Protokoll:
14227

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 227

  • date_rangeDatum: 21. März 2002

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 19:59 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- neten Anton Pfeifer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22441 A Erweiterung und Änderung der Tages- ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22441 A, D Absetzung der Tagesordnungspunkte 9 a und b, 19 c und 21 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22441 D Änderung einer Ausschussüberweisung . . . . . 22442 A Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . 22442 A Tagesordnungspunkt 3: a) Abgabe einer Regierungserklärung zu den Ergebnissen des Europäischen Rates in Barcelona am 15./16. März 2002 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22442 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union – zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zu der Abgabe einer Regierungs- erklärung des Bundeskanzlers – Tagung des Europäischen Rates in Laeken am 14./15. Dezember 2001 – zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Hintze, Christian Schmidt (Fürth), weiterer Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU: Europa richtig voranbringen – Weichen- stellung durch den Europäischen Rat in Laeken/Brüssel – zu dem Entschließungsantrag der Ab- geordneten Dr. Helmut Haussmann, Ina Albowitz, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP zu der Abgabe einer Regierungserklä- rung des Bundeskanzlers – Ta- gung des Europäischen Rates in Laeken am 14./15. Dezember 2001 – zu dem Entschließungsantrag der Ab- geordneten Uwe Hiksch, Dr. Klaus Grehn, Roland Claus und der Frak- tion der PDS zu der Abgabe einer Regierungserklärung des Bun- deskanzlers – Tagung des Euro- päischen Rates in Laeken am 14./15. Dezember 2001 – zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Klaus Grehn, Uwe Hiksch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS zu der Abgabe einer Regierungserklä- rung des Bundeskanzlers – Ta- gung des Europäischen Rates in Laeken am 14./15. Dezember 2001 (Drucksachen 14/7788, 14/7781, 14/7789, 14/7790, 14/7791, 14/8182) . . . . . . . . . 22442 B c) Bericht des Ausschusses für die Ange- legenheiten der Europäischen Union gemäß § 93 a Abs. 4 der Geschäftsord- nung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung – Mitteilung der Kommission: Schutz der finanziellen Interessen derGemeinschaft; Betrugsbekämp- fung – Aktionsplan 2001 bis 2003 – Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft und Betrugs- bekämpfung – Jahresbericht 2000 (Drucksachen 14/6908 Nr. 2.10, 2.11, 14/8323) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22442 D Plenarprotokoll 14/227 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 227. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 21. März 2002 I n h a l t : Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . 22443 A Friedrich Merz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 22446 D Joachim Poß SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22450 C Dr. Wolfgang Gerhardt FDP . . . . . . . . . . . . . 22453 D Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 22456 A Uwe Hiksch PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22458 C Dietmar Nietan SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22459 D Peter Hintze CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 22461 C Christian Sterzing BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22463 C Dr. Gerd Müller CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 22464 D Christoph Moosbauer SPD . . . . . . . . . . . . . . 22466 B Tagesordnungspunkt 4: Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Uwe- Jens Rössel, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Lage und Zukunft derKommunen in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksachen 14/5834, 14/6923) . . . . . . . 22468 B Roland Claus PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22468 B Harald Friese SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22469 C Peter Götz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22472 A Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22474 D Peter Götz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 22475 C Gerhard Schüßler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 22476 C Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI 22479 A Margarete Späte CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 22481 A Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22482 C Dr. Uwe-Jens Rössel PDS . . . . . . . . . . . . . . . 22484 B Bernd Scheelen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22485 C Dr. Uwe-Jens Rössel PDS . . . . . . . . . . . . 22487 A Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU . . . . . . . 22488 B Tagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS: Einsetzung des Bundesschulden- gremiums gemäß § 4 a des Bundes- wertpapierverwaltungsgesetzes (Drucksache 14/8588) . . . . . . . . . . . . . 22490 B b) Wahl derMitglieder des Bundesschul- dengremiums gemäß § 4 a des Bun- deswertpapierverwaltungsgesetzes (Drucksache 14/8587) . . . . . . . . . . . . . 22490 B Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22501 D Tagesordnungspunkt 30: Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Getto und zur Änderung des Sechs- ten Buches Sozialgesetzbuch (Drucksache 14/8583) . . . . . . . . . . . . . 22490 D b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ab- satzfondsgesetzes (Drucksache 14/8585) . . . . . . . . . . . . . 22490 D c) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Mutterschutzrechts (Drucksache 14/8525) . . . . . . . . . . . . . 22491 A d) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesundheitsstruk- turgesetzes (Drucksache 14/7462) . . . . . . . . . . . . . 22491 A e) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Energiestatistiken (Energiestatistikgesetz) (Drucksache 14/8388) . . . . . . . . . . . . . 22491 A f) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Rechts- akte der Europäischen Gemeinschaft über gemeinschaftliche Informations- und Absatzförderungsmaßnahmen für Agrarerzeugnisse (Agrarabsatzförde- rungsdurchführungsgesetz) (Drucksache 14/8526) . . . . . . . . . . . . . 22491 B g) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Christine Ostrowski, Maritta Böttcher, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Altschuldenhilfe-Geset- zes (Drittes Altschuldenhilfeände- rungsgesetz) (Drucksache 14/8078) . . . . . . . . . . . . . 22491 B h) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bewa- chungsgewerberechts (Drucksache 14/8386) . . . . . . . . . . . . . 22491 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2002II i) Antrag der Abgeordneten Ina Albowitz, Dr. Günter Rexrodt, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Stasi-Untersuchungshaftanstalt Ho- henschönhausen als Gedenkstätte erhalten und ausbauen (Drucksache 14/7110) . . . . . . . . . . . . . 22491 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 1: Weitere Überweisungen im vereinfach- ten Verfahren (Ergänzung zu TOP 30) a) Erste Beratung des von der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Getto und zur Änderung des Sechs- ten Buches Sozialgesetzbuch (Drucksache 14/8602) . . . . . . . . . . . . 22491 C b) Antrag der Abgeordneten Annette Faße, Reinhard Weis (Stendal), weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzhofen), Helmut Wilhelm (Amberg), weiterer Abgeordneter der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Für einen sanften Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen (Drucksache 14/8589) . . . . . . . . . . . . 22491 D Tagesordnungspunkt 31: Abschließende Beratungen ohne Aus- sprache a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Übertragung von Rechtspflegeraufgaben auf den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (Drucksachen 14/6457, 14/8628) . . . . 22492 A b) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 25. Fe- bruar 1991 über die Umweltverträg- lichkeitsprüfung im grenzüberschrei- tenden Rahmen sowie zu der auf der zweiten Konferenz der Parteien in Sofia am 27. Februar 2001 beschlossenen Än- derung des Übereinkommens (Espoo- Vertragsgesetz) (Drucksachen 14/8218, 14/8578) . . . . 22492 B d) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler, Roland Claus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Änderung der Pfändungsfreigrenzen (Drucksachen 14/1627, 14/8302) . . . . 22492 C e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu der Verordnung der Bundes- regierung: Einhundertvierundvier- zigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste – Anlage zum Außen- wirtschaftsgesetz (Drucksachen 14/7981, 14/8086 Nr. 2.2, 14/8408) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22492 C f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verord- nung der Bundesregierung: Verord- nung zur Änderung abfallrechtlicher Nachweisbestimmungen (Drucksachen 14/8461, 14/8555 Nr. 2.1, 14/8622) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22492 D g) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verord- nung der Bundesregierung: Verord- nung zur Änderung abfallrechtlicher Bestimmungen zurAltölentsorgung (Drucksachen 14/8462, 14/8555 Nr. 2.2, 14/8626) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22493 A h) – k) Beschlussempfehlungen des Petitions- ausschusses: Sammelübersichten 367, 368, 369, 370 zu Petitionen (Drucksachen 14/8532, 14/8533, 14/8534, 14/8535) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22493 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache a) – f) Beschlussempfehlungen des Petitions- ausschusses: Sammelübersichten 372, 373, 374, 375, 376, 377 zu Petitionen (Drucksachen 14/8605, 14/8606, 14/8607, 14/8608, 14/8609, 14/8610) . . . . . . . . 22493 C Tagesordnungspunkt 6: Erste Beratung des von den Abgeordneten Hermann Bachmaier, Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Dr. Peter Struck und der Frak- tion der SPD sowie den Abgeordneten Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2002 III Gerald Häfner, Cem Özdemir, weiteren Ab- geordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung von Volksinitiative, Volks- begehren und Volksentscheid in das Grundgesetz (Drucksache 14/8503) . . . . . . . . . . . . . . . 22494 A Hermann Bachmaier SPD . . . . . . . . . . . . . . . 22494 B Dr. Rupert Scholz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 22496 D Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22498 D Dr. Max Stadler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22500 C Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22501 D Dr. Max Stadler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22502 B Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22502 D Dieter Wiefelspütz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 22503 D Norbert Geis CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 22504 D Tagesordnungspunkt 7: – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Norbert Geis, Erwin Marschewski (Recklinghausen), weite- ren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung von Straftaten der or- ganisierten Kriminalität und des Terrorismus (Drucksachen 14/6834, 14/8627) . . . . 22505 C – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Ergänzung der Kronzeugenregelungen im Strafrecht (KrZErgG) (Drucksachen 14/5938, 14/8627) . . . . 22505 C – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nesGesetzes zur Änderung der Straf- prozessordnung (§ 110 Abs. 1, § 111 f Abs. 3, § 163 a Abs. 6 StPO) (Drucksachen 14/6079, 14/8627) . . . . 22505 C Volker Kauder CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 22505 D Joachim Stünker SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22507 C Jörg van Essen FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22509 C Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22510 C Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22512 A Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ 22513 A Norbert Geis CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 22514 A Tagesordnungspunkt 8: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung – Politik für den Mittelstand (Drucksache 14/8548) . . . . . . . . . . . . . . . 22515 D Margareta Wolf, Parl. Staatssekretärin BMWi 22516 A Dr. Heinrich L. Kolb FDP . . . . . . . . . . . . 22517 B Dr. Hansjürgen Doss CDU/CSU . . . . . . . . . . 22519 B Dr. Rainer Wend SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22521 C Gudrun Kopp FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22523 D Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22525 C Jelena Hoffmann (Chemnitz) SPD . . . . . . . . 22526 C Dagmar Wöhrl CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 22528 A Lydia Westrich SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22530 B Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 22531 B Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Hartmut Koschyk, Anton Pfeifer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Zukunft der deutschen Auslandsschulen (Drucksache 14/8106) . . . . . . . . . . . . . . . 22532 B Hartmut Koschyk CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 22532 C Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22535 A Walter Hirche FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22535 D Lothar Mark SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22537 A Dr. Ludger Volmer, Staatsminister AA . . . . . . 22538 C Tagesordnungspunkt 23: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zurReform der Juristenausbildung (Drucksachen 14/7176, 14/8629) . . . . 22539 D – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Edzard Schmidt- Jortzig, Rainer Funke, weiteren Abge- ordneten und der Fraktion der FDP ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Juristenausbildung (JurAusbReformG) (Drucksachen 14/2666, 14/8629) . . . . 22539 D – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Änderung des Deut- schen Richtergesetzes und der Bun- desrechtsanwaltsordnung (Drucksachen 14/7463, 14/8629) . . . . 22540 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2002IV Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22540 A Dr. Norbert Röttgen CDU/CSU . . . . . . . . . . 22541 B Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22543 A Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22544 A Sabine Jünger PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22545 B Jochen Dieckmann, Minister (Nordrhein- Westfalen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22546 A Dr. Rupert Scholz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 22547 A Alfred Hartenbach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 22548 B Tagesordnungspunkt 11: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Techno- logie zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Hildebrecht Braun (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Bundeskartellamt per- sonell stärken (Drucksachen 14/5575, 14/8134) . . . . . . . 22550 A Dr. Uwe Jens SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22550 A Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . . . 22551 C Hans-Eberhard Urbaniak SPD . . . . . . . . 22551 D Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22554 A Gudrun Kopp FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22555 A Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22555 C Tagesordnungspunkt 13: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie zu dem Antrag der Abgeordneten Ursula Burchardt, Petra Bierwirth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD so- wie der Abgeordneten Winfried Hermann, Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN: Nachhaltige Wasserwirtschaft in Deutschland (Drucksachen 14/7177, 14/8564) . . . . . . . 22556 B Bärbel Grygier PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22556 C Tagesordnungspunkt 14: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtli- nie 98/8/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 über das Inverkehrbringen von Biozid-Produk- ten (Biozidgesetz) (Drucksachen 14/7007, 14/7922, 14/8508, 14/8577) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22557 C Tagesordnungspunkt 15: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN: Fortführung der Beratungen zum Endbericht der Enquete-Kom- mission „So genannte Sekten und Psychogruppen“ – zu dem Antrag der Abgeordneten Maria Eichhorn, Klaus Holetschek, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Endbericht der Enquete- Kommission „So genannte Sekten und Psychogruppen“ (Drucksachen 14/2568, 14/2361, 14/5262) 22557 D Dr. Hans-Peter Bartels SPD . . . . . . . . . . . . . 22558 A Antje Blumenthal CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 22559 A Renate Rennebach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 22560 C Ina Lenke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22561 C Tagesordnungspunkt 16: a) Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Vorsorgepolitik für gesundheitsver- träglichen Mobilfunk (Drucksache 14/8584) . . . . . . . . . . . . 22562 D b) Große Anfrage der Abgeordneten Ilse Aigner, Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Auswirkungen elektro- magnetischer Felder, insbesondere des Mobilfunks (Drucksachen 14/5848, 14/7958) . . . . 22562 D Tagesordnungspunkt 31: c) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Mo- dernisierung der Besoldungsstruk- tur (Besoldungsstrukturgesetz) (Drucksachen 14/6390, 14/8623, 14/8633, 14/8635) . . . . . . . . . . . . . 22563 A – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortsetzung der Dienstrechtsreform (Drucksachen 14/3458, 14/8623, 14/8633, 14/8635) . . . . . . . . . . . . . 22563 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2002 V Tagesordnungspunkt 17: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/ CSU: Frontpartien von Fahrzeu- gen europaweit fußgängersicher gestalten – zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament; Fußgän- gerschutz: Selbstverpflichtung der europäischen Automobilindustrie (Drucksachen 14/6316, 14/7409 Nr. 2.1, 14/8571) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22563 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Mehr Sicherheit durch Kreisverkehre (Drucksachen 14/7452, 14/8570) . . . . 22563 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22564 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 22565 A Anlage 2 Alphabetisches Namensverzeichnis der Mit- glieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß § 4 a des Bundeswertpapierverwaltungsgesetzes teil- genommen haben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22565 D Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Zukunft der deutschen Auslandsschu- len (Tagesordnungspunkt 12) . . . . . . . . . . . . . 22568 B Monika Griefahn SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22568 B Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22570 B Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung des Berichts: Nachhal- tige Wasserwirtschaft in Deutschland (Tages- ordnungspunkt 13) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22571 A Marlene Rupprecht SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 22571 B Hubertus Heil SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22571 D Max Straubinger CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 22572 C Winfried Hermann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22573 C Walter Hirche FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22574 B Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 98/8/EG des Europäischen Parla- ments und des Rates vom 16. Februar 1998 über das Inverkehrbringen von Biozid-Produk- ten (Biozidgesetz) (Tagesordnungspunkt 14) 22574 D Dr. Carola Reimann SPD . . . . . . . . . . . . . . . 22574 D Franz Obermeier CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 22576 C Winfried Hermann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22577 B Birgit Homburger FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 22578 A Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . 22578 D Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Fortführung der Beratungen zum Endbe- richt der Enquete-Kommission „So ge- nannte Sekten und Psychogruppen“ – Endbericht der Enquete-Kommission „So genannte Sekten und Psychogruppen“ (Tagesordnungspunkt 15) . . . . . . . . . . . . . . . . 22579 B Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22579 C Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22580 B Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Antrags: Vorsorgepolitik für gesund- heitsverträglichen Mobilfunk – der Großen Anfrage: Auswirkungen elek- tromagnetischer Felder, insbesondere des Mobilfunks (Tagesordnungspunkt 16 a und b) . . . . . . . . . . 22580 D Marlene Rupprecht SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 22580 D Werner Wittlich CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 22581 C Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22582 D Winfried Hermann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22583 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2002VI Detlef Parr FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22584 A Gerhard Jüttemann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 22584 C Dr. Ditmar Staffelt SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 22585 A Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts – zu dem Antrag: Frontpartien von Fahrzeu- gen europaweit fußgängersicher gestalten – zu der Unterrichtung: Mitteilung der Kom- mission an den Rat und das Europäische Parlament – Fußgängerschutz: Selbstver- pflichtung der europäischen Automobil- industrie – zu dem Antrag: Mehr Sicherheit durch Kreisverkehre (Tagesordnungspunkt 17 a und b) . . . . . . . . . . 22586 A Rita Streb-Hesse SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22586 B Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU 22587 A Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22588 D Horst Friedrich (Bayreuth) FDP . . . . . . . . . 22589 B Rosel Neuhäuser PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22589 D Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Entwurfs eines Gesetzes zur Moderni- sierung der Besoldungsstruktur (Besol- dungsstrukturgesetz-BesStruktG) – des Entwurfs eines Gesetzes zur Fortset- zung der Dienstrechtsreform (Tagesordnungspunkt 31 c) . . . . . . . . . . . . . . . 22590 B Hans-Peter Kemper SPD . . . . . . . . . . . . . . . 22590 B Meinrad Belle CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 22591 B Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22592 A Dr. Max Stadler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22592 C Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22593 C Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI 22594 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2002 VII Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2002
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2002 Vizepräsidentin Anke Fuchs 22564 (C)(A) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2002 22565 (C) (D) (A) (B) Adam, Ulrich CDU/CSU 21.03.2002 Adler, Brigitte SPD 21.03.2002 Altmaier, Peter CDU/CSU 21.03.2002 Barthel (Berlin), SPD 21.03.2002 Eckhardt Dr. Bartsch, Dietmar PDS 21.03.2002 Behrendt, Wolfgang SPD 21.03.2002** Bindig, Rudolf SPD 21.03.2002* Elser, Marga SPD 21.03.2002 Ernstberger, Petra SPD 21.03.2002*** Friedhoff, Paul K. FDP 21.03.2002 Friedrich (Altenburg), SPD 21.03.2002 Peter Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 21.03.2002*** Ganseforth, Monika SPD 21.03.2002*** Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 21.03.2002 Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 21.03.2002 Hedrich, Klaus-Jürgen CDU/CSU 21.03.2002 Hempelmann, Rolf SPD 21.03.2002 Hermenau, Antje BÜNDNIS 90/ 21.03.2002 DIE GRÜNEN Hilsberg, Stephan SPD 21.03.2002 Dr. Hornhues, CDU/CSU 21.03.2002 Karl-Heinz Dr. Hoyer, Werner FDP 21.03.2002 Irmer, Ulrich FDP 21.03.2002 Dr. Köster-Loßack, BÜNDNIS 90/ 21.03.2002*** Angelika DIE GRÜNEN Kolbow, Walter SPD 21.03.2002 Dr. Lammert, Norbert CDU/CSU 21.03.2002 Lamp, Helmut CDU/CSU 21.03.2002 Lengsfeld, Vera CDU/CSU 21.03.2002 Lippmann, Heidi PDS 21.03.2002 Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 21.03.2002 Erich Matschie, Christoph SPD 21.03.2002 Dr. Meyer (Ulm), SPD 21.03.2002 Jürgen Nolte, Claudia CDU/CSU 21.03.2002 Özdemir, Cem BÜNDNIS 90/ 21.03.2002 DIE GRÜNEN Ostrowski, Christine PDS 21.03.2002 Dr. Pflüger, Friedbert CDU/CSU 21.03.2002 Philipp, Beatrix CDU/CSU 21.03.2002 Raidel, Hans CDU/CSU 21.03.2002*** Roos, Gudrun SPD 21.03.2002 Schlee, Dietmar CDU/CSU 21.03.2002 Schloten, Dieter SPD 21.03.2002*** Schmidt (Hitzhofen), BÜNDNIS 90/ 21.03.2002 Albert DIE GRÜNEN Schmidt (Fürth), CDU/CSU 21.03.2002 Christian Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 21.03.2002 Hans Peter Schröter, Gisela SPD 21.03.2002 Dr. Schuchardt, Erika CDU/CSU 21.03.2002*** Schuhmann (Delitzsch), SPD 21.03.2002 Richard Seehofer, Horst CDU/CSU 21.03.2002 Sehn, Marita FDP 21.03.2002 Strebl, Matthäus CDU/CSU 21.03.2002 Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 21.03.2002 Dr. Thomae, Dieter FDP 21.03.2002 Dr. Vollmer, Antje BÜNDNIS 90/ 21.03.2002 DIE GRÜNEN Welt, Jochen SPD 21.03.2002 Wieczorek-Zeul, SPD 21.03.2002 Heidemarie Dr. Wolf, Winfried PDS 21.03.2002 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Westeuropäischen Union *** für die Teilnahme an der 107. Jahreskonferenz der Interparlamen- tarischen Union Anlage 2 Alphabetisches Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an derWahl des Gremiums gemäß § 4 a des Bundeswertpapierverwaltungsgesetzes teilgenommen haben entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Adam, Ulrich Altmann, (Aurich), Gila Andres, Gerd Arndt-Brauer, Ingrid Arnold, Rainer Bachmaier, Hermann Bahr, Ernst Balt, Monika Barnett, Doris Dr. Bartels, Hans-Peter Barthle, Norbert Dr. Bauer, Wolf Baumann, Günter Baumeister, Brigitte Beck (Bremen), Marieluise Beck (Köln), Volker Becker-Inglau, Ingrid Beer, Angelika Belle, Meinrad Dr. Berg, Axel Dr. Bergmann-Pohl, Sabine Bernhardt, Otto Berninger, Matthias Bertl, Hans-Werner Bettin, Grietje Beucher, Friedhelm Julius Bierling, Hans-Dirk Bierstedt,Wolfgang Bierwirth, Petra Binding (Heidelberg), Lothar Dr. Blank, Joseph-Theodor Blank, Renate Dr. Blens, Heribert Bleser, Peter Dr. Blüm, Norbert Blumenthal, Antje Bodewig, Kurt Dr. Böhmer, Maria Bonitz, Sylvia Börnsen (Bönstrup), Wolfgang Bosbach, Wolfgang Dr. Bötsch, Wolfgang Brähmig, Klaus Brandner, Klaus Brandt-Elsweier, Anni Brase, Willi Dr. Brauksiepe, Ralf Braun (Augsburg), Hildebrecht Breuer, Paul Brinkmann (Hildesheim), Bernhard Brinkmann, Rainer Bruckmann, Hans-Günter Brüderle, Rainer Brudlewsky, Monika Brunnhuber, Georg Bulling-Schröter, Eva Bulmahn, Edelgard Buntenbach, Annelie Burchardt, Ursula Burgbacher, Ernst Dr. Bürsch, Michael Bury, Hans Martin Büttner (Ingolstadt), Hans Büttner (Schönebeck), Hartmut Buwitt, Dankward Caesar, Cajus Carstens (Emstek), Manfred Carstensen (Nordstrand), Peter H. Caspers-Merk, Marion Catenhusen, Wolf-Michael Claus, Roland Dr. Danckert, Peter Dr. Däubler-Gmelin, Herta Dautzenberg, Leo Dehnel, Wolfgang Deichmann, Christel Deittert, Hubert Deligöz, Ekin Deß, Albert Diemers, Renate Dietert-Scheuer, Amke Diller, Karl Dörflinger, Thomas Doss, Hansjürgen Dött, Marie-Luise Dreßen, Peter Dr. Dückert, Thea Dzembritzki, Detlef Dzewas, Dieter Dr. Eckardt, Peter Ehlert, Heidemarie Eich, Ludwig Eichhorn, Maria Eichstädt-Bohlig, Franziska Dr. Eid, Uschi Enders, Peter Eppelmann, Rainer van Essen, Jörg Eymer (Lübeck), Anke Faße, Annette Dr. Faust, Hans Georg Feibel, Albrecht Fell, Hans-Josef Dr. Fink, Heinrich Fink, Ulf Fischbach, Ingrid Fischer (Berlin), Andrea Fischer (Karlsruhe-Land), Axel E. Fischer (Hamburg), Dirk Fischer (Homburg), Lothar Flach, Ulrike Fograscher, Gabriele Follak, Iris Formanski, Norbert Fornahl, Rainer Forster, Hans Frankenhauser, Herbert Freitag, Dagmar Dr. Friedrich (Erlangen), Gerhard Dr. Friedrich (Hof), Hans-Peter Friedrich (Bayreuth), Horst Friedrich (Mettmann), Lilo Friese, Harald Fritz, Erich G. Fromme, Jochen-Konrad Fuchs (Köln), Anke Dr. Fuchs, Ruth Fuhrmann, Arne Funke, Rainer Dr. Gehb, Jürgen Gehrcke, Wolfgang Geis, Norbert Gilges, Konrad Girisch, Georg Gleicke, Iris Gloser, Günter Dr. Göhner, Reinhard Goldmann, Hans-Michael Göllner, Uwe Göring-Eckardt, Katrin Götz, Peter Dr. Götzer, Wolfgang Gradistanac, Renate Graf (Rosenheim), Angelika Graf (Friesoythe), Günter Grasedieck, Dieter Griese, Kerstin Grießhaber, Rita Grill, Kurt-Dieter Gröhe, Hermann Grotthaus, Wolfgang Grund, Manfred Dr. Grygier, Bärbel Günther (Duisburg), Horst Dr. Guttmacher, Karlheinz Haack (Extertal), Karl-Hermann Hacker, Hans-Joachim Hagemann, Klaus Freiherr von Hammerstein, Carl-Detlev Hampel, Manfred Hartenbach, Alfred Hartnagel, Anke Haschke (Großhennersdorf), Gottfried Hasenfratz, Klaus Hauer, Nina Haupt, Klaus Hauser (Rednitzhembach), Hansgeorg Hauser (Bonn), Norbert Heiderich, Helmut Heil, Hubertus Heinen, Ursula Heinrich, Ulrich Heise, Manfred Helias, Siegfried Hemker, Reinhold Hempel, Frank Dr. Hendricks, Barbara Henke, Hans Jochen Hermann, Winfried Herzog, Gustav Heubaum, Monika Hiksch, Uwe Hiller (Lübeck), Reinhold Hinsken, Ernst Hintze, Peter Hirche, Walter Hofbauer, Klaus Höfer, Gerd Hoffmann (Wismar), Iris Hoffmann (Chemnitz), Jelena Hoffmann (Darmstadt), Walter Höfken, Ulrike Hofmann (Volkach), Frank Hohmann, Martin Holetschek, Klaus Dr. Höll, Barbara Hollerith, Josef Holzhüter, Ingrid Homburger, Birgit Hornung, Siegfried Hovermann, Eike Hübner, Carsten Humme, Christel Hüppe, Hubert Hustedt, Michaele Ibrügger, Lothar Imhof, Barbara Irber, Brunhilde Iwersen, Gabriele Jaffke, Susanne Jäger, Renate Janovsky, Georg Janssen, Jann-Peter Janz, Ilse Jelpke, Ulla Dr. Jens, Uwe Dr.-Ing. Jork, Rainer Jung (Düsseldorf), Volker Jünger, Sabine Jüttemann, Gerhard Dr. Kahl, Harald Kahrs, Johannes Kalb, Bartholomäus Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Karwatzki, Irmgard Kasparick, Ulrich Kaspereit, Sabine Kastner, Susanne Kauder, Volker Kelber, Ulrich Kemper, Hans-Peter Dr. Kenzler, Evelyn Dr. Kinkel, Klaus Kirschner, Klaus von Klaeden, Eckart Klappert, Marianne Klemmer, Siegrun Klinkert, Ulrich Klose, Hans-Ulrich Knoche, Monika Dr. Kolb, Heinrich L. Kopp, Gudrun Koppelin, Jürgen Körper, Fritz Rudolf Kors, Eva-Maria Koschyk, Hartmut Kossendey, Thomas Kramme, Anette Kraus, Rudolf Kressl, Nicolette Dr. Krogmann, Martina Kröning, Volker Krüger-Leißner, Angelika Kubatschka, Horst Dr. Kues, Hermann Kuhn, Werner Kühn-Mengel, Helga Kumpf, Ute Kunick, Konrad Dr. Küster, Uwe Kutzmutz, Rolf Labsch, Werner Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 200222566 (C) (D) (A) (B) Lambrecht, Christine Lange, Brigitte Lange (Backnang), Christian von Larcher, Detlev Dr. Laufs, Paul Laumann, Karl-Josef Lehder, Christine Lehn, Waltraud Leidinger, Robert Lemke, Steffi Lenke, Ina Lennartz, Klaus Lensing, Werner Dr. Leonhard, Elke Letzgus, Peter Leutheusser- Schnarrenberger, Sabine Lewering, Eckhart Lietz, Ursula Link (Diepholz), Walter Lintner, Eduard Dr. Lippelt, Helmut Dr. Lischewski, Manfred Lohmann (Neubrandenburg), Götz-Peter Lohmann (Lüdenscheid), Wolfgang Lörcher, Christa Lösekrug-Möller, Gabriele Dr. Loske, Reinhard Lotz, Erika Lötzer, Ursula Louven, Julius Dr. Lucyga, Christine Dr. Luft, Christa Lüth, Heidemarie Dr. Luther, Michael Maaß (Herne), Dieter Maier, Pia Mante, Winfried Manzewski, Dirk Marhold, Tobias Mark, Lothar Marquardt, Angela Marschewski (Recklinghausen), Erwin Mascher, Ulrike Mattischeck, Heide Dr. Mayer (Siegertsbrunn), Martin Meckel, Markus Meckelburg, Wolfgang Mehl, Ulrike Dr. Meister, Michael Merten, Ulrike Merz, Friedrich Metzger, Oswald Michelbach, Hans Michels, Meinolf Moosbauer, Christoph Müller (Jena), Bernward Müller (Zittau), Christian Müller (Kirchheim), Elmar Dr. Müller, Gerd Müller (Völklingen), Jutta Müller (Köln), Kerstin Müller (Berlin), Manfred Müller (Düsseldorf), Michael Müntefering, Franz Nachtwei, Winfried Nahles, Andrea Naumann, Kersten Neumann (Bremen), Bernd Neumann (Gotha), Gerhard Neumann (Bramsche), Volker Nickels, Christa Niebel, Dirk Dr. Niehuis, Edith Dr. Niese, Rolf Nietan, Dietmar Nolting, Günther Friedrich Nooke, Günter Obermeier, Franz Oesinghaus, Günter Ohl, Eckhard Onur, Leyla Opel, Manfred Ortel, Holger Ost, Friedhelm Ostertag, Adolf Oswald, Eduard Otto (Frankfurt), Hans-Joachim Otto (Erfurt), Norbert Özdemir, Cem Palis, Kurt Papenroth, Albrecht Parr, Detlef Pau, Petra Dr. Paziorek, Peter Dr. Pfaff, Martin Pflug, Johannes Dr. Pick, Eckhart Pieper, Cornelia Pofalla, Ronald Polenz, Ruprecht Poß, Joachim Pretzlaff, Marlies Probst, Simone Dr. Protzner, Bernd Rachel, Thomas Dr. Ramsauer, Peter Rauber, Helmut Rauen, Peter Rehbock-Zureich, Karin Reichard (Dresden), Christa Reiche, Katherina Dr. Reimann, Carola Reinhardt, Erika von Renesse, Margot Rennebach, Renate Repnik, Hans-Peter Reuter, Bernd Dr. Rexrodt, Günter Dr. Richter, Edelbert Riegert, Klaus Riemann-Hanewinckel, Christel Robbe, Reinhold Romer, Franz Rönsch (Wiesbaden), Hannelore Ronsöhr, Heinrich-Wilhelm Dr. Rose, Klaus Röspel, René Dr. Rössel, Uwe-Jens Rossmanith, Kurt J. Dr. Rossmann, Ernst Dieter Roth (Gießen), Adolf Roth (Speyer), Birgit Roth (Heringen), Michael Dr. Röttgen, Norbert Dr. Ruck, Christian Rübenkönig, Gerhard Rühe, Volker Rupprecht, Marlene Sauer, Thomas Schäfer, Anita Dr. Schäfer, Hansjörg Schaich-Walch, Gudrun Dr. Schäuble, Wolfgang Schauerte, Hartmut Scheel, Christine Scheelen, Bernd Dr. Scheer, Hermann Scheffler, Siegfried Schemken, Heinz Schenk, Christina Scherhag, Karl-Heinz Dr. Scheu, Gerhard Schewe-Gerigk, Irmingard Schild, Horst Schily, Otto Schindler, Norbert Schlauch, Rezzo Schmidbauer, Bernd Schmidbauer (Nürnberg), Horst Schmidt (Mülheim), Andreas Schmidt (Meschede), Dagmar Dr. Schmidt (Weilburg), Frank Dr.-Ing. Schmidt (Halsbrücke), Joachim Schmidt (Eisleben), Silvia Schmidt (Aachen), Ulla Schmidt (Salzgitter), Wilhelm Dr. Schmidt-Jortzig, Edzard Schmidt-Zadel, Regina Schmitt (Berg), Heinz von Schmude, Michael Dr. Schnell, Emil Dr. Schockenhoff, Andreas Schöler, Walter Dr. Scholz, Rupert Schönfeld, Karsten Freiherr von Schorlemer, Reinhard Schreiner, Ottmar Dr. Schubert, Mathias Schulte (Hameln), Brigitte Schultz (Köln), Volkmar Schulz, Gerhard Schultz (Everswinkel), Reinhard Schulz (Leipzig), Werner Schur, Gustav-Adolf Schurer, Ewald Schüßler, Gerhard Schütze (Berlin), Diethard Dr. Schwaetzer, Irmgard Schwalbe, Clemens Dr. Schwall-Düren, Angelica Schwanitz, Rolf Dr. Schwarz-Schilling, Christian Sebastian, Wilhelm Josef Seidenthal, Bodo Dr. Seifert, Ilja Seiffert, Heinz Dr. h. c. Seiters, Rudolf Siemann, Werner Simm, Erika Simmert, Christian Singhammer, Johannes Dr. Skarpelis-Sperk, Sigrid Dr. Solms, Hermann Otto Dr. Sonntag-Wolgast, Cornelie Sothmann, Bärbel Spanier, Wolfgang Späte, Margarete Dr. Spielmann, Margrit Spiller, Jörg-Otto Dr. Stadler, Max Dr. Staffelt, Ditmar Steen, Antje-Marie Steiger, Wolfgang Steinbach, Erika Sterzing, Christian Stiegler, Ludwig Stöckel, Rolf Storm, Andreas Störr-Ritter, Dorothea Straubinger, Max Streb-Hesse, Rita Ströbele, Hans-Christian Strobl (Amberg), Reinhold Dr. Struck, Peter Stübgen, Michael Stünker, Joachim Tappe, Joachim Tauss, Jörg Teuchner, Jella Thiele, Carl-Ludwig Thönnes, Franz Titze-Stecher, Uta Töpfer, Edeltraut Trittin, Jürgen Türk, Jürgen Dr. Uhl, Hans-Peter Urbaniak, Hans-Eberhard Vaatz, Arnold Veit, Rüdiger Violka, Simone Vogt (Pforzheim), Ute Volmer, Ludger Voß, Sylvia Voßhoff, Andrea Wagner, Hans Georg Wegener, Hedi Dr. Wegner, Konstanze Weiermann, Wolfgang Weis (Stendal), Reinhard Weisheit, Matthias Weiß (Groß-Gerau), Gerald Weiß (Emmendingen), Peter Weißgerber, Gunter Weisskirchen (Wiesloch), Gert Dr. von Weizsäcker, Ernst Ulrich Welt, Jochen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2002 22567 (C) (D) (A) (B) Dr. Wend, Rainer Wester, Hildegard Dr. Westerwelle, Guido Westrich, Lydia Wettig-Danielmeier, Inge Dr. Wetzel, Margrit Widmann-Mauz, Annette Wieczorek (Duisburg), Helmut Wieczorek (Böhlen), Jürgen Dr. Wieczorek, Norbert Wiefelspütz, Dieter Wiese (Hannover), Heino Wiese (Ehingen), Heinz Wiesehügel, Klaus Wilhelm (Mainz), Hans-Otto Wilhelm (Amberg), Helmut Willsch, Klaus-Peter Wilz, Bernd Wimmer (Karlsruhe), Brigitte Wimmer (Neuss), Willy Wissmann, Matthias Wistuba, Engelbert Wittig, Barbara Wittlich, Werner Dr. Wodarg, Wolfgang Wohlleben, Verena Wöhrl, Dagmar Wolf, Aribert Wolf (München), Hanna Wolf (Frankfurt), Margareta Wolff (Wolmirstedt), Waltraud Wright, Heidemarie Wülfing, Elke Würzbach, Peter Kurt Zapf, Uta Zeitlmann, Wolfgang Zierer, Benno Zöller, Wolfgang Dr. Zöpel, Christoph Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 200222568 (C) (D) (A) (B) Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU Abgeordnete(r) Behrendt, Wolfgang** Bindig, Rudolf* Ernstberger, Petra** SPD SPD SPD Fuchtel, Hans-Joachim** Ganseforth, Monika** Dr. Köster-Loßack, Angelika** CDU/CSU SPD BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Raidel, Hans** Schloten, Dieter** Dr. Schuchardt, Erika** CDU/CSU SPD CDU/CSU * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an der 107. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Zukunft der deut- schen Auslandsschulen (Tagesordnungspunkt 12) Monika Griefahn (SPD): „Die Auslandsschulen spie- len bei der Vermittlung der deutschen Sprache und Kultur eine entscheidende Rolle.“ – Dieser Satz ist ein Zitat aus unserem Antrag zur auswärtigen Kulturpolitik vom letz- ten Jahr. Er hat nach wie vor Gültigkeit. Im Zuge der Haushaltskonsolidierung müssen wir – zu meinem Be- dauern – auch im Schulbereich mit Kürzungen umgehen. Und das zu einem Zeitpunkt, zu dem nochmals von allen Verantwortlichen die Bedeutung der Auslandsschulen so- wohl für den Studienstandort als auch den Wirtschafts- standort Deutschland betont wird. Doch schauen wir uns zunächst die Fakten an: In die- sem Jahr werden unter dem Strich 80 entsandte Auslands- lehrkräfte weniger vermittelt werden. Diese werden aller- dings durch qualifizierte Ortslehrkräfte ersetzt werden. Wir erreichen damit eine Ersparnis von rund 4,7 Millionen Euro im Schulfonds des Auswärtigen Amtes. An immerhin neun Schulen wird es darüber hinaus zusätzliche entsandte Lehrer geben. Dies wird in Ländern wie der Türkei, Nige- ria und Ägypten sein. Das sind für die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik und den Themenkomplex „Dialog der Kulturen“ keine unwichtigen Länder. Es ist im Sinne des oben genannten Zitats und nach den Ereignissen des letzten Herbstes sicher notwendig, sich gerade in islamisch geprägten Ländern stärker zu enga- gieren. Insofern ist die Erhöhung der Anzahl von Lehr- kräften in den genannten Ländern nur folgerichtig. Ich bin nicht überzeugt, dass ein qualitativ hoher Un- terricht an den deutschen Schulen im Ausland notwendi- gerweise nur von entsandten Lehrkräften geleistet werden kann, wie das zurzeit insbesondere bei der Anerkennung des Abiturs von der Kultusministerkonferenz gefordert wird. Vergessen Sie nicht, dass wir uns den Dialog der Kulturen auf die Fahnen geschrieben haben. Ortslehr- kräfte, die beides kennen – das Leben in Deutschland und in ihrem eigenen Land – haben eine ganz andere Motiva- tion, in einer deutschen Schule zu unterrichten. Sie sind sehr gut geeignet, den Schülern einen weiteren Blick zu zeigen und interkulturelle Horizonte zu öffnen. Außerdem sind viele der Ortslehrkräfte auch vor Ort ansässige Deutsche, die ihrerseits den Blick von beiden Seiten haben. In diesem Zusammenhang ist auch nicht einzusehen, dass eine entsandte Lehrkraft ein Vielfaches an Gehalt gegenüber dem einer Ortskraft erhält. Das Ge- halt muss stärker nach Angebot und Nachfrage, aber auch nach Attraktivität und Sicherheit des Schulstandortes aus- gerichtet werden. Die Auslandsschulen werden automatisch – auch durch die geringere Entsendung von Firmenkräften – zu Begeg- nungsschulen. Gerade das sollen wir auch fördern. Eine stärkere Kooperation der europäischen Länder und der Träger von Auslandsschulen ist zusätzlich nötig, um mehr Euro-Campus-Schulen zu entwickeln. Dann schaffen wir es, dem amerikanischen Angebot ein europäisches entge- genzusetzen und aktiv Studenten und damit Eliten aus ihren jeweiligen Ländern eine Anbindung an Deutschland und Europa zu bieten. Insbesondere in Schwellen- und Entwicklungsländern können durch eine intensivere Zusammenarbeit mit Ver- tretern der deutschen Wirtschaft die berufsbildenden Zweige ausgebaut und damit eine erhöhte lokale Nach- frage nach Absolventen des dualen Systems angeregt wer- den. Das wäre meiner Auffassung nach ein Schritt in die richtige Richtung und ein gutes Beispiel für „public-pri- vate-partnership“ in der auswärtigen Kulturpolitik. Für die Förderung internationaler Kontakte und Aus- tauschaktivitäten im Schulbereich erhält der Pädagogi- sche Austauschdienst der Kultusministerkonferenz För- dermittel aus der auswärtigen Kulturpolitik. Seine Schwerpunkte sind die Pflege von Schulpartnerschaften, die Weiterbildung von Ortskräften sowie Besuchspro- gramme für ausländische und deutsche Schüler. Der Pädagogische Austauschdienst fördert Toleranz und ge- genseitiges Verständnis. Er ist für die Grundlagen inter- nationaler Dialogbereitschaft entscheidend, weil er jun- gen Menschen ermöglicht, sich mit anderen Vorstellungen und Werten auseinander zu setzen. Das trägt auch dazu bei, Anstöße für Demokratieentwicklung zu liefern. Wir haben damit ein gutes Netz internationaler Zusammenar- beit im Schulbereich. Kommen wir zu einem zentralen Anliegen der auswär- tigen Kulturarbeit im Allgemeinen und der Schulen im Besonderen: Die Förderung der deutschen Sprache im Ausland ist nach wie vor eine der höchst dotierten Einzel- aufgaben der auswärtigen Kulturpolitik. Auch wenn die Nachfrage nach Deutschunterricht weltweit stark bleibt und in einigen Ländern sogar steigt, so wird Deutsch im- mer mehr vom Englischen verdrängt. In der Computer- sprache und im Internet hat sich Englisch als Mittel der Verständigung etabliert, auch wenn der deutsche Anteil im Internet weiter wächst. Auch in den Naturwissen- schaften hat Deutsch längst seinen Stellenwert als inter- nationale Wissenschaftssprache verloren. Vor diesem Hin- tergrund müssen wir weiter versuchen, Deutsch international als eine zweite Fremdsprache zu etablieren. Die Konzentration der zur Verfügung stehenden Ressourcen auf Schwerpunktregionen wie zum Beispiel die mittel- und osteuropäischen Staaten und die GUS einerseits und Multi- plikatoren andererseits – ohne die notwendige Unterstüt- zung des Deutschunterrichts außerhalb von Schwerpunktre- gionen zu vernachlässigen – hat nach wie vor Priorität. Die Begegnung der Kulturen ist die Chance des 21. Jahrhunderts. Im Zeitalter der Globalisierung bietet die Kommunikation zwischen den Kulturen die Chance für friedliche Kooperation, für Konfliktvermeidung und verständnisorientierten Dialog. Die Vereinten Nationen hatten das vergangene Jahr 2001 als das „Internationale Jahr des Dialogs zwischen den Kulturen“ ausgerufen. Dies ist dem Deutschen Bundestag eine besondere Ver- pflichtung. Der gegenseitige Austausch, das Verstehen des anderen, der Respekt vor anderen Kulturen, Gebräu- chen und Sitten, das gegenseitige Geben und Nehmen, also die vom Auswärtigen Amt so genannte „Zweibahn- straße“, ist der Weg, der in Zukunft verstärkt in der inter- nationalen Zusammenarbeit gegangen werden muss. Es muss in der auswärtigen Kulturpolitik verstärkt da- rum gehen, die Zivilgesellschaft, ihre Institutionen und vielfältigen Verbindungen und Netzwerke als Basis der internationalen Kulturbeziehungen zu fördern. Beziehun- gen zwischen verschiedenen Ebenen der Zivilgesellschaft können unterhalb der politischen und diplomatischen Ebene Türen zum gegenseitigen Verständnis und zu ver- besserter Kommunikation öffnen und bereits dort kon- fliktverhindernd wirken. Die deutschen Auslandsschulen spielen hierbei die Rolle der „ersten Instanz“. Hier kom- men junge Menschen – vielfach zum ersten Mal – in Kon- takt mit Deutschland und seiner Kultur. Deshalb sind die Schulen der Türöffner für die Auseinandersetzung mit Deutschland und allem, was es ausmacht, und wirken prä- gend für die Sozialisation – auch in der Frage des Studiums, ob Schüler sich für Europa oder die USA entscheiden. Unterschiedliche kulturelle Ansätze und die Diversität der Kulturen erfordern neue Möglichkeiten der Begeg- nung, wobei kulturelle Orientierungen als Regulativ für ei- nen neuen globalen Gesellschaftsvertrag dienen können. Die Vielfalt der Kulturen muss als Ressource der aus- wärtigen Kulturpolitik und damit auch der Auslandsschu- len betrachtet werden. Deshalb sind Begegnungsschulen und Euro-Campus-Schulen so wichtig. Neben dem Kos- tenargument bieten sie die Chance zu einem wirklichen Austausch. Hier bestehen neue Möglichkeiten des deut- schen Auslandsschulwesens. Wenn schon die Goethe-Ins- titute Partnerschaften mit europäischen Ländern einge- hen, gemeinsam Häuser und andere Ressourcen nutzen, Personal mit dem Auswärtigen Amt austauschen und sich auch sonst viel einfallen lassen, um den Kostendruck kreativ umzusetzen, dann sehe ich nicht, warum das bei den Schulen nicht auch gelingen soll. Ich glaube, dass auf diese Weise die Folgen der gesun- kenen Mittel im Schulfonds aufgefangen werden können. Ich glaube auch, dass es wichtig und richtig ist, dass die Auslandsschulen nicht nur – wie auch immer – auf Deutschland vorbereiten und Wissen über Deutschland vermitteln, sondern das es in der Zukunft vielmehr darauf ankommt, dem Prinzip der „Zweibahnstraße“ gerecht zu werden. Der Bergriff „Begegnungsschule“ müsste des- halb eigentlich zu „Begegnungs- und Austauschschule“ erweitert werden. Hier liegt der eigentliche Kern deutscher Auslands- schularbeit: Junge Menschen zu verantwortlichen, kultu- rell übergreifend denkenden Personen heranzubilden, bei denen Verantwortung und Toleranz lebendig erlebte Be- griffe sind. Deshalb halte ich die Form der Begegnungs- schule für wichtig. Weitere Gründe sind, entsprechend ausgebildete Menschen für deutsche Unternehmen auszu- bilden oder emotionale Bindungen an Deutschland zu schaffen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2002 22569 (C) (D) (A) (B) Der Antrag der Union, der hier zur Debatte steht, ist mir deshalb etwas zu einseitig ausgerichtet. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen der CDU und CSU, ganz lo- gisch ist es nämlich nicht, dass Sie in Ihrem Antrag for- mulieren, dass die deutschen Auslandsschulen „den deut- schen Unternehmen im Ausland qualifizierte, sprach- kundige und bikulturell ausgebildete Mitarbeiter ... ver- mitteln, die auch die wirtschaftlichen Beziehungen durch emotionale Bindungen zu Deutschland zeitlebens fördern werden“, und Sie aber gleichzeitig die Regelung im Zu- wanderungsgesetz ablehnen, für Studenten in Deutsch- land die Arbeitsmöglichkeiten sowohl während als auch nach dem Studium zu erleichtern. Ich plädiere lieber dafür, dass die Gesamtrichtung der auswärtigen Kulturpolitik, nämlich die dialogische Aus- richtung der Politik, in den Schulen anfängt. Dies müssen wir weiter unterstützen. Allerdings geht es hier um Fragen der Qualität und nicht nur um Quantität. Natürlich ist auch die Qualität nur mit entsprechenden Mitteln und Personal zu halten. Aber mir ist noch nicht bange um die gute Arbeit der Auslandsschulen. Auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten haben die Lehrer der Auslandsschulen immer hohes Engagement gezeigt und waren immer bereit und in der Lage, durch ihren persön- lichen Einsatz Entwicklungen aufzufangen. Und mir ist auch nicht bange bei den engagierten Schulvereinen, die Gott sei Dank auch noch von Eltern und örtlichen Firmen getragen werden. Das heißt nicht, dass wir getrost die Lasten auf die Leh- rer und andere abwälzen können. Natürlich steht der Bund hier in einer Verantwortung. Auch die Kooperation von Einrichtungen vor Ort kann noch verbessert werden. Ich möchte nur feststellen, dass ich bei meinen Besuchen von Auslandsschulen immer hochmotivierte Menschen vor- gefunden habe, die ihre Sache mit Elan und Begeisterung getragen haben. Ich sehe die Zukunft des Auslandsschul- wesens deshalb optimistischer als die Kolleginnen und Kollegen von der Opposition. Eines darf allerdings wirklich nicht passieren: Dass die deutschen Auslandsschulen zu Kaderschmieden der deut- schen Wirtschaft werden. Trotz aller hier und da notwen- digen und richtigen Kooperation mit Unternehmen sind die deutschen Schulen ein Aushängeschild für Deutsch- land, seine Kultur, seine Geschichte, seine Politik und seine Gesellschaft. Sie haben meiner Meinung nach einen Bildungs- und einen Ausbildungsauftrag. Sie sind Kultur- vermittler und das sollen sie auch bleiben. Dr. Heinrich Fink (PDS): Die finanzielle Situation oder in diesem Falle die „Zukunft der deutschen Aus- landsschulen“ stand in der jüngeren Vergangenheit hier schon mehrfach in Rede – zumeist in ihrer Eigenschaft als Bestandteil der auswärtigen Kulturpolitik. Es hat dabei niemanden gegeben, der ihre Rolle nicht zu würdigen ge- wusst hätte. Ich habe noch gut eine Rede des Außenministers zum Thema Auslandskultur – gehalten im Juli 2000 – im Ge- dächtnis. Man könne die Bedeutung der deutschen Bil- dungs- und Kulturinstitute im Ausland gar nicht über- schätzen, ließ er uns damals wissen. Wörtlich: Wir müssen sie – die deutschen Schulen im Ausland – in die Lage versetzen, noch mehr als bisher als Orte der Begegnung zweier Kulturen in die Gastländer auszustrahlen. Deshalb brauchen wir auch hier mehr Geld. Nun, wie wir inzwischen wissen, ging sein Wunsch, der mindestens genau so sehr der unsrige – der der Oppo- sition – war, nicht in Erfüllung. Schlimmer noch, es gab durchaus schmerzhafte Einschnitte. Und sie sollen sich, wie in den Haushaltsplänen nachlesbar ist, in den nächs- ten Jahren fortsetzen. Man habe die Auslandsschulen von den allgemeinen Sparzwängen nicht ausschließen kön- nen, hörten wir schon damals vom Außenminister. Seinerzeit waren es allgemeine Sparzwänge. Jetzt sind vermutlich noch besondere hinzugekommen, geschuldet dem so genannten Krieg gegen den Terror. Um einmal die Relationen zu verdeutlichen: Allein die fragwürdigen Einsätze am Horn von Afrika und auf der Arabischen Halbinsel lässt sich Deutschland jeden Monat soviel kos- ten wie den deutschen Auslandsschulen im Jahr gestri- chen wird. Ich denke, ich habe dabei eher unter- als über- trieben. Deshalb mein Vorschlag: Holen Sie die deutsche Marine vor Djibouti und Somalia nach Hause und lassen Sie das dadurch gesparte Geld den Lehrern der deutschen Schulen. Wäre es nicht besser, man lernte in Afrika den Klang eines deutschen Kanons kennen als den Klang deutscher Kanonen? Sosehr ich also die Grundrichtung an dem vorliegen- den Antrag der CDU/CSU unterstreiche – in der Konse- quenz, woher das Geld für seine Realisierung leicht zu nehmen wäre, haben wir, die PDS, und sie, die CDU/CSU, gewiss diametrale Vorstellungen. Allein durch den Verzicht auf die Anwendung von oder Drohung mit militärischer Gewalt in den internationalen Beziehun- gen würden genügend Mittel frei, um den deutschen Schulen auf Dauer den im Antrag geforderten Stellenwert zu sichern bzw. deutlich zu erhöhen. Genau dieser Gedanke ist es übrigens auch, den ich un- ter den Zielen der Auslandsschulen, die der Antrag auflis- tet, vermisse. Denn wenn schon Ziele genannt werden, dann gehört in eine Reihe neben die Vermittlung von Grundprinzipien der Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte unbedingt auch die Erziehung zu Frie- den und Gewaltverzicht. Andererseits denke ich, dass es keineswegs die Aufgabe dieser Schulen sein sollte, zur – wie Sie es bezeichnen – Elitenbildung beizutragen. De- ren tieferer Sinn ist es doch offenbar, im Gastland eine Lobby für die deutsche Wirtschaft zu schaffen. Oder was verbirgt sich sonst hinter der Bezeichnung „Sympathie- träger für Deutschland“? Deshalb bin ich zurückhaltend gegenüber der im An- trag formulierten Aufforderung an die Bundesregierung, in Sachen Auslandschulen stärker „mit den Ländern und der Wirtschaft zusammenzuarbeiten“. Ich denke, die In- teressen der deutschen Exportwirtschaft sind, vorsichtig ausgedrückt, nicht kongruent mit einigen Aspekten des auch hier formulierten Bildungsauftrages und würden Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 200222570 (C) (D) (A) (B) dessen Unabhängigkeit wie die des Lehrers erheblich ein- schränken. Und was die Länder betrifft, so verstehe ich die For- mulierung als Aufforderung zu finanziellen Zuwendun- gen. Den reichen, also im Prinzip den Geberländern im Länderfinanzausgleich wäre da sicher einiges möglich, den Nehmerländern umso weniger. Das Ergebnis eines derartigen Differenzierungsprozesses fände ich nicht be- grüßenswert. Schließlich möchte ich die Antragsteller fragen, was sich hinter ihrer Forderung verbirgt, die Besoldung der Lehrer stärker nach Ländern und Regionen zu differen- zieren. Ich habe da zwar Vermutungen, denke aber, dass es nicht unbillig ist, etwas mehr Konkretheit zu verlangen, wohin die Reise gehen soll. Im Ganzen gesehen begrüße ich es trotz meiner Ein- wände, dass der Antrag die Gelegenheit bietet, die Situa- tion der Auslandsschulen zu erörtern und somit zu ihrer Verbesserung beitragen zu können. Sie sind und bleiben eine wichtige Komponente des friedlichen Dialogs und des Austauschs kultureller Werte und verdienen es schon von daher nicht, zur Spielmasse auf dem Tisch des Fi- nanzministers zu werden. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Nachhaltige Wasserwirtschaft in Deutschland (Tagesordnungspunkt 13) Marlene Rupprecht (SPD): Die SPD-Bundestags- fraktion will mit ihrem Antrag „Nachhaltige Wasserwirt- schaft in Deutschland“ für nachwachsende Generationen weiterhin den freien Zugang zu sauberem Trinkwasser sicherstellen. Wir sind der Auffassung – in Übereinstim- mung mit den EU-Wasserrahmenrichtlinien –, dass das Lebensmittel, ohne das wir nicht überleben können, keine übliche Handelsware ist. Es darf nicht den uneinge- schränkten Kräften des Marktes preisgegeben werden. Wir haben in Deutschland eine flächendeckend hohe Versorgungssicherheit und eine hohe Trinkwasserqualität, die jedem internationalen Vergleich standhält. Wasser soll dauerhaft mit dem minimalst notwendigen Aufwand auf- bereitet werden. Deshalb muss Gewässer- und Grund- wasserschutz oberste Priorität behalten. Kooperation mit der Landwirtschaft oder Ausweisungen von Wasser- schutzgebieten dienen der Erhaltung der Ressource. Wenn doch bisher in vielen Bereichen der Wasserver- sorgung hohe Qualitätsstandards bestehen – dies hat die Weltbank bei einer Bereisung der Bundesrepublik festge- stellt –, weshalb jetzt dieser Antrag? Weil wir mit den meis- ten Beteiligten, Ländern, Gemeinden und Versorgungsun- ternehmen, der Meinung sind, dass es große Potenziale zur Effizienzsteigerung im Bereich der Wasserwirtschaft gibt. Wir plädieren für Modernisierung, aber nicht für Li- beralisierung der Wasserversorgung. Wasser ist zu kost- bar, um es der Deregulierung auszuliefern. Morgen ist der Weltwassertag, der Entwicklung und Wasser zum Thema hat. Auf diesem Gebier bietet sich der deutschen Wasserwirtschaft ein weites Feld, in das sie ihre technischen und organisatorischen Erfahrungen ein- bringen kann. Die rechtlichen Rahmenbedingungen wol- len wir hierfür schaffen. Ein Weiterbildungs- und Ausbildungsprogramm im Rahmen von Partnerschaften muss entwickelt werden. Dies sollte neben den technischen auch betriebswirt- schaftliche, organisatorische, juristische und politisch-ad- ministrative Kenntnisse vermitteln. Dass der deutsche Ex- port von Technik im Bereich Trinkwasser vor allem im Zusammenhang mit Entwicklungsprojekten ausgebaut werden sollte, dient nicht nur unserer heimischen Wirt- schaft. Er trägt auch dazu bei, dass Menschen in Regionen ohne funktionierende Trinkwasserversorgung endlich Zu- gang zum lebensnotwendigen und gesunderhaltenden Le- bensmittel erhalten. Wir können mit einer nachhaltigen Wasserwirtschaft dazu beitragen. dass es keine Kriege um das „blaue Gold“ geben wird. Auf europäischer Ebene wollen wir, dass Ent- scheidungen über Strukturen und Organisationsformen der Wasserwirtschaft in alleiniger Verantwortung der Länder bleiben. Wir sehen Wasserpolitik als originäre Aufgabe der Daseinsvorsorge der Kommune. Wir brauchen keinen Wettbewerb auf dem und um den Markt der Versorgungs- gebiete. Was wir aber brauchen, ist ein Wettbewerb um die beste Qualität des Trinkwassers und hierzu sind alle aufge- rufen: Wasserwirtschaftsunternehmen, Wirtschafts-, Um- welt-, Landwirtschaft-, Verkehrspolitik und Verbraucher. Hubertus Heil (SPD):Moderne Politik verträgt keine Ideologie; dieses gilt vor allem für moderne Wirtschafts- politik. Nun mag es ja den einen oder anderen in diesem Hause geben, der in Bezug auf Wettbewerbspolitik dem einen oder andrem Extrem anhängt: Es gibt diejenigen – und hier schaue ich in Richtung PDS –, die Wettbewerb grundsätzlich ablehnend bis kritisch bewerten, ohne die Chancen zu begreifen, die sich in vielen Sektoren erst durch Wettbewerb eröffnen. Genauso gibt es in diesem Hause diejenigen – und hier schaue ich in Richtung FDP –, die Wettbewerb als Selbstzweck betrachten und ihn für alle Bereiche fordern, auch für Sektoren, in denen Libe- ralisierung offensichtlich mehr Risiken als Chancen mit sich bringt. Wir Sozialdemokraten vertreten auch wirt- schaftspolitisch einen Kurs der Mitte: Wettbewerb überall dort, wo möglich; öffentliche Begrenzung des Wettbe- werbs, wo dieses geboten sein sollte. Es gibt Wirtschaftssektoren in unserer sozialen Markt- wirtschaft, die in den letzten Jahren liberalisiert wurden. Wir Sozialdemokraten bekennen uns zum Wettbewerb unter anderem bei Telekommunikationsdiensten, beim Strom und beim Gas. Wettbewerb in diesen Bereichen ist für uns kein Selbstzweck, sondern der wirtschaftlich ver- nünftige, weil effizienteste Weg, in diesen Bereichen Ange- bot und Nachfrage zu organisieren. Hier konnten und kön- nen im Interesse der Verbraucher, der Wirtschaft und unserer Volkswirtschaft insgesamt Kosten gesenkt und technische Innovationen befördert werden. Aber jeder Wirtschaftssek- tor hat seine eigenen Bedingungen. Wir müssen uns fragen, was unter dem Gebot der Nachhaltigkeit – also Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2002 22571 (C) (D) (A) (B) wirtschaftlich, sozial und ökologisch – im Interesse des Gemeinwohls sinnvoll und geboten ist. Für eine nachhaltige Wasserwirtschaft sagen wir: Eine Liberalisierung, also eine Streichung des in §103 b des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkung vorgesehenen Vorbehalts in Bezug auf die Wasserversorgung, wie sie in anderen Bereichen der Energiepolitik sinnvoll war, wäre falsch. Die hohe Güte des Trinkwassers und die hohe Ver- sorgungssicherheit in Deutschland sind international an- erkannt. Dies soll auch dauerhaft so bleiben. Das Um- weltbundesamt äußerte in seinem Gutachten aus dem November 2000 „Liberalisierung der deutschen Wasser- versorgung“ erhebliche Bedenken hinsichtlich der Frage, ob dieses bei einer Liberalisierung noch gewährleistet wäre. Wasser ist, im Gegensatz zu Strom, nicht über län- gere Distanzen durchleitbar, ohne dass es zu Qualitäts- verlusten kommt. Insofern müssen für das Gut Wasser an- dere Gesetze gelten. Unser Antrag macht aber deutlich: Trotz des erreichten hohen Qualitätsstandards bestehen in Deutschland große Potenziale für die Steigerung der Effizienz und für die Modernisierung im Bereich der Wasserwirtschaft. Daher regen wir eine Strategie zur Erneuerung der deutschen Wasserwirtschaft an, damit sie langfristig ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Kriterien in hohem Maße entspricht. Verbesserte Kooperation und moderne Managementstrategien sind hierbei wichtige Instrumente. Dabei ist es uns auch ein Anliegen, die Rahmenbedingun- gen für den Ausbau der Potenziale zum Technik- und Know-how-Export im Bereich der Wasserwirtschaft zu verbessern. Hier schließt sich der Kreis zum heutigen „Tag des Wassers“, der dieses Jahr unter dem Motto „Wasser und Entwicklung“ steht: Nicht nur national, auch international müssen wir unsere Verantwortung wahrnehmen, Men- schen den Zugang zu sauberem Trinkwasser zu schaffen und zu sichern. Weltweit hat ein Fünftel der Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Investitionen von etwa 100 Milliarden Dollar jährlich wären nötig, um hier spürbare Verbesserungen zu erreichen. Deutschland ist bereits der größte europäische Geldgeber für Entwick- lungsprojekte im Wassersektor. Die deutsche Wasserwirt- schaft engagiert sich in vielen Regionen der Welt. Auf der Internationalen Süßwasserkonferenz im De- zember vergangenen Jahres in Bonn wurden diese The- men intensiv diskutiert. Im Hinblick auf den Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg im Septem- ber und darüber hinaus sollten wir die jetzige Diskussion um die nachhaltige Wasserwirtschaft nutzen, um die be- stehenden öffentlichen und privaten Initiativen auszu- bauen und unser System einer oft kleinräumigen, durch eine vielfältige Mischung aus öffentlicher und privater Versorgung charakterisierten Wasserwirtschaft zu opti- mieren und als flexibles Modell für die ärmeren Regionen dieser Welt anzubieten. Unser Ziel ist es, die hohe Wasserqualität in Deutsch- land zu erhalten und gleichzeitig die Exportförderung deutscher Wasserver- und -entsorgungstechnologie durch Schaffung von effizienten, kundenorientierten Dienstleis- tungsunternehmen zu verbessern. Wir sagen für die deut- sche Wasserwirtschaft Ja zur Modernisierung, aber Nein zu einer Liberalisierung in diesem Sektor. Max Straubinger (CDU/CSU): Vor zwei Monaten wurde die Thematik bereits schon einmal im Plenum be- handelt, die Verunsicherung bei Bürgern und Gemeinden ist geblieben. Darauf will ich gleich noch näher eingehen. Zunächst möchte ich an dieser Stelle aber nochmals ausdrücklich betonen, dass Wasser unser Lebensmittel Nummer eins darstellt und es sich hinsichtlich der Trink- wasserqualität sowie des Gesundheitsschutzes der Bevöl- kerung für Experimente nicht eignet. Die bislang hohe Versorgungssicherheit, die Zahl von Wasserschutzgebieten, die hervorragende Qualität sowie die ökologische Grundlage sind Ausdruck dafür, dass sich die deutsche Wasserversorgung international in der ersten Liga befindet. Diese Spitzenstellung darf keinesfalls durch ein „Herumdoktern“ gefährdet werden, das sich je- doch aufgrund der Bestrebungen der EU, den Wasser- markt zu liberalisieren, abgezeichnet hat. Glücklicher- weise konnten auf Drängen von CDU und CSU sowie der Bayerischen Staatsregierung die zunächst sehr weit rei- chenden Liberalisierungsforderungen, auf die ich jetzt nicht mehr näher eingehen möchte, entschärft werden. Leider muss ich hier erneut an das von der Bundesregie- rung durch Bundeswirtschaftsminister Müller in Auftrag gegebene Gutachten erinnern, das prüfen sollte, wie der deutsche Wassermarkt liberalisiert werden könnte. Darin wurden ja bekanntlich die Streichung des Gebietsmono- pols, die Abschaffung der Konzessionsabgaben sowie flankierende Maßnahmen zur Herstellung eines freien Marktes, zum Beispiel durch einen Zwang zur öffentli- chen Ausschreibung von Wasserversorgungsdienstleis- tungen als mögliche Maßnahmen genannt. Angesichts des erreichten hohen Standards der Was- serwirtschaft in Deutschland und des angestrebten euro- päischen Gleichschritts gibt es allerdings nach Meinung der Union keine Notwendigkeit, hierzulande besonders übereifrig zu agieren. Ich hatte in meinem Debattenbei- trag vom 25. Januar dieses Jahres die Bundesregierung aufgefordert, die eingangs erwähnte Verunsicherung der Bevölkerung durch ein klares Wort zu beenden. Da die Bundesregierung jedoch den Liberalisierungstendenzen auf dem Gebiet der Wasserwirtschaft bislang keine offene und klare Absage erteilt hat und zum Antrag der Fraktio- nen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen noch nichts verlauten ließ, muss man befürchten, dass es weiterhin Bestrebungen in Richtung Liberalisierung gibt. Offen- sichtlich scheut sich die Bundesregierung aufgrund der nahenden Bundestagswahl, eindeutig Stellung zu bezie- hen und ihre Pläne bekannt zu geben. Ich kann feststellen: Eine völlige Öffnung des Marktes kann und wird es mit der Union nicht geben. Völlige Liberalisierung nein – Privatisierungen in Verantwortung der Kommunen, wie sie beispielsweise in Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen im Hinblick auf die Ausnutzung von Synergieeffekten genutzt werden, ja. Unter den eben genannten sinnvollen Kooperations- möglichkeiten verstehe ich die Zusammenarbeit mit pri- vaten Partnern nur dann, wenn diese fachkundig, leis- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 200222572 (C) (D) (A) (B) tungsfähig und vertrauenswürdig sind. Eine sorgfältige Vertragsgestaltung ist dabei unabdingbar. Die Entschei- dung darüber, und das möchte ich an dieser Stelle aus- drücklich betonen, soll allein bei den Kommunen bzw. den betroffenen Bürgern bleiben. Ebenso will ich nochmals schlagwortartig die wesent- lichen Gefahren und Risiken einer völligen Marktöffnung nennen: Schwächung der kommunalen Selbstverwaltung, Verringerung des Einflusses der Bürger und Gemeinden auf „ihre“ Wasserversorgung, Erhöhung des staatlichen Regulierungsbedarfes und damit des Verwaltungsaufwan- des, keine Garantie hinsichtlich Preisstabilität – siehe Er- fahrungen im Ausland, Frankreich und Großbritannien –, Qualitätsminderung und Verlust des ökologischen Stan- dards – siehe Ausland –, Schwächung des Regionalitäts- prinzips und schließlich technische und rechtliche Pro- bleme in den Leitungsnetzen bei Mitbenutzung und Durchleitung durch Dritte. Damit keine Missverständnisse entstehen: Wir be- grüßen und unterstützen selbstverständlich die Moderni- sierungsschritte der Kommunen, damit eine hochwertige Trinkwasserversorgung mit günstigen Wasserpreisen dau- erhaft zur Verfügung steht. Es bleibt zu hoffen, dass sich die im vorliegenden An- trag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen enthaltenen Forderungen und die Hinweise auf die genannten Gefah- ren einer Liberalisierung auch im Bundeswirtschaftsminis- terium nachhaltig ernst genommen werden. Wobei ich mich ernsthaft frage, ob die SPD diesen Antrag überhaupt selbst noch ernst nimmt: Wie die laufenden Beratungen zum Wasserhaushaltsgesetz zeigen, werden auf die Kom- munen weitere Erschwernisse zukommen. Die EU-Richt- linie wird nicht 1:1 umgesetzt. Damit werden zusätzliche Belastungen auf die deutsche Wasserwirtschaft zukom- men. Weder wird die Wettbewerbsfähigkeit noch die kommunale Selbstverwaltung, die im vorliegenden An- trag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen immer so stark herausgestellt und gefordert wird, gewährleistet. In ihrem zur Debatte stehenden Antrag fordern SPD und Bünd- nis 90/Die Grünen die Bundesregierung unter II.1 auf: „Ziel dieser Strategie muss die Schaffung von effizienten, kundenorientierten und wettbewerbsgerechten Dienstleis- tungsunternehmen sein, die sich einer nachhaltigen Was- serwirtschaft verpflichtet fühlen. Kernstück muss die För- derung von Kooperationen bis hin zu Fusionen zwischen benachbarten Wasserver- und entsorgungsunternehmen sein“, und unter II.2 wird die „kommunale Entschei- dungshoheit“ zu erhalten gefordert. Ich frage Sie, wie diese Forderungen mit dem konkreten Gesetzgebungsver- fahren zum Wasserhaushaltsgesetz zu vereinbaren sind. In den Ausschusssitzungen haben gestern SPD und Bündnis 90/Die Grünen einen Änderungsantrag zum Ent- wurf der Bundesregierung zur Änderung des Wasserhaus- haltsgesetzes eingebracht. Darin wird gefordert, dass zukünftig der Wasserbedarf der öffentlichen Wasserver- sorgung vorrangig aus ortsnahen Wasservorkommen zu decken ist. Erstens ist diese Gesetzesformulierung ein ein- deutiger Verstoß gegen die kommunale Selbstverwaltung und zweitens würde eine derartige gesetzliche Knebelung der Kommunen nichts zur erwünschten Effizienzsteige- rung bzw. Kundenorientiertheit unserer Wasserversor- gungsanlagen beitragen. Dieses Vorgehen zeigt sehr deutlich, dass SPD und Bündnis 90/Die Grünen nicht bereit sind, ihren Antrag in der aktuellen Gesetzgebung zu vertreten und der Antrag offensichtlich nur wegen des Kommunalwahlkampfes in Bayern eingebracht wurde. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wasser und Luft zählen zu den Ressourcen, denen wir im Alltag am wenigsten Beachtung schenken. Für uns in Deutschland ist es eine Selbstverständlichkeit, jederzeit reines, klares und schmackhaftes – eben lebendiges – Wasser aus dem Hahn trinken zu können. Darüber denken wir gar nicht lange nach. Doch diese Selbstverständlichkeit gilt nicht überall. Morgen haben wir den Welt-Wasser-Tag der Vereinten Nationen – und wenn wir noch lange reden, rutschen wir geradezu in diesen Welt-Wasser-Tag hinein –, deshalb sollten wir heute auch darüber reden. Mehr als 1 Milliarde Menschen auf der Welt hat kein sauberes Wasser. Bis 2025 werden es – wenn wir den Trend nicht umkehren – bis zu 3 Milliarden Menschen sein. Und wir reden hier nicht über die typischen Dürrezo- nen wie Eritrea oder Sambia, wo über 90 Prozent der Be- völkerung keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser ha- ben. Nein, das betrifft auch eigentlich wasserreiche Staaten wie Puerto Rico – immerhin amerikanisches Ter- ritorium – Haiti oder Afghanistan, wo die Abwasserbrühe der Industrie das Wasser verdirbt oder Krieg den Zugang verhindert. Weltweit werden gerade einmal 5 Prozent der Abwässer gereinigt. Ich denke, die deutsche Wasserwirtschaft wäre gut be- raten, sich stärker als bisher, rasch und intensiv in den Aufbau der Wasserversorgung und der Abwasserreini- gung in solchen Staaten einzubringen. Mit ihrem Know- how, mit ihren finanziellen und materiellen Ressourcen könnte sie sich für das Wohl der Menschen dort einbrin- gen. Sie könnte den Grundstein für internationale Koope- ration und für einen künftigen Export von Umweltschutz- technologie legen. Das wäre ein guter Beitrag zur Nachhaltigkeitsstrategie. Denn für was steht die deutsche Wasserwirtschaft? Sie steht für hohe Versorgungssicherheit, hohe Trinkwasser- qualität und hohe Abwasserreinigungsstandards. Die Wasserver- und Abwasserentsorgung in Deutschland ist, weltweit betrachtet, vorbildlich und modellhaft: 99 Pro- zent aller Haushalte sind an die öffentliche Wasserversor- gung angeschlossen, 95 Prozent an die Kanalisation und 93 Prozent an eine Kläranlage. Das haben wir der deutli- chen Dominanz der öffentlichen Hand bei der Wasserver- sorgung zu verdanken. Das ist die historische Leistung der überwiegend kommunalen Wasserbetriebe. Wir warnen daher vor einer schnellen Privatisierung, schon gar, wenn damit einzig und allein ein „schneller Euro“ für die Haushaltskonsolidierung gewonnen werden soll. Es darf nicht sein, dass eine Kommune das Steuer völlig aus der Hand gibt. Diejenigen Kommunen betrei- ben keine nachhaltige Wasserwirtschaft für Bürger und Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2002 22573 (C) (D) (A) (B) Umwelt, sondern handeln sich nur eines ein: nachhaltigen Ärger. Es darf nicht sein, dass eine Öffnung des Marktes zu Einbußen im Gewässer- oder Grundwasserschutz führt. Das alles ist aber nicht allein eine Sache der Rechtsform. Jede Kommune muss daher ausführlich über Chancen und Risiken einer Privatisierung aufgeklärt werden. Das Für und Wider muss sorgfältig abgewogen werden. Sie muss auch bei einer Privatisierung ihre Kontrollfunktion behal- ten und dafür geeignete Rahmenbedingungen setzen. Denn die Gemeinde ist es, die ein natürliches Interesse am flächendeckenden Grundwasserschutz hat – Nähe schafft Verantwortung. Zwar ist eine Fernwasserversorgung nicht per se schlecht, in Ballungsräumen und wasserarmen Regionen mitunter auch notwendig – aber sie darf nicht wie zum Beispiel in der Region Stuttgart geschehen, dazu führen, dass nach dem Anschluss an die Bodensee-Fernwasser- versorgung die lokalen Brunnen vernachlässigt und dann geschlossen wurden. Deshalb haben wir auch den Vorrang der ortsnahen Trinkwassergewinnung in die 7. Novelle des Wasserhaushaltsgesetzes hineingeschrieben. Trink- wassergewinnung und Grundwasserschutz sind so un- trennbar miteinander verbunden. Wir brauchen – das ist das Ziel unseres Antrags – ein starkes Signal in Richtung einer nachhaltigen Wasserwirt- schaft. Das Leitbild der nachhaltigen Wasserwirtschaft er- möglicht und bedeutet eine dauerhafte Wasserentnahme ohne ökologische Nachteile und einen dauerhaften Ver- brauch zu sozial verträglichen und ökonomisch angemes- senen Preisen. Das Vorsorgeprinzip ist der „Königsweg der Umwelt- politik“. Doch wer sollte bei einem grenzenlosen Wettbe- werb noch auf Gemeinnutz und Umweltschutz achten? Das Ziel – sauberes, reines Wasser in ausreichender Menge auch für nachfolgende Generationen – lässt sich nur durch einen ressourcenschonenden Umgang durch die heu- tige Generation verwirklichen. Dazu brauchen wir eine sta- bile und leistungsfähige Wasserwirtschaft: Wir wollen die steuerliche Gleichbehandlung von Wasser- und Abwasser- betrieben bei reduziertem Steuersatz sowie die Schaffung größerer, auch international handlungsfähiger Betriebsein- heiten. Vor allem wollen wir aber eine Modernisierung der Wasserwirtschaft durch mehr regionale Kooperation. Doch wäre das alles nichts, würden wir nicht den Ge- bietsschutz für die Wasserversorgung beibehalten. Das unverantwortliche Gerede von der Liberalisierung der deutschen Wasserwirtschaft muss ein Ende haben. Die Einspeisung von Wässern unterschiedlicher Herkunft und Zusammensetzung ist unvertretbar. Sie wäre mit techni- schen, ökologischen und verbraucherschützerischen Risi- ken verknüpft. Natürlich gibt es hin und wieder manch einen Bankier oder Ingenieur, der alles für lösbar hält. Aber: Die Ver- waltung des Wassers ist nicht vorrangig eine Aufgabe von Bankiers, Ingenieuren und Chemikern, sondern eine de- mokratische Bürgeraufgabe – eine Aufgabe der kommu- nalen Parlamente. Walter Hirche (FDP): Inhaltlich hat sich für die FDP bei diesem Antrag im Vergleich zur ersten Lesung nichts geändert. Deshalb wiederhole ich meine Feststellungen. Unbestritten ist: Wasser ist ein besonderes Lebensmittel. Wir brauchen Wasser bestmöglicher Qualität. Die Wasserwirtschaft ist ein Bereich der Daseinsvor- sorge. Das ist aber noch lange kein Argument für die Auf- rechterhaltung kommunaler Monopole. Mit der Logik der Koalition könnte man auch die Versorgung mit Brot zum kommunalen Monopol machen. Monopole dieser Art sind der Traum kommunaler Kämmerer, denn sie eröffnen die Möglichkeit für Quersubventionen. Auf diese Weise die Kommunalfinanzen zu stützen ist aber der falsche Weg. Die Aufgabe sicherer Wasserversorgung, verbunden mit der Sicherung der Qualität des Lebensmittels Wasser, kann durchaus mit der Möglichkeit verbunden werden, den Wettbewerb zu stärken und damit zu Kostensenkun- gen für den Verbraucher ohne Qualitätsverlust zu kom- men. Deshalb unterstreiche ich: Die Qualitätskontrolle ist Aufgabe des Staates. Er muss Regeln setzen und die Ein- haltung kontrollieren. Die Bereitstellung und Organisa- tion dagegen ist ebenso gut privat organisierbar. Das be- weisen unsere europäischen Nachbarn. Der in dem Antrag vertretenen Auffassung, dass es er- heblichen Modernisierungsbedarf in der Wasserwirtschaft gibt, dass die Effizienz gesteigert werden muss, um eine optimale betriebswirtschaftliche Bereitstellung bester Wasserqualität zu bekommen, ist zuzustimmen. Dem in dem Antrag fixierten Irrweg, diese Aufgabe den Kommu- nen als Monopol zu sichern, widersprechen wir Liberale jedoch entschieden. Was die Koalition zu Papier gebracht hat, folgt dem Motto: Augen und Ohren zu, Verdi wird schon sagen, was wir tun dürfen. In diese Sackgasse dürfen Sie gern allein laufen. Die FDP will sich lieber an den positiven Erfah- rungen unserer Nachbarn ausrichten. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 98/8/EG des Europä- ischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 über das Inverkehrbringen von Biozidpro- dukten (Biozidgesetz) (Tagesordnungspunkt 14) Dr. Carola Reimann (SPD): Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf wollen wir die Richtlinie über das In- verkehrbringen von Biozidprodukten in nationales Recht umsetzen. Dabei handelt es sich nicht einfach um eine schlichte Umsetzung; die Umsetzung dieser Richtlinie bedeutet vor allem eine wesentliche Stärkung des ge- sundheitlichen Verbraucherschutzes. Was sind Biozide denn? Biozide werden definiert als Stoffe oder Zubereitungen, die die Eigenschaft haben, Le- bewesen abzutöten oder zumindest in ihrer Lebensfunktion einzuschränken. Das ist in vielen Produkten ganz er- wünscht, um die Haltbarkeit und Beständigkeit zu gewähr- leisten, bedingt jedoch gleichzeitig mögliche Gefährdun- gen durch diese Stoffe für Umwelt und Gesundheit. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 200222574 (C) (D) (A) (B) Diese zwei Seiten einer Medaille kennen wir zum Bei- spiel auch von den Pflanzenschutzmitteln. Doch während letztere sorgfältig geprüft und bewertet werden und es dann Bestimmungen darüber gibt, wann und wie der Ein- satz von Pflanzenschutzmitteln zulässig ist, können Bio- zide bislang ohne jede Prüfung auf den Markt gebracht werden und in allen erdenklichen Produkten eingesetzt werden. Das ist eine Gesetzeslücke, die wir heute schließen wollen. Weil Biozide in die belebte Natur eingreifen, geht von ihnen auch eine Gefährdung aus. Es kommt vor, dass Mit- tel in denen diese Biozide enthalten sind, weit über ihr ei- gentliches Ziel – Insekten, Bakterien oder Nagetiere – hinausschießen und auch die menschliche Gesundheit be- einträchtigen. Deshalb brauchen wir für Biozidprodukte eine klare Zulassung. Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass Biozidprodukte künftig nur noch dann in Verkehr gebracht werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen sowie Ver- brauchern und Verbraucherinnen sorgfältig geprüft und bewertet worden sind. Ergänzend dazu wollen wir Rege- lungen für Kennzeichnung und Werbung für Biozidpro- dukte einführen. Nicht zuletzt fordern wir die Bundesre- gierung durch einen Entschließungsantrag auf, sich für eine europaweite Kennzeichnungspflicht einzusetzen. Das versetzt den Verbraucher und die Verbraucherin in die Lage, eine mündige Entscheidung zu treffen und bei Überempfindlichkeiten diese Substanzen zu vermeiden. Verbraucherschutz ist keine Klientelpolitik, denn es geht hier um den Menschen, seine Gesundheit und seine Lebensqualitiät. Wir alle sind deshalb in die Pflicht ge- nommen, so viel Sorgfalt wie notwendig aufzubringen, um Mensch und Umwelt vor unnötigen Schädigungen zu bewahren. Diese Mühe müssen wir uns einfach machen. Wir brauchen deshalb ein Zulassungsverfahren, das der Vielfalt der Biozidprodukte und ihrer Anwendungen an- gemessen ist. Biozide finden eine breite Anwendung in al- len Lebensbereichen. Die EU-Richtlinie nennt 23 Produktarten, die dann grob in vier Hauptgruppen eingeteilt werden: Desinfekti- onsmittel und allgemeine Biozidprodukte, Schutzmittel, zum Beispiel Holzschutzmittel, Schädlingsbekämpfungs- mittel, sowie sonstige Biozidprodukte, nämlich Konser- vierungsmittel für Lebens- und Futtermittel oder Antifou- ling-Anstriche. Diese Aufzählung macht deutlich, dass wir es bei Bioziden mit einer breiten Palette an Produkten und Anwendungsgebieten zu tun haben. Oft finden sich Biozide auch in Mitteln oder Gegenständen, die wir jeden Tag im Alltag benutzen. Der Verbraucher und die Ver- braucherin ist sich meistens gar nicht bewusst, mit wel- chen Stoffen er oder sie da hantiert, weil er oder sie es zur- zeit oft auch nicht wissen kann. Es ist noch gar nicht lange her, da fand man Tributyl- zinn (TBT), in den Trikots einer Bundesliga-Fußball- mannschaft, Borussia Dortmund. Dieser Stoff sollte durch seine antibakterielle Wirkung die Bildung von Schweiß- geruch verhindern – eine Eitelkeit, die man eventuell teuer bezahlt: TBT steht im Verdacht, Männer unfruchtbar zu machen, denn es kann in den Hormonhaushalt eingrei- fen. Laboruntersuchungen an menschlichen Zellkulturen weisen darauf hin, dass TBT die Beweglichkeit der Sper- mien verringern und Tributylzinn auch den Hormonhaus- halt von Föten beeinflussen könnte. Aber nicht nur Bundesligakicker sind den Gefährdun- gen durch Biozide ausgesetzt. Gerade im Haushalt finden sich viele Produkte, die aufgrund ihrer Inhaltsstoffe nicht ohne Risiko sind. Denken Sie an Wollteppiche! Man nimmt für gewöhnlich Permethrin, um diese vor Motten- fraß zu schützen. Permethrin ist ein Insektizid aus der Stoffgruppe der synthetischen Pyrethroide. Synthetische Pyrethroide sind äußerst giftig für Mensch und Tier und können eine Vielzahl von Sympto- men auslösen: Gleichgewichtsstörungen, unkoordinierte Bewegungsabläufe, Kopfschmerzen, Erbrechen, Orien- tierungs- und Sensibilitätsstörungen sowie Hörstörungen und und und. Wer möchte da noch zusehen, wie die Kin- der auf diesen Teppichen herumkrabbeln? Aufgrund der besonderen Giftigkeit von Pyrethroiden erwarten wir von der Bundesregierung, dass diese Wirkstoffgruppe weiter- hin beobachtet wird. Gerade für das unmittelbare Wohnumfeld gibt es noch viele weitere Beispiele: Denken Sie an das Silikon, mit dem im Badezimmer die Fliesen verfugt werden; auch das enthält Biozide. Katzen- oder Hundehalter kommen mit Bioziden in Berührung, wenn sie Flohmittel benutzen. Wenn Sie zu Hause in Ihrer Freizeit mit Holz arbeiten oder viel Holz in Ihrer Wohnung ist, kann es ebenfalls sein, dass Sie sich einem Risiko aussetzen. Dafür gab es in der Vergangenheit ja auch traurige Bei- spiele. Ich erinnere an den Holzschutzmittelskandal 1993. 1993 verurteilte das Landgericht Frankfurt/Main die Geschäftsführer einer Holzschutzmittelfirma wegen fahr- lässiger Körperverletzung und fahrlässiger Freisetzung von Giften. In 25 Fällen sah das Gericht einen Zusam- menhang zwischen der Anwendung von Holzschutzmit- teln und den Gesundheitsschäden der Kläger. Das Holz- schutzmittel der beklagten Firma enthielt die Giftstoffe PCP, Pentachlorphenol, und Lindan, gamma-Hexach- lorcyclohexan. Das sind hochchlorierte Kohlenwasser- toffe. Diese sind fettlöslich und reichern sich im Körper an, und zwar besonders in den fetthaltigen Kompartimen- ten des Körpers wie Zellmembranen, Gehirn und Nerven- system. Schwere Schäden des zentralen Nervensystems können die Folge sein. Anmerkung: Das Verfahren ging in weitere Instanzen und wurde später eingestellt. Dafür gab es eine außerge- richtliche Einigung: Die Beklagten zahlen ein Strafgeld an den Staat und 4 Millionen DM für die Einrichtung ei- ner Toxikologie-Professur. Das spricht für sich. Das Beispiel zeigt, dass die Sorge um die Gesund- heit nicht übertrieben ist. Wie sieht es heute aus? Circa 1 500 Holzschutzmittel sind in Deutschland auf dem Markt. Der Großteil davon ist bislang weder auf ihre Wirksamkeit noch auf ihre gesundheitliche Unbedenklichkeit und Um- weltverträglichkeit geprüft worden. Im Bereich der Holz- schutzmittel sind jedoch Anfänge durch die Industrie selbst gemacht worden. Seit einiger Zeit gibt es das RAL-Güte- zeichen, das von der Gütegemeinschaft Holzschutzmittel Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2002 22575 (C) (D) (A) (B) e.V. vergeben wird. Das Gütezeichen bekommen die Pro- dukte, die bei sachgerechter Anwendung und gesicherter Qualiät gesundheitlich unbedenklich und umweltverträg- lich sind. Mit unserem Entschließungsantrag fordern wir die Bundesregierung auf, den Bemühungen von Herstellern und Anwendern Rechnung zu tragen, indem ein vorgezo- genes Zulassungsverfahren für Holzschutzmittel einge- führt wird, falls sich das EU-Review-Programm zur Prü- fung alter Biozidwirkstoffe verzögert. Holzschutzmittel werden selbstverständlich auch in der gesamten Holz verarbeitenden Industrie verwandt. Je- der Schiffsbauer weiß das. Hier müssen wir also auch an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer denken. Mit der Aufzählung von Biozidprodukten, die uns im Beruf und im Alltag ständig umgeben, könnte ich meine Redezeit heute problemlos füllen. Ich kürze das hier mal ab, denn ich denke, Sie haben ein Bild davon bekommen, wie umfangreich die Stoffpalette ist, die wir bei der Um- setzung der EU-Richtlinie zu berücksichtigen haben. Ich denke auch, dass klar ist, dass die Prüfung und Bewertung von Bioziden vielen Maßstäben gerecht werden muss, denn es geht gleichzeitig um Arbeitsschutz, um Gesund- heitsschutz, um Umweltschutz und selbstverständlich auch um Verbraucherschutz. Wenn wir schon vom Verbraucherschutz reden: Man muss eben auch sehen, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher bislang wenig Chancen hatten, sich in eige- ner Regie vor den Risiken zu schützen. Dazu gehört doch, dass ich als Verbraucherin mich darüber informieren kann, ob ein Produkt eventuell für mich gefährlich wer- den könnte oder ob es nachweisbar unbedenklich ist, und auch darüber, ob es Alternativen gibt. Schließlich ist es der Verbraucher, der für das Produkt bezahlt. Dann habe ich als Verbraucherin auch einen Anspruch darauf, Qua- lität zu bekommen. Das RAL-Gütezeichen, von dem ich bereits gesprochen habe, ist da ein guter Anfang. Aber es hat sich leider noch nicht genügend auf dem Markt durchgesetzt. Wir wollen deshalb eine einheitliche und umfassende Kennzeichnungspflicht für alle Produkte. „Verbraucherschutz“ heißt in diesem Falle auch „mehr Transparenz“. Chemiepolitik ist ein weites und komplexes Feld. Es gibt in diesem Politikfeld keine einfachen Lösungen. Wir können eine komplexe Welt nicht einfacher machen, wir können schließlich nicht zaubern. Deshalb kann ich nicht verstehen, warum die Opposition jetzt wieder in alte Wahlkampfrhetorik verfällt und jede unserer Initiativen als Vorboten der Zerstörung der Chemieindustrie geißelt. Es streitet doch gar keiner ab, dass es für ganz viele Pro- dukte eine gute Berechtigung gibt. Kakerlaken kann man nicht besprechen, zur Bekämpfung braucht man hoch- wirksame Mittel der chemischen Industrie. Sie sind wichtig und notwendig. Niemand wird jedoch bestreiten, dass der Verbraucherschutz ebenfalls einen ho- hen Wert besitzt. Im Sinne des Verbraucherschutzes sind wir auch gefordert, alles zu tun, damit diese Mittel ihre to- xische Wirkung nur gegen den Schädling entfalten und nicht gegen den Anwender, weder den professionellen Anwender im Beruf noch den Laien im privaten Haushalt. Dazu braucht es eine Prüfung und Bewertung auch von Biozidprodukten. Dies wird mit dem vorliegenden Geset- zesentwurf gewährleistet und bedeutet deshalb eine we- sentliche Stärkung des gesundheitlichen Verbraucher- schutzes. Franz Obermeier (CDU/CSU): In letzter Sekunde hat uns die Bundesregierung das Biozidgesetz vorgelegt, nachdem das Vertragsverletzungsverfahren der EU-Ko- mission schon eingeleitet wurde. Nun könnte man ja mei- nen, dass es so spät kommt, weil hier besonders intensiv und vorausschauend gearbeitet worden ist. Aber, wie die am letzten Ausschusstag in Hülle und Fülle über uns er- gossenen Änderungsanträge der Regierungskoalition zei- gen, ist das Gegenteil der Fall. Wie vieles in dieser Legis- laturperiode, ist auch dieses Gesetz ein kurzatmiger Sprint fünf Minuten vor Toresschluss. Wir von der CDU/CSU-Fraktion wollten und wollen ein Gesetz, das die Risiken für Menschen, Tiere und Um- welt bei der gewerblichen und privaten Anwendung von Biozidprodukten vermeidet. Holzschutzmittel, Desinfek- tionsmittel, Rattengift, Antifoulingfarben usw. können, wie wir aus leidvollen Erfahrungen wissen, bei falscher Zusammensetzung und Anwendung lebensgefährlich sein und die Gesundheit lebenslänglich ruinieren. Das ist keine Frage. Deshalb müssen die Anforderungen an die Zulas- sung in der Sache hoch sein. Ich sage; in der Sache. Ich meine damit, dass nicht eine überbordende Bürokratie Sicherheit schafft, sondern eine Konzentration auf das Wesentliche. Nun hatten wir die einmalige Chance, aus den Erfah- rungen der Pflanzenschutzmittel-Richtlinie zu lernen. Sie ist vor zehn Jahren in Kraft getreten. Dazu hat die EU- Kommission einen Bericht vorgelegt, der die gravieren- den Mängel und Probleme im praktischen Verfahren auf- gedeckt hat. Da die Biozid-Richtlinie ganz ähnlich aufgebaut ist, sollte man doch jetzt nicht hergehen und die selben Fehler wiederholen. In dem Bericht ist davon die Rede, dass die Zulassungsunterlagen aus rund 50 000 Sei- ten bestehen, deren Zusammenstellung etwa viereinhalb Jahre dauerte. Die Begutachtung eines Unterlagendos- siers beansprucht zwei bis drei Jahre. Im Endeffekt ist man hier zu weit strengeren Datenanforderungen für die Zulassung gelangt als bei allen anderen Stoffen einschließlich Arzneimitteln, Lebensmittelzusatzstoffen und Grundstoffen. Was ist die Folge? Bis 2003 werden circa 500 Stoffe vom Markt verschwinden. Deutsche und europäische Hersteller werden sich aus der Entwicklung zurückziehen und den Weltmarkt anderen überlassen müssen. Für die deutschen Pflanzenanbauer wird die Palette kleiner und es wird, mangels Angebot, zu Engpässen und Kostensteige- rungen kommen. Auch sie werden vom Markt verdrängt. Was geschieht bei den Bioziden? Mit diesem Gesetz wird, um etwas Positives zu sagen, jedenfalls die Behörden- struktur ordentlich gestärkt. Neben der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin gibt es einen bunten Strauß von „Einvernehmensbehörden“ und „Benehmens- behörden“: Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbrau- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 200222576 (C) (D) (A) (B) cherschutz und Veterinärmedizin, Umweltbundesamt, die biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft, die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung und das Robert-Koch-Institut. Sollte ich bei diesem „Who is Who“ der deutschen Behördenwelt eine vergessen ha- ben, wäre das schon ein erheblicher Gewinn für die zu er- wartende Prüfungsdauer. Ich denke, man muss kein Verwaltungsfachmann sein, um zu erkennen, dass hier Kompetenzabgrenzungen, Doppelerhebungen, Zeitverzögerungen und erhebliche Kosten vorprogrammiert sind. Im Unterschied zu den Pflanzenschutzmitteln hat man bei den Bioziden keine re- lativ einheitliche Gruppe von Anwendern sondern viele unterschiedliche Anwender und Anwendungsgebiete. Die Unternehmensstruktur ist von kleinen und mittelstän- dischen Firmen geprägt. Bei dem Aufwand, der sich jetzt abzeichnet, dürfte für viele das Ende eingeläutet sein. Ich will aber nicht als Spielverderber dastehen, son- dern sagen, was man besser machen kann: Wir müssen aus den Fehlern in der Pfanzenschutzmit- tel-Richtlinie lernen. Wir brauchen eine schlanke und da- mit effiziente Entscheidungsbehörde; Motto „alles unter einem Dach“. Die Zulassungsstelle für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin könnte die Federführung übernehmen und über den Antrag auf Zulassung entscheiden. Es reicht aus, bei Fragen des Umweltschutzes die Expertise des Umweltbundesamtes und bei Fragen für die menschliche Gesundheit – Verbraucher und Arbeitnehmer – das Bun- desinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin heranzuziehen. Das reicht aus. Es schafft auch mehr Verantwortung, wenn der Kreis der Entscheider überschaubar bleibt. Wir müssen auf europäische Ebene bürokratische Aus- wüchse verhindern und immer wieder Einfluss für prakti- kable und effiziente Verfahren ausüben. Angesichts unse- rer nicht geraden blühenden Wirtschaft müssen wir auch mal etwas für unsere deutschen Unternehmen zu tun. Es wäre schön, wenn die betroffenen kleinen und mittelstän- dischen Unternehmen wenigstens genügend informiert und ihnen konkrete Hilfen bei den Überprüfungen und Zulassungsverfahren angeboten würden. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Uns allen ist der Holzschutzmittelskandal noch in deutli- cher Erinnerung. Ganze Wohnhäuser waren mit einem Mal nur noch Sondermüll. Der Grund: In den Innenräu- men wurden PCP-haltige, also giftige, Lasuren verstri- chen. Die Folgen: Hautekzeme und Schlafstörungen bei den Bewohnern, Unverständnis dafür bei den Medizinern und Versicherern. Die sowieso schon traumatisierten Er- krankten wurden lange Zeit als Hypochonder abgetan. Heute sind wir um eine bittere Erfahrung reicher, die vielleicht nicht hätte sein müssen. Vermutlich hätte ein Zulassungsverfahren diese gesundheitliche wie finanzi- elle Katastrophe für viele verhindern können, eine Zulas- sung, die Inhaltsstoffe mitsamt chemischen Verunreini- gungen gründlich unter die Lupe nimmt. Hier klaffte seit Jahren eine Regelungslücke. Zu Recht fragten viele, weil es nicht einsichtig war: Warum müssen Pestizide aufwen- dig zugelassen werden, nicht aber Biozide im Haushalt? Dabei sind das doch zum Teil gleiche Substanzklassen, gleiche Wirkstoffe. Eines haben Desinfektions- und Insektenvernichtungs- mittel, Rattengifte und Antifoulingmittel mit den Pestizi- den nämlich gemein: Sie sind geschaffen worden, um le- bende Organismen zu töten. Natürlich bedeutet das ein hohes Risiko – auch für Mensch und Umwelt. Schließlich tauchen Biozide manchmal auch dort auf, wo sie eigent- lich gar nichts zu suchen haben, zum Beispiel TBT, also zinnhaltige Schimmelbekämpfungsmittel in Sporttrikots. Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf und durch die Än- derungen des Umweltausschusses stärken wir den Um- welt- und Verbraucherschutz: Biozide dürfen künftig nur noch nach einem Zulassungsverfahren hergestellt oder importiert werden. Auf eines legen wir dabei besonderen Wert: Fachpoli- tische Kompetenz muss im Zulassungsverfahren auch künftig angemessen berücksichtigt werden. Wir bleiben dabei: Auch an der Biozidzulassung müssen die fachlich kompetenten Ämter weiterhin einvernehmlich beteiligt werden. Das ist keine Frage von überbordender oder schlanker Bürokratie, sondern eine Frage der vorsorgen- den Sicherheit. Deregulierung darf nicht auf Kosten von Umweltschutz und Arbeits- oder Verbraucherschutz be- trieben werden. Trotzdem liegt uns ein straffes Verfahren am Herzen. Bei „behördenbekannten“ Biozidprodukten haben wir deshalb eine Entscheidungsfrist von maximal 60 Tagen festgeschrieben. Für alle anderen wird innerhalb eines Jahres entschieden. Aber nicht jeder neue Stoff muss aufgenommen wer- den: Wichtig ist, dass die Zulassungsbehörde neue Stoffe zurückweisen kann, nämlich dann, wenn bereits alterna- tive Wirkstoffe mit erheblich geringerem Risiko für Ge- sundheit und Umwelt zugelassen worden sind. Für den Verbraucherschutz spricht ebenfalls die Erstellung eines auch für Laien benutzerfreundlich einberichteten Biozid- produkteregisters. Darin kann er künftig per Mausklick oder Broschüre erfahren, welcher Art denn das Biozid in seiner Farbe oder in seinem Insektenvernichter ist. Er wird darin alles über die Minimierung des Biozideinsat- zes oder über mögliche Alternativen erfahren. Vielleicht wird er darin auch erfahren, dass er für sein Problem die chemische Keule ganz im Schrank lassen kann. Das ist ganz eindeutig ein Fortschritt für den Verbraucherschutz. Dies gilt auch für die Kinderpolitik; denn Kinderpoli- tik heißt nicht nur mehr Kindergeld. Kinderpolitik heißt auch Politik in „Kindernasenhöhe“. Kinder sind – wie alte oder chronisch kranke Menschen, wie Allergiker – beson- ders empfindlich. Wir wissen von Stoffen, die Wachstum und Entwicklung von Kindern stark beeinflussen können. Die Zulassung von Bioziden, die Bemessung von Rückstandshöchstmengen darf sich daher nicht am 70-Ki- logramm-Standardmann bemessen. Die heutige Praxis orientiert sich zwar bereits am Kind. Wir sind aber die Ersten, die diese Bemessung eindeutig gesetzlich geregelt wissen wollen. Dafür hat die Bundesregierung von uns ei- nen Prüfauftrag erhalten. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2002 22577 (C) (D) (A) (B) Eines sagen wir ganz klar: Was noch fehlt, ist eine Haf- tungsregelung für Schäden, die aus der Anwendung von Bioziden resultieren. Nie wieder darf es sein, dass Be- troffene – wie im Fall der Holzschutzmittel – ihr halbes Leben lang um Entschädigung prozessieren müssen. Ob und inwieweit eine Haftungsregelung europarechtlich zulässig und praktikabel ist, auch das soll die Bundesre- gierung prüfen. „Responible care“ als Motto der Chemieindustrie muss auch heißen, Produktverantwortung zu übernehmen, auch dann, wenn das Biozid in der Anwendung, also trotz Zu- lassungsprüfung, überraschenderweise Gesundheitsschä- den verursacht. Nicht der Anwaltsstand soll künftig von den Fehlern der chemischen Industrie profitieren, sondern die Betroffenen. Mit dem neuen Biozidgesetz setzen wir ein weiteres Mal neues europäisches Umweltrecht in deutsches Recht um. Das neue Biozidgesetz ist ein weiterer Baustein für einen vorsorgenden Gesundheits- und Verbraucherschutz. Birgit Homburger (FDP):Biozidprodukte sind Wirk- stoffe und Zubereitungen, die dazu dienen, auf chemi- schen oder biologischem Wege Schadorganismen, zum Beispiel Schädlinge wie Motten, Holzwürmer, Mäuse, ab- zuschrecken, unschädlich zu machen oder zu zerstören. Schädigungen von Lebensmitteln, Bedarfsgegenständen, Baumaterialien wie Holz und anderen Produkten sollen damit verhindert und die Hygiene in Gebäuden soll ge- währleistet werden. Biozide sind demzufolge Stoffe, die dem Verbraucher- sowie Gesundheitsschutz dienen. Weshalb ich Ihnen das sage? Weil Sie es offensichtlich nicht wissen. In Ihrem Entschließungsantrag zum Biozid- gesetz ist nicht ein einziges Mal die Rede vom gesell- schaftlichen Nutzen durch den Einsatz von Bioziden. Schutz von Lebensmitteln, Schutz vor Ratten, Schutz vor Schädlingen aller Art, das ist Gesundheitsschutz, das ist Verbraucherschutz. Ihr Entschließungsantrag, den Sie im Umweltausschuss gestellt haben, beweist deutlich Ihre einseitig rot-grüne Sichtweise. Wer die Gefahren poten- ziert und den Nutzen ignoriert, der macht keinen Verbrau- cherschutz, der betreibt eine perfide Öko-Demagogie. Die Konsequenzen dieser Politik sind bereits absehbar. Eine Studie der Universität Köln hat ergeben, dass Ratten nicht nur in den Großstädten wieder ein Problem gewor- den sind. Eine der Ursachen ist eine unzureichende Bekämpfung. Ist das etwa vorsorgender Verbraucher- schutz, die Bürger vor Bioziden zu schützen und sie als Preis dafür einer Rattenplage auszusetzen? Die „taz“ schreibt zum Beispiel in einem Bericht vom 30. Oktober 2001: „Die Landwirte klagen, dass die Ratten nachts zu Hunderten durch ihre Stallungen galoppieren und alles wegfressen. Sie kriechen sogar schon tagsüber aus den Kanalschächten heraus.“ Dieses passiert nicht in irgend- einem Entwicklungsland, das ist Realität in Deutschland. Die FDP unterstützt eine Zulassungspflicht für Bio- zide. Was die FDP aber ablehnt, ist die einseitige Wahr- nehmung der Bundesregierung. Verbraucherschutz heißt, die Risiken und den Nutzen verantwortlich abwägen. Die Politik der Bundesregierung in dieser Frage hingegen ist Ausdruck eines fortschritts-, innovations- und wissen- schaftsfeindlichen Öko-Pessimismus. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist unökolo- gisch und fortschrittsfeindlich, denn durch das extrem bürokratische Zulassungsverfahren verhindert er die Ent- wicklung neuer, umweltfreundlicherer Produkte. Welche Firma wird sich einem Zulassungsverfahren mit sieben beteiligten Behörden aussetzen? Sieben beteiligte Behör- den – da wiehert der grüne Amtsschimmel. Das bedeutet: Die großen Firmen werden sich überle- gen, ob sie in Deutschland bleiben, die kleinen werden sich den Aufwand nicht leisten können. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist wirtschafts- und insbesondere mittel- standsfeindlich. Die Übergangsfristen für die Kennzeich- nungs- und Bewerbungsvorschriften sind gerade für kleine Betriebe eine Zumutung. Rot-Grün macht Politik für die Großen, die Kleinen müssen schauen, wie sie klarkom- men. So gefährdet man Arbeitsplätze in Deutschland. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist unter dem Blickwinkel des Gesundheits- und Verbraucherschutzes kontraproduktiv. Durch die Auflagen werden zahlreiche Wirkstoffe in Zukunft wegfallen. Die eingeschränkte An- zahl der Wirkstoffe wird zu vermehrten Resistenzen führen. Gleichzeitig wird die Entwicklung neuer Wirk- stoffe durch die Bürokratieexzesse im Zulassungsverfah- ren behindert. Moderne, für Mensch und Umwelt unbe- denklichere Mittel werden nicht mehr entwickelt. Das sind die Folgen der Politik der Bundesregierung. Der Ge- setzesentwurf der Bundesregierung ist ein weiteres unsägliches Beispiel für einen nationalen Alleingang. Er benachteiligt die deutsche Wirtschaft im europäischen Wettbewerb. So dürfen Erzeugnisse, welche mit Bioziden behandelt wurden, die in Deutschland nicht zugelassen sind, aber auch in Zukunft auf dem deutschen Markt ver- kauft werden. Das macht keinen Sinn. Wir wollen keine nationalen Alleingänge zum Schaden von Wirtschaft und Arbeitsplätzen in Deutschland und ohne Nutzen für die Verbraucher. Wir wollen ein europa- einheitliches Zulassungssystem, in dem Risiken und Nut- zen wissenschaftlich gegeneinander abgewogen werden. Das Biozidgesetz der Bundesregierung schadet vielen, ohne jemandem zu nutzen. Deshalb lehnt die FDPden Ge- setzentwurf der Bundesregierung ab. Eva Bulling-Schröter (PDS): Die Biozid-Richtline bzw. das deutsche Biozidgesetz wird die bisherige Will- kür bei der Vermarktung und dem Einsatz von Bioziden beenden. Dies ist ein erheblicher Fortschritt. Wir stimmen den meisten Änderungen, die im Ausschuss vorgenom- men wurden, zu. Dass nun mit der Beschlussempfehlung der vorherseh- bare Fehlgebrauch von Bioziden berücksichtigt wird, ist eine Verbesserung gegenüber dem Regierungsentwurf. Der empfindliche Mensch muss geschützt werden, nicht nur der Durchschnittsbürger. Wir begrüßen zudem ausdrücklich, dass der Vorschlag von NRW zur vergleichenden Risikobewertung aufge- nommen wurde. Auch die Einrichtung eines Biozid-Pro- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 200222578 (C) (D) (A) (B) duktregisters ist nun geplant. Das ist ein erster Schritt in Richtung eines umfassenden Biozidinformationssystems. Zur Entlastung von Behörden wäre aber daneben die Installation eines Biozid-Beirates sinnvoll gewesen. Hier könnten auch Verbraucherverbände mitarbeiten, die sonst völlig außen vor sind. Biozide in Textilien sind schlicht überflüssig. Zudem halten wir eine Deklarationspflicht für biozidausgerüstete Produkte für notwendig. Damit konnten sich die Verbrau- cherschützer leider nicht durchsetzen. Ein zentrales Problem scheint uns die fehlende genaue Definition von „Bioziden mit niedrigem Risikopoten- zial“. Die leistet weder die Richtlinie noch der Gesetzes- entwurf. In der Richtlinie heißt es lediglich, dass Wirk- stoffe nicht in den Anhang IA aufgenommen werden dürfen, wenn sie als krebserzeugend, erbgutverändernd, fortpflanzungsgefährdend, sensibilisierend oder bioakku- mulierend und schwer abbaubar eingestuft sind. Wenn im Umkehrschluss alle Biozid-Wirkstoffe, die keine entspre- chende Einstufung erhalten haben, als Biozid-Wirkstoffe mit niedrigem Risikopotenzial in den Anhang aufgenom- men werden können, so wäre dies auf keinen Fall im Sinne des Verbraucherschutzes. Kritisch sehen wir zudem die bis zu 10-jährige Über- gangszeit für Altbiozide. Hier müsste der Zeitraum drastisch verkürzt werden. Handlungsbedarf sehen wir insbesondere bei Holzschutzmitteln und Pyrethroiden. Für Altbiozide for- dern wir zumindest eine Nachweispflicht sowie eine Anzei- gepflicht für den großflächigen Einsatz. Die Verordnungen auf der Grundlage des Biozid-Gesetzes müssten außerdem eine Anzeige –, möglicherweise sogar eine Zulassungs- pflicht für großflächigen Anwendung enthalten. Der Einsatz im privaten Haushalt durch Laien – das hat die Anhörung gezeigt – ist nur bei Beschränkung der An- wendungen auf Köderdosen, Klebemittel und ähnliche Produkte sinnvoll. Auch hier könnte künftig noch nach- gebessert werden. Die Wirtschaft sieht große Gefahren für KMU, weil die Kosten für die Zulassung, aber auch schon für die Notifi- zierung zu hoch lägen. Doch wir sind der Meinung, dass die Zulassungskosten als Fixkosten eines Produktes, etwa wie Lohn- und Rohstoffkosten, von den Firmen kalkuliert werden müssen. Das diese Internalisierung vor der Tür steht, ist den Firmen im Übrigen seit langem bekannt. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Fortführung der Beratungen zum Endbericht der Enquete-Kommission „So genannte Sekten und Psychogruppen“ – Endbericht der Enquete-Kommission „So ge- nannte Sekten und Psychogruppen“ (Tagesordnungspunkt 15) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Titel der damaligen Enquete-Kommission „So ge- nannte Sekten und Psychogruppen“ verrät schon die Schwierigkeit des Themas selbst. Die Begriffe sind unklar und widersprüchlich. Die Gefahr staatlicher Überreaktio- nen oder Versäumnisse ist groß. Dennoch gebührt auch aus heutiger Sicht der Enquete-Kommission durchaus Dank für ihren Bericht. Gemeinsam mit den Sondervoten verschafft er einen ausgezeichneten Überblick über die Problematik. Ich möchte hier besonders das Sondervotum meiner Frak- tion durch die Kollegin Köster-Loßack hervorheben. Wir sind skeptisch, wenn beispielsweise schon bei der Analyse der Probleme nicht zwischen den neuen religiö- sen Bewegungen und religiösen Minderheiten, den so ge- nannten Sekten und Psychogruppen und Psychomarkt un- terschieden wird. Das zeigt sich auch in der häufigen Verwendung des Begriffs „Sekte“. Das kommt oft bereits einer Vorverurteilung gleich. Wir sollten diesen Begriff von daher nach Möglichkeit in öffentlichen Verlautba- rungen vermeiden. Ein Generalverdacht gegen alle Mit- glieder hilft uns nicht weiter. Wir sollten nicht den Eindruck erwecken, als gingen die Gefahren dieser neuen religiösen und weltanschau- lichen Gruppen über das hinaus, was in vergleichbaren so- zialen Zusammenhängen leider zu beobachten ist. Das heißt natürlich nicht, dass wir in diesen Feldern keine massiven Konflikte sehen würden. Allerdings muss sich der Staat immer wieder die Grenzen seiner Handlungs- möglichkeiten vor Augen führen. In einer pluralistischen Gesellschaft müssen bestimmte Konflikte ertragen wer- den. In den Bereichen, wo es zu ernsthaften Übertretun- gen kommt, müssen allerdings die Gesetze klar und ent- schlossen angewendet werden. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass diese religiösen und weltanschaulichen Be- wegungen in allen modernen Staaten auftreten. Ange- sichts der Pluralität unserer Gesellschaft kann der Staat Einzelne nur beschränkt davon abhalten, die Hinwendung zu derartigen Gruppen zu vollziehen. Die Entschlossenheit, klare Grenzen auch gegenüber re- ligiösen Gruppierungen zu ziehen, hat die rot-grüne Koali- tion zuletzt bei der Änderung des Vereinsrechts bewiesen. Wir haben die rechtliche Grundlage für ein Verbot dieser Vereine geschaffen. Das unverzügliche Vorgehen gegen die Gruppe um Metin Kaplan war erforderlich und auch ver- hältnismäßig. Von diesen Leuten ging eine massive Gefahr für die öffentliche Sicherheit aus. In solchen Fällen ist Han- deln geboten. Ansonsten ist Übereifer fehl am Platz. Die Grenzen staatlichen Handelns zeigt indes eine Ent- scheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1992 auf. Dort wird die Verfassungswidrigkeit der staat- lichen Förderung eines Vereins zu Öffentlichkeitsauf- klärung über neue religiöse Bewegungen festgestellt. Der Staat darf eben nicht – so das Bundesverwaltungsgericht – ohne weiteres in die Grundrechte der betroffenen Ge- meinschaften eingreifen. Auch diesen Gruppen steht, ob wir sie nun schätzen oder nicht, das Grundrecht der Glau- bensfreiheit zu. Der Exekutive sind hier Grenzen gesetzt. Diese Erwägungen auf der Grundlage der Diskussionen in der Enquete-Kommission mahnen uns zu einer umsich- tigen Behandlung des Themas. Gerade die Vielzahl sehr Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2002 22579 (C) (D) (A) (B) gegensätzlicher Positionen belegt, wie vorsichtig wir mit übereilten gesetzgeberischen Schritten sein müssen. Der Bericht der Kommission hat deutlich aufgezeigt, dass es juristisch außerordentlich schwierig ist, Instrumente zu schaffen, die Einzelne schützen. In der Tat dramatisiert die Union die Lage. Ich kann mich hier ausdrücklich auf die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senio- ren, Frauen und Jugend vom 7. Februar 2001 beziehen. Eine von der Union geforderte „umgehende“ Umsetzung von Schutzinstrumenten ist von daher problematisch. Die Bundesregierung hat die Hände durchaus nicht in den Schoß gelegt. Das Bundesverwaltungsamt baut die Infrastruktur für eine öffentliche Aufklärung und Hilfe für ratsuchende Menschen und öffentliche Stellen auf. Hof- fentlich kommt es bald dazu, dass auch Auskünfte an Dritte gegeben werden. Das ist im Moment noch nicht der Fall. Ich verweise auch auf das Modellprogramm zur Aus- bildung von Beratern, das mit 1,8 Millionen DM für die Jahre bis 2003 ausgestattet ist. Abschließend möchte ich unsere Forderung nach Ein- richtung einer Stiftung zur Gewinnung fundierter Kennt- nisse über neue religiöse und weltanschauliche Bewegun- gen erneuern. Diese Stiftung soll die Konflikte im Zusammenhang mit den neuen religiösen und weltan- schaulichen Gemeinschaften untersuchen. Diese öffentlich-rechtliche Einrichtung soll darüber hi- naus allgemein zugängliche Informationen über diese Or- ganisationen dokumentieren und Maßnahmen zur Kon- fliktvermeidung und Konfliktschlichtung entwickeln. Wir brauchen darüber hinaus mehr Beratungsstellen für die Betroffenen selbst, aber auch für deren An- gehörige. Wir müssen diese Menschen stärken, ihnen Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Ulla Jelpke (PDS): Die Arbeit der Enquete-Kommis- sion „So genannte Sekten und Psychogruppen“ ist von vielen Menschen verfolgt worden. Insbesondere die Op- fer dieser Gruppen, ihre Angehörigen und Freunde haben zu Recht erwartet, dass etwas geschieht. Ich will hier gar nicht dramatisieren, was in dem vor- liegenden Antrag der CDU/CSU anklingt, in dem die Be- obachtung von Scientology durch den Verfassungsschutz verlangt wird. Dagegen waren und sind wir weiter. Wenn diese Behörde auf Sekten angesetzt würde, dann hätten wir in ein paar Jahren womöglich den nächsten V-Leute- Skandal, diesmal bei Scientology und wären ansonsten keinen Millimeter weiter. Wie ernst das Thema aber auch weiterhin zu nehmen ist, zeigt ein Blick auf die Satanisten-Szene. Hier machen sich rechtsextreme Ideologien und Politiken breit. Hier er- fahren wir von schweren Verbrechen. Erst kürzlich wurde aus Berlin von einem Selbstmord von zwei Frauen be- richtet, die angeblich in dieser Szene verkehrten. Ich könnte andere Fälle nennen, auch von anderen Sekten, aber dazu reicht meine Redezeit nicht. Ich habe mich heute beim Bundesverwaltungsamt in Köln erkundigt. Dort ist, wie auch in der Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend beschrieben, – ich zitiere – „eine Stelle gemacht worden, die öffentliche Aufklärung leiste und den Ratsu- chenden – seien es Einzelpersonen, Initiativen, Kommunen oder Länderbehörden – zur Seite stehen könne.“ Diese Stelle ist mit 2,5 Personen besetzt. Außer einer Broschüre zu Scientology liegt dort keinerlei Informati- onsmaterial vor. Beratung für Einzelpersonen, Hilfesu- chende oder dergleichen können diese Beschäftigten selbstverständlich nicht leisten. Sogar eine schlichte In- formationsschrift, die zum Beispiel in Schulen oder Behörden ausliegt, über Sekten unterrichtet und Opfern erklärt, wie und wo sie Hilfe bekommen, fehlt bis heute. Mehr noch: nichtstaatliche Gruppen wie Selbsthilfe- gruppen der Opfer bekommen keinen Pfennig. Ich zitiere aus der Beschlussvorlage des Familienausschusses: „Man wolle weiter die Möglichkeiten zur Förderung nichtstaat- licher Beratungsgruppen prüfen. Für diese Förderung müsse es eine gesetzliche Grundlage geben.“ Diese ge- setzliche Grundlage gibt es also bis heute nicht. Ansonsten finde ich in der Vorlage nur schöne Worte. Man wolle prüfen, wie der Schutz gegen so genannte Py- ramidenspiele verbessert werden könne. Man denke über ein Lebenshilfebewältigungsgesetz nach. Na klasse. Wie weit sind sie beim Nachdenken inzwischen gekommen? Das Einzige, was real übrig bleibt, ist das Modellprojekt zur Ausbildung von Beratern im psychosozialen Umfeld, das bis Juni 2003 läuft und von dem wir frühestens im Herbst 2003 Ergebnisse bekommen. Ich finde, so können Sie nicht mit den Betroffenen umgehen. Es geht mir, das will ich deutlich sagen, nicht um schär- fere Strafgesetze gegen diese so genannten Psychogrup- pen und Sekten und schon gar nicht um deren Bespitze- lung durch Verfassungsschutzämter. Auch wenn viele dieser Gruppen antidemokratische, rassistische oder anti- semitische Tendenzen aufweisen, ist ein Ausbau des Überwachungsstaates nicht die richtige Antwort. Aber die Opfer dieser Sekten erwarten mit Recht Taten. Sie wollen Hilfe. Und die Öffentlichkeit fordert zu Recht Aufklärung über diese Gruppen. Beides findet derzeit nicht statt. Zum Schluss: Der Bericht des Familienausschusses, über den wir heute diskutieren, stammt vom Februar 2001. Er ist also mehr als ein Jahr alt. Schon allein das zeigt, wie unernsthaft Sie mit dem Thema umgehen. Sie haben schlicht und einfach versagt. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Antrags: Vorsorgepolitik für gesundheits- verträglichen Mobilfunk – der Großen Anfrage: Auswirkungen elektro- magnetischer Felder, insbesondere des Mobil- funks (Tagesordnungspunkt 16 a und b) Marlene Rupprecht, (SPD): Handys sind in den letz- ten Jahren zum Gebrauchsgut Nummer eins für alle Ge- nerationen geworden. Macht uns die Bequemlichkeit, an Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 200222580 (C) (D) (A) (B) fast allen Orten telefonieren zu können, zu Teilnehmern eines Großversuchs? Genau diese Frage einer eventuellen gesundheitlichen Beeinträchtigung beschäftigt viele Bür- gerinnen und Bürger. Der Umweltausschuss hat deshalb im Juli 2001 eine Anhörung zu dieser Problematik durchgeführt. Wir Abge- ordneten wollten von den eingeladenen Sachverständigen wissen, welche gesundheitlichen Gefährdungen durch hochfrequente elektromagnetische Felder, die sowohl von den Basisstationen als auch von den Handys ausgehen, festzustellen und inwiefern die Grenzwerte aufgrund von wissenschaftlichen Untersuchungen abzusenken seien. Alle Wissenschaftler, auch sehr kritische, sahen sich nicht in der Lage, uns eindeutige wissenschaftlich nachvoll- ziehbare Antworten auf unsere Fragen zu geben. Die Bundesregierung hat nach der Anhörung des Bun- destages die deutsche Strahlenschutzkommission mit einer erneuten umfassenden Bewertung der wissenschaft- lichen Erkenntnisse zu den gesundheitlichen Wirkungen elektromagnetischer Felder beauftragt. Die Strahlen- schutzkommission hat ihr Ergebnis im September 2001 vorgelegt. Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand schüt- zen die geltenden Grenzwerte ausreichend vor nachge- wiesenen Gesundheitsgefahren. Trotz dieses Ergebnisses nehmen wir Abgeordnete die Sorgen der Bürger und Bürgerinnen sehr ernst. Wir be- grüßen deshalb die von der Bundesregierung eingeleite- ten Vorsorgemaßnahmen. Die Forschung auf dem Gebiet der elektromagnetischen Felder durch Mobilfunksende- anlagen und Mobilfunkgeräte wird massiv verstärkt. Für den Zeitraum 2002 bis 2005 stehen mehr als 20 Millio- nen Euro zur Verfügung. Dabei sollen die gesundheitli- chen Auswirkungen von Mobilfunkstrahlung und die Förderung emissionsmindernder Technologien im Mittel- punkt stehen. Die Mobilfunkbetreiber haben weitere 8,5 Millionen Euro für diesen Zeitraum zugesagt. Der Bundestag muss regelmäßig – erstmalig nach zwei Jahren – über die Forschungsergebnisse unterrichtet werden. Dabei wird überprüft werden, ob die Grenzwerte der 26. BImSchV noch dem Vorsorgeprinzip entsprechen. Die Einrichtung einer zentralen Datenbank mit Infor- mationen über genehmigte Anlagen erfüllt die Forderung der Bürgerinnen und Bürger nach Information und Trans- parenz. Wir wollen mit unserem Antrag sicherstellen, dass die Selbstverpflichtung der Betreiber durch ein regel- mäßiges und unabhängiges Monitoring überprüft wird. Alternativstandorte, die Berücksichtigung hoch sensibler Standorte wie Schulen, Krankenhäuser und Kindergärten und die Mitwirkung der Kommunen bei der Standortaus- wahl sowie die Mehrfachnutzung der Antennenanlagen sollen dabei im Verfahren nachgewiesen werden. Auch die Daten über die tatsächliche Mobilfunkstrah- lung müssen öffentlich zugänglich gemacht werden. Ganz im Sinne der Verbraucher sollen sich die Gerätehersteller zu einer Kennzeichnung von Handys verpflichten, weil wir die bisherigen Angaben für nicht ausreichend halten. Vor allem müssen deutliche Warnhinweise für den Ge- brauch der Geräte durch Kinder gegeben werden. Strahlungsarme Handys mit einem Qualitätssiegel aus- zuzeichnen dient nicht nur dem Verbraucher. Hersteller müssten erkennen, dass es für sie auch ein Marktvorteil bedeutet. Sollten die eingeleiteten Vorsorgemaßnahmen nicht zu den erwarteten Ergebnissen führen, behalten wir uns vor, in Absprache mit der Bundesregierung weitere Schritte zu unternehmen. Werner Wittlich (CDU/CSU): Kaum ein anderes Kommunikationsmittel hat unser tägliches Leben so nachhaltig geprägt wie das Handy. Es steht inzwischen nicht nur für Erreichbarkeit und Mobilität, sondern er- möglicht Informationsaustausch per SMS, das Surfen im Internet und in der neuen Generation der Handys – sie werden zurzeit auf der Cebit vorgestellt – sogar die Über- mittlung von Fotos und Faxen. Allein in der Bundesrepu- blik Deutschland nutzen weit über 50 Millionen Men- schen dieses Kommunikationsmittel. Damit ist die Mobilfunktechnologie aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Durch die neue UMTS-Technik werden sich in den kommenden Jahren weitere Verwendungsmöglichkeiten ergeben. Dennoch ist der Fortschritt aber keineswegs un- umstritten. lm gleichen Maße, wie zur Ausweitung der Mobilfunkqualität neue Sendeanlagen aufgestellt wur- den, wuchs die Verunsicherung in der Bevölkerung, ob und in welcher Form die elektromagnetische Strahlung zu Gesundheitsschäden führen kann. Die Anfragen von be- sorgten Bürgern häuften sich. Die CDU/CSU-Fraktion hat sich bereits am 3. April 2001 in einer Großen Anfrage an die Bundesregierung ge- wandt, um Informationen über die Ergebnisse wissen- schaftlicher Forschung zu erhalten. Die Beantwortung wurde von der Bundesregierung immer wieder hinausge- schoben. In der Begründung hieß es lediglich, die Ergeb- nisse der Strahlenschutzkommission seien abzuwarten. In der Zwischenzeit hat die CDU/CSU daher einen ei- genen Antrag zu diesem Thema formuliert. Obwohl in- zwischen die Antwort auf die Große Anfrage und ein An- trag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen vorliegen, hat sich an unserer Kritik nichts geändert. Die Verunsiche- rung in der Bevölkerung beruht hauptsächlich auf man- gelnden Kenntnissen über die Funktionsweise der Mobil- funktechnologie. Es ist unerlässlich, beim Bau von weiteren Sendeanlagen mit Verbrauchern und Kommunen zusammenzuarbeiten, um geeignete Standorte zu finden. Genauso wichtig ist es, die Bevölkerung über die Chancen und Risiken der Mobilfunktechnologie aufzu- klären. In einer Antwort auf unsere Große Anfrage geht die Bundesregierung davon aus, dass zum Betrieb der neuen UTMS-Netze die Neuerrichtung von etwa 8 000 Basisstationen notwendig sein wird, um bis zum Jahr 2005 die geforderte 50-prozentige Abdeckung zu er- reichen. Zwar wird eingeräumt, dass dies mit dem Ziel, die Strahlenbelastung zu minimieren, kollidieren kann. Was sie konkret vor Ort unternehmen werden, bleibt wie so oft völlig offen. Mit einer solchen butterweichen Poli- tik schüren Sie die berechtigten Sorgen der Bürger, anstatt sie zu mindern. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2002 22581 (C) (D) (A) (B) Auch im Bereich der Forschung werden mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Eines aber geht aus Ihren Antworten hervor: Die Wissenschaft weiß, dass sie nichts weiß. – Die Strahlenschutzkommission kommt in ihrem Bericht vom 13. September 2001 zu dem Ergebnis, dass im Bereich hochfrequenter elektromagnetischer Strah- lung einschließlich des Mobilfunks gesundheitliche Be- einträchtigungen nicht nachzuweisen sind. Gleichzeitig wird aber nicht ausgeschlossen, dass vor allem so ge- nannte „hypersensible Personen“ langfristig auf elektro- magnetische Strahlung negativ reagieren könnten. In diesem Zusammenhang ist die Lektüre der „ECOLOG“-Studie interessant, die durchaus einen Zu- sammenhang zwischen der Entfernung von Sendeanlagen zu Wohngebieten und gesundheitlichen Problemen wie Schlafstörungen und Kopfschmerzen sieht und dies vor allem mit Studien in der Schweiz belegt. Zwar wird auch auf die mangelhaften gesicherten Langzeittests hingewie- sen. Im Ergebnis hat aber zum Beispiel die Schweiz Vor- sorgegrenzwerte eingeführt, die unter denen in der Bun- desrepublik liegen. Ich möchte auf zwei Hauptpunkte in dieser Debatte eingehen: die Vorsorge und die Aufklärung. Im Antrag der Regierungskoalition – der nun endlich vorliegt, und zwar lange nach dem der CDU – haben Sie den Vorsorgeaspekt im Namen aufgegriffen. Dahinter verbirgt sich aber kaum Neues. Gute Forschungsarbeit ist im Bereich Gesund- heitsschutz die halbe Vorsorge. Ihr bisheriges Engage- ment in der Forschung wird den Anforderungen in keiner Weise gerecht. Sie leisten bis heute keinen Beitrag für die Vorsorge, obwohl die Strahlenschutzkommission bereits 1998 eine Intensivierung der Forschung gefordert hatte. Vor dem Hintergrund der Vergabe der UMTS-Lizenzen ist die Frage zu stellen: Warum wurde die Forschung nicht vorher intensiviert? Von 1999 bis 2003 wurden lediglich circa 1,5 Millionen Euro zu diesem Zweck eingesetzt. Aber offensichtlich haben Sie – wenn auch spät – das Pro- blem zur Kenntnis genommen; denn für die Jahre 2002 bis 2005 werden immerhin 8,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Dass dieser Betrag für die langfristigen und auf- wendigen Forschungen ausreicht, wage ich allerdings zu bezweifeln. Aus diesem Grund fordern wir die Bundesregierung auf: Stellen Sie Mittel für ein Programm zur Verfügung, das den Anforderungen der Weltgesundheitsorganisation genügt und auch internationale Forschungsergebnisse und Vergleichsdaten berücksichtigt! Mit dem Verkauf der UTMS-Lizenzen wird in den nächsten Jahren eine völlig neue Technologie eingeführt werden. Neue Sendeanlagen müssen errichtet werden. Nutzen Sie einen Teil der Er- löse, um eventuelle gesundheitliche Auswirkungen zu er- forschen! Machen Sie die Ergebnisse öffentlich, um wei- tere Verunsicherung in der Bevölkerung schon im Vorfeld zu vermeiden! Positiv zu bewerten ist die Selbstverpflichtungser- klärung der Mobilfunkbetreiber, in der Zukunft beim Bau neuer Sendestationen stärker mit den Kommunen zusam- menzuarbeiten und ihnen bezüglich der Standorte ein Mit- spracherecht einzuräumen. In diesem Zusammenhang möchte ich das Engagement der kommunalen Spitzenver- bände besonders hervorheben. Dennoch bleibt die Tatsache bestehen, dass vor Ort großer Aufklärungsbedarf besteht. Verstärkte Forschung ist die eine Seite; die andere ist die gezielte und umfas- sende Information der Bürger. Mit Broschüren und eini- gen Veranstaltungen ist es nicht getan. Die richtige und sinnvolle Intensivierung der Forschung muss von umfas- senden Informations- und Aufklärungskampagnen beglei- tet werden und diese Informationen müssen adressaten- gerecht aufbereitet sein. Die Entwicklung einer solchen Kampagne fehlt völlig in dem jetzt vorliegenden Antrag. An dieser Stelle kann ich nur die Forderungen der CDU/CSU wiederholen: Schaffen Sie eine zentrale An- laufstelle für Informationen an die Bürgerinnen und Bür- ger! Durch Ihre Passivität gefährden Sie die Akzeptanz ei- ner wichtigen und von der Mehrzahl der Bürger gewollten Kommunikationstechnik. Mit der von den Koalitions- fraktionen praktizierten Hinhalte- und Verzögerungspoli- tik werden Ängste und Unsicherheiten nicht abgebaut, sondern verstärkt. Auch mit Vorsorge hat das nur sehr we- nig zu tun. Überhaupt vermisse ich in dem Antrag der Koalitions- fraktionen klare Konzepte. Es finden sich sehr wohl Ab- sichtserklärungen; damit allerdings ist niemandem gehol- fen. Die Bereitschaft der Mobilfunkbetreiber, die Strah- lungsintensität der Handys zu kennzeichnen, ist zu be- grüßen. Die bessere Lösung ist allerdings die Entwick- lung eines einheitlichen Qualitätssiegels, da Unterschiede in der Kennzeichnung vermieden werden; dies erleichtert den Verbrauchern zugleich den Überblick beim Kauf ei- nes Gerätes. In diesem Bereich wird es entscheidend sein, die Hersteller verstärkt in die Pflicht zu nehmen und nicht nur, wie im Antrag formuliert, auf eine Umsetzung hinzu- wirken. Die Mobilfunktechnologie wird auch in Zukunft von immer mehr Menschen genutzt werden. Es ist ent- scheidend, mögliche negativen Folgen ernst zu nehmen und zugleich in Forschung und Aufklärung zu investieren. Der von SPD und Bündnis 90/Die Grünen vorgelegte Antrag enthält keine konkreten Konzepte, sondern bleibt oberflächlich. Aus diesem Grund können wir ihm in die- ser Form nicht zustimmen. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Mobilfunk boomt: Mittlerweile sind 55 Millionen Mobil- funkanschlüsse verkauft worden; das sind mehr, als es ak- tuell Festnetzanschlüsse gibt. Der Mobilfunk hat positive Auswirkungen auf Kom- munikation, Sicherheit und Beschäftigte. Hier hat es zwi- schen 1997 und 2000 nahezu eine Verdopplung gegeben. Die Kehrseite der Medaille Mobilfunkausbau ist: Die Ver- braucherinnen und Verbraucher sind zunehmend verunsi- chert. Mögliche Gesundheitsgefährdungen durch elektro- magnetische Strahlung werden überall in den Medien diskutiert. Bisher stand in der Mobilfunkdebatte die Strahlung durch die mittlerweile circa 45 000 Sende- masten im Mittelpunkt, die überall aus dem Boden bzw. den Dächern schießen. Zunehmend kritisch werden aber Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 200222582 (C) (D) (A) (B) auch die Mobilfunkgeräte selbst gesehen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass immer mehr Kinder und Ju- gendliche starke Handynutzer sind. Die direkte Strah- lungsbelastung für die Nutzer entsteht in erster Linie durch die Strahlung des Geräts selbst. Für den Erfolg des Mobilfunks sind Vertrauen und Ak- zeptanz der Verbraucherinnen und Verbraucher notwen- dig. Deswegen stellen wir Vorsorge und Transparenz in den Mittelpunkt. Unser wichtigster Ansatzpunkt für den Verbraucherschutz ist die Schaffung einer notwendigen Entscheidungs- und Informationsgrundlage für die Ver- braucher. Verbraucher sollen so die Möglichkeit erhalten, sich für strahlungsarme Geräte zu entscheiden. Dafür ist es dringend notwendig, dass eine klare Information über die Strahlungsbelastung direkt beim Gerätekauf gegeben wird. Das, was die Hersteller bisher anbieten, ist für eine transparente Verbraucherinformation zu wenig: Wenn man den Strahlungswert in der Gebrauchsanweisung fin- det, hat man das Handy bereits gekauft. Und eine Angabe des so genannten SAR-Werts allein ist für den Verbrau- cher nicht verständlich. Erst ein Bezug zur Funktion und Leistungsfähigkeit unter Anwendungsbedingungen und eine Wertung der Strahlungswerte hilft dem Verbraucher wirklich weiter und stellt die Vergleichbarkeit her. Wir fordern daher in unserem Antrag eine transparente Handykennzeichnung mit folgenden Elementen: Erstens: Einführung eines verbraucherfreundlichen Handylabels für strahlungsarme Geräte. In diesem Zu- sammenhang begrüßen wir ausdrücklich, dass sich das Umweltprüfzeichen „Blauer Engel“ mit diesem Thema befasst. Mit dem „Blauen Engel“ hätten wir ein aner- kanntes unabhängiges Label, das für jeden erkennbar ist. Zweitens: Die Information über den Strahlungswert muss beim Kauf sichtbar sein, das heißt auf der Ver- packung angebracht sein. Drittens: Hinweise zur strahlungsarmen Nutzung von Handys sollen auf der Verpackung und in der Gebrauchs- anleitung deutlich sichtbar aufgenommen werden, insbe- sondere zur gesundheitlichen Vorsorge für Kinder und Ju- gendliche Bisher zieren sich die Handyhersteller noch. Angeblich würde die Information „Strahlungsintensität“ von den Verbrauchern nicht abgefragt. Das ist eindeutig falsch. Die Verbraucherinnen und Verbraucher haben ein hohes Interesse an Strahlungswerten von Handys: 150 000 Zu- griffe pro Monat auf der Internetinformationsseite „www.handywerte.de“ sprechen eine deutliche Sprache. Die Kennzeichnung der Strahlungsintensität von Han- dys wird ein positives Signal für die weitere Entwicklung und für Innovationen auf dem Mobilfunkmarkt sein; denn es wird das Vertrauen der Verbraucher stärken und ver- besserte Marktbedinungungen für strahlungsarme Geräte bewirken. Mit der klaren Kennzeichnung von Handys an- hand von Strahlungswert und Handylabel setzen wir un- sere Politik des vorsorgenden Verbraucherschutzes auch im Bereich des Mobilfunks um. Die Bundesregierung verhandelt derzeit mit den Han- dyherstellern über eine freiwillige Selbstverpflichtung zur verbraucherfreundlichen und transparenten Kennzeich- nung von Handys. Wir gehen davon aus, dass auch die Hersteller die bestmögliche Information aufgeklärter Ver- braucher wollen. Wir setzen daher auf ein schnelles und positives Ergebnis der Gespräche zwischen Bundesregie- rung und Handyherstellern. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich will es gleich vorwegschicken: Wir Grünen hätten uns mehr gewünscht. Wir hätten uns aus Vorsorgegründen eine dauerhafte Absenkung der Grenzwerte im Immissi- onsrecht gewünscht. Das war auch überwiegende Mei- nung der Sachverständigen in der Anhörung des Umwelt- ausschusses im Juli letzten Jahres. Trotzdem war das leider nicht durchsetzbar. Aber: Wir sind auch der An- sicht, dass die Selbstverpflichtung der Mobilfunkbetrei- ber ein guter Grundstein ist, um den Verbraucher- und Ge- sundheitsschutz weiterzuentwickeln. Darin sagen die Betreiber eine verbindliche Einbe- ziehung der Kommunen in die Standortwahl zu. Darin ha- ben sie sich vor allem dazu verpflichtet, im Umfeld von Schulen und Kindergärten vorrangig andere Standorte zu prüfen. Rechtlich sind sie allerdings nicht dazu verpflich- tet. Und: Nicht alle Betreiber haben sich per Unterschrift verpflichtet. Ob der Bevölkerung damit die großen Ängste – Ängs- te vor Gesundheitsschäden im Umfeld von Mobilfunk- sendern – wirklich genommen werden, bleibt abzuwarten. Diese Ängste sind enorm: 35 Prozent unserer Bürger ha- ben Angst vor Gesundheitsschäden durch Elektrosmog. Es wird also viel davon abhängen, wie ernst die Betreiber ihre Selbstverpflichtungen nehmen. Wir werden jeden- falls unseren Teil zur Kontrolle beitragen. Zwar ist der Deutsche Bundestag Gesetzgeber und nicht Verordnungs- geber. Damit ist er auch nicht direkt in die immissions- schutzrechtliche Novellierung eingebunden, aber auf Dauer kann eine Selbstverpflichtung in solch einer wichtigen Frage die gesetzliche Regulierung nicht erset- zen – schon aus Gleichheitsgründen. Das zeigt auch das aktuelle Urteil des VHG Mannheim. Danach dürfen Mobilfunkantennen in Wohngebieten nicht ohne Baugenehmigung errichtet werden – unabhän- gig von der Antennenhöhe. Damit werden ähnlich lau- tende Urteile der Verwaltungsgerichte Hannover und Düsseldorf bestätigt. Das zeigt: Wir brauchen eine bun- deseinheitliche Regelung zum vorsorgenden Schutz sen- sibler Gebiete. Dies zeigt aber auch, dass die Umsetzung der Selbstverpflichtung nicht überall klappt und dass es ein Fehler der Betreiber war, die Anwohner nicht mit ein- zubinden. Hier gibt es Nachbesserungsbedarf. Wir werden jedenfalls die Umsetzung der Selbstver- pflichtung kritisch begleiten. Uns kommt es jetzt darauf an – darauf zielt unser Antrag ab –, dass der Bundestag re- gelmäßig und erstmalig nach zwei Jahren einen Bericht über die aktuellen Forschungsergebnisse erhält. Immer- hin fließen bis 2005 über 20 Millionen Euro aus drei Bun- desressorts in die Forschung. Hier muss regelmäßig eine Neubewertung vorgenommen werden, ob sich Hinweise auf gesundheitsgefährliche Auswirkungen verdichten. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2002 22583 (C) (D) (A) (B) Damit ist also auch die Einführung von Vorsorgewerten noch längst nicht vom Tisch. Wir wollen sicherstellen, dass die Beteiligung der Kommunen am Ausbau des Mobilfunknetzes klappt, dass sensible Antennenstandorte künftig ausgeklammert wer- den und dass die Information der Öffentlichkeit – beson- ders die der Anwohner – besser wird. Diesen Anspruch ei- nes kontinuierlichen Monitoring wollen wir mit unserem Antrag deutlich unterstreichen. Unser Signal nach draußen ist: Wir bleiben dran. Der nächste Bundestag wird sich wieder damit befassen – schon aus Gründen der Vorsorge. Detlef Parr (FDP): Zahlreiche Anfragen, Fachge- spräche, Anhörungen haben eines gezeigt: Keine Fraktion in diesem Hohen Hause nimmt die möglichen Probleme, die mit der Aufstellung von Sendemasten und deren Stand- ortwahl verbunden sein können, sowie eventuelle Ge- sundheitsgefahren beim Telefonieren mit Handy auf die leichte Schulter. Wir sind ja auch den landesweiten Bür- gerinitiativen eine ernsthafte Beschäftigung mit diesem Thema schuldig. Der auch aus der Großen Anfrage der Union und unseren Kleinen Anfragen resultierende An- trag enthält eine Reihe von Forderungen, die wir unter- stützen können. Vor allem ist es erfreulich, dass die Selbstverpflichtung der Mobilfunkbetreiber positiv he- rausgestellt und auf gesetzgeberische Maßnahmen ver- zichtet wird. Der aktuelle Blick in die Kommunen zeigt, dass öffentliche Diskussionen zunehmen und die sachli- che Information eine zentrale Rolle spielt. Wir müssen die Sorgen der Bürger ernst nehmen. Wir dürfen aber vor dem Hintergrund wissenschaftlich nicht hinreichend belegter Studienergebnisse keine Ängste schüren. Ein gutes Bei- spiel für sachliche Aufklärung ist der Vorschlag der Mo- bilfunkbetreiber, ein Messstationennetz zu errichten, das sowohl fest als auch mobil die tatsächlichen Immissionen online und automatisch überwacht. Dieses Monitoring der elektromagnetischen Immissionen sollte in regelmäßigen Abständen veröffentlicht werden. Zum Qualitätssigel für strahlungsarme Handys: Es ist dann eine gute Sache, wenn damit Informationen verbun- den sind, die den Nutzer auch erreichen und den Kauf und die Handhabung von Geräten beeinflussen. Unsere Frage, ob die Aussagekraft des SAR-Wertes beschränkt ist und allein als Grundlage für eine an Vorsorgegesichtspunkten orientierte Kaufentscheidung ausreicht, ist nicht zufrie- denstellend beantwortet worden. Für die Vergabe des La- bels sollten weitere Kriterien entwickelt werden, über die wir bei den Ausschussberatungen noch reden müssen. Auch die Zielrichtung und Methodik der Forschungsvor- haben müssen genauer definiert werden. Bei den An- hörungen zeigte sich, dass es vor allem an der Vergleich- barkeit vorliegender Studien mangelt. Es ist unseres Erachtens zu überlegen, ob mit der Vergabe neuer For- schungsaufträge die Weiterentwicklung bereits veröffent- lichter Studien und von Wiederholungsstudien verbunden werden sollte. Ziel müssen konsistente Ergebnisse sein, die bessere Aufschlüsse über Verdachtsmomente mögli- cher Beeinträchtigung der Gesundheit erlauben. Wir dürfen das Problem der schnurlosen Telefone nach dem DECT-Standard nicht aus den Augen verlieren. Ins- besondere die Hinweise von Kinderärzten, welche Folgen der Einfluss der gepulsten Felder auf Säuglinge und Kleinkinder haben kann, dürfen nicht unterschätzt wer- den. Spezielle Kinder-Studien können Aufschluss über diese wichtige Frage geben. Wie überhaupt bei allen Vor- sorgemaßnahmen dem Schutz unserer Kinder und Ju- gendlichen besonderes Augenmerk geschenkt werden muss. Der vorliegende Antrag ist eine gute Grundlage für die Beratungen in den Ausschüssen. Gerhard Jüttemann (PDS): Kollegin Marlene Rupprecht von der SPD hat in ihrem zu Protokoll ge- gebenen Redebeitrag zum Thema Mobilfunkstrahlung im November gesagt, der dazu vorliegende PDS-Antrag gebe in vielen Punkten den aktuellen Diskussionsstand wieder. Ich würde Ihnen dieses Kompliment gern zurückgeben. Ich kann es aber nicht, weil der seit gestern vorliegende SPD- Antrag den aktuellen Diskussionsstand ausklammert. Sie beschränken sich darauf, die so genannte freiwil- lige Selbstverpflichtung der Mobilfunkbetreiber zu loben und deren Kontrolle anzukündigen. Dabei verbreiten Sie die Illusion, als könnten so die mit der Mobilfunkstrah- lung verbundenen Probleme aus der Welt geschafft wer- den. Mit Vorsorgepolitik, wie es die Überschrift ver- spricht, hat Ihr Antrag jedenfalls nichts zu tun. Zur Vorsorge gehörte es nämlich mindestens, dass Sie die Grenzwerte absenken. Ich will Ihnen sagen, warum. Die gültigen Grenzwerte sind seit 1991 nicht verändert wor- den. Das heißt, der ihnen zugrunde liegende wissen- schaftliche Kenntnisstand ist mehr als zehn Jahre alt und stammt aus einer Zeit vor der Einführung der digita- len Mobilfunknetze. Dennoch gibt es Konsens darüber, dass diese Grenzwerte vor konkret bekannten Risiken wie Schäden durch Erwärmung menschlichen Gewebes schützen. Vorsorgewerte hätten jedoch eine ganz andere Auf- gabe. Sie sollten nicht vor erwiesenen, sondern vor nicht auszuschließenden Gefahren schützen. Gibt es solche Ge- fahren? In der Fachwelt wird das kaum noch bestritten. Selbst die Bundesregierung bejaht in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der CDU/CSU diese Frage – ich zitiere –: Studien an Probanden schließen nicht aus, dass bei Einhaltung des Basisgrenzwertes von 2 Watt pro Ki- logramm für die Teilkörperexposition das mensch- liche Gehirn in seinen physiologischen Reaktionen beeinflusst werden kann. Kollege Winfried Hermann von den Grünen hat im November in seinem Redebeitrag Folgendes festgestellt, ich zitiere: Weil der Umweltminister in dieser Sache längst tätig geworden ist und wir noch in den nächsten Monaten mit der Vorlage des Entwurfs einer novellierten 26. Bundes-Immissionsschutzverordnung rechnen, werden wir dem Antrag der PDS nicht folgen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 200222584 (C) (D) (A) (B) Wenige Tage später machte der Bundeskanzler das ganze Thema zur Chefsache und die geplante Novelle und die Einführung von Vorsorgegrenzwerten war vom Tisch. Gesiegt hat die Lobby der Mobilfunkbetreiber, die durch die Einführung eines um den Faktor zehn abgesenkten Vorsorgewertes Mehrkosten zwischen 2 und 4 Milliarden Euro befürchtet. Dagegen sind die begründeten gesund- heitlichen Befürchtungen Zehntausender Menschen of- fenbar nur ein Pappenstiel. Deshalb fordert die PDS: erstens Fakten zu schaffen, die Gesundheitsrisiken ausschließen, und zweitens das als Bedrohung für die Gesundheit wahrgenommene Aufstel- len von Mobilfunkanlagen zu demokratisieren, also die Betroffenen an den Entscheidungen zu beteiligen. Ihr An- trag dient leider genau dem Gegenteil: diese beiden For- derungen auszuschließen. Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister für Wirtschaft und Technologie: I. Der Mobil- funk ist eine Wachstumsbranche, die in den letzten zehn Jahren Tausende von Arbeitsplätzen geschaffen und gesi- chert hat. Derzeit gibt es in Deutschland rund 57 Milli- onen Nutzer des Mobilfunks und damit deutlich mehr als Festnetzanschlüsse. Der Mobilfunk ist andererseits ein Reizthema. Eine zunehmende Zahl von Menschen in un- serem Lande sieht in den elektromagnetischen Feldern eine Bedrohung ihrer Gesundheit. Verstärkt wird dieser Trend durch den Aufbau der UMTS-Netze, die eine Viel- zahl zusätzlicher Standorte erforderlich machen. Die Bundesregierung ist aus nahe liegenden wirt- schaftspolitischen Gründen an einem weiteren Ausbau des Mobilfunks interessiert. Dies kann aber nur gelingen, wenn diese Technik von den Bürgerinnen und Bürgern akzeptiert wird. Die Besorgnisse über mögliche gesund- heitliche Gefährdungen nimmt die Bundesregierung da- her sehr ernst. II. Seit Beginn der 90er-Jahre gibt es in Deutschland das so genannte Standortverfahren für Funkanlagen. Da- nach bedarf jede Funkanlage ab 10 Watt Leistung einer Genehmigung der Regulierungsbehörde für Telekommu- nikation und Post. Dieses Standortverfahren – übrigens immer noch einzigartig im Bereich der Europäischen Union – stellt sicher, dass sich niemand ohne Autorisie- rung einer Funkanlage so weit nähern kann, dass ihm wirklich Gefahr droht. Es ist die Bauwerkshöhe oder der Zaun, die ihn daran hindern. Dies betrifft sowohl die großen Rundfunksender mit Leistungen bis zu 1 Mega- watt als auch die kleinen Funkanlagen der heutigen Mo- bilfunknetze mit Leistungen um die 20 Watt. Die derzeit im Aufbau befindlichen UMTS-Netze werden ähnliche Leistungswerte wie die heutigen Mobilfunkanlagen ha- ben. Die Grenzwerte für das Standortverfahren beruhen auf den Empfehlungen international anerkannter Gremien. Darüber hinaus hat sich die deutsche Strahlenschutzkom- mission mit den Grenzwertfragen befasst. In Ihrer neues- ten Empfehlung vom September des vergangenen Jahres stellt die Kommission fest, dass es keine wissenschaft- liche Begründung gibt, die gegenwärtigen Grenzwerte zu ändern. Die Bundesregierung hat sich dieser Empfehlung angeschlossen. III. Aus vielen Gesprächen mit Netzbetreibern, kom- munalen Spitzenverbänden und Bürgerinitiativen wissen wir, dass die Quelle für den Unmut und die Besorgnisse in der Bevölkerung häufig das eklatante Defizit an Informa- tion ist. Die Kommunen wissen oft nicht, wer da auf ihrem Terrain was aufbaut, und können ihren Bürgern oder auch einer örtlichen Initiative keine Auskunft geben. Bürger se- hen in ihrer näheren und weiteren Umgebung „in einer Nacht- und- Nebel-Aktion“ Funkmaste aufschießen, über die sie von ihrer Gemeinde weder über den Betreiber noch über Art und Zweck der Anlage Auskunft erhalten. Die Medien – nicht alle – tun das ihrige, um zum Teil mit veralteten Meldungen dem Thema aktuelles Interesse zu verleihen, und rufen ohne wissenschaftliches Funda- ment nach Absenkung der Grenzwerte. Um das Defizit an Informationen abzubauen, hat die Bundesregierung seit Mitte des vergangenen Jahres eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet: 1. Die Bundesregierung hat die Selbstverpflichtung der Mobilfunk- bzw. UMTS-Netzbetreiber im Juli des ver- gangenen Jahres gegenüber den kommunalen Spitzenver- bänden in Bezug auf mehr Beteiligung und Information der Kommunen maßgeblich beeinflusst und wirkt an de- ren Umsetzung mit. 2. Die Bundesregierung hat die Aufgabe übernommen, eine zentrale Standortdatenbank einzurichten und zu pfle- gen, in der sämtliche Funkanlagen mit Standortbescheini- gungen erfasst werden. Alle betroffenen Kommunen wer- den unmittelbaren Zugang zu dieser Datenbank erhalten. 3. Die Bundesregierung wird die bereits bisher durch- geführten bundesweiten Messaktionen in regelmäßigen Abständen wiederholen und das Monitoring elektroma- gnetischer Felder ausweiten. 4. Die Bundesregierung wird eine eigene Informations- kampagne zur Aufklärung der Bevölkerung starten und weltweit verfügbare Literatur über mögliche gesundheit- liche Gefährdungen durch elektromagnetische Strahlung im Internet allgemein verständlich darstellen. 5. Die Bundesregierung verstärkt in erheblichem Maß ihre eigenen Forschungsanstrengungen und wird in den kommenden fünf Jahren etwa 20 Millionen Euro in die einschlägige Forschung investieren. Hinzu kommen Mit- tel in der Größenordnung. von 8,5 Millionen Euro, die von den Netzbetreibern zur Verfügung gestellt werden. IV. Zur Einführung eines Qualitätssiegels für strah- lungsarme Handys möchte ich Folgendes sagen: Es wäre sicher wünschenswert, wenn die Handys mit ihrem SAR-Wert gekennzeichnet würden. Der SAR-Wert ist ein Maß für die vom Körper des Handy-Nutzers ab- sorbierte spezifische Leistung. Die Hersteller geben diese Werte inzwischen im Internet und in den Betriebsanlei- tungen bekannt. Noch besser wäre es, diese Werte würden auf dem Handy selbst oder auf der Verpackung erschei- nen. Den Verbrauchern könnte so ein zusätzliches Ent- scheidungskriterium an die Hand gegeben werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2002 22585 (C) (D) (A) (B) Darüber hinaus wäre es wünschenswert, wenn sich die herstellende Industrie und auch die Netzbetreiber dazu durchringen könnten, in den Gebrauchsanweisungen den Verbrauchern deutliche Hinweise über strahlungsmin- dernde Maßnahmen bei der Nutzung der Handys zu geben. V. In ihrer Antwort auf die Große Anfrage der CDU/CSU vom vergangenen Jahr zu den „Auswirkungen der elektromagnetischen Felder, insbesondere des Mobil- funks“ hat die Bundesregierung sowohl ihre Politik als auch die daraus abgeleiteten Maßnahmen ausführlich dar- gestellt. Insgesamt ist die Bundesregierung davon überzeugt, die Verbraucher in hinreichendem Maße vor den mög- lichen Auswirkungen elektromagnetischer Felder zu schützen. Die Netzbetreiber sind ihrerseits willens, mehr für die Aufklärung der Öffentlichkeit zu tun und insbesondere die Kommunen bei ihrer Netzplanung zu beteiligen und auf besondere Anliegen bei der Standortwahl Rücksicht zu nehmen. Jetzt kommt es darauf an, dass alle Beteiligten die ih- nen gebotenen Mitwirkungsmöglichkeiten auch kon- struktiv nutzen. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts – zu dem Antrag: Frontpartien von Fahrzeugen eu- ropaweit fußgängersicher gestalten – zu der Unterrichtung: Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament Fußgängerschutz: Selbstverpflichtung der europä- ischen Automobilindustrie – zu dem Antrag: Mehr Sicherheit durch Kreisver- kehre (Tagesordnungspunkt 17 a und b) Rita Streb-Hesse (SPD): Frontschutzbügel an Fahr- zeugen sind in den Weiten mancher Kontinente ohne Frage sinnvoll, aber sicher nicht auf den Straßen Europas. Hier sind sie für Fahrradfahrer und Fußgänger, insbeson- dere für Kinder, höchst gefährlich – und diese gilt es zu schützen. Alle Fraktionen und die Bundesregierung sind sich da- her einig, dass ein europaweites Verbot notwendig ist. Seit 1998 ist die Bundesregierung in diesem Sinne initiativ und, wie wir heute feststellen können, erfolgreich: Die eu- ropäische Automobilindustrie hat sich zu einer fußgänger- freundlichen Gestaltung der Fahrzeugfront verpflichtet; schon ab diesem Jahr werden Fahrzeuge bis zu 2,5 Tonnen nicht mehr mit starren Frontschutzbügeln ausgerüstet. Die Bundesregierung drängt aber weiterhin auf die Einführung verbindlicher Vorschriften für Europa, die auch große Geländewagen und Nachrüstteile einbeziehen und für alle Kraftfahrzeuge gültig sind. Um diesem An- liegen Nachdruck zu verleihen und ein rasches Arbeiten der EU-Kommission zu erreichen, bereitet Bundesminis- ter Bodewig parallel ein nationales Verbot vor. Da dieses Vorgehen, der Bundesregierung den Intentionen aller Fraktionen entspricht, haben wir uns im Ausschuss auf einen gemeinsamen Antrag als verstärkende Unter- stützung verständigt, der heute zur Beschlussfassung des Bundestages vorliegt. Über Jahre waren Ampelanlagen das Nonplusultra der Verkehrslenkung und Verkehrssicherheit auf unseren Straßen. Mit zunehmender Mobilität und der damit ein- hergehenden höheren Verkehrsdichte wuchs der Anteil der Ampel- und Signalanlagen, ebenso der Schilderwald. Seit einigen Jahren können wir hier ein „Umdenken“ fest- stellen. Diskutiert wird, ob und inwieweit die Vielzahl von Verkehrszeichen noch Hilfestellung gibt oder eher Ver- wirrung stiftet. In einigen Kommunen laufen deshalb Mo- dellversuche, bei denen in ausgewählten Gebieten unter dem Gesichtspunkt „Weniger ist vielleicht mehr“ das Ver- kehrsverhalten und die Unfallhäufigkeit nach Beseitigung eines Teils vorhandener Verkehrszeichen beobachtet wird. So verwundert es nicht, dass auch Kreisverkehrsplätze eine „Renaissance“ erfahren. Der Antrag der CDU/CSU will diese Entwicklung forcieren. Die im Vorspann der eigentlichen Antragspunkte beschriebenen Vorteile von Kreisverkehrsplätzen decken sich mit der Einschätzung des Ministeriums und aller Fraktionen hinsichtlich der Reduzierung von Unfällen im innerörtlichen Verkehr und auf kleineren Landstraßen. Für Bundesfernstraßen – und nur für diese ist der Bund zuständig – ist die Einrichtung von Kreisverkehren wegen der unterschiedlichen Straßenfunktionen nicht unbedingt die „unfallvermei- dende Lösung“ und kann im Widerspruch zur Zweckbe- stimmung stehen. In Begleitung der wachsenden „Popu- larität“ wurden schon 1995 durch das Verkehrsminis- terium Regelungen für den Einsatz und die Gestaltung von Kreisverkehrsplätzen erarbeitet und wurde 1998 ein diesbezügliches Merkblatt erstellt. Mit der 33. Änderung der Straßenverkehrsordnung im Jahr 2000 wurde darüber hinaus der gestiegenen Bedeutung auch im Straßenver- kehrsrecht Rechnung getragen. Das von der CDU/CSU für notwendig erachtete Son- derprogramm zum Bau vieler Kreisverkehrsplätze schießt jedoch weit über das Ziel hinaus. Schon jetzt haben die Straßenämter den von der CDU/CSU geforderten Ermes- sensspielraum, auch auf Bundesfernstraßen dort Kreis- verkehrsplätze einzurichten, wo dies die geeignete Lö- sung ist. Deren Finanzierung ist mit den zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln sichergestellt. „Voll dane- ben“ ist aber die geforderte Finanzierung aus den Mitteln für das Anti-Stau-Programm, das Investitionsmaßnahmen zur Stauvermeidung auf den Bundesautobahnen beinhal- tet und mit dem Aufkommen aus der streckenbezogenen LKW-Vignette zweckgebunden finanziert werden soll. Ich freue mich, heute erneut anhand von Anträgen der Opposition die gute und erfolgreiche Arbeit der rot-grü- nen Bundesregierung in zwei der vielen Bereiche der Ver- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 200222586 (C) (D) (A) (B) kehrssicherheitspolitik darstellen zu können. Ich freue mich ebenso über den feststellbaren politischen Grund- konsens und die konstruktive Zusammenarbeit. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Konti- nuität ist das A und O in der Verkehrssicherheit. Kampa- gnen, Pläne und Ziele machen hier nur dann Sinn, wenn sie auf Dauer angelegt sind. Das Verhalten der Menschen muss sich ändern – zuerst in den Köpfen, dann auf der Straße. Darin sind sich – Gott sei Dank – alle Fraktionen im Bundestag einig. Nur in der Intensität unterscheiden Sie sich. Die CDU/CSU-Fraktion stand immer für diese Kontinuität. Das galt für die Zeit der Regierung; das gilt aber auch jetzt in der Opposition, wie die hier debattier- ten Anträge beweisen. Verkehrssicherheit muss auf Verhaltensänderung ab- stellen – weg vom Einzelkämpfer, hin zum Teamarbeiter. Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat, die Verkehrswach- ten, der ADAC, der ADFC, die Technischen Überwa- chungs-Vereine, die Polizei, Kindergärten, Schulen und viele andere leisten dabei eine wichtige Arbeit. Was jedoch fehlt in unserer Republik, ist ein Gesamt- konzept für mehr Sicherheit im Straßenverkehr. Von drei SPD-Verkehrsministern angekündigt, gibt es bis heute keine umfassende Konkretisierung. Ganz anders dagegen handelt die Europäische Kom- mission. Sie hat ein Zehnjahresprogramm aufgelegt. Sie zeigt Betroffenheit. Das ist praktizierte Mitverantwor- tung; denn Europas Unfallbilanz – und wir gehören dazu – ist bitter, bedrückend und belastend. Täglich sterben 123 Menschen im Straßenverkehr. Die EU setzt auf sichere Frontpartien, besonders bei Geländewagen, um mehr Fußgänger- und Radfahrer- schutz zu erreichen. Sie zeigt konkrete Absichten. Bei uns zögert und zaudert man in dieser Frage, trotz des Antrags der Union, trotz der Aufforderung durch die Kinderkommission des Deutschen Bundestages, trotz Ap- pellen von Experten, trotz des Wissens, dass diese Kuh- fänger voller Risiken sind. Nach Auffassung des Europäischen Verkehrssicher- heitsrates könnten fast 2 000 Menschenleben gerettet und über 15 000 Verunfallte mit schweren Verletzungen ver- hindert werden, würde man die passive Sicherheit der Fahrzeuge insgesamt endlich verbessern. Vertretbare Frontpartien gehören dazu. Ein Unfall mit 20 km/h hat bei einem Geländewagen mit Frontschutzbügeln die gleiche Aufprallwirkung wie ein Zusammenstoß mit einer normalen Frontpartie bei 40 km/h – verheerend für Fußgänger, tragisch besonders für Kinder. Anstatt die Autokonzerne zu mehr Fahrzeugsicherheit zu verpflichten, weicht man mit Hinweis auf Brüssel der Herausforderung aus. Der Autokanzler will es offensicht- lich mit der Autobranche nicht verderben. Auf ein Mehr an Sicherheit setzt auch der zweite An- trag der CDU/CSU, der heute hier debattiert wird. Kreis- verkehre sind außerorts die sichersten Verkehrskreuzun- gen. Die Geschwindigkeit wird herabgesetzt, die Vorsicht sitzt am Steuer. Diese innovativen Lösungen, die zudem günstig zu bauen und zu warten sind, müssen weiter vor- angetrieben werden. Die Regierung aber scheut mutige Programme, obwohl ein Mehr an Sicherheit erreicht werden kann. Das zeigt sich auch bei der Finanzierung der Verkehrssicherheit. Bis auf 1999 lag der Haushaltstitel für die Verkehrssicherheit gleichbleibend bei 11,248 Millionen Euro, trotz regel- mäßiger Erhöhungsankündigungen. Das ist zu wenig für eine kontinuierliche Verkehrssicherheitspolitik. Peinlich, wenn Organisationen darüber klagen, dass sie mit Lehr- büchern aus dem Jahr 1972 arbeiten müssen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat in den letzten Jahren immer wieder darauf hingewiesen, dass die Mittel für die Verkehrserziehung gesteigert werden müssen, wenn die Wirksamkeit der Maßnahmen gewahrt werden soll. Bei 2,4 Millionen Verkehrsunfällen im Jahr darf man bei der Finanzierung der Verkehrssicherheitsmaßnahmen nicht kleckern, sondern muss klotzen. Zu viele Schwachstellen zeigt auch die Verkehrssi- cherheitspolitik des jetzt dritten Verkehrsministers in die- ser Regierung. „Gelassen läuft’s“ ist offensichtlich nicht nur der aktuelle Verkehrssicherheitsslogan, zu bewundern am Straßenrand, sondern – ironisch angemerkt – offen- sichtlich die Leitlinie von Fachminister Kurt Bodewig. Die CDU/CSU-Fraktion hat mit ihrem Antrag zu si- cheren Frontpartien von Fahrzeugen bewiesen, dass sie handelt. Die Regierung dagegen hat, indem sie den Antrag neun Monate hat schmoren lassen, eine unvertretbare Untätigkeit unter Beweis gestellt. Viele schlimme Unfälle hat es in der Zwischenzeit wieder gegeben. Die Industrie muss aufgefordert werden zu handeln. Auf eine Selbstverpflichtung dabei zu setzen ist gut, weil sie auf Einsicht baut. Wichtiger ist es aber, den Unein- sichtigen auf die Sprünge zu helfen. Beim Autokauf wird darauf geachtet, dass die eigene Sicherheit – die des Fahrers und Beifahrers – hoch ist. Hersteller gehen mit immer neuen Entwicklungen darauf ein. Die Interessen von Fußgängern und Radfahrern aber werden oft nicht im gleichen Zuge weiterentwickelt. Hier besteht Handlungsbedarf. Bei den besonders häufig auftretenden Frontalzusam- menstößen zwischen Fußgängern/Radfahrern und PKW sind aufseiten der Kraftfahrzeuge in erster Linie zwei Ge- fahrenpunkte auszumachen: zum einen die beim Fron- talanprall zunächst treffende Stoßstange und Kühlerpartie mit der unmittelbaren Gefahr von schweren bis hin zu schwersten Verletzungen. Hier drohen, so Sicherheitsex- perten, namentlich bei Fahrzeugen mit Frontschutzbügeln, besonders häufig tödliche Kopfverletzungen für Kinder. Ein weiteres Problem ist der Bereich von Windschutz- scheibe und A-Säule. Hier kann es zu erheblichen bis schwersten Verletzungen nicht nur durch den Anprall, sondern besonders auch durch den Abprall und den nach- folgenden Sturz auf die Fahrbahn kommen. Auch hier tra- gen steife Frontpartien wesentlich zur Unfallschwere bei, indem sie den Passanten oder Fahrradfahrer anheben und es zu einem Anprall auf die Windschutzscheibe kommt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2002 22587 (C) (D) (A) (B) Bei beiden Unfallschwerpunkten könnte durch leicht verformbare Frontpartien die passive Sicherheit bei Zu- sammenstößen mit ungeschützten Verkehrsteilnehmern wesentlich erhöht werden. Obgleich diese Fakten seit län- gerem bekannt sind und konkrete Verbesserungen regel- mäßig von den anerkannten Verkehrssicherheitsverbänden angemahnt werden, versteckt sich die Bundesregierung hinter dem Verweis auf laufende, in ihrer Dauer aber nicht absehbare europäische Verhandlungen. Selbst die Ermah- nungen der Kinderkommission des Deutschen Bundesta- ges haben die Regierung nicht zu einem Einlenken ge- bracht. Sie verlässt sich lieber auf einen Vorstoß von Brüssel, anstatt selbst die Initiative zu ergreifen. Gerade für Deutschland als das größte Transitland in Europa ist es umso wichtiger, eine europaweite Regelung zu erzielen. 1999 gab es 47 582 Unfälle zwischen Fahrradfahrern und PKW – das sind mehr als 12 Prozent aller Verkehrs- unfälle sowie weitere 28 220 zwischen Fußgängern und PKW; das sind mehr als 7 Prozent aller Verkehrsunfälle. Bei diesen fast 66 000 Unfällen gab es unter den PKW-In- sassen 3 Tote, aber 868 Tote unter den ungeschützten Ver- kehrsteilnehmern. Diese Zahlen sind keine einmaligen Spitzenwerte. So geht die Bundesanstalt für Straßenwe- sen (BAST) in einer Prognose bis zum Jahr 2010 sogar von einer Steigerung der Unfälle mit Fahrradfahrern um 6 Prozent aus. Noch immer gilt: Zu Fuß zu gehen ist über neun Mal gefährlicher, als mit dem Auto zu fahren. Das ist, am Rande bemerkt, auch kein Anreiz, umzusteigen auf umweltfreundlichere Verkehrsmittel. Verkehrsverlage- rung auf das Fahrrad oder den Fußweg wird so vereitelt. Die Bundesregierung kommt ihrer Pflicht, geeignete Maßnahmen zum Schutz der Menschen zu schaffen, nicht ausreichend nach. Sie verlässt sich auf Europa, um selbst nicht handeln zu müssen. Sie wird erst durch die Opposi- tion gezwungen, sich des Themas überhaupt anzunehmen. Ohne Kollegen wie Manfred Heise, der sich seit langem mit den Folgen von ungeeigneten Frontpartien beschäf- tigt, der dafür kämpft, dass die Rechte von Fußgängern und Radfahrern gewahrt werden, fände dieses wichtige Thema noch weniger Gehör. Wir brauchen eine europäische Lösung. Jährlich 42 500 Verkehrstote haben wir in der EU zu beklagen – über 3,5 Millionen Menschen werden Jahr für Jahr Opfer mit schweren Schädigungen von Verkehrsunfällen. Sie alle dürfen nicht als Preis der Mobilität hingenommen werden. Der europäische Verkehrssicherheitsrat beziffert die Unfallschäden auf jährlich über 160 Milliarden Euro, das Doppelte des gesamten EU-Haushaltes. Doch die EU bilanziert nicht nur, sie handelt konsequent. Ihre Absicht ist es, bis 2010 die Anzahl der Verkehrstoten auf 25 000 zu senken. In unserem Land gibt es kein Ziel dieser Art und kein Sicherheitskonzept mit einer festen Ausrichtung. Die EU arbeitet aktuell an einer Richtlinie, wie Straßen siche- rer werden können. Besonders an Unfallschwerpunkten orientiert man sich. Die Bundesregierung muss eine Vor- reiterrolle in diesem europäischen Prozess übernehmen und darf sich nicht auf den Lorbeeren aus Brüssel ausruhen. Die Verkehrssicherheit ist nur eine der vielen Spar- büchsen von Minister Eichel. Bodewig wehrt sich nicht dagegen. Mit 11,248 Millionen Euro liegt der Beitrag der Bundesregierung auf gleich bleibend schlechtem Niveau. So können die Verbände und Vereine, die sich um die Ver- kehrssicherheit in unserem Land kümmern, nicht arbei- ten. Die Konsequenz: Einer von drei Bürgern auf unserem Kontinent muss im Laufe seines Lebens infolge eines Au- tounfalls ins Krankenhaus; einer von 20 EU-Bürgern wird durch einen solchen Unfall getötet oder Invalide, einer von 80 Bürgern beendet sein Leben etwa 40 Jahre zu früh durch einen Unfall. Ein weiteres Beispiel für die Verantwortungslosigkeit von Rot-Grün ist die Einstellung des erfolgreichen Pilot- Projektes „Trinken und Fahren könnt ihr Euch sparen“, mit dem junge Leute zur Einsicht gebracht werden soll- ten. Von der alten Bundesregierung war es angefangen worden. Die neue ließ es prompt auslaufen. Fachlich klug ist das nicht! Dabei gibt es Möglichkeiten, auch mit In- frastrukturmaßnahmen den Unfällen vorzubeugen. Die Unfallstatistiken zeigen, dass sich lediglich etwa 6,7 Pro- zent aller registrierten Unfälle auf den gut ausgebauten Autobahnen zugetragen haben. Im Gegensatz dazu stellen Land- und Innerortsstraßen immer noch den traurigen Schwerpunkt bei Verkehrsunfällen dar. Um dieser Entwicklung wirksam begegnen zu können, ist eine verstärkte Einführung von Kreisverkehrsplätzen durchzusetzen. Sowohl auf dem Gebiet der Verkehrssi- cherheit als auch beim Verkehrsablauf, der Umweltver- träglichkeit, der Wirtschaftlichkeit sowie für das Land- schaftsbild stellen Kreisverkehrsplätze eine anerkannte Alternative dar. Nachdem sich im europäischen Ausland erwiesen hat, dass sich durch Kreisverkehrsplätze die Un- fallzahlen erheblich reduzieren lassen, stößt diese Form von Verkehrsknotenpunkten inzwischen auch in Deutsch- land auf mehr Interesse, da neben den Fragen der Ver- kehrssicherheit auch eine größere Leistungsfähigkeit so- wie eine angemessenere Verkehrsführung für solche Lösungen sprechen. Straßenbauämter verzeichnen eine hohe Zahl von Anfragen zu Kreisverkehren; circa 5 Pro- zent davon können jährlich tatsächlich realisiert werden. Die Bedeutung von Kreisverkehrsplätzen für eine deutliche Verringerung der Unfallzahlen mit Verunglück- ten ist demnach anzuerkennen. Es ist daher notwendig, ein Sonderprogramm für mehr Kreisverkehrsplätze in Deutschland aufzulegen. Die Finanzierung für ein solches Programm ist zu 100 Prozent aus dem Bundesfern- straßenhaushalt sicherzustellen, weil neben den Landes- besonders Bundesstraßen Unfallschwerpunkte sind. Meine Kollegen Dirk Fischer und Eduard Oswald ha- ben sich immer wieder auf vorbildliche Weise für mehr Verkehrssicherheit eingesetzt. Die Stimmen der Opposi- tion dürfen bei einem so wichtigen Thema nicht aus Par- teikalkül überhört werden. Es ist wichtig, Geschlossen- heit zu zeigen, wenn es darum geht, Menschenleben zu retten. Die Regierung muss jetzt handeln! Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Der Antrag der Union geht in die richtige Rich- tung. Er zielt aber ins Leere. Die Europäische Kommis- sion bereitet zurzeit umfassende Vorschriften zum Fußgängerschutz vor. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 200222588 (C) (D) (A) (B) Es gilt, Fahrzeugfronten derart zu gestalten, dass die Zahl der Verkehrsopfer unter den Kindern, Fußgängern und Radfahrern weiter gesenkt wird bzw. deren Verlet- zungen gemindert oder sogar vermieden werden. Hierfür werden gerade entsprechende Anforderungen festgelegt. Auch der europäische Verband der Automobilhersteller hat das Problem erkannt und Vorschläge für eine freiwil- lige Selbstverpflichtung unterbreitet, die in die richtige Richtung gehen. Die angebotene Selbstverpflichtung basiert hinsicht- lich der allgemeinen Fußgängerschutzvorschriften auf dem Richtlinienvorschlag der Kommission. Darum kann er überwiegend akzeptiert werden. Aber der angebotene Verzicht auf starre Frontbügel aus Metall an Kfz bis zu 2,5 Tonnen ist jedoch nicht ausreichend. Viele Gelände- wagen würden nicht erfasst. Die Bundesregierung hat darum ein besonderes Inte- resse an der verbindlichen Festschreibung eines Verbotes von Frontschutzbügeln an Neufahrzeugen sowie deren Nachrüstung damit artikuliert. Das Verbot muss natürlich für alle PKWGeltung entfalten. Auf Drängen der Bundes- regierung wurde in die Schlussfolgerungen des Rates die Aufforderung an die Kommission aufgenommen, zusätz- lich zur vorliegenden Selbstverpflichtung entsprechende verbindliche europäische Vorschriften vorzulegen. Die Kommission will nach der noch ausstehenden Stel- lungnahme des Europäischen Parlaments, die Anfang April dieses Jahres erwartet wird, ihre Entscheidung zur Form der Vorschrift bekannt geben. Entweder wird es eine Richtlinie oder eine Selbstverpflichtung der Automobilin- dustrie mit obigem Inhalt geben. Mir ist zwar eine Richt- linie lieber; wenn allerdings der Weg der Selbstverpflich- tung der Industrie schneller, aber ebenso gut zum Erfolg führt wie eine Richtlinie, kann ich diesen Weg mitgehen. Noch ein Wort zu Kreisverkehren: Die Vorteile von Kreisverkehren in Bezug auf Verkehrssicherheit und Ver- kehrsleitfähigkeit sind von der Union in ihrem Antrag gut und vollständig aufgelistet worden. Die reichhaltigen po- sitiven Erfahrungen, die die Länder und Kommunen mit den von ihnen eingerichteten Kreisverkehren gesammelt haben, standen dem Antrag der Union ersichtlich Pate. Die Union hat auch erkannt, dass der eigentliche Adressat für die Errichtung von Kreisverkehren nicht die Bundesregierung ist, sondern die Straßenbauverwaltun- gen der Länder. Darum der Trick mit dem Sonderpro- gramm und die Aufforderung an den Bund, die Finanzie- rung so sicherzustellen. Hier wird von der Opposition in alter Manier Geld verteilt, ohne zu überlegen, ob es über- haupt vorhanden ist. Die Union sollte sich einmal überlegen, dass uns wohl sicher der Bundesrechnungshof in die Pflicht nehmen würde, wenn der Bund ohne Zuständigkeit für Länder und Gemeinden die Finanzierung von Bauvorhaben über- nimmt. Was Bundesfernstraßen betrifft hat der Bund be- reits, wo sachlich opportun, Kreisverkehre als Problemlö- sung an Unfallschwerpunkten realisiert. Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Wir debattieren heute zu nachtschlafender Zeit zwei für die Verkehrssi- cherheit in Deutschland sicherlich wichtige Punkte: Die Situation der Frontpartien von PKWs, insbesondere das Sonderproblem der so genannten Bullfänger, und auf An- trag der CDU/CSU die Sachlage der Kreisverkehre in Deutschland. Aus Sicht der Liberalen ist die Lösung des Problems fußgängerfreundlicherer Frontpartien seit langer Zeit not- wendig und bedarf zu einer sachgerechten Lösung einer gesamteuropäischen Richtlinie, um nationale Sonderhei- ten auszuschließen. Hervorstechend hier ist die Sondersi- tuation der so genannten Bullfänger, insbesondere an in der Innenstadt eingesetzten Geländewagen, die optisch zwar schön aussehen, bei Unfällen aber insbesondere Fußgänger und hier Kinder zusätzlich empfindlich verlet- zen können. Für die FDP erkläre ich klar, dass wir einer gesetzlichen Regelung zur Abschaffung dieser „Bullfän- ger“ offen gegenüberstehen. Wir haben deshalb auch den gemeinsamen Antrag des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen initiiert, dem wir vollinhaltlich zu- stimmen. Soweit sich auf europäischer Ebene eine kurz- fristige Lösung dieser Gesamtproblematik nicht umsetzen lässt, sind wir damit einverstanden, dass die Bundesregie- rung auf nationaler Ebene eine entsprechende Änderung der Straßenverkehrszulassungsordnung umsetzt. Auch zum Kreisverkehr und zur Erhöhung der Ver- kehrssicherheit sind die Liberalen positiv eingestellt. Der vorgelegte Antrag der Union geht aus unserer Sicht aller- dings über das Ziel hinaus. Im Wesentlichen sind Kreis- verkehre im innerstädtischen und kommunalen Straßen- bereich notwendig. Für diese Finanzierung ist der Bundestag nicht zuständig, zumindest nicht, was die Aus- bauplanung dieser Straßen angeht. Darüber hinaus halten wir es für den falschen Weg, die Finanzierung eines Son- derprogramms Kreisverkehre aus dem so genannten Anti-Stau-Programm vorzunehmen, zumindest so lange, wie die Finanzierung für die bereits dort beschlossenen Maßnahmen noch nicht einmal sichergestellt worden ist. Wir werden deswegen der Beschlussempfehlung des Ausschusses im Zusammenhang mit den Frontpartien der PKWs zustimmen und uns bei der Abstimmung über den Antrag der CDU/CSU der Stimme enthalten. Rosel Neuhäuser (PDS): Immer mehr Fahrzeuge werden von den Automobilherstellern mit Frontschutzbü- geln ausgestattet. In den meisten Fällen handelt es sich da- bei lediglich um einen in Mode geratenen Zierrat. Wirkli- chen Bedarf dafür gibt es eigentlich nur für Fahrzeuge auf dem Bau oder in der forstwirtschaftlichen Nutzung. In solchen Bereichen sind Frontschutzbügel ja auch sinn- voll. Hier dienen sie zum Schutz der Insassen. Im norma- len Straßenverkehr allerdings stellen sie nur eine zusätz- liche Gefährdung für Fußgänger und Fahrradfahrer dar. Das gilt vor allem für Kinder. Für Kinder befinden sich die Frontschutzbügel genau in Kopfhöhe. Das Material ist unnachgiebiger als die Kühlerhaube oder Stoßstange. Aus diesem Grunde kann, selbst bei geringem Tempo des Fahrzeuges, der Zusammenstoß für Kinder tödlich sein. Und alles nur, damit das Auto sportlicher und schneller aussieht. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2002 22589 (C) (D) (A) (B) Als Kinderkommmission haben wir uns bereits auf na- tionaler und europäischer Ebene im letzten Jahr für die Abschaffung von Frontschutzbügeln eingesetzt, zuletzt auch mit einem Alleingang im Wege der Kfz-Zulassungs- verordnung. Ich freue mich, dass die Kinderkommission im Kampf gegen die besonders für Kinder so gefährlichen Front- schutzbügel breite politische Unterstützung erhalten hat. Daher stimmen wir dem Antrag mit Freuden zu. Aus der Mitteilung der EU-Kommission nehmen wir interessiert zur Kenntnis, das mit der europäischen Au- toindustrie eine Selbstverpflichtung über eine weniger unfallträchtige Gestaltung von Neufahrzeugen ausgehan- delt worden ist. Diese soll zu unterschiedlichen Fristen mit unterschiedlichen Maßnahmen in Kraft treten und Kontrollmöglichkeiten enthalten. Diese Worte höre ich wohl und wir als Kinderkommission, drängen auf mög- lichst schnelle Umsetzung. Einige Worte zum Problem von mehr Sicherheit durch Kreisverkehre. Die Forderung nach einem Sonderpro- gramm für mehr Kreisverkehrsplätze ist aus meiner Sicht zu pauschal gestellt. Die positiven Erfahrungen, insbe- sondere zum Rückgang der Zahl der Unfälle, treffen nur auf kleine Kreisverkehre zu. Auch die vielen im Antrag genannten Vorteile sind Vorteile an kleinen Kreisverkeh- ren. Bezüglich der Verkehrsberuhigung durch Kreisver- kehre gibt es aus der Praxis recht widersprüchliche Mei- nungen. Da es zudem auch eine Reihe von Nachteilen gibt, ist ein forcierter Umbau von ampelgeregelten Kreu- zungen zu Kreisverkehrsplätzen nicht sinnvoll. Aus diesen und weiteren Gründen, die ich mangels Zeit nicht weiter benennen kann, enthalten wir uns bei diesem Antrag der Stimme. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisie- rung der Besoldungsstruktur (Besoldungs- strukturgesetz – BesStruktG) – des Entwurfs eines Gesetzes zur Fortsetzung der Dienstrechtsreform (Tagesordnungspunkt 31 c) Hans-Peter Kemper (SPD): Nach langer, teilweiser recht mühevoller Vorarbeit werden wir heute die Neure- gelungen zur Besoldungsstrukturreform beschließen. Um es gleich vorweg zu sagen: es ist ein gutes Gesetz gewor- den, ein Gesetz, dass mehr Modernisierung, Flexibilisie- rung, deutlich bessere Leistungsanreize aber auch. Ver- einfachungen in das mitunter doch recht starre System des Berufsbeamtentums einführt. Ich will in der gebotenen Kürze nur auf einige wichtige Schwerpunkte dieses Reformgesetzes eingehen: Im öf- fentlichen Dienst haben wir bereits heute leistungsbezo- gene Gehaltsbestandteile, deren Vergabe allerdings quo- tiert ist, nämlich auf 10 Prozent der A-Besoldeten. Diese Vergabequoten sind auf 15 Prozent angehobenen worden. Es ist nur ein erster Schritt, aber ein Schritt in die richtige Richtung. Gleiches gilt für die besseren Honorierungs- möglichkeiten von Teamarbeit. Hiermit wird gerade den Erschwernissen im Polizeidienst, im Zolldienst – überall dort, wo vorrangig in Teams gearbeitet wird und wo die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in sehr starkem Maße aufeinander angewiesen sind – Rechnung getragen. Verän- derungen bei den Stellenplanobergrenzen sowie deutliche Ausweitungen bei der Vergabe von Beamtenverhältnissen auf Probe und Führungsfunktionen im Beamtenverhältnis auf Zeit, sind weitere wichtige Flexibilisierungsbestand- teile im öffentlichen Dienst. Im Anschluss an die menschenverachtenden An- schläge in den USA am 11. September 2001, die erhebli- che Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl der Bevöl- kerung, auch in der Bundesrepublik, aber insbesondere auf den Luftverkehr gehabt haben, ist innerhalb des Anti- terrorpakets beschlossen worden, so genannte Skymar- shalls oder Flugsicherheitsbegleiter einzusetzen. Diesen Flugsicherheitsbegleitern soll eine Erschwerniszulage zu- erkannt werden – in der Größenordnung wie bei den GSG-9-Beamten. Nun wird ja nicht ganz zu Unrecht darauf verwiesen, dass die neuen Zulagen der generellen Zielsetzung, Zula- gen abzubauen, entgegenlaufen. Das ist auch nicht völlig falsch. Wer sich aber den jüngsten Versorgungsbericht, die Diskussionen um die Versorgungsreform und die darin deutlich gewordenen Probleme noch einmal vor Augen führt, der wird diese Lösung bejahen. Die geplanten Zu- lagen werden nicht ruhegehaltsfähig sein und demzufolge auch den „Versorgungsetat“ nicht zusätzlich belasten. Jede andere Regelung – Beförderungen usw. –, hätte zu zusätzlichen Ruhegehaltsansprüchen und damit zu einer weiteren nicht zu verantwortenden Verschärfung der Ver- sorgungsproblematik geführt. Dem aufmerksamen Zuhörer oder Leser wird nicht entgangen sein, dass bei der ersten Lesung zwei weitere Schwerpunkte in diesem Gesetzentwurf vorhanden wa- ren, nämlich die Neuregelung des Familienzuschlags durch Streichung des so genannten Verheiratetenzu- schlags und die Flexibilisierung der Bezahlung im Ein- gangsamt und ersten Beförderungsamt im gehobenen und höheren Dienst durch die Einführung von so genannten Bandbreiten über drei Besoldungsgruppen. Nach langen, zum Teil auch streitigen Diskussionen sind diese beiden Elemente aus dem Gesetzentwurf herausgenommen wor- den und ich kann nicht behaupten, dass ich darüber unbe- dingt traurig bin. Für den Bereich der Bundeswehr haben wir mit der An- hebung der Altersteilzeitbezüge eine Neuausrichtung der für die betroffenen Beamten infrage kommenden Rege- lung insofern vorgesehen, als sie den tarifvertraglichen Regelungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angeglichen werden. Hierbei handelt es sich um flankie- rende Maßnahmen für den dringend notwendigen Trans- formationsprozess in der Bundeswehr und um eine erheb- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 200222590 (C) (D) (A) (B) liche Verbesserung der Alterssicherung für vorzeitig aus- scheidende Soldaten. Wir haben den Mobilitätszuschlag für Wehrpflichtige durch eine individuelle Berücksichti- gung der tatsächlich entstehenden Aufwendungen verbes- sert und den heutigen Gegebenheiten angepasst. Lassen Sie mich gerade in Bezug auf die Bundeswehr doch noch einige zusätzliche Bemerkungen machen: Wir haben in dieser Legislaturperiode mehrfach die Thematik Bundeswehr auf der Tagesordnung gehabt. Wir haben die Situation der Bundeswehrbediensteten nachhaltig verbes- sert. Nicht nur die Anhebung der Altersteilzeitbezüge und die Regelung des Mobilitätszuschlags in diesem Gesetz, sondern auch die Abschaffung der Besoldungsgruppen A 1 und A 2 sowie erhebliche Verbesserungen in den Be- soldungsgruppen A 9, A 12 und A 13 fallen hierunter. Da- rüber hinaus hat es noch eine Reihe von Verbesserungen und Veränderungen gegeben, die ich hier in allen Einzel- heiten gar nicht aufführen will. Ich kann mich aber nicht erinnern, dass es in einer Legislaturperiode in der Vergan- genheit so viele Verbesserungen für die Bundeswehr ge- geben hat. Ich glaube, die Soldaten wissen das auch. Wer es nicht weiß oder nicht wissen will, es aber unbedingt wissen sollte, ist der Herr Gertz vom Deutschen Bundes- wehrverband. Der hat aber wohl mehr damit zu tun, in un- qualifizierter Form den Bundesverteidigungsminister zu diffamieren, als sich im Interesse seines Verbandes um diese Fakten zu kümmern und sie auch anzuerkennen. Der öffentliche Dienst ist motiviert, er leistet gute Ar- beit und das wird in diesem Gesetzentwurf auch honoriert. Allerdings ist eines auch klar: In einer Zeit, in der unsere Gesellschaft sehr stark in Bewegung ist, muss sich auch der öffentliche Dienst bewegen, muss sich auch das Be- rufsbeamtentum erneuern. Starres Festhalten an den althergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums bedeutet irgendwann auch dessen Ende. Nur ein moder- nes leistungsbezogenes Berufsbeamtentum garantiert sei- nen dauerhaften Fortbestand. Dieses heute vorgelegte Gesetz, dem wir, natürlich, weil es ein gutes Gesetz ist, zustimmen werden, zeigt wichtige Schritte in die richtige Richtung auf, ebnet den Weg für ein modernes Berufsbeamtentum. Deshalb soll- ten alle, die das Berufsbeamtentum erhalten wollen, die- sem Gesetzentwurf zustimmen. Wir finden das Gesetz gut und die Opposition sollte dies auch tun. Meinrad Belle (CDU/CSU): Leistungsfeindlich, be- amtenfeindlich, familienfeindlich – das war Ihr erster Ent- wurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Besoldungs- struktur. Als reines Spargesetz zulasten der betroffenen Beamten wurde es auch von den Spitzenverbänden ein- hellig abgelehnt. Zu Denken gab Ihnen offenbar auch die eindeutige Ablehnung Ihres Entwurfs durch den Bundes- rat. Unsere massive Kritik und die eindeutige Beanstan- dung durch die ganz überwiegende Zahl der Sachverstän- digen in der öffentlichen Anhörung führte nun bei Ihnen zu einer Kehrtwendung. Sie sind – was ich durchaus als positiv feststelle – auf den richtigen Weg zur Fortsetzung zur Reform des Dienstrechtes mit dem Ziel der leistungsfähigen und qua- lifizierten Weiterentwicklung des Berufsbeamtentums zurückgekehrt. Der im Änderungsantrag der Koalitionsparteien vom 15. März 2002 enthaltene Verzicht auf die Einführung von Bezahlungsbandbreiten im gehobenen und höheren Dienst sowie der Verzicht auf die Streichung des Verhei- ratetenzuschlages wird von uns ausdrücklich begrüßt. Allerdings wäre aus unserer Sicht besonders wünschens- wert gewesen, wenn Sie auch beim Versorgungsände- rungsgesetz die notwendigen Konsequenzen aus dem Er- gebnis der seinerzeitigen Anhörung gezogen hätten. Auch die im weiteren Änderungsantrag vorgesehenen Veränderungen und Verbesserungen zum Beispiel bei der Bundeswehr, den Stellenobergrenzen, der Leistungsstufe, Leistungsprämie und Leistungszulage sowie der Ein- führung des gesonderten Erschwerniszuschlages für Flugsicherheitsbegleiter usw. werden von uns mitgetra- gen. Die bereits im ursprünglichen Entwurf vorgesehene Einführung einer Zulage für die Wahrnehmung befristeter Funktionen wird von uns allerdings abgelehnt. Zulagen sollten – wie in unserem Dienstrechtsreformgesetz der letzten Legislaturperiode – generell abgebaut und nicht neu eingeführt werden. Die neue Zulage wird bereits jetzt schon als „Pressesprecherzulage“ betitelt und kann poli- tisch missbraucht werden. Die Ausweitung auf alle Leiter öffentlicher Schulen – ohne Rücksicht auf Größe der Schule bzw. der Einstu- fung des Schulleiters – stößt jedoch bei uns auf erhebliche Bedenken. Die althergebrachten Grundsätze des Berufs- beamtentums lassen nach unserer Auffassung nur die vorübergehende Besetzung herausgehobener Führungs- positionen auf Zeit zu zur Überprüfung der Führungsqua- lifikation. Denn „ein guter Abteilungsleiter ist nicht automatisch ein guter Behördenleiter“. Die Führungsqua- lifikationen eines entsprechenden Bewerbers kann ich je- derzeit im Konrektorenamt testen. Bedenken Sie: Welche Autorität hat ein auf Zeit eingesetzter Leiter oder Leiterin einer Grundschule in A 12 gegenüber Kollegen und El- tern? Welchen Einflussversuchen ist er ausgesetzt? Die innere Unabhängigkeit des Lebenszeitbeamten, eines der bestimmenden Merkmale des Berufsbeamtentums, wird schwer beeinträchtigt, ja beschädigt. Für gleichermaßen unmöglich halten wir die Einstu- fung von Amtsleitern von Teilen von Behörden der Ge- meinden und Gemeindeverbände als Beamte auf Zeit. Welche „Führungsfunktionen“ übt zum Beispiel ein Amtsleiter in A 11 mit drei bzw. vier Mitarbeitern aus? Wie soll dieser arme Amtsleiter pflichtgemäß und unab- hängig nach Recht und Gesetz arbeiten, wenn er sich stän- dig des Wohlwollens der unterschiedlichen Gemeinde- ratsfraktionen versichern muss? Die informierte und interessierte Öffentlichkeit beklagt zu Recht die immer stärker werdende Parteipolitisierung weiter öffentlicher Bereiche. Da können wir doch heute nicht ein neues Einfallstor sehenden Auges öffnen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2002 22591 (C) (D) (A) (B) Sie haben unseren Änderungsantrag auf Streichung der vorgesehenen Ausweitung der Besetzung von Führungs- personen auf Zeit abgelehnt. Damit können wir Ihren Ge- setzentwurf in der Fassung Ihres Änderungsantrages nicht in seinem wesentlichen Inhalt mittragen; wir werden ihn daher ablehnen. Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Nach langen und intensiven Verhandlungen zwi- schen den Parteien und zwischen Bund und Ländern wird heute ein weiteres Mosaikstück auf dem Weg zur Ver- wirklichung des Programms „Moderner Staat – Moderne Verwaltung“ auf seinen parlamentarischen Weg gebracht. Der Innenausschuss hat zum Teil doch wesentliche Ände- rungen und Ergänzungen des Regierungsentwurfs vorge- nommen und den Antrag des Bundesrats weitgehend ein- gearbeitet. Dem Anliegen, unseren Staat effizienter und bürger- freundlicher zu gestalten und damit von einem rein ver- waltenden hin zu einem aktivierenden Staatsleitbild zu gelangen, kommen wir durch die heutige Verabschiedung des Gesetzentwurfs in der geänderten Form trotzdem ei- nen Schritt näher. Damit wird der entsprechenden Koali- tionsvereinbarung Rechnung getragen. Allerdings muss- ten doch gegenüber dem Regierungsentwurf einige wesentliche Änderungen vorgenommen werden. Die Re- gelungen zur Einführung von Bezahlungsbandbreiten im gehobenen und höheren Dienst waren aus dem Entwurf zu streichen. Das bisherige Abstimmungsverhalten der Län- der hat dies erforderlich gemacht. Ich bedauere dies ein wenig; denn ich bin der Auffassung, der ursprüngliche Gesetzentwurf mit der Einrichtung variabler Besoldungs- bandbreiten – im ersten Schritt nur für die Einstiegsebe- nen im gehobenen und höheren Dienst – hätte für die jeweiligen Dienstherren in Bund und Ländern Gestal- tungsspielräume geschaffen, um gezielter, marktgerechter und flexibler auf arbeitsmarkt- und beschäftigungspoliti- sche Situationen reagieren zu können. Denn die grundsätzliche bundeseinheitliche Zuordnung der Ämter zu einer einzigen Besoldungsgruppe lässt für aufgaben- und anforderungsbezogene Differenzierungen kaum Raum. Die Dienstherren hätten ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen Perspektiven bieten können. Dadurch hätte die Möglichkeit bestanden, deren Motivation zu för- dern. Zur Motivationsförderung wurde aber immerhin die Vergabequote von 10 Prozent für Leistungsprämien und Zulagen auf nunmehr 15 Prozent angehoben. So hat sich die Chance der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, bei guter Leistung zu den Begünstigten zu gehören, erheblich verbessert. Auch Teamarbeit unterfällt zukünftig einer bessern Honorierungsmöglichkeit. Dem modernen Familienbegriff, der sich an der Exis- tenz von Kindern orientiert und nicht an der standesamt- lichen Trauung, konnte an dieser Stelle nicht durch die entsprechende Verbesserung durch einen Familienzu- schlag Rechnung getragen werden. Das Abstimmungs- verhalten der Länder machte ein Festhalten an der Strei- chung des Verheiratetenzuschlags unmöglich. Eine umfassende Modernisierung der Regelung zum Familien- zuschlag soll in der kommenden Legislaturperiode unter Berücksichtigung der Fortentwicklung des Tarifrechts er- folgen. Mit der Erhöhung des kinderbezogenen Anteils im Familienzuschlag für dritte und weitere Kinder um je- weils 200 DM monatlich werden die Anforderungen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts von 24. No- vember 1998 umgesetzt. Wesentliche Regelungen aus dem Gesetzentwurf des Bundesrates zur Fortsetzung der Dienstrechtsreform wur- den, wie schon oben erwähnt, übernommen. So soll der Kreis der Ämter, die zunächst im Beamtenverhältnis auf Probe vergeben werden können, auf stellvertretende Behördenleiter erweitert werden. Gleiches gilt für den Kreis der Ämter, die auf Zeit vergeben werden. So sollen Schulleiter und Leiter von Teilen von Behörden in Ge- meinden und Gemeindeverbänden zukünftig auf Zeit ein- gestellt werden können. Flexibler wird auch zukünftig mit der Mehrarbeit von Beamten umgegangen werden kön- nen. Der Ausgleichszeitraum wird von drei Monaten auf ein Jahr erweitert. Ich meine, der Entwurf der Bundesregierung mit sei- nen zukunftsweisenden Regelungen kann sich trotz ein- zelner Kritikpunkte sehen lassen. Dr. Max Stadler (FDP):Wir beraten heute ein Gesetz, das seinen Namen nicht wert ist. Mit großem Aplomb von der Bundesregierung – dort von Herrn Schily als Bun- desinnenminister – als wichtiger Teil des Reformpro- gramms „Aktivierender Staat“ angekündigt, ist von dem Regierungsentwurf in seiner von den rot-grünen Koaliti- onsfraktionen im Innenausschuss verabschiedeten Fas- sung kaum mehr Wichtiges übrig geblieben. Was die Bundesregierung als Gesetz zur Modernisie- rung der Besoldungsstruktur vorgelegt hatte, hätte eigent- lich von vornherein „Gesetz für Haushaltseinsparungen an Beamtengehältern in Bund, Ländern und Gemeinden“ heißen müssen. Von einer Modernisierung oder Verbesse- rung der Besoldungsstruktur kann keine Rede sein. Hier ist der – untaugliche – Versuch gestartet worden, mit ei- nem aus der christlich-liberalen Regierungszeit positiv besetzten Begriff den Beamten ein Spargesetz zu unter- schieben. Zunächst zur jetzt vorübergehend fallen gelassenen Abschaffung des Verheiratetenzuschlags: Die Streichung dieser besonderen Alimentation für verheiratete Beamtin- nen und Beamte hätte gerade junge Beamtenfamilien in der Familiengründungsphase getroffen, wo es auf jeden Cent ankommt. Leider gibt die Koalition ihr Vorhaben nicht auf; sie will in der kommenden Legislaturperiode neue Vorschläge unter Berücksichtigung der tarifvertrag- lichen Entwicklung vorlegen. Zur ebenfalls zurückgestellten Bandbreitenbezahlung: Auch dies wäre keine Modernisierung oder Verbesserung gar der Besoldungsstruktur gewesen. Abgesehen von ge- wissen verfassungsrechtlichen Zweifeln an einer solch weit gehenden Einstufungsfreiheit der Dienstherren bei den jüngeren beamteten Mitarbeitern, trifft es einfach nicht zu, wenn die Bandbreitenbezahlung als Flexibilisie- rungselement für die Beamten verbrämt wird. In der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 200222592 (C) (D) (A) (B) Gesetzesbegründung der Bundesregierung heißt es mit entwaffnender Offenheit, dass in überbezahlten Ämterbe- reichen und wenn der Arbeitsmarkt abgesenkte Konditio- nen zulasse, die Eingangsbesoldung abgesenkt werden könne. Ein Schelm, der Böses dabei denkt, zumal wir in allen in Betracht kommenden Berufsgängen Arbeitslosig- keit und Stellennot zu beklagen haben. Auch in diesem Punkt wird nach dem Prinzip „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben“ mit einer Neuauflage in der nächsten Legis- laturperiode zu rechnen sein, wenn man der rot-grünen Koalition die Chance dazu gibt. Hier ist keine bessere Ein- sicht am Werk, sondern nur der durchsichtige Versuch er- kennbar, durch ein taktisches Manöver eine Niederlage im Bundesrat zu vermeiden. Die FDP-Bundestagsfraktion lehnt das Regierungsvor- haben auch in der abgespeckten Fassung ab. Es verblei- ben genügend Regelungen, denen beim besten Willen nicht zugestimmt werden kann. Das gilt für die Über- nahme von Ländervorschlägen aus der Bundesratsinitia- tive zur Fortsetzung der Dienstrechtsreform mit der Aus- weitung der Befugnisse der Länder zur Einrichtung von Zeitbeamtenverhältnissen und den Wegfall von Vorgaben für Probebeamtenverhältnisse. Nur weil die Länder bei der von FDP und CDU/CSU durchgesetzten Dienst- rechtsreform 1997 für sich die Möglichkeit geschaffen ha- ben, Zeitbeamtenverhältnisse für Führungspositionen einzurichten, ist das noch lange nicht gut. Was wirklich – und das zeigt gerade auch der Fall Jagoda – beabsichtigt ist, jedenfalls aber die Folge sein wird, das ist bei allem anderweitigen Wortgeklingel eine weitere Politisierung der Beamtenschaft. Dies lehnt die FDP-Fraktion ab. Wir brauchen ein innerlich unabhängiges Berufsbeamtentum, das der Loyalität verpflichtet ist und nicht nach der Wie- derberufung in ein weiteres Zeitbeamtenverhältnis oder der endgültigen Übertragung des Amtes schielt. Unter dieser Voraussetzung ist es dann überhaupt nicht mehr hinnehmbar, wenn diese Politisierung bis in Beamten- gruppen unterhalb der Ebene von Behördenchefs mit der Besoldung von leitenden Regierungsdirektoren getragen wird, bei Lehrern und Gemeindebeamten sogar bis A 12/ A 11. Es gibt weitere Gründe für die Ablehnung des Geset- zes, so die unzureichende Flexibilisierung der Stellen- obergrenzen. Die Länder können sich aus ihrer Verant- wortung stehlen. Die vorgelegten Ergänzungen des Gesetzentwurfs zur Verbesserung in der Leistungsbezah- lung sind unvollkommen und werden weitgehend in den Ländern leergehen. Richtig wäre, kleinliche bürokrati- sche Beschränkungen strukturell zu beseitigen. Richtig wäre, sich allein auf eine anteilmäßige Begrenzung des Aufwandes für alle Leistungselemente am gesamten Be- soldungsaufwand für die Beamten zu verständigen. Rich- tig wäre, die Länder, die bislang nichts oder zu wenig dafür getan hätten, die Leistungsbezahlung bei sich ein- zuführen oder beizubehalten, zur Leistungshonorierung zu verpflichten. Was einige Länder in diesem Zusammen- hang tun, kann nur als Denaturierung der Dienstrechtsre- form und Ausnutzung der betroffenen Beamten qualifi- ziert werden, weil sie die Einsparungen aus der Streckung der Gehälterskala nicht zurückgeben. Anderen Maßnahmen, zum Beispiel der Gewährung der Zulage für Polizeivollzugsbeamte als Flugsicherheits- begleiter, stimmt die FDP ausdrücklich zu. Allerdings eine wichtige Anmerkung zum Verfahren: Bei dem immer wieder vom Innenministerium gewählten Weg der Ände- rung besoldungsrechtlicher Verordnungen durch Gesetz frage ich mich, ob nicht die diesbezüglichen Rechtsver- ordnungsermächtigungen überflüssig sind. Dem Gesetzentwurf des Bundesrates zur Fortsetzung der Dienstrechtsreform kann sich die FDP-Bundestags- fraktion nicht anschließen. Auch die von der Regierungs- koalition nicht übernommenen Vorschläge sind abzuleh- nen. Weder sind Vorruhestandsregelungen auf breiter Front zurzeit akzeptabel noch können neue Stellenzula- gen für die befristete Wahrnehmung von höherwertigen Tätigkeiten gerechtfertigt werden. Petra Pau (PDS): Die beiden heute zur Debatte und Abstimmung stehenden Gesetzeswerke sind symptoma- tisch für die handwerkliche Unfähigkeit der Koalition, schlüssige Gesetze vorzulegen und durch die parlamenta- rische Beratung zu bringen und gleichzeitig betroffenen Bevölkerungsgruppen den Sinn dieser Werke zu vermit- teln. Sehen wir uns das Besoldungsstrukturgesetz an. Der Gesetzentwurf ist eines von 15 Leitprojekten des Pro- grammes „Moderner Staat – Moderne Verwaltung“ der Bundesregierung. Zur Umsetzung des Vorhabens „Mo- derner Staat“ sollte „auch das Besoldungsrecht zugunsten aller Dienstherren flexibilisiert werden. Es sollten deshalb bundeseinheitliche Vorgaben für die Beamtenbesoldung abgebaut und den Dienstherren größere Gestaltungsspiel- räume an die Hand gegeben werden“, um im Personalbe- reich differenzierter handeln zu können. Den Mitarbeitern sollten neue Perspektiven eröffnet und ihr Leistungswille gefördert werden. Nach Vorlage des Gesetzentwurfes gab es einen Sturm der Empörung unter den Betroffenen und durch die Ge- werkschaften. Die Fraktion der PDS hat in einem Ent- schließungsantrag die Hauptkritiken der Gewerkschaften und Betroffenen aufgenommen und versucht, mit sinn- vollen Änderungsvorschlägen das Gesetzeswerk zu ver- ändern. Insbesondere wandten wir uns gegen die Aufhe- bung der einheitlichen Besoldungsordnung. Wir wollten die Anwendung der Zulagenregelung erleichtern und un- durchschaubare Zulagenregelungen vermeiden. Der Ver- heiratetenzuschlag sollte vorerst aufrecht erhalten werden, da offensichtlich hier eine allgemeine Benachteiligung der betroffenen Familien bei Streichung einsetzen würde. Der Verheiratetenzuschlag ist in den vergangenen Jahrzehnten längst zu einem Bestandteil des monatlichen Einkom- mens geworden. Gleichwohl erkennen wir an, dass eine Reform hier notwendig ist, weil das Leben in Familien zwar bevorteilt werden sollte, aber nicht das bloße Ver- heiratetsein. Nun ereilte uns inzwischen die dritte Änderung des Koalitionsentwurfes. Inzwischen sieht der Gesetzestext nicht mehr die Streichung des Verheiratetenzuschlages vor. Dies ist einerseits schade; da somit gar kein neues Konzept vorliegt und die Frage nach der Anpassung an Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2002 22593 (C) (D) (A) (B) veränderte gesellschaftliche Zustände unbeantwortet bleibt. Weiterhin wird das bloße Verheiratetsein belohnt. Andererseits hätte die Streichung gravierende finanzielle Einschnitte vor allein für die unteren Besoldungsgruppen und Familien mit ein und zwei Kindern nach sich gezo- gen. Das ist nunmehr abgewendet, womit der Ansicht der meisten Sachverständigen bei der Anhörung des Innen- ausschusses gefolgt wird. Zweitens wurde der Hauptkritikpunkt aller Anhörun- gen, die Einführung von Bandbreiten, rückgängig ge- macht. Das ist gut. Unter dem Strich sind die Hauptkritikpunkte im Gesetz geheilt, ansonsten wurden Wehrsoldverbesserungen, Klarstellungen und Verfeinerungen vorgenommen, denen zuzustimmen ist, weil mit ihnen das Gesetz handwerklich etwas verbessert wird. Grundsätzlich jedoch werden wir diesem Gesetzentwurf wiederum nicht zustimmen kön- nen, da unsere Kritik in der alten Form fortbesteht, insbe- sondere was unsere Ablehnung undurchschaubarer Zula- genregelungen und die Reform des Familienzuschlages betrifft. Nun noch kurz, liebe Kolleginnen und Kollegen, zum zweiten Gesetzeswerk, welches uns heute zur Abstim- mung vorliegt: Gesetzentwurf des Bundesrates zur Fort- setzung der Dienstrechtsreform. Dieser Entwurf ist so schlecht und ungerecht, dass wir uns nicht der Mühe un- terzogen haben, Änderungsanträge zu stellen. Wir lehnen ihn rundweg ab. Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister des Innern: Eine Verwaltung, die mehr leisten und weniger kosten soll, braucht leistungsstarke und en- gagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dies können wir aber nur erreichen, wenn wir ganz im Sinne des Leit- bildes des aktivierenden Staates die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst aktivieren, motivieren und fördern. Wir müssen das Können, die Erfahrungen, die Talente und Begabungen wie auch vor allem die schöpferischen Kräfte unserer Mitarbeiterinnen und Mit- arbeiter aktivieren und sie mit den Zielen, die für den öf- fentlichen Dienst wichtig sind, verbinden. Dazu gehört in erster Linie, dass wir die, die sich aktiv einbringen und er- heblich mehr leisten, auch leistungs- und anforderungs- gerecht bezahlen. Um differenziert handeln und bezahlen zu können, muss vor allem im Interesse dieser Beamtin- nen und Beamten das bundeseinheitliche System geöffnet und flexibilisiert werden. Daran wird auch künftig kein Weg vorbeiführen; dies schon deshalb nicht, weil künftig für ein Bezahlungssystem, das nur wenig Raum für Dif- ferenzierung lässt und mit der „Gießkanne“ verteilt, die fi- nanziellen Möglichkeiten fehlen werden. Deshalb ist es wichtig und wird sehr begrüßt, dass die bisherigen Ansätze zur Leistungsbezahlung im beamten- rechtlichen Bezahlungssystem weiter ausgebaut und die Reformvorschläge der Bundesregierung aufgegriffen und umgesetzt werden. Der Erfahrungsbericht des Bundesin- nenministeriums zur Dienstrechtsreform hat gezeigt, dass die Einführung der Leistungsbezahlung positiv bilanziert werden kann. Mit dem Besoldungsstrukturgesetz wird die Leistungs- bezahlung nunmehr ausgebaut. Zukünftig werden die leis- tungsbezogenen Bezahlungsinstrumente einfacher und flexibler einsetzbar sein: Das Vergabeverfahren wird ver- einfacht und die Chancen der Mitarbeiterinnen und Mit- arbeiter, bei guter Leistung zu den Begünstigten der Leis- tungsbezahlung zu gehören, werden durch Anhebung der Vergabequoten von 10 auf 15 Prozent erweitert. Außer- dem wird die Möglichkeit verbessert, erfolgreiche Team- arbeit – die in vielen Bereichen inzwischen typisch ist – zu honorieren. Nach der Beschlussempfehlung des Innenausschusses werden allerdings zwei Kernpunkte des Reformkonzepts der Bundesregierung im Hinblick auf die Länderhaltung zurückgestellt, nämlich die Einführung von Bezahlungs- bandbreiten und die Reform des Verheiratetenzuschlages. Ich bedauere, dass sich hierfür keine Mehrheit im Bun- desrat unter den Ländern abgezeichnet hat. Das Stellenobergrenzenrecht wird durch eine weit ge- hende Öffnungsklausel flexibilisiert. Bund und Länder haben zukünftig die Möglichkeit, abweichend von den allgemeinen Regelungen des Bundesbesoldungsgesetzes insgesamt oder nur für einzelne Bereiche eigene Ober- grenzen festzulegen. Durch die Einführung einer Zulage für die befristete Wahrnehmung herausgehobener Funktionen wird die Möglichkeit geschaffen, die mit der nur zeitweisen Über- tragung von Aufgaben verbundenen Managementstruktu- ren, zum Beispiel Projektarbeit, finanziell zu flankieren. Darüber hinaus können typischerweise nur für einen ge- wissen Zeitraum wahrgenommene Daueraufgaben, wie zum Beispiel Stabsaufgaben, die mit erhöhten Belastun- gen verbunden sind, angemessen honoriert werden. Das Gesetz übernimmt in weiten Teilen die Vorstellun- gen des Bundesrates: die Berücksichtigung neuer Lehrämter und auch die Erweiterung des Kreises der Äm- ter im Rahmenrecht, die als Führungsfunktionen zunächst im Beamtenverhältnis auf Zeit vergeben werden. Insoweit berücksichtigt der Entwurf des Besoldungsstrukturgeset- zes jetzt auch wesentliche Inhalte des Gesetzentwurfes des Bundesrates zur Fortsetzung der Dienstrechtsreform. Die in diesem Vorhaben enthaltene Vorruhestandsrege- lung lehnt die Bundesregierung allerdings ab. Die Bundesregierung unterstützt aber den Vorschlag des Bundesrates auf Erweiterung des Kreises der Ämter, die nach § 12 b BRRG zunächst als Führungsfunktionen auf Zeit vergeben werden können. Diese rahmenrechtli- che Regelung ist im Gesetzgebungsverfahren zum Dienstrechtsreformgesetz vom 24. Februar 1997 auf Ver- langen des Bundesrates durch den Vermittlungsausschuss in das Gesetz aufgenommen worden. Elf Länder haben in- zwischen von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, da- runter zum Beispiel Bayern, Niedersachsen und Nord- rhein-Westfalen. Die Bundesregierung befürwortet wie die ganz über- wiegende Mehrzahl der Länder solche Führungsfunktio- nen auf Zeit, weil sie, wie das Beispiel der privaten Wirt- schaft zeigt, die Rahmenbedingungen für eine optimale Besetzung gerade an den Schaltstellen der öffentlichen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 200222594 (C) (D) (A) (B) Verwaltung verbessern. Angesichts der gewachsenen Ver- antwortung des öffentlichen Dienstes ist gerade bei den leitenden Funktionen ein effizienter Personaleinsatz un- abweisbar. Nach der rahmenrechtlichen Regelung soll das Führungsamt nach spätestens zwei Amtszeiten von insge- samt 10 Jahren auf Dauer übertragen werden. Während der Übertragung auf Zeit ruht das bisherige Amt im Le- benszeitbeamtenverhältnis und lebt wieder auf, wenn das Führungsamt nicht auf Dauer übertragen wird. Durch diese zeitlich befristete Vergabe im Zeitbeamtenverhält- nis bei fortdauerndem Lebenszeitbeamtenverhältnis behält der Beamte eine Grundsicherung in persönlicher und wirtschaftlicher Hinsicht, die eine unabhängige und am Wohl der Allgemeinheit orientierte Amtsführung ge- währleistet. Bei der Vergabe von Führungsfunktionen zunächst auf Zeit geht es allein um die Stärkung der Leistungskraft der öffentlichen Verwaltung, nicht um die sachwidrige Beein- flussung der Inhaber solcher Führungsämter. Die Über- tragung des Führungsamtes auf Zeit als auch die Übertra- gung auf Dauer muss nach rechtsstaatlichen Grundsätzen, insbesondere nach Maßgabe des Leistungsprinzips erfol- gen. Der Beamte unterliegt auch während der zeitlich be- grenzten Wahrnehmung eines Führungsamtes voll der be- amtenrechtlichen Pflichtenbindung. Wegen des Lebenszeitprinzips kann die Übertragung zunächst auf Zeit nur bei Ämtern mit leitender Funktion in Betracht kommen. Hierfür sind jedoch die besonderen Gegebenheiten bei den Dienstherren und bei bestimmten leitenden Ämtern zu berücksichtigen. Bei den Kommu- nen erstreckt sich der Bereich solch leitender Funktionen bis weit in Ämter der A-Besoldung. Deshalb fordern die kommunalen Spitzenorganisationen seit langem die Er- weiterung des Anwendungsbereichs von § 12 b BRRG bei kommunalen Ämtern, wie sie jetzt im Gesetzentwurf des Bundesrates vorgesehen ist. Bei den Leitern öffentlicher Schulen rechtfertigen die besonderen Führungsanforde- rungen eine generelle Einbeziehung in den Kreis der Führungsfunktionen auf Zeit. In der Sitzung des Innen- ausschusses ist kontrovers diskutiert worden, ob dies nicht eine zu weit gehende Öffnung sei. Hierzu zwei Be- merkungen: Erstens. Das Bundesrecht schreibt hier nichts vor, sondern gibt den Länden einen Spielraum. Ob und in welchem Umfang die Länder hiervon Gebrauch machen, haben sie selbst zu entscheiden und zu verantworten. Zweitens. Es macht allerdings Sinn, diesen Spielraum danach zu bemessen, ob es sich von der Funktion her um eine Führungsposition handelt. Dies geschieht hier und ist nicht in erster Line von der Besoldungsgruppe abhängig. Die vom Bundesrat angestrebte Erweiterung des Äm- terbereichs ist deshalb eine notwendige Konsequenz der mit dem Dienstrechtsreformgesetz getroffenen grundsätz- lichen Entscheidung. Insgesamt wird mit dem Gesetz ein weiterer wichtiger Schritt getan, das öffentliche Dienstrecht fortzuent- wickeln und an veränderte Rahmenbedingungen anzupas- sen. Zugleich werden die Vorgaben des Programms „Mo- derner Staat – Moderne Verwaltung“ umgesetzt, indem die Eigenverantwortung, das Subsidiaritätsprinzip und die föderale Vielfalt gestärkt werden sowie den Mitarbei- terinnen und Mitarbeitern neue Perspektiven eröffnet und ihr Leistungswille künftig besser gefördert werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2002 22595 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422700000
Guten
Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist
eröffnet.

Heute feiert der Kollege Anton Pfeifer seinen 65. Ge-
burtstag. Namens des Hauses gratuliere ich herzlich und
wünsche alles Gute.


(Beifall)

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene

Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen
vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:


(Ergänzung zu TOP 30)

a) Erste Beratung des von der Fraktion der PDS eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten
aus Beschäftigungen in einem Getto und zur Änderung
des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Drucksache
14/8602 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

b)Beratung des Antrags der Abgeordneten Annette Faße,
Reinhard Weis (Stendal), Hermann Bachmaier, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordne-
ten Albert Schmidt (Hitzhofen), Helmut Wilhelm (Amberg),
Ekin Deligöz und weiterer Abgeordneter der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Für einen sanften Aus-
bau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen
– Drucksache 14/8589 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

2. Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
a) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschus-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422700100
Sammelübersicht 372 zu Petitionen
– Drucksache 14/8605 –

b)Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschus-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422700200
Sammelübersicht 373 zu Petitionen
– Drucksache 14/8606 –

c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschus-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422700300
Sammelübersicht 374 zu Petitionen
– Drucksache 14/8607 –

d)Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschus-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422700400
Sammelübersicht 375 zu Petitionen
– Drucksache 14/8608 –

e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschus-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422700500
Sammelübersicht 376 zu Petitionen
– Drucksache 14/8609 –

f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschus-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422700600
Sammelübersicht 377 zu Petitionen
– Drucksache 14/8610 –

3. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll von Ki-
oto vom 11. Dezember 1997 zum Rahmenübereinkommen der
Vereinten Nationen über Klimaänderungen (Kioto-Protokoll)

– Drucksache 14/8250 – (Erste Beratung 218. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Um-
welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss)
Drucksache 14/8581 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Monika Ganseforth
Bernward Müller (Jena)

Dr. Reinhard Loske
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

Von der Frist für den Beginn der Beratung soll – soweit
erforderlich – abgewichen werden.

Darüber hinaus ist Folgendes vereinbart worden:
Bei Tagesordnungspunkt 7 wird statt des verlangten

Zwischenberichts gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsord-
nung die inzwischen vorliegende Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses auf Drucksache 14/8627 beraten.
Tagesordnungspunkt 12 „Deutsche Auslandsschulen“ soll
nach Tagesordnungspunkt 8 „Mittelstandspolitik“ aufge-
rufen werden. Tagesordnungspunkt 10 „Internationaler
Strafgerichtshof“ soll mit Tagesordnungspunkt 23 „Juris-
tenausbildung“ getauscht und Tagesordnungspunkt 26
„Finanzmarktförderungsgesetz“ nach Tagesordnungs-
punkt 20 „Mazedonien-Einsatz“ aufgerufen werden. Ta-
gesordnungspunkt 31 c „Besoldungsstrukturgesetz“ soll
mit Debatte nach Tagesordnungspunkt 16 beraten und die
Tagesordnungspunkte 9 a und b, 19 c und 21 sollen abge-
setzt werden.

22441


(C)



(D)



(A)



(B)


227. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 21. März 2002

Beginn: 9.00 Uhr

Außerdem mache ich auf eine geänderte und eine
nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur
Zusatzpunktliste aufmerksam:

Interfraktionell ist vereinbart worden, den in der
212. Sitzung des Deutschen Bundestages an den Aus-
schuss für Tourismus federführend überwiesenen nach-
folgenden Antrag nunmehr zur federführenden Be-
ratung an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend zu überweisen.

Antrag der Abgeordneten Wolfgang Dehnel, Klaus
Brähmig, Maria Eichhorn, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU: Fortführung des
Bundeswettbewerbs für familienfreundliche
Ferienangebote in Deutschland – Drucksache
14/7066 –
überwiesen:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Tourismus

Der in der 224. Sitzung des Deutschen Bundestages über-
wiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem
Rechtsausschuss zur Mitberatung überwiesen werden.

Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU zum
optimalen Fördern und Fordern in Vermitt-
lungsagenturen (OFFENSIV-Gesetz) – Druck-
sache 14/8365 –
überwiesen:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c auf:
a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den

Bundeskanzler
zu den Ergebnissen des Europäischen Rates inBarcelona am 15./16. März 2002

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union (22. Ausschuss)

– zu dem Entschließungsantrag der Fraktio-

nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
zu der Abgabe einer Regierungserklärung
des Bundeskanzlers
Tagung des Europäischen Rates in Laeken
am 14./15. Dezember 2001

– zu dem Antrag der Abgeordneten Peter
Hintze, Christian Schmidt (Fürth), Michael
Stübgen, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU

Europa richtig voranbringen – Weichen-
stellung durch den Europäischen Rat in
Laeken/Brüssel

– zu dem Entschließungsantrag der Abgeord-
neten Dr. Helmut Haussmann, Ina Albowitz,
Hildebrecht Braun (Augsburg), weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP
zu der Abgabe einer Regierungserklärung
des Bundeskanzlers
Tagung des Europäischen Rates in Laeken
am 14./15. Dezember 2001

– zu dem Entschließungsantrag der Abgeord-
neten Uwe Hiksch, Dr. Klaus Grehn, Roland
Claus und der Fraktion der PDS
zu der Abgabe einer Regierungserklärung
des Bundeskanzlers
Tagung des Europäischen Rates in Laeken
am 14./15. Dezember 2001

– zu dem Entschließungsantrag der Abge-
ordneten Dr. Klaus Grehn, Uwe Hiksch,
Dr. Dietmar Bartsch, Wolfgang Gehrcke und
der Fraktion der PDS
zu der Abgabe einer Regierungserklärung
des Bundeskanzlers
Tagung des Europäischen Rates in Laeken
am 14./15. Dezember 2001

– Drucksachen 14/7788, 14/7781, 14/7789,
14/7790, 14/7791, 14/8182 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Roth (Heringen)

Peter Hintze
Christian Sterzing
Dr. Helmut Haussmann
Uwe Hiksch

c) Beratung des Berichts des Ausschusses für die An-

(22. Ausschuss)

zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
– Mitteilung der Kommission

Schutz der finanziellen Interessen der Ge-
meinschaft
Betrugsbekämpfung – Aktionsplan 2001
bis 2003
KOM (2001) 254 endg.; Ratsdok. 09207/01

– Schutz der finanziellen Interessen der Ge-
meinschaft und Betrugsbekämpfung – Jah-
resbericht 2000 –
KOM (2001) 255 endg./2; Ratsdok. 09208/01

– Drucksachen 14/6908 Nr. 2.10, 2.11, 14/8323 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Peter Altmaier
Gerald Häfner
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Uwe Hiksch

Zur Regierungserklärung liegt ein Entschließungsan-
trag der Fraktion der PDS vor.




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung an-
derthalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist dies so beschlossen.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundeskanzler Gerhard Schröder.


(von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit Beifall begrüßt)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Vor zwei Jahren hat sich die Europäische Union auf dem
Gipfel in Lissabon ein ehrgeiziges Ziel gesetzt, nämlich
bis zum Jahre 2010 ein Wirtschaftsraum mit großer Dy-
namik und Modernität zu werden. Dies ist gewiss ein ehr-
geiziges Ziel, aber eines, das wir ungeachtet der hinter uns
liegenden Abschwächungstendenzen in der Weltkonjunk-
tur und natürlich auch in der europäischen Konjunktur er-
reichen können.

Gegenwärtig zeigen sich deutliche Anzeichen einer
wirtschaftlichen Besserung in Deutschland, in Europa
und darüber hinaus. Es galt in Barcelona, diese Anzeichen
durch eine Politik, die sich durch Modernität auf der ei-
nen Seite und soziale Gerechtigkeit auf der anderen Seite
auszeichnet, zu verstärken.

Schon im Vorfeld des Gipfels von Barcelona war viel
über die Notwendigkeit, die Energiemärkte als Teil einer
vernünftigen wirtschaftspolitischen Strategie zu liberali-
sieren, gesprochen worden. Dabei hatte sich herausge-
stellt, dass insbesondere Frankreich nicht bereit sein
würde, einer vollständigen Liberalisierung der Energie-
märkte, insbesondere des Strom- und Gasmarktes, zuzu-
stimmen. Darauf hatte die spanische Präsidentschaft mit
einem Kompromissvorschlag reagiert, der schließlich
Niederschlag in den Schlussfolgerungen des Rates gefun-
den hat, die nur einstimmig – dies muss man wissen – zu-
stande kommen können. Danach werden bis zum Jahre
2004 60 Prozent des Energiemarktes in Frankreich libe-
ralisiert sein. Dies bedeutet, dass auch ausländische An-
bieter auf diesem Markt präsent sein und ihre Geschäfte
machen können.

Es ist viel darüber diskutiert worden, warum es nicht
gelungen ist, eine vollständige Öffnung der Märkte durch-
zusetzen, wie wir sie seit längerer Zeit zum Beispiel in
Deutschland kennen. Mir liegt daran, dass deutlich wird,
dass es nicht an der Unwilligkeit der Bundesregierung
liegt, dass diese Liberalisierungsschritte nicht gemacht
werden. Man muss indessen verstehen, dass in Frankreich
in diesem Bereich und auch in anderen Bereichen ein an-
deres Verständnis hinsichtlich des Wirkens des Staates be-
steht. Dies führt dazu, dass das, was die Franzosen „ser-
vice public“ nennen, einen weitaus höheren Stellenwert
hat, als das in Deutschland oder in anderen, kleineren
Partnerstaaten der Fall ist.

Wir standen nun vor der Frage: Wollen wir als ersten
Schritt – ich betone: als ersten – erreichen, was mit Zu-
stimmung der Franzosen möglich ist, oder wollen wir uns
darauf versteifen, eine Auseinandersetzung zu führen, die
angesichts der Haltung unserer französischen Freunde im
Ergebnis nichts gebracht hätte, also einer Liberalisierung
von 60 Prozent der Energiemärkte nicht zuzustimmen und

100 Prozent zu fordern? Wir haben uns – auch in Diskus-
sionen mit unseren französischen Freunden – entschieden,
in diesem Fall – und übrigens auch in anderen Fällen –
einen Kompromiss anzustreben und durchzusetzen.

Mir liegt daran, dass deutlich wird, dass man in der
Bewertung dieses Vorganges und der Diskussion darüber
konsequent sein muss. Ich bin nicht ganz sicher, ob uns,
wenn wir uns anders verhalten hätten und in dieser Frage
mit unseren französischen Partnern noch kämpferischer
umgegangen wären, nicht vorgeworfen worden wäre, wir
würden zu wenig Rücksicht auf das deutsch-französi-
sche Verhältnis nehmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was wir in diesem wie auch in anderen Punkten erreicht
haben, ist ein Kompromiss, der diejenigen, die wie wir
mehr wollten, gewiss nicht zufrieden stellt. Aber es ist ein
wichtiger und richtiger Schritt auf dem Weg zur vollstän-
digen Liberalisierung der Energiemärkte.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch eines sa-
gen: Angesichts des schrittweisen Vorgehens in anderen
Ländern ist es richtig und notwendig, dass wir bei den Li-
beralisierungsfortschritten in Deutschland nicht den Feh-
ler machen, zu viel zu wollen. Die Fachleute nennen das
Reziprozität im Verhalten.


(Zurufe von der CDU/CSU und FDP: Oh!)

– Sie sollten das ganz ernst nehmen, meine Damen und
Herren; denn zu Ihrer Zeit ist dies nie beachtet worden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dies geschah aus einem ganz einfachen Grund: Weil Sie
die Frage der Liberalisierung ideologisch betrachtet ha-
ben, haben Sie übersehen, dass bei nicht gleichzeitigen
Fortschritten in anderen Ländern dort tätige Unternehmen
zulasten unserer Unternehmen Monopolgewinne benut-
zen, um sich in Deutschland einzukaufen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das mag zwar ein ideologisch verbrämtes Verständnis
von Liberalisierung sein; industriepolitisch schadet es
aber Deutschland und nutzt den anderen. Ich glaube, das
ist – auch nach europäischem Maßstab – kein richtiges
Verständnis von Liberalisierung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Theodor Waigel [CDU/ CSU]: Man hat ihm einiges beigebracht!)


Wir haben Fortschritte bei der Integration der
Finanzmärkte erreicht.


(Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Man lernt bei Regierungserklärungen doch immer wieder etwas Neues! – Gegenruf des Abg. Dr. Peter Struck [SPD]: Waigel soll doch ganz ruhig sein!)


Das ist ein ganz wichtiger Punkt. In Barcelona haben wir
wichtige Entscheidungen bezüglich der Förderung der
Forschung in den Bereichen der Informations-, Kommu-
nikations- und Biotechnologie getroffen.




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

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(B)


Lassen Sie mich sehr deutlich sagen: Insbesondere hat
mich gefreut – wir haben uns dafür eingesetzt –, dass die
Europäische Union einen Schwerpunkt bei der Forschung
und Entwicklung breitbandiger Netze setzt. Auch das ist
ein ganz wichtiger Bereich, in dem Deutschland in Europa
und darüber hinaus Spitze ist. Mit Ausnahme von Korea
sind wir bei der Installierung und Nutzung dieses für die
Zukunft des Technologiebereichs so wichtigen Netzes
weltweit führend; beispielsweise liegen wir weit vor den
Amerikanern. Deswegen war es richtig und vernünftig, in
Barcelona zu beschließen, in diesem Bereich einen
Schwerpunkt zu setzen.

Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang
noch ein Wort zu der Auseinandersetzung, die im Vorfeld
von Barcelona über die Frage, wie europäische Industrie-
politik eigentlich auszusehen habe, geführt worden ist.
Ich denke, es ist wichtig, hier eines deutlich zu machen:
Die Kommission hat in den letzten Monaten in mehreren
für Deutschland industriepolitisch außerordentlich wich-
tigen Bereichen Vorschläge gemacht, die wir übrigens
nicht in allen Punkten befürworten. Wir haben uns mit der
Kommission über diese Fragen offen, aber auch deutlich
auseinander gesetzt; das war auch notwendig.

Ich möchte Ihnen gerne einige Beispiele nennen, damit
deutlich wird, worum es dabei ging. Erstens. Wir hatten
– Sie wissen das alle – die Frage zu beantworten, ob das
in Deutschland sehr bewährte und auf drei Säulen beru-
hende Banken- und Finanzierungssystem erhalten werden
könne oder nicht. Dabei ging es insbesondere um das
Schicksal der Landesbanken und der Sparkassen in
Deutschland. Das sind traditionell Institutionen, die ins-
besondere das Handwerk und den übrigen Mittelstand fi-
nanzieren, aus denen sich diese für die deutsche Wirt-
schaftsstruktur so wichtigen Unternehmen refinanzieren.

Unter dem Gesichtspunkt der Wettbewerbsgleichheit
mit den europäischen Großbanken gab es in der Kommis-
sion Pläne und Vorhaben, diese Struktur vollständig in-
frage zu stellen. Das hätte vor dem Hintergrund der wirt-
schaftspolitischen Situation und der Diskussion über
Basel II zu großen Schwierigkeiten bei der Refinanzie-
rung der kleinen und mittleren Unternehmen in Deutsch-
land geführt, und zwar mit allen Konsequenzen für die
Arbeitsplätze.

Wir haben uns dem entgegengestellt und nach langen
und zähen Verhandlungen einen Kompromiss erreicht, der
es uns gestattet, dieses seit mehr als 100 Jahren bewährte,
dreifach gegliederte Finanzierungssystem in Deutschland
auch unter dem europäischen Dach zu erhalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben lange gebraucht, um klar zu machen, warum
wir dieses System nicht preisgeben können und warum
wir es auf dem Opferstein einer Vorstellung der Gleichheit
der Finanzierungsstrukturen, die es real nicht gibt, nicht
opfern können.

Ich erwähne dieses glücklicherweise gelöste Problem,
um deutlich zu machen, dass es kein Einzelfall ist und
dass der Hinweis auf spezielle Gegebenheiten in einem
Land noch lange keine Europafeindlichkeit und keinen

Europaskeptizismus bedeutet, sondern schlicht Ausdruck
der Tatsache ist, dass es in diesem wie in anderen Berei-
chen Strukturen gibt, die Deutschlands Wirtschaftskraft
fördern. Indem sie das tun, fördern sie natürlich auch
Europas Wirtschaftskraft; denn wir sind nun einmal die
größte Volkswirtschaft in Europa.

Ich nenne ein zweites Beispiel, damit deutlich wird,
worum es geht. Die Kommission hatte – der Rat hat es mit
Mehrheit beschlossen – eine so genannte Übernahme-
richtlinie vorgelegt. Dabei geht es um den Tatbestand
– das muss man denen sagen, die sich nicht jeden Tag da-
mit beschäftigen –, ob und unter welchen Bedingungen
nicht erwünschte, also feindliche Übernahmen von Un-
ternehmen in Deutschland und in anderen Ländern mög-
lich sein sollen.

Nachdem die neuen Entwürfe vorgelegt worden sind,
haben wir darauf hingewiesen, dass es angemessen und
richtig ist, in Europa für Gleichheit zu sorgen, also si-
cherzustellen, dass nicht in anderen Ländern etwas zuge-
lassen ist, was es bei uns nicht gibt, zum Beispiel den
„golden share“. In anderen Ländern gibt es auch Höchst-
stimmrechte, die wir längst abgeschafft haben. Das ist
aber in Ordnung. Der Entwurf versucht, das zu realisieren.
Aber angesichts der Tatsache, dass wir in einer globali-
sierten Wirtschaft leben – worüber wir beständig reden –,
reicht es nicht mehr aus, das, was man „level playing
field“ nennt, nur europaweit zu machen, sondern man
muss auch ins Auge fassen, was sich in diesen Fragen in
anderen Ländern, etwa in Amerika, vollzieht.

Man muss sich klarmachen: Kandidaten für Übernah-
men dieser Art, auf die man mit solchen Richtlinien ant-
wortet, sind natürlich vor allen Dingen die großen Unter-
nehmen der stärksten Volkswirtschaft, nicht die weniger
großen in den schwächeren Volkswirtschaften. Das wollten
wir deutlich machen, als wir der Kommission gesagt haben:
Wir möchten gerne Wettbewerbsgleichheit hergestellt wis-
sen. Dies möchten wir aber nicht nur innerhalb Europas re-
geln, sondern in dem Entwurf für Wettbewerbsgleichheit in
Europa muss es auch darum gehen, im Wettbewerb mit den
Vereinigten Staaten keine Nachteile zu haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ein drittes Beispiel, mit dem ich das Thema abschlie-
ßen möchte, ist die Chemiepolitik in Europa. Die Kom-
mission hatte ein Weißbuch vorgelegt, das, 1:1 umgesetzt,
nicht nur nach den Äußerungen des VCI, sondern auch
nach denen der Gewerkschaften dazu geführt hätte, dass
wesentliche Teile der in Deutschland befindlichen Che-
mieindustrie nicht mehr in Deutschland hätten produzie-
ren können. Ich erwähne dieses Beispiel, um deutlich zu
machen, dass es in den Industrie- und Produktionsstruk-
turen einen Unterschied zwischen Deutschland einerseits
und anderen Ländern andererseits gibt.

Deshalb ist es ganz natürlich, dass wir zusammen mit
dem Verband und den Gewerkschaften alternative Posi-
tionen zu diesem Vorhaben finden mussten und gefunden
haben. Die Erwartung, die wir haben, ist, dass auf diese
unterschiedlichen Industrie- und Produktionsstrukturen in
der größten Volkswirtschaft Europas auch um Europas




Bundeskanzler Gerhard Schröder
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willen Rücksicht genommen wird. Um Wettbewerbs-
gleichheit herzustellen, muss man also sehr genau hin-
schauen, wie unterschiedlich die Strukturen sind und was
die angemessenen Reaktionen darauf sind.

Ich habe diese Beispiele genannt, um deutlich zu ma-
chen, dass es bei alldem nicht darum geht, den Binnen-
markt infrage zu stellen oder größtmögliche Wettbewerbs-
gleichheit auf dem Binnenmarkt herzustellen, sondern
dass man dafür sorgen muss, dass unterschiedliche Indus-
trie- und Produktionsstrukturen für die europäische
Wirtschaft und ihre Kraft im Wettbewerb mit anderen in
den Kommissionsentscheidungen berücksichtigt werden.
Nach meiner festen Überzeugung wird diese Auseinan-
dersetzung in der Sache umso intensiver werden, je größer
der Integrationsgrad in Europa wird.

Ich habe über diese Fragen im Vorfeld des Gipfels in
Barcelona mit dem Kommissionspräsidenten Herrn Prodi
gesprochen. Ich habe ihm gesagt, wir seien gern bereit,
auch im Vorfeld von Entscheidungen die Sensibilität einer
Produktionsstruktur deutlich werden zu lassen, an der
zahlreiche Arbeitsplätze hängen. Mein Eindruck ist, dass
das verstanden worden ist und dass übrigens auch ver-
standen worden ist, dass der Respekt vor der Arbeit der
Kommission und ihrer Bedeutung für die Integration
Europas nicht das Freistellen von jeglicher Kritik und
Auseinandersetzung bedeuten kann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gerade wenn man wie wir für eine starke Exekutive
ist, die ihre Aufgaben wirklich voll erfüllen können soll,
so ist es doch in einem demokratischen Gemeinwesen
selbstverständlich, dass es mit dieser starken Exekutive
auch zu Auseinandersetzungen, zu Meinungsunterschie-
den, kommen kann und wird, die aus den unterschied-
lichen Gegebenheiten in den Nationalstaaten resultieren
und diese widerspiegeln. Auf sie dürfen die Partner, aber
auch wir ruhig Wert legen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben darüber hinaus vereinbart, dass über die
Frage, was europäische Industriepolitik ist und wie sie
vermittelt wird, zum Beispiel in Verbindung mit den not-
wendigen ökologischen Vorstellungen, sowie über deren
Finanzierbarkeit ein noch intensiverer Dialog zwischen
der Kommission und uns stattfindet, der gegen niemanden
gerichtet ist und der nur Selbstverständliches innerhalb
des integrierten Europas klarmachen und zeigen soll, dass
es auf diesem Weg weitergeht. Dieser Dialog muss sich
auch auf die Frage erstrecken, wie wir in einem erweiter-
ten Europa unterschiedliche Politikbereiche finanzierbar
halten.

Ich will in diesem Zusammenhang ein Thema erwäh-
nen, das schon auf der Tagesordnung ist und mit der Vor-
lage dessen, was man „mid-term review“ nennt, erst recht
auf die Tagesordnung kommen wird. Dabei geht es um die
Frage der Finanzierbarkeit der Landwirtschaftspolitik
auch im Vorfeld der Erweiterung und über die Erweite-
rung hinaus. Ich denke, dass auch bei diesem Vorgang klar
sein muss, dass Deutschland, das 25 Prozent des europä-

ischen Haushalts netto finanziert, ein großes Interesse da-
ran hat, dass das, was wir bei der Agenda 2000 in Berlin
vereinbart haben, die Basis der finanziellen Anstrengun-
gen, die wie vor uns haben, und damit auch der Finan-
zierbarkeit der unterschiedlichen Politikbereiche bleibt.

Ich sage sehr deutlich: Ich bin mir mit denen einig, die
wie wir Nettozahler in der Europäischen Union sind, dass
das, was mit der finanziellen Vorausschau bis 2006 ge-
leistet worden ist, nicht ausgeweitet werden kann. Wenn
man also neue Partner in die Europäische Union und
deren Finanzierung hineinnimmt, müssen andere, die bis-
lang allein davon profitiert haben, ein Stückchen Soli-
darität üben und etwas abgeben. Das betrifft die Land-
wirtschaftspolitik,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


aber auch die Kohäsions- und Strukturfonds. Anders
wird es nicht gehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben darüber hinaus in Barcelona über ein
Thema, das jetzt auch in der deutschen Öffentlichkeit dis-
kutiert wird, gesprochen. Der Hohe Repräsentant Solana
hatte Vorschläge zur Arbeitsweise des Europäischen
Rates gemacht. Auch Tony Blair und ich hatten der spa-
nischen Präsidentschaft Vorschläge unterbreitet. Diese
Vorschläge muss man vor dem Hintergrund der Erweite-
rungsdebatte und der bevorstehenden Erweiterung Euro-
pas, über die in Barcelona nicht geredet worden ist, weil
das dem Gipfel in Sevilla vorbehalten ist, verstehen.

Um das hinzuzufügen: In Barcelona waren zum ersten
Mal die Staats- und Regierungschefs der Beitrittskan-
didaten dabei und haben nicht einfach nur als Gäste teil-
genommen, sondern als Mitdiskutanten bei den ökonomi-
schen und finanzpolitischen Fragestellungen. Ich halte
das für wichtig und richtig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Wir haben uns über die Frage unterhalten müssen, wel-
che Veränderungen die Arbeitsweise des Rates vor allen
Dingen im Falle der Erweiterung erfahren muss. Denn
dann sind darin nicht mehr 15 Staats- und Regierungs-
chefs – oder 17, weil ja der eine oder andere doppelt
kommt –,


(Heiterkeit im ganzen Hause)

sondern 25 und mehr vertreten. Dass das Auswirkungen
auf die Arbeitsweise des Rates haben muss, liegt wohl auf
der Hand. Deshalb hat Solana im Kern den Vorschlag ge-
macht, die Koordination der europäischen Politik, aber
auch die der nationalen Politik im Vorfeld des Rates zu
verändern.

Bei den Überlegungen, ob es sinnvoll ist, einen Rat
von Europaministern mit einer speziellen Koordina-
tions- und Vorbereitungsaufgabe für den allgemeinen Rat
und den Europäischen Rat zu etablieren, ist nicht etwa
herausgekommen, die Funktion des allgemeinen Rates




Bundeskanzler Gerhard Schröder

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– also des Rates der Außenminister – aufzuheben – daran
hätte niemand zu denken gewagt –, sondern die Arbeit zu
erleichtern und, wo immer dies möglich ist, zu verbessern.
Wir haben zunächst eine Diskussion darüber geführt
und dann auf Anregung der spanischen Präsidentschaft
beschlossen, dass die Staats- und Regierungschefs für
Sevilla eine Entscheidung in diese Richtung vorbereiten
sollten. Die persönlichen Beauftragten der Staats- und Re-
gierungschefs werden die entsprechenden Vorbereitungen
treffen.

Ich meine, dass die Etablierung eines solchen Rates
vernünftig ist, weil durch die fortschreitende Integration
in Europa aus dem, was früher ausschließlich Außenpoli-
tik war, mehr und mehr Wirtschafts-, Finanz- und Innen-
politik wird. Dass dies ein besonderes Interesse herauf-
beschwört, liegt auf der Hand.

Zu der Frage, wo dieser Europaminister – oder wie
auch immer man ihn bezeichnet – angesiedelt wird, gibt
es unterschiedliche Überlegungen und Modelle. Frank-
reich zum Beispiel hat einen Europaminister mit ori-
ginären Kompetenzen, der Teil des Außenministeriums
ist. In anderen Ländern gehört er zur jeweiligen Regie-
rungszentrale. Ich meine, dass derzeit keine Debatten
über Organisationsfragen, sondern eher über die Notwen-
digkeit eines solchen Konzeptes geführt werden sollten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Fischer guckt so begeistert!)


– Was macht er?

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Fischer ist hellauf begeistert! – Gegenruf von Joseph Fischer, Bundesminister: Natürlich! – Heiterkeit bei der CDU/CSU)


– Ja natürlich, das ist doch klar. Warum sollte er nicht be-
geistert sein, wenn vernünftige europapolitische Vor-
schläge diskutiert werden? Das ist doch keine Frage.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben – damit komme ich zum Außenminister –
über die Diskussion, die ich bereits erläutert habe, hinaus
ein sehr schwieriges und wichtiges außenpolitisches Pro-
blem zu beraten gehabt. Dabei handelt es sich um die Si-
tuation im Nahen Osten. Wir haben deutlich gemacht,
dass die Europäische Union insgesamt den Plan des saudi-
arabischen Kronprinzen Abdullah unterstützt, der dazu
führen soll, dass die Parteien wieder an den Verhand-
lungstisch kommen. Unser Eindruck in Barcelona und
auch jetzt ist, dass es durch die erneute amerikanische In-
tervention, die wir für richtig und vernünftig halten, ge-
lingen könnte, wieder Bewegung in die Situation im
Nahen Osten in Richtung Deeskalation der Gewalt und
Rückkehr an den Verhandlungstisch zu bringen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Roland Claus [PDS])


Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, dass
alle Fraktionen in diesem Haus ein Interesse daran haben,

dass der Konflikt im Nahen Osten auf dem Verhand-
lungswege entschärft und schließlich gelöst wird,


(Beifall im ganzen Hause)

und dass wir – ungeachtet der Auseinandersetzungen über
Details – zu der Auffassung kommen werden, dass Euro-
pas und auch Deutschlands Rolle in diesem Prozess zwar
wichtig und hilfreich sein kann, bei der Lösung des Kon-
flikts aber nicht dominieren wird. Gleichwohl müssen
auch wir die Chance, die sich ergeben hat, ergreifen.
Diese Chance besteht darin, dass die Vereinigten Staaten,
die Vereinten Nationen und die Europäische Union mitei-
nander und auf der Basis der genannten Konzepte dafür
sorgen, dass es zu einer friedlichen Entwicklung im Na-
hen Osten kommt.

Eine neue Chance wird die friedliche Entwicklung im
Nahen Osten nur dann bekommen, wenn man das reali-
siert, was Kern der Aussage des Sicherheitsrates war: dass
einerseits Israel dauerhaft in gesicherten Grenzen fried-
lich existieren kann und dass andererseits die Palästinen-
ser ihren eigenen Staat erhalten. Wir alle miteinander ha-
ben Anlass, uns mit dem, was in diesem Punkt jetzt in
Bewegung gekommen ist, einverstanden zu erklären und
es zu unterstützen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422700700
Das Wort
hat der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Friedrich
Merz.

Friedrich Merz (CDU/CSU) (von der CDU/CSU mit
Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da-
men und Herren! Vor zwei Jahren hat sich die Europäische
Union auf dem von Ihnen, Herr Bundeskanzler, zitierten
Rat in Lissabon das strategische Ziel gesetzt, „die Union
zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissens-
basierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen, zu ei-
nem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirt-
schaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen
und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu realisie-
ren“. Der Gipfel vom vergangenen Wochenende hätte
feststellen müssen, dass Sie von dem Ziel, dass Sie sich
vor zwei Jahren in Lissabon gesetzt hatten, weiter denn je
zuvor entfernt sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich bestreite nicht, dass die Zwischenbilanz, die Sie ge-

zogen haben, in einigen wenigen Bereichen, etwa bei der
Computer- und Internetnutzung sowie bei einer Reihe von
Dienstleistungsrichtlinien insbesondere für die Finanz-
märkte, durchaus positiv ausfällt. Ich begrüße auch ganz
ausdrücklich die unmissverständliche und klare Bot-
schaft, die die Staats- und Regierungschefs am vergan-
genen Wochenende zum Konflikt im Nahen Osten ab-
gefasst haben. Wir teilen das Bekenntnis zu einem
demokratischen und unabhängigen Staat Palästina ebenso
wie das Recht der Israelis, in sicheren staatlichen Grenzen
leben zu können. Wir alle sind über die Lage im Nahen




Bundeskanzler Gerhard Schröder
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und Mittleren Osten besorgt und wünschen, dass die Eu-
ropäische Union in dieser Region eine aktive politische
Rolle spielt, damit der Frieden dort auf Dauer gesichert
werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Auch wenn in diesen Fragen durchaus einige wichtige
Positionen bestimmt worden sind, so kann das Treffen in
Barcelona doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die
Europäische Union bei einer Reihe von ganz wichtigen
Punkten, die in Lissabon verabredet worden sind, kaum
oder überhaupt nicht vorangekommen ist. Ich werde Ih-
nen dazu gleich ein Beispiel nennen.

Das Wirtschaftswachstum in der Europäischen Union,
das zur Zeit des Lissaboner Gipfels vor zwei Jahren im-
merhin noch bei 2,6 Prozent lag, ist im letzten Jahr auf
1,6 Prozent zurückgegangen. Die Produktivität je Arbeit-
nehmer ist etwa im Verhältnis zu der in den USA von
74 auf 72 Prozent zurückgegangen. Fortschritte beim Be-
schäftigungsaufbau in der Europäischen Union sind prak-
tisch nicht messbar. Öffentliche und private Ausgaben in
der Forschung und in der Entwicklung sind nicht so sig-
nifikant erhöht worden, wie es vereinbart worden war.
Auch im Bereich der allgemeinen und der beruflichen Bil-
dung hat es, wie es die PISA-Studie gerade für Deutsch-
land gezeigt hat, keine wirklichen Fortschritte gegeben.

Herr Bundeskanzler, das, was ich Ihnen hier sage, ist
keine Analyse oder Schwarzmalerei der Opposition im
Deutschen Bundestag. Es entspricht vielmehr einem Be-
richt, den die EU-Kommission vorgelegt hat und in dem
sie sich besonders kritisch mit der Wirtschafts- und Ar-
beitsmarktpolitik der Bundesrepublik Deutschland aus-
einander setzt. In diesem Bericht der EU-Kommission
vom 15. Januar 2002 wird – aus guten Gründen – darauf
hingewiesen, dass gerade in Deutschland Handlungsbe-
darf bestehe, so etwa bei der Deregulierung der Arbeits-
märkte, der Reform des Steuer- und des Rentensystems,
der Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte sowie bei
den Investitionen in Forschung und Bildung.

Noch deutlicher als dieser Bericht, den die EU-Kom-
mission den Staats- und Regierungschefs vorgelegt hat,
ist der Bericht der EU-Kommission über die Umsetzung
der Grundzüge der Wirtschaftspolitik der EU-Staaten im
Jahre 2001 vom Februar des laufenden Jahres, der im Eco-
fin-Rat, also im Rat der Finanzminister, beschlossen wor-
den ist. Das Zwischenzeugnis, das Ihnen, Herr Bundes-
kanzler, und Ihrer Regierung in diesem Bericht ausgestellt
wird, ist nichts anderes als eine scharfe und in jeder Hin-
sicht berechtigte Kritik an Ihrer Regierungspolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es ist bezeichnend, Herr Bundeskanzler, dass Sie auf
diese Berichte der EU-Kommission und des Ecofin-Rates
heute Morgen in Ihrer Regierungserklärung mit keinem
Wort Bezug genommen haben.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Er weiß, warum!)


Europa stände in der Tat besser da, wenn Deutschland
nicht einen solchen Wachstumseinbruch wie den im letz-

ten Jahr gehabt hätte. Nicht die Europäische Union hat ein
Wachstums- und Beschäftigungsproblem. Es liegt vor al-
lem an Deutschland, das unter Ihrer Führung, Herr Bun-
deskanzler, Schlusslicht in Europa geworden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dietmar Nietan [SPD]: Alte Leier! Das hat es zu Ihrer Zeit nie gegeben? – Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Wenn Sie in den 90er-Jahren nicht so viel verkehrt gemacht hätten!)


Ich weiß, meine Damen und Herren von den Regierungs-
parteien, dass Sie das nicht gerne hören. Aber Deutschland
ist Schlusslicht beim wirtschaftlichen Wachstum und bei
der Entwicklung des Arbeitsmarktes. Deutschland ist aller-
dings Spitzenreiter in der Europäischen Union, wenn es um
die Neuverschuldung geht. Die Europäische Union stände
insgesamt wesentlich besser da, wenn nicht Deutschland
ein solcher Problemfall in Europa geworden wäre.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir reden zu Recht viel über das Wachstum.Der Gip-

fel, der am vergangenen Wochenende in Barcelona statt-
gefunden hat, wollte sich ja mit den Wachstumsperspek-
tiven beschäftigen. – Jetzt begibt sich Herr Fischer zu den
Abgeordneten, damit er wieder dazwischenrufen kann. –
Wenn man das Wirtschaftswachstum Deutschlands he-
rausrechnet, dann stellt man fest, dass es in der Europä-
ischen Union ein Wachstum von 2 Prozent gegeben hätte.
Mit Deutschland lag das Wirtschaftswachstum bei nur
1,6 Prozent. Das ist nicht verwunderlich; denn Deutsch-
land ist mit einem Wirtschaftswachstum von 0,6 Prozent
Schlusslicht.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Herr Fischer geht wieder auf die Regierungsbank zurück!)


Nicht nur wir, sondern gerade auch ausländische Wirt-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422700800

Deutschland ist während Ihrer Regierungszeit zum kran-
ken Mann Europas geworden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Lachen bei der SPD – Christoph Moosbauer [SPD]: Glauben Sie das wirklich?)


In Ihrer Regierungserklärung, die Sie, Herr Bundes-
kanzler, heute Morgen abgegeben haben, sowie in ver-
schiedenen Reden, die Sie bei Ihren öffentlichen Auftrit-
ten in den letzten Tagen und Wochen gehalten haben, ist
erstaunlich – ich sage: erschreckend – häufig das Wort
von der deutschen Industriepolitik vorgekommen. Da-
mit überhaupt kein Missverständnis entsteht: Wir brau-
chen in Deutschland eine produzierende Industrie. Wir
brauchen große, weltweit tätige und wettbewerbsfähige
Konzerne


(Zurufe von der SPD)

– warum gibt es an dieser Stelle Zwischenrufe von Ih-
nen? –, die auch in Zukunft ihren Sitz in Deutschland
haben. Die deutsche Industrie braucht in Zukunft gute
Standortbedingungen, damit sie auch im Ausland Arbeits-
plätze schaffen kann, die im Inland Arbeitsplätze sichern.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)





Friedrich Merz

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Aber – ich will das vorweg sagen, damit kein Missver-
ständnis entsteht – wir brauchen doch keine Industriepo-
litik. Vor allem brauchen wir keine Industriepolitik, wie
Sie, Herr Bundeskanzler, sie uns heute Morgen vermittelt
haben.


(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Sie haben es doch gar nicht verstanden!)


Ich will dazu einige Anmerkungen machen: Wir brau-
chen eine langfristig angelegte und stetige Wirtschaftspo-
litik,


(Zurufe von der SPD: Ach!)

die sich auf die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit
aller Unternehmen und nicht nur der Großen in Deutsch-
land konzentriert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Bundeskanzler, es wirft ein bezeichnendes Licht auf
die Wirtschaftspolitik und auf die Industriepolitik, so wie
Sie sie verstehen, dass heute Morgen in Ihrer Regierungs-
erklärung bei diesem Thema – das Thema ist die Dynamik
der wirtschaftlichen Entwicklung in Europa und damit
auch die Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung in
Deutschland – vom deutschen Mittelstand mit keinem
einzigen Wort die Rede war.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Basel II war doch Mittelstandspolitik! Das ist doch Quatsch, was der erzählt!)


Ihre Regierungserklärung vom heutigen Tag atmet ge-
nauso wie Ihre Wirtschaftspolitik, Herr Bundeskanzler, den
Geist des Interventionismus und des Protektionismus. Sie
atmet den Geist der staatlichen Unternehmensplaner am
grünen Tisch, die von abgrundtiefem Misstrauen gegen-
über eigenverantwortlichen Unternehmern geprägt sind


(Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Gegenüber der bayerischen Politik der Landesanstalt für Aufbaufinanzierung und dem, was der Ministerpräsident da macht!)


und die den großen industriellen Einheiten, die in kollek-
tiven Gremien gesteuert und kontrolliert werden, das Wort
reden. Das ist Ihre Vorstellung von Wirtschaftspolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans Georg Wagner [SPD]: Bayern!)


Da Sie darüber so fröhlich lachen, Herr Bundeskanzler,
möchte ich Ihnen Folgendes sagen – ich weiß nicht, ob Sie
schon Gelegenheit hatten, heute Morgen die Zeitungen zu
lesen –: Vermutlich wird an diesem Tag, vielleicht gerade
in dieser Stunde, das von Ihnen vor zweieinhalb Jahren so
spektakulär – angeblich – gerettete Unternehmen Philipp
Holzmann in Frankfurt Konkurs anmelden.


(Gerhard Schröder, Bundeskanzler: Das freut Sie!? – Alfred Hartenbach [SPD]: Da freuen Sie sich wohl! Sie sollten sich schämen, Herr Merz! – Dietmar Nietan [SPD]: Freuen Sie sich darüber?)


– Herr Bundeskanzler, der Zwischenruf, den Sie gerade
gemacht haben, nämlich „Das freut Sie!?“, ist wirklich

entlarvend. Ich will Ihnen einmal sagen, was Sie in den
zweieinhalb Jahren offensichtlich übersehen haben: Die
Rettungsaktion, die Sie damals so spektakulär vor den
Fernsehkameras der Republik


(Hans Georg Wagner [SPD]: Mit Herrn Koch!)

unternommen haben, ist bis heute nicht gelungen. Sie ist
ein Verstoß gegen geltendes Tarifrecht und gegen gel-
tende europäische Beihilferegeln gewesen; darüber haben
Sie sich locker hinweggesetzt.


(Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Genehmigt!)

In der Zwischenzeit, seit gut zwei Jahren, sind in

Deutschland mehrere Hundert Unternehmen der Bauwirt-
schaft in Konkurs gegangen. Es sind fast 100 000 Arbeits-
plätze verloren gegangen. Sie sind zum Teil verloren ge-
gangen, weil das Unternehmen Philipp Holzmann mit
Ihrer Hilfe, mit Ihrer Industriepolitik in Deutschland
Löhne hat zahlen können, die kein anderes Unternehmen
zahlen konnte.


(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Christoph Moosbauer [SPD]: Das ist doch dummes Zeug!)


Mit Ihrer Industriepolitik, Herr Bundeskanzler, haben
Sie Philipp Holzmann eben nicht retten können.


(Dietmar Nietan [SPD]: Sie haben auch viel für die Rettung getan! – Gegenruf des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Haben Sie mal die Konsequenzen bedacht?)


Ich sage Ihnen jetzt einmal – das mag Ihnen nicht gefal-
len und vielleicht machen Sie auch parteipolitisch Ge-
brauch davon –: Es wäre für den Mittelstand und für die
Bauindustrie in Deutschland besser gewesen, wenn man
dieses Unternehmen dem Schicksal überlassen hätte, auf
das es heute wieder zusteuert.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was macht Herr Ministerpräsident Koch, Herr Kollege? – Dietmar Nietan [SPD]: Sagen Sie das mal den Kolleginnen und Kollegen! Gehen Sie mal in die Betriebsversammlung von Holzmann!)


In der Zwischenzeit hätten andere Arbeitsplätze in
Deutschland, gerade in der Bauindustrie, gerettet werden
können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Widerspruch bei der SPD)


– Meine Damen und Herren, die Sie dazwischenrufen, Sie
wissen aus Ihren Wahlkreisen, wie wahr das ist. Bei den
mittelständischen Unternehmen, die in der Zwischenzeit
Pleite gegangen sind, ist kein Bundeskanzler da gewesen,
ist kein Außenminister da gewesen, ist kein Industriepoli-
tiker dieser Bundesregierung da gewesen.


(Dietmar Nietan [SPD]: Ist kein Herr Merz da gewesen!)


Ihre Arbeitsteilung ist wie folgt: Wenn der Große Pleite
geht, kommt der Bundeskanzler; wenn der Kleine Pleite
geht, kommt der Konkursverwalter. Das ist Ihre Wirt-
schaftspolitik, meine Damen und Herren.




Friedrich Merz
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(D)



(A)



(B)



(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP– Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Koch ist auch gekommen und hat sich gesonnt! Der Lügner Koch war auch auf der Bühne!)


Herr Bundeskanzler, ein mittelständischer Unterneh-
mer, der heute Morgen die Zeit gehabt hätte, Ihnen bei Ih-
rer Regierungserklärung zuzuhören, hätte sich in Ihrer
Welt der großen Einheiten und der deutschen Industrie-
politik nicht mehr wiedergefunden.


(Zuruf von der SPD: Er hat über Barcelona geredet!)


Ich will Sie an Folgendes erinnern: 60 Prozent des Um-
satzes der deutschen Wirtschaft werden in kleinen und
mittleren Unternehmen gemacht. 70 Prozent der
Arbeitsplätze und 80 Prozent der Ausbildungsplätze wer-
den nicht von den großen Industrieunternehmen, sondern
von den kleinen und mittleren Unternehmen in Deutsch-
land bereitgehalten. 90 Prozent der Unternehmen in
Deutschland sind mittlere und kleine Unternehmen. Auch
die wollen im europäischen Binnenmarkt Bestand haben;
auch die wollen in der Europäischen Union wettbewerbs-
fähig sein. Kein Wort von dieser Bundesregierung zu die-
sem Teil unserer Volkswirtschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Uwe Hiksch [PDS]: Eine sehr peinliche Rede!)


Jedes Kind in Deutschland weiß, Herr Bundeskanzler,
dass die Überwindung der Wachstums- und Beschäfti-
gungskrise in unserem Land nicht nur mithilfe der Großen
– zwar auch mit denen – möglich ist; insbesondere die
kleinen und mittleren Unternehmen müssen einbezogen
werden. Diese Unternehmen fühlen sich jedoch von der
Wirtschaftspolitik Ihrer Bundesregierung, auch von Ihrer
Europapolitik sträflich vernachlässigt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, ich will ein weiteres Bei-
spiel Ihrer Industriepolitik geben. Ich komme dabei noch
einmal auf den Begriff der Reziprozität zurück. Es geht
um die Liberalisierung der Automärkte. Wollen Sie,
Herr Bundeskanzler, uns wirklich allen Ernstes erklären,
dass es richtig ist, gegen die Liberalisierung des europä-
ischen Binnenmarktes und insbesondere gegen die Libe-
ralisierung der Automärkte zu polemisieren, weil dies die
Marktmacht der deutschen Automobilkonzerne ein-
schränke? Was Sie dazu hier und an anderer Stelle gesagt
haben, ist blanker wirtschaftspolitischer Unfug.


(Widerspruch bei der SPD)

Führende Personen von BMW haben Ihnen längst gesagt,
dass die Öffnung gerade des Vertriebs richtig gewesen
wäre. Mittelständische Handelsunternehmen brauchen
nämlich die sich aus der Öffnung ergebende Freiheit in
der Europäischen Union und gerade in Deutschland. Sie
wird von Ihnen aus industriepolitischen Gründen syste-
matisch hintertrieben.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Weil der Piech es so will! Alles Klüngelei!)


Es beruhigt mich an diesem ganzen Vorgang aber wirk-
lich außerordentlich, dass sich die EU-Kommission und

vor allem die beiden für Binnenmarkt und Wettbewerb zu-
ständigen Kommissare Bolkestein und Monti von Ihnen
nicht beirren lassen, da ihr Tun eine Rechtsgrundlage im
EU-Vertrag hat, der auch für Sie und Ihre Bundesregie-
rung gilt. Sie können sich darüber nicht hinwegsetzen.
Diese beiden Kommissare und die Kommission insge-
samt werden nicht wegen, sondern trotz der Politik von
Rot-Grün in Deutschland auch in Zukunft das Richtige für
die Verbraucher in Deutschland tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Jetzt lassen Sie mich noch einmal ein Wort zum Thema

Automobilindustrie und VW-Gesetz sagen! Herr Bundes-
kanzler, VW durfte in den letzten Jahren ziemlich nach
Belieben in Europa auf Einkaufstour gehen. Skoda, Seat,


(Dietmar Nietan [SPD]: Gute Autos!)

Bentley und sogar die britische Traditionsmarke Rolls-
Royce standen auf der Shoppingliste dieses Unterneh-
mens und gehören heute zum Konzern. Ich kritisiere diese
Entwicklung nicht.


(Zurufe von der SPD: Aha!)

Aber hätte in einem einzigen der betroffenen Länder, in
Großbritannien, in Spanien oder in der Tschechischen Re-
publik, das Gesetz gegolten, das Sie für Deutschland und
für das Unternehmen VW in Anspruch nehmen, hätte
keine einzige dieser Fusionen durchgeführt werden kön-
nen. Sie aber reden da von Reziprozität.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: So ein Blödsinn! – Dietmar Nietan [SPD]: Das waren doch keine Übernahmen! Das ist doch eine Geisterbahn, auf der Sie fahren!)


Sie beanspruchen jetzt eine Sonderrolle Deutschlands
in Europa. Nachdem Ihr Freund Piech seine Einkaufstour
in Europa erledigt hat, sprechen Sie, Herr Bundeskanzler,
davon, dass man die „gewachsenen Strukturen“ in
Deutschland nicht zerstören dürfe, und fügen unverhoh-
len eine offene Drohung an die EU-Kommission hinzu,
dass Sie das auch nicht zulassen würden, solange Sie und
die rot-grüne Regierung noch im Amt seien. Ich will Ih-
nen einmal eine Stimme, die Ihre Industrie- und Wirt-
schaftspolitik innerhalb der Europäischen Union beurteilt
– aus einem Land, mit dessen Regierungschef Sie be-
freundet sind –, zu Gehör bringen. Die „Sunday Times“ in
London schreibt am Wochenende nach dem Gipfel


(Joachim Poß [SPD]: Murdoch! – Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Die Murdoch-Zeitung! Interessant!)


– ich sage es Ihnen so, wie es dort geschrieben steht –:
Jospin zieht es vor, über Steuerharmonisierung
statt über Wirtschaftsreformen zu reden. Gerhard
Schröder ist ein anderer Bremser, wenn es um ein
wettbewerbsfähigeres, unternehmensfreundlicheres
Europa geht. Er will verhindern, dass ausländische
Investoren deutsche Firmen aufkaufen können, weil
man Deutschlands industrielle Basis gegen ausländi-
sche Räuber schützen müsse.

(Dr. Edith Niehuis [SPD]: Hört sich gut an!)





Friedrich Merz

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(C)



(D)



(A)



(B)


Es wäre ein äußerst riskanter Schritt für Blair,
– für Ihren Freund –

Großbritannien den Beitritt zum Euro zu empfehlen,
ehe er nicht größere Fortschritte vorweisen kann, als
sie von Deutschland und Frankreich in Barcelona zu-
gelassen wurden.

Dem ist nichts hinzuzufügen, Herr Bundeskanzler.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Nun mag es sein, dass Sie sich durch Ihre Industrie-

und Wirtschaftspolitik wenigstens einige Freunde in der
Industrie erhalten bzw. verschaffen. Herr Bundeskanzler,
langfristiger Schaden entsteht aber durch Ihren Ton und
durch Ihren Umgang mit den Partnern in Europa.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben in den vergangenen Wochen und Monaten fast
nur negative Schlagzeilen produziert. Der so genannte
blaue Brief, der in Brüssel nicht abgeschickt werden durfte
und der in Deutschland dann doch plötzlich irgendwie
angekommen ist, politische Verdächtigungen, abstruse
Verschwörungstheorien, die versuchten Täuschungen des
Parlaments, des Verfassungsgerichts, der europäischen
Partner im Hinblick auf das Vorhaben der Beschaffung ei-
nes militärischen Transportflugzeugs: Angesichts der Art
und Weise, wie die deutsche Bundesregierung, was Ton,
Stil und Umgangsformen angeht, in den vergangenen Wo-
chen und Monaten mit den europäischen Partnern umge-
sprungen ist, muss einem unbehaglich werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Zum Schluss will ich Ihnen etwas aus der Zeit vortra-

gen – wir alle haben viel Beifall geklatscht –, als wir von
Bonn Abschied genommen haben. Herr Schröder, Ihr
Amtsvorgänger, Helmut Kohl, hat am 1. Juli 1999 eine
Rede gehalten, die unter dem Motto „Auf dem Wege von
Bonn nach Berlin“ stand. Er hat der deutschen Politik als
erste und wichtigste Handlungsmaxime mit auf den Weg
nach Berlin gegeben:

Bewahren wir uns den Geist der Bescheidenheit und
der Hilfsbereitschaft.

Vom Protokoll wurde übrigens nach dem Schluss der
Rede vermerkt:

Bundeskanzler Gerhard Schröder gratuliert seinem
Amtsvorgänger.

Zum Schluss seiner Rede sagte Helmut Kohl:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche uns
allen, dass wir uns in Berlin beim Übergang in ein
neues Jahrhundert den Geist eines freiheitlichen Pa-
triotismus bewahren, der Vaterlandsliebe, europä-
ische Gesinnung und Weltbürgertum miteinander
verbindet. Tun wir ganz einfach unsere Pflicht! Ste-
hen wir zu unseren Überzeugungen und behalten wir
Augenmaß, auch in schwierigen, turbulenten und un-
ruhigen Zeiten. Seien wir gute Nachbarn und
verlässliche Partner. Bleiben wir deutsche Europäer
und europäische Deutsche. Dann haben wir eine gute
Aussicht auf eine Zukunft in Frieden und Freiheit.


(Zuruf von der SPD: Haben Sie keinen eigenen Redetext?)


Wenn man dies heute, nach fast drei Jahren, liest und vor
dem Hintergrund dieser Worte die Europapolitik Ihrer
Bundesregierung in den letzten drei Jahren verfolgt, wenn
man sich anhört, was Sie heute und an anderen Tagen zu
sagen haben, dann hat man das Gefühl: Es hat sich etwas
verändert – und wahrlich nicht zum Besseren, nicht für
Europa und auch nicht für Deutschland.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422700900
Das Wort
hat jetzt der Kollege Joachim Poß von der SPD-Fraktion.


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1422701000
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Lieber Kollege Merz, wir müssen auch heute
feststellen, dass Sie in Ihrer Rede wiederholt die Unwahr-
heit gesagt haben.


(Beifall bei der SPD – Hans Georg Wagner [SPD]: Wie immer!)


Sie haben dem Bundeskanzler vorgeworfen, er habe
mit keinem Wort den deutschen Mittelstand erwähnt. Der
Bundeskanzler hat in seiner Rede, in der er auf deutsche
Besonderheiten eingegangen ist, die besondere Finanzie-
rungssituation des deutschen Mittelstandes ganz deutlich
erwähnt, die für das Handwerk und für die übrigen mit-
telständischen Unternehmen von Bedeutung ist.


(Beifall bei der SPD)

Hat das etwa nichts mit kleinen und mittleren Unterneh-
men zu tun? Ich stelle also fest, Herr Kollege Merz: Sie
haben mit dieser Feststellung die Unwahrheit gesagt.


(Beifall bei der SPD)

Ihr fahrlässiger Umgang mit der Wahrheit zog sich

durch Ihre ganze Rede. Sie haben behauptet, dass in Sa-
chen Holzmann geholfen wurde, obwohl die Beihilfe
nicht genehmigt worden ist. Ich stelle fest: Die Beihilfe
wurde genehmigt, Herr Kollege Merz.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Nach wie vielen Jahren? Nach zwei Jahren!)


Wer so wie Sie mit der Wahrheit umgeht, der muss sich
hier entschuldigen oder – das wäre besser – die Fakten zur
Kenntnis nehmen.


(Beifall bei der SPD)

So schlampig, wie Sie an dieser Stelle argumentieren,

so schlampig gehen Sie auch mit den Fakten in der
Schlusslichtdebatte und mit der Bewertung unserer Mit-
telstandspolitik um. Wir sind doch dabei, die Schieflage
zulasten des Mittelstandes, die in den letzten zwei Jahr-
zehnten entstanden ist, schrittweise zu korrigieren.


(Lachen bei der FDP)

Es war doch die Ära Kohl, Waigel und FDP, die zu dieser
Schieflage geführt hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Friedrich Merz
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(B)


Das gilt im Übrigen auch in Sachen Holzmann. Wie
viele Handwerker und mittelständische Unternehmen
sind denn involviert, wie immer die Dinge heute ausgehen
werden? Wie viele mittelständische Existenzen stehen auf
dem Spiel? Das sollten wir in dem Zusammenhang doch
nicht ausblenden.

Wenn wir uns dann noch vor Augen führen, wie Herr
Merz hier über Übernahmen gesprochen hat: Er hat feind-
liche Übernahmen mit gewollten Übernahmen, mit Fu-
sionen, verwechselt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Auch da ist offenkundig Nachhilfeunterricht notwendig.
Ich verstehe nicht, wie Sie hier einen Vorsitzenden nach
vorne schicken können, der nicht einmal das kleine Ein-
maleins der Wirtschaftspolitik beherrscht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der FDP)


Damit die FDP nicht einfach so davonkommt: Sie ha-
ben doch Mitte der 90er-Jahre die Weichen in Sachen Li-
beralisierung falsch gestellt. Der Bundeskanzler hat voll-
kommen Recht, wenn er auf die Konsequenzen hinweist.


(Widerspruch bei der FDP)

Es sind Tausende von Arbeitsplätzen in der Industrie in
der Bundesrepublik Deutschland bedroht, weil Sie die
Weichen in Sachen Liberalisierung falsch gestellt haben.


(Beifall bei der SPD – Lachen bei der FDP)

– Unterhalten Sie sich doch einmal mit den Geschäftslei-
tungen und den Betriebsräten dieser Unternehmen! Der
Bundeskanzler hat die Bereiche genannt.

So kann man diese Beispiele fortsetzen. Sie wissen ge-
nau wie wir, dass Ihr Klagen, Deutschland sei wirtschaft-
liches Schlusslicht in der Europäischen Union geworden,
nichts anderes als Wahlkampfgetöse ist.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ach, das stimmt doch nicht!)


– Natürlich, ein Rückblick auf Ihre Regierungszeit zeigt es
doch! Es waren CDU/CSU und FDP, die auf dem Konto
ihrerWirtschaftspolitik negative Wachstumsraten zu ver-
buchen hatten. 1993 waren es real minus 1,1 Prozent.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Vor zehn Jahren!)


In den Folgejahren – schauen Sie sich einmal die Tabellen
an, Herr Kollege –waren wir in der Europäischen Union im-
mer 14. oder 15. Wer hier den Eindruck erweckt, wir hätten
beim wirtschaftlichen Wachstum an der Spitze der Europäi-
schen Union gelegen, der täuscht die Öffentlichkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dass das nicht der Fall war, hat seine Gründe. Der Bun-
deskanzler hat auf die industriepolitischen Besonderhei-
ten in der Bundesrepublik Deutschland hingewiesen.
Aber wir haben darüber hinaus andere Besonderheiten,
die auch Sie selbst sonst nicht verschweigen. Natürlich
leiden wir ebenfalls darunter, dass Sie bei der deutschen

Einheit die Weichen in Sachen Ökonomie und sozialer
Vereinigung falsch gestellt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben die deutsche Einheit zu einem großen Teil
falsch finanziert. Wir haben diese Erbschaft abzutragen.

Wenn Herr Merz heute Morgen feststellt, dass wir auch
bei der Neuverschuldung Schlusslicht seien,


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Barcelona!)

dann darf er doch nicht verschweigen, dass Herr Solbes
und andere zu Recht gesagt haben, dass der Kurs der Bun-
desregierung, nämlich raus aus der Schuldenfalle, von der
Europäischen Kommission für vollkommen richtig gehal-
ten wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie können diese Tatsachen nicht außen vor lassen.
So könnte ich, wenn ich denn die Zeit hätte, Punkt für

Punkt, Satz für Satz dieser fulminanten Merz-Rede ausei-
nander nehmen. Es stimmt nichts, was da gesagt wurde,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

jedenfalls nicht, soweit er sich in den Bereich von Fakten
begeben hat. Teilweise waren es nur sehr wolkige Aussa-
gen. Im Bereich der Fakten hat diese Opposition bis heute
nichts zu bieten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Daher kommt wohl auch Ihre Zögerlichkeit, Ihre Wahl-
vorstellungen zu präzisieren. In wirtschafts- und finanzpo-
litischer Hinsicht wollten Sie das schon Anfang März erle-
digt haben. Jetzt hört man, Ende April; vielleicht wird es
auch Juni oder Juli, ehe Sie sich dazu in der Lage sehen. So
sieht es doch aus, wenn es um konkrete Alternativen geht.

Barcelona bedeutet weitere tragfähige gemeinsame
Schritte hin zu dem Ziel, das wir wohl alle wollen, näm-
lich Europa bis zum Jahre 2010 zum wettbewerbsfähig-
sten und dynamischsten Wirtschaftsraum zu machen.
Dazu zählt auch der erzielte Kompromiss zur weiteren
Öffnung des Strom- und Gasmarktes. Der Bundeskanzler
hat zu Recht darauf hingewiesen. Dieser Europäische Rat
hat klar gezeigt, dass die Europäische Union insgesamt
die Herausforderungen der Globalisierung angenommen
hat. Die Ergebnisse hinsichtlich der Entwicklungshilfefi-
nanzierung und die Beratungen zur Einbeziehung von
Umweltbelangen in andere Politikbereiche machen deut-
lich, dass man allgemein anerkannt hat, dass Gestaltung
von Globalisierung nicht auf die ökonomischen Aspekte
allein beschränkt werden darf. Europa wächst auch auf-
grund der Ergebnisse des Rates von Barcelona weiter zu-
sammen. Jetzt geht es darum, die richtige Ausrichtung
dieses Zusammenwachsens zu bestimmen.

Wir wissen – auch das sollte einmal in den Reden der
Opposition anklingen –,


(Eckardt von Klaeden [CDU/CSU]: Ja, halten Sie mal schön eine Rede für die Opposition, das ist gut!)





Joachim Poß

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dass nationale Regierungen mit ihren Handlungsspiel-
räumen an Grenzen stoßen. Deshalb suchen wir nach
europäischen Wegen, die wir gemeinsam mit den europä-
ischen Partnern gehen, um die Chancen der internationa-
len Öffnung zu nutzen, ohne dass das europäische Zivi-
lisations- und Gesellschaftsmodell in Gefahr gerät.

Unser Anspruch an Europa geht über das wirtschaftli-
che Ziel eines funktionierenden Binnenmarktes weit hi-
naus. Für uns steht Europa auch für sozialen, kulturellen
und ökologischen Ausgleich. Auch das unterscheidet uns
von dem, was Sie, Herr Merz, heute Morgen hier vorge-
tragen haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Rat in Barcelona hat die Notwendigkeit einer
wachstumsfördernden und stabilitätsorientierten Wirt-
schafts- und Finanzpolitik festgehalten. Die Mitglied-
staaten der Europäischen Union vereint der Wunsch, die
Arbeitslosigkeit nachhaltig zu bekämpfen. Gestrigen
Meldungen konnte man entnehmen, dass sich die Wachs-
tumsaussichten für dieses Jahr in ganz Europa – also
auch in der Bundesrepublik Deutschland – Gott sei Dank
günstiger entwickeln, als dies noch vor drei oder vier Wo-
chen angenommen werden konnte. Darüber hätten Sie
ebenfalls ein Wort verlieren und diese Entwicklung begrü-
ßen können. Warum malen Sie hier alles schwarz? Wollen
Sie denn aus rein parteitaktischen Gründen eine schlechte
Entwicklung und zusätzliche Schwierigkeiten auf dem Ar-
beitsmarkt? Das darf doch wohl nicht wahr sein!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir können nicht akzeptieren, dass Sie Tatsachen aus
parteitaktischen Gründen nicht erwähnen, und werden
deshalb offensiv darstellen, dass die Auftriebskräfte die
Oberhand gewinnen. Wo es sich noch nicht herumgespro-
chen hat, werden wir offensiv darstellen, was wir aus ei-
gener Kraft dazu beigetragen haben, um die wirtschaftli-
che Situation zu stabilisieren. Der Sachverständigenrat
hat festgestellt – auch das muss angesprochen werden –,
dass ohne unsere Steuerentlastung von 45 Milliarden DM
im letzten Jahr und ohne die Begrenzung der Sozialversi-
cherungsbeiträge der wirtschaftliche Abschwung noch
stärker gewesen wäre.

Wenn Sie die hohe Arbeitslosigkeit beklagen – wir re-
den sie doch nicht schön –, dann dürfen Sie nicht ver-
schweigen, dass wir im Januar 1998 leider 500 000 Ar-
beitslose mehr hatten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch darf man die Augen nicht davor verschließen, dass
wir in die Phase des nächsten konjunkturellen Auf-
schwungs hineingehen.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Damit besteht die Chance, dass die Arbeitslosenzahl
im nächsten Konjunkturzyklus deutlich sinken kann.
Während der 16 Jahre Ihrer Regierung unter Kohl ist

doch die strukturelle Arbeitslosigkeit stets gestiegen,
unabhängig von der Konjunktur. Darin liegt der Unter-
schied: Wir finden uns mit steigender Arbeitslosigkeit
nicht ab. Sie, meine Damen und Herren, hatten sich
schon längst damit abgefunden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Übrigen wäre es auch eine zu schlichte Betrachtung
der Ökonomie, die ökonomisch-soziale Position eines
Landes vor allem durch die reale Wachstumsrate des Brut-
toinlandsproduktes bewerten zu wollen. Wir Sozialdemo-
kraten sind stolz darauf, dass unser hohes Maß an sozia-
lem Frieden unsere Wettbewerbsfähigkeit in Europa
nachhaltig stärkt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das haben wir auch mit unserer Steuerpolitik gefördert.


(Ina Lenke [FDP]: Was?)

Durch diese Politik wurden nicht irgendwelche Großkon-
zerne begünstigt.


(Widerspruch bei der FDP)

In erster Linie wurden Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer, Familien mit Kindern sowie der Mittelstand ent-
lastet. Bei Ihnen hat man nur über eine Entlastung ge-
sprochen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Wo leben Sie denn?)


– Herr Hinsken, diese Steuerpolitik kann sich im interna-
tionalen Vergleich – auch wenn Sie einen Vergleich mit
den USA und mit Frankreich ziehen – sehen lassen.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Nordkorea!)


Aber das ändert nichts daran – ich hoffe, wir sind uns
in dieser Überzeugung einig –, dass Europa ökonomisch
wachsen muss, um sich in der Weltwirtschaft behaupten
zu können. Wenn die Europäische Union bei steigender
Mitgliederzahl handlungsfähig bleiben soll, muss sie so-
wohl die Kommission stärken als auch das Prinzip der
Subsidiarität ausweiten – jedenfalls da, wo ein europäi-
scher Regelungsbedarf nicht besteht.

Ich möchte deshalb an dieser Stelle betonen: Eine ver-
stärkte Koordinierung ist sinnvoll und notwendig, um
nationale Maßnahmen nicht auf europäischer Ebene zu
konterkarieren. Wir sollten jetzt weitere Fortschritte er-
zielen. Die weitere Integration der Finanzmärkte bleibt
auf der europäischen Tagesordnung. Wir brauchen eine
zunehmende Koordinierung in der Steuerpolitik, eine
Harmonisierung der Energiebesteuerung sowie Deregu-
lierung durch den Abbau von bürokratischen Hemmnis-
sen. Dabei brauchen wir natürlich eine Verschlankung der
verschiedenen Prozesse und Strategien zur wirtschaftspo-
litischen Koordinierung. Wir unterstützen die Schaffung
eines europäischen Bildungs- und Forschungsraumes
auch durch die Erhöhung von Mobilität. Wir wissen, dass
Investitionen in die Bürger Europas unser stärkstes Kapi-
tal darstellen. Insoweit nehmen wir auch die Kritik der
EU-Kommission an unserer Arbeitsmarktpolitik auf.




Joachim Poß
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(D)



(A)



(B)


Allerdings wissen Sie, meine Damen und Herren von
der Opposition, genau wie wir, dass die Kommission uns
auch in Sachen Arbeitsmarkt eine angemessene Reak-
tion auf die Problemlage attestiert. Sehr positiv erwähnt
wurden seitens der Kommission unsere Bemühungen im
Rahmen des JUMP-Programms zum Abbau der Jugend-
arbeitslosigkeit und unser Job-AQTIV-Gesetz. Deshalb
brauchen wir uns hier überhaupt nicht zu verstecken;


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


denn eine aktivierende Arbeitsmarktpolitik ist das Kern-
stück unserer Reformbemühungen. Aber auch hier gilt:
Das System von „hire and fire“ wird es mit uns nicht ge-
ben, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Doch das ist Ihre Alternative. Auch das werden wir in der
nächsten Zeit noch deutlich machen. Wir stehen in einer
anderen Tradition. Wir stehen dafür, dass sich Arbeitneh-
mer und Arbeitgeber auf gleicher Augenhöhe begegnen
können und dass das auch das Modell für die Europäische
Union ist. Sie stehen für eine andere Philosophie. Dieser
Unterschied muss herausgearbeitet werden, und wir wer-
den ihn herausarbeiten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir respektieren den Wunsch der Partner, Rücksicht
auf nationale Traditionen zu nehmen. Der Bundeskanzler
hat das am französischen Beispiel erläutert. Wir wissen
um den besonderen Wert guter deutsch-französischer
Beziehungen. Wir wissen um die Notwendigkeit des
Fortschreitens der Integration und deshalb bleibt es dabei:
Franzosen und Deutsche bleiben engste Partner im Prozess
der Vertiefung der Europäischen Union und wollen nichts
mehr, als dass diese Europäische Union ihre Handlungs-
fähigkeit bei zunehmender Größe nicht verliert. Wir befür-
worten eine starke EU-Kommission, eine Ausweitung der
Rechte des Europäischen Parlamentes und den Übergang
zur Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit. An unserem
Willen und an unserer Fähigkeit zur Reform kann niemand
ernsthaft zweifeln, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die gemeinsame Initiative von Bundeskanzler Schröder
und Premierminister Blair ist ein beredtes Beispiel dafür.

Wir unterstützen nach Kräften den historisch einmali-
gen Verfassungskonvent, der für die Zukunft von ent-
scheidender Bedeutung sein wird. Uns allen muss es aber
in der nächsten Zeit gelingen, auch die Bürger für eine
europäische Verfassung zu gewinnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn es nicht überhöht wäre, könnte man sagen: Es muss
uns gelingen, sie für einen europäischen Verfassungspa-
triotismus zu gewinnen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Nur so werden wir in Zukunft die innenpolitische Zu-
stimmung erhalten, weiteren Souveränitätsverzicht zu-
gunsten der Europäischen Union zu üben und zu leisten,
wo es nötig ist.

Aber wir legen auch Wert darauf, dass unsere Partner
die spezifischen Voraussetzungen unseres Landes respek-
tieren. Der Herr Bundeskanzler hat die volle Unterstüt-
zung der SPD-Bundestagsfraktion dafür,


(Beifall bei der SPD)

dies am Beispiel der besonderen Bedingungen der Indus-
trieproduktion in diesem Lande getan zu haben. Es wurde
wirklich Zeit, das noch einmal deutlich öffentlich zu de-
battieren, damit wir uns nicht in falschen Gegensätzen
verlieren. Es gibt nicht den Gegensatz, dass die einen
– angemessen in der Tonlage, wie Herr Merz hier betont
hat – Fortschritte in der weiteren Integration wollen, wäh-
rend die anderen nur ihre eigenen Interessen betonen und
damit möglicherweise Milch verschütten, was nicht nötig
wäre. Nein, es sind zwei Seiten einer Medaille. Wir kön-
nen weitere Fortschritte bei der Integration und bei der
Vertiefung mit Zustimmung der deutschen Bevölkerung
nur erreichen, wenn auch deutlich wird, dass deutsche In-
teressen – auch Industrieinteressen, aber nicht nur diese –
respektiert werden, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist eine gute Gelegenheit, das hier heute deutlich ma-
chen zu können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422701100
Das Wort
hat jetzt der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Dr. Wolfgang
Gerhardt.


Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Rede ID: ID1422701200
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hatte
nach der Entscheidung in Lissabon und mit Blick auf den
Gipfel in Barcelona ein Papier vorbereitet, mit dem ich ei-
gentlich voll übereinstimmen kann. Da ging es um die
Öffnung der Märkte, insbesondere der Energiemärkte, da
ging es um die Mobilität der Arbeit, um den Abbau büro-
kratischer Hemmnisse, um eine Stabilitätsorientierung
der Politik. Aber nirgendwo ist Papier so geduldig wie bei
den Initiativen der Bundesregierung.

An diesem Anspruch von Lissabon gemessen, nämlich
Europa nach vorn zu bringen, zu einem Global Player zu
machen, Beschäftigungsdynamik auszulösen, in einem
ernsthaften transatlantischen Wettbewerb bestehen zu
wollen, sich auf Zukunftstechnologien hin zu orientieren,
die Märkte zu öffnen, Verbraucher zu begünstigen, ist
Barcelona – auch wenn jeder Gipfel Licht und Schatten
hat – ein kompletter Fehlschlag gewesen. Das muss ein-
deutig festgestellt werden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)





Joachim Poß

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(C)



(D)



(A)



(B)


Herr Bundeskanzler, beschreiben Sie nicht legitime deut-
sche Interessen, wenn wir über die Frage reden, wie Indus-
triepolitik für Deutschland, zum Beispiel für die Chemiein-
dustrie, aussehen kann und welchen Standpunkt man hier
auf europäischer Ebene vertreten sollte! Es ist nämlich nicht
nur die Opposition, die Ihre Verhaltensweisen in diesem
Frühjahr gegenüber der EU-Kommission als falsch und so-
gar schädlich für die deutschen Interessen empfindet.

Vorhin fiel schon in einem Zwischenruf der Name
Murdoch. Ich habe hier keine Murdoch-Zeitung mitge-
bracht, sondern zitiere aus der „Süddeutschen Zeitung“:

Seit Jahresbeginn verrennt sich der Kanzler in einer
Politik, die in den Augen seiner 14 Partner pubertäre
Züge trägt. Erst wird mit starken Sprüchen ... der dro-
hende „blaue Brief“ aus Brüssel zerrissen, dann
greift Berlin nach eben jedem dieser Fetzen, sieht rot,
sobald Brüssel irgendetwas artikuliert, was sich in
Euro oder Cent übersetzen lässt.
Diese neue Linie

– so schreibt eine führende deutsche Tageszeitung –
durchkreuzt selbst marktwirtschaftliche Ideen, die
auf lange Sicht der größten Ökonomie Europas just
jene Wachstumskräfte und Jobs bescheren würden,
die der kränkliche Riese so dringend zur Genesung
braucht.

Der Artikel schließt mit folgenden Worten:
Die EU will nicht einfach am deutschen Wesen ge-
nesen. Das spürt der Kanzler nicht.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Die deutsche Politik begreift die Europäische Union zu
wenig als Chance. Das ist der Kern.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie tragen hier vor, dass die Daten einen leichten Kon-

junkturaufschwung zeigen. Die größte europäische Volks-
wirtschaft aber wird nicht dadurch in Beschäftigungsdy-
namik kommen, dass Sie mit dem Fernglas auf leicht
bessere Konjunkturdaten, die am Horizont auftauchen,
schauen, sondern nur dann, wenn Sie diese mit einer Po-
litik untermauern, die Beschäftigungsdynamik auslöst.
Diese Politik aber werden Sie nicht gegen die EU führen
können. Deutschlands Chance liegt in der Öffnung der
Märkte, und zwar in einer Politik mit der Europäischen
Union und mit der Kommission.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Deshalb, Herr Bundeskanzler, haben Sie lange Zeit da-

rauf verwandt, in gemessenem und ruhigem Ton zu
beschreiben, was die industriepolitischen Interessen
Deutschlands sein könnten. Nach außen haben Sie diesen
Stil und diese Sprache in den letzten Monaten nicht ge-
pflegt. Sie sind in der Europäischen Union mit dem Hin-
weis auf gewachsene kulturelle Strukturen als ein Sach-
walter erschienen,


(Günter Gloser [SPD]: So ein Schmarrn! Herr Gerhardt, wo leben Sie denn? – Weiterer Zuruf von der SPD: In Wiesbaden-Krähwinkel!)


der blockieren will, der gegen eine Öffnung ist, der die
Entfaltung von Dynamik verhindert, der sich dem Wandel
nicht stellt. Notwendig aber ist das glatte Gegenteil.


(Beifall bei der FDP)

Es hat auch frühere Bundesregierungen gegeben, die auf

einem Gipfel ihre Vorstellungen nicht abschließend durch-
setzen konnten. Denen konnte aber nie der Vorwurf gemacht
werden, leichtfertig Chancen zu vertun und alte, rückwärts-
gewandte Interessen zu vertreten. Kern dessen, woran
Deutschland krankt, ist die mangelnde Zukunftsorientie-
rung, die mangelnde Öffnung. Das Problem unseres Landes,


(Günter Gloser [SPD]: Das Problem ist Ihre Zukunft!)


das als äußeres Zeichen explosionsartig bei dem Thema
der Bundesanstalt für Arbeit deutlich geworden ist,


(Zuruf von der SPD: Jetzt kommen Sie auch noch damit an! Wir machen eine Europa-Debatte!)


sind die kartellartigen Strukturen, die sich gegen alles
wenden, was aufbricht, was neu am Horizont erscheint,
was Dynamik entfaltet. Das muss geändert werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist ein Änderungsweg, den die Europäische Union
vorangebracht hat, den die frühere deutsche Bundesregie-
rung gepuscht hat,


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

weil sie immer wusste, dass deutsche nationale Interessen
nur in europäischer Einbettung vorankommen und zum
Erfolg geführt werden können.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Die Sprache, die Sie gewählt haben, lässt daran zweifeln,
ob die gegenwärtige deutsche Bundesregierung das be-
herzigt.

Die Zeitung schreibt: Welchem Schröder sollen die
Partner denn glauben, jenem Kanzler, der neulich noch
die Kommission in seinem Papier zu einer Art europä-
ischer Regierung vollenden wollte,


(Peter Hintze [CDU/CSU]: Das hat er nie gewollt!)


oder dem „garstigen Gerhard“, der launig Kommissare
abwatscht und Brüssel kujoniert, sobald ihm etwas nicht
passt? Das ist der Kern!

Das Ergebnis des Gipfels in Barcelona war, gemessen
an der deutschen Erledigung innenpolitischer Hausaufga-
ben und an den hehren Zielen der Proklamation von Lis-
sabon, kein Erfolg, sondern ein Fehlschlag. Dies muss
man ganz klar festhalten.

Der Punkt, an dem ich die Bundesregierung loben
muss,


(Zurufe von der SPD: Ui! – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wird es gefährlich!)





Dr. Wolfgang Gerhardt
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(C)



(D)



(A)



(B)


betrifft die Beschlussfassung zum Nahen Osten, die ich
inhaltlich voll billige, die richtig ist und wo mit einer kla-
ren europäischen Stimme gesprochen wird. Herr Bundes-
kanzler, wir stimmen Ihnen auch voll darin zu, dass wir
nicht glauben sollten, wir könnten Größeres bewirken, als
wir es wirklich können. Aber in Bezug auf die beiden
Konfliktparteien zum ersten Mal in dieser Deutlichkeit
und Klarheit eine einvernehmliche europäische Stimme
zu vernehmen ist richtig. Wir wollen Ihnen dafür, dass Sie
das mit erreicht haben, ausdrücklich unseren Respekt zol-
len.


(Beifall bei der FDP und der SPD)

Wir sagen das ganz bewusst, denn wir haben besondere

Verpflichtungen gegenüber Israel. Für keinen meiner
Kolleginnen und Kollegen hier im Haus quer durch alle
Parteien steht die Chance für Israel, in gesicherten Gren-
zen in die Zukunft zu gehen, infrage. Aber als Freund Is-
raels dürfen wir auch sagen, dass kein Weg daran vor-
beiführt – wie es die Europäische Union jetzt beschlossen
hat –, dass Israel seine Siedlungspolitik ändern muss, dass
es sein völkerrechtswidriges Verhalten ändern muss und
dass es keine außergesetzlichen Arten von Hinrichtungen
mehr geben kann.

Genauso klar müssen wir den Palästinensern sagen,
dass es keine Akzeptanz für terroristische Anschläge gibt.
Natürlich können wir dies dort nicht allein bewerkstelli-
gen, aber dass die Europäische Union das an der Seite der
Vereinigten Staaten einmal klar ausgedrückt hat, ist von
gewaltigem internationalem Wert, mit dem man weiter ar-
beiten kann.

Wir als Fraktion möchten aber auch, dass dies mit der
gleichen Klarheit und der gleichen Stilsicherheit in der
Formulierung auch bei anderen Themen gilt. Wir wissen,
was die transatlantischen Beziehungen und die Freund-
schaft zu den Vereinigten Staaten von Nordamerika
für Deutschland bedeuten. Wir wissen um die erhebliche
ökonomische Bedeutung. Wir wissen, dass diese beiden
Kontinente in Bezug auf die Weltwirtschaft ohne Beispiel
sind, wenn sie transatlantische Beziehungen richtig ver-
stehen und klar miteinander umgehen.

Deshalb möchte ich an dieser Stelle auch sagen: Natür-
lich gibt es Vorwürfe seitens der Vereinigten Staaten an
die Europäische Union. Sie beziehen sich auf mangelnde
wirklich ernsthafte sicherheitspolitische Anstrengungen
auch mit vom Haushalt entsprechend gedeckter Finanzie-
rung. Es gibt aber auch ein erhebliches Engagement der
Europäischen Union außerhalb der Bereitstellung militäri-
scher Mittel. Darunter fällt die Osterweiterung als ein
Stück Sicherheitspolitik, die den Vereinigten Staaten von
Nordamerika sicherheitspolitisch genauso nutzt wie unse-
ren nationalen Interessen. Die deutschen Soldaten, die
jetzt nahezu überall verteilt sind, genießen nicht nur ho-
hen Respekt, sondern sind ein beträchtlicher deutscher
Beitrag zur internationalen Konfliktprävention und -ver-
hütung.

Deshalb ist es richtig, dass die deutsche Stimme – bes-
ser noch wäre: die europäische Stimme, die in Barcelona
so leider nicht erhoben worden ist –


(Peter Hintze [CDU/CSU]: Das ist wahr!)


auch gegenüber den Vereinigten Staaten im Hinblick auf
geopolitische Konsequenzen freundschaftlich, fair und im
richtigen Stil erhoben werden sollte, wenn wir über das
Thema Irak diskutieren. Es geht nicht um europäische
Weicheierei, sondern darum, welche Haltung die Eu-
ropäer annehmen dürfen. Dies heißt für die Europäer und
die Deutschen: multilaterale Annäherung, Mandat der
Vereinten Nationen, kein unilaterales Vorgehen. Das muss
man unter Freunden offen sagen können. Wir müssen da-
rauf hinwirken, dass dies die europäische Haltung wird,
auch wenn sie es bis heute noch nicht geworden ist.


(Beifall bei der FDP)

Deshalb, Herr Bundeskanzler, drängen wir darauf, dass

die Bundesregierung in diesen Tagen im Rahmen der euro-
päischen Zusammenarbeit gegenüber den Vereinigten Staa-
ten alles unternimmt, um auf diese Position hinzuweisen.
Es gibt dazu eine legitime deutsche Haltung. Es gibt auch
eine europäische Haltung dazu. Diese mag vielen anders
erscheinen – sie ist es auch – als die der Vereinigten Staa-
ten, soweit wir das hören. Unter Freunden müssen aber
auch diese unterschiedlichen Haltungen akzeptiert werden.

Nicht akzeptiert werden kann, wenn diese Haltung nur
mit dem Megaphon über den Atlantik und nur über Zei-
tungsinterviews statt über persönliche Begegnungen mit
der diesen innewohnenden Intensität der Kommunikation
verkündet wird.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Da ist, Herr Bundeskanzler, aus meiner Sicht auf dem
Gipfel in Barcelona eine Chance verpasst worden. Denn
das Wochenende in Barcelona wäre der richtige Zeitpunkt
gewesen, neben dem Thema „Israel und Palästina“ genau
diesen Sachverhalt mit den europäischen Partnern zu be-
sprechen. Es geht um eine Region, in der es viele Kon-
fliktherde gibt. Die Europäische Union muss die außen-
politische Fähigkeit und Kraft haben, eine gemeinsame
Position zu entwickeln und dies den Vereinigten Staaten
mitzuteilen.

Natürlich ist das eine Aufgabe, bei deren Lösung wir
Deutsche in aller Ruhe sagen können, wo unsere außen-
politischen Interessen liegen. Wir wollen uns nicht größer
machen, als wir sind. Wir sollten uns aber auch nicht klei-
ner machen. Aufgrund unseres wirtschaftspolitischen Po-
tenzials, unserer Bündnisverpflichtungen und unserer eu-
ropäischen Orientierung ist es ganz legitim– und es schadet
keinem befreundeten Staat –, wenn wir unseren amerika-
nischen Freunden vermitteln, dass wir, die Deutschen, bei
Konfliktlösungen in europäischer Einbindung auf das
Gewaltmonopol derVereinten Nationen achten wollen.
Jede Nation hat ihre geschichtlichen Erfahrungen. Wir ha-
ben unsere, die uns zu diesem Ergebnis führen. Wir er-
warten, dass das unter Freunden respektiert wird, ohne
dass an der Freundschaft gezweifelt wird.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Mit einem solchen Vorgehen könnte die Europäische
Union einen partnerschaftlichen, wirkungsvollen und
präventiven Beitrag leisten. Diese Chance ist auf dem
Gipfel in Barcelona verpasst worden.




Dr. Wolfgang Gerhardt

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(C)



(D)



(A)



(B)


Es mag sein, dass manche europäische Beteiligte dies
anders sehen oder dort nicht so bescheiden wollten. Nur,
aufgeben sollten wir diese Position nicht. Dafür sollten
wir an jedem Tag werben.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422701300
Das Wort
hat Bundesminister Joseph Fischer.

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen

(vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und von der SPD mit Beifall begrüßt)

ren! Die Europapolitik der Bundesregierung des Bundes-
kanzlers Schröder hat in den vergangenen dreieinhalb
Jahren ganz wesentliche Fortschritte in der europäischen
Integration erzielt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das musste einmal gesagt werden!)


– Ja, aus der Erweiterung haben wir eine konkrete poli-
tische Entwicklung gemacht. Es gab Versprechungen, be-
reits im Jahre 2000 solle Polen Mitglied der Europäischen
Union sein, aber erst unter dieser Bundesregierung, unter
der deutschen Präsidentschaft von Bundeskanzler
Schröder und dann unter der finnischen Präsidentschaft,
wurden Nägel mit Köpfen gemacht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Heute können wir sagen, dass wir 2004 vermutlich zehn
neue Mitglieder haben werden und damit aus der Vision
Wirklichkeit wird. Das ist ein wesentlicher Beitrag unse-
rer Europapolitik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber diese Erweiterung macht auch klar – dabei gibt es
einen Zusammenhang mit dem, worüber hier diskutiert
wurde; dies sollte nicht in Polemik entgleiten –, dass es sehr
ernste Fragen gibt, die es wert sind, sie bereits heute inten-
siv in der Debatte hier im Parlament zu untersuchen: Wie
soll eine solche Union der 25 tatsächlich funktionieren,
und das nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Erweite-
rung? Bei weitergehenden Integrationsfortschritten spüren
wir doch in einzelnen Fragen, dass sich immer mehr die
Herausforderung der demokratischen Legitimation und
der Legitimität der europäischen Institutionen stellt.

Dies gilt in einer Union der 25 nicht nur für Kompro-
misse. Dabei haben wir, sowohl die Staats- und Regierungs-
chefs als auch die Außenminister, ja erlebt, was es heißt,
wenn eine Runde der 25 als Arbeitsgremium tätig ist. Der
entscheidende Punkt ist vielmehr ein anderer: In der Inte-
gration in der Sache, also in einzelnen wirtschafts-, sozial-
und umweltpolitischen Punkten, stellt sich natürlich immer
mehr die Frage nach der demokratischen Legitimität. Des-
wegen ist die Vertiefung bzw. das Schaffen einer europä-
ischen Demokratie von Anfang an eines der Hauptprojekte
der Europapolitik dieser Bundesregierung gewesen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben jetzt in Europa den Konvent, die verfas-
sunggebende Versammlung. So etwas hat uns, als wir an-
getreten sind, niemand zugetraut. Mit der Erweiterung
und der Vertiefung, der Schaffung des Konvents und der
konkreten Erweiterungsperspektive 2004, sind von dieser
Bundesregierung zwei ganz zentrale historische Fragen
angepackt, angeschoben und gemeinsam mit unseren
Partnern erfolgreich auf den Weg gebracht worden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Nun wissen wir so gut wie all unsere Partner – der Bun-
deskanzler hat es angesprochen –, dass die Reform der
Agrarpolitik notwendig ist. Die Fragen der Kohäsion und
der Strukturfonds in einer erweiterten Union sind ganz
entscheidend. Die Fragen der Finanzierung und der fi-
nanziellen Vorausschau werden natürlich bereits im Pro-
zess der Erweiterung aufgeworfen, zwar nicht als zusätz-
liche Erweiterungshemmnisse, aber im Hinterkopf aller
Beteiligten, sowohl der Beitrittskandidaten als auch der
Alt-Mitgliedsländer, spielt dies bereits eine Rolle.

In dem Zusammenhang stellt sich natürlich die Frage
nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des größten
und wirtschaftlich wichtigsten Mitgliedslandes. Bei ge-
nau diesem Punkt weist der Bundeskanzler völlig zu
Recht darauf hin, dass wir für das große historische Pro-
jekt der Erweiterung, für das es keine Alternative gibt,
eine leistungsfähige Bundesrepublik Deutschland und
eine leistungsfähige Wirtschaft brauchen. Das ist die He-
rausforderung an uns, innenpolitische Reformen durchzu-
führen. Das setzt allerdings auch eine konsistente Politik
der Kommission voraus, durch die keine zusätzlichen und
unnötigen Hemmnisse für ökonomische und soziale
Reformen in der Bundesrepublik Deutschland geschaf-
fen werden. Wenn Sie so wollen, ist das der Kern der Dis-
kussion, die gegenwärtig mit der Kommission geführt
wird und zu führen ist.


(Zuruf von der FDP: Selbstkritik!)

Herr Merz, bei Ihnen werde ich den Verdacht nicht los,

dass Sie die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung
– bei der es darum geht, ob Sie das Modell des sozialen
Wandels als Konfliktmodell oder als Konsensmodell wol-
len –, die völlig legitim ist – das sage ich, damit Sie mich
nicht missverstehen – und innenpolitisch geführt werden
muss, letztendlich auf dem Umweg über die Kommission
führen wollen.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist doch Unfug!)


Diese Koalition und diese Bundesregierung haben sich
verpflichtet, die Interessen derArbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer bei dem zugegebenermaßen manchmal
schmerzhaften, aber notwendigen Strukturwandel zu
berücksichtigen und Politik nicht gegen sie, sondern mit
ihnen zu machen. Das ist der entscheidende Unterschied.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Überhaupt kein Widerspruch!)





Dr. Wolfgang Gerhardt
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(C)



(D)



(A)



(B)


Sie müssen sich schon überlegen, welche Zeitung Sie
zitieren. Dazu, dass Sie sozusagen als Nachweis Ihrer Po-
sition ausgerechnet die „Sunday Times“ zitieren, kann ich
nur sagen: Ich bin mir nicht sicher, ob Sie für diese Posi-
tion in der CDU – in der CSU erhalten Sie sie garantiert
nicht – eine Zustimmung bekommen. Sie werfen dort der
Bundesregierung vor, dass sich der Bundeskanzler einge-
setzt hat. Es waren doch weder die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer noch die Bundesregierung – auch nicht
Ihre –, die Holzmann gegen die Wand gefahren haben.
Wir können uns noch daran erinnern, welches Manage-
mentversagen dahinter stand.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Und was ist heute das Ergebnis?)


Wenn es um das konkrete Schicksal von Tausenden von
Arbeitnehmern geht, wird diese Bundesregierung aber
nicht einfach tatenlos dabeisitzen. Man konnte damals, als
der Bundeskanzler in Frankfurt war, ja auch sehen, dass
der hessische Ministerpräsident nichts Besseres zu tun
hatte, als sich auf das Bild zu drängen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wir werden Ihnen die Rede, die Sie heute gehalten ha-
ben, hier vorlesen, wenn Kirch gegen die Wand fährt. Das
Engagement der bayerischen Landesregierung werden
wir uns dann sehr genau anschauen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Wir werden dann auch die Frage beantwortet bekommen,
warum die Bayerische Landesbank Kredite in Höhe von
1,5 Milliarden Euro für Geschäfte, die mehr als ein Fra-
gezeichen aufwerfen, dort hineingepumpt hat.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pornographie!)


Sie müssen dann auch die Frage beantworten, warum
sich die Bayerische Staatsregierung zum Beispiel seit Jah-
ren so intensiv um die Maxhütte kümmert und dieses Pro-
blem nicht gelöst bekommt. Dabei handelt es sich um ei-
nen einzigen Montanstandort. Was sollen denn der
Kollege Clement in Nordrhein-Westfalen oder andere
Kollegen in anderen Industriestandorten dann erst sagen?

Herr Merz, Sie müssen also bei Ihrer Kritik schon kon-
sistent bleiben und können nicht in Bayern akzeptieren,
was Sie im Bund kritisieren. Das gilt insbesondere, wenn
es um so wichtige Fragen geht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Sie werfen uns vor, dass der Mittelstand in Barcelona
keine Rolle gespielt habe: Schauen Sie sich doch zum
Beispiel die Struktur der Chemieindustrie an. Es ist nicht
wahr, dass es nur große Unternehmen sind. Im Wesentli-
chen ist die Chemieindustrie nämlich mittelständisch. Die
Zulieferindustrie für die deutsche Automobilwirtschaft ist
ebenfalls ganz entschieden mittelständisch geprägt. Da-
ran hängen sehr viele Arbeitsplätze.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


All diese Dinge zusammengenommen lassen sich auf
einen Punkt bringen: Es geht nicht darum – das wäre eine
völlig verfehlte Politik –, eine Politik gegen die Europä-
ische Kommission zu machen. Es geht auch nicht darum,
dass wir den notwendigen Strukturwandel nicht weiter
voranbringen. Sie sagen, dass Deutschland zum kranken
Mann geworden ist. An dem Punkt kann ich Sie nur fra-
gen: Bei euch gab es vorher also nur blühende Land-
schaften? – Schaut euch doch einmal die Verschuldungs-
zahlen an!


(Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat denn den blauen Brief bekommen?)


Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, dann war
Deutschland sieben Jahre nach der Einheit das Schluss-
licht.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Haben wir einen blauen Brief bekommen oder Sie?)


Im Jahre 1996 lag die Verschuldungsquote meines Wis-
sens bei 3,2 Prozent, also deutlich über 3 Prozent. Im
Jahre 1997 lag diese Quote ganz knapp unter 3 Prozent.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: 2,6 Prozent, Herr Fischer!)


Ich werde mir die Zahlen noch einmal genau anschauen.

(Joachim Poß [SPD]: Herr Merz muss sich das anschauen!)

Ich weiß, dass es für das, was wir vorgefunden haben,

Gründe gab. Die deutsche Einheit ist eine anhaltende He-
rausforderung, der sich jede Bundesregierung stellen
muss. Aber es ist billige Oppositionspolitik, die sich nur
auf den Gedächtnisverlust gründet, wenn Sie das, was Sie
uns hinterlassen haben, nicht ebenfalls nennen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich sage Ihnen: Der Strukturwandel muss weiter fort-
geführt werden. Aber es geht um die Einstiegsbedingun-
gen. Diese Einstiegsbedingungen müssen berücksichtigt
werden. Europa braucht eine leistungsfähige deutsche
Volkswirtschaft für die Erweiterung. Genau dieser Leis-
tungsfähigkeit weiß sich diese Bundesregierung ver-
pflichtet.

Sie haben uns vorgeworfen, in Barcelona sei diesbe-
züglich nichts gemacht worden. Schauen Sie sich doch die
Entscheidung allein zum Projekt „Galileo“ an. Es ist ein
strategisches Projekt; darüber brauchen wir nicht zu re-
den. Es ist ein Projekt, Herr Gerhardt, das nicht bereits
morgen seine Früchte trägt. Aber allein die Reaktion aus
Übersee auf dieses Projekt macht klar, welche Bedeutung
es für die Zukunft und für die Aufstellung Europas im
21. Jahrhundert haben wird. Ich nenne in diesem Zusam-
menhang auch die Breitbandnetze. So viel zu Ihrer Be-
hauptung, Barcelona habe nichts gebracht.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Der Anspruch, mit dem Sie angetreten sind, war ein anderer!)


Ein anderes Thema: Wir haben uns gewünscht, die De-
regulierung der Strom- und Gasmärkte zu 100 Prozent




Bundesminister Joseph Fischer

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(D)



(A)



(B)


zu vereinbaren. Gemeinsam mit unseren französischen
Partnern haben wir eine Liberalisierung von 60 Prozent
erreicht. Der Bundeskanzler hat dargestellt, warum. Aber
ich bitte Sie: 60 Prozent sind nicht mehr nur ein halb
volles Glas, sondern schon deutlich mehr. Wir haben ganz
konkrete Dinge erreicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Bei allem Respekt muss ich auch auf Kleinigkeiten
hinweisen. In Kalifornien ist schon mehrfach eine Ener-
giekrise ausgebrochen. Ich will keinem einen Vorwurf
machen, aber wir müssen feststellen, dass es dort kein ge-
samtkontinentales Stromnetz gibt. Auch andere Dinge
gibt es dort nicht. Wir haben uns angewöhnt, unsere eige-
nen Stärken wie Solidität und soziale Stabilität trotz aller
Probleme, die wir haben – ich will dies überhaupt nicht
abstreiten –, in den Hintergrund zu stellen.

Wir sind sicherlich nicht so dynamisch wie unsere
Partner auf der anderen Seite des Atlantiks.


(Dr. Helmut Haussmann [FDP]: So ist es!)

Aber dafür gibt es Gründe. Wer den kulturellen histori-
schen Hintergrund von Marktwirtschaft ausblendet, wird
gegen die Wand fahren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Für die USA sind Freiheit und gesellschaftliche Selbst-
organisation – das ist von ganz entscheidender Bedeu-
tung; deswegen hat auch die Übertragung dieser Modelle
auf Russland nach der Wende niemals funktionieren kön-
nen – zentrale Elemente der Kultur und damit auch der
Wirtschaft dieses Landes.

Wir Europäer haben einen ganz anderen historischen
Kontext. Für unser Land ist – insbesondere aufgrund des
Dramas des 20. Jahrhunderts, aber auch der Zeit davor –
die Frage der Sicherheit von ganz anderer Bedeutung ge-
wesen. Nun werden wir ein Stück weit in Richtung mehr
Freiheit gehen müssen. Das wird im demokratischen Pro-
zess auszufechten sein. Aber wer ignoriert, dass es höchst
unterschiedliche Bedingungen gibt und dass aus der
größeren Stabilitätsorientierung der Europäer gleichzeitig
so etwas wie sozialer Zusammenhalt entsteht und – so be-
haupte ich – entstehen muss, wenn man ein Interesse an
demokratischer Integration in Europa hat, wird meines
Erachtens den gesamten Prozess gefährden.

Deswegen wissen wir uns dem Modell des sozialen
Wandels im Konsens auf der Grundlage der europäischen
Tradition verpflichtet. Wir wollen die Vollendung der
europäischen Integration in einem überschaubaren Zeit-
raum, also noch in diesem Jahrzehnt. Aber wir werden die
Menschen mitnehmen und nichts gegen die Menschen in
unserem Lande machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422701400
Das Wort
hat jetzt der Kollege Uwe Hiksch von der PDS-Fraktion.


Uwe Hiksch (PDS):
Rede ID: ID1422701500
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Wer die technokratische Rede von
Herrn Merz gehört hat, kann sich nur noch wundern. Man
hat bei Ihnen, Herr Merz, den Eindruck, dass Sie hier am
liebsten verkündet hätten: Wirtschaftstheorie erfüllt,
20 000 Holzmann-Kumpel arbeitslos. Eine solche Politik,
die pragmatisches Handeln in der Wirtschaftspolitik und
das Einbringen von politischem Gewicht nicht als not-
wendig ansieht, ist zum Scheitern verurteilt, bringt soziale
Kälte mit sich und grenzt die Menschen ein Stück weit
aus. – Die PDS ist immer dafür eingetreten, dass sich Po-
litiker auf lokaler Ebene als Bürgermeister oder Landräte
darum kümmern müssen, wenn klein- und mittelständi-
sche Unternehmen in der Region in Schwierigkeiten kom-
men. – Sie haben das auch gemacht und das, Herr Merz,
ist der Grund dafür, warum Ihre Landräte und Kommu-
nalpolitiker reihenweise abgewählt und durch PDS-Land-
räte und PDS-Kommunalpolitiker ersetzt werden.


(Beifall bei der PDS)

Der Barcelona-Gipfel muss daran gemessen werden,

ob das Ziel, Europa zum dynamischsten, wettbewerbs-
fähigsten und nachhaltigsten Wirtschaftsraum der Welt
weiterzuentwickeln, erreicht worden ist. Wir müssen fest-
stellen, dass das nicht gelungen ist. Wir konnten sehen,
dass es in Barcelona zwei Gipfel gegeben hat: auf der ei-
nen Seite einen Gipfel, auf dem über 500 000 Menschen
auf die Straße gegangen sind, und zwar Menschen unter-
schiedlichster Prägung, aus Arbeitsloseninitiativen, Ge-
werkschaften, aus Sozialverbänden, Landwirte, die Angst
haben, ihre Bauernhöfe dichtmachen zu müssen, Men-
schen, die spüren, dass in Europa das Kapital und die
Großunternehmen immer weiter vorangebracht werden,
während die Sorgen und die Nöte der kleinen Leute im-
mer mehr vergessen werden. Diese Menschen haben in
Europa deutlich gemacht: Wir wollen ein anderes Europa,
wir wollen ein Europa der Menschen und setzen uns dafür
ein, dass Europa auch für die Menschen arbeitet.


(Beifall bei der PDS)

Herr Fischer, eines werfe ich Ihnen und der rot-grünen

Bundesregierung vor: Sie haben das Gespür dafür ver-
loren, dass Europa nicht zu einem Europa der Gipfel wer-
den darf, bei denen sich Politikerinnen und Politiker,
geschützt durch 9 000 Polizisten, Militärs und Flugab-
wehrraketen, in einer Burg einigeln, die kein Mensch
mehr erreichen kann. Es muss gelingen, dass sich die po-
litische Klasse der Bundesrepublik und Europas wieder
den Menschen stellt, die Anforderungen an die Politik ha-
ben, zum Beispiel den Gewerkschaften, und mit ihnen ge-
meinsam über die Sorgen und Nöte Europas diskutiert. Es
muss eine Politik geben, die wieder erkennt, dass die
Armut und die Ausgrenzung in Europa zunehmen, eine
Politik, die wahrnimmt, dass sich die Arbeitslosigkeit in
Europa auf höchstem Stand festgefressen hat. Eine solche
Politik muss den Dialog mit den Initiativen pflegen und
aufnehmen, was ATTAC, die Euromarschbewegung und
die Arbeitslosenbewegung Europas in die politische De-
batte eingebracht haben. Eine solche Politik hat die rot-
grüne Bundesregierung aber aus den Augen verloren.

Wir glauben, dass die Aufgabe der Linken in Europa
darin bestehen muss, das aufzugreifen, was auf den De-




Bundesminister Joseph Fischer
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(C)



(D)



(A)



(B)


monstrationen in Barcelona am Rande des Gipfels deut-
lich gemacht wurde, dass Europa weiterentwickelt wer-
den muss und dass es gelingen muss, Europa wieder die
Chance zu geben, politische Probleme zu lösen. Wir müs-
sen deshalb weg von einem Europa der Regierungen, in
dem sich Ministerpräsidenten und Staatschefs einschlie-
ßen. Wir brauchen eine Parlamentarisierung Europas. De-
mokratisch gewählte Parlamente müssen darüber ent-
scheiden, wie sich Europa entwickelt. Deshalb darf es
nicht mehr angehen, dass eine Entscheidung, die in Eu-
ropa getroffen wird, ohne Zustimmung des Europäischen
Parlamentes gefasst wird.

Es muss erreicht werden, dass in Europa die Grund-
rechte durch die einzelnen Bürgerinnen und Bürger in
Europa über europäische Gerichte einklagbar sind. Des-
halb dürfen die Grundrechte in Europa nicht mehr in so-
ziale und bürgerliche Grundrechte getrennt werden.

Wir glauben auch, dass eine Reform des Rates in Eu-
ropa dazu führen muss, dass sich Regierungschefs nicht
mehr in Geheimsitzungen einschließen und nicht öffent-
lich darüber reden, wie sich beispielsweise Gesetze oder
legislative Funktionen in Europa entwickeln. Daher muss
die grundsätzliche Öffentlichkeit von Räten durchgesetzt
werden, bei denen es um den legislativen Charakter, um
Gesetze geht.

Die Lissaboner Strategie – das, was in Europa bewer-
tet werden sollte – war vor einigen Jahren der Versuch,
den sozialdemokratische Regierungen gestartet haben,
um gemeinsam ein anderes Europa zu errichten. Es ging
um ein Europa, das deutlich machen sollte, dass es kein
Diktat der Geldpolitik durch eine abgehobene Europä-
ische Zentralbank geben darf, sondern vielmehr das, was
beispielsweise Oskar Lafontaine in seinem Credo der Re-
politisierung der Geldpolitik


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

und des verstärkten makroökonomischen Dialogs oder
beispielsweise die französische sozialistische Partei mit
der Forderung nach der Schaffung einer europäischen
Wirtschaftsregierung als Gegenmaßnahme gegen die rein
monetaristisch orientierte Europäische Zentralbank ge-
fordert hatte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Weg ist leider
gescheitert, und zwar nicht, weil sich die lafontainesche
Politik durchsetzen konnte, sondern weil sie innerhalb der
Sozialdemokratie bzw. der sozialdemokratischen Parteien
Europas beendet wurde und stattdessen der so genannte
Dritte Weg à la Schröder und Blair eingeschlagen wurde.
Dieser Weg hat aber völlig andere Grundsätze – nämlich
neoliberale Grundsätze im Rahmen einer europäischen
Strategie – durchgesetzt. Die Kernbotschaft der heutigen
sozialdemokratischen Parteien lautet nicht mehr, die Voll-
beschäftigung dadurch voranzubringen, dass den Men-
schen geholfen wird, sondern dem einzelnen Arbeitslosen
Schuld zuzuweisen und zu behaupten, der einzelne Ar-
beitslose müsse aktiviert werden und sich darum küm-
mern, dass die vielen Arbeitsplätze, die angeblich auf der
Straße liegen, durch ihn wahrgenommen werden. Eine
solche Politik ist aber zum Scheitern verurteilt.

Der so genannte Dritte Weg, den Sie zur europäischen
Politik gemacht haben, liebe Kolleginnen und Kollegen

von der Sozialdemokratie und den Grünen, ist nach unse-
rer Überzeugung einer der Gründe, warum sich neolibe-
rale Politik in immer mehr Nationalstaaten Europas wie-
der durchsetzt. Wir erleben zurzeit in Europa, dass eine
sozialdemokratische Regierung nach der anderen abge-
wählt wird. Europa wird wieder rechts – angefangen in Ös-
terreich bis derzeit in Portugal –, weil Sie die Grundlage
dafür gelegt haben, dass neoliberale Ansätze in der aktu-
ellen nationalen Politik wieder eine Rolle spielen, rechts-
populistische Kräfte zugespitzter als Sie wieder neolibe-
rale Politikansätze durchsetzen und dadurch Europa die
Chance, die das so genannte sozialdemokratische Jahr-
hundert hätte bieten können, schlichtweg versäumt hat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir von der
PDS fordern Sie auf: Kommen Sie zu einer Politik des
Dialogs zurück! Nehmen Sie wahr, dass Gewerkschaften
und Sozialverbände bzw. eine halbe Million Menschen,
die auf die Straße gehen, dies nicht tun, weil sie gegen Eu-
ropa sind, sondern weil sie gemeinsam ein soziales und
ökologisches Europa, ein Europa für die Menschen durch-
setzen wollen, das deutlich macht: Europäische Politik
begreift sich als Gegenpolitik zu der Fiskalpolitik und der
monetaristischen Politik, die die Interessen der Menschen
vergessen. Setzen Sie sich dafür ein, dass Gewerkschaf-
ten und Sozialverbände in Europa wieder ein Sprachrohr
haben!

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422701600
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dietmar Nietan von der SPD-Frak-
tion.

Dietmar Nietan (SPD) (von Abgeordneten der SPD
mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Bevor ich mit meinen Ausführungen zum
Gipfel in Barcelona beginne, erlauben Sie mir eine per-
sönliche Bemerkung zu den Äußerungen von Herrn Merz.
Herr Merz, sagen Sie das, was Sie hier zum Thema
Philipp Holzmann gesagt haben, auch einmal auf einer
Betriebsversammlung den Kolleginnen und Kollegen bei
Philipp Holzmann ins Gesicht, nämlich dass Sie keinerlei
Ambitionen zeigen, ihnen zu helfen, ihre Arbeitsplätze zu
erhalten. Was die Kolleginnen und Kollegen von dieser
Art von CDU-Wirtschaftspolitik halten, möchte ich erle-
ben. Diesen Zynismus, den Sie hier an den Tag gelegt ha-
ben, müssen die Leute live erleben.


(Beifall bei der SPD – Ernst Hinsken [CDU/ CSU]: Das ist doch Quatsch, was Sie da sagen! Perfekter Quatsch! So ein Unsinn! – Gegenrufe von der SPD: Backen Sie mal kleine Brötchen! – Haben Sie sich schon um die Hunderttausende gekümmert? – Dafür sind die anderen zuständig!)


Auch wenn ich sehe, dass meine Worte die Opposition
wohl richtig getroffen haben, möchte ich gerne auf die
Bilanz des Gipfels in Barcelona zurückkommen. Meine
Damen und Herren, natürlich war Barcelona nicht der
Gipfel der weltweit bedeutenden Entscheidungen, aber es




Uwe Hiksch

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(B)


war ein Arbeitsgipfel, der die Europäische Union in vielen
Punkten ein Stück vorangebracht hat, auch wenn Sie das in
der Diskussion gerne unter den Tisch fallen lassen wollen.

Bei diesem Gipfel ist deutlich geworden, dass die
Europäer bereit sind und auch weiterhin dafür arbeiten wol-
len, das Ziel, zum „dynamischsten wissensbasierten Wirt-
schaftsraum in der Welt“ zu werden, nicht aus den Augen
zu verlieren. Dabei unterscheidet uns – ich betone dies, weil
es bisher noch nicht erwähnt wurde – von anderen ökono-
mischen Modellen, dass wir Europäer diesen Prozess sozial
und ökologisch flankieren wollen. Das unterscheidet das
Modell Europa von einem kalten Neokapitalismus.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die entscheidende Botschaft von Barcelona ist, dass
die EU zuversichtlich sein kann, weil die Konjunktur
wieder anspringt, und im Rahmen ihrer Zielsetzung alles
tun wird, um die Konjunktur noch stärker zu beleben.
Meine Damen und Herren von der Opposition, lassen Sie
sich von diesem Optimismus und dieser Tatkraft in Eu-
ropa anstecken, anstatt den Wirtschaftsstandort Deutsch-
land weiter mies zu reden.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Das können die nicht!)


Es ist schon viel zur Liberalisierung der Ener-
giemärkte gesagt worden. Ich halte es für einen Erfolg,
dass nun auch in Frankreich 60 Prozent des Marktes
geöffnet wurden. Sicherlich hätten wir uns noch mehr ge-
wünscht; aber an dieser Stelle war eben nur ein Kompro-
miss möglich. Hätten wir Deutschen nämlich darauf be-
harrt, die Position Frankreichs zu schwächen, hätten
diejenigen, die uns jetzt vorwerfen, wir seien in der Libe-
ralisierung nicht weit genug gekommen, vorgeworfen,
dass wir das deutsch-französische Verhältnis belastet hät-
ten. Man kann mit diesem Thema nicht so beliebig umge-
hen, wie Sie es tun, meine Damen und Herren von der Op-
position.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich noch etwas zu der Liberalisierung des
Energiemarktes sagen: In meinem Wahlkreis finden sich
Braunkohlentagebaue und -kraftwerke von RWE Rhein-
braun. Sie sollten sich einmal anhören, was von den
Managern in den obersten Etagen bis hinunter zu den Kol-
leginnen und Kollegen von den strukturpolitischen Ent-
scheidungen gehalten wird, die noch unter der Ägide der
alten Regierung getroffen worden sind und die eine Un-
gleichzeitigkeit bei der Öffnung der Energiemärkte auf
europäischer Ebene erst möglich gemacht haben, die
letztlich auf dem Rücken deutscher Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer ausgetragen worden ist. Für diese Po-
litik, die wir jetzt zurechtrücken müssen, hat man Ihnen
eine sehr schlechte Note verpasst. Das sollten Sie sich lie-
ber anhören; aber offensichtlich haben Sie auch hier den
Kontakt zur wirtschaftlichen Basis verloren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Birgit Homburger [FDP]: Ich habe den Eindruck, Sie haben noch nie Kontakt dazu gehabt!)


Meine Damen und Herren, angesichts der gegebenen
Möglichkeiten der konjunkturellen Erholung müssen wir
beherzt zugreifen und diesen Prozess unterstützen. Hierzu
hat der Rat von Barcelona die richtigen Signale ausge-
sandt. Der Europäische Rat hat gefordert, die Gesamtaus-
gaben für Forschung und Entwicklung bis 2010 auf
3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern. Wegen
des Rückgangs der Forschungspolitik in den letzten Jah-
ren der Regierungszeit von Helmut Kohl sollten Sie ei-
gentlich Tränen der Dankbarkeit in den Augen haben, dass
in Europa jetzt das gemacht wird, was Sie jahrelang in der
nationalen Politik versäumt haben.


(Beifall bei der SPD – Lachen des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP] – Zuruf von der CDU/CSU: Das tut ja richtig weh!)


– Ich glaube, dass Ihnen das wehtut. Die Wahrheit tut eben
manchmal weh.

Ich komme noch einmal auf das Projekt „Galileo“ zu
sprechen: Auch dieses Projekt hat in eindrucksvoller
Weise gezeigt, dass Europa nicht nur bereit, sondern auch
in der Lage ist, sich im Hinblick auf die forschungspoliti-
sche Strategie neu zu positionieren. Es ist gelungen, Welt-
raumforschung mit anwendungsorientierter Forschung zu
kombinieren und die Weichen für die Bildung eines eigen-
ständigen europäischen Forschungs- und Entwicklungs-
Know-Hows gerade in diesem wichtigen Zukunftsbereich
zu stellen. An dieser Stelle lobe ich die Bundesregierung
ausdrücklich, die im Hintergrund immer zu denen gehört
hat, die eine solche Entwicklung möglich gemacht haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Telekommunikationsbereich wurden die Entschei-
dungen getroffen – ich denke hier an die Verfügbarkeit
und den weiteren Ausbau von Breitbandnetzen –, die
notwendig sind, um den technologischen Fortschritt in
Europa in einen ökonomischen Fortschritt umzusetzen.
Auch hier wurde Wichtiges auf den Weg gebracht, wenn
auch nur in kleinen Schritten. Aber diese kleinen Schritte
zeigen nach vorn und das sollten Sie würdigen.

Der Prozess hin zu einer leistungsfähigen Ökonomie in
Europa darf – ich sagte dies eingangs bereits – nicht auf
dem Rücken von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
oder der Umwelt ausgetragen werden.


(Beifall bei der SPD)

Deshalb möchte ich an dieser Stelle sagen, dass die Ent-
scheidungen des Europäischen Rates, auch in der Sozial-
politik den Prozess von Luxemburg zu straffen, das Ziel
der Vollbeschäftigung nicht aus den Augen zu verlieren
und die Förderung des Dialogs der Sozialpartner in den
Mittelpunkt der europäischen Sozialpolitik zu stellen, da-
mit es präventive Maßnahmen gibt, die den Struktur-
wandel sozialverträglich gestalten, ein Signal dafür ist,
dass man den Strukturwandel in Europa mit den Men-
schen und nicht auf ihrem Rücken gestalten will. Auch
das sollte als positives Signal des Gipfels von Barcelona
herausgestellt werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)





Dietmar Nietan
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Lassen Sie mich noch etwas zu der ökologischen Flan-
kierung sagen. Dass in Weiterentwicklung der Ergeb-
nisse des Gipfels von Göteborg nun auch in Barcelona
klar festgelegt wurde, dass die Integration von Umweltas-
pekten in alle Politikbereiche der EU weiter voranschrei-
ten und stärker institutionalisiert werden müsse, zeigt,
dass ökonomische Entwicklung auch mit ökologischer
Entwicklung und mit nachhaltigen Strategien einherge-
hen muss. Das ist ein Novum in der europäischen Politik.
Das ist in dieser Klarheit noch nie formuliert worden. Ich
kann die Bundesregierung nur auffordern – sie gehört zu
den Antriebskräften dieses Prozesses –, in ihrem Be-
mühen um die ökologische Orientierung hin zu einer
nachhaltigen EU-Politik nicht nachzulassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich sehe es als Erfolg gerade der deutschen EU-Politik
an, dass wirtschaftliche, soziale und ökologische Erwä-
gungen – das kann in den Schlussfolgerungen wörtlich
nachgelesen werden – im Rahmen politischer Ent-
scheidungen die gleiche Beachtung finden müssen. Ich
denke, das ist eine klare Aussage. Dieser Gleichklang von
ökonomischer, sozialer und ökologischer Entwicklung
– er ist so erstmals in den Schlussfolgerungen schriftlich
fixiert – ist auch ein Verdienst der sozial und ökologisch
orientierten Politik der Bundesrepublik Deutschland.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich noch einmal auf die Ausführungen
von Herrn Merz zurückkommen. Er hat behauptet, dass
wir eine egoistische Industriepolitik machten. Ich sage
Ihnen, Herr Merz: Wer wie Sie in Ihrer Regierungszeit als
einzigen Beleg für seine industriepolitische Kompetenz
nur die Zerstörung der industriepolitischen Kerne in den
neuen Ländern nach der Wiedervereinigung vorzuweisen
hat, der braucht uns keine Vorschriften zu machen, wie In-
dustriepolitik zu gestalten ist. Sie müssten erst einmal in
sich gehen und darüber nachdenken, was Sie in unserem
Land industriepolitisch angerichtet haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Merz, Sie haben zwar Recht, wenn Sie auf die in
vielen strukturpolitischen Bereichen grassierende „deut-
sche Krankheit“ hinweisen, die auch – das leugnet ja nie-
mand – von der EU-Kommission kritisiert wird. Aber Sie
machen es sich wirklich sehr einfach, wenn Sie behaup-
ten, dass derjenige, der seit fast vier Jahren versucht, diese
Krankheit zu kurieren, auch der Verursacher dieser
Krankheit sei. Diese Logik kauft Ihnen niemand ab.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Sie das, was wir gemacht haben, mit dem verglei-
chen, was in den letzten vier Jahren der Kohl-Regierung
geschehen ist, dann werden Sie feststellen: Eine große
Steuerreform, die diesen Namen tatsächlich verdient, eine
große Rentenreform, die Senkung der Lohnnebenkosten
sowie mehr Geld für Investitionen in Forschung und Bil-
dung haben Sie nicht vorweisen können. Aber die jetzige
Regierung kann das alles in die Bilanz ihrer letzten vier

Jahre einstellen. Das ist auch im Sinne der Kriterien, die
die Europäische Union aufgestellt hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Abschließend sage ich: Ihre Ausführungen, insbeson-
dere – das war für mich bezeichnend – das lange Zitat von
Helmut Kohl am Ende Ihrer Rede, zeigen, dass Sie noch
immer in der Vergangenheit leben. Wir aber machen jetzt
Politik für die Zukunft und für die Menschen. Das wird
auch in den nächsten Monaten deutlich werden. Sie haben
an keiner Stelle Ihrer Rede konstruktive Vorschläge oder
Visionen vorgetragen. Solche scheinen Sie nicht zu ha-
ben. Mit kleinkariertem Herumgemäkel können Sie bei
den Menschen kein Profil gewinnen, erst recht nicht in
Europa.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Deshalb stehen Sie auch so gut in den Umfragen da!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422701700
Das Wort
hat der Kollege Peter Hintze von der CDU/CSU-Fraktion.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1422701800
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Die Meldung des heutigen
Tages ist ohne Frage die Aussage des Bundeskanzlers – er
ist inzwischen nicht mehr anwesend –, dass er in der Euro-
papolitik die innere Organisation der Bundesregierung
– das bestätigt uns – für falsch halte.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Jawohl, da hat er Recht!)


Das war eine schallende Ohrfeige für unseren Bundes-
außenminister.


(Detlev von Larcher [SPD]: Lächerlich!)

Ich finde es erstaunlich, dass der Bundesaußenminister in
seiner Rede mit keinem Wort Stellung dazu genommen hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Im Übrigen: Der Bundesaußenminister hat hier eben

am Pult ohnehin schon wie ein Oppositionspolitiker ge-
sprochen.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Jawohl!)

Er läuft sich bereits ein bisschen für die Rolle warm, die
er nach dem 22. September in diesem Haus wahrnehmen
will.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Polemik, ziemlich weit entfernt vom Sachverhalt, ist, wie
wir wissen, seine Stärke.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Fischer wird der neue Schlauch!)


Nun will ich zu dieser europapolitischen Frage doch
ein Wort sagen. Eines, Herr Fischer, bescheinige ich




Dietmar Nietan

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Ihnen gern: Der Vorschlag des Bundeskanzlers löst in mir
unterschiedliche Gefühle aus.

(Zuruf von der SPD: Gefühle? – Zuruf von der PDS: Lassen Sie uns an Ihren Gefühlen teilhaben!)

Auf der einen Seite habe ich das Gefühl, dass die ei-

gentliche Europapolitik bei Ihnen, Herr Fischer, sogar et-
was besser aufgehoben ist als bei Herrn Schröder,


(Zuruf von der SPD: Was für ein tolles Lob! – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ich schließe mich dieser Auffassung vollinhaltlich an!)


der jetzt wieder in seine alte Rolle als niedersächsischer
Ministerpräsident zurückfällt, in der er schon gegen Eu-
ropa polemisiert hat. Was das Anliegen und auch was die
Beamten angeht, so habe ich das Gefühl: Im Auswärtigen
Amt hat man ein Herz für die Europapolitik.


(Joachim Poß [SPD]: Besser ein Herz als ein Merz! – Detlev von Larcher [SPD]: Ja, wie denn nun?)


Auf der anderen Seite natürlich kommt der Bundes-
kanzler mit seinem Vorschlag einem Gedanken nach, den
der Deutsche Bundestag, übrigens durch Änderung des
Grundgesetzes, schon vor Jahren umgesetzt hat. Die Tren-
nung zwischen der Außenpolitik und der Europapolitik
hat der Bundestag auch in der Organisation der parlamen-
tarischen Arbeit durch Einführung des Europaausschusses
deutlich gemacht. Insofern hinkt die Regierung dem Bun-
destag hinterher, wenn sie erst jetzt erkennt: Europapoli-
tik ist etwas anderes als Außenpolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Detlev von Larcher [SPD]: Dann sagen Sie doch, was Sie machen wollen! Sie reden da durcheinander!)


Natürlich geht es in der Europapolitik im Wesentlichen
um die Fragen der Innenpolitik, der Wirtschaftspolitik
und der Finanzpolitik, also um Fragen, die in der Bundes-
regierung logischerweise nicht das Auswärtige Amt
koordiniert;


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das versteht der Außenminister nicht!)


für diese Koordination ist der Kanzler höchstpersönlich
verantwortlich. Uns macht allerdings Sorge, wie der Bun-
deskanzler diese Verantwortung im Moment wahrnimmt.
Wodurch zeichnet er sich da aus? Er zeichnet sich dadurch
aus, dass er in der Europapolitik in nationalstaatlichen
Egoismus zurückfällt. Seine wesentlichen Initiativen in
den letzten Wochen und Monaten waren Angriffe gegen
die Kommission, und zwar gegen den Wettbewerbskom-
missar, gegen den Binnenmarktkommissar und gegen den
Währungskommissar. Diese drei Kommissare – Monti,
Bolkestein und Solbes – tragen für das Funktionieren des
Binnenmarkts die Verantwortung. Deutschland müsste
das allergrößte Interesse daran haben, dass diese Kom-
missare in Schutz genommen, in ihrer Aufgabe unterstützt
und nicht daran gehindert werden, einen Binnenmarkt mit
fairen Wettbewerbsbedingungen aufrechtzuerhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joseph Fischer, Bundesminister: Nun mal nicht übertreiben!)


Heute Morgen ist der Fall Philipp Holzmann ange-
sprochen worden. Da muss man einmal eine klare und
nüchterne Unterscheidung treffen. Natürlich verstehen wir
jeden Arbeitnehmer und jede Arbeitnehmerin, der oder die
Sorge um den Arbeitsplatz hat und den Wunsch hat, dass
der Arbeitsplatz erhalten bleibt, wie auch immer. Unser
Vorwurf ist, dass die Politik dieser Regierung eher zur Zer-
störung von Arbeitsplätzen als zu ihrem Erhalt führt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Das ist ja ungeheuerlich! – Günter Gloser [SPD]: Du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen wider deinen Nächsten!)


Dabei ist nicht nur der Versuch gescheitert, Arbeitsplätze
bei einem Großunternehmen zulasten von mittelständi-
schen Unternehmen zu erhalten.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr richtig!)

Die Kanzleraktion „Philipp Holzmann“ war sogar so un-
gelenk angelegt, dass Arbeitsplätze sowohl im Mittel-
stand als auch bei Holzmann selbst gefährdet wurden. Das
ist eine total verfehlte Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist der Grund!)


Wenn der Bundeskanzler sagt, es müsse jetzt Indus-
triepolitik gemacht werden und man dürfe sich nicht an
ordnungspolitischen Leitlinien orientieren,


(Joachim Poß [SPD]: Das hat er nicht gesagt!)

dann muss ich fragen: Was für eine Politik sichert eigent-
lich eine industrielle Entwicklung in Europa? Was für eine
Politik sichert Arbeitsplätze? Die Antwort lautet: nur eine
Politik, die gegen die ordnungspolitischen Leitsätze der
sozialen Marktwirtschaft nicht so krass verstößt, wie das
bei der Politik der rot-grünen Regierung dauerhaft der
Fall ist.

Ich möchte gern einen weiteren Punkt ansprechen. Wir
stehen vor der Osterweiterung der Europäischen
Union. Das ist eine große Herausforderung, eine ökono-
mische, eine politische und auch eine moralische Heraus-
forderung, der wir uns stellen werden. Nun hat der unga-
rische Ministerpräsident Viktor Orbán vor kurzem darauf
hingewiesen, dass sich eine Mitgliedschaft in der Europä-
ischen Union mit einem Ja zu Vertreibungsdekreten nicht
verträgt.


( V o r s i t z : Vizepräsidentin Petra Bläss)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol-

legen, wir wünschen von ganzem Herzen den Beitritt
Tschechiens zur Europäischen Union. Wir wissen um die
Rolle der tschechischen Bevölkerung im Freiheitskampf
gegen den Kommunismus. Deshalb empfinden wir den
Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union als einen
großen Gewinn.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Auf der anderen Seite müssen wir aber auch sagen: Un-

recht muss Unrecht genannt werden dürfen. Die Benes-
Dekrete verstoßen gegen allgemein gültige Menschen-
rechtsstandards. Wenn der frühere tschechische Premier




Peter Hintze
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Klaus und der jetzige Ministerpräsident Zeman diesen un-
seligen Dekreten noch irgendeine Wirkung zusprechen
oder sie sogar in den europäischen Verträgen zu verankern
suchen, dann müssen wir hier ein entschiedenes und kla-
res Nein im Sinne der Menschenrechte sprechen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Das müssen Sie auch gegenüber Herrn Orbán und seinem Status-Gesetz sagen!)


Ich finde es sehr gut, dass der Vorsitzende des Europa-
ausschusses, unser Kollege Pflüger, beim Deutschen Bun-
destag ein Gutachten in Auftrag gegeben hat, das prüfen
soll, ob von den Benes-Dekreten heute und in Zukunft
noch eine diskriminierende Wirkung ausgeht. Eines muss
man klar sagen: Wenn dieses Gutachten zu dem Ergebnis
kommt, dass dem so ist, dann müssen diese Dekrete aus
der Welt geschafft werden; denn Europa ist eine Rechts-
und Wertegemeinschaft. Wir fühlen uns den Menschen-
rechten verpflichtet. Das gilt auch für diese Frage.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein weiterer Punkt, der hier eben vom Außenminister

und auch vom Kanzler angesprochen wurde, ist die Land-
wirtschaftspolitik in Europa. Diese möchte ich hier zum
Schluss noch ansprechen. Es ist richtig, wenn die Regie-
rung sagt, dass wir eine Reform der gemeinsamen Agrar-
politik benötigen. Wir brauchen sie auch schon für die EU
der 15, aber erst recht brauchen wir sie in der EU der 25.
Nur, es kann nicht angehen – das wäre unfair –, dass die
Reform der gemeinsamen Agrarpolitik allein auf dem
Rücken der neu hinzukommenden Mitgliedsländer der
Europäischen Union in Mittel- und Osteuropa ausgetra-
gen wird. Das dürfen wir nicht zulassen.


(Joseph Fischer, Bundesminister: Richtig!)

– Ich bin dem Bundesaußenminister dankbar dafür, dass er
„Richtig!“ sagt. Aber er soll bitte einmal hierüber auch mit
seinem Finanzminister sprechen. Das eine Extrem vertritt
ja der polnische Landwirtschaftsminister, indem er fordert,
die osteuropäischen Bauern müssten sofort voll an den di-
rekten Einkommensbeihilfen beteiligt werden. Demge-
genüber steht das Wort des deutschen Finanzministers,
dass in den nächsten Jahren überhaupt nichts passieren
soll. Das ist das andere Extrem.

Im Kommissionsvorschlag, der im Europaausschuss
von Bundestag und Bundesrat von Frau Schreyer und
Herrn Verheugen sehr plausibel begründet wurde, heißt
es: Der faire Umgang miteinander gebietet eine gewisse
Beteiligung auch an diesen Hilfen, weil sonst diejenigen,
die neu hinzukommen, sich zu Recht fragen, was das für
eine Europäische Union ist, die die Agrarreform allein auf
ihrem Rücken austragen will. Der Vorschlag der Euro-
päischen Union findet unsere Unterstützung. Die Hart-
leibigkeit unseres Finanzministers mag sich in popu-
listischer Hinsicht gut auswirken, ruft aber unseren Wi-
derspruch hervor.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422701900
Herr Kollege Hintze,
jetzt muss ich Sie leider abbremsen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Wieso „leider“?)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1422702000
Wir wollen die Europä-
ische Union gemeinsam bauen. Daran müssen auch die
Staaten, deren Aufnahme wir als Gewinn empfinden, be-
teiligt werden. Wenn sie zu uns kommen, sollen sie auch
spüren, dass sie dazugehören.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422702100
Jetzt hat der Kollege
Christian Sterzing für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen das Wort.


Christian Sterzing (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422702200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das war jetzt nicht nur ein interessanter Ein-
blick in den Gefühlshaushalt eines Pfarrers, sondern auch
ein interessanter Einblick in den Argumentationshaushalt
der Opposition.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Billiger geht es nimmer! – Dr. Helmut Haussmann [FDP]: Temperamentsausbruch eines Juristen!)


Heute Morgen hatten wir eine Unterredung über die Er-
weiterung. Da wurde der Vorschlag der Kommission aus
Ihren Reihen, Herr Hintze, als kapitaler strategischer Feh-
ler bezeichnet.


(Dietmar Nietan [SPD]: Hört! Hört!)

Dem Ausmaß der Beliebigkeit der Argumente steht man
manchmal hilflos gegenüber. Das überrascht wirklich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Uwe Hiksch [PDS]: Bei Hintze ist man immer hilflos! – Günter Gloser [SPD]: Das ist die neue Unübersichtlichkeit bei der Opposition!)


– Ja, das ist die neue Unübersichtlichkeit bei der Oppo-
sition.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns alle, wie
ich glaube, darüber einig – das klang ja doch in vielen Re-
den an –, dass Barcelona kein großes geschichtliches
Ereignis ist. Es gab keine spektakulären Beschlüsse. Die
Ehrlichkeit gebietet aber doch, differenziert mit dem um-
zugehen, über was in Barcelona verhandelt und was be-
schlossen worden ist. Wenn man sich das genauer an-
schaut, dann stellt man fest, dass dort sozusagen die
integrationspolitische Kärrnerarbeit geleistet wurde.
Diese Arbeit ist mühsam und kleinteilig. Es handelt sich
dabei nicht nur um den schwierigen Ausgleich sich wi-
dersprechender nationaler Interessen, sondern auch um
den Versuch, Gemeinsamkeiten vor dem Hintergrund sehr
unterschiedlicher rechtlicher, sozialer und ökonomischer
Traditionen zu finden. Insofern kann sich das, was in
Barcelona beschlossen worden ist, sehen lassen.

Ich weiß nicht, woher der Vorwurf mangelnder Zu-
kunftsorientierung, mangelnder Dynamik und mangeln-
der Offenheit kommt. Man muss die Frage stellen, wer
sich in der Zeit vor und während der Verhandlungen in
Barcelona für die Öffnung der Strom- und Gasmärkte in




Peter Hintze

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Europa eingesetzt hat. – Das war doch die Bundesregie-
rung. Wer hat die Überlegungen hinsichtlich einer Rats-
reform angestellt? – Auch das war die Bundesregierung,
insbesondere der Bundeskanzler durch ein Schreiben, das
er gemeinsam mit Herrn Blair verfasst hat. Mit den
europapolitischen Halbwahrheiten, die Sie hier zum Teil
geäußert haben, dient man weder der Sache noch wird
man der Komplexität der Probleme gerecht.

Die Lissabon-Strategie stand im Mittelpunkt der Be-
ratungen. Ich glaube, es ist richtig, dass wir uns in Europa
nicht nur zusammensetzen sollten, um hehre Ziele zu for-
mulieren. Wir sollten vielmehr in regelmäßigen Abstän-
den selbstkritisch überprüfen, ob wir auf dem richtigen
Weg sind und ob wir auf nationaler Ebene das Richtige
getan haben. Mit der kritischen Auseinandersetzung über
den Lissabon-Prozess wurden in Barcelona insofern
wichtige Signale gesetzt. Es geht wirklich um die zentrale
Botschaft, dass die Europäische Union im Zeitalter der
Globalisierung alles tun will und auch alles tut, um den
Strukturwandel sozial und ökologisch zu gestalten.

Ich will das Augenmerk auf einen Aspekt richten, der
nur am Rande erwähnt wurde, nämlich auf die Tatsache,
dass in Barcelona 28 Staats- und Regierungschefs, also
die Vertreter der 15 Mitgliedstaaten mit den 13 Bei-
trittsländern, zusammensaßen. Es ging bei den Beratun-
gen nicht um Beitrittsprobleme oder um die Formulierung
von Kompromissen im Beitrittsprozess. Vielmehr hat das
Europa der 28 über die Gestaltung des wirtschaftlichen
und sozialen Zukunftsprozesses gemeinsam diskutiert.
Zum ersten Mal war es eine Selbstverständlichkeit, dass
alle 28 beieinander saßen. Auch dies ist ein ganz wichtiges
Signal, das in die Beitrittsländer ausgesandt wurde: Wir
rechnen mit euch, wir rechnen mit eurem Beitritt und wir
wollen mit euch gemeinsam auch schon vor dem Beitritt
die anstehenden Zukunftsprobleme diskutieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Auseinandersetzung über die Öffnung der Gas-
und Strommärktewar ein Hauptthema, das besonders in
den Medien seinen Niederschlag gefunden hat. Wir alle
hätten uns – das können wir gemeinsam feststellen – mehr
gewünscht. Die Öffnung der Märkte ist ein zähflüssiger
Prozess, der leider nicht so schnell vorangeht, wie wir es
uns erhofft haben. Wir müssen uns jetzt aber nicht nur mit
unseren Partnern kritisch auseinander setzen und den
Zeigefinger auf den einen oder anderen richten, sondern
auch deutlich machen, dass wir selbst uns kritisch mit den
Verhältnissen bei uns im Hinblick auf diese Marktöffnung
auseinander setzen müssen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Helmut Haussmann [FDP]: Richtig!)


Wir dürfen nicht vergessen, dass diese Selbstkritik
durchaus angebracht ist. In unseren Papieren ist immer von
der hundertprozentigen Liberalisierung unserer Märkte
die Rede. In diesem Zusammenhang darf nicht vergessen
werden, dass das mit dem Wettbewerb nicht in allen Be-
reichen so glasklar ist, dass wir Probleme der Markt-
beherrschung haben und dass wir uns mit Problemen
möglicher Fusionen auseinander setzen müssen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Helmut Haussmann [FDP])


Wir müssen sicherlich klar machen – auch das wurde
erwähnt –: Marktöffnung ist keine Einbahnstraße. Es geht
nicht, dass mit den Monopolgewinnen auf dem einen na-
tionalen Markt Einkaufspolitik auf anderen liberalisierten
nationalen Märkten betrieben wird. Das ist von der Bun-
desregierung heute sehr deutlich gemacht worden, sodass
daran kein Zweifel bestehen kann.

Barcelona hat gezeigt, dass der mühsame Weg der In-
tegration in vielen Bereichen schrittweise gegangen wer-
den muss. Der Europäische Rat hat aber auch gezeigt,
dass Barcelona in einen sehr grundsätzlichen Reform-
prozess eingebettet ist, der mit dem Stichwort Konvent
richtig umschrieben ist.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422702300
Herr Kollege Sterzing,
auch Sie muss ich leider an die Redezeit erinnern.


Christian Sterzing (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422702400

Ja. – In diesen Tagen wird deutlich, dass die mühsame in-
tegrationspolitische Alltagsarbeit gemacht wird, aber die
darüber hinaus bestehende grundsätzliche Reformnot-
wendigkeit und -bereitschaft innerhalb der EU im Kon-
vent, der heute tagt, ihren Ausdruck findet. Insofern kön-
nen wir sagen, dass wir uns auf dem richtigen Weg
befinden.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422702500
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, bevor ich dem nächsten Redner das Wort
erteile, muss ich von hier oben leider etwas Unangeneh-
mes erledigen. Aus dem stenografischen Protokoll geht
hervor, dass der Kollege Rezzo Schlauch einen Zwi-
schenruf gemacht hat, der nicht den Gepflogenheiten des
Hohen Hauses entspricht.


(Peter Hintze [CDU/CSU]: Das ist laufend bei ihm! – Zurufe von der CDU/CSU: Welchen denn?)


– Ich möchte ihn nicht wiederholen. Sie können das im
Protokoll nachlesen. Aber es ist nicht üblich – das wissen
Sie alle –, Mitglieder des Bundestages oder andere Kolle-
ginnen und Kollegen aus der Politik persönlich zu diffa-
mieren. Deshalb weise ich diesen Zwischenruf hiermit
zurück.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: ÖkoQuasimodo!)


Jetzt fahren wir in der Aussprache fort. Das Wort hat
der Kollege Dr. Gerd Müller für die Fraktion der
CDU/CSU.

Dr. Gerd Müller (CDU/CSU) (von Abgeordneten der
CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine




Christian Sterzing
22464


(C)



(D)



(A)



(B)


Damen und Herren! Matt – das ist das Problem – ist nicht
nur der Kanzler, sondern sind auch seine Politik und
insbesondere seine Wirtschaftspolitik. „Der müde Kanz-
ler“, so titelte die „Süddeutsche Zeitung“.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Recht hat sie!)

Das kann man auch für die Vorstellung heute früh über-
nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Europa bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten, dyna-

mischsten, wissensbasierten Wirtschaftsraum entwickeln
und dem Vollbeschäftigungsziel näher kommen, das wa-
ren die großen Versprechungen. Herausgekommen ist na-
hezu nichts.


(Joachim Poß [SPD]: Sind Sie auch im Stoiber-Team, Herr Müller?)


Der Aufschwung in Europa wird kommen, aber er geht
an Deutschland vorbei und das liegt an dieser Bundes-
regierung.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir sind Wachstumsschlusslicht in Europa und das liegt
an dieser Bundesregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wahlkampftöne im März sind völlig verfehlt!)


Deutschland steht am Scheideweg: weiterer Abstieg mit
Schröder oder ein neuer Aufbruch.

Wenn die Zuhörerinnen und Zuhörer, die wirklich an
der Sache interessiert sind, heute die Rede des Bundes-
kanzlers verfolgt haben, dann müssen sie doch denken:
Unsere Menschen, unsere Unternehmer, unsere Jugend,
wollen nicht Schlusslicht sein; nein, wir wollen nach
vorne kommen, wir wollen wieder Spitze sein in Europa!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Menschen fragen sich doch: Wo sind die Konzepte,

wo sind die Reformvorschläge, wo sind die Visionen die-
ser müden Bundesregierung? Ich habe einen müden
Kanzler gesehen, der bereits weg ist.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wo ist denn Herr Stoiber?)


Ich habe einen grauen Außenminister gesehen und ich
sehe eine kraftlose Regierungsbank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wo sind die Vorschläge? fragen die Menschen. Wenn

es Vorschläge gibt,

(Detlev von Larcher [SPD]: Dann machen Sie einen!)

zur Deregulierung des Arbeitsmarktes, zur Entlastung des
Mittelstandes, zur Vereinfachung des Steuerrechts,


(Günter Gloser [SPD]: Zur Sache, Schätzchen!)


zum Abbau der Bürokratie, zum Umbau der Sozial-
systeme, können wir uns sachlich darüber auseinander
setzen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Wir hören!)

Es klingt doch wie Hohn. Wenn Sie heute die „Welt“ lesen,


(Lachen bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Alles von Ihnen lanciert!)


sehen Sie, dass Bundeskanzler Schröder mit dem Aus-
spruch zitiert wird: „Die gesamtwirtschaftlichen Rah-
menbedingungen in Deutschland sind so gut wie lange
nicht mehr.“ Das ist wie das Märchen vom Sandmann: Er
verstreut Sand und setzt darauf, dass seine Sprüche das
Volk einschläfern. Aber wir sind hellwach.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Friedrich Merz hat die gesamtwirtschaftlichen Rah-

menbedingungen, die der Kanzler „gut“ nennt, sehr prä-
zise beschrieben.


(Günter Gloser [SPD]: Was war da präzise?)

Wie sind die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingun-
gen in Deutschland? – Wir sind Schlusslicht beim Wachs-
tum und Nummer zehn bei der Arbeitslosigkeit. Seit Ihrer
Wahl gab es 330 776 neue Arbeitslose. Wie müsste der
Satz des Kanzlers demnach lauten? – Wir haben es nicht
verdient, wiedergewählt zu werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Wie rechnen Sie denn? – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist eine verbogene Statistik!)


Deutschland ist bei den Pleiten nicht Schlusslicht, son-
dern Spitze. Ihre Politik hat 36 000 Mittelständler die
Existenz gekostet. Chefsache Schröder: Jetzt ist nicht nur
der Mittelstand, sondern auch Holzmann pleite.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Detlev von Larcher [SPD]: Guckt mal, wie er sich über die Holzmann-Pleite freut!)


Wir sind außerdem Spitze bei der Steuer- und Abgaben-
belastung. Bei der Preisentwicklung und -stabilität ist Ita-
lien unser Vorbild. Das ist so, als wenn sich Borussia
Dortmund als Vorbild die Spielvereinigung Unterhaching
nehmen würde.


(Uwe Hiksch [PDS]: Keine Beleidigung von Unterhaching!)


Sie können sich doch nicht mit Italien messen!
Ich möchte noch eine Bemerkung zur Finanzpolitik

machen. Kohl und Waigel haben mit einer Defizitquote
von 2,2 Prozent die Regierung übergeben.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ach nee! Noch eine Lüge!)


Jetzt liegt die Quote bei 2,7 Prozent. Die Bundesschuld
von Finanzminister Eichel liegt im Jahr 2002 um 40 Mil-
liarden höher als vor vier Jahren. Das sind die Fakten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Leider wahr!)





Dr. Gerd Müller

22465


(C)



(D)



(A)



(B)


So sehen die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedin-
gungen aus, die der Kanzler Schröder heute als „so gut
wie nie zuvor“ beschreibt, obwohl man die Lage als mit-
telmäßig beurteilen müsste. Er erinnert mich an einen
Schüler, der aus einer Vier eine Eins machen will. Ich sage
Ihnen voraus: Dieser Kanzler wird von einer Vier auf eine
Sechs abrutschen. Der blaue Brief wird seine Entlas-
sungsurkunde sein.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422702600
Herr Kollege Müller,
ich muss jetzt Lehrerin spielen und Sie an Ihre Redezeit
erinnern.


Dr. Gerd Müller (CSU):
Rede ID: ID1422702700
Mit dem Stichwort Ent-
lassungsurkunde komme ich zum Schluss.


(Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Das ist gut! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Außer Sprücheklopfen war das sowieso nichts! Das war eine Nullnummer!)


– Lassen Sie mich noch einen Satz sagen, meine Damen
und Herren von den Regierungsfraktionen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422702800
Das muss aber ein
kurzer Satz sein.


Dr. Gerd Müller (CSU):
Rede ID: ID1422702900
Der größte Innovati-
onssprung für ein modernes Europa könnte die Abwahl
dieser Regierung am 22. September sein.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Günter Gloser [SPD]: Das war fünf Minuten Stillstand bei dieser Rede! – Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Zurück in die Steinzeit! – Detlev von Larcher [SPD]: Das ist ein toller Satz! Nichts, nur Sprüche!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422703000
Als letztem Redner in
dieser Debatte gebe ich dem Kollegen Christoph
Moosbauer für die SPD-Fraktion das Wort.


Christoph Moosbauer (SPD):
Rede ID: ID1422703100
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Abgeord-
neter aus München muss ich zunächst die Spielvereini-
gung Unterhaching in Schutz nehmen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Die Spielvereinigung Unterhaching ist keine Provinz-
mannschaft und taugt daher nicht für diesen Vergleich.
Dieser Verein ist vielmehr ein Beispiel dafür, wie man mit
viel Engagement, Kampfgeist und Arbeit an die Spitze
kommt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS – Uwe Hiksch [PDS]: Jawohl, das ist Unterhaching!)


Ich bin natürlich versucht, vieles zu kommentieren,
was in der Debatte angesprochen worden ist. Aber ich bin
von meiner Fraktion gebeten worden, vor allen Dingen
auf die Außenpolitik Bezug zu nehmen, was ich natürlich
gerne tue.

Im Vordergrund der außenpolitischen Debatte beim eu-
ropäischen Gipfeltreffen in Barcelona – der Kanzler hat
dies schon erwähnt – stand die fortdauernde Krise im Na-
hen Osten. Die Staats- und Regierungschefs der Europä-
ischen Union bezogen in einer Erklärung mit erstaunlich
deutlichen Worten Stellung zur Lage im Nahen Osten, vor
allen Dingen, was das Vorgehen der israelischen Regie-
rung angeht.

Das Recht, den Terrorismus zu bekämpfen, ist unbe-
stritten. Aber die Staats- und Regierungschefs fordern
Israel auf, seine Streitkräfte unverzüglich aus den von der
palästinensischen Autonomiebehörde kontrollierten Ge-
bieten zurückzuziehen,


(Beifall des Abg. Uwe Hiksch [PDS])

die Praxis der außergerichtlichen und präventiven Hin-
richtungen zu beenden sowie den Siedlungsbau zu stop-
pen. Gleichzeitig wird die palästinensische Autonomie-
behörde in die Pflicht genommen, alles in ihrer Macht
Stehende zu tun, um terroristische Aktivitäten zu stoppen.


(Beifall des Abg. Dr. Norbert Wieczorek [SPD] sowie bei Abgeordneten der PDS)


Beide Seiten werden zur Einhaltung des Völkerrechts und
der Menschenrechte ermahnt. Man könnte meinen, dass
es eine Selbstverständlichkeit sei, diese einzuhalten. Aber
die Realität im Nahen Osten zeigt, dass es nach wie vor
notwendig ist, dies mit Nachdruck einzufordern.

Es ist nun eineinhalb Jahre her, dass der politische Pro-
zess in dieser Nachbarregion Europas, der den Frieden
bringen sollte, kollabierte. Die Europäische Union und
ihre Mitglieder haben sich seitdem stärker und erfolgrei-
cher als zuvor in der Nahostpolitik engagiert. Das ist vor
allem natürlich auch ein Verdienst des deutschen Außen-
ministers.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, viele kritisieren – das ist
heute auch wiederholt angesprochen worden –, der euro-
päische Einfluss auf den politischen Prozess im Nahen
Osten sei im Vergleich zum Einfluss der USAgering. Die-
sen Leuten muss gesagt werden, dass Nahostpolitik kein
Schönheitswettbewerb ist und dass es hier nicht um ein
Wettrennen um Friedensnobelpreise geht. Nicht in der
Konkurrenz zur amerikanischen Nahostdiplomatie, nein,
gerade in Ergänzung zur amerikanischen Diplomatie
macht eine europäische Stimme Sinn. Dass diese europä-
ische Stimme in Barcelona noch einmal deutlich erhoben
wurde, das hat die Mission des US-Sonderbeauftragten
Zinni unterstützt. Denn im Ziel sind wir uns ja einig: Nur
wenn die USA, die Europäer, Russland und die Vereinten
Nationen geschlossen auftreten, wird ein bedeutender
Beitrag zur Lösung des Konflikts auch möglich sein. Das
Engagement Javier Solanas und des Nahostsonderbeauf-
tragten Moratinos sollte daher nicht gering geschätzt wer-




Dr. Gerd Müller
22466


(C)



(D)



(A)



(B)


den, schon gar nicht vom Deutschen Bundestag, der sich
hier im Plenum seit mehr als 16 Monaten nicht mehr mit
dem israelisch-palästinensischen Konflikt beschäftigt hat.
Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um eine solche De-
batte hier im Bundestag nachdrücklich einzufordern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Die haben wir doch schon beantragt!)


Europäische Außenpolitik kann gelingen. Nichts zeigt
das deutlicher als die Verhinderung eines offenen Kon-
flikts in Mazedonien oder die friedliche Einigung zwi-
schen Serbien und Montenegro, die es in den letzten Ta-
gen gab. Dass der neue Staatenbund, der dort entstanden
ist, in Belgrad ironisch Solanien genannt wird, sollte uns
nicht ärgern, sondern uns auch ein wenig stolz machen auf
die Fortschritte, die die gemeinsame europäische Außen-
politik in den letzten Jahren erreicht hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

So wichtig die Konzentration unserer Außenpolitik auf

die unmittelbar an Europa angrenzende Region Südosteu-
ropa sein mag, so entscheidend ist es, dass wir uns auch
engagiert um den Nahen Osten kümmern. Durch das
Schengener Abkommen ist Deutschland quasi ein Mittel-
meeranrainerstaat geworden. Daher kann es uns politisch
nicht unberührt lassen, was im Nahen Osten vor sich geht.
Jede Eskalation militärischer Gewalt in dieser Region
wird in Zukunft Auswirkungen auf Europa und damit
auch auf Deutschland haben. Daher ist es wichtig, die eu-
ropäische Stimme zu erheben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das gilt auch – das sage ich bewusst auch in diesem Zu-
sammenhang mit Barcelona und der europäischen Außen-
politik – für die offenbar vor der Tür stehende neue Irak-
Krise. Obwohl gebetsmühlenartig wiederholt wird, dass
das Thema eines militärischen Vorgehens gegen den Irak
nicht auf der Tagesordnung steht, wird erstaunlich viel da-
rüber geredet. In Barcelona stand es auf der Tagesord-
nung, zwar nicht auf der offiziellen, aber, wie man hört,
hinter den Kulissen.

Auf die Gefahr hin, dass ich vonseiten der Opposition
– das geschieht ebenso gebetsmühlenartig – den Vorwurf
des Antiamerikanismus auf mich ziehe:


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das lohnt sich nicht!)


Europa muss in der Tradition der europäischen Außenpo-
litik hart daran arbeiten, dass es zu einer Lösung des Irak-
Konfliks mit diplomatischen Mitteln im Rahmen der Ver-
einten Nationen kommt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Detlev von Larcher [SPD]: Da hätte auch die CDU klatschen können! Offenbar seid ihr noch nicht wach!)


Das ist natürlich leicht gesagt, aber schwer getan. Natür-
lich will auch ich nicht, dass ein Diktator wie Saddam
Hussein, der seine zynische Brutalität und Menschenver-
achtung sowohl in der Region als auch seinem eigenen

Volk gegenüber mehr als einmal gezeigt hat, in die Situa-
tion kommt zu entscheiden, wo, wann und gegen wen er
Massenvernichtungswaffen einsetzt. Ich weiß aber auch,
dass eine rein militärische Strategie, um dies zu verhin-
dern, das Risiko einer regionalen Eskalation in sich trägt.
Diese Eskalation kann nicht nur die Region in einen Krieg
stürzen, sondern auch auf Europa ungeahnte Auswirkun-
gen haben.

Lasst uns, lasst Europa daher die politische und die di-
plomatische Offensive in den Vordergrund stellen! Die
Stärke der europäischen Außenpolitik liegt im Dialog und
in der Prävention.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben in der europäischen Außenpolitik viel erreicht,
wenn wir berücksichtigen, dass es den erklärten Willen zu
einer abgestimmten und zu einer wirklich gemeinsamen
und mit einer Stimme sprechenden Außenpolitik in Eu-
ropa ja erst seit wenigen Jahren gibt. Umso wichtiger ist
es, dass bei den Treffen der Staats- und Regierungschefs
der Europäischen Union die Außenpolitik einen bedeu-
tenden Stellenwert einnimmt. In Barcelona war das so.

Ich danke dem Bundeskanzler und ich danke der deut-
schen Delegation für ihren Beitrag zum Erfolg des Gip-
feltreffens, auch und gerade im Hinblick auf die gemein-
same europäische Außenpolitik.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422703200
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs-
antrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/8619. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist gegen die
Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.

Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für die Angelegenheiten der Europäischen
Union auf Drucksache 14/8182.

Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-
empfehlung, den Entschließungsantrag der Fraktionen
der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck-
sache 14/7788 zu der Abgabe einer Regierungserklärung
des Bundeskanzlers zur Tagung des Europäischen Rates
in Laeken am 14./15. Dezember 2001 anzunehmen. – Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –
Enthaltung? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die
Stimmen von FDP- und PDS-Fraktion bei Enthaltung der
CDU/CSU-Fraktion angenommen.

Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Druck-
sache 14/7781 mit dem Titel „Europa richtig voranbrin-
gen – Weichenstellung durch den Europäischen Rat in
Laeken/Brüssel.“ Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU- und
FDP-Fraktion angenommen.




Christoph Moosbauer

22467


(C)



(D)



(A)



(B)


Unter Nr. 3 empfiehlt der Ausschuss, den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/7789
zu der Abgabe einer Regierungserklärung des Bundes-
kanzlers zur Tagung des Europäischen Rates in Laeken am
14./15. Dezember 2001 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von
CDU/CSU-, FDP- und PDS-Fraktion angenommen.

Unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 14/8182 empfiehlt der Ausschuss für die Angelegen-
heiten der Europäischen Union, den Entschließungsan-
trag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/7790 zur
Regierungserklärung zur Tagung des Europäischen Rates
in Laeken abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Frak-
tion angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 5, den
Entschließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-
che 14/7791 zur Regierungserklärung zur Tagung des Eu-
ropäischen Rates in Laeken abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen
der PDS-Fraktion angenommen.

Der Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union gemäß § 93 a Abs. 4 der Ge-
schäftsordnung auf Drucksache 14/8323 zu der Unter-
richtung durch die Bundesregierung: „Mitteilung der
Kommission: Schutz der finanziellen Interessen der Ge-
meinschaften und Betrugsbekämpfung – Aktionsplan 2001
bis 2003“ und „Schutz der finanziellen Interessen der
Gemeinschaften und Betrugsbekämpfung – Jahresbe-
richt 2000“ soll zur Kenntnis genommen werden. – Ich
gehe davon aus, dass es dagegen im Hause keinen Wider-
spruch gibt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Dietmar Bartsch,
Heidemarie Ehlert, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der PDS
Lage und Zukunft der Kommunen in der Bun-
desrepublik Deutschland
– Drucksachen 14/5834, 14/6923 –

Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der PDS
vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen, wobei die
PDS elf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die PDS-
Fraktion ist deren Fraktionsvorsitzender, Roland Claus.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1422703300
Meine Damen und Herren!
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Eine Große Anfrage ist
ein wirksames Instrument der Opposition, wenn diese vie-
les genauer wissen will. Genau dies ist hier der Fall.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin mir sicher,
Sie bedauern mit mir, dass nicht ein einziger Minister oder
eine Ministerin dieser Debatte folgt.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS – Joachim Poß [SPD]: Aber wir haben doch Parlamentarische Staatssekretäre hier!)


Dies ist insofern bemerkenswert, als wir alle wissen, dass
die Kabinettsmitglieder zwar viel zu tun haben, sie aber
gleich – trotz ihrer vielen Termine – wieder hier erschei-
nen werden, wenn es um eine Wahl und eine Abstimmung
geht. Insofern kann man dieses Argument hier nicht gel-
ten lassen.


(Beifall bei der PDS)

Die Grundfrage dieser Großen Anfrage heißt: Wie

wirkt sich die Politik der Bundesregierung auf die Lage
der Kommunen, das heißt auf den Lebensalltag der Bür-
gerinnen und Bürger in der Republik, aus? Erwartungs-
gemäß stellt sich die Bundesregierung ein gutes Zeugnis
aus. Dies findet man komprimiert in dem Satz: Die
Finanzsituation der Kommunen hat sich erfreulich ent-
wickelt. – So weit die Antwort der Bundesregierung.

Dazu können wir Ihnen nur sagen: Dies mag aus der
Sicht des Bundesfinanzministers stimmen, wenn es ihm
wieder einmal gelungen ist, Lasten des Bundes bei den
Kommunen abzuladen. Dies mag auch noch für manche
SPD-Spendenkasse stimmen.


(Joachim Poß [SPD]: Ui! – Bernd Scheelen [SPD]: Wo ist das PDS-Vermögen geblieben?)


Aus der Sicht der Stadträte und Gemeindevertreter trifft
dies aber garantiert nicht zu – und schon gar nicht für die
Lage der Einwohnerinnen und Einwohner der Kommu-
nen.


(Beifall bei der PDS – Joachim Poß [SPD]: Wo sind denn die SED-Milliarden geblieben?)


Es geht uns hier ausdrücklich darum, die gesamte Bun-
desrepublik, also alle Kommunen, im Blick zu halten und
nicht die zwar großen, hier aber nicht in erster Linie zu
thematisierenden Unterschiede zwischen Ost und West
geltend zu machen. Dazu will ich Ihnen folgende Fakten
aufzählen: Die Kommunen hatten im Jahre 2001 im Ver-
gleich zum Vorjahr infolge Ihrer Steuerreform ein Minus
von über 4 Milliarden Euro zu verzeichnen. Grund ist der
Rückgang bei den Gewerbesteuereinnahmen. Im Gegen-
zug erhöhen Sie Schritt für Schritt auch noch die Gewer-
besteuerumlage von 20 auf 28 Prozent, nehmen damit den
Kommunen noch einen weiteren Spielraum.

Darüber hinaus haben wir in Ost und West leider einen
weiteren Rückgang kommunaler Investitionen zu ver-
zeichnen. Weil heute hier schon so viel über Holzmann
geredet worden ist, will ich dazu nur eines sagen: Natür-
lich ist nicht die Rettung von Holzmann das Problem. Das
geht in Ordnung. Das Problem von Holzmann und der
Bauwirtschaft ist doch das Ausbleiben öffentlicher Auf-
träge infolge Ihrer verfehlten Politik.


(Beifall bei der PDS)





Vizepräsidentin Petra Bläss
22468


(C)



(D)



(A)



(B)


Deshalb möchte ich einige Partnerstädte in Ost und
West miteinander vergleichen, weil es, wie ich finde, um
die Partnerstadtbeziehungen ein wenig zu ruhig geworden
ist. Ich möchte vor allem die Gewerbesteuereinnahmen
des Jahres 2001 im Vergleich zum Vorjahr ansprechen. In
der Stadt Wuppertal ist ein Rückgang von 27 Prozent und
in ihrer Partnerstadt Schwerin von ebenfalls 27 Prozent zu
verzeichnen. Einen besonders dramatischen Einbruch bei
den Gewerbesteuereinnahmen haben wir in Ludwigsha-
fen, und zwar um 69 Prozent. In der Partnerstadt Dessau
sind es immerhin 40 Prozent. In Karlsruhe sind die Ge-
werbesteuereinnahmen um 35 Prozent zurückgegangen,
in der Partnerstadt von Karlsruhe, in Halle an der Saale,
um 33 Prozent. Sie sehen, dass es in Ost und West drama-
tische Finanzprobleme gibt. Dies alles soll Ihrer Meinung
nach aber keine Krise der Kommunalfinanzen sein. Dies
nehmen wir Ihnen nicht ab.


(Beifall bei der PDS)

Dazu kommen die bekannten Kürzungen der Zuwei-

sungen an die Länder wegen der erheblichen Steueraus-
fälle. Auch dies ist eine Lastenverschiebung von oben
nach unten. Leider trifft auch für Rot-Grün zu, was schon
lange kritisiert wird: Reichtum wird in diesem Lande pri-
vatisiert, soziale Not wird kommunalisiert. Dies darf so
nicht hingenommen werden.


(Beifall bei der PDS)

Auch dazu will ich Ihnen einen Fakt nennen, den Sie

kennen: Die Leistungen an Langzeitarbeitslose, die von
den Kommunen gezahlt werden, machen inzwischen
37 Prozent des Volumens der Sozialhilfe aus. So war die
Sozialhilfe in ihrer Funktion ursprünglich aber nicht an-
gelegt. Deshalb ist auch hier leider festzustellen: Reiche
Unternehmen und Banken können sich vor dem Hinter-
grund Ihrer Steuerreform arm rechnen, aber arme Kom-
munen können sich nicht reich rechnen.


(Beifall bei der PDS)

Ich weiß, dass Sie selbst die Lage kennen. Die Sozial-

demokratische Gemeinschaft für Kommunalpolitik
schreibt in ihrem Rechenschaftsbericht:

Verschiebungen von Lasten vom Bund auf die Kom-
munen sind nicht hinnehmbar.

Meine Damen und Herren von der Sozialdemokrati-
schen Gemeinschaft für Kommunalpolitik, was helfen Ih-
nen denn solche rebellischen Berichte, wenn Sie hier im
Bundestag so handzahm sind? Das hilft doch nicht weiter.


(Uwe Hiksch [PDS]: Sehr richtig!)

Die eigentliche Frage, die an das Gemeinwesen von

Bund und Ländern zu stellen ist, heißt doch nicht: Wie
viele Almosen tritt der Staat an Gemeinden ab? Vielmehr
muss sie heißen: Wie viel Staat brauchen die Gemeinden
und die Staatsbürger?

Mit Blick auf die neuen Bundesländer möchte ich
ausdrücklich sagen, dass wir selbstverständlich nicht ver-
kennen, welche bemerkenswerten Leistungen es bei der
Veränderung des Antlitzes der Städte und Gemeinden ge-
geben hat. Wir sind dankbar für diese Veränderungen.

Inzwischen haben wir aber folgendes Problem: Auch
das neu Geschaffene wird gefährdet, indem wirtschaft-
liche und finanzielle Entwicklungen nicht fortgesetzt
werden können. Da manche – auch aus diesem Hohen
Hause –, was die Lage in den neuen Ländern betrifft, der
PDS gern etwas zuschreiben, was sie einen Alleinvertre-
tungsanspruch nennen, muss ich sagen: Aus der Sicht
mancher Betroffener geht das in Ordnung. Aber nicht die
PDS hat diesen Alleinvertretungsanspruch postuliert. Das
ist vielmehr durch das verursacht, was Sie aufgrund Ihrer
Politik im Hinblick auf die neuen Länder zu verantworten
haben. An der Spitze, so denke ich, steht hier mit der
höchsten Versagerquote die grüne Fraktion.


(Beifall bei der PDS)

Ich möchte mich deshalb abschließend an die Bundes-

regierung wenden und sagen: Tun Sie – zum Beispiel
durch die Wiedereinführung einer kommunalen Investiti-
onspauschale – zumindest etwas dafür, dass Leistungen in
den Kommunen in Ost und West ermöglicht werden! Le-
gen Sie ein Stadtumbauprogramm auf, das diesen Namen
wirklich verdient! Wir denken, unsere Große Anfrage ist
ein Anlass zum Umdenken und zum Umsteuern. Deutsch-
land braucht endlich wieder eine moderne und zukunfts-
fähige Kommunalpolitik!


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422703400
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Harald Friese.


Harald Friese (SPD):
Rede ID: ID1422703500
Frau Präsidentin! Meine sehr
geehrten Kolleginnen und Kollegen! Wenn man der PDS-
Fraktion zugestehen will, sie wolle den Städten und Ge-
meinden mit dieser Großen Anfrage etwas Gutes tun,


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Ja! Tun Sie es einmal!)


muss man leider feststellen: Untauglicher Versuch bzw.
Ziel verfehlt!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der PDS)


Ich habe selten ein solches Sammelsurium von 85 Fra-
gen gelesen:


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Weil es so viel zu fragen gibt!)


vom „Reformnetzwerk bürgerorientierter Kommune“
über die Förderung „selbst verwalteter Jugendzentren“
bis hin zur „Zahl kommunaler Frauen- oder Gleichstel-
lungsbeauftragter“.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das sind doch Fragen!)


Sie fragen nach Dingen, für die die Bundesregierung und
dieser Bundestag keine Verantwortung tragen. Wenn man
Ihre Fragen liest, hat man den Eindruck, Sie wollten dies
alles zentral regeln.


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Haben Sie die Fragen gelesen?)





Roland Claus

22469


(C)



(D)



(A)



(B)


Nehmen Sie doch einmal bitte eines zur Kenntnis: Wir
leben in einem föderalen Staat mit einem in der Welt ein-
maligen System der kommunalen Selbstverwaltung.
Die Kommunen sollen, dürfen und wollen ihre Angele-
genheiten in eigener Verantwortung regeln.


(Uwe Hiksch [PDS]: Harald, du weißt doch, dass du Unrecht hast! Das glaubst du doch selber nicht!)


Aber Sie tun sich offensichtlich schwer, diese Dezentra-
lisierung staatlicher Macht auch innerlich nachzuvoll-
ziehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nehmen Sie noch etwas zur Kenntnis: Kommunale

Demokratie lebt von der Vielfalt, von eigenständigen Ent-
scheidungen und von Lösungen, die den örtlichen Gege-
benheiten und Bedürfnissen entsprechen.

Ich möchte Ihnen in diesem Zusammenhang eine theo-
retische Brücke bauen. Karl Marx schrieb in seiner Kritik
des Gothaer Programms: „Jeder nach seinen Fähigkeiten,
jedem nach seinen Bedürfnissen!“.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Diese These kann man wirklich unmittelbar auf die kom-
munale Selbstverwaltung übertragen: Jede Gemeinde
nach ihren Fähigkeiten und jede Gemeinde nach ihren Be-
dürfnissen. – Vielleicht hilft Ihnen der Hinweis auf Karl
Marx, einen Apfel vom Baum der Erkenntnis zu pflücken.
Das würde Ihnen gut tun.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Kommunale Demokratie ist ein faszinierender Ge-
sellschaftsentwurf, der sich an folgenden Grundsätzen
orientiert: Subsidiarität, so die europäische Definition,
dezentrale Machtverteilung und Entscheidungskompe-
tenz, demokratische Entscheidungsstrukturen und demo-
kratische Kontrolle öffentlicher Entscheidungen. Wenn
dies funktionieren soll, sind zwei Bedingungen zu erfül-
len:

Erstens. Die Kommunen müssen – da haben Sie Recht –
ausreichend Geld haben, um ihre Aufgaben erfüllen zu
können.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie haben Defizite!)


Dazu wird mein Kollege Bernd Scheelen noch etwas sa-
gen. Ich möchte nur eine Bemerkung vorweg machen:
Diese Regierung hat eine Steuerreform mit der größten
Steuerentlastung in der Geschichte der Bundesrepublik
auf den Weg gebracht, die in geradezu selbstloser Weise
Rücksicht auf die kommunalen Finanzen nimmt.


(Beifall bei der SPD – Klaus Haupt [FDP]: Das war ein Scherz! – Widerspruch bei der CDU/ CSU und der PDS)


Die Städte und Gemeinden sind nämlich mit 12,2 Prozent
an den Steuereinnahmen, aber nur mit 8,9 Prozent an den
Steuermindereinnahmen beteiligt.

Die zweite Voraussetzung lautet: Kommunale Demo-
kratie kann nur dann funktionieren, wenn die Kommunen
Aufgaben haben, die sie eigenständig erledigen können.

Zum Kernbestand der kommunalen Demokratie
gehören die Aufgaben der Daseinsvorsorge. Darunter
sind die Energie-, Strom-, Gas-, Wärme- und Wasserver-
sorgung, die Abwasser- und Abfallentsorgung, der ÖPNV,
das Gesundheitswesen und auch das öffentliche Sparkas-
sensystem zu verstehen. Diese Aufgaben sind zurzeit ei-
nem Generalangriff derjenigen ausgesetzt, die sich als
große Neoliberale, als Deregulierer, als Liberalisierer, als
Anhänger eines schrankenlosen Wettbewerbssystems ver-
stehen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: So ein Blödsinn! – Klaus Haupt [FDP]: Sie reden ausgemachten Quatsch! – Uwe Hiksch [PDS]: Manchmal auch Bündnis 90/Die Grünen!)


Die Anhänger dieser politischen Ziele unterliegen ei-
nem grundlegenden Irrtum und Missverständnis: Deregu-
lierung und schrankenloser Markt und Wettbewerb dürfen
nicht selbstständige Ziele der Politik sein, sondern allen-
falls Mittel zur Erreichung bestimmter politischer Ziele.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Müllverbrennung!)


Diesem Missverständnis scheint auch Brüssel anzuhän-
gen. Ich will an die Mitteilung zur Leistungs- und Da-
seinsvorsorge aus dem Jahre 1996 erinnern, wonach die
Wahrnehmung der Aufgaben der Daseinsvorsorge durch
die Kommunen in ihrem Kernbestand gefährdet war, weil
Brüssel die These vertreten hat, dass auch in diesem Be-
reich ein genereller Wettbewerb – Ausschreibungen seien
generell vorzunehmen – gelten müsse. Maggy Thatcher
aus Großbritannien lässt grüßen.

Jetzt möchte ich Ihnen einige Beispiele nennen, die
deutlich machen, dass sich diese Regierung und diese Re-
gierungskoalition in ihrem kommunalfreundlichen Ver-
halten von niemandem übertreffen lassen:

Beispiel eins. Wer hat ein Umdenken in Brüssel be-
wirkt? Das war diese Regierung. Der Bundeskanzler hat
auf der Sondertagung des Europäischen Rates in Lissabon
im Frühjahr 2000 dafür geworben, eine neue Mitteilung
zur Daseinsvorsorge erarbeiten zu lassen, die dann auch
Realität wurde.


(Joachim Poß [SPD]: Sehr wahr!)

Darin wird die grundlegend andere These vertreten, dass
die historischen und funktionellen Besonderheiten eines
Staates auch bei der Wahrnehmung der Aufgaben zur Da-
seinsvorsorge zu berücksichtigen sind. Dazu gehört auch
Art. 28 des Grundgesetzes.


(Beifall bei der SPD)

Das ist eine konkrete Politik zur Stärkung der kommuna-
len Selbstverwaltung.

Beispiel zwei. Das Europäische Parlament hat auf Ini-
tiative der sozialistischen Fraktion beschlossen, dass
ÖPNV-Leistungen nicht mehr ausgeschrieben werden




Harald Friese
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(D)



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müssen. Die Kommunen sollen das in eigener Zuständig-
keit erledigen können. Das ist eine konkrete Politik zur
Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung, damit die
Kommunen die Aufgabe des ÖPNV vor Ort wahrnehmen
können.

Beispiel drei. Jeder Kommunalpolitiker fragt, was mit
dem steuerlichen Querverbund sei. Wir sind der Bundes-
regierung dafür dankbar, dass sie am steuerlichen Quer-
verbund festhält, sodass die Kommunen die Gewinne aus
der Energiewirtschaft mit den Verlusten aus dem ÖPNV
verrechnen können. Dies ist keine steuerliche Quersub-
ventionierung.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sondern?)

Dies ist nichts anderes als ein steuerlicher Verbund, wie er
in der Privatwirtschaft jeden Tag gang und gäbe ist. Im
Rahmen einer Holding können Gewinne und Verluste
nämlich verrechnet werden. Die Holding heißt hier: Auf-
gabenwahrnehmung zur kommunalen Daseinsvorsorge.


(Beifall bei der SPD – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Natürlich ist das Quersubventionierung! Was denn sonst?)


Beispiel vier. Ich erinnere an das Energiewirtschafts-
gesetz aus dem Jahre 1998. Dieses hat die Energiemärkte
von heute auf morgen liberalisiert und die Kommunen ei-
nem gnadenlosen Wettbewerb ausgesetzt. Was haben wir
getan? Wir haben das Energiewirtschaftsgesetz beschlos-
sen. Damit wird den kommunalen Stadtwerken die Mög-
lichkeit gegeben, sich als fairer Wettbewerber am Wettbe-
werb im Energiebereich zu beteiligen. Wir haben das
Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz zur Förderung der Kraft-
Wärme-Kopplung beschlossen, weil diese eine ökolo-
gisch und energiewirtschaftlich richtige Methode der
Stromerzeugung ist und weil die kommunalen Stadt-
werke, die dadurch im Wettbewerb bestehen können, auf
diesem Gebiet ihre Stärken haben.


(Beifall bei der SPD)

Beispiel fünf. Die Koalitionsfraktionen haben einen Ent-

schließungsantrag auf den Weg gebracht, der im Bundestag
noch beraten werden muss. Darin sprechen sie sich gegen
eine Liberalisierung der Wasserwirtschaft aus, weil das eine
zentrale Aufgabe der Daseinsvorsorge ist. Wenn die Kom-
munen privatisieren wollen – das ist ihre eigene Entschei-
dung –, dann müssen sie gewisse Mindeststandards einhal-
ten. Das ist wiederum ein Beispiel für eine konkrete Politik
zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung.


(Beifall bei der SPD)

Beispiel sechs. Wir sind uns darin einig, dass die Kos-

ten der Arbeitslosigkeit nicht allein von den Kommunen
getragen werden dürfen. Das BSHG ist in der Vergangen-
heit missbraucht worden. Eine effektive Arbeitsmarkt-
politik entlastet also die kommunale Seite von Sozialhil-
feausgaben. Auch wenn es Ihnen nicht passt – ich weiß
schon, was Sie jetzt sagen werden –: Von Januar 1998 bis
zum Januar 2002 gab es 500 000 weniger Arbeitslose, was
die Sozialhilfeetats der Kommunen maßgeblich entlastet
hat. Dies gilt auch für das JUMP-Programm, mit dem

400 000 Jugendliche wieder Arbeit gefunden haben oder
sich in Qualifizierungsmaßnahmen befinden.


(Beifall bei der SPD)

Beispiel sieben. Diese Bundesregierung hat die ge-

meinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien
geändert. Gesetzesvorlagen sind jetzt in einem frühen
Stadium, noch bevor es einen Entwurf gibt, den kommu-
nalen Spitzenverbänden zuzuleiten.


(Peter Götz [CDU/CSU]: Warum halten Sie sich dann nicht daran?)


Das ist eine uralte Forderung der kommunalen Spitzen-
verbände und der kommunalen Seite. Auch wenn ein Ent-
wurf vorliegt, sind die kommunalen Spitzenverbände zu
beteiligen. Es ist eine zentrale Änderung der bisherigen
Politik, dass die kommunale Seite die Möglichkeit hat,
schon im Entwurfstadium eines Gesetzes an der Geset-
zesformulierung mitzuwirken bzw. darauf aufmerksam zu
machen, welche Auswirkungen auf die Kommunen ein
Gesetz gegebenenfalls hat.

Ich will eine abschließende Bemerkung machen. Kom-
munale Daseinsvorsorge als Kernbestand der kommuna-
len Demokratie und wirtschaftliche Betätigung der
Gemeinden haben ihren rechtlichen Grund nicht aus-
schließlich in Art. 28 des Grundgesetzes. Das Grundge-
setz trifft keine Entscheidung für eine bestimmte Wirt-
schaftsordnung. Das Grundgesetz verbietet auch nicht die
wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, der Ge-
meinden und der Länder. Das muss man immer wieder in
Erinnerung rufen, weil dies in öffentlichen Diskussionen
sehr gerne anders dargestellt wird.

Dies gilt insbesondere für die wirtschaftliche Betäti-
gungder Gemeinden, wenn es um einen öffentlichen Zweck
geht. Wenn sich die Gemeinden wirtschaftlich betätigen,
dann handelt es sich hier um den öffentlichen Zweck der Da-
seinsvorsorge. Die Situation wird nämlich grotesk, weil
manche den Wettbewerb so verstehen – das haben wir bei
der Energiewirtschaft gesehen –, dass große Energiekon-
zerne den Gemeinden Konkurrenz machen dürfen und sich
am Wettbewerb beteiligen, die Gemeinden aber dann, wenn
sie kommunale Stadtwerke besitzen, nicht die Möglichkeit
haben, sich außerhalb ihres Gemeindegebietes am Wettbe-
werb zu beteiligen. Das nennt man Rosinenpickerei und hat
mit Wettbewerbsordnung nichts zu tun.

Wenn es Wettbewerb gibt, dann muss er für alle gelten.
Deshalb will ich an dieser Stelle den Appell an die Länder
richten, die Gemeindeordnungen und das Gemeindewirt-
schaftsrecht dahin gehend zu ändern, dass Kommunen,
wenn sie sich wirtschaftlich betätigen, in diesem Land die
gleichen Wettbewerbschancen haben.


(Beifall bei der SPD)

Wir wollen keine Nachtwächtergemeinden. Wir wollen

keine Gemeinden, die nur Parkraum bewirtschaften,
Geschwindigkeitskontrollen durchführen und vielleicht
noch die Sozialhilfe auszahlen. Wir wollen starke Ge-
meinden, die für ihre Bürgerinnen und Bürger im Rahmen
der Daseinsvorsorge, wenn sie diese Aufgaben selbst
wahrnehmen, dafür sorgen, dass man in den Gemeinden




Harald Friese

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eine hohe Lebensqualität erreicht. Das wollen wir sicher-
stellen. Das ist konkrete Politik für die kommunale De-
mokratie, aber, meine Damen und Herren von der PDS,
nicht Ihre Große Anfrage.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422703600
Für die Fraktion der
CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Peter Götz.


Peter Götz (CDU):
Rede ID: ID1422703700
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen
und Herren! Der Deutsche Bundestag debattiert heute
zum dritten Mal in diesem Jahr über die Lage der Städte,
Gemeinden und Kreise in Deutschland.


(Uwe Hiksch [PDS]: Das ist auch wichtig!)

Das macht deutlich, wie sehr es auf der kommunalen
Ebene brennt.


(Zuruf von der PDS: Sehr gut!)

Die guten Rahmenbedingungen aus der Regierungszeit

von Helmut Kohl wurden innerhalb von dreieinhalb Jah-
ren durch eine kommunalfeindliche Politik systematisch
zerstört.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Lachen bei der SPD und der PDS)


Innerhalb kürzester Zeit hat die Regierung Schröder viele
Städte und Gemeinden in Deutschland an den Rand des fi-
nanziellen Ruins regiert.


(Bernd Scheelen [SPD]: Ganz im Gegenteil!)

Der Bundeskanzler hat mit den Kommunen nichts am

Hut. Sie sind ihm sogar lästig. In Europa läuft er mit der
roten Laterne herum und streitet sich mit Portugal um den
letzten Platz.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie werden schon am Anfang zur Lachnummer!)


Das hat auch Auswirkungen auf die Städte und Gemein-
den in unserem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir wollen, dass Deutschland bei der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit wieder zur Spitze in Europa gehört.
Dann geht es auch den Kommunen erneut besser.

Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktio-
nen, nicht nur wir, sondern auch der Deutsche Städtetag,
der Deutsche Städte- und Gemeindebund und der Deut-
sche Landkreistag haben immer wieder auf die dramati-
sche Entwicklung aufmerksam gemacht. Aber Sie reagie-
ren überhaupt nicht.


(Bernd Scheelen [SPD]: Sie müssen sich informieren, Herr Götz!)


Noch im Mai letzten Jahres, Herr Kollege, hatte der Bun-
deskanzler bei der Hauptversammlung des Deutschen

Städtetags die Arroganz zu sagen: Ich freue mich, bei rei-
chen Verwandten zu Gast zu sein. Seine Genossen, die
von der kommunalen Front dort vertreten waren, ver-
drehten die Augen, denn die Wirklichkeit sah bereits vor
einem Jahr anders aus.

In der rot-grünen Koalitionsvereinbarung von 1998
steht unter anderem:

Wir wollen die Finanzkraft der Gemeinden stärken
und das Gemeindefinanzsystem einer umfassenden
Prüfung unterziehen.

(Bernd Scheelen [SPD]: Das machen wir, weil Sie es 16 Jahre lang nicht gemacht haben!)


Das liest sich gut. Dieses Versprechen wurde aber auf der
ganzen Linie gebrochen. Die Prüfung des Gemeindefi-
nanzsystems wird auf die lange Bank geschoben und erst
als die Finanzkrise der Gemeinden jeden Tag auf den ers-
ten Seiten der Zeitungen stand und nachdem der blaue
Brief aus Brüssel drohte, gaben Schröder und Eichel ihre
Abwehrschlacht auf. Am 21. November wurde vollmun-
dig eine Kommission zur Vorbereitung der Gemeindefi-
nanzreform angekündigt. Das ist auf den Tag genau vier
Monate her. Die Kommission gibt es noch immer nicht
und noch nicht einmal der Vorsitzende ist benannt. Das ist
erstaunlich, denn wir haben eine dramatische Finanzkrise
bei den Kommunen, für die die Bundesregierung verant-
wortlich ist.


(Bernd Scheelen [SPD]: In keiner Weise!)

Der Bundesfinanzminister kündigt eine Reformkom-

mission an und dann geschieht vier Monate lang über-
haupt nichts. Heute soll angeblich die Kommission vor-
gestellt werden. Welch ein Zufall! Lassen wir uns nichts
vormachen: Diese Kommission wird bis zu den Wahlen
im September keine Ergebnisse mehr vorlegen. Offen-
sichtlich darf sie auch keine mehr vorlegen.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Danach werden wir regieren und werden dafür sor-
gen, dass die kommunalfeindliche rot-grüne Politik in
Deutschland ein Ende hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das Problem ist nur: Die Kommunen können nicht

noch länger warten, bis sich irgendetwas bewegt. Sie ste-
hen mit dem Rücken zur Wand. Die Einbrüche in den
kommunalen Haushalten sind katastrophal, auch wenn
Sie das vielleicht nicht sehen. Viele Städte, Gemeinden
und Kreise können ihre Haushalte nicht mehr ausglei-
chen, obwohl sie der Staat gesetzlich dazu verpflichtet.
Sie müssen mit teuren Kassenkrediten laufende Ausgaben
finanzieren, und zwar von den Gehältern bis zur Sozial-
hilfe. In Nordrhein-Westfalen haben bereits ein Drittel der
Städte und Gemeinden nicht ausgeglichene Haushalte.

Letzte Woche haben die Landkreise ihre Haushaltspro-
gnosen vorgestellt. In diesem Jahr werden ein Viertel oder
80 von 323 deutschen Landkreisen keinen ausgegliche-
nen Haushalt mehr haben. Im vergangenen Jahr waren es
17 Prozent.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Wie viel?)





Harald Friese
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– Es waren über ein Viertel, 80 von 323, Herr Kollege
Repnik.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Katastrophe!)


Das hat Konsequenzen in vielfältiger Form: Schulen
oder Straßen können nicht mehr renoviert werden, drin-
gend notwendige kommunale Investitionen brechen total
weg. Das hat auch Auswirkungen auf die Bauwirtschaft.
Den mittelständischen Baubetrieben fehlen die Aufträge.
Sie stehen vor dem Aus. Zu ihnen kommt kein Bundes-
kanzler um zu helfen, zu ihnen kommt bestenfalls der Ge-
richtsvollzieher. Schwimmbäder, Bibliotheken oder
Theater werden geschlossen, weil das Geld fehlt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sollte der Bundeskanzler am besten auch da hingehen?)


Das ist eine schlimme Entwicklung, die Sie einfach ein-
mal zur Kenntnis nehmen müssen, Herr Schmidt.

Ich erinnere daran, dass der Kanzler vor vier Jahren die
Stärkung der kommunalen Finanzen versprochen hat.
Auch in diesem Punkt hat er sein Versprechen gebrochen
und genau das Gegenteil gemacht.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Pfui!)

Er hat damit eine Entwicklung eingeleitet, die für die lo-
kale Demokratie, die Sie, Herr Kollege Friese, gerade in
den Himmel gehoben haben, dramatisch ist.


(Bernd Scheelen [SPD]: Da gehört sie auch hin!)


– Dann handeln Sie auch danach, wenn Sie der Meinung
sind, sie gehöre dahin.

Nachdem die Gewerbesteuereinnahmen total einge-
brochen sind, beginnen auch immer mehr SPD-Mandats-
träger, ihren Unmut über die Politik der Regierung
Schröder öffentlich zu artikulieren. Wenn der SPD-Ober-
bürgermeister von Hannover, Schmalstieg – um nur einen
zu zitieren; ich könnte die Reihe fortsetzen –, zu Recht vor
dem Ende der kommunalen Selbstverwaltung warnt,
müssten doch alle rot-grünen Alarmglocken klingeln, und
dann können Sie keine solche Rede halten, wie Sie sie,
Herr Kollege Friese, vorhin gehalten haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Bernd Scheelen [SPD]: Die Rede war gut, sehr gut!)


Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktio-
nen: Ihre ganzen politischen Entscheidungen der letzten
Jahre widersprechen auch dem Geist des Grundgesetzes.
Sie sind deshalb auch verfassungsrechtlich problema-
tisch. Ich will das an dem Beispiel der Auswirkungen der
Versteigerung der UMTS-Lizenzen deutlich machen.


(Bernd Scheelen [SPD]: Dazu sage ich nachher was!)


Der Bundesfinanzminister kassierte von den Telekommu-
nikationsunternehmen nahezu 100 Milliarden DM. Das
ist ein Fünftel seines gesamten Jahresetats. Die Telekom-
munikationsunternehmen setzen diese exorbitanten Kos-
ten steuerlich ab und schreiben auf Jahre hinaus Verluste.

Die Folge ist: Den Gemeinden fehlen allein 14 Milliar-
den DM in ihren Kassen. Sie finanzieren damit über Steu-
erausfälle indirekt die Einnahmen des Bundes. Der Bun-
desfinanzminister kassiert und die Stadtkämmerer zahlen
letztlich die Zeche. Wir nennen das eine kommunalfeind-
liche Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Warum klagt der SPD-Oberbürgermeister von Wup-
pertal gegen das Land Nordrhein-Westfalen wegen unzu-
reichender kommunaler Finanzausstattung und erklärt öf-
fentlich, dass er noch lieber den Bund verklagen würde? –
Zu Wuppertal will ich gar nicht mehr sagen. –


(Bernd Scheelen [SPD]: Eine schöne Stadt! Hat immer gute Oberbürgermeister gehabt!)


Dafür gibt es Ursachen, die nicht schöngeredet werden
können.

Wir erleben einen ständigen Verschiebebahnhof von
Aufgaben und Ausgaben zulasten der kommunalen
Haushalte, von der Grundsicherung bei der Rente – bei der
übrigens nach Ihrer Geschäftsordnung die kommunalen
Spitzenverbände nicht beteiligt waren – über die Kinder-
geldmitfinanzierung bis zur Langzeitarbeitslosigkeit, die
mit zunehmender Tendenz zur kommunalen Sozialhilfe
verschoben wird. Um die Arbeitslosenstatistik zu verbes-
sern, werden einfach die Kosten aus dem Bundeshaushalt
nach unten weggeschoben. Die menschlichen Schicksale
spielen dabei keine Rolle. „Kommunalisierung der Kosten
der Langzeitarbeitslosen“ ist fast schon ein geflügeltes
Wort für das rot-grüne Versagen auf dem Arbeitsmarkt ge-
worden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Aber die Probleme am Arbeitsmarkt lassen sich nicht
durch statistische Tricks lösen. Die Regierung muss end-
lich handeln. Es ist zu wenig, Herr Kollege Friese, hier
das Hohelied der kommunalen Selbstverwaltung zu sin-
gen und in Ihren konkreten politischen Entscheidungen
genau das Gegenteil zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es gibt einige klare Anstandsregeln im Leben. Eine da-

von lautet: Wer bestellt, zahlt. Stellen Sie sich vor, Sie ge-
hen mit einem gut gelaunten Bundeskanzler in eine Gast-
stätte. Herr Schröder bestellt und bestellt und bestellt.


(Susanne Kastner [SPD]: Gut gelaunt ist er! – Konrad Gilges [SPD]: Das macht er garantiert nicht! – Gegenruf von der CDU/CSU: Er trinkt lieber!)


Es wird Ihnen schon fast unheimlich wegen der hohen
Rechnung, die auf Herrn Schröder zukommt. Aber am Ende
kommt die Überraschung: Der Bundeskanzler steht auf,
schiebt Ihnen still und leise die Rechnung über den Tisch
und sagt, er müsse gerade seinen Haushalt konsolidieren.


(Susanne Kastner [SPD]: Was ist denn das für ein Vergleich, sagen Sie mal! – Gegenruf des Abg. Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Sehr zutreffend!)





Peter Götz

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(A)



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Genauso läuft es zwischen dem Bundeskanzler und den
deutschen Kommunen ab. Das ist in unseren Augen un-
anständig.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich nenne Ihnen ein weiteres Beispiel. Wir streiten in

diesen Tagen über dieses unsägliche Zuwanderungsge-
setz.


(Harald Friese [SPD]: „Unsäglich“?)

Auch das verstößt neben vielen Mängeln auch bei der Fi-
nanzierungsregelung gegen die guten Sitten.


(Lachen bei der SPD – Bernd Scheelen [SPD]: Zwei Drittel zahlt der Bund, ein Drittel die Länder! Nehmen Sie das mal zur Kenntnis!)


Über Kosten steht in diesem Gesetz überhaupt nichts. Die
Integrations- und Sprachkurse kosten viel Geld. Der
Deutsche Städte- und Gemeindebund rechnet mit einer
dreiviertel Milliarde pro Jahr. Es ist schon ein starkes
Stück, die Kosten- und Finanzierungsfragen beim Zu-
wanderungsgesetz auszuklammern, um sie dann später
per Rechtsverordnung oder wie auch immer den Gemein-
den aufzubürden.


(Antje-Marie Steen [SPD]: Sie sollten mal in den Gesetzentwurf gucken! – Oswald Metzger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch nicht!)


– Da steht nichts drin. Wir haben hineingeschaut.
Genauso schlimm ist, was wir heute in der „Süddeut-

schen Zeitung“ lesen – hören Sie gut zu! –: Der Bundes-
kanzler will sich mit finanziellen Zugeständnissen im
Bundesrat eine Mehrheit sichern, das heißt finanzschwa-
che Länder kaufen.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Staatsbestechung ist das!)


Der Bundeskanzler und SPD-Bundesvorsitzende ist gut
beraten, den Eindruck, Deutschland sei eine Bananenre-
publik, der durch die SPD-Schmiergeldaffären zuneh-
mend entsteht,


(Konrad Gilges [SPD]: Amigo! Amigo!)

nicht noch durch Kaufen von Länderstimmen im Bundes-
rat zu vergrößern. Der Schaden in Deutschland ist groß
genug.


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Friese [SPD]: Die Länder sind doch nicht korrupt, Herr Kollege! Was soll das denn? – Bernd Scheelen [SPD]: Wer im Geldkoffer sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen! – Weitere Zurufe von der SPD)


Politik darf nicht käuflich sein, und zwar von niemandem,
auch nicht vom Bundeskanzler. Das gilt auch gegenüber
dem Bundesrat, ob Ihnen das passt oder nicht.


(Widerspruch bei der SPD)

– Frau Präsidentin, bekomme ich die Chance, weiterzure-
den?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422703800
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, wir sind nicht auf dem Fußballfeld, son-
dern im Plenarsaal des Deutschen Bundestags. Ich bitte
um die entsprechende Aufmerksamkeit.


(Harald Friese [SPD]: Das liegt doch nicht an uns, Frau Präsidentin!)



Peter Götz (CDU):
Rede ID: ID1422703900
Vielen Dank, Frau Präsiden-
tin. – Ich habe Verständnis dafür, dass das schmerzt.

Lassen Sie mich zusammenfassen. Diese Bundesregie-
rung hat die Kommunen innerhalb von nur dreieinhalb
Jahren an den Rand des finanziellen Ruins regiert.


(Beifall des Abg. Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU] – Johannes Kahrs [SPD]: Sie sollten sich schämen!)


Das ist schlimm

(Lachen bei der SPD – Susanne Kastner [SPD]: Sie sind auch schlimm für unser Land!)

– das ist überhaupt nicht zum Lachen; reden Sie doch mal
mit den Kämmerern in Ihrem Wahlkreis –, das ist schlimm
für die Städte und Gemeinden, aber auch für unser Land.
Damit muss jetzt Schluss sein.

Zweitens brauchen wir dringend einen Politikwechsel.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


In Deutschland brauchen wir wieder eine kommunal-
freundliche anstatt einer kommunalfeindlichen Politik.
Wir wollen, dass sich die Menschen in unseren Städten
und Gemeinden wohl fühlen. Dazu gehört auch eine gute
kommunale Struktur. Nur leistungsfähige und starke
Kommunen können zum Erfolg beitragen. Die Politik
muss dafür die Rahmenbedingungen setzen. Die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist dazu bereit.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP– Ingrid Holzhüter [SPD]: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422704000
Nächster Redner ist
der Kollege Oswald Metzger für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen.


Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422704100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine bei-
den Vorredner von SPD und CDU/CSU waren Bürger-
meister, der eine in Heilbronn, der andere – das habe ich
inzwischen nachgelesen, Herr Götz – in Rastatt. Ich bin
seit 22 Jahren Kommunalpolitiker. Bei dieser Debatte
muss es einem kommunalen Praktiker wie mir ein biss-
chen übel werden. Die Kommunalpolitiker aller Frak-
tionen haben doch seit Jahrzehnten dasselbe Problem mit
den übergeordneten Ebenen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Sie wollten es doch besser machen!)





Peter Götz
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(C)



(D)



(A)



(B)


Die klebrigen Finger der Landesfinanzminister und des
Bundesfinanzministers greifen, wenn es schicklich zu
sein scheint, in die kommunalen Taschen. Das ist doch die
Wirklichkeit; insofern brauchen wir uns hier gegenseitig
nichts vorzuhalten.

Die PDS hat heute zum ersten Mal seit langem eine
Debatte in der Kernzeit. Das muss in diesem Parlament
auch von einem Koalitionsredner einmal erwähnt werden.
Ich halte es für verdienstvoll, dass die PDS dieses Thema
in die Kernzeit hineingebracht hat.


(Beifall bei der PDS)

Es ist richtig, dass sich die Situation der Kommunal-

finanzen innerhalb der letzten zwei Jahre ins Gegenteil
verkehrt hat, weil seit dem Herbst des vorletzten Jahres
die Konjunktur abgestürzt war, wodurch alle Prognosen
im Hinblick auf die Unternehmensteuerreform zum
Scheitern verurteilt wurden.


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Peter Götz [CDU/CSU]: Warum ist die Konjunktur abgesackt?)


– Kollege Götz, ich habe die Zahlen gut im Kopf: 1995
– in jener Zeit regierten Sie zusammen mit der FDP –
stürzten die Gewerbesteuereinnahmen auf netto 30,5 Mil-
liarden DM, nachdem sie zwei Jahre zuvor noch fast
35 Milliarden DM betragen hatten. Im Jahre 2000 – da re-
gierten bereits wir – lagen die Einnahmen bei der
Gewerbeertragsteuer netto bei fast 38 Milliarden DM;
hinzu kam als Ersatz für den Wegfall der Gewerbekapi-
talsteuer ein Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer von
über 5 Milliarden DM.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422704200
Herr Kollege
Metzger – –


Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422704300
Der
Absturz, der vor allem im letzten Jahr zu konstatieren war,


(Walter Hirche [FDP]: Hat mit Ihrer Steuerreform zu tun! – Gegenruf von der SPD: Überhaupt nicht, Herr Hirche!)


hat sich sektoral sehr unterschiedlich entwickelt. Sie sind
auch Baden-Württemberger, Herr Götz. In meinem Land-
kreis hatte im letzten Jahr mehr als die Hälfte der Ge-
meinden und Städte ein Plus gemacht. In der großen nord-
rhein-westfälischen Stadt, aus der der Präsident des
Städte- und Gemeindebundes kommt, in Bochum, hat es
im letzten Jahr ein Gewerbeertragsteuerplus gegeben. Da-
her sollten Sie die abstürzenden Gewerbeertragsteuer-
einnahmen nicht vordergründig für eine große Leidens-
litanei nutzen, zumal aufgrund des Rückgangs der
Arbeitslosenzahlen bis Anfang 2001 die Ausgaben für So-
zialhilfe bei den Kommunen rückläufig waren. Auch das
ist eine Tatsache. Man muss einfach die Fakten benennen,
um damit Ruhe in die Diskussion zu bringen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422704400
Herr Kollege
Metzger, es ist sehr schwer, Sie in Ihrem Redefluss zu
bremsen. Lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Götz zu?


Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422704500

Aber gerne. – Bitte, Herr Bürgermeister a. D.


Peter Götz (CDU):
Rede ID: ID1422704600
Herr Kollege Metzger, ist Ih-
nen bekannt, dass die kassenwirksamen Auswirkungen
der Gewerbesteuer in der Regel um zwei Jahre nachhin-
ken und dass Sie insoweit gerade bestätigt haben, dass
sich die erfolgreiche Politik der Regierung Kohl bis zum
Jahr 1998 in den Jahren 1999/2000 bei den Gewerbe-
steuereinnahmen zeitverzögert ausgewirkt hat? Ist Ihnen
auch bewusst, dass Ihre Politik jetzt erst richtig durch-
schlägt? Ich wage die Prognose, dass sich die negative
Durchschlagskraft in den nächsten ein, zwei Jahren noch
verstärken wird, weil es eben diesen Zeitverzug von zwei
Jahren gibt.


Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422704700

Herr Götz, der Einbruch von 1995 – das war ja mein Bei-
spiel – und die zweijährigen Ausgleichsmechanismen des
kommunalen Finanzausgleichs sind mir sicherlich
bekannt. Diese hat man vor allem 1997 gemerkt, also zu
einem Zeitpunkt, als Sie noch an der Regierung waren. In-
sofern ist Ihr Vergleich schlecht; denn der Ausgleichs-
mechanismus fiel, wie gesagt, in Ihre Regierungszeit.

Ich möchte meine Rede auch nutzen, um nach vorne zu
blicken.


(Peter Götz [CDU/CSU]: Davon merkt man aber nichts!)


– Ich habe mich doch gerade mit Ihren Vorhaltungen be-
schäftigt und versucht, das Tableau, um das es hier geht,
deutlich zu machen. Kommunalpolitiker aller Couleur
sind sich im Zweifelsfall natürlich in ihrer Kritik einig:
Die Oberen schieben uns Lasten zu und sorgen nicht für
einen entsprechenden Ausgleich. Da ist manches dran.
Aber als Kommunalpolitiker muss man auch selbstkri-
tisch sein.

In den nächsten Jahren geht es um die Reform der Ge-
meindefinanzen. Deshalb wird voraussichtlich übernächs-
ten Freitag die Gemeindefinanzreformkommission mit
Finanzminister Eichel und Walter Riester als Vorsitzen-
den eingesetzt werden. Sie soll Vorschläge zur Reform der
Gewerbeertragsteuer und zur Verzahnung von Arbeitslo-
sen- und Sozialhilfe machen, die dazu führen sollen, dass
künftig die Ebene, die zahlt und die die Kompetenz hat
– Stichwort „Konnexitätsprinzip“ –, auch entsprechend
finanziell ausgestattet wird.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das ist doch die nächste Sparmaßnahme zulasten der Kommunen! Das Konnexitätsprinzip haben Sie doch gerade abgelehnt!)


– Herr Fromme, der Gemeindefinanzreformkommission
gehören nicht nur die beiden Minister, sondern auch Ver-
treter der kommunalen Spitzenverbände und wissen-
schaftliche Experten an. Diese Kommission wird Vor-
schläge machen, die genau dem Subsidiaritätsprinzip
entsprechen werden. Das, was vor Ort – möglicherweise
sogar effizienter – geleistet werden kann, soll auch vor Ort
gemacht werden. Aber wenn man das tut – deshalb ist es
so wichtig, sich in diesem Zusammenhang die Gemein-




Oswald Metzger

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(B)


definanzverfassung genau anzuschauen –, dann darf der
Bund die Arbeitslosenhilfe, für die im laufenden Etat im-
merhin 13 Milliarden Euro eingestellt sind, nicht den
Landkreisen und Kommunen quasi vor die Tür kippen.
Darüber sind wir uns völlig einig. Sie können sicher sein:
Grüne und Sozialdemokraten werden darauf achten, dass
es hier keinen Verschiebebahnhof geben wird. Diese Re-
formagenda ist entscheidend.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Wie beim A400M werden Sie die Kurve machen, wenn Sie noch die Gelegenheit haben!)


ZumKonnexitätsprinzip:Natürlich haben wir im Ko-
alitionsvertrag festgelegt, dass diesem Prinzip im Rahmen
des kommunalen Finanzausgleichs mehr Geltung ver-
schafft werden soll. Aber es lag nicht an der SPD-Bun-
destagsfraktion, dass das nicht möglich war.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Waren es die Amerikaner?)


– Nein. – Erinnern Sie sich bitte daran, dass drei Bundes-
länder vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Fi-
nanzausgleich geklagt haben. Sie wissen ganz genau, dass
in der Rechtspflege Stillstand herrschte, bis das Bundes-
verfassungsgericht entschieden hatte, wie der Finanzaus-
gleich auszusehen hat. Wenn Sie sich auch noch die Dis-
kussion über das Maßstäbegesetz aus dem letzten Jahr in
Erinnerung rufen, dann wissen Sie ganz genau, dass nicht
nur die Finanzminister der SPD-regierten Bundesländer,
sondern auch die der unionsgeführten Bundesländer im
Zweifelsfall die Umsetzung der Vorgaben des Bundesver-
fassungsgerichts im Hinblick auf mehr Entflechtung der
Ebenen und eines Finanzausgleichs, der mehr Verantwor-
tung auf der jeweiligen Ebene ansiedelt, unmöglich ge-
macht haben.

Es gibt in Deutschland einen Exekutivföderalismus,
der es der Bundesregierung und den Länderregierungen
möglich macht, im Zweifelsfall zulasten anderer staat-
licher Ebenen zu agieren. Nur dann, wenn die Verantwor-
tungsbereiche im Sinne eines aktivierenden Sozialstaates,
der zum Beispiel verlangt, dass ein Gemeinderat nicht nur
die Hoheit über die Einnahmen, sondern auch über die
Ausgaben hat, wenn er Entscheidungen trifft, klar ge-
trennt sind, wird wirtschaftlich effektiv und demokratisch
entschieden und nur dann kann die untere staatliche
Ebene nicht mehr die Verantwortung nach oben abschie-
ben, nach dem Motto: Ihr übertragt uns Aufgaben und wir
haben keine Finanzmittel.

Kolleginnen und Kollegen von der Union, denken Sie
an die Debatte über das Konnexitätsprinzip. Als damals
der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz in
§ 218 festgelegt wurde – das war ein Bundesgesetz –, ha-
ben sich die Kommunen quer durch die Republik beklagt:
Ihr habt uns keine Finanzmittel dafür zur Verfügung ge-
stellt. Der Vorwurf war damals richtig. Er wäre auch bei
der Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe
richtig, wenn wir nicht eine faire Lösung im Gespräch mit
den kommunalen Spitzenverbänden und mit der interes-
sierten Öffentlichkeit anstreben würden. Das sind die
Fakten.

Wir wollen uns sicherlich nicht kommunalfreundlicher
gerieren, als die Bundespolitik tatsächlich ist. Aber die
Bundespolitik ist besser als ihr Ruf. Wenn sich die Ge-
werbeertragsteuereinnahmen in den nächsten Monaten
– das zeichnet sich ab – konsolidieren werden, dann wer-
den auch Sie merken, dass die Mär, den Gemeinden sei
durch unsere Unternehmensteuerreform Geld entzogen
worden, schon vor dem Wahltag in sich zusammenbre-
chen wird. So sieht es aus.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422704800
Für die FDP-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Gerhard Schüßler.


Gerhard Schüßler (FDP):
Rede ID: ID1422704900
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! „Lage und Zukunft der
Kommunen in der Bundesrepublik Deutschland“ lautet
der Titel der Großen Anfrage. Das ist einfach zu be-
schreiben: Die Lage ist schlecht, schlechter als jemals in
der Geschichte der Bundesrepublik.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Susanne Kastner [SPD]: Machen Sie mal weiter mit der Leier! – Bernd Scheelen [SPD]: Da kennen Sie die Geschichte aber schlecht ! – Rainer Brinkmann [Detmold] [SPD]: Sie sind so alt, Sie müssten die Geschichte eigentlich kennen!)


Die Zukunft ist grau und wolkenverhangen. Das ist das
Ergebnis der rot-grünen Regierungspolitik.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Der Deutsche Städtetag hat dies offensichtlich bereits

Ende 1998 vorausgesehen, als der Präsident, dessen Amt
zurzeit ruht – er ist übrigens SPD-Mitglied –, öffentlich
die mangelnde Berücksichtigung der Städte im Koali-
tionsvertrag der neuen Bundesregierung rügte.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Aha!)

Es fehle eine Garantie der kommunalen Selbstverwaltung,
so der Oberbürgermeister von Saarbrücken, der – das ist
einer Bemerkung wert – noch immer im Amt ist, obwohl
Anklage gegen ihn erhoben worden ist.

Noch im vergangenen Jahr, am 27. August, schrieb der
Kollege Poß an seine Genossen in der SPD-Fraktion:
Liebe Genossinnen und Genossen, die Gewerbesteuer als
Haupteinnahmequelle der Kommunen wird durch das
Steuersenkungsgesetz in ihrer Substanz nicht berührt.
Weiter schrieb er: Der Gesetzentwurf zur Fortentwick-
lung des Unternehmensteuerrechts führt zu kommunalen
Steuermehreinnahmen von 850 Millionen DM.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das haben wir gesehen! – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wie man sich doch irren kann! – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie greift erst zum 1. Januar 2002! Was wollen Sie denn?)





Oswald Metzger
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(D)



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(B)


Selbst in der Antwort auf die Große Anfrage der PDS-
Fraktion brüstet sich Rot-Grün noch, den Kommunen
gehe es doch gut.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Wo leben die?)


Nichts davon ist wahr.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die miserable Lage der Kommunen ist die logische

Konsequenz des Vollzugs von Bundes- und Landesgeset-
zen, deren Finanzierung allein bei den Gemeinden abge-
laden wurde. In den vergangenen drei Jahren ist die
Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben auf kommu-
naler Ebene immer weiter auseinander gegangen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sehr richtig!)


Mehr als 50 Prozent der Kommunen – das sind die neues-
ten Daten – haben derzeit keinen ausgeglichenen Haus-
halt mehr.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Die Grünen wissen nicht, was in den Kommunen los ist!)


Wann hat es das schon einmal gegeben, meine Damen und
Herren? Und da sagen Sie: Den Kommunen geht es doch
gut.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das sagt vor allem Herr Metzger!)


Die Gesamtverschuldung der deutschen Kommunen
ist im Jahr 2001 auf 100 Milliarden Euro angewachsen.

Die Städte und Gemeinden stehen unter immer höhe-
rem Kostendruck. Sie können kaum noch ihren Pflicht-
aufgaben gerecht werden. Freiwillige Aufgaben und In-
vestitionsaufgaben werden immer weiter zurückgeführt –
zulasten der Bürger, die aber schließlich in unseren Ge-
meinden leben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Kultur- und Bildungseinrichtungen, Stadtbüchereien

und Freizeiteinrichtungen – die Liste könnte man beliebig
verlängern – werden geschlossen. Nur einige Beispiele:

Braunschweig schließt sein Bildungs- und Freizeitzen-
trum.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Da gehen die Lichter aus, im wahrsten Sinne des Wortes!)


In Cottbus sind bereits 62 Prozent der Straßen in einem
Zustand, der eine wirtschaftliche Straßenunterhaltung
nicht mehr erlaubt. Um auf diesem schlechten Niveau al-
lein den Bestand zu sichern, müssten jährlich 2,5 Milliar-
den Euro aufgebracht werden. Die Stadt muss ihre Mittel
für den Unterhalt von Straßen aber weiter kürzen.

Die Stadt Krefeld – man höre und staune, Herr
Scheelen – hat im Haushaltsplan für das Jahr 2002 über-
haupt keine neuen Investitionen vorgesehen. Zurückge-
stellt wurden die Sanierung des Theaters, der Bau von

Kinderspielplätzen und der notwendige Neubau einer
Hauptfeuerwache.


(Zuruf von der FDP: Das ist die Realität!)

Die Stadt Wuppertal schließt fünf Grundschulen.

(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Und das nach PISA! – Zuruf von der FDP: Und das nach PISA und nach den Spenden! – Bernd Scheelen [SPD]: Weil die Schüler nicht mehr da sind!)


Bund und Länder verlagern immer mehr Aufgaben,
zum Beispiel die Kinderbetreuung, auf die Kommunen.
Unbekannt ist noch die Höhe der Integrationskosten, mit
denen die Kommunen durch das neue Zuwanderungs-
gesetz belastet werden sollen.

Diese Bundesregierung tut wirklich alles, um den
Kommunen den finanziellen Teppich unter den Füßen
vollständig wegzuziehen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Darum kann von der kommunalen Selbstverwaltung – das
mögen Sie noch so sehr bestreiten; diejenigen, die in den
Kommunen Verantwortung tragen, sagen Tag für Tag,
dass das so ist – nun wirklich keine Rede mehr sein.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Die hat RotGrün den Kommunen genommen!)


Die Gründe für die katastrophale Haushaltssituation
der Kommunen liegen offen zutage. Die rot-grüne
Steuerreform hat sich verheerend auf die kommunalen
Haushalte ausgewirkt. Der Einbruch bei der Körper-
schaftsteuer führt zum Beispiel dazu, dass der nordrhein-
westfälische Finanzminister an vier Unternehmen 1,7Mil-
liarden Euro Körperschaftsteuer zurückzuzahlen hat.


(Oswald Metzger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das waren die Gewinngutschriften aus Jahrzehnten!)


Das kommt davon, wenn man ein Gesetz beschließt, das
es möglich macht, dass Verluste, die im Ausland anfallen,
mit Gewinnen in Deutschland verrechnet werden können.


(Beifall bei der FDP – Harald Friese [SPD]: Aber ihr altes Standortsicherungsgesetz von 1993!)


– Sie wissen ja, dass das wahr ist, darum regen Sie sich ja
auch so auf.


(Bernd Scheelen [SPD]: Weil Sie keine Ahnung haben!)


Die Einbrüche bei der Gewerbesteuer sind katastro-
phal – der Kollege Claus hat schon Beispiele genannt –:
Ludwigshafen minus 68 Prozent, Leverkusen minus
64 Prozent, Krefeld minus 50 Prozent, Frankfurt am Main
minus 38 Prozent, Rostock minus 46 Prozent usw.


(Harald Friese [SPD]: Darmstadt plus 70 Prozent!)


Aber Herr Poß sagt, den Gemeinden gehe es gut, sie hätten
850Millionen DM Mehreinnahmen. Das ist doch ein Witz.


(Beifall bei der FDP)





Gerhard Schüßler

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(C)



(D)



(A)



(B)


Die Konsequenz dieser Entwicklung: Die Bürger erhalten
immer weniger Leistungen, werden aber immer mehr be-
lastet. Immer mehr Ausgaben der Kommunen fließen in
so genannte Pflichtaufgabenbereiche wie den Sozialbe-
reich.

Damit aber nicht genug: Unsere Städte und Gemeinden
stecken nicht nur in einer Finanzmisere, sie werden auch
für den Einzelnen immer unattraktiver, denn das tägliche
Leben der Menschen wird von Jahr zu Jahr kostspieliger
und beschwerlicher. So steigen die Energiekosten für pri-
vate Haushalte in den Gemeinden ständig – das muss man
den Gemeinden nicht vorhalten –: Anfang der 80er-Jahre
genügten 4 200 DM, im Jahr 2001 zahlt ein Familienvater
7 200 DM an Nebenkosten. Die Kosten für Müllabfuhr
stiegen in diesem Zeitraum um 400 Prozent, für Abwasser
im gleichen Zeitraum um 300 Prozent und für Wasser um
200 Prozent. Die so genannte zweite Miete ist deshalb be-
reits zu einem festen Begriff in den Kommunen geworden.

Ein anderes Dauerthema der Kommunalpolitik ist die
miserable Verkehrssituation in deutschen Städten. Auch
das ist Ergebnis rot-grüner Politik, einer Politik, die auf
einer auf wirklichkeitsfremden Erwägungen beruhenden
Ideologie fußt. Der Kampf gegen die motorisierte Gesell-
schaft wird nicht allein dadurch geführt, dass man es sys-
tematisch unterlässt, defekte Straßen zu reparieren, hinzu
kommen Einrichtungen von Dauerbaustellen und gene-
relle Einbahnstraßenbeschilderungen in Innenstädten zur
Erzeugung regelmäßiger Verkehrsstaus, absurde Ver-
kehrsleitsysteme, unsinnige Radwege. In meiner Heimat-
stadt Hagen


(Harald Friese [SPD]: Alles rot-grüne Bundesregierung?)


gibt es mittlerweile Fahrradwege an Straßen, die ein der-
artiges Gefälle haben, dass nur ausgewiesene Mountain-
bikefahrer sie überhaupt bezwingen können. Dies nur des-
halb, weil die rot-grüne Landesregierung mit der
Gießkanne für einen solchen Unsinn Fördergelder verteilt.


(Lachen bei der SPD)

Was tut diese Bundesregierung? Jahrelang saß der Alt-
oberbürgermeister Eichel auf dem Schoß der deutschen
Großindustrie; da war es warm und gemütlich.


(Susanne Kastner [SPD]: Kann ich mir kaum vorstellen, dass es da warm und gemütlich ist! – Bernd Scheelen [SPD]: Haben Sie etwas gegen die Großindustrie?)


Langsam hat die Ungemütlichkeit auch den Bundesfi-
nanzminister, den Herrn Altoberbürgermeister von Kassel
– übrigens eine der Städte mit der höchsten Verschuldung –
erreicht. Was macht er? Er versucht, die Situation auszu-
sitzen, indem er eine Kommission zur Gemeindefinanz-
reform einsetzt.

Vor noch anderthalb Jahren hat der Bundesfinanzmi-
nister vehement bestritten, dass überhaupt eine Gemein-
definanzreform notwendig sei. Was fällt den Funk-
tionären des Deutschen Städtetages ein? Nichts weiter als
die alte Leier von der Revitalisierung der Gewerbesteuer.
Doch: Etwas Neues gibt es noch, nämlich Überlegungen,
den bisherigen Freibetrag bei der Gewerbeertragsteuer

deutlich zu reduzieren. Das ist ein weiterer massiver An-
schlag auf den Mittelstand, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der FDP – Harald Friese [SPD]: Sie haben ihn dauernd erhöht!)


Die Liberalen fordern die Abschaffung der Gewerbe-
steuer, wie Sie wissen. Ein höherer Anteil an der Umsatz-
steuer und ein Zuschlag auf die Einkommensteuer garan-
tieren den Kommunen eine verlässliche, weitgehend
konjunkturunabhängige Einnahmequelle.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die kommunalen Spitzenverbände finden das nicht gut!)


Noch eins, meine Damen und Herren, gehört zur Zu-
kunft der Kommunen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422705000
Das muss aber kurz
sein, weil die Redezeit vorbei ist.


Gerhard Schüßler (FDP):
Rede ID: ID1422705100
Ja. – Was die Öffentlich-
keit zurzeit über Ämterpatronage, Vetternwirtschaft, Par-
teienfilz und Korruption zu hören und zu wissen be-
kommt, ist erschreckend. Hierdurch sind die Interessen
der Steuern zahlenden Bürger tangiert; schließlich sind
sie die Finanzierer des Staates. Sie haben Anspruch auf
eine leistungsfähige, wirtschaftliche und sparsame öf-
fentliche Verwaltung und ebensolche öffentlichen Ge-
sellschaften.

Das Parteibuch ist heute entscheidender als Qualität
und Leistung, um eine Führungsposition einzunehmen.
Ein qualifizierter Beamter ohne Parteibuch hat kaum eine
Chance. Das ist ein Grundübel unserer Parteiendemo-
kratie, das beseitigt werden muss.


(Susanne Kastner [SPD]: Dann müssen Sie einmal nach Bayern gehen! – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Die grausamen Fälle sind in Nordrhein-Westfalen: Wuppertal, Bochum, Köln, Krefeld!)


Letztlich ist die Neugestaltung der bundesstaatlichen
Finanzverfassung und der Bund-Länder-Finanzbeziehun-
gen, die untrennbar damit verbunden sind, die entschei-
dende Voraussetzung für eine gute Zukunft der Gemein-
den.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422705200
Herr Kollege Schüßler,
jetzt muss ich Sie wirklich bremsen.


Gerhard Schüßler (FDP):
Rede ID: ID1422705300
Letzter Satz: Einen ande-
ren Weg für eine gute Zukunft der Gemeinden gibt es
nicht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Harald Friese [SPD]: Aber zum Glück nicht mit Ihnen!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422705400
Das Wort hat der Par-
lamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper.




Gerhard Schüßler
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(A)



(B)


F
Fritz Rudolf Körper (SPD):
Rede ID: ID1422705500
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Eine Bemerkung vorab: Kommunale Selbst-
verwaltung funktioniert in Deutschland hervorragend,
und zwar auch deswegen, weil es Tausende ehrenamtli-
cher Ratsmitglieder gibt, deren Engagement man in ei-
ner solchen Debatte erwähnen sollte. Man sollte diesen
Menschen in unserem Lande Dank sagen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS])


Genauso wichtig ist es, deutlich zu machen, dass die
kommunale Selbstverwaltung für den Erfolg des Modells
Deutschland ein ganz entscheidender Punkt ist. Wir wer-
den dieses Modell der kommunalen Selbstverwaltung
auch in Europa verteidigen und dafür sorgen, dass sie dort
zukünftig möglich bleibt.


(Beifall bei der SPD – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: In der Antwort steht aber etwas anderes!)


Ich komme auf den Verlauf dieser Debatte zu sprechen.
Ich finde es fast ein bisschen scheinheilig,


(Bernd Scheelen [SPD]: „Ein bisschen“?)

wenn über kommunale Finanzen in der Art und Weise dis-
kutiert wird,


(Harald Friese [SPD]: Das ist peinlich!)

wie es die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU und
insbesondere der FDP getan haben. Anhand von Schau-
bildern kann man die Finanzierungssalden der Gemein-
den und der Gemeindeverbände in den Flächenländern
sehr gut deutlich machen. Man kann beispielsweise fest-
stellen, dass diese Gemeinden und Gemeindeverbände
von 1992 bis 1997 ein Minus verbuchten. Die Bandbreite
lag im Jahr 1997 zwischen 2,8 Milliarden Euro und
8,3 Milliarden Euro. Wann ging es aufwärts? 1998; das ist
politisch belegbar.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Wahrscheinlich stammt die Statistik von der Bundesanstalt für Arbeit!)


Ich bitte ganz herzlich darum, die Mär hinsichtlich der
Frage der Finanzsituation nicht weiterzuverbreiten. Am
Beispiel der Entwicklung des Nettogewerbesteuerauf-
kommens von 1992 bis 2001 kann ich Ihnen das verdeut-
lichen. Sie können die entsprechenden Zahlen zur Kennt-
nis nehmen. Diese Bundesregierung kann darauf stolz
sein und braucht sich aufgrund dieses Ergebnisses in kei-
ner Weise zu verstecken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bitte Sie darum, dass Sie, wenn Sie sich mit dieser
Frage schon auseinander setzen, dies auch realistisch tun.

Lieber Herr Claus, das Bild, das Sie von der kommu-
nalen Landschaft in der Bundesrepublik Deutschland

zeichnen, hat mit der Realität absolut nichts zu tun. Das
sage ich ganz deutlich.


(Roland Claus [PDS]: Warum sehen die kommunalen Spitzenverbände das anders?)


Insbesondere einem Bürgermeister wie Herrn Götz
möchte ich Folgendes mit auf den Weg geben:


(Susanne Kastner [SPD]: Bürgermeister ist er auch noch?)


Lieber Herr Götz, ich hätte schon erwartet, dass Sie als
ehemaliger Bürgermeister ein bisschen qualifizierter über
die Situation der kommunalen Gebietskörperschaften in
Deutschland reden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das sage ich hier in aller Deutlichkeit.
Der Bundesinnenminister, der gleichzeitig Kommunal-

minister ist, hat vor wenigen Tagen ein Gespräch mit den
Vertretern der kommunalen Spitzenverbände geführt. Wir
haben von den kommunalen Spitzenverbänden übrigens
eine große Zustimmung zum Entwurf des Zuwande-
rungsgesetzes, der jetzt vorliegt, geerntet.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Die freuen sich darauf, was sie bezahlen dürfen!)


Lieber Herr Götz, diesen Gesetzentwurf mit dem Adjek-
tiv „unsäglich“ zu verbinden, wie Sie es getan haben,
zeigt, dass Sie in unverantwortlicher Art und Weise mit ei-
nem solchen Problem, das gelöst werden muss, umgehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Harald Friese [SPD]: Das ist unsäglich!)


Es ist doch völlig klar, dass diese Bundesregierung
kein Problem zulasten der kommunalen Gebietskörper-
schaften lösen will. Schauen Sie sich einmal an, welchen
Vorschlag wir bei dem Thema Integrationskosten ge-
macht haben. Diese Bundesregierung und die sie tragen-
den Koalitionsfraktionen sind bereit, sich auch im Bereich
der Integration finanziell zu engagieren. Das wäre schon
längst fällig gewesen. Es ist wichtig, dass es nun getan
wird. Davon profitieren auch die kommunalen Gebiets-
körperschaften.


(Beifall bei der SPD – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Und warum steht es dann nicht im Gesetzentwurf?)


Die Gewerbesteuer darf man nicht nur allgemein be-
trachten, sondern man muss in der Lage sein, sie diffe-
renziert zu betrachten. Es ist das Beispiel Ludwigshafen
herangezogen worden. Davon verstehe ich etwas, weil ich
nicht allzu weit von dort herkomme. Die Faktoren, die
hier maßgebend sind, sind regional, speziell, individuell
bedingt. Das muss man sehen. Man muss die Frage stel-
len, inwieweit sie systemimmanent sind und man sie be-
seitigen kann.

Wie glaubwürdig Sie mit den kommunalen Finanzen
umgehen, wird beispielsweise an der Tatsache deutlich,
dass einige von Ihnen, wie der Kanzlerkandidat oder die






(C)



(D)



(A)



(B)


Parteivorsitzende – leider hat sich auch die FDP daran be-
teiligt –, mir nichts, dir nichts das Vorziehen der Steuerre-
form für das Jahr 2002 propagiert haben. Das wäre der fi-
nanzielle Ruin der kommunalen Gebietskörperschaften
gewesen, das müssen Sie wissen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Susanne Kastner [SPD]: Das muss man dem Kandidaten aus Wolfratshausen sagen!)


Da halte ich es ein bisschen mit der Seriosität. Ich bitte
ganz herzlich darum, dass auch Sie anders mit diesem
Thema umgehen.

Eines kann ich Ihnen nicht ersparen: Dass die öffentli-
chen Haushalte – nicht nur die Haushalte der Gemeinden,
der Städte, der Gemeindeverbände, sondern auch die der
Länder und der des Bundes – in einer solch schwierigen
finanziellen Situation sind, haben wir letztendlich 16 Jah-
ren CDU/CSU-FDP-Regierung zu verdanken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Albert Deß [CDU/CSU]: Seit vier Jahren fällt Ihnen nichts Besseres ein!)


Sie haben Ihre Schulden gemacht und wir haben jetzt die
Aufgabe, aus dieser Schuldenfalle herauszukommen.
Lieber Herr Metzger, wie schwierig das ist, wissen wir
alle. Aber wir packen das in verantwortlicher Art und
Weise an und lassen uns von Ihnen auf der rechten Seite
des Hauses an dieser Stelle nicht irritieren. Das sage ich
hier ganz deutlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich könnte Ihnen noch etwas vorhalten. Die alte Bun-
desregierung hat ja mit Privatisierungserlösen ihre Er-
fahrung.


(Zuruf von der CDU/CSU: UMTS!)

Ich könnte Ihnen einmal die Frage stellen: Wie viel
D-Mark und Pfennig – heute Euro und Cent – sind denn
von diesen Privatisierungserlösen an die kommunalen
Gebietskörperschaften gegangen? – Nichts, keinen Pfen-
nig haben die kommunalen Gebietskörperschaften gese-
hen. Das war Ihre Finanzpolitik und daran müssen Sie
sich noch heute messen lassen. Hier Krokodilstränen zu
verdrücken ist nicht okay; das sage ich Ihnen an dieser
Stelle ganz deutlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN!)


Die Bundesregierung hat bei ihren Entscheidungen die
kommunalen Interessen berücksichtigt. Das belegt bei-
spielsweise das am 20. Dezember 2001 verabschiedete
Gesetz zur Fortentwicklung des Unternehmensteuer-
rechts, das zu Mehreinnahmen und zur Sicherung eines
Gewerbesteueraufkommens von rund 1 Milliarde Euro
führt. Das ist konkrete Politik, wie wir sie gemacht haben.
Durch die Änderungen können zukünftig auch die Ge-
werbesteuermindereinnahmen, die aus der verschobenen
Anpassung der branchenbezogenen Abschreibungstabel-
len resultieren, insgesamt mehr als aufgefangen werden.
Eine Senkung der Gewerbesteuerumlage ist deshalb auch

im Hinblick auf die konjunkturelle Entwicklung sachlich
derzeit nicht zu begründen. Wir entscheiden die wichtige
Frage der kommunalen Finanzen gemeinsam, auch mit
den Bundesländern.

Wie sieht die praktische Politik dieser Bundesregie-
rung aus?


(Albert Deß [CDU/CSU]: Katastrophal!)

Wir haben beispielsweise das Kindergeld bei Sozialhil-
feempfängerinnen und -empfängern erhöht, was bei den
kommunalen Gebietskörperschaften zu einem Entlas-
tungseffekt in einer Größenordnung von über 300 Milli-
onen Euro führt. Das ist konkrete entlastende Politik von-
seiten der Bundesregierung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage Ihnen auch Folgendes, ob Sie das hören wol-
len oder nicht. Ich weiß, dass sich einige Fraktionen der
Opposition im Haushaltsausschuss um eine Kürzung der
Mittel für das so genannte JUMP-Programm bemüht
haben,


(Susanne Kastner [SPD]: So etwas ist ja wirklich scheinheilig!)


für das diese Bundesregierung mit den sie tragenden Frak-
tionen über 2 Milliarden DM in die Hand genommen hat,
um die Ausbildungs- und Fortbildungsprogramme zu fi-
nanzieren.

Wir haben über 300 000 junge Menschen vor dem Ab-
rutschen in die Sozialhilfe bewahrt und somit einen kon-
kreten Beitrag zur Verbesserung der finanziellen Situation
der kommunalen Gebietskörperschaften geleistet. Das ist
die Situation.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben die so genannte bedarfsorientierte Grund-
sicherung für ältere Menschen, die ab dem Jahr 2003 gilt,
eingeführt. Die Bundesregierung hat dabei eine Kompen-
sation für die kommunalen Gebietskörperschaften ins Auge
gefasst. Wir haben nämlich eine Kompensation in Höhe
von über 400 Millionen Euro vorgesehen und stehen in der
Diskussion mit den kommunalen Gebietskörperschaften.

Wir werden uns den Aufgaben stellen, die mit der
zukünftigen Entwicklung der Gemeindefinanzen und mit
der Gemeindefinanzreform verbunden sind. Eine entspre-
chende Kommission wird in der nächsten Woche durch ei-
nen Kabinettsbeschluss eingesetzt. Wir gehen in einer
sehr verantwortlichen Weise mit diesem Thema um. Ich
bin sicher, dass wir gemeinsam mit den kommunalen Ge-
bietskörperschaften und mit den Ländern diese Gemein-
definanzreform weiterentwickeln werden, sodass sie zu-
kunftsfähig ist.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Albert Deß [CDU/CSU]: Der Bundeskanzler hat als Ministerpräsident von Niedersachsen die kommunalen Finanzen schon kaputtgemacht!)





Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper
22480


(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422705600
Die nächste Rednerin
in der Debatte ist die Kollegin Margarete Späte für die
Fraktion der CDU/CSU.


Margarete Späte (CDU):
Rede ID: ID1422705700
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen
und Herren! Herr Staatssekretär Körper, Ihrem Dank an
die zahlreichen in den Kommunen tätigen ehrenamtlichen
Gemeinderäte will ich mich gerne anschließen. Trotzdem
gilt, dass sich viele allein gelassen fühlen. Die Städte und
Gemeinden in Deutschland erzielen zurzeit weniger Ein-
nahmen und müssen bei steigenden Kosten mehr Auf-
gaben wahrnehmen.


(Albert Deß [CDU/CSU]: So ist es!)

Die Kommunen haben auf den Kostendruck reagiert.

Verwaltungsmodernisierung war und ist ganz überwie-
gend eine kommunale Angelegenheit. So haben die Kom-
munen in den letzten zehn Jahren mehr Personal abgebaut
als Bund und Länder zusammen.

Trotz dieser Konsolidierungserfolge und der Veräu-
ßerung von kommunalem Vermögen reicht die Finanz-
ausstattung der Kommunen nicht aus. Die kommunalen
Investitionen lagen 2001 in den neuen Ländern um
45 Prozent und in den alten Ländern um 25 Prozent unter
dem Niveau von 1992.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Was sagt Herr Körper dazu?)


Die Investitionszuweisungen von Bund und Ländern sind
seit 1992 in den alten Ländern um ein Viertel und in den
neuen Ländern um über ein Drittel gekürzt worden.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das ist das Paradies!)


Im Jahr 2001 wurden sie noch einmal um 6,3 bzw. um
1,7 Prozent gekürzt. Die rot-grüne Bundesregierung
nimmt negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und
auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung dabei offenbar
in Kauf.

Morgen wird der Jahresbericht der Bundesregierung
zum Stand der deutschen Einheit vorgelegt. Fast 12 Jahre
nach der Wiedervereinigung und nach fast vier Jahren
rot-grüner Politik geht es den Städten und Gemeinden in
Deutschland finanziell schlecht.


(Beifall des Abg. Albert Deß [CDU/CSU])

Viele Kommunen in den neuen Bundesländern stecken
tief in der Misere.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: So ist es!)


Schauen wir doch einmal dorthin, wo die PDS Mit-
verantwortung trägt.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Aha! Jetzt hören Sie mal zu!)


Die finanzielle Lage der Städte und Gemeinden in Sach-
sen-Anhalt hat sich in den Jahren der SPD-geführten
und PDS-tolerierten Landesregierung stets verschlechtert.
Sachsen-Anhalt ist Schlusslicht aller neuen Bundesländer

mit der niedrigsten Erwerbstätigenquote, dem größten
Rückgang der Industriebeschäftigung, mit der höchsten
Arbeitslosenquote und Abwanderung sowie mit den ge-
ringsten Investitionen in die wirtschaftsnahe Infrastruktur.


(Bernd Scheelen [SPD]: Wir sind doch nicht im Landtag von Sachsen-Anhalt!)


Die PDS hat auf ihrem Parteitag in Berlin beschlossen,
den öffentlich geförderten Arbeitsmarkt zu erweitern. Die
Realität ist, dass den Kommunen das Geld zur Finanzie-
rung der Eigenanteile fehlt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wie soll ein Arbeitsmarkt geschaffen werden, der über
Steuern und Abgaben zur Finanzierung der Kommunen
beiträgt, wenn die Kommunen zum öffentlich geförderten
Unternehmen werden? Das ist Sozialismus.


(Beifall bei der CDU/CSU – Uwe Hiksch [PDS]: Wir geben zu, wir sind demokratische Sozialisten! Da haben Sie ein Geheimnis gelüftet!)


Die PDS plant weiterhin eine Erhöhung der Mehrwert-
steuer auf Luxusgüter zur Finanzierung öffentlicher Auf-
gaben. Das erinnert mich fatal an DDR-Zeiten, in denen
ein Auto, ein Farbfernseher, ja sogar der Kaffee zu Luxus-
gütern erklärt wurden.

Im Juli 2001 veröffentlichte die von der PDS tolerierte
SPD-Landesregierung in Sachsen-Anhalt Eckwerte des
Haushalts 2002 mit weiteren Kürzungen der Finanz-
zuweisungen für die Kommunen um 183 Millionen Euro.
So erhielt Sachsen-Anhalt im Jahr 2001 2,08 Milli-
arden Euro an Finanzausgleichszahlungen; davon waren
1,48 Milliarden Euro Schlüsselzuweisungen. Laut Haus-
haltsplanentwurf wird für das Jahr 2002 durch den ver-
minderten Anteil an Gemeinschafts- und Landessteuern
sowie Einbrüche bei der Gewerbesteuer mit Einnahmen
von 1,8 Milliarden Euro gerechnet. Nach der Steuerschät-
zung werden wahrscheinlich nur 1,75 Milliarden Euro
herauskommen.

Die Stadt Leuna mit 7 300 Einwohnern und einigen
großen Industrieunternehmen muss einen enormen Rück-
gang der Gewerbesteuer verkraften, vom Jahr 2000 zu
2001 ein Minus von 581 000 Euro.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Eine Katastrophe!)


Leidtragende sind vor allem Handwerksbetriebe, die
Arbeitsplätze in der Region sichern und welche schaffen
könnten. Investitionen der Kommunen bedeuten nun ein-
mal Aufträge für ortsansässige Firmen.

Lassen Sie mich als ehrenamtliche Bürgermeisterin
meiner Heimatgemeinde Kayna im Süden Sachsen-An-
halts und als Mitglied des Kreistages des Burgenlandkrei-
ses mit 143 000 Einwohnern auf einige konkrete Zahlen
aus diesem Landkreis eingehen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Die weiß, wovon sie redet! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das ist die Realität!)


– Das ist die Realität. – Ein Vergleich der Haushaltspläne
von 1995 und 2002 zeigt folgendes Bild: Betrug das






(C)



(D)



(A)



(B)


Volumen des Vermögenshaushalts 1995 umgerechnet
28,3 Millionen Euro, so sind es im Jahr 2002 nur noch
9,97 Millionen Euro.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Die Praxis interessiert die Regierung überhaupt nicht! Die hat ihr eigenes Weltbild! – Albert Deß [CDU/CSU]: Die beiden auf der Regierungsbank interessieren sich überhaupt nicht für die Probleme im Osten!)


Konnten im Jahr 1995 noch 15,45 Millionen Euro für
Baumaßnahmen ausgegeben werden, so können im Jahr
2002 lediglich 1,3 Millionen Euro für Baumaßnahmen an
Schulen verwendet werden. Das ist dann auch gleich die
Summe, die insgesamt für Baumaßnahmen zur Verfügung
steht. Die Investitionszuweisungen des Landes betrugen
1995 noch 1,59 Millionen Euro. Im Haushaltsplan 2002
sucht man vergebens danach, da das Land diese Inves-
titionszuweisungen gestrichen hat.

Konnten 1995 noch 2,86 Millionen Euro aus dem Ver-
waltungshaushalt dem Vermögenshaushalt für Investi-
tionen und zusätzlich 1,02 Millionen Euro der Rücklage
zugeführt werden, so ist dies im Jahr 2002 umgekehrt. Da
müssen 0,6 Millionen Euro Investitionshilfe dem Verwal-
tungshaushalt zugeführt werden.

Die Kreisumlage stieg von 17,3 Millionen Euro im
Jahr 1995 auf 22,7 Millionen Euro in diesem Jahr;


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das ist so schlimm, da kann man keinen Beifall klatschen!)


allerdings sanken im gleichen Zeitraum die allgemeinen
Zuweisungen vom Land an den Landkreis von 35 Milli-
onen Euro im Jahr 1995 auf nur noch 27 Millionen Euro
im Jahr 2002.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Und dann wundern Sie sich über Holzmann, wenn nichts mehr kommt! – Gegenruf der Abg. Susanne Kastner [SPD]: Was ist das jetzt für eine Bemerkung?)


Das Land hat sich, um seine überhöhten Personalkosten
zu finanzieren, bei den Bundesergänzungszuweisungen
und dem Länderfinanzausgleich bedient.

Betrachten wir den Bereich der freiwilligen Aufgaben.
Lag der Zuschuss des Kreises für AB-Maßnahmen 1995
noch bei 305 600 Euro, so sind für 2002 lediglich
12 700 Euro eingestellt. Die freie Kulturarbeit, Theater,
Denkmalschutz, Sport- und Vereinsförderung standen
1995 mit 1,17 Millionen Euro zu Buche; in diesem Jahr
sind es gerade noch 712 000 Euro.

Die Auswirkungen sind deutlich. Betrug die Arbeits-
losenquote 1995 19,8 Prozent, so lag sie Ende 2001 bei
21,8 Prozent. Die Ausgaben für Sozialhilfe sind von 1995
bis 2002 um 4,1 Millionen Euro gestiegen. Diese Zahlen
belegen doch eindeutig,


(Albert Deß [CDU/CSU]: Dass die dunkelrote Regierung in Sachsen-Anhalt das Land heruntergewirtschaftet hat! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Im April wird das geändert!)


wie ernst es auch die PDS mit vielen ihrer Forderungen
nimmt, die sich in der Realität nahezu in Luft auflösen.

Die CDU und die CSU wollen keinen Zentralismus,
erst recht keinen wie auch immer daherkommenden So-
zialismus.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422705800
Frau Kollegin Späte,
Sie müssen jetzt bitte zum Schluss kommen.


Margarete Späte (CDU):
Rede ID: ID1422705900
Wir wollen auch in
Zukunft in unserem Land und in Europa eine starke kom-
munale Selbstverwaltung mit viel Eigenverantwortung im
Interesse der Menschen, für die wir Politik machen.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Vor allem die Bürger in Sachsen-Anhalt wollen eine neue Regierung!)


Dafür gilt es noch viel zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422706000
Jetzt spricht der Kol-
lege Cem Özdemir für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen.


Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422706100
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden heute
über ein tragendes Element unserer demokratischen
Grundordnung. Über die Frage der finanziellen Not der
Kommunen ist hier – von meinem Fraktionskollegen
Oswald Metzger wie von Kollegen aus anderen Frak-
tionen – schon einiges gesagt worden. Ich möchte mich in
meinem kurzen Redebeitrag primär der Frage der Stellung
der Kommunen in einem sich vereinigenden Europa wid-
men und die Frage aufwerfen, welche Rolle die Kommu-
nen in dem europäischen Einigungsprozess künftig spie-
len sollen.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, liebe Kolleginnen
und Kollegen.


(Zurufe von der CDU/CSU: Gut! – JochenKonrad Fromme [CDU/CSU]: Bestimmt besser als den Kommunen!)


– Es freut mich, dass es Ihnen gut geht. Ich hoffe, es geht
Ihnen auch noch am Abend des 22. September gut.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Bestimmt besser als den Grünen!)


Mir geht es so – dies wollte ich sagen –, dass ich im-
mer tief beeindruckt bin, wenn ich die Bilder aus der
Schweiz sehe, von Bürgerinnen und Bürgern, die sich auf
den Plätzen ihrer Kommune versammeln und sich für ihre
Kommune engagieren. Das ist wahre direkte Demokra-
tie, das ist die direkteste Form der Beteiligung von Bür-
gerinnen und Bürgern an ihren Kommunen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Die machen Sie doch mit den Finanzen kaputt!)





Margarete Späte
22482


(C)



(D)



(A)



(B)


Auch wir in der Bundesrepublik Deutschland haben in
vielen Kommunen schon positive Erfahrungen mit direkter
Demokratie auf kommunaler Ebene gemacht. Ich will die
Gelegenheit nutzen, um deutlich zu machen – das ist ein
Anliegen nicht nur meiner Fraktion, sondern auch der Kol-
legen aus der SPD und, wie ich glaube, der PDS und der
FDP –, dass wir die direkte Demokratie in der Bundesre-
publik Deutschland auf allen staatlichen Ebenen, auf kom-
munaler wie auf Landes- und Bundesebene, stärken sollten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das hat auch etwas damit zu tun, dass wir starke Kom-
munen wollen, in denen die Bürgerinnen und Bürger das
Gefühl haben, dass sie in ihrer Kommune gefragt werden,
und zwar nicht nur dann, wenn es um Kommunalwahlen,
um Stadtrats- oder Kreistagswahlen, geht.

Ich bleibe beim Beispiel der Schweiz; ich habe mir das
mit dem Innenausschuss angeschaut. Manches kommu-
nale Denkmal eines Bürgermeisters wäre uns möglicher-
weise erspart geblieben, wenn über ihm – wie in der
Schweiz; mich hat das wirklich beeindruckt – das Damo-
klesschwert einer direkten Abstimmung geschwebt hätte.
Schauen Sie sich die Schweiz an und vergleichen Sie das
mit uns! Dann wissen Sie, dass das Verfahren nicht dazu
führt, dass unvernünftige Entscheidungen gefällt werden.
Im Gegenteil, es führt dazu, dass die Kommunen sehr
kritisch und sehr achtsam mit den Finanzen umgehen, weil
sie wissen, dass sie ihr Verhalten im Zweifelsfall auch zwi-
schen den Wahlen rechtfertigen müssen. Das schwächt die
Kommunen nicht, im Gegenteil, es stärkt sie.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ein Aspekt ist sicher auch die Frage, wie wir künftig
die Eigenständigkeit unserer Kommunen innerhalb Euro-
pas stärken können. Die Eigenständigkeit der Kommu-
nen ist eben, wie bereits in der Debatte betont, nicht nur
von den Ländern und dem Bund bedroht, sondern wird
zunehmend auch von Europa infrage gestellt.


(Roland Claus [PDS]: Dass Sie zugeben, dass sie vom Bund bedroht wird, ist schon interessant!)


Hier muss es eine Neuordnung der Kompetenzen geben,
eine Neuordnung des Mehrebenensystems innerhalb
Europas. Nur so kann – ich glaube, hier für alle sprechen
zu können – die kommunale Selbstverwaltung innerhalb
Europas gesichert werden. Dabei geht es – zu den Finan-
zen will ich, wie bereits betont, nichts sagen –


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Es ist auch besser, wenn Sie dazu nichts sagen!)


um eine Mischfinanzierung genauso wie um eine Durchset-
zung des Subsidiaritätsprinzips, das heißt: so zentral wie
nötig und so dezentral wie möglich. Das muss unser Grund-
satz sein im Rahmen des europäischen Einigungsprozesses.

Herr Staatssekretär Körper hat bereits ein Lob für die
Stadträte ausgesprochen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Der hört eh nicht zu! – Albert Deß [CDU/CSU]: Der ist vollkommen desinteressiert!)


Ich will dieses Lob ergänzen um ein Lob für all diejeni-
gen, die auf kommunaler Ebene Verantwortung überneh-
men, beispielsweise im Prozess der Lokalen Agenda 21.
Was dort an vorbildlicher Arbeit fraktionsübergreifend in
vielen Kommunen geleistet wird – dies gilt im Übrigen
auch für die Nichtregierungsorganisationen –, verdient
ausdrücklich Anerkennung. Denn hier wird Verantwor-
tung für die Kommune übernommen, aber darüber hinaus
auch für eine sich vereinigende Welt. Das sollte durchaus
einmal gewürdigt und anerkannt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Harald Friese [SPD]: Global denken, lokal handeln!)


– Richtig, Herr Kollege. – Das bedeutet, dass auch in der
Kommune Wirtschaft, Soziales und Umwelt zusammen-
gehen müssen, so wie es 1992 auf dem Kongress in Rio
von allen gefordert wurde.

Ich will das Lob aber noch konkretisieren: Ich denke
beispielsweise an unsere württembergische Gemeinde
Konstanz, die Vorbildliches geleistet hat, übrigens mit
einem grünen Oberbürgermeister.


(Harald Friese [SPD]: Deshalb denken Sie ja daran!)


– So ist es. – Der Prozess, der dort stattgefunden hat, führte
dazu, dass sich die Bürgerinnen und Bürger engagieren
und einbringen, sei es für Spielplätze, für eine fußgänger-
freundliche Gestaltung von Umgehungsstraßen, sei es für
den Ausbau von Radwegen. Dies hat der Kommune gut
getan. Die Bürgerinnen und Bürger haben dementspre-
chend ein sehr viel stärkeres Gefühl, dass dies ihre Dinge
sind, als wenn alles nur von oben par ordre du mufti ver-
ordnet wird.

In einer sich globalisierenden Welt geht es natürlich
auch um die Frage der Daseinsvorsorge. Auch hier sind
die Kommunen zunehmend mit der Liberalisierung von
Aufgaben der Daseinsvorsorge beschäftigt. Dies bedeutet
beispielsweise im Bereich des öffentlichen Personennah-
verkehrs für mich auch – ich weiß, dass dies unterschied-
lich gesehen wird –, dass der Verkauf von Anteilen der
Versorgungs- und Verkehrsbetriebe nicht in jedem Fall
der richtige Weg ist, im Gegenteil: Ich glaube, dass die
Kommunen gut beraten sind, wenn sie hier ihre Zustän-
digkeiten behalten.

Auch hierzu ein Beispiel aus dem Ländle, weil es dort
oftmals ganz gut klappt: Die Stadt Freiburg hat einen
vorbildlichen öffentlichen Personennahverkehr, der flä-
chendeckend ausgebaut wurde, der getaktet ist und der
– jetzt kommt es – wirtschaftlich arbeitet. Daran sieht
man, dass sich ein gut ausgebauter öffentlicher Personen-
nahverkehr, der von den Bürgerinnen und Bürgern ange-
nommen wird, durchaus rechnen kann und eben nicht zu
den in diesem Zusammenhang oft befürchteten roten Zah-
len führt.


(Bernd Scheelen [SPD]: Die können sogar Schulden abbauen! – Harald Friese [SPD]: Kommunen können eben wirtschaften!)


– Richtig. Kommunen können wirtschaften.




Cem Özdemir

22483


(C)



(D)



(A)



(B)


Ähnliches gilt für die Wasserwirtschaft. Wasser ist ein
nicht ersetzbares Lebensmittel und unglaublich wertvoll.
Daher eignet sich dieser Bereich auch nicht für Priva-
tisierungen. Auch hier müssen wir mit den Kommunen
gemeinsam an einem Strang ziehen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ich möchte zum Schluss noch einmal auf den jetzt ein-
gerichteten Verfassungskonvent unter Führung von
Giscard d’Estaing eingehen. Wahrscheinlich wissen nur
wenige, dass Giscard d’Estaing wie kein anderer für die-
ses Amt geeignet ist. Er ist nämlich auch Präsident des
Rates der Gemeinden und Regionen Europas,


(Albert Deß [CDU/CSU]: Ein konservativer Politiker!)


des ältesten europäischen Städtenetzwerkes. Ich bin mir
daher ziemlich sicher, dass die Interessen der Kommunen
im europäischen Verfassungskonvent gut aufgehoben
sind.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Jedenfalls besser als bei dieser Koalition!)


Dadurch werden die Rechte der Kommunen gestärkt
werden.

Die Koalition – Herr Kollege, machen Sie sich darüber
keine Sorgen – hat bereits deutlich gemacht, dass sie den
Konvent auf alle nur erdenkliche Weise unterstützen wird.
Ich glaube, dies ist auch für den Einigungsprozess sehr
wichtig.

Dabei geht es auch um die Anhörungsrechte von Kom-
munen, die in Deutschland bereits bestehen. Ich halte die
Regelung in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der
Bundesministerien, die eine obligatorische Anhörung
vorsieht, für sehr vernünftig. Dies ist ein gutes Beispiel,
welches es in Europa nachzuahmen gilt. Ähnliches gilt für
die Frage des Klagerechts vor dem Europäischen Ge-
richtshof. Auch dies ist ganz wichtig für die Stärkung der
Kommunen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, dass der
Nationalstaat zunehmend weniger Heimat bieten kann.
Wir haben hier in Berlin – die meisten von uns kommen
ja nicht aus Berlin – gelernt, wie es ist, sich eine neue Hei-
mat zu schaffen. Für mich ist dies die schwäbische But-
terbrezel, die ich hier kaufe. Für die anderen sind es der
rheinische Karneval sowie die Ständige Vertretung, die sie
hierher gebracht haben.

Jeder von uns weiß: In den Kommunen wird Demo-
kratie praktiziert. Ohne die starken und unabhängigen
Kommunen gibt es keine Demokratie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422706200
Jetzt spricht der Kol-
lege Dr. Uwe-Jens Rössel für die PDS-Fraktion.


Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS):
Rede ID: ID1422706300
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Kollege Özdemir, ich stimme

natürlich mit Ihnen darin überein, dass die Kommunal-
politik die hohe Schule der Demokratie ist. Aber dann
passt es doch nicht in die Landschaft, dass die überwie-
gende Mehrzahl der Städte, Gemeinden und Landkreise in
der Bundesrepublik Deutschland unter einer akuten
Finanznot leidet und sich diese Not sogar weiter zuge-
spitzt hat.


(Beifall bei der PDS)

Die Finanzmisere der Gemeinden schadet dem sozia-

len Klima in den Städten und Gemeinden. Sie ist wirt-
schaftsfeindlich, denn sie bremst die Unternehmen in ih-
rer Eigeninitiative. Sie ist aber auch demokratiefeindlich.
Ein Bürgermeister, eine Bürgermeisterin, die über immer
weniger Geld zur Lösung der Probleme verfügt,


(Susanne Kastner [SPD]: Davon verstehen Sie besonders viel!)


ist diskreditiert. Damit hat auch die nachlassende Wahl-
beteiligung in den Kommunen etwas zu tun. Hier müssen
wir uns alle etwas einfallen lassen.


(Beifall bei der PDS)

Für das Finanzdesaster der Kommunen gibt es viele

Ursachen. Klar ist aber eines: Bund und Länder haben ein
gerüttelt Maß Anteil daran. Dies hat auch die Debatte ge-
zeigt. Eine Reform derKommunalfinanzen ist dringend
geboten und dürfte eines der aktuellen, nicht mehr auf-
schiebbaren finanz- und steuerpolitischen Projekte in der
Gegenwart und der Zukunft sein.

Die PDS-Fraktion ist im Übrigen die einzige Fraktion
im Deutschen Bundestag, die ein Konzept in das Parla-
ment eingebracht hat und dies auch laufend weiter kon-
kretisiert.


(Beifall bei der PDS)

Wir setzen uns dafür ein, dass die Kommunen dauerhaft
eigene, stabile Steuereinnahmen haben und dass sie darü-
ber weitestgehend selbst verfügen können. Die Erhöhung
der so genannten Gewerbesteuerumlage, die an Bund
und Land fließt, muss sofort rückgängig gemacht werden.


(Beifall bei der PDS)

Die frei werdenden Mittel könnten angemessen für Inves-
titionen und zur Verbesserung der sozialen Lage in den
Städten, Gemeinden und Landkreisen genutzt werden.

Wir wollen die Modernisierung einer wirtschaftskraft-
bezogenen Steuer für die Städte und Gemeinden. Wir wol-
len, dass die Unternehmen diese Steuer nach ihrer Leis-
tungsfähigkeit zahlen.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Wir alle müssen uns einhellig dagegen wehren, dass der
Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Breuer, einerseits
einen Gewinn von 650 Millionen Euro verkündet und das
Institut andererseits mitteilt, dass kein Pfennig Gewerbe-
steuer an die Stadt Frankfurt am Main gezahlt wird. Diese
Zustände dürfen wir uns nicht mehr gefallen lassen.


(Beifall bei der PDS sowie der Abg. Rita Streb-Hesse [SPD])





Cem Özdemir
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(C)



(D)



(A)



(B)


Wir wollen auch, dass eine sachliche Debatte über die
Zukunft von Arbeitslosen- und Sozialhilfe geführt wird.
Wir lehnen die voreiligen Pläne einer Zusammenlegung
der Arbeitslosen- und Sozialhilfe ab. Denn diese Zusam-
menlegung führt in erster Linie dazu, dass den Kommu-
nen ganz offensichtlich weitere Lasten aufgebürdet wer-
den und ihnen neue Aufgaben ohne entsprechende
logistische und finanzielle Verantwortung zugewiesen
werden.


(Beifall bei der PDS)

Deshalb Schluss mit diesen Plänen! Diese lehnen im
Übrigen auch die kommunalen Spitzenverbände ab, auf
die wir uns in unserer Großen Anfrage stark gestützt haben.
Dafür möchte ich mich an dieser Stelle sehr bedanken.

Wir brauchen Sofortmaßnahmen für die Stärkung der
Finanzkraft der Kommunen, die noch in den nächsten
Wochen und Monaten auf den Weg gebracht werden kön-
nen. Wir fordern daher die Bundesregierung von dieser
Stelle aus auf, die vor einem Jahr, nämlich im April 2001,
zugesagte Entschädigungszahlung für Vermögensschä-
den derKommunen endlich auf den Weg zu bringen. Die
Treuhandanstalt und deren Nachfolgerin BvS haben
zuordnungswidrige Privatisierungen dergestalt durchge-
führt, dass sie beim Verkauf von Unternehmen in Ost-
deutschland gleich noch – das war gegen Recht und Ge-
setz – Kindergärten und Ferienlager mitverkauft haben.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Die Zuständigkeit dafür liegt bei den Kommunen. Vor
einem Jahr wurde in Berlin die Vereinbarung getroffen,
den Kommunen einen dreistelligen Millionenbetrag aus-
zuzahlen. Bisher ist kein Pfennig bzw. Cent geflossen.
Das darf nicht hingenommen werden.


(Beifall bei der PDS – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: So sind sie halt!)


Die gesunkene Finanzkraft der Kommunen drückt sich
in mangelnder Investitionskraft aus. Die öffentlichen Un-
ternehmen verfügen über immer weniger entsprechende
finanzielle Mittel. Ein Weg, um aus diesem Teufelskreis
herauszukommen, wäre die Auflage einer kommunalen
Investitionspauschale des Bundes. Sie soll direkt vom
Finanzministerium in Berlin in die Städte und Gemeinden
fließen. Nutznießer sollen ostdeutsche Städte und Ge-
meinden sein, aber auch solche im Altbundesgebiet, dort
vor allem Regionen, die dauerhaft strukturschwach sind.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum

Schluss. Die Debatte zeigt erneut, dass nicht nur die Fi-
nanzausstattung der Kommunen, sondern auch die öffent-
lichen Finanzen insgesamt in einer Dauerkrise sind. Des-
halb ist es notwendig, gemeinsame Anstrengungen zu
unternehmen, um die öffentlichen Haushalte endlich vom
Kopf auf die Füße zu stellen und die Mittel vor allem dort
hinzubringen, wo die Musik, das heißt das Leben, spielt:
in den Städten und Gemeinden.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422706400
Herr Kollege Rössel,
hier oben spielt die Musik. Ich muss Sie an Ihre Redezeit
erinnern.


Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS):
Rede ID: ID1422706500
Ich komme zum
Schluss. – Eine Kommunalfinanzreform muss sofort auf
den Weg gebracht werden. Wir als Abgeordnete des Deut-
schen Bundestages müssen daran beteiligt werden. Das ist
zurzeit nicht vorgesehen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422706600
Der nächste Redner ist
für die SPD-Fraktion der Kollege Bernd Scheelen.


Bernd Scheelen (SPD):
Rede ID: ID1422706700
Frau Präsidentin! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Ich hätte von dem Kollegen
Rössel eigentlich erwartet, dass er sich zunächst einmal
für die Aussage seines Fraktionsvorsitzenden entschul-
digt, der kritisiert hatte, dass der Bundesinnenminister
nicht anwesend ist. Ich freue mich, dass der Bundes-
innenminister schon seit über einer Stunde hier ist.


(Beifall bei der SPD – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Er ist aber nur physisch anwesend, nicht geistig!)


Er hat sich die Reden anhören müssen, die manchmal
wirklich wehgetan haben. Das war schon eine große Leis-
tung. Herzlichen Dank.

Wenn die PDS beantragt, über die kommunale Situa-
tion und die Kommunalfinanzen zu reden, muss man sich
immer fragen, warum sie das tut.


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Das könnt ihr ruhig!)


Die Erfahrung zeigt, dass die PDS immer dann damit
kommt, wenn in den neuen Bundesländern auf kommu-
naler Ebene Wahlen anstehen. Die Anfrage der PDS da-
tiert vom 4. April vorigen Jahres; das ist also fast ein Jahr
her. Die Antwort datiert vom 19. September vorigen Jah-
res. Sie haben ein halbes Jahr gebraucht, um zu beantra-
gen, dass wir hier darüber reden.

Am 14.April stehen in Rostock, Schwerin und Wismar
Bürgermeister- bzw. Oberbürgermeisterwahlen an.
Deswegen haben Sie Wert darauf gelegt, dass heute da-
rüber gesprochen wird. Wir debattieren immer sehr gerne
über die Situation in den Kommunen.


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Das glaube ich dir nicht!)


Ich sage Ihnen: Ihre Strategie wird nicht aufgehen;
denn der Oberbürgermeister von Rostock, Arno Pöker, ist
ein sehr guter Mann und wird am 14. April wieder ge-
wählt.


(Beifall bei der SPD)

Dasselbe gilt für Dr. Rosemarie Wilcken aus Wismar.

Auch sie wird wiedergewählt werden; denn sie macht eine
sehr gute Politik. Axel Höhn wird in Schwerin erstmalig




Dr. Uwe-Jens Rössel

22485


(C)



(D)



(A)



(B)


ins Amt gewählt, um dem SPD-Bürgermeister nachzufol-
gen. Das wird das Ergebnis des 14. April sein.

Wenn man in die Anfrage der PDS schaut und sie liest
– es tut manchmal weh, sie zu lesen –, stellt man fest, dass
in ihr sehr viel Polemik enthalten ist. Einige Punkte
möchte ich unter dem Stichwort Polemik herausgreifen:

Polemik I: Eine Ihrer Aussagen in der Anfrage lautet,
dass es übliche Praxis sei, dass der Bund beschließe, die
Kommunen aber bezahlen und ausführen müssten. Es
mag sein, dass das bis 1998 so war, danach aber nicht
mehr. Ich werde Ihnen gleich belegen, dass diese Aussage
barer Unsinn ist.


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Arbeitslosenhilfe! – Weiterer Zuruf von der PDS: Da sind wir sehr gespannt!)


Als erstes Beispiel nenne ich die Rentenreform inklu-
sive der Grundsicherung. In der Debatte wird es immer so
dargestellt, als habe der Bund beschlossen, dass es eine
Grundsicherung geben müsse und dass die Kommunen
das bezahlen müssten.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: So ist es doch!)


Das ist aber nicht die Wahrheit. Die Wahrheit ist, dass es
ein Problem zu lösen galt. Das Problem lautete: ver-
schämte Altersarmut. Verschämte Altersarmut bedeutet,
dass Menschen – das betrifft im Wesentlichen ältere
Frauen –, die ein schweres Schicksal haben – sie haben
den Krieg mitgemacht und mussten den Aufbau bewälti-
gen – und Kinder erzogen haben – teilweise mussten sie
dies ohne Partner tun –, jetzt in Verhältnissen unterhalb
des Niveaus der Sozialhilfe leben. Sie trauen sich aber
nicht oder können es mit ihrer Würde nicht vereinbaren,
zum Sozialamt zu gehen, um eine ergänzende Sozialhilfe
zu beantragen. Diese Fälle gibt es, weil die Betroffenen
beispielsweise auch befürchten, dass Rückgriffe auf ihre
Kinder genommen werden.

Dieses Problem galt es zu lösen. Zu diesem Zweck ha-
ben wir die Grundsicherung eingeführt. Jeder hat jetzt An-
spruch auf eine sozusagen ergänzende Sozialhilfe. Es
wird jedoch als Grundsicherung bezeichnet. Das Geld
dafür liefert der Bund; er übernimmt die Kosten dafür. Es
steht eine Summe von 800 Millionen DM im Raum.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Es kostet aber 2 Milliarden!)


– Herr Fromme, Sie wissen ganz genau, dass es nach zwei
Jahren eine so genannte Spitzabrechnung geben wird.
Dann wird man sehen, ob man mit dem Geld auskommt
oder nicht und ob vielleicht zu viel gezahlt worden ist.
Das Konnexitätsprinzip wurde hier ganz klar eingehalten:
Der Bund regelt es und liefert auch die Finanzmittel. Das
ist eine sinnvolle und richtige Regelung.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Oswald Metzger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Der zweite Punkt ist hier bereits mehrfach angespro-
chen worden, weswegen ich ihn nur kurz ins Gedächtnis
rufen will. Die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bun-
desministerien regelt in § 47, dass die kommunalen Spit-

zenverbände und die Länder im Vorfeld von Gesetzesvor-
haben zu hören sind. Diese Errungenschaft steht in nur
zwei bis drei Sätzen dieser Geschäftsordnung, hat aber
eine weitreichende Bedeutung. Es ist nämlich absolut neu,
dass eine Bundesregierung kommunale Spitzenverbände
und Länder im Vorfeld anhört, um Gesetzesvorhaben zu
gestalten. Ich finde, auch das ist einen Applaus wert.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Oswald Metzger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Da muss er sogar um Zustimmung betteln!)


– Vielen Dank.
Dritter Punkt. Auch das JUMP-Programm wurde

schon erwähnt; man sollte es aber noch einmal unterstrei-
chen: 400 000 Jugendliche wurden durch das JUMP-Pro-
gramm mit jährlich 2 Milliarden DM gefördert.


(Beifall des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Das bedeutet ganz konkret, dass die Sozialhilfe entlastet
wurde. Die Zahlen der Sozialhilfe in den letzten Jahren
zeigen, dass das ein durchaus erfolgreiches Programm
dieser Bundesregierung für eine sinnvolle Arbeitsmarkt-
förderung ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Polemik II aus dem Antrag der PDS-Fraktion. Da steht,
die Reform der Kommunalfinanzierung sei auf die
nächste Legislaturperiode verschoben. Auch das, Herr
Kollege Rössel, ist barer Unsinn; denn Sie wissen, dass
das Bundeskabinett am nächsten Mittwoch den Beschluss
fassen wird, eine Kommission einzusetzen, damit diese
unmittelbar nach Ostern mit der Arbeit beginnen kann.
Das, was an dieser Kommission besonders wichtig ist, ist,
dass dort zwischen den Vertretern der Kommunen, der
Länder und des Bundes auf gleicher Augenhöhe verhan-
delt wird. Auch das ist eine besonders kommunalfreund-
liche Regelung dieser Bundesregierung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Polemik III aus dem Antrag der PDS-Fraktion. Da
steht, die Kommunen müssten unter den Einnahmeaus-
fällen der Steuerreform am stärksten leiden. Auch das ist
barer Unsinn. Der Kollege Götz und andere haben diese
Behauptung ständig wiederholt. Aber auch durch ständige
Wiederholung wird sie nicht wahrer. Die kommunalen
Spitzenverbände haben sich nach der Beschlussfassung
über die Steuerreform ausdrücklich bei uns bedankt, dass
ihre Belastungen deutlich unter dem Durchschnitt liegen.


(V o r s i t z : Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters)


Ich will die Zahlen gerne ins Gedächtnis rufen. Die Ge-
meinden waren im Schnitt des Jahres 2000 mit 12,1 Pro-
zent an den Steuereinnahmen beteiligt. Die Steuerreform,
so wie sie verabschiedet worden ist, belastet die Kommu-
nen im Zeitraum bis 2005 im Durchschnitt mit nur
8,9 Prozent. Dafür waren uns die Kommunen außerge-




Bernd Scheelen
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(D)



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(B)


wöhnlich dankbar. Ich finde, das ist ein besonders kom-
munalfreundlicher Zug dieser Reform.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422706800
Herr Kol-
lege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Rössel?


Bernd Scheelen (SPD):
Rede ID: ID1422706900
Herr Kollege Rössel, bitte.


Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS):
Rede ID: ID1422707000
Herr Kollege Scheelen,
sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass es sich bei
der Aussage zu den Steuerausfällen der Kommunen in-
folge der Steuerreform bei den genannten 8,9 Prozent aus-
schließlich um die direkten Steuerausfälle der Kommunen
handelt?

Sind Sie auch bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die
massiven Steuerausfälle der Länder über den kommuna-
len Finanzausgleich natürlich an die Kommunen weiter-
gegeben werden und sich unter Berücksichtigung dieser
Tatsache der Beitrag der Kommunen an den Einnahme-
ausfällen der öffentlichen Hand von 8,9 Prozent auf
17 Prozent erhöht? War es aus diesem Grunde nicht rich-
tig, diese Frage zu stellen?


Bernd Scheelen (SPD):
Rede ID: ID1422707100
Herr Kollege Rössel, Sie
wissen, dass der Bund keine direkten Beziehungen zu den
Gemeinden unterhalten kann, da dies im Grundgesetz
nicht vorgesehen ist. Der Staatsaufbau ist zweigliedrig:
Der Staat besteht aus Bund und Ländern.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Sie wollen die Realität nicht zur Kenntnis nehmen!)


Wir können deshalb nur das regeln, was der Bund be-
einflussen kann. Ich sage Ihnen noch einmal: Die 8,9 Pro-
zent waren nicht einfach durchzusetzen. Es war nicht so,
als hätte es darüber keine Diskussionen gegeben. Klar ist,
dass uns die kommunalen Spitzenverbände für diese
Regelung sehr dankbar waren. Wie die Länder mit dem
Problem im Einzelnen umgehen, ist sehr unterschiedlich.
Es mag sein, dass Sie es in CDU-regierten Ländern erle-
ben, dass die Kommunen dort einen Beitrag von 17 Pro-
zent an den Einnahmen übernehmen müssen. Ich kann das
in SPD-geführten Bundesländern nicht erkennen.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Schauen Sie einmal nach Nordrhein-Westfalen!)


Polemik IV aus dem Antrag der PDS-Fraktion. Da
steht: Die Kommunen werden an den Einnahmen aus dem
Verkauf der UMTS-Lizenzen nicht beteiligt; es profitiert
nur der Bund. Dazu sage ich Ihnen Folgendes: Die
UMTS-Erlöse erbrachten 100 Milliarden DM. Diese hat
der Bund zu 100 Prozent in die Schuldentilgung gesteckt.
Es war absolut richtig und wichtig, das zu tun; denn Sie
wissen, dass wir 1998 einen Schuldenberg von 1,5 Billio-
nen DM übernommen haben, der uns jährlich mit 82 Mil-
liarden DM Schuldzinsen belastet.


(Zuruf von der CDU/CSU: Woran lag das denn?)


Schuldenabbau zu betreiben ist eine der vornehmsten
Aufgaben einer neuen Regierung, die den Schutt wegräu-
men muss, den die alte Regierung hinterlassen hat.


(Beifall bei der SPD)

Diese 100 Milliarden DM Schuldentilgung führen zu

jährlichen Zinsersparnissen von 5 Milliarden DM, die wir
nicht dazu genommen haben, weiteren Schuldenabbau zu
betreiben; auch das wäre sinnvoll gewesen. Dieses Geld
steht vielmehr für Investitionen in wichtige Bereiche be-
reit, zum Beispiel in Bildung und Infrastruktur. Auch hier-
von profitieren die Gemeinden, beispielsweise beim Pro-
gramm Ortsumgehung mit 900 Millionen DM oder beim
Programm Gebäudesanierung mit 400 Millionen DM.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das muss doch der Bund bezahlen!)


Das heißt, die Erlöse aus dem Verkauf der UMTS-Lizen-
zen und die daraus entstehenden Zinsersparnisse kommen
auch den Gemeinden unmittelbar zugute.

Ich sage noch etwas zu den UMTS-Erlösen. Es wird
immer so getan, als ob es etwas Schlimmes wäre, wenn
Unternehmen investieren, um demnächst Gewinne zu ma-
chen. Ich gehe davon aus, dass die Telekommunikations-
unternehmen die UMTS-Lizenzen nicht gekauft haben,
um Verluste zu machen.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Das sieht man am Aktienkurs der Telekom!)


Vielmehr wollen sie damit Gewinne machen. Wenn sie
Gewinne machen, dann zahlen sie auch Gewerbesteuer.
Es wird sicherlich nicht die Forderung erhoben werden,
dass der Bund an den zusätzlichen Gewinnen in irgendei-
ner Form beteiligt wird; denn auch Bund, Länder und Ge-
meinden veräußern öffentliches Eigentum. Wenn bei-
spielsweise die Bayern ihre Anteile an Eon verkaufen und
der Firmensitz von Eon in Düsseldorf ist, dann zahlen
letztlich die nordrhein-westfälischen Bürger durch Min-
dereinnahmen bei der Steuer dafür, dass Bayern Mehrein-
nahmen hat. Auch da könnte man sagen, Bayern müsste
NRW an den Einnahmen beteiligen. Das ist aber eine
sinnlose Debatte, weil das System unserer Wirtschafts-
ordnung entspricht und dazu führt, dass Wachstum und
Beschäftigung auf Dauer gefördert werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich möchte Ihnen ein Zitat aus einem Antrag, den wir

im Januar dieses Jahres in das Hohe Haus eingebracht ha-
ben, in Erinnerung rufen. Sie wissen, dass wir uns schon
damals mit der Lage der Gemeindefinanzen beschäftigt
haben. Die Koalition hat ausdrücklich anerkannt, dass die
Probleme der Kommunen, auch die finanziellen Probleme,
sehr ernst zu nehmen sind. Natürlich sehen wir die Schwie-
rigkeiten, die dadurch entstanden sind, dass die Gewerbe-
steuereinnahmen des vorigen Jahres zurückgegangen
sind. Ich sage noch einmal: Das hat nichts mit der Steuer-
reform zu tun, denn wir haben an der Gewerbesteuer über-
haupt nichts verändert. Das wissen Sie ganz genau.

Wir haben die Sätze bei der Einkommensteuer und der
Körperschaftsteuer gesenkt. Wir haben die Gewerbe-
steuer aber nicht angepackt, sondern sie in ihrem Bestand




Bernd Scheelen

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(C)



(D)



(A)



(B)


erhalten, aber auf der andere Seite für den Mittelstand so-
zusagen eliminiert. Es ist eine großartige Leistung, den
Mittelstand von der Gewerbesteuer in der Weise zu entlas-
ten, dass die gezahlte Gewerbesteuer mit der Einkom-
mensteuer zu verrechnen ist. Das geht im Wesentlichen
zulasten von Bund und Ländern, und zwar zu 85 Prozent.
Auch das ist ein besonders kommunalfreundlicher Zug
dieser Regierung.

Wir erkennen an, dass die Lage schwierig ist. Deswe-
gen haben wir im vorigen Jahr bereits reagiert. Sie wissen,
dass wir im Unternehmensteuerfortführungsgesetz Rege-
lungen bezüglich der Organschaften getroffen haben, um
Steuerverrechnungsmodelle auf Konzernebene zu er-
schweren, Mehrmütterorganschaften zu verbieten und Or-
ganschaften bei Versicherungen ebenfalls nicht zuzulas-
sen. In Verbindung mit weiteren Maßnahmen ergibt das
auf der Gewerbesteuerseite eine Mehreinnahme von
knapp 1 Milliarde Euro für dieses Jahr. Das ist die kurz-
fristige Maßnahme.

Die mittelfristige Maßnahme ist die Einsetzung einer
Kommission. Das ist wichtig und richtig. Diese Kommis-
sion ist die erste seit 30 Jahren. Die letzte gab es 1969 und
die Ergebnisse schlugen sich 1970 im Gesetzblatt nieder.
Immer dann, wenn Sozialdemokraten regieren, gibt es
Gemeindefinanzreformen. Wenn Sie von der Opposition
regiert haben, haben Sie sich um die Gemeindefinanzen
nie gekümmert.


(Beifall bei der SPD)

Deswegen sage ich Ihnen: Die Vertreter der Kommu-

nen wissen das zu schätzen. Das einzige, was sie fürchten,
ist eine Neuauflage von Schwarz-Gelb. Dazu wird es aber
nicht kommen, da die Signale bei der Konjunktur – Sie
wissen das – auf Grün stehen und sich das Wachstum be-
schleunigt. Heute hat das „Handelsblatt“ getitelt, der
Osten werde steil aus dem Konjunkturabschwung hervor-
gehen und das Wirtschaftswachstum werde sich bis Ende
des Jahres vermutlich auf einen Wert von knapp 3 Prozent
einpegeln.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Gesundbeten!)


Das sind die besten Voraussetzungen, um eine sinnvolle
Gemeindefinanzreform auf den Weg zu bringen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422707200
Als letzter
Redner in dieser Debatte spricht der Kollege Jochen-
Konrad Fromme für die Fraktion der CDU/CSU.


Jochen-Konrad Fromme (CDU):
Rede ID: ID1422707300
Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Ich freue mich über das
volle Haus und würde mich freuen, wenn Sie sich alle für
Kommunalfinanzen interessieren würden.

Herr Staatssekretär Körper – wenn Sie mir Ihr geneig-
tes Ohr leihen würden –, Sie haben gesagt, die Kommu-
nalpolitiker müssten belobigt werden. Da bin ich Ihrer

Meinung. Ich bin sogar der Meinung, sie müssten eine
Tapferkeitsmedaille bekommen; denn sie wurden als
Ratsmitglieder gewählt und betätigen sich als Konkurs-
verwalter.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Bundesregierung sagt in ihrer Antwort auf die

Große Anfrage, sie wolle einen effizienten und bürger-
freundlichen Staat und werde deswegen auch die kom-
munalen Handlungsspielräume und Entscheidungsberei-
che respektieren und stärken.


(Harald Friese [SPD]: Das ist sehr gut!)

Ich höre das wohl, allein mir fehlt der Glaube. Allein
wenn ich den Kollegen Scheelen höre, der ständig von
Mehreinnahmen spricht, obwohl die Einnahmen in Wahr-
heit immer niedriger werden, dann macht das deutlich,
dass Sie ein völlig anderes Bild von der Realität haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

In Ihrer Antwort sagen Sie, insgesamt habe sich die Fi-

nanzsituation der Kommunen in den letzten Jahren er-
freulich entwickelt und die Finanzierungsdefizite seien
geringer geworden. Das ist aber nur möglich geworden
durch den Verkauf von Tafelsilber. Es geht doch um die
Tatsache, dass die laufenden Einnahmen die laufenden
Ausgaben nicht mehr decken. Darin liegt das Problem.
Bei allem anderen handelt es sich um eine Statistik, die
gar nichts aussagt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wie erfreulich die kommunale Finanzsituation ist,

möchte ich anhand eines Zitats deutlich machen. Ich führe
nicht Ihren Präsidenten des Deutschen Städtetags, Hajo
Hoffmann, an, der sein Amt derzeit ruhen lassen muss,
sondern die Äußerung des Oberbürgermeisters von Salz-
gitter, Knebel, SPD, die Städte und Gemeinden seien in
der vertrackten Lage, dass Bund und Länder ihre Haus-
halte sanieren, und dies zu einem erheblichen Teil auf
Kosten der Kommunen. Dem ist eigentlich nichts hinzu-
zufügen.

Die Lage der kommunalen Finanzen ist dramatisch.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Es geht nicht nur um ein Thema für Kommunalpolitiker
oder Bürgermeister und Ratsmitglieder, sondern um ein
Thema für die Wirtschaft. Denn wenn die Kommunen als
größter öffentlicher Nachfrager ausfallen, muss man sich
nicht darüber wundern, dass die Bauwirtschaft riesen-
große Probleme hat. Der Fall Holzmann spricht Bände. Es
geht nicht darum, dass ich nicht mit den Mitarbeitern mit-
fühle, aber Sie haben der Bauwirtschaft die Grundlage
entzogen, meine Damen und Herren. Deswegen sind die
Arbeitsplätze gefährdet.

Ein Blick auf die Finanzsituation zeigt, dass die Ver-
waltungshaushalte 1991 182 Milliarden DM, 1995
229 Milliarden DM und im Jahr 2000 189 Milliarden DM
betrugen. Bei den Einnahmen liegen wir also auf dem
Stand von 1990 und bei den Ausgaben – dank Ökosteuer
und allem, was dazugehört – auf dem gestiegenen Kos-
tenniveau. Das ist die wahre Lage. Die Kassenkredite ma-




Bernd Scheelen
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(C)



(D)



(A)



(B)


chen das deutlich. Wenn laufende Ausgaben, Zinsen, So-
zialhilfe und Personalkosten mit Krediten bestritten wer-
den, ist das der dramatische Ausdruck der Finanzsituation
der Gemeinden.

In den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Nie-
dersachsen, in denen die SPD schon lange an der Regie-
rung ist, ist die Lage besonders dramatisch. Obwohl die
Niedersachsen nur 10 Prozent des Haushaltsvolumens
aufweisen, haben sie 20 Prozent aller Kassenkredite. Der
Bundeskanzler hat schon einmal bewiesen, was er von
den Kommunen hält. Was er in Niedersachsen siebenein-
halb Jahre lang angerichtet hat, setzt er im Bund durch
Eingriffe in die kommunalen Haushalte nahtlos fort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das kommunale Investitionsvolumen liegt weit unter

dem Niveau von 1991. Das macht deutlich, wo die Pro-
bleme liegen. Die Ursachen liegen unter anderem in der
Konjunktur. In der Konjunktur hat diese Bundesregierung
besondere Impulse gegeben. Sie hat dafür gesorgt, dass
wir in Europa nicht mehr die Lokomotive sind, sondern
zum Träger der roten Laterne geworden sind. Das ist doch
das Problem.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen und Widerspruch bei der SPD)


– Mein lieber Bernd Brinkmann, sei ganz vorsichtig mit
deinen Ausdrücken! – 4,3 Millionen Arbeitslose sprechen
doch Bände.


(Susanne Kastner [SPD]: Wie viel hatten Sie denn?)


Dazu kommt, dass immer mehr soziale Grundlasten
auf die Kommunen konzentriert wurden, ohne dafür einen
finanziellen Ausgleich zu schaffen.

Dem Bund geht es bei allen finanzpolitischen Maß-
nahmen auch um die Belange der Kommunen.

Das ist ein Zitat aus Ihrer Antwort auf die Große Anfrage.
Die Praxis ist doch eine andere. Ich nenne nur die neuen
Risiken in Verbindung mit den Integrationskosten im Zu-
sammenhang mit der Zuwanderung, die Folgen von
PISA, die Zusammenlegung der Sozialhilfe mit der Ar-
beitslosenhilfe usw.

Ich zitiere Folgendes:
Das Finanzsystem zwingt Kommunen, denen auf-
grund bundespolitischer Entscheidungen Einnahmen
fehlen oder Ausgaben aufgetragen werden, sich an
die jeweilige Landesregierung zu wenden. Die Bun-
desregierung macht es sich allerdings zu leicht, wenn
sie die Finanznöte der Städte und Gemeinden mit ei-
nem Hinweis auf die Finanzverantwortung der Län-
der abtut. Für einen Teil der Kommunalhaushalte,
vor allem die Jugend- und Sozialhilfe, ist das Ausga-
benvolumen bundesrechtlich vorgegeben. Zu Recht
fordern für solche Fälle die kommunalen Spitzenver-
bände, dass der Bund nach dem Prinzip der Konne-
xität zwischen Aufgabenübertragung und Finanzver-
antwortung die kommunalen Zweckausgaben trägt,
soweit die kommunalen Verwaltungen kein nennens-
wertes Ausführungsermessen haben.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422707400
Liebe Kol-
leginnen und Kollegen, eine gewisse Unruhe ist ange-
sichts der bevorstehenden Wahl verständlich, aber im Mo-
ment ist der Geräuschpegel so hoch, dass er für den
Redner und diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die
zuhören wollen, nicht mehr erträglich ist. Ich muss darum
bitten, dass die Kolleginnen und Kollegen insbesondere in
den hinteren Reihen die Plätze einnehmen.


Jochen-Konrad Fromme (CDU):
Rede ID: ID1422707500
Meine Da-
men und Herren, ich fahre fort.

Mehr noch: Das durch die Finanzkrise angespannte
Verhältnis zwischen den Kommunen und den Län-
dern kann nur durch eine Gemeindefinanzreform
verbessert werden, die das Verhältnis von Aufgaben
und Finanzausstattung wieder in Übereinstimmung
bringt.

Das ist ein Originalzitat von Gerhard Schröder aus dem
Jahr 1995. Wo er Recht hat, hat er Recht. Das gilt auch für
seine Äußerung: Bei 4,3 Millionen Arbeitslosen haben
wir es nicht verdient, wiedergewählt zu werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Da Sie von den UMTS-Mitteln gesprochen haben,

weise ich darauf hin, dass die Ministerpräsidentin
Simonis, die bekanntlich nicht der CDU angehört, deutlich
gemacht hat, dass Abschreibungen in Höhe von 18 Milli-
arden Euro in den kommunalen Kassen landen. Das ist
Ihre Strategie: Sie verbuchen Einnahmen beim Bund und
lassen sich für die Sanierung des Haushalts feiern. Be-
zahlen müssen das die Kommunen zum Beispiel an dieser
Stelle und zum Beispiel beim Kindergeld; dort müssen die
Kommunen und Länder gegen die Bestimmungen des
Grundgesetzes jedes Jahr 1,6 Milliarden tragen. Genau
dieses Geld fehlt den Kommunen für Investitionen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Kollege Scheelen, da Sie sagten, Sie hätten bei der

Unternehmensteuerreform die Kommunen geschont,
verweise ich Sie auf Ziffer 30 der Antwort der Bundesre-
gierung. Sie haben zu Recht von einem kommunalen An-
teil an den Steuererleichterungen von 12,1 Prozent ge-
sprochen. Laut Antwort der Bundesregierung beträgt der
Anteil der Kommunen in den Jahren 2001 bis 2006 aber
18,7 Prozent, 10,1 Prozent, 15,2 Prozent, 15,5 Prozent,
19,6 Prozent und 19,3 Prozent. So sieht die Wirklichkeit
bei Ihnen aus. Sie machen vor einem Teil des deutschen
Finanzsystems einfach die Augen zu und nehmen nur die
Zahlen, die Ihnen passen. Sie machen es wie bei der Bun-
desanstalt für Arbeit: Sie fertigen eine Statistik aus Ihrer
Sicht an und halten sie für die Realität.


(Harald Friese [SPD]: Herr Jagoda ist doch CDU-Mitglied oder?)


Ihre eigenen Bürgermeister sagen Ihnen an jedem Tag das
Gegenteil.

Zu Ihrem Argument, Sie beteiligten die Kommunen
laut der gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundes-
ministerien an den Anhörungen, stellt sich natürlich
die Frage, warum Sie immer mehr Fraktionsentwürfe
einbringen, für die dieses Anhörungsverfahren nicht gilt,




Jochen-Konrad Fromme

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(C)



(D)



(A)



(B)


sodass die kommunalen Spitzenverbände in den Tages-
zeitungen lesen müssen, was Ihre Politik ist.

Meine Damen und Herren, angesichts dieses Bildes
kann ich nur feststellen: Eine kommunalfeindlichere Po-
litik als die der letzten drei Jahre hat es in der Bundesre-
publik Deutschland noch nicht gegeben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Harald Friese [SPD]: Wo leben Sie denn, Herr Fromme?)


Wenn Sie dann mit dem Wort Gemeindefinanzreform wie
mit einer Wundertüte durchs Land ziehen, dann frage ich
Sie erstens, warum Sie sich damit drei Jahre Zeit gelassen
haben,


(Harald Friese [SPD]: Sie haben 16 Jahre Zeit gehabt, Herr Fromme!)


und zweitens, ob Sie tatsächlich glauben, dass sich das
Geld aufgrund einer Gemeindefinanzreform vermehrt.
Sie sagen doch in Ihrer Antwort selbst, dass es für Mehr-
einnahmen der Kommunen keinen Spielraum gibt. Des-
wegen sollten Sie nicht so tun, als könnte mit dieser Wun-
dertüte der Wahlkampf bestritten werden.

Für die Kommunen wird es keine Mark mehr geben und
deswegen sind die Kommunen bei Ihnen schlecht aufge-
hoben. Jeder Bürger und jeder Ratsherr, der für sich selbst
und für seine Gemeinde etwas Gutes tun will, wird am
22. September für die Ablösung dieser Regierung sorgen,
damit endlich wieder geordnete Verhältnisse eintreten.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422707600
Ich schließe
die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der PDS, Drucksache 14/8618.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist
mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS
abgelehnt.

Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b
auf:

a) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der
CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN, der FDP und der PDS
Einsetzung des Bundesschuldengremiums
gemäß § 4 a des Bundeswertpapierverwal-
tungsgesetzes
– Drucksache 14/8588 –

b) Wahl der Mitglieder des Bundesschuldengre-
miums gemäß § 4 a des Bundeswertpapierver-
waltungsgesetzes
– Drucksache 14/8587 –

Wir kommen sofort zur Abstimmung über den ge-
meinsamen Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/

CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen, der FDP und der
PDS auf Drucksache 14/8588 (neu). Wer stimmt da-
für? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der An-
trag ist einstimmig angenommen. Damit ist das Gremium
gemäß § 4 a des Bundeswertpapierverwaltungsgesetzes
mit der Bezeichung „Gremium zu Fragen der Kreditfi-
nanzierung des Bundes“ eingesetzt und die Mitglieder-
zahl auf fünf festgelegt.

Bevor wir zur Wahl der Mitglieder des soeben einge-
setzten Gremiums kommen, bitte ich Sie um Ihre Auf-
merksamkeit für einige Hinweise zum Wahlverfahren.
Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglie-
der des Bundestages auf sich vereint, das heißt, wer min-
destens 334 Stimmen erhält.

Die blauen Stimmkarte wurden im Saal verteilt. Soll-
ten Sie noch keine Stimmkarte haben, besteht jetzt noch
die Möglichkeit, diese von den Plenarassistenten zu er-
halten.

Sie können auf Ihrer Stimmkarte bis zu fünf Namens-
vorschläge ankreuzen. Ungültig sind Stimmkarten, die
andere Namen oder Zusätze enthalten. Wer sich der
Stimme enthalten will, macht keine Eintragung. Die
Wahlen finden offen statt. Sie können die Stimmkarten
also an Ihrem Platz ausfüllen.

An der Wahlurne benötigen Sie außerdem Ihren
weißen Wahlausweis, den Sie den Schriftführerinnen und
Schriftführern übergeben, bevor Sie die Stimmkarte in
eine der Wahlurnen werfen. Die Abgabe des Wahlauswei-
ses dient als Nachweis zur Teilnahme an der Wahl.

Haben die Schriftführerinnen und Schriftführer die
vorgesehenen Plätze eingenommen? – Das ist der Fall. Ich
eröffne die Abstimmung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstim-
mung wird Ihnen später bekannt gegeben.

Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 30 a bis
30 i sowie die Zusatzpunkte1 a und 1 b auf – es handelt
sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne
Debatte –:
30. a)Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD

und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Zahlbar-
machung von Renten aus Beschäftigungen in
einem Getto und zur Änderung des Sechsten
Buches Sozialgesetzbuch
– Drucksache 14/8583 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-




Jochen-Konrad Fromme
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(C)



(D)



(A)



(B)


brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Absatzfondsgesetzes
– Drucksache 14/8585 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Mutterschutzrechts
– Drucksache 14/8525 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Gesundheit

d) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Gesundheitsstrukturgesetzes
– Drucksache 14/7462 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung

e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Energie-
statistiken (Energiestatistikgesetz – EnStatG)

– Drucksache 14/8388 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durch-
führung der Rechtsakte der Europäischen Gemein-
schaft über gemeinschaftliche Informations- und
Absatzförderungsmaßnahmen für Agrarerzeug-

(Agrarabsatzförderungsdurchführungsgesetz – AgrarAbsFDG)

– Drucksache 14/8526 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft

g) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Christine Ostrowski, Maritta Böttcher, Dr. Ruth
Fuchs, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der PDS eingebrachten Entwurfs eines Dritten Ge-
setzes zur Änderung des Altschuldenhilfe-Geset-

(Drittes Altschuldenhilfeänderungsgesetz – 3. AHÄndG)

– Drucksache 14/8078 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

h) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Bewachungsgewerberechts
– Drucksache 14/8386 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss

i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ina
Albowitz, Dr. Günter Rexrodt, Hans-Joachim Otto

(Frankfurt), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion der FDP
Stasi-Untersuchungshaftanstalt Hohenschön-
hausen als Gedenkstätte erhalten und aus-
bauen
– Drucksache 14/7110 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Haushaltsausschuss

ZP1a) Erste Beratung des von der Fraktion der PDS ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Zahlbar-
machung von Renten aus Beschäftigungen in
einem Getto und zur Änderung des Sechsten
Buches Sozialgesetzbuch
– Drucksache 14/8602 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Annette
Faße, Reinhard Weis (Stendal), Hermann
Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD sowie der Abgeordneten Albert
Schmidt (Hitzhofen), Helmut Wilhelm (Amberg),
Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Für einen sanften Ausbau der Donau zwischen
Straubing und Vilshofen
– Drucksache 14/8589 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie mit den Überweisungsvorschlägen
einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Über-
weisungen so beschlossen.




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

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(C)



(D)



(A)



(B)


Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a und 31 b sowie
31 d bis 31 k und die Zusatzpunkte 2 a bis 2 f auf. Es han-
delt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen
keine Aussprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 31 a:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Über-
tragung von Rechtspflegeraufgaben auf den
Urkundsbeamten der Geschäftsstelle
– Drucksache 14/6457 –

(Erste Beratung 190. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/8628 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Alfred Hartenbach
Ronald Pofalla
Volker Beck (Köln)

Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler

Wer dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu-
stimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Wir nehmen zu Pro-
tokoll, dass der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit
den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und
CDU/CSU bei Enthaltung der PDS und Gegenstimmen
der FDP angenommen ist.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit der gleichen Mehrheit wie in der zweiten Beratung
angenommen.

Tagesordnungspunkt 31 b:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 25. Fe-
bruar 1991 über die Umweltverträglichkeitsprü-
fung im grenzüberschreitenden Rahmen sowie zu
der auf der zweiten Konferenz der Parteien in So-
fia am 27. Februar 2001 beschlossenen Änderung
des Übereinkommens (Espoo-Vertragsgesetz)

– Drucksache 14/8218 –

(Erste Beratung 221. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (16. Ausschuss)

– Drucksache 14/8578 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Petra Bierwirth
Marie-Luise Dött
Winfried Hermann
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit empfiehlt auf Drucksache 14/8578, den Ge-
setzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 31 d:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler,
Roland Claus, Sabine Jünger, Dr. Gregor Gysi und
der Fraktion der PDS
Änderung der Pfändungsfreigrenzen
– Drucksachen 14/1627, 14/8302 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Margot von Renesse
Volker Kauder
Volker Beck (Köln)

Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler

Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/1627 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 31 e:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu der Verordnung der Bun-
desregierung
Einhundervierundvierzigste Verordnung zur
Änderung der Einfuhrliste – Anlage zum
Außenwirtschaftsgesetz –
– Drucksachen 14/7981, 14/8086 Nr. 2.2, 14/8408 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann

Der Ausschuss empfiehlt, die Aufhebung der Verord-
nung auf Drucksache 14/7981 nicht zu verlangen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Auch diese Beschlussempfehlung ist ein-
stimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 31 f:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Ver-
ordnung der Bundesregierung
Verordnung zur Änderung abfallrechtlicher
Nachweisbestimmungen
– Drucksachen 14/8461, 14/8555 Nr. 2.1, 14/8622 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Rainer Brinkmann (Detmold)

Georg Girisch
Michaele Hustedt
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
22492


(C)



(D)



(A)



(B)


Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung auf Druck-
sache 14/8461 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung
der PDS mit den Stimmen des Hauses angenommen.

Tagesordnungspunkt 31 g:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Ver-
ordnung der Bundesregierung
Verordnung zur Änderung abfallrechtlicher
Bestimmungen zurAltölentsorgung
– Drucksachen 14/8462, 14/8555 Nr. 2.2, 14/8626 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Rainer Brinkmann (Detmold)

Georg Girisch
Michaele Hustedt
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung auf Druck-
sache 14/8462 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Diese Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen
der FDP mit den Stimmen des Hauses angenommen.

Tagesordnungspunkt 31 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 367 zu Petitionen
– Drucksache 14/8532 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 367 ist einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 31 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 368 zu Petitionen
– Drucksache 14/8533 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 368 ist ebenfalls einstim-
mig angenommen.

Tagesordnungspunkt 31 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 369 zu Petitionen
– Drucksache 14/8534 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 369 ist mit den Stimmen
von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU gegen
die Stimmen von FDP und PDS angenommen.

Tagesordnungspunkt 31 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 370 zu Petitionen
– Drucksache 14/8535 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Diese Sammelübersicht ist mit den Stimmen
von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.

Zusatzpunkt 2 a:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 372 zu Petitionen
– Drucksache 14/8605 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist einstimmig angenom-
men.

Zusatzpunkt 2 b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 373 zu Petitionen
– Drucksache 14/8606 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist einstimmig angenom-
men.

Zusatzpunkt 2 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 374 zu Petitionen
– Drucksache 14/8607 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Diese Sammelübersicht ist mit den Stimmen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen
von CDU/CSU, FDP und PDS angenommen.

Zusatzpunkt 2 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 375 zu Petitionen
– Drucksache 14/8608 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Diese Sammelübersicht ist mit den Stimmen
von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.

Zusatzpunkt 2 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 376 zu Petitionen
– Drucksache 14/8609 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Diese Sammelübersicht ist mit den Stimmen
des Hauses gegen die Stimmen der CDU/CSU angenom-
men.

Zusatzpunkt 2 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)





Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

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(C)



(D)



(A)



(B)


Sammelübersicht 377 zu Petitionen
– Drucksache 14/8610 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Diese Sammelübersicht ist gegen die Stimmen
der PDS mit den Stimmen des Hauses angenommen.

Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten

(Salzgitter)

sowie den Abgeordneten Gerald Häfner, Cem
Özdemir, Irmingard Schewe-Gerigk, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Einführung von Volksinitia-
tive, Volksbegehren und Volksentscheid in das
Grundgesetz
– Drucksache 14/8503 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
ordnung
Rechtsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Das
Haus ist damit einverstanden.

Dann kann ich die Aussprache eröffnen und gebe
zunächst für die SPD-Fraktion dem Kollegen Hermann
Bachmaier das Wort.


Hermann Bachmaier (SPD):
Rede ID: ID1422707700
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Nach mehr als 50 Jahren Grund-
gesetz können wir feststellen, dass sich unsere Verfassung
bewährt hat und dass sie im Bewusstsein der Menschen
fest verankert ist. Dies ist wichtig für die Legitimation ei-
ner Verfassung.

Das gilt im Besonderen auch für die Ausgestaltung der
parlamentarischen Demokratie und die weit reichenden
Kompetenzen, die dem Parlament als Dreh- und Angel-
punkt unseres Verfassungslebens zukommen. Es war rich-
tig, dass sich die verantwortlichen Frauen und Männer des
Parlamentarischen Rates im Jahre 1949 für diese konse-
quente Form der parlamentarischen Demokratie entschie-
den haben. Das Grundgesetz hat auch einen entscheiden-
den Anteil an der gewachsenen inneren Stabilität unseres
Landes.

Meine Damen und Herren, zwar spricht Art. 20 des
Grundgesetzes davon, dass die vom Volk ausgehende
Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt
werde. Jedoch gibt das Grundgesetz praktisch keinen
Raum für eine unmittelbare Mitwirkung des Souveräns
bei Sachentscheidungen. De facto beschränkt sich die
Mitwirkung des Volkes auf Wahlen. In den Landesver-
fassungen und Gemeindeordnungen wurden jedoch mitt-
lerweile in der gesamten Bundesrepublik vielfältige
Möglichkeiten geschaffen, Bürgerinnen und Bürger un-
mittelbar an Sachentscheidungen zu beteiligen. Die Er-
fahrungen zeigen, dass von diesen Rechten sinnvoll Ge-
brauch gemacht wird. Die Erfahrungen zeigen auch, dass

diese Rechte in erheblichem Umfang zur Belebung und
Verankerung der Demokratie auf Landes- und Kommu-
nalebene beigetragen haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In manchen Ländern, wie zum Beispiel in Bayern, sind
die recht breit ausgestalteten unmittelbaren Mitwirkungs-
möglichkeiten aus dem staatlichen Leben schon gar nicht
mehr wegzudenken. Kein CSU-Ministerpräsident würde
es wagen, Hand an die dortigen unmittelbaren Mitwir-
kungsmöglichkeiten zu legen.


(Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Man weiß nicht, was der wagt!)


Wir Sozialdemokraten sind deshalb schon lange der
Überzeugung, dass die Instrumente der direkten Demo-
kratie, die sich auf Landesebene hervorragend bewährt
haben, endlich auch auf Bundesebene ihren angemesse-
nen Platz bekommen müssen. Die Ängste, die die Väter
und Mütter des Grundgesetzes nach der Naziherrschaft
bewogen haben, von Volksentscheiden eher abzusehen,
haben heute ihre Berechtigung verloren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mehr als 50 Jahre gefestigte Demokratie in der Bun-
desrepublik haben deutlich gezeigt: Die Menschen in un-
serem Land sind in ihrer übergroßen Mehrheit davor ge-
feit, radikalen Verführern auf den Leim zu gehen. Heute
droht eher eine andere Gefahr: Immer mehr Menschen
sind politikmüde. Die Bereitschaft zur demokratischen
Mitwirkung sinkt. Wir leisten dieser Entwicklung Vor-
schub, wenn wir die Ausübung der Staatsgewalt durch das
Volk ausschließlich auf alle vier Jahre stattfindende Par-
lamentswahlen beschränken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die nachlassende Wahlbeteiligung sollte für uns ein
Alarmsignal sein. Die Menschen möchten stärker und un-
mittelbarer, auch auf Bundesebene, in Entscheidungen
einbezogen werden. Mündige Bürgerinnen und Bürger
wollen eben nicht nur wählen, sondern hin und wieder
auch direkt an Entscheidungen mitwirken. Die Sorge,
dass die parlamentarischen Strukturen dadurch gefährdet
oder gar ausgezehrt würden, ist nicht berechtigt. Wir ge-
hen davon aus, dass die von uns ins Auge gefasste unmit-
telbare Bürgerbeteiligung durch Volksinitiativen, Volks-
begehren und Volksentscheide eine belebende Wirkung
auch auf die parlamentarischen Entscheidungsprozesse
haben wird,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

und zwar nicht nur dann, wenn von den Instrumenten der
Bürgerbeteiligung tatsächlich auch Gebrauch gemacht
wird.

Es war und ist unser erklärtes Ziel, das parlamentari-
sche Entscheidungssystem sinnvoll zu ergänzen. Keines-
falls möchten wir das Parlament als den zentralen Ort de-
mokratisch legitimierter Entscheidungen schwächen.
Nicht umsonst haben wir alle drei in die Verfassung ein-




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
22494


(C)



(D)



(A)



(B)


zufügenden Instrumente unmittelbarer Bürgermitwirkung
äußerst eng mit dem Parlament verzahnt.

Wir wollen keinen Paradigmenwechsel herbeiführen.
Auch im parlamentarischen System sind unmittelbare
Mitwirkungsbefugnisse eine gute und sinnvolle Ergän-
zung. Wir wollen bei den direkten Beteiligungsrechten in
der Sache zu einem Fortschritt kommen, und zwar mit
Ihnen. Sehr geehrte Damen und Herren von der
CDU/CSU-Fraktion, wir wissen, dass es auch in Ihren
Reihen nicht wenige Politikerinnen und Politiker gibt,
die diesem Anliegen aufgeschlossen gegenüberstehen.
Äußerungen des bayerischen Innenministers Günther
Beckstein, des stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzen-
den und Vorsitzenden der nordrhein-westfälischen CDU
Jürgen Rüttgers und des saarländischen Ministerpräsiden-
ten Peter Müller, um nur einige zu nennen, belegen dies.

Wir wissen, dass es ohne eine breite Unterstützung des
Parlaments keine Grundgesetzänderung geben kann. Zur
Durchsetzung unseres Anliegens brauchen wir eine Zwei-
drittelmehrheit. Auch deshalb laden wir Sie schon jetzt
ausdrücklich zu Gesprächen ein. Wir suchen den für eine
Verfassungsänderung notwendigenKonsens. Ich hoffe,
dass dabei die im April durchzuführende Sachverständi-
genanhörung im Innenausschuss, die in dieser Woche be-
reits einvernehmlich beschlossen wurde, hilfreich sein
wird.

Das hin und wieder zu hörende Argument, für die Be-
ratungen stünde nicht mehr genügend Zeit zur Verfügung,
ist nicht zutreffend. Zum einen befassen wir uns mit den
aufgeworfenen Fragen nicht zum ersten Mal, zum ande-
ren haben wir bis zu den abschließenden Beratungen noch
fast drei Monate Zeit. Diese Zeit reicht unseres Erachtens
aus, wenn wir den notwendigen Willen zur Verständigung
aufbringen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Max Stadler [FDP]: Sie haben intern drei Jahre gebraucht!)


–Wir haben keine drei Jahre gebraucht, sondern den rich-
tigen, günstigen und für Sie zumutbaren Zeitpunkt ge-
sucht,


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


damit wir einen Konsens finden. Herr Stadler, das war un-
ser Anliegen, sonst nichts. Wie können Sie uns ein ande-
res Motiv unterstellen? Das finde ich geradezu abwegig.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Hermann, der Ausredenerfinder!)


Im Übrigen wäre es durchaus auch an Ihnen gewesen, ei-
nen Gesetzentwurf einzubringen. Sie sind doch sonst auch
nicht zaghaft, wenn Sie Ihren Anliegen durch Gesetzes-
vorstöße mehr Nachdruck verleihen wollen. Sie wissen,
dass wir dafür offen gewesen wären.

Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zu den in
unserem Gesetzentwurf vorgeschlagenen Regelungen

machen: Erster Schritt der unmittelbaren Bürgerbeteili-
gung soll die Volksinitiative sein. 400 000 Stimmberech-
tigte sollen das Recht haben, im Bundestag einen Gesetz-
entwurf einzubringen und mit ihrem Anliegen gehört zu
werden.

Hat das Parlament den eingebrachten Gesetzentwurf
nicht innerhalb von acht Monaten verabschiedet, kann ein
Volksbegehren eingeleitet werden. Dem Volksbegehren
müssen dann innerhalb von weiteren sechs Monaten
5 Prozent der Stimmberechtigten, das heißt ungefähr
3 Millionen Wahlberechtigte, zustimmen.

Ist das Volksbegehren erfolgreich, findet ein Volksent-
scheid statt, an dem sich nach unseren bisherigen Vorstel-
lungen mindestens 20 Prozent der Stimmberechtigten bei
einfachen Gesetzen und mindestens 40 Prozent der
Stimmberechtigten bei Verfassungsänderungen beteiligen
müssen.

Während bei einfachen Gesetzen die Mehrheit der ab-
gegebenen Stimmen ausreichen soll, ist bei Verfassungs-
änderungen selbstverständlich eine Zweidrittelmehrheit
erforderlich. Eine Mehrheit muss auch in so vielen Bun-
desländern erreicht werden, dass dies einer Zweidrittel-
mehrheit im Bundesrat entspricht.

Wir haben Quoren vorgesehen, denn wir möchten
nicht – dies betone ich ausdrücklich –, dass Volksbegeh-
ren und Volksentscheide zu einer Spielwiese von Minder-
heiten werden.

Wir haben uns, wie Sie im Gesetzentwurf sehen, auch
auf einen Ausnahmekatalog verständigt. Das Haushalts-
gesetz selbst, die Abgabengesetze, die Dienst- und Ver-
sorgungsbezüge, das Besoldungsrecht, die Rechtsverhält-
nisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages und die
Wiedereinführung der Todesstrafe sollen nach unseren
Vorstellungen nicht Gegenstand einer Volksinitiative sein
können. Selbstverständlich gilt auch für plebiszitäre Ent-
scheidungen Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes,wonach
die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche
Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung und die in
den Art. 1 und 20 niedergelegten Grundsätze nicht geän-
dert werden dürfen.

Vor der Durchführung eines Volksbegehrens ist nach
unserem Gesetzentwurf eine Überprüfung durch das
Bundesverfassungsgericht möglich, sodass gegebenen-
falls verfassungswidrige Vorlagen schon frühzeitig ver-
mieden werden können. Wenn eine Entscheidung unmit-
telbar durch das Volk getroffen werden soll, ist es
sinnvoll, bei strittigen verfassungsrechtlichen Fragen eine
Vorprüfung durchzuführen. Dies hatten wir auch in unse-
rem letzten Entwurf aus dem Jahre 1993/94 schon so vor-
gesehen.

Gegen Volksbegehren und Volksentscheide wird im-
mer wieder vorgebracht, dass sie emotions- und ressenti-
mentgeladenen Entscheidungen bei entsprechender popu-
listischer Begleitmusik Vorschub leisten könnten. Das ist
bei dem von uns vorgesehenen Instrumentarium und der
vorgegebenen zeitlichen Abfolge kaum zu befürchten.
Zwischen Volksinitiative und Volksentscheid vergehen
gut und gerne zwei Jahre. Schon dadurch werden irgend-
welche Stimmungs- oder Hauruckentscheidungen nicht




Hermann Bachmaier

22495


(C)



(D)



(A)



(B)


möglich sein. Daneben wird die Einschaltung des Parla-
ments und des Bundesverfassungsgerichts zu einer zu-
sätzlichen sachbezogenen Diskussion beitragen.

Schon allein die Tatsache, dass Plebiszite lediglich
über Gesetzentwürfe durchzuführen sind, trägt zu einer
Rationalisierung der Diskussion bei. Auch die hin und
wieder zu hörende Befürchtung, Volksentscheide könnten
zulasten von Minderheiten gehen, halte ich nicht für be-
rechtigt. Zum einen haben wir in unserer Verfassung und
auch in unserem Gesetzentwurf hinreichende Sicherun-
gen gegen eine derartige Fehlentwicklung vorgesehen.
Zum anderen glaube ich, dass die grundrechtlichen Frei-
heiten und auch der Schutz von Minderheiten mittlerweile
zu einem festen Bestandteil unserer politischen Kultur ge-
worden sind.


(Beifall des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dagegen lassen sich im Rahmen der von uns vorgesehe-
nen Instrumentarien sicherlich keine Mehrheiten finden.

Lassen Sie mich zusammenfassen: Plebiszite und Ent-
scheidungen durch das Parlament sind keine Gegensätze.
Sie ergänzen und befruchten sich wechselseitig. Für die
immer wieder geäußerten Befürchtungen, Volksinitiative,
Volksbegehren und Volksentscheide würden zu einer
Emotionalisierung der Politik beitragen, gibt es nach
50 Jahren gelebtem Grundgesetz keine Anhaltspunkte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Norbert Geis [CDU/CSU]: Das sehen wir anders!)


– Sie misstrauen dem Volk; das ist kennzeichnend, Herr
Geis.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Nein, überhaupt nicht! Wir misstrauen Ihnen!)


Auf diesen Aufschrei habe ich fast die ganze Zeit gewar-
tet. Jetzt gehen Sie doch einmal in sich und beraten Sie
sich mit uns.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wenn ich in mich gehe, treffe ich Sie ganz bestimmt nicht, Herr Kollege!)


Ich bin mir sicher, dass wir einen vernünftigen Kompro-
miss für ein Anliegen finden werden, das im Übrigen in
Ihrem Heimatland Bayern schon Verfassungstradition
hat. Ich weiß also nicht, warum das, was für Bayern gut
ist, dem Bund abträglich sein soll. Für diese Auffassung
habe ich kein Verständnis.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist eben der Unterschied, dass Sie es nicht wissen und ich es weiß!)


Ich möchte wiederholen: Plebiszite und Entschei-
dungen durch das Parlament sind keine Gegensätze. Sie
ergänzen und befruchten sich wechselseitig. Herr Geis,
das musste ich Ihnen noch einmal sagen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Auch durch Wiederholung wird es nicht besser!)


Für die immer wieder geäußerten Befürchtungen hin-
sichtlich der Emotionalisierung gibt es keinerlei Anhalts-
punkte. Wir meinen, dass eher das Gegenteil richtig ist.
Menschen, die mit ihren Anliegen ernst genommen und
beteiligt werden, gehen mit ihrer Verantwortung in aller
Regel sehr behutsam um.

In unserem Lande ist die Zeit reif, dem gewachsenen
demokratischen Bewusstsein durch mehr Bürgerbetei-
ligung auch auf Bundesebene Rechnung zu tragen. Angst
vor dem Volk ist der schlechteste Ratgeber für Demo-
kraten bzw. in einer Demokratie.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Angela Marquardt [PDS])


Uns muss nicht bange sein, auch nicht vor ein bisschen
frischer Luft durch mehr Bürgerbeteiligung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS – Norbert Geis [CDU/CSU]: Ich hätte Ihnen eine tiefere Einsicht in unsere Verfassung gewünscht!)


Etwas mehr Demokratie kann unser Land wahrlich ver-
tragen. Wir laden Sie ein, an dem Projekt einer behut-
samen Öffnung hin zu mehr Bürgerbeteiligung in unserer
Verfassung mitzuwirken und mit uns die entsprechenden
konstruktiven Gespräche zu führen. Wir sind, wie gesagt,
offen dafür und erwarten von Ihnen eine konstruktive Be-
gleitung des Gesetzgebungsverfahrens. Ich habe schon
häufig aus Ihren Reihen gehört, dass dies eigentlich kein
schlechter Weg in einer gewachsenen Demokratie sei.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie haben nicht die richtigen Leute gehört!)


Lassen Sie den Worten Taten folgen!
Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422707800
Ich gebe
dem Kollegen Professor Dr. Rupert Scholz für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.


(Zuruf von der CDU/CSU: Dem Vorsitzenden des Rechtsausschusses!)


– Dem Präsidenten von Hertha BSC.

(Zuruf: Aufsichtsratsvorsitzender, Herr Präsident!)


Dr. Rupert Scholz (CDU/CSU) (von der CDU/CSU
mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Es ist schon ein verblüffender
Tatbestand, dass Sie sechs Monate vor der Bundes-
tagswahl mit einer solchen Initiative kommen, die unsere
gewachsenen Demokratiestrukturen in fundamentaler
Weise berührt und die sich durch eine Unschlüssigkeit
auszeichnet, die angesichts der Wichtigkeit dieses The-




Hermann Bachmaier
22496


(C)



(D)



(A)



(B)


mas – es geht schließlich um unsere Demokratie – kaum
nachzuvollziehen ist. Ich will das im Einzelnen erläutern.

Es ist im Grunde ein populistisches Vorhaben, das Sie
hier ankündigen. Herr Bachmaier, wenn man Ihnen zuhört
– Sie sprechen von Misstrauen und Angst vor dem Volk –,
dann hat man das Gefühl, dass Sie Angst und Misstrauen
schon bei der Erstellung Ihres Gesetzentwurfes gehabt
haben. Angesichts der Tatsache, dass von einem Volks-
entscheid zum Beispiel die Rechtsverhältnisse der Abge-
ordneten, die Regelungen hinsichtlich der Beamten- und
Versorgungsbezüge und die Abgabengesetze ausgeschlos-
sen sein sollen, frage ich: Warum? Entweder Sie haben
das Vertrauen oder Sie haben es nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Gerald Häfner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verstehe ich Sie richtig, dass Sie noch weiter gehen wollen, was die Volksentscheide betrifft? Das freut uns!)


– Sie werden noch erfahren, was ich im Einzelnen meine.
Wer für Plebiszite eintritt, der pflegt – das hat auch der

Kollege Bachmaier getan – von mehr Bürgerbeteiligung,
mehr Partizipation und mehr „wirklicher Demokratie“
zu sprechen. Demokratie basiert natürlich in entschei-
dender Weise auf der politischen Partizipation der
Bürger, die sie zu realisieren hat. Aber politische Par-
tizipation bedingt in einer Demokratie vor allen Dingen
Gleichheit. Gleichheit ist die Grundidee der Demokratie
und sie mündet in das Mehrheitsprinzip ein. Politische
Partizipation basiert also auf der demokratischen Gleich-
heit aller Staatsbürger, was im Ergebnis aber auch die
unbedingte Akzeptanz jener Institution erfordert, die die-
se Gleichheit gewährleistet, nämlich der parlamenta-
risch-repräsentativen Demokratie.


(Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Geis [CDU/CSU]: So ist es!)


Sie beruht auf Wahlen. Nur so kann gewährleistet wer-
den, dass die Demokratie auf Gleichheit gegründet ist und
gleichheitswahrend wirkt. Gerade dies – das belegt Ihr
Gesetzentwurf in besonderer Weise – ist bei plebiszitären
Verfahren in aller Regel nicht gewährleistet.

Plebiszitäre Verfahren gewährleisten des Weiteren auch
nicht die notwendige Kompromissfähigkeit, auf die jede
pluralistische Gesellschaft angelegt und angewiesen ist.
Das wissen wir aus unserer parlamentarischen Arbeit.
Parlamentarische Arbeit bedeutet Bewältigung hoher
Komplexität. Sie bedeutet darüber hinaus die einem plu-
ralistischen Gemeinwesen immer zuvörderst aufgegebene
Suche nach einem vernünftigen gemeinwohlorientierten
Kompromiss.

Plebiszitäre Verfahren sind dazu in aller Regel nicht in
der Lage. Plebiszitäre Verfahren kennen in aller Regel we-
sensgemäß nur das vielfältig allzu vereinfachende Ja oder
Nein, Schwarz oder Weiß. Schon Theodor Heuss, unser
erster Bundespräsident, hat einmal treffend darauf
hingewiesen, dass ein Plebiszit im Grunde schon der-
jenige entscheidet, der die abzustimmende Fragestellung
formuliert.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: So ist es!)


In vielen Fällen ist das in der Tat so, und es zeigt, wie
vorsichtig mit einem solchen Instrument umgegangen
werden muss. Das mir Wichtigste dabei ist aber, dass das
Plebiszit wesensgemäß in aller Regel nicht imstande ist,
Kompromisse zu schmieden und zu vermitteln. Ja oder
Nein, Schwarz oder Weiß – eine pluralistische Gesell-
schaft, die in polarisierende Verfahren dieser Art eintritt,
schädigt sich letztendlich selbst.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Plebiszitäre Verfahren fordern naturgemäß für den

Bürger überschaubare, also relativ wenig komplexe
Entscheidungsgegenstände. Solche Entscheidungsgegen-
stände sind in aller Regel auf der regionalen Ebene, im
kommunalen Bereich und auch im Länderbereich, durch-
aus gegeben. Hier ist es überschaubar, hier kann der
Bürger erkennen, wozu er Ja oder Nein sagen soll. Auf der
Bundesebene ist dies aber nicht der Fall. Deshalb gilt das
Argument, das Herr Bachmaier eben wieder benutzt hat,
was in Bayern gut sei, sei auch für den Bund gut, in fast
allen Bereichen unseres Landes, aber nicht in diesen Ver-
fassungsstrukturen. In der Wirtschaftspolitik gilt das mit
Sicherheit.


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Bayern ist größer als mancher Nationalstaat, Herr Scholz!)


– Wie schön, dass Bayern größer ist als mancher Natio-
nalstaat. Das freut mich, aber das ändert nichts daran, dass
die Zuständigkeiten, über die zu entscheiden ist, in der
Bundesgesetzgebung angesiedelt sind – das wissen Sie
ganz genau, Herr Wiefelspütz – und eben nicht in der
Entscheidungshoheit eines Bundeslandes, so groß es auch
immer sein mag, liegen.


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Unterschätzen Sie das Volk nicht, Herr Scholz! Wir sind nicht klüger als das Volk!)


– Herr Wiefelspütz, das tun Sie ja, wie ich vorhin schon
belegt habe, mit diesen fabelhaften Ausnahmen, über die
das Volk dann plötzlich nicht mehr abstimmen darf.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Da Sie das Land Bayern genannt haben, komme ich

zum nächsten ganz entscheidenden Einwand gegen das,
was Sie vorhaben: die föderative Struktur unseres Lan-
des und die föderative Struktur auch der Gesetzgebung bei
uns im Lande. Dass Bundesrat und Bundestag gemeinsam
für die Bundesgesetzgebung zuständig sind, ist ein zen-
trales Element unseres Bundesstaates, das nicht zur Dis-
position steht und das sich außerordentlich bewährt hat.


(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

Wer auf der Bundesebene das Plebiszit, den Volks-
entscheid, einführen will, gibt dieses Verfahren im
Grunde auf; denn es entscheidet dann das Bundesvolk in
seiner Gesamtheit. Wenn das Bundesvolk in seiner
Gesamtheit entscheidet, gibt es keine Möglichkeiten
mehr, ländermäßig, vielfaltmäßig, länderwettbewerblich
abgestufte Positionen auch politisch Andersdenkender
über das Bundesratsverfahren umzusetzen und zu wahren.
Es entscheidet das Bundesvolk in seiner Gesamtheit. Ein




Dr. Rupert Scholz

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entscheidender Pfeiler unseres gesamten bundesstaat-
lichen Prinzips würde durch den Volksentscheid auf der
Bundesebene aufgegeben.

Das von Ihnen, Herr Bachmaier, vorgeschlagene Ver-
fahren, bei Verfassungsänderungen solle man es so
handhaben, dass jedenfalls dann auch relativ noch die
jeweilige Mehrheit in den beteiligten Ländern gewähr-
leistet wird, ist doch eine Scheinlösung. Geben wir uns
doch keinen Illusionen hin! Eine Scheinlösung wäre es
auch zu sagen: Ein Plebiszit, ein Volksentscheid, findet
statt, und anschließend geht die Entscheidung in den Bun-
desrat. Ich möchte den Bundesrat sehen, der unter dem
zentralistischen und massiv zentralisierenden Druck einer
Abstimmung, die das Bundesvolk in seiner Gesamtheit,
ohne Rücksicht auf regionale, auf föderative Unter-
schiede getroffen hat, noch eine eigenständige, den Län-
derinteressen, denen er verpflichtet ist, gerecht werdende
Entscheidung treffen soll.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Völlig ausgeschlossen!)


Mit anderen Worten: Sie stürzen nicht nur einen
Großteil unserer bewährten stabilen parlamentarisch-
demokratischen Struktur der repräsentativen Demokratie
in ein ungewisses Fahrwasser, um es sehr vorsichtig zu
formulieren, sondern Sie stürzen auch einen entschei-
denden Pfeiler unseres gesamten föderativen Systems.
Das werden Sie mit der CDU/CSU niemals erreichen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, schauen wir uns im Ein-

zelnen das an, was Sie uns wirklich vorschlagen. Ich habe
großen Wert darauf gelegt, zu betonen, dass Demokratie
auf der Gleichheit aller Staatsbürger basiert und dass
Demokratie das Mehrheitsprinzip bedingt. Das Mehrheits-
prinzip ist nicht nur ein formales Prinzip, sondern ein ma-
teriales Wertprinzip, das jede Form von Demokratie be-
stimmt und voraussetzt. Das, was Sie hier vorschlagen, ist
der Abschied von der Mehrheitsdemokratie und der Ein-
stieg in die Minderheitsdemokratie.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Jawohl!)

Das kann man an den von Ihnen vorgelegten Vorschlägen
sehr leicht nachvollziehen.

Für eine Volksinitiative sehen Sie ein Quorum von
lediglich 400 000 vor.


(Hermann Bachmaier [SPD]: Darüber kann man verhandeln!)


Für das Volksbegehrenwollen Sie mit einem Quorum von
3 Millionen operieren. Denken Sie einmal daran, welche
Repräsentanz der Wähler für eine Gesetzgebungsinitiative
in diesem Haus nötig ist! Schon da stimmt die Gleichung
nicht. Entscheidend aber – selbst wenn man Letzteres ein-
mal beiseite lässt – wird es beim Volksentscheid: Der
Volksentscheid soll bei Ihnen die Teilnahme von min-
destens 20 Prozent der Wahlberechtigten bedingen. Ein
Gesetz kann demnach – wenn ich einmal von einer Ab-
stimmungsbeteiligung von 20 Prozent ausgehe – mit einer
Mehrheit von 10 Prozent plus einer Stimme unseres
Volkes verabschiedet werden. Das heißt Minderheiten-

demokratie. In diesem Hause müssen Sie die Repräsen-
tanz von 50 Prozent plus einer Stimme haben, in Ihrem
Verfahren dagegen genügen 10 Prozent plus einer
Stimme. Das kann doch nicht ernst gemeint sein, Herr
Bachmaier!


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Bei den Verfassungsänderungen wird es noch abs-
truser: Sie sagen, dafür müssen 40 Prozent der Wahl-
berechtigten an der Volksabstimmung teilnehmen. Inner-
halb dieser 40 Prozent soll eine Zweidrittelmehrheit
notwendig sein. Wenn ich richtig rechne, genügen dem-
nach 26,6 Prozent der Wahlberechtigten für eine Verfas-
sungsänderung. Hier dagegen brauchen Sie die Repräsen-
tanten – das Gleiche gilt übrigens für den Bundesrat – von
66 Prozent unseres Volkes. Es ist doch undenkbar, dass ein
Verfassungsänderungsverfahren einmal 66 Prozent und
einmal 26 Prozent – ein Unterschied von 40 Prozent! – be-
darf. Das ist nicht mehr Mehrheitsdemokratie. Das heißt
Aufgabe des Mehrheitsprinzips. Das ist ein gefährliches
Spiel mit den Grundstrukturen unserer Demokratie, vor
dem man nur nachdrücklich warnen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Man kann sicherlich über vieles reden. Ich persönlich

kann mir in diesen Zusammenhängen zum Beispiel
durchaus Massenpetitionen vorstellen. Ich kann mir auch
ein Verfahren der Volksinitiative vorstellen,


(Hermann Bachmaier [SPD]: Dann lassen Sie uns doch darüber reden, Herr Scholz!)


das heißt eine Befassungspflicht des Bundestages. Aber
auf der Basis dessen, was Sie hier vorschlagen, ist das un-
denkbar. Denn das bedeutet eben nicht, dass repräsen-
tative Mehrheiten unseres Volkes zu Wort gebracht wer-
den. Sie gehen den Weg: Abschied von der Mehrheit und
Verabsolutierung der Minderheit. Das bedeutet letztlich:
Ende der Demokratie.


(Hermann Bachmaier [SPD]: Herr Scholz, übertreiben Sie doch nicht!)


Dieses Spiel sollten Sie niemandem zumuten.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Geis [CDU/CSU]: Das hast du gut gemacht! Gratuliere! – Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat die Schweiz die Demokratie abgeschafft?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422707900
Das Wort
hat jetzt der Kollege Gerald Häfner vom Bündnis 90/Die
Grünen.


Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422708000
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dies ist in
meinen Augen eine große Stunde dieses Parlamentes,


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das hat sich noch nicht herumgesprochen!)





Dr. Rupert Scholz
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auch wenn es vielleicht nicht dem Anlass gemäß gefüllt
ist. Vielleicht haben diese Bedeutung auch noch nicht alle
im Hause in ausreichendem Maße erkannt. Trotzdem will
ich sagen: Es ist eine große Stunde für das Parlament, und
es ist – das kann ich jetzt nur hoffen – meines Erachtens
auch eine große Stunde für Deutschland.


(Zuruf von der CDU/CSU)

– Ob es so ist, liegt in den Händen dieses Hauses, auch in
Ihren Händen selbstverständlich, verehrte Kollegen von
der Opposition.

Viele Gesetze werden im Laufe einer Legislaturperiode
vom Parlament gemacht, aber so gut wie nie machen wir
Gesetze, in denen das Parlament selbst einen Teil seiner
Rechte dorthin zurückgibt, wo sie herkommen und wo sie
hingehören, nämlich an den Souverän, an die Bürgerinnen
und Bürger.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn der Kern jeder Demokratie – dies erscheint mir an-
gesichts dessen, dass wir allzu häufig in parteipolitischen
Gräben verfangen diskutieren, wichtig – ist die Volks-
souveränität. Wir sind hier nicht für uns tätig; wir sind
vielmehr Volksvertreter. Und wenn wir entscheiden
– etwa auch am Ende dieser Debatte über dieses Gesetz –,
dann entscheiden wir für das Volk.

Herr Scholz, es ist schade, dass Sie uns jetzt, nachdem
Sie das Ihre gesagt haben, verlassen. Ich hätte Ihnen gerne
geantwortet. Und es wäre erfreulich, wenn Sie auch noch
zuhören könnten.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422708100
Herr Kol-
lege Häfner, der Kollege Scholz hat sich gerade entschul-
digt. Er muss in den Bundesrichterwahlausschuss.


Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422708200
Das
ist etwas anderes, Herr Scholz. Treffen Sie gute Entschei-
dungen!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Angela Marquardt [PDS]: Und demokratische!)


Der Kern jeder Demokratie ist die Volkssouveränität.
„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, steht in Art. 20
des Grundgesetzes. Der Text geht dann nicht weiter: „und
kehrt nie mehr zurück“, wie der Volksmund oft sagt. Viel-
mehr heißt es dort klar und deutlich:

Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen ...
ausgeübt.

Mit dem heute eingebrachten Gesetzentwurf erfüllen
Bündnis 90/Die Grünen und die SPD gleich drei große
Versprechen: erstens das Versprechen aus dem Koaliti-
onsvertrag von 1998, Volksentscheide auf Bundesebene
einzuführen, zweitens das Versprechen dieses Grundge-
setzes, wonach die Demokratie auf beiden Beinen zu ste-
hen hat, dem der Wahlen und dem der Abstimmungen,
und nicht nur auf dem einen der Wahlen, und drittens das
Versprechen von Willy Brandt in den 70er-Jahren – „Mehr
Demokratie wagen“ –, welches damals zunächst leider
ganz andere Konsequenzen als die angekündigten und die

von uns erhofften, einer Stärkung der Bürgerbeteiligung,
hatte. Auch dieses Versprechen werden wir heute erfüllen.

Warum ist die Einführung von Volksinitiative, Volks-
begehren und Volksentscheid so wichtig? Die Distanz
zwischen Repräsentanten und Repräsentierten wird
– das bekommen wir alle mit – immer stärker. Die Par-
teien haben sich ein Monopol auf die politische Willens-
bildung durchgesetzt, das – ich glaube, hier ist es berechtigt,
sich auch einmal selbstkritisch auf die eigene Brust zu klop-
fen – so mitnichten im Grundgesetz vorgesehen ist, son-
dern sich in der Verfassungswirklichkeit dieser Republik
über mehr als 50 Jahre immer mehr verfestigt hat. Im
Grundgesetz heißt es stattdessen in Art. 21:

Die Parteien wirken bei der politischen Willensbil-
dung des Volkes mit.

Das in der Bevölkerung weit verbreitete Gefühl „Wir
können ja eh nichts machen, die da oben machen sowieso,
was sie wollen“ ist fatal für ein Gemeinwesen, fatal für
eine Demokratie. Sehen wir das denn nicht? Nehmen
nicht alle hier im Hause die Zeichen wahr: die zurückge-
hende Wahlbeteiligung beispielsweise oder die immer ge-
ringer werdende Anzahl von Jugendlichen, die sich zum
Beispiel in politischen Parteien engagieren, obwohl sie
keineswegs unpolitisch sind? Immer weniger junge Men-
schen betrachten das bestehende Angebot etwa der Mitar-
beit in Parteien als angemessen für ihr eigenes Verständ-
nis von effizientem Sicheinbringen in die Politik und das
Gemeinwesen. Das alles bedeutet eine ernst zu nehmende
Gefahr für die Demokratie. Die Identifikation geht zu-
rück. Das Engagement und die Beteiligung gehen zurück.
Wer hier nur zuschaut, der fährt einen fahrlässigen Kurs.
Wir sollten diese Entwicklung ernst nehmen.

Ich glaube, dass es dringend nötig ist, dass sich die
Bürgerinnen und Bürger mehr einbringen, vor allem, dass
sie erleben, dass sie in der Demokratie gewünscht sind,
dass ihre Beteiligung gewünscht ist. Wir müssen dann
aber auch angemessene Möglichkeiten für diese Beteili-
gung schaffen. In der modernen Demokratie ist es wahr-
lich nicht genug, wenn die Bürgerinnen und Bürger nur
alle vier Jahre ihre Stimme bei den Wahlen – durchaus im
doppelten Wortsinn – abgeben. Die Demokratie des
21. Jahrhunderts muss vielmehr eine aktive Bürgerge-
sellschaft sein. Eine aktive Bürgergesellschaft funktio-
niert aber nur mit aktiven Bürgern, die sich auch ange-
messen und verbindlich einschalten und einmischen
können. Das ist insbesondere für die Jugend wichtig, die
sich nur engagiert, wenn das auch etwas bewirkt. Eine ak-
tive Bürgergesellschaft bedeutet, dass die Bürger selbst
die Agenda der Politik bestimmen, dass sie Initiativen ein-
bringen können, wie dies unser Gesetzentwurf vorsieht,
und dass sie durch Volksbegehren und Volksentscheid,
wenn die Quoren erfüllt sind, auch selbst über Sachfragen
entscheiden können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Alle ernsthaften Politiker in diesem Land müssen sich

heute mehr und mehr die Frage stellen – viele, übrigens
aus allen Fraktionen, haben dazu inzwischen auch nach-
denkliche Beiträge publiziert –: Was hält heute unser
Gemeinwesen zusammen? Wie schaffen wir es, dass die




Gerald Häfner

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Bürger nicht immer mehr eine Haltung nach dem Motto
einnehmen: Was kann ich dabei für mich herausholen?,
sondern dass sie sich fragen: Was kann ich einbringen?
Welches ist mein Beitrag zu dem Ganzen?

Ich glaube, dass diese Demokratie ohne ein Mehr an
Beteiligung und damit auch an Identifikation und Enga-
gement Gefahr läuft, zu einer Zuschauerdemokratie zu
werden, zu einer Demokratie, in der sich die Bürger zu-
nehmend als Objekt und nicht als Subjekt sehen. Sie sind
aber Subjekt im Gemeinwesen und müssen das in der
Realität auch sein können.

Ich staune immer über die Horrorvorstellungen, die of-
fenbar auf einer bestimmten Seite des Hauses – Herr
Scholz ist ja jetzt leider nicht mehr da – im Hinblick auf
die Bürgerinnen und Bürger herrschen. Wenn Sie von der
CDU/CSU wirklich eine solche Angst vor dem Volk ha-
ben, dann wundert es mich, dass Sie sich überhaupt zur
Wahl stellen.

Ich wundere mich über die von Ihnen vorgetragenen
Argumente, die ich alle schon so oft gehört und genauso
oft widerlegt habe: angefangen bei den vorgeblich histo-
rischen und verfassungsrechtlichen bis hin zu so platten
Argumenten wie zum Beispiel dem, bei einem Volksent-
scheid könne man doch nur mit Ja oder Nein entscheiden.
Wie entscheiden wir denn eigentlich hier im Bundestag?
Entscheiden Sie anders? Man kann immer nur mit Ja oder
Nein entscheiden – das haben Entscheidungen so an sich –,
aber eben mit einem Ja oder Nein zu einem bestimmten
Gesetzentwurf oder einer Vorlage. Gerade darum geht es.
Durch Volksbegehren und Volksentscheide wächst die
Zahl der Alternativen.

Im vorliegenden Gesetzentwurf haben wir Regeln
dafür vorgesehen, wie aus der Bevölkerung Gesetzent-
würfe eingebracht werden können und wie beispielsweise
in Fällen, in denen etwa das Parlament der Auffassung ist,
ein bestimmter Gesetzentwurf gehe zu weit oder in eine
falsche Richtung, auch noch eine Konkurrenzvorlage
eingebracht werden kann, damit am Ende, wo nötig, auch
zwischen unterschiedlichen Entwürfen abgewogen wer-
den kann. Versuchen wir doch nicht, die Bürgerinnen und
Bürger für dumm zu verkaufen. Vor allen Dingen sollten
wir hier nicht wahrheitswidrig absurde Horrorvorstellun-
gen aufbauen.

Ich habe den dringenden Wunsch an die Union und
auch an die anderen Fraktionen in diesem Hause, dass sie
die Chance, die in diesem Entwurf liegt, erkennen und
dass sie sich nicht – wir Grünen haben das seit mehr als
zehn Jahren schon hinter uns; ich staune, dass Sie jetzt an-
fangen, diesen Fehler zu begehen – in Fundamentaloppo-
sition und Totalverweigerung üben, sondern dass sie mit
uns gemeinsam darüber nachdenken, wie man in best-
möglicher Form die Bürgerinnen und Bürger mehr betei-
ligen kann.

Heute Morgen, als ich mit der S-Bahn hierher gefahren
bin, habe ich ein riesiges Plakat mit folgendem Schriftzug
gesehen – viel Geld wurde dafür ausgegeben, diese Pla-
kate zu kleben –: „Durch Deutschland muss ein Ruck ge-
hen.“ Derjenige, der das gesagt hat, ist Mitglied der CDU.
Es war Roman Herzog. Ich stimme ihm zu. Ich würde mir

wünschen, dass Sie von der Union sich endlich einen
Ruck geben für eine große, überfällige Reform hin zu
mehr Bürgerbeteiligung. 74 Prozent Ihrer Anhängerinnen
und Anhänger befürworten die Einführung der Möglich-
keit eines bundesweiten Volksentscheids. Ich wäre froh,
wenn auch Sie das täten und wir dann gemeinsam dieses
Gesetz auf den Weg bringen könnten.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422708300
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Max Stadler von der FDP-Frak-
tion.


Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1422708400
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Jeder hier im Hohen Haus
weiß, dass ohne das Engagement des Kollegen Gerald
Häfner, der gerade gesprochen hat, dieser Gesetzentwurf
heute nicht zur Debatte stünde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr anständig!)


Das hat mich daran erinnert, dass ich Sie, Herr Häfner,
bei einer Podiumsdiskussion vor ziemlich genau zehn
Jahren kennen gelernt habe. Es war eine Veranstaltung der
katholischen Kirche. Wie Sie sich denken können, lautete
das Thema: Plebiszitäre Elemente im Grundgesetz. Auf
dem Podium saßen Sie und Norbert Geis von der CSU.
Ich habe die FDP vertreten. Sie vermuten richtig, dass
Herr Häfner Argumente vortrug, die ein begeistertes Ein-
treten für Volksentscheide auf der Bundesebene zum Aus-
druck brachten. Vonseiten des Kollegen Geis gab es eine
entschiedene Ablehnung und von meiner Seite ein Eintre-
ten für ein vorsichtiges Weiterentwickeln plebiszitärer
Elemente – also mehr als eine wohlwollende Enthaltung.

Ich erinnere deswegen daran, weil sich die Argumen-
tationen von damals und heute, das Pro und Kontra, das
nun wirklich auf der Hand liegt, kaum voneinander unter-
scheiden. Der Unterschied zu der damaligen Situation be-
steht allerdings darin, dass die Parteien selbst eine zuneh-
mende Politikverdrossenheit verschuldet haben, und zwar
durch Geschehnisse, die an anderer Stelle passiert sind.
Gerade in diesem Moment werden solche in der Katho-
lischen Akademie im Rahmen des Untersuchungs-
ausschusses wieder einmal erörtert; der SPD-Spenden-
skandal ist dort das Thema. Es ist sehr wohl ein plausibles
Argument, durch die Schaffung mehr direkter Entschei-
dungsmöglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger dieser
zunehmenden Politik- und Parteienverdrossenheit entge-
genzuwirken. Das möchte ich ausdrücklich anerkennen.


(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren von der Koalition, Professor

Scholz hat Recht, wenn er darauf hinweist, dass es hier um
einen fundamentalen Einschnitt in das Entscheidungsge-
füge des Grundgesetzes geht. Da muss ich Ihnen wirklich
sagen – das ist nicht die Schuld von Gerald Häfner; das




Gerald Häfner
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wissen auch wir –: Ihr Gesetzentwurf kommt entschieden
zu spät. Wenn Sie in den lediglich sieben Sitzungswo-
chen, die in dieser Legislaturperiode verbleiben, hier noch
eine so weitreichende und komplexe Materie abhandeln
wollen, dann muss man kein Prophet sein, um zu sagen:
Bei einer solchen Verfahrensweise wird ein wichtiges
Thema eher verschenkt, als dass man damit eine Stern-
stunde des Parlaments initiiert.

Wie komplex die Problematik ist, will ich Ihnen an-
hand einiger weniger Punkte aufzeigen. Es geht bei der
Frage von mehr Mitbeteiligung der Bevölkerung nicht nur
um Volksbegehren und Volksentscheid, sondern es geht
um ein Bündel von Maßnahmen, an das zu denken ist.
Die FDP hat in ihrem Nürnberger Parteitagsbeschluss
vom Juni 2000 unter dem Leitsatz „Mehr Demokratie wa-
gen – Vom Parteienstaat zur Bürgerdemokratie“ aufge-
zeigt, dass die aktuelle Glaubwürdigkeitskrise des demo-
kratischen Parteienstaats – so wurde dort formuliert – eine
Generalinventur erfordert. Die Parteienmacht muss
zurückgedrängt und die Bürgermacht muss gestärkt wer-
den.

Dazu gehört aber vielerlei: Dazu gehört eine klare Ge-
waltenteilung. Diese beinhaltet unserer Meinung nach
auch, dass sich die Parteien nicht an Medienunternehmen
beteiligen, die ja die vierte Gewalt im Staat darstellen.
Dazu gehört Subsidiarität statt Zentralismus. Dazu gehört
weniger Staatswirtschaft und damit automatisch weniger
Parteienwirtschaft. Dazu gehört eine Stärkung der Parla-
mente durch die Aufwertung des einzelnen Mandats ge-
genüber den Apparaten.


(Beifall bei der FDP)

Dazu gehören die Direktwahl der kommunalen Mandats-
träger und schließlich – das ist ein ganz wichtiges Thema –
auch die Diskussion um die Direktwahl des Bundespräsi-
denten.

Meine Damen und Herren, Sie sehen, dass es nicht nur
um Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide
geht. Aber auch dieser kleine Ausschnitt, den Sie heute
zur Debatte stellen, wirft natürlich zahlreiche Fragen auf.
Möglicherweise empfiehlt es sich, die repräsentative De-
mokratie schrittweise um Elemente der direkten Demo-
kratie zu ergänzen. Es spricht sehr viel dafür, das Institut
der Volksinitiative zunächst einmal praktisch zu erpro-
ben. Man wird sehen, ob aus der Bevölkerung Themen an
den Bundestag herangetragen werden oder ob es, wie
manche befürchten, eher zu einer Art Verbändedemokra-
tie statt zur Bürgerdemokratie führt.

Ich meine, dass sowohl von Herrn Häfner als auch von
Herrn Scholz manche Punkte schief dargestellt worden
sind. Herr Scholz meinte, dass Plebiszite kompromissun-
fähig seien. Die Praxis in Bayern beweist das Gegenteil.
Oft hat schon allein die Androhung eines Volksbegehrens
dazu geführt, dass im Parlament Kompromisse gefunden
wurden.


(Gerald Häfner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Guter Punkt!)


Das Argument stimmt so also nicht.

Herr Häfner wiederum meint, dass es ein falscher Kri-
tikpunkt sei, dass die Entscheidung auf ein Ja oder Nein
verengt wird. Der Kritikpunkt trifft aber zu. Die Initiato-
ren eines Volksbegehrens können nämlich auch nach
Ihrem Gesetzentwurf ihren eigenen Entwurf im Laufe der
Debatte nicht verändern und auch nicht die Elemente aus
der Diskussion in den eigenen Entwurf einfügen. Das ist
ein elementarer Fehler Ihres Entwurfs;


(Gerald Häfner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsch! Deshalb haben wir doch die Konkurrenzvorlagen geschaffen!)


denn damit kommt man doch zu dem von Herrn Scholz
kritisierten Merkmal der Kompromissunfähigkeit.

Wegen der Kürze der Zeit muss ich mich auf diese we-
nigen Bemerkungen beschränken. Ich kündige an, dass
wir Ihnen für die Anhörung im Innenausschuss als Sach-
verständigen einen Experten aus der Schweiz – er ist
Staatsrechtslehrer – vorschlagen werden, damit wir die
praktischen Erfahrungen in diesem Land in unsere weite-
ren Überlegungen einbeziehen können.

Ich schlage Ihnen vor: Lassen Sie sich mit uns auf eine
Einigung über das Institut der Volksinitiative ein und las-
sen Sie für alle anderen komplexen Fragen genügend
Raum für die Diskussion! Diese wird mehr Zeit in An-
spruch nehmen als einige wenige Wochen zum Schluss ei-
ner Legislaturperiode.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422708500
Bevor
ich das Wort weitergebe, möchte ich zunächst das Ergeb-
nis der Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß § 4 a
des Bundeswertpapierverwaltungsgesetzes, Drucksache
14/8587 (neu), bekannt geben: Abgegebene Stimmkarten
557. Davon gültig 555, Enthaltungen 2. Von den gültigen
Stimmen entfielen auf den Abgeordneten Hans Georg
Wagner 489 Stimmen, auf den Abgeordneten Hans Jochen
Henke 530 Stimmen, auf den Abgeordneten Oswald
Metzger 495 Stimmen, auf den Abgeordneten Dr. Günter
Rexrodt 499 Stimmen und auf den Abgeordneten Dr.
Uwe-Jens Rössel 349 Stimmen.1) Damit sind alle Abge-
ordneten gewählt; denn sie haben die erforderliche Mehr-
heit von 334 Stimmen erreicht.

Nun erteile ich dem Abgeordneten Gerald Häfner das
Wort zu einer Kurzintervention.


Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422708600
Herr
Kollege Stadler, ich möchte kurz auf das eingehen, was
Sie gesagt haben. Es ist wirklich wert, sich hierüber aus-
zutauschen. Dabei muss ich mich auf einige Punkte be-
schränken.

Zunächst: Ich habe mich mit meiner Bemerkung zu
„Ja“ oder „Nein“ auf das Ende des Verfahrens beim
Volksentscheid bezogen. Am Ende kann, wie bei jeder
Entscheidung, nur mit Ja oder Nein abgestimmt werden.
Das gilt übrigens nicht nur für den Bundestag; auch im




Dr. Max Stadler

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1) Alphabetisches Verzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 2

Leben muss man oft mit Ja oder Nein eine Entscheidung
treffen. Selbst die Frage, ob man einen Menschen heira-
tet, muss am Ende mit Ja oder Nein beantwortet werden,
auch wenn es hinsichtlich des Entscheidungsinhalts bzw.
der Person denkbar viele Alternativen gäbe.

In Kenntnis und Auswertung der internationalen Erfah-
rungen von Tausenden Volksentscheiden in anderen Län-
dern haben wir uns für die denkbar vernünftigste, Beson-
nenheit und Sachlichkeit sichernde Regelung entschieden.
Diese ermöglicht es der Initiative, ihr Anliegen schon nach
der Volksinitiative noch einmal neu zu überprüfen. Zuvor
wird im Bundestag über ihren Vorschlag beraten, sodass
die Initiative im Lichte der dort gehörten Argumente über-
denken kann, ob sie ihr Anliegen unverändert weiterver-
folgt, es verändern will, oder ob sie es ganz aufgibt. Es gibt
keinen Automatismus, dass danach ein Volksbegehren
stattfinden muss, wie es teilweise in anderen Entwürfen
verlangt worden ist, sondern es ist so, dass danach neu ent-
schieden wird. An dieser Stelle können auch Dinge im Ent-
wurf verbessert respektive geändert bzw. kann das ganze
Verfahren neu begonnen werden.

Schließlich haben wir das Instrument der Konkur-
renzvorlage eingeführt. Danach wird dann, wenn ein
vielleicht berechtigtes Anliegen aufgegriffen wurde, der
Entwurf selbst aber nicht in allen Punkten überzeugt, die
Möglichkeit eröffnet, einen zweiten Entwurf als Alter-
native daneben zu stellen, sodass man dann die Wahl hat.
Dieses Verfahren hat sich dort, wo es angewandt wird,
etwa auch in Bayern, durchaus bewährt. Es gibt also keine
Reduktion auf ein einziges „Ja oder Nein“.

Ich möchte einen anderen Punkt in aller Kürze anspre-
chen. Wir haben jetzt März. Bis zur letzten Sitzungs-
woche im Juli ist denkbar viel Zeit. Ich habe Ihren Beitrag
als Wunsch verstanden und möchte meine Worte umge-
kehrt als Einladung formulieren, zu dem von uns vor-
gelegten Entwurf eine unvoreingenommene und gründ-
liche Debatte in den Details zu führen. Sie haben einige
zusätzliche Punkte aufgelistet: Änderungen im Parteien-
recht beispielsweise oder die Stärkung der Rechte der
Abgeordneten und eine umfassende Parlamentsreform.
Sie wissen mich da auf Ihrer Seite. Und ich würde mich
freuen, wenn Sie noch weitere Punkte nennen würden. Sie
würden bei uns sehr viel Unterstützung dafür finden.

Nun aber liegt dieser gründlich ausgearbeitete Gesetz-
entwurf auf dem Tisch. Wir sollten darüber ernsthaft be-
raten. Ich denke, gerade auch vor dem Hintergrund, dass
die Diskussion über das Thema nun schon 20 Jahre an-
dauert, dass die Monate bis Juli ausreichen, um eine ge-
meinsame und positive Entscheidung zu finden.

Danke sehr.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422708700
Zur Erwi-
derung hat Herr Dr. Stadler das Wort.


Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1422708800
Herr Kollege Häfner, das Ver-
fahrensargument ist natürlich nicht das einzige Argument,
das in einer solchen Diskussion anzubringen ist. Aber ich
muss schon daran erinnern, dass die rot-grüne Koalition

im Koalitionsvertrag aus dem Jahre 1998 angekündigt
hat, einen Gesetzentwurf über Volksentscheide auf Bun-
desebene vorzulegen. Sie waren über drei Jahre nicht im-
stande, diesem Hohen Haus einen solchen Gesetzentwurf
vorzulegen. Das lag auch daran, dass Sie persönlich dem
Bundestag vorübergehend nicht angehört haben; denn je-
der weiß, dass innerhalb der Koalition Sie der Motor dafür
waren, dass es am Ende doch noch zu diesem Gesetzent-
wurf gekommen ist. Das habe ich auch betont.

Aber sehen Sie sich doch die Relation an: Die Koali-
tion braucht nahezu dreieinhalb Jahre für die Erarbeitung
dieses Gesetzentwurfes, mutet dem Parlament aber zu,
eine solch fundamentale Änderung unseres Rechtssys-
tems in sieben Sitzungswochen abzuhandeln. Dies ist ein
Ungleichgewicht. Es spricht viel dafür, dass es notwendig
sein wird, dieses Thema auf die nächste Legislaturperiode
zu verlagern.

Ich will noch kurz etwas zu einem inhaltlichen Punkt,
den Sie aufgegriffen haben, sagen. Ein solches Mitwir-
kungsverfahren muss so ausgestaltet sein, dass das, was
im Gesetzgebungsverfahren an Erkenntnissen gewonnen
wird – die Sachverständigenanhörungen dürfen nicht nur
eine Feigenblattfunktion haben –, auch bei dieser Art von
Gesetzgebung Eingang findet. Das ist sehr schwierig.

Ich habe mich nicht umsonst auf Schweizer Erfah-
rungen bezogen. Dort gibt es nämlich ein Referendum
mit dem dieses Problem vermieden wird, nämlich das so
genannte kassatorische Referendum. Dabei hat die Be-
völkerung die Möglichkeit, eine Fehlentscheidung des
Gesetzgebers zu korrigieren. Es schadet dann auch nicht,
dass nur mit Ja oder Nein entschieden wird. Das ist eine
Form des Referendums, über die man sprechen sollte.

Ich will damit zum Ausdruck bringen, dass das Grund-
anliegen Ihres Entwurfs, die Volksinitiative als Möglich-
keit das Parlament zu zwingen, sich mit bestimmten
Themen zu befassen, unstrittig ist. Es sind aber – bei al-
lem Grundverständnis für Ihr Anliegen – so komplexe
Diskussionen zu führen, dass ich nur sage: Wir werden
uns dieser Diskussion stellen; jedoch spricht sehr viel
dafür, hier „step by step“, wie Herr Wiefelspütz immer
sagt, bzw. Schritt für Schritt vorzugehen.


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Es ist immer gut, mich zu zitieren!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422708900
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Petra Pau von der PDS-Fraktion.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422709000
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir reden heute über ein zentrales Reform-
projekt, das Rot-Grün versprochen hat. Das war aller-
dings vor knapp vier Jahren.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Die haben viel versprochen!)


Die große Überschrift hieß: „Mehr Demokratie wagen“.
Das deckte sich durchaus mit den Ansprüchen der Oppo-
sition zur Linken, mit den Ansprüchen der PDS.

Wenn ich hier sage: „war“, „hieß“ und „deckte“, so ge-
schieht dies angesichts der Schere, die zwischen der
Ankündigung und dem Vorliegenden klafft. Das, was jetzt




Gerald Häfner
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vorliegt, ist eine Demokratie-light-Version. Außerdem
kommt sie zu spät, um ernsthaft den Anspruch auf die not-
wendige Zweidrittelmehrheit zu erheben. Insofern – bei al-
lem persönlichen Respekt, Kollege Häfner – ist dies we-
der der große Wurf noch eine große Stunde, was übrigens
auch die Anwesenheit vonseiten der Koalitionsfraktionen
zeigt. Dies verdeutlicht, wie sehr die Angelegenheit, mehr
Demokratie zum Ende der Koalitionszeit zu wagen, Her-
zenssache von Rot-Grün ist. – Zudem enthält diese Initia-
tive zu hohe Hürden, um tatsächlich mehr direkte Demo-
kratie zu ermutigen.

Umso bemerkenswerter ist allerdings die schroffe Ab-
wehr aus den Reihen der Opposition zur Rechten, aus den
Reihen von CDU/CSU.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Der Mitte!)

Dass Sie mit mehr direkter Demokratie auf Kriegsfuß ste-
hen, ist so neu nicht – bis auf eine Ausnahme, zu der ich
gleich noch komme. Interessant finde ich die Begründun-
gen, die Sie dazu immer wieder vortragen; denn diese lau-
fen stets darauf hinaus, das letzte Wort müsse allein das
Parlament haben und dabei müsse es bleiben.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist aber sehr verkürzt!)


Ich gebe zu: Als ich 1998 in den Bundestag einzog, habe
ich nicht gedacht, dass ausgerechnet ich Ihnen einmal
Nachhilfe in Sachen Grundgesetz geben muss.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist auch nicht notwendig!)


Kollege Scholz hat es aber mit seiner Ablehnung zur
Volksgesetzgebung geradezu herausgefordert. Deshalb
zitiere auch ich das Grundgesetz, nämlich Art. 20Abs. 2:


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Hätten Sie besser zugehört, hätten Sie etwas lernen können! – Gegenruf von der PDS: Das ist schon arrogant, Herr Geis!)

Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom
Volke in Wahlen und Abstimmungen ... ausgeübt.

Um aber abstimmen zu können, bedarf es entsprechender
Regelungen. Genau diese fehlen bislang in der Bundes-
republik und um solche geht es in dem vorliegenden Ge-
setzentwurf.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: 50 Jahre Verfassungswirklichkeit in der Bundesrepublik Deutschland!)


Aus Sicht der PDS sind die im Gesetzentwurf enthaltenen
Regelungen ungenügend. Sie aber wollen keine derar-
tigen Regelungen, um den Verfassungsgrundsatz im All-
tag umzusetzen.

Ich habe noch ein Wort zur CDU/CSU versprochen:
Ihre Geringschätzung jeder Kritik – allemal wenn sie von
der so genannten Straße kommt – ist sprichwörtlich, bis
auf eine einzige Ausnahme: Immer dann,


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Bringen Sie doch endlich einmal ein Argument dafür!)


wenn es gegen ausländische Mitbürgerinnen und Mitbür-
ger geht, suchen Sie die Straße, mobilisieren Stammtische

und initiieren Unterschriftenlisten. Dann geht Ihnen das
Wort des ungewählten Volkes plötzlich über alles. Das
war beim Doppelpass so, das ist beim Einwanderungs-
gesetz so. Das ist einfach widersinnig und schäbig.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nun noch einmal zu dem Entwurf: Ich habe schon ge-
sagt, dass er zu spät kommt. Ich muss Sie daran erinnern,
dass rechtzeitig ein Angebot der PDS vorlag. Nun mögen
wir ja in den Lösungen nicht übereinstimmen. Spätestens
unser Papier hätte jedoch Anlass dafür sein können, sach-
und fachkundig darüber zu reden, wie man Volksinitia-
tiven, Volksbegehren, aber auch Fragen der Mindestbetei-
ligung und des In-Kraft-Tretens miteinander lösen kann,
um dann rechtzeitig Mehrheiten innerhalb des Parlaments
und außerhalb des Parlaments für einen solchen großen
Schritt zu finden. Insofern habe ich nicht den Optimis-
mus, dass wir in der Anhörung und in den Ausschussbe-
ratungen noch zu einem erfolgreichen Abschluss dieses
Gesetzesvorhabens kommen werden. Aber vielleicht soll-
ten wir die verbleibenden sieben Wochen nutzen, um für
die nächste Legislaturperiode den Boden für die Akzep-
tanz von mehr direkter Demokratie zu bereiten.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS sowie des Abg. Dr. Max Stadler [FDP])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422709100
Als letzter Redner
zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kollege Dieter
Wiefelspütz von der SPD-Fraktion das Wort.


Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Rede ID: ID1422709200
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Es ist bedauerlich,
dass sich der Kollege Scholz aus guten Gründen – er hat
eine andere parlamentarische Verpflichtung – hat ent-
schuldigen lassen. Es wäre schon schön gewesen, mit ihm
von Angesicht zu Angesicht zu diskutieren. Man kann
zwar über vieles sehr kritisch diskutieren, aber wenn Herr
Scholz sagt, dieser Gesetzentwurf bedeute das Ende der
Demokratie, dann bleibt Herr Scholz deutlich unter sei-
nem eigenen Niveau.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist unterirdisch – sagen Sie das bitte Herrn Scholz
weiter, lieber Herr Geis – oder auch grottenschlecht und
nicht die Argumentationshöhe, auf der wir über eine solch
wichtige Frage reden sollten.

Ich möchte mit der gebotenen Nüchternheit darauf hin-
weisen, Frau Pau, dass erstmals im Deutschen Bundestag
eine parlamentarische Mehrheit für mehr direkte Demo-
kratie besteht. Das ist noch keine verfassungsändernde
Mehrheit, aber es gibt im Hause eine Mehrheit für die Ein-
führung plebiszitärer Elemente. Das ist immerhin ein
Sachverhalt, den es mit der gebotenen Nüchternheit, aber
auch mit dem gebotenen Selbstbewusstsein zum Aus-
druck zu bringen gilt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Petra Pau

22503


(C)



(D)



(A)



(B)


Auch wenn so etwas drei Jahre dauert, Frau Pau, und
möglicherweise mit dem besonderen Engagement von
Herrn Häfner, Herrn Bachmaier und anderen zu tun hat,
verdient das durchaus Anerkennung.

Wir haben keinen Paradigmenwechsel vor. Die reprä-
sentative parlamentarische Demokratie in Deutschland ist
eine Erfolgsgeschichte. Wir haben auch keinen Grund,
uns für unser Grundgesetz zu entschuldigen. Das ist ein
großartiger politischer Text auch in den Institutionen, die
sich immer wieder bewährt haben. Auch zählt im Parla-
ment – in diesem Fall im Deutschen Bundestag – nicht un-
bedingt die Masse, sondern die Qualität derjenigen, die
sich an der Diskussion beteiligen. Was wir heute vorlegen,
lohnt es meiner Meinung nach, weiter erörtert zu werden.
Herr Bachmaier hat bereits darauf hingewiesen: Vieles ist
ein Angebot. Über manches kann und muss man noch
reden. Wir führen dazu eine große Anhörung durch.

Die 14.Wahlperiode des Deutschen Bundestags dauert
bis Ende September bzw. Mitte Oktober. Wir wollen die
gesamte Zeit, die uns zur Verfügung steht, nutzen. Ich ver-
stehe nicht, dass von sechs oder sieben Wochen, die wir
noch haben, die Rede ist.


(Dr. Max Stadler [FDP]: Sieben Sitzungswochen!)


Ich finde es auch sehr seltsam, wenn der Eindruck er-
weckt wird, plebiszitäre Demokratie sei nur etwas für re-
gionale Bereiche. Bayern ist doch größer als mancher
Mitgliedstaat der UNO und das Land Nordrhein-West-
falen ist größer und bevölkerungsreicher als die Nieder-
lande. Wenn dort Entscheidungen über die direkte Demo-
kratie gefällt werden, mag es sich zwar nicht unbedingt
um Steuergesetzgebung handeln, aber es sind keine un-
wichtigen Entscheidungen. Auch in Bayern werden kei-
neswegs unwichtige Entscheidungen getroffen.

Ich sage Ihnen eines sehr deutlich – auch im Wider-
spruch zu Herrn Scholz –: Das erste Wort in unserem Land
bzw. in der parlamentarischen Demokratie hat das Volk.
Das Volk hat bei uns auch das letzte Wort.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Manchmal aber auch das Bundesverfassungsgericht!)


Das steht in anderer Form auch in unserem Grundgesetz.
Ich sage Ihnen aus tiefer Überzeugung, Herr Geis: Sie

und ich sind als Parlamentarier nicht klüger als das Volk,
das wir vertreten. Ich rate übrigens auch allen, nicht im-
mer davon zu reden, dass wir Abgeordnete seien. Wir sind
Volksvertreter.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Da bin ich voll und ganz mit Ihnen einverstanden!)


Wenn wir über mehr direkte Demokratie, über Plebis-
zit, Volksentscheid usw. sprechen, dann geht es nicht
darum, unsere Verfassungsordnung umzukrempeln,
sondern darum, unsere bewährte parlamentarische Demo-
kratie mit Augenmaß weiterzuentwickeln. Ich bin der
festen Überzeugung, dass es gar nicht nur um Ja oder Nein
geht; Herr Häfner hat darauf hingewiesen. Wieso soll das
Volk nicht dazu in der Lage sein, komplexe Entscheidun-
gen zu treffen? Auch die Wahlentscheidung am 22. Sep-

tember ist eine hoch komplexe Entscheidung. Jeder Bür-
ger wird sie sich sehr sorgfältig überlegen. Die Vorstel-
lung, es gehe um eine Schwarz-Weiß-Entscheidung, um
ein einfaches Ja oder Nein, entspricht doch nicht der
Wirklichkeit.

Herr Geis, mich wundert Ihre Angst und Sorge vor
mehr direkter Demokratie. Ich nenne Ihnen einmal ein
eher ironisches Argument: Wenn Sie erst einmal begriffen
haben werden, wie viel Musik in diesem Thema steckt,
könnte es sogar für die Koalition schwierig werden; denn
über manche Details kann man mit Fug und Recht reden.
Das ist von Herrn Scholz mit durchaus erwägenswerten
Argumenten hier vorgetragen worden. Wieso dann die
Angst vor Entscheidungen des Volkes? In diesem Punkt
sind wir aber gesprächs- und verhandlungsbereit. Man
kann sogar darüber reden, ob das Volk nicht auch über
Steuerrecht und Grundgesetzänderungen entscheiden
kann, da man keine Sorge davor zu haben braucht, dass
auch hoch bedeutsame Entscheidungen vom Volk getrof-
fen werden. Hier sollten wir alle dem Volk, das wir ver-
treten, etwas zutrauen.

Ich bin froh, dass wir heute eine parlamentarische
Mehrheit für dieses Projekt haben.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Das bezweifele ich! Für dieses nicht!)


Ich bin froh darüber, dass wir in Gestalt der öffentlichen
Anhörung nach Ostern ein öffentliches Forum haben wer-
den. Das Thema wird – das verspreche ich Ihnen – nicht
mehr von der Tagesordnung verschwinden. Wir werden
dieses Thema regeln müssen. Wir wären auch an Teil-
lösungen wie der Stärkung des Petitionsrechts oder der
Volksinitiative interessiert. Wir sollten jede Chance nut-
zen, unsere erfolgreiche Demokratie weiterzuentwickeln.

Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422709300
Nun hat
sich noch ein Kollege zu Wort gemeldet, nämlich der Kol-
lege Norbert Geis von der CDU/CSU-Fraktion.


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Warum das denn? – Gegenruf des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU]: Weil ich oft angesprochen worden bin! – Joachim Stünker [SPD]: Hat er noch Zeit?)


– Ja, er hat noch fünf Minuten Redezeit.


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1422709400
Ich werde die fünf Minu-
ten nicht ausschöpfen. Ich war von meiner Fraktion nicht
als Redner vorgesehen worden. Aber ich bin so oft ange-
sprochen worden, dass ich noch schnell drei Punkte dazu
klarstellen möchte.

Erstens. Sie meinen es mit Ihrem Gesetzgebungsvor-
schlag selbst nicht ganz ernst. Anderenfalls sähen Sie
keine Ausnahmen vom Volksentscheid vor.


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Darüber kann man reden!)





DieterWiefelspütz
22504


(C)



(D)



(A)



(B)


Das ist ein Zeichen dafür, dass Sie dem Volk nicht alles
zutrauen. Insofern ist Ihr Gesetzentwurf nicht ganz plau-
sibel und vielleicht auch nicht ganz glaubwürdig.

Zweitens. Sie sollten ein wenig vorsichtiger mit dem
umgehen, was in diesem Haus an Gesetzgebungsarbeit
geleistet wird. Oft kann eine sehr komplizierte Materie
erst nach mehreren Anhörungen, nach mehreren Debatten
und Abwägungsprozessen sowie nach mehreren Ge-
sprächen der Berichterstatter im Ausschuss verabschiedet
werden. Danach muss sie noch einmal im Plenum beraten
und verabschiedet werden. So etwas ist – das werden Sie
mir zugeben – in dem Meinungsbildungsprozess einer
Volksinitiative natürlich nicht möglich. Sie können von
der Bevölkerung auch nicht verlangen, dass sie sich in
eine einzelne Sachfrage so einarbeitet, wie man es von ei-
nem Vertreter des Volkes verlangen kann und muss. Dafür
sitzt er hier; er ist von der Bevölkerung in dieses Parla-
ment abgeordnet worden, damit er sich um diese Angele-
genheit besser, intensiver und vielleicht auch mit mehr
Sachverstand kümmern kann, als es ein Geschäftsmann,
ein Arbeiter an der Drehbank oder eine Erzieherin im Kin-
dergarten tun könnte. Diese haben einen anderen Beruf
und damit auch andere Sorgen und können sich nicht so
in Details von Gesetzgebungsfragen vertiefen. Das ist
eine Lebenserfahrung, die man bei dieser Debatte nicht
wegwischen sollte.


(Gerald Häfner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen Sie doch lieber einmal die Ärzte oder Kindergärtnerinnen, ob sie das wollen oder nicht! Woher wissen Sie, ob sie das nicht wollen?)


Drittens. Man darf natürlich auch nicht das Prinzip der
Verantwortlichkeit in einer Massendemokratie überse-
hen. Man kann eine Partei dafür verantwortlich machen,
wenn sie eine falsche Entscheidung trifft. Man kann einen
Politiker verantwortlich machen, wenn er eine falsche
Entscheidung trifft oder wenn man mit seiner Entschei-
dung nicht einverstanden ist. Aber man kann nicht all die-
jenigen, die im Rahmen eines Volksentscheides eine Ent-
scheidung getroffen haben, verantwortlich machen, wenn
die Entscheidung – das kann ja auch sein – falsch und
nicht im Sinne der Fortentwicklung des Volkes ist. Das
Prinzip der Verantwortlichkeit sollten Sie bei dieser De-
batte nicht außer Acht lassen. Ich wollte das nur noch ein-
mal deswegen anmerken, weil ich darauf öfter angespro-
chen worden bin.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU – Gerald Häfner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer zahlt die Milliarden von Fehlplanungen? Das zahlen alles die Bürger!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422709500
Ich
schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 14/8503 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es ander-
weitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-


(Recklinghausen)

ordneten und der Fraktion der CDU/CSU
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver-
besserung der Bekämpfung von Straftaten der
organisierten Kriminalität und des Terroris-
mus
– Drucksache 14/6834 –

(Erste Beratung 192. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Er-
gänzung der Kronzeugenregelungen im Straf-
recht (KrZErgG)

– Drucksache 14/5938 –

(Erste Beratung 192. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurÄnde-

(§ 110 Abs. 1, § 111 f Abs. 3, § 163 a Abs. 6 StPO)

– Drucksache 14/6079 –

(Erste Beratung 192. Sitzung)

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsauschusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/8627 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Joachim Stünker
Norbert Geis
Volker Kauder
Volker Beck (Köln)

Jörg van Essen
Dr. Evelyn Kenzler

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das
Wort der Kollege Volker Kauder von der CDU/CSU-
Fraktion.


Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1422709600
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Die organisierte Kri-
minalität und der Terrorismus sind eine ernsthafte Be-
drohung für den inneren Frieden unserer Gesellschaft.
Gewaltakte, Tote und ungeheure materielle Schäden sind
die Auswirkungen auf die Öffentlichkeit. Es wäre ein ge-
fährlicher Irrtum, gerade diese Kriminalitätsform zu un-
terschätzen. Es ist die vornehmste Aufgabe des Staates,
den inneren Frieden unserer Gesellschaft zu schützen;
denn nur so wird dem Einzelnen die Möglichkeit gegeben,
seine persönliche Freiheit zu leben, wie es das Ideal un-
serer Staatsverfassung ist.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist davon überzeugt,
dass dieses hohe Ziel dauerhaft nur dann aufrechterhalten




Norbert Geis

22505


(C)



(D)



(A)



(B)


werden kann, wenn das Ausmaß der inneren Sicherheit in
Deutschland spürbar erhöht wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Auch in diesem Punkt, der inneren Sicherheit, muss ein
Ruck durch Deutschland gehen. Genau dieses Ziel hatten
wir vor Augen, als wir uns im Sommer 2001 – ich betone:
im Sommer 2001 – entschlossen haben, den vorliegenden
Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämp-
fung der eben genannten Straftaten in den Bundestag ein-
zubringen. Das Vorhaben, der zunehmenden Bedrohung
unserer Gesellschaft durch bestimmte, besonders gefähr-
liche Verbrechensformen Einhalt zu gebieten, wurde da-
mals von der Bundesregierung mit Desinteresse quittiert.

Erst nach dem 11. September, Herr Staatssekretär Pick,
hat die Bundesjustizministerin auf einmal von ganz neuen
Herausforderungen gesprochen. Ich werfe der Bundes-
regierung vor – dafür gibt es keine Entschuldigung –, dass
sie den schon damals bekannten Gefahren durch die orga-
nisierte Kriminalität und den Terrorismus zu wenig Be-
achtung geschenkt hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das ist ein Versäumnis der Bundesregierung, welches
auch durch den hinlänglich bekannten Aktionismus nach
dem 11. September nicht mehr wettgemacht werden kann.
Im Gegensatz zur Bundesregierung haben verantwor-
tungsbewusste Politiker aus den Bundesländern dieses
drängende Problem deutlich und viel früher erkannt. Ihre
Wachsamkeit hat die beiden sehr vernünftigen Gesetzent-
würfe des Bundesrates hervorgebracht, über die wir heute
mitberaten. Die Bundesratsentwürfe und unser eigener
Gesetzentwurf zielen in ein und dieselbe Richtung: Die
Situation der Menschen in Deutschland soll dadurch ver-
bessert werden, dass dem Staat ein besseres straf- und
strafverfahrensrechtliches Instrumentarium an die Hand
gegeben wird.

Worum geht es im Einzelnen? Zuerst wollen wir den
Verbrechern den Geldhahn zudrehen. Das ist bisher nicht
leicht und nicht weitgehend genug möglich. Die recht-
lichen Instrumentarien sollen jetzt auf den neuesten Stand
gebracht werden, um kriminell erlangte Gewinne noch
besser als bisher abschöpfen zu können. Insbesondere die
so genannten mittelbaren Gewinne müssen durch die Ab-
schöpfung erreicht werden. Durch den wirklich effektiven
Entzug finanzieller Mittel kann man die bandenmäßige
Schwerstkriminalität äußerst wirksam treffen. Dabei geht
es nicht nur um den luxuriösen Lebenswandel der Krimi-
nellen; es geht vor allem um die Verhinderung der Finan-
zierung neuer Straftaten.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Richtig!)

Wir müssen verhindern, dass Mittel, die durch organi-
sierte Kriminalität gewonnen wurden, wieder in neue Ak-
tivitäten der organisierten Kriminalität investiert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Telekommunika-

tionsüberwachung.Der für diese Überwachung geschaf-
fene Straftatenkatalog muss dringend aktualisiert werden.
Es müssen endlich auch Delikte wie Bestechung, Men-

schenhandel und Computerbetrug in die Überwachung
einbezogen werden; anderenfalls hinkt der Staat in seinen
rechtlichen Möglichkeiten den Entwicklungen im tägli-
chen Leben hinterher.

Dies gilt ebenso für den Einsatz verdeckter Ermittler.
Es ist wirklich an der Zeit, eine klare Rechtsgrundlage zu
schaffen, die zeitgemäße Ermittlungen rechtlich absi-
chert.


(Joachim Stünker [SPD]: Das steht nicht drin!)

– Herr Kollege Stünker, an Ihrer Stelle würde ich mich in
diesem Punkt außerordentlich zurückhalten; denn Sie ha-
ben im Rechtsausschuss selbst erklärt, Sie seien durchaus
der Meinung, dass man etwas tun müsse, seien aber durch
Ihre Koalition gehindert, etwas zu tun.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Jawohl!)

Das können Sie nicht Ihrem Koalitionspartner, den Grü-
nen, vorwerfen; denn Sie sind der stärkere Teil und stel-
len den Bundeskanzler. Ich wäre an Ihrer Stelle in diesem
Punkt etwas zurückhaltender.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein entscheidender Ansatz, ein Kernstück unseres Ge-

setzentwurfs, ist die Einführung einer neuen Kronzeugen-
regelung. Die frühere Kronzeugenregelung ist von der rot-
grünen Bundesregierung nicht verlängert worden –
offenkundig, ohne sich Gedanken darüber gemacht zu ha-
ben, wie es danach weitergehen soll. Mit unserem Entwurf
haben wir eine bereichsspezifische Kronzeugenrege-
lung vorgelegt. Sie greift ein, wenn Straftaten vorliegen,
die dem Kernbereich der organisierten Kriminalität und
des Terrorismus zuzurechnen sind. Natürlich können sol-
che Normen nicht allein im Raum stehen. Sie sollen daher
durch strafprozessuale Bestimmungen flankiert werden,
die einem Missbrauch effektiv vorbeugen.

In diesem Punkt befinden wir uns auf einer Linie mit
dem Bundesrat. Der von den Ländern vorgelegte Entwurf
eines Gesetzes zur Ergänzung der Kronzeugenregelungen
im Strafrecht zielt genau in die richtige Richtung. Gerade
diese Kronzeugenregelung ist auch der Grund dafür, dass
SPD und Grüne unseren Gesetzentwurf länger auf der
Ausschussebene gehalten haben, als es der Sache dienlich
war. Hier hätte schnell Abhilfe geschaffen werden kön-
nen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: So ist es!)

Stattdessen hat die Regierungskoalition lange diskutiert,
um in dieser wichtigen Frage in dieser Legislaturperiode
am Ende wahrscheinlich zu keinem Ergebnis mehr zu
kommen.

Hatte die Koalition ursprünglich einen eigenen Ent-
wurf für eine Kronzeugenregelung ins Auge gefasst, den
wir selbstverständlich geprüft und gegebenenfalls mitge-
tragen hätten,


(Hedi Wegener [SPD]: Quatsch! Niemals hätten Sie das getan! – Gegenruf des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU]: Ihr habt gar keinen Entwurf vorgelegt!)





Volker Kauder
22506


(C)



(D)



(A)



(B)


so ist die Sache jetzt wohl letztlich gescheitert. Wir haben
viel wertvolle Zeit verloren und es ist einmal mehr deut-
lich geworden, dass SPD und Grüne ernsthafte Probleme
mit dieser Rechtsmaterie haben. Anscheinend meinen die
Grünen, dies sei ein ideales Vorhaben, um sich wieder ein-
mal auf überholte Positionen einer Fundamentalopposi-
tion zurückziehen zu können.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: So ist es!)

Das Verhalten der Koalition ist umso unverständlicher,

als sich in der öffentlichen Anhörung zu diesem Thema
nahezu alle Sachverständigen aus der Praxis zu einer
neuen Kronzeugenregelung sehr positiv geäußert haben.
Die Schaffung einer solchen Regelung wurde aus Sicht
der Praxis vielfach ausdrücklich begrüßt. Von den Exper-
ten ist bestätigt worden, dass eine Vielzahl schwerster ter-
roristischer Verbrechen ohne die frühere Kronzeugenre-
gelung, die ja ausgelaufen ist, nicht hätte aufgeklärt
werden können. Die Staatsschutzsenate der Oberlandes-
gerichte in Düsseldorf, Celle, Frankfurt, Stuttgart und
München haben in den 90er-Jahren gerade mithilfe der
Kronzeugenregelung immer wieder Verfahren erfolgreich
abschließen können.

Eine Kronzeugenregelung zur Bekämpfung von orga-
nisierter Kriminalität ist nicht nur kriminalpolitisch sinn-
voll, sondern sie ist auch schlicht unverzichtbar.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die für die Verfolgung und Bekämpfung krimineller

Gruppierungen notwendige Kenntnis der inneren Struktu-
ren und Entscheidungsabläufe kann immer weniger durch
verdeckte Ermittlungsarbeit erworben werden. Konspira-
tiv abgeschottete Strukturen können nur durch starke Of-
fenbarungsanreize für Mittäter aufgebrochen werden.

Im Bereich der Rauschgiftkriminalität kann nach
geltendem Recht Aufklärungs- und Präventionshilfe von
Beschuldigten in einem Strafverfahren bei der Strafbe-
messung berücksichtigt werden.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: So ist es!)

Hier verfügen wir über langjährige gute Erfahrungen. Die
strafrechtliche Praxis wendet die Normen regelmäßig an.
Deshalb haben wir uns bei unserem Entwurf an der erfolg-
reichen so genannten kleinen Kronzeugenregelung des
§ 31 des Betäubungsmittelgesetzes orientiert. Die von uns
vorgeschlagenen Maßnahmen können also schnell in die
Praxis umgesetzt werden.

Ich wundere mich darüber, dass die SPD nach den voll-
mundigen Ankündigungen ihres Innenministers, man
werde alles tun, um die innere Sicherheit zu gewährleis-
ten, in diesem so wichtigen Punkt nicht vorankommt. Es
ist ein weiteres Zeichen dafür – viele andere könnten wir
anführen –, dass das rot-grüne Projekt ausgedient hat. Es
nützt dieser Gesellschaft nicht mehr.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Uwe Küster [SPD]: Ach, Herr Kauder! Das war schauerlich!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422709700
Das Wort
hat jetzt der Kollege Joachim Stünker von der SPD-Frak-
tion.


(Hedi Wegener [SPD]: Jetzt sage ihm mal ordentlich Bescheid!)



Joachim Stünker (SPD):
Rede ID: ID1422709800
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Herr Kauder, nachdem Sie Ihre
Wahlrede gehalten haben,


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das war eine sachliche Rede! Ich weiß nicht, was Sie haben!)


darf ich jetzt vielleicht noch einmal auf das Thema
zurückkommen, mit dem wir uns hier heute Nachmittag
beschäftigen. Wir haben auf Ihren Antrag hin nach § 62
Abs. 2 unserer Geschäftsordnung Bericht darüber zu er-
statten, welchen Stand der Beratung wir im Rechtsaus-
schuss erreicht haben, unter anderem bei der von Ihnen
angesprochenen Frage einer Nachfolgeregelung für die
Kronzeugenregelung.

Es ist richtig, Herr Kollege Kauder, dass wir als Koali-
tionsfraktionen nach den bisherigen intensiven Beratun-
gen und Sachverständigenanhörungen im Rechtsaus-
schuss bis heute eine Ergänzung der Kronzeugenregelung
im Strafrecht nicht vornehmen können. Ich akzeptiere,
dass Sie das kritisieren, aber nicht, wie Sie es kritisieren.
Die CDU/CSU hat diese Entwicklung nämlich in den letz-
ten Tagen in einer Pressemitteilung als schweren Rück-
schlag für die Bekämpfung von Terror und schwerer Kri-
minalität bezeichnet.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: So ist es!)

Starke Worte, Herr Kollege Geis, aber Sie werden damit
wieder als Bettvorleger landen. Das garantiere ich Ihnen.

Worüber reden wir hier eigentlich? Wir reden doch da-
rüber, dass wir Straftätern, die schwerste Straftaten be-
gangen haben – Mord, Totschlag, räuberische Erpressung
oder andere –, Straferlass bzw. Straffreiheit dafür geben
wollen, dass sie in ihrem Strafverfahren gegen andere Per-
sonen aussagen und dadurch Straftaten aufgeklärt werden
können oder möglicherweise die Begehung neuer Strafta-
ten verhindert werden kann.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Genau das ist die Kronzeugenregelung!)


Darum geht es.
Interessanterweise hat zu dem Umstand, dass wir bis

heute noch keine neue Regelung vorgelegt haben, der
Deutsche Anwaltverein am 14.März eine Presseerklärung
herausgegeben, aus der ich einmal zitieren darf. Dort
steht:

Mit einer Kronzeugenregelung wären die Risiken für
die Richtigkeit und Gerechtigkeit der Entscheidun-
gen der Justiz, insbesondere die Gefahr von Falsch-
belastungen erheblich gewesen.
„Kronzeugenregelungen sind unnütz und riskant“

– so ein Vertreter des Deutschen Anwaltvereins.




Volker Kauder

22507


(C)



(D)



(A)



(B)


Es entspräche einer allgemeinen Erfahrung, dass
Straftäter immer wieder ihre eigene Verantwortung
entweder ganz leugnen oder auf andere abwälzen,
um selbst einer Strafe ganz zu entgehen oder diese zu
mildern. Daraus werde deutlich, dass eine Kronzeu-
genregelung der Wahrheitsfindung nicht dienen
könne.

Soweit der DAV, der ja sicherlich nicht im Verdacht steht,
Sozialdemokraten sehr nahe zu stehen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist nicht die Meinung der Justizministerin! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber Sie sind doch auch für eine Kronzeugenregelung! Sind Sie jetzt für eine Kronzeugenregelung oder nicht?)


Meine Damen und Herren, es liegen Welten zwischen
diesen beiden Erklärungen. Sie haben eine populistische,
rein politische Erklärung abgegeben, in der anderen Er-
klärung sorgt man sich um die Richtigkeit und Gerechtig-
keit der Entscheidungen der Justiz in diesem Land. Ange-
sichts dieses breiten Meinungsspektrums meine ich
schon, dass es sinnvoll und richtig ist, wenn wir uns bei
der Beratung einer Neuregelung Zeit lassen und sehr
gründlich unter Hinzuziehung des gesamten Sachverstan-
des nachdenken, wie denn diese Neuregelung aussehen
soll.


(Beifall bei der SPD – Norbert Geis [CDU/ CSU]: Sie sagen das schon drei Jahre! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber drei Jahre müssen genug sein!)


Sie beschwören Gefahren für die innere Sicherheit.
Kolleginnen und Kollegen, wir haben kurz vor Weih-
nachten hier in einem wirklich guten Akt des Parlamenta-
rismus mit dem Schily-II-Paket Regelungen auf den Weg
gebracht, mit denen wir auch die Lücken, die vermeintlich
noch da sind, schließen, die innere Sicherheit in unserem
Land noch verbessern und den guten Schutz noch stärken.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Schily will die Kronzeugenregelung!)


– Kollege Geis, malen Sie nicht zu Wahlkampfzwecken
schwarz und machen Sie den Menschen in diesem Land
nicht laufend Angst.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir sagen nur das, was der Schily sagt!)


Zudem, Herr Kollege Geis, ist die rechtstatsächliche
Bedeutung der so genannten Kronzeugen, die von Ihnen
und von Ihren konservativen Kolleginnen und Kollegen
immer so beschworen wird, für die Praxis wirklich mar-
ginal. Die Gerichte in Deutschland haben im Strafprozess
andere Probleme als die Probleme, die Sie mit einer Kron-
zeugenregelung lösen wollen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie kennen die Praxis nicht!)


– Ja, Herr Kollege Geis, ich kenne also die Praxis nicht.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie glauben immer, Sie kennen sie, aber Sie kennen sie nicht!)


– Herr Kollege Geis, Ihre Zwischenrufe können nicht ver-
bergen, dass Sie in dem Thema nicht mehr drinstecken.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Lesen Sie doch, was Ihre Sachverständigen gesagt haben!)


Herr Kollege Geis, ich bleibe dabei, dass sich die am
31. Dezember 1999 ausgelaufene alte Kronzeugenrege-
lung nicht bewährt hat.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sagen nur Sie!)

In keinem Fall ist es mithilfe dieser Regelung gelungen,
Täter aus terroristischen Vereinigungen herauszubrechen
oder terroristische Straftaten zu verhindern. Auch im
Kampf gegen das organisierte Verbrechen hat die alte
Kronzeugenregelung versagt. Diese Regelung schuf eher
Anreize zu falschen Verdächtigungen und Denunziatio-
nen. Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Kronzeugen
waren deshalb immer angebracht.

Diese Zweifel teilen im Grunde genommen die An-
tragsteller der jetzt vorliegenden Entwürfe, also die
CDU/CSU und der Bundesrat. In diesen Entwürfen wird
vorgeschlagen – das soll neu sein –, an 23 Stellen im Straf-
gesetzbuch bzw. in strafrechtlichen Nebengesetzen nun-
mehr spezielle Kronzeugenregelungen zu implementie-
ren, die nur für die Verletzung der dort genannten
Straftatbestände gelten sollen.

Von den bisher genannten Kronzeugenregelungen un-
terscheiden sich die Entwürfe aber vor allen Dingen da-
durch – der Kollege Kauder hat dazu eben gar nichts ge-
sagt; das haben Sie hineingeschrieben, weil Sie Zweifel
haben; auch Wissenschaft und Praxis teilen diese Zweifel –,
dass § 362 der Strafprozessordnung um einen neuen Wie-
deraufnahmetatbestand, nämlich um die Wiederauf-
nahme zuungunsten des Angeklagten, ergänzt werden
soll. Das heißt, ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfah-
ren kann zuungunsten eines Angeklagten wieder aufge-
nommen werden. Das gilt speziell für Täter, die von einer
Kronzeugenregelung – sozusagen in Ihrem Sinne – be-
dacht worden sind. Das erkennende Gericht, das eine
Kronzeugenregelung strafmildernd angewandt hat, soll in
seinem Urteil neben der tatsächlich verhängten Strafe
auch die fiktive Strafe, die ohne Anwendung der Kron-
zeugenregelung verwirkt gewesen wäre, festsetzen.

Was heißt das eigentlich? Es gibt also einen neuen Wie-
deraufnahmegrund für den Fall, dass sich im Nachhinein
herausstellt, dass der Angeklagte in einem vorausgegan-
genen Verfahren als Kronzeuge die Unwahrheit gesagt
hat, um sich Strafmilderung oder das Absehen von Strafe
zu erkaufen. Die fiktive Strafe, die neben der eigentlichen
Strafe festgesetzt worden ist, soll im Nachhinein als reale
Strafe verhängt werden.

Herr Kollege Geis, das ist eine wahrlich komplizierte
Regelung. Da graust es den strafprozessrechtlichen Prak-
tiker. So etwas können sich nur Schreibtischtäter ausge-
dacht haben.


(Beifall bei der SPD)

Wer die Kompliziertheit des bereits jetzt geltenden Wie-
deraufnahmerechts kennt, weiß, vor welche fast unlösba-
ren Probleme der Tatrichter mit einer derartigen Neurege-




Joachim Stünker
22508


(C)



(D)



(A)



(B)


lung gestellt würde. Herr Kollege Geis, Sie können sicher
sein: Die Kolleginnen und Kollegen in diesem Lande wer-
den dankbar dafür sein, dass die Mitglieder meiner Frak-
tion dafür Sorge tragen werden, dass die uns von Ihnen
hier vorgeschlagene Regelung nicht Gesetz werden wird.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dennoch gibt es Fälle – da treffen sich unsere Beurtei-
lungen –, in denen eine allgemeine Kronzeugenregelung
kriminalpolitisch sinnvoll und auch erforderlich ist. Ich
denke an den breiten Bereich der organisierten Krimina-
lität. Die SPD-Fraktion strebt daher eine Strafzumes-
sungsvorschrift im allgemeinen Strafrecht mit einem
neuen § 46 b StGB an. Mit dieser Vorschrift können be-
stimmte kooperative Verhaltensweisen, die zur Auf-
klärung begangener oder zur Verhinderung zukünftiger
Straftaten führen, stärker als bisher strafmildernd berück-
sichtigt werden. Dies ist dann jedoch nicht deliktspezi-
fisch, sondern gilt allgemein, also für jeden Straftäter; je-
der Straftäter kann nach dieser Vorschrift strafmildernd
behandelt werden.

Die Untergrenze der vorgesehenen Strafmilderung soll
fünf Jahre betragen, wenn die Tat ausschließlich mit le-
benslanger Freiheitsstrafe bedroht ist, also bei Mord, oder
wenn das Gesetz neben lebenslanger Freiheitsstrafe eine
zeitige Freiheitsstrafe vorsieht.

Im Übrigen soll die Strafe gemäß § 49Abs. 2 StGB ge-
mildert werden können. Mit einer solchen Regelung
schaffen wir keine Lex specialis für einige Schwerstkri-
minelle, sondern eine Lex generalis für alle Menschen in
diesem Land. Das allein, Herr Kollege Geis, ist verfas-
sungsrechtlich in Ordnung, also verfassungskonform.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Dann legen Sie es halt vor!)


Das ist kriminalpolitisch die einzig sinnvolle Regelung.
Wie ich Ihnen schon vor ein paar Wochen gesagt habe,

werden wir eine entsprechende Regelung vorlegen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das sagen Sie seit drei Jahren!)

Eine solche Regelung bleibt Gegenstand des Pakets, mit
dem wir auf dem Gebiet der inneren Sicherheit weitere
Verbesserungen bei der Bekämpfung der organisierten
Kriminalität in diesem Land auf den Weg bringen werden,
Herr Kollege Geis.

Der Kollege Beck schüttelt den Kopf. Dazu kann ich
nur sagen: Wir werden an diesem Thema weiterarbeiten
und wir werden Ihnen solch eine Regelung rechtzeitig
vorlegen. Wenn wir die neue Kronzeugenregelung bis
Mai oder Juni nicht mehr verabschieden sollten, Herr Kol-
lege Geis, geht der Rechtsstaat daran nicht zugrunde.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422709900
Das Wort
hat jetzt der Kollege Jörg van Essen von der FDP-Frak-
tion.


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1422710000
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Die bisherige Debatte hat viele gute
Gründe dafür aufgezeigt, warum eine neue Kronzeugen-
regelung kommen soll und kommen muss. Ich kann dem
Kollegen Stünker ausdrücklich Recht geben, wenn er
sagt, dass der Einsatz der Kronzeugenregelung beispiels-
weise für den Bereich der organisierten Kriminalität zu
empfehlen ist. Wir wissen das durch die Forschungen, die
der frühere Leiter des Kriminologischen Forschungsinsti-
tuts in Hannover und jetzige sozialdemokratische Justiz-
minister Professor Pfeiffer in dieser Frage durchgeführt
hat. Er hat Experten befragt und deren Meinungen und Er-
fahrungen eingeholt. Das Ergebnis war klar und eindeu-
tig, nämlich der Ruf nach einer neuen rechtsstaatlichen
Kronzeugenregelung.

Wir als FDP-Bundestagsfraktion unterstützen das
nachdrücklich. Ich habe bislang auch kein einziges Argu-
ment dagegen gehört, das wirklich durchschlagend wäre.
Wir wissen alle, dass es gerade bei der organisierten
Kriminalität außerordentlich schwierig ist, in den Kern-
bereich einzudringen. Aus den Erfahrungen in vielen
anderen Ländern, die sehr viel mehr Probleme mit orga-
nisierter Kriminalität haben, ist uns bekannt, dass Kron-
zeugenregelungen sehr erfolgreich waren.

Dass eine Kronzeugenregelung durchaus rechtsstaat-
lich ist, zeigt das hier schon angeführte Beispiel des § 31
des Betäubungsmittelgesetzes. In diesem Bereich setzen
wir eine Kronzeugenregelung schon seit langem ein. All
die Probleme, die hier aufgezeigt worden sind, sind auch
dort vorhanden. Trotzdem haben wir damit gute Erfah-
rungen gemacht, von denen wir uns leiten lassen sollten.

Die Vorstellung der FDP ist nicht, eine Lösung zu fin-
den, die darin besteht, dass die Kronzeugenregelung in
vielen Paragraphen vorgesehen wird, wie es die CDU/
CSU vorschlägt. Unsere Überlegungen gehen in die Rich-
tung, wie Sie, Herr Stünker, sie vorgetragen haben. Ich
glaube, dass der Weg, der von Ihnen aufgezeigt worden
ist, Erfolg versprechen kann. Für uns ist allerdings wich-
tig, dabei die Rechtsprechung zu berücksichtigen. Die
Rechtsprechung hat deutlich gemacht, dass die Verurtei-
lung aufgrund der Anwendung einer Kronzeugenregelung
nicht allein auf der Aussage des Kronzeugen beruhen darf.
Das sollten wir in der Lösung ausdrücklich herausstellen.
Wir sollten aufnehmen, was die Rechtsprechung uns auf-
gegeben hat. Aber eine generelle Lösung wäre auch die
Vorstellung der Liberalen in diesem Zusammenhang.

Es gibt also – das muss man feststellen – eine breite
Mehrheit der Vernunft in diesem Haus. Ich bin ganz
sicher, dass auch die CDU/CSU in Richtung der Lösung,
die Sie aufgezeigt haben, gesprächsbereit gewesen
wäre; denn wir wollen alle, dass Täter im Bereich von
schwerster Kriminalität gefasst und Menschen nicht wei-
terhin Opfer werden, und das soll mit einer vernünftigen
Lösung erreicht werden.

Trotzdem müssen wir heute feststellen, dass die Neu-
regelung abgelehnt wird. Es gibt – vielleicht außer der
PDS – nur eine einzige Fraktion, und zwar eine Regie-
rungsfraktion – nämlich die Grünen –, die sie ablehnt. Wir
werden gleich wieder all die Dinge hören, die wir seit lan-
gem hören und die in der Expertenanhörung widerlegt




Joachim Stünker

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(B)


worden sind. Deshalb ärgert mich das ganz außerordent-
lich. Wir als Liberale sagen: Wir wollen Opferschutz und
nicht Täterschutz, insbesondere nicht den Schutz von
Tätern im Bereich von schwerster Kriminalität.

Einen zweiten Aspekt möchte ich ansprechen, weil
auch er Gegenstand der jetzigen Beratung ist. Der Bun-
desrat hat vorgeschlagen, einige Kompetenzen von der
Staatsanwaltschaft auf die Polizei zu verlagern. Ein gän-
giges Argument dagegen ist, dass die Staatsanwaltschaft
juristisch besser ausgebildet sei und sie deshalb besser in
ihren Händen lägen. Wenn man, wie ich, gelernter Ober-
staatsanwalt ist, dann neigt man dazu, dem sehr schnell
zuzustimmen. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen,
dass sich die Ausbildung der Polizei gerade im rechtlichen
Bereich enorm verbessert hat, beispielsweise durch die
Fachhochschulausbildung, die die Polizeikommissar-
anwärter erhalten. Das heißt, wir haben bei der Polizei
andere Verhältnisse, als wir sie vielleicht noch vor 30,
40 Jahren hatten.

Man kann über die eine oder andere Änderung nach-
denken. Aber es macht mir Sorge, dass wir immer wieder
Anstrengungen beobachten können, die Zuständigkeiten
von der Staatsanwaltschaft weg und hin zur Polizei zu
verlagern. Ich werbe sehr dafür, dass wir das außeror-
dentlich vorsichtig tun.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Joachim Stünker [SPD])


Es gibt Tausende von guten Gründen, dass die Staatsan-
waltschaft Herrin des Ermittlungsverfahrens bleibt und
dass sie die rechtliche Verantwortung und Aufsicht hat.
Das ist die Begründung, warum wir die entsprechenden
Gesetzentwürfe des Bundesrates ablehnen.

Ich appelliere an die Vernunft. Herr Stünker, ich darf
Ihnen als dem Sprecher der Sozialdemokraten ausdrück-
lich versichern, dass wir zu einer vertrauensvollen Zu-
sammenarbeit für einen besseren Opferschutz und für
eine rechtsstaatliche Kronzeugenregelung bereit sind. Wir
bringen uns gerne in dieses Verfahren ein.

Es vergeht nicht mehr viel Zeit bis zum 22. September.
Spätestens ab diesem Zeitpunkt werden wir zu einer ver-
nünftigen Kronzeugenregelung kommen, weil dann die
Grünen in diesem Lande Gott sei Dank kein Sagen mehr
haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen der Abg. Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Norbert Geis [CDU/CSU]: Für den letzten Satz klatsche ich Beifall!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422710100
Als
nächster Redner hat der Kollege Volker Beck vom Bünd-
nis 90/Die Grünen das Wort.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Herr Beck, das müssen Sie aufnehmen!)



Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422710200

Herr van Essen, ich kann nur sagen: Dream on, boy. Da
war der Wunsch Vater des Gedankens. Wir werden Ihnen
in der Koalition nach dem 22. September Mores lehren
und werden in der Innen- und Rechtspolitik unseren er-
folgreichen rechtsstaatlichen Kurs bei der Schaffung der
inneren Sicherheit fortsetzen.

Die Koalition hat in dieser Legislaturperiode bereits
eindrucksvoll unter Beweis gestellt, wie man gegen orga-
nisierte Kriminalität und gegen Strukturen des Terroris-
mus zielgenau und rechtsstaatskonform vorgeht. Ich
möchte daran erinnern, dass die FDP nicht zugestimmt
hat, als wir unser großes Gesetzespaket vorgelegt haben.

Der 11. September hat uns eine neuartige schreckliche
Dimension des internationalen Terrorismus vor Augen ge-
führt. Wir haben darauf mit einem umfangreichen Sicher-
heitspaket – Herr Stünker hat es als Schily II bezeichnet –
reagiert. Wir haben dabei die Balance gehalten und nicht
einfach all das aufgegriffen, was sich Polizei und Ge-
heimdienste in einer solchen Situation wünschen. Wir ha-
ben vielmehr darauf geachtet, dass dieses Paket zielgenau
bleibt und dass es rechtsstaatlich, kontrolliert und auch
datenschutzkonform implementiert wird. Es waren ge-
rade die Grünen, die bei dem Sicherheitspaket auf diese
Aspekte geachtet haben. Weil wir die Balance gehalten
haben, konnten wir es mit großer Überzeugung durch die
parlamentarischen Gremien bringen.

Karlsruhe hat gestern deutlich gemacht, wie man mit
einer populistischen Rechtspolitik verfährt, die jedes Au-
genmaß vermissen lässt. Man kassiert die entsprechenden
Gesetze kurzerhand ein, weil sie verfassungswidrig sind.
Ich bin mir sicher, verehrte Kolleginnen und Kollegen
von der Union, dass vieles von dem, was in Ihrem Ge-
setzentwurf hinsichtlich der organisierten Kriminalität
enthalten ist, in Karlsruhe ebenfalls den Stempel „verfas-
sungswidrig“ aufgedrückt bekäme.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Zum Beispiel?)

– Beispielsweise verweisen Sie in Ihrem Gesetzentwurf
auf Normen, die gestern aufgehoben wurden. Da diese
Normen nicht mehr in Kraft sind, ist Ihr Gesetzentwurf
ein Nullum.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Nur die Vermögensstrafe!)


– Beim Arzneimittelgesetz haben Sie das Urteil von ges-
tern nicht zur Kenntnis genommen und haben uns heute
einen unveränderten, als verfassungswidrig zu bezeich-
nenden Gesetzentwurf vorgelegt.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist nicht wahr!)


Würden Sie es mit Ihrem Vorhaben ernst meinen, dann
hätten Sie einen Änderungsantrag eingebracht. Sie hätten
dann im Übrigen auch bemerkt, dass die Probleme im Zu-
sammenhang mit § 12 FAG schon längst von der Koali-
tion gelöst wurden. Das ist alles kalter Kaffee aus der letz-
ten Legislaturperiode. Man kann zwar darauf verweisen,
dass Sie den Gesetzentwurf schon im August eingebracht
haben. Aber Sie müssen trotzdem zur Kenntnis nehmen,




Jörg van Essen
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dass sich die Lage in vielen Bereichen im Februar und im
März anders darstellt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Herr Geis, auch Ihr Vorschlag bezüglich einer verbes-
serten Gewinnabschöpfung, den Sie gestern aus schlech-
tem Gewissen gegenüber dem Karlsruher Urteil gemacht
haben – es war eine gemeinsame Niederlage von Union
und FDP –, kann nicht als rechtsstaatsfreundlich angese-
hen werden. Er würde die Gerichte vor riesige Probleme
stellen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Zum Beispiel?)

– Er würde sehr komplizierte Beweiserhebungen erfor-
dern und zu verschleppten Verfahren führen. Genau das
wollen wir nicht. Wir wollen in einem Strafverfahren
schnell zu einem rechtsstaatlich einwandfreien Urteil
kommen.

Wir werden morgen bei einem weiteren Thema der in-
neren Sicherheit, nämlich beim Thema Sicherungsver-
wahrung, beweisen, dass sich die Koalition mit ihren Vor-
schlägen bemüht – anders als Sie es mit Ihren Vorschlägen
machen –, die notwendigen Sicherungsmaßnahmen in
rechtsstaatskonformer Weise zu ergreifen.

Nun zu dem Thema Kronzeugenregelung, das hier ein
bisschen in die Mitte der Debatte gerückt ist.


(Jörg van Essen [FDP]: Aus guten Gründen!)

– Ich weiß nicht so sehr, Herr van Essen, ob aus guten
Gründen. Wenn man sich die Bilanz der Regelung, die wir
bis 1999 hatten, anschaut, dann ist festzustellen, dass
diese eher kläglich war. Sie verweisen hier immer mit
großer Überzeugung auf § 31 BtMG, die kleine Kronzeu-
genregelung im Betäubungsmittelrecht. Wir sollten uns
erinnern, warum man sie eingeführt hat. Damals hat man
sich erhofft, durch diese Kronzeugenregelung an die
Medellin-Kartelle und andere wichtige Teile der organi-
sierten Kriminalität heranzukommen. Das spielt heute
überhaupt keine Rolle mehr. Die Kronzeugenregelung
wird zwar häufig eingesetzt, aber die Strukturen der orga-
nisierten Kriminalität trifft man auch damit nicht.


(Jörg van Essen [FDP]: Teilweise doch! Das stimmt doch gar nicht!)


– Herr van Essen, wenn man sich zu einer Kronzeugenre-
gelung entschließen würde, lohnte die Debatte über die
Frage: Was sind die rechtsstaatlichen Anforderungen?
Darüber haben wir in der Koalition über Wochen und Mo-
nate diskutiert.


(Jörg van Essen [FDP]: Herr Stünker hat doch einen vernünftigen Vorschlag gemacht!)


– Herr van Essen, überwiegend habe ich jetzt das Wort.

(Jörg van Essen [FDP]: Gerne!)


Für einen Punkt, den Sie vorhin angesprochen haben
und den auch ich in dieser Debatte mit erörtert habe, habe
ich durchaus Sympathien. Man hat ja ein schlechtes Ge-
wissen, wenn man eine Verurteilung allein auf die Aus-
sage eines Kronzeugen stützen will, weil man weiß, dass

ein Kronzeuge immer auch aus sachfremden Motiven he-
raus eine Aussage treffen kann, unter Umständen eben,
um den Strafrabatt zu bekommen, und nicht, weil er der
Wahrheitsfindung dienen will. Als Straftäter hat er unter
Umständen auch ein Interesse daran, in den Aussagen in
seinem Prozess, aber auch später, seinen eigenen Tatbei-
trag etwas zu schönen und die Schuld im Wesentlichen auf
andere Mittäter und Komplizen abzuschieben. Das ist
durchaus verständlich und entspricht auch den Erfahrun-
gen bei Ermittlungsbehörden und Gerichten. Deshalb
muss man sehr vorsichtig sein, ob man allein aufgrund ei-
ner solchen Aussage eine Verurteilung vornehmen kann.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das tut auch keiner!)


Aber Ihre Forderung, das strafprozessual ausdrücklich zu
verbieten, stößt bei vielen auf ganz erhebliche Bedenken,


(Jörg van Essen [FDP]: Das ist doch Rechtsprechung!)


weil sie natürlich in die freie Beweiswürdigung der
Richter eingreift. Dieses Argument muss man zumindest
abwägen. Ich könnte mir sogar vorstellen, dem näher zu
treten; man muss das sehen.

Eine solche Regelung ist an diesem Punkt in gewisser
Weise ein Bruch mit dem System. Man muss auch sehen,
dass die Kronzeugenregelung als solche insgesamt natür-
lich einen Systembruch darstellt. Der Gesetzgeber hatte
ja auch immer ein schlechtes Gewissen bei der Kronzeu-
genregelung und hat sie deshalb immer wieder befristet.
Sie haben sie in Ihrer Koalition immer mit schlechtem Ge-
wissen verlängert. Ich kann mich noch daran erinnern,
dass Herr Burkhard Hirsch und manchmal auch Frau
Leutheusser-Schnarrenberger dagegen votiert oder zu-
mindest gegrummelt haben, weil sie meinten: Das, was
wir da machen, ist eigentlich mit Rechtsstaatlichkeit
schwer zu vereinbaren. – Recht haben sie!

Wenn wir diese Debatte fortsetzen, sollten wir wirklich
alle Probleme in diesem Zusammenhang sehen. Ein Pro-
blem ist zum Beispiel, dass sich die Frage stellt: Bekom-
men Täter für die gleiche Schuld am Ende die gleiche
Strafe? In der Bevölkerung stößt natürlich schon auf,
wenn nach der alten Kronzeugenregelung ein Mörder
womöglich sogar nur wegen einer Falschaussage in einem
anderen Prozess verurteilt und nach drei Jahren in die
Freiheit entlassen wird. Was sagen wir denn den Verbre-
chensopfern oder den Angehörigen der Verbrechensopfer
in einer solchen Situation? Das ist ein Problem.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das sehen wir ja in unserem Entwurf vor! Sie kennen unseren Entwurf nicht, Herr Beck!)


Sie haben bei der Kronzeugenregelung im Übrigen
auch das Problem, dass bei einer Gruppe von Leuten ei-
ner erwischt wird, der auspackt und von der Kronzeugen-
regelung Gebrauch machen kann, während der Nächste,
der erwischt wird, nicht mehr auspacken und von der
Kronzeugenregelung Gebrauch machen kann. Da ist zum
Beispiel der Gleichheitsgrundsatz erheblich tangiert.

Bei Ihrem Gesetzentwurf, meine Kolleginnen und
Kollegen von der Union, wundert mich allerdings, dass




Volker Beck (Köln)


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Sie die Kronzeugenregelung jetzt in jeden Paragraphen
schreiben wollen, dass Sie im Wesentlichen auf Paragra-
phen fokussieren, bei denen man im Rahmen der allge-
meinen Strafzumessung nach § 46 StGB schon heute ent-
sprechend helfen kann. Natürlich wird auch schon heute
bei Präventions- und Aufklärungsgehilfen von solchen
Regelungen Gebrauch gemacht. Dafür braucht man die
von Ihnen vorgeschlagene Regelung eigentlich nicht.

Mir ist wohler dabei, dass wir noch keine Kronzeu-
genregelung haben. Ich glaube, es ist sehr mühevoll, eine
einigermaßen rechtsstaatlich kompatible Regelung zu for-
mulieren. Deshalb liegt auch von keiner Fraktion dieses
Hauses ein Vorschlag auf dem Tisch. Ich denke, der Bun-
destag wäre gar nicht so schlecht beraten, wenn er einfach
die Finger davon ließe.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Jörg van Essen [FDP]: Das ist klar und eindeutig ein Fehler!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422710300
Das Wort
hat die Kollegin Ulla Jelpke von der PDS-Fraktion.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1422710400
Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Eine wirksame und erfolgreiche Kriminalitäts-
bekämpfung kann nur durch eine effiziente soziale
Prävention erreicht werden. Das haben wir hier mehrfach
deutlich gemacht. Mit den Anträgen des Bundesrats und
der Union dagegen werden die Sorgen der Bürgerinnen
und Bürger in einem populistischen Spielchen übergan-
gen. Ohne Bekämpfung und Korrektur der gesellschaftli-
chen und sozialen Ursachen sind alle Versuche, Krimina-
lität – wie das jetzt hier geschehen soll – durch immer
mehr Polizei, immer schärfere Gesetze, immer höhere
Strafmaße zurückzudrängen, zum Scheitern verurteilt.
Die vorliegenden Gesetzentwürfe wollen die Ausweitung
der Befugnisse der Polizei, die Einführung von Verfah-
rensregeln, welche rechtsstaatlichen Grundprinzipien wi-
dersprechen, und eine Verschärfung der Sicherheitsver-
wahrung. Letztere wird ja morgen in diesem Hause
ausführlich diskutiert.

Ich möchte zwei Beispiele aufgreifen, zum Ersten das
Beispiel der Kronzeugenregelung. Die Gesetzentwürfe
formulieren eine Neuauflage der Kronzeugenregelung.
Diese Neuauflage – ganz gleich, ob in einer großen oder
in einer kleinen Variante – lehnen wir insgesamt entschie-
den ab. Zum einen ist die Kronzeugenregelung rechts-
staatlich höchst umstritten, zum anderen sind die Infor-
mationen von Kronzeugen meist nur sehr bedingt
ermittlungsrelevant und oft nicht gerichtsverwertbar. Ein
Handel mit der Strafe, in den der Täter sein Tatwissen ge-
wissermaßen als Geschäftsgrundlage einbringt, ohne dass
an die Tatumstände und die Schuld angeknüpft wird, ist
unseres Erachtens nicht akzeptabel.


(Beifall bei der PDS)

Es besteht eine erhöhte Gefahr, dass solche erkauften
Aussagen schlicht Falschaussagen sind. Diese gehen dann
zulasten der Beschuldigten. In der Praxis ist die man-
gelnde Glaubwürdigkeit des Kronzeugen ein Problem.

Denn Kronzeugen waren und sind – das wissen eigentlich
alle in diesem Haus – oft zweifelhafte Figuren.

Als erfahrene Prozessbeobachterin kann ich dies nur
bestätigen. In dem 129-a-Prozess, der zurzeit in Berlin ge-
gen die Revolutionären Zellen läuft, kann in den jeweils
am Donnerstag und Freitag stattfindenden Gerichtsver-
handlungen jeder erleben, dass sich ein Kronzeuge stän-
dig widerspricht. Per Aussageerzwingungshaft werden
die Angeklagten zur Stellungnahme gezwungen. Sie kom-
men nur dann frei, wenn sie vor Gericht eine entspre-
chende Aussage machen. Das widerspricht eindeutig
rechtsstaatlichen Prinzipien, nämlich dem Recht der Be-
schuldigten zu schweigen; schließlich muss das Gericht
ihnen nachweisen, welche Schuld sie zu verantworten ha-
ben. Damit wird das Recht des Beschuldigten auf ein fai-
res Verfahren und somit ein fundamentales Prinzip des
Rechtsstaates infrage gestellt. Deshalb haben wir in der
Vergangenheit die Kronzeugenregelung abgelehnt und
werden dies auch in Zukunft weiterhin tun.

Einige haben schon zitiert, dass der Deutsche Anwalt-
verein nach den Anschlägen vom 11. September erklärte,
die Einführung einer Kronzeugenregelung sei unnütz und
riskant. Die jetzt diskutierten Vorschläge seien nichts an-
deres als alter Wein in neuen Schläuchen. Gerade auf dem
Gebiet der Aufklärung terroristischer Straftaten hat sich
die Kronzeugenregelung nicht bewährt. Die Anzahl der
Anwendungsfälle war in der Vergangenheit äußerst ge-
ring. Hier dagegen wird so getan, als habe das bisher
große Erfolge gebracht. Ich kann das nicht nachvollzie-
hen.


(Jörg van Essen [FDP]: Natürlich, insbesondere bei der PKK!)


– Auch in den PKK-Prozessen war das Auftreten der
Kronzeugen äußerst strittig.


(Jörg van Essen [FDP]: Sie sind rechtsstaatlich gelaufen und rechtsstaatlich abgeschlossen!)


Ich bin in der Tat der Meinung, dass man sich das genau
anschauen muss. Gehen Sie einmal zu diesem RZ-Pro-
zess! Ich glaube, das kann für jeden Juristen eine ganz
wichtige Anschauung sein, was da zurzeit vorgetragen
wird.

Der Deutsche Anwaltverein hat im Zusammenhang mit
der Bekämpfung des Terrorismus eindeutig festgestellt:

Den neuen Dimensionen krimineller, terroristischer
Bedrohungen, die seit den Katastrophen des 11. Sep-
tember die Öffentlichkeit beunruhigen, ist nicht mit
Methoden zu begegnen, die sich bereits in der Ver-
gangenheit als ineffektiv und riskant erwiesen haben.
Zu ihnen gehört die Kronzeugenregelung.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422710500
Frau Kol-
legin, kommen Sie bitte zum Schluss.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1422710600
In diesen Gesetzespaketen sind
noch viele weitere Punkte enthalten. Ich meine, dass die
Kronzeugenregelung ein Punkt ist, den man hier intensi-
ver diskutieren muss. Ich bin froh darüber, dass die Grü-




Volker Beck (Köln)

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(A)



(B)


nen noch daran festhalten, die Kronzeugenregelung nicht
erneut aufzulegen.


(Jörg van Essen [FDP]: Täterschutz statt Opferschutz!)


Sie widerspricht jedem rechtsstaatlichen Prinzip und je-
dem demokratischen Staat.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422710700
Für die
Bundesregierung spricht jetzt der Parlamentarische
Staatssekretär Dr. Eckhart Pick.

D
Prof. Dr. Eckhart Pick (SPD):
Rede ID: ID1422710800
Herr Präsident! Meine lieben Kolle-
ginnen und Kollegen! Ich will am Anfang meiner Aus-
führungen keinen Zweifel daran lassen, dass die
Bundesregierung nach wie vor der Meinung ist, dass eine
rechtsstaatliche, transparente und auch zielgerichtete
Regelung der so genannten Kronzeugenregelung denk-
bar ist.


(Jörg van Essen [FDP]: Sehr gut!)

Es liegen auch entsprechende Vorschläge vor. Aber eines
muss man feststellen: Sie muss besser sein als die Rege-
lung, die ausgelaufen ist. Sie muss vor allen Dingen auch
besser sein als die Vorschläge, die uns der Bundesrat und
– ihm in weiten Bereichen folgend – auch die Union heute
vorgelegt haben.


(Jörg van Essen [FDP]: Da stimmen wir Ihnen zu!)


Ich darf insoweit auf die Stellungnahme der Bundesregie-
rung zum Entwurf des Bundesrates verweisen.

Ich möchte kurz auf die Punkte zu sprechen kommen,
die uns besonders aufgefallen sind. Wenn man die Ent-
würfe des Bundesrates und der Union betrachtet, kann
man, Herr Geis, nicht gerade sagen, dies sei eine sehr
übersichtliche Regelung. Sie haben einen Ansatz gewählt,
der nach meiner Erinnerung auch von den Experten in der
Anhörung am 7. November letzten Jahres sehr kritisch
unter die Lupe genommen worden ist. Dort wurde festge-
stellt, dass hierin zum Teil in einer kaum nachvollziehba-
ren Weise und ohne eingehende Begründung Einzelrege-
lungen getroffen worden sind.

So haben Sie für bestimmte Delikte Kronzeugenrege-
lungen vorgesehen, für andere nicht. Da muss man sich
fragen: Warum nicht?


(Jörg van Essen [FDP]: Genauso ist es!)

So gibt es nicht für jeden Täter einen Anreiz, eine Aussage
zu machen. Um es an einem Beispiel festzumachen: Nach
Ihrem System würde etwa der betrügerische Buchhalter,
der einer Mafiaorganisation angehört und über Schutz-
gelderpressungen seiner Organisation aussagt, gar nicht
in den Genuss Ihrer Kronzeugenregelung kommen. Dies
ist ein Fall, an den Sie in dieser Form sicher nicht gedacht
haben.

Außerdem haben Sie nicht ausdrücklich die Anstifter
und Gehilfen erwähnt. Die Frage ist doch, ob man nicht
gerade über die so genannten Randfiguren der organisier-
ten Kriminalität,


(Jörg van Essen [FDP]: Das sind die italienischen Erfahrungen! In Italien ist es meistens so!)


also die Gehilfen im strafrechtlichen Sinne, Eingang in
die Strukturen der organisierten Kriminalität finden kann.
Ich denke, dass Ihnen dies auch die Sachverständigen in
der Anhörung des Ausschusses im November letzten Jah-
res gesagt haben.

Ich will Ihnen noch ein Beispiel nennen, weil ich finde,
dass Sie sich offensichtlich haben überreden oder über-
fahren lassen: In § 129 a StGB gibt es über den Verweis in
Abs. 5 bereits eine bereichsspezifische Kronzeugenrege-
lung. Dies haben Sie als Fraktion erkannt und in Ihrem
Entwurf dann auch weggelassen. Der Bundesrat hat seine
diesbezüglichen Vorschläge jedoch aufrechterhalten.

Uns ist noch etwas anderes besonders aufgefallen: In
§ 255 a StGB sind in Nr. 2 unter anderem Strafmilderung
oder Straffreiheit vorgesehen, wenn der Täter von einer
bevorstehenden Straftat nach § 255 StGB – also räuberi-
sche Erpressung – weiß und sie verhindern hilft. Das ist
sicher ein durchaus anerkennenswertes Anliegen.

Aber Sie haben dabei offensichtlich § 138 Abs. 1 Nr. 8
StGB übersehen. Danach wird immerhin mit bis zu fünf
Jahren Freiheitsstrafe bestraft, wer von bevorstehenden
Taten nach § 255 StGB weiß und es nicht mitteilt. Das
hätte folgende etwas merkwürdige Konsequenz: Wer sich
nicht nach § 138 strafbar macht, erhält dafür außerdem ei-
nen Rabatt auf die Strafe für eine andere Tat, wegen der er
gerade vor Gericht steht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass
Sie das gar nicht beabsichtigt haben. Das gilt auch für an-
dere Vorschläge, zum Beispiel im Rahmen der neu vorge-
schlagenen §§ 149 a und 181 c StGB.

Ich möchte noch etwas zu den prozessualen Begleitre-
gelungen in Sachen Kronzeugen sagen. Insgesamt ver-
weise ich dabei auf die Stellungnahme der Bundesregie-
rung. Die Regelungen rund um die Wiederaufnahme, die
übrigens auch von den Sachverständigen unisono abge-
lehnt worden sind, bergen eine aus meiner Sicht nicht zu
unterschätzende Gefahr in sich. Sie zwingen den Kron-
zeugen, der einmal gelogen hat, bei dieser Lüge zu blei-
ben, weil er ansonsten einer erneuten Bestrafung ausge-
setzt wäre. Ich denke, auch das kann nicht Sinn und
Zweck einer sinnvollen Regelung sein.

Zur Frage der Telefonüberwachung habe ich – auch
im Rechtsausschuss – schon mehrfach gesagt, dass wir
mit Sorge sehen, wie stetig und zum Teil dynamisch die
Überwachungszahlen anwachsen. Ich weiß, dass dies ein
besonderes Anliegen nicht nur der Koalition, sondern
auch der FDP ist, die ja regelmäßig, und zwar jährlich, auf
diese Problematik aufmerksam macht. Es ist richtig, das
entsprechende fundierte Gutachten des Max-Planck-Insti-
tutes abzuwarten,


(Jörg van Essen [FDP]: Ja, genau!)





Ulla Jelpke

22513


(C)



(D)



(A)



(B)


das wir in Auftrag gegeben haben und das angekündigt
worden ist.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Darauf warten wir schon drei Jahre! – Gegenruf des Abg. Jörg van Essen [FDP]: Trotzdem ist es eine wichtige Grundlage!)


– Herr Geis, es ist klug, dass wir unsere Vorhaben – auch
wir haben solche – so lange zurückstellen, bis wir ent-
sprechende solide Grundlagen haben.


(Jörg van Essen [FDP]: Genau! Das ist der richtige Weg! – Gegenruf des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU]: Aber das dauert zu lange!)


Wir könnten uns zum Beispiel vorstellen, schwerwie-
gende Begehungsformen im Bereich der Korruptions-
und Sexualdelikte in den Katalog des § 100 a StPO auf-
zunehmen. Aber dafür fehlen uns entsprechende Erkennt-
nisse. Wir sollten im Interesse einer zielgerichteten Lö-
sung darauf warten, bis die entsprechenden Grundlagen
vorliegen. Dann sind wir bereit, entsprechende Vor-
schläge zu machen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422710900
Das Wort
hat nun der Kollege Norbert Geis von der CDU/CSU-
Fraktion.


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1422711000
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man einmal von
den Maßnahmen absieht, die im Zusammenhang mit den
Anschlägen vom 11. September 2001 notwendig waren
und denen wir zugestimmt haben, ist festzustellen: Die
Koalition hat in den letzten drei Jahren zur Verbrechens-
bekämpfung, zur Bekämpfung der allgemeinen Krimina-
lität und der organisierten Kriminalität, und zum besseren
Schutz vor Sexualdelikten, nichts, aber auch gar nichts
vorgelegt. Eingangs muss also festgehalten werden: Hier
hat die Koalition ganz entscheidend versagt; daran kann
man nicht deuteln.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Diese Floskel hat sich bei Ihnen schon ganz schön verbraucht!)


In diese Richtung passt natürlich Ihr Verhalten zur
Kronzeugenregelung. Die Vorgängerregierung hat es
sich hierbei nicht so einfach gemacht. Wir haben von 1989
bis 1998 eine ganze Reihe von Gesetzentwürfen vorgelegt
und durch das Parlament gebracht, die ganz entscheidend
mit dazu beigetragen haben, vom Gesetzgeber her den
Schutz der Allgemeinheit vor Verbrechen besser zu stel-
len, als dies vorher der Fall gewesen ist. Denken Sie nur
an die Kronzeugenregelung, die wir 1989 eingeführt ha-
ben. Denken Sie an das erste Gesetz gegen die organi-
sierte Kriminalität von 1992, an das Verbrechens-
bekämpfungsgesetz von 1994, an das Geldwäschegesetz,
das wir zum ersten Mal durch das Parlament gebracht ha-
ben, an den besseren Schutz vor Sexualdelikten und da-

ran, dass wir gemeinsam mit Ihnen und der FDP das
Wohnraumüberwachungsgesetz durchgesetzt haben. All
das sind Maßnahmen, die dazu geeignet sind, unsere Be-
völkerung, also die Menschen im Land, besser vor Ver-
brechen zu schützen.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Einer muss das ja machen!)


Nach wie vor besteht Handlungsbedarf. Nach wie vor
gibt es insbesondere eine steigende Jugenddelinquenz,
und zwar vor allem bezogen auf Gewalttaten. Niemand
kann davon ausgehen, dass der Terrorismus besiegt
wurde. Des Weiteren gibt es eine sich weiter ausbreitende
organisierte Kriminalität.

Die Regierung tut nichts. Sie legt die Hände in den
Schoß und lässt alle Anträge, die wir in den letzten drei
Jahren auf den Tisch gelegt haben, einfach unbeachtet.
Unsere Fraktion hat allein in den letzten drei Jahren zehn
Gesetzgebungsvorschläge gemacht, die zur Verbesse-
rung der inneren Sicherheit beitragen sollten.

Denken Sie zum Beispiel an unseren zweiten Anlauf
für ein Gesetz, das zu einem besseren Schutz vor Sexual-
delikten beitragen soll. Natürlich haben wir auch ein Ge-
setz zur Verlängerung der Kronzeugenregelung vorgelegt.
Schließlich haben wir das jetzt zu beratende Gesetz vor-
gelegt, gegen das Sie nun juristische Einwände vorge-
bracht haben. Verehrter Herr Pick, diese kamen aber zu
spät. Warum haben Sie diese nicht im Ausschuss vorge-
tragen? Warum sind wir im Ausschuss nicht ins Gespräch
gekommen? Sie waren dazu nicht bereit. Sie haben von
vornherein alles vom Tisch gewischt, weil Ihnen die in-
nere Sicherheit nicht am Herzen liegt. Das lag sie noch nie
und das wird wohl auch nie der Fall sein.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster [SPD]: Herr Geis, Sie brauchen nicht so laut zu werden! Sie sind auf der falschen Seite! Außer Bellen kommt da nichts mehr!)


Es ist so. Zeigen Sie mir einen Gesetzentwurf Ihrer Ko-
alition für die innere Sicherheit und den Schutz der Be-
völkerung. Tabula rasa – es ist nichts vorhanden. Sie ha-
ben nichts zustande gebracht. Das muss man der
Öffentlichkeit deutlich sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster [SPD]: Die innere Sicherheit ist bei uns zu einem Thema geworden!)


Es ist so. Sie können dazwischenbrüllen, so lange Sie wol-
len. Es ist und bleibt so. Sie können es ja ändern. Legen
Sie endlich eine Kronzeugenregelung vor. Sie haben das
aber bis heute nicht getan.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Wir sind für die innere Sicherheit zuständig! Basta! – Gegenruf des Abg. Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: „Basta“ sagt Ihr Bundeskanzler! Erst kündigt er an, dass etwas getan wird, dann kommt aber nichts!)


– Noch habe ich das Wort!
Unser Gesetzentwurf sieht eine Verbesserung der

Möglichkeiten vor, Gewinne aus Verbrechen abzuschöp-
fen. Man kann darüber streiten, ob dieses oder jenes viel-




Parl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick
22514


(C)



(D)



(A)



(B)


leicht noch besser wäre. Im Moment liegt aber kein bes-
serer Vorschlag auf dem Tisch. Gerade jetzt, da die Ver-
mögensstrafe für verfassungswidrig erklärt worden ist,
müssen wir uns Gedanken über bessere Möglichkeiten,
die Gewinne der Verbrecher abzuschöpfen, machen. Der
organisierten Kriminalität geht es ja um den Gewinn.
Auch den Terroristen geht es ums Geld, weil sie es brau-
chen. Da müssen wir ansetzen.

Einen zweiten Schwerpunkt haben wir darauf gelegt,
dass bei einem Verdacht auf Korruption die Telefonüber-
wachung zulässig ist. Mir ist schleierhaft, weshalb wir
dafür ein Gutachten des Max-Planck-Instituts brauchen.
Man kann sich ja darüber unterhalten, ob die übrigen Ka-
talogtatbestände des § 100 a StPO unbedingt so bestehen
bleiben müssen, wie sie im Augenblick lauten. Die Auf-
nahme der Korruption in diesen Katalog müsste aber
selbstverständlich sein. Zurzeit kann bei einem Korrupti-
onsverdacht der Wohnraum überwacht werden. Gleich-
zeitig wird das weit geringere Mittel, nämlich die Tele-
fonüberwachung, nicht zugelassen. Ihr Verhalten in dieser
Frage ist geradezu mehr als paradox.

Wir wollen die rechtliche Absicherung des verdeckten
Ermittlers verbessern. Das scheint uns dringend notwen-
dig zu sein.

Vor allen Dingen wollen wir die Kronzeugenregelung.
Wir sind der Auffassung, dass wir ohne die Kron-
zeugenregelung nicht auskommen. Das sagen uns sämtli-
che Wissenschaftler. Alle Anhörpersonen, die Sie benannt
haben – das waren der Bundesrichter Nack, der Vorsit-
zende Richter am OLG Düsseldorf, Breidling, und der
Vorsitzende Richter am OLG Nußloch, Dr. von Bubnoff –,
haben uns das im Rahmen der Anhörung am 7. November
so gesagt. Diese haben uns erklärt, dass wir die
Kronzeugenregelung brauchen und dass sich die alte
Kronzeugenregelung bewährt hat. Herr Stünker ist nicht
mehr anwesend. Das ist das Gegenteil von dem, was er hier
gesagt hat. Die alte Kronzeugenregelung hat sich bewährt.
Sie wollen sie nicht, weil Sie vor Ihrem Koalitionspartner
eingeknickt sind. Das ist der ganze Grund; das wissen wir.
Aber wir müssen das deutlich sagen.

Der Bundeskanzler kümmert sich nicht darum. Er be-
schäftigt sich nur mit der großen Weltpolitik. Die innere
Sicherheit war ihm nie ein Anliegen. Das hat ihn schon als
Ministerpräsidenten von Niedersachsen nicht interessiert.
Daher dümpelt dieses Vorhaben vor sich hin.

Die Menschen im Land erwarten von diesem Parla-
ment, dass gerade in dieser Frage eine vernünftige Rege-
lung kommt, weil sie von allen Wissenschaftlern und
Fachleuten so vorgeschlagen wird. Sie aber verweigern
sich. Wir halten dies für verantwortungslos. Es wird aller-
höchste Zeit, dass am 22. September eine neue Regierung
mit neuer Mehrheit in dieses Parlament kommt, damit die
notwendigen Gesetzgebungsvorhaben, die erforderlich
sind, um die Menschen in diesem Land sicherer leben zu
lassen, im Parlament endlich beschlossen werden.

Ich glaube, dass man mit einem Gesetzgebungsvorha-
ben, das nun seit August des letzten Jahres – das ist eine
lange Zeit – auf dem Tisch liegt, nicht so umgehen sollte,
wie Sie das tun. Sie haben sich im Ausschuss der Diskus-

sion verweigert. Sie haben gar nicht ernst genommen, was
Ihre eigenen Sachverständigen gesagt haben. Nun wei-
gern Sie sich auch noch hier im Parlament, anderen Red-
nern zuzuhören. Es kümmert Sie gar nicht, was von der
Opposition vorgelegt wird. Sie setzen sich mit uns nicht
auseinander.

Sie machen eine Politik ohne Opposition, weil Sie glau-
ben, Sie allein hätten die Weisheit gepachtet. Das, was wir
hier vortragen, sehen Sie nicht als diskussionswürdig an.
Das ist nicht nur eine Vernachlässigung der Opposition
und unserer Argumente, sondern auch dieses Hauses. Sie
haben nicht das richtige Parlamentsverständnis.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422711100
Ich
schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf eines
Gesetzes der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache
14/6834 zur Verbesserung der Bekämpfung von Straftaten
der organisierten Kriminalität und des Terrorismus. Der
Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/8627, den
Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
in zweiter Beratung bei Zustimmung der CDU/CSU-
Fraktion und Gegenstimmen aller anderen Fraktionen ab-
gelehnt worden. Damit entfällt die weitere Beratung.

Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes des Bun-
desrates auf Drucksache 14/5938 zur Ergänzung der
Kronzeugenregelungen im Strafrecht. Der Rechtsaus-
schuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 14/8627, den Gesetzentwurf ab-
zulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter
Beratung bei Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion und
Gegenstimmen aller übrigen Fraktionen abgelehnt wor-
den. Damit entfällt die weitere Beratung.

Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes des
Bundesrates auf Drucksache 14/6079 zur Änderung der
Strafprozessordnung. Der Rechtsausschuss empfiehlt un-
ter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 14/8627, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stim-
men aller Fraktionen mit Ausnahme der CDU/CSU-Frak-
tion, die zugestimmt hat, abgelehnt worden. Damit ent-
fällt die weitere Beratung.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Bericht der Bundesregierung – Politik für den
Mittelstand
– Drucksache 14/8548 –




Norbert Geis

22515


(C)



(D)



(A)



(B)


Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Beratung eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Zur Begründung hat die
Parlamentarische Staatssekretärin Margareta Wolf das
Wort.

M
Margareta Wolf-Mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422711200
Herr Präsident!
Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, heute
ist ein guter Zeitpunkt, um den ersten Mittelstandsbericht,
den es in dieser Republik gibt, dem Parlament vorzulegen
und im Parlament darüber zu diskutieren.

Sie wissen, dass im Februar der Ifo-Geschäftsklimain-
dex zum vierten Mal in Folge gestiegen ist. Die Erwar-
tungen der Unternehmen erreichten in diesem Index den
besten Wert seit Dezember 2000. Wenn Sie sich heute
„Die Welt“ oder das „Handelsblatt“ ansehen, werden Sie
feststellen, dass „Die Welt“ heute titelt: „Ostdeutschland
hat das Konjunkturtal durchschritten“ und das „Handels-
blatt“ schreibt: „Deutschland kommt steil aus dem Ab-
schwung heraus“. Man geht davon aus, dass das Früh-
jahrsgutachten, das am 23. April erscheinen wird, von
Prognoseerwartungen in der Größenordnung zwischen
2,5 und 3 Prozent ausgehen wird. Das heißt, es geht nach
dem Tiefpunkt des vierten Quartals 2001 wieder aufwärts.
Das gilt natürlich selbstverständlich erst recht für den
Mittelstand.

Die von der KfW geförderten mittelständischen Unter-
nehmen wollen erstmals seit September vergangenen Jah-
res den Beschäftigungsaufbau beschleunigen. So plan-
ten sie im Januar eine Ausweitung der Zahl ihrer
Arbeitsplätze um durchschnittlich 7,9 Prozent.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Von welchem Mittelstand sprechen Sie denn?)


Der Mittelstandsbericht, den wir heute diskutieren, gibt
einen sehr guten Überblick über die Aktivitäten der Bun-
desregierung in dieser Legislaturperiode. Themen des Be-
richts sind zum einen die Rahmenbedingungen über die
Steuerpolitik, aber auch die wichtige Frage der Unterneh-
mensfinanzierung, die Gewerbeförderung, die Förderung
von Selbstständigkeit, aber auch die Förderung von Aus-
und Weiterbildung, sowie die Innovation insbesondere in
der IT-Technologie und die Wettbewerbsfähigkeit des
Mittelstandes im erweiterten europäischen Binnenmarkt
wie auch weltweit. Wir sprechen in dem Bericht aber auch
spezifische Themen an wie den Generationenwechsel, die
Vereinbarkeit von Beruf und Familie und das sehr wich-
tige Thema Bürokratieabbau.

Ich möchte Sie für vier Themenfelder, die nach meiner
Meinung in Zukunft entscheidend für mittelständische
Unternehmen sein werden, besonders sensibilisieren: Das
ist zum Ersten der gesamte Komplex der Finanzierung

– Stichwort Basel II –, zum Zweiten der Arbeitskräftebe-
darf – Stichwort Green Card und Zuwanderungsgesetz –
und zum Dritten das Thema Unternehmensnachfolge und
last but not least der Bürokratieabbau.

Zum Thema Finanzierung: Dem Mittelstand müssen
auch in Zukunft seine finanziellen Handlungsmöglichkei-
ten erhalten bleiben. Ich freue mich, dass in dem letzten
OECD-Ranking Deutschland bei den Förderkonditionen
deutlich den ersten Platz eingenommen hat. Wir sollten
das zur Kenntnis nehmen und vielleicht etwas stärker
nach außen transportieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Gleichwohl: Durch die zunehmende Globalisierung
auf den Kapitalmärkten – wir erleben das tagtäglich – er-
höht sich der Anpassungsdruck für die Banken und damit
auch für den Mittelstand. Es wird immer schwieriger, ei-
nen günstigen öffentlich geförderten Kredit durch die pri-
vaten Banken zu bekommen. Wir alle erleben es in unse-
ren Wahlkreisen täglich, dass es durch die Baseler
Verhandlungen zur Neuregelung der Eigenkapitalvor-
schriften der Banken Unruhe gibt. Es gibt ziemlich viel
Bewegung, und zwar sowohl bei den Banken als auch bei
den Mittelständlern.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Auch ziemlich viele Pleiten, Frau Wolf!)


Um noch mit einem aufzuräumen: Man wird gemein-
hin damit konfrontiert, Basel II sei eine grausame Idee der
Europäischen Kommission gewesen. Ich möchte die Ge-
legenheit heute nutzen, darzustellen, woher „Basel“ ei-
gentlich kommt. „Basel“ ist vor dem Hintergrund der Ri-
siken für die Stabilität aller Volkswirtschaften im Jahre
1974 entstanden. Es hat sich das Baseler Komitee ge-
gründet. Es gibt also keine Regierungsabsprache, auch
Parlamente wurden nicht damit befaßt. Man gründete
quasi einen Club, in dem neben den Notenbanken auch die
in den Ländern für die Kreditsicherheit zuständigen Mit-
glieder tätig sind. Für Deutschland verhandelt in Basel im
Moment die Bundesbank und das Bundesaufsichtsamt für
das Kreditwesen.

Da mir im Kontext mit Basel wirklich an einer Ver-
sachlichung der Debatte gelegen ist, möchte ich Ihnen
Punkte, die wir schon durchgesetzt und oft erläutert ha-
ben – es gibt auch eine gemeinsame Resolution dieses
Hauses –, nennen: Es handelt sich vor allen Dingen um
das interne Rating, aber auch die Berücksichtigung der so
genannten Granularität sowie die Zulassung von Retail-
portfolios. Aber darüber hinaus – ich meine, meine sehr
verehrten Damen und Herren, wir sollten dabei an einem
Strang ziehen – halte ich den Nachbesserungs- und Ver-
handlungsbedarf in Basel in folgenden Punkten nach wie
vor für von großer Bedeutung.

Erstens geht es darum, dass die derzeitige Risikoge-
wichtung aus unserer Sicht eher zu einer Erhöhung der Ei-
genkapitalunterlegung und damit tendenziell zu einer Ver-
teuerung der Mittelstandskredite führt. Das müssen wir
verhindern.




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
22516


(C)



(D)



(A)



(B)


Zweitens geht es uns darum, Sicherheiten zu berück-
sichtigen, die die notwendige Eigenkapitalunterlegung
vermindern können. Dies ist bisher unbefriedigend.

Drittens geht es darum, langfristige Kredite gleichzu-
stellen. Wie Sie wissen, kennt man diese Finanzierungs-
kultur, basierend auf langfristigen Krediten, in anderen
europäischen Ländern nicht. Bei uns hingegen sind sie ein
stabilisierendes Element für die Unternehmen.

Last but not least sind wir der Meinung, dass die Gren-
zen für die Retailportfolios so gesetzt werden müssen,
dass möglichst viele Unternehmenskredite einbezogen
werden.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422711300
Frau Kol-
legin Wolf, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heinrich
Kolb?

M
Margareta Wolf-Mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422711400
Ist das etwas
später möglich, Herr Kolb? Ich würde diesen Punkt gerne
zu Ende ausführen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wenn Sie mir ein Zeichen geben, gerne! – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Ich gebe Ihnen dann ein Zeichen.
Wir haben positive Signale aus Basel erhalten. Es zeigt

sich, dass dort das spezifisch deutsche Problem erkannt
worden ist und gemeinsam mit uns nach Lösungen ge-
sucht wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, staatlicher-
seits wird aber auch immer deutlicher, dass wir von den
klassischen Förderprogrammen, die auf Fremdkapitalfi-
nanzierung setzen, wegkommen müssen. Wir müssen die
Beteiligungsfinanzierung weiter voranbringen. Ein Stich-
wort bei der staatlichen Mittelstandsfinanzierung ist die
Förderung neuer Instrumente bei der DtAund der KfW, die
dazu führen, dass es für die Hausbanken attraktiver wird,
Kleinst- und Kleinkredite zu vergeben. Uns allen ist das
Problem der so genannten Kleinstgründungen bekannt,
dass sie über keine Sicherheiten verfügen und von daher
keine interessante Klientel für die Banken darstellen.

Wir führen aber auch neue Instrumente ein. Sehr wich-
tige Instrumente sind meiner Meinung nach Haftungs-
freistellungen, aber auch die Verbriefung von Förder-
krediten und risikoabhängige Margen. – Herr Kollege
Kolb.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422711500
Herr
Kolb, bitte.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1422711600
Frau Staatssekretärin, ich
bedanke mich ganz herzlich für die Zulassung einer
Zwischenfrage. Sie haben deutlich gemacht, dass Sie bei
Basel II Schlimmeres verhindern wollen und dass die
Existenzgründungsförderung in Deutschland durchaus
gut ausgebaut ist.

Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband hat vor
wenigen Wochen eine Untersuchung vorgelegt, wonach
50 Prozent der mittelständischen Unternehmen in
Deutschland nicht über ausreichendes Kapital verfügen
und 30 Prozent Verluste – das bezog sich wohl auf 2001;
die aktuelle Situation dürfte im Gegensatz zu dem, was
Sie eingangs ausgeführt haben, noch schlechter sein – er-
wirtschaften. Das ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass
2001 33 000 gewerbliche Insolvenzen zu verzeichnen wa-
ren, deren Zahl im Jahr 2002 nach aktuellen Schätzungen
zwischen 37 000 bis 39 000 liegen dürfte.

Was gedenkt die Mittelstandsbeauftragte der Bundes-
regierung zu tun, um zur Finanzierung bestehendermit-
telständischer Existenzen, die nicht mehr auf Existenz-
gründungsförderung hoffen dürfen, beizutragen und sie
durch die aktuelle schwierige Krise zu leiten? Denn Sie
führen immer wieder an, die Erwartungen seien gut. Tat-
sache ist aber, dass die aktuelle Lage in den Unternehmen
dramatisch ist und dies bis Mitte des Jahres bleiben wird.


(Beifall bei der FDP)

Was sagen Sie dem Mittelstand in dieser Situation?

M
Margareta Wolf-Mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422711700
Herr Kollege
Kolb, diese Studie des Sparkassen- und Giroverbands
zitieren Sie immer wieder. Ich würde es begrüßen, wenn
Sie auch die anderen Studien zitieren würden. Aber egal,
wir haben das Problem durchaus schon seit längerem er-
kannt. Ich sitze sehr häufig mit dem Sparkassen- und
Giroverband, den Raiffeisenbanken und den privaten
Banken zusammen und diskutiere mit ihnen gerade über
die Beteiligungsfinanzierung bzw. darüber, dass sie sich
verpflichten, Beteiligungskapital zur Verfügung zu stel-
len, weil der deutsche Mittelstand traditionell über eine
sehr geringe Eigenkapitalausstattung verfügt. Ich disku-
tiere mit ihnen durchaus auch darüber – das habe ich auch
beim Mittelstandstag mit Herrn Pleister vom Bundesver-
band der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken
getan –, dass es beim Mittelstand so empfunden wird, dass
Kredite nach einer gewissen Willkür vergeben werden
und dass es durchgängig bei allen Banken – freundlich
formuliert – einen gewissen Attentismus gibt, Kleinstkre-
dite oder kleinere Kredite zu gewähren.

Die Banken sagen mir auch, dass sie in den letzten
Monaten, quasi im Vorgriff auf Basel, so verfahren hätten
und dass man als Mittelständler diesen Verdacht durchaus
bekommen konnte, weil es keine definierten Kriterien gab
und interne Ratings, die durchgeführt wurden, nicht ver-
öffentlicht wurden. Deswegen haben wir auf dem Mittel-
standstag mit Herrn Pleister, Frau Achleitner und Herrn
Strenger – sie unterstützen diese Idee – eine Art Score-
card entwickelt, wodurch wir die Kriterien, warum ein
Unternehmen einen Kredit bekommt, für jeden nachvoll-
ziehbar machen wollen, wodurch die Unternehmen aber
gleichzeitig angehalten werden, etwas sorgsamer so etwas
wie Businesspläne und Marketingstrategien zu erarbeiten
und diese den Banken vorzustellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme nun zum Thema der Insolvenzen.




Parl. Staatssekretärin Margareta Wolf

22517


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422711800
Frau Kol-
legin Wolf, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des
Kollegen Dr. Kolb?

M
Margareta Wolf-Mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422711900
Ich wollte erst
einige Sätze zum Thema Insolvenzen sagen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422712000
Erlauben
Sie die Zwischenfrage oder nicht?

M
Margareta Wolf-Mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422712100
Ja, stellen Sie
Ihre Zwischenfrage.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422712200
Bitte
schön, Herr Kolb.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1422712300
Ich teile Ihre Analyse der
Situation, Frau Staatssekretärin; sie ist sicherlich richtig.
Wir erleben aber zurzeit, in diesen Wintermonaten, dass
im deutschen Mittelstand massiv Eigenkapital verbraucht
wird, weil die Unternehmen bei erheblich eingebrochenen
Umsätzen, oft in einer zweistelligen Größenordnung – das
ist erheblich –, wegen der Fixkosten, die sie haben, dra-
matische Verluste schreiben. Diese Unternehmen brau-
chen eine Antwort, wie sie die schwierige Situation über-
winden und wie sie ihre Eigenkapitalsituation wieder
verbessern können. Eine Antwort auf diese Frage habe ich
bisher von Ihnen noch nicht bekommen. Vielleicht könn-
ten Sie dazu noch etwas sagen?

M
Margareta Wolf-Mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422712400
Herr Kollege
Kolb, vielleicht haben Sie nicht richtig zugehört. Wir alle
wissen, dass der Anstieg der Zahl der Insolvenzen und die
Reduktion beim Eigenkapital besonders im Baugewerbe
zu beobachten sind. Es wäre sehr hilfreich, wenn wir in
Deutschland schon heute so etwas wie eine Finanzie-
rungskultur hätten, die auf Beteiligung setzt, oder wenn
wir schon viel früher damit begonnen hätten, auf Haf-
tungsfreistellungen zu setzen. Wir haben diese Instru-
mente im letzten Jahr eingesetzt, um genau auf diese Si-
tuation zu reagieren.

Ich bin in Sorge, was die Zahl der Insolvenzen angeht.
Wir hatten bei den Insolvenzen im Jahr 1999 einen Rück-
gang von 5 Prozent zu verzeichnen. Jetzt haben wir eine
Zunahme von 7 Prozent, was sicherlich etwas damit zu
tun hat, dass wir im vierten Quartal des letzten Jahres
– das sei konzediert – eine schlechte konjunkturelle Ent-
wicklung hatten. Die Mitarbeiter, die sich in meinem
Hause mit dieser Thematik beschäftigen, gehen im Ge-
gensatz zu Ihnen aber nicht davon aus, dass sich dieser
Negativtrend weiter fortsetzt; sie gehen im Gegenteil da-
von aus, dass es jetzt wieder bergauf geht.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das werden wir sehen!)


Ich möchte aber noch einen Aspekt bezüglich der In-
solvenzen ansprechen. Wir haben in Deutschland meiner
Meinung nach das Problem, dass jeder, der Pleite geht, in
der gesellschaftspolitischen Wahrnehmung als Versager
angesehen wird und jeder, dem es gut geht, als Kapitalist.
Dies muss sich ändern. In Amerika bekommen diejeni-
gen, die sich zum zweiten Mal selbstständig machen, die
also schon eine Insolvenz hinter sich haben, viel leichter
Kredite bei den Banken. Das diskutiere ich auch mit den
Banken. Jeder Business Angel prüft erst einmal, wie es
beim ersten Mal gelaufen ist. Wir müssen in unserem
Land eine Kultur der zweiten Chance entwickeln.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb haben wir jetzt eine Homepage eingerichtet, die
den Namen hat „Aus Fehlern lernen“, auf der wir die ent-
sprechenden Beratungen anbieten. – Ich bedanke mich
herzlich für Ihre Zwischenfrage, Herr Kollege.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Bitte sehr!)

Ich komme zum Thema Arbeitskräftebedarf.Wir ha-

ben – daran werden Sie sich erinnern –, um den Bedarf an
Spitzenkräften, aber auch den Bedarf im Bereich der
Dienstleistungen zu decken – die Dresdner Bank geht da-
von aus, das es gerade bei den gering Qualifizierten einen
Bedarf von 1,1 Millionen Beschäftigten gibt –, die Green-
card geschaffen. Von ihr profitieren zu einem großen Teil
kleinere und mittlere Unternehmen. So entfallen bisher
60 Prozent der Greencards, also rund 11 000 Erlaubnisse,
auf Betriebe bis zu 100 Beschäftigte.


(Gudrun Kopp [FDP]: Wie viele sind davon schon arbeitslos?)


Jede Greencard führt einer Umfrage nach zu durch-
schnittlich 2,5 weiteren Arbeitsplätzen in Deutschland.
Ich möchte nicht verhehlen, dass das nur ein erster Schritt
sein kann. Aus der Debatte um die Greencard ist – für
meine Begriffe glücklicherweise – der gesellschaftspo-
litische Diskurs über eine geregelte Zuwanderung begon-
nen worden. Dies war vor dem Hintergrund der demogra-
phischen Entwicklung, aber auch des sich abzeichnenden
Rückgangs von Erwerbspotenzial dringend erforderlich.

Ich möchte Sie, meine Damen und Herren von der
Opposition, im Vorfeld der morgigen Sitzung des Bundes-
rates bitten: Stimmen Sie im Interesse des deutschen
Mittelstandes und angesichts des Fachkräftemangels im
deutschen Mittelstand dem vorliegenden Zuwanderungs-
gesetz morgen zu.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es kommt natürlich auch darauf an, dass wir weitere
Reserven im eigenen Land erschließen. Das müssen wir
zunehmend zeitnäher tun. Deshalb freue ich mich, dass
wir seit 1998 62 Ausbildungsberufe modernisiert und
21 neu geschaffen haben. Es geht im Kontext des Er-
schließens von Reserven aber auch darum, dass wir ers-
tens die Reform der Bundesanstalt für Arbeit schnell
vorantreiben und schnell abschließen, dass wir zweitens
dafür sorgen, dass das Know-how und die Erfahrung der
Älteren stärker genutzt werden – wir müssen von den kos-
tenträchtigen Vorruhestandsregelungen weg –, und dass






(C)



(D)



(A)



(B)


wir drittens den Familien die Möglichkeit geben, ihre
Kinderwünsche und ihre Berufswünsche besser unter ei-
nen Hut zu bringen. Wir haben gerade bei der Hertie-Stif-
tung die Zertifizierung des Bundeswirtschaftsministe-
riums als familienfreundlichen Betrieb beantragt. Ich
gehe davon aus, dass dieses Verfahren noch im Sommer
erfolgreich abgeschlossen wird. Es soll einen Nachah-
mungseffekt für die deutsche Wirtschaft haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist wünschenswert; denn die Betriebe in Deutschland
werden aufgrund der demographischen Entwicklung bald
zu wenig qualifiziertes Personal haben. Es ist aber be-
kannt, dass Frauen im Vergleich zu Männern überpropor-
tional qualifiziert sind.

Da der Präsident mir durch das Aufleuchten des roten
Lämpchens signalisiert, dass ich meine Redezeit über-
schritten habe, kann ich auf die weiteren Punkte, die ich
Ihnen noch gerne nahe gebracht hätte – ich nenne nur die
Stichwörter „Bürokratieabbau“ und „Unternehmensnach-
folge“ –, nicht mehr eingehen. Ich gehe aber davon aus,
dass der umfassende Bericht der Bundesregierung ein Teil
Ihrer Osterlektüre sein wird. Ich wünsche Ihnen viel Ver-
gnügen beim Lesen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Hansjürgen Doss [CDU/CSU])



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422712500
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Dr. Hansjürgen
Doss.


Dr. Hansjürgen Doss (CDU):
Rede ID: ID1422712600
Herr Präsident!
Meine lieben Kollegen! Verehrte Frau Wolf, Sie sind eine
charmante Dame und ich schätze Sie persönlich sehr.
Trotzdem muss ich feststellen: Sie haben verdammt we-
nig zum Mittelstand gesagt. Sie sind eigentlich lange ge-
nug im Geschäft, um zu wissen, dass die Situation in
Deutschland dramatisch ist. Wenn Sie im Zusammenhang
mit Basel II – hier haben wir sicherlich viele Gemein-
samkeiten – von der Greencard reden, dann muss ich
Ihnen sagen: Die Hälfte derjenigen, die eine bekommen
haben, sind längst arbeitslos.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist überhaupt nicht wahr!)


Alles, was bisher vorgetragen wurde, geht im Grunde an
der dramatischen Situation, in der sich die mittelstän-
dischen Betriebe befinden, vorbei.

Jeder weiß – das wird auch in jeder Sonntagsrede er-
wähnt –, dass sich 98 Prozent aller Arbeitsplätze in
Deutschland in mittelständischen Betrieben befinden. Es
ist ja okay, dass die charmante Frau Wolf hier Stellung be-
zieht. Ich frage mich aber: Wo ist der Wirtschaftsmi-
nister? Es war für ihn sicherlich nicht angenehm, als wir
ihn in der Fragestunde mit Problemen des Mittelstandes
konfrontiert haben. Ich denke, er will sich einfach nicht
mehr unseren Fragen stellen. Stattdessen legt er uns einen

50 Seiten starken Mittelstandsbericht vor, der nichts an-
deres als eine SPD-Wahlkampfbroschüre mit regierungs-
amtlichem Outfit ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die triste Realität der mittelständischen Betriebe wird in
diesem Bericht ignoriert. Wünschbares wird der Realität
gleichgesetzt. Handeln wird nur vorgetäuscht. Die Pro-
bleme bleiben ungelöst. Die gequälten mittelständischen
Betriebe in Deutschland brauchen weder eine solche
Hochglanzbroschüre noch die ruhige Hand des Kanzlers.
Wir brauchen vielmehr eine ehrliche, schonungslose Ana-
lyse des Zustandes der Betriebe in Deutschland und da-
raus abgeleitet energisches Handeln zur Lösung der Pro-
bleme.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Lage der mittelständischen Betriebe und der freien
Berufe ist außerordentlich ernst. Das sollte eigentlich
auch bei Ihnen angekommen sein. Ich zitiere – darauf hat
der Kollege Kolb schon eben Bezug genommen – aus der
„Diagnose Mittelstand“ des Deutschen Sparkassen- und
Giroverbandes: „Die Ertragslage des Mittelstandes ist
unzureichend.“ Danach ist im Jahr 2000 in über 31 Pro-
zent der Unternehmen überhaupt kein Gewinn gemacht
worden. Des Weiteren heißt es: „Die Eigenkapitalaus-
stattung des Mittelstandes ist besorgniserregend.“ Unter-
nehmen mit weniger als 500 000 Euro Umsatz arbeiteten
praktisch ohne Eigenmittel. Sie wissen, wovon sie reden.
Die Auftrags- und Umsatzentwicklung im Mittelstand
lag im Jahr 2002 noch unter dem Vorjahresniveau. Das
Investitionsbudget des Mittelstands wurde deutlich ge-
kürzt. Die Perspektiven des Mittelstands für das Jahr 2002
sind: weniger Unternehmen und weniger Arbeitsplätze.

Der Faktor Hoffnung allein reicht nicht aus. Natürlich
ist Hoffnung für die Wirtschaft wichtig, aber die Fakten
sind noch wichtiger.

Wie sehr der Mittelstand in Deutschland derzeit mit
dem Rücken an der Wand steht, macht der Deutsche
Industrie- und Handelskammertag deutlich. Er beklagt
die absolute Verunsicherung der Menschen durch die
Konjunkturflaute, die wir zurzeit erleben. Deswegen for-
dert der DIHK die Aussetzung der nächsten Stufe der
Ökosteuer, also das, was auch wir fordern.


(Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Ganz überraschend! – Wolfgang Weiermann [SPD]: Das haben wir ja noch nie gehört!)


Der Einzelhandel fordert in einem dramatischen Ap-
pell, die Mehrwertsteuer für drei Monate um 3 Prozent-
punkte zu senken.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Schlechteste Lage seit 35 Jahren! – Zuruf von der SPD: Was sagt Stoiber dazu?)


DerGroß- und Außenhandel fordert die Abschaffung
des Solidaritätszuschlages, um so die Kaufkraft von Bür-
gern und Betrieben endlich wieder zu stärken.

Meine Damen, meine Herren, wenn Sie uns schon
nicht glauben, sollten Sie wenigstens diesen sachkun-




Parl. Staatssekretärin Margareta Wolf

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(D)



(A)



(B)


digen Verbänden glauben, die Ihnen das ins Stammbuch
schreiben. Darüber können Sie nicht einfach mit Ihrem
Trallala hinweggehen.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Was heißt hier „Trallala“? Das machen Sie doch!)


Sie scheinen überhaupt keine Sensibilität mehr für die Si-
tuation des Mittelstands in Deutschland zu haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir in Deutschland gehören in der Zwischenzeit zu

den „top of the flops“ der europäischen Pleitenliga. In an-
deren Ländern sinkt die Zahl der Unternehmenspleiten,
zum Beispiel in Frankreich, in Spanien, in Finnland, in
Österreich und in der Schweiz. In Deutschland haben wir
mit 32 400 Pleiten im Jahr 2001 einen neuen Rekord er-
zielt, also noch einmal 16 Prozent Plus. Herrgott, wann
merken Sie denn endlich, was in Deutschland los ist?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Weiermann [SPD]: Lassen Sie den Herrgott aus dem Spiel!)


Das zeigt: Sie wissen zwar nicht, wie man Arbeitsplätze
schafft, aber es gelingt Ihnen, Arbeitsplätze zu vernichten.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Leider wahr!)

Es ist schon bezeichnend, wie die Bundesregierung mit

der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit umgeht. Herr
Minister Müller meint sarkastisch – eine bedeutende Aus-
sage; ich zitiere –: „Unsere Arbeitslosenquote wäre um
1,5 Prozentpunkte niedriger, wenn so viele Menschen bei
uns im Gefängnis säßen wie in den USA.“ – Nachzulesen
in der „Bild“-Zeitung vom 12. Februar dieses Jahres.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: So etwas bedeutet eigentlich Rücktritt!)


Riester will das Problem mit Statistiken lösen. Verein-
facht sagt er: Diejenigen, die arbeiten können, aber nicht
wollen, sollten einfach nicht mehr als Arbeitslose gezählt
werden.

Umweltminister Trittin, vom Kommunisten zum Wirt-
schaftsweisen mutiert


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch! – Jelena Hoffmann [Chemnitz] [SPD]: Das gehört nicht hier rein!)


– das ist seine Vergangenheit; für jeden nachlesbar –, er-
klärt – ich zitiere –: „Die Ökosteuer wirkt beschäfti-
gungsfördernd.“ – Nachzulesen in der „Financial Times
Deutschland“ vom 14. Februar 2002.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Warum steigt denn dann mit der Erhöhung der Ökosteuer
jeweils auch die Arbeitslosigkeit? Sind Sie so verblendet,
dass Sie das nicht mehr merken?


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben keine Ahnung! – Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Allein in diesem Jahr 16 000 Arbeitsplätze geschaffen! – Gegenruf des Abg. Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Im Ausland wahrscheinlich!)


Liebe Frau Wolf, sagen Sie dem Herrn Müller: Sein
Mittelstandsbericht verwechselt Wunschvorstellungen
mit Wirklichkeit. Beispiel: Sie behaupten, die Abgaben
und damit die Lohnnebenkosten zu senken. Versprochen
hat Rot-Grün, die Sozialabgaben auf unter 40 Prozent zu
drücken. Die Wirklichkeit ist: Unter Berücksichtigung
von Ökosteuer und Neuregelung der geringfügigen Be-
schäftigung liegt die Belastung von Bürgern und Betrie-
ben heute bei 43,6 Prozent. Das ist ein neuer Rekord. Das
ist die Wahrheit und das ist die Realität.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Das ist überhaupt nicht wahr!)


– Natürlich ist es die Wahrheit. Lernen Sie mal zählen!
Sie behaupten, die Steuern für den Mittelstand gesenkt

zu haben. Die Wirklichkeit ist: Mittelständische Unter-
nehmen müssen bis 2005 auf die Senkung der Einkom-
mensteuersätze warten,


(Zuruf von der SPD: Quatsch!)

während große Kapitalgesellschaften längst kräftig ent-
lastet sind; eine ganze Reihe dieser Betriebe zahlt über-
haupt keine Steuern mehr.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie schon mal gehört, dass die Einkommensteuersätze bereits gesenkt wurden?)


Sie wollen ein besseres Klima für Selbstständigkeit in
Deutschland schaffen, was bitter nötig wäre. Deutschland
liegt im internationalen Existenzgründervergleich im
Jahr 2001 unter 29 Ländern nur auf Platz 21. Im Jahr 2000
war Deutschland unter 21 Ländern noch auf Rang 14.
Wir können hingreifen, wohin wir wollen: Die Ergebnisse
Ihrer verfehlten Politik sind mit Händen zu greifen. Ein
Land, das seine Gründer vernachlässigt, verliert seine
Wachstumsdynamik.

Sie behaupten in Ihrem Mittelstandsbericht, die Bun-
desregierung baue bürokratische Hemmnisse ab. Die
Wirklichkeit ist: Jahr für Jahr müssen kleine und mittlere
Betriebe Hand- und Spanndienste leisten, und zwar natür-
lich auf eigene Kosten. Jeder Handwerksbetrieb muss
jährlich 324 Stunden für Bürokratie aufwenden. Das sind
40,5 Arbeitstage oder rund 15 000 Euro pro Jahr. Sie
bauen bürokratische Hürden auf und nicht ab.


(Hubertus Heil [SPD]: Sie reden ja Stuss!)

Rot-grüne Regulierungswut liegt wie Mehltau auf

Wirtschaft und Arbeitsmarkt. Selbst Ihrem Kollegen
Metzger von den Grünen – jetzt ist er da; ich freue mich
sehr, ihn zu sehen –, immer ein interessanter Mann, ist das
aufgefallen. In der letzten Woche auf dem Mittelstands-
tag des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes hat
er sich folgendermaßen geäußert: Das 630-Mark- respek-
tive 325-Euro-Gesetz ist zu einem bürokratischen Mons-
ter ersten Ranges geworden. – Recht hat er.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Metzger merkt, was Sie mit Ihrer Politik anrichten;
Herr Müller ist beratungsresistent. Das ist vielleicht auch
eine Begründung dafür, dass viele Mittelstandsverbände




Dr. Hansjürgen Doss
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(C)



(D)



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(B)


zu seinen öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen wie
zum Mittelstandstag nicht mehr hingehen. Ein Dialog
würde sowieso nicht stattfinden.

Beispiel Scheinselbstständigkeitsgesetz: Hierdurch
wurden viele Existenzgründer und Selbstständige in die
Sozialversicherungspflicht getrieben. Das hatte verhee-
rende Folgen für die Liquidität der Betriebe und nicht
zuletzt für den, der den Schritt in die Selbstständigkeit
wagte. Mit dem Rechtsanspruch auf Teilzeit wurde klei-
nen und mittleren Betrieben eine vernünftige Perso-
nalplanung nahezu unmöglich gemacht. Das Betriebs-
verfassungsgesetz führte zu Kosten, Bürokratie und
Fremdbestimmung. Angesichts des geplanten Tariftreue-
gesetzes fragt man sich, ob es, wenn den Betrieben das
Wasser bis zum Hals steht, wichtiger ist, nach Tarifen zu
entlohnen, als mit flexiblen Regelungen Arbeitsplätze zu
erhalten. Sie handeln nach dem Motto: Lieber mit Tarif in
die Pleite als ohne Tarif überleben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Weiermann [SPD]: Das ist dummes Zeug! Der anständige Betrieb hat doch nichts zu befürchten! Das wissen Sie ganz genau!)


Das ist ordnungspolitischer Schwachsinn erster Güte, sagt
Oswald Metzger. Man sieht also, dass bei ihm die Tatsa-
chen ankommen und er auch das eine oder andere richtig
erkennt. Weiter so, kann man nur sagen.

Was tut der Bundeskanzler zur Lösung der Probleme?
Er hat ja bei der Wahl immerhin besonders die Neue Mitte
umworben. Er verfährt nach dem Motto: Zu den Großen
kommt der Kanzler, zu den Kleinen der Gerichtsvoll-
zieher.


(Zurufe von der SPD: Hatten wir schon!)

Das sieht man an dem Beispiel Holzmann. Heute wissen
wir: Das Engagement des Kanzlers hat die Probleme nicht
gelöst, sondern nur verschoben und eine eventuelle Lö-
sung verteuert. Hauptsache war, dass der markige Kanz-
ler vor den Medien und auf seinem Parteitag Applaus be-
kam.


(Hubertus Heil [SPD]: Was ist mit dem Koch?)


Deswegen meine ich: Vier Jahre schröderscher Mittel-
standspolitik für die Neue Mitte sind wirklich genug. Sie
hat viele mittelständische Betriebe die Existenz und viele
Arbeitnehmer den Job gekostet.


(Hubertus Heil [SPD]: Sie haben ein Weltbild! Das ist unglaublich!)


Weitere vier Jahre rot-grüne Mittelstandspolitik hält der
Mittelstand in Deutschland nicht aus. Deswegen brauchen
wir den Wechsel.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Weiermann [SPD]: Zurück in die Steinzeit!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422712700
Für die
SPD-Fraktion spricht der Kollege Rainer Wend.


Dr. Rainer Wend (SPD):
Rede ID: ID1422712800
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen! Meine Herren! Herr Doss, Sie fordern
eine ehrliche und schonungslose Analyse und anschlie-
ßend zielgerichtetes Handeln. Wollen wir einmal mit der
Analyse Ihrer Behauptungen, wir hätten die höchste
Arbeitslosigkeit sowie die höchsten Lohnnebenkosten
– zum Thema Staatsverschuldung haben Sie vorsichtiger-
weise nichts gesagt – und seien hinter den früheren
Wachstumsraten zurückgeblieben, beginnen:

Der ersten Behauptung stelle ich die Wirklichkeit wie
folgt gegenüber: Im Januar 1998 gab es 4,8 Millionen Ar-
beitslose, im Januar 2002 noch 4,3 Millionen. Das ist viel
zu viel, aber eine halbe Million weniger, als wir von Ih-
nen übernommen haben, Herr Doss.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wie viele sind ausgeschieden? Demographische Situation!)


Behauptung Nummer zwei betraf die Lohnneben-
kosten: Sie sind während der Regierungszeit von CDU/
CSU und FDP von 1982 bis 1998 von 34 auf 42,3 Prozent
gestiegen. Wer angesichts solcher Zahlen eine Bilanz auf-
stellen will, sollte ein wenig bescheidener bei seinem Auf-
tritt vor diesem Parlament sein, Herr Doss.


(Beifall bei der SPD – Dr. Hansjürgen Doss [CDU/CSU]: Alle Fakten weisen nach unten!)


Aber vielleicht haben Sie es nicht so sehr mit der Ana-
lyse, sondern mit dem zielgerichteten Handeln, Herr
Doss. Ich will Ihnen etwas aus der „Welt am Sonntag“, de-
ren Nähe zur Sozialdemokratie sich bekanntlich in Gren-
zen hält, vorlesen. Beschreibung der CDU:

Sonntag, 10.42 Uhr: CDU-Chefin Angela Merkel
will die letzte Stufe der Steuerreform vom Jahr 2005
auf das Jahr 2003 vorziehen. 22.15 Uhr: Kanzler-
kandidat Edmund Stoiber unterstützt den Vorstoß.
Montag, 14.38 Uhr: CSU-Landesgruppenchef Glos
bremst ab. Merkel habe eine veraltete Beschlusslage
vorgetragen. 14.48 Uhr: Fraktionschef Merz erklärt,
die Union wolle nur Teile der Reform vorziehen.
Dienstag, 12.33 Uhr: Glos rechnet vor, ein Vorziehen
der Steuerreform sei zeitlich nicht zu schaffen.

(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie haben ein selektives Wahrnehmungsvermögen!)


13.12 Uhr: CDU-Vize Rüttgers fordert keine Steuer-
erleichterungen, sondern einen nationalen Stabili-
tätspakt. 18.12 Uhr: Stoiber schweigt, auch auf
Nachfrage.

(Dr. Hansjürgen Doss [CDU/CSU]: Sagen Sie doch mal was zum Thema! Wo ist die Analyse? – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Was hat das mit dem Mittelstandsbericht zu tun?)





Dr. Hansjürgen Doss

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(B)


Das ist Ihr zielgerichtetes Handeln: minütliche Unklarheit
über Ihre Wirtschaftspolitik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich will gerne auf die Themen Flexibilisierung der
Arbeitsmärkte, Kündigungsschutz und angebliche
Überregulierung zu sprechen kommen. Ich will Ihnen ein-
mal eines sagen: Wir glauben, dass es, was Innovation,
Modernisierung und Flexibilisierung in verschiedenen
Bereichen der Wirtschaft und des Arbeitsmarkts angeht,
durchaus Nachholbedarf gibt.


(Gudrun Kopp [FDP]: Aha!)

In aller Klarheit sage ich Ihnen aber auch: Wer diese

Dinge nutzen will, um Arbeitnehmerrechte, die sich
über Jahrzehnte in unserer Republik bewährt haben, ab-
zuschaffen, um zu erreichen, dass sich Arbeitnehmer, Be-
triebsräte und ihre Interessenvertretungen ausschließlich
einem Diktat von Unternehmern beugen, wer die Errun-
genschaften der sozialen Marktwirtschaft der letzten zehn
Jahre jetzt opfern will, der wird mit der Sozialdemokratie
niemals eine gemeinsame Politik machen können.


(Beifall bei der SPD – Dr. Hansjürgen Doss [CDU/CSU]: Sie haben keine Ahnung! – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie sind ein Unternehmerhasser!)


Sie dürfen Betriebsverfassung, Kündigungsschutz und
soziale Sicherheit für Arbeitnehmer nicht immer nur aus-
schließlich als Kostenfaktor sehen. Dass unsere Wirt-
schaft und unsere Gesellschaft so stabil sind, hängt auch
damit zusammen,


(Dr. Hansjürgen Doss [CDU/CSU]: Dass wir so lange regiert haben!)


dass wir starke Betriebsräte und starke Gewerkschaften
haben. Wir haben nicht die Absicht, an dieser Situation et-
was zu ändern.


(Beifall bei der SPD – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Klassenkämpfer und Mittelstandsvernichter!)


Wenn wir zu Recht feststellen, dass wir den Mittelstand
in Deutschland in besonderer Weise fördern, dann sagt
das über den Mittelstand nur zum Teil etwas aus. Ent-
scheidend ist die Frage der Rahmenbedingungen.


(Dr. Hansjürgen Doss [CDU/CSU]: Schädigen tun Sie!)


Verehrter Herr Doss, es ist einfach nicht richtig, wenn Sie
sagen, die Steuerpolitik benachteilige den Mittelstand.
Die Wahrheit ist doch: Wir haben durch die faktische Ver-
rechnungsmöglichkeit der Gewerbesteuer- mit der Ein-
kommensteuerschuld einen Wunsch des Mittelstandes,
der seit Jahren und Jahrzehnten an die Politik herangetra-
gen wurde, erfüllt und damit das getan, was Sie, meine
Damen und Herren von der Union, über Jahrzehnte nicht
zustande gebracht haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Warum gehen dann so viele Unternehmen Pleite?)


Die Reinvestitionsrücklage, die wir als Mittelstands-
komponente hinzugefügt haben, entlastet die kleinen und
mittleren Unternehmen.


(Dirk Niebel [FDP]: Das hat Rainer Brüderle in Rheinland-Pfalz durchgesetzt!)


– Ich freue mich ja über Rheinland-Pfalz. Insbesondere
freue ich mich, wenn Sie bei der Zuwanderungsregelung,
über die am Freitag im Bundesrat entschieden wird, in
derselben Weise wie bei der Steuerreform behilflich sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Finanzierungsmöglichkeiten für den Mittelstand sind

etwas ganz Entscheidendes. Basel II ist von der Staatsse-
kretärin angesprochen worden. Ich möchte in diesem Zu-
sammenhang aber hinzufügen: Bei der Finanzierung des
Mittelstandes sind auch die privaten und öffentlichen Kre-
ditinstitute gefragt. Gerade in jüngster Zeit haben die Kla-
gen kleiner Unternehmen über zunehmende Schwierig-
keiten bei der Kreditbeschaffung über die Hausbanken
zugenommen. Auf gut Deutsch gesagt: Die großen Pri-
vatbanken ziehen sich aus der Mittelstandsförderung zu-
nehmend zurück. Das ist ein Skandal, den wir nicht taten-
los hinnehmen können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich begrüße es deshalb ausdrücklich, dass das Bundes-
wirtschaftsministerium mit den Vertretern der Kreditwirt-
schaft intensive Gespräche führt, um darauf hinzuwirken,
dass die Mittelstandsfinanzierung auch in Zukunft zu den
Kerngeschäften der Kreditwirtschaft gehört. Die Sparkas-
sen und Volksbanken vor Ort, das sind die Institute, die
Existenzgründern und dem Mittelstand helfen. Wir wol-
len deshalb auf der europäischen Ebene alles dafür tun,
dass die Finanzierungsstrukturen über Sparkassen und
Volksbanken in Deutschland erhalten werden können.

Ein Schwerpunkt unserer Förderung liegt in der Unter-
stützung von Existenzgründern.Wir brauchen mehr Un-
ternehmer; denn die Arbeitsplätze der Zukunft werden
zum großen Teil in Unternehmen entstehen, die es noch
gar nicht gibt. Um das Entstehen neuer Unternehmen zu
fördern und damit vor allem Arbeitsplätze zu schaffen,
stellt die Bundesregierung gezielte Finanzierungshilfen
und Beratungsmaßnahmen zur Verfügung.

Die Grundlagen für selbstständiges Handeln und un-
ternehmerisches Denken müssen bereits im Bildungssys-
tem gelegt werden. Bundesregierung und SPD-Bundes-
tagsfraktion unterstützen deshalb mit großem Nachdruck,
dass das Wissen über die Selbstständigkeit bereits in der
Ausbildung vermittelt wird. In Zusammenarbeit mit der
Deutschen Ausgleichsbank und anderen Unternehmen
wurden deshalb an deutschen Universitäten 42 neue Lehr-
stühle für Existenzgründungen eingerichtet. Das ist weit-
aus wichtiger als jede verbalradikale Rhetorik, die in den
letzten Jahren und Jahrzehnten nicht zu praktischen Er-
gebnissen geführt hat.

Neben den allgemeinen Fördermaßnahmen für die
Gründung einer selbstständigen Existenz kommt dem
Meister-BAföG besondere Bedeutung zu. Diese Förder-
maßnahme ist bekanntlich unter der alten Bundesregie-




Dr. RainerWend
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(B)


rung zunächst vollständig eingestellt und dann nur unzu-
reichend wieder in Kraft gesetzt worden. Wir haben das
Meister-BAföG von Grund auf reformiert und den Be-
dürfnissen der Auszubildenden angepasst. Die Reform
wird dazu führen, dass mehr Personen als vorher einen
Anspruch auf die Aufstiegsfortbildungsförderung haben.
Darüber hinaus wird die Antragstellung vereinfacht und
die Leistungen werden deutlich angehoben. Auch das ist
konkrete Mittelstandspolitik.

Die Zeit reicht nicht, um alle Initiativen und Maßnah-
men, die im Bericht der Bundesregierung enthalten sind,
aufzuführen und zu kommentieren.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Das kann man wohl sagen!)


Mir liegt jedoch daran, noch einige Anmerkungen zu den
wichtigen Bereichen Forschung und Innovation zu ma-
chen. Ich möchte angesichts der Verfälschungen und Ver-
drehungen interessierter Kreise ausdrücklich darauf hin-
weisen, dass das Bundesministerium für Bildung und
Forschung die Mittel für die Forschungsförderung deut-
lich erhöht hat. Allein mit dem Zukunftsinvestitionspro-
gramm wurden aus den Erlösen für die UMTS-Lizenzen
rund 2 Milliarden DM jährlich zusätzlich für Forschung
und Entwicklung bereitgestellt.

Auch der Bundeswirtschaftsminister hat die Mittel für
Forschung, Entwicklung und Innovation im Mittelstand
in seinem Haushalt spürbar angehoben. Dieser Titel ist
2002 gegenüber dem Ansatz von 2001 immerhin um rund
14 Prozent oder 474 Millionen Euro erhöht worden. Ge-
genüber den Mitteln, die 1998 abgeflossen sind, ist dies
sogar ein Zuwachs von rund 26 Prozent. Damit konnten
wichtige neue Programme zur Förderung des Mittelstan-
des initiiert werden.

Der vorliegende Bericht unterstreicht eindrucksvoll,
dass die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung
konkret gehandelt


(Gudrun Kopp [FDP]: Märchenstunde!)

und kleine und mittlere Unternehmen gezielt entlastet ha-
ben. Ich finde, Kritik muss nicht nur sein, sondern Kritik
ist sicherlich auch deswegen angebracht, weil wir das eine
oder andere, was wir uns vorgenommen haben, vielleicht
nicht so erreicht haben, wie wir das gerne hätten.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Optimismus!)

Meine Bitte an Sie von der Opposition ist aber, dass Sie
die einseitige Schwarz-Weiß-Malerei, wie Sie sie in die-
sem Parlament betreiben, beenden,


(Dr. Hansjürgen Doss [CDU/CSU]: Konkursrekord! Nehmen Sie das doch mal zur Kenntnis! – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sagen Sie mal was zu den Insolvenzen im Mittelstand!)


dass Sie in die Analyse der Ergebnisse Ihrer Politik ein
wenig Ehrlichkeit hineinlegen und sehen, welche Ent-
wicklung sich gegenwärtig abzeichnet.

Im „Handelsblatt“ von gestern heißt es wie folgt:
Die Weltwirtschaft steht vor einer neuen Wachstums-
phase und hat ihr Tief überwunden. Nach Einschät-

zung des Internationalen Währungsfonds (IWF) gilt
dies auch für Deutschland. Ähnlich äußerten sich auch
die Bundesregierung, die Spitzenverbände der Wirt-
schaft und das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW).

(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die Botschaft hör’ ich wohl!)

An Ihren Zwischenrufen kann ich erkennen: Aus poli-

tisch kurzsichtigen Motiven bedauern Sie es in Wirklich-
keit, dass sich die Entwicklung in dieser Weise abzeichnet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Unsinn! – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das haben Sie vor einem Jahr auch gesagt!)


Ich kann Ihnen nur eines sagen: Kritik, wie wir es noch
besser machen können, ist angesagt. Sich gemeinsam für
den Wirtschaftsstandort Deutschland einzusetzen und
sich darüber zu freuen, dass es in diesem Jahr mit der
Wirtschaft aufwärts geht,


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Keine Gesundbeterei!)


ist das Mindeste, was man von einer verantwortungsvol-
len Opposition verlangen kann. Sie müssen noch üben.
Sie werden dazu ab September noch mindestens weitere
vier Jahre Gelegenheit haben.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Hansjürgen Doss [CDU/CSU]: Wir brauchen Fakten und keine Sprüche! Das Ergebnis Ihrer Politik ist verheerend!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422712900
Ich erteile der
Kollegin Gudrun Kopp das Wort für die Fraktion der FDP.


Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1422713000
Herr Präsident! Sehr geehrte
Herren und Damen! Lieber Herr Kollege Wend, ein neuer
Titel allein, zu dem ich Ihnen herzlich gratuliere, macht
aus Ihnen noch keinen neuen Experten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Rainer Wend [SPD]: Aber schlecht ist er nicht!)


Ich muss Ihnen sagen, dass Sie meilenweit von der Praxis
entfernt sind. Schauen wir uns einmal um und fragen, wer
von denen, die hier sitzen, schon einmal Firmen aus der
Nähe betrachtet hat und wer überhaupt weiß, was im Mit-
telstand los ist.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Sie hätten gerne, dass der ganze Arbeitgeberverband hier sitzt!)


– Auch Brüllerei ist kein Zeichen von Qualifikation.
Sie haben von einer ehrlichen Analyse gesprochen.

Lieber Herr Wend, ich habe Ihre Rede als Märchenstunde
empfunden.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Dann sind Sie aber eine Märchentante!)


So wird es auch jeder Mittelständler empfinden, der im
Augenblick vor der Insolvenz steht. Deren Zahl ist sehr




Dr. RainerWend

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hoch. Wir wissen, dass 40 000 Insolvenzen für dieses Jahr
erwartet werden. Das ist eine Schande. Davon sind so-
wohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber betroffen; denn
beide sitzen in einem Boot.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie haben behauptet, dass der früheren Regierung eine

Senkung der Lohnnebenkosten nicht in angemessener
Weise gelungen sei.


(Dr. Rainer Wend [SPD]: Das ist untertrieben!)

Sie haben verschwiegen, dass Sie bei der Rentenversi-
cherung eine Quersubventionierung in Höhe von 37 Mil-
liarden DM eingeführt haben.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das sind 2,3 Beitragspunkte, Herr Wend! Da sieht Ihre Bilanz schon völlig anders aus!)


Sie haben im Hinblick auf die Arbeitslosenzahlen die De-
mographie völlig außer Acht gelassen,


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

nämlich die Tatsache, dass jährlich 200 000 ältere Arbeit-
nehmer ausgeschieden sind. Trotzdem haben Sie heute
immer noch die miserable Bilanz von 4,3 Millionen Ar-
beitslosen vorzuweisen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Außerdem wollten sie sich an ihren Erfolgen messen lassen!)


Wir schulden es dem Mittelstand, dass seine Wirt-
schaftskraft hier einmal dargestellt wird. Wir sprechen in
diesem Bereich von 3,3 Millionen Unternehmen und
20 Millionen Arbeitnehmern. Wer investiert im Augen-
blick am meisten? 49 Prozent der Umsätze, 70 Prozent
aller Arbeitnehmer und 88 Prozent aller Auszubildenden
sind im Mittelstand zu finden. Ich habe diese Zahlen ge-
nannt, damit wir uns die Wirtschaftskraft des Mittel-
standes vergegenwärtigen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das kann man nicht oft genug sagen!)


Es brennt aber im Augenblick lichterloh. Die Regie-
rung muss etwas tun, Herr Wend,


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Und zwar bald!)


und zwar sofort. Ich sage Ihnen – auch wenn Sie es schon
zigmal gehört haben –: Bei einer Eigenkapitalquote von
im Augenblick gerade einmal noch 2 bis 5 Prozent in Ri-
sikobereichen – damit befinden sich die betreffenden Un-
ternehmen am Rande des Abgrundes –


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist nichts!)

müsste die Regierung endlich steuerliche Anreize zur
Schaffung von Eigenkapital geben. Wir brauchen eine
drastische Senkung der Lohnnebenkosten und eine Steu-
erreform – nicht erst ab 2005 –, die gerade den mittel-
ständischen Unternehmen helfen wird.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Sagen Sie mal, wie es gehen soll! Das
wäre sehr interessant!)

Aber nichts von alldem ist derzeit zu sehen.

Mein Vorredner von der CDU/CSU-Fraktion ist schon
darauf eingegangen: Sie haben in jüngster Zeit zehn Ge-
setze auf den Weg gebracht, die wahre Nackenschläge für
den Mittelstand waren.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Eines war schlechter als das andere!)


Wenn man betrachtet, was diese Gesetze allein für die
Bauindustrie bedeuten, dann muss man sagen, dass es
furchtbare Gesetze sind. Außerdem sind 200 000 Arbeit-
nehmer im Bereich des Handwerks im vergangenen Jahr
arbeitslos geworden.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dann machen die noch eine Bauabzugsteuer! Das ist eine Katastrophe!)


Denken Sie in diesem Zusammenhang an die Kündi-
gungsschutzregelung und an die große Zahl von Arbeits-
gerichtsverfahren, die im Augenblick bei 600 000 pro Jahr
liegt. Es besteht also eine völlig unklare Rechtssituation.

Wer leidet in erster Linie darunter? Es sind gerade die
kleinen Unternehmen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Jawohl, so ist es!)


60 Prozent aller KMU haben bis zu zehn Mitarbeiter.
Diese kleinen Unternehmen haben keine extra Justizab-
teilungen, die all diese Finessen der Gesetzgebung durch-
schauen. Das ist eine schwierige Lage.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das macht alles der Unternehmer am Sonntagmittag!)


Beim Thema Basel II habe ich nicht gehört, wie Sie
sich das vorstellen, Herr Wend. Wie soll denn eine unter-
nehmerische Idee bewertet werden? Wie stellen Sie sich
die Finanzierung von Existenzgründern vor, die keine
Historie vorzuweisen haben, die man auch nicht „raten“
kann? Nichts dergleichen habe ich gehört. Sie stellen sich
heute, in der allerschlimmsten Lage des Mittelstandes, hin
und beten alles gesund.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darüber haben wir gestern bei der Anhörung diskutiert! Da hätten Sie kommen können!)


Ich meine, dafür haben Sie die Note 6 verdient. Das ist
überhaupt keine Frage.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wolfgang Weiermann [SPD]: Wer hat denn die Schulden über 16 Jahre gemacht? 1,5 Billionen! Wenn das nicht wäre, hätten wir Geld genug!)


Wenn es eines weiteren Beweises bedarf: Die Selbst-
ständigenquote liegt in Deutschland bei 10 Prozent. Im
internationalen Vergleich liegt diese Quote bei 18 bis
20 Prozent. Woran liegt das? Von Ihnen habe ich nicht
gehört, was Sie dagegen tun wollen.

Ich komme jetzt noch einmal auf den Mittelstandsbe-
richt zu sprechen und muss Ihnen sagen:


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dünn, dünn, dünn!)





Gudrun Kopp
22524


(C)



(D)



(A)



(B)


Das ist eine Ansammlung von Klein-klein-Initiativen, die,
wenn das Gesamtkonzept stimmen würde, als Umrah-
mung ganz nett wären. Aber schauen Sie sich zum Bei-
spiel das Kapitel „Besseres Klima schaffen für mehr
Selbstständigkeit“ an.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das liest sich wie der Fünfjahresplan der alten DDR!)


Sie finden in diesem Mittelstandsbericht Schulprojekte
und internetgestützte Schülerwettbewerbe. Das ist prima;
aber das hilft dem Mittelstand in seiner Substanz nicht.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber dann kommt der Wend hierher und macht Klassenkampf! – Gegenruf des Abg. Wolfgang Weiermann [SPD]: Klassenkampf macht ihr ja inzwischen mehr als wir! Klassenkampf von oben!)


Zum Stichwort Bürokratieabbau wird in diesem gran-
diosen Bericht lediglich eine Vereinfachung von Antrags-
formularen vorgeschlagen. Das ist prima; aber das hilft
dem in seiner Existenz gefährdeten Mittelstand nicht.

Das heißt also: völlige Praxisferne bei der Regierung,
was die augenblickliche Situation des Mittelstands be-
trifft.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es sind überhaupt keine Perspektiven in Sicht, wie Sie
helfen wollen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die blenden das total aus! – Dirk Niebel [FDP]: Alte Linke statt Neue Mitte!)


Wie wäre es denn einmal mit einem Gesetzes- oder
Bürokratie-TÜV?


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das hatten wir schon mal! Das haben die wieder abgeschafft! – Dr. Rainer Wend [SPD]: Und dafür machen wir eine neue Behörde!)


– Nein, ohne neue Behörde, im Kopf. Das wäre wichtig,
bevor wir hier Unsinn beschließen, neue Gesetze wie zum
Beispiel zur Bauabzugsteuer und viele andere Dinge
mehr. Das sind Todsünden für den Mittelstand. Ich kann
Ihnen nur sagen: Die FDP wird dazu beitragen, dass es
hier im September einen radikalen Kurswechsel gibt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir haben erlebt, dass die Einmischung der Politik das

Schlimmste ist, was der Wirtschaft und vor allen Dingen
dem Mittelstand passieren kann.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Was sollen wir denn machen? Sie sagen immer: Das ist Einmischung!)


– Sie brauchen sich gar nicht aufzuregen.

(Wolfgang Weiermann [SPD]: Darüber regen wir uns aber auf! Das ist doch dummes Zeug!)


Es wird ja ab September besser, ohne Sie.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Sie mischen sich ein, versäumen es aber, die nötigen Rah-
menbedingungen zu schaffen. Sie drehen an verschiede-
nen Stellschräubchen und nehmen damit dem Mittelstand
die Luft zum Atmen. Sie haben es verdient, ab September
nicht mehr auf der Regierungsbank zu sitzen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die hätten es verdient, schon jetzt nicht mehr da zu sitzen! – Wolfgang Weiermann [SPD]: 6 minus! Das war „Thema verfehlt“!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422713100
Für die
Fraktion der PDS spricht der Kollege Rolf Kutzmutz.


Rolf Kutzmutz (PDS):
Rede ID: ID1422713200
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Der Unterschied zwischen einer Wiederho-
lung und einer Fortsetzung ist beim Film, dass eine Fort-
setzung etwas Neues in der Handlung bringt. Wir aber
wiederholen zum x-ten Mal den offensichtlichen Lieb-
lingsfilm des Bundestages „Spiel mir das Lied vom Mit-
telstand“.


(Beifall bei der PDS)

Nun gibt es das Buch zum Film. Ich meine, es ist gut,

dass solch ein Bericht vorgelegt wird. Damit wird – Wahl-
kampf hin, Wahlkampf her – Kleinunternehmern und
auch Politikern überhaupt erst einmal deutlich gezeigt, wo
und wie Mittelstandspolitik des Bundes betrieben wird.


(Gudrun Kopp [FDP]: Eben nicht!)

Damit bin ich allerdings auch bei einem Kardinalproblem
dieses Berichts. Bei all den gepriesenen Förderlinien, För-
derbausteinen und Internetportalen – der Dschungel für
Rat und Hilfe Suchende hat sich bis jetzt nicht gelichtet.
Mindestens ein Dutzend verschiedene Internetportale als
Einstieg in unterschiedliche Felder der Mittelstandspoli-
tik sind dem 56-Seiten-Bericht zu entnehmen. Fünf Bun-
desministerien – neben dem Wirtschaftsministerium auch
das Forschungs-, das Umwelt-, das Familien- und das
Entwicklungshilfeministerium – und natürlich, nicht zu
vergessen, die geschätzte Kollegin Frau Wolf als Mittel-
standsbeauftragte kümmern sich um den Mittelstand.

Nur: Existenzgründer und Kleinunternehmer haben
keine Zeit, pausenlos durch das Internet zu surfen. Als
Vorsitzender des Offenen Wirtschaftsverbandes weiß ich
das aus eigener Erfahrung und durch viele Berichte. Die
Zeit reicht nicht aus, um zu suchen; die Zeit muss ver-
wendet werden, um etwas zu tun.


(Beifall bei der PDS)

Angesichts der auch in diesem Bericht bekundeten IT-

Euphorie der Bundesregierung müsste es doch eigentlich
ein Leichtes sein, ein zentrales Internetportal einzurich-
ten, von dem aus verständlich und übersichtlich der Weg
zu allen Spezialinformationen – von Fragen inländischer
Wirtschaftsförderung über Fragen zu Umwelt, Gleichstel-
lung und Ausbildung bis hin zu Außenwirtschaftsfragen –
gewiesen wird. Das wäre zumindest ein Anfang, um ir-
gendwann zu einem Angebot aus einer Hand zu kom-
men – zumal – das weiß ich aus eigener Erfahrung – mit




Gudrun Kopp

22525


(C)



(D)



(A)



(B)


der Deutschen Ausgleichsbank doch eine Struktur vor-
handen ist, die in dieser Richtung schon viele gute An-
sätze aufweist. Um diese weiterzuentwickeln, ist es erfor-
derlich, den Kabinettsbeschluss vom Sommer 2000
aufzuheben, mit dem die DtA an die Kreditanstalt für
Wiederaufbau verkauft werden sollte. Mögliche Syner-
gien beider Förderbanken sind ja schon durch dessen Vor-
bereitung und die vielen Diskussionsrunden gehoben
worden. Natürlich muss sich der Finanzminister endgül-
tig von der Hoffnung verabschieden, seine Haushaltsbi-
lanz mit virtuellen Milliardeneinnahmen aus einem Bank-
verkauf zu verbessern.

Tatsächlich scheint die Existenzgründer- und Mittel-
standsfinanzierung, anerkanntermaßen die Achillesverse
eines Aufschwungs kleiner Unternehmen, seit vergange-
nem Sommer endlich auf einem guten Weg. Dafür spricht
das im Bericht genannte Konzept „Bürgschaft ohne
Bank“, bei dem ein Finanzbedarf bis 127 000 Euro
zunächst ohne Einschaltung einer Hausbank durch Bürg-
schaftsbanken geprüft werden soll. Aber auch die neue
BTU-Frühphase oder die Möglichkeit stiller Beteiligung
der tbg an kleinen Technologieunternehmen mit „Fu-
tour 2000“ wäre zu nennen.

Gestern hat es eine Anhörung zu Basel II gegeben. Die
kürzeste Form, auf die ich das gestrige Ergebnis bringen
kann, ist: Nicht Basel II, sondern die Banken sind das
Problem.


(Beifall der Abg. Dr. Ruth Fuchs [PDS])

Viel wichtiger als Basel II sind, will man Wachstum
schaffen, öffentliche Investitionsprogramme, die Binnen-
nachfrage, die Zahlungsmoral und das Insolvenzrecht.
Denn, Frau Wolf, eine „zweite Chance“ hängt eben auch
von der Qualität des Insolvenzrechts ab. Ich würde Sie
sehr unterstützen, wenn wir da Veränderungen erreichen
könnten.

Das Nachdenken darüber, dass Mittelstandsförderung
im „Direktvertrieb“, also ohne Hausbank, erfolgen kann,
halte ich für richtig. Es kann doch nicht darum gehen, mit
Existenzgründer- und Mittelstandsförderung letztlich vor
allem Banken zu finanzieren. Ebensowenig kann es aller-
dings darum gehen, den Unternehmen mittels verlorener
Zuschüsse einfach etwas zu schenken.

Im Bericht wird ausdrücklich darauf verwiesen, dass
beim leidigen Thema „Meisterzwang im Handwerk“ die
sorgfältige Beobachtung der Umsetzung gefasster Be-
schlüsse vorgenommen wird. Ein ebenso kritisches He-
rangehen wünschte ich mir bei der Vereinbarkeit von Be-
ruf und Familie oder auch in Bezug auf die gerechte
Lastenverteilung bei Berufsausbildungskosten.

Um auf den Eingangssatz zurückzukommen: Wenn uns
der Mittelstand so wichtig ist, wie wir das in den Reden
immer betonen, dann sollten wir alles tun, dass es nicht
bei Wiederholungen, bei ständigen Bekundungen seiner
Wichtigkeit bleibt.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Da hat er Recht!)

Vielmehr sollten wir gemeinsam – damit meine ich: unter
Prüfung wirklich aller Ideen, die vorgelegt werden – et-

was tun, damit sich eine erfolgreiche Entwicklung des
Mittelstands fortsetzen lässt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422713300
Die Kolle-
gin Jelena Hoffmann spricht für die SPD.


Jelena Hoffmann (SPD):
Rede ID: ID1422713400
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Parlamentarische
Staatssekretärin Frau Wolf hat gerade in eindrucksvoller
Weise


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Was? – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Haben Sie nicht richtig zugehört?)


die Mittelstandspolitik unserer Bundesregierung vorge-
stellt. Der Bericht verdient unseren Dank und die Staats-
sekretärin unsere Genesungswünsche.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In 18 Kapiteln erhalten wir sehr detailliert Auskunft
über die große Palette von Unterstützungsmöglichkeiten,
die kleine und mittlere Unternehmen nutzen können. Herr
Doss, wenn Sie sagen, die Mittelständler bräuchten diese
Hochglanzbroschüre nicht, muss ich erwidern: Aber das,
was da drinsteht, brauchen die Mittelständler. Aber sie
brauchen jeden Euro, der hinter den Zeilen des Berichtes
steht.


(Beifall bei der SPD)

Der Mittelstand braucht eine gesicherte Finanzierung,

Unterstützung in den Wachstumsbereichen und weniger
Reglementierung. Genau das ist unsere Politik.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Welche Finanzhilfen geben wir dem Mittelstand? Wir

wissen, dass die Kapitalausstattung die Achillesferse
des Mittelstandes in Deutschland ist. Die Eigenkapital-
decke ist im europäischen Vergleich sehr gering. Man
spricht von 15 bis 18 Prozent. Einige ganz kleine Unter-
nehmen haben eine Eigenkapitaldecke von nur 4 Prozent.
Deshalb unterstützen wir die KMUs mit über 5 Milliar-
den Euro aus dem ERP-Sondervermögen und zusätzlich
mit 9 Milliarden Euro, die über die Förderbanken KfW
und DtA beantragt werden können.

Von der alten Regierung unterscheidet uns dabei die
Tatsache, dass wir auch qualitative Verbesserungen des
Förderinstrumentariums erreicht haben. Wir legen großen
Wert auf die Betreuung und Beratung der Unternehmen.
Die DtA bietet ihre Dienste bundesweit an 46 Standorten
an.

An dieser Stelle möchte ich auch an die mittelständi-
schen Verbände appellieren, ihre Mitglieder gezielt auf
die Möglichkeiten, die diese Förderprogramme bieten,
aufmerksam zu machen. Ich weiß, dass in einigen Ver-
bänden mehr davon gesprochen wird, was die Regierung
nicht macht, als darüber, was unsere Regierung für den




Rolf Kutzmutz
22526


(C)



(D)



(A)



(B)


Mittelstand auf die Beine stellt. Das Recht zu kritisieren
darf gegenüber der Pflicht zu informieren nicht überwie-
gen.

In einer Debatte über den Mittelstand kann man das
Thema Basel II nicht außen vor lassen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Da bin ich neugierig, was Sie sagen!)


Auch ich möchte kurz darauf eingehen. Basel II darf nicht
die Fremdfinanzierung von kleinen Unternehmen gefähr-
den. Dies lassen wir auch nicht zu, Herr Hinsken. Die na-
tionalen Interessen des deutschen Mittelstandes werden
von der Bundesregierung nachdrücklich vertreten. Be-
sonders wichtig ist uns, dass die deutsche Praxis der lang-
fristigen Kreditvergabe nicht gefährdet wird und erhalten
bleibt.

Aber auch die Banken sind in die Pflicht zu nehmen,
sich weiter an der Mittelstandsfinanzierung zu beteiligen.
Die Befürchtungen der KMUs, die Banken würden sich
aus diesem Geschäft zurückziehen, dürfen nicht zur Tat-
sache werden. Banken sollen aktiver auf die Chancen des
Ratingverfahrens hinweisen und die Kreditvergabe viel
transparenter gestalten.

Im Bereich der Finanzierung und Förderung liegen uns
die mittelständischen Wachstumsbereiche besonders am
Herzen. Dazu gehört auch die Tourismusbranche, die
am meisten unter den Folgen des 11. September letzten
Jahres gelitten hat. Doch das mittelständische Gastge-
werbe hat sich konsolidiert und weist erstmals seit 1995
wieder Wachstumsraten auf. Zudem sind in der Touris-
muswirtschaft neue Arbeitsplätze geschaffen worden: ein
Zuwachs von 0,5 Prozent bei den Vollzeitstellen und von
1,5 Prozent im Teilzeitbereich. – Danke, Herr Hinsken,
dass Sie dies mit Ihrer Kopfbewegung bestätigen.

Von einem verstärkten Auslandsmarketing profitiert
das Hotel- und Gastgewerbe. Deshalb unterstützen wir die
Deutsche Zentrale für Tourismus in diesem Jahr mit etwa
22 Millionen Euro. Das ist mehr als je zuvor.

Auch das länderübergreifende Inlandsmarketing wird
weitere fünf Jahre bis 2006 fortgeführt und finanziell un-
terstützt. Dabei gehen wir auch hier neue Wege. Die Kom-
petenzzentren für Tourismus stehen für diesen Weg. Sie
sind die Schnittstelle zwischen Tourismus und E-Busi-
ness. Hier können die Reiseveranstalter und Reisebüros
Internetkenntnisse erwerben, die speziell auf ihre Branche
zugeschnitten sind. E-Business bietet enorme ökonomi-
sche Potenziale. Die Umsätze mit Internet- und Online-
diensten sind im Jahr 2000 um 40,5 Prozent auf 5,4 Mil-
liarden Euro gestiegen. Im Internet liegt der Markt der
Zukunft.

Mit einem virtuellen Stadtbummel hat mein Wahlkreis
Chemnitz gerade den ersten Preis im Wettbewerb „At-
traktive Innenstadt“ gewonnen. Ich freue mich natürlich
darüber. Ausgeschrieben wurde das Projekt vom Bundes-
wirtschaftsministerium.

Und was hört man aus Ihren Reihen, meine Damen und
Herren von der Opposition? Nur Katastrophenmeldun-
gen. Durch Ihr Bestreben, unsere Politik kaputtzureden,
schaden Sie der Wirtschaft in Deutschland. Was für eine

Art Signal senden Sie aus den Fenstern Ihrer Berliner Par-
teizentrale in die Welt und damit auch an die ausländi-
schen Investoren? Die Rezession steckt mehr in Ihren
Köpfen als in der Wirtschaft. Sie betreiben mit Ihrer Kam-
pagne Rufschädigung für Deutschland. Dabei setzen Sie
außerdem der Wirtschaftspolitik made by Kohl nur Hör-
ner auf. Oder haben Sie schon vergessen, welche Regie-
rung Deutschland auf die hinteren Plätze in Europa ge-
führt hat?


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Das verdrängen die!)


Wo war damals Ihre rote Laterne, Herr Hinsken? War sie
im Keller vergraben?

Der Konsolidierungskurs unserer Regierung ist das
Beste, was dem Mittelstand geschehen kann.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: So geht es nicht!)


Denn wir erreichen mit unserer Politik ein stabiles Wachs-
tum und kein Wachstum, das nur von den Finanzmärkten
abhängig ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422713500
Frau Kolle-
gin Hoffmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Ernst Hinsken?


Jelena Hoffmann (SPD):
Rede ID: ID1422713600
Nicht für den
Fall, dass es wieder nur um die rote Laterne geht. Herr
Hinsken, lassen Sie uns das im Ausschuss besprechen.
Herr Präsident, ich lasse die Zwischenfrage nicht zu.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Dumm daherreden und dann keine Frage zulassen!)


Die meisten wirtschaftspolitischen Initiativen der Op-
position lassen sich mit zwei Stichworten zusammenfas-
sen: unfinanzierbar und konjunkturpolitisch kontrapro-
duktiv. Allein die Abschaffung der Ökosteuer, von der aus
Ihren Reihen – einmal so und einmal so – immer wieder
die Rede ist, würde 15 Milliarden Euro kosten. Die Folge:
eine Erhöhung der Rentenbeiträge und eine deutliche
Mehrbelastung des Mittelstandes durch Erhöhung der
Lohnnebenkosten – darauf wurde bereits eingegangen –,
die Sie von 34 auf über 42 Prozent in die Höhe getrieben
haben.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie haben keine Ahnung, Frau Hoffmann!)


Meine Damen und Herren von der Opposition, weder
die Ökosteuer noch die Betriebsverfassung hat ein Unter-
nehmen in den Konkurs getrieben. Herr Hinsken, zeigen
Sie mir einen Handwerker, der mehr Aufträge erhält, weil
der Kündigungsschutz nicht mehr gilt.

Ich muss zum Schluss kommen.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Gott sei Dank!)


Die Chancen stehen gut, dass der Mittelstand nicht nur
Konjunkturstabilisator bleibt, sondern zum Kern des jetzt
beginnenden Aufschwungs in Deutschland wird. Wir




Jelena Hoffmann (Chemnitz)


22527


(C)



(D)



(A)



(B)


bieten die beste Unterstützung mit unserem kombinierten
Programm „Mittelstand stärken – Haushalt konsolidie-
ren“.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Diese Rede war eine gute Wahlrede für die CDU/CSU!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422713700
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht die Kollegin Dagmar Wöhrl.


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1422713800
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Schröder-Jahre sind magere
Jahre,


(Zurufe von der SPD: Oh! – Lothar Mark [SPD]: Deswegen sind Sie auch abgewählt worden!)


und zwar magere Jahre für den Mittelstand. Das heißt er-
drückende Steuerabgabenlast, arbeitsrechtliche Überre-
glementierung, noch mehr Bürokratie und Kürzung öf-
fentlicher Investitionen. Glauben Sie nicht, dass der
Mittelstand das nicht weiß! Er weiß, wer die Verantwor-
tung dafür trägt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lothar Mark [SPD]: Der Mittelstand weiß, dass es ihm besser geht!)


Im vorliegenden Mittelstandsbericht preist Minister
Müller international wettbewerbsfähige Steuersätze an.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Müller, der Mittelstandsvernichter!)


Aber wie sieht die Realität aus? Noch nie gab es eine so
einseitige steuerliche Benachteiligung des Mittelstandes
wie jetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lothar Fischer [Homburg] [SPD]: Quatsch! – Lothar Mark [SPD]: Das sehen aber nur Sie so! Die Verbände sagen etwas anderes!)


Minister Müller lobt in seinem Bericht bezahlbare Ren-
tenbeiträge. Aber wie sieht die Realität aus? Die BfA pro-
gnostiziert bereits für das nächste Jahr trotz der Ökosteuer
steigende Beiträge.

Aber Minister Müller beweist in seinem Mittelstands-
bericht auch Humor. Er spricht nämlich von einer Flexi-
bilisierung des Arbeitsmarktes. Das ist ein guter Witz. Die
Mittelständler können darüber nicht lachen. Denn wie
sieht auch hier die Realität aus? Einschränkung der
325-Euro-Jobs, Rechtsanspruch auf Teilzeit, Verschär-
fung des Betriebsverfassungsgesetzes, Gesetz gegen
Scheinselbstständigkeit, neue Buchführungspflichten et
cetera, et cetera, also Belastungen über Belastungen. Das
heißt, der Arbeitsmarkt wurde unter Ihrer Regierung noch
starrer und noch bürokratischer.

Auch wenn Sie in Ihrem Bericht eine wohlklingende
Mittelstandsrhetorik anwenden, täuscht dies nicht darüber

hinweg, dass Ihre mittelstandspolitische Bilanz verhee-
rend ausfällt. Das Insolvenzrecht von 1999 – ich erwähne
es absichtlich – hat in diesem Zusammenhang Auswir-
kungen. Nichtsdestoweniger ist es verheerend und er-
schreckend, dass es bei den Unternehmen im letzten Jahr
32 284 Insolvenzen gegeben hat. Davon waren über
200 000 Arbeitsplätze betroffen.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Wo war da Schröder?)


Wenn Sie dabei berücksichtigen, dass die Rezession bei
den Unternehmen erst zeitversetzt ankommt, wissen Sie,
dass wir in diesem Jahr eine Pleitewelle mit neuen Re-
kordzahlen zu erwarten haben.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Wo bleibt da Schröder?)


Wie schaut es bei den wichtigen Existenzgründungen
aus? Eine Vergleichsstudie über das weltweite Grün-
dungsgeschehen zeigt, dass Deutschland im letzten Jahr
beim Gründungs- und Investitionsklima nur den 22. Platz
von 29 Ländern belegte. Gerade sieben von 100 Personen
haben sich dazu entschlossen, sich selbstständig zu ma-
chen. Was lernen wir daraus? Der Pioniergeist scheint un-
ter Rot-Grün nicht gerade sehr gut zu gedeihen. Man muss
sich schon fragen, was die Gründe dafür sind.


(Lothar Mark [SPD]: Die große Verschuldung, die wir übernommen haben!)


Sicherlich gibt es viele Gründe dafür, sich selbstständig
zu machen. Ein Selbstständiger muss aber auch Mut zum
Risiko haben. Mit Ihrer Politik haben Sie diesen jungen
Menschen jeglichen Mut zur Selbstständigkeit genom-
men.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lothar Mark [SPD]: Das stimmt doch überhaupt nicht! Sie machen den Leuten Angst, weil Sie alles schwarz malen!)


Es klingt wirklich wie Hohn, dass Sie im Mittelstands-
bericht schreiben, dass Sie die Kultur der Selbstständig-
keit fördern. Wie fördern Sie sie denn? Tun Sie das, indem
Sie die Business Angels steuerlich entmutigen und die
Wesentlichkeitsgrenze für steuerfreie Beteiligungen von
20 Prozent auf 1 Prozent senken? Bestimmt nicht. Sie ha-
ben den gesamten Business-Angels-Markt, den wir mit
Mühe und Not aufgebaut haben, kaputtgemacht.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben ihn aufgebaut?)


Sie wissen, wie wichtig gerade für junge Unternehmen
dasWagniskapital ist.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das wissen sie eben nicht! Das ist das Problem!)


Jemand, der ein wenig Geld angespart und vielleicht ge-
dacht hat, er könne sein angespartes Geld in ein junges
Unternehmen investieren, überlegt heute – er hat natürlich
ein Interesse daran, seinen Anteil wieder zu veräußern,
und weiß, dass er das Geld bei der Veräußerung zukünftig




Jelena Hoffmann (Chemnitz)

22528


(C)



(D)



(A)



(B)


voll versteuern muss –, ob er es wirklich tun oder aber lie-
ber Aktien kaufen bzw. in einen Fonds investieren sollte.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Richtig! Lieber Festgeld!)


Ein anderes Beispiel sind die Stock Options. Diese sind
für junge Technologieunternehmen sehr wichtig. Bei uns
gibt es aber eine internationale Benachteiligung. Auch
hier gehen Sie dieses wichtige Thema nicht an. Des Wei-
teren überziehen Sie die kleinen Betriebe mit einem un-
durchschaubaren Geflecht von immer mehr Vorschriften,
Verordnungen und Gesetzen.

Meine Damen und Herren, wir müssen endlich von den
hohen Erhaltungssubventionen von gestern wegkommen.
Wir müssen Unterstützungsprogramme für die Gründer
von heute auflegen.


(Hubertus Heil [SPD]: Meinen Sie die bayerische Landwirtschaft?)


Ich sage es hier ganz offen und ehrlich: Wenn der Kanz-
ler so überzeugend, wie er sich bei den Banken für Holz-
mann einsetzt,


(Hubertus Heil [SPD]: Für Leo Kirch einsetzen würde!)


für Erfolg versprechende kleinere und mittlere Betriebe
werben würde, wäre schon viel geschehen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Jawohl, so ist es! Aber die Kleinen interessieren ihn doch nicht!)


Die Bürokratiekosten steigen. Man muss sich einmal
vorstellen, dass allein der Kommentar zum Kündigungs-
schutzgesetz inzwischen 2,5 Kilogramm wiegt. Für die
Gründung einer GmbH braucht man in Großbritannien
sieben und in den USA zehn Tage. Jetzt raten Sie einmal,
wie lange man in Deutschland braucht, um eine GmbH zu
gründen. Dafür sind inzwischen vier Monate notwendig.


(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Wahnsinn!)


Unsere Aussagen werden auch durch die Studie des
Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes mit dem Titel
„Diagnose Mittelstand“ bestätigt. Wie schaut diese Dia-
gnose aus? Es ist eine düstere Bilanz. Die Studie sagt aus,
dass wir viermal Grund zur Sorge haben. Erstens haben
die Unternehmen lediglich eine hauchdünne Eigenkapi-
talausstattung, zweitens ist die Ertragslage der Unterneh-
men unzureichend, drittens wird die unternehmerische
Tätigkeit immer weniger rentabel und viertens werden die
Personalkosten immer höher.


(Beifall der Abg. Gudrun Kopp [FDP])

Mehr als die Hälfte unserer Betriebe arbeitet nahezu

ohne Eigenkapital. Unser Mittelstand lebt inzwischen
von der Substanz. Sie wissen ganz genau, dass auch durch
Basel II keine Verbesserung eintreten wird – im Gegen-
teil. Selbst in dem vergleichsweise guten Jahr 2000 haben
35 Prozent der kleineren Unternehmen mit einem Umsatz
von bis zu 250 000 Euro überhaupt keinen Gewinn ge-
macht. Daran erkennen Sie, wie drastisch sich die Er-

tragslage des Mittelstandes unter Ihrer Regierung ver-
schlechtert hat.


(Hubertus Heil [SPD]: Nein, nein! Das war schon vorher!)


Wir haben eine angespannte Lage. Eine angespannte
Lage erfordert eine schnelle und umfassende Therapie,
keine leeren Versprechungen und medienwirksamen
Äußerungen, die Sie immer wieder anbieten.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Der Mittelstand stirbt ohne Therapie!)


Was machen Sie? Sie bringen eine Steuerreform auf
den Weg, mit der Sie die Personengesellschaften und da-
mit den gesamten Mittelstand gegenüber den Kapitalge-
sellschaften schlechter stellen.


(Hubertus Heil [SPD]: Das wird nicht dadurch besser, dass Sie es ständig wiederholen!)


Die Großen werden bevorzugt, die Kleinen müssen blu-
ten. Große Unternehmen haben im Jahr 2000 noch
23 Milliarden Euro Körperschaftsteuer bezahlt. Was war
letztes Jahr? 400Millionen Euro mussten ausbezahlt wer-
den.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen genau, dass das noch aufgrund der alten Gesetzgebung geschehen ist!)


Natürlich müssen Kapitalgesellschaften entlastet wer-
den; das ist überhaupt kein Thema. Aber zu Ihrer Steuer-
reform zitiere ich die Bundesbank: Eine Steuerreform, die
die Fetten noch fetter macht, kann nicht richtig sein. Sie
haben eine Schieflage geschaffen, die schnellstens besei-
tigt werden muss.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir sind mit unserer Meinung nicht allein. Das Ergeb-

nis der Benchmarking-Studie ist: Der Mittelstand hat von
der rot-grünen Steuerreform nicht profitiert. Meine Da-
men und Herren von der Koalition, die Neue Mitte bei Ih-
nen ist nur Mittel zum Zweck. Sie ist für Sie ausschließ-
lich als Wahlkampfzielgruppe interessant und sonst nicht.

Wenn es nicht stimmt, was ich sage, dann beweisen Sie
es. Fangen Sie mit einem radikalen Entrümpelungspro-
gramm an! Erleichtern und verschlanken Sie endlich die
Vorschriften für Neugründungen!


(Lothar Mark [SPD]: Die Zahl der Runderlasse hat abgenommen! – Dr. Rainer Wend [SPD]: Schaffen Sie die Steuern ab!)


Fangen Sie mit Ihren ewigen Runderlassen und den zu-
sätzlich geschaffenen Bürokratiebestimmungen an. Das
gilt auch für das 325-Euro-Gesetz. Schaffen Sie endlich
ein einfaches, unbürokratisches Gesetz.

Wir versprechen: Sobald wir an der Regierung sind,
werden wir jedem 400 Euro cash auf die Hand geben. Es
muss sich in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen
genauso wie bei Nebentätigkeiten endlich wieder lohnen,
tätig zu werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)





DagmarWöhrl

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(C)



(D)



(A)



(B)


Es geht nicht nur darum, dass eine Zusatzbeschäftigung
wieder belohnt werden soll.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ihr seid die Leistungsverweigerer! Leistung wird nicht belohnt!)


Das war Geld, das auch zur Binnenkonjunktur beigetra-
gen hat. Sie wissen ganz genau, dass das momentan unser
größtes Problem ist.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Unser größtes Problem sind Sie!)


Eine neue CDU/CSU-Regierung wird die Interessen
– das verspreche ich Ihnen – des Mittelstandes wieder
berücksichtigen.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die werden sich wundern!)


Da können Sie sicher sein. Arbeitslosigkeit können Sie
nur mit einer mittelstandsfreundlichen Politik abbauen.
Auch werden wir dafür sorgen, dass sich die Schere zwi-
schen brutto und netto zukünftig wieder schließt.


(Lachen bei der SPD – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Das haben wir ja 1998 gesehen!)


Mittelstand und Existenzgründer müssen wieder in das
Zentrum der Wirtschaftspolitik rücken, was aber mit
Ihnen bestimmt nicht passieren wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422713900
Als letzte
Rednerin in dieser Debatte spricht für die SPD-Fraktion
die Kollegin Lydia Westrich.


Lydia Westrich (SPD):
Rede ID: ID1422714000
Herr Präsident! Meine Kolle-
ginnen und Kollegen! Frau Wöhrl, mit Ihren Kassandra-
rufen kann man wirklich keine guten Geschäfte machen.
Ich sage Ihnen: Der Mittelstand in Deutschland ist weit
besser,


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Als die Regierung!)


als uns die Opposition weismachen will.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Der Mittelstand ist super, aber die Regierung nicht! – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Der Mittelstand hat diese Regierung nicht verdient!)


– Dann hören Sie mit Ihren Kassandrarufen auf und un-
terstützen uns.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Diese Regierung kriegt selbst den Mittelstand kaputt!)


Der ausgezeichnete Bericht der Bundesregierung

(Zuruf von der CDU/CSU: Er hat nur nichts mit der Realität zu tun!)


zeigt, dass wir mit unserer Politik für den Mittelstand auf
einem guten Weg sind. Auf wenigen Seiten umreißt er ein
großes Bündel von Maßnahmen für die Zukunftsfähigkeit
vieler kleinerer und mittlerer Unternehmen. Er unterstützt
sie und hilft bei der Weiterentwicklung.

Das sind Maßnahmen und Aktivitäten, die sich die
lautstarke Opposition vielleicht selbst gerne auf die Fah-
nen geschrieben hätte. Wie eine Standarte tragen Sie das
Wort Mittelstand bei fast all Ihren Reden vor sich her, wie
dies vorhin auch schon der Kollege bemerkt hat. Aber
diese Standarte wird nur von heißer Luft bewegt. Deswe-
gen hängt Ihr Fähnchen ziemlich schwach und schlaff.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das sehen die Menschen aber anders! Sie schwächeln!)


Im Ernst: Sie sollten den Bericht nehmen und bei Ihrer
nächsten Betriebsbesichtigung mit den Unternehmern
und den Kollegen besprechen. Machen Sie ihn zum
Thema ihrer Mittelstandsgespräche. Sie werden feststel-
len, dass Ihre Unternehmen mit dem „Aktionsprogramm
Mittelstand“ dieser rot-grünen Bundesregierung sehr ver-
traut sind. Sie nutzen es bereits in vielfältiger Weise, weil
viele Mittelständler ihre Innovations- und Wettbewerbs-
fähigkeit auch im internationalen Rahmen stärken wollen.
Ihre Unternehmen haben durchaus registriert, dass es end-
lich statt fulminanter Reden –


(Dr. Hansjürgen Doss [CDU/CSU]: Die Reden von uns waren gut, das stimmt!)


wie sie von Ihnen heute wieder vorgetragen worden sind –
tatkräftige Hilfen gibt. Tatkräftige Hilfen sind besser als
jede noch so gute Rede. Es gibt Programme, auf die sie
zugreifen können; sie sind teilweise maßgeschneidert,
weil sie mit den Fachleuten und Praktikern vor Ort zu-
sammen erarbeitet worden sind.

Ich brauche als Beispiel nur meinen eigenen Wahlkreis
zu nehmen. Die vom Bund unterstützte Technologie-
transferstelle des Handwerks funktioniert ausgezeichnet.
Durch diese sind nicht nur neue Betriebe entstanden, son-
dern auch bestehende erweitert worden. Wir erhalten jetzt
eine vom Wirtschaftsministerium unterstützte überbe-
triebliche Weiterbildungseinrichtung, die Handwerker an
die Bereiche regenerativer Energie und neuer Technolo-
gien heranführt, um zum Beispiel die Wartung und Instal-
lation von Blockheizkraftwerken, Photovoltaikanlagen
oder solarthermischen Anlagen lernen zu können und so
die Betriebe zukunftsfähig zu machen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Alles mittelstandsgerecht, ja!)


Ich war letzte Woche auf der Schuhmesse in Düssel-
dorf. Dort hat mir ein mittelständischer Kinderschuhpro-
duzent erzählt, dass er 60 Prozent seiner Kinderschuhe ex-
portiert. Die USA, Kanada, Skandinavien und Japan sind
seine neuen Abnehmer. Diese neuen Märkte hat er sich mit
Unterstützung des Wirtschaftsministeriums erschließen
können. Er kann die Schuhe insgesamt bis zum letzten
Stich in Pirmasens herstellen, hat neue Mitarbeiter einge-
stellt und ist in Bezug auf die Zukunft sehr zuversichtlich.


(Dr. Hansjürgen Doss [CDU/CSU]: Es gibt Gott sei Dank ein paar Betriebe, bei denen es funktioniert!)





DagmarWöhrl
22530


(C)



(D)



(A)



(B)


Ohne die Unterstützung der rot-grünen Bundesregie-
rung hätte er den Schritt zu diesen Handelsbeziehungen
nach Übersee und Asien nicht gewagt. Bei meinem Messe-
rundgang habe ich im sachlichen Gespräch mit den meist
mittelständischen Unternehmen oder Familienbetrieben
– nicht mit den Funktionären – viele positive Beispiele der
Inanspruchnahme verschiedenster Programme unserer um-
fassenden Mittelstandsförderung erläutert bekommen.


(Dr. Hansjürgen Doss [CDU/CSU]: Der Mittelstand braucht keine Programme, sondern Entlastung, junge Frau!)


Ich habe es selbst erlebt, dass anwesende Unternehmer-
kollegen die Ideen aufgegriffen und sich gleich nach den
Modalitäten erkundigt haben. Einer hat gemeint, schon
die Information über „Pro Inno“ oder die KMU-Patentak-
tion zusammen mit dem Projekt Insti war den Messebe-
such wert.

Das ist praktische Hilfe, von der Sie vielleicht nichts
halten. Wir tragen nicht nur markige Wort vor uns her,
sondern nehmen die Unternehmen bei der Hand und pla-
nen mit ihnen gemeinsam unterstützende Programme und
den Abbau von Hemmnissen. Wir führen diese Pro-
gramme auch durch.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422714100
Frau Kolle-
gin Westrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Hinsken?


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Rote Laterne!)



Lydia Westrich (SPD):
Rede ID: ID1422714200
Ja.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1422714300
Frau Kollegin Westrich,
wir haben vorhin in mehreren Reden gehört, dass wir al-
lein im letzten Jahr 36 000 Insolvenzen hatten.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Das war bei euch doch genauso! So ein Blödsinn!)


Es ist zu befürchten, dass es in diesem Jahr 40 000 sein
werden. Haben Sie schon mit Unternehmern gesprochen,
die in Konkurs gehen mussten, weil die Bundesregierung
eine solch schlechte Mittelstandspolitik macht, dass sie
nicht mehr über die Runden kommen?


(Widerspruch bei der SPD)

Was haben Sie getan, um zu helfen und das Los der Be-
troffenen – das sind Einzelschicksale – zu lindern?


Lydia Westrich (SPD):
Rede ID: ID1422714400
Lieber Herr Kollege Hinsken,
ich habe selbst in meinem Wahlkreis einige Unternehmer,
die leider Insolvenz beantragen müssen. Ich kann mich
aber auch erinnern, dass ich vor sechs Jahren Reden ge-
halten habe, die auch den Tenor „So viele Insolvenzen und
so viele Arbeitslose“ gehabt haben.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So viele wie in diesem Jahr waren es noch nie! – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie verwechseln Konferenzen mit Insolvenzen!)


Ich habe in meinem Wahlkreis durch die Krise in der
Schuhindustrie eine Insolvenz nach der anderen erleben
müssen. Ich habe vor dem Hintergrund des neuen Be-
triebsverfassungsgesetzes erlebt, dass sich Unternehmen
und Betriebsräte zusammensetzen. Auf diese Weise wur-
den in meinem Wahlkreis mindestens drei Betriebe geret-
tet. Das heißt, es war wichtig, dass wir die Betriebsräte ge-
stärkt und den Unternehmen Partner an die Hand gegeben
haben, damit sie weiterexistieren können.


(Beifall bei der SPD)

Wenn Arbeitnehmer und Unternehmer gleichberech-

tigte Partner sind, dann sind das auch Möglichkeiten, um
Insolvenzen zu vermeiden. Sie wollen dies nur nicht
wahrhaben. Das aber ist die Wahrheit. Wenn Sie sich ein
bisschen in Ihren Wahlkreisen umschauen, können Sie
verschiedenste Beispiele solcher Art erfahren. Wir wer-
den in dieser Richtung weiterarbeiten, damit die Zusam-
menarbeit gestärkt wird.


(Dr. Hansjürgen Doss [CDU/CSU]: Davor bewahre uns der Himmel und die Wähler!)


– Das ist Ihre Ansicht. Aber wenn Sie einen Blick auf die
Praxis werfen, werden Sie sehen, dass es sich ganz anders
verhält. – Das ist praktische Hilfe, die die KMU überall
brauchen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Reglementierung!)


Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit einem
Mittelständler über die Steuerbelastung reden – Sie haben
vorhin darüber geredet –, bekommt er sicherlich glän-
zende Augen. Ich weiß nicht, wie es in Ihrer Steuer-
erklärung oder in der Ihres Unternehmens aussieht, Frau
Wöhrl, aber bei uns freuen sich die Betriebe darüber, dass
sie tatsächlich die Gewerbesteuer los sind, ohne ein
schlechtes Gewissen gegenüber der Stadt haben zu müs-
sen. Die hat nämlich – bei uns zum Beispiel – steigende
Gewerbesteuereinnahmen zu verzeichnen.

Wir haben den Betrieben mit unserer Steuerpolitik
wirtschaftliche Freiräume zurückgegeben. Zum Beispiel
werden bei einem Gewinn von circa 100 000 Euro 2002
mehr als 4 000 Euro weniger Belastungen entstehen als
1998. Wenn Sie mit einem Scheck über 1 000 DM oder
400 Euro wedeln, dann möchte ich darauf hinweisen, dass
wir den Mittelstand bis heute weit stärker entlastet haben,
als Sie es mit Ihrem Scheck tun könnten.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Um Gottes willen, Frau Westrich!)


Die Belastung sinkt bis 2005 kontinuierlich und planbar
für alle Unternehmen weiter. Mitunternehmererlass,
Reinvestitionsrücklage und Ansparabschreibungen stel-
len deutliche Erleichterungen dar, die für die kleinen Un-
ternehmen bei Generationenfolge und geplanten Investi-
tionen neue Finanzkraft bedeuten.

Schon 2001 lag die Gesamtsteuerbelastung mit Ein-
kommensteuer und Solidaritätszuschlag bei einem Perso-
nenunternehmen mit circa 50 000 Euro Gewinn – davon
gibt es sehr viele – nur noch bei 20,4 Prozent. Es war
der Wille der rot-grünen Bundesregierung und der sie
tragenden Fraktionen der SPD und der Grünen, den




Lydia Westrich

22531


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(D)



(A)



(B)


mittelständischen Unternehmen die Bewegungsfreiheit
und Finanzkraft zurückzugeben, die Sie ihnen genommen
haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422714500
Frau Kolle-
gin, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.


Lydia Westrich (SPD):
Rede ID: ID1422714600
Deshalb haben wir die Steuer-
politik darauf ausgerichtet – wie das „Handelsblatt“ vor
einem Jahr titelte – „Keine steuerliche Benachteiligung
des Mittelstands“. Das erzählt Ihnen inzwischen jeder Un-
ternehmer und jeder Steuerberater. Auch Sie können die
Zahlen nicht leugnen.

Wir wollen diesen Weg weiterverfolgen. Der Mittel-
stand wird es uns am 22. September danken.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Um Gottes willen! – Walter Hirche [FDP]: Das war jetzt ein Stückchen Selbstbetrug!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422714700
Ich schließe
die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/8548 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Das Haus ist damit
einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Hartmut
Koschyk, Anton Pfeifer, Dr. Norbert Lammert,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Zukunft der deutschen Auslandsschulen
– Drucksache 14/8106 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Auch
damit sind Sie einverstanden.

Ich kann Ihnen schon mitteilen, dass die Kollegin
Monika Griefahn von der SPD-Fraktion und der Kollege
Dr. Heinrich Fink von der PDS-Fraktion ihre Reden zu
Protokoll geben.

Als ersten Redner erteile ich dem Kollegen Hartmut
Koschyk für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1422714800
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben als
CDU/CSU-Bundestagsfraktion einen Antrag über die Zu-
kunft der deutschen Auslandsschulen eingebracht. Ich
möchte kurz den Hintergrund dieses Antrags erläutern.

Seit langem besteht Einvernehmen darüber, dass die
auswärtige Kulturpolitik als dritte Säule der Außenpolitik
zu verstehen ist. In dieser Säule nehmen die Auslands-
schulen als wichtiges Instrument der Bildungspolitik,
aber auch der auswärtigen Kulturpolitik eine entschei-
dende Funktion ein. Neben den Kulturbeziehungen dient
es eben auch der Förderung der deutschen Außenwirt-
schaft, dem Dialog der Kulturen und unseren bilateralen
politischen Beziehungen, wenn wir an vielen Orten dieser
Welt deutsche Auslandsschulen unterhalten.

Diese Schulen betreiben eine praktische, aber oftmals
auch unaufdringliche Sympathiewerbung für die deutsche
Sprache und Kultur, was sicherlich im wohlverstandenen
Interesse unseres Landes liegt, aber auch im Hinblick auf
die Globalisierung der Weltwirtschaft immer notwendiger
wird.

Ingo Plöger, der Präsident der Deutsch-Brasilianischen
Handelskammer in Sao Paulo, hat über die Bedeutung der
deutschen Auslandsschulen zu Recht festgestellt, dass sie
ein hervorragendes Instrument für die deutsche auswär-
tige Kulturpolitik darstellen, um nachhaltig kulturelle
und außenwirtschaftliche Beziehungen zu pflegen. Durch
die Tätigkeit der deutschen Auslandsschulen wird welt-
weit das Interesse für die Geschichte und die Kultur
Deutschlands geweckt wie auch der Stellenwert der deut-
schen Sprache in der Welt verbessert. Dadurch, dass
100 000 Schülerinnen und Schüler an 119 schulischen
Einrichtungen im Ausland unterrichtet werden sowie wei-
tere 130 000 in Mittel- und Osteuropa und in der Ge-
meinschaft Unabhängiger Staaten staatliche und private
Schulen mit Deutsch als Fremdsprache oder sogar mit
deutschem Unterricht besuchen, werden Bindungen zu
Deutschland geschaffen, die durch andere Instrumente
der auswärtigen Kulturpolitik kaum erreicht werden kön-
nen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die deutschen Auslandsschulen erfüllen also wertvolle
Aufgaben bei der Verständigung zwischen Deutschland
und seinen Partnern in der Welt.

Einen Ort des kulturellen Austausches bilden diese
Schulen aber nur dann, wenn es auch sozial schwächeren
Familien in den Gastländern möglich ist, ihre Kinder auf
diese Schulen zu schicken, wenn sie also nicht als Elite-
schulen verstanden werden. Dies muss auch bei den fi-
nanziellen Planungen für das deutsche Auslandsschulwe-
sen gewährleistet werden.

Entschieden plädiert unsere Fraktion auch für den Er-
halt von Deutsch als Unterrichtssprache an den deutschen
Auslandsschulen; denn die deutsche Sprache wird so zu
einem kulturellen, aber auch emotionalen Bindeglied zu
Deutschland. Mit dem Erlernen der deutschen Sprache
werden auch für Kinder aus den Gastländern, also für
nicht deutsche Kinder, positive Einstellungen gegenüber
unserem Land, seinen Menschen und seiner Kultur, aber




Lydia Westrich
22532


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(A)



(B)


auch gegenüber unserem Wirtschaftsgefüge vermittelt.
Dies nutzt den deutschen Außenwirtschaftsbeziehungen
vor allem mit den Ländern, die für die deutsche Wirtschaft
in den kommenden Jahrzehnten immer wichtiger werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es geht hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch um

eine Kernaufgabe des deutschen Auslandsschulwesens,
nämlich um eine qualitativ hochwertige Schulversorgung
für Tausende von Kindern deutscher Staatsbürger, die
zeitweilig für deutsche Unternehmen, sonstige deutsche
Einrichtungen oder deutsche Vertretungen im Ausland
tätig sind. Wir haben eine Fürsorgepflicht für die schuli-
sche Wiedereingliederung der Kinder deutscher Staats-
bürger, die sich zeitweise im Ausland aufhalten. Diese
können wir nur dann gewährleisten, wenn die Schulver-
sorgung auf einem hohen Niveau sichergestellt bleibt.

Deutsche Auslandsschulen sind aber auch ein wichti-
ges Bindeglied zwischen Deutschland und den auf Dauer
im Ausland lebenden deutschsprachigen Gemeinschaften,
insbesondere den deutschen Minderheiten vor allem in
Mittel- und Osteuropa, die eine wichtige kulturelle
Brücke zwischen Deutschland und ihren Heimatländern
darstellen.

Die deutsche Wirtschaft lebt ganz entscheidend vom
Export. Dies setzt Präsenz auf allen Weltmärkten voraus.
Sehr viele deutsche Unternehmen entsenden ihre Mitar-
beiter ins Ausland, damit sie dort Kunden werben und be-
raten, Maschinen aufstellen und warten, den Export aus-
bauen sowie Filialnetze errichten. Für diese Mitarbeiter
der deutschen Wirtschaft ist es entscheidend, dass ihre
Kinder im Ausland eine Schulausbildung nach deutschem
Modell vorfinden, damit sie später ihre Ausbildung in
Deutschland fortsetzen können. So hat eine Untersuchung
des Deutschen Industrie- und Handelstages ergeben, dass
für 95 Prozent der deutschen Unternehmen die Existenz
einer guten deutschen Schule in dem jeweiligen Land von
großer Bedeutung ist, um Entsandtkräfte für eine Tätig-
keit in diesem Land zu gewinnen.

Zugleich – und das sollte uns alarmieren – beklagen
86 Prozent der vom Deutschen Industrie- und Handelstag
befragten Unternehmen eine für die Erfüllung ihrer Auf-
gaben nicht hinreichende finanzielle Ausstattung deut-
scher Schulen im Ausland. Deshalb hat die Wirtschafts-
ministerkonferenz auf Initiative Bayerns zu Recht einen
Appell an die Bundesregierung gerichtet, die Qualität und
Funktionsfähigkeit der deutschen Auslandsschulen nicht
durch Kürzungen im Haushalt des Auswärtigen Amtes
weiter zu gefährden, sondern das deutsche Auslands-
schulwesen nachhaltig zu stärken und weiter auszubauen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Betrachtet man die Entwicklung des Schultitels des

Auswärtigen Amtes seit Regierungsübernahme der rot-
grünen Koalition im Jahr 1998, so stellt man fest, dass der
Schultitel im Auswärtigen Amt 1998 noch 193 Milli-
onen Euro betrug. In diesem Jahr ist dieser Ansatz auf
172 Millionen Euro gesunken. Er soll in der mittelfristi-
gen Finanzplanung bis zum Jahr 2004 auf 169 Millionen
Euro zurückgeführt werden. Diese Kürzungen beinhalten
noch nicht die Teuerungsraten in vielen Ländern der Welt

und die Wechselkursschwankungen. Berücksichtigt man
diese Aspekte, so kann man von einer Senkung des Schul-
titels im Auswärtigen Amt von 30 bis 40 Prozent ausge-
hen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Zu viel!)

Zu Recht warnen deshalb die deutschen Außenhandels-
kammern, die Verantwortlichen deutscher Unternehmen
vor Ort, aber auch die Wirtschaft in Deutschland vor der
Gefahr eines Renommeeverlustes deutscher Auslands-
schulen gegenüber internationalen Schulen vor Ort. Die
Folgen dieser Einsparungen sind schon heute sichtbar. Sie
äußern sich im Rückgang der Anzahl qualifizierter Ent-
sendelehrer, in Statusverschlechterungen und in der zu
geringen Anzahl deutscher Lehrer. Das Schulgeld hinge-
gen steigt, was zur Folge hat, dass die Zahl der Schüler
zurückgeht. Durch die massive Kürzungspolitik der Bun-
desrepublik sind die deutschen Auslandsschulen zu einem
Stiefkind der deutschen auswärtigen Kulturpolitik gewor-
den. Dies ist nicht länger hinnehmbar.


(Beifall bei der CDU/CSU – Rita Grießhaber [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch nicht!)


Wir fordern deshalb in unserem Antrag, die weitere
Kürzung des Schultitels zu stoppen und den in der mittel-
fristigen Finanzplanung vorgesehenen Finanzierungsan-
satz endlich grundlegend zu korrigieren. Die Bundesre-
gierung muss anerkennen, dass die deutschen
Auslandsschulen einen wesentlichen Beitrag zum Anse-
hen Deutschlands in der Welt leisten und dass sie einen
legitimen und gesicherten Anspruch auf eine verlässliche
Finanzierung durch Mittel aus dem Bundeshaushalt ha-
ben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

In der mittelfristigen Finanzplanung müssen auch die Fol-
gen berücksichtigt werden, die sich aus Wechselkurs-
schwankungen und der Geldentwertung in den Gastlän-
dern ergeben.

Auch im Rahmen der 38. Jahrestagung des Instituts für
deutsche Sprache, die unter dem Thema „Deutsch von
außen“ stand, wurde erst in diesen Tagen mehrfach die
Forderung formuliert, die auswärtige Kulturpolitik solle
ihren Sparkurs beenden und die Anstrengungen des
Goethe-Institutes, des Deutschen Akademischen Aus-
tauschdienstes, der anderen Mittler, aber auch der deut-
schen Auslandsschulen zur Verbreitung der deutschen
Sprache und Kultur sowie zum Erhalt der sprachlichen
Vielfalt nach Kräften unterstützen.

Die rot-grüne Bundesregierung beraubt sich mit ihrer
derzeitigen Politik eindeutig eines der vornehmsten In-
strumente auswärtiger Kulturpolitik.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

Nicht nur die wiederholte, vollmundig angekündigte Stär-
kung der auswärtigen Kulturpolitik bleibt weiterhin aus.
Es kommt noch schlimmer: Es werden bestehende, funk-
tionierende Strukturen der auswärtigen Kulturpolitik ge-
rade auch im Bereich des Auslandsschulwesens durch
die vorgenommenen Kürzungen in einem nicht mehr zu




Hartmut Koschyk

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(C)



(D)



(A)



(B)


verantwortenden Maße in ihrem Bestand gefährdet. Die
im Bereich der Auslandsschulen stark engagierte deut-
sche Wirtschaft, die an den Auslandsschulen tätigen Leh-
rer, aber auch die in den Schulen engagierten Unterneh-
men und die Elternschaft sind – das liest man in vielen
Berichten und Briefen – über diese Vernachlässigung
durch die Bundesregierung tief enttäuscht.

Die vorgenommenen Kürzungen des Schultitels sind
ferner ein Beleg dafür, dass man die unermüdliche Arbeit
von den in den deutschen Schulvereinen im Ausland ar-
beitenden Hunderten von ausländischen Partnern und de-
ren freiwilligen, ehrenamtlichen Einsatz für „ihre“ deut-
sche Schule vor Ort verkennt. Gerade der Einsatz
ausländischer Partner vor Ort ist nicht nur in ideeller, son-
dern auch in finanzieller Hinsicht ein großes Kapital, das
in keiner anderen im Ausland tätigen deutschen Kulturin-
stitution vorhanden ist und das nicht leichtfertig aufs Spiel
gesetzt werden darf. Deshalb ist es dringend erforderlich
– auch das fordern wir in unserem Antrag –, dass die Bun-
desregierung endlich ein Gesamtkonzept für die Ent-
wicklung des deutschen Auslandsschulwesens vorlegt.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Richtig!)

In diesem Konzept muss deutlich werden, welche Rolle
die Auslandsschulen in der auswärtigen Kulturpolitik in
Zukunft spielen sollen. Es muss eine sichere Finanzie-
rungsgrundlage geschaffen werden. Es müssen auch an-
dere Bundesressorts in die Entwicklung eines langfristig
gesicherten Finanzierungskonzeptes einbezogen werden;
denn die finanzielle Sicherung der deutschen Auslands-
schulen ist nicht nur eine Aufgabe der auswärtigen Kul-
turpolitik. Sie ist auch eine Aufgabe der Außenwirt-
schaftspolitik und der Politik der wirtschaftlichen
Zusammenarbeit.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Richtig, ein Masterplan muss her!)


Durch die verminderte personelle Förderung sind die
im Inland und im Ausland anerkannten Bildungsab-
schlüsse der deutschen Auslandsschulen derzeit stark ge-
fährdet. Unsere Bundesländer setzen in der Wahrneh-
mung ihrer verfassungsmäßigen Kulturhoheit für die
Anerkennung von Abschlüssen von Auslandsschulen zu
Recht eine personelle Mindestausstattung voraus. Auf-
grund der fortschreitenden Personalkürzungen wird diese
Ausstattung immer häufiger unterschritten. Wenn in einer
Schule die Bildungsabschlüsse gefährdet sind, sind letzt-
lich ganze Bildungsgänge und ist damit auch die Einrich-
tung als Ganzes infrage gestellt.

Für die Schulen wirken sich die fortgesetzten Mittel-
kürzungen verheerend aus. Wenn keine oder nur noch we-
nig Mittel vorhanden sind, kann man ein einzelnes Projekt
der auswärtigen Kulturpolitik verschieben oder auch gar
nicht realisieren; eine deutsche Auslandsschule aber lässt
sich nicht einfach in einer eingeschränkten Form weiter-
betreiben, ohne dass dies auf das Bildungsschicksal von
jungen Menschen gravierend Einfluss nimmt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auch darf das für eine schulische Einrichtung so wichtige
Vertrauen nicht nachhaltig zerstört werden. Die Kürzun-
gen stellen somit auch eine schwere Belastung für die
Vertrauenswürdigkeit deutscher Politik in der Welt dar.

Wenn Sie heute an Schulstandorte im Ausland fahren,
dann merken Sie, wie die deutsche Wirtschaft vor Ort
für diese Schulstandorte engagiert ist.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist das!)

Es werden Grundstücke erworben und Investitionen
getätigt. Wenn die deutsche Wirtschaft Vorleistungen vor
Ort erbringt, dann hat sie allerdings auch einen Anspruch
darauf, dass wir durch entsprechende Haushaltszuwen-
dungen die Schulen im Hinblick auf Lehrpersonal, Unter-
richtsmaterial und andere Notwendigkeiten ausreichend
ausstatten.

Ich will in diesem Zusammenhang noch auf einen an-
deren Punkt hinweisen, der auch von den deutschen Uni-
versitäten und von der deutschen Hochschullandschaft zu
Recht immer wieder hervorgehoben wird. Wir werben für
Deutschland auch als Hochschulstandort. Viele, die
sich für ein Studium in Deutschland entscheiden, vor
allem ausländische Eliten, die wir für ein Studium in
Deutschland gewinnen wollen, haben ihre ersten Be-
rührungspunkte mit der deutschen Sprache und der deut-
schen Kultur meist durch den Besuch einer deutschen
Auslandsschule.


(Zuruf von der CDU/CSU): So ist es!)

Wenn aber die Qualität der deutschen Auslandsschulen
durch die Mittelkürzungen sinkt, dann ist es für viele Kin-
der in den Gastländern nicht mehr interessant, eine deut-
sche Schule zu besuchen, und dann entscheiden sie sich
für andere internationale Schulen vor Ort. So entstehen
nicht die Bindungen an die deutsche Sprache und Kultur,
die wichtig sind, wenn es darum geht, sich für einen Stu-
dienort in Deutschland zu entscheiden.

Die Bundesregierung muss endlich ein Gesamtkonzept
vorlegen. Die Kürzungspolitik muss endlich beendet wer-
den. Auch müssen Partnerschaften neu begründet werden.
Es lässt sich eine Reihe von Synergieeffekten schaffen
– da bin ich mir sicher –, indem wir mit Partnerländern in
der Europäischen Union gemeinsam Infrastruktur bei
deutschen Schulen in der Welt vorhalten. Eine Turnhalle,
eine Schwimmhalle, ein naturwissenschaftlicher Lehrsaal
können sicherlich mit Partnern in der EU vor Ort finan-
ziert werden und auch für Schüler anderer Schulen vor Ort
zur Verfügung gestellt werden.

Wir sollten auch keine Angst davor haben, meine ich,
mit den anderen deutschsprachigen Ländern in Europa
– ich denke an Österreich und an die Schweiz – über Ko-
operationsmaßnahmen im Hinblick auf deutsche und
deutschsprachige Schulen im Ausland nachzudenken.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das tun wir schon längst!)


Das Gewurschtel, das „Weiter so!“, das Nichterkennen
dessen, wie durch die Kürzungen Substanzverlust eintritt,
müssen auf alle Fälle beendet werden. Deshalb ist es




Hartmut Koschyk
22534


(C)



(D)



(A)



(B)


wichtig, dass dieses Thema mit unserem Antrag auf die
Tagesordnung des Deutschen Bundestags gesetzt wurde.
Sie als Regierung sind gezwungen, jetzt endlich einmal
ein langfristiges und auch durchfinanziertes Konzept in
dieser Frage vorzulegen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422714900
Für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht die Kol-
legin Rita Grießhaber.


Rita Grießhaber (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422715000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Auslands-
schulen sind in der Tat ein wichtiger Teil der auswärtigen
Kultur- und Bildungspolitik. Sie ermöglichen nicht nur
deutschen Kindern im Ausland, einen deutschen Schulab-
schluss zu machen, sondern auch Kindern und Jugend-
lichen der Gastländer Zugang zu unserem Bildungssys-
tem, zur deutschen Sprache und zu unserer Kultur. Als
Stätten der Begegnung wirken sie weit in die jeweiligen
Gesellschaften hinein. Mit der Konzeption 2000 hat die
Bundesregierung ein Konzept vorgelegt, von dem Sie,
Herr Kollege Koschyk, anscheinend noch nichts gehört
haben. Ich empfehle es Ihnen zur Lektüre.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Auslandsschulen sind eines unserer wichtigsten In-

strumente, um den Dialog zwischen den Kulturen zu be-
fördern. Fast ein Drittel des Gesamtbudgets für die aus-
wärtige Kulturpolitik ist für die Auslandsschulen
bestimmt. Natürlich mussten auch die Schulen unter der
notwendigen Haushaltskonsolidierung leiden. Dass aus-
gerechnet Investitionen in die junge Generation und ihre
Bildung dem Sparzwang unterworfen sind, schmerzt.
Nicht zuletzt deswegen haben wir im Rahmen des parla-
mentarischen Verfahrens im Haushalt den Titel für die
Auslandsschulen aufgestockt, und zwar um 5 Millionen
Euro. Bitte nehmen Sie das zur Kenntnis.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Walter Hirche [FDP]: Es ist trotzdem unzureichend!)


Auch für die deutsche Wirtschaft sind die Auslands-
schulen wichtig: Sie werden zum einen von mehr als
10 000 Kindern deutscher Unternehmensvertreter be-
sucht. Zum anderen sind ortsansässige Schülerinnen und
Schüler, die deutsche Auslandsschulen besucht haben, po-
tenzielle zweisprachige Arbeitskräfte, auf die sehr gerne
zurückgegriffen wird. Dass sich auch die Wirtschaft zu-
nehmend für die Schulen engagiert, ist sehr zu begrüßen;
daran ist nichts auszusetzen.

Es ist klar, dass die wirtschaftliche Situation der Schu-
len je nach Standort variiert: Die deutsche Schule in
Schanghai zum Beispiel finanziert sich zu 90 Prozent
selbst. Vergessen Sie nicht, Kollege Koschyk, Großbri-
tannien und die USA subventionieren ihre Schulen im
Ausland überhaupt nicht.


(Walter Hirche [FDP]: Die haben auch eine andere Besteuerung zu Hause!)


Natürlich hat die Weltsprache Englisch sozusagen die
Poleposition. Das heißt aber doch nicht, dass bei uns alles
zu teuer wäre. Mein Sohn war auf der deutschen Schule in
Barcelona. Das Schulgeld lag dort niedriger als in einer
bayerischen Ganztagsschule. Dort zahlt man für diese
mehr, weil es dort keine öffentlichen Ganztagsschulen
gibt.


(Dr.-Ing. Rainer Jork [CDU/CSU]: Das ist aber lange her!)


– Nein, das war in den letzten zwei Jahren.
Aber auch wir haben bei den Schulen Effizienzge-

winne erzielt. Die so genannten Euro-Campus-Schulen,
zum Beispiel in Manila, Pretoria und Taipeh, sind rich-
tungsweisend. Ich wünsche mir, dass dieses Beispiel auch
weiterhin Schule macht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie sind nicht nur Ausdruck sparsamen Wirtschaftens, son-
dern auch höchstgelungener europäischer Kooperation.

Meine Damen und Herren, Bürokratie ist aufwendig
und kostet Geld.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt!)

Deswegen war es richtig, deutsche Schulliegenschaften
an örtliche Träger und Schulvereine zu verkaufen, um we-
niger bürokratisch und kostengünstiger zu wirtschaften.
Das Beispiel der deutschen Schule in Budapest zeigt, dass
das sehr gut funktioniert.

Ganz besonders freut mich, dass das Auswärtige Amt
in Afghanistan die Armani-Schule und das
Mädchengymnasium aktiv fördert, dass ein Schulneubau
bereits projektiert ist und Fachberater für Deutsch als
Fremdsprache entsandt sind. Für mich zeigt sich hier, wie
mithilfe der auswärtigen Kulturpolitik Wiederaufbau,
Bildung und Dialog befördert werden, gerade in einem
Land, das nicht nur unter materieller Not, sondern auch
unter Indoktrination extrem gelitten hat. Deswegen wün-
sche ich allen, aber ganz besonders diesen Schulen, dass
sie vielen Kindern eine gute Zukunftsperspektive eröff-
nen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422715100
Das Wort
hat der Kollege Hirche, FDP-Fraktion. Für den Beifall
braucht er allerdings gleich ein wenig Solidarität der an-
deren Fraktionen.


Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1422715200
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Es kann ja wohl kein Zweifel sein, dass beim
Thema Auslandsschulen in diesem Hause eine breite
Übereinstimmung herrscht. Es ist von den Vorrednern
schon aufgezeigt worden: Diese Schulen sind unter kul-
turpolitischen Gesichtspunkten – es handelt sich hierbei
um die dritte Säule der deutschen Außenpolitik – und un-
ter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten nützlich, und




Hartmut Koschyk

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(C)



(D)



(A)



(B)


zwar sowohl für die Kinder von Deutschen, die in ver-
schiedenen Teilen der Welt tätig sind, wie auch insbeson-
dere für Kinder aus den Ländern, in denen sich diese
Schulen befinden.

Diese Schulen sind – da schließe ich mich meinen Vor-
rednern vollständig an – eine Brücke zwischen den Kul-
turen.Man kann in diesem Zusammenhang sogar sagen:
Die Sprache des jeweiligen Landes ist nicht nur Zweit-
sprache; vielmehr werden zwei Sprachen gelernt. Die Ju-
gendlichen bewegen sich in zwei Welten. Da eine große
Zahl der Absolventen dieser Schulen auch nach Deutsch-
land kommt, stellen diese Schulen eine besondere Brücke
auf dem Gebiet des seit einiger Zeit schwerer gewordenen
Dialogs der Kulturen dar.

Wir können deswegen nur gemeinsam dazu beitragen,
diese Auslandsschulen so intensiv wie möglich als ein
Element vertrauensbildender Maßnahmen durch auswär-
tige Kulturpolitik zu unterstützen. Diese Schulen sind
Elemente eines Netzes vertrauensbildender Maßnahmen.
Ich benutze diese Worte bewusst, weil gerade zu dieser
Stunde nebenan eine große Feier zu Ehren des langjähri-
gen Außenministers der Bundesrepublik Deutschland
Hans-Dietrich Genscher stattfindet, für den die Kulturpo-
litik immer eine große Rolle gespielt hat.

In diesem Zusammenhang möchte ich zwei Bemer-
kungen – die eine zum Inhaltlichen und die andere zum
Finanziellen – machen:

Ich begrüße es zunächst einmal, dass die Überlegungen
zum Inhaltlichen doch weiter gegangen sind, als es vor ei-
nem Jahr der Fall zu sein schien. Da schien es nämlich so
zu sein, dass aufgrund der knapper werdenden Mittel die
Entsendung der Auslandsschullehrer an die verschie-
denen Schulen gefährdet ist, mit der Folge, dass dadurch
die Prüfungen dieser Schulen möglicherweise nicht mehr
anerkannt worden wären. Das galt zwar nicht für die Se-
kundarstufe II – diesbezüglich hat man das nicht disku-
tiert –, aber für die Sekundarstufe I, wo die Zahl der Aus-
landsdienstkräfte von fünf auf zwei herabgesetzt werden
sollte.

Wie ich mir habe sagen lassen, ist dieses Vorhaben in-
zwischen durch ein neues Konzept abgewendet worden,
das ich grundsätzlich für richtig halte; denn es geht jetzt
nicht darum, die Qualität eines Abschlusses daran zu mes-
sen, ob an einer Schule wirklich fünf Lehrer aus Deutsch-
land tätig sind. Vielmehr geht es darum, festzustellen, ob
bestimmte Normen, bestimmte Qualitäten mit fünf, mög-
licherweise aber auch mit weniger Lehrern aus Deutsch-
land erreicht werden können. Das ist insgesamt ein guter
Weg. Wichtig ist eben, dass die Qualität erhalten und die
Anerkennung der Abschlüsse trotz der schwierigen Fi-
nanzlage gesichert bleiben.

In diesem Zusammenhang scheint es mir manchmal so
zu sein – das möchte ich doch kritisch anmerken –, dass
die deutsche Bürokratie eine erschreckende Gründlich-
keit, was die Behandlung der Auslandsschulen angeht, an
den Tag legt. Es gibt den Bund-Länder-Ausschuss für
schulische Arbeit im Ausland und die Zentralstelle für das
Auslandsschulwesen im Bundesverwaltungsamt. All die
Vorschriften, die von diesen Einrichtungen erlassen wer-

den, zwicken die Schulen im Ausland sehr. Manchmal
sollten wir angesichts der schlechten Finanzlage schon
über eine bessere Politik mit weniger Genehmigungen
und mehr Zutrauen in die pädagogische Arbeit vor Ort
nachdenken.

Sie können ganz sicher sein – das sage ich auch der
Bundesregierung –, dass diese Schulen, insbesondere we-
gen der aktiven Mitwirkung der Eltern, ein Interesse da-
ran haben, dass ihre Examina auch in Deutschland gelten.
Schon jetzt ist die Situation folgendermaßen: Bestimmte
Examina gelten in anderen Ländern der Welt ohne weite-
res; nur wir in Deutschland meinen, diese Examina nicht
anerkennen zu müssen. Ich halte das wirklich für einen
falschen Weg. Da müssen wir uns allerdings alle an die ei-
gene Nase fassen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zum Thema Fi-
nanzen machen. Es ist schon so – das weiß ja auch die Re-
gierung –, dass die heutige Finanzausstattung der Aus-
landsschulen real derjenigen von 1991 entspricht. Das
heißt, dass die Zuwachsraten, die zwischen 1991 und
1998 vorhanden waren, zurückgeführt worden sind. Man
muss auch sagen: Allgemeine Finanzknappheit hin und
her – das ist jetzt nicht das Thema –, die Bundesregierung
hat entschieden, dass das Auswärtige Amt insgesamt zu-
sätzliches Geld zur Verfügung hat. Das heißt: Der Etat ist
um einen bestimmten Prozentsatz gewachsen. Doch trotz
aller Bedeutung der auswärtigen Kulturpolitik hat man
Mittel für die Auslandsschulen gestrichen. Das, verehrte
Kollegin Grießhaber, halte ich nicht für richtig. Denn
wenn das, was Sie gesagt haben, inhaltlich richtig ist,
dann müsste diese Bundesregierung im Rahmen der ihr
zusätzlich zur Verfügung stehenden Mittel im Auswärti-
gen Amt auch für die auswärtige Kulturpolitik mehr tun,
als es im Augenblick der Fall ist. Ich bedaure, dass die Ak-
zente hier falsch gesetzt worden sind, und glaube, dass das
ein Sparen am falschen Platz ist. Das haben auch die deut-
schen Industrie- und Handelskammern gesagt.

Richtig ist, dass verschiedene Projekte in Angriff ge-
nommen werden. Die neue Schule, die jetzt in Budapest
gebaut wird, war ursprünglich mit 19 Millionen Euro ver-
anschlagt. Die Kosten sind jetzt durch Eigenarbeit vor Ort
auf 11 Millionen Euro reduziert worden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist für verschiedene Schulen ein Beispiel dafür, wie
die Dinge durch Engagement von Eltern und Lehrern in
die Hand genommen werden können.

Aber das sollte für uns nicht eine Ausflucht vor der
nach wie vor notwendigen Unterstützung dieses Bereichs
der auswärtigen Kulturpolitik durch hoffentlich den
ganzen Deutschen Bundestag sein. Ich erbitte jedenfalls
namens meiner Fraktion Ihre Unterstützung dafür. Wir
werden dem Antrag, den die CDU/CSU hier eingebracht
hat, selbstverständlich zustimmen. Nach dem, was ich
von Frau Grießhaber gehört habe, hoffe ich, dass das zu-
mindest auch die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen




Walter Hirche
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(D)



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(B)


tut. Vielleicht wird auch Herr Mark seine Zustimmung
signalisieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Wir klatschen für die FDP-Fraktion mit!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422715300
Das werden
wir jetzt von dem Kollegen Lothar Mark selber hören. Er
spricht für die SPD-Fraktion.


Lothar Mark (SPD):
Rede ID: ID1422715400
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen! Liebe Kollegen! Die Vorredner haben jeweils viel
Zutreffendes gesagt, vieles, was unterstützt werden kann.
Insbesondere möchte ich Herrn Hirche beipflichten, der
Aussagen über die Bürokratie getroffen hat, die vielen
Entwicklungsprozessen entgegensteht. Aber auch die
Kollegin Grießhaber und der Kollege Koschyk haben vie-
les gesagt, was ich unterstreichen kann.

Es gab jedoch auch einige Elemente, die ich nicht teile.
Zunächst einmal denke ich, dass Sparen im gesamten
Haushalt angebracht ist


(Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Bitter notwendig ist!)


und dass auch der Schulsektor nicht ausgenommen wer-
den darf, es sei denn, man würde durch das Sparen Struk-
turen vor Ort zerstören. Dies ist nicht der Fall. Die Aus-
landsschulen, zumindest soweit ich sie kenne, sind in
einem sehr guten Zustand. Aber man muss dazu sagen,
dass wir uns allmählich doch überlegen müssen, ob noch
weitere Kürzungen vorgenommen werden dürfen.

Zu sagen, Herr Hirche, man würde die Probleme allein
mit mehr Geld lösen, ist mit Sicherheit unzutreffend;


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Walter Hirche [FDP]: Das habe ich nicht gesagt!)


denn es kommt immer darauf an, wie man diese Gelder
einsetzt.


(Walter Hirche [FDP]: Selbstverständlich! – Zuruf von der CDU/CSU: Aber Geld kann auch nicht schaden!)


Diejenigen, die im Haushaltsausschuss sind, wissen,
dass wir immer mehr dazu übergehen, mehr Eigenver-
antwortung zu verlangen. Das heißt, Fördern ja, aber von
dem Partner muss auch etwas gefordert werden. Eigen-
verantwortung heißt meiner Überzeugung nach zum Bei-
spiel, dass wir immer mehr zur Budgetverantwortung
übergehen müssen. Das bedeutet, dass Schulen auch für
zusätzliche Akquisitionen von Finanzierungsquellen zu-
ständig sein müssen. Es wurde bereits angesprochen, dass
sich die Wirtschaft engagiert. Dieses Engagement ist mit
Sicherheit zu vermehren. Es geht aber auch darum, dass
in dem jeweiligen Betrieb Mittel eingespart werden. Ich
könnte dazu sehr vieles sagen, weil ich viele Jahre an ver-
antwortlicher Stelle in einem Schulbetrieb war. Es ist
unabdingbar, dass wir die Haushaltsprinzipien, die
ansonsten in fast allen fortschrittlichen Gemeinden der

Bundesrepublik praktiziert werden, auch in diesem Be-
reich anwenden, indem wir zum Beispiel die gegenseitige
Deckungsfähigkeit herbeiführen und veranlassen, dass
die Mittel in das nächste Jahr übertragen werden können,
damit nicht mehr das Oktober-, November- oder Dezem-
berfieber ausbricht und alle vorhandenen Mittel ausgege-
ben werden. Diese Diskussion muss auch mit den Verant-
wortlichen geführt werden.

Ich weise ferner darauf hin, dass der verstärkte Einsatz
von Ortslehrkräften weiter geprüft werden muss. In die-
sem Zusammenhang bin ich für Ihre Hinweise dankbar,
Herr Hirche. Es kann nämlich nicht sein, dass gesagt wird,
nur deutsche Lehrkräfte seien in der Lage, die Schulen mit
dem entsprechenden Flair und Wissen zu versorgen. Dies
können auch die Lehrkräfte vor Ort, wenn sie eine adä-
quate Ausbildung haben und sich pädagogisch so einbrin-
gen, wie wir uns das wünschen.

Wir müssen die Auslandsschulen stärker in die Netz-
werke einbinden und diese Netzwerke ausbauen. Wir kön-
nen dadurch wesentlich größere Spar- und Synergieeffekte
erzielen. Es ist auch schon mehrfach darauf hingewiesen
worden, dass wir im europäischen Kontext stärker zusam-
menarbeiten müssen. Ich erwähne die deutsch-französi-
sche Schule in Manila und die deutsch-britisch-französi-
sche Schule in Taipeh. Ich bin ferner der Auffassung, dass
wir im gesamten Auslandsschulwesen auch mit Österreich
und der Schweiz stärker kooperieren sollten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut! – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das wäre schon einmal ein Anfang!)


Die Bundesregierung hat insgesamt erkannt, dass in
der auswärtigen Kulturpolitik neue Wege beschritten wer-
den müssen. Dies rechtfertigt nach unserer Auffassung
auch maß- und sinnvolle Einsparungen. Die Zeiten der
Kulturförderung mit der Gießkanne, wie es sie zum Teil
gegeben hat, sind aufgrund der angespannten Haushalts-
lage längst vorbei. Wir müssen eine neue strategische
Ausrichtung vornehmen. Ich weise ausdrücklich darauf
hin, dass ich darin auch Chancen sehe. Wenn besondere
Umstände vorliegen, müssen wir Einzelfallprüfungen
vornehmen, um entscheiden zu können, wo etwas einge-
spart werden kann.

Es ist unbestritten – das ist eine Erkenntnis, die sich aus
den Ereignissen des 11. September ergeben hat –, dass wir
uns, langfristig gesehen, über den Mitteleinsatz in der aus-
wärtigen Kulturpolitik verständigen und dass wir uns ver-
stärkt dafür einsetzen müssen, die Mittel signifikant zu er-
höhen.

Wir müssen bei der Betrachtung der Schulen eines fest-
stellen – ich verweise in diesem Zusammenhang auf die
Kritiker, die pauschal behaupten, die Auslandsschulen
würden schlecht dastehen –: Genauso wie in der Bundes-
republik selbst gibt es auch im Ausland auf der einen Seite
Schulen, die gut und auf der anderen Seite welche, die we-
niger gut ausgestattet sind. Wenn man aber genau hin-
schaut, dann sieht man – das wissen unsere Kommunal-
politiker –, dass die Probleme oft bei der Schulleitung und
nicht beim Geldgeber liegen.


(Beifall bei der SPD)





Walter Hirche

22537


(C)



(D)



(A)



(B)


Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion unterstreicht die
eben skizzierte Bedeutung des Auslandsschulwesens. Im
Wesentlichen enthält der Antrag Vorschläge, die schon
vom Auswärtigen Amt angedacht, bereits umgesetzt sind
oder umgesetzt werden. Ich nenne beispielsweise die stär-
kere Kooperation mit den Gastländern, die Nutzung von
Synergieeffekten vor Ort, die Qualifizierung von Orts-
lehrkräften und Werbung für den Studienstandort
Deutschland.


(Zuruf von der CDU/CSU: Dann könnt ihr doch zustimmen!)


Gleichwohl enthält er einige überlegenswerte Anregun-
gen – zum Beispiel steuerliche Anreize für zusätzliches
privates Engagement, jährliche Grundfinanzierung und
stärkere Differenzierung der Besoldung nach Ländern –,
die meiner Ansicht nach weitergedacht werden sollten.

Trotzdem ist der Antrag der Union – ich bedauere dies
sehr – stellenweise einseitig ausgerichtet und wider-
sprüchlich.


(Beifall bei der SPD)

Ich will kurz einen Widerspruch aufzeigen: Es kann
doch nicht sein, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der CDU/CSU, in Ihrem Antrag einerseits von den
deutschen Auslandsschulen fordern, „den deutschen Un-
ternehmen im Ausland qualifizierte, sprachkundige und
bikulturell ausgebildete Mitarbeiter zu vermitteln, die
auch die wirtschaftlichen Beziehungen durch emotionale
Bedingungen zu Deutschland zeitlebens fördern werden“,
und andererseits die Regelung im Zuwanderungsgesetz,
für ausländische Studierende in Deutschland die Arbeits-
möglichkeiten sowohl während des Studiums als auch
nach dem Studium zu erleichtern, ablehnen. Dies ist ein
Widerspruch.

Entgegen dem Grundton Ihres Antrags ist mein Fazit
bezüglich der Zukunft des deutschen Auslandsschul-
wesens optimistisch. Es wird darum gehen, flexiblere und
effizientere Strukturen zu schaffen und mehr Eigenver-
antwortung in allen Belangen zu fördern. Den Schulver-
einen, die Erhebliches leisten, muss die notwendige An-
erkennung zukommen. Mein Dank gilt allen, die im
Auslandsschulwesen unterrichten und die sich vor Ort en-
gagieren.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


Deutsche Schulen im Ausland sind ein demokratisch
und werteorientiertes Aushängeschild für Deutschland –
für unsere Kultur und unsere Geschichte, aber auch für
unsere Politik und Gesellschaft.


(Beifall des Abg. Dieter Grasedieck [SPD])

Sie erfüllen einerseits einen immer wichtiger werdenden
Bildungs- und Ausbildungsauftrag und sind andererseits
unverzichtbare Kulturvermittler und Begegnungsorte.

Unser politisches und haushälterisches Engagement
für die Auslandsschulen darf nicht nachlassen und bedarf
unserer besonderen Zuwendung. Investitionen in die Bil-
dung und somit in unsere Köpfe sind Zukunftsinvestitio-

nen mit rentierlicher, nachhaltiger Wirkung. Dies trifft
ganz besonders für die deutschen Auslandsschulen zu.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422715500
Als letzter
Redner in dieser Debatte erhält der Staatsminister im Aus-
wärtigen Amt, Dr. Ludger Volmer, das Wort.

D
Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422715600
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Schulen kommt auf dem Weg in die globale Wissensge-
sellschaft naturgemäß eine entscheidende Rolle zu: Sie
vermitteln interkulturelle Kompetenz. Diese ist für junge
Menschen wichtiger denn je. Die deutschen Auslands-
schulen sind heute in besonderer Weise dazu aufgerufen
wie geeignet, Schülerinnen und Schüler verschiedener
Kulturkreise auf eine gemeinsame friedliche Zukunft vor-
zubereiten.

Ein leistungs- und konkurrenzfähiges Auslandsschul-
wesen bleibt daher essenzielles Element der so genannten
Konzeption 2000, in der die Ziele und Perspektiven der
auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik als integraler
Bestandteil deutscher Außenpolitik definiert sind. Die auf
einer fraktionsübergreifenden Entschließung des Bundes-
tages von 1990 beruhenden und vom Auswärtigen Amt in
der „Konzeption 2000“ neu formulierten Leitlinien des
Auslandsschulwesens haben sich bewährt. Diese sind die
Begegnung mit Gesellschaft und Kultur des Gastlandes,
die Sicherung und der Ausbau der Schulversorgung deut-
scher Kinder im Ausland und die Förderung des Deutsch-
unterrichts im ausländischen Schulwesen.

Qualität und Substanz des deutschen Auslandsschul-
wesens sind weltweit anerkannt. Vielleicht hätte eine
PISA-Studie unter Einbeziehung der Auslandsschulen an-
dere Ergebnisse gezeigt. Werte wie Interkulturalität, Er-
ziehung zu Toleranz, Dialog, Weltoffenheit, Austausch
und Begegnung prägen diese Schulen. Dies verdanken
wir auch dem großen Engagement der Lehrerinnen und
Lehrer, die dort unter vielerorts schwierigen Bedingungen
ihren Dienst tun und die unseren Dank verdienen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Hartmut Koschyk [CDU/CSU])


Heute lernen an 117 Auslandsschulen 70 000 Schüle-
rinnen und Schüler, davon 53 000 nicht deutscher Natio-
nalität. Über Lehrerentsendeprogramme, vornehmlich in
die Länder Mittel- und Osteuropas und der GUS, werden
weitere 180 000 Schülerinnen und Schüler an 370 staat-
lichen Schulen erreicht. Weltweit besuchen somit 250 000
Schülerinnen und Schüler unsere Auslandsschulen. Als
Träger und Vermittler deutscher Kultur und Sprache sind
sie für einheimische Schülerinnen und Schüler ebenso at-
traktiv wie für deutsche Kinder oder Kinder aus dritten
Ländern.

Nachhaltigkeit ist Trumpf des Auslandsschulwesens.
Viele Absolventinnen und Absolventen besuchen nach




Lothar Mark
22538


(C)



(D)



(A)



(B)


dem Abschluss eine deutsche Universität und bleiben un-
serem Land auch im Berufsleben verbunden. So entstehen
Netzwerke, auf die sich Außenpolitik, Außenwirtschaft
und Kulturarbeit langfristig stützen können. Bei meinen
Reisen treffe ich immer wieder auf Regierungsmitglieder,
Wissenschaftler, Journalisten oder andere Intellektuelle,
die an deutschen Auslandsschulen ausgebildet wurden.

Gute Schulen kosten leider gutes Geld. Heute sind
Auslandsschulen nicht mehr staatlich, sondern werden
von privaten Trägervereinen in eigener Verantwortung ge-
führt. Deren Eigenleistungen, personell wie materiell,
können nicht hoch genug eingeschätzt werden. Das hohe
Ansehen unserer Schulen verdanken wir insbesondere der
ehrenamtlichen Arbeit der Vorstandsmitglieder und der
aktiven Beteiligung der Eltern in den jeweiligen Schulen.
An dieser Stelle sollten wir auch diesen Personengruppen
herzlich für ihr Engagement danken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Die Bundesregierung unterstützt die Schulträger er-
gänzend, materiell wie personell. Von den Maßnahmen
zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes bleiben die
Auslandsschulen aber leider nicht ausgenommen. Nach
sorgfältiger Einzelprüfung haben wir die Förderung den
Sparbeschlüssen angepasst. Die Schulträger wie auch die
Lehrer selbst haben in diesem Prozess durch ihre Koope-
rationsbereitschaft zur Zukunftsfähigkeit der deutschen
Auslandsschulen beigetragen. Die Absenkung des Bud-
gets 2002 konnte geringer gehalten werden als zunächst
befürchtet. Mit 175 Millionen Euro unterstützt die Bun-
desregierung im Jahr 2002 unverändert 117 Schulen.


(Walter Hirche [FDP]: Aber unsere Erhöhung um 20 Millionen haben Sie abgelehnt!)


Interne Umstrukturierungen werden Qualität und Sub-
stanz des Unterrichts sichern. Schließungen konnten ganz
vermieden werden. Abschlüsse und Berechtigungen – ein
wichtiger Faktor – sind an allen Standorten gesichert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Zahl vermittelter Lehrer lässt sich halten; Stipendien
und Ermäßigungen, die auch Kindern aus sozial
schwächeren Familien den Schulbesuch ermöglichen, be-
stehen weiter. Von einer Ausdünnung des Schulnetzes
kann keine Rede sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Auf ergänzende Finanzierungsmöglichkeiten wie
Sponsoring und Spenden der Wirtschaft sind die Schulen
gleichwohl in Zukunft verstärkt angewiesen. Die Bundes-
regierung begrüßt die Unterstützung der Schulen durch
die Industrie und sucht den Dialog mit der Wirtschaft.
Die deutschen Unternehmen können für ihre Mitarbeiter
in aller Welt weiterhin auf ein umfassendes Netz an Schu-
len zählen. Da die Entwicklung von Auslandsschulen na-
turgemäß eng verbunden ist mit der Präsenz deutscher
Unternehmen, haben der Wirtschaftsaufschwung im asia-
tisch-pazifischen Raum und die Öffnung der Staaten
Mittel- und Osteuropas sowie der GUS zur Neueröffnung

von 18 Schulen geführt, zum Beispiel in Peking, Schang-
hai, Taipeh, Prag und Budapest. Die Gemeinsamkeiten
der Interessen von Politik und Wirtschaft wurden auch in
der intensiven Beteiligung der Verbände an der vom Aus-
wärtigen Amt durchgeführten „Woche des Auslands-
schulwesens“ im letzten Jahr in Berlin deutlich. Bei der
im April in Mexiko stattfindenden Weltkonferenz der
Auslandsschulen soll es zur Gründung eines Weltverban-
des der Auslandsschulen kommen.

Einen Dank sollten wir auch den Bundesländern aus-
sprechen. Das Auslandsschulwesen ist eine Gemein-
schaftsaufgabe von Bund und Ländern, die die Lehr-
kräfte entsenden und die Abschlüsse vergeben. Die gute
Kooperation mit den Ländern bleibt für die Bundesregie-
rung ein wichtiges Anliegen.

Lassen Sie mich zusammenfassend sagen: Trotz der
Zeit der Haushaltskonsolidierung werden wir alles daran-
setzen, das Auslandsschulwesen weiter innovativ und
global wettbewerbsfähig zu halten und Synergien im na-
tionalen wie europäischen Raum zu nutzen. Der Begeg-
nungscharakter der Schulen wird weiter verstärkt, die
Einführung internationaler Abschlüsse und berufsbilden-
der Zweige vorangebracht. Austauschprogramme und das
Modell der Eurocampus-Schulen werden ausgebaut. Die
Einrichtung weiterer europäischer Schulen gehört eben-
falls zu den Aufgaben für die nahe Zukunft. Die Bundes-
regierung wird sich – natürlich im Rahmen der engen fi-
nanziellen Möglichkeiten – dafür einsetzen, dass die
personelle und finanzielle Ausstattung den großen Aufga-
ben angemessen ist.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422715700
Ich schließe
die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf der
Drucksache 14/8106 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Das Haus ist damit
einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Wir kommen damit zum Tagesordnungspunkt 23:
– Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen

der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Reform der Juristenausbildung
– Drucksache 14/7176 –

(Erste Beratung 212. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Rainer Funke,
Jörg van Essen, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Reform der Juristenausbildung

(JurAusbReformG)

– Drucksache 14/2666 –

(Erste Beratung 112. Sitzung)





Staatsminister Dr. Ludger Volmer

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(C)



(D)



(A)



(B)


– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurÄnde-
rung des Deutschen Richtergesetzes und der
Bundesrechtsanwaltsordnung
– Drucksache 14/7463 –

(Erste Beratung 212. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/8629 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Joachim Stünker
Dr. Norbert Röttgen
Hans-Christian Ströbele
Rainer Funke
Sabine Jünger

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für diese
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe als erster Redne-
rin das Wort für die Bundesregierung der Bundesjustiz-
ministerin, Dr. Herta Däubler-Gmelin.

Dr. Herta Däubler-Gmelin,Bundesministerin der Jus-
tiz: Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Ich freue mich natürlich sehr, dass es heute möglich ist,
das Gesetz zur Reform der Juristenausbildung zu be-
schließen. Auch dies ist ein Markstein in der Justizpolitik,
in der Modernisierung von Recht und Gesetz der vergan-
genen dreieinhalb Jahre. Wenn Sie ehrlich sind, müssen
Sie dies zugeben. Denn nicht nur in der Öffentlichkeit
wurde daran gezweifelt, dass dies möglich sein würde;
viele Kolleginnen und Kollegen, sowohl hier im Bundes-
tag als auch in den Länderparlamenten, waren derselben
Auffassung.

Dafür gibt es auch einen Grund: In den letzten 25 Jah-
ren ist viel über die Reform der Juristenausbildung disku-
tiert worden. Unzählige Kongresse sind abgehalten wor-
den. Ich weiß, dass mein verehrter Vorgänger auf einem
großen Kongress der Friedrich-Ebert-Stiftung für seine
Version geworben hat. Es gibt das „Ladenburger Mani-
fest“. Es gibt die unterschiedlichsten Vorstellungen der
verschiedenen Gremien, der Hochschulen und Fakultäten.
Sie alle hatten nur einen Haken: Sie waren nicht mitei-
nander kompatibel. Dies hat dafür gesorgt, dass die ein-
zelnen Vorschläge zwar immer weiter diskutiert wurden,
eine Einigung aber nicht möglich war.

Ich erinnere daran, dass es zu Beginn dieser Legisla-
turperiode auch noch nicht besonders gut aussah. Wir ha-
ben damals im Kreis der Justizminister des Bundes und
der Länder darüber beraten, ob wir nicht doch eine Mög-
lichkeit finden könnten, einen gemeinsamen Gesetzent-
wurf zu erstellen, der nicht auf dem kleinsten gemeinsa-
men Nenner basiert, sondern wirklich den Anforderungen
an eine Modernisierung genügt, und diesen dann zu be-
schließen.

Der erste Versuch ist völlig schief gegangen; man kann
es nicht anders sagen. Es gab aber – lassen Sie mich jetzt
auch ein Lob aussprechen – einige Justizministerinnen

und Justizminister, die sich unter der Leitung des nord-
rhein-westfälischen Justizministers Dieckmann zusam-
mengesetzt und gesagt haben: Wir wollen einmal versu-
chen, hier etwas auf den Weg zu bringen. Dies ist
geschehen, und zwar über die Parteigrenzen hinweg. Das
finde ich ausgesprochen gut.

Was mich aber noch mehr freut, ist, dass auch die Bun-
desregierung und die Koalitionsfraktionen in der Lage
waren, zu sagen, was sie wollen, aufeinander zugegangen
sind und einen Entwurf vorgelegt haben. Ich höre, dass
sich nach sehr gründlichen Überlegungen nun auch eine
große Partei der Opposition auf diesen Gesetzentwurf zu-
bewegt hat. Das freut mich. Ich finde es gut, dass dieser
Entwurf mit einer breiten Mehrheit beschlossen werden
kann. Dass Sie, sehr geehrter Herr Funke, nicht dabei sein
können, bedaure ich zutiefst. Ich weiß, auch Sie tun das.

Was machen wir denn? Wir einigen uns nicht etwa auf
den kleinsten gemeinsamen Nenner – das habe ich schon
gesagt –, sondern auf folgende Punkte:

Erstens. Es bleibt bei der zweistufigen Juristenausbil-
dung, also schwerpunktmäßig bei der wissenschaftlichen
Ausbildung und bei dem praktischen Vorbereitungsdienst.
Es bleibt auch beim Einheitsjuristen; dies war uns wichtig.
Die jungen Juristinnen und Juristen sollen auch weiterhin
die Möglichkeit haben, mit dem zweiten juristischen
Staatsexamen in unterschiedlichsten Bereichen tätig sein
zu können. Wir haben aber dafür gesorgt, dass das, was
jetzt angesichts der Schaffung des gemeinsamen Raumes
der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in Europa auf
der Basis der gemeinsamen Europäischen Grundrechte-
Charta möglich werden soll, nämlich eine viel stärkere
Vernetzung unserer Werte und des Rechts, auch mithilfe
der jungen Juristinnen und Juristen erfolgen kann. Wir ha-
ben die Ausbildung sehr viel stärker auf die Internationali-
sierung zugeschnitten und unter anderem verankert, dass
die Fremdsprachenkompetenz ein absolutes Muss ist.

Zweitens haben wir die bisherige reine Ausrichtung
derAusbildung auf eine spätere richterliche Tätigkeit et-
was verändert, weil dies der praktischen Notwendigkeit
entspricht. Sehr viele junge Juristinnen und Juristen wer-
den eben nicht nur als Richter, in der Wirtschaft oder in
anderen juristischen Berufen, sondern auch als Anwältin-
nen und Anwälte tätig sein. Dies erfordert aber auch, dass
sich die Anwaltschaft sehr viel stärker als bisher in die
Ausbildung, und zwar insbesondere im praktischen Teil,
einbringt. Wenn es nach mir ginge, würde sie auch einen
entsprechenden Vorschlag seitens der Universitäten an-
nehmen.

Drittens. Wir sind der Meinung, dass gerade Juristin-
nen und Juristen, die in der Zukunft bestehen und ihre
Verantwortung und Verpflichtung wahrnehmen wollen,
interdisziplinäre Schlüsselqualifikationen benötigen.
Lassen Sie mich einige nennen: Verhandlungsmanage-
ment, Gesprächsführung, Rhetorik und Streitschlichtung.
Mediations- und Kommunikationsfähigkeiten sollten
hinzukommen. Dies sollte auch im Rahmen der Univer-
sitätsausbildung gelehrt werden.

Die Universität wird – lassen Sie mich darauf hinwei-
sen – ihren Verantwortungsbereich stärker wahrnehmen




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
22540


(C)



(D)



(A)



(B)


müssen. Sie muss auf der einen Seite für eine Verschlan-
kung des Stoffangebotes sorgen und hat auf der anderen
Seite dafür zu sorgen – das mag manchmal die Quadratur
des Kreises sein –, dass die jungen Juristinnen und Juris-
ten das lernen, was sie tatsächlich brauchen. Das heißt,
Grundsatzfächer wie Rechtsphilosophie und Rechtsge-
schichte können nicht gestrichen werden; das ist keine
Frage. Gleichzeitig müssen wir darauf achten, dass mo-
derne Schlüsselqualifikationen gelehrt werden. Wir stär-
ken die Verantwortung der Universitäten dadurch, dass
wir 30 Prozent der Prüfungsverantwortung auf die Ebene
der Universitäten übertragen.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich deutlich
machen, was uns auch sehr wichtig war: die Verbesse-
rung der sozialen Kompetenz, insbesondere bezogen
auf den Beruf der Richterin bzw. des Richters. Das scha-
det zwar auch Juristen in anderen Tätigkeiten nicht. Aber
Voraussetzung einer Justiz, die im Namen des Volkes
Recht spricht und dabei verständlich sein soll, muss natür-
lich sein, dass ihre Richterinnen und Richter wissen, wo-
von sie sprechen, dass sie Erfahrungen haben und diese
Erfahrungen auf den Bereich der sozialen Kompetenz
übertragen. Juristen werden einwenden, ob man das habe
oder nicht, könne man nicht sagen. Die einen hätten es,
die anderen nicht. Wir alle wissen: So etwas kann man
lernen. Man kann es entweder durch Tätigkeiten in ande-
ren Bereichen oder durch Lebens- und Berufserfahrung in
anderen Zusammenhängen, die ich nicht näher anspre-
chen will, erfahren. All dies muss neben der fachlich un-
bestrittenen Qualifikation der Bewerberinnen und Bewer-
ber zum Richteramt vorliegen.

Ich habe meine Rede damit begonnen, dass ich sagte,
dass wieder ein wirklicher Markstein der Modernisierung
gesetzt worden sei. Wir können den vorliegenden Gesetz-
entwurf hier im Bundestag mit breiter Mehrheit verab-
schieden. Es sieht so aus, als sei das auch im Bundesrat
möglich. Ich freue mich darüber und bedanke mich bei al-
len, die hierzu im Bundesrat und im Bundestag mitge-
holfen haben, und nicht zuletzt bei den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern im Bundesministerium der Justiz.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422715800
Das Wort hat nun der
Kollege Dr. Norbert Röttgen für die CDU/CSU.


Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1422715900
Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Entwurf ei-
nes Gesetzes zur Juristenausbildung, den wir heute ver-
abschieden werden, ist ein der Sache nach gemeinsamer
Entwurf der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU auf
Bundes- und Landesebene. Die Frau Ministerin hat ge-
rade einige positive Elemente dieses Gesetzentwurfes
aufgelistet; ich werde gleich auf den konkreten Fortschritt
eingehen.

Vorab möchte ich diese Liste um ein Element ergänzen.
Ich stimme zu: Heute wird ein konkreter Fortschritt be-

schlossen. Damit ist die Erkenntnis verbunden, dass es ein
struktureller Beitrag zur Gesetzesoptimierung ist, wenn
man die CDU/CSU auf Bundes- und Länderebene offen
an der Gesetzgebung beteiligt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Insofern bin ich in Bezug auf den Herbst dieses Jahres
sehr positiv eingestellt. Diese Erkenntnis ist sehr ermuti-
gend. Wir können den Bürgern, mit Ihrem Lob und Ihrem
Testat versehen, zeigen, dass CDU und CSU für gute Ge-
setze stehen. Ich glaube, das Vorliegende ist dafür ein
gutes Beispiel.

Nun zu konkreten Punkten des vorliegenden Gesetz-
entwurfes. Alle diejenigen, die die bisherige End- und
Folgenlosigkeit der Debatte über die Misere der Juristen-
ausbildung kennen und erlitten haben – das sind wir alle
in der kleinen Gemeinde, die sich mit diesem Thema hier
im Parlament beschäftigt hat; manche haben das sehr viel
länger getan als ich –, wissen den konkreten Fortschritt,
der heute erzielt worden ist, zu schätzen. Es geht nur in
pragmatischen Schritten voran. Heute – dies können wir
den Universitäten, den Studierenden und den Professoren,
mitteilen – werden pragmatische Schritte beschlossen.

Ich möchte drei zentrale Punkte hervorheben, die wir
als die Kernelemente dieses Gesetzentwurfes ansehen.

Der erste und wichtigste Punkt ist, dass mit diesem Ge-
setz das Studium in einem erheblichen Umfang und mit
einem substanziellen Gehalt zurück an die Universität ge-
bracht wird. – Ich glaube, das ist die entscheidende Ver-
änderung der letzten Jahrzehnte; man kann hier sogar von
noch größeren Dimensionen reden. – Denn es wird eine
Universitätsprüfung im Umfang von 30 Prozent geben;
70 Prozent wird die staatliche Prüfung ausmachen.

Wir sind davon überzeugt, dass das die akademische
Qualität des Studiums verbessern wird. Derjenige, der
prüft, hat auch gelehrt und derjenige, der lehrt, prüft. Die-
ser neue und ganz entscheidende Zusammenhang wird
hergestellt. Es gibt eine neue Verantwortung der Profes-
soren sowohl für die Inhalte des Studiums als auch für die
Prüfung. Dies wird zu einer Belebung der Universitäten
führen in einem Umfang, den sie verkraften können. Ich
komme gleich noch einmal darauf zurück.

Dieses Verhältnis von 70 zu 30 Prozent ist eine ver-
nünftige Mischung zwischen der allgemeinen Ausbildung
in den Kernfächern, nämlich im Schuld-, Sachen-, Straf-,
Verwaltungs- und Verfassungsrecht – diese Gebiete, auf
denen zu einem Einheitsjuristen ausgebildet wird, muss
jeder Jurist beherrschen –, und den Spezialfächern – da-
bei handelt es sich allerdings nicht um irgendwelche Gir-
landen oder Arabesken des Studiums –, die definiert wer-
den und in einem Zusammenhang mit den Kernfächern
des Studiums stehen. Den Universitäten wird also ein sub-
stanzieller Gehalt zugewiesen; das gilt auch für die Prü-
fung.

Das beinhaltet die Chance für die Universitäten, in ei-
nen Wettbewerb zu treten und ein Profil zu entwickeln.
Die eine Universität wird insbesondere für die Inter-
nationalität in der Ausbildung stehen, die andere für
die Qualität in der wirtschaftsrechtlichen Ausbildung.




Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin

22541


(C)



(D)



(A)



(B)


Wiederum eine andere Universität wird dafür bekannt
sein, dass es besonders gute Noten gibt. Zwischen den
Universitäten wird es also zu einem Wettbewerb kommen
und sie werden die Chance haben, ein Profil auszubilden.
Das wird ein Anreiz für die Universitäten sein und die
Ausbildung attraktiver machen.

Allerdings liegt uns sehr daran, zu betonen, dass diese
Möglichkeit zur Qualitätssteigerung der juristischen Aus-
bildung, also des juristischen wissenschaftlichen Studi-
ums, nur realisiert werden kann, wenn die Länder etwas
mehr Geld dafür zur Verfügung stellen. Das, was wir
heute verabschieden, werden gesetzlich fixierte Träume
bleiben, wenn die Relation zwischen Professoren und Stu-
dierenden nicht verbessert wird. Der curriculare Norm-
wert muss erhöht werden. Das ist keine Mahnung an die
Justizminister; diese wollen das ebenso wie alle Fraktio-
nen in diesem Hause. Es ist vielmehr eine Mahnung an die
Finanzminister der Länder. Dieses Gesetz muss dadurch
mit Leben erfüllt werden, dass etwas mehr Geld der Län-
der in die juristische Ausbildung fließt. Ansonsten wird
das, was wir mit diesem Gesetz ermöglichen, nicht reali-
siert werden können. Ich glaube, es gibt den Appell des
gesamten Hauses an die Finanzminister der Länder, dies
zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich komme zum zweiten Schritt, der unternommen
wird. In dem neuen Gesetz über die Juristenausbildung
wird eine Antwort auf die internationale Verflechtung des
Rechts, seiner Institutionen und der Organisationen gege-
ben. Die Frau Justizministerin hat es zu Recht hervorge-
hoben: Es gibt eine besondere deutsche Schwäche, näm-
lich eine mangelnde Präsenz von deutschen Juristen in
internationalen – auch europäischen – Organisationen.
Dies hat etwas mit der mangelnden Sprachkompetenz der
deutschen Juristen zu tun. In weiten Kreisen ist noch im-
mer eine gewisse Fremdsprachenresistenz vorhanden.
Das führt dazu, dass wir unsere Interessen, unsere Vor-
stellungen, unsere Systeme und unser Recht weniger
durchsetzen können, als andere dazu in der Lage sind.

In erster Linie muss man hierbei natürlich auf die Ein-
sicht der Studierenden setzen. Viele sehen das auch ein
und haben die Zeichen der Zeit erkannt. Es ist aber auch
richtig, dass durch den Gesetzgeber das Zeichen gesetzt
wird, dass der Jurist heute auch über eine gewisse Fremd-
sprachenkompetenz verfügen muss. Wir leben nicht
mehr mit geschlossenen Grenzen, sondern wir leben in-
nerhalb eines internationalen Rechtsverkehrs. Das ist ein
Teil der Modernisierung des Rechts, der hier sehr früh in
der Ausbildung konkret stattfindet.

Der dritte Punkt, den wir für wesentlich halten, betrifft
das Referendariat. Die Regelungen, die wir für das Re-
ferendariat vorschlagen, tragen die Züge eines guten
Kompromisses. Es gibt faule, aber es gibt auch gute Kom-
promisse. Die Schwächen beider Vorlagen, des Gesetz-
entwurfs der Koalitionsfraktionen wie des Gesetzent-
wurfs des Bundesrates, hätten das Referendariat faktisch
seiner Flexibilität beraubt, indem für mindestens 90 Pro-
zent der Referendare 21 von 24 Monaten der Ausbildung

und damit ein Übermaß der Ausbildung bei den Anwälten
festgelegt worden wären.

Das wäre kein guter Schritt gewesen. Wir hätten damit
Flexibilität beseitigt und keinen Beitrag zur Steigerung
der Qualität der Ausbildung geleistet. Der DAV als Inte-
ressenvertretung der Anwälte hat klipp und klar erklärt:
Das überfordert die Anwälte. Sie können die Qualitäts-
standards, die gefordert werden, nicht leisten. Wir kön-
nen nicht per Gesetz eine Ausbildung fordern, die prak-
tisch durch die Anwaltschaft nicht erbracht werden kann.

Der jetzige Vorschlag von neun Monaten, die eine drei-
monatige Wahlzeit beinhalten, ist deshalb ein guter Kom-
promiss, weil damit die Referendare, die erwachsene
Menschen sind, die Chance haben, ihre Berufs-
orientierung schon im Referendariat zu bestimmen und
Schwerpunkte zu setzen. Ihnen wird nicht wie kleinen
Schuljungen ein fester Stundenplan vorgegeben. Der Um-
fang der Anwaltsausbildung ist vernünftig. Wir haben sie
in ihrer Bedeutung gestärkt. Das ist richtig, weil der große
Teil der Referendare den Anwaltsberuf ergreifen wird.
Aber wir haben einen Umfang vorgesehen, der in Bezug
auf eine qualifizierte Ausbildung von den Anwälten be-
herrscht werden kann.

Wir möchten an dieser Stelle betonen, dass dies zu-
gleich eine Chance und ein Test für die Anwälte ist. Es ist
eine alte Forderung der Anwälte, in der Referendarausbil-
dung die Ausbildung bei der Anwaltschaft zu verstärken.
Wir werden sehr sorgfältig darauf achten, dass hier eine
qualifizierte Ausbildung erfolgt. Diese Zeit darf nicht zu
einer Abtauchstation und einer reinen Examens-
vorbereitung werden. Dafür tragen auch die etablierten
Anwälte, die nun in viel stärkerem Maße die Aufgabe der
Ausbildung ihres eigenen Nachwuches haben, eine be-
sondere Verantwortung. Wir appellieren an die Anwälte,
dieser Verantwortung nachzukommen. Wenn sie es tun,
ist das ein gutes Zusammenspiel zwischen gesetzgeberi-
scher Ermöglichung und praktischer Wahrnehmung einer
qualifizierten Vorbereitung auf den späteren Beruf der
meisten Referendare, nämlich den Anwaltsberuf.

Uns liegt sehr daran zu betonen: Das war ein sachliches
Zusammenwirken über Partei- und Fraktionsgrenzen hin-
weg sowie zwischen Bund und Ländern. Das ist eine gute
Basis, um zu guten Ergebnissen zu kommen. Wir tragen
diesen Entwurf – es ist der Sache nach ein gemeinsamer
Entwurf, wie schon zu Beginn gesagt wurde – inhaltlich
voll mit.

Manche bedauern, dass hier der revolutionäre Schub
ausgeblieben ist. Aber ich glaube, statt auf den revolu-
tionären Schub zu warten, ist es besser, vernünftige und
pragmatische Schritte zu machen. Heute werden bedeu-
tende Schritte beschlossen. Alles Gute der Juristen-
ausbildung in Deutschland! Ich glaube, sie hat jetzt bes-
sere Rahmenbedingungen als in der Vergangenheit.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU – Alfred Hartenbach [SPD]: Ich war zum ersten Mal mit Ihnen zufrieden! – Gegenruf des Abg. Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das stimmt mich wieder skeptisch!)





Dr. Norbert Röttgen
22542


(C)



(D)



(A)



(B)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422716000
Nun erteile ich dem
Kollegen Rainer Funke für die FDP-Fraktion das Wort.


Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1422716100
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Alle Beteiligten, der Deutsche Bundes-
tag, die Bundesländer, die Universitäten, die Anwalt-
schaft, die Wirtschaft und auch die Studenten und
Referendare selber, sind sich einig: Die deutsche Juris-
tenausbildung muss grundlegend reformiert werden.

Das ist kein Wunder. Schließlich ist das Grundkonzept
der deutschen Juristenausbildung etwa 200 Jahre alt. Sie
ist entsprechend den damaligen Erfordernissen und Vor-
stellungen auf eine Tätigkeit vor Gericht zugeschnitten
worden. Heute stellt der Staat gerade noch rund 11 bis
12 Prozent der Juristen ein, davon etwas mehr als die
Hälfte als Richter. Über 80 Prozent der Volljuristen gehen
in die Anwaltschaft oder zum geringeren Teil in die Wirt-
schaft. Heute muss sich der Jurist dem Wettbewerb stel-
len. Wir müssen feststellen, dass unsere Juristenausbil-
dung im internationalen Vergleich viel zu lange dauert
und nicht effizient genug ist. Die meisten von uns, die ein-
mal in Brüssel zu tun gehabt haben, werden das unter-
streichen können.


(Beifall bei der FDP)

In dieser Situation bedarf es einer grundlegenden Re-

form. Das haben sowohl die FDP, die einen entsprechenden
Gesetzentwurf vorgelegt hat, als auch die Koalitionsfrak-
tionen erkannt und in ihren Gesetzentwürfen wesentliche
Reformansätze vorgelegt. Das muss man einmal konsta-
tieren.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Ganz laut, Herr Funke!)


Von dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen vom
Herbst 2001, lieber Herr Hartenbach, ist ja fast nichts
übrig geblieben,


(Alfred Hartenbach [SPD]: Doch! Ganz viel!)

und zwar wegen des Widerstands der Länder. Der FDP-
Entwurf ist trotz großen Lobes von Verbänden und Sach-
verständigen niedergestimmt worden. Herausgekommen
ist nur eine ganz kleine Änderung. Sie ist von der Frau
Justizministerin und von Herrn Röttgen erwähnt worden.

In Zukunft sind Gegenstand des Studiums Pflicht-
fächer und Schwerpunktbereiche mit Wahlmöglich-
keiten. Die Prüfung in den Schwerpunktbereichen wird
von der Universität abgenommen und zu 30 Prozent bei
dem abschließenden Examen angerechnet. In der Tat ist
dies eine Änderung. Das dient der Abschichtung des Prü-
fungsverfahrens und kann dazu führen, dass einzelne Uni-
versitäten in einen Wettbewerb um die besten Studenten
eintreten. Manche sagen, das sei eine Revolution. Es kann
aber auch nach hinten losgehen,


(Alfred Hartenbach [SPD]: Herr Funke, Sie als Revolutionär?)


denn es kann auch sein, dass sich der eine oder andere da-
rüber Gedanken macht, wo man am leichtesten seine Exa-
mina besteht und wo es am einfachsten ist, mit guten No-
ten in dem 30-Prozent-Bereich brillieren zu können. Man

wird sehen müssen, ob das wirklich eine Revolution ist
oder ein Schuss, der nach hinten losgeht.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Wettbewerb ist das!)


Das wird der Wettbewerb zeigen. Wenn wir feststellen,
dass es nicht so gut gelaufen ist, wird man die Vorschrift
wieder ändern müssen. Ich gebe Ihnen aber Recht – inso-
fern finde ich Ihren Vorschlag gut –, dass wir auf diesem
Weg voranschreiten sollten.

Das ist aber auch die einzige Änderung, die erwäh-
nenswert ist, denn alle weiteren Veränderungen sind be-
reits heute nach den geltenden Vorschriften der Juristen-
und Referendarausbildung möglich. Auch der Englisch-
unterricht bzw. die Pflicht, die englische Sprache zu be-
herrschen, könnten heute schon durch Ländergesetze
ohne weiteres vorgeschrieben werden. Insoweit ergibt
sich keine Neuerung.

Insbesondere den besonderen Erfordernissen der spä-
teren beruflichen Tätigkeiten der Volljuristen wird nicht
Rechnung getragen. Dies gilt speziell für die spätere
Tätigkeit als Rechtsanwalt. Schon heute besteht die Ge-
fahr – Sie haben das erwähnt, Herr Dr. Röttgen –, dass
häufig die Anwaltstation als Tauchstation missbraucht
wird. Sie wird an das Ende der Referendarausbildung ge-
legt, damit man möglichst wenig beim Anwalt sein muss
und sich auf das zweite juristische Staatsexamen vorbe-
reiten kann. Diese auch heute schon weit verbreitete
Übung kann nach dem vorliegenden Entwurf fortgesetzt
werden. Auch die angebliche Neuerung, dass Sprach-
kenntnisse nachgewiesen werden müssen, ist kein echter
Fortschritt.

Alles in allem verdient der vorliegende Gesetzentwurf
nicht den hochtrabenden Titel „Reform der Justizausbil-
dung“. Der Text des Gesetzentwurfes – das wird auch of-
fen von einigen Landesjustizministern eingeräumt – dient
eher dazu, das Thema endlich in der Schublade versenken
zu können. Offensichtlich soll die politische Diskussion
um die Juristenausbildung beendet werden. Dabei haben
manche Länder nicht einmal ihre eigenen Hausaufgaben
zur Verkürzung der Juristenausbildung erledigt.


(Beifall bei der FDP – Alfred Hartenbach [SPD]: Ihr habt aber auch zwei Justizminister, Goll und Mertin! Seid ganz ruhig!)


– Sie brauchen gar nicht mit dem Kopf schütteln. Es gibt
eine Reihe von Ländern, in denen zum Beispiel die Kor-
rektur der Klausurarbeiten zum ersten juristischen Staats-
examen fast ein halbes Jahr dauert und die – wie Ham-
burg; ich erwähne meine eigene Heimat ausdrücklich als
negatives Beispiel – 24 Monate benötigen, um einen Re-
ferendar einzustellen. Das ist ein Skandal und eine Ver-
schleuderung von volkswirtschaftlichen Ressourcen.
Denn diese jungen Juristen sind teuer ausgebildet worden
und sie können ihre berufliche Entwicklung nicht neh-
men, nur weil die Länderfinanzminister und vielleicht
auch die Justizminister nicht zügig arbeiten. Das halte ich
in der Tat für einen Skandal.


(Beifall bei der FDP)







(C)



(D)



(A)



(B)


Aus diesem Grunde glaube ich, dass uns das Thema Ju-
ristenausbildung in den nächsten Monaten oder Jahren
noch erhalten bleibt. Wir werden in der nächsten Legisla-
turperiode eine echte Reform in Angriff nehmen müssen,
weil in dieser Legislaturperiode die Hausaufgaben im Zu-
sammenhang mit der Juristenausbildung nicht ordentlich
erledigt worden ist. Deswegen werden wir gegen den Ge-
setzentwurf stimmen.


(Beifall bei der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422716200
Jetzt hat der Kollege
Hans-Christian Ströbele für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

legen! Ich bin extra aus dem Untersuchungsausschuss
hierher geeilt, um diese Revolution nicht zu verpassen,
aber es wird wohl doch nicht dazu kommen. Der Deutsche
Bundestag wird eine solche Revolution weder einleiten
noch durchführen können.

Wir haben vorgelegt, worauf die Juristen seit Jahr-
zehnten und möglicherweise seit einem Jahrhundert war-
ten, nämlich darauf, dass die Ausbildung der Juristen an
die Realität angepasst und nicht allein daran ausgerichtet
wird, dass alle Juristen so tun, als würden sie später
Richter und Richterinnen. Das ist – Sie haben bereits da-
rauf hingewiesen – bei weniger als 10 Prozent der Fall.
Die gesamte Ausbildung ist aber nach wie vor – auch
wenn sich das in den vergangenen Jahrzehnten etwas
geändert hat – überwiegend auf die Richterlaufbahn aus-
gerichtet. Bekanntlich ergreifen Juristinnen und Juristen
vorwiegend rechtsberatende Berufe, insbesondere den
des Rechtsanwalts und der Rechtsanwältin.

Der von uns vorgelegte Gesetzentwurf war ein schwe-
res Stück Arbeit. Ich habe einmal durchgezählt: Wir ha-
ben 24 Verhandlungsrunden in den verschiedensten Be-
setzungen hinter uns gebracht, weil wir das schwierige
Meisterstück bewältigen mussten, 16 Bundesländer und
möglichst fünf Fraktionen in einem Wahljahr bei einem
Gesetzesvorhaben unter ein Dach zu bekommen. Da es
sich hierbei um ein Gesetz handelt, das ganz erheblich
– wenn nicht sogar überwiegend – die Länder, die Aus-
bildungsordnung und auch die Tätigkeit der Juristen in
den Ländern betrifft, waren der Kontakt und der Schul-
terschluss mit den Ländern unabdingbar. Sonst wäre das
ein Gesetzentwurf geblieben, der möglicherweise von der
Koalition bzw. der Koalition und der FDP oder anderen
Parteien verabschiedet worden wäre.

Was wir jetzt vorlegen, ist trotzdem nicht so schlecht,
wie Sie es gemacht haben, Herr Funke. Auch ich hätte mir
einige andere Regelungen gewünscht. Ich hätte mir ge-
wünscht, dass der universitäre Teil der Ausbildung noch
sehr viel stärker hervorgehoben und ihm 50 Prozent oder
mehr der Ausbildungszeit – vielleicht sogar 70 Prozent –
eingeräumt würden und dass die Examen von den Uni-
versitäten abgenommen würden. Das wäre ein wichtiger
und richtiger Schritt gewesen. Wir müssen aber zur
Kenntnis nehmen, dass andere das anders sehen. Das hat

auch mit der finanziellen Situation zu tun und damit, dass
für die Länder ein solcher Schritt eine erhebliche Um-
strukturierung an den Universitäten bedeutet. Aber die
30 Prozent, die wir erreicht haben, sind ein sehr wichtiger
Schritt und geben den Studentinnen und Studenten, die
derzeit Jura studieren oder studieren wollen, das Signal:
Ihr könnt euch darauf verlassen; diese Prüfung wird von
den Universitäten abgenommen. Das heißt, das, was ihr
bei den Professoren lernt, wird später auch von ihnen
– meistens von denselben – abgefragt. Das ist ein ganz
großer Fortschritt.

Heute haben wir bei der Juristenausbildung die Situa-
tion – das wissen von denjenigen, die nicht Jura studiert
haben, nur die wenigsten –, dass bei 80 bis 90 Prozent der
Juristinnen und Juristen die universitäre Ausbildung nicht
dazu ausreicht, dass sie das Examen bestehen. Sie müssen
eine privat finanzierte Zusatzausbildung in Repetitorien
mit einer Dauer von einem Jahr oder noch länger über sich
ergehen lassen und diese selber finanzieren. Das ist ein
ganz wichtiger Punkt. Aus sozialen Gründen und ange-
sichts der Forderung nach Chancengleichheit ist das ein
sehr großer Missstand. Dem muss abgeholfen werden.
Abhilfe schafft das Gesetz auch in diesem Bereich nicht
zur Gänze und nicht in einem revolutionären Akt; es weist
vielmehr die Richtung, in die umgesteuert werden soll.
Die Studenten und die Universitäten können sich darauf
einstellen, dass in Zukunft ein sehr viel größerer Teil der
Ausbildung nicht in Repetitorien geleistet werden soll,
sondern von den Professoren und deren Assistenten, also
von den Universitäten selber geleistet werden muss. Die
Universitäten sind aufgefordert, diese Leistung, die sie ei-
gentlich schon heute erbringen müssten, bald so zu er-
bringen, dass immer weniger Studenten diese Zusatzaus-
bildung in Anspruch nehmen müssen.

Das Setzen von Schwerpunkten ist ein weiterer, sehr
wichtiger Punkt. Wir machen – es wurde schon darauf
hingewiesen – den Studentinnen und Studenten deutlich,
dass man auch in einem juristischen Beruf, ganz egal, in
welchem, besonders natürlich in den beratenden juristi-
schen Berufen, aber auch in der Verwaltung oder im Rich-
terberuf, über die Grenzen unseres Staates hinaussehen
muss und dass man andere Sprachen können muss. Dies
ist nicht nur deswegen wichtig, weil in unserem Land
Menschen wohnen, die andere Sprachen sprechen; es ist
auch deswegen wichtig, damit man sich über die Rechts-
systeme und die Konfliktbereinigungssysteme in anderen
Ländern kundig machen, davon lernen, aber auch dafür
sorgen kann, dass ein Vertrag, der zum Beispiel in Deutsch-
land abgeschlossen wird, in Frankreich, England oder in
Dänemark gültig ist.

Das sind Anforderungen, die immer mehr an die Stu-
denten wie auch an die Universitäten herangetragen wer-
den. Deshalb sollen sich die Studentinnen und Studenten
möglichst mit rechtswissenschaftlichem Bezug in ande-
ren Sprachen betätigen, sei es, dass sie einen Sprachkurs
besuchen, sei es, dass sie ins Ausland gehen, oder sei es,
dass sie in Deutschland in anderer Sprache ein Rechtsfach
studieren. Das ist ein wichtiges Signal an die Universitä-
ten. Theoretisch – da haben Sie Recht – ist eine solche
Weiterbildung auch heute schon möglich; in Zukunft ist
sie aber vorgeschrieben. Diese Änderungen stellen eine




Rainer Funke
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(C)



(D)



(A)



(B)


ganz erhebliche zusätzliche Herausforderung für die Uni-
versitäten dar. Wir hoffen, dass sie diese annehmen wer-
den.

Ich komme nun zu dem Bereich der Referendarausbil-
dung. Hier sind wir der Meinung, dass man berücksichti-
gen muss, dass die meisten Studentinnen und Studenten
später Anwälte werden wollen und werden müssen. Sie
müssen deswegen ganz überwiegend von Anwälten im
Anwaltsberuf ausgebildet werden. Wir hätten hierfür gern
einen Anteil an der Referendarausbildung von zwölf Mo-
naten gehabt; nun sind es neun Monate. Aber das ist ein
Kompromiss. Ohne Kompromisse bekommt man ein sol-
ches Gesetz mit 16 Bundesländern nicht hin.

Darüber hinaus ist in Zukunft vorgeschrieben – das ist
der letzte sehr wichtige Punkt, auf den ich eingehe –, dass
die wenigen Studentinnen oder Studenten, die Richterin-
nen oder Richter werden, teamfähig sein müssen und dass
sie soziale Kompetenz haben müssen. Sie sollten deshalb
– diese Regelung hätten wir gerne im Gesetz gehabt; jetzt
wird dieser Punkt in der Begründung behandelt – zwei
Jahre oder länger in einem anderen Beruf gelernt haben,
sich durchzusetzen und zu kommunizieren. Sie sollten das
Leben und die Geschäftswelt kennen gelernt haben und
das bei ihrer Rechtsprechung berücksichtigen, damit die
Rechtsprechung in Deutschland noch wirklichkeitsnäher
und noch besser wird.

Der Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden, ist
also ein wichtiger Schritt auf dem richtigen Weg. Wir
müssen noch weiter gehen. Aber es ist ein Anfang ge-
macht. Viele Studentinnen und Studenten werden es uns
danken. Ich habe im Ausschuss davon berichtet, dass ich
in der letzten Zeit von Universitätsvertretern wie auch von
Studentinnen und Studenten angesprochen worden bin,
und sie gefragt haben, wann denn endlich das Gesetz in
Kraft tritt, damit sie ihr Studium und ihr Examen viel-
leicht schon danach ausrichten könnten. Zurzeit bestehen
noch lange Übergangsfristen. Aber danach wird die Aus-
bildung besser. Das ist auch gut so.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422716300
Für die PDS-Fraktion
erteile ich das Wort der Kollegin Sabine Jünger.


Sabine Jünger (PDS):
Rede ID: ID1422716400
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Seit einem Vierteljahrhundert, also fast
so lange, wie ich lebe, wird über die Defizite in der Aus-
bildung von Juristinnen und Juristen in Deutschland dis-
kutiert. Auslöser oder zumindest einer der Hauptgründe
dafür war nicht zuletzt die Harmonisierung der bis jetzt
völlig unterschiedlichen Ausbildungen und Abschlüsse in
den verschiedenen Staaten Europas. Wechselnde Justiz-
ministerinnen und Justizminister, Hochschulrektorinnen
und Hochschulrektoren, Studierende, Referendare und
andere Interessengruppen haben über Jahre hinweg un-
zählige Reformvorschläge ausgearbeitet. Heute soll die
Juristenausbildung nun endlich auf eine neue gesetzliche
Grundlage gestellt werden.

Ein Kennzeichen rot-grüner Politik ist, dass zwar
grundlegende Reformen angekündigt werden, dass aber
am Ende nur ein Reförmchen mit zwei, drei Änderungen
herauskommt.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Frau Jünger, nun aber!)


So ähnlich ist es leider auch bei der Juristinnen- und Juris-
tenausbildung.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Ob Sie nach der neuen Ausbildungsreform das Examen schaffen würden, bezweifle ich!)


– Das werden Sie ja sehen; denn ich werde nicht mehr für
den Deutschen Bundestag kandidieren und stattdessen
nach der neuen Ausbildungsordnung studieren.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Da werden wir genau hinschauen!)


– Das können Sie gerne tun.
Ich bin erstaunt, wie oft das Wort „Revolution“ in die-

sem Zusammenhang in den Mund genommen wird, ganz
besonders von konservativer Seite; denn es ist wahrlich
keine. Darauf hat Herr Ströbele ja schon hingewiesen.

Es gibt aber durchaus Punkte in dieser Reform – das
will ich ganz ehrlich sagen –, die wir begrüßen, zum Bei-
spiel dass die einseitige Orientierung der Ausbildung am
Richterberuf endlich aufgegeben wird. Die Ausbildung
orientiert sich jetzt stärker am Anwaltsberuf. Gut finden
wir auch, dass 30 Prozent der Prüfungskompetenzen auf
die Universitäten verlagert werden. Ob damit wirklich die
Repetitoren überflüssig werden, wagen wir, ehrlich ge-
sagt, zu bezweifeln. Unsere Zustimmung gilt auch der ge-
setzlichen Festschreibung, dass die Vermittlung interdis-
ziplinärer und internationaler Bezüge des Rechts
zukünftig Bestandteil der Juristenausbildung sein wird,
obwohl wir uns diesen Part etwas ausführlicher ge-
wünscht hätten.

Was ist aber nun mit der angestrebten Harmonisierung
oder gar der Angleichung der Juristenausbildungen inner-
halb Europas? Warum wird an der Spaltung von Theorie
an der Uni und Praxis im Referendariat festgehalten? Wo
bleibt die notwendige Straffung des Studiums? Warum
werden die verstaubten deutschen Prüfungsregularien
nicht weitergehend verändert? Warum wird die Chance
vertan, Bachelor- oder auch Diplomabschlüsse in den
Rechtswissenschaften zu etablieren?


(Rainer Funke [FDP]: Das ist ein FDP-Vorschlag!)


– Stimmt, das hat die FDP in ihrem Antrag vorgeschlagen.
Das muss man anerkennen.


(Beifall des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])

Was spricht eigentlich gegen eine frühzeitige Spezialisie-
rung im Jurastudium, wie sie in anderen Disziplinen und
auch in anderen Ländern längst üblich ist?

Ich weiß, dass die meisten von Ihnen mit den Proble-
men der Juristenausbildung weit länger vertraut sind, als
ich es bin. Deshalb frage ich mich wirklich, weshalb hier




Hans-Christian Ströbele

22545


(C)



(D)



(A)



(B)


mehrheitlich die vorgeschlagenen Neuerungen für des Pu-
dels Kern gehalten werden. Ich sehe nicht, dass mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf die Grundlage für eine gute
und effiziente Juristenausbildung geschaffen wird, die
den Anforderungen des 21. Jahrhunderts und einer zu-
sammenwachsenden Welt gerecht wird. Dafür wäre weni-
ger nationale Begrenztheit und deutlich mehr Mumm not-
wendig gewesen. Schade drum!


(Beifall bei der PDS – Alfred Hartenbach [SPD]: Frau Jünger, ich nehme das, was ich vorhin gesagt habe, zurück!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422716500
Jetzt erteile ich das
Wort dem Justizminister des Landes Nordrhein-West-
falen, Jochen Dieckmann.


(Nordrhein-Westfalen)

fast auf den Tag genau zwei Monate her, dass wir in ers-
ter Lesung über die Gesetzentwürfe beraten haben, die in
den fraktionsübergreifenden Entwurf eingeflossen sind,
der Ihnen zur abschließenden Beratung vorliegt. Ich
denke, dieser fraktionsübergreifende Entwurf ist der er-
folgreiche Versuch – wenn ich einmal von dem der FDP
absehe –, die Vorteile des Gesetzentwurfs des Bundesra-
tes und des Entwurfs der Koalitionsfraktionen miteinan-
der zu verbinden. Dies ist das Ergebnis eines sehr intensi-
ven Diskussionsprozesses, in dem die Länder einbezogen
wurden. Wir haben gern mitgearbeitet und sind dankbar
dafür. Ich denke, der Gegenstand unseres Bemühens ist es
auch wert. Schließlich geht es um die mittelfristige Zu-
kunft Tausender junger Menschen. Es geht aber auch um
die Qualität der Rechtsprechung und der Rechtsanwen-
dung in unserem Land.

Ich möchte aus der Sicht der Länder dankbar vermer-
ken, dass sich Ihr heutiger Entwurf nachhaltig an den Be-
dürfnissen der Praxis, insbesondere denen des anwalt-
schaftlichen Berufsstandes, orientiert. Deshalb ist dies,
ganz gleich, ob es sich um eine Reform oder um weniger
handelt, ein Schritt in die richtige Richtung.

Der Entwurf ist ausgewogen. Der Entwurf stellt sicher,
dass die jungen Juristinnen und Juristen eine solide
Grundausbildung und auch einen vielfältigen Einblick in
die ganz unterschiedlichen Tätigkeiten, die es in der Welt
der Juristinnen und Juristen gibt, erhalten. Der Entwurf ist
aber auch insofern ausgewogen, als er es ermöglicht, auf
das individuelle Ausbildungsziel und auf den gewünsch-
ten Beruf hinzuarbeiten sowie gleichzeitig das Ziel einer
breit angelegten juristischen Allgemeinbildung zu ver-
wirklichen.

Der Fortschritt beginnt bereits in der Universitäts-
phase der Juristenausbildung; denn dort wird auf die
berufsorientierten Inhalte stärker als je zuvor Wert gelegt.
Dies ist eine Chance für die Hochschulen in unserem
Lande – das ist zu Recht schon gesagt worden. Ich füge
hinzu: Damit ist aber auch eine Verantwortung für die
Hochschulen in unserem Lande verbunden. Mit der Neu-
regelung der Schwerpunktausbildung und vor allem mit
der Verlagerung eines wesentlichen Teils der Abschluss-

prüfung haben die Rechtsfakultäten die Möglichkeit, das
eigene Profil zu schärfen und so, mehr noch als bisher, zu
einer vielseitigeren Juristenausbildung beizutragen.

Ich will dem Appell von Herrn Röttgen an die Länder,
mehr Geld zur Verfügung zu stellen, nicht entgegentreten,
aber ich bitte Sie, diesen Appell auch an die Finanzpoliti-
ker aller Fraktionen in diesem Hohen Hause zu richten,
damit die Länder die nötige Finanzkraft bekommen, ihre
Universitätshaushalte in dem von uns allen fachlich ge-
wünschten Sinne zu verstärken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU – Norbert Geis [CDU/CSU]: Bei dieser Regierung ist das schwierig! – Gegenruf des Abg. Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Sie haben uns die Schulden doch aufgebürdet!)


Der Entwurf bedeutet auch eine ganz erhebliche
Annäherung der Juristenausbildung an die Erfordernisse
des Anwalts- und auch des Notarberufs. Das ist bislang
ohne Beispiel gewesen. Wir betonen in dem Entwurf die
Rechtsberatung, das Mandanteninteresse und die Streit-
schlichtung. Nach der jetzt vorliegenden Fassung des Ge-
setzentwurfs geben wir der anwaltlichen Ausbildung im
Vorbereitungsdienst ein ganz besonderes Gewicht. Durch
den Entwurf, auch in der Form, die Sie ihn jetzt vorberei-
tet haben, wird gewährleistet, dass den individuellen In-
teressen der Referendarinnen und Referendare Rechnung
getragen wird und denjenigen ein Freiraum eingeräumt
wird, die nach Alternativen zum anwaltlichen Beruf su-
chen. Diese Bemühungen müssen angesichts der hohen
Zahl von Anwältinnen und Anwälten – da bin ich mir si-
cher – mit Nachdruck unterstützt werden.

Dies ist eine Reform in zweierlei Hinsicht – eine Re-
volution sollte es gar nicht sein –: Noch nie in den letzten
50 Jahren hat sich der Staat so deutlich aus einem wichti-
gen Teil der Prüfung zurückgezogen und den Universitä-
ten so viel Entscheidungsspielraum zugestanden; noch
nie in den letzten 50 Jahren hat sich die Justiz so deutlich
aus wichtigen Phasen der Ausbildung zurückgezogen –
zugunsten der unverkennbar notwendigen Orientierung
an den Erfordernissen des Anwaltsberufes. Wenn das ab-
schließende Verfahren im Bundesrat beendet sein und das
Gesetz in Kraft getreten sein wird, werden wir seitens der
Länder das Unsere dazu tun.

Wir tun es aber auch heute schon. Herr Funke, Sie ha-
ben zwei Punkte angesprochen, die im Alltag von großer
Bedeutung sind und die von dem System der hier in Rede
stehenden Ausbildungsordnungen unabhängig sind. Es ist
misslich, wenn Klausuren so lange liegen bleiben, bis sie
korrigiert werden. Aber wir müssen auch auf die Qualität
derjenigen achten – das sage ich für alle Kolleginnen und
Kollegen –, die solche Klausuren korrigieren.


(Rainer Funke [FDP]: Das muss aber nicht ein halbes Jahr dauern!)


Das ist ein Problem, das auch wir schon lange sehen. Wir
bemühen uns, Korrektorinnen und Korrektoren zu finden.
Das hat aus Gründen der Qualität bestimmte Grenzen. Die
Wartezeit ist auch meines Erachtens zu lange, aber in dem
einen oder anderen Land haben wir haushaltspolitische




Sabine Jünger
22546


(C)



(D)



(A)



(B)


Restriktionen. Diese würden wir gern ändern, wenn wir
die Mittel dazu hätten.

Zum Abschluss will ich nicht verschweigen, dass wir
uns im Kreis der Länder durchaus mehr gewünscht hätten,
was insbesondere die Verbesserung der Anwaltsausbil-
dung angeht. Man kann das im Entwurf des Bundesrats
nachlesen. Ich meine insbesondere die Anforderungen an
die Zulassung zur anwaltlichen Tätigkeit. Deshalb
möchte ich dem abschließenden Votum des Bundesrats
nicht vorgreifen. Ich persönlich meine – ich habe das mit
einigen Kolleginnen und Kollegen besprechen können –,
dass das Ergebnis Ihrer Beratung, über das Sie jetzt ab-
stimmen werden, ein Kompromiss ist, der von sehr vielen
der Beteiligten getragen werden kann und der auch prak-
tisch durchführbar ist. Ich glaube, es ist ein Beitrag dazu,
dass die Juristenausbildung auch in Zukunft bestmög-
lichst ausgerichtet sowie anwalts- und berufsorientiert ist,
zugleich aber den notwendigen Freiraum für Eigeninitia-
tive und Eigenverantwortung lässt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422716600
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Rupert Scholz.


Dr. Rupert Scholz (CDU):
Rede ID: ID1422716700
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie
mir noch einige ergänzende Bemerkungen zu dem, was
mein Kollege Röttgen gesagt hat und was im Übrigen in
allen Beiträgen hier deutlich zum Ausdruck gekommen
ist. Natürlich geht es nicht um Revolution. Revolution ist
nie gut.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, na! – Alfred Hartenbach [SPD]: Vor allem: Wenn Juristen Revolution machen, werden sie einen Kopf kürzer gemacht!)


– Revolution ist nie gut. – Im Zusammenhang mit dieser
Diskussion ist aber das Wort „Revolution“ nicht ohne Zu-
fall immer wieder angeklungen, denn die Reform der Ju-
ristenausbildung war wirklich längst überfällig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das bisherige System der Ausbildung und damit auch das
System der Prüfungen schleppen wir seit Ewigkeiten mit
uns herum, obwohl die Anforderungen und auch das Be-
rufsbild des Juristen inzwischen elementare Veränderun-
gen erfahren haben.

Es geht und ging also darum – das betone und unter-
streiche ich auch aus meiner Sicht –, am Einheitsjuristen
festzuhalten, aber diesen Einheitsjuristen mit der Fähig-
keit auszustatten, mit der Vielfalt der unendlichen Ausdif-
ferenzierungen und dem unendlichen Wachstum des juris-
tischen Stoffes fertig zu werden. Das heißt, es geht vor
allem darum, Juristen methodisch zu schulen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ein methodisch geschulter Jurist ist aber nicht zu bekom-
men, wenn man ihn nur mit Stoff – ich sage das ganz be-

wusst aus meiner eigenen universitären Erfahrung und ei-
ner ständigen Prüfungserfahrung heraus – und mit immer
mehr Spezialwissen buchstäblich zuschaufelt. Hier ist
viel gesündigt worden. Diesen Fehlentwicklungen muss
– das sage ich mit allem Nachdruck – Einhalt geboten
werden.

Die Qualität eines Studenten im Referendarexamen
kann nicht danach beurteilt werden, ob er sozusagen sämt-
liche BGH-Entscheidungen kennt, ja, am besten gleich
wie ein wandelnder Palandt ins Examen marschiert. Das
ist es nicht. Nein, wichtig ist, dass er die Fähigkeit hat, mit
einer juristischen Problemstellung fertig zu werden, sich
einzuarbeiten und mit den nötigen logischen und metho-
dischen Mitteln das zu leisten, was von ihm gefordert
wird. Das ist die Lebensherausforderung eines Juristen.

Die Vorstellung des Einheitsjuristen geht von der
Grundvorstellung der Einheit der Rechtsordnung, an der
natürlich auch unter Ausbildungsaspekten festzuhalten
ist, aus. Der Einheitsjurist muss im Übrigen aber auch von
einer methodisch geschlossenen Basis ausgehen können.
Deshalb ist es richtig, die Spezialisierung während der
Ausbildung zurückzufahren und den Stoff um ein System
von Schwerpunktgruppen zu konzentrieren. Was haben
wir denn bisher gemacht? Die Wahlfachgruppen wurden
immer weiter ausgefächert, wurden immer spezieller und
mit immer mehr Perfektionsansprüchen belastet. Das war
der falsche Weg. Ich bin gerade den Kollegen, die das La-
denburger Manifest verfasst haben, dankbar, dass sie
hierzu einen wesentlichen Beitrag geleistet haben. Ihre
Ansicht hat mein Kollege Böckenförde ja auch in den von
uns durchgeführten Anhörungen vertreten. Wir haben
diese übernommen. Die Wahlfachgruppen müssen zu
sachadäquaten, systematisch passenden Schwerpunkt-
gruppen zusammengefasst werden. Auf dieser Ebene ha-
ben dann die Universitäten die 30 Prozent abzuprüfen, die
ihnen als Mandat im Prüfungssystem zugewiesen wurden.

Gestatten Sie mir auch ein Wort zu diesen 30 Prozent:
Ich habe durchaus Verständnis dafür, dass man von der
Länderseite nicht über 25 Prozent gehen wollte; denn es
ist für die Universitäten schwierig, selbst einen Anteil von
25 Prozent zu übernehmen. Auch das weiß ich wiederum
aus der eigenen Erfahrung, da ich, wie ja gesagt, lehre und
prüfe. Aber es muss geleistet werden. Das bedeutet aller-
dings – hier greife ich den eben schon von Kollegen
Röttgen an die Landesfinanzminister gerichteten Appell
auf und schließe auch die Landeskultusminister, Herr
Dieckmann, ein –, man wird auch Änderungen im Bereich
des CW-Wertes vornehmen müssen, denn die juristischen
Fakultäten der Universitäten werden das, was jetzt von ih-
nen erwartet wird – das muss von ihnen auch eingelöst
werden –, nicht leisten können, wenn man ihnen hier nicht
entgegenkommt.

Die ganze Reform steht und fällt damit, dass an einem
Strang gezogen wird. Das bedeutet natürlich auch, dass
hinsichtlich der Ausfüllung und der Konkretisierung
durch die Landesgesetzgebung, durch die Justizausbil-
dungsverordnung und durch die Justizausbildungsgesetze
der Leitfaden und die Grundphilosophie dieses Bundes-
gesetzes aufgenommen und möglichst effektiv umgesetzt
werden müssen.




Minister Jochen Dieckmann (Nordrhein-Westfalen)


22547


(C)



(D)



(A)



(B)


In diesem Zusammenhang fordere ich zum Wettbe-
werb – dieses Wort ist heute schon mehrfach zu Recht ge-
fallen – auf. Nach meiner Auffassung muss es nicht so
sein, dass jede Universität in sämtlichen Schwerpunkt-
gruppen entsprechende Ausbildungen und Prüfungen an-
bietet. Das muss wirklich nicht sein. Im Gegenteil: Geben
Sie den Universitäten die Freiheit, sich auf bestimmte
Angebote zu konzentrieren und zu spezialisieren! Wich-
tig ist, dass für die Studenten ein Gesamtangebot zur
Verfügung steht. Gerade für die Bundesländer, die viele
Universitäten und dementsprechend viele juristische Fa-
kultäten haben, gilt: Das muss nicht alles so konformis-
tisch, so uniform sein, wie es bisher war.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Über diese Reform kann auch ein fantastischer Impuls
zu einer ungleich höheren Effizienz – ich bin fast geneigt,
zu sagen: zu einer Revitalisierung – der juristischen Aus-
bildung an unseren Fakultäten erwachsen. Auch darin sehe
ich eine große, wunderbare Chance.

Ich appelliere an alle, das, was wir hier glücklicher-
weise gemeinsam geplant haben, mit umzusetzen und
dann so weiterzuführen. Auch ich darf mich für die sehr
sachbezogenen, sehr engagierten gemeinsamen Beratun-
gen, die zu diesem Gesetz geführt haben, bedanken. Ich
glaube, wir sind auf einem wirklich guten Weg.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422716800
Für die SPD-Fraktion
hat nun der Kollege Alfred Hartenbach das Wort.


Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1422716900
Verehrte Frau Präsidentin!
Verehrtes Präsidium! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-
gen! Liebe Fangemeinde! Ich habe kürzlich folgende
Schreckensvision einer jungen Juristin gelesen:

Wir schreiben das Jahr 2030. ... In Berlin, der Haupt-
stadt der Europäischen Republik Deutschland, tagt
die Kommission zur Reform der Juristenausbildung.

Sie tagt also noch immer und es wird noch immer ausge-
bildet wie vor 200 Jahren.

Das ist in der Tat bis heute eine Schreckensvision. Ich
muss sagen, dass ich unheimlich aufgeregt bin,


(Dr. Rupert Scholz [CDU/CSU]: Ruhe! Ruhe!)

weil ich erleben darf, dass das, was ich vor 40 Jahren, als
ich mit meinem Studium begonnen habe, erhofft habe,
endlich Wahrheit werden kann, nämlich eine Reform der
Juristenausbildung, die diesen Namen in der Tat ver-
dient. Natürlich rede ich nicht von Revolution, denn wir
wissen, dass Juristen, wenn sie eine Revolution gemacht
haben, meistens einen Kopf kürzer gemacht wurden;
siehe Büchner oder Danton. Das wollen wir uns heute hier
ersparen.

Allerdings hat niemand geglaubt, dass wir das schaf-
fen. Verehrte Frau Ministerin, wir verdanken den Erfolg

Ihrer Hartnäckigkeit, Ihrem Selbstbewusstsein sowie der
Tatsache, dass Sie uns immer wieder angetrieben haben,
diesen Weg zu gehen. An dieser Stelle möchte ich mich
bei Ihnen und Ihrem Haus, insbesondere bei den Kolle-
ginnen und Kollegen, aber auch bei Ihnen, meine Damen
und Herren aus dem Bundesrat, dafür bedanken, dass wir
das gemeinsam geschafft haben.

Was haben wir gemacht? Wir stärken das Selbst-
bewusstsein der Universitäten, indem wir sie nicht nur
lehren lassen, sondern indem wir sie nach dem Motto
„Wer lehrt, soll auch prüfen“ künftig mit einem guten An-
teil an der ersten Prüfung teilhaben lassen. Das, was sie
machen, soll nicht irgendwo im Sande verlaufen und sich
möglicherweise nur in Klausuren und Hausarbeiten wie-
derfinden, sondern sich ganz real in der Befähigung der
jungen Juristinnen und Juristen, in den Vorbereitungs-
dienst zu gehen, widerspiegeln.

Was tun wir weiter? Wir machen unsere jungen Juris-
tinnen und Juristen fit für den Wettbewerb in der Welt
und vor allen Dingen in der Europäischen Union, in der
sie immer häufiger tätig sind, indem wir von ihnen
Sprachkompetenz verlangen. Wir machen sie fit, indem
wir ihnen das Handwerkszeug geben, das sie brauchen:
Verhandlungsmanagement, Rhetorik, Teamfähigkeit. Wir
bieten ihnen damit die Chance, sich zu einem sehr frühen
Zeitpunkt die Fähigkeiten anzueignen, die wir in Richter-
und Anwaltsakademien oder sonst irgendwo als Autodi-
dakten später noch erlernen mussten. Ich denke, dies ist
schon ein erster großer wichtiger Schritt und verdient in
der Tat die Bezeichnung Reform.

Aber wir haben nicht nur das universitäre Studium ins
Auge gefasst, sondern auch – weil wir wissen, dass das
notwendig ist – bei der Ausbildung im Vorbereitungs-
dienst eine ganze Menge getan. Bisher wurden 100 Pro-
zent der Referendarinnen und Referendare wie Richter
ausgebildet und die Tatsache, dass sie in einen rechts-
beratenden oder rechtsgestaltenden Beruf gingen, wurde
hintangestellt. Wir hingegen tragen der Realität Rech-
nung, nämlich dass 80 bis 90 Prozent dieser jungen Men-
schen später einmal in einen rechtsgestaltenden Beruf ge-
hen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben gerade der Ausbildung der Anwälte ein viel

größeres Gewicht beigemessen. Das Gute hieran ist, dass
wir uns dabei alle einig sind: Die Länder, die Kolleginnen
und Kollegen von der CDU/CSU und selbst Herr Funke
und die FDP sind der Meinung, dieser Weg sei richtig.

Ich möchte eines hervorheben: Gerade der Kollege
Funke hat uns bei den sehr guten Berichterstatter-
gesprächen darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit ge-
schaffen werden soll, dass während der Anwaltstation
auch in einem anderen rechtsgestaltenden Beruf ausgebil-
det werden kann. Vielen Dank, Herr Funke!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Umso mehr bedaure ich, dass Sie heute nicht mit uns stim-
men.

Wir wollen natürlich auch, dass sich die Anwaltschaft
sehr viel stärker beteiligt. Denn auch hier gilt: Wer letzt-




Dr. Rupert Scholz
22548


(C)



(D)



(A)



(B)


lich prüft, der soll auch lehren. Die Anwälte sollen also
mehr machen, als sie bisher getan haben, sich stärker en-
gagieren. Deswegen werden wir sie da in die Pflicht neh-
men. Ich sage auch sehr deutlich: Wir werden beobachten,
ob sich die Anwälte in die Pflicht nehmen lassen und wie
weit die Anwaltschaft diesen Weg, den wir vorgezeichnet
haben und den sie eigentlich auch selbst will, mitgeht.

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, verehrtes
Publikum, das Sie uns die Ehre geben, heute Abend bei ei-
ner zukunftsweisenden Gesetzgebung zuzuhören, wir
wollen letztlich auch, dass Richterinnen und Richter künf-
tig nicht mehr nur – meistens wird dies ja nicht getan – da-
ran gemessen werden, ob sie einen Sachverhalt vernünf-
tig subsumieren können. Wir wollen, dass sie mehr
können, dass Richterinnen und Richter ihrer sozialen Auf-
gabe gegenüber den Menschen, die vor ihnen, vor dem so
genannten Richterstuhl stehen und auf ihr Urteil warten,
gerecht werden.


(Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Sehr gut!)

Wir wollen, dass sie nicht nur lernen, ein Urteil zu spre-
chen, sondern dass sie lernen und wissen, wie man einen
solchen Prozess gestaltet und führt, damit letztlich ein
Rechtsfrieden, eine Befriedung der beteiligten Parteien
eintreten kann. Die Richterinnen und Richter müssen ne-
ben den anderen Befähigungen zum Richteramt soziale
Kompetenz – so nennen wir es schlicht und einfach – ha-
ben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Rainer Funke [FDP]: Die müssen sie schon heute haben! – Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Die sollen mal einen Blaumann anziehen!)


Deswegen haben wir dies in den Gesetzentwurf ge-
schrieben, Herr Funke, damit es für jeden deutlich wird.
Ich weiß, dass die Bundesländer dieses unser Anliegen
sehr ernst nehmen und darauf achten werden. Wir sind
überzeugt, dass wir dann auch genau das erreichen, wo-
rüber wir uns bei der Reform der Zivilprozessordnung
schon gestritten haben, dass nämlich Prozesse sachge-
rechter, schneller und bürgerfreundlicher erledigt werden.

Ich möchte noch eines sagen: Ich bin sehr sicher, dass
wir nicht noch einmal 200 Jahre warten können – wir ja
sowieso nicht –,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Selbst ich nicht!)


bis wir die nächste Juristenausbildungsreform angehen.
Wir werden beobachten, wie sich diese Welt und die Zeit
entwickeln. Wir sind bereit. Sollten weitere Reformen er-
forderlich sein, werden wir sie angehen.

Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich hoffe, ich habe Sie zu dieser Stunde noch einmal et-
was wachgerüttelt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich denke, es war eine hervorragende Debatte. Gestatten
Sie mir bitte noch ein letztes Wort: Ich finde es enorm und

außergewöhnlich, wie gut wir hier zusammengearbeitet
haben. Das zeigt, dass der Bundestag – als das wichtigste
Verfassungsorgan – und ein weiteres Verfassungsorgan
mit diesem wichtigen Gesetz etwas wirklich Zukunfts-
weisendes und Gutes geschaffen haben. Dafür allen mei-
nen herzlichen Dank.

Nun könnt ihr zu Genscher gehen und feiern.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422717000
Wir kommen nun zur
Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und
des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzent-
wurf zur Reform der Juristenausbildung auf Drucksache
14/7176. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/8629,
den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist damit bei Stimmenthaltung der PDS und ge-
gen die Stimmen der FDP in zweiter Beratung angenom-
men.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf
ist bei gleichem Stimmenverhältnis wie vorhin in dritter
Beratung angenommen.

Ich danke für Ihre Zustimmung und darf sagen, dass
ich mich freue, bei dieser Abstimmung präsidieren zu
können. Ich habe in meinem juristischen Leben sehr viele
Stunden mit vielen Reformen zugebracht. Ich freue mich
daher, dass diese Reform jetzt auf den Weg gebracht
wurde. Ich bedanke mich herzlich dafür.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Abstimmung über die Beschlussempfehlung des
Rechtsausschusses zu dem von der Fraktion der FDP ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Reform der Juristenaus-
bildung auf Drucksache 14/2666. Der Rechtsausschuss
empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 14/8629, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
gegen die Stimmen der FDP angenommen.

Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten
Gesetzentwurf zur Änderung des Deutschen Richter-
gesetzes und der Bundesrechtsanwaltsordnung auf Druck-
sache 14/7463. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter
Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
14/8629, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist bei Enthaltung der PDS abgelehnt. Damit




Alfred Hartenbach

22549


(C)



(D)



(A)



(B)


entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Bera-
tung.

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Rainer Brüderle, Hildebrecht Braun

(Augsburg), Jörg van Essen und weiterer Abge-

ordneter der Fraktion der FDP
Bundeskartellamt personell stärken
– Drucksachen 14/5575, 14/8134 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Kutzmutz

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die FDP
fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Uwe Jens das Wort für die SPD-Fraktion.


Prof. Dr. Uwe Jens (SPD):
Rede ID: ID1422717100
Frau Präsidentin! Ich möchte
zunächst den Zusammenbruch des Holzmann-Konzerns
sehr bedauern. Wenn Elefanten fallen, geschieht dies mit
großer Lautstärke. Kleine Unternehmen sterben bekannt-
lich lautlos. Die Bauwirtschaft hat heute Abend ein großes
Opfer zu beklagen. Diese Besorgnis erregende Entwick-
lung können wir nur mit Bedauern zur Kenntnis nehmen.
Es ist deutlich geworden: In unserer offenen Gesellschaft
sterben auch große und nicht nur kleine und mittlere Un-
ternehmen.

Der Antrag der FDP, in dem mehr Personal für das
Kartellamt gefordert wird, beachtet aus meiner Sicht die
Tatsache nicht, dass es nicht auf die Zahl der Beschäf-
tigten im Kartellamt ankommt, sondern auf die Qualität
ihrer Arbeit, die in diesem Amt bekanntlich recht gut ist.


(Gudrun Kopp [FDP]: Aber es muss mehr Arbeit geleistet werden!)


Die Masse alleine macht es nicht.

(Walter Hirche [FDP]: Aber ein paar Leute mehr müssen schon sein, lieber Herr Kollege Jens!)


Wir werden also die Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses annehmen und den Antrag damit ablehnen.


(Gudrun Kopp [FDP]: Das überrascht uns!)

Das Amt braucht in der Tat über eine längere Frist ge-

sehen etwas mehr Personal, insbesondere wenn es end-
gültig die Kompetenzen hat, sich verstärkt um den Strom-
und Gasmarkt zu kümmern, und insbesondere auch dann,
wenn möglicherweise langfristig die Regulierung für Post
und Telekommunikation beim Kartellamt und nicht mehr
bei der Regulierungsbehörde angesiedelt sein wird. Das
wäre aus meiner Sicht langfristig eine gute Perspektive.


(Gudrun Kopp [FDP]: Und was machen wir bis dahin?)


Vor allem für den Strom- und Gasmarkt ist es notwendig,
die sofortige Vollziehbarkeit von Beschlüssen des Kartell-
amtes einzuführen und möglicherweise auch die Beweis-
last umzukehren. All dies wird zu mehr Personal führen,
wenn die Kompetenzen dort sind. Zurzeit ist die Perso-
nalaufstockung nach meiner Meinung wirklich keine so
gute Idee.

Wir haben auch die Tatsache zu berücksichtigen, dass
sich nicht nur das Kartellamt um Wettbewerb kümmert,
sondern vor allem auch die Generaldirektion IV in Brüssel.
Herr Monti hat aus meiner Sicht bisher sehr gute Arbeit
geleistet.


(Gudrun Kopp [FDP]: Ach, dann brauchen wir nichts mehr zu tun?)


Die Öffnung des Telekommunikationsmarktes und
auch die anfängliche Öffnung des Strommarktes haben zu
Preissenkungen geführt. Man muss darauf achten, dass
der entstandene Wettbewerb nun nicht etwa durch neue
Monopolbildung auf diesem Markt kaputtgemacht wird.


(Gudrun Kopp [FDP]: Eben! Wer soll aufpassen? Wer soll das machen? – Walter Hirche [FDP]: Alles gegen den erbitterten Widerstand der SPD-Fraktion!)


Ich hoffe sehr, dass es auch in Zukunft bei „Call-by-Call“-
Ortsgesprächen zu einem Wettbewerb kommen wird, wie
wir ihn für Ferngespräche bereits kennen. Der Widerstand
gegen die weitere Öffnung ist nun wirklich zuerst – das
muss man zugeben, wenn man fair ist – in Frankreich zu
suchen, nicht etwa in der Bundesrepublik Deutschland.
Das kann man nicht behaupten.


(Walter Hirche [FDP]: Es geht mir um die bisherigen Schritte! Da waren Sie gegen alles!)


Meine Damen und Herren, die Unternehmen wollen
alle immer gerne weniger Wettbewerb, aber das muss
man als Politiker immer wieder deutlich brandmarken.
Das kann nicht sein. Wer ein Monopol hat, möchte es
natürlich am liebsten behalten. Das ist menschlich allzu
verständlich, aber wir müssen dafür sorgen, dass der Wett-
bewerb nicht einschläft, sondern immer wieder neu belebt
wird.

Erlauben Sie mir, noch einmal drei relativ banale Er-
kenntnisse vorzutragen:

Erstens. Der Wettbewerb, den wir hier in Deutschland
kennen und der, wie man gesehen hat, in der Bauwirt-
schaft ruinös ist, wird nicht etwa nur durch Wettbewerbs-
politik gesichert, auch nicht allein durch das Kartellamt
oder allein durch Herrn Monti. Wenn wir den Wettbewerb
erhalten wollen, was für die Entwicklung unserer Gesell-
schaft und unserer Wirtschaftsordnung elementar wichtig
ist,


(Gudrun Kopp [FDP]: Eben!)

müssen wir uns mehr und verstärkt um kleine und mittlere
Unternehmen kümmern.


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Das erzählen wir jeden Sonntag! – Gudrun Kopp [FDP]: Das sagen Sie mal Ihrer eigenen Regierung!)





Vizepräsidentin Anke Fuchs
22550


(C)



(D)



(A)



(B)


Das werden wir in Zukunft tun. Wir müssen die Wirt-
schafts- und Steuerpolitik so gestalten, dass sie Kleine
und Mittlere begünstigt und Große gegenüber Kleinen
und Mittleren eher benachteiligt.

Zweitens. Der Zeitgeist schwankt bekanntlich stets
sehr stark, aber die Lösungen, die in Japan zur Sicherung
der wirtschaftlichen Entwicklung zurzeit getätigt werden
oder früher getätigt wurden, sind keine rationalen, ver-
nünftigen Lösungen. Wir brauchen in Deutschland mehr
Dynamik und wir brauchen mehr Investitionen und Inno-
vationen durch Wettbewerb.

Die Tatsache, dass der Wettbewerb leider immer weni-
ger Interessenvertreter hat, auch hier im Deutschen Bun-
destag, erfüllt mich besonders mit Sorge. Der Wettbewerb
hat in keiner Partei mehr eine echte Lobby – das ist be-
dauerlich–,


(Gudrun Kopp [FDP]: Was ist „eine echte Lobby“?)


die sich intensiv für Wettbewerb einsetzt, mit allen Kon-
sequenzen, ohne Wenn und Aber.


(Gudrun Kopp [FDP]: Auch dafür braucht man Personal!)


Es gibt nämlich einige unumstößliche ökonomische Tat-
sachen. Zum Beispiel haben offene Märkte bisher dazu
beigetragen, dass der Wohlstand in unserer Gesellschaft
enorm gestiegen ist.


(Walter Hirche [FDP]: Sehr gut!)

Wir haben für das letzte Jahrhundert, von 1920 bis 1939,
eine Phase des Protektionismus festzustellen. Am Ende
dieser protektionistischen Phase standen der Krieg und
die Ausdehnung der Armut in der gesamten Welt. Seit
1950 gab es eine Phase der Marktöffnung, des Wettbe-
werbs und des internationalen Handels. Am Ende dieser
Phase stand ein Wohlstand, wie wir ihn in diesem Lande
bisher noch nie erlebt haben.

Meine Damen und Herren, wenn wir den Wettbewerb
fördern, dann fördern wir gewissermaßen auch die Sen-
kung der Preise. Dann tun wir etwas für kleine und mitt-
lere Unternehmen. Dann sorgen wir für mehr Investitio-
nen und Neuerungen in der Wirtschaft. Dann begrenzen
wir sozusagen die Macht der großen Konzerne und tun
auch etwas gegen Korruption in der Wirtschaft. Dort, wo
der Wettbewerb funktioniert, hat Korruption aus unserer
Sicht keine Chance.

Meine Damen und Herren, es kommt nun aber nicht
darauf an, die Bürokratie groß aufzublähen. Es kommt da-
rauf an, eine offene Gesellschaft mit möglichst viel Wett-
bewerb zu erhalten. Lassen Sie uns in Ruhe darüber nach-
denken, was getan werden muss und was nicht getan
werden darf.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422717200
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Hartmut Schauerte.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1422717300
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Wenn es wirklich so ist, wie
die Nachrichten jetzt lauten, dann ist der Zusammenbruch
des Holzmann-Konzerns für die vielen Tausend Mitar-
beiter und ihre Familien, für die vielen Tausend Zuliefer-
betriebe und für die vielen anderen, die mitgewirkt haben,
eine sehr bedrückende Nachricht.


(Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Ja!)

Die betreffenden Personen haben unser ganzes Mitgefühl
verdient.

Aber bei dieser traurigen Gelegenheit darf man ja
schon einmal daran erinnern, dass mit der damaligen Ret-
tungsaktion durch den Bundeskanzler


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Das hätten Sie sich jetzt aber sparen können!)


so etwas wie ein Ruck durch das Land ging und dem Bun-
deskanzler eine ganz neue Wirtschaftskompetenz zu-
wuchs. Auch das Versprechen, das er damals gemacht hat,
und die Hoffnungen und Erwartungen, die er damals ge-
weckt hat, hat er nicht halten können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Weiermann [SPD]: Das hätten Sie sich jetzt aber sparen können!)


Es ist auch eine wichtige Mahnung an die Politik, den
Mund in solchen Fragen nicht zu voll zu nehmen und sich
mit solch schwierigen Prozessen sehr zurückhaltend und
vernünftig zu befassen.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422717400
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Urbaniak?


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1422717500
Gerne.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422717600
Bitte sehr, Herr
Kollege.


Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID1422717700
Herr Kollege
Schauerte, die damalige Situation war davon geprägt,
dass, wenn nichts getan worden wäre, der ganze Konzern
zusammengebrochen wäre. Der Bundeskanzler ist gebe-
ten worden einzugreifen. Flugs haben sich die Ober-
bürgermeisterin von Frankfurt und der Ministerpräsident
von Hessen schnell neben ihn gestellt und gesagt, dass
sein Vorgehen richtig sei. Dem Unternehmen ist damals
eine Chance eingeräumt worden, durch eigene Sanierung
und entsprechende Maßnahmen die Grundlagen dafür zu
schaffen, im Wettbewerb zu bleiben. Mehr konnte der
Kanzler nicht tun.

Jetzt sind es die Banken, die sich – bis auf eine ganz
große – zurückziehen und sagen: Wir wollen mit diesem
Laden nichts mehr zu tun haben.


(Walter Hirche [FDP]: Mit dieser Entscheidung hat Schröder viele mittelständische Baubetriebe ruiniert! Das ist doch die Wahrheit!)


Sie tun dies, ohne gründlich zu prüfen, ob nicht doch
noch ein Konsens möglich ist, um dieses Unternehmen




Dr. Uwe Jens

22551


(C)



(D)



(A)



(B)


weiterführen zu können. Ansonsten denke ich wie Sie,
dass ein ordnungsgemäßes Konkursverfahren nicht be-
deuten muss, dass alle Arbeitsplätze verloren gehen. Kann
ich davon ausgehen, dass Sie diese Einschätzung teilen?


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Nein!)



Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1422717800
Also, das können
Sie natürlich nicht. Denn Sie wissen, dass diese Entschei-
dung schon damals in großem Umfang und mit guten
Gründen heftig kritisiert wurde. Aber losgelöst von der
materiellen Entscheidung sage ich Ihnen: Was ich ange-
griffen habe und kritisiere, ist, dass sich der Bundeskanz-
ler als Retter eines Unternehmens aufgespielt hat und sich
feiern ließ, dass man sich aber nun zurückzieht und sagt:
Es sind die Banken. Wer sich damals für diese vermeint-
liche Rettung mit der falschen Methode so hat loben las-
sen, der muss nun auch erklären, dass seine damalige
Konzeption, mit der Rettung auch seine Kompetenz zu
begründen, gescheitert ist. Er muss seine Versprechen
zurücknehmen und sich bei denen, denen er falsche Hoff-
nungen gemacht hat, entschuldigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das war nicht korrekt, das war eitel und ein Profitschla-
gen auf politischer Ebene aus einer schwierigen Situation
eines Unternehmens. Deshalb habe ich diese nachdenk-
lichen Bemerkungen mit Fug und Recht gemacht.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422717900
Und nun kommen wir
zum Thema: Bundeskartellamt personell stärken.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1422718000
Man kann natür-
lich das Thema Wettbewerb in der Bauwirtschaft an die-
sem Thema festmachen, ob dies nun fair und korrekt war,
warum das Unternehmen so groß werden musste und ob
nicht durch solche großzügigen Finanzierungshilfen auch
ruinöser Wettbewerb zulasten vieler kleiner Unternehmer
losgetreten wurde. Man könnte diese beiden Themen gut
miteinander verbinden, ich möchte jedoch beim Antrag
bleiben.

Wir beschäftigen uns beim Thema Bundeskartellamt
nicht mit irgendeiner Behörde, sondern mit einer Behörde
unseres Staatswesens, die so dringend gebraucht wird wie
nur was und der man gar nicht genug Kompetenz und Ver-
antwortung übertragen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Gerade in einer Zeit, in der sich die Wirtschaftsabläufe

beschleunigen, in der Konzentrationen zunehmen, in der
es technologische Sprünge gibt, woraus sich ganz neue
Strukturen ergeben, sind die Gefahren dafür, dass aus
Marktwirtschaft Machtwirtschaft wird, unglaublich viel-
fältig.


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Dies gilt nicht nur im Energiebereich, nicht nur bei

Strom, Gas oder Wasser, worüber wir im Moment so viel
reden, sondern auch in so vielen anderen Bereichen wie
etwa dem Lebensmitteleinzelhandel oder der Luftfahrt.
Schauen Sie sich einmal an, welche Monopolstrukturen

und welches Preisdiktat wir immer noch im innerdeut-
schen Luftverkehr haben.

Wir können in die vielfältigsten Bereiche hineingehen:
Wir brauchen überall intelligente Kartellwächter, die
dafür sorgen, dass Kartellabsprachen unterbleiben, dass
Wettbewerb funktioniert und wir ein vernünftiges Spiel-
feld haben, auf dem die Regeln eingehalten werden.

Die Aufgabenvermehrung ist enorm. Diese ist auch
nicht von Interessenvertretern herbeigeredet, die sich eine
große Behörde zimmern wollen, sondern wirklich vor-
handen. Wir in der Politik haben viel dazu beigetragen.


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Zu den Aufgaben gehört zum Beispiel die stärkere Durch-
setzung des Wettbewerbs in den monopolisierten Märkten
für Energie sowie bei den gesetzlichen Mitwirkungs-
pflichten bei Post, Telekommunikation und Bundes-
bahn.Wir stecken doch überall zurück. Wir kommen nir-
gendwo richtig weiter. Dies ist lähmend.

Ich behaupte hier, dass ein Stück des Misserfolgs der
rot-grünen Wirtschaftspolitik gerade auch auf dieser man-
gelnden Bereitschaft, wirklich für Wettbewerb einzutre-
ten, auch harte Entscheidungen zu treffen und zuzulassen,
beruht. Weil der Wettbewerb nicht richtig geregelt worden
ist, sind Wachstumskräfte nicht ausreichend entwickelt
und losgetreten worden.

In der Binnenwirtschaft haben wir im Grunde ge-
nommen ein Schrumpfen des wirtschaftlichen Wachs-
tums. Wenn der Export um 6 Prozent wächst und wir ge-
samtwirtschaftlich nur einen Zuwachs von 0,6 Prozent
haben, muss im binnenwirtschaftlichen Bereich ein Mi-
nus von 2 oder 3 Prozent stehen, sonst kämen wir nicht auf
einen solchen Durchschnittswert. Dies alles sind Ergeb-
nisse von Verstößen gegen glaubwürdig gelebten Wettbe-
werb. Um hier etwas zu ändern, bedarf es aber einer rich-
tig ausgestatteten Behörde.

Ich könnte noch viele andere Bereiche nennen. Wir ha-
ben auch im GWB neue Ansätze wie die Untereinstands-
preisvorgänge. Wir wollen all diese Dinge ernst nehmen
und verfolgen. Diese können aber nicht richtig umgesetzt
werden, weil dieses Amt keine ausreichende Personal-
decke bekommt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn ich dies noch einmal auf die wesentlichen

Punkte zurückführen darf: Wir müssen alle miteinander
– Uwe Jens, bei der Einschätzung der Bedeutung dieser
Frage sind wir gar nicht so weit auseinander – alles tun,
damit die Unabhängigkeit diese Behörde so groß wird wie
nur möglich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Leider sind hier schwere Fehler begangen worden,

zum Beispiel in Bezug auf Eon. Die Art und Weise, wie
um das Kartellamt herum, quasi in der Vorwegnahme ei-
ner Ministererlaubnis, die Glaubwürdigkeit des Kartell-
amts beschädigt worden ist, tut weh, besonders den Leu-
ten, die dem Kartellamt eine wichtige Aufgabe geben
wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)





Hans-Eberhard Urbaniak
22552


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich weiß, dass alle Rechtschaffenen, die auf diesem Ge-
biet arbeiten, genauso denken. Darin schließe ich auch
viele in der SPD ein. Dies tut wirklich weh. So etwas darf
nicht Schule machen und sich nicht wiederholen.

Beim Kartellamt bedarf es des Mutes zu klaren Ent-
scheidungen. Aber Mut nur einzufordern ist die eine Sa-
che. Ein Klima zu schaffen, in dem Mut wachsen kann, ist
die andere Sache. Da bedarf es dann der Zurückhaltung
der Politik.

Ich kann aber auch nur mutig sein, wenn ich mich ei-
nigermaßen stark aufstellen kann. Damit kommen wir zu
den Sach- und insbesondere den Personalmitteln.Wenn
wir in solchen Verfahren einmal gearbeitet haben, wissen
wir doch, mit welcher Kompetenz die jeweiligen Interes-
senvertreter – professoral unterstützt, von Hunderten
von Anwälten vorgearbeitet und vorgedacht – antreten,
um ihre Forderungen häufig gegen die Rechte des Wett-
bewerbs, gegen die Situation in der sozialen Marktwirt-
schaft, gegen wirkliche Marktwirtschaft durchsetzen zu
können. Denen sitzen dann wenige Beamte aus dem Kar-
tellamt gegenüber, die überhaupt keine Chance haben,
wirklich Widerstand zu leisten, intelligent zu reagieren
und die, die unanständige Anträge stellen, eindeutig und
klar zurückzuweisen und sie argumentativ zu zwingen,
ihre Positionen zu räumen. Das alles kann nicht ausrei-
chend stattfinden, wenn nicht ausreichend Personal da ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen, meine ich, müssen wir uns an dieser Stelle be-
wegen.

Ich verstehe die Scheu der Regierung auch nicht. Ich
weiß, Uwe, dass du in dieser Frage eigentlich so denkst
wie ich.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Nicht so persönlich!)


Du hast hier die Linie deiner Partei oder der Regierung
vorgetragen. Du selber weißt, dass wir mehr Personal im
Kartellamt brauchen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])


Wir haben ja darüber gesprochen. Wir haben das in die
Haushaltsberatungen eingebracht. Die CDU/CSU hatte
einen Antrag mit 40 neuen Stellen, die wir schaffen woll-
ten, weil wir meinen, dass das nötig wäre. Die FDP ver-
langt nun 50 bis 55 Stellen. Ich schaue jetzt nicht im Ein-
zelnen in die Personalplanung hinein; das muss auch nicht
unsere Aufgabe sein. Was sein muss: Das Kartellamt muss
von den Personaleinsparungen ausgenommen werden.
Es braucht wegen der neuen Aufgabe, wegen der vielen
liegen gebliebenen Fragestellungen von großer Bedeu-
tung, jetzt zusätzliches Personal.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir könnten es uns leicht machen und könnten sagen:

Wir klagen einfach nur an, dass ihr das nicht macht, und
lassen das einmal liegen; wenn wir dann nach dem
22. September die Regierung stellen, machen wir das.


(Hans-Eberhard Ubaniak [SPD]: Hab mal keine großen Hoffnungen!)


Das wäre aber wieder verlorene Zeit. Die Fragen, die
nicht gelöst werden können, brennen. Deswegen meine
Bitte an Sie von der Regierung und von der SPD: Stellen
Sie sich doch diesem Thema.

Wir wissen, dass die Kosten für diese Personalstellen
vom Kartellamt selbst verdient werden – sogar mehr als
selbst verdient werden. Das Kartellamt hat fast 60 Milli-
onen DM Einnahmen erwirtschaftet und hat etwa 30 bis
35 Millionen DM Kosten verursacht. Das ist also keine
Forderung, die die Kostenlage des Bundeshaushalts ver-
schlechtern würde. Ich bin sogar der Meinung, ein mit zu-
sätzlichem Personal ausgestattetes Kartellamt würde,
weil es konsequenter vorgehen und Verstöße klarer auf-
decken kann, das, was es mehr kosten würde, an zusätzli-
chen Gebühren einnehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Umso weniger kann ich verstehen, dass man sich hier so
sträubt. Es ist ein mehr als sich selbst finanzierendes Sys-
tem. Warum geben wir ihm nicht die Mittel, die es
braucht, um im Interesse von Markt, von Arbeitsplätzen,
von Wachstum und von geordneten Verhältnissen das
Nötige zu tun?


(Walter Hirche [FDP]: Die Frage muss man an die SPD richten!)


Ich habe ein Feld noch gar nicht angesprochen. Wir ha-
ben eine enorm große Aufgabenstellung im Bereich der
Europäischen Union; denn wir müssen jetzt zu wirklich
europaeinheitlichen Regeln kommen, die passen. Da
muss sich Deutschland einbringen. Wir waren die Mutter
des Wettbewerbsrecht in Europa. Es ist eine Erfindung der
sozialen Marktwirtschaft in den 50er-Jahren. Wir haben
es unseren europäischen Partnern in den Prozessen nahe
bringen können. Wir haben nach wie vor die allergrößte
Kompetenz in diesen Fragen. Wenn wir das, was da gut
ist, europaweit verankern wollen, dann müssen wir unsere
Mannschaft so aufstellen, dass sie diese Ideen nach vorne
transportieren kann, dass wir hier wirklich etwas errei-
chen und dass wir wirklich das europaweite „level play-
ing field“ bekommen, das wir in nahezu allen Fragen
brauchen. Wir stolpern und hoppeln doch von einem
Thema zum anderen, bekommen nichts geregelt. Es geht
wichtige Zeit verloren. Ich meine, das ist nicht ange-
bracht. Wir sollten diesem Antrag zustimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich sage das gar nicht mit dem Gedanken „Wer hat hier

Recht und wer hat hier nicht Recht“. Wir tun der sozialen
Marktwirtschaft in Deutschland, der Entwicklung eines
europäischen Binnenmarktes, den man dann wirklich
nach einheitlichen Regeln beobachten und bearbeiten
kann, einen unschätzbaren Dienst, wenn wir schnell das
nötige Personal beim Kartellamt schaffen. Ich hoffe, das
wird kein vergeblicher Appell sein. Wenn Sie heute nicht
zustimmen, bringen Sie morgen einen Antrag ein. Wir
sind auch bereit, noch einmal neu darüber zu beraten.
Wenn es der Sache dient, gehen wir jeden Weg mit, weil
wir auf die Lösung dieses Fragenkomplexes brennen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)





Hartmut Schauerte

22553


(C)



(D)



(A)



(B)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422718100
Für Bündnis 90/Die
Grünen erteile ich dem Kollegen Werner Schulz das Wort.

Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kol-
lege Schauerte, Ihr Mitleid mit dem zusammengebroche-
nen Baukonzern Holzmann hatte einen schalen
Beigeschmack. Da Sie das Bedauern darüber mit einem
Angriff auf den Bundeskanzler verbunden haben, kann ich
Ihnen nicht abnehmen, dass es sehr herzlich gemeint war.


(Zuruf von der CDU/CSU: Man muss doch über die Ursachen reden dürfen!)


Kollege Urbaniak, es war nicht nur so, dass sich die
Oberbürgermeisterin von Frankfurt und der Held von
Wiesbaden auf das Abschlussbild, das auf dem Balkon ge-
macht wurde, gedrängt haben, sondern es war tatsächlich
so, dass der Bundeskanzler erst dann eingegriffen hat,
nachdem diese beiden es nicht geschafft hatten, den Kon-
zern Holzmann zu retten.


(Beifall des Abg. Wolfgang Weiermann [SPD] und des Abg. Hans-Eberhard Urbaniak [SPD])


Es ist die Wahrheit, dass sich alle darum bemüht haben.
Kollege Hirche, das war kein Staatsinterventionismus;

denn an Holzmann hingen auch sehr viele kleine Subauf-
tragnehmer.


(Gudrun Kopp [FDP]: Viele kleine Betriebe, die alle kaputtgegangen sind!)


Wir haben also viele kleine und mittelständische Betriebe
gerettet, die Gefahr liefen, von einem taumelnden Riesen
erschlagen zu werden. Diese haben Zeit gewonnen, aus
dieser Krise herauszukommen. Der Konzern Holzmann
hat die Zeit, die ihm der Bundeskanzler verschafft hat,
nicht genutzt. Das ist auch eine Lehre, die wir heute zie-
hen müssen.


(Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Er hat ihm ja nur eine Chance eingeräumt!)


– Richtig, so sehe ich das auch.
Meine Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen, tritt dafür

ein, dass das Bundeskartellamt in seiner unabhängigen
Stellung gestärkt wird. Deshalb ist es auch gut, dass kürz-
lich eine neue Beschlussabteilung mit zusätzlichem
Personal eingerichtet wurde, die sich mit der Durchlei-
tung im Strombereich befasst. Gleichzeitig bleibt die
bisher für die Energiewirtschaft zuständige 8. Beschluss-
abteilung bestehen. Sie kann sich nun auf andere Fragen
der Energiewirtschaft, insbesondere auf die Fusionskon-
trolle, konzentrieren.

Diese Beschlussabteilung hat erst kürzlich mit der Un-
tersagung der beantragten Fusion von Eon und Ruhrgas
ein Dokument ihrer Sachkunde und Kompetenz vorge-
legt. Darin hat das Kartellamt klar darauf hingewiesen,
dass eine solche Fusion den Wettbewerb auf dem Strom-
und Gasmarkt zulasten der Innovationsfähigkeit der Un-
ternehmen am Standort Deutschland, zulasten der Ver-
braucherinnen und Verbraucher und auch zulasten der
Umwelt weiter einschränken würde. Ich weiß deswegen

nicht, welche gesamtwirtschaftlichen Interessen eine Fu-
sion trotz dieser negativen Effekte rechtfertigen sollten.


(Walter Hirche [FDP]: Ich bin schon gespannt darauf, was Sie sagen, wenn die Bundesregierung sie genehmigen wird!)


Kollege Hirche, Bündnis 90/Die Grünen treten für den
regulierten Wettbewerb ein; bei der Telekommunika-
tion, beim Gas, bei der Stromversorgung, beim Schienen-
verkehr und beim öffentlichen Personennahverkehr. Wett-
bewerb soll jeweils so zum Tragen kommen, dass er die
Bereitstellung von hochwertigen Dienstleistungen für die
Bürgerinnen und Bürger in ökologisch sinnvoller Weise
unterstützen kann.

Die Europäische Kommission steht mit ihrer Politik für
eine faire Wettbewerbsordnung in der Europäischen
Union. Wir unterstützen sie bei ihrer Arbeit und setzen uns
dafür ein, dass bei dem Rechtsgrundlagen für die Vergabe
öffentlicher Aufgaben der Europäischen Union ökologi-
sche und soziale Normen zum Kriterium gemacht wer-
den. Es würde nämlich niemandem etwas nützen, wenn
wir versuchten, globale Spieler mit Monopolrenten auf
dem deutschen Markt aufzubauen. Die Ergebnisse wären
weniger Kreativität und weniger Innovation.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das spricht doch alles für den Antrag, Herr Schulz! Da sind wir einer Meinung!)


So werden moderne Technologien dezentral entwickelt.
Kleine und mittlere Unternehmen entwickeln moderne
Lösungen und vernetzen sich, um sie global zu vermark-
ten. Zentrale Kriterien sind dabei die Serviceorientierung
und die Nähe zum Kunden.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das spricht alles für den Antrag!)


Wir brauchen eine klare Wettbewerbsorientierung, um
unser Land für die Zukunft fit zu machen und die Innova-
tionen voranzubringen. Dafür brauchen wir – auch ge-
genüber der Europäischen Union – keine staatliche Stär-
kung und Unterstützung der Industriepolitik.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Dann schauen Sie bei Ruhrgas einmal hin!)


– Kollege Schauerte, wenn Sie sich mit der Geschichte der
Fusionskontrolle und des Kartellrechts beschäftigt hätten,
dann hätten Sie festgestellt, dass die SPD die Fusions-
kontrolle ins Kartellrecht eingefügt hat. Das sage ich auch
an die Adresse der FDP. Sie müssen sich wirklich nicht als
die große Hüterin des Wettbewerbs aufspielen.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das war eine Sache der CDU/CSU!)


Es ist uns wichtig, entschieden gegen die Vermarktung
der Märkte vorzugehen. Das gilt in vielerlei Hinsicht. Ich er-
wähne hier nur die Gruppenfreistellungsverordnung und
erinnere an andere Punkte, die in der letzten Zeit umgesetzt
wurden. Deswegen unterstützen wir die Politik der Kom-
mission in der Frage der Wettbewerbsordnung in Europa.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Die Koalition ist gerettet, aber dem Wettbewerb wird nicht geholfen!)







(C)



(D)



(A)



(B)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422718200
Für die FDP-Fraktion
erteile ich der Kollegin Gudrun Kopp das Wort.


Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1422718300
Frau Präsidentin! Sehr geehrte
Herren und Damen! Das Wettbewerbsrecht ist das Grund-
gesetz unserer modernen Marktwirtschaft und verdient es
wirklich, geschützt, gehegt und gepflegt zu werden. Aber
Sie alle wissen, dass das Bundeskartellamt inzwischen
kaum noch handlungsfähig ist. Ihm fehlt es an Personal,
an gezielter und laufender Mitarbeiterqualifikation und
auch an technischer Ausstattung.

Wie kommen wir darauf? Ich möchte Ihnen steigende
Fallzahlen – ich glaube, das wird keiner bestreiten –, fest-
gebundene Kernaufgaben, den Aufbau der neuen Be-
schlussabteilung für den Gasbereich und die Notwendig-
keit der Einrichtung einer neuen Vergabekammer – auch
das ist wichtig – nennen. All diese Aufgaben erfordern im
Interesse der Qualität der Arbeit im Bundeskartellamt
eine deutliche Personalaufstockung.


(Beifall bei der FDP)

Sie alle wissen: Es gibt diverse Streitfälle zwischen Po-

litik, Wirtschaft und Bundeskartellamt. Ich nenne hier nur
ein paar Stichworte: die Übernahme von Ruhrgas durch
Eon, die Untersagung des Verkaufs des Kabelnetzes durch
die Telekom an Liberty, der Streit um die Flugstrecke Ber-
lin–Frankfurt zwischen Lufthansa und Germania oder das
Vorgehen des Kartellamtes gegen das Entsorgungssystem
Grüner Punkt – Duales System Deutschland.

Wir wissen ebenfalls, dass das Bundeskartellamt in ab-
sehbarer Zeit mit weiteren Aufgaben im Bereich des Ge-
sundheitswesens, der Entsorgungswirtschaft und der
Wasserwirtschaft betraut sein wird. Bei all den Kar-
tellordnungswidrigkeiten kommt es infolge von Personal-
not schon heute zu deutlichen Verzögerungen bei den Be-
arbeitungszeiten. Längere Bearbeitungszeiten erzeugen
Rechtsunsicherheit.


(Beifall bei der FDP)

Dies verstärkt den Anreiz zu wettbewerbswidrigem

Verhalten der Marktteilnehmer.
Herr Schauerte, Sie haben eben angeführt, dass das

Bundeskartellamt durch eine Personalaufstockung profi-
tieren könnte, ohne dass Kosten entstünden. Ich habe
noch eine weitere Möglichkeit der Finanzierung anzu-
bieten. Wir wissen, dass das Bundeswirtschaftsministe-
rium seit 1998 erhebliche Kompetenzen abgegeben hat,
ohne dass dort im selben Atemzug Personal abgebaut
wurde. Immerhin 130 Mitarbeiter des höheren Dienstes
und 150Mitarbeiter des gehobenen Dienstes werden nach
wie vor am Bonner Standort beschäftigt. In dieser Situa-
tion machen wir den Vorschlag, zunächst einmal 25 Mit-
arbeiter des höheren Dienstes und 30 Mitarbeiter des ge-
hobenen Dienstes vom BMWi zum Bundeskartellamt
abzuordnen.


(Beifall bei der FDP)

Dies wäre eine Maßnahme, die sofort und kostenneutral
stattfinden könnte, sodass wir unterm Strich finanziell
profitieren könnten.


(Walter Hirche [FDP]: Genau!)


Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn dieses ganze Haus
– auch Herr Professor Jens hat es gesagt – dafür ist, dass
unsere Wettbewerbsstrukturen nicht nur erhalten, sondern
für die Zukunft auch gestärkt werden sollen, dann bleibt
gar keine andere Möglichkeit, Herr Professor Jens, als
diesem Antrag der FDP-Bundestagsfraktion auf perso-
nelle Stärkung des Bundeskartellamtes zuzustimmen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dafür werbe ich in diesem Haus und bedanke mich
schon jetzt für Ihre Einsichten.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS] – Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Haben wir nicht!)


– Das wäre schade.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422718400
Das Wort hat jetzt der
Kollege Rolf Kutzmutz für die PDS-Fraktion.


Rolf Kutzmutz (PDS):
Rede ID: ID1422718500
Herr Hirche, Sie müssen nicht
klatschen, wenn ich komme. – Sehr verehrte Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren! Die PDS unterstützt
den vorliegenden Antrag der FDP, das Bundeskartellamt
personell zu stärken.


(Gerhard Jüttemann [PDS]: Deswegen hat er geklatscht!)


Ich halte es für ein Unding, einerseits das Hohelied der Li-
beralisierung von Märkten zugunsten von Verbraucherin-
nen und Verbrauchern zu singen, aber andererseits das aus
meiner Sicht einzig effektive Instrument, das für fairen
Wettbewerb sorgt, immer mehr abzustumpfen.


(Beifall bei der PDS)

Unfairer Wettbewerb führt zu privaten Monopolen.

Diese sind letztlich für alle – Konsumenten, Beschäftigte
und Steuerzahler – langfristig gefährlicher – Herr Kollege
Jens wird mir sofort widersprechen – als abgeschottete,
aber zumindest öffentlich kontrollierte Märkte, wie es sie
früher, beispielsweise bei Infrastrukturdienstleistungen
von Post bis Strom, gab.

Jetzt etwas zum Stellenplan: Die Koalition hat im ver-
gangenen Jahr mit sehr viel Getöse vier Planstellen ent-
sperren und neu besetzen lassen. Zur gleichen Zeit büßte
das Amt per allgemeinem Sparerlass dieselbe Stellenzahl
wieder ein. Es war also ein Nullsummenspiel. Jetzt im
laufenden Jahr sollen noch einmal 1,5 Prozent der Stellen
wegfallen. Ich muss sagen: Wenn man acht Stellen feiert,
die man für die Durchleitung geschaffen hat, muss man
das gegenrechnen. Es bleibt dabei: Das Kartellamt wird
personell geschwächt,


(Gudrun Kopp [FDP]: Richtig!)

und das in einer Zeit, in der Wettbewerbskontrolle wich-
tiger denn je erscheint. Ich glaube aber, das passt der Bun-
desregierung offenbar auch in den Kram, sobald man Su-
permultis basteln möchte. Es wird dann sogar die
öffentliche Demontage einer der wenigen bisher tatsäch-
lich unabhängig agierenden Behörden in Kauf genom-
men.






(C)



(D)



(A)



(B)


Mir zumindest hat noch niemand ein übergeordnetes
volkswirtschaftliches Interesse erklären können, das eine
Staatssekretärserlaubnis für Eon im Fall Ruhrgas recht-
fertigen könnte. Aber ich bin lernfähig. Vielleicht be-
quemt sich ja das Bundeswirtschaftsministerium noch,
den Wirtschaftsausschuss des Bundestages aufzuklären,
bevor es zu einer Entscheidung kommt.

Die offenbar geplante Brüskierung des Kartellamts
würde allerdings zu seiner fortdauernden personellen
Auszehrung passen. Ich will auch deutlich sagen: Es hat
auch nichts mit Geld zu tun. Das Bundeskartellamt er-
wirtschaftet nicht nur seine Personalkosten, sondern
bringt auch etwas für den Haushalt ein. Auch das sollten
wir beachten. Mit der Fortdauer der Wildwestmethoden
beim Umbau der Energiemärkte scheint man sich abge-
funden zu haben. Anders ist die gestern im Ausschuss
wieder bekundete Hoffnung der Bundesregierung nicht zu
verstehen, nach Barcelona durch die EU einen größtmög-
lichen Spielraum bei der Gestaltung des Regulierungs-
rahmens zu bekommen.

Einen eigenständigen Regulierer will man nicht, ob-
wohl diese vernünftige Lösung in allen anderen EU-Staa-
ten praktiziert wird. Das Kartellamt darf nicht regulieren,
weil dies ein erheblicher Bruch gegenüber seinen eigent-
lichen Aufgaben wäre. Das Wirtschaftsministerium sollte
nicht regulieren, weil es nach allen Erfahrungen ein
höchst parteiischer Schiedsrichter wäre. Bleibt also
tatsächlich nur, Bonner Personal aus dem Wirtschaftsmi-
nisterium ins Kartellamt zu versetzen


(Beifall der Abg. Gudrun Kopp [FDP])

und unter dessen Dach eine von der Wettbewerbsüberwa-
chung getrennte unabhängige Regulierungsstruktur auf-
zubauen. Das ist eine Idee, mit der inzwischen auch
Minister Müller schwanger geht. Dafür bietet der FDP-
Antrag einen plausiblen Ansatz.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS sowie der Abg. Gudrun Kopp [FDP])



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422718600
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksa-
che 14/8134 zu dem Antrag der Fraktion der FDPmit dem
Titel „Bundeskartellamt personell stärken“.

Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksa-
che 14/5575 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Ursula Burchardt, Petra Bierwirth, Hubertus
Heil, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD sowie der Abgeordneten Winfried Hermann,

Franziska Eichstädt-Bohlig, Hans-Josef Fell, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Nachhaltige Wasserwirtschaft in Deutschland
– Drucksachen 14/7177, 14/8564 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Hubertus Heil

Ich eröffne die Aussprache. Alle Reden, mit Ausnahme
der Vertreterin der PDS, sind zu Protokoll gegeben.1) Ich
erteile der Kollegin Dr. Bärbel Grygier das Wort.


Bärbel Grygier (PDS):
Rede ID: ID1422718700
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Das Wasser hier vorne am Redepult und
das Wasser überhaupt verdienen heute Abend vielleicht
noch drei Minuten Aufmerksamkeit, denn morgen ist
Weltwassertag.


(Zuruf von der CDU/CSU: Es regnet schon!)


Ich denke, mit dem vorliegenden Antrag der Koalition
sowie mit der Novelle des Wasserhaushaltsgesetzes, über
die morgen beraten werden soll, ist dieser Weltwassertag
ein guter für dieses Land oder könnte es zumindest sein.


(Beifall bei der PDS)

Dass dieser Antrag eine sehr schwere Geburt hatte,

wissen die Kollegen der SPD sicher besser als ich, denn
hinter der Kulissen haben sehr viele gespielt, gezerrt, ge-
zogen und geschoben. An dieser Diskussion war auch das
Netzwerk „UnserWasser“ – eine sehr rührige NGO, be-
stehend aus Umweltverbänden, Gewerkschaften und Kir-
chen – beteiligt. Uns gegenüber stand wieder einmal die
Wirtschaft mit ihrem Minister, der das Motto vertritt: Li-
beralisierung um jeden Preis. Wir müssen feststellen: Nie-
mand kann derzeit daran vorbei, dass sich die Bundesre-
publik mit ihren überwiegend dezentralen und auch
kommunalen Strukturen flächendeckend durch eine sehr
hohe Versorgungssicherheit und eine außerordentliche
gute Trinkwasserqualität auszeichnet. Diese hält im
Übrigen allen internationalen Vergleichen stand, auch im
Hinblick auf das Preis-Leistungs-Verhältnis.


(Beifall bei der PDS)

Ich bin auch froh darüber, dass in der Diskussion der

§ 103 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen er-
halten geblieben ist und somit die Ausnahmen zugunsten ge-
schlossener Versorgungsgebiete weiter bestehen bleiben.

Der Koalitionsantrag erkennt nunmehr an, dass der
Wettbewerb am Markt keine günstigeren Preise erzielen
und auch die Verbraucher- und Verbraucherinnensicher-
heit nicht weiter verstärken kann. Der Antrag stellt sich
auch endlich hinter das Gutachten des Umweltbundes-
amtes, das die Risiken einer Liberalisierung des Wasser-
marktes für Verbraucher und Umwelt nachgewiesen hat.


(Walter Hirche [FDP]: Sie glauben doch wohl nicht jedem Amt!)





Rolf Kutzmutz
22556


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 3

– Manchmal glaube ich schon einem Amt. Ich habe damit
einige Jahre Erfahrung.


(Beifall bei der PDS – Walter Hirche [FDP]: Ach so! Deswegen! – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Mit allen Wassern gewaschen!)


Skeptisch betrachten wir allerdings das Bemühen der
umsatzsteuerlichen Gleichstellung der Wasser- mit der
Abwasserversorgung in diesem Antrag. Aus unserer Sicht
wäre dies ein Türöffner zu einer leichteren Privatisierung.

Die Forderung zur Förderung der Wettbewerbsfähig-
keit im internationalen Bereich lehnen wir ab. Denn
profitieren würden ausschließlich die ganz Großen wie
Eon – das wurde eben bereits erwähnt –, RWE und Co.,
aber leider nicht der kleine niedersächsische Wasserver-
band.


(Walter Hirche [FDP]: Die Verbraucher würden profitieren! Darum geht es!)


Ich meine schon, dass die Großen ihre Expansionen
selber bezahlen sollten. Denn sie streichen auch enorme
Gewinne ein.


(Beifall bei der PDS)

Schon jetzt verdienen sie im Wasserbereich unver-

schämt. Ich bezeichne das deswegen als unverschämt,
weil das Wassergeschäft selbst nach RWE-Schätzungen in
den Jahren 2001/2002 nur einen Umsatzanteil von 3 Pro-
zent ausmachen, aber mit 20 Prozent zum Betriebsergeb-
nis beitragen wird. Ich meine, dass es sich lohnt, noch ein-
mal darüber zu reden. Diese Zahlen sprechen für sich.

Wir empfehlen allen Kommunen – ich sage dies auch
aus der Sicht der Kommunalpolitikerin, die ich bis vor
vier Wochen war –, sich dreimal zu überlegen, ob sie ihre
Wassersparte wirklich in private Hände legen sollen.


(Beifall bei der PDS)

Wir halten ansonsten das klare Bekenntnis zu einer

kommunalen und modernen Wasserversorgung sowie ge-
gen eine Liberalisierung und Privatisierung für zentrale
Punkte in diesem Antrag. Wir unterstützen ihn nicht nur,
sondern werden dem Antrag genauso wie der Novellie-
rung des Wasserhaushaltsgesetzes zustimmen.

Danke.

(Beifall bei der PDS – Walter Hirche [FDP]: Dass Sie gegen Liberalisierung sind, erstaunt hier gar keinen!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422718800
Frau Kollegin
Grygier, das war Ihre erste Rede im Bundestag. Ich gratu-
liere Ihnen im Namen des ganzen Hauses.


(Beifall)

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-

ses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksa-
che 14/8564 zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und
des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Nachhaltige
Wasserwirtschaft in Deutschland“. Der Ausschuss emp-
fiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/7177 anzunehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt

dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung
ist gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der
CDU/CSU angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung der Richtlinie 98/8/EG des Euro-
päischen Parlaments und des Rates vom 16. Fe-
bruar 1998 über das Inverkehrbringen von Biozid-
Produkten (Biozidgesetz)

– Drucksachen 14/7007, 14/7922 –

(Erste Beratung 198. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (16. Ausschuss)

– Drucksachen 14/8508, 14/8577 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Carola Reimann
Franz Obermeier
Winfried Hermann
Marita Sehn
Eva Bulling-Schröter

Ich eröffne die Aussprache. Alle Reden sind zu Proto-
koll gegeben. Deswegen schließe ich die Aussprache.1)

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Biozidgeset-
zes, Drucksachen 14/7007, 14/7922, 14/8577 und
14/8508. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Ziffer I seiner
Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Die Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist gegen die Stim-
men von CDU/CSU und FDP in zweiter Beratung ange-
nommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Die
Gegenprobe! – Der Gesetzentwurf ist gegen die Stimmen
der CDU/CSU und der FDP angenommen.

Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit empfiehlt unter Ziffer II seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 14/8508 die Annahme einer Ent-
schließung. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Die Gegenprobe! – Die Beschlussempfehlung ist gegen
die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss)





Bärbel Grygier

22557


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 4

– zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN
Fortführung der Beratungen zum Endbericht
der Enquete-Kommission „So genannte Sekten
und Psychogruppen“
– zu dem Antrag der Abgeordneten Maria
Eichhorn, Klaus Holetschek, Wolfgang Dehnel,
weiterer Abgeodneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Endbericht der Enquete-Kommission „So ge-
nannte Sekten und Psychogruppen“
– Drucksachen 14/2568, 14/2361, 14/5262 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Hans-Peter Bartels
Christian Simmert
Klaus Holetschek
Ina Lenke

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Das ist so
beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Hans-Peter Bartels für die SPD-Fraktion.


Dr. Hans-Peter Bartels (SPD):
Rede ID: ID1422718900
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Auch politische Themen ha-
ben Konjunkturen. Die Frage, wie wir als Gesellschaft mit
dem Phänomen der Sekten und Psychogruppen sowie den
Gefahren, die von diesen Gruppierungen ausgehen kön-
nen, umgehen, steht derzeit nicht im Rampenlicht. Andere
Fragen beherrschen die Tagesordnung, auch hier und
heute. Dabei ist das Thema der Sekten manchmal doch
ganz aktuell. Dies zeigte sich in der Antiterrorgesetzge-
bung. Als Reaktion auf die Bedrohung durch Extremisten
haben wir mit Bundestagsbeschluss vom 9. November
2001 das Religionsprivileg im Vereinsgesetz gestrichen –
nur eine winzige Änderung im Text, aber ein Kernpunkt
der Sicherheitsgesetzgebung.

Die Rechtslage ließ bisher kein Verbot extremistischer
Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften zu,
während gegen sonstige Vereine mit Verbotsverfügungen
vorgegangen werden konnte. Im bundesdeutschen
Rechtsstaat schützte dieser der Religionsausübung frei-
geräumte, quasi rechtsfreie Raum vor allem hoch kon-
fliktträchtige Gruppen vor der Intervention des Staates.
Selbst wenn elementare Grundrechte der eigenen Anhän-
ger – Gesundheit und Leben, Willensfreiheit, Familie
oder Eigentum – durch eine sektiererische Organisation
unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit verletzt wur-
den, blieb die Organisation unantastbar. Das haben wir
nun geändert.

Das Bundesinnenministerium nennt in der Begrün-
dung des Gesetzes drei Fallgruppen von Vereinigungen,
die bislang gegen ein Verbot geschützt waren: fundamen-
talistisch-islamistische Vereinigungen, die zur Durch-
setzung ihrer Glaubensüberzeugung Gewalt gegen An-
dersdenkende nicht ablehnen, Vereinigungen mit Ge-
winnerzielungsabsicht oder politischen Zielen, die für
sich den Status einer religiösen bzw. weltanschaulichen

Vereinigung reklamieren und im Rahmen von Vereinsver-
botsverfahren Prozessrisiken hinsichtlich der Beurteilung
ihres Vereinigungscharakters aufwerfen – das betrifft
etwa die „Scientology“-Organisation – sowie bislang nur
im Ausland mit Tötungsdelikten und Massenselbstmor-
den aufgetretene Weltuntergangssekten wie „Aum“ oder
die „Sonnentempler“.

Sofort mit In-Kraft-Treten der Gesetzesänderung hat
der Bundesinnenminister von seinen neuen rechtlichen
Möglichkeiten Gebrauch gemacht und die „Kalifatstaat“-
Sekte verboten. Sie ist ein Beispiel dafür, wie sich politi-
scher Extremismus und religiöse Intoleranz vermengen
können. Mit der Abschaffung des Religionsprivilegs ist
eine wichtige Empfehlung der Enquete-Kommission um-
gesetzt worden. Das ist gut so.


(Beifall bei der SPD)

Anderes ist auf dem Weg. So führt das Familienminis-

terium ein Modellprojekt durch, dessen Ziel es ist, das in
bestehenden Beratungsinstitutionen vorhandene Perso-
nal für die Beratungstätigkeit auf dem Gebiet der Sekten
und Psychogruppen zu qualifizieren und weiterzubilden.
Das betrifft Lebensberatung, Eheberatung, Jugendbera-
tung, Erziehungsberatung oder Sektenberatung. Darüber
hinaus soll die Vernetzung dieser Institutionen gefördert
werden. Die Laufzeit des Projektes beträgt Zweidreivier-
teljahre. 1,8 Millionen DM stehen dafür insgesamt im
Bundeshaushalt zur Verfügung. Dies dient auch der
Prävention und der Aufklärung, zu der im Übrigen auch
die Länder verpflichtet sind.

Eine weitere rechtliche Klarstellung ist ebenfalls nicht
ohne Bedeutung für unser Thema. Auf Initiative der Ko-
alitionsfraktionen wurde im Juli 2000 im Bürgerlichen
Gesetzbuch unmissverständlich klargestellt, dass Kinder
ein Recht auf gewaltfreie Erziehung haben:

Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen
und andere entwürdigende Maßnahmen sind un-
zulässig.

So steht es im Gesetz. Das Wohl des Kindes hat Priorität.
Damit haben wir eine Zielsetzung auch der Enquete-Kom-
mission „So genannte Sekten und Psychogruppen“erfüllt.

Abschaffung des Religionsprivilegs, Verbesserung der
Beratung, gewaltfreie Erziehung – das sind einige posi-
tive Schritte, die wir mit unserer Koalition unternommen
haben und die ich genannt habe. Das kann aber noch nicht
alles sein. Die Liste der Vorschläge der Enquete-Kom-
mission, die noch in der Diskussion sind, ist lang – zu
lang! Manche Vorhaben sind schwierig und lassen sich
nicht mit einer kleinen Gesetzesänderung umsetzen. Die
CDU/CSU-Fraktion macht es sich deshalb mit dem Kata-
log ihres Antrages ein bisschen einfach. Hinter mancher
schnellen Forderung verbirgt sich eine komplizierte und
bisweilen recht grundsätzliche juristische Frage.
Ich nenne nur die Einführung einer strafrechtlichen Ver-
antwortung für juristische Personen.

Es gibt aber auch Bereiche, in denen ohne Zweifel
mehr hätte geschehen können. Ich wundere mich ein biss-
chen, dass selbst eine unumstrittene Empfehlung wie die,




Vizepräsidentin Anke Fuchs
22558


(C)



(D)



(A)



(B)


das Sektenreferat im Bundesverwaltungsamt zu stärken,
schon so lange auf ihre Realisierung wartet.

Als die Sektenfrage Konjunktur hatte – das war insbe-
sondere 1996, als Tageszeitungen auf ihren Titelseiten
über das Thema berichteten –, schien vieles einfacher
durchzusetzen. Die öffentliche Wahrnehmung hat seither
abgenommen. Deshalb fällt es manchmal schwer, den
notwendigen Druck zu machen. Wir werden aber weiter
daran arbeiten und darauf drängen, dass mehr Empfeh-
lungen der Enquete-Kommission tatsächlich umgesetzt
werden.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422719000
Nun erteile ich das
Wort der Kollegin Antje Blumenthal für die CDU/CSU-
Fraktion.


Antje Blumenthal (CDU):
Rede ID: ID1422719100
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren!

Die Enquete-Kommission empfiehlt dem 14. Deut-
schen Bundestag, die Bundesregierung zu verpflich-
ten, jeweils zwei Jahre und vier Jahre nach der Ver-
abschiedung dieses Endberichts einen Bericht über
die Umsetzung der dort ausgesprochenen Hand-
lungsempfehlungen vorzulegen.

Dies ist der letzte Satz aus dem Endbericht der Enquete-
Kommission „So genannte Sekten und Psychogruppen“.
Auf diesen Bericht haben Sie, Herr Bartels, sich heute of-
fenbar bezogen. Ich kann aber nicht feststellen, dass uns
darüber hinaus etwas schriftlich vorgelegt worden wäre.

Dieser Bericht lag dem Bundestag in der letzten Wahl-
periode am 9. Juli 1998 vor. Obwohl nun fast vier Jahre
ins Land gegangen sind, hat sich die Koalition vor knapp
einem Jahr nur auf eines einigen können, nämlich dass sie
weiter beraten will, wie sie die Handlungsempfehlungen
der Enquete-Kommission umsetzen könnte.


(Ina Lenke [FDP]: Nichts ist gemacht worden! Das stimmt!)


Wenn wir nun fragen, wer wann diese Empfehlungen wird
umsetzen können, dann brauchen wir uns sicher nicht an
Bundeskanzler Schröder zu wenden; denn nicht er, son-
dern Edmund Stoiber wird es sein, der die Bundesbürger
über die verschiedenen Sekten und den undurchdringli-
chen Psychomarkt aufklären wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Aufklärung tut Not, wie die Handlungsempfehlungen

der Enquete-Kommission unterstreichen. Es wäre ratsam,
den Psychomarkt und die verschiedenen Gruppierungen
wissenschaftlich zu erforschen, um ihre Ziele und Prakti-
ken zu unterscheiden; denn nur eine solide wissenschaft-
liche Forschung bietet ein Fundament für das, was die
Bundesbürger wünschen, nämlich Information und Auf-
klärung über die verschiedenen Anbieter. Es ist das An-
recht der Bundesbürger, sich in punkto Lebensfragen zu
informieren und bei jeder Form von Lebensberatung ihrer

körperlichen Unversehrtheit sicher zu sein. Hier böte sich
zum Beispiel eine rechtliche Regelung der gewerblichen
Lebensbewältigungshilfe an, wie sie die Enquete-Kom-
mission vorgeschlagen und die CDU/CSU-Fraktion bean-
tragt hatte.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Bartels [SPD])


– Der Gesetzentwurf des Bundesrates ist, wie Sie, Herr
Bartels, wissen, der Diskontinuität zum Opfer gefallen.
Vielleicht haben Sie das inzwischen vergessen.


(Renate Rennebach [SPD]: Aber Ihre Koalition hat es auch abgelehnt, den weiter zu beraten!)


– Darf ich erst einmal meine Rede beenden? Sie können
darauf ja noch während Ihrer Rede eingehen, Frau
Rennebach.


(Renate Rennebach [SPD]: Bleiben Sie bei der Wahrheit!)


– Ich bleibe bei der Wahrheit.
Die Bundesregierung scheint hier, wie in so vielen an-

deren Fällen, Reformen zu verschlafen. Dabei hatte die
Kommission einen klaren Katalog an Empfehlungen auf-
gestellt. Zwar hatte das Gremium festgestellt, dass die we-
nigsten Psychogruppen „massiv konfliktträchtig“ seien.
Jedoch ist der Gesetzgeber damit nicht seiner Verpflich-
tung entbunden, im Sinne des Verbraucherschutzes, quasi
als Orientierungshilfe und Präventivmaßnahme, beste-
hendes Recht zu erweitern und neue Gesetze zu erlassen,
die verhindern, dass einige dieser Gemeinschaften den
Staat und seine Bürger gefährden.

Lassen Sie mich an dieser Stelle sieben Empfehlun-
gen der Enquete-Kommission hervorheben. Erstens. Der
Gesetzgeber sollte eine Stiftung des öffentlichen Rechts
einrichten, die sich den so genannten Sekten und Psycho-
gruppen widmet. Zweitens. Er sollte ein Gesetz erlassen,
das die gewerbliche Lebensbewältigungshilfe regelt.
Drittens. Er sollte die strafrechtliche Verantwortlichkeit
juristischer Personen und Personenvereinigungen ein-
führen. Viertens. Er sollte das Bundesverwaltungsamt im
Bereich der Psychogruppen tätig werden lassen. Die
Kommission hat genau vorgegeben, wie hier Prävention
und Aufklärung möglich sind. Fünftens. Die internatio-
nale und vor allem die EU-weite Zusammenarbeit sollte
so vernetzt werden, dass Maßnahmen besser koordiniert
werden können. Sechstens. Ein interdisziplinärer For-
schungsverbund könnte den Bereich der Glaubensge-
meinschaften und Psychogruppen erforschen, auf Gefah-
ren hinweisen und so Bund und Ländern zuarbeiten.
Siebtens. Staat und Gesellschaft sollten sich nicht in die
Konflikte zwischen den neuen religiösen und ideologi-
schen Gemeinschaften hineinziehen lassen, sondern die
Stiftung des öffentlichen Rechts als Mittlerin einschalten.

Diese von mir genannten Forderungen hatte meine
Fraktion mit einem Antrag im Dezember 1999 in den
Bundestag eingebracht. Die Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen behielten sich am 25. Januar
2000 vor, die aufgeworfenen Fragen intensiv zu erörtern,
woraufhin ein Jahr später, am 7. Februar 2001, der feder-
führende Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und




Dr. Hans-Peter Bartels

22559


(C)



(D)



(A)



(B)


Jugend mit den Stimmen der Koalition mehrheitlich emp-
fahl, weiter zu debattieren, anstatt zu handeln.

Nehmen wir stattdessen einmal den günstigsten Fall an,
dass sich die Bundesregierung, scheinbar wider besseres
Wissen, entschlossen hätte, die Handlungsempfehlungen
der Enquete-Kommission umzusetzen: Scientology würde
nicht mehr als Psychogruppe, sondern als ideologische Ge-
meinschaft mit deutlich staatsfeindlichen Absichten be-
zeichnet. Sie fiele damit in die Klasse der massiv konflikt-
trächtigen Gemeinschaften. Das Bundesverwaltungsamt
würde die Bundesbürger über die verschiedenen religiösen
Gruppierungen informieren und vor bestimmten Vereinen
warnen, und zwar auf der Basis wissenschaftlicher Erkennt-
nisse, die der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft
initiierte Forschungsverbund lieferte. Schüler würden bun-
desweit bereits im Religions- oder Ethikunterricht die ver-
schiedenen Gruppierungen und deren Ziele kennen lernen.
Grundlage aller Maßnahmen gegen gefährliche Gruppen
wäre eine einheitliche Gesetzgebung. Bürger könnten Per-
sonen haftbar machen, die mit subtilen psychologischen
Techniken Menschen an Seele und Leib oder finanziell ge-
schädigt hätten. Opfer der verheerenden Techniken einiger
Psychogruppen, zum Beispiel des Pyramidenspiels, könn-
ten die Hilfe erfahrener und geschulter Psychotherapeuten
in Anspruch nehmen.

Meine Fraktion hatte am 14. Dezember 1999 die Bun-
desregierung mit einem Antrag aufgefordert, umgehend
entsprechende Gesetzentwürfe vorzulegen. Bis dato be-
handelt die Bundesregierung jedoch nur die Empfehlun-
gen der Enquete-Kommission und pflegt sich offensicht-
lich immer noch intensiv zu beraten. Wir fordern die
Bundesregierung daher erneut auf, ihre Warteposition zu
verlassen und endlich zu handeln. Es reicht nicht, die im
Abschlussbericht aufgeworfenen Fragen zu erörtern und
in der 14. Wahlperiode weiter zu beraten. Ich bezweifle
stark, dass Sie handeln werden, bevor diese Wahlperiode
zu Ende geht. Sie hatten nun fast vier Jahre Zeit, um ge-
setzgeberische Empfehlungen sowie andere Maßnahmen
zu prüfen.

Ich möchte dem entgegenstellen, wie beispielhaft das
Bundesverwaltungsamt nach den Vorstellungen der En-
quete-Kommission längst arbeiten könnte: Es sammelt
alle bedeutsamen Materialien und wertet sie aus. Es in-
formiert alle Dienststellen des Bundes und der Länder so-
wie die Auskunftsstellen öffentlich-rechtlicher und priva-
ter Natur. Es klärt die Bundesbürger und Wissenschaftler
über den Erkenntnisstand und insbesondere über die Ge-
fahren neuer religiöser und ideologischer Gruppen auf.

Zusammen mit einer entsprechenden Gesetzgebung
könnte so eine Gefährdung unserer Gesellschaft durch
ideologische Gemeinschaften oder Psychogruppen ver-
hindert werden. Dies alles hätte bereits in die Tat umge-
setzt werden können.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wohl wahr!)

„Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht“, sagt Jesus

in Matthäus 9 Vers 12. Geben Sie deshalb dem Antrag der
CDU/CSU statt, meine Damen und Herren von der Re-
gierungskoalition!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422719200
Frau Kollegin
Blumenthal, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bun-
destag. Ich beglückwünsche Sie im Namen des ganzen
Hauses.


(Beifall)

Nun erteile ich der Kollegin Renate Rennebach für die

SPD-Fraktion das Wort.


Renate Rennebach (SPD):
Rede ID: ID1422719300
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ich bitte um Entschuldigung dafür,
dass wir in diesem Haus um diese Zeit dieses Thema noch
beraten. Es ist mir ein persönliches Anliegen, heute dazu
zu sprechen, weil ich aus dem Bundestag ausscheiden
werde. Ich war Sprecherin der SPD in der Enquete-Kom-
mission.

Die Enquete-Kommission „So genannte Sekten und
Psychogruppen“ hat einen Abschlussbericht zustande ge-
bracht, der international große, im Deutschen Bundestag
allerdings nur relativ wenig Aufmerksamkeit erregt hat.


(Abg. Ingrid Fischbach [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Frau Fischbach, ich werde keine Fragen zulassen, weil
ich dieses Thema nicht ins Lächerliche ziehen lassen
möchte.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Es wäre schön, wenn das zuständige Ministerium hier wäre!)


Täglich höre ich Berichte, dass Menschen in so ge-
nannten Sekten und Psychogruppen misshandelt werden,
ihre Menschenrechte nicht geachtet werden und sie finan-
ziell in den Ruin getrieben werden. Zugleich sind sehr
viele Sektenberatungsstellen in den Ländern, die jeden
Tag hervorragende Arbeit leisten, mit viel zu wenig Geld-
mitteln ausgestattet.


(Beifall des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])

Ich appelliere hier an die Bundesregierung und an die
Länder, dieser Arbeit mehr Aufmerksamkeit zu widmen
und mehr Geld dort hineinzustecken. Die Menschen in
den Sektenberatungsstellen der Länder leisten nämlich
großartige Arbeit, indem sie Menschen helfen, die sonst
nirgendwo Hilfe finden.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Deswegen wäre es gut, wenn das Ministerium vertreten wäre!)


– Das Ministerium achtet sehr aufmerksam darauf, was
wir hier sagen. Da bin ich mir ganz sicher.


(Walter Hirche [FDP]: Wenn sie nicht hier sind, achten sie darauf? Das ist ja eine Logik!)


Wenn Sie im Übrigen diese Regierung beschimpfen,
möchte ich auf das verweisen, was die Kollegin vor mir
gesagt hat. Die Enquete-Kommission hatte, während sie
tagte, sehr viele Probleme aufgedeckt, die sofort hätten
gelöst werden können. Gesetzesinitiativen, die wir auf
den Weg gebracht haben, hätten sofort umgesetzt werden
können, unter anderem das vom Bundesrat beschlossene




Antje Blumenthal
22560


(C)



(D)



(A)



(B)


Gesetz zur Regelung der gewerblichen Lebensbewälti-
gungshilfe. Das damals von der FDPgeleitete Justizminis-
terium hat dieses Gesetz abgelehnt. Die damalige Bun-
desregierung hat uns Steine in den Weg gelegt; darunter
leiden wir noch heute. Die Kommentare, die damals ab-
gegeben wurden, hören wir heute wieder, wenn wir über
dieses Gesetz reden.

Wir werden noch in dieser Legislaturperiode versu-
chen, einen Antrag in den Bundestag einzubringen,


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Am Abend werden die Faulen fleißig!)


durch den der Verbraucherschutz am Psychomarkt ge-
regelt werden soll. Das ist dringend notwendig; dazu stehe
ich heute noch. Da muss ich mich von Ihnen nicht anpin-
keln lassen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Wenn heute der Verbraucherschutz im Lebensmittel- und
im Landwirtschaftsbereich hervorragend und perfekt ge-
regelt ist, dann bleibt der Verbraucherschutz am Psycho-
markt – da appelliere ich auch an meine Kolleginnen und
Kollegen – eines der wichtigsten Themen, das wir noch in
dieser Legislaturperiode anfassen müssen.


(Beifall bei der SPD)

Ich freue mich, dass sich Kolleginnen und Kollegen in
meiner Fraktion zusammengefunden haben, die bereit
sind, dieses auf den Weg zu bringen.

Ich bin es leid, mich in der Öffentlichkeit dafür zu ver-
teidigen, dass in der 14. Legislaturperiode des Deutschen
Bundestages relativ wenig auf diesem Gebiet gemacht
wurde. Was getan worden ist, hat mein Kollege Hans-
Peter Bartels aufgeführt. Ich hoffe nur und appelliere an
die Kollegen, die dem nächsten Deutschen Bundestag an-
gehören werden, dass sie dieses Thema weiterverfolgen,
den Opfern und den Betroffenen von so genannten Psy-
chogruppen und, als Steigerung davon, jetzt immer mehr
verbreitet, denen Opfern von Satanistengruppen, in denen
ritueller Missbrauch und andere Geschichten stattfinden,
endlich auch im Deutschen Bundestag Gehör schenken
und Möglichkeiten finden, ihnen mit Bundesgesetzen,
aber auch mit Initiativen auf Landesebene zu helfen.

An meine grünen Kolleginnen und Kollegen – leider
sitzen jetzt nicht die Richtigen hier, sondern ganz harm-
lose Leute –


(Heiterkeit bem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


appelliere ich, dem nicht mehr im Weg zu stehen.

(Beifall des Abg. Wolfgang Dehnel [CDU/CSU])

Es geht nicht darum, dass Esoterikgruppen geschützt wer-
den, sondern es geht darum, dass den Menschen, die in Not
sind, geholfen wird, sie wirksame Hilfe finden, nicht mehr
von Weltanschauungsgruppen ausgebeutet werden und
nicht mehr um Leib und Leben fürchten müssen.

In diesem Sinne bedanke ich mich für die späte Auf-
merksamkeit.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422719400
Der Kollege Volker
Beck hat seine Rede zu Protokoll gegeben, ebenso die
Kollegin Ulla Jelpke von der PDS.1)

So hat jetzt die Kollegin Ina Lenke von der FDP-Frak-
tion das Wort.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1422719500
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Die Enquete-Kommission hat in der letzten
Legislaturperiode ihre Arbeit vor dem Hintergrund eines
gewaltigen gesellschaftlichen Wandels durchgeführt. Im
Kern kommt der Schlussbericht ja zu dem Ergebnis, dass
von den neuen religiösen Gemeinschaften in Deutschland
generell keine Gefahren für Staat und Gesellschaft ausge-
hen. Unsere Gesellschaft muss also lernen, mit der reli-
giösen und weltanschaulichen Vielfalt tolerant und von
gegenseitigem Respekt getragen umzugehen, natürlich
nicht mit Verfehlungen von Sekten, die Menschen, die
sich in deren Hände begeben haben, schmerzhaft spüren
mussten. Diesem Missbrauch müssen wir begegnen.
Ich denke, dazu hat der Deutsche Bundestag wenig beige-
tragen.


(Beifall bei der FDP – Renate Rennebach [SPD]: Aber auch die Opposition nicht!)


– Frau Rennebach, ich bin seit 1998 im Bundestag. Ich
habe mit dieser Sache erst jetzt zu tun. Sie können wirk-
lich darauf zählen, dass ich mich diesem Thema von nun
an widmen werde. Ich werde auch im nächsten Deutschen
Bundestag vertreten sein. Also werde ich das mit meiner
Fraktion machen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Renate Rennebach [SPD]: Das werde ich beobachten, Frau Lenke!)


Die Kommission empfahl dem Deutschen Bundestag,
in der jetzigen Legislaturperiode ein Gesetz zur Regelung
der gewerblichen Lebensbewältigungshilfe zu be-
schließen.


(Renate Rennebach [SPD]: Das ist eine Aufgabe des gesamten Deutschen Bundestages!)


Ich halte ein solches Gesetz für notwendig. Natürlich hat
die Bundesregierung selbst nichts vorgelegt, was den Ver-
braucher vor den in diesem Bereich geschlossenen –
schlechten – Verträgen schützt.

Die FDPunterstützt ausdrücklich die Einrichtung einer
staatsfernen und unabhängigen Stiftung. Diese öffentlich-
rechtliche Stiftung soll informieren und beraten, um so zu
weiterer Transparenz und Aufklärung beizutragen. Die
Enquete-Kommission setzt sich – das haben wir von mei-
ner Kollegin eben schon gehört – für einen interdiszi-
plinären Forschungsverbund ein, der sich mit den Themen




Renate Rennebach

22561


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 5

„neue religiöse Bewegungen“, „Psychogruppen“ usw. be-
fasst.

Es ist richtig, dass wir diese Bundesregierung hier, im
Bundestag, noch einmal auffordern, im europäischen
Kontext auf eine einheitliche Vorgehensweise im Hin-
blick auf neue religiöse Gemeinschaften hinzuwirken.
Diese Legislaturperiode des Deutschen Bundestages ist
noch nicht zu Ende; deshalb kann die Bundesregierung
auf diesem Gebiet auch jetzt noch aktiv werden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich habe mich gefragt, wie es zu den beiden Anträgen von
der CDU/CSU und von der SPD und dem Bündnis 90/Die
Grünen gekommen ist. – Der Grund ist, dass die Bundes-
regierung überhaupt nicht tätig geworden ist.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Renate Rennebach [SPD]: Sie haben auch nichts getan!)


Frau Rennebach, dafür sind Sie persönlich vielleicht gar
nicht verantwortlich. Komischerweise wurden diese An-
träge gerade zu dem Zeitpunkt eingebracht, zu dem die
Regierung einen Bericht darüber, was sie gemacht hat,
vorlegen sollte. Das ist Fakt. Es tut mir schrecklich Leid,
das sagen zu müssen.


(Renate Rennebach [SPD]: Wo waren denn Ihre Anträge in den Ausschüssen?)


Sie persönlich sind nicht schuld. Frau Rennebach, ich
habe mir sagen lassen, dass Sie sich in Ihrer Fraktion für
diese Dinge sehr eingesetzt haben. Dafür bin ich Ihnen
sehr dankbar.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Bundesregierung sollte wirklich noch in dieser Le-

gislaturperiode einen Bericht über ihre Aktivitäten auf
diesem Gebiet abgeben. Das kann sie doch machen. Nach
Ostern gibt es genügend Sitzungswochen, in denen wir
uns damit beschäftigen können. Die Bundesregierung soll
einmal „Butter bei die Fische“ tun und sagen, was sie ge-
macht hat.

Das Spannungsverhältnis zwischen individuellen Frei-
heitsrechten und sozialem Zusammenhalt einer Gesell-
schaft muss angesichts weltweiter Entwicklungen neu
austariert werden. Toleranz auch gegenüber neuen reli-
giösen und weltanschaulichen Gemeinschaften ist hierbei
aus liberaler Sicht ein elementarer Baustein. Die Kom-
mission hat hierüber – meines Erachtens in beein-
druckender Art – eine breite Diskussion geführt und gute
gesetzgeberische Empfehlungen gegeben. Was wir brau-
chen – das sage ich in Richtung beider großen Fraktio-
nen –, sind keine zusätzlichen Diskussionen, sondern
Umsetzungsstrategien.


(Beifall bei der FDP)

Deshalb werde ich mich ab sofort, auch in der nächsten
Legislaturperiode, um diese Dinge kümmern und meine
Fraktion für diese Dinge sensibilisieren.

Es bleibt festzustellen, dass sich die Bundesregierung
dazu weder heute im Plenum geäußert hat noch dass sie in
den letzten dreieinhalb Jahren in diesem Bereich irgend-

etwas zustande gebracht hat; sonst hätten Sie uns hier ga-
rantiert bessere Ergebnisse vorlegen können.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Renate Rennebach [SPD]: Dank Phoenix werde ich Sie auch in Zukunft verfolgen!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422719600
Ich schließe die Aus-
sprache.

An dieser Stelle möchte ich der Kollegin Renate
Rennebach für ihre engagierte Arbeit auf diesem Feld, die
sie leider nicht mehr ganz zu Ende führen kann, sehr herz-
lich danken.


(Beifall im ganzen Haus)

Nun kommen wir zu der Beschlussempfehlung des

Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
auf der Drucksache 14/5262. Der Ausschuss empfiehlt
unter Buchstabe a die Annahme des Antrags der Fraktio-
nen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf
Drucksache 14/2568 mit dem Titel „Fortführung der Be-
ratungen zum Endbericht der Enquete-Kommission ‚So
genannte Sekten und Psychogruppen‘“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Gegen die Stimmen von CDU/CSU
und FDP und bei Enthaltung der PDS ist die Beschluss-
empfehlung angenommen.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/2361 mit dem
Titel „Endbericht der Enquete-Kommission ‚So genannte
Sekten und Psychogruppen‘“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Die Beschlussemp-
fehlung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP
angenommen.

Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b
auf:
16. a)Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und

des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Vorsorgepolitik für gesundheitsverträglichen
Mobilfunk
– Drucksache 14/8584 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-
schaft
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung

b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Ilse Aigner, Dr. Christian Ruck, Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn), weiterer Abgeordneter und der

Fraktion der CDU/CSU
Auswirkungen elektromagnetischerFelder, ins-
besondere des Mobilfunks
– Drucksachen 14/5848, 14/7958 –




Ina Lenke
22562


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich eröffne die Aussprache. Alle Reden sind zu Proto-
koll gegeben. Ich schließe die Aussprache.1)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/8584 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie ein-
verstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 31 c auf:
– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-

regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes

(Besoldungsstrukturgesetz – BesStruktG)

– Drucksache 14/6390 –

(Erste Beratung 179. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fort-
setzung der Dienstrechtsreform
– Drucksache 14/3458 –

(Erste Beratung 198. Sitzung)

a) Beschlussempfehlung und Bericht des Innen-

ausschusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 14/8623 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Peter Kemper
Meinrad Belle
Helmut Wilhelm (Amberg)

Dr. Max Stadler
Petra Pau


(8. Ausschuss)

– Drucksachen 14/8633,14/8635 –

Ich eröffne die Aussprache. Alle Reden sind zu Proto-
koll gegeben.2) Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Moderni-
sierung der Besoldungsstruktur auf Drucksache 14/6390.
Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/8623, den Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Die
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung gegen die Stimmen von CDU/CSU,
FDP und PDS angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit angenommen.

Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates
auf Drucksache 14/3458 zur Fortsetzung der Dienst-
rechtsreform. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/8623,
den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Keiner will das. Wer stimmt dagegen? – Damit ist
der Gesetzentwurf in zweiter Beratung abgelehnt. Somit
entfällt nach unserer Geschäftsordnung eine weitere Be-
ratung. – Der Gesetzentwurf war ja vom Bundesrat; des-
halb dieses Ergebnis.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf:
17.a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen (15. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang

Börnsen (Bönstrup), Dirk Fischer (Hamburg),
Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Frontpartien von Fahrzeugen europaweit
fußgängersicher gestalten

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung
Mitteilung derKommission an den Rat und
das Europäische Parlament
Fußgängerschutz:
Selbstverpflichtung der europäischen Au-
tomobilindustrie

KOM (2001) 389 endg.; Ratsdok. 09616/01
– Drucksachen 14/6316, 14/7409 Nr. 2.1, 14/8571 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen (15. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup),
Dirk Fischer (Hamburg), Eduard Oswald, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Mehr Sicherheit durch Kreisverkehre
– Drucksachen 14/7452, 14/8570 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Rita Streb-Hesse

Ich eröffne die Aussprache. Gott sei Dank sind alle Re-
den zu Protokoll gegeben.3) Ich schließe die Aussprache.


(Renate Rennebach [SPD]: Keine Kritik, Frau Präsidentin!)


– Keine Kritik ans Parlament, völlig klar.
Tagesordnungspunkt 17 a: Wir kommen zur Be-

schlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen auf Drucksache 14/8571. Der Aus-
schuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung,
den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache
14/6316 mit dem Titel „Frontpartien von Fahrzeugen
europaweit fußgängersicher gestalten“ für erledigt zu




Vizepräsidentin Anke Fuchs

22563


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 6
2) Anlage 8 3) Anlage 7

erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist einstimmig angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss, in Kenntnis der Unterrichtung durch die
Bundesregierung mit dem Titel „Mitteilung der Kom-
mission an den Rat und das Europäische Parlament –
Fußgängerschutz: Selbstverpflichtung der europäischen
Automobilindustrie“ eine Entschließung anzunehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Auch
diese Beschlussempfehlung ist einstimmig angenom-
men.

Tagesordnungspunkt 17 b: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf

Drucksache 14/8570 zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Mehr Sicherheit durch Kreis-
verkehre“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/7452 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Die Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen
von CDU/CSU bei Enthaltung der FDP angenommen.

Wir sind am Schluss der Beratungen des heutigen Ta-
ges.

Ich berufe die nächste Sitzung für morgen, Freitag, den
22. März, 9 Uhr, ein. Schönen Abend!

Die Sitzung ist geschlossen.