorgen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423307400
Damit schließe
ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der CDU/CSU sowie der FDP auf Druck-
sache 14/8835 mit dem Titel „Die zweite Runde
der NATO-Erweiterung auch als Beitrag zur Stabilisie-
rung Südosteuropas konzipieren“. Wer stimmt für diesen
Antrag? –


(Unruhe – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Der Antrag wird überwiesen! Sie haben eine falsche Vorlage, Frau Präsidentin!)


– Kommen Sie bitte zu mir nach vorne.

(Die Parlamentarischen Geschäftsführer bege ben sich zum Präsidium)

– Da hierüber offensichtlich Unklarheit herrscht und es
unterschiedliche Informationen gibt, stelle ich diese Ab-
stimmung zurück. Es gibt noch eine Reihe anderer Ab-
stimmungen, mit denen wir jetzt fortfahren.


(Johannes Kahrs [SPD]: Wir sind doch mitten in der Abstimmung! – Gegenruf des Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Nein, so einfach ist das nicht!)


– Ich werde am Ende der nun folgenden Abstimmungen
über die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b abstimmen
lassen. Bis dahin kann die Verwaltung das in Ruhe klären.

Wir kommen jetzt zu Überweisungen im vereinfachten
Verfahren ohne Debatte. Ich rufe die Tagesordnungs-
punkte 34 a bis 34 i und 20 c sowie die Zusatzpunkte 4 a
bis 4 d auf:
34a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Harald

Friese, Anni Brandt-Elsweier, Christel Riemann-




Markus Meckel

23157


(C)



(D)



(A)



(B)


Hanewinckel, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der SPD, den Abgeordneten Beatrix
Philipp, Renate Diemers, Maria Eichhorn, weite-
ren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU,
den Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk,
Volker Beck (Köln), Monika Knoche, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN sowie den Abgeordneten
Ina Lenke, Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Wolfgang
Gerhardt und der Fraktion der FDP eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung anony-
mer Geburten
– Drucksache 14/8856 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Monika
Griefahn, Hermann Bachmaier, Eckhardt Barthel

(Berlin), weiteren Abgeordneten und der Fraktion

der SPD sowie den Abgeordneten Dr. Antje
Vollmer, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch
und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Regelung der Preisbindung bei Verlags-
erzeugnissen
– Drucksache 14/8854 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro-
tokoll vom 30. November 2000 zur Änderung
des Europol-Übereinkommens
– Drucksache 14/8709 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Eu-
ropäischen Übereinkommen vom 16. Januar
1992 zum Schutz des archäologischen Erbes
– Drucksache 14/8710 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Tourismus

e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Sprengstoffgesetzes und anderer
Vorschriften (2. SprengÄndG)

– Drucksache 14/8771 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss

f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur

Änderung der Gewerbeordnung und sonstiger
gewerberechtlicher Vorschriften
– Drucksache 14/8796 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra
Bläss, Wolfgang Gehrcke, Uwe Hiksch, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Konkrete Schritte gegen die Bedrohung durch
biologische Waffen
– Drucksache 14/8698 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Flach, Cornelia Pieper, Birgit Homburger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Förderung der Energiespeicherforschung
– Drucksache 14/5576 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik-
folgenabschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss

i) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der
Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das Haus-
haltsjahr 2001
– Vorlage der Haushaltsrechnung und Ver-

(Jahresrechnung 2001)

– Drucksache 14/8729 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss

20 c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hartmut
Schauerte, Dagmar Wöhrl, Kurt-Dieter Grill, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Fairen Wettbewerb im Strom- und Gasmarkt
effektiv und effizient sichern
– Drucksache 14/7614 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 4a)Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD,
der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN und der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes

(Staatsziel Tierschutz)

– Drucksache 14/8860 –




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
23158


(C)



(D)



(A)



(B)


Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

b) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Fortentwicklung der sozialen Pflegeversicherung
– Drucksache 14/8864 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter
Paziorek, Matthias Wissmann, Kurt-Dieter Grill,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Kein Emissionszertifikatehandel zum Nachteil
des Wirtschaftsstandortes Deutschland
– Drucksache 14/8852 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Michael Meister, Dirk Fischer (Hamburg),
Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Verbraucherschutz im Bereich des öffentlichen
Personenverkehrs noch immer unzureichend
– Drucksache 14/8853 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Tages-
ordnungspunkte 35 a bis 35 j sowie die Zusatzpunkte 5 a
und 5 b. Auch hier handelt es sich um die Beschlussfas-
sung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgese-
hen ist.

Tagesordnungspunkt 35 a:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 19. Septem-
ber 2000 zwischen der Bundesrepublik

Deutschland und der Tschechischen Republik
über die gegenseitige Hilfeleistung bei Kata-
strophen und schweren Unglücksfällen
– Drucksache 14/7096 –

(Erste Beratung 198. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 14/8868 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Günter Graf (Friesoythe)

Meinrad Belle
Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Petra Pau

Der Innenausschuss empfiehlt auf Drucksache
14/8868, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstim-
mig angenommen worden.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit in dritter Beratung einstimmig angenommen
worden.

Tagesordnungspunkt 35 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Durchführung der Rechtsakte der Europä-
ischen Gemeinschaft über gemeinschaftliche
Informations- und Absatzförderungsmaßnahmen

(Agrarabsatzförderungsdurchführungsgesetz – AgrarAbsFDG)

– Drucksache 14/8526 –

(Erste Beratung 227. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft (10. Ausschuss)

– Drucksache 14/8811 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Ulrich Heinrich

Der Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft empfiehlt auf Drucksache 14/8811, den
Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Auch die-
ser Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstim-
mig angenommen worden.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, aufzustehen, wenn
Sie dem Gesetzentwurf in der dritten Beratung zustimmen
wollen. – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist auch in der dritten Lesung einstimmig
angenommen worden.




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

23159


(C)



(D)



(A)



(B)


Tagesordnungspunkt 35 c:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Durchführung der Rechtsakte der Europä-
ischen Gemeinschaft über die Etikettierung von

(Fischetikettierungsgesetz – FischEtikettG)

– Drucksachen 14/7726, 14/8196 –

(Erste Beratung 208. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft (10. Ausschuss)

– Drucksache 14/8810 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Ulrich Heinrich

Der Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft empfiehlt, den Gesetzentwurf anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung einstimmig angenommen worden.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte Sie erneut, aufzuste-
hen, wenn Sie in der dritten Beratung bei Ihrem Votum
bleiben wollen. – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Lesung ein-
stimmig angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 35 d:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den
Auswärtigen Dienst (GAD)

– Drucksache 14/8225 –

(Erste Beratung 224. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärti-
gen Ausschusses (3. Ausschuss)

– Drucksache 14/8833 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen (Wiesloch)

Reinhard Freiherr von Schorlemer
Rita Grießhaber
Dr. Helmut Haussmann
Wolfgang Gehrcke

Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt auf Drucksache
14/8833, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Auch
dieser Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung ange-
nommen worden.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Wer zustimmen möchte, möge
sich erheben. – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Das ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist ein-
stimmig angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 35 e:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten
Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immis-
sionsschutzgesetzes
– Drucksache 14/8450 –

(Erste Beratung 224. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (16. Ausschuss)

– Drucksache 14/8895 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Rainer Brinkmann (Detmold)

Marie-Luise Dött
Winfried Hermann
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen und der PDS gegen die Stimmen der CDU/CSU bei
Enthaltung der FDP angenommen worden.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte Sie, sich zu erheben,
wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit in dritter Beratung mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen der
CDU/CSU bei Enthaltung der FDP angenommen worden.

Wir kommen zu den Sammelübersichten des Petitions-
ausschusses.

Tagesordnungspunkt 35 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 378 zu Petitionen
– Drucksache 14/8801 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Sammelübersicht 378 ist mit den Stimmen des ganzen
Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 35 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 379 zu Petitionen
– Drucksache 14/8802 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Sammelübersicht 379 ist mit den Stimmen des ganzen
Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 35 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 380 zu Petitionen
– Drucksache 14/8803 –




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
23160


(C)



(D)



(A)



(B)


Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Sammelübersicht 380 ist einstimmig angenommenworden.

Tagesordnungspunkt 35 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 381 zu Petitionen
– Drucksache 14/8804 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 381 ist mit den Stimmen des
ganzen Hauses bei Enthaltung der CDU/CSU angenom-
men worden.

Tagesordnungspunkt 35 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 382 zu Petitionen
– Drucksache 14/8805 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Sammelübersicht 382 ist mit den Stimmen des ganzen
Hauses bei Gegenstimmen der PDS angenommen worden.

Wir kommen nun zu den weiteren abschließenden Be-
ratungen ohne Aussprache.

Zusatzpunkt 5 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zurÄnderung des Grundstoffüberwachungsge-
setzes
– Drucksache 14/8387 –

(Erste Beratung 224. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14. Ausschuss)

– Drucksache 14/8882 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Ruth Fuchs

Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt auf Drucksa-
che 14/8882, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Das ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben,
wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf
ist damit in dritter Lesung mit den Stimmen des ganzen
Hauses angenommen worden.

Zusatzpunkt 5 b:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurÄnde-
rung des Gesundheitsstrukturgesetzes
– Drucksache 14/7462 –

(Erste Beratung 227. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14. Ausschuss)

– Drucksache 14/8882 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Hans Georg Faust

Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates
zur Änderung des Gesundheitsstrukturgesetzes, Druck-
sache 14/7462. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt
auf Drucksache 14/8883, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte die, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig
angenommen worden.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben,
wenn Sie zustimmen wollen. – Gibt es Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in dritter
Lesung einstimmig angenommen worden.

Wir haben uns geeinigt: Bei den Tagesordnungspunk-
ten 17 a und 17 b wird jetzt um Überweisung gebeten.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Wir ver-
fahren so und haben das damit für heute erledigt.

Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 6 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Haltung der Bundesregierung zu den Wachs-
tumsprognosen der Wirtschaftsforschungsin-
stitute in ihrem Frühjahrsgutachten 2002

Ich eröffne die Aussprache und gebe als erstem Redner
dem Abgeordneten Matthias Wissmann das Wort.

Matthias Wissmann (CDU/CSU) (von der CDU/
CSU mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Es gibt in dieser Woche zwei Gutachten,
die Anlass zum Nachdenken und zu einer tief greifenden
Kurskorrektur in der Wirtschafts- und Finanzpolitik ge-
ben, Herr Bundesfinanzminister Eichel.

Das eine ist das Frühjahrsgutachten der Wirtschafts-
forschungsinstitute in Deutschland, in dem diese davon
ausgehen, dass wir in diesem Jahr einen mäßigen Auf-
schwung mit 0,9 Prozent Wachstum des realen Brutto-
sozialproduktes, keine Veränderung am Arbeitsmarkt, nur
weitere Veränderungen zum Schlechten haben und in
Sachen Staatsdefizit Schlusslicht in Europa bleiben.

Noch aufrüttelnder ist die gestern veröffentlichte Früh-
jahrsprognose der EU-Kommission, die das „Handels-
blatt“ heute unter den Überschriften „EU liefert Stoiber
Wahlmunition“ und „Rote Laterne für Deutschland“ ver-
öffentlicht hat


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

und in der deutlich wird, dass wir beim Wachstum, beim
Staatsdefizit und bei der Beschäftigung weiterhin die rote
Laterne besitzen und sie auch bei Fortführung der gegen-
wärtigen Politik nicht abgeben werden. Das ist für uns
Anlass zu sagen: Wer in einer solchen Situation seine




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

23161


(C)



(D)



(A)



(B)


Überlegungen für die Zukunft unter das Motto „Weiter
so!“ wie gestern Gerhard Schröder stellt, hat sich mit der
roten Laterne abgefunden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Johannes Kahrs [SPD]: Billige Polemik!)


Das kann doch wohl keine Wirtschafts- und Finanzpolitik
für Deutschland und, da wir die größte Industrienation
Europas sind, für Europa sein.

Meine Damen und Herren, nach Angaben des Bundes-
finanzministeriums sind allein in den ersten beiden Mo-
naten dieses Jahres die Konsumausgaben des Bundes um
5,5 Prozent gestiegen, die Investitionsausgaben, Herr
Eichel, aber um 13,8 Prozent zurückgefahren worden.
Was für ein Signal gerade im Hinblick auf die neuen Bun-
desländer!


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Unglaublich!)

Was für ein Signal im Hinblick auf eine bessere Struktur
des Bundeshaushalts! Wir stellen an allen entscheidenden
Weichenstellungen leider Fehlverhalten, Schwäche und
falsche Anlage der Wirtschafts- und Finanzpolitik fest.
Wir müssen diesen Kurs ändern, wenn wir die Schluss-
lichtposition verlassen wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Folgen dieser verfehlten Wirtschaftspolitik lassen

sich an dem absehbaren neuen Rekord an Unterneh-
mensinsolvenzen festmachen. Nach Berechnungen der
Gutachter von Creditreform werden in diesem Jahr rund
40 000 Unternehmen ihre Pforten schließen müssen.
Hinzu kommen rund 20 000 Personeninsolvenzen.
60 000 Pleiten insgesamt, das ist ein absoluter Rekord und
es bedeutet vor allem, dass grosso modo 550 000 Men-
schen ihren Arbeitsplatz verlieren werden. Gerade im
Mittelstand greift die Sorge um sich. Bei einem Drittel
aller kleinen und mittleren Betriebe liegt der Umsatz un-
ter der Ertragsschwelle. Bei einem weiteren Drittel liegt
der Umsatz gerade an der Grenze, sodass sie noch überle-
ben können. Das letzte Drittel aller kleinen und mittleren
Unternehmen, bei denen Jobs entstehen könnten, befindet
sich in positivem Fahrwasser.

Die Gutachter der Wirtschaftsforschungsinstitute ha-
ben also Recht, wenn sie uns mahnen, die grundlegenden
Reformen anzugehen: Deregulierung des Arbeitsmarkts,
Erneuerung und Strukturreform des Gesundheitswesens.
Sie haben Recht, wenn sie die kritische Frage stellen: Wie
wollt ihr eigentlich die Schieflage im Haushalt – Investi-
tionen herunter, konsumtive Anteile herauf – nachhaltig
reparieren? Darauf gibt es keine Antworten.

Das gestern vorgestellte SPD-Wahlprogramm steht un-
ter der Überschrift: „Kanzler, Konzept und Kompetenz“ –
drei K.


(Susanne Kastner [SPD]: Nur kein Neid, Herr Wissmann!)


Ich kann gegenwärtig nur feststellen – ich sage das mit
Bedauern –: Unsere Lage ist durch drei andere K gekenn-
zeichnet: Krise, Klüngel und Konkurse.


(Beifall bei der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Hören Sie auf mit Ihrer Polemik!)


So kann es nicht weitergehen. Deswegen brauchen wir
einen kraftvollen Neubeginn in der Wirtschafts- und Fi-
nanzpolitik. Dazu mahnt uns die EU-Kommission. Dazu
mahnen uns die Wirtschaftsforschungsinstitute. Wer aus
diesen Gutachten Bestätigung herausliest, der hat sich mit
der roten Laterne abgefunden. Wir finden uns damit nicht
ab. Wir wollen Deutschland wieder in die Spitzengruppe
der führenden Industrienationen bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423307500
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Rainer Wend.


Dr. Rainer Wend (SPD):
Rede ID: ID1423307600
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Herr Wissmann, ich be-
dauere es ein bisschen, dass auch Sie heute wieder der
Versuchung erlegen sind, den Wirtschaftsstandort
Deutschland schlecht zu reden, dass Sie auch heute wie-
der der Versuchung erlegen sind, eine Rote-Laterne-De-
batte zu führen. Warum ist Ihnen das Thema „rote La-
terne“ eigentlich nicht bis 1998 eingefallen, als Sie fünf
Jahre hintereinander in derselben Situation gewesen sind?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie sagen nach Auslegung der Berichte der Institute,
wir müssten eine Kehrtwende unserer Politik machen. Es
mag sein, dass wir unterschiedliche Berichte bekommen
haben. Ich zitiere einmal:

Für eine nachhaltige Aufwärtsentwicklung kommt es
nun darauf an, dass die einzelnen Bereiche der Wirt-
schaftspolitik ihre mittelfristige Orientierung beibe-
halten.

Das ist genau das, was uns die Wirtschaftsforschungs-
institute sagen. Wir haben noch einen Weg vor uns. Es
kann kein Zweifel darin bestehen, dass auch wir darüber
nachdenken müssen, was im einen oder anderen Bereich
zu tun ist; aber die grundlegenden politischen Verände-
rungen, die wir in den letzten Jahren herbeigeführt haben,
sind richtig.

Die deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute empfeh-
len uns eine Wirtschafts- und Finanzpolitik, die uns allen
– das sage ich hier ganz offen – sehr schwer fallen wird.
Ich zitiere noch einmal aus dem Bericht der Institute:

Vor einer besonderen Herausforderung steht die Fi-
nanzpolitik in Deutschland.

Weiter heißt es:
Gleichwohl sollten von dem Konsolidierungskurs
keine Abstriche gemacht werden.

Es wird in den nächsten Jahren nicht leicht sein, den
begonnenen Konsolidierungskurs, der schmerzhaft ist,
fortzuführen. Die Institute selbst sagen: Wir müssen auf-
passen, dass wir die Konjunktur durch die weiteren fi-
nanzpolitischen Konsolidierungsmaßnahmen nicht zu
sehr dämpfen. Das bedeutet, zu versuchen, bei den Inves-
titionen möglichst wenig zu sparen und bei der Konsoli-
dierung in die konsumtiven Ausgaben zu gehen. Jeder ist
geneigt, sofort zu sagen: Jawohl, das müssen wir machen.




Matthias Wissmann
23162


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich will das nicht bestreiten; es stimmt. Aber das ist un-
glaublich schwer, denn konsumtive Ausgaben sind Aus-
gaben für Bildung und Forschung und Ausgaben für die
Sozialpolitik, um nur zwei Bereiche zu nennen. Das wird
ein verdammt schwieriger Weg, übrigens für uns alle,
nicht nur für uns Sozialdemokraten. Dennoch ist dieser
Weg unausweichlich, auch wenn er schmerzhaft ist, weil
konsolidierte öffentliche Haushalte die Voraussetzung für
eine weitere wirtschaftliche Gesundung sind.

Ich habe freimütig eingeräumt: Dieser richtige Konso-
lidierungskurs wird uns nicht leicht fallen. Ich richte die
Frage an die Opposition, insbesondere an die CDU/CSU:
Was ist Ihre Alternative? Das Lippenbekenntnis Ihrer Po-
litik heißt Sparen. Ihre politischen Alltagsforderungen
weisen genau in die entgegengesetzte Richtung.


(Beifall bei der SPD)

Weitere Ausgaben für Verteidigung, weitere Ausgaben für
Familiengeld, weitere Ausgaben für Mittelstandspro-
gramme, weitere Ausgaben für die Senkung des Spitzen-
steuersatzes – das sind nur vier Forderungen aus den letz-
ten Tagen, die Milliarden und Abermilliarden kosten. Es
kennzeichnet die Unsolidität Ihrer Politik, Sparen zu for-
dern und alltäglich mehr Ausgaben einzufordern. Diesen
Widerspruch müssen Sie aufklären.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auch auf diesen Punkt wird sich die Diskussion im Wahl-
kampf bis zum Herbst beziehen.

Es gibt auf der einen Seite einen klaren Konsolidie-
rungskurs der Bundesregierung, der von allen Wirt-
schaftsforschungsinstituten gestützt wird, die dazu Aus-
sagen machen. Es gibt auf der anderen Seite einen Kurs
der Union, der Sparen fordert und in der Alltagspolitik po-
pulistische Ausgaben auf die Tagesordnung setzt.


(Beifall bei der SPD)

Diesen Widerspruch werden wir den Bürgerinnen und
Bürgern erklären.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das hat in Sachsen-Anhalt kein Mensch geglaubt!)


Der Bundeskanzler hat Recht, wenn er sagt: Es kann
nicht richtig sein, dass wir uns unter großen Schwierig-
keiten über Monate hinweg bemühen, den Schuldenstaat,
den Sie uns hinterlassen haben, durch Haushaltskonsoli-
dierung in den Griff zu bekommen,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie haben doch gar keine Ahnung, Herr Wend!)


und uns von Ihnen hier vorwerfen lassen müssen, wir
würden nicht genug sparen,


(Beifall bei der SPD)

während Sie zusätzliche Ausgaben in Milliardenhöhe for-
dern. Die Bürger merken dies. Hören Sie auf damit!


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ihnen steht das Wasser doch bis zum Hals, Herr Wend!)


Machen Sie lieber gemeinsam mit uns eine sachorien-
tierte, schwierige Konsolidierungspolitik. Wir haben es

alle nicht leicht, aber Ihr billiger Populismus wird entlarvt
werden; dessen können Sie sicher sein.


(Beifall bei der SPD – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Bei 19 Prozent würde ich den Mund nicht so voll nehmen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423307700
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Rainer Brüderle.


(Detlev von Larcher [SPD]: Jetzt kommt der Herr 18 Prozent!)



Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1423307800
Herr Baron, willkommen auf
der Arbeitsebene.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Früh-
jahrsgutachten, OECD-Prognose, EU-Wirtschaftsbericht
zeigen es: Deutschland bleibt hinten. Da hilft es nicht,
denjenigen, die die Fakten nennen, vorzuwerfen, sie re-
deten das Land schlecht. Nein, diejenigen, die gesundbe-
ten und die Realität nicht zur Kenntnis nehmen, versündi-
gen sich am Land. Das ist die Tatsache.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Da müssen Sie erst einmal beichten gehen!)


– Der rote Baron ist immer eine Bereicherung. Ich finde
es schön, dass der Neofeudalismus durch Sie dokumen-
tiert wird.

Vor einem Jahr träumte Herr Eichel noch von 2,5 Pro-
zent realem Wachstum.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wo sind sie geblieben?)


Er musste seine Prognose Schritt für Schritt revidieren.
Lassen Sie doch die Finger davon, kurz vor der Bundes-
tagswahl die Prognose wieder hochdrehen zu wollen. Wer
so daneben lag, sollte nicht ständig an der Prognose fum-
meln. Sie haben in diesem Punkt keine Glaubwürdigkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Konjunktur dümpelt. In England beträgt das Wachs-

tum rund 2 Prozent, in Spanien ebenso, Frankreich hat ein
Wachstum von 1,5 Prozent. Die Ausrede, die Probleme der
Weltwirtschaft seien so schlimm, zieht nicht. Herr Eichel,
ich kann Ihnen versichern, England, Frankreich und Spa-
nien operieren im gleichen weltwirtschaftlichen Rahmen
wie wir, denn es gibt nur eine Weltwirtschaft. Deshalb kann
man sich damit nicht herausreden. Hier ist vielmehr die
Strategie falsch; wir sind falsch aufgestellt.

Ich trage ein Zitat aus dem Gutachten vor:
Höher als angekündigt ist die Belastung mit Steuern
und Sozialabgaben; sie sollte eigentlich spürbar ge-
senkt werden. Insofern wurden die selbst gesetzten
Ziele der Finanzpolitik verfehlt.

Tatsache ist: Sie haben nicht entlastet, sondern wir haben
in den nächsten Jahren 9 Milliarden Euro Zusatzbelas-
tung. Per saldo haben Sie keine steuerliche Entlastung
vorgenommen,


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)





Dr. RainerWend

23163


(C)



(D)



(A)



(B)


sondern durch Ökosteuer, Tabaksteuer und Versicherung-
steuer die Leute mehr belastet. Das ist die Kernursache
dafür, dass wir in der wirtschaftlichen Entwicklung nicht
vorankommen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Diese Unwahrheit glaubt Ihnen keiner!)


Sie sollten aufhören mit Verdrängungsaussagen wie:
„Wenn wir die Bauwirtschaft herausrechnen, stehen wir
besser da“. „Wenn wir Ostdeutschland herausrechnen,
stehen wir besser da“. Natürlich, Herr Baron: Wenn wir
die Arbeitslosen aus der Statistik herausrechnen, haben
wir Vollbeschäftigung.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Das wäre die Lösung des Problems. Das sind Ihre Trick-
sereien. Damit konnte der Adel früher über die Runden
kommen, Herr Baron, aber in der Republik kommen Sie
damit nicht weiter.


(Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Ostdeutschland kaputt gehen lassen! Das war doch Ihre Regierung!)


Deshalb lieber die Stunde der Wahrheit und nicht
Rückfall in den alten Feudalismus, wo man die Leute an
der Nase herumgeführt hat. Sie schieben und schieben.
Sie machen keine Reformen, weil Sie Angst vor den Ge-
werkschaften haben. Sie machen keine Gesundheits-
reform, denn Sie haben Angst vor dem Gesundheitssektor.
Sie machen nichts. Bei Ihnen gilt das Prinzip Hoffnung:
Die Amerikaner machen es besser, und wir werden über
den Export mitgezogen. Sie selbst machen es nicht. Aber
mit dem Prinzip Hoffnung kommen Sie nicht weiter.

Das Gutachten macht auch eine interessante Aussage
zu der aktuellen Tarifauseinandersetzung. Es sagt:
2,5 Prozent Lohnerhöhung. Das ist die Basis aufgrund ei-
ner Prognose, die schon sehr bescheiden ist. Es dümpelt
ja alles, von Aufschwung ist nichts zu spüren.


(Hubertus Heil [SPD]: Mit wem redet der eigentlich?)


Schon der Abschluss in der Chemieindustrie liegt deutlich
über diesen 2,5 Prozent. Was die Herren von der IG Me-
tall installieren, ist wahrlich kein Beitrag zur Reduzierung
der Arbeitslosigkeit. Sie sind da gefangen, weil die meis-
ten von Ihnen Gewerkschaftssekretäre sind.


(Detlev von Larcher [SPD]: Sie sind gefangen!)


Die Arbeitslosen in Deutschland haben keine Gewerk-
schaft. Da verhandeln nur die, die drin sind, zulasten de-
rer, die draußen sind, die aber auch ein Stück Hoffnung
und Perspektive haben wollen.


(Beifall bei der FDP – Susanne Kastner [SPD]: Die meisten von Ihnen sind Aufsichtsratsmitglieder!)


Tatsache ist: Wir haben einen Pleitenrekord. Wir kommen
nicht voran beim Abbau der Arbeitslosigkeit. Sie haben
steuerlich nicht entlastet. Per saldo haben Sie zusätzlich
draufgeknallt. Wir haben einen Rekord bei der Schwarz-
arbeit.


(Hubertus Heil [SPD]: Sie wiederholen sich!)


– Da hilft auch kein Schreien. Sie sollten sich lieber schä-
men. – Wir haben ein mieses Klima im Mittelstand. Der
Mittelstand verzweifelt immer mehr.


(Detlev von Larcher [SPD]: Ach du liebe Güte!)


– Die Zahlen sprechen Bände. Ich sage noch einmal: Plei-
tenrekord. Sie als Abgeordneter haben damit kein Pro-
blem. Sie kriegen Ihre Diäten oder haben vielleicht als
Feudalist noch Latifundien.


(Hubertus Heil [SPD]: Billiger Populist! – Susanne Kastner [SPD]: Sie kriegen auch noch Aufsichtsratsgelder!)


Aber die Menschen, die auf ihr Arbeitseinkommen ange-
wiesen sind, sind nicht in Ihrer Position, sondern in dieser
miserablen Situation, die uns nicht weiterführt.

Was wir brauchen, ist eine Steuerreform II. Wir müs-
sen weiter entlasten. Der Fehler war, dass man nicht
rechtzeitig gehandelt hat. Deshalb ist Herr Eichel in der
Haushaltsmisere. Hätte er früher und umfassender steuer-
lich entlastet, hätten wir mehr Wachstum, mehr Beschäf-
tigung, weniger Arbeitslosigkeit und eine bessere Haus-
haltssituation. Die Untätigkeit ist die Ursache der
Haushaltsmisere.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Hubertus Heil [SPD]: Wie viel Jahre haben Sie als FDP regiert? – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie haben bei der Steuerreform doch zugestimmt, Herr Brüderle!)


Ich kann den Menschen draußen nur zurufen: Halten
Sie einfach durch bis zum 22. September! Am 22. Sep-
tember ist in Deutschland Freiheitstag.


(Beifall bei der FDP – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dann können Sie wählen. Dann können Sie eine bessere
Politik wählen, Sie können sich für eine freiheitliche Lö-
sung entscheiden, Sie können steuerliche Entlastung
wählen, Sie können Arbeitsmarktchancen wählen.


(Hubertus Heil [SPD]: Sie sind ja flacher als Herr Möllemann!)


Tun Sie es, damit das Land an der Unfähigkeit von Grün-
Rot nicht verzweifelt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Wir sprechen uns am 23. September wieder! – Hubertus Heil [SPD]: Tiefflieger!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423307900
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Werner Schulz.

Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
habe mich gefragt, was die Opposition, was die Union be-
wogen hat, diese Aktuelle Stunde zu beantragen. Zunächst
hatte ich die Vermutung, Sie würden diese Gelegenheit für
einen Strategiewechsel nutzen, weil Sie zu der Überzeu-
gung gekommen sind, dass Sie allein mit Schlechtreden
des Standortes und mit Trübsalblasen eben nicht über den




Rainer Brüderle
23164


(C)



(D)



(A)



(B)


Sommer kommen. Das zumindest hat Ihnen das Früh-
jahrsgutachten vor Augen geführt.


(Beifall bei der SPD)

Aber Sie haben sich offenbar entschlossen, die Sonthofen-
Strategie in der Wirtschaft fortzusetzen. Sie suchen das
Haar in der Suppe, um es hier rhetorisch zu spalten.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wir haben keine Suppe mehr! Der Teller ist leer!)


Herr Wissmann, wir haben nicht nur zwei Gutachten zu
beachten. Sie sollten sich vielleicht zusätzlich einmal die
Expertise von EU-Wirtschaftskommissar Pedro Solbes
vornehmen,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das können wir gern machen!)


wenn Sie das Frühjahrsgutachten der EU und das Früh-
jahrsgutachten der Forschungsinstitute auswerten.

Die rote Laterne, die sie der Bundesregierung so gerne
überreichen wollen, hängt am Zug der deutschen Einheit.
Sie hängt dort, seitdem Sie die Einheit falsch finanziert
haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ein Drittel der Wachstumsschwäche geht auf die falsche
Finanzierung der deutschen Einheit zurück. Es sind etwa
0,3 Prozent Wachstum, die uns auf diese Art und Weise
verloren gehen. Das sind etwa 3 Prozent des Brutto-
inlandsprodukts, das wir nach wie vor für den Osten be-
reitstellen müssen, und zwar nicht nur in Form von Inves-
titionen, sondern im Grunde auch durch Sozialtransfers.

Das andere Drittel ist die falsche Konjunkturlokomo-
tive, die sie vor den Zug der deutschen Einheit gehängt
haben. Ich weise nur auf die überhitzte und überdimen-
sionierte Bauindustrie hin, deren Überkapazitäten jetzt
abgebaut werden müssen. Das macht ein weiteres Drittel
dieser Wachstumsschwäche aus. Das sind noch einmal
0,3 Prozent.

Das übrige Drittel sind die nach wie vor ausstehenden
Reformen. Die Reformen stehen nach wie vor aus, weil
Sie den Zug der deutschen Einheit in einen Verschiebe-
bahnhof gefahren haben. Nicht umsonst war „Reform-
stau“ einmal das Wort des Jahres. Diesen Reformstau ha-
ben wir übernommen. Natürlich ist das noch nicht alles
abgebaut.

Zwei Drittel der Wachstumsschwäche gehen eindeutig
auf Ihr Regierungskonto zurück. Über ein Drittel können
wir uns streiten. Wir sind momentan dabei, das abzu-
bauen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie sind ja völlig unschuldig!)


Da haben wir einiges zu bieten, etwa bei der Steuer-
reform. Ich erinnere Sie nur daran: Wären wir dem Blitz-
programm von Herrn Brüderle gefolgt, dann hätten wir im
Herbst ein Aktionsprogramm auflegen und einen hek-
tischen Aktionismus betreiben müssen.


(Rainer Brüderle [FDP]: Das wäre vermeidbar gewesen! Das kennen Sie aus der DDR nicht!)


Nein, wir haben Kurs gehalten. Das Frühjahrsgutachten
der Forschungsinstitute bestätigt, dass es richtig war, das
zu tun. Selbst Forschungsinstitute haben sich jetzt dem
Kurs der Regierung angeschlossen und gesagt, dass das so
in Ordnung ist, dass es keinen Spielraum für weitere
Steuersenkungen gibt.

Wie Sie die Steuersenkungen nach dem 22. September
realisieren wollen, bleibt Ihr Geheimnis. Ich glaube, Sie
werden nach der Methode Pieper vorgehen, nach dem
Motto: Höppner geht, die Arbeit kommt und Frau Pieper
flüchtet. Es war eine „Piepshow“, die Sie in Sachsen-
Anhalt abgezogen haben. Das ist eine große Täuschung.
Wir werden darauf noch zurückkommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Rainer Brüderle [FDP]: Sie sind unter 2 Prozent, Sie sollten den Mund halten!)


Es ist kein Spielraum für Steuersenkungen vorhanden.
Im Gegenteil, die Forschungsinstitute fordern uns auf,
weiter zu sparen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Wie viel Prozent haben Sie in die „Piepshow“ eingebracht?)


– Herr Hinsken, man könnte die drei K, die Herr
Wissmann vorgetragen hat, auch anders übersetzen. Es
fehlt an Kalkulation, es fehlt an Korrektheit und es liegt
noch nicht einmal in dieser Richtung ein Konzept vor.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das, was Sie da so vollmundig verkünden, Sie wollten
beispielsweise beim Familienlastenausgleich einmal so
24 Milliarden herausstreuen, ist überhaupt nicht zu ver-
wirklichen. Das können Sie nicht finanzieren; auch nicht
Steuersenkungen und weitere Versprechungen von sozia-
len Wohltaten.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Sagen Sie einmal etwas zur Konjunktur!)


– Zur Konjunktur? Die Konjunktur sieht relativ günstig
aus.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben allen Grund, optimistisch zu sein. Wir rechnen
mit 0,9 Prozent Wachstum. Im nächsten Jahr werden wir
etwa 2,3 Prozent Wachstum bekommen. Herr Schauerte,
egal, ob Sie das jetzt zum Lachen bringt oder nicht, es ist
einfach so. Das sind die Fakten.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wo leben Sie?)


Es wird Ihnen nicht gelingen, das schlecht zu reden. Das
reicht nicht für die Zeit bis zum 22. September.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423308000
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Barbara Höll.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1423308100
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Herr Schulz, schauen wir mal.




Werner Schulz (Leipzig)


23165


(C)



(D)



(A)



(B)


Schauen wir mal, wer deutscher Fußballmeister wird.
Jede Mannschaft, die es noch werden will, wird sich auch
für die letzten Spiele noch anstrengen müssen.

Wenn man das Gutachten liest, dann finde ich die Hal-
tung der Bundesregierung, die heute von der CDU/CSU
thematisiert wird, schon erstaunlich; denn unabhängig
davon, wie die Gutachten in den letzten Jahren auch aus-
gefallen sind, fühlt sich Rot-Grün in seiner Politik immer
bestätigt. Das ist schon ein besonderer Blick auf die Rea-
lität.


(Beifall bei der PDS)

Man muss wirklich sagen: Die Realität ist alles andere

als rosig. Die Bundesrepublik hat keine Chance, die rote
Laterne in Europa in diesem Jahr abzugeben. Wie es dann
im nächsten Jahr aussehen wird, bleibt abzuwarten.

Wenden wir uns den Realitäten zu. Erstens. Die Ar-
beitslosigkeit steigt auch in diesem Jahr. Im Vergleich
zum Vorjahr haben wir in den Monaten März und April
160 000 arbeitslose Menschen mehr. Das ist eine Steige-
rung der Arbeitslosenquote von 9,8 auf 10 Prozent. Da-
hinter stehen viele, viele Schicksale. Ein Ende der Tal-
sohle ist auch laut Aussage der Bundesanstalt für Arbeit
nicht in Sicht.

Zweitens. Die Zahl der Insolvenzen spricht eine deut-
liche Sprache in Bezug auf die wirtschaftliche
Entwicklung. Im vergangenen Jahr gab es 32 278 Insol-
venzen, ein Nachkriegsrekord. Befürchtet wird, dass es in
diesem Jahr einen neuen Rekord geben wird, und zwar mit
37 200 Insolvenzen, so die Schätzung des Bundesverban-
des Deutscher Inkassounternehmen. Damit sind wie-
derum 550 000 bis 600 000 Arbeitsplätze bedroht. Nur ein
Bruchteil dieser Insolvenzen entfällt auf spektakuläre
Pleiten wie bei Herlitz und Kirch. Betroffen sind vor al-
lem kleine und mittlere Unternehmen.

Diese zwei Beispiele sollten ausreichen, um zu zeigen,
dass die rot-grüne Koalition und die rot-grüne Regierung
sich nun endlich von ihrem gescheiterten Konzept – nur
massive Steuerentlastung der Konzerne, der Besserver-
dienenden und der Vermögenden – verabschieden müs-
sen. Denn genau dieses Konzept hat nicht zu Wachstum
und mehr Beschäftigung geführt. Ihre Steuerreform war
und bleibt ein Flop.


(Beifall bei der PDS)

Diesen Bankrott rot-grüner Wirtschafts- und Finanzpolitik
muss man sich erst einmal eingestehen. Die Realität spricht
eine deutliche Sprache. Dann müssen – das ist notwendig –
daraus endlich die Konsequenzen gezogen werden.

Es ist doch nicht von der Hand zu weisen, dass die öf-
fentlichen Haushalte mit Ihrer Finanzpolitik in den Ruin
getrieben werden. Geld für öffentliche Investitionen ist
nicht vorhanden. Um das festzustellen, reicht ein Blick in
den Bundeshaushalt dieses Jahres. Der Anteil der inves-
tiven Ausgaben beträgt im Jahr 2002 noch rund 10 Pro-
zent. Das ist Nachkriegstiefstand.

Insbesondere die Kommunen befinden sich durch Ihre
Finanzpolitik in einer sehr schweren Situation. Nehmen
wir einmal ein drastisches Beispiel: die Stadt Gütersloh,

bekanntermaßen Sitz des Medienkonzerns Bertelsmann.
Bertelsmann hatte im vergangenen Jahr 20 Milliar-
den Euro Umsatz und einen Gewinn erwirtschaftet. Die
Stadt Gütersloh muss aber an den Konzern 15 Milliar-
den Euro für das Jahr 2001 an Steuern zurückzahlen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Millionen!)

– Entschuldigung, das kann ja einmal passieren. Es ist
schön, dass Sie zuhören und mich korrigieren.


(Beifall bei der PDS – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ein bisschen durcheinander ist das ja schon, was Sie da vortragen!)


Die geschilderte Situation bedeutet für die Stadt
Gütersloh und ihre Bürgerinnen und Bürger drastische
Sparmaßnahmen und eine Haushaltssperre.

Das ist kein Einzelfall. In den neuen Bundesländern ist in
ganz vielen Kommunen inzwischen auch die soziale
Infrastruktur bedroht. Das, was an notwendigen sozialen In-
frastruktureinrichtungen, ob das die Frauen- oder Jugend-
arbeit oder die Betreuung älterer Bürgerinnen und Bürger
betrifft, noch vorhanden ist, ist massiv bedroht, weil die
Kommunen nicht mehr ihren Anteil an der Gegenfinanzie-
rung aufbringen können. Was das alles im Endeffekt kostet,
können wir uns heute noch gar nicht ausmalen.

Die Binnennachfrage stagniert. Sicher wird Herr
Eichel, der nach mir spricht, wieder sagen, wie toll die
Steuerreform und die Steuerentlastung für jede Familie
waren.


(Susanne Kastner [SPD]: Es ist nett von Ihnen, dass Sie das auch sagen!)


Dabei werden meistens die Ökosteuer und die Erhöhung
anderer Steuern vergessen. Man muss leider feststellen,
dass sich die Kaufkraft der Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer in den letzten 20 Jahren nicht erhöht hat, auch
unter Ihrer Regierung nicht. Das ist die Realität.


(Beifall bei der PDS)

Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie das endlich än-

dern würden. Machen Sie Schluss mit dieser Steuer-
senkungspolitik für Besserverdienende, Vermögende und
Konzerne! Gehen Sie endlich zu einer nachhaltigen Fi-
nanzpolitik über!


(Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schaffen Sie demokratischen Sozialismus!)


Da unterscheide ich mich wesentlich von der rechten Op-
position in diesem Hause. Sie sollten sich endlich einmal
der Einnahmenseite zuwenden. Setzen Sie doch bitte
Ihren Kopf ein; in der Politik ist Fantasie gefragt. Ich
glaube, es stünde uns sehr gut zu Gesicht, wenn wir uns
nicht nur von der Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne
bei Kapitalgesellschaften verabschieden würden,


(Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steuerfreiheit für alle!)


sondern uns wieder auch anderen Finanzierungsquellen
zuwenden würden. Was ist denn mit einer Reform der
Erbschaftsteuer? Sie verweigern sich hier. Was ist denn
mit einer Vermögensbesteuerung? Nichts! Große Kon-




Dr. Barbara Höll
23166


(C)



(D)



(A)



(B)


zerne wie Daimler-Benz zahlen de facto keine Steuern,
aber jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer zahlt
brav die Lohnsteuer. Das kann es nicht sein; das ist kon-
traproduktiv. Es muss vielmehr darum gehen, die Binnen-
nachfrage zu stärken und aktiv Maßnahmen zu verwirkli-
chen, die dafür sorgen, dass Wachstum einsetzt und dass
Arbeitsplätze geschaffen werden.

Sie haben noch Zeit bis zur Wahl. Die Bevölkerung er-
wartet Taten.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS – Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir in Berlin gespannt!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423308200
Das Wort hat
jetzt der Herr Bundesfinanzminister, Hans Eichel.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423308300
Frau Prä-
sidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zwei-
felsfrei steht fest – das ergibt sich aus dem Gutachten der
Wirtschaftsforschungsinstitute; das sagen im Übrigen
auch alle internationalen Institutionen –, dass der Auf-
schwung begonnen hat. Sie haben jetzt ein strategisches
Problem: Wollen Sie bis zur Bundestagswahl immer noch
so tun, als säßen wir in der Malaise? Oder haben Sie die
Chuzpe von Gerhard Schröder aus dem Jahr 1998 – die ha-
ben Sie nicht –, zu erklären, der Aufschwung sei Ihrer? Sie
haben sich entschieden, bis zum 22. September schwarz zu
malen. Ich sage Ihnen: Diese Strategie geht nicht auf.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Herr Brüderle, natürlich ist ein Wachstum von 0,9 Pro-
zent nicht besonders hoch. Aber wir haben in den letzten vier
Jahren – der Kollege Müller hat es Ihnen vorgerechnet –
mit durchschnittlich 1,6 Prozent Wachstum mehr erreicht


(Rainer Brüderle [FDP]: Relativ wenig!)

als Sie während Ihrer Regierung seit 1992. Sie lagen im-
mer unter diesem Wert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Weil Sie so ungeheuer gerne das Bild des Trainers im
Fußball benutzen, sage ich Ihnen: Der Trainer, der die
Mannschaft auf den letzten Platz geführt hat – das waren
Sie in den 90er-Jahren –, ist nicht derjenige, der den Auf-
stieg schafft.


(Beifall bei der SPD)

Wir werden das schaffen. Im Jahr 2000 haben wir uns das
erste Mal verbessert. Auch die Europäische Kommission
sagt, dass wir uns im Jahr 2003 wenigstens – auch das
reicht mir noch nicht – auf Platz 11, gemeinsam mit zwei
anderen Staaten, verbessern.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Portugal überholt! Das ist Ihre Erfolgsbilanz!)


– Nein, wir haben nicht nur Portugal überholt, sondern
auch Österreich und die Niederlande. Wenn Sie sich da-

mit beschäftigen wollen, müssen Sie sich die Zahlen ein-
mal genauer ansehen.

Ich möchte klarstellen – Herr Schulz hat in diesem
Punkt völlig Recht –, dass wir dieses Problem nicht hät-
ten, wenn Sie wie Frankreich und Großbritannien ab 1996
– dort unter konservativen Regierungen – eine anständige
Finanzpolitik gemacht hätten, also zu einer Zeit, als Sie
den anderen Staaten zu Recht den Stabilitäts- und Wachs-
tumspakt aufgedrängt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Sie kriegen den blauen Brief!)


Der Unterschied zwischen den Konservativen in Deutsch-
land und in anderen Ländern war, dass sich die anderen um
eine solide Finanzpolitik bemüht haben, Sie aber nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Aber Sie haben den blauen Brief bekommen!)


– Ach, der blaue Brief! Hätten wir jetzt Ihren Haushalt
von 1998, dann würde das gesamte Defizit, das für den
Gesamtetat erlaubt ist, schon allein im Bundeshaushalt
liegen. Wir aber haben den Bundeshaushalt konsolidiert.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das ist doch alles unwahr!)


Ihr Haushalt von 1998 hätte uns nämlich weit über die
Grenze von 3 Prozent gebracht. Der Fortschritt, den wir
erreicht haben, liegt darin, dass dies nicht der Fall war.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/ CSU)


Im Übrigen müssen Sie sich einmal klar machen, was
hinter der Wachstumsrate von drei viertel Prozent steckt.
Weil wir erst jetzt aus dem Tief des vergangenen Jahres
herauskommen – dieses Tief hatten auch alle anderen –,
bedeutet dies, dass wir im Jahresverlauf eine gewaltige
Beschleunigung beim Wirtschaftswachstum haben wer-
den, was auch die Forschungsinstitute vorhersagen: Im
dritten Quartal, spätestens aber im vierten Quartal liegen
die Wachstumsraten bei denen des Jahres 2000, die zwi-
schen 2,5 und 3 Prozent lagen.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Es glaubt doch keiner mehr an Prognosen!)


– Prognosen sind eben Prognosen. – In Ihren Reden wi-
dersprechen Sie den Auffassungen der gesamten interna-
tionalen Fachwelt und der deutschen Institute.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Hinsichtlich der notwendigen Reformen sage ich Ihnen
– Frau Fischer wird ja später noch sprechen –: Hätten Sie
die Gesundheitsreform nicht gleich am Anfang dieser
Wahlperiode im Bundesrat blockiert, dann wären wir an
dieser Stelle ein Stück weiter.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Aber wer hat denn unsere kaputtgemacht? – Matthias Wissmann [CDU/CSU]: Wer hat denn Frau Fischer abgelöst?)





Dr. Barbara Höll

23167


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Rentenreform haben wir durchbekommen. Aber man
muss festhalten, dass Sie die Gesundheitsreform kaputt-
gemacht haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sowohl die Institute wie auch der Sachverständigenrat
sagen uns, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden.
Nicht hektischer Aktionismus à la Brüderle, sondern eine
stetige und solide Finanzpolitik führt uns konsequent aus
der Schuldenfalle.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Stetig nach unten! – Rainer Brüderle [FDP]: Eingeschlafene Füße!)


Genau diesen Weg gehen wir. Ich bin dankbar dafür, dass
die Länder diesen Weg mitgehen. Die entsprechenden
Maßnahmen muss aber jeder in seiner eigenen Verant-
wortung umsetzen. Wir werden das mit dem Bundeshaus-
halt 2003 und 2004 tun und eine stetige und konsequente
Finanzpolitik betreiben, die auch Steuersenkung bedeutet.

Frau Höll, ich lasse es Ihnen nicht durchgehen, dass Sie
jetzt das vergangene Jahr als Bezugspunkt wählen. Bei der
Diskussion darüber, wie alternative Konzepte aussehen,
müssen wir auch festhalten, dass wir – es ist das erste Mal
nach dem Zweiten Weltkrieg – mit 500 000 Arbeitslosen
weniger aus der Konjunkturkrise herauskommen. Bei der
letzten Konjunkturkrise, die in der Zeit der vorherigen Re-
gierung stattgefunden hat, sah das noch ganz anders aus.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir halten fest, dass wir im Sommer des vergangenen
Jahres den höchsten Beschäftigungsstand in Deutschland
nach der Wiedervereinigung hatten.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Statistik gefälscht!)


Noch heute liegt der Beschäftigungsstand um 1 Million
höher als zu der Zeit, als Sie die Regierung verlassen
mussten. Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Matthias Wissmann [CDU/ CSU]: Statistik!)


– Das ist doch keine Statistik, das sind konkrete Men-
schen, sehr verehrter Herr Wissmann.


(Matthias Wissmann [CDU/CSU]: 630-MarkGesetz!)


Das ist typisch. In dem Augenblick, in dem man über kon-
krete Menschen redet, weichen Sie in die Statistik aus.
Was für ein Unsinn!


(Matthias Wissmann [CDU/CSU]: Es ist Statistik!)


Wir können also auf einen weitaus höheren Beschäfti-
gungsstand verweisen, als Sie ihn uns hinterlassen haben.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Künstlich aufgeblähte Statistik! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wer wollte denn die Arbeitslosen statistik manipulieren? Das war doch Ihre Regierung!)


Zusätzlich ist die Arbeitslosigkeit weitaus niedriger als
zur Zeit unserer Regierungsübernahme. Das haben wir
trotz des Konjunkturabschwungs erreicht. Bei uns war
der Anstieg der Arbeitslosigkeit übrigens sehr viel ge-
ringer als in dem von Ihnen so gepriesenen Amerika;
dort ist ein viel höherer Anstieg zu verzeichnen. Diesen
neuen Aufschwung werden wir weiterführen. Ihre Pro-
paganda wird Sie nicht bis zum 22. September tragen,
da die Ausgangsposition weitaus besser sein wird als
1998.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Brüderle, es ist in der Tat ein dolles Stück; denn

Sie haben der Steuerreform zugestimmt. Man müsste die
Rede nachlesen, die Sie damals, bevor Sie hier im Bun-
destag der Steuerreform zugestimmt haben, gehalten ha-
ben. Sie müssen ja auch den zusätzlichen Belastungen zu-
gestimmt haben. Ich verstehe das alles gar nicht. Ich
verstehe im Übrigen auch nicht, wie Sie gleichzeitig sa-
gen können, dass die öffentlichen Kassen leer wären,
wenn wir die Steuerlast erhöht hätten.


(Rainer Brüderle [FDP]: Sie sollten nicht lügen, Herr Eichel!)


Das alles ist Unfug, Herr Brüderle. Sie wissen das auch;
denn Sie sind intelligenter, als es Ihre Rede, die Sie hier
abgeliefert haben, vermuten lässt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deswegen wollen wir eines festhalten: Wir gehen mit
einer drastisch gesenkten Steuerlast in den Wahlkampf.
Damals betrug der Eingangssteuersatz 25,9 Prozent, bis
zum 31. Dezember 2001 beträgt er 19,9 Prozent. Ab dem
1. Januar 2003 liegt er bei 17 Prozent. Der Spitzensteuer-
satz betrug damals 53 Prozent, während er heute bei
48,5 Prozent liegt. Die Körperschaftsteuer liegt nicht
mehr bei 45 Prozent, sondern bei 25 Prozent.

Mit anderen Worten – das werden Sie nie kaputtreden
können –: Die Beschäftigung ist höher als die, die Sie uns
hinterlassen haben, und die Arbeitslosigkeit sowie die
Steuern sind niedriger als zur Zeit Ihrer Regierungs-
verantwortung. Das ist unsere Bilanz, die Sie auch bis
zum 22. September nicht kaputtreden können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Matthias Wissmann [CDU/ CSU]: Wir sind Schlusslicht in Europa! – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Alles geschönte Statistiken! Gebt dem Herrn eine rote Laterne! Wer so brüllt, hat Unrecht! – Gegenruf des Abg. Hubertus Heil [SPD]: Herr Schauerte, damit müssten Sie sich aber auskennen, denn Sie krakeelen hier immer herum!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423308400
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hansjürgen Doss.




Bundesminister Hans Eichel
23168


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Hansjürgen Doss (CDU):
Rede ID: ID1423308500
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kollegen! Herr Finanzminister, wer so re-
det, dem schwimmen gerade die Felle davon. Deswegen
ist man so nervös.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Ich nehme an, dass Ihnen das sachsen-anhaltinische Wahl-
ergebnis noch immer in den Knochen steckt. Vor diesem
Hintergrund hatte ich eigentlich mehr als eine solch auf-
geregte Rede, die Sie hier gehalten haben, von Ihnen
erwartet.


(Beifall bei der CDU/CSU – Susanne Kastner [SPD]: Was? Das war eine inhaltsreiche Rede! – Detlev von Larcher [SPD]: Hochmut kommt vor dem Fall!)


Die zentrale Botschaft des Frühjahrsgutachtens lautet,
dass sich die weltwirtschaftliche Lage bessert. Die Insti-
tute erwarten eine leichte Besserung der wirtschaftlichen
Situation in Deutschland. Wir freuen uns für die betroffe-
nen Menschen. Herr Bundesfinanzminister, wir malen
überhaupt nicht schwarz.


(Hubertus Heil [SPD]: Überhaupt nicht!)

Ich weiß nicht, wie Sie bei dieser wirtschaftlichen Lage
mit einer solch unbekümmerten Fröhlichkeit herumtollen
können, anstatt sich mit den Fakten zu beschäftigen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hubertus Heil [SPD]: Jetzt malen Sie doch schwarz!)


Das leichte Wachstum ist nicht der Erfolg dieser Bun-
desregierung, sondern die Folge eines stärkeren Wachs-
tums in anderen Länder. Zum Beispiel wird im Jahre 2003
das Wachstum in den USA3,7 Prozent, in Kanada 3,5 Pro-
zent, in Irland 5 Prozent und in anderen Ländern noch
mehr betragen. Deutschland bleibt mit einem Wachstum
von 2,4 Prozent im kommenden Jahr zum dritten Mal hin-
tereinander Schlusslicht.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Leider wahr!)


Deutschland profitiert nur von der Stärke anderer.
Deutschland ist ohne eigenen Wachstumsbeitrag. Das ist
die Realität.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Leider wahr!)


Der Grund: Die rot-grüne Bundesregierung hat die
Wachstumsgrundlagen in unserem Lande schwer beschä-
digt. Wir werden sie wieder in Ordnung bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

In Deutschland macht zurzeit jede Viertelstunde – das ist
die Realität; wir reden nichts herbei – ein Unternehmen
Pleite. Täglich gehen im Mittelstand 1 500 Arbeitsplätze
verloren. 37 Prozent aller Unternehmen in Deutschland
haben kein Eigenkapital mehr. Die Belastungsgrenze der
Wirtschaft – die Älteren werden sich erinnern – ist über-
schritten. Die Lage im Einzelhandel und im Versandhan-
del ist verheerend. Die Lage im Bauhandwerk ist kata-
strophal. Eine Regierung, die eine solche Bilanz als
Erfolg verkauft, Herr Bundesfinanzminister, betrügt die

Menschen in unserem Land und verschleiert die Notwen-
digkeit von Reformen. Sie sind beratungsresistent.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Keine Prognose ohne Risiko! Jeder vorsichtige Unter-

nehmer weiß: Die Institute erwarten, dass der Ölpreis wie-
der deutlich sinkt. Vor welchem Hintergrund? Niemand
weiß, wie sich die Situation im Nahen Osten entwickeln
wird. Niemand weiß, wie lange der Kampf gegen den Ter-
ror dauern wird. Seit Ludwig Erhard wissen wir: Konjunk-
tur besteht zu einem großen Teil auch aus Psychologie.


(Hubertus Heil [SPD]: Genau deshalb machen Sie Schwarzmalerei!)


Deswegen verstehe ich den Optimismus der Institute. Nur
so ist er vor dem Hintergrund der Realität erklärbar.

Schon der Lohnabschluss im Chemiebereich geht weit
über das wirtschaftlich Vernünftige hinaus.


(Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Das sehen sogar die Arbeitgeber anders!)


3,6 Prozent wurden beschlossen. Die IG Metall bläst zum
Arbeitskampf.


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Richtig!)

Das alles sind Rahmenbedingungen, die uns vorsichtig
machen sollten. Wirtschaft und Mittelstand in Deutsch-
land müssen derzeit mit vielfältigen Risiken leben: von A
wie Arafat bis Z wie Zwickel


(Hubertus Heil [SPD]: Ich sage ja auch nicht Doofkopf wie Doss! – Weitere Zurufe von der SPD: Oh!)


– das ist ein schönes Bild und macht Spaß; wir sind darü-
ber hinaus eben auch kreativ –, mit Risiken von Grün über
Rot bis Rot-Rot.

In Berlin dürfen die Postkommunisten ungestraft ihr
Unwesen in der politischen Verantwortung treiben. Wirt-
schaftssenator Gysi – ich habe das gerade wieder gehört –
will für nicht ausbildende Betriebe eine Zwangsabgabe
einführen. Als ob wir wirtschaftliche Probleme mit noch
mehr Steuern und Abgaben lösen könnten!


(Susanne Kastner [SPD]: Unter dem Buchstaben „D“ finden Sie „Demokratie“!)


Das Konzept der CDU/CSU lautet: Herunter mit der
Steuerlast, insbesondere für mittelständische Betriebe!
Herunter mit Abgaben und Lohnkosten durch mutige Re-
formen der Sozialsysteme! Weg mit der erdrückenden
Bürokratie, mit der Gängelung von Betrieben und Bür-
gern! Weg mit dem Stillstand auf dem Arbeitsmarkt hin zu
einer Politik des Förderns und Forderns!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Weg von der rot-grünen Politik der Gewerkschaftsfunk-
tionäre hin zu einer Politik der Stärkung der mittelständi-
schen Wirtschaft! Weg mit dieser Bundesregierung zum
Wohle dieser Bürger!


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Rainer Wend [SPD]: So etwas Peinliches! – Weitere Zurufe von der SPD)







(C)



(D)



(A)



(B)


– Herr Rechtsanwalt, Sie vertreten alles und jedes gegen
jede Realität; das wird klar, wenn ich Ihre Reden höre.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU – Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind Sie aber auch wirklich zu Dank verpflichtet! – Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Lesen Sie mal die Bücher von Herrn Geißler, den kennen Sie doch! Aber dafür muss man lesen können!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423308600
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Jörg-Otto Spiller.


Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1423308700
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Die sechs führenden
wirtschaftswissenschaftlichen Institute, die gestern ihr
Gutachten veröffentlicht haben, beginnen das Kapitel
über die Entwicklung in Deutschland mit dem Satz:

Die deutsche Wirtschaft befindet sich im Frühjahr
2002 am Beginn eines Aufschwungs.

Sie fahren fort, dass dieser Aufschwung im Laufe des
Jahres an Dynamik gewinnen wird und dass sich die
Wachstumsrate nach einem anfänglich schwächeren
Wachstum verstärken wird.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Warum haben Sie denn das Wachstum kaputtgemacht?)


Der Durchschnittssatz von 0,9 Prozent bezüglich des
Wachstums bedeutet, dass wir im Herbst einen richtig
kräftigen Aufschwung in der Größenordnung von 3 Pro-
zent haben werden.


(Beifall bei der SPD – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Warum sollen wir Ihnen das glauben? Sie haben das doch kaputtgemacht!)


Was sagt die CDU/CSU dazu? – Sie malt alles schwarz,
weil gute Nachrichten für unser Land Sie, Herr Wissmann
und Herr Doss, unglücklich machen.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich nenne nur ein Beispiel. Institute wie die Deutsche
Bundesbank haben herausgestrichen, dass es der deutschen
Wirtschaft trotz Abschwächung der Weltkonjunktur im ver-
gangenen Jahr gelungen ist, ihre Exporte weiter zu steigern.
Dass unser Anteil am Welthandel sich weiter erhöht hat,
kommt doch nicht von ungefähr, das ist ein Erfolg.


(Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Das zeigt, wie wettbewerbsfähig wir sind!)


Was sagen Sie dazu? Noch gestern gibt Herr Wissmann
eine Presseerklärung. Er kommentiert das mit der Bemer-
kung, die deutsche Wirtschaft hänge am Tropf,


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Ja!)

am Tropf der anderen Länder.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Ja, an der Konjunktur der anderen, weil ihr es selber nicht könnt!)


Das ist so, als wenn Sie einem Olympiasieger, der auf dem
Treppchen steht, statt ihm zu gratulieren, vorwerfen, dass
er sich bei den Kreismeisterschaften gedrückt hat. Das ist
Ihr Kommentar!


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Ihr beschimpft die amerikanische Politik und schaut auf ihre Ergebnisse!)


Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Sie können das natürlich
weitermachen. Sie können auch weiter versuchen, mit
Herrn Brüderle in eine Konkurrenz zu treten, wer das kür-
zeste Gedächtnis hat.


(Dr. Rainer Wend [SPD]: Das ist aber schwierig!)


Das wird Ihnen aber nichts nutzen, weil sich die Men-
schen in Deutschland von Ihrer Art, eine schwarze La-
terne zu schwenken, nicht beeindrucken lassen werden.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das haben wir in Sachsen-Anhalt gesehen!)


Ihre schwarze Laterne entwickelt übrigens überhaupt
keine Leuchtkraft.

Ich möchte, weil das leider in der bisherigen Debatte
– zumindest von den Kollegen Ihrer Fraktion – überhaupt
nicht aufgegriffen wurde, noch etwas präziser darauf
zurückkommen, was denn wirklich in dem Gutachten der
Institute steht. Die Institute sagen, dass alle wichtigen
Komponenten der Nachfrage im Laufe dieses Jahres wie-
der kräftig zulegen.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Von 0,6 auf 0,9!)


Es ist erstens das klassische Muster eines Konjunkturauf-
schwungs in Deutschland fast immer gewesen, dass die
Auslandsnachfrage steigt, weil wir erfolgreich sind, weil
wir ein wettbewerbsfähiges, auch preislich wettbewerbs-
fähiges Angebot haben.

Zweitens – lesen Sie doch auch einmal das Gutachten –
greifen wieder, gerade auch vor diesem Hintergrund, die
Ausrüstungsinvestitionen der Unternehmen.

Die dritte Komponente: Die private Verbrauchsnach-
frage nimmt zu, nicht ausschließlich, aber auch dadurch,
dass im nächsten Jahr die nächste Stufe der Steuerreform
den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zusätzliches
Geld in der Tasche lassen wird. Das wird sich ebenso wie
die Zunahme der Beschäftigung in einer Zunahme von
Kaufkraft und von Verbrauch niederschlagen.

Die Institute haben zum ersten Mal seit langem auf das
deutliche Signal verwiesen, dass die Industrie in Ost-
deutschland es geschafft hat, die Wachstumsraten zu stei-
gern. Nach wie vor gibt es in Ostdeutschland Probleme
mit der Bauwirtschaft, aber die Industrie hat höhere
Wachstumsraten als in Westdeutschland. Es gelingt ihr in
zunehmendem Maße, auch international erfolgreich zu
sein. Was ist Ihr Kommentar? – Das Schwenken der
schwarzen Laterne.

Meine letzte Bemerkung betrifft den Arbeitsmarkt, wie
sich nämlich, was Sie so gern verschweigen, die Arbeits-
losenzahlen und die Beschäftigungszahlen unter Ihrer




Dr. Hansjürgen Doss
23170


(C)



(D)



(A)



(B)


Verantwortung entwickelt haben. Es war ein allgemeiner
Niedergang des deutschen Arbeitsmarktes. Seit 1998 ver-
zeichnen wir eine Zunahme der Beschäftigung in
Deutschland von gut 1 Million Menschen.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das ist doch eine Fälschung der Statistik!)


– Das ist überhaupt keine Fälschung. Wir haben genau die
gleichen Kriterien.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Nein!)

– Das wissen Sie auch, Herr Schauerte.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das sind die 630-Mark-Jobs! – Dr. Rainer Wend [SPD]: Das ist das Problem, wenn man der eigenen Propaganda unterliegt!)


Dass Sie das wider besseres Wissen immer wieder falsch
darlegen, hätte ich Ihnen eigentlich nicht zugetraut.

Wir haben nach den gleichen Kriterien wie vorher eine
Zunahme der Beschäftigung um gut 1 Million zu ver-
zeichnen, und wir haben zum ersten Mal seit langem die
Situation, dass am Beginn eines neuen Aufschwungs
– man kann auch sagen, am Ende eines Abschwungs – die
Sockelarbeitslosigkeit niedriger ist als am Ende des vor-
herigen Konjunkturzyklus.

Jetzt kommt es auf Stetigkeit, Verlässlichkeit und Kon-
solidierung des Haushaltes an. Das soll meine Schlussbe-
merkung sein: Sie reden hier immer vom Schlusslicht;
aber unter Ihrer Verantwortung war das genauso wie
heute.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Sie wollten doch alles besser machen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423308800
Moment, der
Kollege muss jetzt wirklich zum Schluss kommen.


Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1423308900
Machen Sie einmal einen
Wettlauf, wenn Sie eine Zentnerlast tragen: 80 Milliarden
DM Zinsen jedes Jahr!


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Deutsche Einheit! Die hätten Sie am besten gar nicht gemacht, oder was? Unglaublich!)


Wenn Sie uns diese Schulden nicht hinterlassen hätten,
wären wir Weltmeister – auch bei der Binnenkonjunktur.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423309000
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Steffen Kampeter.


Steffen Kampeter (CDU):
Rede ID: ID1423309100
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die hektische
Rede des Bundesfinanzministers war kein besonders sou-
veräner Auftritt eines Bundesministers der ehemaligen
Führungsnation in Europa. Er wirkte eher wie ein Schüler,
der ertappt wurde, weil in Brüssel heute schon wieder die

Diskussion über den nächsten blauen Brief begonnen
worden ist.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Bundesfinanzminister, Sie müssten sich wirklich

schämen,

(Widerspruch bei der SPD und dem BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN)

wenn Sie hier vor dem Deutschen Bundestag einen
falschen Eindruck hinsichtlich der EU-Kommission er-
wecken. Die EU-Kommission ist nun wirklich nicht ver-
dächtig, christdemokratisch geprägt zu sein.


(Susanne Kastner [SPD]: Die EU-Kommission ist mir ja richtig sympathisch!)


Das sind in großer Mehrheit sozialdemokratische und so-
zialistische Parteigänger. Der Deutschlandbericht der EU-
Kommission, gestern veröffentlicht, stellt im ersten Satz
fest: Die Wachstumsrate im Jahre 2001 beträgt 0,6 Pro-
zent. Das ist die schlechteste Performance der deutschen
Wirtschaft seit 1993.


(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

– Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist die
Wahrheit. Das ist der erste Satz im Deutschlandbericht der
EU-Kommission. Das ist die Bilanz Ihres Scheiterns.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die EU-Kommission sagt nicht nur, dass Deutsch-

land im Jahr 2001 ein mieses wirtschaftliches Ergebnis
– Schlusslicht in Europa – vorlegt. Sie sagt auch, dass es
im Jahre 2002 zu keiner wesentlichen Verbesserung kom-
men wird. Sie teilen uns heute mit, dass man wenigstens
Portugal bei den Wachstumsraten überholen werde. Herz-
lichen Glückwunsch, Deutschland! Wir sind gerade ein-
mal stärker als Portugal. Ist das wirklich eine wirtschafts-
politische Erfolgsbilanz?

Der Ifo-Geschäftsklima-Index, der anzeigt, wie es in
der deutschen Wirtschaft weitergeht, ist heute wieder ein-
gebrochen. Über die Agenturen läuft die Meldung, dass
das Geschäftsklima unerwartet wieder pessimistisch ist.


(Hubertus Heil [SPD]: Das stimmt doch nicht!)


Hier redet keiner schlecht. Wir sagen nur die Wahrheit.
Wir täuschen nicht. Wir tricksen nicht, wir informieren
die deutsche Öffentlichkeit über die wirtschaftliche Lage.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen des Abg. Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Herr Bundesfinanzminister, was liefern Sie ab? Sie
tricksen, Sie täuschen. Gestern, als die EU-Kommission
diese Watsche für Ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik aus-
geteilt hat, saßen Sie im Haushaltsausschuss. Sie haben
sich nicht getraut, uns darüber zu informieren. Sie haben
über Gott und die Welt und über die Frage diskutiert, ob
1,25 Prozent mehr oder weniger als 1¼ Prozent sind.
Aber Sie haben sich zu dem Zeitpunkt, als die EU-Kom-
mission Sie abgewatscht hat, nicht getraut, sich vor
dem Haushaltsausschuss und vor der Öffentlichkeit dieser




Jörg-Otto Spiller

23171


(C)



(D)



(A)



(B)


vernichtenden wirtschaftspolitischen Bilanz Ihrer sozia-
listischen Parteifreunde aus Brüssel zu stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dass Sie auch zukünftig auf diese Art und Weise vor-

gehen wollen, konnten wir kürzlich in der Wirtschafts-
presse lesen. Ich zitiere aus der „Frankfurter Allgemeinen
Zeitung“ von vor zwei Wochen: Eichel bemüht sich um
ein statistisch höheres Wachstum. – Meine sehr verehrten
Damen und Herren, wir brauchen keinen Finanzminister,
der sich um die Statistik kümmert, der die Statistik fäl-
schen und manipulieren möchte.


(Susanne Kastner [SPD]: Jetzt, Herr Kampeter, ist es aber wirklich genug!)


Wir brauchen eine erfolgreiche Politik für mehr Wachs-
tum und Beschäftigung in unserem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Was schlagen Sie denn vor?)


Auch das Frühjahrsgutachten, das Sie vorhin hier als
Referenz herangezogen haben, sagt, die eichelsche Fi-
nanzpolitik wirke dämpfend auf die wirtschaftliche Ent-
wicklung.


(Hubertus Heil [SPD]: Ich finde, Sie sollten sich langsam etwas mäßigen, Herr Kollege!)


Die selbst gesetzten Konsolidierungsziele Ihrer Politik
werden nicht erreicht. Lediglich der Geldpolitik schreibt
das Frühjahrsgutachten expansive Impulse zu. Diese wird
ja von einer Gott sei Dank unabhängigen Europäischen
Zentralbank gemacht.

Sie greifen heute die Opposition an. Da ruft doch der
Täter: Haltet den Dieb! – Das lassen wir Ihnen nicht
durchgehen. Wir brauchen endlich eine Offensive für
mehr Wachstum und Beschäftigung in Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Die tragen Sie jetzt vor, gell?)


Das Ziel des gesamtwirtschaftlich ausgeglichenen
Haushalts, das Sie vor einigen Wochen im Finanzpla-
nungsrat angegeben haben, setzt voraus, dass der Bund in
den nächsten Jahren ein Konsolidierungsprogramm in ei-
ner Größenordnung von 16 Milliarden Euro auflegen
muss. Heute vor dem Deutschen Bundestag gab es kein
Wort über dieses gegebene Versprechen! Es gibt keine
Perspektive – und dies, obwohl Ihnen, sehr geehrter Herr
Bundesfinanzminister, trotz hoher Steuereinnahmen bei-
spielsweise sämtliche Tilgungsleistungen im Fonds
„Deutsche Einheit“ gestreckt werden. Der dadurch ent-
standene große finanzpolitische Spielraum müsste Ihnen
eigentlich für ein Feuerwerk reichen. Sie aber täuschen,
tricksen und stellen die Wirklichkeit verzerrt dar.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist falsch!)


Wenn man eine Konsolidierung erreichen möchte,
braucht man in erster Linie eine Wachstumsorientierung.
Der Kollege Doss hat insbesondere den Arbeitsmarkt an-
geführt. Wir müssen die Schranken für mehr Beschäfti-
gung in Deutschland wegräumen und Möglichkeiten für

betriebliche Bündnisse für Arbeit schaffen. Wir brauchen
eine Offensive für Entbürokratisierung. Es kann nicht
sein, dass eine Industrieanlage zu bauen in diesem Land
genauso schwierig ist, wie einen Schweinestall aufzu-
bauen. Die Vorschriften müssen durchlüftet werden.


(Dr. Rainer Wend [SPD]: Besser die Schweineställe durchlüften!)


Wir müssen vor allen Dingen etwas für den Mittelstand
tun. Der Chef der Handwerksorganisation, Philipp, hat zu
Protokoll gegeben –


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423309200
Herr Kollege,
achten Sie ein bisschen auf Ihre Redezeit.


Steffen Kampeter (CDU):
Rede ID: ID1423309300
– ich komme sofort
zum Schluss, Frau Präsidentin –,


(Beifall des Abg. Hubertus Heil [SPD] – Hubertus Heil [SPD]: Gott sei Dank!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423309400
Bitte.


Steffen Kampeter (CDU):
Rede ID: ID1423309500
– dass Bayern hin-
sichtlich Kapitalisierung, Wachstum und Überlebens-
fähigkeit über dem Bundesdurchschnitt liegt.

Unsere Politik wird nach dem 22. September 2002
dazu führen, dass es den Unternehmen in Gesamt-
deutschland so gut wie dem Handwerk in Bayern geht.
Daran wirken wir gemeinsam aktiv mit.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423309600
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Andrea Fischer.

Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Frau Präsidentin! Herr Kollege Kampeter, nach
Ihrem Auftritt brauchen Sie jetzt nicht mehr darüber zu re-
den, wer hier souverän und cool ist. Das ist offenkundig
geklärt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die ganze Zeit haben Sie gesagt, Sie wollten auf gar
keinen Fall tricksen und täuschen, wir aber täten dies. Wir
sollten uns die diversen Zahlen, die wir uns hier alle um
die Ohren hauen, ein bisschen genauer ansehen. Niemand
bestreitet, dass die Lage besser sein könnte. Wir hätten
alle gern ein höheres Wachstum.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Aha! Da sind Sie aber heute die Erste von Ihrer Fraktion hier am Rednerpult! – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: So ehrlich hat das noch niemand gesagt!)


– Nun seien Sie doch einmal ruhig. – Es stellt sich die in-
teressante Frage, ob die Lage wirklich so desaströs ist
oder ob Ihnen die rote Laterne eines Tages krachend auf
die Füße fällt, wenn Sie noch lange mit ihr fuchteln.




Steffen Kampeter
23172


(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn man sich den Bericht der EU-Kommission ge-
nauer anschaut, stellt man fest: Der zuständige Kommis-
sar sagt, er sei optimistisch, dass es im nächsten halben
Jahr besser gehe. Ich würde Sie gern bitten, noch weiter
zuzuhören. Ich habe zum Beispiel gelesen, dass der Kol-
lege Brüderle den Ifo-Index bemüht hat, um zu beweisen,
dass die Lage schlecht ist.


(Rainer Brüderle [FDP]: Das ist leider so!)

– Herr Brüderle, seien Sie ganz ruhig. Auch dies fällt Ih-
nen auf die Füße. – Der Chefvolkswirt des Ifo-Instituts
sagt zu dem Einbruch bei den aktuellen Zahlen des Ifo-In-
dex, dass dies ein kurzzeitiger Dämpfer sei. Tendenziell
gehe es weiter nach oben. Es wäre auch geradezu ein Wun-
der, wenn dieser Index immer nur nach oben gehe. An dem
langfristigen Pfad sei aber nichts zu deuteln. Der Index ist
zurzeit auch deutlich besser als im vergangenen Jahr.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Da war er auch endgültig am Boden! – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Auf niedrigstem Niveau!)


Das Statistische Bundesamt hat uns gerade Zahlen vor-
gelegt, die zeigen, dass die Exporte wieder deutlich stei-
gen, dass sie inzwischen nur noch 0,5 Prozent unter den
Zahlen von Februar liegen und der Rückgang der Exporte
nach wie vor im Wesentlichen auf den Einbruch der Nach-
frage nach dem 11. September 2001 zurückzuführen ist.
Man ist optimistisch – dies gilt nicht nur für das Statisti-
sche Bundesamt, sondern auch für andere volkswirt-
schaftliche Fachleute –, dass der Welthandel in diesem
Jahr deutlich zulegt. Davon wird vor allen Dingen
Deutschland profitieren, weil es hauptsächlich um Ein-
käufe bei Vorleistungs- und Investitionsgütern geht und
weil Deutschland seit Mitte der 90er-Jahre seine Wettbe-
werbsfähigkeit deutlich verbessert hat.

Ich will Ihnen noch eine letzte Zahl nennen, damit Sie
wissen, warum ich glaube, dass Sie sich hinter der roten
Laterne eher verstecken, als dass Sie uns damit heim-
leuchten könnten. Die ausländischen Direktinvestitionen
sind von 1998 bis heute von 5 Milliarden DM auf rund
45 Milliarden DM gestiegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Soviel dazu, dass dieses Land – –

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das mag alles stimmen, aber gehen Sie doch einmal in die Realität und schauen Sie sich die Betriebe an, Frau Fischer!)


– Wir sagen nicht, dass es keine Probleme gibt. Das steht
nicht zur Debatte.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Nennen Sie doch mal ein Problem! Ausgerechnet die Grünen sollen für Wachstum sorgen! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sagen Sie das mal Ihrem Herrn Eichel! Sie sind das Problem! Ihre Koalition ist das schlimmste Wachstumshindernis für Deutschland!)


– Meine Herren, nun seien Sie doch einmal ganz gelassen.
Ich kann hier nur noch einmal feststellen: Sie stellen

die These auf, die Lage sei so verzweifelt, dass man am

besten so etwas wie Sie wählen sollte. Dann müsste sie in
der Tat sehr verzweifelt sein.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Wir wären gut beraten, nicht so verzweifelt zu sein, zu ei-
nem so falschen Mittel zu greifen. Ich habe eben gesagt:
Von mir aus kann die Lage besser sein. Natürlich ist nie-
mand von uns damit zufrieden, dass wir beim Abbau der
Arbeitslosigkeit nicht so weiterkommen, wie wir das alle
wollen.

Aber was sind denn Ihre Rezepte? Sie wollen die
Staatsquote, die Sozialversicherungsbeiträge und den
Spitzensteuersatz senken.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig! Dreimal 40!)


Das ist sicherlich ein richtig geniales Programm. Auf der
einen Seite gibt es weniger Einnahmen, weil weniger Ein-
kommensteuer eingenommen und die Ökosteuer ausge-
setzt wird. Auf der anderen Seite haben wir mehr Ausga-
ben, zum Beispiel beim Kindergeld, bei dem Sie völlig
aberwitzige Dinge versprechen.


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Anke Fuchs)

Ich erinnere mich an die Rentendebatten mit Ihnen, bei

denen Sie immer noch etwas draufsatteln wollten, wenn
Sie begründen mussten, warum Sie nicht mitmachen. Sie
wollen in der Gesundheitspolitik zwar sparen, dies aber in
einer Art und Weise tun, für die Sie 1998 abgewählt wur-
den. Dabei wünsche ich Ihnen viel Vergnügen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


All das wird weniger Einnahmen auf der einen Seite
und mehr Ausgaben auf der anderen Seite mit sich brin-
gen, und zwar in einer gewaltigen Größenordnung. Das
soll dann – das entnehme ich einem Interview mit Herrn
Schäuble – mit Wirtschaftswachstum finanziert werden.
Das nenne ich das Prinzip Hoffnung.


(Hubertus Heil [SPD]: Eine Täuschung ist das! – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Und Sie verkörpern das Prinzip Enttäuschung!)


Ich glaube nicht, dass wir gut beraten wären, uns dem
anzuschließen. Der Wähler wird sich davon nicht täu-
schen lassen. Es funktioniert nicht, immer weniger Geld
einzunehmen und immer höhere Ausgaben zu machen.
Vielleicht haben Sie die Idee im Kopf, dass die Leute
hinterher freiwillig Steuern spenden oder ähnliche
Scherze machen sollen. Wenn Sie solche innovativen
Gedanken haben, dann würden wir sie gerne hören. Aber
mit dem Programm, das Sie uns vortragen, glaube ich
nicht, dass Sie das Wachstum in irgendeiner Form
stimulieren könnten. Sie werden damit nur einen Ein-
bruch erreichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423309700
Das Wort hat jetzt die
Kollegin Dagmar Wöhrl für die CDU/CSU-Fraktion.




Andrea Fischer (Berlin)


23173


(C)



(D)



(A)



(B)


Dagmar Wöhrl (CDU/CSU) (von Abgeordneten der
CDU/CSU mit Beifall begrüßt):


(Hubertus Heil [SPD]: Hat Frau Wöhrl auch Geburtstag?)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Prognostiziert wurde ein Wachstum von 0,9 Prozent. Ver-
kauft wird das als Aufschwung. In Ihrem Bericht ist im-
mer noch von 0,75 Prozent die Rede. Warum revidieren
Sie diese Zahl nicht, wenn Sie so sehr an den Aufschwung
glauben? Wir sind die größte Volkswirtschaft in Europa.
Sie haben einen großen Fehler gemacht: Sie haben Ihre
Reformen nicht in guten Zeiten angepackt, als sie noch
möglich gewesen wären, nämlich im Jahr 2000.

Es wird immer vom Geschäftsklimaindex gesprochen.
Wenn Sie sich wirklich intensiv mit dem Geschäftsklima-
index auseinander gesetzt hätten, dann würden Sie sehen,
dass er vom Export getragen wird. Schauen Sie sich den
Handel an. In diesem Bereich gab es ein Minuswachstum
von über 10 Prozent. Was zeigt uns das? – Das zeigt, dass
unser Problem die Binnenkonjunktur ist. Sie haben in die-
sem Bereich keine Reform angepackt, um hier Verbesse-
rungen auf den Weg zu bringen.

Sie verweisen immer nur auf Dritte, zum Beispiel auf
die Weltwirtschaft. Das ist ein reines Ablenkungsmanö-
ver. Ihre wirtschaftlichen Negativzahlen sind keine Natur-
ereignisse, die plötzlich hereingebrochen sind. Vielmehr
ist der Grund eine große Zahl von sozialpolitischen Fehl-
entscheidungen, die Sie zu verantworten haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben falsche Diagnosen gestellt. Wenn man falsche
Diagnosen stellt, dann kann man nicht zu einer richtigen
Therapie kommen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Bei Ihnen zeigt sich immer wieder eine eklatante Un-

kenntnis über wirtschaftspolitische Zusammenhänge. Das
zieht sich wie ein roter Faden durch Ihre ganze Wirt-
schaftspolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Von Wirtschaft versteht ihr nichts!)


Warum spricht die „Financial Times“ davon: Do some-
thing, Germany! Ich kann Ihnen nur zurufen: Tun Sie end-
lich etwas!


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Treten Sie zurück! – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Und wenn nicht, treten Sie zurück? Tun Sie wenigstens das?)


Nehmen Sie endlich Ihre Hände aus dem Schoß! Werden
Sie aktiv! Harren Sie nicht der Dinge, die irgendwelche
Dritte für Sie erledigen sollen, die Sie aber längst hätten
machen müssen.

Die Achillesferse ist Ihre verfehlte Mittelstandspolitik
während Ihrer ganzen Regierungszeit. Ich finde in dieser
Bundesregierung keinen einzigen Menschen, der sich für
den Mittelstand einsetzt.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Frau Wolf ist jetzt weg!)


Wenn Sie in einer Diskussionsrunde außerhalb dieses Par-
lamentes fragen würden: Kann mir jemand eine Person
nennen, die in der jetzigen Regierung für den Mittelstand
steht?, dann würde sich – darin bin ich mir sicher – keine
Hand rühren; denn es gibt keine Person, die in dieser Re-
gierung für den Mittelstand steht.


(Susanne Kastner [SPD]: So ein Quatsch! Es gibt dafür eine eigene Staatssekretärin!)


Das einzig Neue, das Sie momentan in die Diskussion ein-
gebracht haben, ist Ihr Vorschlag, eine Mittelstandsbank
einzurichten. Wahrscheinlich haben Sie das nur vorge-
schlagen, weil Sie das Wort „Mittelstand“ wieder in den
Mund nehmen wollten.


(Widerspruch bei der SPD)

Was haben Sie denn gemacht? Sie haben den Arbeits-

markt für den Mittelstand noch mehr zubetoniert und
noch unbeweglicher gemacht. Sie werden jetzt bestimmt
sagen: Jetzt kommt sie schon wieder mit den 630-DM-
Jobs an. Aber das ist ein wichtiger Punkt. Deswegen spre-
che ich ihn wieder an. Eine der ersten Maßnahmen, die
wir auf den Weg bringen werden, wenn wir wieder an der
Regierung sind, ist, dass die Arbeitnehmer 400 Euro cash
verdienen können, ohne Sozialversicherungsbeiträge zah-
len zu müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das wird nicht nur für die geringfügigen Beschäftigungs-
verhältnisse, sondern auch für die Nebenbeschäftigungs-
verhältnisse gelten.


(Hubertus Heil [SPD]: Damit die Sozialversicherungsbeiträge nach oben gehen, oder?)


Denn es gibt auch andere Riesenprobleme: In Deutsch-
land ist die Kaufkraft viel zu gering. Für die Steigerung
der Kaufkraft sind auch die 325-Euro-Jobs wichtig. Wir
müssen nicht nur im Niedriglohnsektor neue Wege gehen.
Auch im ehrenamtlichen Bereich und in vielen anderen
Bereichen spielen die 325-Euro-Jobs eine wichtige Rolle.

Was haben Sie mit Ihrem Gesetz zur Regelung des Teil-
zeitanspruchs tatsächlich erreicht? Sie haben uns Frauen
mit diesem Gesetz gelockt und argumentiert, dass es mehr
Teilzeitarbeitsplätze für Frauen geben müsse. Das ist voll-
kommen richtig. Teilzeitarbeitsplätze sind sehr wichtig.
Aber die ersten Ergebnisse nach Einführung dieses Ge-
setzes haben gezeigt, dass sich dies als ein Bumerang für
die Frauen erwiesen hat. Wen werden die Unternehmer
heute denn als Vollzeitkraft einstellen, wenn sie sich zwi-
schen einem Mann und einer Frau entscheiden müssen?
Es ist doch klar, dass die Unternehmer den Mann einstel-
len wollen, weil sie genau wissen, dass die Frau irgend-
wann einmal ihren Teilzeitanspruch geltend machen wird.
Ich erwähne nur dieses Beispiel. Es ist nur eines von vie-
len für Ihre verfehlte Politik.


(Susanne Kastner [SPD]: Weil die Männer keinen Erziehungsurlaub nehmen!)


Der Minister hat vorhin angesichts der Arbeitslosen-
zahlen davon gesprochen, wie er den Arbeitsmarkt ent-
lastet habe. Er hat darauf hingewiesen, dass es 500 000
weniger Arbeitslose gebe. Ich habe das Gefühl, von dem






(C)



(D)



(A)



(B)


Wort Demographie hat diese Regierung noch nichts
gehört. Sie sollten sich das Gutachten des IAB noch ein-
mal zu Gemüte führen, das 1998 veröffentlicht worden ist.
Dort heißt es, nur aufgrund des demographischen Faktors
werde es in den nächsten vier Jahren 1 Million Arbeitslose
weniger geben.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423309800
Frau Kollegin, Ihre
Redezeit ist abgelaufen. Wir sind in der Aktuellen Stunde.


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1423309900
Das heißt, wenn Sie
nichts getan hätten, hätten Sie allein 1 Million weniger
Arbeitslose und nicht nur 500 000.


(Susanne Kastner [SPD]: Arbeitsplätze haben wir auch mehr! Das haben Sie nicht gesagt!)


Ich kann nur eines sagen: Sie haben nicht mehr viel
Zeit. Aber nützen Sie wenigstens die verbleibende Zeit bis
zur Wahl! Bringen Sie endlich etwas auf den Weg!

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423310000
Nun erteile ich für die
SPD-Fraktion das Wort der Kollegin Nina Hauer.


Nina Hauer (SPD):
Rede ID: ID1423310100
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Liebe Frau Kollegin Wöhrl, Sie wissen nicht,
wer in der Bundesregierung oder in der SPD für den Mit-
telstand zuständig ist?


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wer denn?)

Ich sage es Ihnen: Hans Eichel – er sitzt auf der Regie-
rungsbank –,


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das ist der Freund der Bosse und der Konzerne! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Er begünstigt die Konzerne, sonst macht er gar nichts!)


Werner Müller, Ditmar Staffelt, Joachim Poß. Soll ich
diese Liste fortsetzen oder können Sie sich so viele Na-
men nicht merken?


(Lachen bei der CDU/CSU)

Es geht aufwärts mit der Konjunktur in Deutschland.

Das bescheinigen uns die Wirtschaftsforschungsinstitute.
Das bedeutet für Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der CDU/CSU: Ihre Wahlkampfstrategie ist im Eimer. Die
Debatte über das wirtschaftliche Wachstum in Deutsch-
land werden Sie verlieren.


(Beifall bei der SPD)

Das Geschäftsklima hat sich verbessert. Die Erwartun-

gen der Unternehmen verbessern sich.

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Würden Sie sich heute selbstständig machen? – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Nein, die ist Lehrerin! Sie weiß gar nicht, wovon sie redet! – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Sie reden doch wie eine Blinde von der Farbe!)


Die Investitionen und auch die Exporte in die USA neh-
men zu. Das bedeutet natürlich einen Aufschwung für un-
sere Wirtschaft. Das können Sie an den Gewinnerwartun-
gen erkennen, die die großen Unternehmen heute bekannt
gegeben haben. Das sind gute Nachrichten für den Stand-
ort Deutschland. Die Menschen haben wieder mehr Geld
in der Tasche. Alleine im Jahr 2001 hatten sie durch un-
sere Steuerreform 45 Milliarden DM mehr zur Verfügung.
Das macht sich auch beim privaten Konsum bemerkbar.
Wenn Sie das Gutachten richtig lesen, dann werden Sie
das auch erkennen.

Wir stehen vor einem Konjunkturaufschwung. Dieser
Aufschwung wird im Laufe des Jahres an Geschwindig-
keit zunehmen. Davon wird auch der Arbeitsmarkt profi-
tieren. Das Gutachten bescheinigt uns eine Trendwende
im Sommer dieses Jahres. Dass wir in den letzten drei Jah-
ren 1 Million zusätzlicher Arbeitsplätze für Deutschland
erreicht haben,


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: 630-MarkJobs sind das!)


ist ein guter Anfang, an dem wir anknüpfen werden.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie wollten 3,5 Millionen Arbeitslose erreichen! Wo stehen Sie denn jetzt, Frau Hauer?)


– Wissen Sie, Ihr Geblöke stört mich überhaupt nicht.

(Beifall bei der SPD – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Uns stört die Rednerin!)


Ich habe früher kleine Jungs unterrichtet. Da ist man es
gewohnt, dass ab und zu einer dazwischenblökt. Deswe-
gen wird Ihre Strategie nicht aufgehen.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Frau Präsidentin, „blöken“ ist etwas aus der Tiersprache! – Gegenruf des Abg. Hubertus Heil [SPD]: So benehmen Sie sich auch!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423310200
Das Beste ist immer,
wenn man einander zuhört. Ich gebe der Kollegin Hauer
Recht, dass die Art und Weise, in der Zurufe gemacht wer-
den, ein bisschen störend ist. Wir sollten uns darauf ver-
ständigen, dass wir etwas mehr zuhören. Sie wissen, dass
ich eine ganz eifrige Zwischenruferin bin. Aber manch-
mal ist es einfach zu laut, Herr Kampeter, wenn ich mir
diese Bemerkung erlauben darf.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Blöken ist auch nicht gut!)


Frau Kollegin Hauer, Sie haben das Wort.


Nina Hauer (SPD):
Rede ID: ID1423310300
Das Gutachten stärkt die Wirt-
schaftspolitik der SPD-Regierung unter Gerhard
Schröder. Insoweit wäre es jetzt ein günstiger Zeitpunkt
für Sie, mit uns einen Ideenwettbewerb für die Zukunft zu
eröffnen.


(Beifall bei der SPD)

Aber Sie haben keine Ideen. Wenn ich mir das wenige an-
schaue, das von Ihnen kommt – man weiß ja nie, ob es von
der CDU oder von der CSU kommt; Sie sind sich nicht




DagmarWöhrl

23175


(C)



(D)



(A)



(B)


einig und niemand weiß, was Ihr Kandidat am nächsten
Morgen sagen wird –,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Gucken Sie sich mal die heutigen Kommentare zu Ihrem Wahlprogramm an!)


dann stellt man fest, dass Sie sich darauf verlegen, im
Deutschen Bundestag das schlecht zu reden, was unsere
Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sowie die Unter-
nehmen leisten.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Denunzieren Sie nicht unsere Wirklichkeitsbeschreibung!)


Daran kann man schon erkennen, dass Sie keine wahren
Partner des Mittelstandes sind.


(Beifall bei der SPD)

Anderenfalls würden Sie die Leistungen, die in einer welt-
politisch schwierigen Situation erbracht werden, besser
honorieren, statt sie in Grund und Boden zu reden.

Die Verwirklichung Ihrer Vorschläge würde Milliarden
Euro kosten. In diesem Gutachten steht, der Haushalts-
konsolidierungskurs von Hans Eichel sei der einzig gang-
bare Weg – dies gelte auch für das Wirtschaftswachstum –,
während Sie mit der von Ihnen geplanten höheren Ver-
schuldung eine Katastrophe anrichten würden. Das ist ei-
ner der wichtigen Gründe, die deutlich machen, dass Sie
im Hinblick auf die nächsten vier Jahre kein konstrukti-
ves Angebot machen können.


(Beifall bei der SPD – Dr. Hansjürgen Doss [CDU/CSU]: Ihr Programm heißt Gerhard statt Inhalt!)


Ich komme zur Steuerpolitik. Das, was Ihr Kandidat
dazu sagt, kann uns eigentlich nur freuen. Er sagt, er
werde die Steuerreform nicht zurückdrehen und die von
uns durchgesetzten Entlastungen bis 2005 beibehalten.
Zusätzlich will er den Spitzensteuersatz senken. Das ken-
nen wir noch aus der Debatte über die Steuerreform; auch
seinerzeit haben Sie sich vor allen Dingen dem Spitzen-
steuersatz gewidmet. Ich frage gerade diejenigen von Ih-
nen, die sich noch dafür interessieren, welche Steuern der
Mittelstand zahlt.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie haben von Steuerpolitik leider keine Ahnung!)


Welcher Handwerker kommt mehrere Jahre hintereinander
auch nur in die Nähe des Spitzensteuersatzes? Was hat es
mit einem Programm für den Mittelstand zu tun, wenn Ihr
Kandidat erklärt, der Spitzensteuersatz müsse herunter?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, Ihre Politik würde die wirt-
schaftliche Entwicklung in Deutschland bremsen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das glaubt außer Ihnen kaum einer!)


Ich sage noch etwas zu dem, was Herr Stoiber auch im-
mer ins Feld führt: die Steuerfreiheit für Veräußerungsge-
winne. Ich weiß, sie ist Ihnen ein Dorn im Auge. Das liegt

vermutlich daran, dass Sie immer noch nicht verstanden
haben, warum wir sie eingeführt haben. Unser internatio-
nal wettbewerbsfähiges Steuerrecht – die Wettbewerbs-
fähigkeit wird auch durch das Halbeinkünfteverfahren
gestärkt – wird in diesem Gutachten gelobt. Dass Ver-
äußerungsgewinne steuerfrei sind, hat nicht nur etwas mit
Steuersystematik zu tun, sondern auch damit, dass man
dann, wenn man sie besteuerte, auch die Verluste absetz-
bar machen müsste. Überlegen Sie sich einmal, was dies
für die deutsche Wirtschaft und vor allen Dingen für un-
seren Haushalt bedeutete!

Meine Damen und Herren, Sie haben wirtschaftspoli-
tisch nichts in der Tasche.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie klopfen hier nur große Sprüche mit wenig Substanz!)


Für uns ist die Botschaft klar: Ihre Wahlkampfstrategie ist
im Eimer. Mit dem wirtschaftlichen Wachstum in
Deutschland geht es bergauf. Unsere Politik wird be-
stätigt. Wir sind auf dem richtigen Wege.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423310400
Jetzt hat der Kollege
Max Straubinger für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1423310500
Frau Präsidentin!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Frühjahrsgut-
achten der Wirtschaftsforschungsinstitute zeigt sehr deut-
lich das Versagen der rot-grünen Politik in der Vergan-
genheit auf.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Am besten wird das eben mit der roten Laterne zum Aus-
druck gebracht, die von Ernst Hinsken zu Recht der Bun-
desregierung überreicht wurde.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ausdruck dieser Politik sind die verfehlten Schritte – Frau
Kollegin Wöhrl hat schon darauf hingewiesen – beim
325-Euro- bzw. 630-Mark-Gesetz, bei der Diskussion um
Scheinselbstständigkeit, beim Betriebsverfassungsgesetz
und beim Teilzeitarbeitsgesetz. Hierbei handelt es sich um
eine politische Fehlentscheidung nach der anderen.

Ihrer Klage, Herr Bundesfinanzminister, von vorhin,
wir hätten die Gesundheitspolitik der Koalition zu Beginn
dieser Legislaturperiode blockiert


(Hubertus Heil [SPD]: Das stimmt!)

– Sie taten ganz überrascht –, müssen wir mittlerweile
die Erkenntnis entgegensetzen: Sie haben die richtige
und sozial verantwortbare Gesundheitsreform von Herrn
Seehofer unter der Regierung von Helmut Kohl in einzel-
nen Schritten zurückgeführt, was jetzt zu Mehrbelastun-
gen für die Versicherten und darüber hinaus zu weiteren
Defiziten bei den gesetzlichen Krankenkassen geführt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)





Nina Hauer
23176


(C)



(D)



(A)



(B)


Dies ist genau der Punkt; denn auch im Gutachten wird
angemahnt, dass gerade in diesem Bereich unbedingt Re-
formen umgesetzt werden müssen, durch die man die
Ausgaben in den Griff bekommt und die Beitragszahler
nicht zu Unrecht weiter zusätzlich belastet.

Das Wirtschaftsgutachten zeigt auch sehr deutlich,
dass Rot-Grün noch in vielen anderen Politikbereichen
versagt hat. So wurde hier beklagt, dass die Investitionen
zu gering ausfallen. Von staatlicher Seite her kennen wir
es: Rot-Grün kann nicht sparen,


(Susanne Kastner [SPD]: Bitte? Wovon reden Sie eigentlich?)


und wenn Sie sparen, sparen Sie bei den Investitionen. Das
ist letztendlich eines der Übel. Auch die Investitionen in
der Bauwirtschaft sind rückläufig. Dies ist in einem engen
Zusammenhang mit einer Mietrechtsreform zu sehen, die
dem privaten Wohnungsbau keine zusätzlichen Impulse
verleiht, sondern ihn im Gegenteil einschränken wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Darüber hinaus ist sicherlich auch die schlechte Ren-

tenreform zu beklagen. Was hat sie gebracht? – Steigende
Beitragszahlungen für die Versicherten und die Belastung
durch die Ökosteuer. Sie wollen – angebliche – Reformen
in der Rentenpolitik nur über zusätzliche Einnahmen
durchführen, die zu steuerlichen Belastungen der Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land führen.
Dies kann nicht gut gehen.

Das zeigen sehr deutlich auch die jetzigen Ergebnisse
des Gutachtens: Zukünftig müssen große Anstrengungen
unternommen werden, um 16 Milliarden Euro – der Kol-
lege Kampeter hat schon darauf hingewiesen – einzuspa-
ren. Zugleich sind auch mögliche Steuerausfälle in Höhe
von 12 Milliarden DM in diesem Jahr aufgrund des Rück-
gangs der wirtschaftlichen Tätigkeit in unserem Land zu
bewältigen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Verehrte Damen und Herren, das zeigt, dass die Bun-

desregierung ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie ist auch nicht bereit, diese Hausaufgaben zu erledigen.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Arbeitsver weigerung!)

Die Kollegin Hauer hat ja eben einen Ideenwettbewerb

unter den Parteien eingefordert. Da fragt man sich natür-
lich: Wie kann ein Ideenwettbewerb angesichts eines
Bundestagswahlprogramms stattfinden, das im Prinzip
nur die Überschrift trägt: Gerhard statt Inhalt?


(Beifall bei der CDU/CSU – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Jetzt kommt Ihr Vorschlag! – Hubertus Heil [SPD]: Lesen Sie es doch einmal!)


Auf diese Weise können keine Ideen für die Zukunft ent-
wickelt werden.

Wir wollen Sachaussagen einbringen. Die bringen wir
– die Kollegin Wöhrl hat bereits darauf hingewiesen –: Wir

werden Reformen im Niedriglohnbereich und beim
325-Euro-Gesetz tätigen und sind auch bereit, steuerliche
Belastungen zurückzuführen, indem wir bei der unsozia-
len Steuerreform, die Sie inGang gesetzt haben und die nur
die Großkonzerne von der Körperschaftsteuer befreit, aber
den breiten Mittelstand und die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer in unserem Land belastet hat, umsteuern.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das machen Sie durch die Senkung des Spitzensteuersatzes?)


Es geht nicht allein um die wirtschaftlichen Rahmen-
daten, sondern es geht natürlich auch um die ideologisch
verbrämte Politik von Rot-Grün.


(Zuruf von der SPD: Aha!)

Wenn Rot-Grün einen einseitigen Beschluss zum Aus-
stieg aus dem Bereich der friedlichen Nutzung der Kern-
energie fasst, dann bedeutet das ein Minus von
200 000 Arbeitsplätzen in unserem Land und ein Minus
hinsichtlich der Wirtschaftskraft, das dadurch entsteht.

Wenn die SPD in einzelnen Bundesländern bereit ist,
mit einer Partei wie der PDS zusammenzuarbeiten, dann
ist auch das nicht dazu angetan, die wirtschaftlichen
Kräfte in unserem Land zu stärken. Im Gegenteil: Mit ei-
ner Partei, die letztendlich weiterhin einer Verstaatlichung
der Betriebe frönt, kann man keinen Staat machen und
keine wirtschaftlichen Impulse setzen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Barbara Höll [PDS]: Lesen Sie doch einmal das Wahlprogramm!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423310600
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist weit überschritten.


Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1423310700
Jawohl. – Deshalb ist
es Zeit, dass die Regierung abgelöst wird – die Wähle-
rinnen und Wähler haben am vergangenen Sonntag in
Sachsen-Anhalt dementsprechend gehandelt –,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Susanne Kastner [SPD]: Aufhören!)


damit die Wirtschaftsinstitute zukünftig wieder bessere
Daten und bessere Zukunftsprognosen im Sinne der Men-
schen in unserem Land liefern können.

Besten Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Brüderle [FDP])



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423310800
Als letztem Redner in
dieser Aktuellen Stunde erteile ich das Wort dem Kolle-
gen Hubertus Heil für die SPD-Fraktion.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Schon wieder so ein Altjuso!)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1423310900
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Der Aufschwung in Deutschland ge-
winnt kräftig an Fahrt. Das ist die wesentliche Botschaft




Max Straubinger

23177


(C)



(D)



(A)



(B)


des Gutachtens. Das können Sie nicht herunterreden.
Dass das nicht in das Wahlkampfkonzept von Herrn
Stoiber passt, ist das Problem der CDU/CSU, nicht der
Menschen in Deutschland.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir müssen uns sowohl über die im Gutachten aufge-
führten Indikatoren, die den Aufschwung anzeigen, als
auch über die Ursachen des Aufschwungs unterhalten.
Jenseits dessen, was hier zum Teil vorgetragen wurde,
will ich Fakten nennen. Wir haben – das sagt auch das
Gutachten aus – eine verbesserte Geschäftserwartung. Sie
hat sich – das will ich deutlich sagen – im Frühjahr ver-
bessert, und zwar fünfmal hintereinander. Wir haben eine
Situation, in der nicht nur der Export, sondern auch der
private Konsum anzieht. Auch das steht im Gutachten.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Vor allen Dingen der Export, Herr Kollege!)


– Auch der Konsum. Lesen Sie – wie auch immer Sie
heißen – doch das Gutachten!

Außerdem verzeichnen wir im April einen kräftigen
Rückgang der Arbeitslosigkeit. Auch das ist festzustellen.
Bei allem, was wir uns noch wünschen würden – die Kol-
legin Fischer hat darauf hingewiesen –, müssen wir fest-
stellen, dass wir weitaus weniger Arbeitslose als 1998 ha-
ben. Das sind die Tatsachen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich will darauf eingehen, warum sich die Konjunktur

im letzten Jahr eingetrübt hat.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Wollen Sie über Gerhard Schröder reden?)

Sie versuchen immer, uns das mit den altbekannte Paro-
len in die Schuhe zu schieben. Das Gutachten nennt die
Ursachen ganz deutlich – ich bitte Sie, dem wissenschaft-
lichen Sachverstand zu vertrauen –: Der Abschwung in
den USA nach acht Jahren stetigen Wachstums hat
Deutschland aufgrund der wirtschaftlichen Verflechtung
mit den USA besonders getroffen, der hohe Rohölpreis
und nicht zuletzt die Terroranschläge am 11. September
haben uns belastet. Ich will aber auch sagen – das gehört
ebenfalls zur Ehrlichkeit –, dass die Ursachen für den Auf-
schwung, der da ist, im Wesentlichen mit einer verbesser-
ten weltwirtschaftlichen Lage zu tun haben.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Aha!)

Wer will denn das bestreiten?


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Der Reformer!)


Dass sich der Aufschwung in Deutschland entfalten
kann, Herr Kollege – ich weiß Ihren Namen immer noch
nicht –, liegt auch daran, dass wir unsere wirtschaftspoli-
tischen Hausaufgaben gemacht haben. Wir haben eine
Steuerreform durchgesetzt,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU)


wir haben die Altersversorgung in Deutschland moder-
nisiert und wir haben – im Gegensatz zu Ihnen – mit der
Konsolidierung des Haushalts begonnen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wer sollte denn den blauen Brief bekommen?)


Warum haben Sie diesen Weg nicht 1996 beschritten, den
Hans Eichel erst 1999 mit unserer Unterstützung einleiten
konnte? Warum haben Sie das nicht getan? Da Sie das
nicht getan haben, sollten Sie dazu schweigen.

Ich will etwas zu der Kollegin Wöhrl sagen, die vorhin
gefragt hat, was in dem Entwurf unseres Wahlprogramms
zum Thema Mittelstand steht. Wir sind uns im Wirt-
schaftsausschuss doch unter denjenigen, die sich damit
beschäftigen, einig, dass es in Deutschland aufgrund einer
Mittelstandskultur, die hier anders als in anderen Ländern
ist, im Bereich des Mittelstandes ein Problem hinsichtlich
der Eigenkapitalquote gibt.


(Dr. Hansjürgen Doss [CDU/CSU]: Der Mittelstand blutet vor lauter Steuern und Abgaben aus!)


Wir sind uns auch darin einig, dass es in diesem Bereich
Probleme mit der Kreditversorgung gibt. Wir müssen ge-
meinsam – Stichwort Basel II – etwas tun, damit kleine
und mittelständische Unternehmen in Deutschland Kre-
dite erhalten können, um die notwendigen Investitionen
zu tätigen. Das bestreitet niemand.

Die Frage ist: Was können wir tun? Der Bund hat zwei
Förderbanken, die KfW und die DtA, die gute Arbeit leis-
ten. Wir diskutieren darüber, wie wir diese Arbeit, zum
Beispiel durch die Gründung einer Mittelstandsbank aus
diesen Banken heraus, noch besser machen können.


(Dr. Hansjürgen Doss [CDU/CSU]: So ein Unsinn!)


– Herr Kollege, ich habe mit Ihrem Kollegen Schauerte im
Wirtschaftsausschuss eigentlich Konsens in dieser Frage
erzielt. Ich weiß nicht, wo er jetzt ist.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Der ist unterwegs beim Mittelstand!)


Ich finde, er ist ein drolliges Kerlchen.
Es geht tatsächlich darum, dass wir das Problem der

Mittelstandsfinanzierung in Angriff nehmen. Da können
Sie zehnmal „Unsinn“ rufen. Das ist ein wichtiges Thema.


(Beifall bei der SPD – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Eigenkapital brauchen die Betriebe!)


Ich komme zu den Standortvorteilen, die dieses Land
ungeachtet aller Schlechtrederei hat, die Sie praktizieren.
Dieses Land und seine Wirtschaft sind durch die soziale
Marktwirtschaft, durch die Qualifikation der Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer sowie


(Zuruf von der CDU/CSU: Ohne Sie!)

Wissenschaft und Forschung und nicht zuletzt durch den
sozialen Frieden groß geworden. Ich gebe zu, alle diese
drei Standortvorteile müssen modernisiert werden. Wir
haben damit angefangen und wollen das fortsetzen.




Hubertus Heil
23178


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(D)



(A)



(B)


Sie unterschätzen einfach den dritten Standortvorteil,
den sozialen Frieden.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Jetzt erklärt uns ein Jusofunktionär, wie es läuft!)


Er ist nicht nur gut für die demokratische Entwicklung
dieses Landes, sondern auch für unsere Wirtschaft und die
Investitionssicherheit.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Und jetzt streikt die IG Metall!)


– Was haben Sie gegen die IG Metall?

(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Gar nichts, aber die streikt bei Ihnen!)

– Gucken Sie einmal in Ihren Wahlkreis. Da gibt es ein
großes Stahlwerk. In meinem Wahlkreis gibt es ebenfalls
einen Standort dieses Unternehmens. Unterhalten Sie sich
einmal mit den Kolleginnen und Kollegen, bevor Sie hier
weiter herumschreien.

Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen zum
Schluss: Hören Sie auf, unser Land und die Leistungen
der Menschen in diesem Land krankenhausreif zu reden!


(Beifall bei der SPD)

Und sich dann noch als Notarzt anzubieten, das geht nicht.

Sie versuchen den Menschen weiszumachen, man
könne mehr Geld ausgeben, gleichzeitig die Steuern sen-
ken und über all das hinaus noch mehr Geld ausgeben. Mit
diesem Versprechen sind Sie 1998 gegen die Wand gefah-
ren. Das wird sich am 22. September wiederholen. Ich
freue mich auf den Kater, den Sie dann haben werden.

Schönen Tag noch!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423311000
Herr Kollege, Sie
suchten den Namen des Kollegen Kampeter.


(Hubertus Heil [SPD]: Entschuldigung! – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das weiß er nicht! Er ist noch neu!)


Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und b auf:
a) – Zweite und dritte Beratung des von den Abge-

ordneten Dr. Peter Eckardt, Jörg Tauss, Klaus
Barthel (Starnberg), weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten
Dr. Reinhard Loske, Hans-Josef Fell, Christian
Simmert, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ein-
gebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes
zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes

(6. HRGÄndG)

– Drucksache 14/8361 –

(Erste Beratung 222. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten

Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmen-
gesetzes (6. HRGÄndG)

– Drucksache 14/8732 –

(Erste Beratung 230. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Maritta Böttcher, Dr. Heinrich Fink, Pia
Maier, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der PDS eingebrachten Entwurfs eines Sechsten
Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmen-
gesetzes (6. HRGÄndG)

– Drucksache 14/8295 –

(Erste Beratung 222. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (19. Ausschuss)

– Drucksache 14/8878 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Eckardt
Thomas Rachel
Dr. Reinhard Loske
Ulrike Flach
Maritta Böttcher

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (19. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach,
Cornelia Pieper, Birgit Homburger, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP
Ein neues Hochschuldienstrecht für eine mo-
derne, leistungsfähige und attraktive Bildung
und Forschung in Deutschland
– Drucksachen 14/7077, 14/8878 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Eckardt
Thomas Rachel
Dr. Reinhard Loske
Ulrike Flach
Maritta Böttcher

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe der Bundesminis-
terin Edelgard Bulmahn das Wort.

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Herren und Damen! Die Bundesregierung
ist mit dem Versprechen angetreten, das Studium an unse-
ren Hochschulen attraktiver zu machen. Dieses Verspre-
chen lösen wir ein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das Sechste Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmen-
gesetzes leistet dazu einen wichtigen Beitrag.

Erstens schaffen wir mit der vorliegenden Gesetzesno-
velle in Deutschland Studiengebührenfreiheit für das




Hubertus Heil

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(B)


Erststudium. Die Länder hatten und haben sich zwar in-
haltlich auf einen Kompromiss verständigt, aber keine
feste Regelung getroffen und damit leider nicht allen die
notwendige Sicherheit gegeben. Das Hin und Her vor al-
lem aus den Reihen der CDU/CSU und der FDP hat Abi-
turienten, Studierende und Eltern sehr stark verunsichert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]: Verantwortungslos!)


Deshalb ist es notwendig, dass wir diese Gesetzesnovelle
vorlegen und hier im Deutschen Bundestag beschließen,
damit Studierende, Familien und Abiturienten diese Si-
cherheit haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der
CDU/CSU, wenn ich mir Ihre Stellungnahmen ansehe,
verstehe ich Ihr Problem sehr gut, vor allen Dingen, nach-
dem ich den Entwurf für Ihr Wahlprogramm gelesen habe,


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Den gibt es doch noch gar nicht! – Gegenruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]: Wir sind gut informiert! – Gegenruf des Abg. Thomas Rachel [CDU/CSU]: Sie haben keine Ahnung!)


das Herr Stoiber am Montag der Öffentlichkeit vorstellen
will. Es ist deshalb kein Wunder, dass Sie sich hinter Ne-
bensächlichkeiten und Verfahrensfragen verschanzen,
statt in der Sache Stellung zu nehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist die Nagelprobe für Jugendpolitik und Familien-
politik, wie man sich hinsichtlich der Studiengebühren
positioniert. Man kann nicht auf der einen Seite Famili-
enförderung fordern – das setzen wir im Gegensatz zu Ih-
nen, die Sie dies jahrelang nicht gemacht haben, um – und
gleichzeitig die Familien mit Studiengebühren belasten
und damit den Generationenvertrag aufkündigen. Das ist
nicht nur familienfeindlich, sondern zutiefst unsozial.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Man darf nämlich nicht vergessen, dass ein Studium die Fa-
milien heute schon mindestens 33600 Euro kostet. Das
kann man ganz schnell ausrechnen: Pro Monat braucht man
ungefähr 1 400 DM oder 700 Euro. Das sind 8 400 Euro im
Jahr und dann eben rund 33600 Euro für ein Studium,


(Jörg Tauss [SPD]: Bei einem Kind! – Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Das reicht für die Kinder der Bessergestellten dort drüben nicht!)


je nach Lebenshaltungskosten häufig auch noch etwas
mehr.

Wenn vor diesem Hintergrund Familien mit einem sehr
geringen Einkommen von brutto 3 000, 2 000 oder
1 500 Euro auch noch ein Darlehen aufnehmen sollen,
kann ich Ihnen liebe Frau Flach, nur sagen: Herzlichen
Glückwunsch!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ulrike Flach [FDP]: Sie wissen doch, dass es um ganz andere Darlehen geht!)


Das ist wirklichkeitsfremd. Sie kennen ganz offensicht-
lich nicht die reale Situation vieler Familien in diesem
Land.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]: Das ist das Problem! Partei der Besserverdienenden!)


33 600 Euro betragen die Kosten für das Studium eines
Kindes. Ich möchte aber sicherstellen, dass es sich die Fa-
milien auch in Zukunft leisten können, zum Beispiel zwei
Kinder studieren zu lassen


(Beifall bei der SPD – Ulrike Flach [FDP]: Das wollen wir alle! Wir wollen sogar noch ein paar mehr!)


oder auch drei. Deshalb hat die Bundesregierung jetzt ge-
handelt. Nachdem wir das BAföG erhöht hatten, das Sie
in den 80er- und 90er-Jahren regelrecht in Grund und Bo-
den gewirtschaftet haben,


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Na ja, jetzt aber Vorsicht!)


schreiben wir nun den Grundsatz der Studien-
gebührenfreiheit in das Hochschulrahmengesetz.


(Beifall bei der SPD)

Das gilt für ein Studium bis zum ersten berufsqualifizie-
renden Abschluss sowie für ein Studium mit einem kon-
sekutiven Abschluss, der bis zu einem berufsqualifizie-
renden Abschluss führt. Ausnahmen sind nur in eng
definierten Grenzen zulässig.


(Auf der Tribüne wird ein Transparent entrollt – Ulrike Flach [FDP]: Die da oben scheinen aber anderer Meinung zu sein!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423311100
Frau Ministerin, ich
bitte Sie, einen Augenblick zu warten.

Würden Sie bitte das Plakat einrollen und den Saal ver-
lassen? Ich bitte die Saaldiener, dies zu veranlassen. –
Danke schön.

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Damit schaffen wir gleichzeitig die
Grundlage für neue Modelle wie Studienkonten oder Bil-
dungsgutscheine. Diese Modelle kommen den Studieren-
den und den Hochschulen gleichermaßen zugute.


(Ulrike Flach [FDP]: Irgendwie haben die dort oben Sie nicht verstanden!)


Sie schaffen nämlich Anreize für die Hochschulen, das
Studium zu optimieren, sodass ein zügiges Studium mög-
lich ist. Sie schaffen aber auch Anreize für Studierende,
das Studium zügig abzuschließen, um den Bonus noch für
ein Weiterbildungsstudium nutzen zu können.

Zum zweiten Punkt der HRG-Novelle: Bachelor- und
Masterstudiengänge werden aus dem Erprobungs-
stadium in das Regelstudienangebot der Hochschulen
überführt. Schon heute gibt es an deutschen Hochschulen
mehr als 1 000 Studiengänge, die mit einem Bachelor-
oder Mastergrad abgeschlossen werden. Diese Entwick-




Bundesministerin Edelgard Bulmahn
23180


(C)



(D)



(A)



(B)


lung ist so erfolgreich, dass wir sie nun langfristig recht-
lich absichern wollen.


(Beifall bei der SPD)

Wir schaffen damit mehr Verlässlichkeit für die Studie-
renden und wir stärken die internationale Ausrichtung der
Hochschulen.

Drittens. Wie im Koalitionsvertrag beschlossen, wird
es künftig an allen deutschen Hochschulen verfasste
Studierendenschaften geben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mitbestimmung und demokratische Vertretung studenti-
scher Belange müssen in allen Bundesländern gewähr-
leistet sein. Auch das gehört zur Attraktivität unserer
Hochschulen. Eine starke bundesweite Vertretung der
Studierenden ist im Übrigen auch ein wichtiger Ge-
sprächspartner für die Fortsetzung unserer Reformen an
den Hochschulen.


(Beifall bei der SPD – Thomas Rachel [CDU/ CSU]: Das haben Sie ja gerade da oben gesehen!)


Diese Reformen setzen an vielen Punkten gleichzeitig
an und verbinden Chancengleichheit und soziale Gerech-
tigkeit mit Effizienz und Leistungsorientierung. Das ist
unsere Grundidee und unsere Grundstrategie. Die HRG-
Novelle ist ein wichtiges Element dieser Strategie.

Wie wichtig gerade diese Verbindung ist, zeigt ein
Blick auf die Zahl der Studienanfänger in Deutschland.
Mit einem Anteil von 28 Prozent liegen wir deutlich un-
ter dem internationalen Durchschnitt. In den USA begin-
nen 44 Prozent aller Jugendlichen nach der Schule ein
Studium. In Finnland sind es sogar 58 Prozent. Wenn es
nicht gelingt, dass mehr junge Menschen bei uns ein Stu-
dium beginnen und auch erfolgreich abschließen, dann
werden uns in Deutschland bis zum Jahre 2010 eine Vier-
telmillion Akademiker fehlen. Wir brauchen also mehr
gut ausgebildete Hochschulabsolventen. Allgemeine Stu-
diengebühren würden zusätzliche soziale Barrieren gegen
die Aufnahme eines Studiums errichten. Deshalb ist es ge-
nau das falsche Signal.

Das Studium an unseren Hochschulen muss für junge
Menschen aus dem Inland und aus dem Ausland attrakti-
ver werden. Deshalb hat diese Bundesregierung – im Ge-
gensatz zu der CDU/CSU-FDP-Regierung – die Investi-
tionen in Bildung und Forschung auf das Rekordvolumen
von 8,8 Milliarden Euro angehoben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wir sind mit einem ehrgeizigen Reformprogramm für die
Hochschulen durchgestartet, und zwar durch eine stärkere
internationale Ausrichtung der Hochschulen, durch das
virtuelle Studium, mit dem die weltweite Vernetzung un-
serer Hochschulen vorangetrieben wird, durch die inten-
sive Förderung von Nachwuchswissenschaftlern und
durch die Dienstrechtsreform, mit der wir die Juniorpro-
fessur und eine leistungsbezogene Besoldung für unsere
Hochschullehrer einrichten.

Da – teilweise durch Fehlinformationen und zum Teil
auch durch sehr unsachliche Diskussionen – gerade hin-
sichtlich der Dienstrechtsreform in den letzten Monaten
Verunsicherung eingetreten ist, haben wir im Hochschul-
rahmengesetz selbst ausdrücklich klargestellt, dass junge
Wissenschaftler, die ihre Tätigkeit bereits unter der Gel-
tung der alten Regelung aufgenommen haben, also wis-
senschaftliche Mitarbeiter, Promovenden, Habilitanden,
aber auch diejenigen, die gerade die Habilitation beendet
haben, bis zum 28. Februar 2005 Vertrauensschutz ge-
nießen. Damit sind jegliche Interpretationsspielräume zu-
lasten der jungen Wissenschaftler ausgeschlossen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Planbarkeit und Verlässlichkeit sind das A und O für
die Nachwuchsförderung. Sie sind deshalb auch gerade
dort erforderlich, wo es um Studienentscheidungen von
jungen Menschen geht. Das BAföG ist hier ein ganz ent-
scheidender Punkt. Wir sehen die Erfolge. Wir haben es
geschafft bzw. schaffen es, zusätzlich 81 000 junge Men-
schen gerade aus Familien mit mittlerem und niedrigem
Einkommen in das BAföG hineinzubekommen und damit
zum Studium zu bewegen. Das zeigen die uns vorliegen-
den Zahlen.

Studiengebührenfreiheit und Ausbildungsförde-
rung sind zwei Seiten einer Medaille. Wir haben mit der
BAföG-Reform eine echte Chancengleichheit geschaffen.
Nunmehr nehmen wir die zweite Seite der Medaille in An-
griff, nämlich die Absicherung der Studiengebührenfrei-
heit für das erste Studium. Wir dürfen nämlich nicht mit
der einen Hand geben und mit der anderen Hand das Glei-
che wieder aus dem Portemonnaie herausziehen.


(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das wäre nicht nur widersinnig, sondern würde auch un-
ser Ziel konterkarieren, mehr junge Menschen für ein Stu-
dium zu motivieren.

Es ist schon besonders dreist, meine Damen und Her-
ren von der Opposition, den Familien auf der einen Seite
finanzielle Versprechungen zu machen,


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist wahr!)

sie auf der anderen Seite in erheblichem Umfang für die
Ausbildung ihrer Kinder zur Kasse zu bitten.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Ökosteuer!)


Studierende und ihre Eltern brauchen verlässliche Rah-
menbedingungen für ihre Zukunftsplanung.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das ist der einzig richtige Satz!)


Schon die öffentliche Debatte über die Einführung von
Studiengebühren schreckt diese Familien ab und verunsi-
chert sie.


(Beifall bei der SPD und der PDS)

Das zeigen im Übrigen auch internationale Verglei-

che;man muss nur über die Grenze schauen. Die Zahl der
Studierenden in Österreich ist seit der Einführung von




Bundesministerin Edelgard Bulmahn

23181


(C)



(D)



(A)



(B)


Studiengebühren, die noch gar nicht lange zurückliegt,
um 20 Prozent gesunken.


(Ulrike Flach [FDP]: Unsere ist auch nicht gestiegen!)


– Unsere ist inzwischen gestiegen, Frau Flach. Die Zahl
der Studierenden ist unter dieser Regierung gestiegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Unter Ihrer Regierung ist die Zahl allerdings gesunken; da
haben Sie Recht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Irland hat die Studiengebühren gerade wieder abge-
schafft, weil sie zu solch verheerenden sozialen Wirkun-
gen führen. Die Länder, die in ihren Bildungsanstrengun-
gen besonders erfolgreich sind, wie zum Beispiel
Finnland, kennen keine Studiengebühren.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Wer hat denn einen Antrag auf Studiengebühren gestellt? Popanz!)


Wir haben es in den letzten dreieinhalb Jahren endlich
geschafft, das Studium wieder deutlich attraktiver zu ma-
chen. Deshalb werden wir Ihren Anstrengungen, das
durch die Einführung von Studiengebühren wieder zu
konterkarieren, einen Riegel vorschieben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das hat doch keiner beantragt!)


Schauen Sie in Ihren Entwurf für das Wahlprogramm,
schauen Sie sich die Äußerungen der FDP an, die auf ein-
mal für Studiengebühren offen ist und dafür plädiert!


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Sie sprechen über eine Luftnummer! Das ist ein Popanz!)


– Nein, Herr Rachel. Bei uns in Niedersachsen sagt man
dazu: Raus aus den Kartoffeln, rein in die Kartoffeln. Bei
Ihnen war das: Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kar-
toffeln. Familien und Studierende brauchen Verlässlich-
keit. Genau die stellen wir damit her.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist abzusehen, dass bei unterschiedlichen Regelun-
gen in den verschiedenen Ländern ein Run auf gebühren-
freie Hochschulen einsetzen würde. Kapazitätsengpässe
und damit schlechtere Bedingungen für die Studierenden
wären die Folge. Das wollen wir verhindern.

Es wäre schon ein Stück aus dem Tollhaus – lassen Sie
mich das als Forschungs- und Bildungsministerin sagen –,
wenn Studierende in Deutschland nicht mehr ohne Pro-
bleme von der Universität Greifswald zur Universität
München oder zum Beispiel von Hannover nach Stuttgart
wechseln könnten.


(Ulrike Flach [FDP]: Warum nicht?)

– Weil in einigen Städten Studiengebühren erhoben werden
würden, zum Beispiel in Stuttgart. Dort hat die Wissen-

schaftsministerin das befürwortet. In Europa kämpfen wir
für vergleichbare Studienbedingungen. Gleichzeitig wür-
den wir dann in Deutschland neue Grenzen in Form von
Studiengebühren ziehen. Das kann doch wohl nicht an-
gehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann [CDU/ CSU]: Einen Pappkameraden bauen Sie hier auf!)


Wenn ich mir allerdings Ihren Programmentwurf an-
schaue, meine Damen und Herren von der CDU/CSU,
dann wundert mich vieles nicht mehr. Denn wie ich Ihrem
Programmentwurf entnehmen konnte, wollen Sie zusam-
men mit der FDP das HRG abschaffen.


(Zurufe von der SPD: Oh! – Weiterer Zuruf von der SPD: Weiß der Edi das schon?)


Hat Ihnen das eigentlich die bayerische Staatskanzlei auf-
geschrieben?


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Reden Sie doch mal zum 6. HRG! Das wäre interessant!)


Wissenschaft und Forschung müssen im internationalen
Kontext betrachtet werden, aber Sie wollen den Hoch-
schulen jetzt ein solch provinzielles Konzept überstülpen.
Das darf wirklich nicht wahr sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist eine gute europäische Tradition, dass junge Men-
schen unabhängig von ihrer sozialen Herkunft und ihren
finanziellen Möglichkeiten studieren können. An dieser
guten Tradition, an dieser Errungenschaft in unserem
Land wollen wir festhalten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die 6. HRG-Novelle ist dafür ein wichtiger Schritt.

Ich würde mich freuen, meine sehr geehrten Damen
und Herren von der Opposition, wenn Sie in dieser De-
batte endlich klar Stellung nehmen würden,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Zu Ihren Luftschlössern!)


statt sich auf Verfahrensfragen zurückzuziehen. Sind Sie
für Studiengebühren oder sind Sie dagegen? Wollen Sie
eine funktionierende studentische Selbstverwaltung oder
nicht? Unterstützen Sie den Ausbau der internationalen
Bachelor- und Masterstudiengänge oder wollen Sie auch
hier zum Bremser werden?


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Die haben wir doch selber eingeführt, Frau Bulmahn! Das ist doch peinlich! Die CDU/CSU hat die Bachelorund Masterstudiengänge eingeführt!)


Es ist höchste Zeit, hier klare Position zu beziehen. We-
nigstens das sind Sie den Menschen schuldig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Bundesministerin Edelgard Bulmahn
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Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423311200
Für die CDU/CSU
spricht jetzt der Kollege Thomas Rachel.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Jetzt kommen wieder die Saltos! – Jörg Tauss [SPD]: Der Spezialist für Luftnummern!)



Thomas Rachel (CDU):
Rede ID: ID1423311300
Sehr geehrte Frau Prä-
sidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die 6. Hoch-
schulrahmengesetznovelle ist ein Armutszeugnis für die
rot-grüne Bundesregierung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Unterschrift von Bundespräsident Rau unter Ihr
5. Hochschulrahmengesetz ist erst seit wenigen Tagen
trocken, schon beantragen Sie wieder eine Änderung des
gleichen Gesetzes. Das ist reine Flickschusterei.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ihre Änderungen hätten Sie bereits in der fünften Novelle
einbringen können. Ihr Vorgehen zeigt: Die rot-grüne Re-
gierung ist konfus und konzeptlos.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bildungsministerin Bulmahn will ihr neues Hoch-
schulgesetz als große bildungspolitische Errungenschaft
verkaufen. In ihrer Pressemitteilung behauptet sie, dass
künftig „für das Erststudium in Deutschland keine Studien-
gebühren erhoben werden dürfen“. So kurz vor Ende
der Legislaturperiode ist das reines Wahlkampfmanöver.
Mit dieser öffentlichen Ankündigung täuschen Sie die
Wähler; denn entgegen Ihrer Ankündigung dürfen laut
Gesetzestext in Ausnahmebereichen sehr wohl Studien-
gebühren erhoben werden. Damit verstoßen Sie, Frau
Bulmahn, gegen den klaren Beschluss des SPD-Bundes-
parteitages. Wo bleiben Wahrheit und Klarheit, Frau Mi-
nisterin?


(Beifall bei der CDU/CSU)

Was ist von Ihrem neuen Gesetz zu halten?

(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Was wollen Sie denn jetzt eigentlich?)

Sie wollen per Bundesgesetz in allen Bundesländern
Studiengebühren im Erststudium verbieten. Das ist eine
unzulässige Einmischung in die Angelegenheiten der
Länder und zeigt altes Denken. Nach der Aufgabenver-
teilung des Grundgesetzes liegt die Kompetenz im
Bereich der Hochschulfinanzierung eindeutig bei den
Bundesländern. So ist übrigens auch die Realität: 89 Pro-
zent aller Hochschulausgaben werden von den Ländern
finanziert, nur 9 Prozent vom Bund und 2 Prozent von den
Stiftern.

Ich finde es schon relativ dreist, wenn die Bundes-
regierung angesichts einer solchen Finanzverteilung den
Bundesländern vorschreiben will, wie sie die Hochschu-
len finanzieren sollen bzw. sagt, wie sie sie nicht finan-
zieren dürfen.


(Jörg Tauss [SPD]: Wollen Sie Studiengebühren oder nicht?)


Zu Recht betont deshalb der Präsident der Hochschulrek-
torenkonferenz, Landfried:

Für ein solches Gesetz besteht erstens kein Bedarf
und zweitens hat der Bund dafür nicht die Zustän-
digkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP– Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Wollen Sie Hochschulgebühren oder nicht?)


Sie führen hier eine Geisterdebatte, Frau Bulmahn; denn
kein Bundesland hat bisher die Einführung von Studien-
gebühren beantragt.

Das sieht übrigens auch Ihr niedersächsischer Wissen-
schaftsminister Oppermann so. In der „Süddeutschen Zei-
tung“ vom 5. März dieses Jahres sagt er zu Ihrem Studien-
gebührenverbot: „Diese Regelung ist auf Bundesebene
überflüssig.“


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es sollte in Ihren Ohren klingeln, Frau Bulmahn. Ihr eige-
ner Wissenschaftsminister sagt offen:

Prinzipiell bin ich für moderate Studiengebühren,
wenn wir ein Stipendiensystem ... haben.

Als SPD-Landesvorsitzende haben Sie sich, Frau
Bulmahn, noch nicht einmal in Ihrem eigenen Landesver-
band durchsetzen können. Das ist ein schwaches Bild!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Im Gegensatz zu Ihnen hat Herr Oppermann Recht;

denn das rot-grüne Gesetz zeugt von obrigkeitsstaat-
lichem Denken,


(Jörg Tauss [SPD]: Oh!)

anstatt Modernisierung und Wettbewerb für eine Hoch-
schullandschaft des 21. Jahrhunderts zu ermöglichen. Ein
Verbot von Studiengebühren ist ein Akt staatlicher Gän-
gelung.


(Zurufe von der SPD: Oh!)

Sie wollen Denk- und Handlungsverbote. Der General-
sekretär der Hochschulrektorenkonferenz, Jürgen Heß,
bezeichnet dies als einen „Akt bildungspolitischer Selbst-
verstümmelung“.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Zitieren Sie nicht immer andere! Sagen Sie doch einmal, was Sie wollen! Das ist eine Aneinanderreihung von geistigem Diebstahl!)


Daran sehen Sie, dass die Hochschulrektorenkonferenz
von Ihrer Bildungspolitik nichts hält, Frau Bulmahn.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie wollen mit Ihrem Gesetz verfasste Studierenden-

schaften bundesweit vorschreiben. Das verstößt gegen
die im Grundgesetz garantierten Kompetenzen der Län-
der. Ohnehin verfügen die Studentenparlamente in den
Bundesländern, in denen Zwangskörperschaften existie-
ren, bei einer Wahlbeteiligung von 5 bis höchstens 15 Pro-
zent über eine äußerst dünne demokratische Legitimation.
Interessant ist doch die Beobachtung, dass das Engage-
ment der Studierenden sehr unterschiedlich ist. In den






(C)



(D)



(A)



(B)


verfassten Studierendenschaften ist es sehr gering, aber in
den Fachschaften sehr intensiv und engagiert. Das zeigt
doch, dass der von Ihnen verfolgte Weg der falsche ist.
Auch wir unterstützen eine stärkere Mitwirkung der Stu-
dierenden an den Hochschulen und in den politischen
Hochschulorganisationen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Davon haben wir nichts gehört!)


Der von Ihnen vorgeschlagene Zwangsweg aber ist fanta-
sielos; er verfehlt die angestrebten Ziele und ist altmo-
disch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrike Flach [FDP]: Altmodisch ist der richtige Begriff!)


Die Studierendenschaften haben heute ein hochschulpo-
litisches Mandat, sodass sie zu allen hochschulrelevanten
Themen Stellung beziehen können. Wer aber Ihr Gesetz
aufmerksam liest, der wird feststellen, dass es Ihnen um et-
was anderes geht, nämlich um ein allgemeinpolitisches
Mandat. Dieses ist aber mit der Zwangsmitgliedschaft in ei-
ner Studierendenschaft unvereinbar. Asta-Kampagnen zum
Ausländerrecht, Kampagnen gegen die Bundeswehr und
Globalisierung, für die studentische Gelder zweckwidrig
ausgegeben werden, waren und sind rechtswidrig.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb nehme ich es dieser Regierung übel, dass sie im
Gesetz Formulierungen benutzt hat, die den Missbrauch
des politischen Mandats begünstigen.


(Lachen bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Haben Sie die Rede aus dem Jahr 1968 abgeschrieben?)


Äußerst bedauerlich ist, dass Sie, Herr Tauss, nicht nur
im Plenum nicht zuhören, sondern auch in der Anhörung
nicht zugehört haben. Denn die konstruktive Kritik in der
Anhörung des Bundestages haben Sie nicht aufgenom-
men. Die Sachverständigen waren sich in der Ablehnung
der sofortigen Überführung der Bachelor- und Master-
studiengänge in das Regelangebot der Hochschulen ei-
nig; denn sie ist verfrüht.

Wir sind die Anhänger der Bachelor- und Masterstudi-
engänge. Es waren nämlich nicht Sie, Frau Bulmahn, son-
dern es war die christlich-liberale Bundesregierung, die
1998 die Rahmengesetzgebung geändert hat, um diese
Studiengänge überhaupt zu ermöglichen. 1 000 sind mitt-
lerweile geschaffen worden, was wir sehr begrüßen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Das war eine europäische Vereinbarung, Herr Rachel!)


Wir nehmen auch zur Kenntnis, dass die Qualitäts-
sicherung der neuen Studiengänge durch ein Akkreditie-
rungssystem erst einen kleinen Teil dieser Studiengänge
erfasst hat. Wir haben bisher nur eine geringe Zahl von
Bachelor-Absolventen. Deshalb sollten wir die Kirche im
Dorf lassen und über die Einstufung als Regelangebot in
zwei oder drei Jahren in aller Gelassenheit entscheiden.
Ihre Nervosität und Hektik am Ende dieser Legislaturpe-

riode verträgt sich nicht mit der Notwendigkeit einer so-
liden und langfristig ausgerichteten Hochschulpolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Ja, ja!)


Sehr geehrte Frau Bulmahn, mit Ihrer Regelung be-
züglich der befristeten Stellen in der 5. HRG-Novelle ha-
ben Sie einen wahren Rohrkrepierer erzeugt. Die Wo-
chenzeitung „Die Zeit“ hat am 31. Januar Folgendes
geschrieben:


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Jetzt zitiert er schon wieder!)


Kahlschlag: Wie das Bundesbildungsministerium die
Zukunft von jungen Wissenschaftlern aufs Spiel
setzt.

Nachwuchswissenschaftler haben in großen Anzeigen in
deutschen Tageszeitungen Ihren Rücktritt gefordert, weil
sie sich durch Ihr Gesetz von der Arbeitslosigkeit bedroht
sehen. Als Reaktion sagten Sie, dies sei eine „verantwor-
tungslose Panikmache“.


(Jörg Tauss [SPD]: Das war es auch!)

Ihren Stil gegenüber den Betroffenen beschreibt die
„FAZ“ so:

Den Betroffenen wird, wie jüngst auf einem Berliner
Podium, von der Ministerin erklärt, dass die Pro-
bleme, die sie sehen, gar nicht existieren.

Frau Bulmahn, warum ändern Sie heute Ihr Gesetz, wenn
die Probleme doch gar nicht existieren? Da stimmt doch
irgendetwas nicht.

Die Art und Weise, wie Sie mit den Beschäftigten an
den Hochschulen umgegangen sind, spottet jeder Be-
schreibung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der „Tagesspiegel“ beschreibt Ihren Auftritt bei einer
Diskussion in der Berlin-Brandenburgischen Akademie
der Wissenschaften folgendermaßen:


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Nächstes Zitat! – Jörg Tauss [SPD]: Sie lesen wohl den ganzen Tag! Das ist unglaublich!)

Doch für ihre Aufklärungsarbeit erntete Ministerin
Bulmahn bis zum Schluss der Veranstaltung immer
wieder abfälliges Stöhnen, hämisches Gelächter und
Zwischenrufe.

Das ist die Reaktion auf Ihre Politik.
Die Unionsfraktion hat sich zu vielen Gesprächen mit

den Betroffenen zusammengesetzt. Uns ging es nicht um
die öffentliche Schlagzeile. Wir wollen konstruktive Lö-
sungen


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Sagen Sie doch mal eine Einzige!)


und die Beseitigung der von Ihnen in der 5. HRG-Novelle
verursachten Schäden erreichen. Dazu gehört dringend
eine Übergangsregelung.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Welche denn?)





Thomas Rachel
23184


(C)



(D)



(A)



(B)


Deshalb beantragen wir, dass bis zum Dezember 2004 be-
fristete Arbeitsverträge nach altem Recht abgeschlossen
werden können. Außerdem wollen wir den Juniorprofes-
soren helfen, für die nach erfolgreichem Abschluss nicht
unmittelbar eine Professur frei ist. Sie sollen für die Dauer
von drei Jahren als Hochschullehrer auf Zeit beschäftigt
werden können, damit sie ihre Bewerbungsphase durch-
laufen können.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Das können sie sowieso!)


Sehr geehrte Frau Ministerin, in Wirklichkeit be-
schließen wir heute ein Gesetz, mit dem wir Ihr 5. Hoch-
schulrahmengesetz reparieren.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Machen Sie jetzt mit oder was?)


Durch Ihre verfehlte Hochschulrahmengesetzgebung hat
sich das Klima an den deutschen Hochschulen ver-
schlechtert. Auch in der 6. HRG-Novelle greifen Sie
Randthemen auf, anstatt die Hochschulen umfassend in
Richtung Leistung und Wettbewerb zu modernisieren.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Sie haben doch gerade gesagt, dass das Ländersache ist! Was ist denn jetzt?)


Die „FAZ“ hat am 13. Februar getitelt:
Bulmahns Hochschulreform wiederholt die Fehler
der 70er-Jahre.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, das stimmt! – Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Zitat Nr. 27!)


Treffender kann man das nicht formulieren. Der Histo-
riker Hans-Ulrich Wehler spricht in der „Zeit“ – das ist
sicherlich kein Organ der CDU –


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Was Sie alles lesen!)


von der „Arroganz der Macht als neumodischer Variante
sozialdemokratischer Bildungspolitik“. Ich glaube, auch
das sollte in Ihren Ohren klingeln.


(Jörg Tauss [SPD]: Was schreibt denn die „Süddeutsche Zeitung“? Schauen Sie mal nach!)


Die „FAZ“ schreibt:
Anfangs das am wenigsten bekannte Mitglied im
Kabinett Schröder, ist Edelgard Bulmahn nach wie
vor das blasseste.

Weiter heißt es:
Jene programmatische Blässe ergibt sich aus einer
Kombination administrativer Umtriebigkeit ihres
Hauses mit der Schwierigkeit, der Ministerin einen
erklärten politischen Willen zuzuordnen.

Ich denke, hier wird deutlich, wo die Schwierigkeit Ihrer
Regierungstätigkeit liegt.

Schade, dass in den letzten vier Jahren keine klare bil-
dungspolitische Linie erkennbar war, die konzeptionelle
Kraft nicht reichte und ein schaler Geschmack von Kon-
tur- und Farblosigkeit verbleibt.

Die Hochschulen brauchen mehr Freiheit und Autono-
mie. Nicht Gleichmacherei darf bildungspolitisches Leit-
bild sein, sondern der Wille zur Leistungsorientierung,
zur Profilbildung und zur Wettbewerbsorientierung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

In der nächsten Parlamentsperiode werden wir den

Hochschulen diese Freiheit und diese Luft zum Atmen
geben.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423311400
Ich erteile dem Kolle-
gen Dr. Reinhard Loske für das Bündnis 90/Die Grünen
das Wort.


(Jörg Tauss [SPD]: Jetzt wird es wieder seriös!)



Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423311500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kol-
lege Rachel, als ich Ihnen zugehört habe, habe ich ge-
dacht: Wie gut, dass es Presseausschnittsdienste gibt!


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ich will aber im Gegensatz zu Ihnen nicht wie bei ei-
ner Perlenkette ein Zitat an das andere reihen, sondern die
Meinung meiner Fraktion zur 6. HRG-Novelle begrün-
den. Wir haben in dieser 6. HRG-Novelle vier Bereiche
geregelt: erstens die Überführung von BA- und MA-Stu-
diengängen aus der Erprobungsphase in die Regelphase,
zweitens das Thema „verfasste Studierendenschaft“, drit-
tens die Gebührenfreiheit für das Erststudium und vier-
tens die Befristungsregelungen im Rahmen der Dienst-
rechtsreform.

Ich beginne mit dem Thema „verfasste Studieren-
denschaft“. Wir wollen – das regeln wir mit dem zu ver-
abschiedenden Gesetz –, dass in Zukunft demokratische
Beteiligungsrechte für Studierende nicht an der bayeri-
schen und baden-württembergischen Grenze Halt ma-
chen, sondern dass sie für alle gelten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn es dort ein Einsehen gegeben hätte, hätten wir das
nicht bundeseinheitlich regeln müssen. Aber es kann nicht
sein, dass man zwar an der Universität Düsseldorf seine
Rechte ausschöpfen kann, dass man dies aber dann, wenn
man nach München wechselt, nicht mehr tun kann. Das
wollen wir nicht.


(Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/ CSU]: Was für Rechte denn?)


Es ist ein unerträglicher Zustand, dass studentische Or-
gane, wenn sie sich an Aktionen gegen Fremdenfeind-
lichkeit oder Intoleranz beteiligen, vor den Kadi gezerrt
werden und möglicherweise dafür zahlen müssen. Noch
unerträglicher ist es, wenn extremistische Studentengrup-
pen aufseiten der Rechten darüber frohlocken, es qua




Thomas Rachel

23185


(C)



(D)



(A)



(B)


Gerichtsbeschluss erwirken zu können, dass die studenti-
schen Organe einen Maulkorb verpasst bekommen. Das
wollen wir nicht mehr.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Wir hatten gestern im Ausschuss die vom Kollegen
Friedrich angestoßene Diskussion darüber, ob die Ein-
führung der verfassten Studierendenschaft ein Rückfall in
das Mittelalter darstelle. Ich glaube, so war Ihre Formulie-
rung.


(Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/CSU]: Ständestaat!)


Sie würden bei mir offene Türen einrennen, wenn dies
stimmen würde. Denn auch ich bin ein großer Skeptiker,
was den westdeutschen Korporatismus betrifft, bei dem
der große Staat mit der großen Industrie und den großen
Gewerkschaften oft zulasten Dritter und oft am Parlament
vorbei große Absprachen trifft. Das ist nicht besonders de-
mokratisch. Das heißt, wenn das zuträfe, würde ich Ihnen
beipflichten.

Aber Ihr Argument ist in diesem Zusammenhang aus
zweierlei Gründen überhaupt nicht stichhaltig:

Erstens. Wenn es so wäre, dann wünschte ich mir, dass
Sie auch an anderer Stelle gegen die Gilden und Zünfte
ankämpfen würden. Ich habe aber noch nie vonseiten der
CDU/CSU die Forderung gehört, die Industrie- und Han-
delskammern abzuschaffen. Im Gegenteil: Dazu fehlt Ih-
nen der Mut. Wahrscheinlich wäre es auch nicht vernünf-
tig.

Zweitens. Was wir hier einführen – dieses Argument ist
wichtiger –, ist keine Rückkehr zu den alten Kämpfen
zwischen MSB, SHB, RCDS und was es da so alles gibt.
Wir wollen vielmehr ein modernes hochschulpolitisches
Mandat. Wir wollen die Mitwirkung an hochschul- und
wissenschaftspolitischen Fragestellungen und das Eintre-
ten für aktive Toleranz, für Grund- und Menschenrechte
sowie für die Integration ausländischer Studierender er-
möglichen. Dazu sage ich: Wer das Eintreten für diese
Ziele nicht zulassen will, der, meine Damen und Herren
von der CDU/CSU, ist in Wahrheit vormodern und steht
mit beiden Beinen im Mittelalter.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423311600
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage?


Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423311700

Selbstverständlich.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423311800
Bitte sehr, Herr Kol-
lege.


Dr. Gerhard Friedrich (CSU):
Rede ID: ID1423311900
Herr
Kollege Loske, würden Sie mir zustimmen, dass der Ver-
gleich bezüglich der Gewerkschaften deshalb falsch ist,
weil man in einer Gewerkschaft freiwillig Mitglied wird,

Sie aber vorsehen, dass Studenten zwangsweise Mitglied
werden? Geben Sie zu, dass auch Taxifahrer demokrati-
sche Mitwirkungsrechte haben, obwohl wir keine
Zwangskörperschaft für Taxifahrer eingeführt haben?


Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423312000

Meine Anmerkung bezog sich im Wesentlichen auf den
Korporatismus an sich, auf das Problem, dass Organisa-
tionen bzw. Großgruppen in unserer Gesellschaft nicht
mehr den sowohl im Wirtschafts- als auch im gesell-
schaftlichen Leben bestehenden Realitäten gerecht wer-
den. Dagegen gibt es Skepsis. Ich habe die Gewerkschaf-
ten als Aufhänger genommen, um Ihren Vorwurf, wir
würden eine neue Zwangskorporation einführen, zurück-
zuweisen. Denn das tun wir nicht.


(Zurufe von der CDU/CSU: Doch!)

Ich mache darunter einen Strich und stelle fest: Wir soll-
ten froh sein, wenn sich heute junge Menschen in ihrem
Gestaltungsbereich für demokratische Ziele einsetzen.
Das macht das vorliegende Gesetz möglich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Ganz kurz zu BA und MA. Der springende Punkt ist
der: CDU/CSU und FDP argumentieren, die Zeit, dies
einzuführen, sei noch nicht reif, weil man nicht genau
wisse, wie der Markt das annehme; wenn ich Sie richtig
verstanden habe. Aber wir wissen natürlich umgekehrt
ganz genau, dass die große Zurückhaltung gegenüber die-
sen Abschlüssen gerade bei öffentlichen Arbeitgebern
maßgeblich darauf zurückzuführen ist, dass das Ganze
noch im Erprobungsstadium ist und keinen Regelcharak-
ter hat. Deswegen wird umgekehrt ein Schuh daraus. Da-
durch, dass wir diese Unsicherheit beseitigen, erhöhen
wir die Akzeptanz dieser Abschlussformen und werden
auch international anschlussfähig. Insofern ist das sehr
vernünftig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich akzeptiere und finde es auch richtig, dass wir Qua-
litätssicherung betreiben müssen, dass wir bei der Ak-
kreditierung weiterkommen müssen – eine ganz wichtige
Sache – und dass wir deshalb das gesamte Thema Siche-
rung von Qualitätsstandards und anderes mehr auch poli-
tisch verstärkt pushen müssen, etwa durch die Einrichtung
einer Stiftung für Bildung, die Sie ja ebenfalls wollen.

Das dritte Thema, Studiengebühren, ist ein weites Feld;
ich kann es lediglich antippen. Ich will nur so viel sagen:
Wir stellen in diesem Gesetz – was auch durch anders lau-
tende Behauptungen nicht falsch wird – die Gebühren-
freiheit des Erststudiums sicher. Ich glaube, das ist ein
Schritt in die richtige Richtung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn so getan wird, als gäbe es niemanden, der ver-

suchte, in diese Richtung zu marschieren, möchte ich
doch noch einmal feststellen, dass in vielen Bundeslän-
dern, wie in Baden-Württemberg, im Saarland und in
Hamburg, im Moment Langzeitstudiengebühren einge-
führt werden. Unsere Anhörungen und Diskussionen ha-




Dr. Reinhard Loske
23186


(C)



(D)



(A)



(B)


ben ganz klar gezeigt, dass dieser Weg der Langzeitstu-
diengebühren vollends falsch ist.


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)

– Ja, nun, das findet aber statt. Es wird hier behauptet, es
gebe niemanden, der Studiengebühren einführen wolle.
Ich berichte jetzt darüber, dass es das sehr wohl gibt und
dass bei dem Modell der Langzeitstudiengebühren von
dem Menschenbild des Studierenden als Bummelanten
ausgegangen wird, den es an die Kandare zu nehmen
gelte. Das ist aber ein falsches Denken.


(Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/ CSU]: Dann verbietet es halt!)


Es wurzelt einzig und allein im Bestrafungsgedanken und
nicht im Qualitätsgedanken. Wir brauchen aber eine Qua-
litätsdebatte und keine Bestrafungsdebatte. Ich glaube,
das ist sehr wichtig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unser Hauptproblem sind nicht die Langzeitstudenten;

das sagt einem doch jeder Hochschulrektor. Natürlich gibt
es auch Bummelanten. Das ist doch überall so im Leben.
Warum sollen wir das jetzt gesondert regeln? Unser
Hauptproblem sind die hohen Abbrecherquoten. Deswe-
gen ist es einseitig, das Problem der langen Studienzeiten
einzig und allein bei den Studierenden abzuladen. Es gibt
auch schlecht strukturierte Studiengänge. Es gibt lange
Wartezeiten bei Seminaren. Es gibt die Notwendigkeit
oder auch den Wunsch, nebenbei zu arbeiten. Es gibt
bestimmte biografische Realitäten. Deswegen geht es
um Verbesserungen auch auf der Angebotsseite. Wir kön-
nen dieses Problem nicht einseitig bei den Studierenden
abladen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deswegen glaube ich, dass es das richtige Modell ist,
in Richtung Bildungsgutscheine zu gehen, auch wenn
hier Protest dagegen laut geworden ist.


(Ulrike Flach [FDP]: Warum haben Sie dann unseren Antrag abgelehnt?)


Es konkurriert im politischen Raum mit dem Modell der
Langzeitstudiengebühren. Etwa bei den Modellen in
Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-
Holstein hat man eine großzügige Ausstattung mit staat-
lich finanzierten Bildungsgutscheinen. Das stärkt die
Position der Studierenden und gibt ihnen ein Anspruchs-
recht. Das übt Qualitätsdruck auf die Hochschulen aus.
Das schafft bei den Studierenden – was durchaus wichtig
ist – ein Ressourcenbewusstsein, ein Bewusstsein dafür,
dass man mit der Ressource Bildung schonend umgeht.
Wenn man diese Scheine auf Semesterwochenstunden-
basis ausgibt, entspricht das auch den biografischen Rea-
litäten und ermöglicht es den Studierenden, dies flexibel
zu handhaben. Ich glaube, das ist ein guter Ansatz und ein
gutes Konzept.

An die PDS gerichtet, Frau Böttcher, weil ich leider vor
Ihnen spreche: Ich nehme Bezug auf Ihre Presseerklärung
von heute. Es ist immer wieder die gleiche Leier: Bil-
dungsgutscheine seien Studiengebühren. – Das sind sie

nicht. Das Gegenteil ist zutreffend. Sie schreiben in Ihrer
Pressemitteilung von heute:

SPD und Grüne stellen die soziale Öffnung der
Hochschule in Frage.

Ja, meine liebe Frau Böttcher, die Realität ist doch, dass
in den frühen 70er-Jahren die Türen der Universitäten
weit aufgestoßen worden sind und dass sie in den
80er- und 90er-Jahren von den Herrschaften auf der rech-
ten Seite zugestoßen wurden. Wir wollen die Türen doch
wieder aufmachen. Dazu trägt dieses Gesetz bei, genauso
wie die BAföG-Novelle.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich würde mir manchmal wünschen, dass bei der PDS
Wort und Tat deckungsgleich wären. Es wird bei Ge-
sprächen von mehr Geld für die Wissenschaft geredet.
Aber kaum ist man in Berlin an der Regierung, wird das
Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung, das
Institut für Zukunftstechnologien oder das Klinikum
Benjamin Franklin angetastet. Bei Ihnen passen Wort und
Tat nicht zusammen. Das ist ein großes Problem. Aber das
ist ein Thema, über das wir jetzt nicht reden.

Man kann über Studiengebühren sprechen. Noch einmal
an die Adresse der Union: Wir wissen, dass viele bei Ihnen
dafür sind. Ich halte sie aber für einen gefährlichen Irrweg.
Solange wir keine Stipendienkultur haben und solange wir
nicht sicher sind, dass wir soziale Selektion ausschließen,
ist es vollkommen falsch, über dieses Thema zu reden. Des-
wegen ist es auch richtig, dass wir an dieser Stelle ein
Stoppsignal setzen. Wir wollen mehr Studenten und nicht
weniger. Wir wollen die Leute nicht verschrecken.

Letzter Punkt, Dienstrechtsreform: Die Dienstrechts-
reformdebatte hatten wir bei der fünften Novelle HRG. Es
ist ein Gesetz, das einen echten Schritt nach vorn darstellt.
Wir haben eine klare Strukturierung der Qualifizierungs-
phase, wir haben eine frühere Eigenständigkeit des wis-
senschaftlichen Nachwuchses, wir haben eine Vielfalt
von Zugangswegen, wir haben leistungsorientierte Besol-
dung. Dieses Gesetz verdient also ohne jeden Zweifel die
Attribute „modern“ und „zeitgemäß“.

Es gibt allerdings zwei Problemgruppen. Das trifft zu
und ist auch richtig beschrieben worden, wenngleich man
teilweise auch den Eindruck hatte, es würde, wenn ich das
vorsichtig ausdrücken darf, maßlos übertrieben.

Es gibt also zwei Gruppen, die Probleme haben: Das
sind zum einen diejenigen, die gerade im Begriff sind zu
promovieren bzw. sich zu habilitieren und die Sechsjah-
resgrenze überschritten haben oder denen erst später eine
Professur winkt. Für diese Gruppen haben wir jetzt eine
Übergangsregelung von drei Jahren, übrigens eine län-
gere als Ihre von zwei Jahren, geschaffen.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Ich glaube, diese Gruppe kann mit dieser Regelung gut

leben. Das ist eine Sache, für die wir uns sehr eingesetzt
haben. Ich bin froh, dass wir das erreicht haben.

Zweitens geht es natürlich um die grundsätzliche Frage
des Wissenschaftsarbeitsmarktes, um Menschen, die




Dr. Reinhard Loske

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(C)



(D)



(A)



(B)


sozusagen lang anhaltende Projektkarrieren immer wie-
der auf der Basis von Drittmitteln haben. Zu fragen ist, ob
diese mit der neuen gesetzlichen Regelung Schwierigkei-
ten haben oder ob es im Rahmen des Teilzeit- und Befris-
tungsgesetzes auch möglich ist, jenseits der Qualifizie-
rungsphase, also jenseits der zwölf Jahre, weiterhin
befristet beschäftigt zu bleiben. Ich will an dieser Stelle
ganz klar sagen: Wenn sich jemand für diesen Weg ent-
scheidet, dann soll ihm dieser Weg offen stehen.


(Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/CSU]: Richtig!)


Deshalb begrüßen wir auch, dass das Ministerium jetzt
angekündigt hat, dass man eine arbeitsrechtlich autori-
sierte Fassung vorlegen und als Handreichung an die
Universitätsverwaltungen und an die Verwaltungen der
außeruniversitären Forschungseinrichtungen geben wird,
damit diese das auch wirklich handeln können. Perspekti-
visch sollten wir uns dafür einsetzen, dass wir auf diesem
Feld einen Wissenschaftstarifvertrag bekommen. Denn
ich glaube in der Tat, dass die Realitäten auf dem hoch dy-
namischen und hoch flexiblen Wissenschaftsarbeitsmarkt
etwas andere sind als auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.
Ein Wissenschaftstarifvertrag könnte insoweit mehr Klar-
heit bringen.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423312100
Für die FDP-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Ulrike Flach.


(Jörg Tauss [SPD]: Frau Flach, merken Sie was? Mit denen können Sie nicht koalieren!)



Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1423312200
Mit den Grünen?

(Jörg Tauss [SPD]: Nein, mit denen!)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nur We-
niges lässt so klar erkennen, welche politische Grundhal-
tung zur Hochschule dieses Hauses umtreibt, wie das
Hochschulrahmengesetz: auf der einen Seite Freiheit und
Autonomie der Universitäten und auf der anderen Seite
der tiefe Glaube an Regulierung und die Weisheit des
Staates. Das ist es, liebe Kollegen, was uns unterscheidet,
und das prägt ganz offensichtlich auch die heutige Debatte
und die vorliegenden Anträge.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

SPD und Grüne wollen den Hochschulen weitere

Fesseln anlegen. Frau Bulmahn hat das eben sehr deutlich
gemacht: die gesetzliche Einführung von verfassten Stu-
dierendenschaften, die Studiengebühr und die Regelein-
führung von Bachelor- und Masterstudiengängen. Die
PDS geht in der Person von Frau Böttcher sogar noch we-
sentlich weiter in ihren Knebelungen und die Unionsfrak-
tionen sprechen sich gegen die vorgeschlagenen Regelun-
gen des Bundes aus,


(Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/CSU]: Nein, nein!)


aber nicht, um den Universitäten mehr Autonomie zu ge-
ben, sondern weil sie erneut Angst um ihre Länder haben,
lieber Herr Dr. Friedrich, und diese Fragen erneut über das
Landesrecht regeln wollen.

Die FDP stellt die Freiheit und die Autonomie der
Hochschulen in den Mittelpunkt.


(Beifall bei der FDP)

Nicht das Hineinregieren in die Universitäten, sondern die
Festsetzung von Rahmenbedingungen ist die Maxime
liberaler Hochschulpolitik. Sie ist es immer gewesen und
sie ist es auch zum heutigen Zeitpunkt.

Genau den gegenteiligen Weg beschreiten Sie, Frau
Bulmahn, heute mit Ihrer erneuten Reparaturnovelle
zum wiederholten Male. Statt darüber nachzudenken,
ob das HRG noch zeitgemäß ist, regulieren Sie munter
weiter.


(Ulrich Heinrich [FDP]: Das können sie: regulieren!)


Nehmen wir das Beispiel des Verbots von Studienge-
bühren. Lassen Sie doch die Hochschulen selbst entschei-
den, Frau Bulmahn, ob sie einen Teil der Ausbildungs-
kosten von ihren Kunden, den Studenten, einfordern
wollen.


(Beifall bei der FDPund der CDU/CSU – Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Die große Freiheit!)


Es ist nicht unsere Aufgabe, hier in Berlin zu bestimmen,
ob privates Geld in Form von Gebühren in die Univer-
sitäten fließt oder nicht. Das muss die Universität vor Ort
entscheiden,


(Jörg Tauss [SPD]: Ach!)

im Wettbewerb zu anderen Standorten und natürlich auch
angesichts einer Kundschaft, die sehr genau prüfen wird,
welche Qualität sie dort geboten bekommt.


(Zuruf von der SPD: Das ist so realitätsfremd, das gibt es überhaupt nicht! – Weitere Zurufe von der SPD)


Wie genau sie das prüft, haben Sie, Frau Bulmahn, ja eben
dort oben gesehen. Sie haben gesehen, dass Sie zwischen
den Stühlen sitzen.

Natürlich haben die Studenten ein feines Gespür dafür,
dass das Ganze nur Wahlkampfpolemik ist und nicht
mehr.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie lassen die Studiengebühren durch Ländergesetze zu
und versuchen vor Ort so zu tun, als würden Sie ein Wahl-
kampfversprechen einhalten.


(Jörg Tauss [SPD]: Waren das Ihre Demonstranten da oben?)


– Ja, wir bestellen die immer, Herr Tauss.
Wir sehen auch keine Notwendigkeit, die verfassten

Studierendenschaften gesetzlich vorzuschreiben. Wir sind
sehr für die Mitwirkung der Studenten – wir kommen
übrigens alle aus diesem Bereich; das wissen Sie –, aber




Dr. Reinhard Loske
23188


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(D)



(A)



(B)


wir alle kennen die Frustrationen über die real existieren-
den StuPa- und AStA-Sitzungen.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Zur Genüge!)

Herr Rachel hat zu Recht darauf hingewiesen, dass sich
nur 10 Prozent der Studenten an den Wahlen beteiligen.
Dies ist ein wirklich demokratisches Dilemma.

Die deutsche Regelung der Zwangsmitgliedschaft,
die Sie uns heute vorschlagen, ist wieder einmal ein
Sonderweg. Die meisten Studentenschaften in Ländern
der westlichen Welt sind freiwillige Zusammen-
schlüsse, in deren Rahmen sich Studenten natürlich
auch zu allgemeinen Themen äußern können. Wir haben
also gar nicht diese Sorgen, die Sie umtreiben. Ich weiß
überhaupt nicht, was Sie mit Ihrer Version der Zwangs-
kooperation wollen. Wollen Sie wirklich durch die
Hintertür das allgemeine politische Mandat wieder ein-
führen? Sie wissen, dass dies nicht geht. Das Bundes-
verfassungsgericht hat sich deutlich dagegen ausge-
sprochen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: So steht es auch im Gesetz!)


Wir halten auch die vorschnelle Festschreibung der Re-
geleinführung von Bachelor- und Masterstudiengän-
gen für falsch. Dabei muss deutlich gesagt werden – Herr
Rachel hat vorhin schon darauf hingewiesen –, dass es
natürlich eine CDU/FDP-Regierung war, die diese Studi-
engänge möglich gemacht hat. Wir wollen diese Studi-
engänge, selbstverständlich! Aber die Umsetzungsfrist in
den Landeshochschulgesetzen ist erst vor einem Drei-
vierteljahr abgelaufen. Das wissen Sie, Frau Bulmahn.
Der Akkreditierungsrat hat erst einen Bruchteil der neuen
Studiengänge zertifiziert. Nun lassen Sie diese Studienab-
gänger doch erst einmal auf den Arbeitsmarkt. Erst dann
können wir sehen, ob hier etwas Vernünftiges geschaffen
worden ist. Erst dann sind wir in der Lage, Regelstu-
diengänge einzuführen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Mit der unseligen Neuregelung des § 57 HRG haben

Sie, Frau Ministerin, eine ganze Generation von Wissen-
schaftlern massiv verunsichert. Die nachgereichte Über-
gangsregelung ist nicht ausreichend, auch wenn Sie
Tag für Tag scheibchenweise nachlegen. Eine schlechte
Regelung wird nun einmal nicht dadurch besser, Frau
Bulmahn, dass man sie später anwendet.

Es ist für uns nicht einsichtig, warum der Staat es Wis-
senschaftlern verbieten sollte, sich auch nach zwölf Jah-
ren noch auf eine befristete, aus Drittmitteln finanzierte
Stelle zu bewerben.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tut er auch nicht!)


Sicher ist es nicht der Traum eines Forschers, immer wie-
der ein befristetes Arbeitsverhältnis einzugehen. Dennoch
gibt es viele, die darin eine Möglichkeit für eine flexible
Lebensplanung sehen.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Quatsch! – Jörg Tauss [SPD]: Sie wollen einen Normzustand daraus machen!)


Liebe Kollegen von der SPD, eine Drittmittelkarriere
ist auch um vieles besser, als arbeitslos auf der Straße zu
stehen.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Das ist purer Zynismus!)


So geht es diesen jungen Leuten im Augenblick aber. Dies
wird jeden Tag anhand der geschalteten Anzeigen deut-
lich.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir schlagen deshalb vor, in § 57 c HRG zwei sach-

liche Gründe für eine weitere befristete Beschäftigung
nach Ausschöpfen der bislang höchstzulässigen Befris-
tungsdauer festzuschreiben. Dies wäre erstens, wenn der
Mitarbeiter besondere Kenntnisse und Erfahrungen vo-
rübergehend in Lehre oder Forschung einbringen soll,
oder zweitens, wenn der Mitarbeiter aus Drittmitteln ver-
gütet wird.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Also auf gut Deutsch: immer!)


Ich glaube, diese Regelung ist sehr im Sinne der Be-
troffenen. Sie ist europafest und besser als eine halbher-
zige Gnadenfrist, die Sie heute mit Ihrem Vorschlag ein-
gebracht haben.

Wir werden unsere Änderungsanträge hier zur Abstim-
mung stellen. Wenn sie keine Mehrheit finden, werden
wir selbstverständlich Ihrem „Verregelungsgesetz“ nicht
zustimmen.

Die FDP will keine Strangulierung der Hochschule.
Wir wollen die entfesselte, autonome, wettbewerbs- und
vor allen Dingen leistungsorientierte Uni.


(Beifall bei der FDP)

Die – das verspreche ich Ihnen – werden Sie nach dem
22. September bekommen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423312300
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Maritta Böttcher.


Maritta Böttcher (PDS):
Rede ID: ID1423312400
Frau Präsidentin! Sehr ge-
ehrte Damen und Herren! Es ist Wahlkampf; das ist zu
spüren. SPD und Grüne versuchen, sich als wackere
Kämpfer gegen Studiengebühren in Szene zu setzen.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wacker!)


– Herr Loske, Sie können erzählen, was Sie wollen. Zwi-
schen Anspruch und Wirklichkeit liegen Welten: Wahl-
kampfwelten.


(Beifall bei der PDS)

Die von der Koalition vorgelegte Novelle ist kein Ge-

setz gegen Studiengebühren; das wissen Sie. Es ist ein Ge-
setz, das vorhandene Gebühren nachträglich legitimiert
und sogar die Einführung neuer Gebühren absichert.

Was geschieht, wenn Sie, Frau Ministerin, Ihr Gesetz
durchkriegen? Werden CDU und FDP in Baden-Würt-
temberg die Strafgebühren für Langzeitstudierende




Ulrike Flach

23189


(C)



(D)



(A)



(B)


abschaffen? Werden die Sozialdemokraten in Niedersach-
sen sowie SPD und Bündnisgrüne in Schleswig-Holstein
ihre bereits beschlossenen Gebührenpläne zurückneh-
men? – Nichts wird passieren.


(Jörg Tauss [SPD]: Deswegen handeln wir jetzt!)


Im Gegenteil, Herr Tauss: Ihr Gesetzentwurf gibt aus-
drücklich grünes Licht für die Entwicklung neuer Ge-
bührenmodelle, wie sie etwa in Nordrhein-Westfalen oder
Rheinland-Pfalz geplant sind.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Aha!)

Neue Begriffe, wie Studienkonten oder Bildungsgut-
scheine, sollen das verschleiern. Wer sein Studienkonto
verbraucht hat, Herr Loske, wer seinen letzten Bildungs-
gutschein eingelöst hat, wird in Zukunft in Mainz, Düs-
seldorf, Trier oder Münster wie schon heute in Heidelberg
oder Tübingen zur Kasse gebeten werden. Die von der
Bundesregierung vorgelegte Novelle wird dies nicht ver-
hindern, weil sie es gar nicht verhindern will.

Aber es kommt noch schlimmer: Die in Ihrem Gesetz-
entwurf enthaltene unbestimmte Ausnahmeregelung
schließt sogar Gebühren ab dem ersten Semester nicht
aus. Das wissen Sie auch.


(Dr. Peter Eckardt [SPD]: Das ist sachlich falsch!)


Studentinnen und Studenten spüren genau: 30 Jahre nach-
dem auch die alte Bundesrepublik Studiengebühren abge-
schafft hat, stellen nun nach Union und FDP auch SPD
und Grüne die soziale Öffnung der Hochschulen infrage.
Das steht auch in meiner Presseerklärung.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist trotzdem falsch!)


Das war lange ein Markenzeichen sozialdemokratischer
Bildungspolitik, Herr Loske.


(Zuruf von der SPD: Das ist dummes Zeug, was Sie da erzählen!)


Bildungspolitiker wissen: Die studentischen Organisatio-
nen streiten sich über vieles, aber nicht über Studienge-
bühren. Diese müssen verboten werden, und zwar ohne
Wenn und Aber.


(Beifall bei der PDS)

Die Studierenden lehnen Ihr Gesetz klar ab. In dieser

Frage sprechen der Dachverband der Studierendenvertre-
tungen, fzs, die Juso-Hochschulgruppen und die Grünen-
Hochschulgruppen mit einer Stimme. Dass das die Regie-
rung nicht hören will, kann ich verstehen. Selbst die klaren
Beschlüsse Ihrer eigenen Partei ignorieren Sie souverän.

Auch ich möchte Sie daran erinnern, dass es der Bun-
desparteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutsch-
lands war, der noch im November 2001 gegen das aus-
drückliche Votum von SPD-Bundespolitikern auf einer
uneingeschränkten Sicherung der Gebührenfreiheit be-
standen hat.


(Jörg Tauss [SPD]: Da bin ich überstimmt worden!)


Damit setzen Sie nicht nur Ihre eigene Glaubwürdigkeit,
sondern auch die der parlamentarischen Demokratie aufs
Spiel. Wenn heute eine Tür aufgestoßen wird, Herr Loske,
dann ist es höchstens ein kleiner Spalt. Aber durch diesen
Spalt werden die Studierenden nicht gehen.

Die Alternativen liegen auf dem Tisch. Die PDS hat ei-
nen eigenen Entwurf für eine 6. HRG-Novelle vorgelegt.

Erstens. Wir bleiben bei der klaren Forderung nach ei-
ner Sicherung der Gebührenfreiheit des Studiums.
Deutschland braucht in Zukunft nicht weniger – das ist
richtig –, sondern mehr gut ausgebildete Akademikerin-
nen und Akademiker.


(Beifall bei der PDS)

Die schrittweise Einführung von Studiengebühren
schreckt junge Leute, insbesondere aus Familien mit ge-
ringem Einkommen von der Aufnahme eines Studiums
nachweislich ab.

Zweitens. Wir fordern die Absicherung der verfassten
Studierendenschaften in allen Bundesländern mit dem
Recht, zu gesellschaftlichen Fragen Stellung zu beziehen.


(Beifall bei der PDS)

Drittens. Wir befürworten die Einführung neuer Ba-

chelor- und Masterstudiengänge, soweit die Durchlässig-
keit zwischen den Studiengängen gewährleistet ist.

Viertens. Wir haben einen Vorschlag für eine Über-
gangsregelung zum neuen Fristvertragsrecht vorgelegt
und freuen uns, dass die Koalitionsfraktionen diesen Vor-
schlag aufgegriffen haben.

Noch ein Wort zur FDP. Heuern und Feuern darf nicht
zum Normalfall an Hochschulen werden. Die PDS wird
daher den Änderungsantrag der FDP ablehnen. Liebe
Frau Flach,


(Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/ CSU]: Sie ist wirklich lieb!)


auf der einen Seite reden Sie von einer Entrümpelung des
Hochschulrahmengesetzes. Auf der anderen Seite wollen
Sie detaillierte Regelungen zur Befrisung von Arbeitsver-
trägen ins Gesetz schreiben. Das passt nun wirklich nicht
zusammen und verträgt sich schon gar nicht mit unserer
und Ihrer Zielsetzung, endlich wieder die Tarifpartner
zum Zuge kommen zu lassen.

Zwischen dem Entwurf der Regierungsfraktionen und
dem der PDS liegen bis auf die gravierende Ausnahme der
Studiengebühren keine Welten. Genau das aber ist der
Grund dafür, dass wir Ihrem Gesetzentwurf heute nicht
zustimmen werden. Wer Sicherheit für die Studierenden
will, muss dem Alternativentwurf der PDS zustimmen.


(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423312500
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Dr. Peter Eckardt.


Dr. Peter Eckardt (SPD):
Rede ID: ID1423312600
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Um das noch einmal
klar zu machen: Die sozialdemokratische Bundestags-




Maritta Böttcher
23190


(C)



(D)



(A)



(B)


fraktion ist für ein Verbot von Studiengebühren bis zum
ersten berufsqualifizierenden Abschluss. Diese Position
steht auch in der 6. HRG-Novelle. Alle anderen Interpre-
tationen gehen fehl und dienen nur der Absicht, ein gene-
relles Studienverbot – das gilt für alle, auch für die aus-
ländischen Weiterbildungsstudien – zu diskreditieren.

Ich möchte vorweg auch noch auf etwas zu sprechen
kommen, was Herr Rachel und Frau Flach gesagt haben.
Ich denke nicht, dass die Autonomie der Hochschulen
– das sollten eigentlich alle beherzigen, die sich mit Hoch-
schulpolitik beschäftigen – von dem Recht abhängt, von
denjenigen, die sich ein Studium selber nicht leisten kön-
nen, auf deren Begabung wir aber angewiesen sind, Stu-
diengebühren zu verlangen. Die Autonomie der Hoch-
schulen auf diesen Bereich zu konzentrieren scheint mir
eine Fehlinterpretation der Verpflichtung der Hochschu-
len in Deutschland gegenüber den nachfolgenden Gene-
rationen zu sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte noch etwas anderes deutlich machen
– darauf wird in der Diskussion immer wieder hingewie-
sen –: Es gibt natürlich auch sozialdemokratische Hoch-
schulpolitiker, die andere Vorstellungen von der Funktion
der Universitäten, von deren Rechtssituation und deren
Möglichkeiten haben, Geld zu bekommen. Aber jetzt rede
ich und ich bin der Meinung, die ich Ihnen eben darge-
stellt habe.


(Ulrike Flach [FDP]: Aber die anderen sind zuständig, Herr Dr. Eckardt!)


– Wir werben für unsere Position. Auch ich werde versu-
chen – Sie wissen ja, aus welchem Bundesland ich
komme –, weiterhin dafür zu werben. Wir werden sehen,
wie das ausgeht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die 6. Novelle zum Hochschulrahmengesetz, über die
wir heute diskutieren, verwirklicht in einem wichtigen
Bereich die hochschulpolitischen Ziele der Koalition und
rundet noch in dieser Legislaturperiode die Reformpolitik
der Regierungsparteien sowie der Bildungsministerin in
Wissenschaft und Forschung ab. Die Festschreibung von
bundesweiter und uneingeschränkter Gebührenfreiheit ist
das Kernstück dieser Reform und ein notwendiges bil-
dungspolitisches Signal an Eltern, Studierende sowie an
Schülerinnen und Schüler, dass in Deutschland ein zügi-
ges Erststudium bis zum Prüfungsabschluss keine zu-
sätzlichen finanziellen Belastungen bringen wird.

Die Argumentation, Studiengebühren seien antiquiert
und sozial ungerecht, würden aber den Hochschulen die
notwendigen Finanzmittel zuführen, die sie zur Verbesse-
rung ihrer Infrastruktur dringend benötigten, geht fehl.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Antiquiert waren die Bedingungen zu meiner Studienzeit.
Noch zu Beginn der 70er-Jahre wurden in der damaligen
Bundesrepublik einheitlich 150 bis 160 DM Studienge-
bühren pro Semester erhoben. Lediglich in Hessen galt für
Landeskinder Gebührenfreiheit. Die Kritiker der jetzigen

Regelung können ja einmal nachschauen, wie sich die
Zahlen der Studierenden an den hessischen Hochschulen
in den 60er-Jahren und nach Ende der Studiengebühren an
den Hochschulen des ganzen Landes entwickelt haben.


(Ulrike Flach [FDP]: Das war doch der Babyboom!)


– Mit dem Babyboom lässt sich noch nicht erklären, dass
der Prozentsatz an Abiturienten bei denjenigen höher war,
die zur Babyboomgeneration gehören.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Rachel, ich weiß gar nicht, ob Sie nun für oder ge-

gen Studiengebühren waren. Oder habe ich Sie einfach
nicht richtig verstanden?


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Sie hätten zuhören sollen!)


– Ich glaube, dass Sie ein kräftiges Jein gesagt haben und
dass Sie sich erst noch rückversichern müssen. Ist das so
richtig?


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Sie haben das noch immer nicht verstanden! – Jörg Tauss [SPD]: Stoiber hat nichts dazu gesagt!)


– Gut, dann habe ich das nicht verstanden.
Auch prominente Verfechter von Studiengebühren ha-

ben in den 70er- und 80er-Jahren als Erste aus ihren
Familien an einer Hochschule gebührenfrei studiert und
fordern jetzt Studiengebühren, wenn auch sozial verträg-
liche. Wie man hört, hat auch Baden-Württemberg
Schwierigkeiten, für die Abgrenzung des Sozialverträg-
lichen eine glaubhafte Definition zu finden.

Eine wichtige Regelung der 5. HRG-Novelle für
befristete Arbeitsverhältnisse wird in der 6. Novelle
noch einmal klargestellt. § 57 b des HRG enthält eine
Übergangsregelung, die viele Fragen der unmittelbar Be-
troffenen aus den Hochschulen beantwortet und bei In-
teressenkonflikten zwischen Hochschulverwaltungen und
Bediensteten einen klärenden Eingriff möglich macht.
Diese Übergangsregelung beträgt für Wissenschaftlerin-
nen und Wissenschaftler drei Jahre sowie für studentische
Hilfskräfte ein Jahr. Befristete Arbeitsverhältnisse spielen
an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen, wie
alle wissen, eine wichtige, aber in vielen Bereichen eine
andere Rolle als in der privaten Wirtschaft. Die Stellenin-
haber haben in Forschung und Lehre wichtige Aufgaben:
Sie werben Drittmittel ein und leisten einen großen Bei-
trag zum Ansehen unserer Hochschulen. Das Verhältnis
befristeter zu unbefristeten Stellen im akademischen Mit-
telbau sollte aber ausgewogen sein und sich nicht zuguns-
ten der lebenslang befristet Beschäftigten verschieben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nachdem ich mit vielen gesprochen habe, appelliere
ich auch hier an die Personalabteilungen der deutschen
Hochschulen, die möglicherweise falsch verstandene
Regelung der befristeten Arbeitsverhältnisse nicht dazu
zu benutzen, in manchen Fachbereichen Personalabbau
zu betreiben, indem sie keine befristeten Arbeitsverhält-
nisse mehr unterschreiben, weil sie befürchten, vor




Dr. Peter Eckardt

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(C)



(D)



(A)



(B)


Arbeitsgerichten Klagen von Betroffenen auf dauerhafte
Anstellung zu verlieren. Die jetzigen Regelungen des HRG
und ihre Klarstellungen im Teilzeit- und Befristungsgesetz
reichen völlig aus, um dieses Problem zu lösen.

Die 5. und die 6. HRG-Novelle ermöglichen es den
Hochschulen, ihrer gesellschaftlichen Aufgabe unter
geänderten internationalen und nationalen Bedingungen
gerecht zu werden und ihre Leistungsfähigkeit weiter
zu steigern. Daher bitte ich Sie, unserer Novelle zuzu-
stimmen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423312700
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Dr. Gerhard Friedrich für die CDU/CSU-
Fraktion.


Dr. Gerhard Friedrich (CSU):
Rede ID: ID1423312800
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kol-
legin Flach, Sie haben uns hier einen sehr langen Antrag
vorgelegt, der in den Ausschuss gehört. Ich bin nicht in
der Lage, in einer Stunde sieben Seiten zu beurteilen.
Aber ich sage Ihnen, warum ich den Antrag ablehne.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Er ist auch nicht ernst gemeint!)


Auf Seite 1 Ihres Antrags ist von umfassender Autonomie
der Hochschulen die Rede. Ich empfehle Ihnen, einmal
mit dem bayerischen Wissenschaftsminister Zehetmair
darüber zu reden, wohin das führt. In Bayern sind wir
stolz darauf, dass sich die Besten nach Bayern berufen las-
sen – nicht alle, aber viele.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Die bewerben sich in München, aber nicht woanders in Bayern!)


Würden wir in Bayern immer die Vorschläge der Fakultä-
ten berücksichtigen, würden wir nicht immer die Besten
berufen. Da gibt es Seilschaften und von manchem wird
die eigene Klientel bedient.


(Ulrike Flach [FDP]: Das gibt es aber in jedem Beruf!)


– Dabei muss man nicht immer mitmachen. Ich bin für
mehr Autonomie, aber nicht für die totale Autonomie.
Wegen dieses völlig falschen Satzes kann ich Ihrem An-
trag, der im Übrigen sehr viel Richtiges enthält, nicht zu-
stimmen.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Meinen Sie mit den Seilschaften den Fall Oberreuter? Sagen Sie doch mal was zum Fall Oberreuter!)


90 Prozent Ihres Antrages würde ich zustimmen. Aber da
in ihm ein völlig falscher Satz enthalten ist, kann ich nicht
mehr zustimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn wir über die Hochschulreform reden, sollten wir

uns darüber verständigen, welche Ziele wir verfolgen.

Wenn ich mich richtig entsinne, haben wir bei der so ge-
nannten Rüttgers-Reform,


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Wer ist denn das?)


der Sie ja zugestimmt haben, Frau Bulmahn, gesagt, wir
wollten mehr Leistung durch mehr Wettbewerb. Das ist
die Zielsetzung. Mit der Kollegin Flach und der FDP bin
ich der Auffassung, dass es Wettbewerb zwischen einzel-
nen Hochschulen, aber auch zwischen den verschiedenen
Hochschulsystemen der Länder geben muss. Wettbewerb
kann es aber ohne gewisse Spielregeln nicht geben.

Deshalb ist meine Arbeitsgruppe nicht der Auffassung,
dass man das Hochschulrahmengesetz ersatzlos abschaf-
fen kann. Wir diskutieren ebenso wie die SPD über den
richtigen Inhalt von Wahlprogrammen. Bei uns wird über
dieses Thema in der nächsten Woche entschieden. Viel-
leicht werde ich zu den Verlierern gehören; das werde ich
dann gelassen ertragen. Aber ich setze mich nicht für die
ersatzlose Abschaffung des Hochschulrahmengesetzes
ein; denn Wettbewerb ohne Spielregeln kann nicht funk-
tionieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich komme zum nächsten Thema, das Sie in Ihrer No-

velle ansprechen, Frau Bulmahn, nämlich zum Verbot von
Studiengebühren. Herr Loske, obwohl Sie sonst ein
nachdenklicher Mensch sind, haben Sie heute die Zuhö-
rer verwirrt, indem Sie gesagt haben, Studiengebühren für
Langzeitstudenten seien schlecht, dies aber in Ihrem Ge-
setzentwurf nicht verboten haben. Es geht um Studienge-
bühren für das Erststudium. Hier bin ich mit Ihnen der
Meinung, dass es so wie gegenwärtig nicht gehen kann.

Wir brauchen wegen der sozialen Abfederung – man
kann es auch anders beschreiben – entweder ein völlig
neues Stipendiensystem oder eine Regelung, wonach
Studiengebühren so lange gestundet werden, bis derje-
nige, der studiert hat, im Beruf, beispielsweise als Chef-
oder Oberarzt, kräftig verdient.


(Ulrike Flach [FDP]: So ist es!)

In diesem Punkt sind wir uns noch nicht einig. So müss-
ten wir uns zunächst intensiv mit dem so genannten aus-
tralischen Modell befassen. Wenn wir diese Dinge geprüft
haben, dann kann ich sagen, ob ich für oder gegen Studi-
engebühren bin.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Das zeigt ein Blick in die europäischen Länder!)


Ich will nachdenken, Frau Ministerin, Sie aber wollen das
Denken verbieten. Das verstehe ich nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Auch der zuständige niedersächsische Minister will nach-
denken. Auch Herr Glotz, Ihr Vorgänger als bildungspoli-
tischer Sprecher der Fraktion, ist für Studiengebühren.


(Dr. Peter Eckardt [SPD]: Da muss er nicht Recht haben, Herr Friedrich!)


– Er muss nicht Recht haben, aber setzen wir doch einmal
den Streit fort.




Dr. Peter Eckardt
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(C)



(D)



(A)



(B)


Es ist wirklich seltsam: Kein Land hat, soweit ich weiß,
ernsthaft die Absicht, in den nächsten Jahren Studienge-
bühren für das Erststudium einzuführen.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Dann schreiben wir es doch auf!)


– Nein. – Damit verbieten Sie etwas, was niemand zurzeit
machen will. Das ist doch abwegig.


(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Wir brauchen es doch nicht zu verbieten, wenn es nicht eingeführt wird!)


– Regen Sie sich doch nicht so auf!
Diese Debatte wird in ungefähr drei Jahren beendet

sein, dann werden der Kollege Rachel und ich wissen, ob
wir für Studiengebühren sind.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Wenn es eingeführt ist, verbieten wir es!)


Ich könnte Ihnen jetzt eine Schlagzeile vorlesen, in der an
Herrn Berninger, den ich sehr schätze, die Frage gestellt
wird: „Herr Berninger, seit wann sind Sie denn für Studi-
engebühren?“ Die Grünen haben das doch in der Fraktion
diskutiert; auch Herr Berninger, nicht gerade der unbe-
deutendste Bildungspolitiker der Grünen,


(Jörg Tauss [SPD]: Ist er da?)

sondern einer der besten,


(Beifall der Abg. Ulrike Flach [FDP])

hat ernsthaft über Studiengebühren nachgedacht. Warum
sollte man ihm das denn verbieten, Frau Ministerin
Bulmahn? Ich verstehe das nicht.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Nachdenken wird doch nicht verboten!)


Damit es zu keiner Verleumdung kommt, möchte ich
festhalten, dass ich zurzeit weder für noch gegen Studien-
gebühren bin, sondern dafür, dass wir die noch nicht ab-
geschlossene Diskussion fortsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Irgendwann werden wir entscheiden müssen. Es gibt bei
uns wie auch bei der SPD unterschiedliche Meinungen.
Zurzeit sitzt Frau Bulmahn zwischen allen Stühlen.


(Ulrike Flach [FDP]: So ist es!)

Der Parteitag ist für das Verbot aller Studiengebühren;
Herr Glotz ist für Studiengebühren;


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Halten Sie sich doch an das, was wir hier vorlegen! Halten Sie sich doch an den Gesetzentwurf!)


der Wissenschaftsminister von Niedersachsen ist eigent-
lich für Studiengebühren. Lassen Sie den Mann doch
nachdenken.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Wir diskutieren hier über einen Gesetzentwurf und nicht über Zitate!)


Nebenbei möchte ich noch auf das Problem der Bil-
dungsgutscheine eingehen, weil man auch dabei aufpas-

sen muss. Es gibt zweierlei Arten von Bildungsgutschei-
nen: zum einen das Modell aus Rheinland-Pfalz – darüber
kann man diskutieren –, das Gebührenfreiheit während
des Erststudiums sichert, wenn man zügig studiert.


(Ulrike Flach [FDP]: So ist es!)

Ich bin dafür, auch über ein weiteres Modell zu diskutie-
ren. Nach diesem Modell werden die Beträge für die
Grundfinanzierung der Hochschulen gekürzt, dafür wird
aber jedem Abiturienten ein Gutschein ausgehändigt, den
er dort, wo er studiert, abliefern muss. Hier geht es um et-
was anderes als bei dem Modell aus Rheinland-Pfalz. Das
Problem aber ist, dass nicht alle Länder mitmachen. Ber-
lin wäre beispielsweise dafür, weil es mehr Studenten im-
portiert als exportiert und davon profitieren würde. Frau
Bulmahn, lassen Sie uns die Dinge doch in Ruhe disku-
tieren und verbieten Sie die Dinge nicht.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir doch!)


Jetzt noch eine letzte Anmerkung zu den Studieren-
denschaften.Das Wort sollte man verbieten. Ich verstehe
nicht, wie man die deutsche Sprache so verhunzen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Außerdem bleibe ich, Herr Kollege Loske, bei meinem
Standpunkt, dass dieses nicht progressiv, sondern reak-
tionär ist. Sie führen den Ständestaat in Deutschland wie-
der ein. Das ist mittelalterlich.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Darauf sind Sie noch stolz. Lesen Sie einmal in der Staats-
lehre – das ist keine Polemik –


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Auf keinen Fall!)


nach, woher die Zwangskörperschaften kommen. Sie
kommen – ich erinnere an Zünfte usw. – aus dem Mittel-
alter. Dennoch sind Sie stolz darauf, das in Deutschland
vorzuschreiben.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Jetzt fängt der wieder mit den Handwerkskammern an! Das ist vermintes Gelände für Sie!)


– Die haben doch vernünftige Aufgaben, Herr Kollege.
Ich war vier Jahre im Studentenparlament. Wir hatten

doch keine vernünftigen Aufgaben. Was haben wir ge-
macht? Wir haben das Geld, das man uns gegeben hat, für
jeden möglichen Unsinn ausgegeben.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Ja, das haben Sie beim RCDS gemacht!)


Wir haben damals, 1968/69, über Vietnam diskutiert. Ich
weiß nicht, ob die Amerikaner jemals erfahren haben, was
wir im Erlanger Studentenparlament im Hinblick auf
Vietnam beschlossen haben.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Vielleicht war es trotzdem nicht falsch! – Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz falsche Einstellung!)





Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen)


23193


(C)



(D)



(A)



(B)


– Nein, Herr Kollege Loske. – Ich betone: Auch die Taxi-
fahrer gehören keiner Zwangskörperschaft aller Taxifah-
rer an; dennoch haben sie demokratische Beteiligungs-
rechte in diesem Staat.


(Beifall bei der CDU/CSU)

In den verfassten Studentenschaften passiert permanent

Missbrauch. Frau Ministerin Bulmahn, Sie lösen ein Pro-
blem, das den meisten Studenten gar nicht bekannt ist. Ei-
nem Aufruf zur Teilnahme an einer Demonstration für die
verfasste Studierendenschaft würden in meinem Wahlkreis
20 linke Hochschulstudenten und zehn altlinke 54-jährige
Lehrer, die sich an die 68er-Zeiten erinnern können, folgen.
Zwar sieht sonst kein Mensch irgendein Problem; aber Sie,
Frau Bulmahn, lösen es. Dafür habe ich kein Verständnis.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulrike Flach [FDP])



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423312900
Jetzt hat der Kollege
Jörg Tauss für die SPD-Fraktion das Wort.


Jörg Tauss (Plos):
Rede ID: ID1423313000
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen! Liebe Kollegen! Ich war 1968 15 Jahre alt. Damals
war ich noch nicht in irgendeinem Studentenparlament.
Damals waren wir im Schülerparlament hochaktiv und
haben Schülerarbeit gemacht. Herr Kollege Friedrich,
man sieht an uns allen, dass dabei etwas Ordentliches he-
rausgekommen ist. Wenn junge Menschen diskutieren,
dann kann das nicht schaden.

Was hier vorgetragen worden ist, ist zum Teil schon
putzig. Lieber Kollege Rachel, zunächst möchte ich Ihnen
eine kleine Geschichte erzählen. Ich habe kürzlich einen
fehlgeleiteten Brief bekommen, den ich mir trotzdem
– ich gebe es zu – angeschaut habe. Der Brief war vom
Ring Christlich-Demokratischer Studenten. Der Brief
enthielt die Bitte, dem RCDS Argumente zu liefern, mit
denen er ein Plakat gegen die Bundesregierung gestalten
könne. Dieser Brief ist versehentlich bei der SPD gelan-
det. Mittlerweile weiß ich: Der RCDS wäre von Ihnen
falsch informiert worden. Also habe ich den Ring Christ-
lich-Demokratischer Studenten über unsere Hochschular-
beit aufgeklärt. Ich nehme an, man war von dieser Auf-
klärung außerordentlich beeindruckt. Kollege Rachel, ich
habe allerdings vergessen, Ihnen eine Kopie dieses
Schreibens zukommen zu lassen; deswegen möchte ich an
dieser Stelle eine kleine Nachhilfestunde geben.


(Zuruf des Abg. Thomas Rachel [CDU/CSU])

– Sie müssen sich die Bilanz schon in Ruhe anhören.

Nachdem Sie an unserer Bilanz herumgemäkelt haben
– das stört mich generell –, möchte ich Ihnen nun mittei-
len, was wir hochschulpolitisch getan haben. Jetzt hören
Sie einmal zu! Wir haben ein neues Dienstrecht auf den
Weg gebracht. Herr Kollege Friedrich, nachdem in den
Jahren Ihrer Regierungszeit der Muff unter den Talaren
herrschte, haben wir uns gesagt: Wir müssen die verkrus-
teten Strukturen aufbrechen.


(Beifall bei der SPD)

Das geschah übrigens mit Zustimmung eines Teils der
Professorenschaft.

Herr Rachel, Sie gehören im Grunde genommen – ich
weiß, es wird in Ihren Reihen sehr differenziert gesehen –
zur Lobby der Professoren. Dazu zählen nicht viele. Es gab
leider noch zu viele Professoren, die ihre Assistenten, die
jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, bis ins
hohe Alter in Abhängigkeit gehalten haben. Das war ihnen
recht und billig. Sie waren relativ preiswerte Arbeitskräfte.
Wir haben die Juniorprofessur eingeführt und die Hoch-
schuldienstrechtsreform durchgeführt, damit diejenigen,
die in jungen Jahren eine internationale wissenschaftliche
Karriere machen wollen, nicht mehr ins Ausland, in die
USA, gehen müssen. Dies sind wichtige Erfolge der Bun-
desregierung und der sie tragenden Koalition.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben das BAföG erhöht. Auch darüber haben wir

schon geredet.

(Ulrike Flach [FDP]: Aber zu wenig!)


Wir haben mit dem Bildungskredit ein völlig neues In-
strumentarium geschaffen. Frau Kollegin Flach, Ihrerseits
hat es damals an Fantasie gefehlt, solche neuen Instru-
mente zu schaffen. Gähnen Sie nicht! Hören Sie zu! Wir
haben all das getan, was Sie damals nicht getan haben. Ich
wiederhole: Wir haben den Bildungskredit auf den Weg
gebracht.


(Zuruf von der CDU/CSU)

– Man kann es nur immer wieder formulieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben den Hoch-
schulbau, der unter Ihrer Regierungsverantwortung jahre-
lang stagniert hat, vorangebracht. Sie standen bei den Län-
dern in der Kreide; Sie haben das Geld an die Länder nicht
mehr überwiesen, Sie haben den Hochschulbau an die
Wand gefahren. Wir haben die Mittel für den Hochschul-
bau in diesem Land um 20 Prozent erhöht. Das ist Fakt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Mittel flossen in Großgeräte.

(Zuruf des Abg. Thomas Rachel [CDU/CSU])


– Ja, wo leben Sie denn? Ich habe eine Uni vor der Haus-
tür, fünf Minuten von meinem Büro entfernt; ich sehe,
was in Karlsruhe gebaut wird. Aus dem Bundesetat wer-
den gerade wieder 60 Millionen für die Nanotechnologie
bereitgestellt.

Schauen Sie sich auch in den Hochschulen in Bayern
an, in welchem Umfang Mittel des Bundes nach Bayern
fließen. Ich weiß, Sie machen damit Öffentlichkeitsarbeit,
aber wir geben das Geld, damit auch in Bayern die Besten
nicht gehen, sondern bleiben.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch! – Ulrike Flach [FDP]: Sie wissen doch, dass die Länder das finanzieren!)


– Ein paar Leute gibt es, die Sie der Hochschule aufs Auge
drücken wollen, CDU/CSU-Spezis, aber das ist eine spe-
zielle Situation.


(Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/ CSU]: Herr Glotz war besser!)





Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen)

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(A)



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– Peter Glotz ist ein hervorragender Mann; das ist doch
völlig klar. Ich bin doch nicht so vermessen zu sagen, ich
wäre besser als Peter Glotz.


(Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/ CSU]: Der hat nicht solchen Unsinn gesagt!)


Aber auch Peter Glotz kann irren; hinsichtlich der Studi-
engebühren ist das der Fall. Sonst irrt er nicht, aber in dem
Punkt tut er es.


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Wir sind noch nicht bei der Gotteslästerung!)


Wir haben das Hochschulmarketing gebündelt. Herr
Kollege Friedrich, Sie waren dabei: Als wir in dieser fan-
tastischen Sitzung über internationales Hochschulmarke-
ting sprachen, kam Herr Rüttgers auf die Idee – Sie ken-
nen seine bedächtige Art; er ist beim Reden immer fast
eingeschlafen –, wir könnten vielleicht eine CD-ROM
machen, um deutsche Hochschulen im Ausland vorzu-
stellen. Das war der Höhepunkt dessen, was Ihnen zum
Thema Hochschulmarketing einfiel.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben Millionenbeträge in das Hochschulmarketing
gesteckt, damit die Hochschulen eine Chance haben, sich
auch im Ausland zu präsentieren.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423313100
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Friedrich?


Jörg Tauss (Plos):
Rede ID: ID1423313200
Aber selbstverständlich, lieber
Kollege Friedrich. Ich bin immer noch bei der Bilanz; ich
trage sie wirklich gern vor.


Dr. Gerhard Friedrich (CSU):
Rede ID: ID1423313300
Ja, bei
der Bilanz sind Sie tatsächlich, aber nicht bei der Sache.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Herr Kollege Tauss, weil Sie gerade über Hochschul-
marketing geredet haben, frage ich Sie: Wie erklären Sie
sich, dass die meisten Studenten zum Beispiel aus Asien
in Länder gehen, die Studiengebühren erheben, zum Bei-
spiel in die USA?


Jörg Tauss (Plos):
Rede ID: ID1423313400
Um bei Karlsruhe zu bleiben: Wir
haben dort im Bereich Informatik einen hervorragenden
Anteil von ausländischen Studierenden, knapp 25 Pro-
zent. Sehr viele davon kommen aus Asien.

Die Entscheidung, ob jemand ein Studium in einem an-
deren Land aufnimmt, hängt doch nicht davon ab, ob Stu-
diengebühren erhoben werden. Sie hängt von der Qualität
der jeweiligen Hochschule ab. Seit wir dafür gesorgt ha-
ben, dass die Hochschulen besser werden, kommen auch
wieder mehr ausländische Studierende.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Heute Morgen haben wir von Herrn Ministerpräsident

Stoiber wieder gehört: Er hat Angst vor Ausländerinnen

und Ausländern auch an den Hochschulen. Wenn Sie auf-
hören, das Zuwanderungsgesetz in der Form zu blockie-
ren, wie Sie es getan haben, dann ist die Chance, dass wir
Ausländerinnen und Ausländer für ein Studium in
Deutschland gewinnen können, noch viel besser.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Australien ist ein gutes Beispiel. Es ist richtig, dort gibt es
in der Tat eine starke Zunahme von Studierenden aus asia-
tischen Ländern. Parallel dazu ist – ähnlich wie in Öster-
reich und in anderen Ländern – der Anteil australischer
Studierender aus sozial schwächeren Elternhäusern in den
Universitäten dramatisch zurückgegangen. Auch das ist
eine Folge des australischen Modells. Ich bitte Sie also,
nicht nur die eine Seite zu betrachten, sondern auch die
andere.

Zurück zu unserer Hochschulreform: Die erfolgreiche
Bilanz, die wir in diesem Zusammenhang nach vier Jah-
ren vorzutragen haben, wird durch die heute zur Beratung
vorliegende weitere Novelle abgerundet. Ich weiß gar
nicht, was Sie daran herumkritteln.

Wir haben gesagt, wir machen eines nach dem anderen,
erst die vierte, dann die fünfte und anschließend die sechs-
te Änderung des Hochschulrahmengesetzes; wir werden
die Probleme der Reihe nach angehen, die Sie uns in Form
eines Reformstaus hinterlassen haben.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD], an die CDU/ CSU gewandt: Sonst könnten Sie uns doch geistig überhaupt nicht mehr folgen!)


Nach der Dienstrechtsreform wenden wir uns nun der
Frage der Studiengebühren und der Frage der verfassten
Studierendenschaft zu.

Meine Kolleginnen und Kollegen und insbesondere
Herr Kollege Friedrich, ich weiß nicht, wo Sie während
der Anhörung gewesen sind.


(Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/ CSU]: Anwesend waren wir!)


In wirklich beeindruckenden Worten haben uns die Stu-
dierenden Fälle geschildert, dass Studierendenvertreter
im Rahmen ganz normaler gesellschaftspolitischer Tätig-
keit, die sogar zu ihren Studiengängen gehört hat, von
rechtsradikalen Studierendenorganisationen mit Prozes-
sen wegen Veruntreuung und anderer Delikte überzogen
worden waren. Wir stoppen diesen Unfug und sagen: Es
gibt auch an der Hochschule eine Demokratie und Arti-
kulationsmöglichkeiten.


(Beifall bei der SPD)

Aus diesem Grund werden wir bundesweit dafür sorgen,
dass Studierende verantwortungsbewusst in demokrati-
schen Gremien mitwirken. Sie tun es heute übrigens ver-
antwortungsbewusster, als es zu Ihren Zeiten war. 1968
war ja nicht alles ganz in Ordnung, wie man gehört hat;
ich habe es von weitem verfolgt. Dagegen sind die heuti-
gen Studierenden doch wirklich brav. Heute sind ein paar
Flugblättchen geflogen; aber das ist alles, was da gele-
gentlich geschieht. Wir sollten den heutigen Studierenden
nicht vorwerfen, sie würden das politische Mandat in ir-
gendeiner Form missbrauchen. Wir geben es ihnen auch
nicht, sondern sie haben die Möglichkeit, sich hier ord-
nungsgemäß zu betätigen.




Jörg Tauss

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Ob Sie die Studiengebühren wollen oder nicht wol-
len, weiß ich nicht. Sie reden viel über Familiengeld, Sie
erzählen den Leuten, was sie alles kriegen. Ich glaube,
heute wäre es notwendig gewesen, klar zu sagen, was Sie
eigentlich wollen.


(Ulrike Flach [FDP]: Sie sollten mal sagen, was Sie wollen!)


Wenn Sie ein Familiengeld wollen, was Sie angekündigt
und propagiert haben – ganz abgesehen davon, dass es
nicht finanzierbar ist –, und parallel dazu den Leuten sa-
gen, dass Sie es ihnen über Studiengebühren an den Hoch-
schulen wieder wegnehmen, wenn ihre Kinder studieren,
dann halte ich das für eine familienpolitische Rosstäu-
scherei. Das müssen Sie sich an der Stelle schon vorwer-
fen lassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423313500
Herr Kollege, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie sind eine einzige Karikatur!)



Jörg Tauss (Plos):
Rede ID: ID1423313600
Schade, ich muss zum Schluss
kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


– Danke für Ihren Beifall. Sie haben jetzt begriffen, wie
erfolgreich unsere Bilanz ist. Die Fragen, die uns zu Be-
ginn der Legislaturperiode gestellt worden sind, haben
wir positiv beantwortet. Die Bilanz ist gut. Mit der heute
vorliegenden Novelle – ich bitte um Zustimmung –
schließen wir das Thema ab. Frau Kollegin Böttcher, Sie
haben immer kritisiert, wir würden unser Versprechen
nicht halten. Wir haben es gehalten.


(Ulrike Flach [FDP]: Nein, nein!)

Was uns verfassungsrechtlich möglich ist, machen wir.
Also loben Sie uns. Das muss nicht immer sein, aber sa-
gen Sie nichts Falsches.


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Kein falsches Zeugnis ablegen!)


Du sollst nicht falsches Zeugnis reden wider deinen
Nächsten: Das gilt auch für die PDS.


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Auch für Sie, Herr Tauss!)


Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423313700
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über
den von den Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die
Grünen eingebrachten Gesetzentwurf auf Drucksache

14/8361 zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes.
Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol-
genabschätzung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 14/8878, den Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung anzunehmen. Es liegt ein Ände-
rungsantrag der FDP vor, über den wir zuerst abstimmen.

Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
14/8905? – Gegenprobe! –


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Das sind aber keine 18 Prozent! – Ulrike Flach [FDP]: Wir sind steigerungsfähig!)


Enthaltungen? – Gegen die Stimmen der FDP ist der Än-
derungsantrag abgelehnt.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der
PDS ist der Gesetzentwurf damit in zweiter Beratung an-
genommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
dagegen ist, möge sich jetzt erheben. – Wer enthält
sich? – Bei gleicher Stimmenverteilung wie eben ist der
Gesetzentwurf angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 14/8878 empfiehlt der Ausschuss für Bildung, For-
schung und Technikfolgenabschätzung, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 14/8732 zur
Änderung des Hochschulrahmengesetzes für erledigt zu
erklären. – Sie sind alle für diese Beschlussempfehlung.
Dann ist es so beschlossen.

Nun kommt die Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/8295 zur Ände-
rung des Hochschulrahmengesetzes. Der Ausschuss für
Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung emp-
fiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 14/8878, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – An so einem Nachmittag müssen wir klare
Entscheidungen treffen. Der Gesetzentwurf ist in zweiter
Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Ge-
schäftsordnung die weitere Beratung.

Unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 14/8878 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/7077
mit dem Titel „Ein neues Hochschuldienstrecht für eine
moderne, leistungsfähige und attraktive Bildung und For-
schung in Deutschland“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der FDP
bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen.

Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung des Schlussberichts der Enquete-Kom-
mission „Demographischer Wandel – Heraus-




Jörg Tauss
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(C)



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forderungen unserer älter werdenden Gesell-
schaft an den Einzelnen und die Politik“
– Drucksache 14/8800 –

Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der
SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und
der FDP vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Das ist so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Walter Link für die CDU/CSU-Fraktion.


Walter Link (CDU):
Rede ID: ID1423313800
Verehrte Frau
Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Schlussbericht
der Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“,
den wir hier heute diskutieren, findet eine parlamentari-
sche Arbeit von fast zehn Jahren, die sich über drei Wahl-
perioden erstreckt hat, ihren Abschluss. Frau Präsidentin,
das gibt mir die Gelegenheit, da Sie genau vor zehn Jah-
ren als Vorsitzende den Startschuss gegeben haben, Ihnen
dafür heute herzlich zu danken.


(Beifall im ganzen Hause)

Im Jahre 1992 hat die erste Enquete-Kommission ihre

Arbeit aufgenommen. Diese und die in der 13. Wahlperi-
ode erneut eingesetzte Kommission haben im Juni 1994
und im September 1998 zwei umfangreiche Zwischenbe-
richte vorgelegt. Der jetzige Bericht ist mit seinen neuen
Schwerpunkten zugleich ein Abschluss der zehnjährigen
Arbeit.

Mein besonderer Dank gilt darum den sachverständi-
gen Mitgliedern unserer Kommission, die aus der gesam-
ten Wissenschaft kommen und maßgeblich dazu beigetra-
gen haben, dass die Arbeit erfolgreich abgeschlossen
werden konnte.


(Beifall im ganzen Hause)

Die Damen und Herren Wissenschaftler, die zum Teil

zehn Jahre mitgearbeitet haben, sitzen bei der heutigen De-
batte auf der Tribüne. Ihnen rufe ich besonderen Dank zu.


(Beifall im ganzen Hause)

Ich weiß, dass der eine oder andere jetzt gern hier vorne

stehen und seine Erfahrungen schildern würde. Leider
lässt das die Geschäftsordnung unseres Hauses nicht zu.

Eine der wichtigsten Voraussetzungen für einen frucht-
baren Dialog ist, dass man sich gegenseitig zuhört. Politi-
ker und Wissenschaftler haben dies getan. So entstand
eine konstruktive Arbeitsatmosphäre. In der Tat gehört
das fruchtbare Zusammenwirken von Wissenschaft und
Politik, wie ich es als Vorsitzender der Kommission über
zwei Wahlperioden erlebt habe, für mich zu den nach-
haltigsten positiven Erfahrungen in meiner politischen
Arbeit.

Mein besonderer Dank gilt auch jeder Mitarbeiterin
und jedem Mitarbeiter aus unserem Sekretariat, die, ohne
nach Zeit und Stunden zu schauen, stets vollsten Einsatz
gezeigt haben.

Angesichts von acht Jahren Vorsitz hat man viel zu
danken. Insofern will ich meinen Dank auch an die Spre-
cherinnen und Sprecher richten, die in den Obleute-Ge-
sprächen immer sehr konstruktiv zusammengearbeitet
haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Alters-
struktur in Deutschland wird sich in den nächsten Jahren
stark verändern. Immer weniger jungen Menschen stehen
immer mehr ältere Menschen gegenüber. Es ist schlimm,
wenn in diesem Zusammenhang von einer vergreisenden
oder vergrauten Gesellschaft oder gar von einem Rent-
nerberg gesprochen wird. Wir haben weder eine alte,
graue Gesellschaft noch einen Rentnerberg, sondern wir
haben Probleme, die mit den von der Kommission erar-
beiteten Handlungsempfehlungen gelöst werden können.

Die rasanten Veränderungen wecken ebenfalls Be-
fürchtungen im Hinblick auf die Beziehungen zwischen
den Generationen. Es wird vor einer Verschlechterung des
Verhältnisses zwischen Jüngeren und Älteren gewarnt.
Der Blick auf die tatsächlichen Beziehungen zeigt jedoch,
dass solche Befürchtungen wenig realistisch sind. In den
Familien machen sich die Folgen des demographischen
Wandels zwar bemerkbar. Dies hat sich jedoch nicht un-
bedingt nachteilig auf die gelebte Solidarität in der Fami-
lie ausgewirkt. Selbst wenn die Familienmitglieder nicht
mehr an einem Ort zusammenleben, bleiben die Kontakte
und die emotionalen Bindungen häufig eng. Das stimmt
mich hoffnungsfroh.

Politik muss darauf ausgerichtet sein, diese Bindungen
und dieses Hilfepotenzial zu stärken. Der Schlussbericht
der Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“
analysiert und bewertet die politischen und gesellschaft-
lichen Herausforderungen anhand von fünf Themenberei-
chen. Diese sind: das Verhältnis der Generationen, Arbeit
und Wirtschaft, Zuwanderung und die Integration der Zu-
gewanderten, die Alterssicherung sowie die Bereiche Ge-
sundheit, Pflege und soziale Dienste. Schon auf den ers-
ten Blick wird deutlich, dass es sich hierbei nicht nur um
für die Gesellschaft und den Einzelnen grundlegende,
sondern auch um hochaktuelle politische Tagesfragen
handelt. Umso mehr freut mich darum, dass von der Kom-
mission die fachliche Analyse zu allen Themenbereichen
vorgenommen wurde. Sogar die politischen Hand-
lungsempfehlungen wurden zu einem Großteil einver-
nehmlich beschlossen.

Allerdings haben der nahende Wahlkampf und die ak-
tuellen politischen Kontroversen dazu beigetragen, dass
bei einigen Themen die unterschiedlichen Auffassungen
in Sondervoten zum Ausdruck kamen, so zum Beispiel bei
der Gesundheit oder bei der Zuwanderung. Trotzdem sind
die wesentlichen Unterschiede bei den Empfehlungen
nicht so groß, wie die Anzahl der Sondervoten im Bericht
es vielleicht vermuten lässt. An dieser Stelle fordere ich
schon jetzt den nächsten Deutschen Bundestag auf, unsere
Handlungsempfehlungen zu realisieren.

Die Ergebnisse der Kommission können dazu beitra-
gen, die Diskussion über die Folgen des demographi-
schen Wandels zu entdramatisieren. Eine optimale Be-
völkerungsgröße und Altersstruktur gibt es nicht. Was es
gibt, ist die Herausforderung an die Gesellschaft und an




Vizepräsidentin Anke Fuchs

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(B)


die Politik, veränderte demographische Rahmenbedin-
gungen zur Kenntnis zu nehmen und sich ihnen zu stellen.
Handlungsbedarf für die Politik – das ist keine neue Er-
kenntnis – besteht bei vielen politischen Themen im Be-
reich der Wirtschaft und der Arbeit ebenso wie in den ver-
schiedenen Zweigen der sozialen Sicherung. Überall
muss das Verhältnis der Generationen neu überdacht
werden.

Keine Frage: Der demographische Wandel in der Bun-
desrepublik Deutschland wird zu gravierenden Änderun-
gen in allen Bereichen führen müssen. Es wird aber keine
Katastrophe geben, wenn jetzt die richtigen Entschei-
dungen getroffen werden. Dies kann nur geschehen, wenn
es den Politikern zusammen mit den Wissenschaftlern ge-
lingt, in den von mir genannten Politikfeldern zu einem
vernetzten politischen Handeln zu kommen; denn alle
Bereiche bedingen einander. Die Enquete-Kommission
„Demographischer Wandel“ legt in ihrem Schlussbericht
dar, dass die Politik diese Aufgaben bewältigen kann.

Zum Abschluss will ich noch einmal allen Mitgliedern
der Kommission ein herzliches Wort des Dankes sagen.
Wir haben, glaube ich, bewiesen – das sage ich mit einem
gewissen Stolz –, dass man die schwierigsten politischen
Themen in einer guten Atmosphäre aufgreifen und disku-
tieren kann, um die Ergebnisse zu erreichen, die Politik
und Wissenschaft gemeinsam umsetzen können.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall im ganzen Hause)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423313900
Herr Kollege Link,
Sie haben mich freundlicherweise erwähnt. Das gibt mir
Gelegenheit, der ganzen Kommission sehr herzlich dafür
zu danken, dass sie meine Arbeit fortgesetzt hat. Es ist
eine wichtige Arbeit. Wir hoffen, dass alle Mitglieder des
Deutschen Bundestages den ganzen Bericht lesen und
sich zu Herzen nehmen. Dann würden wir partei-
übergreifend eine gute Politik machen. Herzlichen Dank
für Ihr Engagement!


(Beifall im ganzen Hause)

Nun erteile ich der Kollegin Gabriele Iwersen für die

SPD-Fraktion das Wort.


Gabriele Iwersen (SPD):
Rede ID: ID1423314000
Frau Präsidentin! Meine
Damen! Meine Herren! In zeitaufwendigen Diskussionen
ist nach gemeinsamen Denkansätzen gesucht worden.
Sondervoten waren nur bei wirklich unüberbrückbaren
Meinungsverschiedenheiten akzeptiert worden. Die elf
Sachverständigen als ständige Mitglieder der Kommis-
sion haben dazu beigetragen, dass Handlungsoptionen auf
wissenschaftlicher Grundlage jenseits von parteipoliti-
schen Rangeleien und Spekulationen entwickelt werden
konnten. Von der Zusammenarbeit haben wohl alle profi-
tiert; ich hoffe, auch Sie da oben. Ich möchte mich aus-
drücklich bei den Sachverständigen und bei den überaus
effizienten Mitarbeitern des Sekretariats bedanken.

Der von uns bearbeitete Zeitraum von fünf Jahrzehn-
ten zwingt zu Objektivität, denn der Bericht stellt ein wis-
senschaftliches Fundament für die Zukunftsplanung dar.

Außerdem begleitet der Bundestag eine sich ständig wan-
delnde Gesellschaft, in der sich Werte und Normen ändern
und nicht nur der demographische Aufbau. Dieser aber
wird vieles beschleunigen, wird zu Veränderungen über
den aktuellen Handlungsbedarf hinaus zwingen. Das
Grundprinzip unserer demographischen Entwicklung ist
inzwischen weitgehend bekannt: Geburtenrückgang auf
ein Niveau von etwa einem Drittel unter dem
Generationenersatz bei gleichzeitig steigender Lebens-
erwartung führt zu einer zunehmenden Alterung der Be-
völkerung. Ohne phasenweise erhebliche Zuwanderung
seit Kriegsende wäre die Bevölkerung in Deutschland
schon seit Anfang der 70er-Jahre zurückgegangen.

Betrachtet man den Zeitraum bis 2050, so kann man
feststellen, dass die Einwohnerzahl von heute 82 Milli-
onen auf wahrscheinlich unter 60 Millionen sinken wird.
Das bedeutet: immer weniger Kinder, nur noch 27 Milli-
onen Personen im erwerbfähigen Alter zwischen 20 und
60 Jahren im Vergleich zu heute, wo 46 Millionen er-
werbsfähig sind. Nur heute bereits geborene Mädchen
können in 20 Jahren Mütter werden. Um die Bevölke-
rungszahlen stabil zu halten, müssten von 1 000 Frauen
2 080 Kinder geboren werden; es sind aber nur 1 370. Ein
durchgreifender Sinneswandel erscheint mir mehr als
unwahrscheinlich.

Wie aber steht es mit den Zuwanderern? Auch hier fin-
det ein Wandel statt. Sowohl das Verhältnis von Zuzü-
gen und Fortzügen wie auch das Geburtenverhalten der
Neubürger ändert sich ständig. Während bei den deut-
schen Staatsangehörigen die Anzahl der Zuzüge im Mit-
tel von circa 200 000 im Jahr mit circa 116 000 Fortzügen
verrechnet werden muss – es entsteht also ein Saldo von
84 000 pro Jahr als Wanderungsüberschuss –, schwanken
die Zahlen bei ausländischen Staatsangehörigen erheb-
lich. 1997 und 1998 zogen jeweils mehr Personen fort als
hinzukamen. 1997 zeigte der Wanderungssaldo ein Minus
von 22 000 und 1998 sogar von 33 000. Im Jahr 2000 da-
gegen war wieder ein Wanderungsüberschuss von 86 000
zu verzeichnen.

Auch die Geburtenhäufigkeit bei den ausländischen
Staatsangehörigen geht zurück. Wurden 1992 auf
1 000 deutsche Einwohner 9,5 Kinder lebend geboren, so
brachten 1 000 ausländische Mitbürger bei uns damals
15,8 Kinder zur Welt. 1999 dagegen sind nur noch 13 Kin-
der auf 1 000 ausländische Einwohner geboren worden.
Hier findet also ein sehr schneller Anpassungsprozess statt.

Auffällig ist die stetige Zunahme des Anteils von kin-
derlosen Frauen schon seit Jahrzehnten. Von dem Jahr-
gang 1935 blieben 9,2 Prozent der Frauen kinderlos. Von
dem Jahrgang 1960 werden es 23 Prozent sein. Das sind
also fast ein Viertel der Frauen.

Das hat nicht nur statistische Auswirkungen. Erkenn-
bar wird die Teilung der Gesellschaft in zwei Gruppen mit
sehr unterschiedlichen Ansprüchen und Chancen. Das be-
ginnt im Arbeitsleben, wo die Kinderlosen im Vorteil sind,
erscheint in der Statistik der gesetzlichen Krankenversi-
cherung, weil Singles häufiger den Arzt bemühen, und
setzt sich bei den Alten und Hochbetagten ohne familiale
Beziehungen fort, für die jede Hilfeleistung viel Geld er-
fordert. Lesen Sie dazu das Kapitel „Gesundheit, Pflege




Walter Link (Diepholz)

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(A)



(B)


und soziale Dienste“. Prävention, Rehabilitation, Verzah-
nung, verbindliche Versorgungsziele und Personalent-
wicklung – das sind die entsprechenden Stichworte. Da-
rüber sollten Sie sich genau informieren.

Es stellt sich die Frage, wie sich die Veränderung der
Altersstruktur mit der damit einhergehenden Verminde-
rung der Zahl der erwerbsfähigen Personen auswirken
wird: als Vorteil, durch Abbau der Arbeitslosigkeit, oder
als Nachteil, weil diese Entwicklung zu einem Mangel an
Arbeitskräften führt oder Auslöser für sterbende Städte
und verödende Landstriche ist. Vielleicht liegt hierin auch
die Chance für eine neu zu gestaltende Umwelt einer
selbstbewussten Gesellschaft, die viele Wurzeln und viele
Gemeinsamkeiten hat.

Sie finden in unserem Bericht eine Betrachtung des
Generationenverhältnisses, weil hier eine wesentliche
Grundlage unseres in Jahrhunderten gewachsenen Gesell-
schaftssystems der gegenseitigen Verantwortung der
Generationen füreinander zum Ausdruck kommt. Obwohl
Probleme zwischen den familialen Generationen immer
zu politischen und kulturellen Generationenkonflikten
führen können, bleibt doch offensichtlich die Arbeits- und
Funktionsteilung zwischen den Generationen erhalten.
Davon zu unterscheiden ist das Generationenverhältnis,
das sich mit den Umverteilungszusammenhängen etwa
zwischen Erwerbstätigen und Rentnern auseinander setzt.
Das ist ein sich durchaus kritisch entwickelnder Bereich.

Zur Beschreibung der wechselseitigen, vor allem der
materiellen Abhängigkeiten und Leistungsverpflichtun-
gen der verschiedenen Generationen hat sich der Begriff
„Generationenvertrag“ eingebürgert, auch wenn es kein
Vertrag im Sinne des BGB ist. Der Generationenvertrag
bezeichnet eine auf gesellschaftlichen Normen und Wer-
ten basierende und nur zum Teil gesetzlich festgelegte
Übereinkunft, derzufolge die mittlere Generation für den
Unterhalt sowohl der Kinder als auch der nicht mehr er-
werbstätigen Älteren sorgt. Wurde dieses Vertragsverhält-
nis früher innerhalb der Familie erfüllt, handelt es sich seit
Einführung der Sozialversicherung um eine Umvertei-
lung zwischen gesellschaftlichen Generationen im Laufe
eines vollständigen Lebenszyklus.

Das System bleibt nur lebensfähig, wenn das Prinzip
der intergenerationellen Solidarität aufrechterhalten
bleibt. Das heißt: Jedes Gesetzgebungsverfahren muss
unter dem Gesichtspunkt mittel- und langfristiger
Politikfolgenabschätzung erarbeitet werden. Nur so kön-
nen wir die Solidarität zwischen den Generationen erhal-
ten, ohne ständig aufzurechnen; denn wir müssen beden-
ken, dass im Jahre 2030 die geburtenstärksten Jahrgänge
im Rentenalter sind. Viele von ihnen haben dann noch
eine weitere Lebenserwartung von 20 bis 25 Jahren.

Das kann also nur funktionieren, wenn sich diese Ge-
neration darauf verlassen kann, dass sich die Jüngeren an
diesen Generationenvertrag halten. In diesem Zusam-
menhang sollten wir sehr sorgfältig überlegen, ob der
Umgang mit den Jüngsten und mit den Heranwachsenden
den zukünftigen Anforderungen entspricht.

Wir haben Grund zur Annahme, dass die Frauen heute
– und auch in Zukunft – ein immer stärkeres Interesse da-
ran haben, ihre Existenz und damit auch ihre Altersver-

sorgung selbst zu sichern. Das lässt sich mit dem Wunsch
nach eigenen Kindern nur dann gut verbinden, wenn eine
zuverlässige Kinderbetreuung öffentlich verantwortet
und vor allem gesellschaftlich akzeptiert wird. Beispiele
dafür finden wir in Skandinavien und Frankreich – alles
Länder, die höhere Geburtenraten und bessere PISA-
Bilanzen aufweisen.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Handelt es sich bei der Betreuung der Kleinen nur um
eine soziale Einrichtung, um die Eltern zu entlasten, oder
folgt die Erziehung einem Bildungsauftrag, der Chancen-
gleichheit unabhängig von sozialer und ethnischer Her-
kunft vor dem Eintritt in die Grundschule schaffen soll?
Lesen Sie dazu bitte auch das Kapitel „Migration und In-
tegration“; denn die Integration fängt bei den Kleinsten an.

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hat am 19.April
gezeigt, dass noch viel getan werden muss, bis Frauen in
Deutschland Beruf und Familie mit gutem Gewissen mit-
einander vereinbaren können. Stephan Dietrich schreibt
– ich zitiere –:

Katastrophal ist nicht das Fehlen von Krippenplät-
zen, wie Schröder meint, katastrophal könnte sich
ihre ausnahmslose Einführung auswirken. Niemand
kann übersehen, dass Jugendkriminalität, Gewaltbe-
reitschaft und politischer Extremismus gerade dort
am besten gediehen sind, wo die angeblich erstre-
benswerte Säuglingsbetreuung schon seit Generatio-
nen verwirklicht ist und sogar die DDR überdauert
hat.

Lassen Sie sich von solchen Kommentaren nicht von
Ihrem Weg abbringen!

Während eine allgemeine Akzeptanz der Kindergärten
stattgefunden hat, wird der ganztägige Besuch von Kin-
dertagesstätten noch immer als Notlösung betrachtet. Die
Mutter, die dies verantwortet, gilt allzu schnell als kar-
rieresüchtig oder wird als sozial schwach eingestuft und
damit in gewisser Weise abgestempelt.

Für die kommenden Jahre ist also nicht nur die Schaf-
fung von mehr Plätzen wünschenswert. Dies wird jetzt
glücklicherweise von allen Fraktionen in diesem Hause
gefordert. Wünschenswert ist auch eine Ganztagsbetreu-
ung für Kinder, die noch nicht schulpflichtig sind, und sol-
che bis zum 12. Lebensjahr. Noch viel wichtiger ist aber
die gesellschaftliche Anerkennung berufstätiger Frauen
und einer pädagogisch wertvollen Erziehung für die
Jüngsten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Heidemarie Lüth [PDS])


Unsere Gesellschaft wird es sich nicht mehr leisten kön-
nen, 15 Prozent eines jeden Jahrgangs als nur bedingt för-
derfähig einzustufen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)





Gabriele Iwersen

23199


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423314100
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Klaus Haupt.


Klaus Haupt (FDP):
Rede ID: ID1423314200
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zehn Jahre En-
quete-Kommission „Demographischer Wandel“ gehen
heute mit der Debatte über den Schlussbericht zu Ende.
Zwei Zwischenberichte und ein Schlussbericht zu einer
zentralen Zukunftsfrage liegen nun vor.

Auch ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich
bedanken: bei unseren elf Experten und meinen Kollegin-
nen und Kollegen aus den anderen Fraktionen, aber vor al-
len Dingen auch beim Vorsitzenden, lieber Herr Kollege
Link, zum einen für Ausdauer und Beharrlichkeit, zum
anderen aber auch für engagiertes fachliches Streiten und
vor allem für Fairness – nicht immer, aber immer öfter.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Im Jahre 2010 werden über 300 000, im Jahre 2030 über

500000 Personen in Deutschland mehr sterben, als gebo-
ren werden. Ohne weitere Zuwanderung werden die Be-
völkerung in Deutschland bei gleich bleibender Geburten-
rate bis zum Jahre 2050 auf weniger als 60 Millionen und
die Anzahl der Personen im erwerbsfähigen Alter von
heute 46 auf 27 Millionen sinken. Gleichzeitig nimmt die
Lebenserwartung der Menschen kontinuierlich zu: bis
zum Jahre 2050 um mindestens vier Jahre. Dann wird sich
der Anteil der 80-Jährigen vervierfacht haben. Da weniger
Kinder geboren werden, wird im Jahre 2040 mehr als die
Hälfte der Bevölkerung 50 Jahre und älter sein.

Anschaulich ausgedrückt: Das Bild der Altersschich-
tung verändert sich von der bekannten Bevölkerungs-
pyramide zum Bevölkerungspilz. Dies ist eine dramati-
sche Entwicklung mit viel Sprengkraft und hat Auswir-
kungen auf alle Lebensbereiche, auch auf die Lebensum-
welt des Einzelnen und der Familie. Dies ist aber keine
Katastrophe, wenn die Politik jetzt richtig reagiert und
den Wandel gestaltet.

Im vorliegenden Schlussbericht wird die Entwicklung
des demographischen Wandels bis zum Jahre 2050 aufge-
zeigt und versucht, für alle relevanten Politikfelder Ant-
worten und Empfehlungen zu geben. Alle im Bundestag
vertretenen Parteien haben sich bemüht – davon hat der
Vorsitzende berichtet –, die Handlungsempfehlungen der
Kommission gemeinsam, also möglichst über die Partei-
grenzen hinweg, zu gestalten. Dies war in den meisten Po-
litikfeldern möglich, in manchen etwas weniger.

So haben wir uns zum Beispiel im Kapitel „Arbeit und
Wirtschaft“ auf grundsätzliche Empfehlungen zur Ver-
besserung von Bildung und Ausbildung, zu Reformper-
spektiven der beruflichen Ausbildung sowie zur Verein-
barkeit von Beruf und Kinderbetreuung verständigen
können. Das zeigt aber auch: Wir greifen zu kurz, wenn
wir die demographische Entwicklung nur unter dem
Aspekt des Alters sehen.

Im Elften Kinder- und Jugendbericht wurde aus diesem
Grunde der demographische Wandel und dessen Heraus-
forderung für die Gesellschaft als ein Schwerpunkt he-
rausgearbeitet und ein höherer Stellenwert sowie eine
größere öffentliche Verantwortung von Kinder-, Jugend-

und Familienpolitik, die eine Querschnittspolitik ist, ge-
fordert. Kollegin Iwersen hat in diesem Zusammenhang
einige Punkte angerissen.

Wir greifen aber auch zu kurz, wenn wir Alter nur mit
Problemen gleichsetzen. Das Gegenteil wird der Fall sein:
Die Älteren bieten unserer Gesellschaft erhebliche Res-
sourcen. Deshalb ist für uns die Erhöhung der Arbeits-
marktchancen von älteren Menschen von ganz großer Be-
deutung. Ihr erhebliches Arbeitsmarktpotenzial für die
Wirtschaft muss erschlossen werden. Eine betriebliche In-
novationsfähigkeit ist weniger vom Alter, aber umso mehr
vom Qualifikationspotenzial der Belegschaft abhängig.
Den Vorsprung an Energie, Dynamik und Ehrgeiz der Jün-
geren können die Älteren durch Wissen, Erfahrung und
Zuverlässigkeit, aber vor allem auch durch soziale Kom-
petenz ausgleichen.

Das erfordert eine neue Vorgehensweise der Wirtschaft
bei der Personalentwicklung. Der Jugendwahn muss ein
Ende haben. Es ist notwendig, von einer reaktiven Politik
zu einer präventiven, lebenslauforientierten und alters-
neutralen Politik der Beschäftigungsförderung und
-sicherung zu kommen. Daher sollten für ältere Arbeit-
nehmer zum Beispiel Erleichterungen beim Abschluss be-
fristeter Arbeitsverträge geschaffen werden. Auch die
Instrumente des Arbeitsförderungsrechtes für ältere Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollten überdacht und
die sozialrechtlichen Anreize zur Frühverrentung abge-
baut werden.

Die Zuwanderung nimmt natürlich bei der Reaktion
der Politik auf die demographische Entwicklung einen
zentralen Platz ein. Hier konnte sich die Kommission
leider nicht auf ein fraktionsübergreifendes Konzept eini-
gen, sodass die FDP-Bundestagsfraktion ihr Zuwande-
rungskonzept als Handlungsempfehlung in den Schluss-
bericht eingebracht hat.

Unabdingbar für eine gesellschaftlich akzeptierte Zu-
wanderung in der Bundesrepublik Deutschland ist ein
Dreiklang aus dem eigenen Interesse unseres Landes, der
Wahrung der humanitären Verpflichtung Deutschlands
und vor allem der Verbesserung der Integrations-
bemühungen. Hierbei sollte sich Zuwanderung möglichst
flexibel und unbürokratisch am Arbeitsmarkt ausrichten.
Die FDP spricht sich für eine Integrationspolitik aus, die
zu einer gleichberechtigten Teilnahme der Zugewander-
ten am politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Le-
ben in unserer Gesellschaft führt.

Im Bereich des Kapitels „Alterssicherung“ kommt es
uns darauf an, unsere grundsätzlichen Positionen deutlich
zu machen: Eine grundlegende Reform der Altersver-
sorgung in Deutschland ist weiterhin dringendst notwen-
dig. Auch nach der Rentenreform 2001 sind die unzurei-
chende Generationengerechtigkeit, eine mangelnde
Beitragsstabilität, die fehlende Steuerbefreiung aller Ver-
sorgungsbeiträge sowie die deutlich zu komplizierte Ge-
staltung zu bemängeln.

Die FDPwill eine moderne Altersvorsorge, die auf drei
Säulen fußt: erstens eine als Grundversorgung gestaltete
gesetzliche Rente, zweitens eine deutlich gesteigerte ka-
pitalgedeckte private Rente und drittens eine betriebliche
Altersvorsorge.






(C)



(D)



(A)



(B)


Renten- und Steuerpolitik sind aber so verflochten, dass
nur durch grundlegende Reformen in beiden Bereichen die
Stabilität der Altersversicherung in Deutschland nachhal-
tig gewährleistet wird. Dieser Ansatz ist durch das Urteil
des Bundesverfassungsgerichts zur unterschiedlichen Be-
steuerung von Renten und Pensionen bestätigt worden.
Notwendig ist aus unserer Sicht jetzt eine durchgreifende
Steuerreform mit einheitlichen Steuersätzen für sämtliche
Einkommensarten. Dies gibt den Bürgern mehr Spielraum
für ihre persönliche kapitalgedeckte Eigenvorsorge.

Gestatten Sie noch ein Wort zum Kapitel „Gesundheit,
Pflege und soziale Dienste“. Die FDP-Bundestagsfrak-
tion hat hier ein eigenes Votum abgegeben, weil sich un-
ser Ansatz hier doch von allen anderen unterscheidet. Die
demographische Entwicklung stellt die gesetzliche
Krankenversicherung vor erhebliche Probleme, die
durch die kostenintensiven Auswirkungen des medizini-
schen Fortschritts noch verschärft werden. Beide Ent-
wicklungen lassen Beitragssätze von über 20 Prozent er-
warten. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben
gezeigt, dass die Beitragssätze trotz einer sich immer
schneller drehenden Spirale interventionistischer Maß-
nahmen nicht stabilisiert werden können. Die FDP steht
für eine Gesundheitspolitik, die den Wettbewerb zur Fin-
dung effizienter, patientengerechter Lösungen in den Mit-
telpunkt stellt, ohne dass dabei die soziale Schutzfunktion
infrage gestellt wird.

Auch im Bereich der Pflege ist aus unserer Sicht der
systematische Aufbau einer privaten kapitalgedeckten
Säule in der gesetzlichen Pflegeversicherung notwendig.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423314300
Herr Kollege,
ich muss Ihnen sagen, dass Sie Ihre Redezeit schon sehr
weit überschritten haben.


Klaus Haupt (FDP):
Rede ID: ID1423314400
Mein letzter Satz: Der Schluss-
bericht nach zehn Jahre Enquete-Kommission „Demo-
graphischer Wandel“ zeigt eines ganz deutlich: Die Zeit
zu analysieren und zu debattieren ist vorbei. Wir müssen
jetzt handeln – konstruktiv, entschlossen und mit Kon-
zentration auf das Wesentliche. Wir machen mit.

Danke.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423314500
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollegen! Wie werden sich die Bevölkerungszahlen in
den nächsten 50 Jahren entwickeln? Wie wird der Ar-
beitsmarkt mit einem Rückgang des Erwerbspersonenpo-
tenzials fertig? Oder: Wie können die sozialen Siche-
rungssysteme bei abnehmender Erwerbspersonenzahl
und zunehmender Zahl von Leistungsempfängern zu-
kunftstauglich gemacht werden? Welchen Beitrag kann
dabei die Zuwanderung leisten? Das waren die Leitfragen
der Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“.

Ein Blick in das Jahr 2050 zeigt: Die Bevölkerung wird
aufgrund der Geburtenrate von durchschnittlich nur etwas
mehr als 1,3 Kindern je Frau um mindestens 22 Millionen
abnehmen. Durch die gleichzeitig steigende Lebenser-
wartung – heute geborene Mädchen werden nach Profes-
sor Bomsdorf durchschnittlich 87 Jahre alt werden – wird
es eine gravierende Veränderung der Altersstruktur geben.
Deutschland schrumpft und ergraut. Oder – Herr Link, für
Sie etwas freundlicher –: Ohne Kinder sieht unsere Ge-
sellschaft alt aus.

Sind heute 23 Prozent der Menschen über 60 Jahre alt,
wird deren Anteil im Jahre 2050 fast doppelt so hoch sein.
Auch wenn es einige immer noch nicht wahrhaben wol-
len: Um den Alterungsprozess unserer Gesellschaft abzu-
mildern und um unseren Wohlstand zu erhalten, brauchen
wir Zuwanderung. – Kein Beifall?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


In einem Gutachten für die Enquete-Kommission wur-
den 300 000 Personen pro Jahr vorgeschlagen. Aber die
Frage ist: Woher kommen sie? In den Jahren 1997 und
1998 verließen mehr Migrantinnen und Migranten
Deutschland, als zu uns gekommen sind. Erst 1999 gab es
einen positiven Saldo. Im Jahre 2000 waren es gerade ein-
mal 86 000 Personen. Selbst bei einer jährlichen Nettozu-
wanderung von 100 000 Personen wird die Bevölkerung
bis 2050 um 17 Millionen Menschen zurückgehen. Künf-
tig werden die Staaten um Migranten und Migrantinnen
konkurrieren. Da bin ich sicher. Auch deshalb brauchen
wir ein Zuwanderungsgesetz, das neben unseren huma-
nitären Verpflichtungen auch Zuwanderung aus wirt-
schaftlichen Gründen ermöglicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Eine weitere Antwort auf den demographischen Wan-
del wäre eine Erhöhung der Geburtenrate. Obwohl die
letzte Shell-Jugendstudie belegt, dass sich die meisten
jungen Paare Kinder wünschen, ist jede dritte 1965 gebo-
rene Frau kinderlos geblieben. Die Frauen sind in einen
stillen Gebärstreik getreten; die Bevölkerung und die Po-
litik haben es nur noch nicht bemerkt. Die Frauen wollen
sich nicht entscheiden müssen zwischen Beruf oder Fa-
milie, sie wollen beides: Erwerbsarbeit und Kinder,
manchmal auch Karriere – wie Männer eben auch. Geht
das nicht, verzichten sie auf Kinder, wie wir sehen. Darum
ist Politik gefordert, Rahmenbedingungen zu schaffen,
sodass diejenigen, die einen Kinderwunsch haben, diesen
auch realisieren können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Schlussbericht
bestätigt in eindrucksvoller Weise die grüne Gleichstel-
lungs- und Familienpolitik:Aufhebung der geschlechts-
spezifischen Arbeitsteilung, Kindererziehung als gesamt-
gesellschaftliche Aufgabe, an der sich Staat, Wirtschaft,
Gesellschaft und nicht zuletzt die Väter beteiligen. Fle-
xible Arbeitszeiten für Eltern, flächendeckende ganztä-
gige Kinderbetreuung und Ganztagsschulen sind das Ge-
bot der Stunde. Damit wird endlich auch eine gerechtere




Klaus Haupt

23201


(C)



(D)



(A)



(B)


Verteilung von bezahlter Erwerbsarbeit und unbezahlter
Familienarbeit zwischen den Geschlechtern möglich.
Länder mit einer höheren Frauenerwerbsquote, wie zum
Beispiel Frankreich oder die skandinavischen Staaten,
machen es uns vor. Nebenbei: Dort ist die Geburtenrate
höher als bei uns.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der immense Rück-
gang an Erwerbspersonen spätestens ab dem Jahre 2020
stellt die Arbeitswelt vor neue Herausforderungen. Eine
bessere Ausschöpfung des Arbeitskräftepotenzials, das
heißt eine höhere Frauenerwerbsquote, ist durch mehr
Chancengleichheit und bessere Rahmenbedingungen für
ein Leben mit Kindern möglich. So könnte Deutschland
endlich seine Schlusslichtposition in Europa verlassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Aber auch bei der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer
und Arbeitnehmerinnen tragen wir in Europa die rote La-
terne. Nur 38 Prozent der über 55-Jährigen sind erwerbs-
tätig. Ursächlich dafür, so haben wir herausgefunden, ist
die seit vielen Jahren gehandhabte Frühverrentungspra-
xis, die den Staat horrende Summen an Steuergeldern ge-
kostet und den demographischen Effekt verstärkt hat.
Jetzt suchen wir Lösungen, wie die Beschäftigung von
Älteren gesteigert und deren Erfahrungen auf dem Ar-
beitsmarkt nutzbar gemacht werden können. Eine stän-
dige Aktualisierung des Wissens ist die Voraussetzung.
Lebenslanges Lernen darf nicht länger ein Schlagwort
bleiben. Darum brauchen wir mittelfristig auch eine Wei-
terbildungsoffensive mit Anreizen für Ältere. Bei einer
steigenden Lebenserwartung und entsprechender Nach-
frage auf dem Arbeitsmarkt müssen Ältere motiviert wer-
den, länger im Erwerbsleben zu bleiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Heute gehen die Beschäftigten im Durchschnitt statt
mit 65 Jahren schon mit knapp 60 Jahren in den Ruhe-
stand. Diese Lücke gilt es zunächst zu schließen. Aber
langfristig wird eine stufenweise minimale Erhöhung des
Renteneintrittsalters sowohl aus Arbeitsmarktgründen als
auch zur Aufrechterhaltung der sozialen Sicherung nicht
mehr auszuschließen sein. Das wird nicht zulasten der
jungen Menschen gehen, wie uns die Sachverständigen
bestätigten.

Vor 50 Jahren wurde ein soziales Alterssicherungssys-
tem geschaffen, das auf dem Generationenvertrag auf-
baute. Voraussetzung dafür war ein zahlenmäßig ausgewo-
genes Verhältnis zwischen der erwerbstätigen Generation,
die ihre Beiträge entrichtet, und der Rentnergeneration, de-
ren monatliche Rente daraus finanziert wird. Dieses Um-
lagesystem funktioniert aber nur, wenn die Bevölkerungs-
zahl und die Bevölkerungsstruktur relativ stabil bleiben.
Davon kann schon jetzt keine Rede mehr sein.

Ein Blick in das Jahr 2050 zeigt den erheblichen Re-
formbedarf eines umlagefinanzierten Sozialversiche-
rungssystems. Der Altersquotient, das ist die Altersgruppe
derjenigen, die 65 Jahre und älter sind, im Verhältnis zu
den 20- bis 64-Jährigen, also den Erwerbstätigen, wird
von heute 26 Prozent auf 62 Prozent im Jahre 2050 an-

steigen. Der damit verbundene enorme Rückgang der
Zahl der Beitragszahler und Beitragszahlerinnen sowie
die enorme Verlängerung der Zeiten, für die Leistungs-
ansprüche bestehen, bedeuten aber für ein Umlagesystem
den Kollaps. Es wird nicht mehr allein in der Lage sein,
den Lebensstandard der Rentnerinnen und Rentner im Al-
ter zu sichern. Darum brauchen wir verschiedene Maß-
nahmen der Alterssicherungspolitik wie beispielsweise
ergänzende betriebliche oder private Formen und eine
Ausweitung des Versichertenkreises der gesetzlichen
Rentenversicherung. Erste Schritte wurden bereits mit der
Rentenreform 2001 gemacht.

Aber auch die Aufwendungen für Gesundheits- und
Pflegeleistungenwerden, bedingt durch die demographi-
sche Entwicklung und den medizinisch-technischen Fort-
schritt, rapide steigen: Krankenversicherungsbeiträge von
25 Prozent und Pflegeversicherungsbeiträge von 5 Pro-
zent sind für das Jahr 2050 keine Utopie.

Der Grund für die hohe Steigerung bei den Pflegever-
sicherungsleistungen ist die steigende Zahl der älteren pfle-
gebedürftigen Menschen und die stärkere Inanspruchnahme
professioneller Hilfe. Familienangehörige, die heute viel-
fach die Pflege ihrer Eltern und anderen Verwandten über-
nehmen – heute noch zu 80 Prozent weiblich, also Töchter
oder Schwiegertöchter –, werden, entweder wegen eigener
Erwerbstätigkeit oder weil sie selbst schon zu alt sind, dann
nicht mehr in dem Maße wie heute zur Verfügung stehen.
Wenn eine 90-jährige Schwiegermutter von einer 68-Jähri-
gen gepflegt werden muss, ist dies in vielen Fällen schon
schwierig. Darum sind auch hier Reformen unumgänglich.

Das Modell der Bündnisgrünen, eine steuerfinanzierte
Pflegeabsicherung einzuführen, wäre ein zukunftstaugli-
cheres Mittel als das derzeitige Versicherungsmodell ge-
wesen, da es bedarfsabhängig hätte gezahlt werden kön-
nen. Der Staat hätte nur Personen mit geringem
Einkommen unterstützen müssen, was bei einem Versi-
cherungsmodell nicht möglich ist.

Um den durch den demographischen Wandel hervor-
gerufenen Anforderungen in der Gesundheitspolitik
Rechnung zu tragen, müssen Prävention, Qualität und
Wirtschaftlichkeit ausgebaut werden. Wirtschaftlichkeits-
reserven sollten über eine flexiblere Gestaltung der Ver-
tragsbeziehungen zwischen Krankenversicherungen und
Leistungserbringern sowie eine Verzahnung der ambulan-
ten und stationären Behandlung erschlossen werden. In
einer Anhörung haben wir von den Sachverständigen
gehört, dass hier 25 Milliarden Euro einzusparen wären.
Warum nutzen wir dieses nicht?

Ich muss aber auch sagen: Ohne eine Ausweitung der
Versicherungspflicht und der Beitragsbemessungsbasis
auf weitere Einkommen wird das solidarische Kranken-
versicherungssystem langfristig nicht überleben.

Dies waren einige Antworten auf die durch den demo-
graphischen Wandel hervorgerufenen Fragen. Es bleibt
eine Vielzahl von Fragen übrig, zum Beispiel die: Wie
werden sich unsere Städte verändern, wenn immer mehr
Wohnungen leer stehen? Werden Spielplätze und Kinder-
gärten zu Alteneinrichtungen umgebaut? Wird die Politik
den Interessenausgleich zwischen Jung und Alt leisten
oder wird sie nur auf die Mehrheit schielen? Werden die




Irmingard Schewe-Gerigk
23202


(C)



(D)



(A)



(B)


Immobilien- und Kapitalmärkte zusammenbrechen, wenn
es ein Viertel weniger Konsumenten und Konsumentin-
nen gibt als heute? Hierauf hat die Politik bis heute noch
keine Antworten. Trotzdem muss sie sich darauf einstel-
len. Denn eines wird sie nicht sagen können: sie habe es
nicht gewusst.

Lassen Sie mich zu guter Letzt noch einen Dank aus-
sprechen. Ich bedanke mich bei allen, die am Gelingen
dieses heutigen Berichts beteiligt waren, für die bündnis-
grüne Fraktion insbesondere bei Margherita Zander und
Gudrun Honnef.

Recht herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423314600
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Heidemarie Lüth.


Heidemarie Lüth (PDS):
Rede ID: ID1423314700
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Seit vielen Jahren versuchen
die Bundestagsabgeordneten aller Fraktionen einen Hilfe-
ruf auszusenden: Schaut her, so wie hier im Bundestag
wird die altersmäßige Zusammensetzung ab 2020 in der
gesamten Bundesrepublik sein. Aber auf uns hört ja kei-
ner.


(Heiterkeit und Beifall bei der PDS, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich danke daher den Abgeordneten aller Fraktionen,
dass sie es für richtig hielten, über drei Wahlperioden hin-
weg diese Enquete-Kommission ins Leben zu rufen und
sie nicht nur mit Abgeordneten, sondern vor allem mit
Wissenschaftlern aus allen Bereichen zu besetzen, die ge-
meinsam an einem Thema gearbeitet haben, das in einer
Wahlperiode nicht zu bewältigen ist, nicht durch einen An-
trag oder einen Aufruf und schon gar nicht über ein Wahl-
programm, egal, welcher Partei und welcher Fraktion.


(Beifall bei der PDS)

In den gemeinsamen Beratungen in der Enquete-Kom-
mission mit den Sachverständigen und Mitarbeitern habe
ich in den vergangenen Jahren viel mehr als in mancher
Debatte hier im Bundestag gelernt. Dafür meinen herz-
lichen Dank.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Demographischer Wandel hat für mich zunächst eine
familiäre Perspektive. Im Februar dieses Jahres wurde
mein zehntes Enkelkind, das dritte Kind meiner jüngsten
Tochter, geboren. Ich hatte als Mitglied dieser Kommis-
sion über Rahmenbedingungen aller Lebensbereiche
nachzudenken, die meinen Enkel von der Geburt bis zum
50. Lebensjahr begleiten; Rahmenbedingungen, die sei-
ner Mutter die Hoffnung erhalten, dass ihr Sohn sie im
Jahr 2052 mit 81 Jahren im Rollstuhl durch ein Altersheim
fährt oder er – noch besser – die Möglichkeit hat, ge-
meinsam mit seinen Eltern in einem Wohnprojekt mehre-
rer Generationen zu leben; Rahmenbedingungen, die es

mir ermöglichen, bei strotzender Gesundheit und, wenn
nötig, bei guter Pflege bis ins hohe Alter das Leben mei-
ner Kinder und Enkel begleiten zu können, möglichst
ohne Demenz.


(Beifall bei der PDS, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was wissen wir über den demographischen Wandel ei-
gentlich genau? Wir kennen die Geburtenzahlen und
können nahezu exakt berechnen, wie lange wir leben. Ein
Sachverständiger hat das für einige von uns ganz brillant
und genau gemacht. Wir tappen aber im Dunkeln, wenn
es um die konkrete Frage des Bedarfs an Arbeitskräften in
den kommenden Jahren geht. Wir tappen im Halbdun-
keln, wenn wir erfahren wollen, wie sich der Gesund-
heitszustand der Generationen in den kommenden Jahren
entwickeln wird. Letztlich wissen wir nicht, wie sich die
Menschen in den kommenden Jahren unter den neuen Ge-
gebenheiten verhalten werden und verhalten können.

Im Gegensatz dazu kennen wir die Probleme von heute
und die der kommenden Wahlperiode. Nichts wäre fata-
ler, als aus der Sicht von heute mit dem Handwerkszeug
von heute die Probleme der Jahre nach 2020 anpacken zu
wollen.


(Beifall bei der PDS)

Noch fataler wäre es, den demographischen Wandel mit
einer Dramatik vor sich herzutragen, um heute den sozia-
len Sicherungssystemen den letzten Stoß ins Jenseits zu
versetzen.


(Beifall bei der PDS)

Wenn wir aber wissen, dass die Bevölkerung in den

nächsten Jahren aufgrund der rückläufigen Anzahl der
Geburten, die pro Generation um ein Drittel sinkt, abneh-
men wird und dies besonders in den neuen Ländern mit
der Abwanderung vieler junger Menschen und vor allem
selbstbewusster junger Frauen gekoppelt sein wird, dann
muss man schneller tätig werden und kann nicht sagen: In
30 Jahren wird sich das alles erledigt haben, dann haben
wir uns angeglichen.


(Beifall bei der PDS und der SPD)

Mit dem Schlussbericht und den Handlungsempfeh-

lungen der Kommission an uns, den politischen Verant-
wortlichen, liegen auch die Minderheitenvoten meiner
Fraktion vor. Was wollten wir dabei bedacht wissen? Es
handelt sich nicht nur um Veränderungen in der Alterspy-
ramide, sondern um einen Struktur- und vor allem auch
Bedeutungswandel des Alters. Es geht um mehr als nur
um einen qualitativen Zuwachs des Alters. Es geht nicht
nur um den Lebensabschnitt ab 60, sondern alle Lebens-
abschnitte und Bereiche sind hiervon betroffen. Mit ei-
nem Wort: Jede und jeder muss sich auf diesen Wandel
einstellen und auf ihn einlassen.

Politik gestalten für und durch ältere Menschen heißt
auch, die individuellen und gesellschaftlichen Ressourcen
für ein unabhängiges und aktives Leben in einer differen-
zierten Gestaltung zu beachten. Akteure müssen dabei alle
Generationen sein. Demographische Entwicklung ist kein
unbekanntes Phänomen, sondern dieses Phänomen ist in
den nächsten Jahrzehnten durchaus planbar. So besteht
auch die Möglichkeit, die Politik darauf einzustellen.




Irmingard Schewe-Gerigk

23203


(C)



(D)



(A)



(B)


Ziel muss es sein, Gerechtigkeit und Ausgleich inner-
halb und zwischen den Generationen zu fordern und zu
fördern. Die Schwierigkeit besteht darin, die individuel-
len wie gesellschaftlichen Ebenen zu erfassen und die
Chancen und Risiken aller Generationen zu debattieren
und zu bestimmen. Dies muss auch deshalb geschehen,
weil der Umgang mit dem demographischen Wandel
mehr und mehr zur Überlebensfrage des Sozialstaates
wird. In diesem Zusammenhang ist auch zu klären, wie
das Verhältnis von Staat, Wirtschaft und Familie zu regeln
ist. Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit zwischen
Jung und Alt, Frauen und Männern sowie Einkommens-
schwachen und Besserverdienenden haben wir unter dem
Gesichtspunkt des demographischen Wandels genauer zu
betrachten.

Ein letztes Wort zu dem interfraktionellen Entschlie-
ßungsantrag: Meine Fraktion wird diesen Antrag unter-
stützen. Ich habe namens meiner Fraktion keinen Nach-
antrag formuliert, da ich ein solches Spiel – keinen Antrag
gemeinsam mit meiner Fraktion, der PDS-Fraktion – der-
artig kleinkariert und politisch völlig sinnlos finde, dass
ich es nicht noch durch einen eigenen Antrag adeln
möchte.

Schönen Dank.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423314800
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Christa Lörcher.


Christa Lörcher (SPD):
Rede ID: ID1423314900
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Demographie ist
spätestens seit der Bevölkerungskonferenz in Kairo 1994
ein Thema in den Industrie- und den Entwicklungslän-
dern – in Politik, Wissenschaft und Gesellschaft. Manche
Regierungen haben die Bedeutung des Themas noch nicht
wirklich erkannt oder sie kennen sie, es wird aber nicht of-
fen darüber diskutiert. Ein Beispiel: In Russland, wo die
Geburtenquote niedriger ist als bei uns und die Lebens-
erwartung der Männer bei 59 Jahren und die der Frauen
bei 72 Jahren liegt, leben 2,8 Millionen Kinder auf der
Straße. Offen darüber zu reden ist nicht erwünscht.

Die Situation bei uns: Schon vor Kairo wurde die En-
quete-Kommission „Demographischer Wandel“ einge-
setzt. Nach zwei Legislaturperioden waren wir fast am
Ende der Arbeit. Es gab nur leider keine Einigung in Fra-
gen der Alterssicherung und von Migration und Integra-
tion. Jetzt, nach einer weiteren Legislaturperiode Arbeit,
ist tatsächlich ein Abschlussbericht entstanden. Dafür
herzlichen Dank an alle, die dazu beigetragen haben. Das
waren nicht wenige.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Geburtenquote, Lebenserwartung und Wanderungsbe-
wegungen beeinflussen Größe und Altersstruktur der Be-
völkerung eines Landes. Geburtenquote und Lebenser-
wartung sind nur längerfristig beeinflussbar und bleiben
oft über Jahre hinweg weitgehend konstant. Wanderungen

in ein Land und aus einem Land sind dagegen eine Vari-
able, die kurzfristig und sehr stark schwanken kann. Des-
wegen ist eine zukunftsweisende Regelung so dringend
nötig, damit für die Migrantinnen und Migranten wie auch
für die Aufnahmegesellschaft Perspektiven und Zusam-
menleben gestärkt werden.

Die Arbeitsgruppe Migration/Integration der Enquete-
Kommission hat in großer Einigkeit Daten und Analysen
erstellt. Ich danke allen, besonders Kai-Uwe Beger aus
dem Sekretariat, der die meiste Arbeit damit hatte. Einig-
keit bestand bei der Bedeutung von Integration, Sprache,
Bildung, Ausbildung und Gesundheit für die persönliche
Entwicklung und die beruflichen Chancen der zu uns
Kommenden. Einigkeit gab es auch über die Notwendig-
keit von mehr interkultureller Kompetenz in Bildungsein-
richtungen und sozialen Diensten für Junge und Ältere.

Keine Einigkeit gab es – das verwundert nach der
Zuwanderungsdebatte in diesem Hause vor einigen Wo-
chen nicht – bei so konkreten Fragen wie dem Nachzugs-
alter von Kindern, der Übernahme von Integrationskosten
oder zur Situation von Menschen ohne legalen Aufent-
haltsstatus.

Im Europarat wird über Demographie in vielen Zu-
sammenhängen diskutiert. Im letzten Jahr haben wir eine
Entschließung zu demographischem Wandel und nach-
haltiger Entwicklung verabschiedet. In dieser Woche ha-
ben wir einen Bericht zum Stand der Weltbevölkerung in
dem zuständigen Ausschuss beschlossen. Dabei wird im-
mer wieder darauf hingewiesen, dass viele Länder den in
Kairo eingegangenen finanziellen Verpflichtungen bei der
Entwicklungshilfe nicht annähernd nachkommen. Leider
gehören auch wir dazu.

Vor wenigen Jahren wurde für alle Staaten ein Ak-
tionsplan des Europarates mit der Zielrichtung: „diversity
and cohesion“ entwickelt, auf Deutsch: Vielfalt und Zu-
sammenhalt. Die Vielfalt wird größer werden, weil die
Mobilität zunimmt, bei uns und in anderen Teilen der
Welt. Für den Zusammenhalt müssen jedoch wir sorgen;
Verantwortung haben Politik und Gesellschaft. Wir haben
mit dieser Aufgabe begonnen. Es ist ein langer und müh-
samer Weg. Aber er ist ohne Alternative.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423315000
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Arne Fuhrmann.


Arne Fuhrmann (SPD):
Rede ID: ID1423315100
Frau Präsidentin! Sehr ge-
ehrte Damen und Herren! Vorweg zwei Wahrheiten:
Heidemarie Lüth, bei Einsetzung der Kommission war ich
zehn Jahre jünger.


(Heiterkeit)

Die zweite Wahrheit gilt Herrn Professor Dr. Naegele, der
irgendwo da oben sitzt: Dieser Bericht ist kein dicker
Schinken, sondern eine wohl zu verdauende Kleinigkeit
auf vorzüglich gefertigten Blättern, die leicht lesbar ist.


(Klaus Haupt [FDP]: Ein Häppchen!)





Heidemarie Lüth
23204


(C)



(D)



(A)



(B)


– Ja, Herr Haupt, man könnte sagen, es sind kleine, feine
Schinkenhäppchen.

Zu Beginn meiner Ausführungen sage ich denjenigen,
die aktiv mit uns gearbeitet haben, noch einmal meinen
herzlichen Dank: den Experten, wie unser Vorsitzender zu
sagen pflegt, und all denjenigen, die in den Fraktionen
und im Sekretariat für uns tätig waren. Ich wünsche ihnen
von Herzen viel Glück und eine schöne und für sie be-
friedigende Anschlusstätigkeit; denn die Arbeit der En-
quete-Kommission ist mit dem heutigen Tage mehr oder
weniger beendet.


(Beifall im ganzen Hause)

Friedrich der Große hat einen Absatz seines politischen

Testaments wie folgt abgefasst:
Diese Nation ist schwer und träge. Es sind zwei Feh-
ler, gegen die die Regierung unentwegt ankämpfen
muss. Es sind die Massen, die sich auf euren Anstoß
hin in Bewegung setzen und die anhalten, wenn man
einen Augenblick nachlässt, sie anzustoßen. Nie-
mand kennt etwas anderes als die Gewohnheiten sei-
ner Väter, man liest wenig und ist kaum begierig da-
nach, sich zu unterrichten, sodass alles Neue sie
erschreckt, und von mir, der ihnen immer nur Gutes
getan hat, denken sie, dass ich ihnen das Messer an
die Kehle setzen will, sobald es sich darum handelt,
eine nützliche Reform oder eine notwendige Ände-
rung vorzunehmen.

So weit mein persönliches Vorwort, das ich einer Schrift
Friedrichs des Großen entnommen habe.

1992 wurde die Enquete–Kommission eingesetzt.
Diese Kommission hat sorgfältig gearbeitet. Sie hat die
Zukunft nicht ins Blaue hinein beschrieben und auch kei-
nen futurologischen Exkurs zu Papier gebracht, sondern
sie hat sich an Schätzungen, Vorausberechnungen und
ganz vorsichtigen Prognosen orientiert und sich sachlich
fundiert und zurückhaltend geäußert. Sie ist für mich ein
Beispiel für sachbezogene und über die Jahre hinweg kon-
tinuierliche Politikberatung, die deutlich macht, welche
dicken Bretter es zu bohren gilt.

Ein gutes Beispiel für eine stärkere Akzeptanz dieses
Themas in der Gesellschaft ist die Zustimmung der Be-
völkerung zur Rentenreform; denn hier wurden bereits
praktische Konsequenzen aus der demographischen Ent-
wicklung gezogen. Es wurde darauf geachtet, dass die
nachfolgende Generation nicht über Gebühr belastet wird.
Bei näherer Betrachtung der intergenerativen Umvertei-
lung erweist sich sogar, dass die nachfolgenden Genera-
tionen eher entlastet werden, wenn wir diesen Weg konti-
nuierlich weiterbeschreiten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Demographie wird zu unserem Schicksal. Es gibt
aber kein allgemeines, für alle Zeit und für alle verschie-
denen Sozialsysteme gültiges Bevölkerungsgesetz. Da-
mit ist auch die Möglichkeit eingeschränkt, langfristige
Aussagen über Fertilität und Bevölkerungsgröße bzw.
-struktur abzugeben. Wir sollten allerdings keine Ängste
schüren. Weder gibt es in einer freien, offenen Gesell-

schaft eine optimale Bevölkerungszahl noch darf es eine
irgendwie geartete Instrumentalisierung der Familie ge-
ben. Die Entscheidung für Kinder ist und bleibt
grundsätzlich eine private Angelegenheit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Kinder dürfen nicht zum Armutsrisiko werden; da-

rüber sind wir uns im Klaren. In diesem Zusammenhang
lohnt sich – das wurde bereits mehrfach gesagt – der Blick
auf unsere skandinavischen Nachbarn. Dort hat die Ge-
burtenzahl absolut nichts damit zu tun, dass mehr Frauen
berufstätig sind. Dies hat offensichtlich auch August
Bebel schon geahnt, als er schrieb:

Intelligente und energische Frauen haben – von Aus-
nahmen abgesehen – in der Regel keine Neigung, ei-
ner größeren Anzahl Kinder als einer „Schickung
Gottes“ das Leben zu geben und die besten Lebens-
jahre im Schwangerschaftszustande oder mit dem
Kinde an der Brust zu verbringen.

Aus diesen Gründen ist eine unideologische, pragmati-
sche und vernünftige Familienpolitik erforderlich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Junge Familien wollen beides, nämlich Kinder und Beruf.
Darauf hat die Enquete-Kommission bereits in ihrem ers-
ten und zweiten Zwischenbericht Rücksicht genommen.
Im Schlussbericht haben wir uns sehr ausführlich damit
beschäftigt.

Kofi Annan hat bereits vor der Konferenz von Madrid
das Wort einer „stillen Revolution“ in die Welt gesetzt.
Ulrich Klose sprach bereits vor zehn Jahren von einer
schleichenden Revolution. Meinhard Miegel spricht in sei-
nem Buch „Die deformierte Gesellschaft“ von einer „Zeit-
bombe“. Ihr und unser Kollege Friedrich Merz schreibt in
seiner Festschrift für Rita Süssmuth vom „Altersbeben“.

Die Gesellschaft schrumpft insgesamt. Die Deutschen
sterben deshalb aber noch lange nicht aus. Viele reden
schon von Vergreisung und Überalterung. Diese Be-
griffe sind politisch unkorrekt und unüberlegt. Die Wort-
wahl ist bedenklich, weil in ihr der Kern einer negativen
und menschenfeindlichen Wertung deutlich wird, die das
Alter zur Angriffsfläche macht. Jeder Mensch hat in je-
dem Alter seine eigene Würde. Jedes Alter und jede Ge-
neration haben ihre jeweiligen Stärken und Schwächen.
Das Wort von der „Gesellschaft zwischen Rentner-
schwemme und Jugendwahn“ mag wohl griffig formuliert
sein; es sagt über die tatsächlichen Herausforderungen
wenig aus.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Auf welche Entwicklung werden wir uns eigentlich ein-

lassen müssen? Es wird ein anderes Wachstum geben, eine
andere Nachfrage, eine andere Wohnstruktur, ein anderes
Wohnumfeld, eine andere Stadtplanung, zum Teil Umbau
und Rückbau, weitere Hilfs- und Pflegenetze, Professio-
nalisierung von Diensten aufgrund des Strukturwandels
der Familie. Auch das Ehrenamt wird wieder zu mehr Eh-
ren kommen. Die abnehmende Bevölkerungsdichte be-
wirkt weniger Zersiedelung. Wahrscheinlich werden auch
die Umweltbelastungen zurückgehen. Hinzu kommen




Arne Fuhrmann

23205


(C)



(D)



(A)



(B)


natürlich die Fragen der Mobilität. Welche Anforderungen
stellen ältere Menschen an die Mobilität, und überhaupt,
wie kann man für Ältere ein selbstbestimmtes, eigenver-
antwortliches Leben in Würde ermöglichen und gestalten?
Welche Voraussetzungen sind dafür, insbesondere auf
kommunaler Ebene, erforderlich? Welche Barrieren gilt es
abzubauen und – im übertragenen Sinne – welche mögli-
chen Diskriminierungen müssen aus der Welt?

In der Zuwanderungsfrage – darauf ist mehrfach ein-
gegangen worden – konnte sich die Enquete-Kommission
erwartungsgemäß nicht einigen. Dabei wissen wir, dass
durch eine gesteuerte Zuwanderung die Probleme der de-
mographischen Alterung nicht gelöst werden können,
sondern allenfalls abgemildert werden. Allerdings sind
Migrationshindernisse auf dem Arbeitsmarkt immer noch
vorhanden. Egal, wo ausländische Mitbürger tätig sind:
Sie leisten einen Beitrag zum Bruttosozialprodukt, zum
Wachstum, zum Steueraufkommen und leisten Beiträge
zur sozialen Sicherheit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Bei allem Bemühen, das Ganze auf eine vernünftige
Schiene zu bringen, urteilt ein ausländischer Beobachter
im Hinblick auf die Zuwanderungsregelung allerdings
folgendermaßen:

Aus Sicht der Einwanderer, die Sie ins Land holen
möchten, kommt auf jeden Paragraphen, der zur Ein-
wanderung einlädt, ein Dutzend Paragraphen, die
„Bleibt draußen!“ sagen.

Der Artikel hat bezeichnenderweise die Überschrift „Ihr
habt nichts zu bieten – Wer im Leben was will, will nicht
nach Deutschland“; er ist in der „FAZ“ vom 13. April
2002 zu lesen und stammt vom ehemaligen US-Offizier
und Autor Ralph Peters.

Auch im Bereich der Perspektiven des Gesundheits-
wesens gehen die Meinungen zwischen Koalition und
Opposition auseinander. Das ist gut so; denn es gibt kei-
nen Königsweg zur Lösung der Probleme. Es gibt unter-
schiedliche Möglichkeiten. Sich mit diesen Möglichkei-
ten auseinander setzen lohnt.

Ich hoffe, dass insgesamt deutlich geworden ist, dass
der demographische Wandel, die demographische Alte-
rung nicht von vornherein von Übel sind. Der demogra-
phische Wandel ist keine Katastrophe. Alter ist nicht
gleichbedeutend mit Krankheit, Pflegebedürftigkeit und
Siechtum, einem unheilvollen Schicksal oder einer düste-
ren Zukunft.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der PDS)


US-Werbestrategen verdeutlichen diesen Sachverhalt, in-
dem sie die Älteren als „Silverkids“ bezeichnen und somit
wieder eine Verbindung zum Jugendkult schlagen. Aller-
dings ist mir die Sinnfälligkeit einer solchen Werbestrate-
gie nicht ganz klar geworden. Die Amerikaner wissen of-
fensichtlich nicht so ganz, was sie damit sagen wollen.
„Silverkids“ hat aber einen tollen Klang.

Die Arbeit der Enquete-Kommission ist zu Ende, aber
die politisch-parlamentarische Arbeit im engeren Sinne

muss weitergeführt werden. Wir müssen – die gesell-
schaftliche Dimension der demographischen Alterung
verlangt das auch – jetzt unsere Konsequenzen ziehen
und politische Entscheidungen treffen oder zumindest in
die Wege leiten. Dabei müssen wir uns auch grundsätzlich
Fragen und strukturellen Problemen zuwenden und neue
Antworten finden, die zukunftsfähig sind und die zugleich
Rücksicht auf kommende Generationen nehmen.

Entscheidend wird sein, dass Politikerinnen und Poli-
tiker aller Fraktionen, in allen Parlamenten und in jeder
Position begreifen, dass demographischer Wandel nicht
nur ein Schlagwort ist, mit dessen Hilfe politische Zu-
stimmung, Ablehnung oder Verschiebung möglich, son-
dern real ist. Der demographische Wandel wird unsere
Gesellschaft weltweit beeinflussen und verändern. Je eher
wir darauf reagieren, umso mehr können wir an seiner Ge-
staltung teilnehmen.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423315200
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Andreas Storm.


Andreas Storm (CDU):
Rede ID: ID1423315300
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Über das Thema demographi-
scher Wandel wurde drei Legislaturperioden lang disku-
tiert. Auch ich möchte zunächst den Kollegen für die Arbeit
in dieser Kommission, vor allen Dingen den Sachverstän-
digen und den Mitarbeitern im Sekretariat sehr herzlich
danken.

Der demographische Wandel kommt, so war schon zu
hören, als Revolution auf leisen Sohlen. Droht gar ein
„Altersbeben“? Was macht die Dramatik der Situation
aus? Es sind zunächst einmal drei grundsätzliche Trends,
mit denen sich unser Land in den nächsten Jahrzehnten
auseinander setzen muss:

Der erste Trend ist eine rückläufige Bevölkerungsent-
wicklung. Derzeit hat Deutschland etwa 82,5 Millionen
Einwohner. Die mittleren Varianten der Prognoserech-
nungen, die der Kommission vorgelegen haben, besagen,
dass Deutschland in fünf Jahrzehnten etwa 65 bis 70 Mil-
lionen Einwohner haben wird. Sterben die Deutschen aus,
wie es in manchen dramatisch klingenden Buchtiteln be-
hauptet wird? Im Jahr 1950, also vor fünf Jahrzehnten,
hatte Deutschland ebenfalls 69 Millionen Einwohner auf
dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik.

Ist das, was uns bevorsteht, also nur eine Umkehr der
Entwicklung der letzten fünf Jahrzehnte? Ganz so einfach
ist es nicht, denn die Altersstruktur – das ist der zweite
Trend – ändert sich dramatisch; das ist heute schon mehr-
fach zum Ausdruck gekommen: Die Anzahl älterer Men-
schen nimmt deutlich zu. Das Durchschnittsalter der Be-
völkerung in Deutschland wird sich bis zum Jahr 2050 auf
48 Jahre – derzeit liegt es bei 41 Jahren – erhöhen. Wir
werden vor allen Dingen nicht nur viel mehr Menschen
haben, die dann im Ruhestand sind, sondern auch wesent-
lich mehr Menschen, die hochbetagt sind. Die Anzahl der




Arne Fuhrmann
23206


(C)



(D)



(A)



(B)


über 80-Jährigen wird von 5,8 Millionen auf über 11 Mil-
lionen im Jahr 2050 steigen.

Ein dritter Trend kennzeichnet diese Entwicklung.
Dieser Trend ist die Abkehr von der Dreigenerationen-
familie, hin zu Singlehaushalten. In der Stadt Frankfurt
am Main lebt die Mehrheit der Bevölkerung bereits in
Singlehaushalten. Was bedeutet das für eine Gesellschaft,
die in dem Ausmaß wie die deutsche altert und in der im-
mer mehr Menschen in Singlehaushalten leben? Das
macht deutlich, dass in der Tat eine Umwälzung stattfin-
det – wir befinden uns eigentlich schon mittendrin –, die
alle Bereiche des Lebens erfassen wird. Sie wird bei-
spielsweise auch die Wohnungsbaupolitik beeinflussen.

Wir müssen uns darauf einrichten, dass es in den nächs-
ten Jahrzehnten insgesamt zwar weniger Menschen, aller-
dings wesentlich mehr ältere Menschen geben wird, die
auf der einen Seite unmittelbar nach dem Eintritt in den
Ruhestand für lange Zeit sehr aktiv sein können, später je-
doch, als Hochbetagte, wesentlich mehr als in der Vergan-
genheit auf die Hilfe von anderen angewiesen sein werden.
Wohnformen wie betreutes Wohnen werden eine Rolle
spielen. Wir müssen uns mit der Frage beschäftigen, ob
wir, extrem ausgedrückt, „Altengettos“ oder eine Vermi-
schung der älteren mit der jüngeren Generation wollen?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Peter Dreßen [SPD]: Gettos gab es in Polen!)


Dass diese Auswirkungen alle Lebensbereiche betref-
fen, können Sie sich etwas augenzwinkernd anhand eines
Beispiels verdeutlichen: In der Werbung dominieren heute
die Dreißigjährigen, die angeblich so Dynamischen, Agi-
len, während 2035 wahrscheinlich die Fünfundsechzig-
jährigen auch in diesem Bereich dominieren werden, weil
sie die größte Konsumentengruppe sein werden. Das In-
teressante daran ist, dass es vermutlich die gleichen Mo-
dels wie heute sein werden, die dann mit gealtert sind.


(Heiterkeit bei der SPD – Detlev von Larcher [SPD]: Wenn Claudia Schiffer noch gut aussieht, wird sie nicht arbeitslos!)


Was bedeutet das für die Hauptbereiche der Politik? Wir
müssen uns in den nächsten Jahren auch im Deutschen
Bundestag des Bereiches Arbeitsmarkt annehmen. Seine
Entwicklung wird davon geprägt sein, dass – beginnend
in etwa zehn bis 15 Jahren – wesentlich mehr Menschen
aus dem Arbeitsleben ausscheiden, als Jüngere nach-
rücken werden. Dann wird es entscheidend darauf an-
kommen, dass ältere Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt
eine Chance haben.

Warum ist die Situation für ältere Arbeitnehmer heute
so dramatisch, dass Arbeitslose, die 55 Jahre oder älter
sind, faktisch keine Chance mehr haben? Das hat vor al-
len Dingen zwei Gründe. Zum einen gibt es massive so-
zialrechtliche und finanzielle Anreize für Unternehmen,
sich von älteren Arbeitnehmern zu trennen. Dieser Trend
muss gestoppt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

In dieser Hinsicht gab es Gott sei Dank Einvernehmen in
dieser Enquete-Kommission.

Ein Beispiel hierfür ist die geblockte Altersteilzeit.Als
man Altersteilzeitmodelle einführte, lag dem der Gedanke
zugrunde, dass man langsam aus dem Erwerbsleben aus-
gleiten, die Arbeitszeit schrittweise bis zum 65. Lebensjahr
abbauen soll, dabei aber die Erfahrung der Älteren auch
den Jüngeren im Betrieb zur Verfügung stehen soll. Mo-
delle, nach denen man beispielsweise bis zum 60. Lebens-
jahr Vollzeit arbeitet und danach überhaupt nicht mehr, je-
doch in der gesamten Zeit ein reduziertes Einkommen
erhält, waren als absolute Ausnahme gedacht. Dies ist aber
zum Regelfall geworden. Modelle mit geblockter Alters-
teilzeit stellen eine Perversion des Gedankens des Aus-
gleitens aus dem Arbeitsleben dar. Deswegen sollte unter
diese Praxis sehr rasch ein Schlussstrich gezogen werden.

Es gibt einen weiteren Grund, warum die Älteren im
Moment keine Chance haben. Er besteht in dem weit ver-
breiteten Eindruck, ältere Arbeitnehmer seien den sich
rasch wandelnden Anforderungen im Arbeitsleben
nicht mehr gewachsen. Dieser Eindruck ist oftmals falsch.
Manches Mal stellt allerdings der technologische Wandel
in der Tat Anforderungen, die permanente Weiterbildung
erfordern.

Deshalb ist es nicht nur für die Älteren wichtig, dass
wir dem Thema „Lebenslanges Lernen“ in der Politik eine
ganz andere Priorität einräumen, als das bislang der Fall
gewesen ist. Von jemandem, der mit 28 Jahren zum letz-
ten Mal eine Weiterbildungsphase durchlebt hat, kann
man kaum erwarten, dass er mit 58 Jahren noch einmal
mit Erfolg Weiterbildung absolviert. Deswegen müssen
regelmäßige Weiterbildungsphasen zum Standard wer-
den. Die Art und Weise, wie wir das in Deutschland orga-
nisieren und finanzieren, muss nach der Bundestagswahl
ein Topthema sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Employability, über die im angelsächsischen Raum im-
mer wieder diskutiert wird – in Deutschland gibt es dafür
kaum ein Wort; „Beschäftigungsfähigkeit“ trifft das Ge-
meinte eigentlich nur näherungsweise –, also Überlegun-
gen dazu, wie man Arbeitnehmer beschäftigungsfähig
halten kann, müssen ebenfalls zum Gegenstand unserer
Arbeitsmarktpolitik werden. Dabei dürfen wir nicht ver-
gessen, dass auch die Qualität der Ausbildung der jungen
Menschen deutlich verbessert werden muss – die PISA-
Studie hat das angemahnt –, denn wenn junge Menschen
heute schlecht ausgebildet werden, dann sind, drastisch
gesprochen, die Langzeitarbeitslosen von morgen vorpro-
grammiert.

Ein ganz wichtiger Punkt, die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf, wurde bereits angesprochen. Die Ar-
beit der Kommission in den letzten Jahren hat eines deut-
lich gemacht: Es gibt zwar in allen europäischen Län-
dern einen Grundtrend, dass die Geburtenrate in den
70er-, spätestens aber in den 80er-Jahren gegenüber der
Ausgangssituation nach dem Zweiten Weltkrieg deutlich
zurückgegangen ist. Einige Länder haben es jedoch ge-
schafft, diesen Grundtrend wenn nicht umzukehren, so
doch zumindest zu stoppen, beispielsweise in Skandina-
vien. Alle diese Länder haben es verstanden, die Verein-
barkeit von Familie und Beruf besser zu ermöglichen, als




Andreas Storm

23207


(C)



(D)



(A)



(B)


es bei uns der Fall ist. Deswegen brauchen wir auch an
dieser Stelle ein Umdenken.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Stichwort „Alterssicherung“. In den letzten Jahren
wurde sehr viel Vertrauen in die Verlässlichkeit der
Rentenpolitik, aber auch der anderen Alterssicherungs-
systeme zerstört. Aussetzen von Rentenanpassungsfor-
meln, Absenken der Schwankungsreserven – all dies ganz
kurzfristig. Ein wichtiges Ergebnis der Kommissions-
arbeit war, dass wir über die Fraktionsgrenzen hinweg die
Forderung erheben: Es soll ein unabhängiger Alterssiche-
rungsrat eingerichtet werden, der in wichtigen rentenpoli-
tischen Fragen gehört werden muss, zum Beispiel immer
dann, wenn die Rentenformel, die Altersgrenzen, die Bei-
tragssätze oder die Regelungen zur Schwankungsreserve
geändert werden sollen. Meine feste Überzeugung ist,
dass wir es nur dann, wenn wir ein solches unabhängiges
Expertengremium mit wichtigen Befugnissen einschal-
ten, schaffen werden, das Vertrauen in die Alterssiche-
rungspolitik zurückzugewinnen.

Stichwort „Gesundheitspolitik“. Hier hat die Anhö-
rung der Kommission gezeigt, dass wir vor wirklich dra-
matischen Entwicklungen stehen, weil der demogra-
phische Wandel im Gesundheitswesen mit der expansiven
Tendenz des medizinisch-technischen Fortschritts zusam-
mentrifft und sich beides wechselseitig verstärkt. Die
Konsequenz ist, dass ohne strukturelle Reformen die Bei-
tragssätze auf Größenordnungen von über 20, wenn nicht
gar 30 Prozent des Bruttoeinkommens explodieren wür-
den, also eine Verdopplung gegenüber heute im Zeitraum
bis 2040 nicht mehr unrealistisch ist.

Ähnlich dramatisch ist die Entwicklung auch in der
Pflege. Nach den Berechnungen des Deutschen Instituts
für Wirtschaftsforschung wird die Zahl der Pflegebedürf-
tigen bis zum Jahr 2050 von heute 1,9 Millionen auf
4,7 Millionen ansteigen. Aber wir haben bereits heute
massive Probleme. Beispielsweise sind die Leistungen
der Pflegeversicherung seit 1995 nicht mehr angehoben
worden. Das bedeutet eine schleichende Entwertung die-
ser Leistungen. Das macht sich mittlerweile auch darin
bemerkbar, dass der Anteil der Sozialhilfeempfänger un-
ter Pflegebedürftigen in stationären Einrichtungen seit
1998 dramatisch gestiegen ist. Er lag 1998 bei 160 000
und liegt mittlerweile bei über 200 000. Deswegen ist eine
wichtige Forderung der Kommission, dass die Leistungen
der Pflegeversicherung an die Kostenentwicklung seit
1995 angepasst und in Zukunft regelgebunden dynami-
siert werden müssen.

Außerdem ist es wichtig, dass die Überlegungen, Kran-
kenversicherung und Pflegeversicherung besser mitei-
nander zu verzahnen, als das bisher der Fall ist, vom
nächsten Bundestag aufgegriffen werden, sogar die Über-
legung, ob man in einem späteren Schritt nicht beide So-
zialversicherungssysteme zusammenfassen soll.

Stehen wir vor einem Altersbeben? Ob es so kommt
oder nicht, hängt ganz wesentlich auch von uns und von
den Abgeordneten des künftigen Bundestages nach dem
22. September ab. Die Aufgabe der Enquete-Kommission
war es, das Themenfeld umfassend wissenschaftlich zu
analysieren und Handlungsoptionen aufzuzeigen. Diese

Handlungsoptionen haben wir aufgezeigt. Es ist nicht zu
spät. Wir können alles dafür tun, dass es nicht zu einem
Altersbeben kommt, sondern dass das Verhältnis zwi-
schen den Generationen partnerschaftlich sein wird, dass
es durch Vertrauen zueinander geprägt sein wird. Aber
dafür müssen wir gemeinsam handeln. Es liegt an uns.
Packen wir es an!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423315400
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Andrea Nahles.


Andrea Nahles (SPD):
Rede ID: ID1423315500
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Meine Kolleginnen und Kollegen! Das Generationenver-
hältnis weiter zu verbessern, war im Bericht der Enquete-
Kommission ein Kapitel wert. Deswegen erlaube ich mir
heute, das Generationenverhältnis der Familie Nahles ein
bisschen aufzuwerten und meine Eltern zu begrüßen, die
auf der Besuchertribüne Platz genommen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte mich auf das Kapitel Arbeit und Wirtschaft
konzentrieren. Es gibt einen Zielkonflikt, nämlich eine
sehr unterschiedliche Entwicklung, die sich in zwei Pha-
sen darstellen lässt. Bis zum Jahre 2010 werden wir einen
Arbeitskräfteüberhang haben. Damit wird das Problem
einer strukturellen Arbeitslosigkeit in Deutschland eine
der wesentlichen Herausforderungen unserer Politik sein.
Nach 2010 – in Schritten, spätestens aber 2020 – werden
wir wahrscheinlich dem umgekehrten Problem, nämlich
einer Arbeitskräfteknappheit, einem Fachkräftemangel,
ins Auge blicken müssen. Daher könnte es kurz- und lang-
fristig dazu kommen, dass politische Zielvorgaben in
Konflikt geraten. Ich will das an dem Beispiel der älteren
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer deutlich machen.

Die Erwerbsbeteiligung von Älteren nimmt zurzeit ab.
Vorruhestandsregelungen haben in den letzten Jahren
dazu beigetragen, dass junge Arbeitnehmer in die Be-
triebe nachrücken konnten. Mittelfristig aber kann diese
Politik nicht fortgeführt werden. Wir haben einen Kon-
sens darüber erzielt, dass wir den Weg, der in NRW be-
schritten wurde, nämlich den Strukturwandel über Vor-
ruhestandsregelungen zu bewältigen, in dieser Form auch
aus Kostengründen nicht weitergehen können. Gleich-
wohl müssen wir darauf achten, dass wir den jungen Men-
schen nicht die Zugangschancen und Zukunftschancen
auf dem Arbeitsmarkt verbauen.

Das bedeutet für mich aber nicht unbedingt, dass man
jetzt damit beginnt, Herr Storm, Altersteilzeit einfach auf-
zugeben.


(Andreas Storm [CDU/CSU]: Blockteilzeit!)

Das Problem muss vielmehr intelligenter gelöst werden.
Ich meine, die von uns vorgeschlagene Beschäftigungs-
brücke Ost, die vorsieht, dass sowohl junge Menschen
als auch ältere Beschäftigte Teilzeit arbeiten, ist ein sehr
intelligentes Modell, um genau diesen Konflikt zu lösen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Andreas Storm
23208


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Frauenerwerbsquote hat in Deutschland leider
ein mediterranes Niveau, das heißt ein schlechtes. Die
Quote liegt im Osten immerhin noch bei 72 Prozent, im
Westen dafür aber nur bei 57 Prozent.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ein Trauerspiel ist das!)


Das ist etwas, was wirklich nicht so bleiben kann und was
auch den Lebensansprüchen von jungen Frauen über-
haupt nicht gerecht wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Interessant ist, dass unsere Untersuchungen ergeben
haben – wie dem Bericht zu entnehmen ist –, dass allein
die Verbesserung der finanziellen Situation von Frauen
und Familien nicht zu einer höheren Erwerbsbeteiligung
von Frauen führt, sondern dass nur dann mehr Frauen eine
Erwerbstätigkeit aufnehmen, wenn auch die infrastruktu-
rellen Voraussetzungen verbessert werden, wenn Kin-
derbetreuung, Horte, Kindertagesstätten und Ganztags-
schulen zur Verfügung gestellt werden.


(Beifall bei der SPD)

Ich als Rheinland-Pfälzerin darf an dieser Stelle sagen:

Das ist eine Sache, die erwiesenermaßen von der Bevöl-
kerung positiv aufgenommen wird. Deswegen werden wir
in der nächsten Legislaturperiode 4 Milliarden Euro zur
Schaffung von 10 000 zusätzlichen Ganztagsschulen in
Deutschland bereitstellen. Das ist bereits ein positives
Ergebnis aus dem Bericht, das sich in Form von Hand-
lungen zeigt.


(Beifall bei der SPD)

Man könnte jetzt einwenden, wenn mehr Frauen arbei-

ten, dann versperren sie in den nächsten zehn Jahren
womöglich den jungen Leuten die Chance, einen Arbeits-
platz zu finden. Ich sage einmal, was die Ergebnisse un-
serer Untersuchungen sind.

In den Ländern, in denen es eine hohe Frauenerwerbs-
quote gibt, gibt es geringe Arbeitslosenzahlen; dies zeigt
ein Blick nach Skandinavien. Warum ist das so? Weil
die Frauen, die arbeiten, die Eigenarbeit zu Hause stark
zurückfahren. Das heißt, personenbezogene und haus-
haltsbezogene Dienstleistungen werden stärker nachge-
fragt. Bezahlte Frauenarbeit ist Triebfeder für den Dienst-
leistungssektor. Auch das ist eine positive Konsequenz,
die wir aus unserem Bericht ziehen können.


(Beifall bei der SPD)

Ich möchte hervorheben, dass wir sehr viel Einigkeit er-

reicht haben. Das stimmt mich für die Arbeit nach dem
22. September sehr hoffnungsfroh. Auch bei der Qualifi-
zierung sind wir uns einig. Sie nutzt denen, die heute ihre
Jobchancen verbessern wollen, aber sie ist auch das
Zukunftskapital einer alternden Gesellschaft. Eine hohe
Frauenerwerbsquote ist nicht nur der Wunsch der Frauen,
sondern sie ist auch dringend geboten, wenn die Arbeits-
kräfteknappheit ab 2020 voll zuschlägt. Die Zuwanderung
muss geregelt erfolgen, ja; aber sie muss erfolgen, und zwar
jetzt, weil es Zeit braucht, bis wir sie erreicht haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Außerdem brauchen wir einen Chancenausgleich zwi-
schen Jung und Alt, wie wir ihn mit der Beschäftigungs-
brücke Ost schaffen.

Letzte Bemerkung. In Rheinland-Pfalz gibt es eine Ge-
sellschaft zur Förderung des Lesens, die auch Vorschläge
annimmt, was man lesen kann. Ich denke, im Sinne des
ganzen Hauses zu sprechen, wenn ich diesen Bericht zum
Lesen vorschlage, und hoffe, dass das gute Früchte trägt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423315600
Ich schließe da-
mit die Aussprache.

Ich gehe davon aus, dass Sie den Schlussbericht auf
Drucksache 14/8800, wenn auch noch nicht gelesen, so
doch zur Kenntnis genommen haben.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des
Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP auf Drucksache
14/8881. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? –
Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ent-
schließungsantrag ist damit einstimmig angenommen
worden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der PDS sowie der Abg. Christa Lörcher [fraktionslos])


Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Ab-
geordneten Dr. Maria Böhmer, Wolf-Michael
Catenhusen, Andrea Fischer (Berlin) und weiteren
Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Sicherstellung des Embryonenschutzes
im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung

(Stammzellgesetz – SZG)

– Drucksache 14/8394 –

(Erste Beratung 221. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (19. Ausschuss)

– Drucksache 14/8846 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Jörg Tauss
Werner Lensing
Hans-Josef Fell
Ulrike Flach
Angela Marquardt

Es liegen inzwischen vier Änderungsanträge vor. Ich
weise darauf hin, dass wir voraussichtlich über einen der
Änderungsanträge sowie über den Gesetzentwurf na-
mentlich abstimmen werden. Das ist jedenfalls der letzte
Stand.




Andrea Nahles

23209


(C)



(D)



(A)



(B)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Wider-
spruch höre ich nicht. Damit ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die
Abgeordnete Margot von Renesse.


Margot von Renesse (SPD):
Rede ID: ID1423315700
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Nach einer wirklich großen Debatte, mit der er nach
allgemeinem Urteil Ehre eingelegt hat, hat der Deutsche
Bundestag am 30. Januar 2002 die Frage des Imports von
embryonalen menschlichen Stammzellen entschieden –
so dachten jedenfalls alle. Wir hatten als Initiatoren des
Antrags, der die Mehrheit bekam, diese Entscheidung als
Auftrag begriffen und legen unsere Erledigung hiermit
vor.

Zunächst haben wir einen Auftrag erfüllt, nämlich den,
das Gesetz unverzüglich vorzulegen. Wann hat es das
schon einmal gegeben, dass die Legislative, die Parla-
mentarier selbst, das Gesetz machen, wie sich das nach
der Verfassung gehört? – Eine großartige Erfahrung. Sie
gehört zu den Highlights meines politischen Lebens.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/ CSU und der FDP)


Dennoch wird uns vorgeworfen, wir seien von dem Be-
schluss abgewichen. Damit will ich mich auseinander set-
zen, wenn ich Ihnen hier Rechenschaft darüber ablege, in-
wieweit wir den Parlamentsauftrag erfüllt haben – loyal,
wie sich das für diejenigen gehört, die als Mitglieder
dieses Hauses die Entscheidung umzusetzen haben und
hatten.

Im Zentrum der Entscheidung steht der Satz, den, wie
wir wissen, nicht nur dieses Haus, sondern auch die Be-
völkerung mehrheitlich teilt: Für deutsche Forschung hat
kein Embryo sein Leben zu lassen. Diesen Satz umzuset-
zen, und zwar so, dass er im In- und Ausland, soweit es
uns möglich ist, gilt, jedenfalls durch Deutsche nicht ge-
brochen wird, war unser Auftrag. Ihn haben wir erfüllt.

Aber auch die embryonalen Stammzellen sind ethisch
nicht unproblematisch, auch in den Augen der Mehrheit
nicht, die diesen Beschluss getragen hat, und zwar des-
wegen nicht, weil, wenn sie auch nach der Verfassung
nicht, wie Embryonen für viele in diesem Hause, unan-
tastbar sind, da sich aus den embryonalen Stammzellen
kein ganzer Mensch mehr entwickeln kann, hinter ihnen
doch der Tod eines Embryos steht. Dieses bedeutete für
uns, dass wir sowohl den Stichtag halten mussten, um si-
cherzustellen, dass der von mir vorhin zitierte Satz einge-
halten wird, als auch Bedingungen und Regeln aufstellen
mussten, die die Verwendung von embryonalen Stamm-
zellen, so weit sie schon existieren, an strenge Vorausset-
zungen knüpft.

Jetzt komme ich zu den Vorwürfen.
Der erste Vorwurf galt dem Beschluss des Bundesta-

ges, was den Begriff der elterlichen Zustimmung angeht.
In meinen kühnsten – ich muss schon sagen – Albträumen
hätte ich als Familienrechtlerin nicht gedacht, dass dieser

Begriff familienrechtlich verstanden wird, nämlich als die
Zuerkennung eines Verfügungsrechts der Eltern über das
Leben des eigenen Nachwuchses. Ich befinde mich in bes-
ter Gesellschaft: Auch die Justizministerin und der Parla-
mentarische Staatssekretär im Justizministerium, Profes-
sor Pick, kamen nicht auf diese Idee.

Gleichwohl mussten wir diesen Vorwurf ernst nehmen;
denn auch Benda, eine gewichtige Stimme in der bioethi-
schen Debatte, teilte diese Bedenken hinsichtlich der
Missverständlichkeit einer solchen Formulierung. Sei-
nem Rat sind wir gefolgt und haben den Begriff „elterli-
che Zustimmung“ – ich gebe gerne zu: entgegen dem
Bundestagsbeschluss – wegen des Verdachts der Verfas-
sungswidrigkeit dieser Bestimmung nicht verwendet. Wir
haben daher auf den Ordre public verwiesen, nämlich auf
die tragenden Grundlagen und Grundsätze der deutschen
Rechtsordnung, zu denen als einer der klassischsten und
feststehendsten Grundsätze im Medizinrecht das Prinzip
gehört, dass ohne den Informed Consent keine Manipula-
tion an Körper und Körpersubstanzen eines Menschen
möglich sind. Es handelt sich also um eine klare Angele-
genheit. In diesem Punkt gibt es keine Aufweichung, son-
dern eher eine Verschärfung des Bundestagsbeschlusses,
weil mit dem Ordre public auch noch andere Grundsätze
gemeint sein können.

Zweiter Vorwurf. Es wird uns vorgeworfen, wir seien
vom Bundestagsbeschluss abgewichen. Der vorgesehene
§ 13 Abs. 3 hätte im Zusammenhang mit § 9 Abs. 2 Satz 2
des Strafgesetzbuches eine verquere Wirkung zur Folge
gehabt. Wir hätten dem Bundestagsbeschluss Genüge ge-
tan, wenn wir nur den Import verboten hätten. Wir haben
aber mehr getan. Wir haben darüber hinaus die Strafbar-
keit auf die Verwendung ausgeweitet, weil uns bekannt
ist, dass es in Deutschland schon Stammzelllinien gibt,
die nicht illegal importiert worden sind. Es war uns wich-
tig, dies auszuschließen. Damit und nicht mit dem Im-
portverbot, mit dem wir den Bundestagsbeschluss voll
umgesetzt hätten, entstand das Problem der Auslandstat.

Ich spreche jetzt auch Herrn Naumann an, der heute
über dieses Thema in der „Zeit“ geschrieben hat: Machen
Sie sich bitte klar, dass die verquere Rechtslage schon für
das Embryonenschutzgesetz gilt. Die verquere Rechts-
lage, die Herr Naumann uns in die Schuhe schiebt, besteht
schon seit zehn Jahren. Ein deutscher Wissenschaftler, der
in Boston Stammzelllinien kreiert – das heißt, der Em-
bryonen dafür tötet – bleibt straflos und kann in Deutsch-
land in Anwesenheit von Staatsanwälten darüber berich-
ten, ohne rechtliche Folgen befürchten zu müssen. Das
wissen Sie alle.


(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Das können wir aber ändern!)


Ein Professor, der einen Mitarbeiter ins Ausland
schickt, ist wegen Anstiftung einer Straftat möglicher-
weise strafbar, obwohl ich anmerken muss, dass es dies-
bezüglich noch nie ein Ermittlungsverfahren gegeben hat,
weil die Beweislage sehr schwierig sein dürfte.

Fährt dieser Professor mit seinem Assistenten nach
Boston und führt ihn an Ort und Stelle in seine Arbeit ein,
bleiben beide straflos. Wenn der Professor seine Anwei-




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
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(A)



(B)


sungen von einer Telefonzelle aus drei Schritte hinter der
deutschen Grenze – beispielsweise in Dänemark oder in
Frankreich – gibt, dann interessiert sich auch dafür kein
Staatsanwalt.

Ich bitte Sie, meine Damen und Herren: Dieses macht
junge Wissenschaftler nicht beständig in ihrem Wertbe-
wusstsein; es macht sie zynisch. Wir wollten dieses än-
dern, aber nicht in Bezug auf das Embryonenschutzge-
setz; damit mögen sich andere beschäftigen. So haben wir
gedacht. Aber für die erweiterte Strafbarkeit, die insbe-
sondere auch mit Kooperationen im Ausland zu tun hat,
wollten wir diesen offensichtlichen Blödsinn abschaffen.
Die bestehende Rechtslage bedeutet nämlich, dass sich
ein Institut in Schweden in Deutschland von den verant-
wortlichen Behörden eine Genehmigung erteilen lassen
muss, damit deutsche Wissenschaftler mit ihm zusam-
menarbeiten können. An dieser Stelle wird es doch
vollends absurd.


(Peter Hintze [CDU/CSU]: Das stimmt!)

Wir haben jetzt nicht die Zeit, diese Vorschrift allen zu

erläutern, obwohl dieser juristische Firlefanz vielen nicht
klar ist. Hinzu kommt die Diskussion über das 6. Rah-
menprogramm der EU.

Ich sage für mich, dass ich es trotz der Absurdität die-
ser Rechtslage aufgegeben habe. Der nächste Bundestag
mag an § 9 des Strafgesetzbuches gehen, der die Wurzel
des Übels ist. Er mag dort Bereinigungen herbeiführen,
sodass es endlich zu einer konsistenten Rechtslage
kommt. Dieser Paragraph stammt nämlich aus einer Zeit,
als am deutschen Wesen noch die Welt genesen sollte.
Schauen Sie es sich bitte an. Ich werde dem Bundestag
nicht mehr angehören; andere sollten sich aber mit dem
Problem befassen.

Es kann nicht so weiter gehen, dass wir so tun, als leb-
ten wir auf einer Insel. Wir müssen es uns mit den Kon-
flikten in Recht und Ethik schwer machen, damit andere
es leichter haben und damit das Wertbewusstsein erhalten
wird. Dieses Wertbewusstsein darf nicht – quasi aufgrund
der Pontius-Pilatus-Moral nach dem Motto, dass man sich
die Hände nicht schmutzig macht, weil man es ja nicht
gewesen ist – anderen überlassen bleiben. Ich finde, dass
das nicht unser Auftrag ist. Dafür werden wir nicht be-
zahlt.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der FDP)


Ich möchte keine Neuauflage der Diskussion, die wir
am 30. Januar hervorragend geführt haben. Ich finde, das
Parlament ist seiner Aufgabe gerecht geworden. Es hat je-
des Argument geprüft. Wir waren die Vertreter des ganzen
Volkes mit all seinen Bedenken, Ängsten, Hoffnungen
und Sorgen. Wir erwarten, dass jede und jeder in der Be-
völkerung den Entscheidungen gegenüber, die wir in die-
sem Hause treffen, Gehorsam leistet. Wir haben den Be-
schluss am 30. Januar auf der Grundlage individueller
Gewissensentscheidungen gefasst.

Ich habe sehr dafür gekämpft, dass das Parlament der
Ort der Entscheidung ist. Es war nicht immer einfach, das
durchzusetzen. Machen Sie sich bitte klar, was passiert,

wenn wir die Entscheidung drei Monate später selber kon-
terkarieren. War es dann eine Gewissensentscheidung
oder war es eine Entscheidung, die sich nach der Stim-
mung richtete?

Nehmen wir uns ernst. Wir haben unsere Aufgabe getan.
Zur Diskussion kamen Menschen mit verschiedenen An-
schauungen und Erfahrungen zusammen. Sie waren ver-
schiedenen Alters und kamen aus unterschiedlichen Gene-
rationen. Ich finde, wir haben unsere Arbeit – ich kann den
Prozess nur als unglaublich positiv bezeichnen – in einer
guten Weise geleistet. Wir waren offen für Kritik. Wir woll-
ten allen Menschen – also weit über die Grenzen dieses
Hauses hinaus – die Möglichkeit geben, vor dem Hinter-
grund eines Wertdissenses miteinander zu existieren.

Ich darf mit einem Satz aus der Bergpredigt, der mir
sehr wichtig ist, schließen. In den Seligpreisungen steht
nicht: „Selig sind die Rechthaber“, sondern: „Selig sind,
die Frieden stiften.“

Danke sehr.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423315800
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Werner Lensing.


Werner Lensing (CDU):
Rede ID: ID1423315900
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Kolleginnen! Meine Kollegen! Der
Ihnen vorliegende Gesetzentwurf ist natürlich auf der
Basis unseres Mehrheitsbeschlusses vom 30. Januar die-
ses Jahres in einer interfraktionellen Arbeitsgruppe, deren
Geist unglaublich – ich muss es so sagen dürfen – fair,
konstruktiv und sachkundig war, in der Tat aus der Mitte
des Parlaments entstanden. Das ist schon einmal etwas
sehr Gutes.

Diese gesetzliche Regelung steht in völligem Einklang
mit der rechtlichen und ethischen Wertentscheidung, wel-
che dem hohen Schutzniveau des Embryonenschutzgeset-
zes zugrunde liegt. Zudem beachtet sie das Grundrecht
der Freiheit von Wissenschaft und Forschung und trägt
zugleich dem berechtigten und verständlichen Interesse
kranker Menschen an der Entwicklung neuer Hei-
lungschancen Rechnung.

Wegen der mir nur knapp bemessenen Zeit möchte ich
diese Aussage an sechs Punkten festmachen:

Erstens. Bekanntlich stellt Art. 1 unseres Grundgeset-
zes apodiktisch und zweifelsfrei fest: „Die Würde des
Menschen ist unantastbar.“ Diese Grundaussage findet in
dem vorliegenden Gesetzentwurf eine uneingeschränkte
Bestätigung. Sie verblasst nicht etwa zu einer reinen Ver-
fassungslyrik.

Zweitens. Der vorgelegte Entwurf beinhaltet ein
grundsätzliches, klar nachvollziehbares Einfuhr- und Ver-
wendungsverbot von humanen embryonalen Stammzel-
len. Damit wird dem von vielen befürchteten Dammbruch
eindeutig und wirksam begegnet.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)





Margot von Renesse

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(D)



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(B)


Drittens. Durch die Begrenzung des Verbots auf das
Maß, das durch den Embryonenschutz gerechtfertigt ist,
ist der Gesetzentwurf verfassungsrechtlich in keiner
Weise zu beanstanden.

Viertens. Es wird sichergestellt, dass alle – auch die
durch Klonen erzeugten – humanen totipotenten Zellen
als Embryonen anzusehen sind und somit in den Schutz-
bereich dieses Gesetzes gehören.

Fünftens. Durch den heute vorgelegten Änderungsan-
trag zu § 13 Abs. 3 des Gesetzentwurfes – Frau Kollegin
Renesse ist bereits ausführlich darauf eingegangen – soll
die Strafbarkeit einer in Deutschland begangenen Anstif-
tung und Beihilfe zu einer im Ausland erfolgten, dort je-
doch nicht strafbaren Verwendung von embryonalen
Stammzellen festgelegt werden.

Sechstens. Mit der Festlegung eines präzisen Stichta-
ges wird allen jeglicher Anreiz genommen, Embryonen zu
töten, um daraus Stammzellen für die Forschung in
Deutschland zu gewinnen.

Kurzum: Unser Gesetzentwurf ist ausgewogen und
praxistauglich, was ich für besonders wichtig erachte.

Dieser Entwurf hat natürlich seine Kritiker gefunden.
Aber wer hier von doppelter Moral spricht, sagt etwas
Falsches, weil dieser Entwurf konsequent, rechtlich sau-
ber formuliert und letztlich sogar unvermeidlich ist, und
zwar deswegen, weil wir ein Einfuhr- und Verwendungs-
verbot benötigen, um Embryonen vor Begehrlichkeiten in
Deutschland zu schützen, unvermeidlich aber auch des-
wegen, weil Stammzellen – ich beziehe diese Gedanken
ausdrücklich auf die bereits vor dem Stichtag gewonne-
nen Stammzellen – nun einmal keine Embryonen sind. In-
sofern existiert im Hinblick auf diese Stammzellen kein
unmittelbarer Grundrechtschutz, der der Forschungsfrei-
heit entgegenzuhalten wäre.

Wir nehmen im Übrigen – ich will deutlich darauf hin-
weisen – Forscherinnen und Forscher in die Pflicht und
setzen ihren Forschungen klare Grenzen. Daher finde ich
es überhaupt nicht angemessen, wenn sich einige der ve-
hementesten Gegner des Konsenses vordergründig auf das
formalistische Argument einer wortwörtlichen Umsetzung
berufen; sollten wir uns doch unabhängig von unserem
Standpunkt allemal darauf verständigen können, dass kein
Parlamentarier daran gehindert wird, sich beispielsweise
im Rahmen einer Anhörung über neue Probleme zu infor-
mieren und Bereitschaft zu zeigen, seinen gewonnenen Er-
kenntniszuwachs verantwortungsvoll zu nutzen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eines möchte ich im Hinblick auf frühere Änderungs-
vorschläge, die selbst die nur ausnahmsweise mögliche
und restriktiv regulierte Einfuhr von Stammzellen noch
hätten vereiteln können, deutlich sagen: Der Vorschlag
der Gruppe um die Kollegen Dr. Wolfgang Wodarg,
Monika Knoche und Hubert Hüppe zeigt nunmehr offen,
was wirklich angestrebt wird: ein absolutes Importverbot,
das bereits am 30. Januar 2002 von diesem Hohen Haus
mehrheitlich abgelehnt wurde.

Ich fasse zusammen, indem ich eine führende Tages-
zeitung zitiere:

Trotz mancher Schwächen im Detail: Besser und
sachkundiger lässt sich der Konflikt um Embryonen-
schutz, Forschungsfreiheit und neue Therapien nicht
auflösen.

Gestatten Sie mir eine persönliche Bemerkung: Keiner
der Beteiligten, wo immer er stehen mag – dessen Stand-
punkt respektiere ich selbstverständlich –, sollte meinen,
er allein habe die Moral gepachtet. Dies zu beachten ge-
bietet uns der Respekt vor der Gewissensentscheidung ei-
nes jeden Einzelnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423316000
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Andrea Fischer.

Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In
den letzten Monaten, seit ich mich auf den Weg gemacht
habe, mit den inzwischen von mir so sehr geschätzten
Kolleginnen und Kollegen den heute vorliegenden Ge-
setzentwurf zu erstellen, habe ich mich immer wieder
selbst geprüft. Ich habe mir immer wieder die Frage ge-
stellt: Rücke ich hier in unvertretbarer Weise von meinen
Positionen ab, ja verrate ich diese Positionen sogar, indem
ich mich auf diesen Antrag einlasse?

Ich habe mir diese Frage natürlich auch anhand der kri-
tischen Einwände gestellt, die uns gegenüber immer wie-
der gemacht wurden, auch nach der Abstimmung am
30. Januar. Deren gewichtigster lautet mit Sicherheit, dass
es bei Leben und Tod keinen Kompromiss gibt. Das ist
richtig; diese Auffassung teile ich. Deswegen betone ich
hier noch einmal: In diesem Sinne haben wir heute keinen
Kompromiss vorgelegt. Vielmehr haben wir das Embryo-
nenschutzgesetz nicht nur bekräftigt, sondern wir haben
eine lange bestehende Lücke geschlossen. Aber den stren-
gen Schutzstandard des Embryonenschutzgesetzes wol-
len wir auf Dauer und in die Zukunft festschreiben. Das
halte ich für die zentrale Botschaft, die oft zu gering ge-
schätzt worden ist.

Der zweite sehr gewichtige Einwand ist natürlich, dass
eine Ausnahme doch irgendwie auch schon der Anfang
vom Ende dieses Embryonenschutzgesetzes sein könnte.
Ich betone noch einmal: Dieser Einwand gilt deswegen
nicht, weil wir diese grundlegende Position gehalten und
sogar bekräftigt haben und weil wir uns mit der Ausnahme
ausschließlich auf die Vergangenheit, die für uns unab-
änderlich ist, beziehen und dementsprechend, wenn wir
dies so tun, nicht unserem Ziel zuwiderlaufen, für die Zu-
kunft die verbrauchende Embryonenforschung aus-
schließen zu wollen.

Deswegen, Kollegin Flach, ist Ihr Änderungsantrag
mit dem Grundgedanken unseres Gesetzentwurfs völlig
unvereinbar. Er verkehrt unseren Grundgedanken in sein




Werner Lensing
23212


(C)



(D)



(A)



(B)


Gegenteil. Das ist der entscheidende Punkt, warum ich
meine, dass er überhaupt nicht kompatibel mit diesem Ge-
setzentwurf ist und deshalb auch nicht zustimmungsfähig
ist.

Dann gibt es den eher praktischen Einwand: dass wir
den hohen Anspruch, den wir aufgestellt haben, deswegen
in der Praxis nicht einhalten könnten, weil wir weder die
Menge noch die Herkunft der Stammzellen und der
Stammzelllinien kontrollieren könnten. Ich verweise da-
rauf, dass die Frage der Menge für die Grundentschei-
dung, die wir getroffen haben, irrelevant ist. Wir haben
gesagt, dass wir eine Unterscheidung zwischen Vergan-
genheit und Zukunft machen.

Ich verweise zum anderen darauf, dass wir einen
Schwerpunkt unserer Beratungen auf das Problem der
Kontrolle gelegt haben. Die entsprechende Regelung im
Gesetzentwurf ist sehr eindeutig. Natürlich wird es im
Einzelnen nicht immer einfach sein, dies zu machen. Aber
versuchen wir doch jetzt einmal, lebenspraktisch an die
Sache heranzugehen. Ein Forscher, der sich die Mühe
macht, einen Antrag bei einer Behörde zu stellen, wird
sehr wohl schon aus Eigeninteresse darauf achten, den
Import von einer Institution zu beantragen, die reputier-
lich ist und die man überprüfen kann. Dass es andere in
der Welt gibt, wissen wir. Das ist aber von diesem Gesetz
völlig unberührt. Das könnte man heute schon miss-
bräuchlich unterlaufen. Die Möglichkeit, dass sich je-
mand nicht an ein Gesetz hält, ist meines Erachtens kein
gutes Argument gegen ein Gesetz.

Dann stellt sich immer noch die Frage: Wieso über-
haupt eine Ausnahme? Warum nicht einfach sagen, das
wollen wir nicht, niemals?


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Genauso ist es!)

Mein Ausgangspunkt für diese Überlegung war das Ver-
fassungsrecht. Gleiches ist von den Vorrednern bereits be-
tont worden. Wäre es das Verfassungsrecht allein, könnte
man noch sagen: Wir sind der Gesetzgeber, wir entschei-
den und wollen wir doch einmal sehen, wer stärker ist;
außerdem haben Juristen immer verschiedene Meinungen.

Bei mir ist der Prozess, eine Ausnahmeregelung zu er-
arbeiten, immer stärker zu dem Versuch geworden, sich
diesen Widersprüchen zu stellen, von denen ich glaube,
dass wir alle gut beraten sind, sich ihnen zu stellen. Wir
wissen doch, dass viele Menschen eine hohe Erwartung
an die Forschung haben, die hier zur Debatte steht. Wir
wissen genauso, dass es völlig offen ist, ob diese Erwar-
tungen erfüllt werden können. Nur werden wir das nie
erfahren, wenn wir nicht wenigstens die Grundlagen-
forschung zulassen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Gerade diejenigen, die die ganze Zeit sagen, sie woll-

ten, dass wir an ethisch unbedenklichen Alternativen for-
schen, haben es argumentativ nicht ganz leicht gegenüber
dem Argument, dass diese Grundlagenforschung auch
benötigt wird, um besser zu verstehen, wie diese ethisch
unbedenklichen Alternativen verwendet und genutzt wer-
den können. Auch vor diesem Hintergrund sollte man ein
großes Interesse daran haben.

Ich will noch eine persönliche Bemerkung machen. In
der Debatte am 30. Januar ist mir etwas aufgefallen. Da
habe ich nicht wenige von denen, die für das absolute
Nein sprachen, das Argument gehört, dass man diese For-
schung nicht brauche, weil man ja Alternativen habe. Die-
ses Argument ist in der Tat zunächst einmal ein eher
schwaches. Denn im Umkehrschluss hieße das natürlich:
Wenn sie denn erfolgreich wäre, müsste man alles zulas-
sen. Ich glaube, die Frage des Erfolgs kann für die Beur-
teilung dieses Sachverhalts bestenfalls eine notwendige,
aber keine hinreichende Bedingung sein, um eine Ent-
scheidung zu treffen.

Wir als Parlament, als Politikerinnen und Politiker, ha-
ben während der ganzen Debatte – schon lange vor den
Entscheidungen, die wir zu treffen hatten und haben – von
den Forschern verlangt, dass sie den Souverän und seine
Entscheidungen respektieren. Sie wissen alle, dass das
nicht immer unstrittig war. Aber wir können doch heute
feststellen, dass sich die Forschung an diese Forderung
gehalten hat. Sie hat ihre Anträge so lange zurückgestellt,
bis der Bundestag entschieden hat. Ich glaube, das ist eine
gute Ausgangsvoraussetzung für uns, ebenfalls zu überle-
gen, wie wir Brücken bauen – nicht nur zur Forschung;
die macht es nicht nur aus Eigeninteresse –, sondern auch
zu den Menschen, die andere Interessen damit verbinden,
die Hoffnungen darauf setzen und diesbezüglich Erwar-
tungen hegen.

Ich bin absolut überzeugt davon – nach den letzten Mo-
naten der Selbstprüfung immer mehr –, dass es klug ist,
wenn wir uns in einer pluralistischen Gesellschaft unserer
moralischen Gemeinsamkeiten in der Weise vergewis-
sern, dass wir von niemandem die vollständige Unterwer-
fung unter die Mehrheitsmeinung verlangen.

Unsere Debatte – ich habe dieses Argument selber oft
genug bemüht – ist immer wieder bestimmt von der
Sorge, mit einem Schritt, den wir tun, könnten wir den
Dammbruch einleiten. Meine Damen und Herren, wir
selber sind es, die diese Dämme errichten. Und wir ha-
ben hier einen sehr festen Damm errichtet. Das ist schon
gesagt worden. Das heißt, wir selber sind es, die uns sel-
ber und den von uns gemeinsam getroffenen Verabre-
dungen trauen müssen. Dies liegt ausschließlich an uns.
Ich glaube aber, dass es mit einer solch tragfähigen
Grundlage, die berücksichtigt, dass es unterschiedliche
Positionen gibt, ohne damit in die Beliebigkeit des
„anything goes“ zu verfallen, möglich ist, gegenseitig
Vertrauen zu haben. Wenn wir dieses Vertrauen nicht ha-
ben können und nicht daran arbeiten, es miteinander zu
entwickeln, dann werden auch diese Gesetze nicht lange
halten.

Vor diesem Hintergrund werbe ich um Ihre Zustim-
mung.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD, der CDU/ CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423316100
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ulrike Flach.




Andrea Fischer (Berlin)


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(B)



Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1423316200
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Der Bundestag hat am 30. Januar nach langer
und sehr umfangreicher Debatte – die ich genau wie Sie,
Frau von Renesse, für eine der besten Debatten halte, die
in den letzten dreieinhalb Jahren stattgefunden haben –
eine Grundsatzentscheidung gefällt, die deutlich sagt,
dass der Import embryonaler Stammzellen grundsätzlich
zu verbieten ist. Aber es sollen Ausnahmen zugelassen
werden, wenn wissenschaftliche Gründe belegen, dass es
sich um hochrangige Forschung für die Entwicklung von
Therapien gegen schwere Krankheiten handelt.

Gelegentlich, liebe Kollegen, muss man sich ins Ge-
dächtnis rufen, was der Sinn dieser Ausnahmeregelung
vom Verbot sein soll: nicht die Erfüllung ungeduldiger
Forscherwünsche, sondern der klare Wille der Mehrheit
dieses Hauses, kranken Menschen mithilfe der Stamm-
zellforschung Hoffnung und eventuell Heilung zu geben.


(Beifall bei der FDP)

Das Stammzellgesetz soll diese Grundsatzentschei-

dung des Parlamentes in Recht umsetzen. Es geht also
– auch insoweit schließe ich mich Ihnen, Frau von
Renesse, vollkommen an – heute nicht mehr um den Im-
port an sich – Sie wissen, dass die FDPhier eine ehrlichere
und klarere Lösung für eine Forschung in Deutschland für
die bessere gehalten hätte –,


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Das ist ja nicht zu fassen!)


sondern es geht nur noch darum, wie die gesetzliche
Regelung aussieht. Dabei steht für uns ganz klar im Vor-
dergrund, dass diese Regelung die größtmögliche Chance
dafür bieten muss, schnelle Erfolge in der Grundlagen-
forschung und dann auch der Therapieentwicklung zu er-
zielen.

Leider, Frau Fischer, Frau von Renesse, hat der nun
eingebrachte Gesetzentwurf genau in dieser Hinsicht ei-
nige Mängel. Er ist mit Bürokratie überladen


(Peter Hintze [CDU/CSU]: Jawohl!)

und er ist, weil er von so vielen unterschiedlichen An-
tragstellern eingebracht wurde, nicht der Maxime gefolgt,
ein Verfahren zu wählen, welches funktioniert und nicht
ein Hemmnis für deutsche Forscher bedeutet.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Peter Hintze [CDU/CSU])


Die Stichtagsregelung – 1. Januar 2002 – ist – das hat
die Expertenanhörung unseres Ausschusses ganz deutlich
ergeben – alles andere als anwender-, als therapiefreund-
lich. Sie ist auch – das hat zum Beispiel Professor Taupitz
ausgeführt – zumindest hart an der Grenze zur Verfas-
sungswidrigkeit. Zudem begeben wir uns faktisch in die
Abhängigkeit eines einzelnen kommerziellen Anbieters,
denn die Zahl der zur Verfügung stehenden Stammzell-
linien ist nicht sehr groß.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat uns in der
Anhörung darauf hingewiesen, dass nur wenige der im
NIH-Register gelisteten Stammzelllinien dem For-
schungsanspruch genügen und damit nur für die Grundla-
genforschung, nicht aber für die für uns alle wichtigste
Forschung, nämlich die therapieorientierte Forschung,
reichen wird.

Mit unserem Antrag möchten wir verhindern, dass wir
in kurzer Zeit wieder eine gesetzliche Regelung brauchen,
wenn nämlich die Forschung so weit ist, dass man in die
Therapie einsteigen könnte, dazu aber Stammzelllinien
von einer Qualität braucht, die es vor diesem Stichtag
nicht gab. In die Therapie wollen wir aber einsteigen, Frau
von Renesse, wie dies auch in § 5 des Gesetzentwurfes
klar formuliert wird.

Wir schlagen deshalb eine Regelung vor, die sicher-
stellt, dass der Forschung für die Therapie geeignete
Stammzellen zur Verfügung stehen, ohne Gefahr zu lau-
fen, Stammzellen auf Bestellung zu produzieren. Zwi-
schen der Entstehung im Herkunftsland, zum Beispiel bei
der künstlichen Befruchtung, und einem Antrag auf Import
nach Deutschland muss nach unserer Vorstellung ein Zeit-
raum von einem halben Jahr liegen. Dies ist ein Vorschlag
– die Kundigen unter Ihnen wissen dies –, über den auch
im Ethikrat diskutiert wurde. So weit zu unserem Antrag.

Es ist gut, Frau von Renesse, dass die Einbringer des
Gesetzentwurfes nach der Anhörung im Ausschuss noch
einige Ungereimtheiten ausgeräumt haben. Leider – das
muss ich auch deutlich sagen – gibt es aber auch eine ge-
genteilige Entwicklung, und zwar den zweiten Ände-
rungsantrag, den Sie jetzt eingebracht haben.


(Detlef Parr [FDP]: Völlig überflüssig!)

Bezeichnenderweise hat sich Herr Catenhusen ausge-
klinkt. Dieser Antrag könnte, wenn er angenommen
würde, das ganze Gesetz gefährden.

Sie wollen die Regelung des § 13Abs. 3 Ihres eigenen
Gesetzentwurfes streichen. Was bedeutet dies? Sie haben
die Frage anhand eines Beispiels eben selbst klar beant-
wortet: Dann würde § 9 des Strafgesetzbuches gelten. Bei
einer einfachen Forschungskooperation zwischen Deut-
schen und Indern gerieten deutsche Forscher nur aufgrund
dieser Kooperation sehr schnell in die Gefahr einer Be-
strafung. Auf diese Art und Weise würden wir diese Ko-
operationen, die es auch heute schon gibt, sehr stark be-
hindern. Selbst die Vergabe von Lizenzen, Frau von
Renesse, zur Nutzung patentierter Verfahren an ausländi-
sche Wissenschaftler könnte nach Ihrem Vorschlag als
Beihilfe bewertet werden. Was Sie jetzt machen, bedeutet
eine erhebliche Erschwerung internationaler Forschungs-
kooperationen unter deutscher Beteiligung. Und Sie wis-
sen das, Frau von Renesse.

Machen wir uns noch einmal klar, warum wir den Be-
schluss am 30. Januar diesen Jahres gefasst haben. Es geht
um hochrangige Forschungsvorhaben, die dazu dienen
sollen, Grundlagen der Zellprogrammierung zu erkennen,
um Therapien gegen genetisch bedingte Krankheiten zu
entwickeln. Dass dies ethisch-moralisch vertretbar ist, hat
dieses Haus mit Mehrheit entschieden.

Die Menschen erwarten jetzt von uns, dass wir diesen
Beschluss umsetzen; natürlich in ethisch verantwortbarer
Form – das leistet das vorliegende Gesetz; das ist so, Frau
von Renesse –, aber doch auch so, dass Erfolge nicht von
vornherein behindert werden.

Deshalb wird die FDP-Fraktion die Änderungsanträge
von Herrn Dr. Wodarg bzw. Herrn Dr. Wodarg, Herrn






(C)



(D)



(A)



(B)


Hüppe und anderen ablehnen, die die damals getroffene
Entscheidung aufheben wollen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der PDS)


Wir werden auch den Änderungsantrag von Frau
Böhmer, Frau Fischer, Frau von Renesse und Herrn
Lensing ablehnen, weil er Deutschland von der interna-
tionalen Forschungskooperation abkoppelt.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Peter Hintze [CDU/CSU])


Ich werbe bei Ihnen für unseren Änderungsantrag ei-
nes praktikablen Stichtages. Wir wollen Forschung zu-
gunsten Kranker. Aber ich sage Ihnen auch ganz klar:
Selbst wenn diese für uns optimale Lösung nicht durch-
kommt, werden wir Ihrem Gesetzentwurf zustimmen. Wir
als FDP werden nicht auf der Seite der Forschungsver-
weigerer stehen.

Deshalb bekommen Sie unser Ja zu Ihrem Antrag mit
großen Bauchschmerzen, Frau von Renesse, weil ich
weiß, dass wir der Forschung nur einen kleinen Dienst
und nicht den Dienst erweisen, den wir uns als
Forschungspolitiker vorstellen. Aber wir wollen die Tür
zumindest leicht öffnen. Wir wollen den Menschen ein
Signal senden, die darauf hoffen, dass ihnen diese For-
schung irgendwann einmal Linderung bringt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Christina Schenk [PDS])



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423316300
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Ilja Seifert.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1423316400
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Liebe Frau von Renesse, ich habe den Auf-
trag an uns anders als Sie verstanden. In Ihrem Gesetz-
entwurf steht es auch anders, als Sie es dargestellt haben.
Die Vermeidung der Tötung von Embryonen zum Zwecke
der Stammzellforschung ist in Ihrem eigenen Gesetzent-
wurf erst der zweite Punkt, nicht der Hauptpunkt.

Der Hauptpunkt ist – ich darf das zur allgemeinen
Kenntnisnahme wiederholen –, die Einfuhr und Verwen-
dung embryonaler Stammzellen zu verbieten. Sie haben
ein „grundsätzlich“ hineingebracht. Dies ist dann die Ein-
leitung für den dritten Punkt, nämlich die Ausnahme. Den
Auftrag, dies zu verbieten, haben wir deshalb, weil wir die
Menschenwürde als unantastbar ansehen. Das ist das
oberste Gebot der Verfassung.

Es stellt sich in Ihrem eigenen Gesetzentwurf jedoch
heraus, dass das eine mit dem anderen nicht zu vereinba-
ren ist. Sie müssen eine Konstruktion finden, die so tut, als
ob die Tötung von Embryonen nicht stattfindet, um im
Nachhinein zu sanktionieren: Wenn es denn schon ge-
schehen ist, dann kann es nicht mehr geändert werden und
ist hinzunehmen.

Frau Fischer, ich finde Ihren Diskussionsbeitrag, der
nachdenklich stimmt und viele Bedenken in verständli-
cher und nachvollziehbarer Weise aufgegriffen hat, we-

sentlich zielführender. Sie kommen aber zu einem ande-
ren Ergebnis als ich. Nachher wird noch begründet wer-
den, warum wir einen gemeinsamen Antrag eingebracht
haben, um den Import vollkommen zu verbieten. Frau
Fischer, Ihre Fragestellungen werden von einem großen
Teil der Bevölkerung geteilt. Ich finde jedoch die Beru-
fung auf die Mehrheiten immer etwas problematisch.

Ich will es ausdrücklich sagen: Wenn für uns das Ge-
bot der Würde des Menschen über allem steht, dann
glaube ich nicht, dass man solche Kompromisse machen
kann. Ich benutze das Bild vom Dammbruch, Frau
Fischer, nicht gern. Sie haben es benutzt und sich für das
Bauen eines Dammes ausgesprochen. Das ist in Ordnung.
Ich benutze in diesem Zusammenhang lieber das Bild von
der Tür, die entweder zu, einen Spalt offen oder ganz of-
fen ist. In diesem Zusammenhang könnte man sagen: Sie
versuchen, die Tür einen kleinen Spalt zu öffnen, gleich-
zeitig aber zu verhindern, dass alles durchgeht, was
durchgehen kann. Das zu sagen kann ich Ihnen nicht er-
sparen, Frau von Renesse und die übrigen Antragstel-
lerinnen und Antragsteller, die sicherlich nicht traurig
sind, wenn ich sie nicht alle aufzähle.
In § 5 des vorliegenden Gesetzentwurfes wird deutlich,
was seine Initiatoren wirklich wollen. Dort heißt es:

Forschungsarbeiten an embryonalen Stammzellen
dürfen nur durchgeführt werden, wenn … sie hoch-
rangigen Forschungszielen für den wissenschaftli-
chen Erkenntnisgewinn im Rahmen der Grundlagen-
forschung oder für die Erweiterung medizinischer
Kenntnisse bei der Entwicklung diagnostischer,
präventiver oder therapeutischer Verfahren zur An-
wendung bei Menschen dienen …

Sagen Sie mir bitte einmal, warum in dem einleitenden
Hauptsatz ein „nur“ steht? Sie haben in diesem Paragra-
phen doch fast alles aufgezählt.


(Margot von Renesse [SPD]: Das ist fast wörtlich der Bundestagsbeschluss!)


– Entschuldigen Sie bitte, in diesem Paragraphen wird
doch alles aufgelistet, von der Grundlagenforschung über
die therapeutische Forschung bis hin zur Anwendungs-
forschung.

Frau Flach hat auch noch gefordert, in diese Auflistung
nicht nur die therapeutische Forschung, sondern auch die
Therapie aufzunehmen. Das ist das Einzige, was Sie in § 5
Ihres Gesetzentwurfes nicht aufgenommen haben. In der
Anhörung ist ja deutlich geworden: Die Begrenzung auf
die Grundlagenforschung ist etwas völlig anderes als die
von Ihnen vorgeschlagene Erweiterung; denn eine solche
Erweiterung heißt nicht, die Tür einen Spalt breit zu öff-
nen, sondern Scheunentore aufzumachen. Dahinter befin-
den sich schon die nächsten Türen. Frau Flach hat eine da-
von angedeutet.

Wir wissen von den Forschern der Deutschen For-
schungsgemeinschaft und anderer wissenschaftlicher In-
stitutionen, wohin sie eigentlich wollen. Insofern ist das
Sich-Berufen aufMenschen, die krank sind und die Linde-
rung,Heilungoder zumindestHoffnungvonderForschung
an embryonalen Stammzellen erwarten, vielleicht sehr po-
pulär.Aber, Frau Flach, Sie glaubenmir sicherlich, dass ich




Ulrike Flach

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(C)



(D)



(A)



(B)


mit sehr vielenMenschenzusammenkomme, die chronisch
krank oder behindert sind und die mit ihren Beeinträchti-
gungen gut oder schlecht leben.Diese antwortenmir, wenn
ich sie frage:Wollt ihr wirklich diese erste Tür aufmachen,
wisst ihr, welche Türen dann dahinter sein werden, glaubt
ihrwirklich, dass dann,wenn die ersteTür geöffnetworden
ist, die nächsten Türen verschlossen bleiben?


(Detlef Parr [FDP]: Was ist das denn anderes als der Dammbruch, den Sie nicht ansprechen wollten?)


– ich habe nur gesagt, dass ich dieses Bild nicht gerne be-
nutze; ich habe nicht gesagt, dass ich das nicht so sehe –,
ja, du hast Recht. Lass uns lieber Gesetze machen, die es
uns ermöglichen


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist ein bisschen wie ein Alleinvertretungsanspruch!)


– Entschuldigung, Herr Tauss, ich darf hier meine Mei-
nung genauso äußern wie Sie; dass Sie keine Redezeit von
Ihrer Fraktion bekommen haben, ist nun wirklich nicht
mein Problem –, mit unseren Krankheiten, Behinderun-
gen und Beeinträchtigungen besser zu leben. Wir wollen
nicht als Alibi für das Öffnen von Scheunentoren in eine
bestimmte Richtung herhalten.


(Jörg Tauss [SPD]: Aber Sie können nicht alle verhaften!)


– Entschuldigung, das haben wir alles schon einmal er-
lebt. Ich habe heute – das ist reiner Zufall gewesen – mit
den Vertreterinnen des Bundes der Euthanasiegeschä-
digten und Zwangssterilisierten geredet. Sie warten noch
heute auf ihre Entschädigung. Ich finde das empörend. Sie
haben mir auch berichtet, dass es in der Nazizeit mit dem
Gesetz zur Verhinderung erbkranken Nachwuchses be-
gann. Danach waren dann die unheilbar Kranken und die
chronisch Kranken dran. Später wurden soziale Kriterien
eingeführt. Wohin das geführt hat, wissen wir alle.

Wenn Sie mir so kommen – dieses Argument wollte ich
eigentlich nicht bringen –, dann muss ich doch zumindest
sagen dürfen, wovor ich Angst habe. – Entschuldigung,
dass ich mich jetzt so echauffiert habe.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423316500
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dr. Wolfgang Wodarg.


Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Rede ID: ID1423316600
Sehr verehrte Damen
und Herren! Am 30. Januar 2002 hat dieses Haus mit
großer Mehrheit festgestellt, dass menschliche Embryo-
nen für die Forschung nicht getötet werden dürfen – nicht
in Deutschland und nirgendwo auf dieser Welt. Da waren
wir uns alle einig. Außerdem sollten von Deutschland
keine Anreize ausgehen, dass es irgendwo auf der Welt
verbrauchende Embryonenforschung gibt.

Im zweiten Anlauf der Debatte gab es einen Zusam-
menschluss derer, die behaupteten, man könne dies alles
trotz einer Importerlaubnis gesetzlich regeln. Dann haben
wir den Gesetzentwurf vorgelegt bekommen. Wir haben

eben von der Kollegin von Renesse und auch von anderen
Kollegen und Kolleginnen gehört, welche Verrenkungen
der Gesetzgeber machen muss, damit er diese wider-
sprüchlichen Dinge unter einen Hut bekommen kann.


(Margot von Renesse [SPD]: Also, entschuldigen Sie mal!)


Man kann es einen bioethischen Eiertanz nennen, wenn
ich die Deutlichkeit von Frau von Renesse einmal für
mich in Anspruch nehme. In einem stimme ich mit Frau
Flach überein: dass dieser Gesetzentwurf wirklich nicht
das hält, was er verspricht. Nur, wir beide meinen das un-
terschiedlich.

Der Gesetzentwurf zeigt, dass der Import von embryo-
nalen Stammzellen zwar grundsätzlich verboten wird,
dass aber Stammzellen importiert werden dürfen, die „in
Kultur gehalten werden“ – wie es dort heißt – „oder im
Anschluss daran kryokonserviert gelagert werden“. Wir
haben hier am 30. Januar versucht, etwas näher abzu-
schätzen, wie viele Stammzellen und Linien das denn
sein könnten. Es ist deutlich geworden, dass es sich nach
Herrn Hintze um zwei bis drei Linien handelt; das kann
man im Protokoll nachlesen. René Röspel, seines Zei-
chens Molekularbiologe, hat die Aufzählung von George
Bush präsentiert: Das waren zwischen 60 und 70 Linien,
von denen aber nur etwa über 20 für die Forschung über-
haupt brauchbar seien. In der Debatte ist gesagt worden,
dass es etwa 7 Mäusezelllinien gibt, mit denen die For-
schung arbeitet.

Dann hat der Deutsche Bundestag dazu gesagt: Ja,
okay, wir begrenzen – das war der Kompromiss – unsere
Importerlaubnisse auf bestimmte Stammzelllinien, die zu
einem bestimmten Zeitpunkt etabliert worden sind. Eta-
bliert ist ein Begriff, der nicht definiert ist.


(Zurufe von der SPD: So ist es! – Eben!)

Jetzt wird versucht, zu definieren, was Stammzelllinien
sind. Das wird in diesem Gesetz auch gemacht. Diese
Definition gibt es bisher nicht.


(Margot von Renesse [SPD]: Doch! – Ulrike Flach [FDP]: Doch!)


– Stammzelllinien sind gesetzlich nicht definiert und sie
werden von Wissenschaftlern und übrigens auch von
George Bush unterschiedlich definiert, je nachdem, wie
man es gerade haben möchte.

Durch das, was jetzt im Gesetz definiert wird – alle
Stammzellen, die in Kultur gehalten werden, und alle
Stammzellen, die kryokonserviert werden, dürfen im
portiert werden, wenn sie den weiteren Kriterien entspre-
chen –, gibt es plötzlich Zigtausende von Stammzelllinien
auf dieser Welt. Denn alle Stammzellen, die Embryonen
entnommen werden, werden irgendwo in ein Medium ge-
tan oder eingefroren, damit sie nicht zerstört werden.
Wenn man sie untersuchen möchte, kann man das nur ma-
chen, wenn sie in ein Medium kommen. Das heißt, es han-
delt sich immer um Kulturen, wenn sie gekennzeichnet
oder irgendwie beschrieben werden müssen.


(Margot von Renesse [SPD]: Darauf allein kommt es an!)


In den Vereinigten Staaten sind es über 100 000 Em-
bryonen, die jedes Jahr für die Forschung zur Verfügung




Dr. Ilja Seifert
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(B)


gestellt werden. In England gibt es in den Kühlschränken
inzwischen über 50 000 Embryonen, die für die For-
schung zur Verfügung stehen. In Australien sind es über
60 000 Embryonen. Diese liegen dort in Kühlschränken
und sind in Laborbüchern dokumentiert. Aber wann die
Stammzellen daraus gewonnen worden sind, könnte man
höchstens den Laborbüchern entnehmen. Das ist über-
haupt nicht nachvollziehbar. Die Engländer versuchen,
jetzt ein Gesetz zu verabschieden, um die vielen Stamm-
zellen, die dort in Kultur vorhanden sind, zu registrieren.
Das sind viele. Ich denke, dass unsere Forscher das natür-
lich sehr genau wissen.

Meine Meinung ist es, dass wir im Deutschen Bundes-
tag am 30. Januar über etwas anderes debattiert haben.
Wir haben von den Stammzelllinien gesprochen, die für
die Forschung schon als gut beschrieben zu Verfügung
stehen. Ich darf hier die als Molekularbiologin – auch als
Abgeordnete – bei uns mitarbeitende Carola Reimann zi-
tieren. Sie hat hier gesagt – sie vertritt ebenfalls diesen
Gesetzentwurf –:

Einmal etablierte Stammzelllinien gelten als unbe-
grenzt vermehrbar. Deshalb genügt es der For-
schung, wenn der Import bereits etablierter, aber ver-
mehrbarer Stammzelllinien ermöglicht und zugleich
auf diese Linien begrenzt wird.

Ob Stammzellen, die in Kultur gehalten werden, über-
haupt vermehrbar sind, wie lange sich eine solche Kultur
hält und ob sie wieder anwächst, wenn man sie einmal
eingefroren hat – all das weiß man nicht. Das heißt, hier
sollen nur solche Stammzelllinien infrage kommen, von
denen man weiß, dass sie reproduzierbare Forschungser-
gebnisse ermöglichen. Was im Gesetz steht, erlaubt aber
die Herstellung eigener Stammzelllinien in Deutschland.
Das Material, das weltweit zur Verfügung steht und dieser
Definition entspricht, ermöglicht es, in Deutschland ei-
gene Stammzelllinien herzustellen, sie zu definieren und
zu stabilisieren. Das kann man wollen; Frau Flach hat dies
damals mit ihrem Antrag ehrlich angesprochen. Der Deut-
sche Bundestag aber hat es nicht gewollt. Er wird hier
durch eine Definition, die – das gebe ich zu – nicht ein-
fach zu verstehen ist, hinters Licht geführt. Das muss hier
deutlich zu Protokoll gegeben werden. Ich denke, dass wir
die Chance haben müssen, hier darauf zu pochen, den Be-
schluss vom 30. Januar umzusetzen. Deshalb gibt es
Änderungsanträge.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Der erste Änderungsantrag versucht nicht nur zu be-
schreiben, was eine Stammzelllinie ist, sondern auch, was
eine etablierte Stammzelllinie im Sinne unseres Kompro-
misses vom 30. Januar sein kann. Der zweite Änderungs-
antrag bietet denjenigen eine Chance, die darauf reagieren
wollen, dass die Gesetzesantragsteller den Kompromiss
verlassen haben, die aber gleichzeitig nicht wollen, dass
es einen gesetzlosen Zustand gibt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423316700
Herr Kol-
lege Wodarg, kommen Sie bitte zum Schluss.


Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Rede ID: ID1423316800
Ich muss leider zwei
Anträge begründen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423316900
Die Zei-
ten sind vereinbart.


Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Rede ID: ID1423317000
Ein Satz noch. – Sie
bekommen die Chance, durch die Zustimmung zu diesem
zweiten Antrag zu sagen, dass auch sie von dem Kom-
promiss zurücktreten und ein Importverbot durchsetzen
wollen.

Es ist schade, dass für dieses Thema zu wenig Redezeit
vorgesehen wurde. Ich bedauere das sehr.

Vielen Dank.

(Peter Hintze [CDU/CSU]: Sie hatten gerade drei Redner hintereinander!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423317100
Das Wort
hat jetzt der Kollege Hubert Hüppe von der CDU/CSU-
Fraktion.


Hubert Hüppe (CDU):
Rede ID: ID1423317200
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Am 30. Januar hat die Mehrheit mei-
ner Fraktion gegen den Import embryonaler Stammzellen
gestimmt – zu Recht; denn wir können eine Forschung,
die auf der Tötung von menschlichen Embryonen basiert,
nicht akzeptieren. Wir haben am 30. Januar auch deshalb
dagegen gestimmt, weil wir die Befürchtung haben, dass,
wenn wir den Import erst einmal zulassen, dieselben Ar-
gumente, die dafür gebracht werden, bald für die Tötung
weiterer Embryonen – auch in Deutschland – benutzt wer-
den. Nur einen Tag später haben zahlreiche Forderungen
aus Forschung und Politik diese Befürchtung bestätigt.


(Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Richtig!)

Zeigt aber nicht schon der heute vorliegende Gesetz-

entwurf, dass sich die ethische Wanderdüne in Bewegung
gesetzt hat? Ein Beispiel: Der Beschluss vom 30. Januar
sah ausdrücklich die Einwilligung der Eltern vor; darauf
wurde schon eingegangen.


(Margot von Renesse [SPD]: Ja, eben!)

Im vorliegenden Entwurf ist dies gestrichen. Die Initiato-
ren – Frau Renesse vorneweg – begründen das damit, dass
nicht der Eindruck entstehen dürfe, Eltern könnten frei
über das Leben ihres Nachwuchses verfügen.


(Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Das wäre eine ganz gefährliche Entwicklung!)


Ich habe Sie hoffentlich richtig wiedergegeben. Aber
– das darf man fragen – ist es denn wirklich ethischer,
wenn allein der Reproduktionsmediziner über den Em-
bryo verfügt?


(Andrea Fischer [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch gar nicht die Konsequenz!)


– Wer verfügt denn letztendlich, dass daraus Stammzellen
gewonnen werden? Einer muss es doch veranlassen.


(Andrea Fischer [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenigstens zuhören sollten Sie! Auch jetzt müssen die Eltern noch zustimmen!)





Dr. Wolfgang Wodarg

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(A)



(B)


– Liebe Kollegin, lassen Sie mich ausreden. Ich habe Sie
auch ausreden lassen. Sie können sich zu einer Frage mel-
den. Ich bin gern bereit, dann zu antworten.

Stellen Sie sich vor, ein ausländischer Embryo sei zu
Stammzellen verarbeitet worden, mit denen in deutschen
Labors legal experimentiert wird. Nun erfahren davon die
Eltern, die nie gefragt worden sind und nie eine Einwilli-
gung zu dem, was passiert ist, erteilt haben. Ich frage auch
einmal: Was müssen eigentlich die Geschwister denken,
die nur durch Zufall im Reagenzglas ausgesucht worden
sind, um geboren zu werden? Wie müssen sie sich fühlen,
wenn sie davon hören? Nach dem vorliegenden Entwurf
wäre das möglich.


(Margot von Renesse [SPD]: Nein!)

Frau von Renesse, ich muss Ihnen widersprechen,

wenn Sie sagen, Sie hätten Kritik gerne aufgenommen.
Ich habe in den Ausschussberatungen mit mehreren Än-
derungsanträgen versucht – das ist mir wirklich nicht
leicht gefallen –, den Entwurf wenigstens auf die Grund-
lage des 30. Januar zurückzuführen.


(Margot von Renesse [SPD]: Aber dann kriegen Sie den Vorwurf der Verfassungswidrigkeit!)


Diese Anträge wurden noch nicht einmal einzeln beraten.
Sie wurden entweder überhaupt nicht beraten


(Ulrike Flach [FDP]: Natürlich haben wir die beraten!)


oder sie wurden in einem Paket samt und sonders abge-
lehnt.


(Ulrike Flach [FDP]: Sie waren ja gar nicht da!)


Noch nicht einmal derAntrag, dass der so genanntenEthik-
kommission ein Ethiker mehr angehören soll, wurde ange-
nommen. Jetzt sitzen inderZentralenEthikkommission, die
die Wissenschaft kontrollieren soll, fünf Wissenschaftler,
aber nur vier Ethiker. Damit ist klar, wo die Mehrheit ist.
Was könnte deutlicher zeigen, dass ein Kompromiss nicht
möglich und wohl auch nicht gewollt war.

Daher lege ich mit den Kolleginnen und Kollegen aus
fast allen Fraktionen heute einen Änderungsantrag vor,
der das Verbot des Imports embryonaler Stammzellen
vorsieht. Die reine Ablehnung des Gesetzentwurfs der
Kolleginnen von Renesse, Fischer und anderer würde in
der Tat bedeuten, dass wir eine rechtliche Lücke lassen.

Heute stellen sich folgende zentrale Fragen: Wollen
wir eine Forschung, die die Tötung menschlicher Em-
bryonen zur Voraussetzung hat? Wollen wir heute einer
Entwicklung den Weg bereiten, die nach aller Voraussicht
nicht bei der Nutzung ausländischer Embryonen Halt ma-
chen wird? Kann eine Forschung so hochrangig sein, dass
sie es wert ist, dafür die Grundsätze unserer Rechtsord-
nung auszuhebeln? Unsere heutige Entscheidung ist eine
Wegmarke. Stimmen Sie unserem Änderungsantrag zu!

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423317300
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Monika Knoche vom Bündnis 90/
Die Grünen.


Monika Knoche (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1423317400

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen!
Lang hallte der gute Ruf nach, den die Debatte vom 30. Ja-
nuar in der Bevölkerung hatte. Gut ist noch in Erinnerung,
mit welchen Argumenten hier, in diesem Haus, für das
prinzipielle Instrumentalisierungsverbot des Menschen
geworben wurde. Gerne denke ich selbst daran, dass es
die überwältigende Mehrheit des Hauses war, die keinen
Zweifel daran gelassen hat, dass der Embryo in vitro
Menschenwürde hat und dass er nicht verfügbar ist.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN, der SPD, der CDU/CSU und der PDS)


Das ist das große Credo dieses Hauses gewesen. Deshalb
habe ich den Argumenten von Frau von Renesse und Frau
Fischer mit großer Aufmerksamkeit zugehört. Von dieser
Linie ist schon jetzt in beträchtlichen Nuancen nicht mehr
die Rede gewesen.

Ich beziehe mich ganz auf die Aussagen und die Be-
gründungen, die am 30. Januar gegeben worden sind. Da
ist Folgendes für mich sehr zentral: Von der Menschen-
würde und vom Lebensschutzkonzept ausgehend, wurde
von den Abgeordneten, die den so genannten Kompro-
missantrag gestellt haben, gesagt: Wir würden den Import
ganz und gar verbieten, wenn wir es denn könnten,


(Margot von Renesse [SPD]: Das geht auch nicht!)


wenn nicht die Forschungsfreiheit als ein Grundrecht da-
gegenstünde und wenn nicht die Regelungen des Em-
bryonenschutzgesetzes eine Lücke aufwiesen,


(Margot von Renesse [SPD]: Ach, Quatsch!)

die es uns nicht ermöglicht, den Import strafrechtlich zu
verbieten. Das war die zentrale Argumentation, nicht eine
forschungspolitische, die von dem vermeintlichen
zukünftigen Nutzen der Forschung, die auf Embryonen-
vernutzung aufbaut, ausgeht. Diese Argumentation wurde
heute eingeführt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN, der SPD, der CDU/CSU und der PDS)


Sie war damals nicht präsent. Damals wurde auf die Al-
ternativen in der und zu der embryonalen Stammzellfor-
schung abgehoben und darauf, dass wir in Deutschland
hierauf größten Wert legen.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS und des Abg. Hubert Hüppe [CDU/CSU])


Noch etwas: Das Verbot der fremdnützigen Forschung
als Tabu ist das für mich wertvollste zivilisatorische Gut,
das wir aufgrund der historischen Erfahrungen haben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN, der SPD, der CDU/CSU und der PDS)





Hubert Hüppe
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(C)



(D)



(A)



(B)


Von diesem Geist ist das Embryonenschutzgesetz als
Strafgesetz geprägt.

Lassen Sie mich nun noch etwas zu den zwei zentralen
Argumenten sagen. Die Menschenwürde als Verfas-
sungsgut ist ein universelles Prinzip. Sie ist nicht territo-
rial begrenzbar. Wie anders ließen sich unsere Regelun-
gen zum Asylrecht und zur Nichtauslieferung bei
drohender Todesstrafe begründen? Selbst im Strafrecht
haben wir Regelungen, die die Bestrafung von im Ausland
begangenen Straftaten vorsehen. Es gibt hierbei also
keine völlig neuen Sachverhalte, die wir heute erstmalig
diskutieren müssten.

Nun zum Embryonenschutzgesetz. Als der Gesetzgeber
dieses Gesetz erließ, gab es die Stammzellforschung, die
Embryonenvernutzung nicht. Er hat aber eindeutig den
Geist und den Bestimmungsgehalt festgelegt, indem er
sagte: Embryonen dürfen für keinen anderen Zweck erzeugt
werden als den, in die Gebärmutter einer Frau zu kommen.


(Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Richtig!)

Dieser Bestimmungszweck, der den Geist des Gesetzes
wiedergibt, und die Tatsache, dass für den Import von und
die Forschung mit embryonalen Stammzellen, die aus ei-
ner Verzweckung stammen, keine Strafnorm besteht, be-
deuten keinesfalls, dass der Import nach gültigem Em-
bryonenschutzgesetz nicht rechtswidrig ist. Er ist
lediglich nicht strafbewehrt. Das ist ein entscheidender
qualitativer Unterschied.


(Beifall des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])

Sie haben dem Parlament heute ein Stammzellgesetz

als Importverbotsgesetz vorgelegt. Dies haben Sie mit
eben diesen beiden hohen Normen, der Menschenwürde
und dem Embryonenschutz, begründet. Entgegen den Er-
gebnissen der Anhörung im Bundestag haben Sie sich
nicht auf eine ausnahmslose Verbotsregelung verständigt,
die Sie aber vom Begründungsgang Ihres Gesetzes und
von der Gesetzesnotwendigkeit her hätten treffen können;
denn die verfassungsrechtlichen Argumente sind eindeu-
tig vollkommen unstrittig.

Selbstverständlich ist die Forschungsfreiheit durch die
Menschenwürde begrenzt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN, der SPD, der CDU/CSU, der FDP und der PDS – Jörg Tauss [SPD]: Das ist gar kein Thema, Frau Kollegin! Das wissen Sie doch!)


– Lesen Sie bitte § 1 Ihres Antrages laut vor! Ich argu-
mentiere auf dem Boden Ihrer Gesetzesbegründung.

Eine letzte Bemerkung: Sie haben ein Stammzellim-
portverbotsgesetz vorgelegt. Die Änderung, die wir dem
Hause vorschlagen, besagt, dieses Stammzellimportver-
bot als ein ausnahmsloses Verbot zu gestalten. Niemand
kann dann noch sagen, es gebe eine Rechtslücke im deut-
schen Recht. Lassen Sie uns diese klare Botschaft geben!
Die Bevölkerung – das weiß ich gewiss – ist zu über
80 Prozent mit der embryonalen Stammzellforschung, die
auf Embryonenverbrauch basiert, nicht einverstanden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN, der SPD, der CDU/CSU und der PDS)


Es gibt einen ganz festen Wertekonsens in der deutschen
Bevölkerung. Lassen Sie uns dieses Vertrauen bestätigen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423317500
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Dr. Carola Reimann von der SPD-
Fraktion.


Dr. Carola Reimann (SPD):
Rede ID: ID1423317600
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich möchte noch einmal nachdrücklich für den
vorliegenden Gesetzentwurf der Kolleginnen Böhmer,
Fischer und Renesse werben.

Am 30. Januar hat der Deutsche Bundestag in einer
denkwürdigen Debatte einen tragfähigen Kompromiss er-
zielt. Dieser Kompromiss war für uns in den letzten Wo-
chen bei der Erarbeitung des jetzt vorliegenden Entwurfs
immer festes Fundament und Basis. Ziel des Gesetzes ist
in erster Linie, einen Import und die Verwendung von hu-
manen embryonalen Stammzellen grundsätzlich zu ver-
bieten. Es soll vor allem verhindert werden, dass Deutsch-
land Grund und Anlass gibt für die Tötung von Embryonen
zur Gewinnung neuer embryonaler Stammzellen.

Wir haben uns aber auch der Aufgabe gestellt, deut-
schen Forschern die Arbeit mit embryonalen Stammzellen
zu ermöglichen, die bereits existieren. Dafür haben wir
restriktive Bedingungen formuliert, die der von vielen be-
fürchteten Aufweichung des Lebensschutzes entgegen-
wirken. Unser Gesetzentwurf bietet meiner Meinung nach
eine Lösung an, die der Politikauffassung von der Kunst
des Möglichen am ehesten entspricht. Vielleicht bewegen
wir uns auf einem schmalen Grat, aber auch eine schwie-
rige Passage ist immer besser als völlige Bewegungslo-
sigkeit und Stillstand.


(Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Wir haben ja die adulten Stammzellen!)


Zu dem vorgeschlagenen Kompromiss gibt es für
mich keine Alternative. Die Mehrheit des Hauses ist mit
uns der Auffassung, dass an dem hohen Schutzniveau des
Embryonenschutzgesetzes nicht zu rütteln ist. Dazu hat
sich der Deutsche Bundestag am 30. Januar klar und deut-
lich bekannt. Eine unbegrenzte Freigabe des Imports und
der Verwendung von embryonalen Stammzellen gerät zu
diesem Votum in einen ethischen Widerspruch, ein gene-
relles Verbot des Umgangs mit und des Imports von vor-
handenen Stammzellen jedoch ebenfalls.

In unserem Land ist die Freiheit der Wissenschaft als
Wert in der Verfassung festgeschrieben. Der Gesetzgeber
ist daher verpflichtet, diese Freiheit auch zu gewährleis-
ten. Wir sind also in der Pflicht, die Konsequenzen unse-
rer Gesetzgebung genau zu prüfen, damit sich die guten
Absichten nicht am Ende in staatliche Bevormundung
von Wissenschaft und Forschung verkehren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die gesell-
schaftliche und auch die politische Debatte um die
Stammzellforschung hat klar gezeigt, dass einfache Lö-
sungen nicht zu erwarten waren. Stattdessen brauchen wir




Monika Knoche

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(D)



(A)



(B)


eine Regelung, die zwischen dem Wert des Lebens-
schutzes einerseits und der Freiheit der Forschung ande-
rerseits vermittelt. Ich denke, der Gesetzentwurf ent-
spricht diesen Anforderungen.

Kolleginnen und Kollegen, es ist unsere Aufgabe als
Politikerinnen und Politiker, so lange zu verhandeln und
zu streiten, bis ein von der Mehrheit getragener Kompro-
miss vorliegt. Ich verstehe deshalb nicht ganz, warum in
diesem Fall Kompromiss immer sofort mit Aufweichen
gleichgesetzt wird.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Deshalb will ich auf einen Kritikpunkt eingehen. Natür-
lich kann man aus naturwissenschaftlicher Sicht Unter-
schiede zwischen Stammzellen und Stammzelllinien defi-
nieren. In der ausführlichen Anhörung zu diesem Gesetz
wurde aber deutlich, dass Begriffe wie Stammzellen und
Stammzelllinien in wissenschaftlichen Publikationen sy-
nonym verwendet werden und nicht streng zwischen
Stammzellen und Stammzelllinien differenziert wird.
Wenn man jetzt beim Begriff Zelllinien die Kriterien an-
legt, die zum Beispiel bei etablierten Zelllinien im Be-
reich von Gewebekulturen erfüllt werden müssen, muss
man wissen, dass die Stammzelllinien und Stammzellen,
die am NIH, am amerikanischen National Institut of
Health, registriert sind und die wir für die Forschung nutz-
bar machen wollen, nicht alle diese Kriterien erfüllen.

Sicher gibt es auch den Wunsch der Forscher, mit sta-
bilen reproduzierbaren Zelllinien zu arbeiten, Wolfgang
Wodarg. Sicher kann man aber heute auch nicht auf jah-
relange Kultivierbarkeit zurückweisen. Wie kann man sie
dann zur Voraussetzung für den Import machen?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ich muss auch daran erinnern – das habe ich bereits in
der letzten Debatte gesagt –, dass es sich hierbei um
Grundlagenforschung handelt, die in den Anfängen
steckt. Das ist die naturwissenschaftliche Seite.

Schauen wir uns doch einmal die rechtliche Seite an.
Rechtlich ist der Begriff „etablierte Zelllinie“ nicht defi-
niert. Das hat der Kollege Wodarg gerade noch einmal be-
tont.

Schauen wir uns die ethische Seite an. Ethisch ist diese
Unterscheidung nicht von Belang. Ethisch entscheidend
ist der Zeitpunkt, zu dem die Stammzellen aus dem Em-
bryo gewonnen worden sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dieser Zeitpunkt wird durch den Stichtag definiert. Der
Stichtag ist kontrollierbar. Der Stichtag 1. Januar 2002 ist
genauso kontrollierbar wie der Stichtag 9. August 2001 in
den USA.

Ethisch entscheidend ist der Stichtag; denn ungeachtet
dessen, ob wir es Stammzellen oder Stammzelllinien nen-
nen, das Leben der Embryonen, aus denen sie gewonnen
wurden, ist bereits vor dem Stichtag beendet worden.
Kein noch so strenger Lebensschutz in unserem Land
kann daran etwas ändern. Durch die Einführung eines
Stichtags können wir aber gewährleisten, dass keine wei-

teren Embryonen für die Stammzellforschung verbraucht
oder erzeugt werden. Das gehört zu den Bedingungen, die
wir als Voraussetzung für den Import formuliert haben.

Kolleginnen und Kollegen, Kontroversen wie in dieser
Diskussion sind Ausdruck der Vielfalt von Meinungen,
Gestaltungsentwürfen und Interessen. Kompromisse sind
Ausdruck einer Verständigung zwischen diesen verschie-
denen Meinungen und Interessen. Am 30. Januar haben
wir uns in diesem Haus verständigt. Ich bitte Sie, diesem
Gesetzentwurf als Ergebnis dieser Verständigung zuzu-
stimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423317700
Das Wort
hat jetzt der Kollege Peter Hintze von der CDU/CSU-
Fraktion.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1423317800
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Mit dem Stammzellgesetz
machen wir den Weg frei für die wichtigste Basisinnova-
tion des 21. Jahrhunderts. Wir wollen den Wissenschaft-
lern in Deutschland eine klare rechtliche Grundlage für
ihre Grundlagenforschung geben.


(Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Keine Ahnung!)


Ihre Forschung zielt auf die Heilung von Krankheiten, de-
nen wir bislang ohnmächtig gegenüberstehen. Ich will
hier klar sagen: Diese Forschung ist medizinisch notwen-
dig und ethisch geboten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich freue mich, dass der Gesetzentwurf dieses Anlie-
gen gleich zu Beginn klar zum Ausdruck bringt. In § 1 be-
kennen wir uns ausdrücklich zur Freiheit der Forschung
und zu unserer Verpflichtung, die Würde des Menschen
zu achten und zu schützen. Menschenwürde kann durch
Tun, aber auch durch Unterlassen verletzt werden. So, wie
wir fragen: „Darf der Mensch alles tun, was er kann?“,
müssen wir auch fragen: Darf der Mensch unterlassen,
was er kann?

Sinn und Zweck dieses Gesetzes ist es, dem menschli-
chen Leben von seinem Beginn an Ehrfurcht entgegenzu-
bringen und den Schwerkranken die gebotene Hilfe nicht
zu verweigern.

In dieser Debatte haben einige Redner die seltsame Un-
terscheidung zwischen Wissenschaftlern und Ethikern ge-
macht. Das ist die absurdeste Unterscheidung, die ich in
der gesamten Debatte je gehört habe.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Unsere Wissenschaftler haben bereits ein hohes Maß an
ethischer Verantwortung bewiesen. Sie haben von der
rechtlichen Möglichkeit des Imports und der Forschung
ausdrücklich keinen Gebrauch gemacht, sondern diesem
Bundestag Raum und Zeit für eine ausführliche Debatte




Dr. Carola Reimann
23220


(C)



(D)



(A)



(B)


und für die Gesetzgebung des heutigen Tages gegeben.
Unsere Wissenschaftler verdienen keine Verdächtigun-
gen. Sie verdienen die Anerkennung dafür, dass sie in ho-
her ethischer Verantwortung handeln.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen dürfen wir das Vertrauen, das die Wissenschaft
in uns setzt, auch heute nicht enttäuschen. Verlässlichkeit
ist das Gebot der Stunde. Deswegen geht es jetzt auch da-
rum, dass wir ihnen die klare rechtliche Grundlage für ihre
wichtige Arbeit nicht vorenthalten.

Natürlich – Frau Kollegin Flach hat darauf hingewie-
sen – sind wir damit nicht am Ende aller Fragen. Die Pra-
xis wird erweisen, ob unsere Stichtagsregelung den Zugang
zu qualitativ hochwertigen Stammzelllinien ermöglicht
oder versperrt und ob wir dieses Thema nach einer ange-
messenen Zeit erneut aufgreifen müssen. Für mich ist es
schwer verständlich, wie wir hier Wissenschaft verstehen
und in welchem Maße der internationale Kontext doch
von einigen ignoriert wird. Die von uns angestrebte ver-
gleichende Forschung mit adulten und embryonalen
Stammzellen setzt gerade international vergleichbare Be-
dingungen und eine vernünftige internationale Kooperation
voraus.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der FDP)


Deswegen ist es eine echte Verschlechterung des Gesetz-
entwurfes, wenn § 13 Abs. 3 wider besseres Wissen ge-
strichen werden soll.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)


Viele Unterstützer unseres forschungsfreundlichen
Ansatzes, den Katherina Reiche und ich zusammen mit
der Kollegin Flach und anderen im Januar formuliert
haben, tun sich heute sehr schwer, diesem Gesetz zuzu-
stimmen,


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: So ist es!)

weil wir es in vielen Punkten als zu kleinmütig empfin-
den, weil wir die Forschung als zu sehr unter Verdacht ge-
stellt empfinden und weil wir es als eine wissenschaft-
liche Zumutung empfinden, wenn sich der Gesetzgeber an
die Stelle der Wissenschaft setzen will, womit er sich im-
mer überhebt.

Dabei ist die fragwürdige Stichtagsregelung der
größte Stein des Anstoßes. Auch der behauptete morali-
sche Mehrwert eines in der Vergangenheit liegenden
Stichtages verkehrt sich bei näherer Betrachtung in sein
Gegenteil.

Ich habe mich nach einer Güterabwägung doch für ein
Ja zu diesem heute vorliegenden Gesetzentwurf entschie-
den, damit wir als Deutscher Bundestag uns selber treu
bleiben, damit wir in der Logik unserer Grundsatzentschei-
dung vom Januar bleiben und damit wir das Signal aussen-
den, dass der Deutsche Bundestag den Willen und die Kraft
hat, zu dem ethischen Urteil der eigenen Grundsatzent-
scheidung zu stehen. Die Wissenschaft hat verdient, dass

wir heute diese Entscheidung treffen, und das hat auch die
Öffentlichkeit verdient, die diesen Diskurs verfolgt.

Wir werden die Gesetzesentscheidung heute in dem
Bewusstsein treffen, dass solche Entscheidungen, auch
wenn sie von grundsätzlicher Bedeutung sind, immer Ent-
scheidungen auf Zeit sind. In der ethischen Urteilsbildung
gilt immer das Verhältnis von Norm und Situation, auch
im Hinblick auf die jeweilige Erkenntnisfähigkeit. Es mag
sein, dass sich in einigen Jahren neue wissenschaftliche
Wege zeigen und wir dann auch neu entscheiden müssen.
Aber heute sollten wir unserer Selbstverpflichtung ge-
recht werden und dieses Gesetz verabschieden.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423317900
Das Wort
hat jetzt der Kollege Wolf-Michael Catenhusen von der
SPD-Fraktion.


Wolf-Michael Catenhusen (SPD):
Rede ID: ID1423318000
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hans Jonas hat mit sei-
nem „Prinzip Verantwortung“ vor gut 20 Jahren zutref-
fend unsere Situation in einer immer stärker von Wissen-
schaft und Technik geprägten Gesellschaft und Umwelt
gekennzeichnet.


(Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Jetzt dreht er sich im Grabe rum!)


– Ich kannte ihn, im Unterschied zu dir, Wolfgang, per-
sönlich und er kannte mich. Spar dir diese dummen Be-
merkungen!

Wissenschaft und Technik sind, so Hans Jonas, das
Werk unserer Freiheit, unserer Freiheit zu denken, unse-
rer Freiheit zu fragen, unserer Freiheit, immer mehr wis-
sen zu wollen und wissen zu können. Wissenschaftsfrei-
heit ist eine Frucht der Aufklärung. Das sollten wir auch
in diesen Debatten nicht vergessen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Es ist nicht unethisch, darauf hinzuweisen, dass leis-

tungsfähige und freie Forschung für Innovationskraft und
Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft unverzichtbar
sind und dass wir eine leistungsfähige biomedizinische
Forschung auch in Deutschland brauchen.

Damit wachsen uns immer neue Einsichten und Hand-
lungsmöglichkeiten zu, die die Zukunft unserer Umwelt
insgesamt und natürlich auch die Zukunft unserer Gat-
tung, der Gattung Mensch, berühren. Denn mit diesem
Zuwachs an Wissen und Können übernehmen wir immer
umfassender selbst die Verantwortung für unsere Zukunft.
Wir haben dabei schmerzhaft lernen müssen, dass der
wissenschaftliche und technische Fortschritt nicht immer
automatisch gesellschaftlichen Fortschritt bringt, wenn
wir ihm nicht eine Richtung geben.

Die moderne biomedizinische Forschung konfron-
tiert uns in besonderer Weise mit dem Prinzip Verant-
wortung. So kann durch die Retortenbefruchtung der




Peter Hintze

23221


(C)



(D)



(A)



(B)


menschliche Embryo von Beginn an für die Forschung
verfügbar gemacht werden. Mit den Spätfolgen dieser
neuen Entwicklung setzen wir uns auch heute bei der Ent-
scheidung über dieses Gesetz auseinander.

Ende der 80er-Jahre hatte der Bundestag entscheiden-
den Anteil daran, dass ein Embryonenschutzgesetz ver-
abschiedet wurde. Ich stimme der Kollegin Knoche
durchaus zu: Das Gesetz geht von dem Verständnis aus,
dass menschliches Leben mit der Verschmelzung von Ei
und Samenzelle beginnt. Es stellt die Nutzung technischer
Hilfen zur Erfüllung eines Kinderwunsches in die freie
Entscheidung der Eltern, schließt aber den Missbrauch
der Fortpflanzungsmedizin zu anderen Zielen als der Er-
füllung eines Kinderwunsches aus.

In dieser Diskussion ist – wie damals auch – eines klar
geworden: Auf der einen Seite sind die Grundpositionen
dieses Gesetzes bis heute in unserer Gesellschaft breit
verankert. Aber auf der anderen Seite gibt es nach wie vor
unterschiedliche Auffassungen, wie etwa bezüglich des
Umfanges des Schutzes des vorgeburtlichen menschli-
chen Lebens in bestimmten Abwägungssituationen. Diese
Unterschiede treten auch in den Debatten innerhalb der
Kirchen zutage.

Es geht bei diesen Abwägungsentscheidungen, auch
bei der heutigen, nicht um Unmoral oder Moral;


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

es geht auch nicht um mehr oder um weniger Moral. Es
geht allein um die unterschiedlichen Ergebnisse, zu denen
wir nach schwierigen Abwägungsentscheidungen gekom-
men sind. Ich appelliere an diejenigen, die anderer Auffas-
sung sind und Worte wie „tricksen“ und „Wanderdüne“
benutzen: Nehmen Sie die ethische Überzeugung anderer
ernst!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Mit Ihren Worten stellen Sie nämlich den gegenseitigen
Respekt vor unterschiedlichen ethischen Auffassungen
infrage. Diese Entwicklung sollten wir im Deutschen
Bundestag nicht kommentarlos hinnehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich möchte vorsichtig darauf hinweisen, dass wir auch
in Grundfragen hinsichtlich Leben und Tod immer wieder
vor Abwägungsentscheidungen stehen. Das gilt für die
Abtreibungsfrage ebenso wie etwa für die Frage der Or-
gantransplantation. Diese schmerzhaften Abwägungen,
die im Streit ausgetragen wurden, führten aber auch zu Er-
gebnissen. Die in diesem Zusammenhang gemachten
Kommentare wie „bioethischer Eiertanz“ und „Verren-
kung“ verdeutlichen, dass sich einige im Parlament nicht
ernsthaft mit anderen bioethischen Überzeugungen ausei-
nander setzen wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich bin mir sicher: Heute schließen wir ein schwieriges,
bisweilen quälendes Ringen um den Umgang mit dem
möglichen Import embryonaler Stammzellen mit der Ver-
abschiedung des Stammzellgesetzes ab. Wir müssen heute
zu einem Ergebnis kommen; das können die Öffentlichkeit
und auch die Wissenschaft mit Recht von uns erwarten.
Wir haben dazu am 30. Januar die notwendigen Grundla-
gen geschaffen. Ich denke, sie werden vom Gesetzentwurf,
der uns heute in der Fassung des federführenden Aus-
schusses vorliegt, angemessen aufgegriffen.

Wir erhöhen mit dem Stammzellgesetz das Schutzni-
veau des Embryonenschutzgesetzes, weil der bisher er-
laubte Import und die Verwendung embryonaler Stamm-
zellen so eingeschränkt werden, dass jeder Anreiz zur
Zerstörung weiterer Embryonen im Ausland zu For-
schungszwecken in Deutschland unterbunden wird.

Frau Kollegin Knoche, Sie können ja davon überzeugt
sein, dass nur Ihre Verfassungsinterpretation die einzig
mögliche ist. Aber ich muss Ihnen entgegenhalten, dass
unser Dilemma bei dem Umgang mit embryonalen
Stammzellen darin besteht, dass im Unterschied zum Em-
bryo selbst die embryonale Stammzelle, die dem Embryo
entnommen wird, nur mittelbaren Grundrechtsschutz ge-
nießt


(Monika Knoche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist mir nicht neu!)


und damit die Abwägung zwischen Forschungsfreiheit
und Menschenwürde schwieriger ist als die Durchsetzung
der Auffassung, dass der Schutz der Menschenwürde bei
einer möglichen Nutzung des Embryos immer Vorrang
haben muss. Deshalb muss es auch nach wie vor Grund-
überzeugung in unserem Parlament sein, dass wir gegen
die Erzeugung und den Verbrauch von Embryonen zu For-
schungszwecken sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir führen dazu eine Stichtagsregelung ein: Wir wol-

len diese Importkontrolle in Anlehnung an die amerikani-
sche Stichtagsregelung praktizieren. Die kritischen Hin-
terfragungen der Kollegin Knoche und des Kollegen
Wodarg sollen den Eindruck erwecken, dass die amerika-
nische Regelung bezüglich des Imports von Stammzellen
reiner Schwachsinn und reine Show sei. Dies können we-
der die Wissenschaftler noch die Kirchen in Amerika be-
stätigen. Wenn man von der Ernsthaftigkeit des amerika-
nischen Vorgehens überzeugt ist, dann kann man sich mit
gutem Gewissen bezüglich der Praktikabilität an der
amerikanischen Regelung orientieren. Das gilt im Übri-
gen auch für die entsprechende Definition.

Ich möchte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf-
grund meiner Erfahrung mit dem Gentechnikgesetz noch
auf eine schwierige Frage hinweisen. Zwei Jahre nach In-
Kraft-Treten des Gentechnikgesetzes im Jahr 1992 kam es
zu einer schweren Akzeptanzkrise, weil sich die dort be-
schriebenen Verfahren als zu bürokratisch und in man-
chen Fällen als nicht ausreichend kalkulierbar erwiesen.
Ich sage deshalb auch, dass ich – ausschließlich aufgrund
von Fragen bezüglich der Praktikabilität – Bedenken ge-
gen den Vorschlag habe, § 13 Abs. 3 des Gesetzentwurfes
zu streichen. Es geht mir nicht um die Intention, die ich




Wolf-Michael Catenhusen
23222


(C)



(D)



(A)



(B)


voll teilen kann. Es geht mir vielmehr um die Frage, ob
die Regelung dieses Paragraphen anwendbar ist.

Ich will einige Sätze dazu sagen. Wir sollten nicht ohne
Not eine Situation herbeiführen, in der das Risiko von Wis-
senschaftlern, sich strafbar zu machen, für die Forscher
selbst nicht mehr kalkulierbar ist. Anders als beim Em-
bryonenschutzgesetz können sie sich hier bei ihrer Zu-
sammenarbeit nicht an einem klar abgrenzbaren For-
schungsgegenstand orientieren. Ob man an einem Embryo
forscht oder nicht, ist ein ganz klarer Sachverhalt. Hier ist
der Sachverhalt aber sehr viel komplizierter; denn es gibt
zum Beispiel kein unterschiedliches Know-how für die
Forschung an adulten oder embryonalen Stammzellen.

Bei der internationalen Zusammenarbeit wird es
schwer sein, zu ermitteln, ob die embryonale Stammzel-
lenforschung in Schweden vor oder nach unserem Stich-
tag stattgefunden hat. Wer soll das eigentlich nachweisen?
Soll ein Wissenschaftler aus Deutschland, der seinem
Kollegen in Schweden Ratschläge erteilt, gleichzeitig
nachweisen, ob die Zelle vor oder nach dem Stichtag in
Schweden gewonnen worden ist?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Macht sich ein Wissenschaftler strafbar, wenn er seinem
Doktoranden die Möglichkeit verschafft, im Ausland an
einem weltweit renommierten Institut für Stammzellen-
forschung an einem Forschungsprojekt zu arbeiten, das
die Arbeit an in Deutschland nicht zugelassenen Stamm-
zellen einschließt? Darf ein deutscher Wissenschaftler im
Rahmen seiner Kontakte zum Beispiel einem Kollegen in
Schweden telefonisch Erfahrungen vermitteln, die dieser
in einem Forschungsprojekt, bei dem es um embryonale
Stammzellen geht, die nach unserem Stichtag erzeugt
worden sind, verarbeitet?

Ich teile die ethische Intention. Ich möchte aber alle
Kolleginnen und Kollegen noch einmal herzlich bitten,
die Frage der Praktikabilität in ihrem Abstimmungs-
verhalten zu bedenken.

Gestatten Sie mir eine Bemerkung zu dem Verhältnis
zwischen Politik und Wissenschaft. Sie wissen, dass ich
mich hier seit über 20 Jahren bemühe, zu einem ange-
messenen Umgang zwischen Wissenschaft und Politik
beizutragen. Natürlich ist das Erkenntnisinteresse der
Wissenschaft strukturell grenzenlos. Natürlich gibt es
auch in Deutschland Stimmen, die für das gezielte An-
passen von Ethik und Moral an den biomedizinischen
Fortschritt plädieren und die die Embryonenforschung
durch die Entmoralisierung des Embryos legitimieren
wollen. Diese Stimmen prägen aber nicht das Selbstver-
ständnis der Wissenschaft in Deutschland.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich messe die Qualität unserer politischen Elite auch

nicht nach irgendwelchen Stimmen von Außenseitern. Es
darf selbstverständlich keine vom Forschungsinteresse
gesteuerte Ethik geben. Natürlich hat es in der Geschichte
aber immer ein Wechselverhältnis zwischen den Ergeb-
nissen der Wissenschaft und unserem Menschenbild ge-
geben. Darauf hat beispielsweise der Kollege Schäuble
bereits in der letzten Debatte hingewiesen.

Ich denke, dass wir in diesem Fall gut beraten sind, an
der Erarbeitung von Grenzen für die Wissenschaft, die
sich am Schutz von Mensch und Umwelt orientieren, mit-
zuwirken, die Wissenschaft zur Teilnahme an dieser Dis-
kussion einzuladen und deren Kritik an unseren Forde-
rungen auszuhalten. Wir brauchen diesen Diskurs, weil
wir nur so mit bestem Wissen und Gewissen die Folgen
unseres Tuns einschätzen und der Wissenschaft Grenzen
für einen verantwortlichen Umgang mit ihren Erkenntnis-
sen vorgeben können.

Ich möchte mit einer persönlichen Bemerkung
schließen. Kolleginnen und Kollegen, das Thema
Bioethik hat immer wieder Sternstunden im Deutschen
Bundestag heraufbeschworen. Es hat unser Parlament
nämlich immer ausgezeichnet – das galt für das Gentech-
nikgesetz, für das Embryonenschutzgesetz und auch für
diese Debatte –, dass wir ohne Vorgaben aus unseren Par-
teiprogrammen, die wie die Parteien diesen Diskussionen
hinterherlaufen, im persönlichen Gespräch und unabhän-
gig von Parteigrenzen die Kraft zu einem angemessenen
Umgang der Demokratie mit der Wissenschaft in unserer
Wissensgesellschaft gefunden haben. Das zeichnet unser
Parlament aus. Dafür bin ich sehr dankbar.

Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423318100
Liebe
Kolleginnen und Kollegen, es gibt noch zwei Wortmel-
dungen. Ich bitte Sie, Ruhe zu bewahren, damit diese Kol-
legen noch Gehör finden können.

Als nächster Redner hat der Kollege Hermann Kues
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Dr. Hermann Kues (CDU):
Rede ID: ID1423318200
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der soeben erfolg-
ten Stimmkartenausgabe habe ich gehört, dass diese Frak-
tion blaue und jene rote Karten braucht. Ganz so einfach
ist es diesmal nicht; denn jeder muss sich selbst Gedanken
darüber machen, wie er abstimmen möchte.


(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Wodarg [SPD])


Ich meine, das ist eine gute und positive Entwicklung.
Ich selbst werde dem Gesetz nicht zustimmen, weil es

eine Richtungsentscheidung vom 30. Januar als Grund-
lage hat, mit der die Weichen für die Stammzellenfor-
schung in Deutschland falsch gestellt wurden.

Ich stelle weiter fest: Das war an einer Weggabelung
ein Schritt in die falsche Richtung. Ich werde zwar in-
haltlich diese Richtung nicht akzeptieren. Ich werde
allerdings die Mehrheitsentscheidung, die hier im Bun-
destag fällt, respektieren. Dass ich diese respektiere, heißt
auch, dass ich keine Abänderungsanträge unterstütze – da
bin ich mir mit meinem Freund Jochen Borchert einig –,
die erneut eine Grundsatzdiskussion hervorrufen. Ich
weiß, dass wir in den kommenden Monaten und Jahren
noch häufig ähnliche Fragestellungen erörtern werden




Wolf-Michael Catenhusen

23223


(C)



(D)



(A)



(B)


und müssen; das sollten wir auch tun. Aber wir müssen
uns als Parlament auch verpflichtet fühlen, auf praktische
Art und Weise Regelungen zu finden.

Weshalb lehnen wir den Gesetzentwurf ab? Es wurde
schon darauf hingewiesen: Das menschliche Leben be-
ginnt mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle. Ihm
schulden wir die volle Würde. Dieses Leben hat Anspruch
auf ungeteilten Schutz. Ich glaube, dass es ein Wider-
spruch ist, den man nicht auflösen kann, wenn man die
Tötung von Embryonen in Deutschland ablehnt, aber den
Import von Stammzellen, die im Ausland aus getöteten
Embryonen gewonnen worden sind, gestatten will. Das
passt nicht zusammen.

Ich sage ein Weiteres: Ich bin nicht bereit, für eine ganz
bestimmte Forschungsrichtung, um die es in diesem Fall
geht, nämlich für die Nutzung menschlicher embryonaler
Stammzellen, unser Rechts- und Personenverständnis,
das wir über viele Jahrzehnte entwickelt haben, über Bord
zu werfen.


(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Wodarg [SPD] sowie der Abg. Petra Bläss [PDS])


Meiner Meinung nach muss man sagen: Auch die Medi-
zin mit ihren Zielsetzungen, die wissenschaftliche For-
schung, unterliegt höheren ethischen Ansprüchen, höhe-
ren Kriterien. Das heißt, ganz obenan steht die
Menschenwürde. Das muss der Maßstab für die Bewer-
tung sein.

Ich fühle mich durch die Diskussionen der letzten Wo-
chen insofern bestätigt, als ich glaube, dass ein Einbruch
im Hinblick auf die im Januar dieses Jahres getroffene
Regelung mit neuen Begehrlichkeiten verbunden sein
wird. Das Wort „Türöffner“ ist in diesem Zusammenhang
gefallen. Es gibt sogar Wissenschaftler, die davon spre-
chen, dass eine solche Entscheidung als eine Art Trojani-
sches Pferd genutzt werden könnte. Deswegen sage ich
ganz klar: Dies war eine falsche Weichenstellung. Ich
werde deswegen den Gesetzentwurf, der daraus resultiert,
nicht unterstützen.

Wir als deutsches Parlament müssen den Naturwissen-
schaftlern, den Forschern, ganz klar sagen: Wir erkennen
die Leistung der Forscher an. Wir wissen sie zu schätzen.
Aber wir wollen klare ethische Maßstäbe. Die überwäl-
tigende Mehrheit des deutschen Parlamentes wird nicht
die Hand zu ethischer Beliebigkeit reichen.

Wir wissen und können feststellen, dass es bei uns auch
bislang beim Schutz des ungeborenen Menschen Wider-
sprüchlichkeiten gibt. Bestehende Widersprüchlichkeiten
rechtfertigen es aber nicht, neue zu schaffen. Sie müssen
uns vielmehr anspornen, diese alten Widersprüchlichkei-
ten zu beseitigen. Dabei will ich etwas ganz Konkretes an-
sprechen: Wir alle empfinden die so genannten Spätab-
treibungen vermutlich als Skandal. Ich bedauere es sehr,
dass wir es nicht schaffen, hier fraktionsübergreifend zu
Regelungen zu kommen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der PDS)


Denn es ist nicht sonderlich überzeugend, wenn man bei
der Frage des Lebensbeginns und beim Schutz des

menschlichen Lebens einen sehr grundsätzlichen, ganz-
heitlichen Ansatz wählt und in Teilbereichen, die einem
gerade wichtig erscheinen, eine Ausnahme macht. Wenn
dieser grundsätzliche Ansatz gelten soll, dann muss unser
Vorgehen insgesamt in sich konsequent und schlüssig
sein. Dazu gehört, dass wir diese Widersprüchlichkeiten
gemeinsam, also seitens aller Fraktionen, anpacken.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Ich bin der festen Überzeugung, dass wir in absehbarer
Zeit ein Fortpflanzungsmedizingesetz benötigen, in dem
all diese Fragestellungen in sich schlüssig aufgegriffen
werden. Denn diese Widersprüche werden uns zu schaf-
fen machen. Wir müssen uns Schritt für Schritt entschei-
den und uns an Lösungen herantasten, so wie es Ethik-
kommissionen in Krankenhäusern auch bei anderen
Fragen tun.

Ich will des Weiteren feststellen: Den Antrag Böhmer
und Renesse zum Wegfall des § 13 Abs. 3 des Gesetzent-
wurfes, über den wir gleich ebenfalls abstimmen, unter-
stütze ich ausdrücklich, weil er unsere Position stärkt. Da-
rauf hinzuweisen ist mir wichtig.


(Beifall der Abg. Dr. Maria Böhmer [CDU/ CSU] sowie der Abg. Christa Nickels [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Den Antrag von Frau Flach und anderen werde ich ab-
lehnen, weil er nach meinem Verständnis noch stärker in
die falsche Richtung geht als das, was wir ansonsten hier
vorliegen haben.

Insofern bitte ich auch hier um Verständnis und be-
danke mich für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423318300
Ich bitte
die Kolleginnen und Kollegen, noch einmal Platz zu neh-
men. Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat die Kollegin Dr. Maria Böhmer von der CDU/CSU-
Fraktion das Wort.


Dr. Maria Böhmer (CDU):
Rede ID: ID1423318400
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen am Ende
nicht nur der heutigen Debatte, sondern auch einer De-
batte, die wir über viele Monate hinweg mit großer Inten-
sität und Nachdenklichkeit geführt haben. Denn es geht
um eine Grundfrage menschlichen Lebens, es geht um die
Grundfrage unserer Werteordnung, es geht um den Schutz
menschlichen Lebens und es geht um das Menschenbild,
von dem wir uns leiten lassen. Es war für uns, die wir die-
sen Antrag am 30. Januar eingebracht haben, der dann die
Mehrheit im Deutschen Bundestag gefunden hat, und
auch diesen Gesetzentwurf heute einbringen, der leitende
Gedanke, dass wir den Schutz der Menschenwürde und
den Schutz des menschlichen Lebens über alles stellen
und von daher ganz klar sagen: Keine verbrauchende Em-
bryonenforschung in unserem Land!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)





Dr. Hermann Kues
23224


(C)



(D)



(A)



(B)


Es gibt immer wieder Kolleginnen und Kollegen, die
bezweifeln, dass wir diesen Antrag eins zu eins umgesetzt
haben. Ich möchte heute am Schluss dieser Debatte noch
einmal festhalten: Es ist uns durch die Anhörungen, durch
viele Gespräche und Beratungen gelungen, eine sehr
präzise Umsetzung dieses Mehrheitsbeschlusses des
Deutschen Bundestages zu erreichen. Das Gesetz wird
tragfähig sein und sicherstellen, dass es zu keiner ver-
brauchenden Embryonenforschung in unserem Land
kommt. Denn wir haben ein Kernelement eingeführt:
Durch die Einführung eines Stichtages erreichen wir, dass
es eben nicht zu einem Kompromiss kommt, sondern dass
die klare Linie verfolgt wird, dass auch zukünftig kein
Embryo für die deutsche Forschung sterben muss. Damit
wird es möglich sein, den Embryonenschutz in Deutsch-
land zu verstärken, zugleich aber auch die Grundlagen-
forschung in unserem Land zu betreiben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das bedeutet für mich, dass wir all das, was an uns an Sor-
gen und Bedenken herangetragen worden ist, sehr wohl
erwogen haben.

Ich möchte noch einmal auf drei Punkte eingehen, die
mir wesentlich erscheinen auch für manche Entscheidung
bei Änderungsanträgen und bei der Schlussentscheidung.

Vorher möchte ich den Herrn Präsidenten bitten, noch
einmal für etwas Ruhe zu sorgen; wir stehen ja nicht vor
irgendeiner Entscheidung.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423318500
Ich werde
es probieren, Frau Kollegin.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte darum, die
letzten fünf bis sechs Minuten doch noch aufmerksam zu-
zuhören. Dann kommen wir zu einem komplizierten Ab-
stimmungsverfahren, das Ihre Aufmerksamkeit ebenfalls
erfordern wird. Frau Fischer, Herr Schmidt, bitte nehmen
Sie Platz und hören Sie Frau Böhmer noch einmal zu.


Dr. Maria Böhmer (CDU):
Rede ID: ID1423318600
Herzlichen Dank,
Herr Präsident, für diese unterstützenden Worte.

Ich möchte an dieser Stelle den ersten Punkt noch ein-
mal herausgreifen. Wir schließen die Lücke im Embryo-
nenschutzgesetz; denn wenn dieses Stammzellgesetz
heute nicht angenommen wird, bleibt es bei der Lücke.
Das heißt, der Import menschlicher embryonaler Stamm-
zellen könnte jederzeit durchgeführt werden.


(Werner Lensing [CDU/CSU]: Ein unglaublich wichtiger Aspekt!)


Wir gehen sogar noch über diesen Punkt hinaus. Wir re-
geln nicht nur die Frage des Imports, sondern wir stellen
uns auch der Frage der Verwendung der menschlichen
embryonalen Stammzellen. Das heißt, wir haben eine Li-
nie gefunden, die Import und Verwendung unter klaren
ethischen Prinzipien gemäß dem Gesichtspunkt „Keine
verbrauchende Embryonenforschung in Deutschland“ in
diesem Gesetz erfasst.

Zweitens. Wir haben Kritik erfahren, weil wir an einem
Punkt eine Klarstellung bzw. eine Präzisierung vorge-

nommen haben; dazu sage ich: Wir dürfen auch klüger
werden und wir sind klüger geworden durch entspre-
chende Anhörungen und Beratungen. Das betrifft den
Punkt, dass wir die Zustimmung der Eltern, wenn es um
die Gewinnung von Stammzelllinien aus Embryonen
geht, jetzt nicht mehr festschreiben. Das haben wir aus ei-
nem guten Grund getan. Mich hat sehr die Sorge umge-
trieben, dass es, würden wir dieses Kriterium beibehalten,
in unserer Gesellschaft zu dem fatalen Missverständnis
käme, dass nämlich Menschen über andere Menschen
verfügen dürften, was ihr Leben angeht. Kein Mensch hat
aber das Verfügungsrecht über einen anderen. Menschli-
ches Leben ist unverfügbar. Deshalb haben wir von dieser
Formulierung Abstand genommen und dafür eine neuen
Passus eingeführt, in dem wir – die Kollegin von Renesse
hat dies sehr deutlich gemacht – den klaren und tragenden
Grundsätzen unserer Rechtsordnung Rechnung tragen
und daran auch die Gewinnung embryonaler Stammzellen
orientieren. Das ist für uns ein wesentlicher Grundsatz.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Drittens. Wir werden heute in einem Punkt einen Än-
derungsantrag vorlegen. Ich weiß, dass dieser Änderungs-
antrag hier kontrovers erörtert worden ist. Für uns ist er
aber von ganz wesentlicher Bedeutung, um unsere Grund-
linie deutlich zu machen: Das, was wir hier in Deutschland
erreichen wollen, wollen wir über unser Land hinaus tra-
gen. Wir haben immer gesagt: Wir wollen keinen Anreiz
geben, dass Embryonen für die deutsche Forschung getö-
tet werden. Deshalb sprechen wir, Frau von Renesse, Frau
Fischer, der Kollege Werner Lensing und ich, uns in einem
Änderungsantrag dafür aus, dass § 13 Abs. 3 gestrichen
wird. Diese Streichung führt dazu, dass die Strafbeweh-
rung bei illegalem Import und bei illegaler Verwendung
von menschlichen embryonalen Stammzellen ausnahms-
los gilt. Ich stehe dazu, trotz aller Problematik, die soeben
von Herrn Catenhusen aufgezeigt worden ist.

Warum stehe ich dazu? Die Probleme sind schon seit
langer Zeit vorhanden, auch noch nach Einführung des
Embryonenschutzgesetzes. Denn auch heute stehen For-
scher vor folgender Situation: Wer als deutscher Forscher
ins Ausland geht, in Baltimore forscht, ist straffrei, wenn
er dort der verbrauchenden Embryonenforschung nach-
geht. Tut er es hier, ist dies strafbewehrt, gibt er von hier
aus einen Anstoß, dann ist dies ebenfalls strafbewehrt.


(Werner Lensing [CDU/CSU]: So ist es!)

Deshalb haben wir erkennen müssen, dass dies keine

Frage ist, die im Embryonenschutzgesetz, das ein hohes
Schutzniveau hat, oder im Stammzellgesetz, mit dem wir
ein ebenso hohes Schutzniveau erreichen wollen, zu regeln
ist. Wir müssen vielmehr in das Strafrecht gehen und uns
des § 9 des Strafgesetzbuches annehmen; denn nur dort
kann diese Frage befriedigend geklärt werden. Das wollen
wir über diesen Tag hinaus tun. Aber an dieser Stelle ist es
richtig, wenn § 13 Abs. 3 des Stammzellgesetzes fällt und
damit eine ausnahmslose Strafbewehrung eingeführt wird.

Ich weiß, dass viele Kollegen von der Sorge umgetrie-
ben werden, dass, da das grundsätzliche Importverbot mit
einer Ausnahmeregelung für die Stammzelllinien verbun-
den ist, die vor dem Stichtag erzeugt worden sind, die Tür




Dr. Maria Böhmer

23225


(C)



(D)



(A)



(B)


heute ein klein wenig geöffnet ist und morgen weit aufge-
stoßen wird. Die Schreckensvision einer nicht mehr zu er-
fassenden Stammzellforschung steht im Raum. Aber ich
glaube, wir müssen uns sehr bewusst sein, dass es doch in
unserer Hand liegt, welchen Weg wir hier im Deutschen
Bundestag gehen wollen.


(Beifall der Abgeordneten Werner Lensing [CDU/CSU], Margot von Renesse [SPD] und Andrea Fischer [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir haben am 30. Januar dieses Jahres diesen Weg
nicht nur markiert, sondern ihn mit großer Mehrheit im
Deutschen Bundestag favorisiert. Ich bin mir auch
bewusst, dass wir seit über zehn Jahren ein Embryonen-
schutzrecht, das Embryonenschutzgesetz haben, das sei-
nesgleichen sucht. Wir bekräftigen diesen Embryonen-
schutz, wir verstärken ihn und wir führen ihn fort in die
Zukunft. Es liegt in unserer Entscheidungsmacht, daran
festzuhalten. So, wie wir die Entscheidung getroffen ha-
ben, können wir wohl darauf vertrauen, dass dieser Bun-
destag und dass auch die Bevölkerung, die hinter dieser
Entscheidung steht, in Zukunft dafür Sorge tragen wer-
den, dass kein Embryo für die deutsche Forschung sterben
muss und dass wir an diesen Grundsätzen festhalten.


(Beifall bei der Abg. Margot von Renesse [SPD])


Bei der heutigen Entscheidung – lassen Sie mich dies
bitte zum Abschluss sagen – bin ich von drei Erwartungs-
haltungen getragen.

Die erste ist, dass der Rahmen, den wir heute mit die-
sem Gesetz geben, von Gesellschaft und Wissenschaft
dauerhaft angenommen wird.

Meine zweite Erwartungshaltung ist, dass die Wissen-
schaft das, was sie im Zuge der Stammzelldiskussion end-
lich praktiziert hat, nämlich aus ihren Labors herauszuge-
hen, ihre Forschung transparent zu machen, den Dialog zu
suchen, fortsetzt, denn gerade in der Bio- und Gentech-
nologie begeben wir uns auf einen Weg, wo dies in Zu-
kunft noch notwendiger sein wird.

Ich bin mir sicher – das ist meine dritte Erwartung, die
ich hier äußere –, dass wir Dank dieses Rahmens weiter-
kommen werden. Professor Ho von der Universität Hei-
delberg hat heute noch einmal deutlich gemacht, dass die
adulte Stammzellenforschung die vergleichende For-
schung im embryonalen Bereich braucht. Wir haben uns
klar für den Vorrang der adulten Stammzellenforschung
vor der embryonalen Stammzellenforschung ausgespro-
chen. Wir geben ihr heute einen Rahmen, von dem ich
sage: Mit dem Stammzellgesetz werden wir es schaffen,
dass gerade die adulte Stammzellenforschung und die da-
raus erwachsenden Therapien den Menschen Möglichkei-
ten eröffnen, um schneller an greifbare und ethisch un-
problematische Therapien heranzukommen.

In diesem Sinne bitte ich alle sehr herzlich um Zustim-
mung zu unserem Stammzellgesetzentwurf.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Andrea Fischer [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423318700
Ich
schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung
über den von den Abgeordneten Dr. Maria Böhmer, Wolf-
Michael Catenhusen, Andrea Fischer (Berlin) und weite-
ren Abgeordneten eingebrachten Gesetzentwurf zur
Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammen-
hang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryo-
naler Stammzellen, Drucksachen 14/8394 und 14/8846.
Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol-
genabschätzung empfiehlt, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Hierzu liegen vier Ände-
rungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen.

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, sich zu setzen.
Da wir nicht nach Fraktionen abstimmen, wird es sonst
für das Präsidium schwierig, die Mehrheitsverhältnisse zu
erkennen.

Wir kommen zunächst zum Änderungsantrag der Ab-
geordneten Dr. Maria Böhmer, Andrea Fischer, Margot
von Renesse und Werner Lensing. Wer stimmt für den Än-
derungsantrag auf Drucksache 14/8876? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist nach
einhelliger Meinung im Präsidium angenommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ände-
rungsantrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Wodarg,
Hubert Hüppe, Monika Knoche, Axel Fischer und weite-
rer Abgeordneter auf Drucksache 14/8922 mit der folgen-
den Maßgabe: Soweit die Streichung des § 13 Abs. 3 des
Gesetzentwurfes in der Ausschussfassung beantragt wird,
hat sich der Änderungsantrag in diesem Punkt erledigt, da
dies bereits Gegenstand des Änderungsantrags war, über
den soeben abgestimmt worden ist.

Zu diesem Änderungsantrag liegt ein Antrag der Kol-
legin Monika Knoche vor, die Abstimmung namentlich
durchzuführen. Nach § 52 Satz 1 unserer Geschäftsord-
nung kann eine namentliche Abstimmung von anwesen-
den fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages
verlangt werden. Das sind 34 Abgeordnete. Ich bitte die-
jenigen, die das Verlangen auf namentliche Abstimmung
unterstützen wollen, um das Handzeichen. – Das Verlan-
gen hat die erforderliche Unterstützung erhalten. Wir
stimmen deshalb jetzt über den Änderungsantrag auf
Drucksache 14/8922 namentlich ab.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen.

Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall.
Ich eröffne die Abstimmung.

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist offensicht-
lich nicht der Fall. Dann schließe ich den Wahlgang und
bitte um Auszählung.

Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.


(Unterbrechung von 20.03 bis 20.09 Uhr)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423318800
Die un-
terbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.




Dr. Maria Böhmer
23226


(C)



(D)



(A)



(B)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, wieder
Platz zu nehmen. –

Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift-
führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-
mung über den Änderungsantrag der Abgeordneten

Dr. Wolfgang Wodarg, Hubert Hüppe, Monika Knoche,
Axel E. Fischer und weiterer Abgeordneter auf Drucksa-
che 14/8922 bekannt: Abgegebene Stimmen 563. Mit Ja
haben gestimmt 164, mit Nein haben gestimmt 374, Ent-
haltungen 25. Der Änderungsantrag ist abgelehnt.




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

23227


(C)



(D)



(A)



(B)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 560;
davon

ja: 164
nein: 372
enthalten: 24

Ja
SPD
Dr. Axel Berg
Lothar Binding (Heidelberg)

Anni Brandt-Elsweier
Hans Büttner (Ingolstadt)

Dieter Dzewas
Hans Forster
Harald Friese
Arne Fuhrmann
Monika Griefahn
Wolfgang Grotthaus
Reinhold Hemker
Monika Heubaum
Ulrich Kasparick
Konrad Kunick
Christine Lambrecht
Waltraud Lehn
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Erika Lotz
Markus Meckel
Manfred Opel
Bernd Reuter
Christel Riemann-
Hanewinckel

Dr. Hermann Scheer
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Walter Schöler
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Wolfgang Spanier
Dr. Konstanze Wegner
Dr. Ernst Ulrich
von Weizsäcker

Dr. Margrit Wetzel
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Hanna Wolf (München)

Uta Zapf
CDU/CSU
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Meinrad Belle
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser

Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Manfred Carstens (Emstek)

Wolfgang Dehnel
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Albrecht Feibel
Axel E. Fischer

(Karlsruhe-Land)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Norbert Geis
Georg Girisch
Dr. Wolfgang Götzer
Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)


Ernst Hinsken
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Hubert Hüppe
Georg Janovsky
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Ulrich Klinkert
Rudolf Kraus
Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)


Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Ursula Lietz
Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Julius Louven
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Dr. Gerd Müller
Claudia Nolte
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Anton Pfeifer
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Erika Reinhardt
Klaus Riegert
Franz Romer
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth (Gießen)

Dr. Christian Ruck
Anita Schäfer

Heinz Schemken
Dr. Gerhard Scheu
Christian Schmidt (Fürth)

Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Christian Schwarz-
Schilling

Wilhelm Josef Sebastian
Johannes Singhammer
Dr. Wolfgang Freiherr
von Stetten

Dorothea Störr-Ritter
Matthäus Strebl
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Hans-Peter Uhl
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Klaus-Peter Willsch
Werner Wittlich
Elke Wülfing
Wolfgang Zöller
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck (Bremen)

Angelika Beer
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Amke Dietert-Scheuer
Katrin Göring-Eckardt
Gerald Häfner
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

FDP
Hans-Michael Goldmann
PDS
Wolfgang Bierstedt
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Heidemarie Ehlert

Dr. Heinrich Fink
Dr. Klaus Grehn
Dr. Bärbel Grygier
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Heidi Lippmann
Ursula Lötzer
Heidemarie Lüth
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf
Fraktionslose
Christa Lörcher

Nein
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Willi Brase
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
23228


(C)



(D)



(A)



(B)


Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Lilo Friedrich (Mettmann)

Anke Fuchs (Köln)

Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Achim Großmann
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Gabriele Iwersen
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Gabriele Lösekrug-Möller
Dieter Maaß (Herne)


Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Dr. Edith Niehuis
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Reinhold Robbe
René Röspel
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Ulla Schmidt (Aachen)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Dr. Frank Schmidt

(Weilburg)


Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte (Hameln)

Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Dr. Margrit Spielmann

Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek
Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Barbara Wittig
Verena Wohlleben
Waltraud Wolff (Wolmirstedt)

Heidemarie Wright
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
CDU/CSU
Ulrich Adam
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Renate Blank
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen (Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Dr. Ralf Brauksiepe
Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Peter H. Carstensen

(Nordstrand)


Dr. Hansjürgen Doss
Rainer Eppelmann
Anke Eymer (Lübeck)

Ilse Falk
Ulf Fink

Dirk Fischer (Hamburg)

Klaus Francke
Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Jochen-Konrad Fromme
Dr. Jürgen Gehb
Peter Götz
Kurt-Dieter Grill
Gottfried Haschke

(Großhennersdorf )


Gerda Hasselfeldt
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Siegfried Helias
Detlef Helling
Peter Hintze
Joachim Hörster
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Eckart von Klaeden
Eva-Maria Kors
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Karl Lamers
Helmut Lamp
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Walter Link (Diepholz)

Dr. Manfred Lischewski
Dr. Michael Luther
Erich Maaß (Wilhelmshaven)

Erwin Marschewski

(Recklinghausen)


Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Dr. Angela Merkel
Bernd Neumann (Bremen)

Günter Nooke
Dr. Friedbert Pflüger
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Katherina Reiche
Hans-Peter Repnik
Dr. Heinz Riesenhuber
Hannelore Rönsch

(Wiesbaden)


Dr. Norbert Röttgen
Dr. Wolfgang Schäuble
Karl-Heinz Scherhag
Norbert Schindler
Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Andreas Schmidt (Mülheim)

Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr
von Schorlemer

Dr. Erika Schuchardt
Gerhard Schulz
Clemens Schwalbe
Dr. h. c. Rudolf Seiters
Bärbel Sothmann

Wir kommen nun zum Änderungsantrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 14/8869. Hierüber stimmen wir
im einfachen Verfahren ab. Wer stimmt für diesen Ände-
rungsantrag? –Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? –
Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag des Ab-
geordneten Dr. Wolfgang Wodarg auf Drucksa-
che 14/8925 ab. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist
ebenfalls abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung mit der soeben beschlossenen Ände-




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

23229


(C)



(D)



(A)



(B)


Margarete Späte
Erika Steinbach
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl (Heilbronn)

Dr. Rita Süssmuth
Edeltraut Töpfer
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Bernd Wilz
Dagmar Wöhrl
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Matthias Berninger
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Rita Grießhaber
Michaele Hustedt
Dr. Reinhard Loske
Cem Özdemir
Rezzo Schlauch

Jürgen Trittin
FDP
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Enthalten
SPD
Eckhardt Barthel (Berlin)

Christel Deichmann

Helga Kühn-Mengel
Dr. Edelbert Richter
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Dagmar Schmidt

(Meschede)


Regina Schmidt-Zadel
Wolfgang Thierse
CDU/CSU
Ilse Aigner
Sylvia Bonitz
Hubert Deittert
Maria Eichhorn
Dr. Hans Georg Faust
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Manfred Heise
Susanne Jaffke
Dr. Norbert Lammert
Wolfgang Meckelburg
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Peter Paziorek
Andrea Voßhoff
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Grietje Bettin
Ulrike Höfken

Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des
Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete(r)
Behrendt, Wolfgang Bindig, Rudolf Bühler (Bruchsal), Klaus Haack (Extertal), Karl-Hermann
SPD SPD CDU/CSU SPD

Dr. Hornhues, Karl-Heinz Hornung, Siegfried Jäger, Renate Lintner, Eduard
CDU/CSU CDU/CSU SPD CDU/CSU

Dr. Lippelt, Helmut Dr. Lucyga, Christine Michels, Meinolf Müller (Berlin), Manfred
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN SPD CDU/CSU PDS

Neumann (Gotha), Gerhard Onur, Leyla Palis, Kurt Rupprecht, Marlene
SPD SPD SPD SPD

von Schmude, Michael Zierer, Benno
CDU/CSU CDU/CSU

rung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung angenommen.

Es ist angekündigt worden, dass der Wunsch besteht,
trotz Annahme einer Änderung sofort in die dritte Bera-
tung einzutreten. – Herr Kollege Schmidt signalisiert, wir
möchten von der in der Geschäftsordnung vorgesehenen
Frist absehen und direkt in die dritte Beratung eintreten.

Ein solcher Antrag bedarf der Zweidrittelmehrheit. Ich
bitte diejenigen, die dem Antrag zustimmen wollen, um
ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Das war die erforderliche Mehrheit. Damit ist der Antrag
angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

über den Gesetzentwurf. Hier ist wiederum namentliche
Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen. – Sind alle
Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Ab-
stimmung.

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu be-
ginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
bekannt gegeben.1)

Wir setzen die Beratungen fort. – Liebe Kolleginnen
und Kollegen, darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen oder
den Saal zu verlassen?

Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Norbert Geis, Ronald Pofalla, Wolfgang
Bosbach, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines ...

(Stärkung des Toleranzgebotes durch einen besseren Schutz religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen gemäß § 166 StGB)

– Drucksache 14/4558 –

(Erste Beratung 149. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/8379 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Joachim Stünker
Norbert Geis
Volker Beck (Köln)

Jörg van Essen
Dr. Evelyn Kenzler

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Joachim Stünker von der SPD-Fraktion.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Ist das üblich? Nicht zuerst der Antragsteller?)


– Die Geschäftsführer haben mir die Liste so vorgelegt.
Eigentlich hätte der Antragsteller zuerst das Wort. Aber
wenn Sie das entschuldigen – –


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir überstehen das!)


Bitte schön, Herr Stünker.


Joachim Stünker (SPD):
Rede ID: ID1423318900
Herr Präsident! Meine lie-
ben Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in
zweiter und dritter Lesung einen Gesetzentwurf der
Unionsfraktion, der davon ausgeht, dass der Schutz von
Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsvereini-
gungen sowie ihrer religiösen und weltanschaulichen
Überzeugungen nur unzureichend im Strafgesetzbuch
– nicht in anderen gesetzlichen Bestimmungen; wir reden
hier über Strafrecht – geregelt sei.

Wir wissen aus der Geschichte, dass sich Glaubens-
fragen sehr gut für eine Polarisierung eignen. Ich hoffe
nicht, dass es Absicht der Antragsteller ist, dass wir die-
sen Gesetzentwurf, der aus dem November des Jah-
res 2000 stammt, so kurz vor der Bundestagswahl in zwei-
ter und dritter Lesung beraten.

Ich will nicht bestreiten, dass es in der Tat geschmack-
lose Entgleisungen gegenüber Religionsgemeinschaften
gibt, sehe allerdings keine rechtspolitische Notwendig-
keit, deshalb das Strafgesetzbuch in § 166 – um den geht
es hier – hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals des öf-
fentlichen Friedens zu ändern. Ich habe das bereits in der
ersten Lesung gesagt; ich habe das in den Ausschussbera-
tungen gesagt. Die Einschätzung der SPD-Fraktion dazu
hat sich auch nicht geändert.

Nach der geltenden Fassung des § 166 StGB dient das
Strafrecht nicht der ethisch-moralischen Bevormundung.
Das ist auch nicht die Aufgabe des Strafrechts. Die Straf-
vorschriften, welche sich auf Religion und Weltanschau-
ung beziehen, müssen allein den öffentlichen Frieden in
unserem Land gewährleisten. § 166 StGB stellt, rechts-
dogmatisch gesehen, ein so genanntes Eignungsdelikt dar.

Bei der Änderung der Strafvorschrift im Jahre 1969 hat
der Reformgesetzgeber bewusst auf den Tatbestand der
Gotteslästerung verzichtet, um dem Missverständnis vor-
zubeugen, dass Gott als solcher Gegenstand eines weltli-
chen Schutzgutes sein könnte. Das geschah vor allen Din-
gen, um Diskussionen über den Gottesbegriff im
Gerichtssaal zu vermeiden. Stattdessen sollte durch die
Ausgestaltung der Norm als Eignungsdelikt den Schwie-
rigkeiten Rechnung getragen werden, die der Feststellung,
ob eine Friedensstörung eingetreten ist, begegnen können.

Eine wirkliche Friedensstörung verlangt das Gesetz
also nicht. Es reichen vielmehr schon solche Zustände
aus, die konkret geeignet sind, eine Friedensstörung zu
bewirken. Friedensstörende Beschimpfungen und Belei-
digungen sind also auch heute durch das Strafrecht abge-
deckt. Deshalb kann keine Rede davon sein, wie es die




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
23230


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Seite 23231 D

Verfasser des Gesetzentwurfs behaupten, dass die An-
wendung der Norm von friedensstörenden Demonstratio-
nen und damit vom Faustrecht der Beschimpften abhängt.
Eine solche Auffassung verkennt den Eignungscharakter
der Norm und wird von der Wissenschaft und der Praxis
nicht geteilt.

Des Weiteren kann die These in der Begründung des
Gesetzentwurfs, die Klausel habe sich praktisch zum In-
strument der Beseitigung des Tatbestands entwickelt,
nach der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre
nicht bestätigt werden.

Auch die vom Rechtsausschuss in seiner 91. Sitzung am
27. Juni des letzten Jahres, also im Sommer des vorigen
Jahres, bereits durchgeführte öffentliche Anhörung hat
keine neuen rechtstatsächlichen Erkenntnisse ergeben,
warum die im Rahmen der Strafrechtsreform 1969 gefun-
dene Fassung heute geändert werden sollte, im Gegenteil:
Die Sachverständigen sprachen sich in der Mehrzahl gegen
den vorliegenden Gesetzentwurf aus und plädierten für die
Beibehaltung der seit Jahrzehnten gültigen Strafvorschrift.

Der durchgehende Tenor besagt, dass es im modernen
Strafrecht kein Schutzgut „religiöses Empfinden“ geben
könne; noch weniger könne ein säkulares Strafrecht
auf den Schutz religiöser Inhalte abstellen. Tragfähiges
Rechtsgut für die Religionsdelikte könne deshalb al-
lein der öffentliche Friede sein. Das sehen wir ebenso. Die
Sachverständigen haben weiter ausgeführt, der Gesetz-
entwurf liefere keine neuen Gesichtspunkte, welche die
verfassungsrechtliche Tragfähigkeit eines anderen Rechts-
gutes belegt hätten.

An dieser Stelle möchte ich noch einmal darauf hin-
weisen, dass bereits in den vorangegangenen Jahrzehnten
immer wieder versucht worden ist, teilweise aus Bayern,
aber auch von der CDU/CSU-Fraktion, entsprechende
Änderungen durchzubringen. Doch sogar in den 16 Jah-
ren der Kohl-Regierung ist Ihnen das mit Ihrem Koali-
tionspartner nicht gelungen.

In Deutschland wird niemand daran gehindert, seinen
Glauben auszuüben. Wenn eine Beschimpfung den Gläu-
bigen persönlich trifft, greift das Strafrecht ein, weil
eine Beleidigung oder Schmähung der persönlichen Reli-
gionsausübung vorliegt. Die geltende Fassung des
§ 166 StGB verfolgt das Ziel der Stärkung des Toleranz-
gebotes in dem verfassungsrechtlich gebotenen Maße. Ich
sehe keine Notwendigkeit, den den Kirchen gebührenden
Respekt – es ist unstreitig, dass ihnen Respekt gebührt –
mit den Mitteln des Strafrechts durchzusetzen – wir reden
über das Strafrecht –, im Gegenteil: Interreligiöse Aus-
einandersetzungen könnten sich an staatlich vorgegebene
Maßstäbe gebunden fühlen, die ihr Selbstbestimmungs-
recht aus Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung
in Verbindung mit Art. 140 GG berühren würden. Mit ver-
letzender Kritik sollte sich die Religion vielmehr selbst
auseinander setzen.

Das Strafrecht ist sicherlich kein geeignetes Mittel, um
für Toleranz zu werben. Toleranz kann man nicht her-
beistrafen. Die Verfasser des Gesetzentwurfs verkennen
meiner Meinung nach den Charakter des Strafrechts als
Ultima Ratio im Instrumentarium staatlicher Konflikt-
bewältigung. Intolerante Äußerungen als solche können

eine Strafverfolgung nicht rechtfertigen. Hinzutreten
muss immer, dass die Meinungsfreiheit derjenigen ge-
fährdet wird, die von diesen Äußerungen betroffen sind.
Diese Bedingung wird in einer Gesellschaft, in der der öf-
fentliche Diskurs funktioniert und in der blasphemische
Äußerungen auf öffentliche Kritik und Ablehnung stoßen,
wie es bei uns, in der Bundesrepublik, der Fall ist, nicht
vorliegen.

Bei aller Anerkennung, die Kirche und religiöses Le-
ben in unserem Land genießen, leben wir dennoch in ei-
nem säkularisierten Staat, in dem Religion Privatsache ist.
Der Einzelne als Träger seiner religiösen Überzeugung
muss geschützt werden, nicht aber die Abstraktion, die
Religion als solche.

Wenn man den Gesetzentwurf, der uns vorliegt, zu
Ende denkt, kann man zu der Vorstellung gelangen,
dass in seiner Folge ein Salman Rushdie zukünftig in
Deutschland – möglicherweise wäre das regional unter-
schiedlich – strafrechtlich verfolgt werden könnte. Ich
muss Ihnen ehrlich sagen, dass diese Vorstellung für mich
nur schwer zu ertragen wäre.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Schlimm!)

Lassen Sie mich abschließend noch einmal betonen:

Die Intention – darüber haben wir in den Beratungen aus-
führlich diskutiert – ist fraglos vorhanden, Erscheinungen
religiöser Schmähungen in unserer Gesellschaft, die ver-
abscheuungswürdig sind, gemeinsam zurückzuweisen.


(Beifall des Abg. Alfred Hartenbach [SPD])

Aber hier geht es darum, was wir pönalisieren, was wir
unter Strafe stellen wollen. Strafrechtliche Verbote sind
kein Mittel, um bei den Betroffenen eine innere Einstel-
lung der Toleranz zu fördern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Toleranz können Sie nicht durch strafrechtliche Regelun-
gen bzw. Verbotsnormen in die Gesellschaft hineinerzie-
hen. Dafür bedarf es gelebter Vorbilder, dafür bedarf es
der Erziehung, dafür bedarf es auch angemessener For-
men des Umgangs miteinander, damit öffentlich Beispiele
gegeben werden, aber dafür brauchen wir nicht das Straf-
recht.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423319000
Bevor ich
dem nächsten Redner das Wort erteile, gebe ich Ihnen das
von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte
Ergebnis der namentlichen Schlussabstimmung über
den Entwurf eines Gesetzes zur Sicherstellung des Em-
bryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und
Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen be-
kannt. Das sind die Drucksachen 14/8394 und 14/8846.

Abgegebene Stimmen 559. Mit Ja haben gestimmt 360,
mit Nein haben gestimmt 190, Enthaltungen 9. Der Ge-
setzentwurf ist damit angenommen.




Joachim Stünker

23231


(C)



(D)



(A)



(B)





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
23232


(C)



(D)



(A)



(B)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 559;
davon

ja: 360
nein: 190
enthalten: 9

Ja
SPD
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Willi Brase
Rainer Brinkmann (Detmold)


(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Lilo Friedrich (Mettmann)

Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Achim Großmann
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel

Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Gabriele Iwersen
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)


Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Christel Riemann-
Hanewinckel

Reinhold Robbe
René Röspel
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Dr. Frank Schmidt

(Weilburg)


Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Brigitte Schulte (Hameln)

Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse

Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich
von Weizsäcker

Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek
Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Barbara Wittig
Verena Wohlleben
Waltraud Wolff

(Wolmirstedt)


Heidemarie Wright
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
CDU/CSU
Ulrich Adam
Günter Baumann
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Renate Blank
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Dr. Ralf Brauksiepe

(Schönebeck)


Anke Eymer (Lübeck)

Ulf Fink
Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Gottfried Haschke

(Großhennersdorf )





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

23233


(C)



(D)



(A)



(B)


Gerda Hasselfeldt
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Siegfried Helias
Detlef Helling
Peter Hintze
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Eckart von Klaeden
Dr. Martina Krogmann
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Walter Link (Diepholz)

Erich Maaß (Wilhelmshaven)

Erwin Marschewski

(Recklinghausen)


Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Bernd Neumann (Bremen)

Günter Nooke
Dr. Friedbert Pflüger
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Katharina Reiche
Dr. Heinz Riesenhuber
Hannelore Rönsch

(Wiesbaden)


Dr. Wolfgang Schäuble
Karl-Heinz Scherhag
Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Andreas Schmidt (Mülheim)

Dr. Erika Schuchardt
Gerhard Schulz
Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-
Schilling

Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Erika Steinbach
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl (Heilbronn)

Dr. Rita Süssmuth
Edeltraut Töpfer
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Dagmar Wöhrl
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Matthias Berninger

Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Rita Grießhaber
Uli Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Reinhard Loske
Cem Özdemir
Rezzo Schlauch
Jürgen Trittin
FDP
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Dr. Ruth Fuchs
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk

Nein
SPD
Brigitte Adler
Dr. Axel Berg
Lothar Binding (Heidelberg)


Anni Brandt-Elsweier
Hans Büttner (Ingolstadt)

Dieter Dzewas
Hans Forster
Harald Friese
Monika Griefahn
Wolfgang Grotthaus
Reinhold Hemker
Monika Heubaum
Ulrich Kasparick
Konrad Kunick
Waltraud Lehn

(Neubrandenburg)


Markus Meckel
Bernd Reuter
Dr. Hermann Scheer
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ewald Schurer
Wolfgang Spanier
Dr. Konstanze Wegner
Dr. Margrit Wetzel
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Hanna Wolf (München)

Uta Zapf
CDU/CSU
Ilse Aigner
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Manfred Carstens (Emstek)

Peter H. Carstensen

(Nordstrand)


Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Dr. Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Dirk Fischer (Hamburg)

Axel E. Fischer

(Karlsruhe-Land)


Klaus Francke
Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis

Georg Girisch
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)


Manfred Heise
Ernst Hinsken
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Steffen Kampeter
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Ulrich Klinkert
Eva-Maria Kors
Rudolf Kraus
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)


Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Ursula Lietz
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Julius Louven
Dr. Michael Luther
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Hans Michelbach
Dr. Gerd Müller
Claudia Nolte
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Franz Romer
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth (Gießen)

Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Anita Schäfer
Heinz Schemken
Dr. Gerhard Scheu
Christian Schmidt (Fürth)

Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Wilhelm Josef Sebastian
Dr. h. c. Rudolf Seiters
Johannes Singhammer
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Gleichzeitig teile ich Ihnen mit, dass wir 38 Erklärun-

gen gemäß § 31 der Geschäftsordnung zu Protokoll ge-
nommen haben, Ihr Einverständnis vorausgesetzt.1) – Vie-
len Dank.

Nun fahren wir in der Aussprache fort. Das Wort hat jetzt
der Kollege Norbert Geis von der CDU/CSU-Fraktion.


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1423319100
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Die im Parlament ge-
führte Diskussion über die Frage eines besseren Schutzes
des religiösen Bekenntnisses wird in der Öffentlichkeit




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
23234


(C)



(D)



(A)



(B)


Dorothea Störr-Ritter
Matthäus Strebl
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Hans-Peter Uhl
Andrea Voßhoff
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Werner Wittlich
Elke Wülfing
Wolfgang Zöller
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck (Bremen)

Angelika Beer
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Amke Dietert-Scheuer
Katrin Göring-Eckardt
Gerald Häfner

Winfried Hermann
Antje Hermenau
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

FDP
Hans-Michael Goldmann

PDS
Wolfgang Bierstedt
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Klaus Grehn
Dr. Bärbel Grygier
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Heidi Lippmann
Ursula Lötzer
Heidemarie Lüth
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf

Fraktionslose
Christa Lörcher
Enthalten
SPD
Eckhardt Barthel (Berlin)

Ernst Küchler
Dr. Edelbert Richter
Dr. Ernst Dieter Rossmann
CDU/CSU
Rainer Eppelmann
Norbert Schindler
Bernd Wilz
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Grietje Bettin
PDS
Wolfgang Gehrcke

Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des
Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete(r)
Behrendt, Wolfgang Bindig, Rudolf Bühler (Bruchsal), Klaus Haack (Extertal), Karl-Hermann
SPD SPD CDU/CSU SPD

Dr. Hornhues, Karl-Heinz Hornung, Siegfried Jäger, Renate Lintner, Eduard
CDU/CSU CDU/CSU SPD CDU/CSU

Dr. Lippelt, Helmut Dr. Lucyga, Christine Michels, Meinolf Müller (Berlin), Manfred
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN SPD CDU/CSU PDS

Neumann (Gotha), Gerhard Onur, Leyla Palis, Kurt Rupprecht, Marlene
SPD SPD SPD SPD

von Schmude, Michael Zierer, Benno
CDU/CSU CDU/CSU

1) Anlagen 2 bis 5

sehr genau verfolgt. Gestern hat der Deutsche Akademi-
kerinnen-Verband Herrn Vizepräsidenten Seiters ein
Paket mit über 100 000 Unterschriften übergeben und da-
mit zum Ausdruck gebracht, dass es um einen besseren
Schutz des religiösen Bekenntnisses in unserer Gesell-
schaft gehen muss.

Art. 4 Grundgesetz gewährleistet die freie Religions-
ausübung. Das ist nicht nur ein Abwehrrecht gegenüber
dem Staat, sondern beinhaltet zweifellos und unbestritten
auch eine Verpflichtung des Staates zur Gewährleistung
dieser freien Religionsausübung. Sie ist aber dann nicht
möglich, wenn diejenigen, die die Religion ausüben, stän-
dig damit rechnen müssen, dass sie mit Häme und Hass-
gefühlen konfrontiert werden.

Es gilt das Wort des Sachverständigen und Strafrecht-
lers Lenckner, der gesagt hat: Jeder soll nach seiner Fas-
son selig werden, ohne dafür ins Abseits gestellt zu wer-
den. Das ist, wie ich meine, in Deutschland nicht mehr der
Fall. Jedenfalls ist dies das Empfinden vieler Christen.

Die Meinungsfreiheit soll überhaupt nicht beeinträch-
tigt werden. Aber es gibt keine Meinungsfreiheit zur Be-
schimpfung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meinungsfreiheit und Beschimpfung sind nicht das Glei-
che. Es gibt keine Freiheit, die Ehre des anderen, seine
Würde zu verletzen. Es gibt keine Freiheit zur Verletzung
der Menschenwürde und der Menschenrechte. Aber in der
deutschen Gesellschaft wird eine Freiheit in Anspruch ge-
nommen, die sehr wohl verletzend wirkt und die auch
dazu beiträgt, dass sich viele nicht mehr frei fühlen, in der
Öffentlichkeit das christliche Bekenntnis tatsächlich zu
leben. Das gilt nicht für den mosaischen Glauben und den
Islam. In Deutschland wird jeder, der den mosaischen
Glauben oder den Islam verächtlich zu machen versucht,
von der Öffentlichkeit ganz entschieden zurückgewiesen
und er hat auch mit einer starken Reaktion des Staates zu
rechnen. Darüber empfinden wir Genugtuung.

Aber es besteht eine seltsame Schizophrenie, wenn es
um den christlichen Glauben geht. Hier haben wir nicht
die gleiche Situation. Wir erleben immer und immer wie-
der, wie sehr das Christentum und Symbole von Christen
– nicht nur in privaten Zirkeln, nicht nur in Zeitungen mit
völlig zu vernachlässigenden Auflagen, sondern in aller
Öffentlichkeit – lächerlich gemacht werden. Ich will Ih-
nen ein paar Beispiele nennen:

Ungestraft darf im Hessischen Rundfunk die katholi-
sche Kirche als „Verbrechersyndikat“ dargestellt werden.
Die Anzeige des Bischofs von Limburg dagegen wird ab-
gewiesen. Unbehelligt darf der gekreuzigte Jesus Christus
als „Balkensepp“ und ein anderes Mal als „Lattengustl“ in
der Öffentlichkeit beleidigt werden. Die Anzeige gegen
ein Bild auf dem Titelblatt eines Magazins, das den ge-
kreuzigten Christus als Toilettenpapierhalter darstellt,
hatte keinen Erfolg. Das Theaterstück „Der Vater-
schaftsprozess des Zimmermanns Joseph“, in welchem
der Heilige Geist als Tattergreis, der Erzengel Michael als
Schwuler und der Apostel Johannes als Hippie auftreten,
kann ungestört aufgeführt werden. Entsprechende Anzei-
gen bleiben erfolglos. In Köln werden zwei Galeristen

freigesprochen, die ein Bild ausgestellt hatten, auf dem
eine Nonne dem Gekreuzigten unter den Lendenschurz
greift. Entsprechende Anzeigen des Erzbischofs von Köln
bleiben erfolglos. Die Anzeigen gegen das Theaterstück
„Corpus Christi“ verpuffen vor dem Argument der Staats-
anwaltschaft, der öffentliche Friede sei nicht gefährdet.

Dies hat zu der Bemerkung eines Kirchenmannes aus
den neuen Bundesländern geführt, dass so hämisch und
widerwärtig noch nicht einmal die SED-Medien mit den
christlichen Symbolen und Inhalten umgegangen seien.
Die Anzeigen von betroffenen Christen werden von der
Staatsanwaltschaft mit dem Hinweis zurückgewiesen, der
öffentliche Friede sei nicht gestört. In der Tat haben
90 Prozent aller Anzeigen aus diesem Grund keinen Er-
folg gehabt.

Dies führt dazu, dass die Christen im Land und die Kir-
chen resignieren. Viele haben das Empfinden, dass sie in
Deutschland ihren Glauben nicht mehr frei bekennen dür-
fen, ohne dafür lächerlich gemacht und ins Abseits gestellt
zu werden.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Wo lebt der denn?)

Dies ist in der Tat das Empfinden vieler Menschen
draußen im Land. Beide großen Kirchen unterstützen aus
diesem Grund den Gesetzentwurf.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Aber nicht nur die Christen nehmen an dieser Situation
Anstoß. Der Rechtsdezernent des Zentralrates der Juden
hat in der Anhörung seine Schockierung darüber zum
Ausdruck gebracht, in welcher Weise man in Deutschland
mit christlichen Symbolen umgeht. Der Generalsekretär
der islamischen Gemeinden hat sich in dieser Anhörung
gleichermaßen geäußert.

Nach meiner Auffassung liegt, rechtlich gesehen – es gibt
viele andere Gründe, das will ich nicht verschweigen –, ein
Grund darin, dass im Zuge der Strafrechtsreform von 1969
das Gebot derToleranz gegenüber den Bekenntnissen von
Religion und Weltanschauung in § 166 StGB durch den
Schutz des öffentlichen Friedens ersetzt wurde. Es wurde
ein neues Schutzgut definiert. Jetzt kann eine Beschimpfung
nur noch bestraft werden – es geht nicht um eine Ge-
schmacklosigkeit, es geht auch nicht um Kritik; eine Be-
schimpfung ist etwas anderes –, wenn dadurch der öffentli-
che Friede gefährdet wird.

Dies war 1969 noch ziemlich eindeutig; denn damals
waren weit über 90 Prozent der Menschen in Deutschland
kirchlich gebunden. Damals durfte der Gesetzgeber zwei-
fellos annehmen, dass eine Gefährdung des Friedens
gleichbedeutend ist mit der Beschimpfung der christli-
chen Religion. Heute haben wir aber eine ganz andere Si-
tuation. Die Mehrheit der Deutschen ist konfessionslos
oder sind erklärte Atheisten. Außerdem haben wir drei
Millionen Muslims und eine Zunahme des mosaischen
Glaubens.


(Christa Nickels [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt überhaupt nicht!)


– Frau Nickels, Sie können das nachher aus Ihrer Sicht
darstellen.




Norbert Geis

23235


(C)



(D)



(A)



(B)


Auf jeden Fall haben wir eine entschieden andere Si-
tuation – das wird niemand bestreiten – als 1969. Der Ge-
setzgeber ist damals also von anderen Voraussetzungen
ausgegangen. Er hat gesagt, die Störung des öffentlichen
Friedens ist im Grunde gleichbedeutend mit der Verun-
glimpfung; denn wenn jemand den christlichen Glauben
verunglimpft, verunglimpft er den Glauben von über
90 Prozent der Deutschen. Heute ist das nicht mehr der
Fall. Man mag sich über die Zahlen streiten. Ich habe
nicht nachgeforscht, ob die Zahlen, die mir genannt wor-
den sind, richtig sind. Auf jeden Fall sinkt die Zahl der
Christen dramatisch. Wir haben längst nicht mehr so viele
Christen im Land wie 1969.

Wenn sich diese Situation geändert hat, dann muss sich
natürlich auch der Gesetzgeber Gedanken darüber ma-
chen. Er kann diese Situation nicht einfach an sich vor-
beigehen lassen.


(Joachim Stünker [SPD]: Das ist ein gefährliches Argument!)


Ich bin deshalb der Meinung, Herr Stünker, dass das alte
Gebot der Toleranz sehr wohl wieder in das Gesetz auf-
genommen werden kann. Ich bin der Meinung, dass in ei-
ner freiheitlichen Gesellschaft Toleranz eine der Voraus-
setzungen dafür ist, dass sie überhaupt funktionieren
kann.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423319200
Herr Kol-
lege Geis, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Nickels?


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1423319300
Bitte sehr.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423319400
Bitte
schön, Frau Nickels.


Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423319500

Herr Kollege Geis, stimmen Sie mir zu, dass durch die
Steuererklärungen und auch durch amtliche Statistiken
zweifelsfrei belegt ist, dass in Deutschland immer noch
80 Prozent der Bevölkerung konfessionell an den christ-
lichen Gauben gebunden sind? Es gibt Unterschiede zwi-
schen den neuen und den alten Bundesländern. Aber wenn
Sie es mitteln, sind es immer noch 70 bis 80 Prozent. Das
ist meine erste Frage.

Zweite Frage: Stimmen Sie mir darin zu, dass es, wenn
man wirklich wieder Ehrfurcht vor Glauben in der Ge-
sellschaft verankern will – ich stimme Ihnen zu, dass das
nötig ist –, doch viel wichtiger wäre, dass die vielen Chris-
tinnen und Christen in einen interkulturellen Dialog mit
sich selbst eintreten, um das Bewusstsein dafür zu schaf-
fen, dass die Ehrfurcht vor dem Heiligen etwas ist, was
eine Gesellschaft zusammenhält?


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1423319600
In der ersten Frage
stimme ich Ihnen nicht zu. Ich habe andere Zahlen.

In der zweiten Frage stimme ich Ihnen zu. Ich halte
dies in der Tat für wesentlich. Ich bin der Meinung, dass
dadurch gegenseitige Achtung gefördert werden kann.

Das hindert uns allerdings nicht daran, dass wir uns Ge-
danken darüber machen, ob eine Norm im Gesetz so ste-
hen bleiben kann. Sie ist nämlich im Grunde genommen
das Papier nicht wert, auf dem sie steht. Diese Norm ver-
pufft. Deswegen haben die Grünen ja auch den Antrag ge-
stellt, diese Norm völlig zu streichen. Also müssen wir,
wenn wir diese Norm beibehalten wollen, uns Gedanken
darüber machen, wie wir sie verbessern können. Ich ver-
trete die Auffassung, Frau Nickels, dass wir die Norm
dann verbessern, wenn wir den Toleranzgedanken wieder
als Schutzziel dieser Norm herausstellen.

Ich meine, man muss sich sehr wohl Gedanken darüber
machen, ob man das strafrechtlich lösen kann. Insoweit
hat Herr Stünker Recht. Aber wenn Toleranz eine der Vo-
raussetzungen für das Funktionieren einer pluralistischen
Gesellschaft ist, wenn sie Voraussetzung für eine freie Ge-
sellschaft ist, dann muss die freie Gesellschaft um ihrer
selbst willen diejenigen zur Räson bringen, die diese To-
leranz beschädigen. Wenn sie in einem solch schweren
Maß beschädigt wird, wie dies im Augenblick in Deutsch-
land immer wieder der Fall ist, dann muss die Gesell-
schaft nach meiner Auffassung mit dem schärfsten Mittel
antworten, das sie hat. Das ist das Mittel des Strafrech-
tes. Das haben wir in anderen Fällen auch getan.

Ich bin also sehr wohl der Meinung, dass mit dem
Strafrecht durchaus erreicht werden kann, dass das Tole-
ranzgebot beachtet wird. Dies ist nach meiner Auffassung
auch in anderen Fällen so. Warum soll es in dieser wich-
tigen Frage nicht ebenfalls so sein?

Es gibt noch einen zweiten Grund. Es geht nicht nur um
die Toleranz gegenüber dem Glaubensverständnis des
Einzelnen. Es geht nicht um eine individuelle Frage, son-
dern es geht auch darum, dass die Kirchen selbst in ihrer
Stellung nicht beschädigt werden. Insofern ist es wie-
derum ein verfassungsrechtliches Gebot: Der Staat ist auf-
grund unseres Staatskirchenrechts zweifellos verpflichtet,
alles zu tun, damit die Kirchen in ihrer Stellung nicht be-
schädigt werden.

Es gibt noch einen dritten Grund. Ich meine, der Satz,
dass der Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht
garantieren kann, hat eine große Bedeutung. Das ist ein
wirklich wichtiger Satz, den Böckenförde niedergeschrie-
ben hat. Wenn es aber um Voraussetzungen des Staates
geht und der Staat diese selbst nicht garantieren kann,
dann brauchen wir Institutionen, die diese Voraussetzun-
gen immer wieder erneuern, die die Bevölkerung immer
wieder darauf hinweisen. Das sind unter anderem ganz
gewiss die Kirchen. Wenn wir aber zulassen, dass die Kir-
chen lächerlich gemacht und von der Jugend nicht mehr
ernst genommen werden, dann sägen wir, auf Dauer ge-
sehen, an dem Ast, auf dem wir sitzen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423319700
Das Wort
hat jetzt der Kollege Helmut Wilhelm von Bündnis 90/Die
Grünen.




Norbert Geis
23236


(C)



(D)



(A)



(B)


Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Mit ihrem Gesetzentwurf will die CDU/CSU-
Fraktion das tatbestandliche Korrektiv in § 166 StGB,
nämlich die Worte „in einer Weise ..., die geeignet ist, den
öffentlichen Frieden zu stören“, gestrichen wissen. Der
vorliegende Entwurf geht auf eine CSU-Initiative zurück.
Er hat noch in der letzten Wahlperiode im Bundesrat die
nötige Mehrheit verfehlt. Ganz zu Recht: Die vorgeschla-
gene Änderung ist überflüssig; kriminalpolitisch bedeutet
sie ein Zurück ins 19. Jahrhundert.

Nur zur Erinnerung: 1871 wurde der so genannte Got-
teslästerungsparagraph im Strafgesetzbuch festgeschrie-
ben. 1969 hat ihn der Gesetzgeber unter der großen Ko-
alition mit den Stimmen der CDU/CSU reformiert und um
das Tatbestandsmerkmal angereichert, das die Union jetzt
wieder streichen will. Dabei war 1969 allen klar: Wer – im
Sinne des heutigen Unionsentwurfes: uferlos – jede Form
zum Beispiel gotteslästerlicher Äußerungen rückhaltlos
unter Strafe stellen will, verletzt das Grundgesetz; denn
Meinungs- und Kunstfreiheit wären dann in bedenklicher
Weise tangiert, religions- und kirchenkritische Äußerun-
gen nahezu verboten.

Will man als Strafgesetzgeber in diesem Bereich über-
haupt reagieren, so braucht man deshalb tatbestandliche
Korrektive. Bei § 166 ist dies die Eignung zur Störung
des öffentlichen Friedens. Würden wir an dieser notwen-
digen Strafbarkeitsschwelle nicht festhalten, könnten wir
gleich ein Gesetz zur Bekämpfung sämtlicher Ge-
schmacklosigkeiten auf den Weg bringen.

Den Strafrichtern an den Gerichten täten wir damit
wohl kaum einen Gefallen, müssten sie doch künftig auch
Verfassungsrichter spielen. In jedem Einzelfall wäre zu
prüfen, ob Meinungs- oder Kunstfreiheit nicht höherwer-
tig einzuschätzen ist. Dann könnte genau das passieren,
was auch Sie von der Union nicht wollen können: So
manche geschmacklose Aktivität würde quasi per Rich-
terspruch überregional publiziert und damit hoffähig ge-
macht. Schlimmer noch: Jedes Sich-betroffen-Fühlen ul-
trareligiöser und religiös-fanatischer Gruppierungen
– unter denen gibt es auch in christlichen Kreisen so ei-
nige; ich will hier keine Namen nennen – könnte dann zur
Veranlassung strafrechtlicher Verfolgung führen. Jetzt ist
geschütztes Rechtsgut der öffentliche Frieden in seiner re-
ligiösen und weltanschaulichen Ausprägung durch den
Toleranzgedanken; aber würde man Ihrem Antrag folgen,
wäre geschütztes Rechtsgut nicht etwa das Toleranzgebot,
sondern, wie schon vor 1969, das wie auch immer gear-
tete religiöse oder weltanschauliche Bekenntnis anderer,
sei es das einer Kirche, Religionsgemeinschaft oder Welt-
anschauungsvereinigung sowie einer losen Gemein-
schaft, aber selbst das eines Einzelnen. So ist es nachzu-
lesen bei Schwarz Dreher, Kommentar zum StGB,
31. Auflage oder älter, also aus meiner lange zurücklie-
genden Studienzeit. Manchmal lohnt es sich, alte Bücher
aufzubewahren. Sie können es auch in Creifelds’„Rechts-
wörterbuch“ unter „Religionsvergehen“ nachlesen.

Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, das kön-
nen Sie doch nicht ernsthaft wollen. Ihre Amtsvorgänger
waren im Jahre 1969 bestens beraten, dem damaligen
Ersten Strafrechtsreformgesetz zuzustimmen und das tat-

bestandliche Korrektiv des öffentlichen Friedens einzu-
führen. Lassen wir es doch dabei bewenden!

Selbst das Kommissariat der deutschen Bischöfe
scheint von Ihrem Gesetzentwurf nicht so ganz begeistert
zu sein; denn mit Schreiben vom 4. Februar 2002, das
auch Ihnen zugegangen ist, wird vorgeschlagen, keine
Streichung vorzunehmen, sondern stattdessen § 166 StGB
lediglich um eine Definition der Störung des öffentlichen
Friedens zu ergänzen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das war ein Kompromiss!)


Genau dies aber hat die Rechtsprechung getan. An dieser
Rechtsprechung orientiert sich der Vorschlag der
Bischöfe. Einer Erinnerung unserer unabhängigen und
fachlich hoch qualifizierten Justiz an ihre eigene Recht-
sprechung bedarf es wohl in keiner Weise.


(Beifall des Abg. Joachim Stünker [SPD])

Vor allem aber, meine Damen und Herren von der

Union, empfehle ich etwas mehr Gelassenheit. Sie tun
wirklich so, als ob heutzutage jede Beschimpfung reli-
giöser Bekenntnisse oder jede Störung der Religionsaus-
übung vom Gesetzgeber geduldet würde. Das ist doch
nicht so. Wer in einer Kirche unerlaubte Nacktaufnahmen
macht, macht sich nach § 167 StGB wegen Störung der
Religionsausübung strafbar. Wer zum Beispiel ein
Schwein ans Kreuz nagelt und dieses Bild im Internet ver-
breitet, der ist nach § 166 Strafgesetzbuch strafbar.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Eben nicht! – Jörg van Essen [FDP]: Nein!)


So urteilt die Rechtsprechung. Der Vollständigkeit halber:
Manche Fälle erfüllen auch den Tatbestand der Volksver-
hetzung oder den der Beleidigung. Die Vorschrift des gel-
tenden § 166 StGB ist also keinesfalls zu eng gefasst.

Wenn eine geschmacklose Aktion einmal nicht straf-
rechtlich geahndet werden kann, dann führt auch das noch
lange nicht zum Untergang des Abendlandes. Das sage ich
nur zur Klarstellung.


(Beifall der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] – Norbert Geis [CDU/CSU]: Darum geht es ja nicht!)


Auch ich will nicht, dass religiöse Gefühle anderer ver-
letzt werden. Aber für Toleranz ist das Strafrecht wohl
kaum das geeignete Mittel.

Meine Damen und Herren von der Union, ich bin wirk-
lich überzeugt, dass Sie diese Gesetzesänderung gar nicht
ernsthaft wollen,


(Ilse Falk [CDU/CSU]: Das ist aber eine Unterstellung!)


sondern recht glücklich sind, wenn Ihr Gesetzentwurf in
einigen Minuten abgelehnt wird. Seien Sie doch ehrlich:
Er dient letztendlich nur der Akquisition von Wähler-
schichten mit extrem religiösem Sendungsbewusstsein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU – Johannes Singhammer [CDU/ CSU]: Das war ein besonders „sachliches“ Argument!)







(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423319800
Das Wort
hat jetzt der Kollege Jörg van Essen von der FDP-Frak-
tion.


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1423319900
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Ich stelle zunächst einmal grundsätzlich
fest, dass wir eine sehr viel ernsthaftere Debatte als in der
ersten Lesung haben. Insbesondere ist mir aufgefallen,
Herr Stünker, dass Sie diesmal andere Worte gewählt ha-
ben, die dem Thema sehr viel angemessener sind.


(Joachim Stünker [SPD]: Sie haben meine erste Rede dazu nicht nachgelesen, glaube ich!)


– Ich habe sie nicht nur nachgelesen, sondern ich war so-
gar anwesend, als Sie geredet haben.


(Joachim Stünker [SPD]: Dann haben Sie nicht zugehört!)


Ich war über den Ton entsetzt, den Sie damals angeschla-
gen haben.

Wer eine wirkliche Lagebeschreibung vornehmen will,
der muss feststellen, dass manches, was der Kollege Geis
hinsichtlich der Situation von Christen in unserem Lande
gesagt hat, so nicht zutrifft. Christen sind bei uns keine
verfolgte Minderheit.


(Christa Nickels [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Das ist auch gut so. Ich selbst bin praktizierender Katho-
lik und kann nicht feststellen, dass ich irgendwelche
Nachteile dadurch zu erleiden oder zu befürchten habe.


(Beifall des Abg. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig [FDP] sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Christa Nickels [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir sollten als Christen auch selbstbewusst sein und uns
nicht in eine Situation hineinreden, in der wir in diesem
Land Gott sei Dank nicht sind. Das scheint mir wichtig zu
sein.

Aber gerade als Liberaler – ich habe schon in meiner
Rede zur ersten Lesung gesagt, wie wichtig mir das Tole-
ranzgebot des Grundgesetzes ist – nehme ich Anstoß an
manchem, was wir in diesem Bereich gegen den christ-
lichen Glauben und gegen die Kirchen erleben. Sie wis-
sen, dass ich aus dem Justizbereich komme. Ich weiß da-
her, dass bei der notwendigen Abwägung zwischen
verschiedenen Verfassungspositionen – Freiheit der Re-
ligion auf der einen Seite und Meinungs- und Kunstfrei-
heit auf der anderen Seite – meine staatsanwaltschaft-
lichen Kollegen immer sehr schnell zur Meinungs- und
Kunstfreiheit neigten. Das ist auch einfacher. Wer es
wagt, anzuklagen, sieht sich sehr schnell in vielen Zei-
tungen angegriffen. Wer einstellt, ruft Gegrummel bei de-
nen, die eine Anzeige erstattet haben, hervor und findet
Ärger bei den Kirchen. Das hat aber längst nicht die Wir-
kung wie der öffentliche Angriff, dem man sich ausgesetzt
sieht, wenn man es wagt, in diesen Fällen anzuklagen und
es zu einem öffentlichen Prozess kommen zu lassen.
Wenn man das tut, ist man ultrakonservativ, ein christ-
licher Radikaler – oder was auch immer als Vorwurf in der

Presse zu lesen ist; man hat kein Interesse für Kunst und
all die anderen Dinge. Das Ergebnis ist, dass es sich die
Kollegen im Regelfall leicht machen und mit der Mei-
nungs- oder Kunstfreiheit arbeiten.

Von daher sehen wir als Liberale nach der Diskussion
in unserer Fraktion durchaus Handlungsbedarf.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU um Nachsicht, dass wir trotzdem nicht zu-
stimmen werden, weil wir in der Anhörung gehört haben,
dass das, was von Ihnen vorgeschlagen worden ist, und
auch das, was als Kompromissvorschlag in die Diskus-
sion eingebracht worden ist, nicht wirklich hilft. Um die
Abwägung, die ich gerade beschrieben habe, kommen wir
nämlich nicht herum, egal, wie der jeweilige Straftatbe-
stand ausgestaltet ist.


(Dr. Edzard Schmidt-Jortzig [FDP]: Leider wahr!)


– Es ist leider wahr, Edzard Schmidt-Jortzig sagt es.
Von daher wird das Übel, das ich gerade beschrieben

habe, nicht beseitigt, egal, welche Änderung wir auch im-
mer vornehmen. Deshalb haben wir – das muss, wie ich
finde, ehrlich festgestellt werden – bisher keinen wirklich
vernünftigen Weg gefunden, wie wir diesem Übel beikom-
men können. Ich bitte um Nachsicht, dass eine Rechts-
staatspartei wie die FDPnur einer Lösung zustimmen kann,
die einem aufgezeigten Problem Abhilfe verschafft.

Es hilft nichts, dass wir suggerieren, wir hätten eine
Gesetzesänderung herbeigeführt, die zu einer neuen Si-
tuation und zu einem notwendigen, besseren Schutz der
christlichen Kirchen und der religiös überzeugten Men-
schen in unserem Lande – das will ich noch einmal unter-
streichen – führen wird. Deshalb werden wir uns bei der
Abstimmung enthalten. Wir wollen damit das Signal set-
zen, dass sich zwar etwas ändern muss, wir bisher aber
noch nicht den richtigen Weg gefunden haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423320000
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich Fink von der PDS-Frak-
tion.


Dr. Heinrich Fink (PDS):
Rede ID: ID1423320100
Verehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir befinden uns in ei-
ner ernsthaften Debatte, die nach einer gesellschaftlichen
Veränderung fragt, nämlich nach der Veränderung im
Umgang der Menschen miteinander. Wir machen im Au-
genblick deutlich, dass wir diese Veränderung brauchen.

Ich bin mir nicht sicher, ob Christen wirklich mehr dis-
kriminiert werden als bisher. Ich bin mir aber auch nicht si-
cher, ob das vorgeschlagene Strafrechtsänderungsgesetz
wirklich einer Stärkung der Toleranz dienlich ist. Tole-
ranz beginnt erst, wenn es uns gelingt, ertragen zu können,
was uns persönlich schmerzt. Wir müssen uns damit ausei-






(C)



(D)



(A)



(B)


nander setzen. Kinder sollten dazu erzogen werden. Letzt-
endlich trägt die Erziehung der Kinder zu Toleranz zum
Kennenlernen des anderen bei. Gegenrede und Streit müs-
sen möglich sein. Die Auseinandersetzung sollte aber nicht
mit dem Strafgesetzbuch in der Hand geführt werden.

Natürlich fragen wir, ob Tucholsky Recht hat, wenn er
fragt, wie weit Satire gehen darf, und er antwortet, dass
Satire alles darf. Ich meine, der Deutsche Bundestag sollte
nicht hinter Tucholsky zurückgehen. Aber auch die Kari-
katur „Christus mit der Gasmaske“ von George Grosz war
letztendlich eine Demonstration der Freiheit gegen den
Krieg. Müssen wir am Ende dem Todesurteil gegen Dante
mit Verständnis begegnen? Schließlich konnten auch
seine Richter geltend machen, dass er in seiner „Gött-
lichen Komödie“ die religiösen Gefühle der Menschen
verunglimpft hat.

Um es noch weiter zuzuspitzen – der Kollege Stünker
hat es schon gesagt –: Könnten wir, wenn wir unser Straf-
recht wie vorgeschlagen ändern würden und es in
Deutschland zu einem Fall Rushdie käme, ihm eigentlich
Asyl gewähren?


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist doch ganz was anderes! – Zuruf von der FDP: Ja, klar doch!)


Schließlich ist es unzweifelhaft, dass der Dichter
religiöse Gefühle verletzt hat. Dies waren und sind aller-
dings Gefühle von Moslems. Wenn denjenigen, die
diesen Gesetzentwurf eingebracht haben, deren verletzte
religiöse Gefühle ebenso viel wie die von Christen
bedeuten, dann gehörten nicht nur das in Baden-Würt-
temberg als Skandalstück wahrgenommene „Corpus
Christi“, sondern auch die „Satanischen Verse“ von
Rushdie inkriminiert.


(Joachim Stünker [SPD]: So ist es!)

Allerdings ist der Tatbestand Gotteslästerung in der

Bundesrepublik 1969 glücklicherweise abgeschafft wor-
den. Dies war vernünftig. Ich halte es hier mit Karl Barth,
der meinte: Ein Gotteslästerer kann eigentlich nur jemand
sein, der an Gott glaubt. –Wir sind hier gehalten, eine Gü-
terabwägung zwischen dem Toleranzgebot und der Frei-
heit der Kunst vorzunehmen. Ich bin überzeugt: Letzteres
wiegt schwerer.

Das vor wenigen Monaten auch hierzulande stark an-
gegriffene Plakat zu dem Film „Stellvertreter“ von Costa-
Gavras, das eine symbolische Verschränkung von Kreuz
und Hakenkreuz zeigte, zog in Frankreich eine Klage von
Katholiken nach sich, die bis vor das oberste Gericht ging.
Dort wurde sie aber mit der Begründung abgewiesen, dass
der Papst selbst ja bedauert habe, dass das damalige
Schweigen der katholischen Kirche zum Judenmord
während der Nazizeit ein nicht wieder gutzumachender
Fehler gewesen sei.

Ich könnte jetzt auf einen neuen Skandal hinweisen:
auf den von Haderer. Er wurde ja schon angesprochen.

Trotzdem kann meine Schlussfolgerung nur lauten:
Wer immer es für geboten hält, sich mit einem Kunstwerk
oder mit dem, was sich dafür hält, auseinander zu setzen,
sollte dies im öffentlichen Diskurs tun, solange kein gläu-

biger Mensch persönlich angegriffen und der öffentliche
Friede nicht gestört wird.

Wir leben in einem per Grundgesetz säkularisierten
Staat, in dem übrigens laut jüngster Shell-Studie nur noch
17 Prozent der Jugend religiös orientiert sind. Wer immer
diesen Prozentsatz wieder steigern will, sollte es nicht mit
Verboten tun. Toleranz kann immer nur durch Toleranz
gefördert werden, niemals durch Strafe.

Die PDS-Fraktion wird dem vorliegenden Gesetzent-
wurf nicht zustimmen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423320200
Das Wort
hat jetzt der Kollege Alfred Hartenbach von der SPD-
Fraktion.


Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1423320300
Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Im Evangelium nach Markus,
Kap. 2 Vers 23 bis 28 findet sich folgende Stelle:

An einem Sabbat ging er
– der Herr –

durch die Kornfelder und unterwegs rissen seine
Jünger Ähren ab. Da sagten die Pharisäer zu ihm:
Sieh dir an, was sie tun! Das ist doch am Sabbat ver-
boten. Er antwortete: Habt ihr nie gelesen, was
David getan hat, als er und seine Begleiter hungrig
waren und nichts zu essen hatten – wie er ... in das
Haus Gottes ging und die heiligen Brote aß, die außer
den Priestern niemand essen darf, und auch seinen
Begleitern davon gab? Und Jesus fügte hinzu: Der
Sabbat ist für den Menschen da und nicht der Mensch
für den Sabbat.

Ich sage: Kirche, Glauben und Weltanschauung sind
für die Menschen da und nicht die Menschen für Kirche,
Glauben und Weltanschauung.


(Monika Brudlewsky [CDU/CSU]: Der Vergleich hinkt aber gewaltig!)


Diese harmlose Äußerung von Jesus damals – –

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Die war nicht harmlos!)

– Herr Geis, ich habe bei diesem Thema, das Ihnen sehr
ernst ist, ganz bewusst auf Zurufe verzichtet. Wenn Sie
dokumentieren wollen, dass Sie das Thema ernst nehmen,
wäre es vielleicht ein vornehmes Gebot, ebenfalls auf Zu-
rufe zu verzichten.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Ich habe nur gesagt: Die Äußerungen von Jesus Christus waren nicht harmlos!)


Diese harmlosen Äußerungen damals haben dazu ge-
führt, dass Jesus vor den Hohen Rat gezerrt wurde, man
ihn dort der Gotteslästerung bezichtigte und er schließ-
lich von Pilatus zum Tode verurteilt wurde. Ich führe dies
an, um zu zeigen, wohin es gehen kann, wenn man die
Religion zu sehr in den Vordergrund stellt. Ich denke,




Dr. Heinrich Fink

23239


(C)



(D)



(A)



(B)


dass wir als Christen – ich zähle mich dazu – heute genau
das bei dem von der CDU/CSU vorgelegten Gesetzent-
wurf betrachten und beachten müssen. § 166 StGB, so
wie wir ihn jetzt haben, schützt das religiöse und weltan-
schauliche Bekenntnis in ausreichendem Maße. Es ist
nicht erforderlich, dass jede öffentliche Äußerung, die
man als Verunglimpfung ansehen könnte, auch gleich
strafbar ist.

Wie ist das zum Beispiel mit den deftigen bayerischen
Flüchen, Herr Singhammer, Herr Geis, wenn denn der
Schutz des öffentlichen Friedens entfällt? Muss man
nicht auch dann den Staatsanwalt rufen? Oder wie ist es
denn, wenn sich ein Kunstwerk ernsthaft mit Religion
auseinander setzt? Bisher war es doch so, dass nicht nur
das eigene Empfinden, sondern auch der öffentliche Frie-
den gestört sein musste. Das war das Korrektiv dafür,
dass es eben nicht nur auf die Empfindung des Einzelnen
ankam, sondern darauf, wie weit hier der öffentliche
Frieden gestört ist. Von daher bekommt auch wieder das
Wort vom Sabbat, das ich eben gesagt habe, diese Be-
deutung: Der Sabbat ist für den Menschen da und nicht
der Mensch für den Sabbat. Oder sagen wir es doch mit
einfachen Worten: Lassen wir die Kirche im Dorf!

Lassen Sie mich noch etwas anführen. Geschützt von
§166 StGB ist nicht nur die Religion, das religiöse Emp-
finden, sondern auch die Weltanschauung.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Richtig!)

Dazu gehört zum Beispiel ganz einfach auch das Empfin-
den eines Atheisten. Wenn Sie hier die Schutzfunktion der
Störung des öffentlichen Friedens herausnehmen, müssen
Sie, so meine ich, mit manchen Worten sehr, sehr vor-
sichtig umgehen. Zur Weltanschauung gehört auch, was
politische Parteien machen. Da möchte ich Sie, verehrter
Kollege Geis – ich mache das bewusst mit großer Ernst-
haftigkeit –, daran erinnern, wie Sie mit uns umgesprun-
gen sind, als wir das Lebenspartnerschaftsgesetz damals
im Rechtsausschuss beraten haben. Damals hat uns der
Kollege Geis als „ehrlos“ bezeichnet, er hat das wieder-
holt und hat sogar Frau von Renesse als „ehrlos“ bezeich-
net. Hätte man damals Ihr Gesetz angewandt, hätten Sie
sich strafbar gemacht. Natürlich waren Sie durch die In-
demnität geschützt.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir haben doch alle selber Jura studiert!)


Sie sehen daraus, dass wir uns auch weiterhin zurück-
halten sollten, wenn wir den Religionsfrieden schützen
wollen.


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Petra Bläss)

Wir schützen das religiöse Empfinden ausreichend, aber
wir wollen es nicht übertreiben. Wir würden es übertrei-
ben und würden die Kirche und die Weltanschauung
überhöhen, wenn wir heute Ihrem Gesetz zustimmen
würden. Ich meine, dass wir bisher, auch was die Recht-
sprechung zeigt – Herr Wilhelm hat es eben angeführt –,
immer wieder ausreichenden Schutz von Glaube, Reli-
gion und Weltanschauung gehabt haben. Wenn Sie die
Störung des öffentlichen Friedens herausnehmen, veran-
lassen Sie Amtsrichter und Staatsanwälte dazu, gegen

Menschen vorzugehen, die nichts Böses im Sinn gehabt
haben.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das wollen wir ja auch nicht!)


Ich gehe davon aus, dass es in der Tat so ist, wie es Herr
Wilhelm gesagt hat: dass Sie hier eine bestimmte Klientel
ansprechen wollen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Bagatellisieren Sie doch nicht, Herr Hartenbach! Es ist furchtbar!)


Ich darf Ihnen, verehrter Kollege Geis, und den Kolle-
ginnen und Kollegen der CDU/CSU zum Schluss ganz
freundlich zurufen: Ich hoffe, ich muss hier nicht ein wei-
teres Zitat einer Aussage von Jesus Christus anwenden.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Nehmen Sie Jesus Christus nicht als Zeugen!)


Ich sage es trotzdem: Herr, vergib Ihnen, denn sie wissen
nicht, was sie tun.


(Beifall bei der SPD – Norbert Geis [CDU/ CSU]: So etwas Beleidigendes habe ich noch nicht gehört!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423320400
Letzter Redner in die-
ser Debatte ist der Kollege Johannes Singhammer für die
Fraktion der CDU/CSU.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1423320500
Frau Präsi-
dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Worum
geht es? Es geht um massivste Angriffe und Verhöhnun-
gen von religiösen Symbolen und Glaubensinhalten in
Wort, Schrift und Bild, die zugenommen haben und die
jegliches Maß an Toleranz und Achtung vor den Über-
zeugungen anderer vermissen lassen. Das ist der Punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Davon betroffen sind insbesondere christliche Bekennt-
nisse. Millionen von Mitgliedern fühlen sich verächtlich
gemacht, geschmäht und vom Staat nicht mehr ausrei-
chend geschützt.

Beispiele gibt es doch genug: Im Internet werden
T-Shirts angeboten, auf denen ein ans Kreuz genageltes
Schwein mit der Aufschrift „Wieso“ zu sehen ist. Die
Staatsanwaltschaft Regensburg stellt ein Ermittlungsver-
fahren ein, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für eine
Straftat nicht erfüllt sind. Da wird ein Theaterstück mit
dem Titel „Die Zwerge vom Berge“ aufgeführt, in dem Je-
sus sturzbetrunken am Kreuze hängt, die Schar der Jünger
als verrückt dargestellt wird und die Kirche als Irrenan-
stalt erscheint. Das Oberlandesgericht Braunschweig hat
keine Schutzmöglichkeit gesehen.

Um diese schwerwiegendsten Angriffe geht es, nicht
um die Beeinträchtigung der Kunst- und Meinungsfrei-
heit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es geht nicht um den guten Geschmack und es geht

auch nicht darum, die Äußerungen von Satire, Ironie oder




Alfred Hartenbach
23240


(C)



(D)



(A)



(B)


Meinungsfreiheit einzuschränken. Vielmehr geht es um
massivste Angriffe und Attacken. Immer mehr Menschen
in Deutschland, denen ihre eigene religiöse Überzeugung
wichtig ist, die aber genauso Respekt und Toleranz ge-
genüber den Überzeugungen anderer haben, fühlen sich
vogelfrei. Empört und betroffen reagieren Bürgerinnen
und Bürger, aber auch kirchliche Stellen oftmals mit
Strafanzeigen, Eingaben und Beschwerden, die meist völ-
lig wirkungslos bleiben. Jeder, der ein bisschen weiter
denkt, weiß doch, dass nicht nur christliche Konfessionen,
sondern auch andere Religionen vor diesen massivsten
Attacken auf Dauer nicht geschützt sind.

Der fortwährende Tabubruch verändert schwerwie-
gend nicht nur das Gespür für die Grenzen des Zumutba-
ren, sondern provoziert seinerseits immer zügellosere,
schlimmere Übergriffe, weil immer nur noch der Gehör
findet, der einem Tabubruch noch eins draufsetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich weiß – auch das hat die Debatte ergeben –, dass

nicht alle die Notwendigkeit einer Gesetzesänderung ein-
sehen. Ich bitte aber alle, doch Folgendes zu bedenken:
Anders als vor 20, 30 oder 40 Jahren leben heute in
Deutschland mehr Religionsgemeinschaften, mehr Men-
schen unterschiedlichster Bekenntnisse zusammen. Des-
halb wachsen auch die Anforderungen an Respekt, an
wechselseitige Rücksichtnahme und vor allem an gegen-
seitige Toleranz. Wir brauchen in den kommenden Jahren
nicht weniger, sondern mehr Toleranz. Deshalb wirken
blasphemische Angriffe zerstörerischer und gefährlicher
als früher.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch deshalb brauchen wir eine staatliche Stärkung des

Toleranzgebotes. Zu Recht haben deshalb in der
Anhörung des Deutschen Bundestages, die schon zitiert
worden ist, die Vertreter der katholischen Kirche, die Ver-
treter der evangelischen Kirche, die Vertreter des Zentral-
rates der Juden und auch die islamische Seite einmütig für
einen wirksameren Schutz plädiert. Dahinter verbirgt sich
nicht engstirnige Kirchen- und Religionspolitik, sondern
eben die große Sorge, dass das Zusammenleben vergiftet
wird, wenn Verhöhnung und Beschimpfung religiöser
Überzeugungen als gesellschaftlich akzeptiert erscheinen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Unser Gesetzentwurf beschneidet weder Meinungs-

noch Kunstfreiheit. Unser Gesetzentwurf wirkt Bewusst-
sein bildend für Toleranz und gegenseitigen Respekt. Un-
ser Gesetzentwurf schützt den inneren Frieden in unserem
Land, und das brauchen wir dringend.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423320600
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Frak-
tion der CDU/CSU eingebrachten Entwurf eines Straf-
rechtsänderungsgesetzes auf Drucksache 14/4558. Der
Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/8379, den
Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem

Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen
von CDU/CSU bei Enthaltung der FDP-Fraktion abge-
lehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die
weitere Beratung.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:
– Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen

der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Modernisierung des Stiftungsrechts
– Drucksache 14/8277 –

(Erste Beratung 221. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Modernisierung des Stiftungsrechts
– Drucksache 14/8765 –

(Erste Beratung 230. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Rainer
Funke, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, weiteren Ab-
geordneten und der Fraktion der FDP eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes für eine Reform des
Stiftungszivilrechts (Stiftungsrechtsreformgesetz)

– Drucksache 14/5811 –

(Erste Beratung 173. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/8894 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Alfred Hartenbach
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
Dr. Antje Vollmer
Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler

Zum Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen zur Modernisierung des Stif-
tungsrechts liegen ein Entschließungsantrag der Fraktio-
nen der SPD, der CDU/CSU und des Bündnisses 90/Die
Grünen sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der
PDS vor.

Die Kolleginnen und Kollegen Alfred Hartenbach,
Freiherr von Stetten, Antje Vollmer, Rainer Funke,
Heinrich Fink sowie der Parlamentarische Staatssekretär
Dr. Eckhart Pick haben ihre Reden zu Protokoll gege-
ben.1) – Ich sehe keinen Widerspruch im Hause.

Deshalb kommen wir sofort zur Abstimmung, und
zwar zuerst über den von den Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf
zur Modernisierung des Stiftungsrechts. Es handelt sich
um die Drucksache 14/8277. Der Rechtsausschuss




Johannes Singhammer

23241


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 6

empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 14/8894, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen.

Wir kommen jetzt zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist da-
mit gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU
und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 14/8926. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Entschlie-
ßungsantrag ist mit den Stimmen des gesamten Hauses
angenommen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-
che 14/8923. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Entschlie-
ßungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion ab-
gelehnt.

Jetzt kommen wir zur Beschlussempfehlung des
Rechtsausschusses auf Drucksache 14/8894 zu dem von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Modernisierung des Stiftungsrechts. Der Ausschuss emp-
fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung, den
Gesetzentwurf auf Drucksache 14/8765 für erledigt zu er-
klären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist einstimmig angenommen.

Jetzt kommen wir zur Abstimmung über den Gesetz-
entwurf der Fraktion der FDP für eine Reform des
Stiftungszivilrechts auf Drucksache 14/5811. Der Rechts-
ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 14/8894, den Gesetzentwurf
abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung gegen die Stimmen der FDP-Fraktion
bei Enthaltung der CDU/CSU abgelehnt. Damit entfällt
nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Ich rufe Tagesordnungpunkt 10 sowie Zusatzpunkt 7
auf:
10. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Klaus

Kinkel, Dr. Helmut Haussmann, Günther Friedrich
Nolting, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP sowie der Abgeordneten Hans-Dirk
Bierling, Dr. Wolfgang Bötsch, Monika Brudlewsky,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Landminen ohne integierte Selbstneutralisie-
rungs- oder Selbstzerstörungsmechanismen

ächten – Minenräum- und Minenopferhilfe
deutlich erhöhen
– Drucksache 14/8654 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra
Ernstberger, Uta Zapf, Rainer Arnold, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Angelika Beer, Rita
Grießhaber, Dr. Helmut Lippelt, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
Für eine Weiterentwicklung der humanitären
Rüstungskontrolle bei Landminen
– Drucksache 14/8858 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

Die Kolleginnen und Kollegen Hans-Dirk Bierling,
Uta Zapf, Dr. Klaus Kinkel, Angelika Beer, Heidi
Lippmann sowie Vera Wohlleben haben ihre Reden zu
Protokoll gegeben.1) – Auch hierzu gibt es keinen Wider-
spruch im Hause.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/8654 und 14/8858 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-

gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuches
– Drucksache 14/8524 –

(Erste Beratung 228. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/8892 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Dr. Norbert Röttgen
Volker Beck (Köln)

Jörg van Essen
Dr. Evelyn Kenzler

b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Ausführung des Römischen Statuts des




Vizepräsidentin Petra Bläss
23242


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 7

Internationalen Strafgerichtshofes vom 17. Juli
1998
– Drucksache 14/8527 –

(Erste Beratung 228. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/8888 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Dr. Norbert Röttgen
Volker Beck (Köln)

Jörg van Essen
Dr. Evelyn Kenzler

Zum Gesetzentwurf zur Einführung des Völkerstrafge-
setzbuches liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU und ein Entschließungsantrag der Fraktion der
PDS vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Da jedoch alle Kolleginnen und Kollegen ihre Reden
zu Protokoll gegeben haben – die Namen werden im Pro-
tokoll nachzulesen sein1) –, kommen wir sofort zu den Ab-
stimmungen.

Ich lasse nun über den von der Bundesregierung ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Einführung des Völker-
strafgesetzbuches in der Ausschussfassung abstimmen,
Drucksachen 14/8524 und 14/8892. Es liegt ein Ände-
rungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor, über den wir
zuerst abstimmen werden. Wer stimmt für den Ände-
rungsantrag auf Drucksache 14/8919? – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist gegen
die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung der
PDS abgelehnt.

Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig
angenommen.

Wir kommen jetzt zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf
ist mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen.

Jetzt stimmen wir über den Entschließungsantrag der
Fraktion der PDS auf Drucksache 14/8924 ab. Wer stimmt
für diesen Entschließungsantrag? – Gegenprobe! – Gibt
es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Der Ent-
schließungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Frak-
tion abgelehnt.

Jetzt kommen wir zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Aus-

führung des Römischen Statuts des Internationalen Straf-
gerichtshofes vom 17. Juli 1998, Drucksachen 14/8527
und 14/8888. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
einstimmig angenommen.

Wir kommen jetzt zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist ein-
stimmig angenommen.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 12 a bis c auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-

neten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Dirk Fischer

(Hamburg), Dr.-Ing. Dietmar Kansy, weiteren

Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Gesetzes über die Untersuchung von See-

(Seeunfalluntersuchungsänderungsgesetz – SeeUÄndG)

– Drucksache 14/8108 –

(Erste Beratung 218. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

(15. Ausschuss)

– Drucksache 14/8707 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Annette Faße
Wolfgang Börnsen (Bönstrup)

Helmut Wilhelm (Amberg)

Hans-Michael Goldmann
Dr. Winfried Wolf

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen (15. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup),
Dirk Fischer (Hamburg), Dr.-Ing. Dietmar Kansy,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU Bildung einer Leitstelle für See-
sicherheit
– Drucksachen 14/5450, 14/8611 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Christine Lucyga

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Reinhold
Hiller (Lübeck), Reinhard Weis (Stendal), Petra
Bierwirth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD, der Abgeordneten Renate Blank, Wolfgang
Börnsen (Bönstrup), Georg Brunnhuber, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU, der
Abgeordneten Gila Altmann (Aurich), Franziska
Eichstädt-Bohlig, Albert Schmidt (Hitzhofen), wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten
Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael




Vizepräsidentin Petra Bläss

23243


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 8

Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, Dr. Wolfgang
Gerhardt und der Fraktion der FDP
Maritime Sicherheit auf der Ostsee
– Drucksache 14/8855 –

Auch hier bekomme ich das Signal, dass alle Redne-
rinnen und Redner ihre Reden zu Protokoll gegeben ha-
ben: Annette Faße, Reinhold Hiller (Lübeck), Wolfgang
Börnsen (Bönstrup), Helmut Wilhelm (Amberg),
Hans-Michael Goldmann sowie Dr. Winfried Wolf.1)

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entwurf
eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Un-
tersuchung von Seeunfällen der Fraktion der CDU/CSU
auf Drucksache 14/8108. Der Ausschuss für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen empfiehlt auf Drucksache
14/8707, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthal-
tung der PDS abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Ge-
schäftsordnung die weitere Beratung.

Jetzt kommen wir zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen auf Drucksache 14/8611 zu dem Antrag der
Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel: „Bildung einer Leit-
stelle für Seesicherheit“. Der Ausschuss empfiehlt, den An-
trag auf Drucksache 14/5450 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen
von CDU/CSU bei Enthaltung der FDP angenommen.

Jetzt kommen wir zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/
Die Grünen und der FDP mit dem Titel: „Maritime
Sicherheit auf der Ostsee“. Wer stimmt für den Antrag auf
Drucksache 14/8855? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Der Antrag ist einstimmig angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a bis 13 d sowie
den Zusatzpunkt 8 auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Reinhold
Hemker, Adelheid Tröscher, Brigitte Adler, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Monika Knoche, Dr. Angelika
Köster-Loßack, Hans-Christian Ströbele, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Afrikas neues Denken unterstützen
– Drucksache 14/8859 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung (20. Ausschuss) zu
dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
Afrika darf nicht zu einem vergessenen Konti-
nent werden
– Drucksachen 14/2571, 14/4970 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. R. Werner Schuster
Klaus-Jürgen Hedrich
Hans-Christian Ströbele
Joachim Günther (Plauen)

Carsten Hübner

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung (20. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. R. Werner

Schuster, Brigitte Adler, Ingrid Becker-Inglau,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD sowie der Abgeordneten Dr. Angelika
Köster-Loßack, Hans-Christian Ströbele,
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN
EU-AKP-Zusammenarbeit – bewährte
Partnerschaft mit großer Zukunft

– zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
Reform der EU-Entwicklungszusammen-
arbeit ist bislang Stückwerk und muss kon-
sequent vorangetrieben werden
– Drucksachen 14/3396, 14/3771, 14/8617 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Detlef Dzembritzki
Dr. Ralf Brauksiepe
Angelika Köster-Loßack
Joachim Günther (Plauen)

Carsten Hübner

d) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Irmer, Joachim
Günther (Plauen), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Afrikapolitik der Bundesregierung
– Drucksachen 14/4181, 14/5582 –

ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Irmer, Joachim
Günther (Plauen), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Für eine europäische Ausrichtung der deut-
schen Afrikapolitik
– Drucksachen 14/5090, 14/8849 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Joachim Tappe
Carl-Dieter Spranger
Rita Grießhaber
Dr. Helmut Haussmann
Wolfgang Gehrcke

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die SPD-
Fraktion hat der Kollege Reinhold Hemker.




Vizepräsidentin Petra Bläss
23244


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 9


Dr. Reinhold Hemker (SPD):
Rede ID: ID1423320700
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Bedeutung des Themas,
über das wir jetzt diskutieren, ist offensichtlich nicht nur
im Bewusstsein vieler Mitglieder dieses Hauses fest ver-
ankert. Das scheint sich auch heute Abend zu bestätigen.
Es hat einige gegeben, die im Vorfeld vorgeschlagen ha-
ben, diesen Tagesordnungspunkt abzusetzen, da erwartet
wurde, dass wir zu mitternächtlicher Stunde über dieses
Thema diskutieren werden. Auch ich habe erst vor fünf
Minuten erfahren, dass nun doch über diesen Tagesord-
nungspunkt diskutiert werden soll. Ich bin gebeten wor-
den, ein paar Anmerkungen darüber zu machen, was wir
– ich sage das mit allem Ernst und vor dem Hintergrund
dessen, was mein verstorbener Freund Werner Schuster
immer zu dieser Thematik gesagt hat – für Afrika, diesen
vergessenen und geprügelten Kontinent, tun können.

Ich bedanke mich beim Bundeskanzler, dass er eine er-
fahrene Kollegin berufen hat, sich im Konzert der G-8-
Staaten dieser breiten Thematik anzunehmen. Ich wün-
sche Ihnen, Kollegin Eid, insbesondere für die in den
nächsten Wochen beginnenden Arbeiten zur Vorbereitung
des nächsten G-8-Gipfels in Kanada alles Gute und – ich
denke, das ist im Sinne Werner Schusters – Gottes Segen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine guten Wünsche sind notwendiger denn je; denn
trotz der wichtigen Beantwortung einer Großen Anfrage
der CDU/CSU, der Einbringung eines durchaus in die
richtige Richtung weisenden Antrages der FDP und trotz
der Bemühungen der letzten Monate war es möglich, ei-
nen solchen Tagesordnungspunkt einvernehmlich, also
mit Zustimmung aller Fraktionen, an das Ende der Tages-
ordnung zu setzen. Wir als Entwicklungspolitiker und
Freunde Afrikas müssten – das sage ich auch an die
Adresse der Kolleginnen und Kollegen der anderen Frak-
tion – einmal deutlich machen, dass auch wir – ich sage
das vor dem Hintergrund, dass es heute Morgen eine Re-
gierungserklärung zur Lage im Nahen Osten und eine
Diskussion über die dortige Krise, den Krieg und die
Grausamkeiten gegeben hat – sicherlich eine gebündelte
Debatte zur Unterstützung unserer Forderungen im Hin-
blick auf den G-8-Gipfel brauchen.


(Beifall des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Was ist geschehen? Einige führende Kräfte in Afrika
haben gesagt: Wir brauchen ein neues politisches Modell
der Partnerschaft für die Entwicklung unseres Kontinents.
Das ist also nicht von uns, sondern von afrikanischen Füh-
rern ausgegangen, die vielleicht in ihren Ländern schon
gute Erfahrungen mit der politischen Entwicklung ge-
macht haben und die deshalb ein Rahmenkonzept vorle-
gen wollen. Ich freue mich, dass Sie, Kollegin Eid, darauf
so reagiert haben, wie Sie es getan haben, dass einige Kol-
leginnen und Kollegen Überlegungen dazu angestellt ha-
ben, wie wir vonseiten der Entwicklungspolitik reagieren
können, und dass die Kolleginnen und Kollegen der FDP
die Frage aufgeworfen haben, wie man die Menschen in
Deutschland und Europa ansprechen kann, damit sie dazu
beitragen, dass Firmen in Afrika unter dem neuen Aspekt
investieren. Das ist in einigen Ländern, in denen es stabile

Verhältnisse gibt, beispielsweise in Botswana, schon ge-
schehen.

In einem Informationsdienst des Evangelischen Ent-
wicklungsdienstes hat der Vorstandsvorsitzende Konrad
von Bonin Folgendes geschrieben – das könnte eine Ein-
leitung für all das sein, was wir in den nächsten Monaten
im Hinblick auf den G-8-Gipfel tun können –:

Dauerhafte Sicherheit ist nicht ohne Frieden und
dauerhafter Frieden nicht ohne ein Mindestmaß an
Gerechtigkeit möglich. Gerechtigkeit setzt anderer-
seits ein Mindestmaß an Sicherheit, an gesicherten
Lebensverhältnissen voraus. Zwischen beidem be-
steht ein untrennbarer Zusammenhang. Die Situation
in Ländern wie Angola, Somalia oder Kongo, in de-
nen kaum eine die Bürger schützende Staatsgewalt
vorhanden ist, illustriert dies mehr als deutlich.

Unter anderem diese Überlegungen haben zu der Initia-
tive – es ist eine Art Vertrag – mit dem Titel „Neue Part-
nerschaft für die Entwicklung Afrikas“ geführt, über die
wir heute diskutieren.

Ich spreche in aller Kürze drei Aspekte an, die wir in un-
serem Antrag als wichtig herausgestellt haben. Eine der
Kernfragen für Frieden und Gerechtigkeit in Afrika wird
sein, dass in den einzelnen afrikanischen Ländern unter
unterschiedlichen Voraussetzungen Landreformen
durchgeführt werden. Dafür aber müssen – Kollegin Eid,
das wird Thema auf dem G-8-Gipfel sein – ausreichend
Gelder bereitgestellt werden, damit gut ausgebildete Bäue-
rinnen und Bauern dieses Land bewirtschaften können.


(Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU]: Richtig!)

Es gab in Ansätzen bereits Landreformen. Es ist dann aber
auf dem Grund und Boden, der in neuen Besitz von Ge-
nossenschaften, kleinen Gesellschaften und Familien ge-
kommen ist, nicht anders als früher weitergearbeitet wor-
den. Darum empfehle ich, dass dieses Thema in den
Vordergrund aller Überlegungen gerückt wird.

Zweitens ist es unbedingt notwendig, dass angesichts
der Tatsache, dass in den meisten afrikanischen Ländern
Raubbau an der Biomasse, insbesondere an Holz, getrie-
ben wird, der dezentrale Ausbau erneuerbarerEnergien
vorangebracht wird. Auch zu diesem Thema habe ich be-
reits vor einiger Zeit gemeinsam mit dem leider verstor-
benen Kollegen Werner Schuster ein Arbeitspapier vorge-
legt, das vom Bundestag verabschiedet worden ist und in
Ihrem Hause, Kollegin Eid, vorliegt. Das sind kleine Bau-
steine für das, was ich Entwicklungspartnerschaft nenne
und was unsere Partnerinnen und Partner in den verschie-
denen NGOs in Afrika benötigen.

Drittens. Wir werden in den nächsten Wochen und Mo-
naten und sicherlich noch über viele Jahre darüber spre-
chen, dass Menschen aus anderen Ländern als Migranten
zu uns kommen: als qualifizierte Arbeitskräfte oder als
Menschen, die bei uns ausgebildet und qualifiziert wer-
den. Wir müssen aber auch verstärkt darüber reden, wie
wir die Menschen unterstützen, die bereit sind, in ihre
Heimatländer zurückzukehren oder bereits zurückgekehrt
sind. Ich empfehle deswegen – auch das ist Teil unseres
Antrags –, sich dieser Zielgruppe anzunehmen. Es handelt
sich um Menschen, die sich in ihren Heimatländern schon






(C)



(D)



(A)



(B)


organisiert haben, nachdem sie aus Deutschland, wo sie
ausgebildet wurden, zurückgekommen sind. Von den Rei-
sen, die wir im Auftrag des Bundestages unternommen
haben, wissen wir, dass viele von ihnen arbeitslos sind
und ihre Existenz nicht sichern können. Sie suchen Kon-
takt mit den deutschen Partnerorganisationen und deut-
schen Freunden. Leider haben wir keine ausreichenden
Instrumentarien, um diese Menschen beim Aufbau ihrer
Länder zu unterstützen. Diese Menschen haben schon bei
uns in kleineren oder größeren Nichtregierungsorganisa-
tionen gearbeitet und uns Entwicklungspolitikern und
-politikerinnen geholfen, das Bewusstsein für die Eine-
Welt-Arbeit wach zu halten. Oft können sie in ihren Län-
dern nicht entsprechend eingesetzt werden.

Ich habe von dem, was wir zum Thema Entwicklungs-
zusammenarbeit aufgeschrieben haben, nur drei Punkte ge-
nannt. Wir haben einen ganzen Katalog vorgelegt. Im Übri-
gen, lieber Herr Kollege Hedrich – ich sage das auch mit
Blick auf die anderen Fraktionen –: Das sind Ideen, die es
auch in anderen Anträgen in den letzten Jahren gegeben hat.

Entscheidend ist jetzt – da die Chance besteht, dass all
das eine andere Qualität bekommt –, dass Afrika auch Ge-
genstand der Verhandlungen auf dem G-8-Gipfel wird.
Afrika muss dort zum Thema gemacht werden, wie die
Kollegin Eid es möchte, wie wir alle es möchten und wie
wir es in der Unterstützung der Bundesregierung voran-
bringen wollen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423320800
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt die Kollegin Marlies Pretzlaff.


Marlies Pretzlaff (CDU):
Rede ID: ID1423320900
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Erfreulicherweise erscheint
nach langer Zeit Afrika heute einmal wieder für 45 Minu-
ten auf der Tagesordnung. Herr Kollege Hemker hat es
schon gesagt: „Wir sind zu früh dran“, ich hatte mir vorhin
nämlich aufgeschrieben, dass es für Afrika schon fünf vor
zwölf ist. Nun ist es hier nicht ganz so spät geworden. Für
Afrika bleibt aber in der Tat nicht mehr sehr viel Zeit. Auch
das ist ein Grund, warum wir unsere Reden zu dem Thema
Afrika nicht einfach zu Protokoll geben können, wenn es
denn schon einmal auf der Tagesordnung steht.


(Zuruf von der SPD: Genau!)

„Die Afrikapolitik ist der politische Schwerpunkt der

Schröder-Regierung im Jahr 2000“, so Staatsminister
Dr. Ludger Volmer zur so genannten neuen Schwerpunkt-
setzung 2000; dieses Zitat stammt aus der Antwort auf die
Große Anfrage der FDP-Fraktion. Ich fand es schade, dass
Rot-Grün diesen Kontinent nur für ein Jahr als Schwer-
punktthema ausgewählt hat. Ich fand es auch schade, wie
diese neue Schwerpunktsetzung ausgestaltet wurde: unter
anderem mit diversen Kurzzeittrips auf den afrikanischen
Kontinent, meist zu Konferenzen und zur Unterzeichnung
von Papieren, mit intensiven politischen Dialogen in
Afrika, in Berlin, aber auch in Hannover bei den jeweiligen
Ländertagen auf der EXPO 2000, zu denen übrigens nicht

nur die afrikanischen Staatsoberhäupter angereist sind,
und – was mich nun wirklich geärgert hat – mit einem tra-
ditionellen Abendessen der afrikanischen Außenminister
am Rande der UNO-Vollversammlung in New York. Prost
Mahlzeit: Mindestens 200 Millionen Afrikaner sind chro-
nisch unterernährt, darunter 23 Millionen Kinder, und der
Bundesminister Joseph Fischer gibt ein Essen. Was, um
Himmels willen, hat das Auswärtige Amt zu dieser exem-
plarischen Aufzählung von Neuigkeiten bewogen? Selbst
Rechtfertigungen von Haushaltskürzungen in der EZ und
Botschaftsschließungen in Afrika werden als Nachweis der
neuen Schwerpunktsetzung angepriesen.

Auch die gesamte Auflistung deutsch-afrikanischer
Entwicklungszusammenarbeit, wie sie seit Jahrzehnten
praktiziert wird, ist nicht unbedingt ein neuer Schwer-
punktansatz für Afrika. Zugegeben, in der Entwicklungs-
politik hat sich seit 1998 einiges verändert. Es ist aber be-
trüblich – zumindest aus meiner Sicht –, mit welcher
Leichtfertigkeit das Auswärtige Amt im Namen der Bun-
desregierung auf berechtigte Fragen der Opposition ant-
wortet. Das ist, meine ich, der Bedeutung Afrikas und sei-
ner 800 Millionen Menschen nicht angemessen.

Deshalb möchte ich an unseren Appell, den wir in un-
serem Antrag an alle gerichtet haben, erinnern: Afrika darf
nicht zum vergessenen Kontinent werden! Dieser Appell
ist heute noch genauso aktuell wie vor zwei Jahren, als be-
rechtigterweise Osttimor und das Kosovo im Zentrum un-
serer Debatten standen und unsere ungeplanten Handlun-
gen rechtfertigten. Mit Recht nehmen zurzeit die
Terrorbekämpfung in Afghanistan und die schrecklichen
Auseinandersetzungen im Nahen Osten unsere Aufmerk-
samkeit und unser Engagement in Anspruch. Dennoch
muss Afrika auf der Tagesordnung bleiben und darf nicht
nur Schwerpunkt eines Jahres sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zahlreiche Krisenherde und Konflikte, Gewalt und Ter-
ror beuteln diesen Kontinent nach wie vor mit zum Teil
ebenfalls weltweiten Auswirkungen. Ich erinnere nur an die
Blutdiamanten oder an die Flüchtlingsströme. Insgesamt
hat Afrika mit Langzeitproblemen schwer zu kämpfen.

Alle Anträge äußern sich in ihrem Feststellungsteil
ohne große Unterschiede zur problematischen Lage in
Afrika. Ich denke dabei an die Großen Seen und an die
Aidsproblematik. Zur Sprache kommen in den Anträgen
aber durchaus auch positive Dinge. Ich werde auf diese
Aspekte kurz eingehen. Die nächsten Redner können sich
dann darauf beziehen.

Die Lage im Bereich der Großen Seen hat sich trotz aller
Bemühungen nicht wesentlich verbessert. Der innerkongo-
lesische Dialog ist nach mehr als 50-tägigen Gesprächen vor
einigen Tagen beendet worden. Es gab leider nur eine bila-
terale Vereinbarung zwischen einem Teil der Rebellenorga-
nisationen und der Regierung Kabila. Es ist zu befürchten,
dass dort ein bewaffneter Konflikt ins Haus steht.

Mugabe ist dabei, Simbabwe zugrunde zu richten. Wir
sollten ernsthaft darüber nachdenken, welchen Hand-
lungsspielraum wir für uns dort möglicherweise in An-
spruch nehmen. Die Solidaritätsbezeugungen diverser
afrikanischer Staatsvertreter zugunsten von Präsident
Mugabe sind für uns unverständlich; sie widersprechen




Reinhold Hemker
23246


(C)



(D)



(A)



(B)


den innerafrikanischen Bemühungen um mehr Entwick-
lung und Wirtschaftswachstum.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Madagaskar steht am Rande eines Bürgerkrieges. Die

Situation in Nigeria ist nicht sehr beruhigend und Angola
ist auch nach dem Tod Savimbis noch lange nicht befrie-
det. Ich erinnere an 4 Millionen Binnenflüchtlinge, an
11 Millionen Landminen, an 45 000 demobilisierte
UNITA-Soldaten und an ein völlig zerstörtes Land.

Die Hälfte der Bevölkerung Afrikas lebt in Armut.
Nur rund 45 Prozent der Menschen haben einen Zugang
zu sauberem Trinkwasser. Dort sterben zehnmal so viel
Menschen wie durch Krieg. Die zunehmende Verschmut-
zung gefährdet die Wasservorräte, obwohl schon mit ein-
fachen Mitteln – es müssen nicht immer große finanzielle
Transaktionen gestartet werden – die Reinigung und so-
gar die Wasserversorgung in den ländlichen Regionen
verbessert werden könnte.

Inzwischen sterben in Afrika mehr Menschen an Aids
als durch seine Bürgerkriege. Von den weltweit etwa
40 Millionen Infizierten leben rund 70 Prozent in den
Ländern Afrikas südlich der Sahara. Die uns allen be-
kannten Defizite bei Seuchen, bei Dürren, beim Bil-
dungsbedarf und bei der Gesundheitsversorgung brauche
ich jetzt nicht gesondert zu erwähnen.

Es häufen sich demokratische Präsidentenwechsel, wie
in Senegal und Ghana. Das ist ein erfreuliches Zeichen.
Erfreulich ist auch, dass die Staaten südlich der
Sahara ihre politischen und wirtschaftlichen Integrations-
bemühungen auf zwischenstaatlicher Ebene intensivieren
und dass regionale Organisationen erfolgreich tätig sind.

Dennoch ist nicht zu übersehen, dass die angestrebten
Entwicklungsziele in den Ländern Afrikas südlich der Sa-
hara bisher nicht in dem erhofften Umfang erreicht wur-
den, ja, dass die Armut und die Instabilität vielerorts so-
gar gestiegen sind.

Ich komme auf den SPD-Antrag zu sprechen. Von der
HIPC-Initiative, in die 28 Länder einbezogen sind, pro-
fitieren 21 afrikanische Länder. Bei aller Befürwortung
dieser Initiative besagt diese Tatsache, dass die ärmsten
Länder der Welt in Afrika südlich der Sahara liegen. Die
Schuldenerleichterungen für diese Staaten sind in erster
Linie für die Budgets der Regierungen hilfreich. Die Ein-
beziehung der Zivilgesellschaft ebenso wie die Um-
schichtung der Haushalte, die eigenständige Erarbeitung
von Armutsbekämpfungsprogrammen und vor allem die
Umsetzung zum Wohle der Bevölkerung sind nachdrück-
lich einzufordern; denn all das steht in den meisten Län-
dern bisher nur auf dem Papier.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423321000
Frau Kollegin
Pretzlaff, ich muss Sie jetzt leider an die Redezeit erinnern.


(Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU]: Eine Minute bekommt sie von mir!)


– Hat sie schon.

(Zuruf von der FDP: Das ist ein bisschen knickerig! – Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/ CSU]: Zwei Minuten!)



Marlies Pretzlaff (CDU):
Rede ID: ID1423321100
Okay, dann lese ich
jetzt etwas schneller.

In früheren Zeiten war es guter Brauch, zu Afrika-
debatten interfraktionelle Anträge einzubringen und in
diesem Hause mit einer Stimme zu sprechen. Seit einem
Zeitraum von zwei Jahren liegen uns Anträge aus verschie-
denen Fraktionen mit eigentlich begrüßenswerten Vor-
schlägen und mit Initiativen vor. Unsere Befürchtung ist
nur, dass es bei Worthülsen bleibt. Vielmehr sollten wir uns
bemühen, das, was wir wohl alle für Afrika anstreben, in die
Tat umzusetzen. Wir befürchten, dass vollmundigen An-
kündigungen des Kanzlers, des Außenministers oder auch
der Ministerin für Entwicklungszusammenarbeit keine
konkreten Taten und keine sichtbaren Ergebnisse folgen.

Afrika eignet sich nicht zum Schlagabtausch zwischen
Parteien in Deutschland. Jede Initiative vom Kleinstprojekt
einer Schulpartnerschaft bis zur Förderung einer gemein-
samen Afrikapolitik der EU ist begrüßenswert. Insofern ist
auch jeder Afrikatrip eines Ministers immer noch besser als
gar kein Afrikabesuch. – Das als Ausgleich für vorhin.

Wir sollten gemeinsam dafür Sorge tragen, dass Afrika
Schwerpunktregion unserer Entwicklungspolitik bleibt.
Afrika ist die Wiege der Menschheit. Wir alle hoffen, dass
sich das bewahrheiten wird, was auf der letzten Berlin-
Konferenz anklang: Afrika ist im Kommen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423321200
Ein bisschen Redezeit
ist für Herrn Hedrich auch noch übrig geblieben.

Jetzt spricht die Parlamentarische Staatssekretärin
Dr. Uschi Eid.

Dr
Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423321300
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau
Pretzlaff, Sie wissen, ich schätze Sie sehr, aber ich glaube,
Sie haben nicht beobachtet, dass es seit Hans-Dietrich
Genscher gute deutsche Tradition ist, die afrikanischen
Außenminister am Rande der UNO-Generalversammlung
zum Abendessen einzuladen. Ich danke ganz herzlich,
dass unser Außenminister Joschka Fischer diese Tradition
fortgesetzt hat;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


denn es wäre jenseits dessen, was sonst in der Welt pas-
siert, nicht zu vertreten, wenn er dies nicht getan hätte,
weil dieses traditionelle Abendessen Bestandteil unserer
Afrikakontakte ist. Deswegen bitte ich Sie, zur Kenntnis
zu nehmen, dass wir in diesem Punkt in sehr guter Tradi-
tion der Vorgängerregierung stehen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423321400
Frau Staatssekretärin,
wie Sie bemerkt haben, gibt es genau dazu jetzt eine
Nachfrage von Frau Pretzlaff.




Marlies Pretzlaff

23247


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Dr
Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423321500
Bitte schön.


Marlies Pretzlaff (CDU):
Rede ID: ID1423321600
Ich möchte ein Miss-
verständnis ausräumen. Ich habe bemängelt, dass als Be-
gründung für dieses traditionelle Abendessen die Präsenta-
tion der Schwerpunktsetzung 2000 angegeben wurde. Ich
finde, das ist angesichts der Probleme Afrikas einfach zu
wenig. Würden Sie mir in dieser Einschätzung zustimmen?

Dr
Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423321700
Nein, sehr geehrte Frau Pretzlaff, nicht nur der
Außenminister führt einen Dialog. Vielmehr führen wir
alle, seit wir an der Regierung sind, wo immer wir sind, den
Dialog mit afrikanischen Kolleginnen und Kollegen, allen
voran die Entwicklungsministerin, der Außenminister, der
Bundeskanzler, wie die Justizministerin, die Bildungsmi-
nisterin, der Wirtschaftsminister. Daher finde ich es falsch,
nur einen Minister und ein Ereignis herauszugreifen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, es gibt sehr
gute Gründe, sich heute Abend mit Afrika zu beschäfti-
gen. Eine wachsende Zahl afrikanischer Staatsführer be-
kennt sich zur Verantwortung für die eigene Entwicklung,
zu den Prinzipien von Demokratie, Rechtsstaat und Men-
schenrechten. Herr Hemker hat darauf hingewiesen, dass
es NePAD gibt, die neue Partnerschaft für Afrikas Ent-
wicklung, eine Initiative reformorientierter afrikanischer
Regierungschefs. Sie bietet die Chance, eine maßgebliche
und ausgewogene Plattform für die Lösung zentraler Ent-
wicklungsfragen des Kontinents zu sein.

Zu Recht haben die Staats- und Regierungschefs der
G 8 daher beim letzten Gipfel in Genua entschieden, diese
Initiative zu unterstützen. Ich sage ganz klar „zu unter-
stützen“ und nicht „etwas an ihre Stelle zu setzen“. Wir
können nämlich nur das tun, was die Afrikaner selber wol-
len und was sie in diesem Konzept auch dargestellt haben.

Zu diesem Zweck erarbeiten die persönlichen G-8-
Afrika-Beauftragten derzeit einen solchen Aktionsplan.
Wie Sie wissen, hat mich der Bundeskanzler im letzten
Oktober mit dieser Arbeit betraut. Herr Hemker, ich darf
Ihnen zusagen, dass ich die Anliegen, die uns hier im
Deutschen Bundestag vereinen, auch dort zur Geltung
bringen werde.

Der Bundeskanzler hat am Montag dieser Woche einen
hochrangig besetzten Afrika-Wirtschaftstag eröffnet.
Ich bin dem Bundeskanzler sehr dankbar für die Klarstel-
lung, Afrika sei nicht nur als Krisenkontinent wahrzuneh-
men, sondern sei zum Beispiel für die deutsche Wirtschaft
auch ein interessanter und zukunftsträchtiger Industrie-,
Investitions- und Handelspartner.

Mit NePAD haben sich die Afrikaner mit einem ehr-
geizigen Entwicklungskonzept zu Wort gemeldet, mit
dem sie dem Afropessimismus eine neue Perspektive ent-
gegensetzen. Die Länder Afrikas engagieren sich ver-
stärkt auf der weltpolitischen Bühne, gestalten die politi-
schen Rahmenbedingungen mit und setzen internationale
Regelwerke auf dem eigenen Kontinent um.

Dies zeigt sich zum Beispiel bei der aktuellen WTO-
Doha-Runde. Auch die Staaten Afrikas positionieren sich
in Genf. Sie wollen und werden politischen Einfluss auf
die Verhandlungen nehmen. Bei den Agrarverhandlungen
sind ihre Forderungen sehr konkret: weitere Öffnung der
Märkte der Industrieländer für ihre Produkte, insbeson-
dere im Bereich der Weiterverarbeitung. Die EU stellt sich
auf diese Forderungen ein und wir bemühen uns um kon-
krete Antworten. Die Bundesregierung kommt der afrika-
nischen Bitte um verstärkte Unterstützung im Handels-
bereich nach. Wir haben für den entsprechenden Fonds
bereits 2 Millionen Euro zugesagt.

Auf Einladung der südafrikanischen Regierung wird in
wenigen Monaten der Weltgipfel für nachhaltige Ent-
wicklung in Johannesburg stattfinden. Wir erwarten uns
zehn Jahre nach der Rio-Konferenz für Umwelt und Ent-
wicklung wichtige Impulse von diesem Gipfel. Die Bun-
desregierung ist bereit, Afrika auch hier eine strategische
Partnerschaft anzubieten.

Im Bereich des Ressourcenschutzes hat die OAU ein
afrikanisches Modellgesetz zum sicheren Umgang mit
moderner Biotechnologie auf dem Kontinent vorgelegt,
und Afrika trägt so zur Umsetzung der Vorgaben des
Cartagena-Protokolls bei, in dem Anfang 2001 erstmals
völkerrechtlich verbindliche Mindeststandards geschaf-
fen wurden. Die Bundesregierung wird die Umsetzung in
nationales Recht fördern.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423321800
Frau Staatssekretärin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Günther?

Dr
Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423321900
Ja.


Joachim Günther (FDP):
Rede ID: ID1423322000
Frau Staatssekre-
tärin, nachdem Sie hier die Vielfalt der Initiativen, die Sie
gestartet haben, aufgezählt und dargelegt haben, mit wel-
chem Engagement Sie für Afrika kämpfen, habe ich die
Frage, wie in diesem Verhältnis die Tatsache zu sehen ist,
dass wir in Afrika die größte Anzahl von Botschaften und
die meisten Goethe-Institute geschlossen haben und
warum wir diese wichtige Debatte in den späten Abend-
stunden führen, obwohl wir im Ausschuss einstimmig
dafür waren, sie zu einem ordentlichen Zeitpunkt zu
führen. Ich gebe meine Rede zu Protokoll, weil ich es
nicht angemessen finde, in dieser Abendstunde über die-
ses wichtige Thema zu diskutieren.

Dr
Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423322100
Herr Kollege Günther, ich glaube, Sie haben
überhört, dass ich nicht von unseren Initiativen gespro-
chen habe. Ich habe versucht, anhand von Beispielen dar-
zulegen, wie die Afrikaner selber die globalen Strukturen
politisch mitgestalten. Ich habe nicht gesagt, dass wir dies
tun, sondern dass es die Afrikaner sind und dass zunächst
einmal gar nicht die Rede davon sein kann, dass die
Afrikaner die Vergessenen sind, dass sie an den Rand ge-
drückt sind. Ich habe an ganz klaren Beispielen dargelegt,






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was die Afrikaner im Rahmen dieser neuen Entwick-
lungsinitiative selber auf der internationalen Bühne ein-
bringen. Sonst habe ich nichts gesagt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Dann dürfen Sie die Botschaften nicht schließen!)


Ich habe also nicht unsere Initiativen dargestellt; denn wir
selber initiieren nichts. Wir unterstützen die Reformmaß-
nahmen und -schritte der Afrikaner. Sie müssen ihre Ini-
tiativen in Afrika ergreifen.


(Walter Hirche [FDP]: Sie schließen also die Botschaften, weil die alles selber machen!)


Wir können nur politische Maßnahmen, die dort ge-
wünscht werden, unterstützen.

Die Beispiele, die ich eben genannt habe zeigen: Afrika
entwickelt sich bereits heute im Rahmen von NePAD. Es
gibt viele Aktivitäten auch im globalen Kontext. Diese
Initiativen zeigen: Afrika will sich nicht spalten lassen,
sondern Afrika vertritt auch gemeinsame Interessen. Dies
ist eigentlich das Wichtige in der neuen Entwicklungs-
vision von NePAD.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie sehen, es bewegt sich etwas auf dem afrikanischen
Kontinent. Ich glaube, wir tun den Afrikanern keinen Ge-
fallen, wenn wir immer so tun, als könnten sie nur etwas
durchführen, wenn wir sie dabei anstoßen. Das ist einfach
nicht so. Wir müssen einen Perspektivenwechsel vor-
nehmen. Wir müssen einfach hinschauen und würdigen,
was die Afrikaner selbst tun.

Deutschland und die G 8 werden deshalb im Juni in
Kanada eine Partnerschaft mit Afrika beschließen. Ich be-
grüße es sehr, dass NePAD ein sehr facettenreicher Ent-
wicklungsansatz zugrunde liegt, der vor allem die Eigen-
verantwortung dieser Länder betont.


(Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU]: Das ist wahr!)


In vielen Feldern dieser Initiative gibt es gute Anknüp-
fungspunkte für unsere Entwicklungspolitik. Deshalb wird
Afrika auch weiterhin ein besonderer Schwerpunkt unse-
rer Entwicklungspolitik bleiben. Er ist mit 30 Prozent des
Entwicklungsetats der bilateralen Entwicklungshilfe be-
reits jetzt der größte Empfängerkontinent.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU]: Weniger als früher!)


Die von der Bundesregierung beim Kölner G-8-Gipfel
mitinitiierte erweiterte HIPC-Entschuldungsinitiative
führt für 22 Länder Afrikas zu einer bereits beschlossenen
Entlastung des nominalen Schuldendienstes von 32,5 Mil-
liarden US-Dollar. Die Ausarbeitung der nationalen Ar-
mutsbekämpfungsstrategien, die Voraussetzung für die
endgültige Schuldenerleichterung sind, hat zudem in vie-
len Ländern zu einer stärkeren Beteiligung von Bürger-
organisationen am politischen Prozess geführt und somit
indirekt die Demokratie gefördert.

Zu den gravierenden Problemen des afrikanischen
Kontinents gehört die fortschreitende Desertifikation.
Die davon erfassten Länder Afrikas gehören zu den
Schlusslichtern der von UNDP erstellten Rangliste zur
menschlichen Entwicklung. Von circa 250 Projekten zur
Bekämpfung der Wüstenbildung, die wir gegenwärtig
weltweit in einer Größenordnung von 1,5 Milliarden Euro
fördern, werden rund 60 Prozent in Afrika durchgeführt.
Dies ist ein signifikanter Beitrag zur Umsetzung der Kon-
vention zur Wüstenbekämpfung.

Da Frauen der Motor von Entwicklung in Afrika sind,
unterstützen wir in vielfältiger Weise ihre Lobbyarbeit für
Frauenrechte und mehr Beteiligung, zum Beispiel mittels
des afrikanischen Frauennetzwerks Femnet. Besonderen
Stellenwert hat eine verbesserte Geschlechterorientierung
nationaler Mittelverwendung im Rahmen öffentlicher
Haushalte, um Frauenbelange stärker zu berücksichtigen.
Dabei legen wir allergrößten Wert darauf, dass wir den
Süd-Süd-Erfahrungsaustausch fördern, wie zum Beispiel
den Austausch zwischen Südafrika und Marokko.

Frau Pretzlaff, Sie sehen – das zeigen diese Beispiele –,
dass die Entwicklungsministerin und der Außenminister
nicht nur große Versprechungen machen, sondern dass sie
diese Dinge in der Tat umsetzen. Von daher folgen auf un-
sere Ankündigungen auch Taten.

Ich komme zum Schluss. Sie sehen, es gibt Anlass ge-
nug, dass wir den pauschalen Afrika-Pessimismus hinter
uns lassen. Das heutige Afrika in seiner ganzen Vielfalt ist
eine Herausforderung an unser eigenes Afrika-Bild, das
die Potenziale dieses Kontinents allzu oft ausblendet. Die
beschriebenen Entwicklungen und vor allem NePAD
selbst bieten uns einen Rahmen für eine handlungs- und
zukunftsorientierte Zusammenarbeit. Wir werden diese
Chance nutzen.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423322200
Die Kollegen Joachim
Günther, FDP, und Carsten Hübner, PDS, haben ihre Re-
den zu Protokoll gegeben.1) Deshalb ist die nächste Red-
nerin die Kollegin Ingrid Becker-Inglau für die SPD.


Ingrid Becker-Inglau (SPD):
Rede ID: ID1423322300
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen
und Herren! Auch zu dieser späten Stunde, denke ich, ist
es wichtig, Reden zu Afrika nicht zu Protokoll zu geben,
sondern zu Afrika zu sprechen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wirtschaftswachstum um 5 Prozent und mehr – da
muss doch jeder sagen, dass sich das gut anhört. Das finde
ich auch. Das ist keine Zahl aus den USA, aus Japan oder
Europa. Vielmehr belegt sie die Wachstumsraten der Wirt-
schaft von afrikanischen Ländern wie Guinea-Bissau,
Uganda oder Mosambik. In Mosambik waren es 1997 und




Parl. Staatssekretärin Dr. Uschi Eid

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1) Anlage 10

1998 sogar 10 Prozent Wirtschaftswachstum. In 42 der
48 Staaten Subsahara-Afrikas haben in den 90er-Jahren
Präsidentschafts- und Parlamentswahlen unter Beteiligung
mehrerer Parteien stattgefunden. Die Alphabetisierungsrate
hat sich fast verdreifacht, die Einschulungsrate fast ver-
doppelt. Ich denke, das sind gute Meldungen über Afrika.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Afrika verdient diese guten Meldungen. Ich möchte
dabei keinesfalls in Schönfärberei verfallen. Afrika hat
weiterhin enorme wirtschaftliche, bildungspolitische und
bevölkerungspolitische Probleme, die – das wissen wir
alle – nicht von heute auf morgen zu lösen sind.

Ich möchte hier aber entschieden dem ungerechtfertig-
ten Afrika-Pessimismus entgegentreten. Denn wir kennen
es von uns selbst am besten: Wird etwas schlechtgeredet,
geht keiner mehr hin und macht keiner mehr etwas. Ne-
ben allen konkreten Maßnahmen zur Verbesserung der
Situation ist es also auch eine Frage der Einstellung, eine
Frage, wie wir an Afrika herangehen.

Anfang dieser Woche hat zu meiner ganz besonderen
nachträglichen Freude hier in Berlin der Afrika-Wirt-
schaftstagmit dem Motto „Afrika ist im Kommen“ statt-
gefunden. Die Konferenz mit großer Beteiligung aus
Politik und Wirtschaft, aus Afrika genauso wie aus der
Bundesrepublik, wurde von Bundeskanzler Schröder
eröffnet. Zum einen zeigt diese Konferenz den hohen
Stellenwert, den Afrika vor allem in der rot-grünen Poli-
tik einnimmt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zum anderen haben die Beiträge deutlich gemacht, dass
es guten Grund für Optimismus hinsichtlich der Möglich-
keiten der wirtschaftlichen Entwicklung Afrikas gibt.


(Marlies Pretzlaff [CDU/CSU]: Möglichkeiten!)


Der Ruf Afrikas als Investitionsstandort ist besser – so
wurde es da jedenfalls formuliert – als allgemein ange-
nommen. Besonders Länder, die ihre Regierungsführung
verbessert und nachhaltige marktwirtschaftliche Refor-
men durchgeführt haben, zeigen seit Mitte der 90er-Jahre
Erfolge auf. Sie konnten ihr Wirtschaftswachstum stei-
gern und gleichzeitig die Armut der Bevölkerung redu-
zieren.

Natürlich wollen und müssen wir weiter an einer
Verbesserung der Rahmenbedingungen arbeiten, um posi-
tive Entwicklungen zu unterstützen und die Armut zu
bekämpfen. Es gibt eine Reihe von Dingen, die wir dazu
schon beigetragen haben. Ich nenne hier an erster Stelle die
in Köln beschlossene Entschuldungsinitiative, die auch
Frau Eid schon genannt hat. Bereits heute stehen die ers-
ten 20 oder 21 afrikanischen Staaten fest, die um insgesamt
27,5 Milliarden US-Dollar entlastet werden. So kann nun
zum Beispiel, um nur ein Land zu nennen, Sambia
267 Millionen US-Dollar eigene Mittel in die Armuts-
bekämpfung investieren. Ich denke, das ist ein Erfolg.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Marlies Pretzlaff [CDU/ CSU]: Kann!)


Des Weiteren nenne ich das Cotonou-Abkommen,
durch das 48 Länder Afrikas beteiligt sind und in dessen
Rahmen die Europäer bis 2005 13,8 Milliarden Euro be-
reitstellen werden. Ich denke, auch das ist eine Zahl, die
man nicht einfach übersehen kann.

Aber die besten Rahmenbedingungen von außen nüt-
zen gar nichts, wenn nicht die Bedingungen in Afrika und
von Afrika selbst so gestaltet werden, dass eine nachhal-
tige Entwicklung stattfinden kann. Afrika – das sage ich
ganz deutlich – kann und muss selbst mehr Verantwor-
tung übernehmen. Dazu haben wir unsere Partner in
Afrika in den Regierungen und auch in der Zivilgesell-
schaft immer wieder ermutigt. Ich glaube, die, die
gemeinsam in Afrika waren, können das sicherlich be-
stätigen.

Jetzt haben sich die Afrikaner selbst zu Wort gemeldet,
und zwar mit der „Neuen Partnerschaft für Afrikas Ent-
wicklung“, kurz: NePAD. Damit wird ein neues Bild von
Afrika gezeichnet: Afrika als ein Kontinent, der seine Zu-
kunftsgestaltung selbst in die Hand nimmt, um seine po-
litischen, wirtschaftlichen und sozialen Chancen in einer
globalisierten Welt zu verbessern. NePAD zeigt, dass und
wie die Afrikanerinnen und Afrikaner diese Chancen für
sich nutzen können und wollen. Das ist meines Erachtens
die richtige Einstellung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Verantwortliche Regierungsführung, klare Prioritä-
tensetzung und Eigenverantwortung sind die Grundprin-
zipien dieser politischen Initiative. Sie benennt klar die
Defizite und Versäumnisse, die Afrika selbst zu verant-
worten hat. NePAD steht für den wachsenden Willen,
Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu
sichern, Armut und soziale Ungerechtigkeit zu überwin-
den und als gleichberechtigter Partner aktiv an der
Gestaltung der globalen Rahmenbedingungen für eine
nachhaltige Entwicklung mitzuwirken. Die NePAD ist
ehrgeizig; aber sie braucht Zeit. Diese müssen wir ihr
auch einräumen.

Ich begrüße es ausdrücklich, dass die G-8-Staaten in
Genua entschieden haben, die Initiative durch einen kon-
kreten Aktionsplan zu unterstützen. Dieser soll, wie hier
schon häufig formuliert wurde, im Juni 2002 in Kanada
beschlossen werden.

An dieser Stelle möchte ich mich bei der Afrikabeauf-
tragten des Bundeskanzlers, unserer Parlamentarischen
Staatssekretärin Frau Dr. Eid, sehr herzlich bedanken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Denn sie hat maßgeblich an der Erarbeitung des Aktions-
plans mitgewirkt. Mit unserem Antrag, liebe Frau Dr. Eid,
wollen wir Sie unterstützen und unsere Regierung auffor-
dern, ihre Bemühungen für und um Afrika weiter zu in-
tensivieren.

Ich persönlich blicke heute auf zehn Jahre Politik und
Arbeit für Afrika zurück. Deshalb bin ich überzeugt:
Wenn wir es gemeinsam schaffen, diesen Plan umzuset-
zen, wird sich das Leben der Menschen in Afrika weiter




Ingrid Becker-Inglau
23250


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und grundlegend verbessern. Dann wäre Afrika wirklich
im Kommen. Dazu braucht Afrika weiterhin uns als
Freunde und Partner.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423322400
Das Wort hat der Kol-
lege Klaus-Jürgen Hedrich für die CDU/CSU-Fraktion.


(Joachim Tappe [SPD]: Klaus-Jürgen, halt dich zurück!)



Klaus-Jürgen Hedrich (CDU):
Rede ID: ID1423322500
Frau Präsiden-
tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Leider hat
Frau Eid wieder einmal Fragen, zum Beispiel die des Kol-
legen Günther, nicht beantwortet. Was ist das für ein Be-
kenntnis zu Afrika, wenn man falsch getroffene Entschei-
dungen nicht korrigiert? Ich erinnere in diesem
Zusammenhang an die Schließung deutscher Botschaften,
an die Schließung von Goethe-Instituten, an das Herun-
terfahren von Zuschüssen für die deutschen Auslands-
schulen in Afrika. Wenn man es mit Afrika wirklich ernst
nehmen würde, dann würde man alles tun, wozu Deutsch-
land in der Lage ist. Aber Sie tun es nicht, erwecken hier
aber einen anderen Eindruck.

Was wir hinsichtlich NePAD diskutieren, ist ja nichts
Neues. Ich erinnere an die Global Coalition for Africa: Sie
ist im Sande verlaufen. Ich erinnere an die Entscheidung
von Cotonou. Diesbezüglich müssen wir uns mehr an die
eigene Brust schlagen als die Afrikaner. Milliarden und
Abermilliarden Euro liegen auf den Konten der Europä-
ischen Union und fließen nicht ab. Natürlich ist das auch
der Fall, weil manche afrikanischen Staaten nicht in der
Lage sind, die Mittel entsprechend aufzunehmen und zu
verwenden. Aber vorrangig ist es die Unfähigkeit der Eu-
ropäischen Kommission, diese Mittel einem der ärmsten
Kontinente der Welt zukommen zu lassen. Es handelt sich
also um ein Fehlverhalten, das bei uns liegt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich nenne ferner die HIPC-Initative. Sie hat einige

Entlastungen mit sich gebracht; aber auch diese hängen
indirekt mit Cotonou zusammen. Es gibt keine wirklich
nachhaltigen Auflagen. Der größte Fehler bei dem Erlass
von Schulden ist, dass keine Transparenz erkennbar ist. Es
wird beschworen, dass Herr Museveni in Uganda zusätz-
liche Mittel für Armutsbekämpfung und Gesundheitspro-
jekte in seinem offiziellen Haushalt einstellt. Die Europä-
ische Gemeinschaft und die UNO machen sich aber
überhaupt keine Gedanken darüber – nein, sie machen
sich viele Gedanken, ziehen aber keine Konsequenzen da-
raus. Was Herr Museveni mit den vielen Hunderten Mil-
lionen Dollar macht, die er aus dem Kongo stiehlt und mit
denen er seine Waffen bezahlt, wird in dem Gesamtkon-
text hinsichtlich der Bewertung der Offenlegung öffentli-
cher Finanzen überhaupt nicht berücksichtigt. 30 bis
40 Millionen, die im Rahmen der HIPC-Initiative in den
öffentlichen Haushalt eingestellt werden, spielen dann
eine untergeordnete Rolle. Das Kriegsmanöver und die
militärischen Abenteuer eines Landes wie Uganda – diese
sind ja kein Einzelfall – gehen weiter.

Ich komme zum letzten Punkt, nämlich NePAD. Vom
Grundsatz her kann doch niemand ernsthaft bestreiten,
dass Eigeninitiativen von Entwicklungsländern zur Ver-
besserung ihrer internen und äußeren Rahmenbedingun-
gen vernünftig sind. Da sind wir völlig d‘accord. Das gilt
übrigens auch für andere Länder und Kontinente.

Die Kolleginnen und Kollegen, die insbesondere in
Monterrey dabei waren – wir haben darüber auch in den
zuständigen Fachausschüssen diskutiert –, werden sich
daran erinnern, dass wir mit Genugtuung zur Kenntnis ge-
nommen haben, dass eine der ersten Formulierungen des
Monterrey-Protokolls, also des Monterrey-Konsensus,
die Eigenverantwortung der Entwicklungsländer be-
schreibt. Dies ist positiv. Staatsführer in Afrika ziehen nur
aus Verpflichtungen, die sie selbst eingegangen sind,
Konsequenzen. Insofern ist NePAD also nichts Neues,
sondern – ich wiederhole mich – die Konsequenz aus ge-
troffenen Zusagen.

Schauen wir uns einmal die Pappenheimer an. Frau
Becker-Inglau hat dankenswerterweise – das darf man aus
Ausschusssitzungen gerade noch zitieren – bei der im
Fachausschuss geführten Debatte über Nigeria am ges-
trigen Tage darauf hingewiesen, welche besonderen
Schwierigkeiten wir mit Nigeria haben. Auch die Bun-
desregierung hat darauf hingewiesen, dass der Internatio-
nale Währungsfonds seine Gespräche mit Nigeria gerade
aus einem ganz simplen Grund abgebrochen hat. Der jet-
zige Staatspräsident bzw. die jetzige Führung in Nigeria
ist nicht gewillt, die Vereinbarungen mit dem Interna-
tionalen Währungsfonds zu erfüllen. Dazu gehören zum
Beispiel eine gute Regierungsführung, eine konsequente
Haushaltspolitik, eine konsequente Armutsbekämpfungs-
politik und übrigens auch eine ausgewogene Politik zwi-
schen den ethnischen und religiösen Gruppen in diesem
Lande. Nigeria ist nicht irgendein Land. Nigeria ist, wie
wir alle wissen, das größte Land in Afrika mit 110 bis
120 Millionen Einwohnern. Die Situation in Nigeria hat
gewaltige Auswirkungen auf die Situation in Afrika.

Ich komme zu meiner letzten Bemerkung: Die deut-
sche Bundesregierung hat – ich sage es bewusst – in
einem nicht ausreichenden Maße dagegen protestiert,
dass viele afrikanische Staatsführer – auch solche, die die
NePAD-Initiative mit ins Leben gerufen haben –, zum
Beispiel ein Mann wie Mugabe, eine Wahl mit undemo-
kratischen Repressionsmechanismen manipulieren und
fälschen. Nein, sie haben ihm manchmal sogar Tele-
gramme geschickt, bevor das Ergebnis ausgezählt war.


(Zuruf von der SPD: Wir doch nicht!)

Über diese Punkte muss im Zusammenhang mit

NePAD diskutiert werden. Deshalb sprechen wir nicht
von einem Skeptizismus, sondern von einem afrikani-
schen Realismus. Der ist auch notwendig.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423322600
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Joachim Tappe für die SPD-
Fraktion.




Ingrid Becker-Inglau

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Joachim Tappe (SPD):
Rede ID: ID1423322700
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Wie oft hat jeder von uns, die wir uns
für Afrika engagieren, schon die Frage gestellt bekommen,
wie man eigentlich noch an Afrika glauben kann? Mir er-
ging es erst am letzten Wochenende so. Als bekannt wurde,
dass die Friedens- und Versöhnungsgespräche für den
Kongo im südafrikanischen Sun City gescheitert waren und
damit die Gefahr – Frau Pretzlaff hat darauf hingewiesen –
für eine weitere grausame und blutige Auseinandersetzung
in der Mitte Afrikas heranwächst, wurde mir die Frage
mehrfach gestellt. Diese Frage wird in der Zwischenzeit
– ich finde das sehr schade – auch von Wohlmeinenden aus
Wissenschaft und Journalismus gestellt.

In der Tat ist das in den Medien immer noch transpor-
tierte Afrikabild desaströs: gewaltsame Konflikte, eth-
nische Säuberungen, Millionen von Flüchtlingen, wirt-
schaftlicher Niedergang, Aushöhlung demokratischer
Prozesse, Staatszerfall, Korruption und staatlich verord-
neter Terrorismus. Es ist leider wahr: Auch das ist Afrika.
Aber Afrika ist mehr als die Aufzählung dieser Befunde.

Als ich vor acht Wochen, bewacht von 35 schwer be-
waffneten Sicherheitskräften – es war ein komisches Ge-
fühl –, durch die Ruinen und Trümmer der Altstadt von
Mogadischu fuhr – Mogadischu war noch vor zehn Jah-
ren eine der schönsten afrikanischen Hauptstädte –, da
habe ich mir die Frage selbst gestellt: Hat Afrika noch eine
humane Zukunft?

Erst jüngst ist ein Buch von Peter Scholl-Latour mit
dem Titel „Afrikanische Totenklage“ und dem Untertitel
„Der Ausverkauf des Schwarzen Kontinents“ erschienen;
viele von uns haben es vielleicht gelesen. Ich will hier
deutlich sagen: Ich halte dieses Buch für kontraproduktiv,
ja für schädlich,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


weil es weder uns in unseren afrikapolitischen Bemühun-
gen hilft noch diesem geschundenen Kontinent einen
Schimmer an Hoffnungen lässt. Eine solch eingeengte
Betrachtungsweise verstellt den Blick für Entwicklungen,
die es in Afrika zuhauf gibt; Kollegin Becker-Inglau hat
das dargestellt. Dies sind Entwicklungen, die Hoffnungen
machen und meinen persönlichen Afrikaoptimismus eher
wachsen als schrumpfen lassen.

Dem Untertitel des Buches von Scholl-Latour kann ich
allerdings zustimmen. Denn das, was international agie-
rende Konsortien an ausbeuterischen und Land und Leute
zerstörenden Aktivitäten im Zusammenspiel mit klepto-
kratischen und korrupten afrikanischen Politikern im roh-
stoffreichen Afrika entfalten, das kann einem schon die
Sprache verschlagen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich behaupte, Afrika wäre in seiner Entwicklung sehr viel
weiter, wenn wir mit dafür Sorge trügen, dass in unseren
Ländern die Fluchtgelder afrikanischer Potentaten, aber
auch afrikanischer Geschäftsleute keine Heimat fänden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bei allen Problemen, die Afrika hat, überwiegt bei mir
der Optimismus. Ich habe die seltene Gelegenheit gehabt,
in den letzten zehn Jahren mehr als 35 afrikanische Län-
der zu besuchen. Ich weiß, wovon ich spreche. Deshalb
bin ich davon überzeugt, dass Afrika eine positive Ent-
wicklung machen wird, selbst wenn es noch ein schwieri-
ger und langwieriger Prozess sein wird, der nicht frei von
Rückschlägen sein wird.

Ich gründe diesen Optimismus im Wesentlichen da-
rauf, dass eine neue afrikanische Elite in die Verantwor-
tung wächst, die weiß, dass die Probleme Afrikas nur da-
durch gelöst werden können, dass man die Lösung in die
eigenen Hände nimmt, so wie das Kennedy vor mehr als
40 Jahren für seine Landsleute gesagt hat. Mit diesen
neuen Verantwortungsträgern in Afrika wächst ein neues
politisches Denken heran. Ich gehe so weit, zu sagen, dass
für mich erst damit die eigentliche Unabhängigkeit der
afrikanischen Länder begonnen hat. Das Ganze wird mit-
telfristig in eine gleichberechtigte Partnerschaft für eine
nachhaltige Entwicklung einmünden.

Wichtiger Ausdruck dieses neuen Denkens – das ist am
heutigen Abend mehrfach betont worden – ist eine eigen-
afrikanische Initiative, die NePAD, die New Partnership
For Africa´s Development, die von der Einsicht geleitet
wird, dass zur Implementierung der Fülle von Ideen und
Maßnahmen zur Verbesserung der politischen, sozialen
und wirtschaftlichen Verhältnisse ein friedliches Umfeld,
Formen demokratischer Transparenz, Kontrolle und ein
rechtsstaatliches System notwendig sind. Deshalb will ich
anerkennend herausstellen, dass weder die Bundesregie-
rung noch der Deutsche Bundestag in das Klagelied man-
cher – und leider zu vieler – einstimmen, sondern durch
vielfältige Aktivitäten dieses neue Denken unterstützen.

Ich freue mich schon heute auf den Afrikatag im
Paul-Löbe-Haus am 7. Juni, den die G-8-Beauftragte für
Afrika, unsere Kollegin Uschi Eid, im Auftrag des Bun-
deskanzlers gerade vorbereitet. Ich bin sicher, dass von
diesem Tag ein neuer Schub ausgehen wird für unsere
Einsicht, dass der Schwarze Kontinent unsere uneinge-
schränkte Unterstützung verdient.


(Beifall im ganzen Hause)

Lassen Sie mich schließen mit einem Wunsch. Ich

hoffe und wünsche, dass im 15. Deutschen Bundestag
mehr „Afrikaner“ sitzen werden, die bereit sind, sich an-
stecken zu lassen von der Krankheit, die ich den Virus af-
ricanus nenne; denn dieser Kontinent hat unsere Unter-
stützung voll verdient.


(Beifall im ganzen Hause)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423322800
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit dem
Titel „Afrikas neues Denken unterstützen“. Wer stimmt
für den Antrag auf Drucksache 14/8859?


(Marlies Pretzlaff [CDU/CSU]: Der muss überwiesen werden! – Dr. Uschi Eid [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Überweisung!)







(C)



(D)



(A)



(B)


– Ich nehme zur Kenntnis, dass alle Parlamentarischen Ge-
schäftsführerinnen und Geschäftsführer für Überweisung
dieses Antrages sind. Hier steht etwas anderes. Dann über-
weisen wir diesen Antrag mit Zustimmung aller Fraktionen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung auf Drucksache 14/4970 zu
dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel
„Afrika darf nicht zu einem vergessenen Kontinent wer-
den“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck-
sache 14/2571 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der
Fraktionen von CDU/CSU und FDP angenommen.

Jetzt kommen wir zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung auf Drucksache 14/8617 zu dem Antrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
mit dem Titel „EU-AKP-Zusammenarbeit – bewährte
Partnerschaft mit großer Zukunft“ sowie zu dem Antrag
der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Reform der
EU-Entwicklungszusammenarbeit ist bislang Stückwerk
und muss konsequent vorangetrieben werden“. Der
Ausschuss empfiehlt, die Anträge auf den Drucksa-
chen 14/3396 und 14/3771 in der Ausschussfassung an-
zunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist einstimmig angenommen.

Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Aus-
wärtigen Ausschusses auf Drucksache 14/8849 zu dem
Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Für eine eu-
ropäische Ausrichtung der deutschen Afrikapolitik“. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/5090
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist gegen die Stimmen der Fraktionen von CDU/
CSU und FDP angenommen.

Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 14:
– Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen

der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN und der FDP eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Zahlbarmachung von
Renten aus Beschäftigungen in einem Getto
und zur Änderung des Sechsten Buches Sozial-
gesetzbuch
– Drucksache 14/8583 –

(Erste Beratung 227. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion
der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäf-
tigungen in einem Getto und zur Änderung des
Sechsten Buches Sozialgesetzbuch
– Drucksache 14/8602 –

(Erste Beratung 227. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss)

– Drucksache 14/8823 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Lotz

Die Kolleginnen und Kollegen Ulrike Mascher,
Claudia Nolte, Ekin Deligöz, Dr. Irmgard Schwaetzer so-
wie Dr. Ilja Seifert haben ihre Reden zu Protokoll gege-
ben.1) – Große Begeisterung bei allen Kolleginnen und
Kollegen.

Wir kommen deshalb zur Abstimmung über die von
den Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnis-
ses 90/Die Grünen und der FDP sowie von der Fraktion
der PDS eingebrachten Gesetzentwürfe zur Zahlbarma-
chung von Renten aus Beschäftigungen in einem Getto
und zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetz-
buch. Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung emp-
fiehlt auf Drucksache 14/8823, die zu einem Gesetzent-
wurf zusammengefassten Gesetzentwürfe anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig an-
genommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit
den Stimmen des gesamten Hauses angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra
Bläss, Wolfgang Gehrcke, Carsten Hübner, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Bündnisfall aufheben
– Drucksache 14/8664 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die PDS
fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich erteile der Kollegin Heidi Lippmann das Wort.


Heidi Lippmann-Kasten (PDS):
Rede ID: ID1423322900
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! In un-
serem vorliegenden Antrag geht es nicht darum, dass der
so genannte Kampf gegen den Terrorismus eingestellt wird
oder nicht, sondern darum, den am 4. Oktober letzten Jah-
res vom NATO-Rat beschlossenen Bündnisfall aufzuhe-
ben. Wir alle wissen, dass die NATO im Rahmen der Ope-
ration „Enduring Freedom“, bei der sich auch mehrere
Tausend Soldaten der Bundeswehr im Einsatz befinden,
militärisch eine eher randständige und politisch nahezu un-
bedeutende Rolle spielt und dass nahezu alle Absprachen
bilateral zwischen den USA und Einzelstaaten getroffen




Vizepräsidentin Petra Bläss

23253


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 11

werden. Meines Erachtens hatte der Beschluss, den Bünd-
nisfall auszurufen, eine eher symbolische Bedeutung,
quasi als nochmalige Verstärkung der uneingeschränkten
Solidarität mit den USA.

Heute stehen wir vor dem Problem, dass der NATO-
Rat damals versäumt hat, ein klares Ziel, einen Ausweg,
eine so genannte Exitstrategie zu definieren. Deswegen
fragen sich immer mehr Politiker quer durch alle Fraktio-
nen und Militärs – auch weltweit –: Wie lässt sich ein sol-
cher Beschluss wieder rückgängig machen? Es gibt dafür
keinen Präzedenzfall. Es gibt dafür auch keine verbind-
lichen Regelungen. Eigentlich ist der Bündnisfall dann
beendet, wenn der Krieg gewonnen ist.

Was heißt das aber bei einem Krieg gegen den Terro-
rismus? Vor allem in den USA gibt es einige Fraktionen,
die gerne einen solchen Zustand permanenter gesell-
schaftlicher und militärischer Mobilisierung auf Dauer
hätten. Das macht das Regieren einfach, sichert Mehrhei-
ten und gestattet weit reichende Eingriffe in Grundrechte
und Freiheiten. Und auch hier in diesem Land ist innen-
politisch so ziemlich alles möglich, da ja der Bündnisfall
ausgerufen ist.

Das wollen wir ganz und gar nicht. Wir wollen – auch
im internationalen Maßstab – nicht diesen endlosen Zu-
stand zwischen Krieg und Frieden, der dafür herhalten
soll, weit reichende Militäraktionen ohne große Abwä-
gungen zu ermöglichen. Im Fall eines Krieges gegen den
Irak bedarf es keiner großen Debatte über eine mögliche
Beteiligung Deutschlands oder nicht, denn dieser ist vom
NATO-Ratsbeschluss bereits gedeckt, ebenso wie über-
morgen auch der übernächste Krieg gedeckt sein wird.

Der Verteidigungsfall als Dauerzustand bildet bereits
jetzt die Legitimation für weit reichende Auf- und Umrüs-
tungsprogramme, für eine Neuauflage der Politik mili-
tärischer Abschreckung und auch für militärische Inter-
ventionen gegen Regime, die man schon lange loswerden
wollte.

Die PDS hat es von Anfang an für falsch gehalten, ge-
gen terroristische Fundamentalisten einen militärischen
Krieg zu führen und damit genau deren Kalkül zu ent-
sprechen.


(Walter Hirche [FDP]: Unglaublich!)

– Herr Staatsminister, setzen Sie sich nach vorne, wenn
Sie mich kritisieren möchten!


(Dr. Ludger Volmer, Staatsminister: Ich möchte Sie kritisieren, aber ich habe es gar nicht getan! – Walter Hirche [FDP]: Das war ich!)


– Entschuldigung. Dann kam der Zuruf wohl von rechts
außen. Ich entschuldige mich bei Ihnen.


(Walter Hirche [FDP]: Es ist aber interessant, dass Sie ihm diesen Zwischenruf auch zutrauen! Das ist bemerkenswert!)


Terroranschlägen muss mit Maßnahmen der Verbre-
chensbekämpfung und nicht mit mehr oder weniger be-
liebigen Luftangriffen – heute auf Afghanistan, morgen
auf den Irak, übermorgen auf Nordkorea – begegnet wer-
den. Auch die Ursachen für Gewaltbereitschaft kann man
ebenso wenig wie soziale Missstände mit militärischen
Angriffen wegbomben.

Besonders der Blick in Richtung Nahost hat uns ge-
zeigt, wie unter dem Deckmantel der Behauptung, Terro-
rismus bekämpfen zu wollen, Gewalteskalation betrieben
werden kann und damit der Boden für neue Gewalttaten
bereitet wird.

Zu dem Anschlag auf Djerba, deren Opfern und ihren
Angehörigen unser tiefes Mitgefühl gehört, und zu den
Inhaftierungen der letzten Tage lassen Sie mich eines sa-
gen: Kein Mensch denkt darüber nach, deswegen jetzt
Tunesien zu bombardieren oder gegen mutmaßliche Ter-
roristen im Inland mit Panzern vorzugehen. Zur Verbre-
chensbekämpfung braucht es keinen NATO-Beschluss.

Wir warnen davor, weiterhin einen zeitlich und lokal
unbegrenzten Krieg gegen den Terror führen zu wollen.
Statt einer fortgesetzten militärischen Angriffsbereit-
schaft brauchen wir eine zivil und sozial orientierte Poli-
tik der Besonnenheit, in der das Primat der Politik und der
Diplomatie im Vordergrund steht. Dies geht nur unter der
Federführung der Vereinten Nationen.

Wir wollen, dass der weltweite Kampf gegen terroris-
tische Bedrohungen unter der Regie der Vereinten Na-
tionen geführt wird. Nur dies gewährleistet, dass diese
Auseinandersetzung auf einer wirklich umfassenden mul-
tilateralen Grundlage geführt wird. Nur so kann eine
Schranke gegen machtpolitischen Missbrauch des Selbst-
verteidigungsrechts aufgerichtet werden. Nur dadurch
kann der Weg hin zu einem kohärenten, zivil geprägten
Konzept der Gewalteindämmung beschritten werden.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423323000
Ich schließe die Aus-
sprache, denn die Kollegen Markus Meckel, Eckart von
Klaeden, Ludger Volmer und Hildebrecht Braun haben
ihre Reden zu Protokoll gegeben.1)

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/8664 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe keinen Wi-
derspruch. Dann ist dies so beschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tag auf morgen, Freitag, den 26. April 2002, 9 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.