Protokoll:
14222

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 222

  • date_rangeDatum: 1. März 2002

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 16:16 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Tagesordnungspunkt 18: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Steue- rung und Begrenzung der Zuwande- rung und zur Regelung des Aufent- halts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) (Drucksachen 14/7987, 14/8046, 14/8395, 14/8414, 14/8399) . . . . . 22017 A – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) (Drucksachen 14/7387, 14/8395, 14/8414, 14/8399) . . . . . . . . . . . . . 22017 B – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes (Drucksachen 14/7465, 14/8395, 14/8414, 14/8399 . . . . . . . . . . . . . . 22017 B – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes (Drucksachen 14/8009, 14/8395, 14/8414, 14/8399) . . . . . . . . . . . . . 22017 B – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Guido Westerwelle, Dr. Edzard Schmidt- Jortzig, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Rege- lung der Zuwanderung (Drucksachen 14/3679, 14/8395, 14/8414, 14/8399) . . . . . . . . . . . . . 22017 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses – zu dem Antrag der Abgeordne- ten Wolfgang Bosbach, Erwin Marschewski(Recklinghausen),wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Umfassendes Ge- setzzurSteuerungundBegrenzung derZuwanderungsowiezurFörde- rung der Integration jetzt vorlegen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Guido Westerwelle, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig,weitererAbgeordne- terundderFranktionderFDP:„Berli- ner Rede“ des Bundespräsidenten umsetzen – Zuwanderung nach Deutschlandverbindlich regeln – zu demAntrag der Fraktion der PDS: Einwanderung und Flüchtlings- schutzmenschenrechtlichgestalten (Drucksachen14/6641,14/3697,14/7810, 14/8395, 14/8414) . . . . . . . . . . . . . . . . 22017 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Cornelia Pieper, Dr. Guido Westerwelle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Zuwanderung steuern, Aus- und Weiterbildung in- tensivieren, Arbeitserlaubnisrecht ent- rümpeln (Drucksachen 14/3023, 14/3721) . . . . 22018 A Plenarprotokoll 14/222 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 222. Sitzung Berlin, Freitag, den 1. März 2002 I n h a l t : d) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung:MigrationsberichtderAusländer- beauftragten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22018 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – zu der Unterrichtung durch die Bundes- regierung: Sechster Familienbericht; Familien ausländischer Herkunft in Deutschland; Leistungen – Belas- tungen – Herausforderungen und Stellungnahme der Bundesregierung 22018 B – zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Christel Riemann- Hanewinckel, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Kerstin Müller (Köln), und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die Bundes- regierung: Sechster Familienbericht; Familien ausländischer Herkunft in Deutschland; Leistungen – Belas- tungen – Herausforderungen und Stellungnahme der Bundesregierung (Drucksachen14/4357,14/6169,14/8393) 22018 C Rüdiger Veit SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22018 D Friedrich Merz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 22021 A Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22023 C Dr. Max Stadler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22025 C Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22026 D Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22028 D Dr. Michael Bürsch SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 22029 D Michael Glos CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 22031 A Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22034 C Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . 22035 A Roland Claus PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22037 A Dr. Michael Bürsch SPD . . . . . . . . . . . . . 22037 D Sebastian Edathy SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22038 C Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22040 B Wolfgang Bosbach CDU/CSU . . . . . . . . 22040 D Christel Riemann-Hanewinckel SPD . . . . . . 22041 D Christa Lörcher (fraktionslos) . . . . . . . . . . . . 22042 D Leyla Onur SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22044 A Otto Schily, Bundesminister BMI . . . . . . . . . 22045 A Wolfgang Bosbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . 22048 B Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22049 C Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . 22052 A Dr. Angela Merkel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 22053 C Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22055 D Roland Claus PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22056 D Sabine Leutheusser-Schnarrenberger FDP 22057 C Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 22058 B Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22061 C Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Gerhardt, Dr. Guido Westerwelle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Abgabe einer Regierungserklärung des Bundeskanzlers im Deutschen Bundes- tag zu den Vorhaben der Bundes- regierung zur Bewältigung der aktuellen politischen Herausforderungen (Drucksache 14/8281) . . . . . . . . . . . . . . . 22059 A Rainer Brüderle FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22059 B Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD . . . . . . . . 22063 B Jürgen Koppelin FDP (zur GO) . . . . . . . . . . 22065 B Manfred Grund CDU/CSU (zur GO) . . . . . . 22065 C Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD . . . . . . . . 22065 C Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22065 D Peter Rauen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 22066 A Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22068 C Rainer Brüderle FDP . . . . . . . . . . . . . . . . 22070 B Dr. Dietmar Bartsch PDS . . . . . . . . . . . . . . . 22071 B Joachim Poß SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22072 B Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . . . . . . . 22074 B Tagesordnungspunkt 22: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurfs eines Zehnten Gesetzes zur Ände- rung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (10. SGB V-Änderungsgesetz) (Drucksache 14/8099) . . . . . . . . . . . . . . . 22075 B Gudrun Schaich-Walch, Parl. Staatssekretärin BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22075 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2002II Aribert Wolf CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 22076 C Fritz Schösser SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22077 C Dr. Dieter Thomae FDP . . . . . . . . . . . . . . . . 22078 D Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22079 B Ulf Fink CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22080 A Tagesordnungspunkt 21: Große Anfrage der Abgeordneten Peter Götz, Dietrich Austermann, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Sicherung des Bestandes und Fortent- wicklung der kommunalen Selbstver- waltung in Deutschland im Rahmen von Rechtsetzung der Europäischen Union (Drucksachen 14/4171, 14/5636) . . . . . . . 22080 D Peter Götz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22081 A Hans-Werner Bertl SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 22083 B Gerhard Schüßler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 22085 B Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22086 C Dr. Uwe-Jens Rössel PDS . . . . . . . . . . . . . . . 22088 B Rüdiger Veit SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22089 B Albert Deß CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 22090 D Tagesordnungspunkt 24: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank (Drucksachen14/6879,14/8390,14/8413) 22092 B b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes über die inte- grierte Finanzdienstleistungsaufsicht (Drucksachen14/7033,14/7088,14/8389, 14/8391) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22092 C c) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die zu- sätzliche Beaufsichtigung der Kredit- institute, Versicherungsunternehmen und Wertpapierfirmen eines Finanz- konglomerats und zur Änderung der Richtlinien73/239/EWG,79/267/EWG, 92/49/EWG, 92/96/EWG, 93/6/EWG und 93/22/EWG des Rates und der Richtlinien 98/78/EG und 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (Drucksachen 14/6508 Nr. 2.6, 14/8389) 22092 D Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22093 A Otto Bernhardt CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 22094 B Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22095 C Carl-Ludwig Thiele FDP . . . . . . . . . . . . . . . 22096 B Jörg-Otto Spiller SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22097 C Tagesordnungspunkt 23: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Blank, Peter Letzgus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Wettbewerbs- fähigkeit der deutschen Omnibus- unternehmen erhalten und sichern (Drucksachen 14/4934, 14/8352) . . . . 22099 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen – zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Blank, Wilhelm Josef Sebastian, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Wettbewerbsfähigkeit des deut- schen Güterkraftverkehrsgewer- bes erhalten und sichern – zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Hans- Michael Goldmann, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Wettbewerbsnachteile für deut- sches Güterkraftverkehrsgewerbe beseitigen (Drucksachen14/4150,14/4396,14/8349) 22099 B Wilhelm Josef Sebastian CDU/CSU . . . . . . . 22099 C Renate Blank CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 22100 C Jürgen Koppelin FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22101 C Tagesordnungspunkt 25: a) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Dr. Peter Eckardt, Jörg Tauss, weite- ren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, Hans-Josef Fell, weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Hoch- schulrahmengesetzes (6. HRGÄndG) (Drucksache 14/8361) . . . . . . . . . . . . 22102 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2002 III b) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Maritta Böttcher, Dr. Heinrich Fink, weiteren Abgeordneten und der Frak- tion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Ände- rung des Hochschulrahmengesetzes (6. HRGÄndG) (Drucksache 14/8295) . . . . . . . . . . . . . 22102 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Ein neues Hoch- schuldienstrecht für eine moderne, leis- tungsfähige und attraktive Bildung und Forschung in Deutschland (Drucksache 14/7077) . . . . . . . . . . . . . . . 22102 B Maritta Böttcher PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22102 C Tagesordnungspunkt 26: Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Heidemarie Ehlert, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der PDS: Bekämpfung der Steuer- kriminalität durch kontinuierliche und bundeseinheitliche Betriebsprüfung (Drucksachen 14/1192, 14/7704) . . . . . . . 22103 B Heidemarie Ehlert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 22103 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22104 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 22105 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Heiner Geißler, Dr. Christian Schwarz- Schilling und Dr. Rita Süssmuth (alle CDU/CSU) zu einer namentlichen Abstim- mung über den von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Steue- rung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Inte- gration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) und über den von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Auf- enthalts und der Integration von Unionsbür- gern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) (Drucksachen 14/7987, 14/8046, Drucksache 14/7387 und Drucksache 14/8395) . . . . . . . . 22106 A Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Norbert Blüm (CDU/CSU) zu einer na- mentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufent- halts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) und über den von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurf eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Rege- lung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwande- rungsgesetz) (Drucksachen 14/7987, 14/8046, Drucksache 14/7387 und Drucksache 14/8395) . . . . . . . . 22106 D Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ulla Jelpke (PDS) zu einer namentlichen Ab- stimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Inte- gration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) und über den von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Auf- enthalts und der Integration von Unionsbür- gern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) (Drucksachen 14/7987, 14/8046, Drucksache 14/7387 und Drucksache 14/8395) . . . . . . . . 22107 A Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Ände- rung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (10. SGB V-Änderungsgesetz) (Tagesord- nungspunkt 22) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22107 D Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22107 D Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank – des Entwurfs eines Gesetzes über die inte- grierte Finanzdienstleistungsaufsicht – der Beschlussempfehlung und des Berichts zu der Unterrichtung: Vorschlag für eine Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2002IV Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die zusätzliche Beaufsichti- gung der Kreditinstitute, Versicherungs- unternehmen und Wertpapierfirmen eines Finanzkonglomerats und zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG, 79/267/EWG, 92/49/EWG, 92/96/EWG, 93/6/EWG und 92/22/EWG des Rates und der Richtlinien 98/78/EG und 2000/12/EG des Europä- ischen Parlaments und des Rates (Tagesordnungspunkt 24 a und b) . . . . . . . . . 22109 A Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 22109 A Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – Beschlussempfehlung und Bericht: Wettbe- werbsfähigkeit der deutschen Omnisbus- unternehmen erhalten und sichern – Beschlussempfehlung und Bericht: Wettbe- werbsfähigkeit des deutschen Güterkraft- verkehrsgewerbes erhalten und sichern – Antrag: Wettbewerbsnachteile für deutsches Güterkraftverkehrsgewerbe beseitigen (Tagesordnungspunkt 23 a und b) . . . . . . . . . . 22109 C Hans-Günter Bruckmann SPD . . . . . . . . . . . 22109 D Reinhold Strobl (Amberg) SPD . . . . . . . . . . . 22112 A Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22113 A Horst Friedrich (Bayreuth) FDP . . . . . . . . . 22113 C Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 22114 A Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – der Entwürfe eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes (6. HRGÄndG) – des Antrags: Ein neues Hochschuldienst- recht für eine moderne, leistungsfähige und attraktive Bildung und Forschung in Deutschland (Tagesordnungspunkt 25 a und b und Zusatz- tagesordnungspunkt 9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22115 A Dr. Peter Eckardt SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 22115 A Thomas Rachel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 22115 D Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22117 C Ulrike Flach FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22118 A Edelgard Bulmahn, Bundesministerin BMBF 22118 D Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Bekämpfung der Steuerkriminalität durch kontinuierliche und bundeseinheitliche Betriebsprüfung (Tagesordnungspunkt 26) . . . 22119 D Lydia Westrich SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22119 D Elke Wülfing CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 22121 B Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22122 B Carl-Ludwig Thiele FDP . . . . . . . . . . . . . . . 22122 D Anlage 10 Technisch bedingter Neuabdruck einer zu Pro- tokoll gegebenen Rede zur Beratung – des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Än- derung des Unterhaltsvorschussgesetzes – des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsvorschussgesetzes (218. Sitzung Tagesordnungspunkt 10 a und b) 22123 A Christina Schenk PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22123 B Anlage 11 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22124 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2002 V Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2002
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2002 Heidemarie Ehlert 22104 (C) (D) (A) (B) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2002 22105 (C) (D) (A) (B) Aigner, Ilse CDU/CSU 01.03.2002 Behrendt, Wolfgang SPD 01.03.2002* Blumenthal, Antje CDU/CSU 01.03.2002 Brunnhuber, Georg CDU/CSU 01.03.2002 Carstens (Emstek), CDU/CSU 01.03.2002 Manfred Eich, Ludwig SPD 01.03.2002 Faße, Annette SPD 01.03.2002 Fischer (Homburg), SPD 01.03.2002 Lothar Dr. Friedrich CDU/CSU 01.03.2002 (Erlangen), Gerhard Friedrich (Altenburg), SPD 01.03.2002 Peter Graf (Friesoythe), SPD 01.03.2002 Günter Haack (Extertal), SPD 01.03.2002 Karl-Hermann Hartnagel, Anke SPD 01.03.2002 Hauser (Rednitz- CDU/CSU 01.03.2002 hembach), Hansgeorg Dr. Höll, Barbara PDS 01.03.2002 Dr. Hornhues, CDU/CSU 01.03.2002* Karl-Heinz Ibrügger, Lothar SPD 01.03.2002** Imhof, Barbara SPD 01.03.2002 Irber, Brunhilde SPD 01.03.2002 Irmer, Ulrich FDP 01.03.2002 Jaffke, Susanne CDU/CSU 01.03.2002 Dr. Kenzler, Evelyn PDS 01.03.2002 Knoche, Monika BÜNDNIS 90/ 01.03.2002 DIE GRÜNEN Dr. Kues, Hermann CDU/CSU 01.03.2002 Lamers, Karl CDU/CSU 01.03.2002 Leidinger, Robert SPD 01.03.2002 Lengsfeld, Vera CDU/CSU 01.03.2002 Lintner, Eduard CDU/CSU 01.03.2002* Lippmann, Heidi PDS 01.03.2002 Michelbach, Hans CDU/CSU 01.03.2002 Mosdorf, Siegmar SPD 01.03.2002 Parr, Detlef FDP 01.03.2002 Pieper, Cornelia FDP 01.03.2002 Pofalla, Ronald CDU/CSU 01.03.2002 Roos, Gudrun SPD 01.03.2002 Rühe, Volker CDU/CSU 01.03.2002 Schlee, Dietmar CDU/CSU 01.03.2002 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 01.03.2002 Hans Peter Dr. Schockenhoff, CDU/CSU 01.03.2002 Andreas Dr. Schubert, Mathias SPD 01.03.2002 Schuhmann (Delitzsch), SPD 01.03.2002 Richard Seehofer, Horst CDU/CSU 01.03.2002 Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 01.03.2002 Dr. Staffelt, Ditmar SPD 01.03.2002 Steinbach, Erika CDU/CSU 01.03.2002 Streb-Hesse, Rita SPD 01.03.2002 Strebl, Matthäus CDU/CSU 01.03.2002 Dr. Tiemann, Susanne CDU/CSU 01.03.2002 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 01.03.2002 Dr. Westerwelle, Guido FDP 01.03.2002 Wieczorek (Duisburg), SPD 01.03.2002 Helmut * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlametarischen Versamm- lung der NATO entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO derAbgeordneten Dr. Heiner Geißler, Dr. Christian Schwarz-Schilling und Dr. Rita Süssmuth (alle CDU/CSU) zu der namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurf eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufent- halts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) und über den von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf ei- nes Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Aus- ländern (Zuwanderungsgesetz) (Drucksachen 14/7987, 14/8046, Drucksache 14/7387 und Drucksache 14/8395) Unsere Zustimmung zum Gesetzentwurf der Koalition zur Zuwanderung beruht auf folgenden Gründen: Erstens. Wir entscheiden über das vorliegende Zuwan- derungsgesetz nach unserer Grundüberzeugung und nach unserem Gewissen. Die Frage, welches Schicksal Kinder und Erwachsene erleiden, wenn sie als Flüchtlinge in Deutschland Schutz suchen, ist für uns ethisch von genau so großer Bedeutung wie etwa die Frage des Embryonen- schutzes. Zweitens. Der Gesetzentwurf der Koalition ist nicht ohne Fehler und Schwächen, er ist aber eindeutig besser als das geltende Recht. Wenn das Gesetz nun scheitert, wird der jetzige, unbefriedigende Zustand verlängert. Dies ist für die betroffenen Menschen nicht zumutbar. Dann wird weitergehen, was die Union zu Recht kritisiert, nämlich die ungeregelte Zuwanderung in die Sozialsys- teme. Die Integration wird weiterhin keine gesetzliche Regelung haben. Auch der Status der Flüchtlinge wird im Neben- und Durcheinander des geltenden Ausländerrech- tes nicht verbessert. Deshalb brauchen wir eine Reform, auch wenn sie nicht perfekt ist. Wir können nicht akzep- tieren, dass in der drittgrößten Industrie- und Handelsna- tion der Welt die überfällige Reform des Ausländer- und Zuwanderungsrechts wegen einiger weniger Meinungs- verschiedenheiten scheitern soll. Deutschland braucht Zuwanderung auch unter volks- wirtschaftlichen Aspekten. Das Argument, dass eine wei- tere Zuwanderung angesichts der hohen Arbeitslosenzahl nicht notwendig sei, hält einer differenzierten Betrach- tung nicht stand. Drittens. Der Gesetzentwurf bringt entscheidende und überfällige humanitäre Verbesserungen für die Flücht- linge, zum Beispiel: Die aufenthaltsrechtliche Stellung von Konventionsflüchtlingen („kleines Asyl“) wird durch die Abschaffung der Duldung und durch die Angleichung an den Status von Asylberechtigten entscheidend verbes- sert. Beide Flüchtlingsgruppen erhalten eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die nach drei Jahren bei unverän- derter Verfolgungssituation in ein Daueraufenthaltsrecht verwandelt wird. Damit wird den Betroffenen ein men- schenwürdiges Leben in Deutschland ermöglicht. Opfer von nicht staatlicher und geschlechtsspezifi- scher Verfolgung erhalten einen verbesserten Schutz gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention: Dies ist im Ein- klang mit der Rechtspraxis, die in fast allen europäischen Ländern üblich ist. Die Einführung einer Härtefallregelung erlaubt es in besonders gelagerten Härtefällen, Menschen, denen bis- her keine Aufenthaltstitel erteilt werden konnte, aus drin- genden humanitären oder persönlichen Gründen die wei- tere Anwesenheit im Bundesgebiet zu ermöglichen. Schutzbedürftige erhalten mit der Aufenthaltserlaub- nis, im Gegensatz zur bisherigen Duldung, einen recht- mäßigen Aufenthaltsstatus. Die erleichterte Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in humanitären Fällen ermöglicht einen – wenn auch einge- schränkten – Familiennachzug. Diese und andere Verbesserungen gestalten das Aus- länderrecht einfacher und gleichzeitig humaner. Da wir uns seit Jahren für diese positiven Veränderun- gen des Ausländerrechts eingesetzt haben, würde es unse- ren Pflichten als Abgeordnete entsprechend Art. 38 des Grundgesetzes widersprechen, diese im Gesetzentwurf vorgesehenen Verbesserungen abzulehnen. Viertens. Mit unserer Entscheidung wissen wir uns in Übereinstimmung mit den ethischen Grundsätzen unserer Partei, wie sie im Grundsatzprogramm der CDU auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes niedergelegt worden sind. Unsere Entscheidung soll auch als Signal dafür verstanden werden, im weiteren Gesetzgebungsver- fahren doch noch zu einer Einigung zwischen den politi- schen Parteien zu kommen. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Norbert Blüm (CDU/CSU) zu der namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf ei- nes Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) und über den von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Steuerung und Be- grenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unions- bürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) (Drucksachen 14/7987, 14/8046, Drucksache 14/7387 und Drucksache 14/8395) Ich lehne das Zuwanderungsgesetz ab, weil seine Re- gelungen zynisch gegenüber den ärmeren Ländern und rücksichtslos gegenüber Arbeitslosigkeit in Deutschland ist – egal, ob es sich um Arbeitslosigkeit von Ausländern oder von Deutschen handelt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 200222106 (C) (D) (A) (B) „Die Qualifizierten in den ärmeren Ländern abzusah- nen“ ist das Gegenteil von Entwicklungshilfe. Die ärme- ren Länder bezahlen die Ausbildung, die reichen nutzen sie. Ein 40-jähriger Informatiker hat es in Deutschland schwer, Arbeit zu finden. Für ihn holen wir einen jünge- ren und billigeren Informatiker aus Indien. Das ist ein be- quemer Fluchtweg aus dem Kampf gegen die Arbeitslo- sigkeit hierzulande. Die Regelung im Gesetzentwurf zum Asyl- und Aus- länderrecht halte ich für richtig. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ulla Jelpke (PDS) zu der na- mentlichen Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Ge- setzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) und über den von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Steuerung und Be- grenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unions- bürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) (Drucksachen 14/7987, 14/8046, Drucksache 14/7387 und Drucksache 14/8395) Ich stimme gegen den Regierungsentwurf für ein Zu- wanderungsgesetz. Dabei leiten mich – kurz gefasst – die folgenden Motive: Ich erkenne an, dass im Gesetz einige positive Punkte enthalten sind, etwa die Anerkennung nicht staatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung als Fluchtgrund, der zur Zuerkennung des Flüchtlingsstatus führt. Die negativen Seiten des Gesetzes sind jedoch für mich weitauszahlreicher und gewichtiger: Kinder werden noch stärker benachteiligt als bisher. Abgesehen von einigen Ausnahmefällen ist das Höchstal- ter für den Nachzug auf zwölf Jahre (bisher waren es 16) abgesenkt worden. Ansonsten gibt es keine Änderungen zugunsten von Minderjährigen. Spätestens ab 16 Jahren werden Jugendliche weiterhin durch die Mühlen des Asyl- verfahrens getrieben, in Abschiebehaft genommen und abgeschoben. Noch mehr Menschen als bisher werden der sozialen Ausgrenzung in Gestalt des Asylbewerberleistungsgeset- zes unterworfen. Die Abschiebungshaft wird nicht abge- schafft, sondern im Gegenteil noch durch die ominösen Ausreisezentren erweitert. Auch die Residenzpflicht bleibt nicht nur bestehen, sondern wird auf alle ausreise- pflichtigen AusländerInnen ausgedehnt. Es gibt keinen Einstieg in die Lösung der Probleme von Menschen ohne Papiere. Die humanitäre Hilfe für diese Personen bleibt weiterhin im Grundsatz mit Strafe bedroht. Schulen, Krankenhäuser und andere Einrichtungen sind wie bisher verpflichtet, Daten von „Illegalen“ an Polizei und Aus- länderbehörde weiterzugeben. Weiterhin wird Flüchtlingen ein Abschiebungsschutz verweigert, wenn die Gefahren, die ihnen drohen, „allge- meine“ sind (zum Beispiel Krieg oder Katastrophen). „Nachfluchtgründe“, das heißt etwa drohende Verfolgung wegen exilpolitischer Tätigkeit, sollen nicht mehr zum Abschiebungsschutz führen. Das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses wird nicht in jedem Fall zur Erteilung einer Aufenthaltserlaub- nis führen. Nur wer nachweisen kann, dass er auch in ir- gendeinen dritten Staat nicht ausreisen kann, wird einen solchen Aufenthaltstitel bekommen. Viele, die bisher nur eine „Duldung“ erhalten haben, werden weiterhin allen- falls mit einer „Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung“ ihr Überleben versuchen müssen. Ein Asylsuchender, der seine Pflicht verletzt, sich un- verzüglich bei der zuständigen Aufnahmestelle zu mel- den, zum Beispiel weil er noch Freunde oder Verwandte besuchen will, wird sich plötzlich vor der Situation ge- stellt sehen, dass sein Asylantrag nur noch als „Folgean- trag“ gilt und alle Ereignisse, die vor der Flucht stattge- funden haben, nicht mehr berücksichtigt werden müssen. Das ist eine klare Verletzung der Genfer Flüchtlingskon- vention, aber dies scheint SPD und Grüne nicht zu stören. Wer es ernst meint mit Menschenrechten, kann sich von diesem Gesetzentwurf nur mit Grausen abwenden. Deshalb kann es für mich nur eine Ablehnung des Geset- zes geben. Die Einwanderung wird zum Thema eines extrem po- larisierten Wahlkampfes werden. Hieran wird auch eine Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes nichts än- dern. Gegen die diskriminierende Propaganda der Union unter Edmund Stoiber wird es mit dieser CDU/CSU al- lenfalls auf Kosten der Betroffenen gehen. Daran kann ich mich nicht beteiligen. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Zehnten Geset- zes zur Änderung des Fünften Buches Sozialge- setzbuch (10. SGB V-Änderungsgesetz) (Tages- ordnungspunkt 22) Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Zunächst einmal freue ich mich, dass das Fallpau- schalengesetz vor wenigen Stunden beschlossen worden ist. Damit wurde der Weg frei gemacht für eine wirkliche Reform in der Krankenhausfinanzierung. Für die Siche- rung der Beitragssatzstabilität wurde ein entscheidender Beitrag geleistet. Zu dem vorliegenden Gesetzentwurf: Die Rahmen- bedingungen des vorliegenden Gesetzentwurfes sind Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2002 22107 (C) (D) (A) (B) von außen vorgegeben und begrenzen damit unseren Entscheidungsspielraum maßgeblich. Es ist zum einen die Entscheidung des Verfassungsgerichtes zum Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung und eine Mittei- lung des Bundesrechnungshofes über den Zeitpunkt der Überweisung der Krankenversicherungsbeiträge der Rentner durch die Rentenversicherung an die GKV. Aber auch die Alternativen schränken den Raum für vernünf- tige Entscheidungen ein. Würde unter den gegebenen Be- dingungen der Bundestag nicht handeln, tritt also gemäß Verfassungsgerichtsurteil der Rechtszustand von vor 1993 wieder ein. Eine Belastung der sozial schwachen Rentner wollen wir nicht, denn sie würden durch höhere Beiträge zur Krankenversicherung wesentlich schlechter gestellt werden. Dass es sich hierbei um Personen mit kleinen, ja Kleinstrenten handelt, ist den Anwesenden hier ja bekannt. Da wir im Gegensatz zur früheren Regierung eine so- zial ausgewogene Politik machen, haben wir den vorlie- genden Gesetzentwurf eingebracht. Die Hintergründe des Gesetzentwurfs waren: Das Bundesverfassungsge- richt hatte die im Rahmen des Gesundheitsstrukturge- setzes von 1992 beschlossene Verschärfung der Voraus- setzungen für eine Versicherungspflicht als Rentner als verfassungswidrig erklärt. Das Gericht hat den Gesetz- geber aufgefordert, die allein auf einer unterschiedlichen Bewertung von freiwilligen und pflichtversicherten Ver- sicherungszeiten beruhende Schlechterstellung freiwil- lig versicherter Rentner bis zum 31. März 2002 zu be- seitigen. Und nun wird es interessant: Für den Fall, dass der Gesetzgeber dem nicht nachkommt, richtet sich nach der Vorgabe des Gerichts der Zugang zur Pflichtversi- cherung als Rentner vom 1. April 2002 an nach den Re- gelungen des Gesundheits-Reformgesetzes von 1988. Dieser Zusatz des Bundesverfassungsgerichts hat Geset- zeskraft und bedarf keiner ausdrücklichen gesetzlichen Klarstellung, sodass der Gesetzgeber nicht hätte handeln müssen. Eine gesetzliche Regelung des Mitgliedschafts- bzw. Beitragsrechts von Rentnern entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts erscheint jedoch zum ge- genwärtigen Zeitpunkt nicht sachgerecht; denn es sollte keine Präjudizierung der Frage der künftigen Gestaltung des Beitragsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung vorgenommen werden. Die vom Bundesverfassungsge- richt geforderten Regelungen sollten daher in den Kontext einer grundlegenden Neuregelung des Beitragsrechts für alle Versichertengruppen gestellt werden. Wir werden mit dem Gesetz erreichen, dass die über- wiegende Zahl der freiwillig versicherten Rentner entlas- tet wird, weil sie geringere Beiträge auf Versorgungsbe- züge entrichten müssen und die Beitragspflicht sonstiger Einnahmen entfällt. Verfügen die Betroffenen neben der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung jedoch über keine weiteren beitragspflichtigen Einnahmen, müssen sie vom 1. April 2002 an einen höheren Krankenversiche- rungsbeitrag entrichten, da von ihrer Rente der gesetzli- chen Rentenversicherung von diesem Zeitpunkt an an- stelle des ermäßigten Beitragssatzes der allgemeine Beitragssatz erhoben wird. Gleichzeitig werden sie je- doch nicht wie die Rentner mit weiteren Einkünften ent- lastet. Eine Belastung kann auch für mitversicherte Fami- lienangehörige auftreten, die bislang keine Beiträge auf Kleinrenten zahlen mussten und durch den Beschluss des Gerichtes zukünftig Krankenversicherungsbeiträge zah- len müssen. Aus Gründen des Bestands- und Vertrauensschutzes derjenigen, die mit einer Beitragsmehrbelastung nicht rechnen konnten, sieht der Gesetzentwurf der Koaliti- onsfraktionen die Möglichkeit vor, diese Beitragsmehr- belastungen zu vermeiden. Die Rentenbezieher, die bis zum 31. März 2002 freiwillige Mitglieder sind, weil sie die durch das Gesundheitsstrukturgesetz von 1992 ver- schärften Voraussetzungen für den Eintritt der Versiche- rungspflicht als Rentner nicht erfüllt haben und auf- grund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 1. April 2002 an als Rentner versicherungspflichtig werden würden, sollen die Möglichkeit haben, weiter als freiwilliges Mitglied in der gesetzlichen Krankenversi- cherung versichert zu sein. Durch Ausübung dieses Bei- trittsrechts können die Betroffenen de facto ihren bishe- rigen Status erhalten. Sie haben damit die Möglichkeit, Beitragsmehrbelastungen aufgrund des Eintritts der Ver- sicherungspflicht für sich und für ihren Ehegatten zu vermeiden, wenn dieser bis zum 31. März 2002 bei- tragsfrei familienversichert ist und ebenfalls seit dem 1. April 2002 als Rentner versicherungspflichtig werden würde. Und noch ein Wort zu den Kosten: Natürlich hat das Urteil finanzielle Auswirkungen. Circa 250 Millionen Euro wird die Beitragsentlastung der Rentner den Kran- kenkassen kosten. Bis zu 50 Millionen Euro sind durch die Rentenversicherung mehr an die Krankenversiche- rung zu überweisen. Die Krankenkassen haben in Kennt- nis des Urteils die Kosten in ihren Haushalten berück- sichtigt. Das Optionsrecht der Versicherten kann die Krankenkassen zusätzlich mit bis zu 40 Millionen Euro belasten. Jedoch steht der Belastung der Krankenkasse eine Entlastung der Rentenkasse gegenüber. Kosten wären also in jedem Fall für einen Zweig der Sozialversi- cherung aufgetreten. In den von den Koalitionsfraktionen mit den Rentenversicherungsträgern und den Spitzenver- bänden vorab geführten Gesprächen haben diese ihre Zu- stimmung zum vorgelegten Gesetz signalisiert. Somit ist die Entscheidung eine einfache: Zusätzliche Kosten wer- den bei den betroffenen Rentnern vermieden. Zum Abschluss noch ein paar Worte zum Urteil des Verfassungsgerichtes. Dieses hat in seiner Urteilsfindung ausdrücklich nicht die Einbeziehung weiterer Einkom- mensarten in die Beitragsbemessung für verfassungswid- rig erklärt. Mit diesem Urteil ist die Entwicklung neuer Finanzierungskonzepte nicht eingeschränkt worden. Hier muss in Zukunft grundsätzlich neu überlegt werden. Stimmen sie dem Gesetz zu und tragen Sie mit dazu bei, dass es eine sozial gerechte Lösung für Rentner mit geringem Einkommen gibt, und beteiligen Sie sich aktiv an der solidarischen Fortentwicklung der GKV. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 200222108 (C) (D) (A) (B) Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung – des Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Ände- rung des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank – des Entwurfs eines Gesetzes über die integrierte Finanzdienstleistungsaufsicht – der Beschlussempfehlung und des Berichts zu der Unterrichtung: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die zusätzliche Beaufsichtigung der Kreditinstitute, Versicherungsunternehmen und Wertpapierfirmen eines Finanzkonglomerats und zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG, 79/267/EWG, 92/49/EWG, 92/96/EWG, 93/6/EWG und 92/22/EWGdes Rates und derRichtlinien 98/78/EG und 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (Tagesordnungspunkt 24 a und b) Dr. Barbara Höll (PDS): Zum 1. Januar sind die geld-, wirtschafts- und währungspolitischen Entschei- dungsbefugnisse der Bundesbank auf das Europäische System der Zentralbanken übergegangen. Sie hat nun vor allem die Aufgabe, die Geldpolitik der Europäischen Zen- tralbank national umzusetzen. Es ist deshalb unbestritten, dass die Leitungs- und Entscheidungsstrukturen sowie der organisatorische Aufbau der Bundesbank an die neuen Anforderungen angepasst werden müssen. Notwendig ist gleichzeitig eine Effektivierung und Verschlankung der Strukturen sowohl in der Spitze als auch in anderen Tätig- keitsbereichen. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein Kompromiss und wird der Entwicklung adäquat gerecht. Deutliche Kritik muss jedoch daran geübt werden, dass diese grundlegend neue Ausrichtung der Bundesbank nicht dazu genutzt wurde, die Mitwirkungsrechte der Be- legschaft zu verbessern. Diese Chance wurde vertan. Im Rahmen der Behandlung des Gesetzentwurfes wurden seitens der Gewerkschaften Vorschläge unterbreitet, den Beschäftigten Sitz und Stimme im Verwaltungsbeirat zu geben. Damit hätten sich zukünftig auch die Arbeitneh- merinnen und Arbeitnehmer wirksam an der inneren Ge- staltung der Bundesbank beteiligen können. Sie sind auf diese Vorschläge nicht eingegangen. Wir fordern Sie des- halb auf, dieses Defizit im Rahmen der Verhandlungen im Bundesrat zu beseitigen. Insgesamt stimmen wir dem Ge- setzentwurf zur Strukturreform der Bundesbank zu. Mit der Bundesbankstrukturreform wird auch ein Ge- setz zur Schaffung einer Allfinanzaufsicht verabschiedet. Die Aufgaben des Bundesaufsichtsamts für Kreditwesen, des Bundesaufsichtsamts für Versicherungswesen und des Bundesaufsichtsamts für den Wertpapierhandel sollen künftig in einer sektorübergreifenden Allfinanzaufsicht zusammengeführt werden. Angesichts des Wandels der Finanzmärkte ist dies ein sinnvoller Schritt, denn klar ist, dass Banken heute nicht mehr nur Angebote über Anla- gemöglichkeiten oder günstige Kredite, sondern auch Versicherungen und demgegenüber Versicherungsunter- nehmen auch Sparpläne und Anlagemöglichkeiten anbie- ten. Auch wenn meines Erachtens in Zukunft Finanzkon- glomerate nicht bestimmend sein werden, so wird deut- lich, dass die Kooperation von Banken, Finanzdienstleis-tern und Versicherern stetig zunimmt, die Produkte immer mehr verschwimmen. Weiterhin ver- stärken sich permanent die Wechselbeziehungen zwi- schen Bank- und Kapitalmarktfinanzierung. Eine einheit- liche Aufsicht über die Anbieter und ihre Produkte ist da nur sinnvoll. Diese hat sich ja auch international bewährt, unter anderem in Japan, der Schweiz oder in den skandi- navischen Ländern. Durchaus unterstützenswert ist auch die hier gefun- dene Lösung, die Bundesbank in die Behörde zu integrie- ren und ihr entsprechende Rechte bei der Aufsicht der knapp 3 000 Banken und Institute einzuräumen. Ich denke, hier wird vorhandenes Know-how effektiv ge- nutzt. Aus diesem Grund werden wir den Gesetzentwurf un- terstützen. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – Beschlussempfehlung und Bericht: Wettbewerbs- fähigkeit der deutschen Omnibusunternehmen er- halten und sichern – Beschlussempfehlung und Bericht: Wettbewerbs- fähigkeit des deutschen Güterkraftverkehrsgewer- bes erhalten und sichern – Antrag: Wettbewerbsnachteile für deutsches Gü- terkraftverkehrsgewerbe beseitigen (Tagesordnungspunkt 23 a und b) Hans-Günter Bruckmann (SPD): Ziel unserer Poli- tik ist es, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Omni- busunternehmen und des deutschen Güterkraftgewerbes zu erhalten und für die Zukunft zu sichern, denn die Bun- desregierung und die sie tragende Regierungskoalition sind sich der Bedeutung dieser Wirtschaftszweige als be- vorzugte Träger der Alltags- und Freizeitmobilität und des Güterkraftverkehrs in Deutschland bewusst. Die Fakten liegen klar auf der Hand: Der Omnibus ist nach dem Auto das zweitwichtigste Beförderungsmittel und im ÖPNV ist er sogar die Nummer eins. Das Güterkraftverkehrsgewerbe ist Hauptträger des Wirtschaftsverkehrs in Deutschland und Europa im Nah- und Fernverkehr Für diese Branchen prägend und erfolgreich sind ins- besondere die vielen mittelständisch strukturierten Unter- nehmen, die sich durch Eigeninitiative, Mut, Phantasie und Innovation auszeichnen. Mit ihrer Anpassungs- und Innovationsfähigkeit sorgen sie dafür, dass viele Men- schen in den Unternehmen Arbeit haben. Auch in schwie- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2002 22109 (C) (D) (A) (B) rigen Zeiten haben diese Betriebe ihre Leistungsfähigkeit – allen Unkenrufen zum Trotz – unter Beweis gestellt. Die CDU/CSU geht davon aus, dass unser deutsches Omnibusgewerbe und der Güterkraftverkehr auf Dauer weder konkurrenz- noch überlebensfähig sind. Beim Bus- verkehr wird außerdem unterstellt, dass die mittelständi- schen Verkehrsunternehmen nach dem Verordnungs- entwurf der Europäischen Kommission über die Liberali- sierung des ÖPNV einem „ruinösen Konkurrenzkampf`“ mit europaweit tätigen Konzernen ausgesetzt sind, während die kommunalen Verkehrsbetriebe vom Anwen- dungsbereich der neuen Regelung ausgenommen werden sollen. Die Lösung wird in der Abschaffung der Öko- steuer und der Gewährung von Steuervergünstigungen und/oder -befreiungen zugunsten des ÖPNV und der Bus- touristik gesehen. Was hat die Regierung für diesen Bereich der Ver- kehrswirtschaft getan? Zur Unterstützung dieser Branche der Verkehrswirtschaft hat das Ministerium im Mai 2000 ein Eckpunktepapier erstellt. Es enthält drei Kernbot- schaften: Erstens. Wir geben ein Signal für eine Qualitätsoffen- sive, um mehr Kunden zu gewinnen. Zweitens. Verkehrsunternehmen und Beschäftigte müssen sich auf mehr Wettbewerb einstellen. Sie können aber darauf bauen, dass der Gesetzgeber ihnen dabei ei- nen fairen Ordnungsrahmen garantiert. Drittens. Gemeinsam mit den Ländern wollen wir effi- ziente und verlässliche finanzielle Rahmenbedingungen für den ÖPNV schaffen. Darüber hinaus hat die Steuerreform positive Rahmen- bedingungen zur Förderung der unternehmerischen Eigen- initiative geschaffen (Nettoentlastung für den Steuerzah- ler 55 Milliarden Euro von 1998 bis 2005, davon entfallen rund 16,5 Milliarden Euro auf den Mittelstand). Die Vor- teile der kurzen Abschreibungsdauer bei Omnibussen bleiben erhalten. Im Rahmen der ökologischen Steuerre- form wird nur der halbe Erhöhungssatz (1,5 statt 3 Cent/Liter bei Diesel) für im ÖPNV eingesetzte Busse erhoben. Der Eingangssteuersatz bei der Einkommen- steuer wird stufenweise von 25,9 Prozent (1998) auf 15 Prozent (2005) gesenkt. Der Spitzensteuersatz wird von 53 Prozent (1998) auf 42 Prozent (2005) herabge- setzt. Personenunternehmen werden zusätzlich dadurch entlastet, dass sie faktisch keine Gewerbesteuer zahlen, weil sie ihre Gewerbesteuer pauschaliert auf die Einkom- mensteuer anrechnen lassen können. Mit der zum 1. Ja- nuar in Kraft getretenen steuerfreien Reinvestitionszulage und der Freibetragserhöhung bei Betriebsveräußerungen sind weitere wichtige Elemente zur Förderung der mittel- ständischen Unternehmen im Verkehrsbereich geschaffen worden. Was uns gemeinsam freuen kann, ist die Tatsache, dass unser gemeinsamer Antrag vom 24. Januar 2001 zur EU- Verordnung über die Liberalisierung im ÖPNV auf Schiene und Straße bei der Behandlung im Europaparla- ment positive Wirkung gezeigt hat: Es werden ausrei- chende Übergangsfristen für den geregelten Wettbewerb eingeräumt. Die Technik-, Qualitäts- und Umweltstan- dards werden ebenso wie Arbeits- und Sozialstandards Kriterien einer Ausschreibung oder Vergabe sein. Unser Gesetzentwurf zur Tariftreue hilft gleichermaßen den Bus- unternehmen wie den Verkehrsunternehmen in öffentli- cher Hand im europäischen Wettbewerb. Außerdem bleiben wir bei der Förderung des Schie- nenverkehrs und des ÖPNV auf hohem Niveau: Die Mit- tel aus dem GVFG und die Regionalisierungsmittel liegen bei über 8 Milliarden Euro. Wir haben durch Regierungs- handeln die Zukunftsfähigkeit der Omnibusunternehmen gesichert. Zum Antrag der CDU/CSU-Fraktion „Wettbewerbs- fähigkeit des deutschen Güterkraftverkehrs erhalten und sichern“, Drucksache 14/4150 vom 26. September 2000, und zum Antrag der FDP-Fraktion „Wettbewerbsnach- teile für deutsches Güterkraftverkehrsgewerbe beseiti- gen“, Drucksache 14/4378 vom 25. Oktober 2000: Ich sage Ihnen sicherlich nichts Neues, wenn ich feststelle, dass auch wir das Wohl der deutschen Spediteure nicht vernachlässigen – und auch in Zukunft nicht vernachläs- sigen werden. Dennoch können wir beide Anträge nur ab- lehnen; sind doch die dort enthaltenen Forderungen ent- weder untauglich oder überholt. Eine lange Liste schöner Wünsche, in der Tat. Aber ich sagte es bereits: Manche dieser Wünsche sind längst erfüllt – andere machen we- nig Sinn. Lassen Sie mich im einzelnen auf Einige der genann- ten Punkte eingehen: Bei der Harmonisierung sind in den letzten Jahren Fortschritte erreicht worden wie zum Beispiel: Die verur- sachergerechte Anlastung der Wegekosten wurde geregelt durch Richtlinie 1999/62/EG. Ein Vorschlag zur Regelung der Arbeitszeit des fahrenden Personals im Straßenver- kehr liegt vor. Am 5. Februar 2002 hat das EP das Ergeb- nis des Vermittlungsverfahrens gebilligt. Ein Richtlinien- vorschlag zur Ausdehnung des Geltungsbereichs der RL 92/6/EWG über Geschwindigkeitsbegrenzer auf Perso- nen- und Lastkraftwagen mit einem Gewicht von mehr als 3,5 Tonnen liegt seit Juni vor. Der Wirtschafts- und Sozi- alausschuss hat am 28. November 2001 Stellung genom- men. Zum Thema Kabotage: Die sozialverträgliche Öffnung des Marktzugangs im Straßenverkehr ist bei der EU- Osterweiterung im Verkehrsbereich aus deutscher Sicht angesichts des starken Lohngefälles zu den mittel- und osteuropäischen Staaten (10:1) tatsächlich das gravie- rendste Problem. Um dem deutschen Transportgewerbe eine längere Eingewöhnungszeit zu verschaffen, bis sich das Lohnni- veau in den Beitrittsländern zumindest dem EU-Durch- schnitt angenähert hat, hat Deutschland bei der Festle- gung der EU-Verhandlungsposition für Marktzugang im Straßenverkehr ein Vorgehen in drei Phasen gefordert: Vor dem Beitritt: erste Schritte zur Erweiterung des Marktzugangs im internationalen Verkehr, um auch deut- sches Gewerbe auf Marktöffnung vorzubereiten. Mit dem Beitritt: volle Öffnung des Marktzugangs im grenz- überschreitenden Verkehr, erste Schritte zur Öffnung der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 200222110 (C) (D) (A) (B) Kabotage. Volle Öffnung der Kabotage erst einige Jahre nach dem Beitritt. Dieser deutsche Dreistufenplan für den Straßengüter- verkehr hat bisher aber die notwendige Unterstützung noch nicht gefunden. Wir werden daran weiter arbeiten. Im Dezember 2001 hat die Gemeinschaft ihre gemein- same Position im Verkehrskapitel zu Estland, Litauen, Slowakei, Tschechien, Ungarn, Lettland und Slowenien festgelegt. Sie beinhaltet folgende Regelung (so genannte 3+2- bzw. 2+2+1-Lösung): Für Ungarn (und voraussicht- lich Polen): dreijährige allgemeine Übergangsfrist ab Bei- tritt bis zur Freigabe der Kabotage mit Verlängerungs- möglichkeit um zwei Jahre. Für Estland, Litauen, Slowakei, Tschechien, Lettland: zweijährige allgemeine Übergangsfrist ab Beitritt bis zur Freigabe der Kabotage mit Verlängerungsmöglichkeit um zwei Jahre und weite- rer Verlängerungsmöglichkeit um ein Jahr. Für alle genannten Staaten gilt weiterhin: Während der Übergangszeit soll grundsätzlich Kabotageverbot gelten. Bilateral können Mitgliedstaaten und Beitrittsländer sich gegenseitig Kabotage auf ihrem Territorium einräumen. Im Verhältnis zu Slowenien bestehen keine Übergangs- fristen. Damit ist dem deutschen Interesse an einer mög- lichst langen Übergangsfrist zugunsten des deutschen Transportgewerbes Rechnung getragen. Thema: graue und illegale Kabotage: Illegale Beschäf- tigung war und ist in der Tat ein drängendes Problem für das deutsche Güterkraftverkehrsgewerbe. Aber die Bun- desregierung hat sich diesem Problem gestellt und mit dem Gesetz zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung im gewerblichen Straßengüterverkehr (GüKBIIIBG) ein Instrument geschaffen, um Wettbewerbsverzerrungen in diesem Bereich nachhaltig zu bekämpfen. Dieses Gesetz ist am 7. September 2001 in Kraft getreten. Zum Punkt wettbewerbsverträgliche Einführung der LKW-Maut: Weder wir noch die Bundesregierung ver- kennen, dass durch die künftige LKW-Maut auf Bundes- autobahnen eine Kostenmehrbelastung für das Güter- kraftverkehrsgewerbe eintreten wird, die ganz überwiegend den Fernverkehr betrifft. Mit der entfer- nungsabhängigen LKW-Gebühr bezahlen künftig alle LKW-Unternehmer für die Anzahl der Kilometer, die sie auf deutschen Autobahnen fahren. Im internationalen Wettbewerb wird die LKW-Maut für deutsche Transport- unternehmen daher eher Vorteile bringen, da ausländische LKW erstmals zu einer wesentlich verursachergerechte- ren Wegekostenanlastung als bisher herangezogen wer- den. Die Bundesregierung unternimmt zudem alle Anstren- gungen, um die Einführung der LKW-Maut mit einem größtmöglichen Harmonisierungsschritt im europäischen Rahmen zu verbinden. Dies schließt die Anstrengungen ein, dass die Vergünstigungen, die Unternehmen in ande- ren EU-Mitgliedstaaten befristet zugute kommen, wie vorgesehen Ende 2002 auslaufen. In diese Aktivitäten ist die Vereinbarung von Bundes- minister Bodewig mit dem Präsidenten des Bundesver- bandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung e.V., Herrn Grewer, vom 10. Januar 2002 einzureihen, die eine Konkretisierung eines EU-kompatiblen Modells zur An- rechnung von Mineralölsteueranteilen für mautpflichtige LKWvorsieht (Volumen: 260 Millionen Euro). Eine voll- ständige Kompensation der Maut würde dem Ziel der ge- rechteren Wegekostenanlastung nicht entsprechen und zudem keine zusätzlichen Finanzmittel für dringend not- wendige Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen ermöglichen. Zum anderen entlastet das bereits zum Thema Busver- kehr von mir angesprochene Steuersenkungsgesetz das vorwiegend mittelständisch geprägte Transportgewerbe und durch den Wegfall der Eurovignette wird das Ge- werbe pro LKWum durchschnittlich 1 380 Euro entlastet. Zum Punkt Abschaffung der Ökosteuer: Nein, wir wer- den die ökologische Steuerreform nicht rückgängig ma- chen! Warum? Ich möchte an dieser Stelle gar nicht ver- tiefen, dass während Ihrer Regierungszeit zwischen 1989 und 1994 die Benzinsteuer um 50 Pfennige erhöht worden ist, ohne dass mit dem Steuermehraufkommen andere Steuern gesenkt worden wären. Und ich scheue mich schon fast, zu erwähnen, dass Ihr Antrag natürlich keine Vorschläge dazu enthält, wie denn die mit der Aufhebung der ökologischen Steuerreform verbundenen Minderein- nahmen für den Bundeshaushalt ausgeglichen werden sollen, um ein erneutes Ansteigen der Lohnnebenkosten (Rentenversicherungsbeiträge) zu verhindern. Lassen Sie mich stattdessen einfach darauf hinweisen, dass der Anteil der Kraftstoffkosten und erst recht der An- teil der Ökosteuer an den Kosten des Straßengütergewer- bes deutlich geringer ist als der der Lohnkosten. Nicht einmal Edmund Stoiber würde daher die ökologische Steuerreform umkehren wollen, wie sich ja mittlerweile herausgestellt hat. Mehr ist dazu nicht zu sagen. Wir lehnen den Antrag ab. Im Antrag der FDP wird auf die Abschreibungsfristen (AfA) eingegangen. Zur Klarstellung: Die branchenspe- zifische Abschreibungstabelle für die Personen- und Gü- terbeförderung bleibt dem Güterkraftverkehrsgewerbe er- halten. Antrag der CDU/CSU-Fraktion „Weißbuch über Har- monisierungsdefizite bei Verkehrsdienstleistungen“ Drucksache 14/4378 vom 24. Oktober 2000: Laut Antrag der Opposition soll der Bundestag die Bundesregierung auffordern, die EG-Kommission darauf zu drängen, in einem Weißbuch bestehende Regelungs- und Vollzugs- defizite bei der Harmonisierung der Wettbewerbs- bedingungen für Verkehrsdienstleistungen, auch in Hin- blick auf den Beitritt der MOE-Staaten, aufzuzeigen. Die- sen Antrag können wir – wie die vorigen Anträge auch – nur ganz klar ablehnen. Zwar ist es richtig, dass die Liberalisierung des Markt- zuganges im Straßengüterverkehr mit der völligen Frei- gabe der Kabotage in der EG zum 1. Juli 1998 vollendet wurde, und es ist auch richtig, dass es harmonisierter Wettbewerbsbedingungen, insbesondere bei den fiskali- schen, sozialen und technischen Vorschriften, bedarf, da- mit der durch die Liberalisierung freigegebene Wettbe- werb ohne Wettbewerbsverzerrungen vonstatten gehen kann. Genauso richtig ist es aber auch, dass die Bundes- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2002 22111 (C) (D) (A) (B) regierung stets Vorreiter war und ist, wenn es um die Har- monisierung der Wettbewerbsbedingungen geht, und genauso richtig ist es, dass die Forderung der Opposition nach Erstellung eines entsprechenden Weißbuches schon im Oktober 2000 überholt war. Umso mehr ist sie es jetzt. Die EU hat am 12. September 2001 ein neues Weiß- buch zur gemeinsamen Verkehrspolitik herausgegeben, das unter anderem auch auf Fragen der Harmonisierung, insbesondere der fiskalischen und sozialen Wettbewerbs- bedingungen, eingeht. Ein erneuter Vorstoß für einen ge- sonderten Bericht zu Harmonisierungsdefiziten ist daher auf absehbare Zeit weder zielführend noch erfolgverspre- chend. Aus diesem Grunde hat auch der EU-Ausschuss des Deutschen Bundestages den Antrag der Opposition ausdrücklich abgelehnt. Diese Entscheidung war völlig richtig. Wir können uns ihr nur anschließen. Reinhold Strobl (Amberg) (SPD):Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP fordern die Angleichung der Wettbe- werbsbedingungen für den Güterkraftverkehr im EU-Bin- nenmarkt. Sie rennen bei uns damit offene Türen ein. Des- halb hätte es dieser Entschließungsanträge gar nicht bedurft. Weil durch Ihre Anträge ein falscher Anschein er- weckt wird, meine Damen und Herren von der Opposi- tion, möchte ich klarstellen, dass die Bundesregierung auf EU-Ebene umfassend tätig ist und die volle Unterstützung der Koalitionsfraktionen hat. Die Beseitigung der Harmo- nisierungsdefizite im Bereich der Steuer- und Sozialvor- schriften im europäischen Güterkraftverkehrsmarkt ist er- klärtes Ziel unserer zukunftsorientierten Verkehrspolitik. Die Realität der europäischen Politik ist hart. Das ist auch den großen Europäern, gerade aus den Reihen der CDU/CSU, gut bekannt. Oft genug laufen nachbessernde Regulierungen der Liberalisierung im Binnenmarkt hin- terher. Wir haben, wie Sie wissen, seit 1. Juli 1998 die völlige Freigabe der Kabotage, aber keinen echten Binnenmarkt, was die ordnungspolitische Seite anbetrifft. Seit 1. Juli 1998 dürfen Unternehmer mit Sitz in einem Mitgliedstaat der EU oder einem anderen Vertragsstaat des Europä- ischen Wirtschaftsraums, die über Gemeinschaftslizenzen verfügen, ohne zahlenmäßige Einschränkung in anderen Mitgliedstaaten oder Vertragsstaaten Binnenbeförderun- gen – Kabotage – durchführen. Es ist aber eine recht durchsichtige Strategie, die Bundesregierung für weiter- hin bestehende Defizite bei den Wettbewerbsbedingun- gen verantwortlich zu machen, obwohl Sie wissen, dass Fortschritte im Rat der Fünfzehn nur im Konsens erzielt werden können. Kommen wir zurück zur nationalen Ebene. Zum wie- derholten Mal hören wir die rückwärts gewandte Forde- rung nach Abschaffung der Ökosteuer. Tatsache ist, dass sich die Ökosteuer als weiterer Anreiz zur Verbesserung der Motorentechnik erwiesen hat. Ich erinnere auch an die satten Mineralölsteueraufschläge unter der früheren Bun- desregierung, die bekanntermaßen nichts mit Ökologie und Entlastung der Rentenbeitragszahler zu tun, sondern andere Gründe hatte. Es ist absurd, wenn Sie heute die Ökosteuer als Hauptproblem des deutschen Speditionsge- werbes ausmachen. Sie fordern damit nichts anderes als billigeren Diesel für LKWs. Das hat aber nichts mit Kli- maschutz zu tun. Im Übrigen – den Hinweis kann ich der CDU/CSU nicht ersparen – widerspricht Ihr Antrag den Forderungen Ihres Kanzlerkandidaten. Herr Stoiber kann mit Ihrer Ma- ximalposition offenbar nichts anfangen und eiert herum zwischen teilweise, schrittweise oder auch gar nicht. Was bleibt ihm auch anderes übrig, denn die Union hat in drei- einhalb Jahren keine seriösen Vorschläge zur Gegenfi- nanzierung vorgelegt. Sie sollten sich mehr mit den tatsächlichen Problemen des deutschen Speditionsgewerbes befassen. Die Branche leidet an Überkapazitäten, an Outsourcing – im Klartext heißt das: scheinselbstständige Einzelunternehmer – so- wie an der grauen und illegalen Kabotage. Die Regierungskoalition hat hier gehandelt. Am 7. September 2001 ist das Gesetz zur Bekämpfung der il- legalen Beschäftigung im gewerblichen Straßengüterver- kehr in Kraft getreten. Im Sommer 2002 tritt eine Verord- nung der Bundesregierung in Kraft, die eine einheitliche Fahrerbescheinigung für alle Fahrer auf Lastwagen mit EU-Lizenz vorschreibt. Seit 17. Oktober 2001 liegt ein Vorschlag zur Ände- rung der RL 3820/85 über Lenk- und Ruhezeiten vor. Seit Juni 2001 liegt ein Richtlinienvorschlag zur Ausdeh- nung des Geltungsbereichs der RL 92/6 EWG über Ge- schwindigkeitsbegrenzer auf Personen- und Lastkraftwa- gen mit einem Gewicht von mehr als 3,5 Tonnen vor. Das EPhat am 17. Januar 2002 den Vorschlag der Kommission über eine Richtlinie über die Ausbildung von Berufskraft- fahrern gebilligt. Am 12. September 2001 hat die Kommission ein neues Weißbuch zur gemeinsamen Verkehrspolitik herausgegeben. Dort werden Fragen der Harmonisierung – Finanzen, Soziales, Kontrollen – an- gesprochen. Sie sehen, es tut sich durchaus etwas. Beim Thema Kabotagefreigabe gibt es eigentlich kei- nen Dissens zwischen Opposition und Koalition. Die Bundesregierung hat einen Dreistufenplan vorgelegt, der allerdings von der EU-Kommission abgelehnt wurde. Es besteht keine Aussicht, gegenüber den künftigen Mit- gliedstaaten zusätzliche Beschränkungen für die Vorbei- trittsphase durchzusetzen. Umso stärker drängt die Koali- tion auf Zugangsbeschränkungen nach einem Beitritt. Hier freuen wir uns über die grundsätzliche Anerkennung der besonderen deutschen Interessenlage seitens der an- deren Mitgliedstaaten. Am Ende muss eine Lösung he- rauskommen, die den unbeschränkten Zugang zu Bin- nentransporten an die Unterbindung des Lohndumpings knüpft. Die Anträge der CDU/CSU und FDP werden wir ab- lehnen, weil sie rückwärts gewandt sind und falsche Schuldzuweisungen enthalten. Davon abgesehen gibt es auf diesem Feld der Verkehrs- und Europapolitik viele Gemeinsamkeiten zwischen Koalition und Opposition, zum Beispiel bei der Harmonisierung der Steuern im Ver- kehrsbereich, auf die wir uns im Sinne einer konstrukti- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 200222112 (C) (D) (A) (B) ven Zusammenarbeit und im Interesse des Güterkraftver- kehrs stärker konzentrieren sollten. Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir diskutieren heute über Anträge der Op- positionsfraktionen CDU/CSU und FDP, die bereits über- holt sind bzw. deren Anliegen von der Bundesregierung schon so weit auf den Weg gebracht wurden, dass weiter gehende Forderungen wahrlich nicht zielführend sind. Aber der Reihe nach: Die CDU/CSU behauptet in ihrem Antrag, dass die Belastungen durch die Ökosteuer die Rahmenbedingungen im Busverkehr erheblich ver- schlechtert hätten, und fordert die Bundesregierung auf, diese nicht nur abzuschaffen, sondern gleich den gesam- ten ÖPNV von der Mineralölsteuer zu befreien. Im glei- chen Antrag stellt die CDU/CSU fest, dass der Kraftstoff- verbrauch bei den Bussen in den letzten 10 Jahren um circa 15 Prozent zurückgegangen ist. Warum denn? Weil Mineralölsteuer und Ökosteuer sehr wohl einen. Anreiz bieten, sparsame und emissionsarme Busse einzusetzen. Dies kommt nicht nur dem Fahrgast zugute, sondern auch der Umwelt und der Gesundheit der Anwohner in den Städten. Aus diesem Grunde hielten wir es für richtig, den gesamten öffentlichen Nahverkehr nur zur Hälfte von der Ökosteuer zu befreien, und genau das haben wir getan. Je- der weitere Schritt der Erhöhung der Ökosteuer bringt so- mit einen weiteren relativen Preisvorteil für den ÖPNV gegenüber dem motorisierten Individualverkehr, also auch für den Linienbus. Im Übrigen hat die Bundesregie- rung die Mittel für den öffentlichen Verkehr auf sehr ho- hem Niveau verstetigt bzw. sogar erhöht – die GVFG- Mittel ebenso wie die Regionalisierungsmittel. Auch in dem zweiten Antrag zur Wettbewerbsfähigkeit des Güterkraftverkehrsgewerbes wird die Abschaffung der Ökosteuer gefordert. Bezeichnend ist, dass keinerlei Vorschläge zum Ausgleich der mit der ökologischen Steu- erreform verbundenen Mindereinnahmen in der Renten- kasse gemacht werden. Auch der Herr Kanzlerkandidat Stoiber lässt das im Unklaren. Die Bundesregierung hat wichtige Schritte umgesetzt, um in Zusammenarbeit mit der EU-Kommission den Ab- bau von Wettbewerbsverzerrungen bei den verkehrsspezi- fischen Abgaben, den technischen Regelungen und den Sozialvorschriften zu erreichen. Gerade im Sozialbereich hat die Bundesregierung durch die Verabschiedung des Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung im gewerblichen Straßengüterverkehr zum Abbau von Wett- bewerbsverzerrungen erheblich beigetragen. Auch die LKW-Maut sichert nicht nur die Wettbe- werbsfähigkeit des deutschen Güterverkehrgewerbes, sondern stärkt diese sogar, weil ausländische LKW erst- mals auch an den Kosten des deutschen Straßennetzes beteiligt werden. Wir unternehmen im Übrigen alle An- strengungen, um die LKW-Maut mit einem größtmögli- chen Harmonisierungsschritt im europäischen Rahmen zu verbinden. Zugleich erwarten wir, dass die Dieselsubven- tionen in einigen EU-Ländern gemäß Ecofin-Beschluss zum 31. Dezember 2002 auslaufen. Abschließend noch ein Wort zur Ökopunkteregelung in Österreich: Eine schrankenlose Freigabe des alpenque- renden Verkehrs würde zu einer verheerenden Belastung von Mensch und Umwelt in den Alpen führen und den LKW-Verkehr in Süddeutschland explodieren lassen. Dies gilt nicht nur für den Schadstoffausstoß, sondern ins- besondere für die Lärmbelastung. Wir brauchen daher sehr wohl eine dauerhafte Regelung, die den Schutz der Natur und die Gesundheit des Menschen in den Mittel- punkt stellt und nicht das Interesse der LKW-Lobby. Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Selten war ein Antrag so zeitgerecht gestellt und plenartechnisch behan- delt wie unser Antrag vom 25. Oktober 2000. Alle Punkte, die hier aufgeführt sind, sind nach wie vor aktuell – und seit Bekanntwerden der Einzelheiten der Mautgesetzgebung dieser so genannten Bundesregierung erst recht. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungs- koalition, seit Januar 2001 versprechen Sie dem deut- schen Güterkraftverkehrsgewerbe eine Entlastung auf höchstmöglichem europäischem Niveau. Bis heute sind sie darauf aber die Antwort schuldig geblieben, wie Sie sich das eigentlich vorstellen. Mit flapsigen Ausflüchten wie vom Bundesverkehrsminister („Alles sehr schwie- rig“) oder anderen qualitativ hoch stehenden Bemerkun- gen zu diesem Thema werden Sie das Problem für das deutsche Verkehrsgewerbe nicht lösen. Die jetzt vorliegenden Zahlen aus der Umstellung der LKW-Maut von der zeitbezogenen Vignette auf die streckenbezogene Maut lassen deutlich werden, wie Sie sich tatsächlich die Entlastung vorstellen. Sie belasten das deutsche Verkehrsgewerbe mit rund 2,6 Milliarden Euro zusätzlich und bieten dafür als Gegenzug eine Ent- lastung von 260 Millionen Euro an. Nach Adam Riese – der kommt schließlich wie ich aus Oberfranken – ist das nach dem kleinen Einmaleins eine zusätzliche Belastung für das deutsche Verkehrsgewerbe und keine Entlastung. Zur KFZ-Steuer verweisen Sie auf angebliche Initiativen der Länder, die dort nicht stattfinden; von ihnen ist nichts zu hören. Die Ökosteuer – von Ihnen schon viermal zu- sätzlich erhoben – wird nach Ihrem Willen selbstver- ständlich auch zum 1. Januar 2003 noch einmal erhoben. Sie haben mit keinem Hinweis auf die in anderen Län- dern im Jahre 2000 eingeführten zusätzlichen Entlastun- gen reagiert – alle diese Entscheidungen sind mit Zu- stimmung der deutschen Bundesregierung in Brüssel beschlossen worden. Und das alles findet statt vor dem Hintergrund der zu erwartenden und zu begrüßenden europäischen Osterwei- terung, die für das deutsche Güterkraftverkehrsgewerbe erneut Probleme bereiten wird. Diese Probleme sind nicht dadurch zu lösen, dass man national die Kosten erhöht, sondern nur dadurch, dass man statt langer Übergangsfris- ten ein effizientes Kostensenkungsprogramm in Deutsch- land beginnt, am besten bei der Gesetzgebung. Das ist Ihre Zuständigkeit. Sie haben nach wie vor das deutsche Gewerbe im Regen stehen lassen und deshalb konsequen- terweise unseren Antrag abgelehnt. Stellen Sie sich aber Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2002 22113 (C) (D) (A) (B) morgen nicht hin und verkünden auf Gewerbeversamm- lungen, Sie hätten alles für die Entlastung des deutschen Gewerbes im internationalen Standortwettbewerb getan! Rot-Grün wird als Totengräber für das deutsche Ver- kehrsgewerbe in die Geschichte der Bundesrepublik un- rühmlich eingehen. Wir bleiben bei unserer Ansicht der Dinge und sind sicher, dass wir im September unsere Sicht in entsprechende abgabensenkende Politik verant- wortungsvoll umsetzen können. Dr. Winfried Wolf (PDS): Die zwei hier vorgelegten Anträge von den Fraktionen CDU/CSU und FDP, mit de- nen behauptete „Wettbewerbsnachteile des deutschen Gü- terverkehrsgewerbes beseitigt“ werden sollen, greifen ei- nerseits reale Probleme auf, sind jedoch andererseits mit einigen Ungereimtheiten und Widersprüchen verbunden. Wir konnten uns daher nur für zwei engagierte Enthaltun- gen entscheiden. Ein Teil der Widersprüche und Unge- reimtheiten ist damit verbunden, dass die Anträge beide vor eineinhalb Jahren verfasst wurden. Drei Beispiele seien hier exemplarisch angeführt: In beiden Anträgen wird gefordert, die Ökosteuer aufzuhe- ben. Die Fraktion der CDU/CSU will dies offensichtlich rückwirkend bis zum Jahr 1999 so geregelt sehen. Die FDP verfährt mit der Bundesregierung etwas gnädiger und stellt anheim, „mindestens die geplanten nächsten Stufen auszusetzen“, was, da seit Einbringen des Antrages bereits drei Anhebungen erfolgten, dann, wenn heute überraschenderweise der FDP-Antrag beschlossen wer- den sollte, nur auf eine Aussetzung der Anhebung ab 2003 abzielen würde. Richtig ist die Feststellung im Antrag der CDU/CSU, dass die konkrete Form der beschlossenen Ökosteuer keine oder kaum eine ökologische Wirkung entfaltet. Der vor allem von der Partei Bündnis 90/Die Grünen vielfach erwähnte Umstand, dass der motorisierte Individualverkehr im Jahr 2000 leicht rückläufig war, dürfte wenig mit der Ökosteuer und mehr mit dem dama- ligen allgemeinen Anstieg des Rohölpreises zu tun gehabt haben. Jedenfalls wäre dann zu erklären, weshalb im ver- gangenen Jahr der Schienenfernverkehr deutlich rückläu- fig und nach einer ersten Übersicht der PKW-Verkehr wieder im Ansteigen begriffen war. Die PDS hat zu dem Thema mehrfach erklärt, dass sie die Ökosteuer durch eine ökologisch wirksame und sozial ausgewogene neue ökologische Steuerreform ersetzt sehen will. FDP und CDU/CSU hingegen machen keinerlei Vorschläge, wie eine Ökosteuer, die ökologisch wirksam ist, aussehen könnte. Vor diesem Hintergrund wirken beide Anträge po- pulistisch. Ein zweites Beispiel für Ungereimtheit bei diesen An- trägen betrifft das Thema LKW-Maut. Die Fraktion der CDU/CSU will diese „wettbewerbsverträglich gestaltet“ sehen; die Fraktion der FDP fordert eine „strikte Kosten- neutralität“. Nun konnten beide Anträge im Herbst 2000 nicht auf das konkrete Modell der LKW-Maut eingehen, das mehr als ein Jahr später vorgelegt wurde. Wenn sich jedoch heute der Bundestag mit diesen Anträgen befasst, dann ist es eigentlich ein Unding, allgemeine Statements zu einer LKW-Maut zu beschließen, ohne auf deren kon- krete Ausgestaltungsvorschläge, die seit mehreren Mona- ten vorliegen, einzugehen. Die tatsächlichen Probleme bei der LKW-Maut liegen auf anderen Gebieten, zum Bei- spiel darin, dass die Beschränkung dieser Maut auf Auto- bahnen zu einer erheblichen Verlagerung der LKW-Ver- kehre auf das nachgeordnete Straßennetz führen wird. Das dritte Beispiel: Beide Anträge laufen in der Summe darauf hinaus, dass der LKW-Verkehr nochmals preiswerter werden soll – wenn auch lediglich für das deutsche Gewerbe. Am deutlichsten wird das beim FDP- Antrag, in dem neben der „Kostenneutralität“ bei der LKW-Maut gefordert wird, die „deutsche Kraftfahrzeug- steuer für schwere LKWauf das im europäischen Rahmen zulässige Mindestmaß zu reduzieren“. Damit verfolgen beide Anträge keinen integrierten Gesamtansatz für den Güterverkehrssektor. Die Tatsache, dass seit elf Jahren der LKW-Verkehr massiv ansteigt, dass der Güterverkehr auf den Binnenwasserwegen stagniert und dass der Schie- nengüterverkehr auch heute noch deutlich unter dem Niveau von 1990/91 liegt, hat viel mit Liberalisierung im Güterverkehrsgewerbe und damit zu tun, dass durch un- terschiedliche Formen des Dumpings heute eine Situation vorliegt, bei der das allgemeine Preisniveau zu niedrig ist und ein hoher und wachsender Teil „externer“ Kosten auf die Allgemeinheit übergewälzt wird. Das aber heißt: Bereits das bestehende, niedrige Preis- niveau fördert immer mehr LKW-Verkehr und eine Verla- gerung auf die Straße. Wer hier eine weitere Senkung vor- schlägt, unterstützt diese ökologisch und volkswirt- schaftlich problematische Tendenz. Bei einer solchen Ge- samtsicht nutzt der Hinweis wenig, es gehe doch darum, die Wettbewerbsnachteile des deutschen Gewerbes aus- zugleichen. Zum Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Omnibusunterneh- men erhalten“ hier nur einige knappe Anmerkungen. Grundsätzlich ist Omnibusverkehr Teil des öffentlichen Verkehrs. Auch sind die Hinweise auf den niedrigen Ener- gieverbrauch im Busverkehr zu treffen. Schließlich wird hier auch auf eine Reihe von Benachteiligungen hinge- wiesen, denen sich deutsche Busunternehmen gegenüber- sehen. Doch fehlt auch hier eine Gesamtsicht. Trotz der ge- nannten Vorteile weist die Schiene bei Fahrten über lange Strecken eine deutlich bessere ökologische und volkwirt- schaftliche Gesamtbilanz aus. Das Problem, dem wir uns hier gegenübersehen, besteht jedoch darin, dass die Schiene gerade auf langen Strecken und auf internationa- len Verbindungen dem Bus zunehmend unterlegen ist. Ich erinnere Sie an die vielen Werbetafeln, die sich sogar in Bahnhöfen der DB AG und in der Berliner S-Bahn finden und in denen mit Preisen für feste bundesweite und inter- nationale Bus-Linien-Verbindungen geworben wird, die bei der Hälfte der entsprechenden Bahnpreise, BahnCard bereits berücksichtigt, liegen. Während also der CDU/ CSU-Antrag hier auf eine immanente Harmonisierung drängt und letztlich auch hier eine weitere Senkung der Kosten für (deutsche) Busunternehmen fordert, müsste ein Antrag, der von einer ganzheitlichen Sicht ausgeht, diese krasse Marktverzerrung im Vergleich Bus zu Schiene aufgreifen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 200222114 (C) (D) (A) (B) Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – der Entwürfe eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes (6. HRGÄndG) – des Antrags: Ein neues Hochschuldienstrecht für eine moderne, leistungsfähige und attrak- tive Bildung und Forschung in Deutschland (Tagesordnungspunkt 25 a und b und Zusatzta- gesordnungspunkt 9) Dr. Peter Eckardt (SPD): Der Gesetzentwurf der Regierungskoalition zum Hochschulrahmenrecht, den wir heute vorlegen, greift ein Kernproblem des Bildungs- wesens in Deutschland auf, das für viele Studierende sym- bolisch für Chancengleichheit und Gerechtigkeit steht. In Deutschland sollen für Jugendliche, die ein Studium an einer Fachhochschule oder einer Universität beginnen und in akzeptabler Zeit auch erfolgreich beenden wollen, keine Studiengebühren erhoben werden dürfen. Studien- gebühren zumindest für ein Erststudium müssen nach Meinung meiner Fraktion an staatlichen Hochschulen Deutschlands dauerhaft ausgeschlossen bleiben. Die Begehrlichkeiten der unterfinanzierten Hoch- schulen und einiger Wissenschaftsminister, für die Hoch- schulen weitere Mittel auch von den Studierenden zu bekommen, sind natürlich bekannt. Für so genannte Langzeitstudenten werden in einigen Ländern schon heute Gebühren erhoben, Verwaltungsgebühren für Immatrikulation und Rückmeldung sind fast schon die Regel. Ich kann mich wie manche andere in diesem Hause an die Zeit erinnern, als in Marburg und Frankfurt/Main der Besuch der höheren Schule und das Studium gebührenfrei waren, aber in Göttingen und Hannover für das Studieren Gebühren zu zahlen waren. Eine Besonderheit des Fö- deralismus war es damals auch, dass Schülerinnen und Schüler aus Hannoversch Münden, die in Kassel das Gymnasium besuchten, in die Hessische Staatskasse Schulgeld bezahlen mussten, weil ihre Eltern nicht in Hessen wohnten, sondern in Niedersachsen. Nach den Eintragungen in meinem Studienbuch habe ich in Göttingen im Semester 149,50 DM Studienge- bühren bezahlt – damals eine unvorstellbar hohe Summe, die erst einige Semester später in allen Ländern nicht mehr erhoben wurde. Ich bin der Meinung, dass es bildungspolitisch weder wünschenswert noch lobenswert ist, dass die meisten Wissenschaftsminister und auch Ministerpräsidenten, vielleicht auch Bundestagsabgeordnete selbst ohne Ge- bühren, oft auch mit BAföG erfolgreich studiert haben und jetzt für ihre Kinder oder Enkel Studiengebühren for- dern. Auch von einigen Wissenschaftlern und Hochschul- funktionären werden Studiengebühren gefordert, weil sie hoffen und vermuten, dass sich mit Studiengebühren das Studierverhalten ändern werde und sich die Dienst- leistungsfunktion der Hochschulen erhöhe. Es ist auch nicht auszuschließen, dass es manchen einfach nur um das Geld, nicht um eine Frage des Verhältnisses zwischen Lehrenden und Lernenden geht. Fest steht aber: Es gibt bisher keine Beweise, dass sich die wissenschaftliche Leistung und auch die Mängel des Hochschulsystems durch das Bezahlen oder Nichtbezah- len von Studiengebühren wesentlich ändern werden. Ein Hinweis auf die privaten Hochschulen geht auch hier fehl. Sie haben ausgewählte Fächer für ausgewählte Studieren- de und repräsentierten auch im Ausland nicht das deut- sche System der Hochschulen, das attraktiv bleiben muss. Im Gegenteil: Studiengebühren werden die schon seit ei- nigen Jahren feststellbaren Veränderungen der sozialen Zusammensetzung der Studierenden weiter befördern, der Anteil der Studierenden aus höheren sozialen Schichten wird weiter zunehmen, der Anteil der BAföG-Empfänger steigt erfreulicherweise durch die Reform dieser Regie- rung auch. Aber die Zahl der Kinder aus gesellschaftli- chen Schichten, die weder BAföG bekommen noch in höheren Schichten leben, wird bei der Einführung von Studiengebühren prozentual weiter absinken, weil diese Familien die Kosten des Studiums noch schlechter ab- schätzen können als bisher. Sicherheit in den Kosten für eine Ausbildung ist ein notwendiger Bestandteil der Bil- dungspolitik, wenn sie möglichst viele Menschen in der Gesellschaft erreichen soll. Die Einführung von Studiengebühren würde wahr- scheinlich auch den Anteil weiblicher Studierender absin- ken lassen und damit nicht das gesamte Begabungspoten- zial unserer Gesellschaft ausschöpfen und jungen Frauen weniger Perspektiven geben. Eng verbunden mit der Chancengleichheit im Bildungswesen ist die demokra- tische Beteiligung der Betroffenen, zumal dann, wenn sie erwachsen sind und selbst über ihr Lernen entscheiden. Die verfasste Studierendenschaft ist deshalb in den Hochschulgesetzen aller Bundesländer einzuführen, da- mit auch dort, wo bisher diese Teilkörperschaft der Hoch- schulen nicht besteht, diese ihre Arbeit aufnehmen kann. Internationale Studiengänge sind an deutschen Hoch- schulen in einer Erprobungsphase eingeführt, und haben sich von 1998 bis 2001 auf etwa 1 000 erhöht; sie sind zum Teil in Landesgesetzen akzeptiert und auch akkredi- tiert und haben außerhalb der Hochschulen Anerkennung gefunden. Sie sollten als Regelabschlüsse in das Rah- mengesetz des Bundes aufgenommen werden und damit der Verpflichtung der Bologna-Erklärung zur Europäisie- rung vom Juni 1999 Rechnung tragen. Das sind drei wichtige Strukturelemente eines Gesetz- entwurfes, den wir heute einbringen, der das Ansehen und die Leistungsfähigkeit unserer Hochschulen in der Zu- kunft weiter verbessern und den Weg ebnen wird, Studie- ren in Deutschland noch attraktiver zu machen. Thomas Rachel (CDU/CSU): Die sechste Hoch- schulrahmengesetz-Novelle ist ein Armutszeugnis für die rot-grüne Bundesregierung. Die Unterschrift von Bundespräsident Johannes Rau unter die rot-grüne Fünfte Hochschulrahmengesetz-Novelle ist noch nicht ganz Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2002 22115 (C) (D) (A) (B) trocken, da beantragt Rot-Grün bereits die nächsten Än- derungen im Hochschulrahmengesetz. Dies ist reine Flickschusterei. Alles, was die Regierung Schröder heute im neuen Gesetz beantragt, hätte sie schon längst in der Fünfte HRG-Novelle einbringen können. Das zeigt: Die rot-grüne Regierung ist konfus und konzeptlos. Als große bildungspolitische Errungenschaft will uns Bildungsministerin Bulmahn ihr neues Hochschulgesetz verkaufen. In ihrer Pressemitteilung verkündet sie, dass künftig „für das Erststudium in Deutschland keine Studi- engebühren erhoben werden dürfen“. Damit will sie, drei Tage vor Schluss der Legislaturperiode, das rot-grüne Wahlversprechen, das schriftvertraglich in der Koaliti- onsvereinbarung fixiert wurde, noch schnell einlösen. Doch mit dieser öffentlichen Ankündigung täuscht sie die Wähler. Denn entgegen ihrer Ankündigung dürfen laut Gesetzestext und Begründung sehr wohl Studiengebühren in Ausnahmebereichen erhoben werden. Wo bleiben die Wahrheit und Klarheit, Frau Ministerin Bulmahn? Doch was ist nun von dem neuen Gesetz zu halten? Bil- dungsministerin Bulmahn will mit einem Bundesgesetz Studiengebühren im Erststudium bundesweit in allen Bundesländern verbieten. Dies ist aber eine unzulässige Einmischung in die Angelegenheiten der Länder und zeigt altes Denken. Nach der Kompetenzverteilung des Grund- gesetzes liegt die Kompetenz im Bereich der Hochschul- finanzierung eindeutig bei den Bundesländern. Dies wird auch durch die Realität bestätigt. So werden 89 Prozent der Hochschulausgaben von den Ländern und nur 9 Pro- zent vom Bund sowie 2 Prozent von Stiftern und Mäze- nen finanziert. Es ist schon dreist, wenn die Bundesregierung ange- sichts einer solchen Situation den Bundesländern vor- schreiben will, wie sie die Hochschulen finanzieren sol- len bzw. nicht dürfen. Zu Recht hat der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Professor Klaus Landfried, betont: „Für ein solches Gesetz besteht erstens kein Be- darf, und zweitens hat der Bund dafür nicht die Zustän- digkeit.“ Das rot-grüne Gesetz zeugt von obrigkeitsstaatlichem Denken, anstatt Modernisierung und Wettbewerb in einer Hochschullandschaft des 21. Jahrhunderts zu ermögli- chen. Zu Recht werden sich die Länder weder ein Verbot von Studiengebühren noch eine Verpflichtung zur Ein- führung von verfassten Studentenschaften vorschreiben lassen. Übrigens kann der Bund auch nicht vorschreiben, Studiengebühren einzuführen. Welches Porzellan Bildungsministerin Bulmahn hier wieder einmal zerschlägt, zeigt die Tatsache, dass bereits mehrere Bundesländer angekündigt haben, im Falle der Verabschiedung eines solchen verfassungswidrigen Ge- setzes vor dem Bundesverfassungsgericht dagegen zu klagen. In Wirklichkeit soll dieses rot-grüne Hochschul- gesetz wie ein Placebo die eigene murrende Klientel ru- hig stellen – angesichts einer farblosen und konzeptlosen Bildungsministerin Bulmahn. Rot-Grün wollen mit ihrem Gesetzentwurf verfasste Studierendenschaften im Hochschulrahmengesetz ver- bindlich bundesweit vorschreiben. Dies ist von der Sache her falsch, weil es die Länderrechte nicht berücksichtigt. Wie stellt sich denn eigentlich der Sachverhalt dar? Im geltenden Hochschulrahmengesetz ist in § 41 Folgendes geregelt: „Das Landesrecht kann vorsehen, dass an den Hochschulen zur Wahrnehmung hochschulpolitischer, so- zialer und kultureller Belange der Studierenden, zur Pflege der überregionalen und internationalen Studenten- beziehungen sowie zur Wahrnehmung studentischer Be- lange in Bezug auf die Aufgaben der Hochschulen Stu- dentenschaften gebildet werden.“ Dies zeigt: Das Hochschulrahmengesetz lässt sehr wohl organisierte Stu- dentenschaften zu. Die Regelung wird der Gesetzge- bungskompetenz der Bundesländer überlassen. Diese Regelung entspricht der Aufgabenverteilung des Grund- gesetzes und der besonderen Rolle der Bundesländer. Die gültige Fassung des § 41 kam im Übrigen nur nach einem langen Tauziehen zwischen Bundestag und Bundesrat zu- stande. Die Bildung von Studentenschaften soll dem Er- messen und der Entscheidung der Länder überlassen sein. Dies hat sich grundsätzlich bewährt. Entscheidet sich der Landesgesetzgeber dafür, eine Studentenschaft zu bilden, so fasst er die immatrikulierten Studenten einer Hochschule in einer Zwangskörperschaft im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Körperschaft Hochschule zusammen. Aus dieser Form der Zwangskör- perschaft ergeben sich bestimmte Konsequenzen. Unter anderem ergibt sich diejenige, dass die Studentenschaften ein hochschulpolitisches Mandat haben, nicht aber ein all- gemeinpolitisches Mandat. Damit sind wir auch mitten bei einem Kernpunkt des rot-grünen Antrags. Wer den Gesetzesantrag aufmerksam liest, wird feststellen, dass es Rot-Grün gar nicht um die Studierendenschaft im eigentlichen Sinne geht, sondern darum, ein sehr weitgehendes allgemeines politisches Mandat durchzusetzen. Heute haben Studierendenschaf- ten ein hochschulpolitisches Mandat, das ihnen die Mög- lichkeit gibt, zu allen hochschulrelevanten Themen und der spezifischen Situation ihrer Ausbildung Stellung zu beziehen. Dies hat sich als richtig herausgestellt, zumal so die Studienbedingungen kritisiert und Verbesserungen durchgesetzt werden können. Darum geht es Rot-Grün aber nicht. Sie wollen, dass die Studierendenschaften zu allgemeinen gesellschaftli- chen und damit auch allgemeinen politischen Fragen Stel- lung beziehen. Dies haben manche ASten in der Vergan- genheit schon rechtswidrig gemacht. Ich erinnere mich gut an Aktivitäten von ASten, die, mit riesigen Steuergel- dern finanziert, rechtswidrig Kampagnen für Kuba und Nicaragua und gegen den NATO-Doppelbeschluss veran- staltet haben. Dies ging zulasten der Steuerzahler. Es nervte die Studierenden, die wollten, dass sich die ASten endlich um ihre konkrete hochschulpolitische Situation kümmern und nicht eine allgemeine Politik der Weltver- besserung betreiben. Eine Veränderung, die die politische Linke bisher nicht hat durchsetzen können und die die deutschen Gerichte bis zum Bundesverwaltungsgerichtsurteil von 1969 eben- falls untersagt haben, versucht Rot-Grün nun in einem Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 200222116 (C) (D) (A) (B) neuen Aufgalopp mittels einer Gesetzesänderung durch- zusetzen. Das allgemeinpolitische Mandat ist auch deshalb un- zweckmäßig und ein Rechtsverstoß, weil es sich bei ein- gerichteten Studentenschaften um Zwangskörperschaften handelt. So hat auch das Oberverwaltungsgericht in Müns- ter am 6. September 1994 entschieden, dass „eine nicht unmittelbar auf den Bereich der Hochschule und die spe- zifischen Interessen von Studenten begrenzte politische Betätigung der Studentenschaft verfassungswidrig in den individuellen Freiheitsbereich der Mitglieder eingreift. Da sich die Studierenden unsinniger und ideologischer Äußerungen oder allgemeinpolitischer Kampagnen von ASten nicht durch Austritt aus der Studentenschaft als Zwangskörperschaft entziehen können, stellt die Wahr- nehmung des allgemeinpolitischen Mandats durch Stu- dentenvertretungen einen verfassungswidrigen Eingriff in den individuellen Freiheitsbereich der Studierenden dar. Aus diesen Gründen lehnt die CDU/CSU-Bundestags- fraktion ein allgemeines politisches Mandat für die Stu- dierendenschaften weiterhin nachdrücklich ab. Anstatt neue, unsachgemäße Hochschulgesetze zu be- schließen, sollte die rot-grüne Bundesregierung erst ein- mal wesentliche verkorkste Teile ihrer Fünften HRG-No- velle zurücknehmen. Den Schaden, den Ministerin Bulmahn mit ihrer Hochschulpolitik bei der Fünften HRG-Novelle angerichtet hat, kann man vor Ort an den Hochschulen in Deutschland besichtigen. Selten hat es einen solchen Protest gerade aus den Geis- teswissenschaften und den Rechtswissenschaften wie ge- gen die faktische Abschaffung der Habilitation gegeben. Selten hat es einen solchen Protest des akademischen Mit- telbaus wie gegen die Fünfte HRG-Novelle durch Rot- Grün gegeben. Im Mittelpunkt des Protests stehen die neuen Befristungsregelungen für Arbeitsverträge, die Bil- dungsministerin Bulmahn zu verantworten hat. Stattdes- sen spricht sie von „Panikmache“ und beschimpft den akademischen Mittelbau. Anstatt von „Panikmache“ zu sprechen, müssen aber Lösungen her. Offensichtlich sind die Befristungsregelungen für Ar- beitsverträge aus der Sicht der Betroffenen an den Hoch- schulen nicht praxistauglich. In zahlreichen Initiativen an deutschen Hochschulen haben sich Vertreter des akade- mischen Mittelbaus gegen die Fünfte HRG-Novelle von Ministerin Bulmahn organisiert. Aus Furcht davor, dass Wissenschaftler nach mehreren befristeten Arbeitsverträ- gen eine Dauerstelle vor Gericht erfolgreich einklagen können, droht vielen Nachwuchswissenschaftlern seitens der Hochschulverwaltung jetzt das berufliche Aus. Es wäre absurd, wenn durch die Neuregelung jetzt viele Nachwuchswissenschaftler ins Ausland getrieben würden, während die Bundesregierung andererseits Ini- tiativen startet, um dem „Brain drain“ zu begegnen und Wissenschaftler aus dem Ausland nach Deutschland zurückzuholen. Deshalb fordere ich Bildungsministerin Bulmahn auf, die Sechste HRG-Novelle zurückzuziehen und erst ein- mal die von ihr durch die Fünfte HRG-Novelle verur- sachten Schäden für den akademischen Mittelbau zu re- parieren. Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir alle wissen, dass die Studierendenzahlen in Deutsch- land schon zu niedrig sind. Wir wollen deshalb mehr Schülerinnen und Schüler motivieren, ein Studium aufzu- nehmen. Der Zugang zu den Hochschulen muss erweitert, die Qualität der Lehre verbesssert und innovative Bil- dungsangebote der Hochschulen müssen gefördert wer- den. Jede Form der Bestrafungsrhetorik wie etwa im Sinne von Strafgebühren für Langzeitstudierende ist dabei kon- traproduktiv. Die Forderung nach Gebühren für so ge- nannte Langzeitstudierende ist im besten Fall als populis- tisch zu bezeichnen. Sie zielt an den wahren Problemen der Hochschulen vorbei und benennt in verkürzter Form Sündenböcke: „die faulen Studenten. Wir haben es ja schon immer gewusst, aber nun werden sie öffentlich vor- geführt.“ Diese Art des Vorgehens folgt schlicht dem Motto: Wer nicht hören kann, muss zahlen! Die wahren Ursachen für die schlechte Ausbildungs- situation und tatsächlich zu lange Studienzeiten bleiben dabei im Verborgenen: die unzureichende finanzielle Aus- stattung der Hochschulen; die häufig schlecht strukturier- ten Studiengänge, mangelnde Beratung und Betreuung und oft überfüllte Seminare; unterschiedliche Gründe wie Erziehungszeiten, erste Schritte auf dem Arbeitsmarkt oder schlicht Jobben verlängern Studienzeiten um einige Semester. Allein die Abschreckung der Langzeitstudie- renden, von denen viele gar nicht mehr die Hochschule besuchen, wird die Situation an den Hochschulen um kei- nen Deut verbessern. Wir, die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, haben uns deshalb dafür eingesetzt, das in dieser Sechsten HRG-Novelle eine Alternative zu Gebühren ermöglicht wird: Bildungsgutscheine. Bildungsgutscheine werden nur dann zu einem wirklichen Element der Nachfra- gesteuerung, wenn die Nachfragenden über genügend In- formationen verfügen, um ihre Marktmacht auch einzu- setzen. Bildungsgutscheine sind zuallererst Ansprüche der Hochschulberechtigten auf ein Hochschulstudium. Sie sind steuerfinanziert und bedeuten deshalb keinen Über- gang zu Studiengebühren. Bildungsgutscheine schaffen Anreize für Hochschulen, über attraktive Studienange- bote nachzudenken, und ermutigen sie, neue, differen- zierte Studienangebote einzuführen, mit denen sie mehr Studierende an ihre Hochschule locken. Drittens schaffen sie Anreize für die Hochschule, über einen effizienteren Einsatz der SWS nachzudenken. Bildungsgutscheine schaffen auf der anderen Seite auch Anreize für Studierende. Sie fördern die Etablierung eines Kostenbewusstseins bei den Studierenden, sie schaffen positive Anreize für die Studierenden, ihr Stu- dium zügig zu absolvieren, und sie geben Anreize, sich weiterzubilden. Die Idee ist gut. Wir erhoffen uns durch einen Über- gang zu einer stärkeren Nachfrageorientierung bei der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2002 22117 (C) (D) (A) (B) Studienfinanzierung insgesamt eine Qualitätsverbesse- rung des Studiums. Mit der Sechsten HRG-Novelle verpflichten wir die Länder außerdem, künftig an allen Hochschulen verfasste Studierendenschaften zu bilden. Die bisherige Regelung, die den Ländern die Bildung verfasster Studierenden- schaften freistellt, trägt dem Interesse einer funktionie- renden studentischen Selbstverwaltung nicht in ausrei- chendem Maße Rechnung. Drittens wird mit dieser Novelle der Grundstein dafür gelegt, dass Bachelor- und Master-Studiengänge aus dem Erprobungsstadium in das Regelangebot der Hochschulen überführt werden. Dies ist ein weiterer Schritt in Richtung Internationalisierung der Hochschulen in Deutschland. Lassen Sie mich zum Abschluss zur Befristungsrege- lung im Rahmen der Dienstrechtsreform, die an Hoch- schulen und wissenschaftlichen Einrichtungen zu hefti- gen Debatten geführt hat, auf Folgendes hinweisen: Wir werden uns dafür einsetzen, dass unbefristete Beschäfti- gungsverhältnisse auch über die zwölfjährige Qualifizie- rungsphase hinaus möglich bleiben. Ob dies einer gesetz- lichen Präzisierung im Rahmen der Sechsten HRG- Novelle bedarf, prüfen wir derzeit. Ulrike Flach (FDP): Es ist schon erstaunlich, wie die Bundesregierung angesichts der massiven Verunsiche- rung des wissenschaftlichen Mittelbaus an den Hoch- schulen seelenruhig einen Gesetzesentwurf einbringt, der sich um dieses zentrale Thema überhaupt nicht kümmert. Die Neuregelung des § 57 HRG führt zu einem Flächen- brand an unseren Unis. Täglich erreichen uns Hilferufe von Fakultäten, die Ihre Fünfte HRG-Reform als kata- strophal bewerten. In einer Anzeige in der Westfalenpost fordert die Fakultät für Geschichtswissenschaft an der Uni Bielefeld den Rücktritt der Ministerin, weil ihre Neu- regelung „wissenschaftliche Projekte in vielen Bereichen künftig unmöglich machen“. Ihr mühsam aufgebautes Re- nommee reißen Sie mit diesem handwerklichen Fehler. ein. Wir haben schon in der Beratung des Fünften HRG immer davor gewarnt, die Zukunft der jungen wissen- schaftlichen Mitarbeiter zu gefährden, und dies war einer von drei Punkten, warum wir Ihre Reform abgelehnt haben. Einige in der Koalition wissen genau, dass die Reform misslungen ist. Dr. Peter Eckardt hat in der „Süddeut- schen Zeitung“ vom 24. Januar Korrekturvorschläge vor- gelegt, Dr. Reinhard Loske hat in der „Frankfurter Rund- schau“ vom 25. Februar „Nachsteuerungen“ gefordert. Im vorgelegten Gesetzestext findet sich davon kein Wort. Ich mache es Ihnen zum Vorwurf, dass Sie wissen, dass Sie Fehler gemacht haben, sie auch benennen, aber keine An- stalten zu ihrer Reparatur machen. Sie sind verantwortlich für die entstehende „Bulmahn-Opfergeneration“. Mit dem Sechsten HRG wollen Sie die Hochschulen noch enger mit Regelungen einschnüren. Wir brauchen keine zwangsweise Einführung der verfassten Studieren- denschaft. Das ist ein Show-Antrag für einige Juso-Asta- Funktionäre. Lassen Sie die Hochschulen doch selbst über ihre Organisationsform entscheiden! Wir brauchen kein gesetzliches Verbot von Studiengebühren, denn auch hier setzen wir auf die Autonomie der Hochschulen. Ihr Ent- wurf enthält zudem zahlreiche Ausnahmen. Die Länder können in „begründeten Fällen“ Gebühren erheben. Was Sie vorschlagen, ist ein vollmundig vorgeschla- genes Studiengebührenverbotsgesetz, hinter dem sich die unsozialste Form von Gebühren versteckt: Gebühren für Langzeitstudierende, Senioren, Gasthörer, Gebühren für Prüfungen und Einschreibungen. Wir lehnen auch Ihren dritten Punkt ab, die Festschrei- bung der Bachelor- und Master-Studiengänge als Regel- form. Kultusministerkonferenz, Hochschulrektorenkon- ferenz und Wissenschaftsrat haben für die europäische Vergleichbarkeit immer betont, dass eine Erprobungs- phase für die in Deutschland neuen Studiengänge unver- zichtbar ist. Das gilt vor allem für ihre Akzeptanz auf dem Arbeitsmarkt. Für die Akkreditierung wurden aufwendige und teure Verfahren erdacht. Erst 42 von 1 093 Studien- gängen, die von den Ländern genehmigt wurden, sind zwischenzeitlich akkreditiert. Was Sie jetzt machen, ist der Abbruch der Erprobung. Konsequenterweise müssten Sie jetzt auch die Akkredi- tierungsagentur auflösen. Das tun Sie offensichtlich nicht. Sinn und Zweck dieser Aktion sind nicht nachvollziehbar. Bisher weiß niemand, wie die neuen Studiengänge am Ar- beitsmarkt ankommen. Zur Bulmahn-Opfergeneration der wissenschaftlichen Mitarbeiter käme dann eine Lost Generation von Leuten ohne Arbeitsplatzchance. Machen Sie deshalb die Chance für mehr Internationalität unserer Studiengänge nicht durch überhastete Festschreibung ka- putt! Wir werden einen eigenen Antrag vorlegen, der die Fehler Ihrer Fünften Novelle bereinigt und das Hoch- schulrahmengesetz so entrümpelt, dass die Hochschulen endlich mehr Freiheit erhalten. Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Die Bundesregierung ist mit dem Ver- sprechen angetreten, das Studium an unseren Hochschu- len attraktiver zu machen. Dieses Versprechen lösen wir ein und das Sechste Gesetz zur Änderung des Hochschul- rahmengesetzes – 6. HRGÄndG – leistet dazu einen wich- tigen Beitrag! Es geht um drei Punkte: Erstens sichern wir mit der vorliegenden Gesetzes- novelle die Studiengebührenfreiheit für das Erststudium in Deutschland. Die Länder haben sich mit dem „Meinin- ger Beschluss“ – vom 25. Mai 2000 – zwar inhaltlich auf einen Kompromiss verständigt, aber keine feste Regelung getroffen. Deshalb hat die Bundesregierung jetzt gehan- delt. Für ein Studium bis zum ersten berufsqualifizierenden Abschluss sowie für ein Studium in einem konsekutiven Studiengang, der zu einem weiteren berufsqualifizieren- den Abschluss führt, wird im HRG der Grundsatz der Stu- diengebührenfreiheit festgeschrieben. Ausnahmen sind nur in eng definierten Grenzen zulässig. Damit schaffen wir auch die Grundlage für neue Modelle wie Studien- konten oder Bildungsgutscheine. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 200222118 (C) (D) (A) (B) Zweiter Punkt: Bachelor- und Master-Studiengänge werden aus dem Erprobungsstadium in das Regelangebot der Hochschulen überführt. Schon heute gibt es an deut- schen Hochschulen mehr als 1 000 Studiengänge, die mit einem Bachelor- oder Master-Grad abgeschlossen wer- den. Diese Entwicklung ist so erfolgreich, dass wir sie nun langfristig rechtlich absichern wollen. Wir schaffen damit mehr Verlässlichkeit für die Studierenden und stärken die internationale Ausrichtung unserer Hochschulen. Und drittens: Wie im Koalitionsvertrag beschlossen, wird es künftig an allen deutschen Hochschulen verfasste Studierendenschaften geben. Mitbestimmung und die demokratische Vertretung studentischer Belange müssen in allen Bundesländern gewährleistet sein. Auch das gehört zur Attraktivität unserer Hochschulen. Eine starke bundesweite Vertretung der Studierenden ist für uns außerdem ein wichtiger Gesprächspartner für die Fortset- zung unserer Reformen im Hochschulbereich. Diese Reformen setzen an vielen Punkten an und ver- binden Modernität mit Chancengleichheit und sozialer Gerechtigkeit. Die HRG-Novelle ist ein wichtiges Ele- ment dieser Strategie. Wie wichtig gerade diese Verbindung ist, zeigt ein Blick auf die Zahl der Studienanfänger in Deutschland: Mit einem Anteil von 28 Prozent liegen wir deutlich unter dem internationalen Durchschnitt. In den USA beginnen 44 Prozent aller Jugendlichen nach der Schule ein Studium, in Israel 49 Prozent und in Finnland sogar 58 Prozent. Wenn es nicht gelingt, dass mehr junge Men- schen bei uns ein Studium beginnen und auch erfolgreich abschließen, dann werden uns in Deutschland bis zum Jahr 2010 eine Viertel Million Akademiker fehlen. Wir brauchen also mehr und besser ausgebildete Hochschul- absolventen. Dazu muss das Studium an unseren Hoch- schulen für junge Menschen aus dem In- und Ausland attraktiver werden. Die Bundesregierung hat deshalb die Investitionen in Bildung und Forschung auf das Rekord- volumen von 8,8 Milliarden Euro hochgeschraubt, ver- krustete Strukturen aufgebrochen und ein ehrgeiziges Reformprogramm für die Hochschulen gestartet. Wichtige Stichworte sind hier die Dienstrechtsreform, mit der wir die Juniorprofessur und eine leistungsorien- tierte Besoldung für unsere Hochschullehrer einführen, die internationale Ausrichtung unserer Hochschulen, die intensive Förderung von Nachwuchswissenschaftlern und das virtuelle Studium, mit dem wir die weltweite Vernet- zung der deutschen Hochschullandschaft vorantreiben. Und die Bundesregierung hat das BAföG reformiert und damit echte Chancengleichheit geschaffen. Niemand muss heute mehr aus finanziellen Gründen auf ein Studium ver- zichten. Aber was wir hier mit der einen Hand geben, dürfen wir mit der anderen Hand durch Studiengebühren nicht wieder aus dem Portemonnaie nehmen. Das wäre nicht nur widersinnig, sondern würde gerade auch unser Ziel konterkarieren, mehr junge Menschen für ein Studium zu gewinnen. Studierende und ihre Eltern brauchen verläss- liche Rahmenbedingungen für ihre Zukunftsplanung. Schon die öffentliche Diskussion über die Einführung von Studiengebühren hat viele junge Menschen verunsichert. Denn Studiengebühren schrecken ab. Das zeigt auch der internationale Vergleich: Nach einer aktuellen Erhebung ist in Österreich mit der Einführung von Studiengebühren ab dem 1. Semester die Zahl der Stu- dierenden um 20 Prozent zurückgegangen. Auch ein Blick nach Großbritannien demonstriert die abschreckende Wir- kung von Studiengebühren: In England stagnieren die Stu- dierendenzahlen seit der Einführung von Studiengebühren 1998, während sie an den – nach wie vor – gebührenfreien schottischen Hochschulen deutlich gestiegen sind. Irland zum Beispiel hat erst vor kurzen die Studiengebühren wie- der abgeschafft. Nach der massiven Erhöhung des BAföG, der erfolg- reichen Einführung von Bildungskrediten und dem Aus- bau der Familienförderung ist die Festschreibung der Gebührenfreiheit für ein erstes berufsqualifizierendes Studium ein wichtiger Anreiz, damit sich mehr junge Leute für ein Studium entscheiden. Die Verankerung der Studiengebührenfreiheit im HRG sichert bundesweit vergleichbare Studienbedingungen für alle grundständigen Studienangebote. Das ist notwendig, weil abzusehen ist, dass bei unterschiedlichen Regelun- gen in den Ländern ein Run auf gebührenfreie Hochschu- len einsetzen würde. Kapazitätsengpässe und schlechtere Studienbedingungen wären die Folge. Das wollen wir verhindern! Es wäre schon ein Stück aus dem Tollhaus, wenn in Deutschland Studierende nicht mehr ohne Pro- bleme von einem Bundesland ins andere wechseln kön- nen, während wir uns gleichzeitig in Europa anstrengen, vergleichbare Studienbedingungen zu schaffen und die Mobilität zu verbessern. Es ist eine gute europäische Tradition, dass junge Men- schen unabhängig von ihrer sozialen Herkunft und ihren finanziellen Möglichkeiten eine gute Ausbildung erhal- ten, ohne dass sie dafür bezahlen müssen – und eine Er- rungenschaft, an der wir festhalten wollen. Die Sechste HRG-Novelle ist dazu ein wichtiger Schritt! Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Bekämpfung der Steu- erkriminalität durch kontinuierliche und bun- deseinheitliche Betriebsprüfung (Tagesord- nungspunkt 26) Lydia Westrich (SPD): Auch wenn dieser Antrag der PDS-Fraktion zu der typischen Serie „Ältere SPD An- träge neu aufgelegt“ gehört, will ich keineswegs den Ernst und die Brisanz des Themas „Bekämpfung der Steuerhin- terziehung und der Wirtschaftskriminalität“ herunterspie- len. Wer Steuergerechtigkeit sagt und ernsthaft will, muss immer auch die Beseitigung des Missbrauchs gesetzlicher Regelungen im Auge haben. Und da haben die Sozialde- mokraten keine Nachhilfestunde nötig. Wir haben dieses Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2002 22119 (C) (D) (A) (B) Thema schon in den Oppositionsjahren mit vorangetrie- ben. Wir haben da bereits veränderte Handlungsweisen der Bundes- und Länderbehörden durch verstärkte öffent- liche Diskussion mit bewirkt. Und jetzt sind die Bundes- regierung und die Koalitionsfraktionen mittendrin, die zur Verfügung stehenden Mittel und Wege zur Verhinderung von Steuerhinterziehung erfolgreich auszuschöpfen, meistens gegen die Stimmen der Opposition. Es ist noch gar nicht so lange her, dass ein Minister- präsident von Baden-Württemberg – Lothar Späth war es – die weit auseinander klaffenden Betriebsprüfungszeiten in seinem Land als Beitrag zur Wirtschaftsförderung be- zeichnet hatte. Über dieses Stadium sind wir in allen Län- dern endlich hinausgewachsen. Das zeigen bereits die Be- triebsprüfungsstatistiken der Jahre 1997 und 1998, die die deutsche Steuergewerkschaft veröffentlicht hat. Und es hat sich weiter verbessert. Zur Steuerfahndung sagt die Steuergewerkschaft, sie – die Steuerfahndung – sei, wenn auch nicht ausreichend, so doch spürbar aufgestockt wor- den. Natürlich haben in dieser Zeit auch spektakuläre Fälle von Steuerhinterziehung einen öffentlichen Druck verur- sacht, ob das im Tennissport oder im Bankwesen war. Aber egal wie, auch Baden-Württembergs Betriebsprü- fungsstatistiken lesen sich nun ganz ordentlich. Inzwischen sind wir schon so weit, dass der eine oder andere Rechnungshof sein Augenmerk mehr auf eine Ver- stärkung des Innendienstes richtet, weil die Aufstockung der Mitarbeiter im Außendienst in den letzten Jahren sehr schnell vor sich ging und hochqualifizierte, engagierte Kräfte dem Innendienst entzogen hat. Die Ausstattung der Steuerfahndung liegt fast überall weit über Mindeststan- dards. Aber sicher müssen die Länder hier ständig nach- rüsten, weil das Aufdecken von kriminellen Delikten nicht an der Ausstattung scheitern darf. Aber es ist ihre Zuständigkeit, die sie sich nicht wegnehmen lassen wer- den. Allerdings gibt es noch etliche bürokratische Hemm- nisse, gerade wenn es grenzüberschreitende Maßnahmen betrifft, die wir ernsthaft angehen müssen. Insgesamt ha- ben wir – die Bundesregierung, die Koalitionsfraktionen und die Länder – große Schritte in Richtung Bekämpfung der Steuerkriminalität gemacht – gegen den vereinten Wi- derstand der Opposition. Das heißt nicht, dass wir uns zufrieden zurücklehnen – die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen arbei- ten kontinuierlich an der Beseitigung des durch die frühere Regierung entstandenen Eindrucks, Steuerhinter- ziehung sei nur ein Kavaliersdelikt. Das ist eine mühsame Geschichte; denn wie die Deutsche Steuergewerkschaft schreibt, war Steuerhinterziehung ja beinahe Massensport und die Hinterzieher in den Augen der Bürger keine Straftäter, sondern „besonders intelligente“ Menschen, die den Staat austricksen können. Die Einsicht, dass diese Steuerhinterzieher mitverant- wortlich für das Finanzdesaster sind, dass sie der Allge- meinheit Leistungen entziehen, die der Staat wegen der Steuerausfälle nicht mehr erbringen kann, können wir nicht in moralisierenden Sonntagsreden, sondern nur in praktischen Beispielen vermitteln. Das beginnt mit der Bereinigung vorhandener Steuergesetze. Wie wollen Sie das Rechtsempfinden der Bürger stärken, wenn zum Bei- spiel Schmiergelder zum Steuerabzug zugelassen waren? Die langjährige Forderung der Sozialdemokraten nach Nichtabsetzbarkeit von Bestechungsgeldern haben wir bald umsetzen können. Wir haben begonnen, Steuer- schlupfloch um Steuerschlupfloch zu schließen. Ich kann mich gut erinnern, dass gerade die PDS-Frak- tion bei der Anhörung und Diskussion um das Steuerent- lastungsgesetz 1999/2000/2002 die praktische Umset- zung von einigen früheren Forderungen Punkt für Punkt in Frage gestellt hat – weil es Gegenwind gegeben hat, weil Standfestigkeit gefragt war. Populistische Reden al- lein führen noch keinen Schritt zu einer gerechteren Steu- ergesetzgebung. Deshalb lehne ich Ihren Antrag auch gerne ab. Nach den Erfahrungen, die wir bisher mit Ihnen gemacht haben, traue ich Ihnen noch nicht einmal zu, dass Sie einer Än- derung des § 30 a der Abgabenordnung, des so genannten Bankgeheimnisses, zustimmen, weil es natürlich nicht populär ist, deswegen vorsichtshalber nicht in Ihren For- derungen enthalten. Aber es sind diese Paragraphen, die Steuerkriminalität begünstigen und die Steuerrechts- pflege schwierig machen. Wir werden darangehen, auch legale Steuerumgehung soweit wie möglich einzudäm- men. Wir kommen auch voran im Bemühen um eine eu- ropäisch abgestimmte Regelung für eine Erfassung der Kapitaleinkünfte. Steueroasen – das muss ein Unwort werden. Nicht halbherzig, sondern umfassend und sorg- fältig nehmen wir uns die Bekämpfung des Missbrauchs, der Steuerhinterziehung und der Schattenwirtschaft vor, begleitet von zahlreichen Widerständen, weil Menschen sich bequem in diesen Nischen und Oasen eingerichtet hatten. Aber wir können nicht weiter laufen lassen, was sich fast eingebürgert hatte: illegale Arbeitnehmerüber- lassung, Schwarzgeschäfte, Vortäuschung von Beschäfti- gungsverhältnissen, Vertragsmanipulation, Kapitalflucht in Steueroasen, Gewinnverlagerungen ins Ausland, Ka- russellgeschäfte, Scheinbetriebsausgaben, Scheinunter- nehmer, Einsatz von Arbeitnehmern für Privatzwecke, Kompensationsgeschäfte, Verschleierung von Kapitalein- künften usw. Der kriminellen Energie und Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. In vielfältiger Weise hat die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Gesetze und Gesetzesvorschriften erlassen, die diesen Sumpf austrocknen sollen und werden. Sie waren ja selbst an der Beratung beteiligt: erst kürzlich das Ge- setz zur Eindämmung illegaler Beschäftigung im Bauge- werbe auf dringenden Wunsch der Betroffenen und der Länder oder das Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz, das der Verwaltung endlich sachgerechte Instrumente an die Hand gibt, gegen organisierte banden- und gewerbe- mäßige Steuerhinterziehung vorzugehen. Die CDU/CSU und FDP reden zwar oft von Steuerge- rechtigkeit, bekämpfen aber jeden Versuch, sie auch tatsächlich zu schaffen. Das hängt teilweise sicher noch am alten Denken, dass fehlende Betriebsprüfungen ein Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 200222120 (C) (D) (A) (B) günstiger Standortfaktor seien. Sie vergessen dabei eines, das sich die Ehrlichen immer mehr als die Dummen vor- kommen, ja, dass gesunder Wettbewerb massiv behindert wird. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben im Gegensatz dazu den hohen Anspruch, Steuerge- rechtigkeit zu verwirklichen. Die Ausfälle, die dem Staat durch Wirtschaftskrimina- lität und Steuerhinterziehung entstehen, zahlen diejeni- gen, die ehrlich ihre Steuern zahlen mit, und das sind bei- leibe nicht nur die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir fördern die Steuerehrlichkeit am besten, wenn wir unseren Weg fortsetzen, die Steuerschlupflöcher zu schließen, die Bemessungsgrundlage zu verbreitern und das Steuerrecht wieder einfacher und gerechter zu gestal- ten. Wir wissen, dass wir der Steuerverwaltung einen ho- hen Arbeitseinsatz abverlangen. Bei der Gesetzesflut ge- raten die Mitarbeiter an den Rand ihrer Belastbarkeit. Sie sind gut ausgebildet, hoch qualifiziert. Dass die Motiva- tion ins Wanken gerät, hat viel mit dem ständig steigen- den Arbeitsdruck zu tun. Durch die von uns laufend ver- änderten Gesetzesvorschriften wird flexibles Denken und stetiges Weiterlernen verlangt. Vor einigen Jahren hat der Finanzausschuss eine dreitägige Anhörung zur Lage der Finanzverwaltung durchgeführt. Das hat unter anderem zu einer Verbesserung der Zusammenarbeit der Länder in diesem Bereich, zu einer eigenen Berufsbezeichnung für den mittleren Dienst und zu einer besseren Ausstattung geführt. Ich halte es für angebracht, dass wir mit den Praktikern aus den Verwaltungen erneut in die Diskussion eintreten und mit ihnen und den Ländern erarbeiten, wie wir Steu- erkriminalität am erfolgreichsten bekämpfen können, wie Vollzugsdefizite abzubauen sind, wo bürokratische ent- behrliche Hemmnisse abgeräumt werden müssen und wie wir insgesamt die verantwortungsvolle Arbeit der Steuer- verwaltung in neu motivierte Bahnen lenken können. Einzelmaßnahmen wie der sowieso teilweise überholte Antrag der PDS helfen auf diesem Weg nicht weiter. Wir werden ihn daher ablehnen. Aber ich bin überzeugt, dass alle Fraktionen zusammen daran interessiert sein werden, Steuergerechtigkeit nicht nur durch Gesetze, sondern auch mit einer gut funktionierenden Verwaltung zu ver- wirklichen. Also nehmen wir das Gespräch ernsthaft auf. Die Ideen und Erfahrungen der Praktiker werden uns ein gutes Stück auf diesem Weg voranbringen, und ich freue mich darauf, diese Erkenntnis gemeinsam mit den Län- dern und mit den Kolleginnen und Kollegen umzusetzen. Elke Wülfing (CDU/CSU): Der uns vorliegende An- trag der PDS zur Verschärfung der Betriebsprüfungen ist ein Asbach-uralter Antrag, den Sie besser zurückgezogen hätten. Dass Sie das nicht getan haben, beweist Ihre im- mer noch ungebrochene Gläubigkeit an Staatskontrolle und Überwachungsstaat. Leider haben sich die rot-grüne Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen von dieser Staatsgläubigkeit und von der Überwachungsmen- talität anstecken lassen. Hier einige Beispiele: Mit dem Steuerverkürzungs- bekämpfungsgesetz ist bei der Umsatzsteuerprüfung eine unangekündigte Nachschau ohne Anfangsverdacht mit der Erlaubnis von Kontrollmitteilungen zu anderen Steu- ertatbeständen eingeführt worden. Des Weiteren wurde die Nichtzahlung von Umsatzsteuer als Verbrechen und damit als vermutete Vortat zur Geldwäsche eingestuft. Ebenfalls geändert und verschärft wurden die §§ 146 ff. der Abgabenordnung. Danach hat der Betriebsprüfer jetzt Datenzugriff auf alle digital erfassten Betriebsdaten. Allein diese drei Beispiele beweisen das grundsätzli- che Misstrauen dieser rot-grünen Bundesregierung ge- genüber jedem anständigen Unternehmer, der sich bemüht, Produkte zu verkaufen, Arbeitsplätze zu schaffen und in der Rezession zu überleben. Dass Betriebsprüfungen notwendig sind, darüber kann selbstverständlich kein Zweifel bestehen. Obwohl sich die Anzahl der zu prüfenden Betriebe in den letzten Jah- ren nicht erhöht hat, haben die obersten Finanzbehörden der Länder die Anzahl der Betriebsprüfer seit 1995 um 1 200 erhöht, die auch tatsächlich durch die Prüfung allein im Jahr 2000 Mehrsteuern von 27,4 Milliarden DM ein- genommen haben. Darin sind die Lohnsteueraußenprü- fung, die Umsatzsteuersonderprüfung und die Steuer- fahndung nicht einmal enthalten. Wer mehr Steuereinnahmen haben will, als zum Bei- spiel bei der Körperschaftsteuer im letzten Jahr herausge- kommen ist, der muss eine vernünftige Steuerreform ma- chen. Der massive Rückgang bzw. der Negativsaldo bei der Körperschaftsteuer hat natürlich zur Ursache, dass die Erstattungen von Körperschaftsteuer infolge der Herstel- lung der Ausschüttungsbelastung sehr stark angestiegen sind. Ursächlich für diese hohen Ausschüttungen ist die Tatsache, dass das Vollanrechnungsverfahren in diesem Jahr letztmalig zur Anwendung gekommen ist. Aber auch die Senkung des Thesaurierungssatzes von 40 auf 25 Pro- zent führt natürlich zu deutlich niedrigeren Vorauszahlun- gen. Wie eine SPD-geführte Bundesregierung – die von sich immer behauptet, sich um die Belange der kleinen Leute und des Mittelstandes besonders zu kümmern – es mit ihrem eigenen Programm vereinbaren kann, gerade das Großkapital so massiv zu entlasten, bleibt mir ein Rätsel. Dass aber die so auf soziale Gerechtigkeit bedachten Ge- werkschaften angesichts dieser Tatsache nicht auf die Barrikaden gehen, ja dass sie daran sogar mitwirken, in mitbestimmten Unternehmen Vorstandsgehälter und Ab- findungen in Millionenhöhe zu genehmigen, finde ich einfach schlimm. Hätten Sie 1997 die Steuerreform der CDU/CSU- und FDP-geführten Bundesregierung nicht im Bundesrat blockiert, wären Sie jetzt in der konjunkturell schwierigen Lage weitaus besser dran. Seit vier Jahren hätte die Wir- kung der Steuersenkung vor allen Dingen bei den 83 Pro- zent der Personenunternehmen schon Wirkung zeigen können. Auch die Kapitalgesellschaften wären mit dem von uns damals vorgeschlagenen Satz von 30 in die Lage versetzt worden, in guten konjunkturellen Zeiten Arbeits- plätze zu schaffen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2002 22121 (C) (D) (A) (B) Mein Mitleid gilt den vielen kleinen und mittleren Be- trieben, die jetzt aufgrund Ihrer verkorksten Steuerreform und der dazukommenden Konjunkturschwäche Pleite ge- hen. Die Zahl der Insolvenzen hat sich immerhin im Jahr 2001 auf 38 000 erhöht. Überall in unseren Wahlkreisen lesen wir jeden Tag von neuen Insolvenzanträgen und drastisch ansteigenden Arbeitslosenzahlen. Mein Mitleid angesichts der daraus resultierenden Steuerausfälle für den Bundesfinanzminister hält sich allerdings in gewissen Grenzen. Das Thema ist zurzeit deshalb auf gar keinen Fall, noch schärfere Betriebsprüfungen einzuführen – in einer Zeit, wo zu Hunderten und Tausenden Betriebe in Konkurs ge- hen. Das Thema muss sein: Wie schaffen wir eine Steuer- reform, die die hohen Anforderungen für Betriebsprüfun- gen deswegen unnötig macht, weil das Steuersystem einfacher und gerechter geworden ist? Professor Kirchhof hat dazu im letzten Jahr interessante und bedenkenswerte Vorschläge auf den Tisch gelegt. Leider hat die rot-grüne Bundesregierung dafür nur ein müdes Achselzucken übrig gehabt. Statt einen mutigen Schritt zu tun und eine für alle Bürger und Unternehmen gerechte und ausgewo- gene Steuerreform zu erarbeiten, sind Sie wieder einmal beim Kurieren an Symptomen stehen geblieben. Ein Ruck müsste durchs Land gehen, hat Bun- despräsident Herzog gefordert. Wenn die Bundesrepublik Deutschland nicht am Ende der Wachstumsschlange in Europa stehen bleiben will, dann ist ein Neuanfang im Steuerrecht dringend nötig. Dazu haben Sie vier Jahre Zeit gehabt. Wir werden am 22. September die Wähler fragen, ob sie einen Neuanfang ebenfalls für richtig hal- ten. Zurzeit sieht es jedenfalls so aus. Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Wirtschaftskrimi- nalität müssen bekämpft werden. Darüber sind wir uns im Grundsatz sicherlich einig. Die Finanzverwaltung und da- mit auch die Betriebsprüfungen sind aber nach wie vor in der Hauptsache eine Ländersache, das ist ebenso unbe- stritten und soll auch so bleiben. Der Bund kann – wegen der Personalhoheit der Län- der – letztendlich dieser nur auffordern, verstärkte An- strengungen zu unternehmen, Betriebsprüfer auszubilden und einzusetzen. Diese Appelle werden im Rahmen der statistischen Auswertung der Betriebsprüfungsergebnisse auch durch den Rechnungsprüfungsausschuss des Deut- schen Bundestages immer wiederholt. Wir können fest- stellen, dass diese Aufforderungen auch im ureigensten Interesse der Länder lagen, denn die jüngsten Statistiken über die Betriebsprüfungen zeigen Erfolge. Nach den statistischen Aufzeichnungen der Länder ha- ben die Betriebsprüfungen bei gewerblichen Unterneh- men aller Betriebsgrößen im Jahr 2000 zu Mehrsteuern von 27,4 Milliarden DM geführt. Ergebnisse der Umsatz- steuer-Sonderprüfung und der Steuerfahndungsdienste sind in dieser Zahl noch gar nicht enthalten. Im Vorjahr lag die Vergleichszahl bei 26,8 Milliarden DM an Mehrsteuern. Der größte Teil der Mehreinnahmen an Steuern aufgrund der Betriebsprüfungen erfolgt aus der Prüfung von Großbetrieben, nämlich 80 Prozent. Die kontinuierliche Zunahme der Mehreinnahmen an Steuern ist auf den Mehreinsatz von Betriebsprüfern durch die Länder zurückzuführen. Die Zahl der Prüfer be- trug 1997 noch 9 978, im Jahr 2000 immerhin schon 11 106. Dies ist eine Zunahme um 1 128 Prüfer. Wir be- grüßen grundsätzlich die vermehrten Anstrengungen der Länder, Betriebsprüfer auszubilden und verstärkt einzu- setzen. Außerdem kann ich der Statistik entnehmen, dass die Länder auch mehr Steuerfahnder ausgebildet und ein- gesetzt haben. 1997 waren erst 2 035 Steuerfahnder im Einsatz, im Jahr 2000 immerhin 2 463. Auch diese Ent- wicklung spricht dafür, dass die Finanzverwaltungen der Länder grundsätzlich bereit waren, mehr für eine funk- tionsfähige Steuerüberprüfung zu investieren. Auch der Bund hat bei dem Aufbau der Betriebsprüfungen in den neuen Ländern durch den Einsatz der Bundesbetriebsprü- fung des Bundesamtes für Finanzen unterstützend gehol- fen. Es ist erfreulich, dass einige neue Länder ihre Be- triebsprüfungsdienste bereits vollständig aufgebaut haben. Deswegen konnte die Verwaltungshilfe aus den al- ten Bundesländer vermindert werden. Letztendlich verbleibt ein großer Teil der Mehrsteuern bei den Kommunen und Ländern, sodass sich der Perso- nalmehraufwand sogar mehr als selbst finanziert. Das Steuersystem mit all seinen Regeln und Ausnahmen funk- tioniert nur, wenn der Bürger von seiner Funktionsfähig- keit und damit der leistungsgerechten Besteuerung über- zeugt ist. Ein Steuersystem ohne funktionsfähigen Vollzug ist schlicht ungerecht gegenüber den steuerehr- lichen Bürgern. Das Sprichwort „Der Ehrliche ist der Dumme“ hätte seine Bestätigung gefunden. Dies wollen wir nicht! Im Gegenteil: Steuerhinterziehung, Geldwä- sche usw. sind keine Kavaliersdelikte, sondern ein be- wusstes Außer-Kraft-Setzen gesellschaftlicher Regeln zum eigenen Vorteil. Dies darf nicht hingenommen wer- den. Deswegen begrüßen wir auch die verstärkten An- strengungen im Rahmen des Vierten Finanzmarktförde- rungsgesetzes, in dem versucht wird, der international organisierten Geldwäsche wirksamere Instrumente entge- genzusetzen. Vermehrte Betriebsprüfungen sind eine Me- thode, um unlauteren Geschäftsmethoden das Handwerk zu legen. Die Weiße-Kragen-Kriminalität hat Jahr für Jahr mehr Schäden angerichtet. Dieser Tendenz kann unter an- derem mit vermehrten Betriebsprüfungen entgegenge- wirkt werden. Letztlich müssen die Steuerpflichtigen für ihr Handeln haften. Steuerhinterziehung muss wirksam bekämpft werden, um den Gesellschaftsvertrag unter den Bürgern zu erfüllen. Carl-Ludwig Thiele (FDP): Was die PDS heute zur Debatte stellt, steht für ihr Politikverständnis: strenge Staatsgläubigkeit, eine Aufblähung des Staatsapparats, die vermeintliche Herstellung von Gerechtigkeit, kurz: massives Misstrauen gegenüber den Bürgern. Die FDP lehnt das grundweg ab. Dieses Denken stammt aus dem letzten Jahrtausend und gehört in das letzte Jahrtausend. Eine freie, weltof- fene Gesellschaft muss dem Bürger Freiheit lassen. Er muss die Chance haben, Eigenverantwortung zu überneh- men. Der Staat darf nur dort eingreifen, wo es unbedingt notwendig ist. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 200222122 (C) (D) (A) (B) Das kann aber doch nur heißen, allen Menschen die gleichen Startchancen zu geben. Das staatsgläubige Den- ken der PDS will hingegen das genaue Gegenteil: Die in- dividuelle Leistung, das Engagement des Einzelnen sollen erstickt werden durch Gleichmacherei. Die PDS maßt sich dabei an, festlegen zu können, was gleich und gerecht ist. Begründet werden die Forderungen mit mehr Steuer- gerechtitgkeit. Das ist scheinheilig, schürt das Neidden- ken und entmündigt die Bürger. Unser Steuersystem ist nicht gerecht; das stimmt. Das liegt aber doch nicht daran, dass Einzelne zu wenig Steuern bezahlen und – natür- lich – in den Augen der PDS zu viel verdienen. Das Steuersystem ist nicht mehr gerecht, weil es un- verständlich ist, weil es viele Ausnahmen gibt und weil die Steuerbelastung zu hoch ist. Ein gerechtes Steuersys- tem werden wir nur dann bekommen, wenn das Steuer- recht verständlich für alle ist, wenn die Steuerbelastung maßvoll und damit aktzeptabel für die Bürger ist. Darin herrscht doch Konsens in unserer Gesellschaft. Die PDS stellt sich wieder einmal deutlich ins Abseits, wenn sie das leugnet. Ihr geht es nicht darum, das Steuersystem gerecht zu machten, sondern darum, mit hohen Steuersätzen und massiven staatlichen Kontrollmaßnahmen den Menschen die Früchte ihrer Leistung wegzunehmen. Für die FDP steht fest: Dieses Denken, diese Grund- einstellung können wir nicht brauchen. Anlage 10 Technisch bedingter Neuabdruck einer zu Protokoll gegebenen Rede zur Beratung – des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsvorschussgesetzes – des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Ände- rung des Unterhaltsvorschussgesetzes (218. Sitzung, Tagesordnungspunkt 10 a und b) Christina Schenk (PDS): Zur Existenzsicherung von Kindern allein Erziehender gehören monatliche Unter- haltszahlungen des getrennt lebenden Elternteils. Soweit die Theorie. Wie viele Kinder ihren Unterhalt tatsächlich erhalten, weiß niemand genau. Die letzte statistische Er- hebung stammt von 1978. Wir begrüßen deshalb, dass die Bundesregierung eine entsprechende Studie in Auftrag gegeben hat. Heute wird geschätzt, dass nur etwa an ein Drittel der Kinder der Unterhalt regelmäßig und in voller Höhe gezahlt wird. Ein weiteres Drittel erhält ihn unre- gelmäßig oder in zu geringer Höhe und das letzte Drittel bekommt ihn selten oder nie. Wird der Unterhalt nicht gezahlt, streckt seit 1979 der Staat aus der Unterhaltsvorschusskasse einen Teil des ge- schuldeten Betrages vor. Der Unterhaltsvorschuss wird jedoch maximal 72 Monate und längstens bis zum 12. Le- bensjahr des Kindes gezahlt. Gerade dann, wenn die Kin- der teuer werden, bekommen sie nichts mehr. Hier spart der Staat auf Kosten der Kinder. Und er spart auf Kosten desjenigen Elternteils, der mit dem Kind zusammenlebt. Das darf nicht länger so bleiben. Der Unterhaltsvorschuss muss so lange gezahlt werden, wie es einen Anspruch auf Kindergeld gibt. Beim Unterhaltsvorschuss erhalten Kinder ohnehin nur den Mindestunterhalt, wovon allerdings wieder die Hälfte des Kindergeldes abgezogen wird. Demgegenüber geht das „Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erzie- hung und zur Änderung des Kindesunterhaltsrechts“, das zum 1. Februar 2001 in Kraft getreten ist, eindeutig zu Recht davon aus, dass der niedrigste Mindestunterhalt den Bedarf des Kindes nicht deckt. Seitdem darf der Unterhalt nur dann um die Hälfte des Kindergeldes gemindert wer- den, wenn er mindestens in Höhe von 135 Prozent des Re- gelsatzes gezahlt wird. Im Unterschied dazu mindert der Staat den Unterhaltsvorschuss nach wie vor um die Hälfte des Kindergeldes – Existenzminimum hin oder her. Hier wird erneut auf Kosten der Ärmsten gespart. Kinder, die den Unterhaltsvorschuss in Höhe des Min- destunterhalts bekommen, erhalten somit monatlich 77 Euro weniger als Kinder, denen der zahlungspflichtige Elternteil den Mindestunterhalt zahlt. Die PDS-Fraktion hat bei der Reform des Unterhaltsrechts auf diese Un- gleichbehandlung hingewiesen. Die rot-grüne Mehrheit des Hauses hat diese Ungerechtigkeit billigend in Kauf genommen. Wir wollen sie beenden. Die Beibehaltung der jetzigen Regelungen zum Unter- haltsvorschuss verfestigt das Armutsrisiko bei allein Er- ziehenden. Wenn kein Unterhalt gezahlt wird und die Be- zugsdauer für den Unterhaltsvorschuss ausgeschöpft ist, muss derjenige Elternteil einspringen, bei dem das Kind lebt. In 85 Prozent der Fälle ist das wegen der in Deutsch- land noch immer traditionellen Rollenverteilung die Mut- ter. Sie ist damit finanziell doppelt belastet. Sie versorgt das Kind, hat damit oft genug berufliche und damit auch finanzielle Nachteile. Und sie übernimmt noch zusätzlich den Unterhalt, den der Vater zahlen müsste und nicht zahlt. Für sie gibt es – anders als für diesen – keinen Selbstbe- halt. Sie kann dem Kind nicht den benötigten Unterhalt mit dem Argument verweigern, der eigene Bedarf gehe vor. Sie muss mit allem, was sie hat, für den Unterhaltsausfall eintreten – solange, bis sie in die Sozialhilfe fällt. Weil immer mehr Väter und in geringer Zahl auch Müt- ter ihrer Zahlungspflicht nicht nachkommen, muss der Staat gegenwärtig rund 450 000 Kindern Unterhaltsvor- schuss gewähren. Das ist teuer: Allein im vergangenen Jahr beliefen sich die Kosten, die zu jeweils einem Drittel vom Bund, den Ländern und den Kommungen getragen werden, auf etwa 1,5 Milliarden Mark. Die Rückholquote ist erbärmlich gering. Nur etwa ein Fünftel der Väter zahlt das quasi zinslose Darlehen zurück. Für den Rest der Vä- ter ist der Unterhaltsvorschuss praktisch ein Geschenk. Das kann so nicht bleiben. Hier sehen wir ebenfalls drin- genden Handlungsbedarf. Die Forderung nach Anhebung der Altersgrenze und Ausweitung der Bezugsdauer des Unterhaltsvorschusses war bereits in der 13. Legislaturperiode Gegenstand einer Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses. Der Bun- destag hat dieser Beschlussempfehlung zugestimmt. Ich denke, in dieser Frage könnte heute eine fraktionsüber- greifende Mehrheit zustande kommen. Wir sollten diese Chance nutzen und die allein Erziehenden endlich vor dem Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2002 22123 (C) (D) (A) (B) Verarmungsrisiko schützen, das durch den Ausfall von Un- terhalt und Unterhaltsvorschuss zwangsläufig entsteht. Anlage 11 Amtliche Mitteilungen Der Abgeordnete Reinhold Hemker hat seine Unter- schrift zu dem Antrag Dokumentation der freigelegten russischen Graffiti-Inschriften im Reichstagsgebäude in historisch gerechtfertigtem Umfang auf Drucksache 14/6761 zurückgezogen. Die Fraktion der CDU/CSU hat mit Schreiben vom 27. Februar 2002 mitgeteilt, dass sie den Antrag Perus Rückkehr zur Demokratie unterstützen auf Druck- sache 14/4527 zurückgezogen hat. Der Vorsitzende des folgenden Ausschusses hat mitge- teilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Ge- schäftsordnung von einer Berichterstattung zu der nach- stehenden Vorlage absieht: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zum Jahresgutachten 1999 des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU): „Welt im Wandel – Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Biosphäre“ – Drucksachen 14/6706, 14/6995 Nr. 2 – – Zwischenbericht der Enquete-Kommission Nachhaltige En- ergieversorgung unter den Bedingungen der Globalisierung und der Liberalisierung Teilbericht zu dem Thema: Nachhaltige Energieversorgung auf liberalisierten Märkten: Bestandsaufnahme und Ansatzpunkt – Drucksache 14/7509 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU- Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- tung abgesehen hat. Finanzausschuss Drucksache 14/6908 Nr. 2.6 Drucksache 14/7129 Nr. 2.25 Drucksache 14/7409 Nr. 2.19 Drucksache 14/7409 Nr. 2.22 Drucksache 14/7409 Nr. 2.30 Drucksache 14/7409 Nr. 2.31 Drucksache 14/7409 Nr. 2.32 Drucksache 14/7409 Nr. 2.33 Drucksache 14/7409 Nr. 2.34 Drucksache 14/7409 Nr. 2.35 Drucksache 14/7409 Nr. 2.36 Drucksache 14/7409 Nr. 2.37 Drucksache 14/7522 Nr. 1.20 Drucksache 14/7708 Nr. 1.7 Drucksache 14/7708 Nr. 1.9 Drucksache 14/7708 Nr. 2.34 Drucksache 14/7708 Nr. 2.39 Ausschuss für die Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 14/6508 Nr. 2.29 Drucksache 14/8081 Nr. 2.5 Drucksache 14/8081 Nr. 2.6 Drucksache 14/8081 Nr. 2.14 Drucksache 14/8081 Nr. 2.18 Drucksache 14/8179 Nr. 1.2 Drucksache 14/8179 Nr. 2.4 Drucksache 14/8179 Nr. 2.5 Drucksache 14/8179 Nr. 2.7 Drucksache 14/8179 Nr. 2.11 Drucksache 14/8179 Nr. 2.12 Drucksache 14/8179 Nr. 2.14 Drucksache 14/8179 Nr. 2.15 Drucksache 14/8179 Nr. 2.18 Drucksache 14/8179 Nr. 2.49 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 200222124 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422200000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Ich rufe auf die Tagesordnungspunkte 18 a bis 18 d so-
wie Zusatzpunkt 8:
18 a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-

regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwan-
derung und zur Regelung des Aufenthalts und
der Integration von Unionsbürgern und Auslän-
dern (Zuwanderungsgesetz)

– Drucksachen 14/7987, 14/8046 –

(Erste Beratung 212. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwan-
derung und zur Regelung des Aufenthalts und
der Integration von Unionsbürgern und Auslän-
dern (Zuwanderungsgesetz)

– Drucksache 14/7387 –

(Erste Beratung 208. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur
Änderung des Asylverfahrensgesetzes
– Drucksache 14/7465 –

(Erste Beratung 208. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur
Änderung des Ausländergesetzes
– Drucksache 14/8009 –

(Erste Beratung 215. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Dr. Guido Westerwelle, Dr. Edzard
Schmidt-Jortzig, Dr. Max Stadler, weiteren Ab-
geordneten und der Fraktion der FDP einge-

brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung
der Zuwanderung
– Drucksache 14/3679 –

(Erste Beratung 133. Sitzung)


aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Innen-
ausschusses (4. Ausschuss)

– Drucksachen 14/8395, 14/8414 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Bürsch
Rüdiger Veit
Sebastian Edathy
Eckhardt Barthel (Berlin)

Erwin Marschewski (Recklinghausen)

Wolfgang Zeitlmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Marieluise Beck (Bremen)

Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke


(8. Ausschuss)

– Drucksache 14/8399 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Werner Hoyer
Gunter Weißgerber
Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
Oswald Metzger
Dr. Christa Luft

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang

(Recklinghausen)

der Fraktion der CDU/CSU
Umfassendes Gesetz zur Steuerung und Be-
grenzung der Zuwanderung sowie zur Förde-
rung der Integration jetzt vorlegen

22017


(C)



(D)



(A)



(B)


222. Sitzung

Berlin, Freitag, den 1. März 2002

Beginn: 9.00 Uhr

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Guido
Westerwelle, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Dr. Max
Stadler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
„Berliner Rede“ des Bundespräsidenten um-
setzen – Zuwanderung nach Deutschland ver-
bindlich regeln

– zu dem Antrag der Fraktion der PDS
Einwanderung und Flüchtlingsschutz men-
schenrechtlich gestalten

– Drucksachen 14/6641, 14/3697, 14/7810,
14/8395, 14/8414 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Bürsch
Rüdiger Veit
Sebastian Edathy
Eckhardt Barthel (Berlin)

Erwin Marschewski (Recklinghausen)

Wolfgang Zeitlmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Marieluise Beck (Bremen)

Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper,
Dr. Guido Westerwelle, Dirk Niebel, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP
Zuwanderung steuern, Aus- und Weiterbildung
intensivieren, Arbeitserlaubnisrecht entrümpeln
– Drucksachen 14/3023, 14/3721 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Sebastian Edathy
Erwin Marschewski (Recklinghausen)

Dr. Guido Westerwelle
Cem Özdemir
Ulla Jelpke

d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Migrationsbericht der Ausländerbeauftragten
– Drucksache 14/7720 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik-
folgenabschätzung

ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss)

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Sechster Familienbericht Familien ausländi-
scher Herkunft in Deutschland; Leistungen –
Belastungen – Herausforderungen und
Stellungnahme der Bundesregierung

– zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne-
ten Christel Riemann-Hanewinckel, Dr. Hans-
Peter Bartels, Anni Brandt-Elsweier, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk,
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Sechster Familienbericht Familien ausländi-
scher Herkunft in Deutschland; Leistungen –
Belastungen – Herausforderungen und
Stellungnahme der Bundesregierung

– Drucksachen 14/4357, 14/6169, 14/8393 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Maria Eichhorn
Christine Lehder
Ina Lenke
Irmingard Schewe-Gerigk
Christina Schenk

Über den Entwurf eines Zuwanderungsgesetzes, zu
dem ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS und ein
Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vorliegen,
werden wir später namentlich abstimmen.

Abweichend von der Tagesordnung stimmen wir über
den Gesetzentwurf zur Änderung des Asylverfahrens-
gesetzes heute nicht ab. – Ich sehe, Sie sind damit einver-
standen. Dann ist so beschlossen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Rüdiger Veit, SPD-Fraktion, das Wort.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wollen wir nicht auf den Minister warten? – Zuruf von der FDP: Wir sollten auf den Minister warten!)



Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1422200100
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Lassen Sie mich als Berichterstatter bitte vorab und,
wie ich hoffe, ohne Anrechnung auf die Redezeit drei
kurze technische Bemerkungen machen:


(Michael Glos [CDU/CSU]: Den Minister interessiert es nicht!)


Erstens. Wir alle hatten sicherlich besonderen Anfor-
derungen bei der zeitlichen Abarbeitung der gestellten
Änderungsanträge zu genügen. Soweit damit Zumutun-
gen für viele von uns verbunden waren, bitten wir – die
Koalitionsfraktionen schließe ich damit ein – um Ver-
ständnis.

Zweitens. Das Gleiche gilt auch für die geringfügige
Verspätung bei der Zuleitung der geänderten Vorlage und
des Berichtes. Wir alle wissen und erfahren es immer wie-
der: Dort, wo Menschen arbeiten, werden auch Fehler ge-
macht. Auch die EDV verhindert das gelegentlich nicht.




Präsident Wolfgang Thierse
22018


(C)



(D)



(A)



(B)


Drittens. Wir haben ein paar kleinere Übertragungs-
fehler im Bericht, nicht im Beschluss, die ich jetzt zu Pro-
tokoll gebe, um das gleich zu Beginn zu klären.

Bei aller Bitte um Verständnis für kleinere Fehler,

(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Nein, nein! Das Verständnis können Sie nicht erwarten!)


darf ich Ihnen aber auch sagen, dass wir uns darüber
freuen und dankbar anerkennen, wie viele Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeiter in den Ministerien, im Sekretariat des
Innenausschusses und in den Fraktionen an dem Projekt
mitgearbeitet haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass wir heute
eine bedeutungsvolle Debatte führen und mit einer für die
Geschichte unseres Landes wichtigen Entscheidung den
Tagesordnungspunkt abschließen werden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist der bedeutungsvolle Minister dazu? – Michael Glos [CDU/CSU]: Wo ist der Herrenreiter?)


Wir stehen also in diesem Sinne des Begriffes historisch
an einer Weichenstellung:

Zum einen wurde das gestern deutlich, als uns der Ge-
neralsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, mit
anerkennenden Worten zu unserer nach der Wiederverei-
nigung noch einmal gewandelten Rolle in der internatio-
nalen Völkergemeinschaft bedacht hat. Unser aller Kurz-
zeitgedächtnis sollte es vielleicht hergeben, sich daran zu
erinnern, dass alle Abgeordneten dieses Hauses ihm dafür
stehend mit Beifall gedankt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich würde mir auch heute diese weltoffene und auf die Zu-
kunft gerichtete Betrachtungsweise wünschen, nicht da-
gegen eine rückwärts gewandte Diskussion auf Bierzelt-
oder Stammtischniveau zu vorgerückter Stunde.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Historisch kann man diesen Tag, meine Damen und
Herren, zum anderen aber auch deshalb nennen, weil wir
das zweite große und wichtige innenpolitische Reform-
projekt dieser Bundesregierung und der sie tragenden
Mehrheitsfraktionen jedenfalls hier im Bundestag vollen-
den wollen und werden.

Erstens. Ein von Grundsätzen polizeilicher Gefahren-
abwehr bestimmtes Ausländerrecht nach der von man-
chem spitzzüngigen Kritiker aufgestellten Maxime: „Die
Würde des Menschen ist unantastbar, alles andere regelt
das – alte – Ausländergesetz“ wird durch ein Aufenthalts-
recht ersetzt, das sich an den Aufenthaltszwecken und den
Bedürfnissen der Menschen orientiert.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Zweitens. Nach jahrzehntelangen Unterlassungen ha-

ben wir nunmehr ein Jahrzehnt der Integration für die
ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die unter

uns leben und dieses Angebot brauchen, sowie für dieje-
nigen, die zu uns kommen sollen, geplant.

Drittens. Im Interesse unserer Wirtschaft und unserer
Sozialversicherungssysteme wollen wir Arbeitsmigra-
tion organisieren und so steuern, dass sie entgegen man-
cher dumpfen Ängste, die bewusst geschürt werden, nicht
einheimische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vom
Arbeitsmarkt verdrängt, sondern dass sie einen Beitrag
für zusätzliche Arbeitsplätze und unser aller Wohlstand
und Wohlfahrt leistet.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Viertens. Ohne dass es deswegen einen einzigen
Flüchtling in Deutschland mehr geben wird, werden wir
diejenigen, die wir als Verfolgte aus humanitären Grün-
den aufnehmen wollen und die bei uns bleiben müssen,
mit einem Rechtsstatus versehen, der ihnen eine dauer-
hafte Perspektive und die Bestreitung ihres Lebensunter-
haltes durch eigene Arbeit ermöglicht. Dadurch werden
die Sozialkassen gerade nicht zusätzlich belastet, wie es
einige Politiker der CDU/CSU den Bürgerinnen und Bür-
gern weismachen wollen.

Auch wenn die Kolleginnen und Kollegen der
CDU/CSU-Fraktion das nicht hören wollen und man sie
vermutlich auch argumentativ nicht erreichen kann – wo-
von ich ausdrücklich Frau Kollegin Professor Süssmuth
und die Kollegen Heiner Geißler und Christian Schwarz-
Schilling ausnehmen möchte –, will ich Sie gerne einmal
daran erinnern: War es vor ein paar Monaten nicht noch
befreiend, befreiend für uns alle wie auch für das gesell-
schaftliche Klima in diesem Land, als Sie im Windschat-
ten der Süssmuth-Kommission alte, verstaubte, teilweise
verknöcherte Dogmen zu Grabe getragen haben?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Waren wir uns nicht alle – nicht nur die politischen Par-
teien in diesem Land – einig, dass Deutschland ein
Zuwanderungsland ist, dass es also nicht darum gehen
kann, ob Zuwanderung stattfindet, sondern wie wir Zu-
wanderung gestalten? Ihr Kanzlerkandidat Edmund
Stoiber hat dagegen die Rolle rückwärts vollendet, indem
er laut heutiger Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung“
plötzlich wieder ernsthaft bestritten hat, dass Deutschland
ein Einwanderungsland sei.

Wir sind Ihnen, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU, in dieser Debatte und in diesem Gesetzge-
bungsverfahren schon weit und immer wieder entgegen-
gekommen. Das gilt für den ursprünglichen Gesetzent-
wurf von Bundesminister Otto Schily genauso wie für den
Entwurf der Fraktionen.


(Bundesminister Otto Schily betritt den Saal – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Michael Glos [CDU/CSU]: Eben ist er zugewandert!)


– Ich freue mich genauso wie Sie darüber, dass der Bun-
desinnenminister eingetroffen ist. Wir begrüßen ihn herz-
lich. So habe ich Ihre Reaktion verstanden.


(Beifall bei der SPD)





Rüdiger Veit

22019


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir haben – ich bitte, das besonders zu beachten – 16 der
von Ihnen insgesamt gestellten 91 Änderungsanträge in
unseren Änderungsantrag übernommen.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist ja unglaublich!)


– Das ist nicht unglaublich; das ist so, Herr Kollege Merz.
Das können Sie nachlesen. Oder Sie können sich bei den
Kollegen aus dem Innenausschuss sachkundig machen.

Wir haben dem Bundesrat in elf seiner Bedingungen
zugestimmt. Wir haben uns in allen Punkten, die von der
Landesregierung von Brandenburg vorgebracht wurden,
auf diese zubewegt. Aber das alles hilft offenbar nichts.
Wir könnten Ihnen, ohne ein einziges Wort daran zu än-
dern, das Konzept der CDU-Zuwanderungskommission
unter dem saarländischen Ministerpräsidenten Müller mit
dem Briefkopf von SPD und Bündnis 90/Die Grünen vor-
legen, und Sie würden dazu wahrscheinlich Nein sagen,
bevor Sie es gelesen haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Warum haben Sie das nicht gemacht? – Michael Glos [CDU/CSU]: Dann machen Sie das mal!)


– Gerade Sie, Herr Glos, haben es fertig bekommen, den
Gesetzentwurf und die Änderungsanträge von Rot-Grün
hierzu als „Mogelpackung“ zu bezeichnen, und das zu ei-
nem Zeitpunkt, als Sie die Änderungsanträge noch gar
nicht kennen konnten.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU)


Ihre völlig gewandelte Haltung ist in der Sache durch
nichts, aber auch gar nichts begründet, sondern aus-
schließlich der Tatsache zu verdanken, dass Ihr nunmehr
gefundener Kanzlerkandidat Ihnen allen „Rechts schwenkt,
marsch!“ befohlen hat. Es ficht ihn und womöglich auch
Sie nicht an, wenn der Präsident des Deutschen Indus-
trie- und Handelskammertages, Ludwig Georg Braun,
davor gewarnt hat, das Gesetz an wahltaktischen Über-
legungen scheitern zu lassen. Ähnlich haben sich heute
der BDI-Präsident Rogowski geäußert, der Vorsitzende
der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann,
und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in
Deutschland, Präses Manfred Kock. Der Berliner Kardi-
nal Georg Sterzinsky hat die von Ihnen verlangten Ände-
rungen an dem Gesetz sogar als eine Schande bezeichnet
und uns, ebenso wie der Präsident des Deutschen Kinder-
schutzbundes, Heinz Hilgers, schon kräftig dafür kriti-
siert, dass wir etwa bei der Frage des Kindernachzugs-
alters ein Stück auf Sie zugegangen sind und uns auf eine
Altersgrenze von 12 Jahren verständigt haben.

Es ist uns außerordentlich schwer gefallen, das Gesetz
an dieser Stelle im Bundesrat zustimmungsfähig zu ma-
chen; denn es gibt in der SPD – das wurde im letzten Jahr
zweimal ganz klar so beschlossen – die Auffassung, dass
das Kindernachzugsalter einheitlich 18 Jahre betragen
müsse. Das entspricht unserem Familienbild. Wenn wir
nun bei einer Altersgrenze von zwölf Jahren für Kinder
vom zwölften bis zum 18. Lebensjahr Ausnahmen aus
Gründen des Kindeswohls und besonderer familiärer Um-

stände zulassen wollen, dann erwarten wir eigentlich von
allen Familienpolitikern – auch denen von der CDU/CSU;
denn Sie halten die Familienpolitik doch sonst immer be-
sonders hoch – ein ausdrückliches Lob dafür.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wie wahltaktisch Ihre Position motiviert ist, wird deut-
lich, wenn man bedenkt, dass es sich nun wirklich nicht
um Massen von allein zu ausländischen Familien nachrei-
senden Kindern handeln kann, sondern vielleicht und ge-
rade einmal um einige Hundert bis maximal 2 000 pro
Jahr und Jahrgang.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Dann kann das Alter ja auf sechs Jahre gesenkt werden!)


Sie müssen der staunenden Öffentlichkeit einmal erklä-
ren, warum Sie einerseits die aufgrund Ihrer schlechten
Familienpolitik zurückgegangene Geburtenrate bekla-
gen, andererseits aber vor ein paar Hundert Kindern pani-
sche Angst zu haben scheinen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das alles passt nicht zusammen. Sie haben sich damit,
wie dargelegt, nicht nur hier im Deutschen Bundestag,
sondern auch in der Gesellschaft von den Positionen der
Arbeitgeber, der Gewerkschaften, der Kirchen und der
Wohlfahrtsorganisationen isoliert, was Herrn Stoiber
überhaupt nicht interessiert, wie er uns heute hat wissen
lassen.

Meine fleißigen Mitarbeiter haben angesichts der Be-
deutung des heutigen Tages – sozusagen als Serviceleis-
tung, vielleicht besonders für die CDU/CSU – einmal
nachgeschaut, welche Tageslosung die Evangelische Kir-
che Deutschlands für den heutigen Tag ausgibt. Sie ent-
stammt Psalm 25, Vers 16: „Wende dich zu mir und sei
mir gnädig, denn ich bin einsam und elend.“ Das wird für
Sie künftig ein Stoßgebot oder auch eine schmerzhafte
Selbsterkenntnis sein.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ihr Kollege Heiner Geißler hat dies bereits erkannt und
in einem dpa-Interwiev gestern unter anderem geäußert:

Es ist eine Illusion, die in meiner Fraktion gepflegt
wird, dass die Union nach einem Wahlsieg am
22. September ihr Zuwanderungskonzept wird
durchsetzen können.

Er warnte davor, das Ausländerthema zum Gegenstand
des Wahlkampfs werden zu lassen. Eine solche Auseinan-
dersetzung, so Heiner Geißler, wäre Wasser auf die
Mühlen der Rechtsradikalen.Die Union werde sich noch
mit Wehmut an den Gesetzentwurf der rot-grünen Koali-
tion erinnern.

Recht hat der Mann.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Rüdiger Veit
22020


(C)



(D)



(A)



(B)


Sie, die anderen Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU-Fraktion, sollten sich bis zur Abstimmung
noch einmal überlegen, ob Sie sich wider bessere eigene
Überzeugung zu Befehlsempfängern eines Kandidaten
aus Bayern degradieren lassen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422200200
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion.

Friedrich Merz (CDU/CSU) (von der CDU/CSU mit
Beifall begrüßt):


(Bernd Reuter [SPD]: Er hat den meisten Applaus, wenn er noch nichts gesagt hat!)


Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wenn es richtig ist, dass dies ein großes, vielleicht sogar
das größte Reformwerk der rot-grünen Koalition in dieser
Legislaturperiode ist, dann stelle ich mir die Frage,
warum der Bundesinnenminister zu spät kommt – gut, das
kann passieren –, und vor allem, warum der Herr Bun-
deskanzler, der uns gestern Abend noch von München aus
kritisiert hat, heute Morgen nicht auf der Regierungsbank
sitzt, wenn es um dieses große Reformwerk geht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD)


– Sie fangen schon an, Zwischenrufe zu machen, bevor
ich hier den ersten Satz gesprochen habe. Auch das hat bei
Ihnen Methode.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Ich will einen zweiten Sachverhalt beschreiben, der
auffallend ist. In den letzten Tagen wurde immer gesagt,
die rot-grüne Koalition sei uns mit ihrem Gesetzentwurf
in den wesentlichen Dingen entgegengekommen;


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

es sei sozusagen überhaupt nicht mehr möglich, dass wir
ihn ablehnten. Dann stelle ich doch einmal die Gegen-
frage: Warum ist es das dritte Reformwerk dieser rot-grü-
nen Koalition, bei dem nicht mit uns gesprochen wird,


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind doch zu Hause geblieben!)


bei dem der Herr Bundeskanzler aber zum dritten Mal die
Minister aus den PDS-regierten Ländern im Kanzleramt
empfängt, um über dieses Thema zu sprechen?


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dieser Sachverhalt ist doch nicht ohne Bedeutung. Der
Herr Bundeskanzler behauptet ständig, die Koalitionen
von SPD und PDS in den Ländern seien eine Sache der
betreffenden Länder. In Wahrheit haben die PDS-Minister
schon längst – so war es auch in dieser Woche wieder
nachzulesen – an seinem Kabinettstisch Platz genommen.
Diese Minister sind dabei, wenn es darum geht, rot-grüne

Gesetze zu machen. Auch über diesen Tatbestand muss
man reden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Kollege Veit, Sie haben – ich rechne damit, dass

dies heute im Laufe des Tages noch mehrfach passiert;
wahrscheinlich werden dies alle Redner der Koalition
tun – die Kollegen Geißler, Süssmuth und Schwarz-
Schilling in den Zeugenstand gerufen.


(Rüdiger Veit [SPD]: Ehrenwerte Kollegen!)

Ich will Ihnen dazu sagen, dass uns nicht gefällt und ich
mir gewünscht hätte, dass diesen Kollegen eine Ableh-
nung oder zumindest eine Enthaltung heute möglich ge-
wesen wäre. Ich bedauere, dass sie sich so entscheiden.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Geben Sie doch die Abstimmung frei!)


Ich respektiere ihre Haltung trotzdem. Sie werden Ihrem
Gesetzentwurf zustimmen, ohne dass es Repressionen in
unserer Fraktion gegen sie gibt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der SPD – Lachen der Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP])


Herr Kollege Veit, ich habe noch sehr gut in Erinne-
rung, dass Sie am 16. November des letzten Jahres zu den
Abgeordneten im Deutschen Bundestag gehörten, die an-
lässlich der Vertrauensfrage hier gesagt haben, sie hät-
ten sich von der eigenen Bundesregierung erpresst ge-
fühlt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Rüdiger Veit [SPD]: Die Wortwahl trifft nicht zu!)


Aus Ihrer Fraktion hat es rund 30 Abgeordnete gegeben,
die erklärt haben, sie hätten bei der Vertrauensfrage des
Bundeskanzlers nur zugestimmt, damit die Koalition an
der Macht bleibe; in der Sache seien sie aber anderer Auf-
fassung gewesen. Ich will Ihnen einmal sagen: Das unter-
scheidet uns von Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Fünf Minuten und noch nichts zur Sache gesagt! Reden Sie doch mal zur Sache, Herr Merz!)


Jetzt einige Anmerkungen zum Verfahren in dieser Wo-
che. Es hat eine zweistündige Diskussion über 140 Ände-
rungsanträge im Innenausschuss des Bundestages gege-
ben. Dann haben Sie mithilfe der Geschäftsordnung ein
Ende der Debatte herbeigeführt und haben alle unsere Än-
derungsanträge abgelehnt und Ihre eigenen durchgezo-
gen. Sie sind noch nicht einmal in der Lage gewesen, die
Fristen einzuhalten, die für die ordnungsgemäße Beratung
eingehalten werden müssen.


(Zuruf von der SPD: Haben Sie nichts zur Sache zu sagen?)


Dieses Gesetz ist konzeptionell und handwerklich man-
gelhaft und verdient keine Zustimmung.


(Beifall bei der CDU/CSU)





Rüdiger Veit

22021


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich will unsere Ablehnung auch in der Sache begrün-
den. Wenn Sie uns gesagt hätten, wir wollen eine Be-
schleunigung der Asylverfahren erreichen, dann hätten
wir zugestimmt. Wenn Sie uns gesagt hätten, dass es da-
rum geht, verfolgten Frauen einen besseren Status zu ge-
ben – es gibt beispielsweise in Berlin Einrichtungen, in
denen diese Frauen betreut werden –, die in ihren Her-
kunftsländern – zum Beispiel in Bosnien, auf dem Balkan
oder anderswo – auf schlimme Weise verletzt und verge-
waltigt worden sind, dann hätten Sie bei uns Zustimmung
gefunden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es doch! – Zuruf des Bundesministers Otto Schily – Gegenruf des Abg. Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Ruhe auf der Regierungsbank! Hier können Sie pöbeln, aber nicht dort!)


– Ich weiß, Herr Bundesinnenminister, dass Ihnen das
nicht gefällt. Über diese Punkte des Gesetzentwurfes hät-
ten wir gerne mit Ihnen reden können.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mir kommen die Tränen! So ein Blödsinn!)


In Wahrheit bezweckt dieses Gesetz aber etwas ganz
anderes. Hier geht es um einen Paradigmenwechsel bei
der Einwanderung und der Zuwanderung in die Bundes-
republik Deutschland. Es geht darum, dass eines der
großen Projekte – insbesondere der grünen Partei – im
Wahljahr realisiert wird, nämlich der Wechsel hin zu einer
multikulturellen Einwanderungsgesellschaft. Dies lehnen
wir ab. Das wird auch so bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422200300
Herr Kollege Merz,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Veit?


Friedrich Merz (CDU):
Rede ID: ID1422200400
Nein, ich bitte um Nach-
sicht. Ich bin durch die Zurufe aus seiner Fraktion schon
genug aufgehalten worden.


(Lachen bei der SPD)

Ihre Zurufe beeindrucken mich zwar nicht. Aber ich muss
sagen, dass unsere Redner damit systematisch gestört
werden.

Ich will noch zwei Sachverhalte ansprechen. Sie heben
mit diesem Gesetz den Anwerbestopp auf, den es seit
dem Jahre 1973 in Deutschland gibt.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Auch die Anwerbestoppausnahmeverordnung!)


Der damalige Bundeskanzler Willy Brandt hat erklärt,
dass bei einer Arbeitslosigkeit von 1,2 Prozent und bei ei-
ner Ausländerarbeitslosigkeit von 0,8 Prozent eine
größere Zuwanderung nach Deutschland nicht akzeptiert
werden könne.

Heute heben Sie bei einer Arbeitslosigkeit von rund
10 Prozent und einer Ausländerarbeitslosigkeit von mehr
als 20 Prozent diesen Anwerbestopp auf. Dies ist mit dem

Anspruch, den Sie stellen, nämlich in Deutschland eine
stärkere Integration und mehr Beschäftigung gerade von
Ausländern zu ermöglichen, nicht zu vereinbaren. Sie lö-
sen kein einziges Problem; Sie verschärfen die Probleme.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie sehen in diesem Gesetzentwurf eine Härtefallrege-

lung vor, die in Zukunft jedem Innenminister bei der Auf-
nahme zusätzlicher Ausländer in die Bundesrepublik
Deutschland in einem sehr großen Umfang, also praktisch
ohne jede Limitierung, Ermessen einräumt.


(Rüdiger Veit [SPD]: Sie haben das doch gerade im Bundesrat gewollt! Das war der Wunsch des Bundesrates!)


Über die Härtefallregelung wird eine Begrenzung des
Ausländerzuzuges nach Deutschland praktisch nicht mehr
möglich sein.


(Rüdiger Veit [SPD]: Das ist ja unglaublich! Jetzt beschimpft er den Bundesrat!)


Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen: Sie re-
geln den Familiennachzug neu, und zwar insbesondere für
diejenigen, die in Deutschland gegenwärtig nur geduldet
sind. Über deren Status kann man sprechen. Aber über den
Nachzug der Familien derjenigen, die nur geduldet sind
– das sind etwa 150 000 –, aber eigentlich ausreisen müss-
ten, werden Sie eine wesentlich höhere Einwanderung
nach Deutschland und damit auch in die sozialen Siche-
rungssysteme ermöglichen.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Keine Ahnung, wovon er redet!)


Dies lehnen wir ab. Denn die sozialen Sicherungssysteme
in Deutschland verkraften das nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie sehen eine neue Regelung in Bezug auf den Kin-

desnachzug vor. Wir haben Ihnen, obwohl wir der Mei-
nung waren, dass der Zeitraum bis zu einem Alter von
sechs bis zehn Jahren der richtige Zeitraum für den Nach-
zug von Kindern ist, angeboten, sich mit uns auf einen
Nachzug bis zum zwölften Lebensjahr zu einigen, wenn
Sie gleichzeitig auf jede weitere Ausnahmeregelung ver-
zichten.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gibt es doch heute schon! Nur, heute liegt es bei 16!)


Das haben Sie sofort abgelehnt. Sie sehen Ausnahme-
regelungen vor, die den Nachzug von Kindern nach
Deutschland bis zum 18. Lebensjahr zum Regelfall ma-
chen werden. Dies lehnen wir ab und dabei wird es auch
bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil es Ihnen nicht um das Kindeswohl geht! Sagen Sie doch einmal die Wahrheit!)


Zum Schluss möchte ich, Herr Bundesinnenminister,
feststellen: Wir haben hier häufig über die Integration ge-




Friedrich Merz
22022


(C)



(D)



(A)



(B)


sprochen. Ich möchte daran erinnern, dass unsere Frak-
tion, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, vor mehr als
drei Jahren, im Januar 1999, im Deutschen Bundestag, der
damals noch in Bonn war, ein umfassendes Konzept zur
Integration der in Deutschland lebenden Ausländer vor-
gelegt hat.


(Sebastian Edathy [SPD]: Wir haben es gemacht!)


Sie haben diesen Antrag auf Verbesserung der Integration
der in Deutschland lebenden Ausländer sofort abgelehnt.

Dass Sie Integration nicht wirklich wollen, sondern
dass ein ganz anderes gesellschaftliches Leitbild hinter
dem Gesetzentwurf steht, den wir heute verabschieden
sollen, das will ich an einer einzigen Bestimmung dieses
Gesetzentwurfes deutlich machen: Nach einem Auf-
enthalt von zwei Jahren in Deutschland gibt es gemäß
der §§ 44 und 45 des Entwurfes eines neuen Auf-
enthaltsgesetzes – ich habe den Gesetzentwurf gestern
Abend noch einmal sehr genau gelesen – für keinen in
Deutschland lebenden Ausländer mehr die gesetzliche
Verpflichtung zum Besuch von Integrationskursen.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber immerhin für diejenigen, die demnächst kommen!)


Damit ist jeder Anspruch auf Integration in die deutsche
Gesellschaft aufgegeben worden. Deswegen lehnen wir
diesen Gesetzentwurf ab.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie versuchen, uns mit Stellungnahmen des Präsiden-

ten des DIHK, der Kirchen, der Arbeitgeberverbände, der
Gewerkschaften und vielen anderen unter Druck zu set-
zen.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das tut weh, nicht?)


– Liebe Frau Beck, das schmerzt überhaupt nicht. Wir
wissen, dass die überwiegende Mehrheit der deutschen
Bevölkerung weltoffen, ausländerfreundlich und tolerant
ist.


(Ludwig Stiegler [SPD]: National befreite Zonen! – Weitere Zurufe von der SPD)


– Meine Damen und Herren, Ihre Zurufe nehme ich gerne
auf. Die deutsche Bevölkerung hat in den letzten Jahr-
zehnten eine solche Aufnahmebereitschaft und Auslän-
derfreundlichkeit unter Beweis gestellt, wie dies in kei-
nem anderen europäischen Land der Fall war.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Allein die Stadt Hamburg hat mehr Bürgerkriegsflücht-
linge aufgenommen als ganz Großbritannien. Sie sollten
noch lauter dazwischenrufen, damit es jeder in Deutsch-
land versteht.

Das deutsche Volk ist ausländerfreundlich, tolerant und
weltoffen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Rüdiger Veit [SPD]: Mit Ausnahme der CDU!)


Die Ausnahmen, die es gibt, zum Beispiel rechtsradikale
Straftaten, die beschämen, belasten und beschweren uns
alle. Aber so handelt nicht die deutsche Gesellschaft, das
deutsche Volk.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Deutschen sind ausländerfreundlich.

Herr Bundesinnenminister, lesen Sie einmal nach, was
Stefan Dietrich in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“
heute schreibt. Er hat völlig Recht: Ein solches Gesetz
verdient keine Zustimmung. Ein solches Gesetz verbes-
sert die Integration nicht, sondern verschlechtert sie. Ein
solches Gesetz eröffnet eine noch höhere Einwanderung
in den Arbeitsmarkt. Das ist bei 4,3 Millionen Arbeitslo-
sen zum jetzigen Zeitpunkt das völlig falsche Signal. Ein
solches Gesetz eröffnet noch mehr Zuwanderung in die
sozialen Sicherungssysteme. Deswegen lehnen wir es ab.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422200500
Ich erteile der Kolle-
gin Kerstin Müller, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Deutschland ist ein Einwanderungsland. Deshalb brau-
chen wir endlich ein Zuwanderungsgesetz, das zugleich
modern und humanitär ist und die Integration fördert. Ich
möchte Sie alle noch einmal daran erinnern: Das war vor
einem Jahr bei den Kirchen, den Gewerkschaften und den
Arbeitgeberverbänden Konsens. Es war auch in diesem
Hause Konsens. Auch die Zuwanderungskommission der
CDU, Herr Merz, unter Vorsitz des saarländischen Minis-
terpräsidenten räumte mit der alten Lebenslüge auf, die
Bundesrepublik sei kein Einwanderungsland. Wir alle
kennen die Ergebnisse der Süssmuth-Kommission, an
der alle Parteien und gesellschaftlichen Gruppierungen
beteiligt waren.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Das ist doch falsch! Das war keine von den Parteien berufene Kommission!)


Ich möchte deshalb an dieser Stelle Frau Professor
Dr. Rita Süssmuth noch einmal ganz ausdrücklich dan-
ken. Diese Kommission hat unter ihrer Leitung den Weg
für einen parteiübergreifenden Konsens bereitet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wenn Sie nun, Herr Merz und meine Damen und Her-
ren von der Union, heute diesen Gesetzentwurf ablehnen,
dann ignorieren Sie nicht nur die Beschlüsse Ihrer eige-
nen Partei. Sie machen vielmehr Folgendes: Sie verlassen
damit den Konsens, den wir vor einem Jahr in der Gesell-
schaft und in diesem Hohen Haus hatten. Sie stellen sich
damit ins gesellschaftliche Abseits.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Sie werden schon sehen, wer im Abseits steht, Frau Müller! Sie werden bald die Regierung verlassen!)





Friedrich Merz

22023


(C)



(D)



(A)



(B)


Es ist Folgendes passiert: Ihre Partei, Herr Merz, die
CDU, ist mit dem Kanzlerkandidaten Stoiber endgültig
auf CSU-Kurs eingeschwenkt, die als einzige Partei in
diesem Land noch nie ein Zuwanderungsgesetz wollte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie ignorieren die Forderungen der Wirtschaftsver-
bände. Sie stellen sich gegen die Kirchen. Kardinal
Lehmann, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonfe-
renz, und Präses Kock, der Ratsvorsitzende der Evangeli-
schen Kirche, haben Sie gestern noch einmal ausdrücklich
davor gewarnt, das Thema zu einer Sache der Stammti-
sche zu machen.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Haben Sie beim § 218 auch auf die Bischöfe gehört?)


Eine solche Auseinandersetzung ist Wasser auf die
Mühlen der Rechtsradikalen, wie Ihr Kollege Heiner
Geißler gesagt hat. Recht hat er. Aber genau das tun Sie,
wenn Sie heute dieses Gesetz ablehnen. Mit Stimmungs-
mache gegen die hier lebenden Migranten und Flücht-
linge wollen Sie im Wahlkampf auf Stimmenfang gehen.
Sie stiften damit sozialen Unfrieden in dieser Gesell-
schaft. Das ist das Unverantwortliche an Ihrem Verhalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist auch in der Sache unbegreiflich. Wir haben allein
18 Änderungsanträge von Ihnen aufgenommen. Wir ha-
ben elf zentrale Änderungsanträge des Bundesrates auf-
gegriffen. Wir sind Ihnen damit noch einmal ein wirklich
großes Stück entgegengekommen. Ich kann Ihnen versi-
chern: Das ist gerade uns Grünen nicht leicht gefallen.
Aber wir haben gesagt: Im Interesse der Sache wollen wir
uns auf Ihre Vorschläge zubewegen, weil es uns wirklich
ein Anliegen ist, dass es noch in dieser Legislaturperiode
ein Zuwanderungsgesetz gibt.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Gleich kommen mir die Tränen!)


Jetzt komme ich zu den Einzelforderungen, Herr Merz:
Sie und Ihre Partei haben gefordert, im Gesetz müsse das
Ziel der Zuwanderungsbegrenzung stehen. Hier habe ich
das Papier von Herrn Bosbach. Exakt diese Formulierung
haben wir in das Gesetz übernommen.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Auf der Verpackung steht es!)


Zum Thema Arbeitsmarkt. Sie haben gesagt, wir sol-
len den Bedarf nicht an der regionalen Lage des Arbeits-
marktes orientieren. Wir haben Ihre Forderung exakt in
das Gesetz übernommen.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist falsch! Das wissen Sie auch!)


Herr Merz, Sie haben gesagt – das steht auch in diesem
Papier –, Sie wollen schärfere Kriterien für die Niederlas-
sung ausländischer Unternehmer. Ich habe Herrn Bosbach
gestern Abend im ZDF zugehört: Sie fordern von einem
ausländischen Unternehmen für die Niederlassung 1 Mil-
lion Euro und die Schaffung von zehn Arbeitsplätzen.

Auch diese Forderung haben wir exakt in das Gesetz über-
nommen.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das ist die einzige!)


Das sind Ihre drei Forderungen im Bereich der Arbeits-
marktpolitik.

Herr Merz hat eben gesagt: Wir verabschieden uns von
der Anwerbestoppverordnung. Ich muss wirklich sagen:
Das ist eine völlig verstaubte Verordnung. Ihre Forderung,
sie beizubehalten, ist abenteuerlich. Das wäre nämlich die
Rückkehr in die Gastarbeiterära der 60er-Jahre. Genau die
wollen wir hinter uns lassen. Wir wollen die Zuwan-
derung modern gestalten. Das ist der Kern des Gesetzes.
Deshalb werden wir daran natürlich nichts ändern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich komme zur Senkung des Nachzugsalters. Sie haben
darauf bestanden, dass wir das Nachzugsalter noch einmal
absenken. Wir, die Grünen – die EU-Kommission im Übri-
gen auch –, fordern, dass wir es heraufsetzen. Wir haben uns
darauf verständigt, es auf zwölf Jahre zu senken. Das ist aus
unserer Sicht ein sehr weitreichendes Angebot, das bis an
unsere Schmerzgrenze geht. Das sage ich Ihnen ganz offen.


(Rüdiger Veit [SPD]: Und darüber hinaus!)

Sie empören sich jetzt darüber, dass im Einzelfall auch

ein Kind zwischen zwölf und 18 Jahren nachziehen kann,
wenn es das Kindeswohl – das muss man sich einmal auf
der Zunge zergehen lassen –, die familiäre Situation und
die Integrationsperspektive – diese drei Voraussetzungen
müssen vorliegen – erfordern. Ich möchte wissen, wie Sie
das Ihrer Klientel vermitteln wollen. Das ist inhuman und
familienfeindlich. Herr Sterzinsky hat zu Recht gesagt,
dass Ihre Nachforderung bei diesem Punkt eine Schande
für diese Gesellschaft ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Herr Merz, gerade haben Sie wieder gesagt, dass mit
dieser neuen Vorschrift dem Kindernachzug Tür und Tor
geöffnet würden. Auch heute gibt es im Gesetz bereits
eine Ermessensvorschrift. Der kleine Unterschied besteht
darin, dass das relevante Alter im heute geltenden Gesetz
16 Jahre ist.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Frau Müller, Sie wissen doch, dass es keine Verbesserung ist!)


– Natürlich ist es eine. – Sie haben weder im Bundestag
noch im Bundesrat eine Mehrheit, um das Nachzugsalter
zu senken. Wir machen Ihnen einen Vorschlag zur Sen-
kung des Nachzugsalters.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Mit neuen Ausnahmegenehmigungen!)


Sie sind dagegen, weil es eine Ermessensvorschrift ist.
Das versteht in der Gesellschaft niemand mehr. Jeder
weiß, dass Sie dieses Gesetz einfach nicht wollen und des-
halb Vorwände suchen, um es abzulehnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP])





Kerstin Müller (Köln)

22024


(C)



(D)



(A)



(B)


Sie und Herr Innenminister Schönbohm – er ist anwe-
send – haben gefordert, dass sich der Bund stärker an den
Integrationskosten beteiligen soll. Das machen wir, und
zwar in einem Verhältnis von zwei Dritteln zu einem Drit-
tel. Dies steht auch genauso in dem Papier von Herrn
Bosbach. Nun sagen Sie, dass Ihnen das nicht reicht. Sie
müssen einen Vorschlag machen, wie wir es finanzieren
sollen. Seit Herr Stoiber aus Bayern Kanzlerkandidat ist,
macht er ausschließlich Vorschläge, deren Realisierung et-
was kostet, sagt aber nie, wie man sie finanzieren soll. Die
Länder und wir haben diese finanziellen Spielräume nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich komme zur Genfer Konvention. Wir haben in dem
Gesetz noch einmal klargestellt, dass wir, wie es die Gen-
fer Konvention vorsieht, die nicht staatliche und
geschlechtsspezifische Verfolgung anerkennen. Damit
weiten wir die Zuwanderung nicht aus und wir schaffen
auch keine neuen Asylgründe, wie Sie immer wieder dema-
gogisch behaupten. Die Flüchtlinge erhalten ein ge-
sichertes Aufenthaltsrecht, wie es auch in allen anderen
europäischen Ländern üblich ist; mehr nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es geht dabei um schlimmste Menschenrechtsverletzun-
gen. Es geht um die Genitalverstümmelungen an Frauen.
Ich will Ihnen wirklich eines sagen: Hören Sie endlich
auf, das Schicksal verfolgter Frauen für Ihre Agitation in
dieser Gesellschaft zu missbrauchen! Die Frauen in Ihrer
Partei sind doch auch dafür, dass wir dort etwas tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Demagogie! Unglaublich!)


Wir machen Ihnen heute ein sehr weitreichendes und
letztes Kompromissangebot. Wenn es Ihnen um die Sache
ginge – das geht es Ihnen aber nicht –, müssten Sie heute
zustimmen. Wir haben heute im Deutschen Bundestag die
Chance auf einen wirklich historischen Kompromiss. Ich
appelliere an die Sachorientierten und Vernünftigen in der
Union: Opfern Sie einen Konsens in der Zuwanderung
nicht einem kurzsichtigen wahltaktischen Kalkül!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Eines möchte ich hier noch einmal sagen, weil viele da-
rüber geschrieben haben: Sie irren, wenn Sie glauben, dass
man nach einer Wahlschlacht um die Zuwanderung – die
wird es, wenn Sie es ablehnen, geben – in der folgenden
Legislaturperiode wieder bei null anfangen könne.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Bei unter null!)

Das glaube ich nicht. Wenn das Gesetz jetzt scheitert,
dann ist die Chance auf ein Zuwanderungsgesetz in dieser
Gesellschaft auf Jahre hinaus verspielt. Für das, was dann
passiert, tragen Sie die Verantwortung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Mein Gott! – Michael Glos [CDU/CSU]: Immer noch besser als dieses Gesetz!)


Herr Schönbohm, zum Schluss möchte ich noch ein-
mal an die Länder appellieren. Wir haben alle Forderun-
gen, die Herr Ministerpräsident Stolpe in seiner Rede am
20. Dezember vor dem Bundesrat aufgezählt hat, in dem
Gesetzentwurf berücksichtigt. Ich betone: alle. Ich gehe
davon aus, dass Ministerpräsident Stolpe nicht einfach
Reden hält, die er nicht mit Ihnen abgestimmt hat; denn
Sie hier haben ja ein gutes Verhältnis zueinander. Ich
möchte gerne, dass Sie dazu Stellung nehmen. Wir haben
alle Forderungen aufgenommen. Deshalb appelliere ich
an die Länder: Folgen Sie nicht dem Blockadekurs von
Herrn Stoiber, nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr und
stimmen Sie am 22. März diesem Gesetzentwurf zu, und
zwar im Interesse der Flüchtlinge und Migranten und im
Interesse des sozialen Friedens in diesem Land!

Danke schön.

(Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422200600
Ich erteile dem Kolle-
gen Max Stadler, FDP-Fraktion, das Wort.


Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1422200700
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Merz hat ge-
meint, es handle sich hier um ein großes Reformprojekt
von Bündnis 90/Die Grünen. Meine Beobachtung ist eine
völlig andere. Es handelt sich hier um ein Reformprojekt,
hinter dem wichtige gesellschaftliche Gruppen stehen: die
Kirchen, wichtige Arbeitgeberverbände sowie die Ge-
werkschaften. Die FDP war es, die sich als erste Partei
diesen Wunsch aus der Gesellschaft zu Eigen gemacht hat
und einen Gesetzentwurf für ein Zuwanderungsgesetz
vorgelegt hat.


(Beifall bei der FDP)

Wir haben unser Konzept aufgrund der verdienstvollen

Darlegungen im Süssmuth-Bericht aktualisiert. Viele der
uns wichtigen Punkte sind von Minister Schily im Regie-
rungsentwurf übernommen worden. Wir begrüßen es
auch, dass die lange Diskussion jetzt allmählich auf eine
Entscheidung „zuwandert“. Es handelt sich um eine Ent-
scheidung, die freilich endgültig nicht heute im Bun-
destag, sondern, wie wir alle wissen, erst im Bundesrat
fallen wird.

In dieser Situation werden wir uns trotz einer positiven
Grundbewertung heute aus folgenden Gründen der
Stimme enthalten:


(Zurufe von der SPD: Aha!)

Erstens. Das von der Bundesregierung und der Koali-

tion in den letzten Tagen gewählte Verfahren, im letzten
Augenblick umfangreiche Änderungsanträge zu präsen-
tieren, kann im Interesse der Selbstachtung des Parla-
ments nicht akzeptiert werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn der Minister zu spät kommt, ist das eine lässliche
Sünde. Wenn Sie aber 58 Seiten Änderungsanträge so spät
vorlegen, dass man in den eigenen Gremien nicht mehr
korrekt darüber beraten kann, dann kann man einem sol-




Kerstin Müller (Köln)


22025


(C)



(D)



(A)



(B)


chen Verfahren nicht durch Zustimmung noch eine Sank-
tion erteilen.


(Beifall bei der FDP)

Zweitens. Inhaltlich stellen wir in dem Gesetzentwurf,

so wie er jetzt vorliegt, Licht und Schatten fest. Die Re-
gelungen des Zugangs zum Arbeitsmarkt entsprechen im
Großen und Ganzen unseren Vorstellungen. Sie sind al-
lerdings sehr bürokratisch ausgefallen.

Drittens. Das Thema Integration wird in dem Gesetz-
entwurf eher stiefmütterlich behandelt. Es stellt sich nur
als Einstieg dar, aber noch nicht als vollständiges Pro-
gramm.

Viertens. Die ausländerrechtlichen Teile dieses Gesetz-
entwurfes weisen – wie ich Ihnen im Einzelnen noch dar-
stellen werde – große Lücken auf, sodass wir insgesamt
zu einer zwiespältigen Bewertung des Inhalts kommen.

Dennoch möchte ich Ihnen für das weitere Verfahren
ankündigen, dass die heutige Stimmenenthaltung als
wohlwollende Stimmenenthaltung der FDP zu charakteri-
sieren ist.


(Zustimmung bei der FDP – Lachen bei der SPD – Sebastian Edathy [SPD]: Immerhin!)


Sie wissen alle, dass die Entscheidung in Wahrheit im
Bundesrat fällt und Sie wissen auch, dass es dort ent-
scheidend auf die Stimme des SPD/FDP-regierten Bun-
deslandes Rheinland-Pfalz ankommen wird. Deswegen
sage ich dies hier sehr bewusst.

Lassen Sie mich kurz zum Verfahren und dann detail-
lierter zum Inhalt des Gesetzentwurfes Stellung nehmen.
Minister Schily, den wir an anderer Stelle und wegen an-
derer Themen zuletzt heftig und deutlich kritisiert haben,
hat seit der Vorlage seines Gesetzentwurfs im August
2001 mit der FDP-Bundestagsfraktion faire, sachliche
und absolut angemessene Beratungen geführt. Dies ist
zwar eigentlich selbstverständlich, wird aber von uns den-
noch ausdrücklich anerkannt.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD)


Freilich galt dies nur bis zum Mittwoch der letzten Wo-
che. Sie haben alle beobachtet, dass die Bundesregierung
und die Koalition dann wieder in das alte Verhalten
zurückgefallen sind, das wir schon beim Terroris-
musbekämpfungsgesetz Schily II schmerzlich kennen ler-
nen mussten. Wie in dem damaligen Gesetzgebungsver-
fahren haben Sie auch jetzt wieder in letzter Sekunde
umfangreiche Änderungsanträge vorgelegt. Damals bei
Schily II haben alle Oppositionsredner dieses Verfahren
heftig kritisiert. Die Koalition hat daraufhin versprochen,
ein solcher Vorgang werde sich nie mehr wiederholen,
schon gar nicht bei einem so wichtigen Gesetz wie dem
Zuwanderungsgesetz. Dieses Versprechen datiert vom
Dezember; knapp zwei Monate später ist es bereits ge-
brochen worden.

Meine Damen und Herren, Sie als Koalition ziehen
sich jetzt auf das Argument zurück, es sei nicht so
schlimm, wenn man Änderungsanträge erst relativ spät
präsentiere, denn die Opposition wolle das Gesetz ja so

oder so ablehnen. Sie wissen ganz genau, dass dieses Ar-
gument in Bezug auf die FDP nicht zutrifft.


(Beifall bei der FDP)

Wir nehmen hier eine grundsätzliche Position ein.

Wenn Mitwirkungsrechte der Opposition von der Mehr-
heit des Hauses zum zweiten Mal in derart massiver Weise
missachtet werden, müssen Sie sich den alten Satz gefal-
len lassen, mit dem wir Sie charakterisieren: Bei Ihnen gilt
das gebrochene Wort. So ist es.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh!)


Meine Damen und Herren, in der Sache selbst bleibt es
jedoch dabei, dass die Zuwanderung auf den Arbeits-
markt, die wichtige Aufgabe der Integration und die Rege-
lung humanitärer Verpflichtungen ein Gesamtkonzept
erfordern.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist nicht gelöst!)


Diese drei Teile werden in dem Gesetzentwurf der Koali-
tion und der Bundesregierung freilich in unterschiedlicher
Qualität abgehandelt. Im humanitären Bereich hat es in
der Sachverständigenanhörung erhebliche Kritik an dem
Gesetzentwurf gegeben. Diese Kritik haben sich SPD und
Grüne nur zum Teil aufzugreifen getraut, weil sie der Mei-
nung waren, wenn sie der Union im humanitären Bereich
entgegenkämen, würden sie eine Zustimmung der
CDU/CSU bekommen. Das war aber eine irrige Meinung,
wie wir heute feststellen müssen. Deswegen bleiben in
diesem Bereich aus unserer Sicht Lücken. Sie hatten nicht
den Mut, alte Zöpfe abzuschneiden.

Die FDP hat zum Beispiel seit langem einen verbes-
serten Zugang von Asylbewerbern zum Arbeitsmarkt ge-
fordert. Wir halten es für richtig, dass hier geborene Kin-
der und hier aufgewachsene Jugendliche generell unter
Ausweisungsschutz gestellt werden.


(Rüdiger Veit [SPD]: Wir auch, aber die Union macht es nicht mit!)


Die Vorbehalte gegen die UN-Kinderrechtskonvention
müssen endlich zurückgenommen werden.


(Beifall bei der FDP)

All dies haben Sie sich nicht anzupacken getraut in der
– ich sage es noch einmal – irrigen Meinung, Sie könnten
die Union zu einer Zustimmung bewegen, was nicht ge-
schieht.


(Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Ich kann eine Zwischenfrage nicht zulassen, wenn ich
nicht gefragt werde.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422200800
Also eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Beck. Bitte sehr.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422200900

Herr Stadler, nach dem, was Sie gesagt haben, sind wir




Dr. Max Stadler
22026


(C)



(D)



(A)



(B)


uns in unseren politischen Vorstellungen inhaltlich sehr
nah. Können Sie uns garantieren, dass die Länder Hessen,
Baden-Württemberg, Hamburg und Rheinland-Pfalz, in
denen die FDP mitregiert, auch mitstimmen werden,
wenn wir als rot-grüne Koalition zu einem späteren Zeit-
punkt, vielleicht gemeinsam mit der FDP-Fraktion, dahin
gehend eine weitere Initiative ergreifen? In diesem Fall
könnte sich die Koalition sicher vorstellen, Ihnen in einer
weiteren Initiative an diesem Punkt entgegenzukommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1422201000
Lieber Kollege Beck, erstens:
Zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt wird es eine rot-
grüne Koalition gar nicht mehr geben, sodass sich diese
Frage dann erübrigt.


(Beifall bei der FDP – Sebastian Edathy [SPD]: Sehr spät, 30 Jahre noch!)


Zweitens. Was einen nahen späteren Zeitpunkt betrifft,
darf ich Sie darauf verweisen, dass ich hier ja nicht nur
Teile unseres eigenen Zuwanderungskonzepts vorgetra-
gen habe, sondern dass die FDP dem im Bundestag schon
Taten hat folgen lassen, etwa mit einem Antrag des Kol-
legen Niebel zum Arbeitsmarktzugang für Asylbewerber.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen Sie in den Ländern?)


Wir wollen, dass im Interesse der Integration von Kin-
dern die Vorbehalte gegen die UN-Kinderrechtskonven-
tion zurückgenommen werden, die von der von Ihnen ge-
führten Bundesregierung aufgestellt worden sind. Dazu
haben wir schon Initiativen ergriffen.

Im Übrigen spreche ich heute für die Bundestagsfrak-
tion. Unsere Ländervertreter werden in der nächsten Wo-
che – früher war es nicht möglich, weil Sie den endgülti-
gen Gesetzentwurf so spät vorgelegt haben – ihre Haltung
koordinieren. Dem greife ich natürlich nicht vor.


(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, im Bereich der humanitären

Regelungen waren in der Öffentlichkeit zwei Themen
besonders strittig. Ich möchte daher noch einmal feststel-
len, dass Personen, die von nicht staatlicher oder ge-
schlechtsspezifischer Verfolgung betroffen sind, ohne-
hin nach der Genfer Flüchtlingskonvention schutzwürdig
sind. Das, was im Gesetzentwurf klargestellt wird, be-
grüßen wir deswegen, weil damit der internationale Stan-
dard festgeschrieben wird. Es ist damit aber kein neuer
Asylgrund verbunden. Das ist auch wichtig festzuhalten.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD])


Ferner hat die Diskussion um das Nachzugsalter von
Kindern eine große Rolle gespielt. Die FDP war der Mei-
nung, dass man es bei der bisherigen Regelung hätte be-
lassen können. Ich will versuchen, den entscheidenden
Punkt der Diskussion herauszuarbeiten. Niemand in die-
sem Hause ist der Meinung, dass es das Günstigste ist,
wenn Kinder im Ausland aufwachsen. Wir alle wollen
doch im Interesse der Integration von Kindern, dass sie

dort aufwachsen, wo sie vermutlich ihr gesamtes Leben
verbringen werden. Aber es geht hier um einen grund-
rechtlichen Aspekt. Es geht auch darum, dass Eltern für
ihre Kinder Entscheidungen zu treffen haben und dass
dies durch Art. 6 des Grundgesetzes geschützt wird. Nicht
alles, was gewünscht ist, kann den Eltern zwangsweise
vom Staat aufoktroyiert werden. Das verkennt die Union
in ihrer Argumentation.


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Gleichwohl kann der gefundene Kompromiss über die
Senkung des Nachzugsalters von Kindern auf zwölf Jahre
bei einer gleichzeitigen Härtefallregelung noch akzeptiert
werden, obwohl ich für die FDP-Fraktion feststelle, dass
die gesamte Diskussion in beschämender Weise kleinlich
geführt worden ist.


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich komme damit zum Thema „Integrationsaufgabe
des Staates“. Warum ist es denn nicht möglich gewesen,
im Zuge dieses Gesetzgebungsverfahrens die fundamen-
tale Bedeutung des Themas Integration mit einer Zwei-
drittelmehrheit im Hause deutlich zu machen, indem die
Aufgabe der Integration als Staatsziel ins Grundgesetz
aufgenommen wird? Das wäre aus unserer Sicht ein rich-
tiges Signal gewesen. Der Gesetzentwurf selber geht bei
diesem Thema zwar in die richtige Richtung, aber ich
greife zum Beispiel die Kritik des Diakonischen Werkes
der Evangelischen Kirche auf: Von einem Gesamtkon-
zept, das zwischen Bund und Ländern abgestimmt ist,
kann noch keine Rede sein; da bleibt für den Gesetzgeber
sowohl im Bundestag als auch in den Landtagen noch viel
zu tun. Was Sie hier vorlegen, ist immerhin – aber auch
nicht mehr – ein erster Einstieg.


(Beifall bei der FDP)

Wenn bei diesem Thema auch Kostenfragen neben-

sächlich sein mögen, weil es schließlich um viel mehr
geht, so muss doch festgestellt werden, dass es zumutbar
ist, dass sich Migrantinnen und Migranten, wenn sie über
ein entsprechendes Einkommen verfügen, in einer
maßvollen Weise etwa an den Kosten für Sprachkurse be-
teiligen.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das steht im Gesetz auch drin!)


Umgekehrt ist es nicht zumutbar, dass der Bund wieder
einmal eine Regelung erlässt und Verpflichtungen fest-
schreibt und dann die Kommunen die Kosten tragen müs-
sen. Dazu sind sie derzeit wirklich nicht in der Lage.


(Beifall bei der FDP – Rüdiger Veit [SPD]: Machen wir ja nicht!)


Im Übrigen müssen wir sehen, dass sich die Integra-
tionspolitik nicht nur auf diejenigen beziehen darf, die
nach diesem Gesetzentwurf neu nach Deutschland kom-
men werden, sondern die Aufgabe stellt sich auch für die




Volker Beck (Köln)


22027


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(A)



(B)


Ausländer, die sich bereits hier aufhalten, und – das sage
ich ganz bewusst – auch in Bezug auf die Kinder und Ju-
gendlichen aus Aussiedlerfamilien.


(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, damit komme ich zum Kern

des gesamten Gesetzgebungsverfahrens: Was war der ei-
gentliche Anlass? Es stellt sich sofort die Frage, wie je-
mand bei 4 Millionen Arbeitslosen auf die Idee kommen
kann, eine – wenn auch maßvolle, begrenzte und gesteu-
erte – Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt zu erlauben.
Meine Damen und Herren, ich stelle die Gegenfrage: Wel-
ches Recht haben wir, wenn 1 Million Arbeitsplätze, ins-
besondere Facharbeiterstellen im Mittelstand, aus dem
einheimischen Arbeitsmarkt nicht besetzt werden können,
Menschen, die bereit sind, nach Deutschland zu kommen
und diese Arbeitsplätze einzunehmen, und Betrieben, die
diese Arbeitskräfte dringend benötigen, zu verweigern,
dass sie miteinander handelseinig werden, und damit zu
verhindern, dass Arbeitsplätze besetzt werden?


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Hier kann es nur zwei wirkliche Gegenargumente ge-
ben. Das erste Gegenargument wäre, dass damit eine Kon-
kurrenz für Arbeitnehmer – seien es Deutsche, seien es
Ausländer, die in Deutschland leben – geschaffen würde.
Wer aber diese Befürchtung nährt – die in der Bevölke-
rung sehr wohl existiert –, der hat das Gesetz nicht gele-
sen; denn bei der Besetzung von Arbeitsplätzen gilt der
Vorrang für Arbeitnehmer aus dem deutschen Arbeits-
markt.


(Beifall bei der FDP und der SPD)

Das ist zwar bürokratisch und wird es unseren Betrieben
erschweren, ihre Wachstumschancen wahrzunehmen;
aber es ist notwendig, um genau dieser Befürchtung ent-
gegenzutreten.

Das zweite Gegenargument, das Sie vorbringen kön-
nen, wäre, die Integrationskraft Deutschlands werde
überfordert. Dies wird bei diesem Gesetz – so vorsichtig,
wie es angelegt ist – mit Sicherheit nicht der Fall sein.

Ich sage Ihnen eines, meine sehr verehrten Kollegin-
nen und Kollegen von der CDU/CSU: Mit Ihrer Kritik an
diesem Teil des Gesetzes – Sie kritisieren das Gesetz, weil
es zu mehr Zuwanderung führt – verhalten Sie sich wie
ein Patient, der zum Arzt geht, weil er an Bewegungs-
mangel leidet und sich daher nicht wohl fühlt. Der Arzt
verschreibt ihm als Therapie eine Viertelstunde Jogging
pro Tag. Diese Therapie lehnt der Patient mit der Begrün-
dung ab, dass das zu mehr Bewegung führe. Das ist Ihre
Argumentation.


(Beifall bei der FDP, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Die Diagnose lautet: Trotz hoher Arbeitslosigkeit können
Arbeitsplätze nicht besetzt werden, was zum Verlust von
Wachstum führt und weshalb keine neuen Arbeitsplätze
entstehen. Die Therapie lautet: Wir brauchen etwas mehr
Bewegung, etwas mehr Öffnung auf diesem Sektor. Dazu

sagen Sie, dies führe zu Zuwanderung. Genau das aber ist
in diesem Teil gewollt, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Allerdings darf diese Therapie keine Ausrede dafür
sein, nicht auch kausal zu therapieren. Wir wollen nicht
nur Symptome bekämpfen, sondern wir wollen, dass end-
lich die Reformen im Bildungssektor angepackt werden,


(Michael Glos [CDU/CSU]: Richtig! So muss es sein! Das hätten Sie gleich sagen müssen, dann hätten wir auch klatschen können!)


damit die eigenen Nachwuchskräfte Chancen bekommen,
sich beruflich zu qualifizieren. Wir wollen die Qualifizie-
rung von hiesigen Arbeitslosen. Wir wollen eine bessere
Vereinbarkeit von Familie und Beruf. All dies darf wegen
des Zuwanderungsgesetzes nicht hintan gestellt werden.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Michael Glos [CDU/CSU])


Meine Damen und Herren, Sie sehen, dass dieses Ge-
setz, bei dem wir uns heute aus den dargestellten Gründen
der Stimme enthalten, bei wichtigen Teilen in die richtige
Richtung geht.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber eher ein Plädoyer für dieses Gesetz!)


Nach unserer Meinung ist die Diskussion im Bundesrat
noch nicht abgeschlossen. Wir wünschen uns, dass am
Ende des langen Diskussionsprozesses doch noch ein
liberales, modernes Zuwanderungsgesetz zustande
kommt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Wie wollen Sie das im Bundesrat erreichen? – Gegenruf des Abg. Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Äquidistanz wird auch noch zu schaffen sein!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422201100
Ich erteile das Wort
Kollegin Petra Pau, PDS-Fraktion.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422201200
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Zwei Sätze vorab: Die PDS war und ist der
Meinung, die Bundesrepublik ist ein Einwanderungsland.
Das bedeutet, wir brauchen ein Einwanderungsrecht und
keine Blockaden.


(Beifall bei der PDS)

Die Frage, über die heute abgestimmt wird, lautet:

Kann man dem vorliegenden Gesetz zustimmen? Hier
nehme ich das Ergebnis auch vorweg: Wir werden im
Bundestag zu diesem Gesetz mehrheitlich Nein sagen.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wegen der Blockade?)





Dr. Max Stadler
22028


(C)



(D)



(A)



(B)


Heute sollten wir uns noch einmal daran erinnern, dass
die gegenwärtige Debatte über ein Einwanderungsgesetz
mit Stichworten wie Doppelpass, Computer-Inder, Green-
card und Leitkultur sowie mit einer Einsicht begann, die
bis weit in die CDU/CSU hinein reichte: dass die Bun-
desrepublik längst ein Einwanderungsland ist. Was am
Beginn der Debatte fehlte, war ein möglichst modernes
Einwanderungsrecht, das die Erfahrungen der vergange-
nen Jahrzehnte aufhebt, das sich an internationalen Stan-
dards orientiert und das humanen Ansprüchen genügt. Am
Beginn dieser Debatte gelobten alle, natürlich die Lehren
der 60er- und 70er-Jahre aus Ost und West aufzunehmen.
Alle erklärten, es dürfe am Ende nicht wieder die böse und
bittere Erkenntnis stehen: Wir wollten Arbeitskräfte, aber
Menschen sind gekommen.

Die erste zentrale Frage in der laufenden Einwande-
rungsdebatte heißt also: Gelingt mit diesem Gesetzeswerk
ein Paradigmenwechsel? Schaffen wir ein Bürgerrecht,
bei dem nicht die Verwertbarkeit, sondern das Mensch-
sein im Vordergrund steht?


(Beifall bei der PDS)

Die zweite Frage lautet: Sucht die Bundesrepublik An-

schluss an internationale Normen oder verharrt sie in ei-
nem Zustand aus dem vorvorigen Jahrhundert?

Die dritte Frage lautet: Werden mit diesem Gesetz will-
kürliche Regeln abgeschafft, die nicht deutsche Bürgerin-
nen und Bürger noch immer zu Menschen zweiter Klasse
degradieren? Ich denke, das war und bleibt eine lohnende
und überfällige Aufgabe.

Heute wurde schon mehrfach die Süssmuth-Kommis-
sion zitiert.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Wer ist denn das?)


Dort wurde Sachverstand aus unterschiedlichen gesell-
schaftlichen Spektren gebündelt: Wissenschaftler, Kir-
chenleute, Gewerkschaftler, Bürgerrechtler, Sozialarbeiter,
Rechtskundige und auch die Vertreterinnen und Vertreter
aller im Bundestag vertretenen Parteien fanden hier Gehör.
Die PDS hat sich in diese Debatte eingebracht – nicht mit
parteitaktischen Spielen und nicht mit K.o.-Forderungen,
sondern – auch schon in der Anhörung der Süssmuth-Kom-
mission – mit klaren Richtungen. Wir gehen davon aus,
dass Asylbewerber eine humane Behandlung verdienen.
Kinder und Familien haben ein Recht auf Zusammensein.
Integration muss gewollt sein und dann auch bezahlt wer-
den. Zuwanderer sind politisch gleichzustellen. Das waren
die Grundsätze, mit denen wir in die Debatte gegangen
sind. Das sind auch die Grundsätze, nach denen wir heute
vorliegende Gesetzentwürfe beurteilen.

Wenn ich mir das Ergebnis ansehe, kann ich nur Frau
Kollegin Süssmuth zitieren. Sie meinte mit Blick auf das
Werk der Koalition: Es sind noch wichtige Elemente vor-
handen, aber weit zurückgenommen! Dieses Urteil
spricht Bände. Die Formulierung, wir würden heute ein
modernes Einwanderungsrecht verabschieden, ist nicht
mehr als ein Selbstlob aus dem Hause Schily.


(Beifall bei der PDS)


Der vorliegende Gesetzentwurf liegt weder im euro-
päischen Trend, noch ist er auf der Höhe internationaler
Konventionen; ich erinnere nur an die UN-Kinderrechts-
konvention. Am Ende der dreijährigen Debatte steht also
ein fragwürdiges Fragment.

Die PDS hat sich durch ihren Antrag für eine men-
schenrechtlich orientierte Einwanderungs- und Flücht-
lingspolitik klar positioniert. Wir plädieren weiterhin für
eine Einwanderungspolitik, die nicht nur die Interessen
des Aufnahmelandes, sondern auch die Interessen der
hierher Kommenden berücksichtigt.


(Beifall bei der PDS)

Sie sollen nicht zum Spielball wirtschaftlicher und politi-
scher Begehrlichkeiten werden.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Darum kämpft Berlin darum, die Flüchtlinge herauszuhalten?)


Daraus folgt, dass wir diesem Gesetzentwurf nicht zu-
stimmen. Wir haben Änderungsanträge gestellt, die sich
im Wesentlichen auf den humanitären und den Flücht-
lingsbereich sowie die Asylpolitik konzentrieren.

Wenn Sie sich den Vorschlägekatalog der Landtagsfrak-
tionen der PDS aus Berlin und Mecklenburg-Vorpommern,
der den Koalitionspartnern schon vor vier Wochen zugelei-
tet wurde, ansehen, dann werden Sie sehen: Wir haben
keine Illusionen. Wir wissen, dass es ein schwieriger Ein-
stieg in eine entsprechende Einwanderungspolitik ist. Aber
es sind verhandelbare Formulierungen.

Ich sage Ihnen voraus: Sie werden auf dem Weg zum
Bundesrat nacharbeiten müssen, aber auch darüber hi-
naus. Ich denke zum Beispiel nur daran, dass die UN-Kin-
derrechtskonvention hinsichtlich der Asylmündigkeit bis
zum Alter von 18 Jahren endlich eingeführt werden muss.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422201300
Ich erteile dem Kolle-
gen Michael Bürsch, SPD-Fraktion, das Wort.


Dr. Michael Bürsch (SPD):
Rede ID: ID1422201400
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
sind noch rund 200 Tage bis zur Bundestagswahl. Das ist
bei der heutigen Debatte zu spüren. Dennoch möchte ich
Sie einladen, ein wenig innezuhalten, um in der Zuwan-
derungspolitik vielleicht doch gemeinsame Verantwor-
tung zu erkennen und auch wahrzunehmen.

Mein Thema – hier sollten Sie innehalten – ist die In-
tegration. Ich bin überzeugt: Zuwanderung kann letztlich
nur erfolgreich sein, wenn uns die Integration der Zuwan-
derer gelingt. Seit dem Zweiten Weltkrieg sind weit über
30 Millionen Menschen aus dem Ausland zu uns gekom-
men. Jetzt müssen wir selbstkritisch feststellen: Bei der
Zuwanderung dieser Menschen wurden die Erfordernisse
der Integration zu wenig berücksichtigt. Die Einbezie-
hung der Ausländer in das politische, wirtschaftliche, kul-
turelle und gesellschaftliche Leben Deutschlands wird




Petra Pau

22029


(C)



(D)



(A)



(B)


und muss deshalb eine Hauptaufgabe der gesamten In-
nenpolitik der nächsten Jahre sein, vielleicht sogar der ge-
samten Gesellschaftspolitik.


(Beifall bei der SPD)

Der vorliegende Gesetzentwurf skizziert nur einen Rah-

men – darauf hat Herr Stadler zu Recht hingewiesen –, der
noch von Institutionen, Verbänden und Initiativen, auf de-
ren Kompetenz wir bei der Integrationsberatung angewie-
sen sind, aber auch noch vom 15. Deutschen Bundestag
ausgefüllt werden muss. Barbara John, langjährige Aus-
länderbeauftragte in Berlin, hat gesagt: „Integration ist
eine Aufgabe von 100 Jahren und wir sind noch ziemlich
am Anfang.“ Wir brauchen bei der Integration in der Tat ei-
nen sehr langen Atem. Aber es gibt in manchen Bereichen
schon jetzt dringenden Handlungsbedarf, zum Beispiel bei
jugendlichen Ausländern. Die PISA-Studie der OECD hat
ein Schlaglicht auf die Notwendigkeit geworfen, gerade
die Bildungschancen sozial benachteiligter Kinder und Ju-
gendlicher aus Familien mit Integrationshintergrund zu
verbessern. Wir können es uns nach meiner Meinung nicht
leisten, Schülerinnen und Schüler aus einem schwierigen
Lernumfeld länger zu vernachlässigen. Letztlich verwei-
gern wir dadurch soziale Chancen und blockieren leicht-
fertig Talente, die unser Land vorwärts bringen könnten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Vor diesem Hintergrund müssen wir die Schulen als
Lernorte des Zusammenlebens stärker fördern. Wir müs-
sen aber auch die Familien bei ihren Integrations-
bemühungen unterstützen. Das Zuwanderungsgesetz gibt
bereits die richtige Richtung vor: Die Integrationskurse
setzen konsequent bei den Sprachkenntnissen an. Auslän-
der, die dauerhaft in Deutschland leben, werden in Zu-
kunft einen Rechtsanspruch auf die Teilnahme an einem
Integrationskurs und damit die Möglichkeit zu einer fun-
dierten Sprachförderung erhalten. An die Adresse von
Herrn Merz möchte ich in diesem Zusammenhang sagen:
Ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache sowie
Grundkenntnisse unserer Rechts- und Gesellschaftsord-
nung werden in Zukunft auch Voraussetzung für den Er-
werb einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung sein.
Bei fehlenden oder mangelhaften Deutschkenntnissen
und einem Aufenthalt von weniger als sechs Jahren be-
steht für den Ausländer sogar eine Teilnahmepflicht.

Ein Wort zur Finanzierung – das ist schon angespro-
chen worden –: Bund und Länder sind sich einig, dass sie
die Kosten der Sprachkurse übernehmen und den Kom-
munen bei der Integration – sie ist eine zentrale gesell-
schaftliche Aufgabe – keine zusätzlichen Lasten aufbür-
den. Darauf muss hier und heute hingewiesen werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es geht aber bei der Integration nicht nur um Geld. Ein
Großteil der Integrationsleistungen wird schon bisher völ-
lig unabhängig von staatlicher Steuerung und Unterstüt-
zung erbracht. Verbände, Initiativen oder auch einzelne
engagierte Mitbürgerinnen und Mitbürger leisten hier
eine großartige Arbeit, deren Wert nicht hoch genug ein-
geschätzt werden kann. Dieses bürgerschaftliche Enga-

gement gilt es zu fördern und weiter zu mobilisieren. Die
Zivilgesellschaft kann und soll nicht Ausfallbürge für den
Staat sein. Aber ohne zivilgesellschaftliches Engagement
kann Integration nicht gelingen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Einen viel versprechenden Weg in diese Richtung be-
schreitet der Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung,
Jochen Welt. Mit seiner Initiative „Integration und bür-
gerschaftliches Engagement bei Spätaussiedlern“ setzt er
erfolgreich darauf, dass sich ehrenamtlich Tätige und vor
allem Aussiedlerfamilien der ersten Generation als Inte-
grationslotsen engagieren,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


die neu ankommenden Spätaussiedlern Orientierungs-
hilfe bieten, um sich in der neuen Lebensumgebung ein-
zufinden. Dieses Modell könnte meiner Meinung nach bei
der Integration anderer Zuwanderergruppen Schule ma-
chen: Engagierte Bürger können Zuwanderer auf ihrem
Weg in unsere Gesellschaft begleiten und so deren so-
ziale, kulturelle und berufliche Eingliederung erleichtern.

Zu erwähnen ist auch, dass dem Sport eine überragend
wichtige Rolle für die Integration zukommt. Tag für Tag
leisten im BreitensportHunderttausende in den Vereinen
praktische Integrationsarbeit. Spitzensportler aus dem
Ausland – selbst in der Fußballnationalmannschaft spie-
len aus dem Ausland stammende Sportler – sind wichtige
Vorbilder für ausländische Jugendliche. Auch das ist ein
Beitrag zur Integration.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das Gesetz hat in der Öffentlichkeit viel Zustimmung

gefunden. Es gibt keine gesellschaftliche Gruppe, die das
Gesetzesvorhaben nicht im Wesentlichen unterstützt hat:
Die Evangelische Kirche in Deutschland, die Deutsche
Bischofskonferenz, die Wohlfahrtsverbände, die Gewerk-
schaften, die Arbeitgeberverbände, Flüchtlingsorganisa-
tionen, Sozialwissenschaftler und Juristen sind sich einig
– das kam auch in der Anhörung zum Ausdruck –, dass wir
einen Entwurf vorlegen, der eine positive Aufnahme ver-
dient.

Ich setze noch immer auf das Projekt Aufklärung und
Information. Wenn über das vorliegende Gesetz objek-
tiv, in Ruhe und mit Sachlichkeit aufgeklärt und diskutiert
wird, dann wird es nicht nur bei den Experten, sondern
auch in der Bevölkerung eine breite Mehrheit für eine Zu-
wanderungspolitik nach diesem Zuschnitt geben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zum Schluss. Weil von der PISA-Studie
immer wieder die Rede ist, möchte ich einen Beitrag zu
einer Bildungsoffensive im Bundestag leisten. Von dem
römischen Philosophen Seneca stammt die Erkenntnis:

Die menschliche Gesellschaft gleicht einem Ge-
wölbe, das zusammenstürzen müsste, wenn sich
nicht die einzelnen Teile stützen würden.




Dr. Michael Bürsch
22030


(C)



(D)



(A)



(B)


Herr Glos, mit dem Zuwanderungsgesetz und mit ei-
nem umfassenden Integrationskonzept können wir viel
für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft tun. Deshalb
bitte ich Sie: Stimmen Sie zu!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422201500
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Michael Glos, CDU/CSU-Fraktion.


Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID1422201600
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Trotz der freundlichen
Aufforderung am Schluss wird es uns schwer fallen, die-
sem Gesetz zuzustimmen; denn der Inhalt und die Über-
schrift passen nicht zusammen.


(Sebastian Edathy [SPD]: Machen Sie es trotzdem! Auch wenn es schwer fällt, Herr Glos!)


Dieses Gesetz ist kein Gesetz zur Begrenzung der Zu-
wanderung. Wir befürchten, dass sich die Zuwanderung
nach Deutschland aufgrund dieses Gesetzes ausweitet.


(Beifall bei der CDU/CSU – Sebastian Edathy [SPD]: Befürchtungen ohne Grund, Herr Kollege!)


Wenn dieses Gesetz ein großer Erfolg, sozusagen ein
großer Renner wäre, dann säße der Herr Bundeskanzler
heute hier auf der Regierungsbank; denn er schmückt sich
gerne mit Erfolgen. Wie wenig wichtig er das Gesetz
nimmt, das das zentrale Reformwerk der Bundesregie-
rung im gesellschaftspolitischen Bereich sein soll, zeigt
die Tatsache, dass er heute nicht anwesend ist.


(Jochen Welt [SPD]: Das sind alles Marginalien, die Sie da bringen! – Ludwig Stiegler [SPD]: Sie hängen dem Kanzler immer so gerne an den Lippen! – Weiterer Zuruf von der SPD: Sie müssen zuhören!)


– Ich höre ganz genau zu.
Ich möchte einige Widersprüche der Argumentation

von Frau Müller offen legen. Wir haben mit Spannung zu-
gehört, nachdem wir am Montagabend um 20.30 Uhr auf-
gefordert worden sind, n-tv oder Phoenix einzuschalten,
um dort die neuen Vorschläge mitgeteilt zu bekommen. Es
wurde versucht, darzustellen, dass es um etwas substanzi-
ell anderes gehe. Sie, Frau Müller, haben da gesagt – ich
erinnere mich genau daran –, dass sich an der Substanz
des Gesetzentwurfs nichts verändert hat. Das haben Sie in
Richtung Ihrer eigenen Reihen gesagt, um die grünen
Truppen zusammenzuhalten. Heute haben Sie ganz an-
ders argumentiert. Sie behaupteten, der Gesetzentwurf
habe sich total verändert und er sei jetzt in unserem Sinn.
Ich frage Sie: Was gilt jetzt eigentlich? Gilt das, was Sie
am Montagabend gesagt haben, oder das, was Sie hier ge-
sagt haben?


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich bin der Meinung, dass dieser zur Verabschiedung

vorliegende Gesetzentwurf den Sorgen der Menschen in
Deutschland nicht gerecht wird. Im Herbst 2000 ermit-

telte Emnid, dass 66 Prozent der Befragten die Zuwande-
rung nach Deutschland als zu stark empfinden und dass
damit die Grenze der Belastbarkeit der Gesellschaft über-
schritten ist. 62 Prozent der jungen Menschen sind laut
Shell-Studie der gleichen Meinung. Für 61 Prozent der
Befragten muss das Ziel eines Zuwanderungsgesetzes
sein, die Zuwanderung zu verringern; das hat Allensbach
im Oktober 2001 ermittelt. Trotz intensiver Diskussionen
und Beratungen Ihres Gesetzes sagen laut Emnid vom
letzten Freitag 76 Prozent der Menschen, dass Ihr Gesetz
zu mehr Zuwanderung führt.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Weil Sie ihnen etwas Falsches einflößen! – Sebastian Edathy [SPD]: Weil Sie wissentlich die Unwahrheit verbreiten!)


Damit liegen Sie neben der Meinung der Mehrheit der
Menschen bei uns im Land. Das wissen Sie. Deswegen
scheuen Sie vor der Wahl eine Diskussion darüber und
deswegen möchten Sie das jetzt möglichst rasch vom
Tisch haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es wird sich für Rot-Grün rächen, sich so kalt über die
Sorgen der Mehrheit der Deutschen hinwegzusetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Sebastian Edathy [SPD]: Unsinn!)


Ich zitiere Georg Paul Hefty. Er hat in der „FAZ“ ge-
schrieben:

Schily hat sich in allen Einzelheiten in erster Linie
nicht als Sachwalter der Bürger, sondern als der sei-
ner Partei und ihres Koalitionspartners erwiesen.

(Ludwig Stiegler [SPD]: So würden Sie ihn gern stilisieren!)

Vom Inhalt und von der Ausgestaltung der einzelnen

Zuwanderungstatbestände her ist der heute vorliegende
Entwurf nach wie vor auf Erweiterung angelegt. Dahinter
steckt, wie ich meine, ein grundsätzlicher Paradig-
menwechsel. Gesellschaftspolitisch sollen die Weichen
offensichtlich auf die Umwandlung Deutschlands in ein
multikulturelles Einwanderungsland, so wie es die Grü-
nen schon immer gewollt haben, gestellt werden. Eine
verantwortungsvolle Politik, so meinen wir, muss die Zu-
wanderung aus Nicht-EU-Staaten auf ein sozial verträgli-
ches Maß begrenzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es fehlt mir auch die Diskussion darüber, dass die EU-
Osterweiterung vor der Tür steht und dass damit natür-
lich Freizügigkeit für viele zig Millionen Menschen in der
Europäischen Union bestehen wird – auch ohne ein
Zuwanderungsgesetz.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Da würde ich mal die Vorrangregelungen lesen! – Sebastian Edathy [SPD]: Herr Glos lässt sich von der Realität nicht beirren!)


Wer verantwortungsvoll handeln will, der muss die
Zuwanderung in unsere Sozialsysteme, vor allem auch
durch den Missbrauch unseres Asylrechts, reduzieren.




Dr. Michael Bürsch

22031


(C)



(D)



(A)



(B)


Eine verantwortungsvolle Regelung muss die so gewon-
nenen Spielräume ausschließlich für die Zuwanderung
beruflich höher Qualifizierter nutzen.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Dann würde ich mal das Gesetz lesen! – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Genau so ist es angelegt!)


Vor allem muss die Integration der rechtmäßig und
dauerhaft hier lebenden ausländischen Mitbürger geför-
dert werden. Das ist in der Vergangenheit – ich gebe gern
zu: auch während unserer Regierungszeit – zu wenig ge-
schehen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: In BadenWürttemberg klappt das ganz gut! Nicht zuletzt die Länder haben hier Verantwortung!)


Wenn wir uns über das Zuwanderungsgesetz nicht einig
werden – ich befürchte, dass eine Einigung in dieser
Wahlperiode nicht mehr möglich ist –,


(Sebastian Edathy [SPD]: Das befürchten Sie? Heuchelei!)


dann müssen wir versuchen, zumindest im Integrations-
teil etwas hinzubekommen. Das wäre des Schweißes der
Edlen wert.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Eine verantwortungsvolle Politik muss das Entstehen

von Ausländerfeindlichkeit angehen,

(Sebastian Edathy [SPD]: Das ist wohl wahr! Hört! Hört!)

indem die Ursachen bekämpft werden.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie werden viel dazu beitragen, dass das nicht passiert!)


Die Union hat als Erste ein Konzept zur Steuerung und
Begrenzung vorgelegt. Sie haben es nicht in Ihren Ge-
setzentwurf aufgenommen. Vorhin hat hier jemand ge-
fragt: Was würden Sie machen, wenn wir Ihren Entwurf
unter einer anderen Überschrift vorlegen würden?


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Nicht erkennen! – Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir könnten das CSU-Programm abschreiben und Sie würden nicht zustimmen!)


Darauf antworte ich: Wir würden zustimmen. Aber was
jetzt auf dem Tisch liegt, ist nicht unser Entwurf.


(Beifall bei der CDU/CSU)

In dem heute vorliegenden Gesetzentwurf wird die Tat-

sache, dass keine andere westliche Industrienation einen
so hohen Ausländeranteil hat wie Deutschland – 9 Pro-
zent –, immer noch nicht richtig zur Kenntnis genommen.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Falsch! – Sebastian Edathy [SPD]: Die Schweiz zum Beispiel!)


Der EU-Durchschnitt liegt bei 5,5 Prozent. Frankreich hat
einen Ausländeranteil von 6 Prozent und Großbritannien
einen von 4 Prozent. Die Integrationsfähigkeit unserer

Gesellschaft und unseres Arbeitsmarktes ist erschöpft und
teilweise stark überfordert.

In vielen Großstädten beginnen sich Parallelgesell-
schaften zu entwickeln. Sie hören den Menschen im
Münchner Hasenbergl oder im Berliner Wedding nicht
mehr zu;


(Sebastian Edathy [SPD]: Unsinn!)

sonst würden Sie auch deren Gefühle kennen und berück-
sichtigen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir als Politiker müssen lernen, auch auf das zu hören,
was uns die Menschen sagen, die nicht in den elitären Dis-
kussionszirkeln und Kommissionen dabei sind.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das müssen Sie gerade sagen!)


Schon heute beträgt der Ausländeranteil in München
22,6 Prozent, in Hamburg 16 Prozent und in Berlin bei-
nahe 13 Prozent.

Es gab eine Anhörung im Innenausschuss. Dabei haben
Bevölkerungswissenschaftler ihre Studien vorgetragen.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Aber Sie waren ja leider nicht da! Ich habe Sie nicht gesehen!)


– Man kann das auch nachlesen; man muss nicht überall
dabei sein. Ich empfehle auch Ihnen: Lesen Sie viel! Dann
lernen Sie etwas dazu.

Bevor Sie lesen, hören Sie aber erst einmal zu. Ich sage
Ihnen nämlich, was zum Beispiel der Bevölkerungswis-
senschaftler Birg in einem Gutachten für die Bayerische
Staatsregierung dargestellt hat.


(Sebastian Edathy [SPD]: Birg war der einzige Kritiker!)


Demnach werden in vielen Großstädten in Deutschland
ab 2010 die Zugewanderten die Hälfte der Bevölke-
rung unter 40 Jahren stellen. Zu einem ähnlichen
Ergebnis kommt Professor Münz, Mitglied der so ge-
nannten Süssmuth-Kommission. Es war eigentlich keine
Süssmuth-Kommission, sondern eine Regierungskom-
mission. Es war auch nicht, wie vorhin dargestellt worden
ist, eine Kommission aller Parteien. Das kann sie nicht
sein, wenn Sie die Kommissionsmitglieder auswählen.


(Sebastian Edathy [SPD]: Welcher Fraktion gehört Frau Süssmuth eigentlich an, Herr Glos?)


Ich will auch nur mit dem Märchen aufräumen, dass da-
rüber immer wieder verbreitet wird:


(Beifall bei der CDU/CSU)

Frau Süssmuth, vor deren persönlicher Arbeit ich Respekt
habe, hat dort ausschließlich auf eigene Rechnung gehan-
delt. Auch das muss einmal festgestellt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist ja unglaublich! Kleinkariert!)





Michael Glos
22032


(C)



(D)



(A)



(B)


Herr Professor Münz, der Mitglied dieser so genann-
ten Süssmuth-Kommission gewesen ist, geht also davon
aus, dass bis zum Jahre 2050 in Städten wie München,
Hamburg oder Frankfurt bei einem durchschnittlichen
jährlichen Nettozuwachs von 200 000 Ausländern der
Ausländeranteil auf über 45 Prozent ansteigen wird. Ich
frage – das müssen wir beachten –: Wie wollen Sie an-
gesichts dieser Entwicklung diese Menschen in unsere
Gesellschaft ohne innere Konflikte integrieren? Eine Ant-
wort darauf zu finden muss unsere Hauptaufgabe sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie reden von Zuwanderungsbegrenzung, tatsächlich

wird sie ausgeweitet.

(Sebastian Edathy [SPD]: Nein!)


Ich versuche das noch einmal mit ein paar Fakten deutlich
zu machen: 250 000 so genannten Geduldeten, also Per-
sonen, die eigentlich zur Ausreise verpflichtet sind, geben
Sie ein Daueraufenthaltsrecht, das auch noch – darum
geht es – mit einem Nachzugsrecht für Familienan-
gehörige verbunden ist.


(Sebastian Edathy [SPD]: Kommen die zusätzlich? Genfer Konvention, Herr Glos, mal nachlesen! – Weitere Zurufe von der SPD)


Das führt natürlich zu einer starken zusätzlichen Zuwan-
derung. Alle Ausländer, die aus humanitären Gründen ein
Bleiberecht in Deutschland haben, erhalten nach Ihrem
Gesetz Zugang zum Arbeitsmarkt. Asylbewerber, bei de-
nen überhaupt nicht klar ist, ob sie einen Anspruch auf
Asyl haben, sollen ihre Familien nach Deutschland holen
können. Ich habe das so präzise ausgedrückt, damit es
auch die Leute draußen verstehen.

Blicken wir einmal ein Stück in die Geschichte der so-
zialdemokratischen Partei zurück: Früher war die sozial-
demokratische Partei noch eine Arbeitnehmerpartei,


(Zurufe von der SPD)

heute ist sie in weiten Teilen eine Soziologenpartei ge-
worden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Sebastian Edathy [SPD]: Das brauchen Sie uns nicht zu erzählen! Ist ja unglaublich!)


– Nun hören Sie doch bitte einmal zu, vielleicht lernen Sie
etwas. – Bei 347 000 Arbeitslosen hat Willy Brandt 1973
den Anwerbestopp verkündet.


(Sebastian Edathy [SPD]: Ist das ehrenrührig?)

Bei 4,3 Millionen offiziell gemeldeten Arbeitslosen will
Gerhard Schröder diesen Anwerbestopp aufheben. Das ist
Tatsache.

Ich habe durchaus Verständnis für den Ruf mancher
Unternehmen nach ausländischen Arbeitskräften. Be-
triebswirtschaftlich macht das ganz klar Sinn. Jeder Nach-
frager freut sich darüber, wenn das Angebot größer wird,
weil dann der Preis sinkt. Wir aber lehnen Lohndumping
für deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ab.


(Beifall bei der CDU/CSU – Sebastian Edathy [SPD]: Ist ja unglaublich, was Sie da erzählen! – Weiterere Zurufe von der SPD)


Wir lehnen Lohndumping in Deutschland ab. Es muss
natürlich bei dem alten Grundsatz bleiben, dass die Arbeit
eher zu den Menschen durch weltweite Arbeitsteilung ge-
bracht wird als die Menschen zur Arbeit.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ludwig Stiegler [SPD]: Dann machen wir demnächst das Tariftreuegesetz miteinander!)


Wir haben andere Entscheidungskriterien als die
Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften zu berück-
sichtigen. Die sind den Mechanismen des Aktienmarktes
verpflichtet, wir sind dem gesamtvolkswirtschaftlichen
Interesse unseres Landes verpflichtet. Auch der Herr Bun-
deskanzler spricht ja von gesamtstaatlicher Verantwor-
tung. Es kann natürlich sein, dass durch Zuwanderung der
Gewinn einer Aktiengesellschaft erhöht werden kann.
Eine Aktiengesellschaft, die aus ausländischen Arbeit-
nehmern Nutzen zieht, ist aber nicht dem Gemeinwohl
verantwortlich. Die Integrationskosten bleiben nämlich
bei der Gesellschaft hängen. Diese sind gewaltig hoch und
nirgendwo wurden dafür Rückstellungen gebildet.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sebastian Edathy [SPD]: Sie blockieren, weil Sie Integration verhindern!)


Wir schieben da einen Berg von Kosten vor uns her. Die
Wirtschaft hat bisher keine Antwort auf dieses Problem
gegeben. Wir hören deswegen zwar sehr genau zu, was
die Wirtschaft sagt,


(Sebastian Edathy [SPD]: Nicht nur, vielleicht auch einmal die Kirchen!)


wir setzen diese Forderungen aber nicht im Verhältnis 1:1
um.

Es wäre auch besser gewesen, wenn Sie zum Beispiel
bei Ihrer Steuerpolitik nicht nur auf Punkt und Komma
genau das umgesetzt hätten, was die großen Aktiengesell-
schaften gewollt haben; dann wären wir heute in einer an-
deren Situation.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Zwischen 1979 und 1999 hat sich die Zahl der Auslän-

der in Deutschland mehr als verdoppelt; das ist eine Tat-
sache. Gleichzeitig ist in diesen 20 Jahren die Zahl der
sozialversicherungspflichtig beschäftigten Ausländer un-
verändert geblieben.


(Zuruf von der SPD: Die 630-Mark-Verträge haben Sie noch vergessen! – Jochen Welt [SPD]: All das, was Sie als negativ schildern, ist in Ihrer Regierungszeit passiert!)


Es hat also eine gewaltige Zuwanderung in unsere
Sozialsysteme stattgefunden. Die Arbeitslosenquote der
in Deutschland lebenden Ausländer ist doppelt so hoch
wie der Durchschnitt.


(Sebastian Edathy [SPD]: Was erzählen Sie heute eigentlich?)


– Ich weiß gar nicht, warum Sie dauernd schreien. Wer
schreit, hat Unrecht, habe ich einmal gelernt. – Die Quote
ausländischer Sozialhilfeempfänger ist dreimal so hoch
wie die Quote bezogen auf die gesamte Bevölkerung.




Michael Glos

22033


(C)



(D)



(A)



(B)


Nur durch eine konsequente und wirksame Politik
zur Begrenzung des Zuzugs aus Ländern, die nicht
Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft sind,
lässt sich die unverzichtbare Zustimmung der deut-
schen Bevölkerung zur Ausländerintegration si-
chern. Dies ist zur Aufrechterhaltung des sozialen
Friedens unerlässlich.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dieses Zitat stammt aus einem Beschluss der Bundesre-
gierung vom 3. Februar 1982 unter Vorsitz von Helmut
Schmidt. Er ist angeblich das Vorbild unseres jetzigen
Bundeskanzlers. Da kann ich nur feststellen: Wie weit hat
sich Bundeskanzler Gerhard Schröder von Helmut
Schmidt entfernt!


(Beifall bei der CDU/CSU – Ludwig Stiegler [SPD]: Nur, weil Sie nicht lesen können!)


Wir müssen – das sage ich auch der deutschen Wirt-
schaft – das in Deutschland vorhandene Arbeitskräftepoten-
zial besser ausschöpfen. Es ist unmenschlich, dass man viele
Erwerbstätige zwischen dem 55. und 64. Lebensjahr nach
Hause schickt, statt sie auf neue Tätigkeiten umzuschulen,
und gleichzeitig nach Menschen von außerhalb ruft.


(Sebastian Edathy [SPD]: Sie können heute produktiver sein, Herr Glos!)


Das mag das soziale Verständnis der Neosozialdemokra-
ten sein, die jetzt an der Regierung sind und alles tun, um
dem grünen Partner zu gefallen. Unser Verständnis von
sozialer Gerechtigkeit ist das jedenfalls nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Politik hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass der
deutsche Arbeitsmarkt wieder besser ausgeschöpft wird.
Ich bin der Meinung – da gebe ich Bundeskanzler
Schröder Recht –, dass wir die deutschen Begabungs-
reserven besser nutzen müssen.


(Sebastian Edathy [SPD]: Fangen Sie einmal bei sich an, Herr Glos!)


Er hat gesagt – das können Sie im „Tagesspiegel“ vom
5. Februar 2002 nachlesen –: Eine Gesellschaft, die es
nicht schaffe, Begabungsreserven bei sozial Schwächeren
zu erschließen, sollte es lassen, über Einwanderung zu
diskutieren. Dieser Satz stammt vom Bundeskanzler.
Dem sollten Sie glauben.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Was habt ihr denn beim Job-Aqtiv-Gesetz gemacht? Da habt ihr euch gedrückt!)


Ich komme zum Schluss: Nach dem 22. September die-
ses Jahres werden wir die Gelegenheit haben, ein Zuwan-
derungsbegrenzungsgesetz auf den Weg zu bringen.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben auch nur Sie!)


Dann werden wir, nicht zuletzt durch Ihren verfehlten Ge-
setzentwurf, andere Mehrheiten in diesem Haus haben.


(Sebastian Edathy [SPD]: Aha, es geht Ihnen also nur um Wahlkampf! Um die Sache geht es Ihnen doch gar nicht!)


Wir werden mit den Wählerinnen und Wählern über die-
ses Gesetz sprechen und ihnen Pro und Contra erklären.
Wir haben keine Angst vor den Wählerinnen und Wähler.
Sie müssen sie fürchten.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422201700
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422201800

Herr Glos, ich bin Ihnen wirklich dankbar für Ihre Rede,
weil Sie so klare Worte gefunden haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie haben gerade gesagt: bevor ein Ausländer nach
Deutschland komme und hier einen Arbeitsplatz ein-
nehme, sei es besser, die Arbeitsplätze würden ins Aus-
land verlagert.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das ist eine Verkürzung, eine Verfälschung! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


Das heißt, Sie wollen den Wirtschaftsstandort Deutsch-
land schwächen. Sie wollen Betriebsteile ins Ausland ver-
legen und damit Arbeitsplätze in unserem Land gefähr-
den. Rot-Grün sagt dagegen: Die Arbeitsplätze bleiben
hier! Deshalb brauchen wir das Zuwanderungsgesetz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Michael Glos [CDU/CSU]: Eure Arbeitsplätze sind alle gefährdet!)


Dieses Gesetz wahrt die Humanität. Es gestaltet die
Zuwanderung aus arbeitsmarktpolitischen und wirtschaft-
lichen Interessen. Es verpflichtet zu Integration und regelt
diese erstmals. Das ist auch gut so. Es räumt – das ist die
Stärke dieses Gesetzes – mit ausländergesetzlichen My-
then auf. Es gestaltet die Problembereiche und verleugnet
sie nicht länger.

Der Anlass für diese Gesetzgebungsinitiative war ein
parteiübergreifender Konsens über die Erkenntnis, dass
wir in Deutschland Zuwanderung von hoch Qualifizier-
ten, aber auch von anderen Gruppen, die wir genau defi-
nieren, brauchen. Diesen Konsens hatten wir noch im
letzten Jahr.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Nein!)

Sie haben ihn aus billigen wahltaktischen Überlegungen
aufgekündigt, zum Schaden unseres Landes.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben doch in der Debatte über die Greencard für
IT-Fachleute gemerkt, dass man mit dem Anwerbestopp
und der Anwerbestoppausnahmeverordnung nicht mehr
weiterkommt. Wir müssen das Ganze positiv gestalten.
Wir müssen definieren, wer aus welchen Gründen in un-
ser Land kommen darf. Nur wenn das positiv definiert
wird, kann man das verantwortungsvoll gestalten.




Michael Glos
22034


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422201900
Kollege Beck, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schauerte?


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422202000

Bitte, gerne.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1422202100
Herr Kollege
Beck, Sie haben gerade gesagt, die Arbeitsplätze blieben
hier und darum holten wir die Ausländer hierher.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422202200

So pauschal habe ich das nicht gesagt.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1422202300
Wie wollen Sie das
mit dem Tatbestand in Einklang bringen, dass wir zum
Beispiel im Land Niedersachsen bei den dort lebenden
Ausländern eine Arbeitslosigkeit von 27 Prozent haben
und dass wir im Gegensatz dazu bei den in Baden-
Württemberg lebenden Ausländern nur eine Arbeitslosig-
keit von 13 Prozent haben, was immer noch entschieden
zu viel ist? Welchen Sinn soll Ihre Regelung eigentlich
machen? Wenn Sie das Problem, die Menschen in Arbeit
zu bringen, in den Ländern, in denen Rot-Grün regiert,
so schlecht gelöst haben – ich könnte auch die Zahl für
Nordrhein-Westfalen nennen –, wie wollen Sie es dann lö-
sen, wenn Sie noch mehr Menschen hierher holen?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422202400

Vielen Dank, Herr Schauerte, für diese Frage; denn das
möchte ich Ihnen gerne erklären. Die Situation der relativ
hohen Arbeitslosigkeit bei Migranten ist unter dem
gegenwärtig geltenden Ausländergesetz entstanden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Darin haben wir nicht präzise gesteuert, wer zu uns kom-
men soll und wie die Qualifikationsmerkmale aussehen
sollen. Außerdem haben wir einen Fehler in Bezug auf die
Gastarbeiter gemacht. Wir haben die Leute hierher geholt,


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht integriert!)


aber nicht beachtet, dass sich der Arbeitsmarkt in Deutsch-
land umstrukturiert. Wir haben sehr gering qualifizierte
Leute ins Land geholt und sie nicht weiter qualifiziert.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Aber genau an dieser Stellschraube drehen Sie doch jetzt nicht mit dem neuen Gesetz!)


Wir haben auch nichts aktiv für ihre Integration getan.
Das sind die Fehler der Vergangenheit, mit denen dieses
Gesetz aufräumt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Schauerte, ich will Ihnen noch einmal darstellen,

was wir in diesem Gesetz regeln. Wir öffnen verschiedene
Türen, über die Zuwanderung möglich wird,


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Also doch!)


einmal für hoch Qualifizierte. In diesem Fall sind unsere
Anforderungen sehr hoch: Hochschulstudium, Einkom-
men usw.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Dann hätten Sie keine Chance zur Zuwanderung, Herr Beck!)


Das sind die Leute, in Bezug auf die Konsens besteht, dass
wir sie brauchen; das haben noch nicht einmal Sie infrage
gestellt. – Bleiben Sie bitte stehen, Herr Schauerte, ich bin
mit der Antwort auf Ihre Frage noch nicht fertig.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Aber Sie gehen ja nicht auf meine Frage ein!)


Wir regeln darüber hinaus die Zuwanderung von
Selbstständigen, die hier Arbeitsplätze schaffen, und wir
regeln ein Auswahlverfahren, in dem Bundestag und
Bundesrat gemeinsam beschließen, wie viele Menschen
nach Deutschland kommen sollen und nach welchen Kri-
terien, nach unserem Bedarf definiert, wir sie aufnehmen
wollen. Indem wir definieren, wer kommen soll, werden
wir die Situation beenden, die in Ihrer Regierungszeit un-
ter Ihrem Ausländergesetz entstanden ist. Da können Sie
gewiss sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dass Sie den Leuten etwas vormachen, zeigen Ihre ei-
genen Landesregierungen. In Bayern und Hessen regieren
meines Wissens Unionsparteien.


(Sebastian Edathy [SPD]: Mehr schlecht als recht!)


Dort wirbt die Union unqualifizierte Arbeitskräfte aus
Osteuropa an, nämlich Haushaltshilfen für Haushalte, in
denen pflegebedürftige Menschen leben.


(Sebastian Edathy [SPD]: Nicht sehr qualifiziert!)


Sie können mir doch nicht erzählen, dass es in Deutsch-
land keine Menschen gibt, die diese Arbeitsplätze beset-
zen könnten! Offensichtlich gelingt es auch Ihren Lan-
desregierungen nicht, die Arbeitskräfte in Deutschland
dorthin zu bringen, wo Bedarf besteht. Deshalb machen
Sie den Leuten doch nichts vor und behaupten Sie nicht,
es gäbe keine Probleme, die einer dringenden Lösung be-
dürften!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie machen eine unverantwortliche Politik, die von
Kardinal Sterzinsky zu Recht das Prädikat „eine Schande“
bekommen hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ludwig Stiegler [SPD]: Die kommen alle in die Hölle! Fegefeuer ist angesagt!)


Sie machen eine Politik, bei der Sie die wahren Bedürf-
nisse, die wahre Situation und den wahren Gehalt des Ge-
setzes leugnen.






(C)



(D)



(A)



(B)


Herr Glos, in diesem Zusammenhang zurück zu Ihrer
Rede. Sie haben eine Emnid-Umfrage zitiert. Ich finde,
dass man Politik aus Verantwortung und nicht auf der
Grundlage von Umfragen machen muss und dass man sie
den Wählern erklären muss.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/ CSU]: Oje!)


Aber das mag dahingestellt sein. Sie haben diese Umfrage
aber auch noch falsch zitiert. Sie haben nämlich behaup-
tet, dass 70 Prozent der Bevölkerung keine weitere Zu-
wanderung haben wollen. Aber die Umfrage ergab auch,
dass 74 Prozent der Bevölkerung die Zuwanderung ledig-
lich durch ein Gesetz gesteuert haben wollen. Genau das
tun wir heute mit diesem Gesetz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Sebastian Edathy [SPD]: Genau, und da verweigern sie sich! Verweigerung ist das richtige Wort dafür!)


Sie haben in der Debatte zunächst gesagt, Sie wollen
die Zuwanderung begrenzen. Genau das tun wir in § 1 des
Zuwanderungsgesetzes. Es stand ohnehin schon in den
§§ 18 bis 20 dieses Gesetzes, wie die Zuwanderung ge-
steuert und begrenzt wird. Wer nämlich Zuwanderung
steuern will, muss sie notwendigerweise begrenzen. Alles
andere wäre Unsinn.

Herr Bosbach hat nun aber am Dienstag auf seiner
Pressekonferenz die Hosen heruntergelassen.


(Zurufe von der SPD: Oh!)

Es geht ihm nicht um eine Begrenzung der Zuwanderung,
sondern um eine Reduzierung. Sie wollen in der Tat ein
Zuwanderungsabschaffungsgesetz und behaupten gegen-
über der Bevölkerung, dass das möglich und sinnvoll sei.
Wir müssen doch einmal zur Kenntnis nehmen, dass wir
in den letzten Jahren eine jährliche Abwanderung aus
Deutschland von über 500 000 Ausländern und Deutschen
hatten. Um den Stand der Bevölkerung zu halten oder
wieder zu erreichen, brauchen wir mindestens eine ent-
sprechende Zuwanderung.

Meine Damen und Herren von der Union, wir haben
18 Änderungsanträge aus Ihrem 16-Punkte-Papier über-
nommen.


(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: 18 von 16?)

– In Ihren 16 Punkten sind in Wirklichkeit 91 Änderungs-
anträge enthalten. Auch das ist eine Mogelpackung Ihrer-
seits. Wir haben zusätzlich noch die vier Änderungswün-
sche aus Brandenburg übernommen. – Wir haben das
Alter für den Kindernachzug auf 12 Jahre abgesenkt. Wir
haben bei den Verfolgungsgründen deutlich gemacht,
dass sie keine Ausweitung über die Genfer Flüchtlings-
konvention hinaus bedeuten. Ich möchte an dieser Stelle
den UNHCR zitieren, der unsere Auffassung bestätigt.
Der UNHCR-Repräsentant in Deutschland attestiert dem
heute zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurf,

dass die nun gefundene Regelung für den Schutz vor
nicht staatlicher und geschlechtsspezifischer Verfol-

gung die völkerrechtlichen Standards auf Grundlage
der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllt.

(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)

Wer unter dieses Abkommen fällt, ist genau definiert.

(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau so ist es!)

Es kann deshalb in Zukunft mit größerer Trenn-
schärfe und Genauigkeit in Deutschland festgestellt
werden, wer den vollen Schutz der GFK verdient.


(Beifall des Abg. Lothar Mark [SPD])

Wollen Sie wirklich hinter die völkerrechtlichen Stan-
dards beim Flüchtlingsschutz zurückfallen? Was Sie hier
vortragen, ist doch wirklich absurd.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Erzählen Sie doch keine Märchen!)


Wir sind Ihnen in § 1 des Asylbewerberleistungsgeset-
zes bei den Integrationskosten entgegengekommen. Des-
wegen müsste Ihnen eine Zustimmung möglich sein. Uns
ist es wirklich sehr schwer gefallen, diesem Entgegen-
kommen zuzustimmen. Unser Koalitionspartner weiß,
wie wir mit uns und untereinander gerungen haben. Eine
Zustimmung ist uns aber deshalb möglich gewesen, weil
an einigen Stellen des Gesetzes Korrekturen und – das soll
nicht unter den Tisch fallen – Verbesserungen erreicht
wurden.

Wir werden ab dem 1. Januar 2003 – Marieluise Beck
wird das besonders freuen – keine Ausländerbeauftragte
mehr haben, sondern eine Beauftragte für Migration,
Flüchtlinge und Integration mit einer gestärkten Position.
Das ist für uns ein wichtiger Punkt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422202500
Herr Kollege Beck,
Sie müssen zum Ende kommen.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422202600

Eine letzte Bemerkung: Wir werden eine Härtefallrege-
lung bekommen – das ist ein Wunsch der Länder, von
Baden-Württemberg genauso wie von Niedersachen oder
Nordrhein-Westfalen –, die es ermöglicht, jenseits des
starren Rechtes im Einzelfall humanitär begründete Ent-
scheidungen zu fällen, die dann noch einmal von den Aus-
länderämtern überprüft und berücksichtigt werden kön-
nen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ein neuer Rechtszug!)


Auch das kann kein Grund für Ihre Ablehnung sein; denn
Sie selbst haben im Saarland, in Baden-Württemberg und
überall dort, wo Sie regieren, diese Regelung gefordert.

Wenn Sie sachlich entscheiden, dann müssen Sie zu-
stimmen. Wenn Sie allerdings nur Wahlkampf auf dem
Rücken von Ausländern und Flüchtlingen machen wollen,




Volker Beck (Köln)

22036


(C)



(D)



(A)



(B)


dann werden wir Sie natürlich nicht überzeugen können.
In diesem Fall würde kein Argument bei Ihnen Gehör fin-
den.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422202700
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Roland Claus, PDS-Fraktion.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1422202800
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Es ist bereits darauf verwiesen
worden: Diese Debatte wird seit langem geführt. Mein
Eindruck ist, dass sie ihre beste Zeit zu dem Zeitpunkt
hatte, als sie das Parlament noch nicht erreicht hatte. Man
versteht doch angesichts der Art und Weise der jetzigen
Debatte die Welt nicht mehr: Die CDU/CSU bekämpft das
Großkapital und die Grünen geben die Wirtschaftslobby;
aber eigentlich geht es um Menschenrechte.


(Beifall bei der PDS – Michael Glos [CDU/ CSU]: Das nehmen Sie sofort zurück!)


In der Süssmuth-Kommission, auf die hier schon hin-
gewiesen wurde, waren in der Tat noch Meinungen ge-
fragt. Wir waren nahe an der Schaffung eines gesell-
schaftlichen Konsenses dahin gehend, Deutschland als
Einwanderungsland zu verstehen. Denn es geht in der
Tat um die Beantwortung der Frage: Wollen wir eine of-
fene Gesellschaft oder wollen wir Abschottung?


(Beifall bei der PDS)

Dann hat die CDU/CSU die in dieser Debatte bekannte

Haltung eingenommen und sich verweigert. Daraufhin
hat Bundesinnenminister Otto Schily Hand und Helm an-
gelegt.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Das ist ein schönes Bild mit dem Helm!)


Herausgekommen ist das, was uns jetzt vorliegt. Im Re-
gierungsentwurf ist aus unserer Sicht der entscheidende
Ansatz der Kommission, Einwanderung als positiv zu be-
werten, nicht aufgenommen worden.

Ich will hier den gewiss unverdächtigen Kollegen
Norbert Blüm zitieren, der es, wie ich finde, auf einen
markanten Punkt gebracht und gesagt hat: Wir wollen hier
nur die Qualifizierten aus den Entwicklungsländern ab-
sahnen. Er nannte das dann im Übrigen „neokapitalis-
tisch“. Stellen Sie sich einmal vor, wie Sie reagieren wür-
den, wenn ich so etwas sagen würde!


(Beifall bei der PDS)

Die PDS-Fraktion hat im Dezember des vergangenen

Jahres den damals vorliegenden Gesetzentwurf abge-
lehnt. Wir hatten dafür gute Gründe. Danach haben Sie
ihn ausschließlich in Richtung CDU/CSU verändert. Herr
Bundesinnenminister, Ihre Bemühungen waren vergeb-
lich. Wie viel Zeit haben Sie mit der Union verbracht! Ich
hoffe, dass Sie sich zumindest vornehmen, diese Zeit ir-
gendwie nachzuarbeiten. Es wird Sie also nicht verwun-
dern, dass die PDS-Fraktion heute angesichts einer sol-
chen Richtungsveränderung mehrheitlich Nein sagt. Eine

Reihe von Kolleginnen und Kollegen werden sich aller-
dings enthalten.

Frau Müller, Sie haben beschrieben, wie sehr Sie sich
bemüht haben und wie tief Sie sich vor der Union ver-
beugt haben, um deren Zustimmung zu erreichen. Es hat
Ihnen, wie Sie heute feststellen, nichts genützt. Nun
möchte ich Sie fragen: Warum bleiben Sie dann immer
noch in dieser Verbeugungshaltung? Was wollen Sie da
unten? Kommen Sie hoch und machen Sie ein kühneres
Einwanderungsgesetz als das, das jetzt vorliegt!


(Beifall bei der PDS – Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hoch zur PDS?)


Natürlich muss man sich an dieser Stelle fragen, was
die Union angesichts der Aufforderungen seitens der Kir-
chen und der Verbände zu ihrer Haltung treibt.


(Zurufe von der SPD: Wahlkampf!)

Eines ist völlig klar: Es geht Ihnen um Stimmen rechts
von der Mitte, um Stimmungsmache und nicht um Auf-
klärung. Die Rede des Kollegen Glos hat das deutlich ge-
macht.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Behandlung des Gesetzentwurfes nahm einen selt-
samen Gang. Ein Mitglied des Kabinetts, der Bundes-
innenminister, hat sich im Hinblick auf das Parlament re-
gelrecht zu einer Selektion entschlossen, indem er nur mit
bestimmten Fraktionen verhandelt hat. Ich möchte nicht
sagen, dass wir auf solche Treffen besonders scharf
wären.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Aber wir haben mit Ihnen verhandelt!)


Aus dem Innenausschuss ist mir berichtet worden, dass
Begegnungen mit dem Bundesinnenminister nicht ver-
gnügungsteuerpflichtig sind. Aber hinnehmen darf ein
Parlament ein solches Verhalten auch nicht – und das
durchaus nicht nur im Interesse einer kleinen Fraktion,
sondern auch im Interesse der Koalitionsfraktionen.


(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422202900
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Bürsch?


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1422203000
Ja, natürlich.


Dr. Michael Bürsch (SPD):
Rede ID: ID1422203100
Herr Kollege, Sie haben
zu Recht auf das Recht des Parlamentes verwiesen. Ist Ih-
nen bekannt, dass die Berichterstatter der SPD mehrere
Gespräche mit Berichterstattern bzw. Mitgliedern Ihrer
Fraktion über das Zuwanderungsgesetz geführt und meh-
rere Stunden damit verbracht haben, die jeweiligen Über-
legungen zu vergleichen, und dass die SPD-Fraktion auch
Ihre Vorstellungen zur Kenntnis genommen hat?


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: SPD, PDS, Hand in Hand!)





Volker Beck (Köln)


22037


(C)



(D)



(A)



(B)



Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1422203200
Herr Kollege, selbstverständ-
lich ist mir das bekannt. Auch der Inhalt und das Ergebnis
dieser Gespräche, mit dem ich nicht zufrieden bin, sind
mir bekannt. Ich muss Sie aber damit konfrontieren, dass
in der Öffentlichkeit nur die Selektion des Bundesinnen-
ministers im Hinblick auf das Parlament wahrgenommen
worden ist, während die Tatsache, dass Sie auf der Fach-
ebene Gespräche auch mit der PDS geführt haben, die Öf-
fentlichkeit nicht in diesem Maße erreicht hat. Deshalb
kann dies hier durchaus noch einmal angesprochen wer-
den.

Die Kritikpunkte und Vorschläge der PDS blieben lei-
der weitgehend unbeachtet. Ich sage das nicht deswegen,
weil wir uns hier eine Sonderkompetenz zumuteten, son-
dern deswegen, weil es aus Menschenrechtsorganisatio-
nen, Verbänden und Kirchen sehr wohl entsprechende Er-
wartungen gibt. Wir meinen, dass Flüchtlingsrechte nicht
hinreichend verbessert wurden und auch die Integration
als zweiseitiger Prozess mit dem jetzt vorliegenden Ge-
setz in der Tat nicht ausreichend gestärkt wird.

Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, dass Sie die
Kompromisssuche vorwiegend in Richtung Union gestal-
tet haben. Das ist auch heute deutlich geworden. Aber wir
haben Sie bereits im Dezember des letzten Jahres bei der
ersten Lesung des Gesetzentwurfes darauf hingewiesen,
dass weder die SPD noch die Union im Bundesrat eine
Mehrheit hat.

Nun haben sich einige Sorgen gemacht, die PDS
könnte mit der CDU verwechselt werden,


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Nein, diese Sorge haben wir nicht!)


wenn sie wie diese den Gesetzentwurf ablehnt. Nun wis-
sen Sie von mir, dass ich mich ausdrücklich um eine Ent-
krampfung des Verhältnisses von Union und PDS
bemühe. Aber eines will ich nun doch sagen: Eine Ver-
wechslungsgefahr zwischen Sozialisten und Unionsver-
tretern gibt es wohl in der Tat nicht.


(Beifall bei der PDS – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Das ist auch wirklich gut so!)


– Ich danke Ihnen für die Zustimmung, Herr Kollege.
Deutschland braucht ein modernes Zuwanderungs-

recht. Dazu hätten Sie in der Koalition die Chance gehabt.
Ich denke, Sie haben diese Chance immer noch. Sie soll-
ten sich nicht auf diese generelle Ablehnung versteifen,
bis zur Entscheidung im Bundesrat jegliche Vermittlung
zu verweigern. Sie haben ein noch einfacheres Mittel,
Ihren Gesetzentwurf zu verbessern: Nehmen Sie doch
einfach die heute vorgelegten Änderungsanträge der PDS
an. Schon steigern Sie den Grad unserer Zufriedenheit er-
heblich.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS – Michael Glos [CDU/ CSU]: Bei Honecker wären die jetzt aufgestanden!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422203300
Ich erteile dem Kolle-
gen Sebastian Edathy, SPD-Fraktion, das Wort.


Sebastian Edathy (SPD):
Rede ID: ID1422203400
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Erlauben Sie mir, zu Beginn meiner
Rede aus einem Plenarprotokoll zu zitieren. Das Zitat lau-
tet:

Meine Herren, bei uns ist man im Gegensatz zu an-
deren Ländern, die froh sind, wenn sie in jeder Be-
ziehung tüchtige Ausländer als Bürger erwerben kön-
nen, von einem außerordentlichen Misstrauen gegen
die Aufnahme von Ausländern beherrscht und legt
dieser Frage ganz kolossale Wichtigkeit bei.

Dieser Satz ist in diesem Gebäude gesagt und von Steno-
grafen mitgeschrieben worden. Er stammt von dem
sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Otto
Landsberg aus einer Reichstagsdebatte vom 27. Fe-
bruar 1912. Wer am Tag dieser Debatte geboren worden
ist, in der von diesem außerordentlichen Misstrauen ge-
gen Ausländer die Rede war, der konnte vorgestern seinen
90. Geburtstag feiern.

Wir als Parlamentarier tragen Verantwortung für die
Gestaltung der Zukunft in diesem Land und in dieser Ge-
sellschaft. Wenn ich von Zukunft spreche, Herr Glos und
Herr Merz, dann meine ich nicht die verbleibenden Mo-
nate bis zur nächsten Wahl, sondern denke, dass wir uns
bei Zukunftsfragen daran orientieren müssen, wie dieses
Land in 10, 20, 30 oder 40 Jahren aussehen soll. Daran
müssen wir unsere Entscheidungen messen und ausrich-
ten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Menschen in Deutschland werden irgendwann in eini-
gen Jahrzehnten, wenn der 14. Bundestag längst Ge-
schichte ist, die heutige Debatte möglicherweise nachle-
sen. Sie werden sich dann die Frage stellen, inwieweit
sich die demokratische Elite dieses Landes – ich betone:
demokratische Elite – als fähig erwiesen hat, auch schwie-
rige Fragen mit Vernunft und Augenmaß zu behandeln.
Herr Glos, den Finger in den Mund zu stecken und dann
in den Wind zu halten, das ist kein Politik-Ersatz.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Kein Politik-Ersatz, sondern verantwortungslos ist
auch, Ängste zu missbrauchen. Wir als Demokraten ha-
ben die Aufgabe, Ängste ernst zu nehmen, zu hinterfragen
und mit den Bürgern zu sprechen. Wir haben nicht die
Aufgabe, Ängste zu instrumentalisieren und Wasser auf
Mühlen der Feinde der Demokratie zu lenken, wie Sie das
hier zumindest angedeutet haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Thema Zuwanderung ist ein schwieriges Thema in
Deutschland,


(Michael Glos [CDU/CSU]: Das merkt man bei Ihnen, bei Ihrer Rede!)







(C)



(D)



(A)



(B)


vor allem deshalb, weil es über Jahrzehnte tabuisiert wor-
den ist. Der Umgang mit dem, was man als fremd emp-
findet, ist nie leicht.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Sie sind dem Thema nicht gewachsen!)


Er berührt nicht zuletzt das eigene Selbstverständnis. Wo
es an einem stabilen, aufgeklärten und demokratischen
Selbstverständnis fehlt, wird der Umgang mit dem
Fremden oder vermeintlich Fremden oft irrational.

Weil ich glaube, dass dies eine historische Stunde ist,
will ich deutlich sagen, dass die Zeit des Nationalsozia-
lismus in Deutschland mit der Perversion, Fremdes zum
Feind und zum Objekt von Vernichtung zu erklären, die
notwendige Entwicklung einer Debatte in Deutschland
unterbrochen hat, die Otto Landsberg hier vor 90 Jahren
mit angestoßen hat und der wir uns durch einen sachlichen
Umgang mit dieser schwierigen Frage wieder nähern
müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass das auch anders
geht, ist mir unter anderem in einem Gespräch mit einer
niederländischen Parlamentskollegin deutlich geworden.
Ich fand es sehr bemerkenswert, dass sie die Menschen,
die in die Niederlande kommen und dort eine dauerhafte
Bleibeperspektive haben, nicht als Fremde, sondern als
Neulinge bezeichnet hat. Man muss sich das einmal vor
Augen führen. Ich glaube, das ist ein guter Ansatz, den wir
uns – auch in anderen Fällen könnten wir uns an unseren
niederländischen Nachbarn orientieren – zu Eigen ma-
chen sollten.

Die Zuwanderung nach Deutschland, und damit ver-
bunden die Frage der Integration von Zuwanderern, ist
ein so stark ideologisch geprägtes Themenfeld wie kaum
ein anderes. Über Jahrzehnte hinweg hat die politische
Rechte dieses Landes behauptet – heute ist das in den Re-
den von Herrn Glos und Herrn Merz wieder deutlich ge-
worden –, dass jeder Zuwanderer eine potenzielle Bedro-
hung für die Stabilität unserer Gesellschaft sei.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ein Quatsch!)

Umgekehrt haben manche, die sich als politisch links

verstanden haben oder verstehen, bisweilen den Eindruck
erweckt, als sei jeder Zuwanderer potenziell ein besserer
Deutscher als die Deutschen. Beides sind fantasiebehaf-
tete Bilder, die lange Zeit den Blick auf die Realität ver-
stellt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In dem einen Fall geschah das in Form von Angstfan-
tasien und in dem anderen Fall in Form von Wunsch-
fantasien.

Wenn es richtig ist, dass gute Politik die Wirklichkeit
zur Kenntnis nehmen muss, dann sollten wir uns dem
Thema Zuwanderung so nähern, wie es Bundespräsident
Johannes Rau in seiner Berliner Rede im Jahre 2000 auf
den Punkt gebracht hat, als er formulierte: „ohne Angst
und ohne Träumerei“. Dieses Motto sollte uns bei der Ent-
scheidungsfindung heute und in Zukunft leiten.

Jeder zehnte Bewohner dieses Landes besitzt nicht die
deutsche Staatsbürgerschaft. Viele von ihnen haben in
Deutschland eine neue oder zumindest eine zweite Hei-
mat gefunden. Es gibt in diesem Land 800 000 Ehen zwi-
schen deutschen und ausländischen Partnern.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist gut!)

Wenn man es herunterrechnet, kommt man auf 2 500 pro
Wahlkreis. Herr Glos, ich nehme an, dass das auch für die
bayerischen Wahlkreise gilt.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Ja sicher, ich habe sogar eine Schwiegertochter aus dem Ausland!)


Zuwanderung ist Realität. Wir haben uns aber viel zu
lange den Luxus geleistet, diese Realität nicht zur Kennt-
nis zu nehmen. Deswegen ist dieser Gesetzentwurf histo-
risch wichtig und bedeutsam. Es steht dort, dass er von der
Bundesregierung und von Rot-Grün erstellt wurde. Vom
Inhalt her ist er jedoch im Grunde ein Allparteiengesetz-
entwurf. Jede politische Farbe außer dunkelschwarz und
braun ist in diesem Gesetzentwurf enthalten. Er ist ein
ernsthaftes Angebot für einen Konsens, dem wir uns ge-
meinsam nicht verweigern sollten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es geht um drei Dinge:
Erstens geht es darum, das Ausländerrecht so ver-

ständlich zu machen, dass es auch für jemanden, der kein
Fachanwalt ist, nachvollziehbar wird.

Zweitens geht es darum, dass die Menschen, die mit ei-
ner dauerhaften Bleibeperspektive nach Deutschland
kommen, bessere Integrationsbedingungen vorfinden.

Drittens geht es darum, dass wir die Verantwortung für
die Erfüllung humanitärer Pflichten übernehmen und Zu-
wanderung auch unter wohlverstandenen eigenen Interes-
sen organisieren.

Herr Glos, wenn es für einen Ausländer leichter ist,
Fußballprofi bei Bayern München zu werden, als Abtei-
lungsleiter in einem Münchener Unternehmen, dann
sollte das auch der Bayerischen Staatskanzlei zu denken
geben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Als wir vor zwei Jahren mit der sachlichen Debatte be-
gonnen haben, haben die Beteiligten die Lippen gespitzt.
Ich habe die Hoffnung, dass alle nun auch bereit sind zu
pfeifen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestern haben wir
hier dem UNO-Generalsekretär stehend Beifall gezollt,
als er zu Recht auf die gewachsene internationale
Verflechtung der Politik und auf die Tatsache, dass das
Maß an wechselseitiger Abhängigkeit auf diesem Erdball
zugenommen hat, hinwies. Deshalb können Sie von der
Union sich heute doch nicht hier hinstellen und Deutsch-
land zur Osterinsel erklären.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: So ein Quatsch, Sie Osterhase!)





Sebastian Edathy

22039


(C)



(D)



(A)



(B)


Es stellt sich nicht nur die Frage, in welchem Land Sie le-
ben, sondern auch, auf welchem Planeten.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ein Unsinn!)

Es geht darum, die Chancen bei der Zuwanderung zu

nutzen und die Risiken zu minimieren. Genau das tun wir.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, ich
hoffe, dass Sie sich dem möglichen und greifbar nahen
Konsens im Interesse unseres Landes nicht verweigern.
Die Gewerkschaften, die Arbeitgeber, die Sozialverbände
und die Kirchen sagen begründet und zu Recht, dass die-
ses Land gerade beim Umgang mit Zuwanderern keine
Politik der geballten Faust, sondern eine Politik der aus-
gestreckten Hand braucht. Das Angebot dazu liegt heute
vor.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich komme zum Schluss meines Beitrages. Ich habe
gelesen, dass die Kollegen Blüm, Geißler, Schwarz-
Schilling und Süssmuth die Nein-Sagerei der Opposition
nicht mitmachen wollen. Ich sage eindeutig: Nein sagen
ist keine Kultur, auch keine Leitkultur, sondern eine Un-
kultur, der Sie sich heute nicht verschreiben sollten. Übri-
gens sind die genannten Kollegen von der Union einmal
Grund für mich gewesen, Sozialdemokrat zu werden.
Umso erfreuter bin ich, dass diese gestandenen Leute
– ich glaube, es ist das halbe Kabinett des Jahres 1985,
von der FDP einmal abgesehen – mit der Koalition stim-
men wollen. An dieser Stelle ein ganz besonderer Dank an
Frau Süssmuth, die sich in der Kommission viel Arbeit
gemacht hat; Sie sollten das nicht kleinreden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der PDS)


Wir sollten vermeiden, für das Linsengericht eines ver-
meintlichen – ich betone: vermeintlichen – parteitakti-
schen Vorteils den Eindruck zu erwecken, wir würden ein
halbes Jahr vor der Bundestagswahl in Deutschland die
Politik einstellen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Kommen Sie doch einmal zur Sache!)


Wir müssen auch bei schwierigen Fragen sachliche, ver-
nünftige und angemessene Antworten geben. Eine Ant-
wort auf ein ganz, ganz wichtiges Themenfeld haben Re-
gierung und Koalition vorgelegt. Stimmen Sie bitte zu! Es
gibt keinen Grund, nicht zuzustimmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422203500
Ich erteile der Kolle-
gin Marieluise Beck, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Wie auch immer diese Debatte ausgeht, man kann eines
mit Gewißheit sagen: Wir werden in diesem Land weiter
Zuwanderung haben. Ob Unionsbürger, Familienan-
gehörige, Flüchtlinge oder Arbeitskräfte; ein Land in der

Mitte Europas, das Teil einer wachsenden europäischen
Gemeinschaft ist, wird weiterhin Zu- und Abwanderung
haben. Die eigentliche Aufgabe ist es, diese Zu- und Ab-
wanderung zu gestalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn Sie in dieser Debatte vonseiten der Union die
Ängste der Bevölkerung schüren wollen und den Ein-
druck zu erwecken versuchen, dieser Gesetzentwurf
würde ein deutliches Mehr an Zuwanderung bringen,
dann sagen Sie schlicht die Unwahrheit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


In dieser Debatte wird auch der Migrationsbericht
derAusländerbeauftragten vorgelegt. Nehmen Sie bitte
einige wenige Zahlen, die sehr wichtig sind, wahr: Im Jahr
1990 – also zu Zeiten der Kohl-Regierung – hatten wir
über 1,2 Millionen Zuwanderer in diesem Land. Es sind
auch Menschen gegangen, und zwar sehr viele. Geblieben
sind damals etwa 500 000. Im Jahre 1991 – also noch vor
den Kriegen auf dem Balkan – sind 1,2 Millionen Men-
schen zugewandert. Lassen wir die Balkankriege außen
vor – sie haben die Situation stark verändert –, so müssen
wir feststellen: Wir haben 1998 800 000 Zuzüge, 1999
870 000 und im Jahre 2000 840 000 gehabt, also deutlich
weniger als zu Beginn der 90er-Jahre unter der Kohl-Re-
gierung. Wir hatten dabei in etwa immer die gleiche Zahl
an Abwanderungen. Im letzten Jahr sind 86 000 Auslän-
der mehr, als gekommen waren, in Deutschland geblie-
ben. Das ist bei einer Bevölkerungsgröße von 82 Milli-
onen Menschen, die in diesem Land leben, wahrlich keine
Zahl, die uns beunruhigen sollte.

Der neu vorliegende Gesetzentwurf gestaltet vieles
von dem, was es bereits an alten Zuwanderungstatbestän-
den gab und geben muss. Familien muss man zusammen-
führen, Unionsbürger muss man kommen lassen und
Flüchtlingen muss man Schutz gewähren. Der neue Ge-
setzentwurf gestaltet diese Tatbestände neu und über-
sichtlicher. Es geht nicht um ein Mehr an Zuwanderung,
wie Sie fälschlicherweise behaupten. Sie versuchen
unverantwortlicherweise, in der Bevölkerung Ängste zu
schüren, es würden jetzt mehr Ausländer als vorher kom-
men.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422203600
Frau Kollegin Beck,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bosbach?

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Ja, bitte.


Wolfgang Bosbach (CDU):
Rede ID: ID1422203700
Frau Kollegin
Beck, Sie haben gerade bei Ihrem Vergleich zwischen An-
fang und Ende der 90er-Jahre die Jahre 1990 und 1991 ge-
nannt und die Zuzugszahlen von damals in Relation zu
den Zahlen Ende der 90er-Jahre gesetzt.




Sebastian Edathy
22040


(C)



(D)



(A)



(B)


Ist es richtig, dass in den Jahren 1990 und 1991 noch
das alte Asylrecht galt und nicht das neue, das seit dem
1. Juli 1993 gilt? Ist es richtig, dass der wesentliche Teil
des Zuzugs auf den enormen Anstieg der Asylbewerber-
zahlen Anfang der 90er-Jahre zurückzuführen ist, dass
wir im Jahre 1992 438 000 Asylbewerber hatten und dass
die Zahlen der Jahre 1990 und 1991 wesentlich niedriger
gewesen wären, wenn sich die SPD nicht viele Jahre ge-
weigert hätte, das Asylrecht so zu reformieren, wie es im
Interesse des Landes dringend notwendig gewesen wäre?


(Beifall bei der CDU/CSU)


Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Verehrter Kollege Bosbach, wenn Sie mir ge-
nau zugehört hätten, dann hätten Sie gemerkt, dass ich ge-
nau die Jahre, in denen auf dem Balkan die vier Kriege ge-
tobt haben, ausgelassen habe.


(Zurufe von der CDU/CSU: Darum geht es doch gar nicht! – Das ist keine Antwort!)


In dieser Zeit hat es in der Tat eine deutlich erhöhte Zu-
wanderung gegeben.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Es geht doch nicht um den Balkan!)


Diese erhöhte Zuwanderung hätte es mit oder ohne Asyl-
kompromiss gegeben; denn wenn Krieg vor der Haustür
ist, kommen die Menschen und suchen Schutz – egal, wel-
che Gesetze Sie machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Das ist keine Antwort gewesen!)


Wir hatten allerdings in den Jahren der Kohl-Regie-
rung eine hohe Zahl von Zuzügen durch die Spät-
aussiedlerzuwanderung. Das war politisch gewollt und
wurde von uns auch mit getragen. Wir haben versucht,
diese Zuwanderung zu gestalten. Aber man muss einfach
sagen: Die hohe Zahl von Zuzügen in dieses Land war po-
litisch gewollt und ist auch eine große Herausforderung
für dieses Land gewesen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Keine Ahnung hat die Frau!)


Was passiert nun mit dem neuen Gesetz? Es wird in der
Tat ein Türchen neu geöffnet; das ist die Arbeitszuwan-
derung. Die ist bisher verschämt mit der Anwerbestopp-
ausnahmeverordnung geregelt, bei der nicht einmal das
Parlament die Möglichkeit hat mitzubestimmen. Sie wird
in dem neuen Gesetz so geregelt, wie es sich für ein or-
dentliches Gesetz gehört. Die Zahl der Zuwanderer wird
sich durch dieses neue gesetzliche Türchen vermutlich in
einer Größenordnung von vielleicht plus oder minus
10 000 Menschen verändern. Alles andere im Gesetzent-
wurf ist übersichtlichere Gestaltung, Modernisierung und
Öffnung für ausländische Studenten, die wir hier im Land
ausbilden und die endlich bleiben können sollen, statt in
die USAgeschickt zu werden. Es ist Angleichung unseres
Flüchtlingsrechts an den Standard der Genfer Flücht-

lingskonvention und damit an Europa. Es ist Angleichung
an ein modernes europäisches Aufenthaltsrecht, weil
wir als Europäische Union zusammenwachsen.

Wenn Sie sich dem verstellen, dann verstellen Sie sich
tatsächlich der Aufgabe, endlich das Faktum, dass es Zu-
und Abwanderung in diesem Land immer geben wird, zu
akzeptieren, weil wir nicht zurück können in das Mittel-
alter.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Die Grünen bewegen sich doch im Mittelalter!)


Wir müssen diese Tatsache gestalten. Das tut dieses Ge-
setz, weil es Einwanderung endlich als Faktum anerkennt,
weil es die Integrationspolitik der Einwanderung an die
Seite stellt, was Sie versäumt haben. An diesen
Versäumnissen haben die Städte und Gemeinden bis heute
zu tragen. Das alles wird hier in einem Paket vorgelegt.

Wenn Sie sich dem verweigern, wollen Sie offensicht-
lich nur Obstruktion, dann wollen Sie offensichtlich mit
diesen Gefühlen in der Bevölkerung spielen. Ich weiß,
dass man an dieses Gefühl, es seien zu viele Ausländer im
Land, andocken kann, wenn man ordentlich auf die Tonne
haut. Aber ich sage Ihnen noch einmal: Es ist unverant-
wortlich, weil sämtliche sachlichen Debatten, die wir im
vergangenen Sommer alle gemeinsam in diesem Haus ge-
führt haben, von Tag zu Tag mehr verschüttet werden und
eine politische Regression stattfindet, die dieses Hauses
nicht würdig ist.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Die Rede war auch unwürdig!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422203800
Ich erteile das Wort
Kollegin Christa Riemann-Hanewinkel, SPD-Fraktion.


Christel Hanewinckel (SPD):
Rede ID: ID1422203900
Herr Präsi-
dent! Meine sehr geehrten lieben Kolleginnen und Kolle-
gen! Wir debattieren heute neben dem Zuwande-
rungsgesetz auch den Sechsten Familienbericht.


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Anke Fuchs)

Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie
den Sechsten Familienbericht, der in Ihrer Zeit von Ihrer
damaligen Ministerin Nolte in Auftrag gegeben worden
ist, gelesen hätten, würden Sie heute hier anders reden.
Dann würden Sie nämlich die Fakten, die in diesem Fa-
milienbericht stehen, nicht nur zur Kenntnis nehmen,
sondern auch dementsprechend handeln. Das würde be-
deuten, dass Sie dem heute vorliegenden Kompromiss un-
eingeschränkt hätten zustimmen müssen. Im Gegenteil:
Sie hätten mit Ihrem so genannten christlichen Familien-
verständnis eigentlich noch geradezu Verbesserungen von
der Koalition erzwingen müssen. Aber Sie haben genau
das Gegenteil getan.


(Sebastian Edathy [SPD]: Ignorant sind sie!)

Der Sechste Familienbericht hat sich die Aufgabe ge-

stellt, die Leistungen, Belastungen und Herausforderun-




Wolfgang Bosbach

22041


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(A)



(B)


gen Familien ausländischer Herkunft in Deutschland ge-
nau zu untersuchen. Der Bericht räumt vor allen Dingen
mit Vorurteilen auf, die vonseiten der Union im vergan-
genen Jahrzehnt gepflegt worden sind und auch heute
noch gepflegt werden.

Ich nenne nur zwei Vorurteile. Ein Vorurteil lautet:
Deutschland ist kein Einwanderungsland. Das sagen Sie
ja heute noch. Dieser Bericht macht aber deutlich, dass
Deutschland schon lange ein Einwanderungsland ist, dass
Sie es aber versäumt haben, mit entsprechenden Regula-
rien und Gesetzen – zum Beispiel einem Zuwanderungs-
gesetz – auf dieses Faktum zu reagieren. Wir aber tun das
heute.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Familienbericht räumt auch mit einem zweiten
Vorurteil auf. Dieses Vorurteil lautet, dass es sich bei den-
jenigen, die nach Deutschland kommen, um einzelne Per-
sonen handelt bzw. dass, wenn es Familien sind, diese
dann nur die deutschen Kassen und den deutschen Steu-
erzahler belasten würden.

Erstens ist Migration in Deutschland, nach Deutsch-
land und auch durch Deutschland hindurch nicht ein Phä-
nomen von Einzelpersonen, sondern von Familien. Mi-
gration ist ein Familienprojekt. Das stellt nicht nur der
Sechste Familienbericht fest, sondern auch die unabhän-
gige Kommission „Zuwanderung“. Aber Sie haben ja be-
reits deutlich gemacht, dass Sie dieser Kommission kei-
nen Wert beimessen. Sie hätten es vermutlich am liebsten
gesehen, wenn die Mitglieder Ihrer Partei dort nichts zu
sagen gehabt hätten. Trotzdem kommen Sie alle und auch
die deutsche Öffentlichkeit nicht daran vorbei, dass in
dem Bericht der Zuwanderungskommission Daten und
Fakten genannt sind, die wir für unser Einwanderungs-
gesetz genutzt haben.

Ich möchte jetzt auf das eingehen, was vor allem Fa-
milien und Frauen betrifft. Wenn Migration ein Familien-
projekt ist, das nicht innerhalb einer Generation abge-
schlossen ist, sondern mehrere Generationen umfasst,
dann bedeutet das, dass Familien ausländischer Herkunft
langfristige Perspektiven haben müssen. Wenn in Zukunft
Familien, die einwandern wollen, von vornherein wissen,
welche Bedingungen in Deutschland auf sie warten, dann
können sie ihre Zukunft nicht nur entsprechend planen,
sondern auch gestalten und wissen, was auf sie zukommt.

Ein nächster Punkt ist, dass in beiden Berichten deut-
lich festgestellt wurde, dass – bisher jedenfalls – die Fa-
milien ausländischer Herkunft in Deutschland und nicht
etwa die Bundesrepublik Deutschland den größten Bei-
trag zur Integration geleistet haben. Auch damit wird mit
unserem Zuwanderungsgesetz Schluss gemacht. Fami-
lien, die zuwandern wollen, wissen nicht nur, worauf sie
sich einlassen, sondern haben nun auch ein Recht auf
Integration, wie es in diesem Maße vorher nicht der Fall
war. Denn das bisherige Ausländergesetz sah keine Inte-
grationsmaßnahmen vor.

Ein weiterer Punkt: Das Zuwanderungsgesetz ist ein
großer Erfolg für Frauen, denn sie werden bei ge-
schlechtsspezifischer Verfolgung berücksichtigt, und

zwar im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Als
Vorsitzende des Ausschusses für Familien, Senioren,
Frauen und Jugend bin ich sehr enttäuscht darüber, dass
die Kolleginnen der CDU/CSU-Fraktion genau an dieser
Stelle unserem Gesetz nicht zustimmen, weil das eine
Forderung ist, die sie an anderer Stelle immer wieder er-
hoben haben und immer noch erheben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


All denen, die behaupten, Deutschland würde von
Frauen, die aus geschlechtsspezifischen Gründen verfolgt
werden und hierher kommen, geradezu überschwemmt,
ist entgegenzuhalten, dass maximal 1 000 Frauen jährlich
in Deutschland Zuflucht suchen. Nicht nur unser Grund-
gesetz, sondern auch unsere Verpflichtung gegenüber den
Menschenrechten, gebietet es, diesen Frauen Aufenthalt
zu gewähren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Da fühlt sich die CDU/CSU bedroht! – Ludwig Stiegler [SPD]: Ihr Beitrag zum Internationalen Jahr der Frau!)


Ein zweites frauenpolitisches Anliegen war es, dass
Frauen im Auswahlverfahren nicht benachteiligt werden.
Ginge es nämlich nur um schulische und berufliche Qua-
lifikation sowie um die Berufserfahrung des Zuwande-
rungsbewerbers, dann dürften in Zukunft nur noch Män-
ner nach Deutschland einwandern. Umgekehrt gilt, dass
es Frauen, die einwandern wollen, in Zukunft nicht zum
Nachteil gereichen darf, wenn sie Kinder erzogen oder
Familienangehörige gepflegt haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin froh, dass
es gelungen ist, im Bundesministerium der Justiz eine
Mitarbeiterin zu finden, die sich in der Lage sah, dieses
Zuwanderungsgesetz geschlechtsneutral bzw. an den Stel-
len, an denen es einfach notwendig war, geschlechts-
spezifisch zu formulieren. Gender Mainstreaming gilt
eben auch bei Gesetzestexten. Es wäre mehr als peinlich
gewesen, wenn ein neues Gesetz nur „mit Schlips und
Kragen“ in das Bundesgesetzblatt gekommen wäre. Da-
her sage ich von dieser Stelle aus schon jetzt ein herzli-
ches Dankeschön an diese Mitarbeiterin im Bundesjustiz-
ministerium. Frauen als Flüchtlinge oder Einwanderinnen
werden sich in Zukunft auch hiervon deutlich angespro-
chen fühlen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422204000
Ich erteile das Wort
der Kollegin Christa Lörcher.


Christa Lörcher (SPD):
Rede ID: ID1422204100
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Die Fragen um Zu-
wanderung und Integration sind für unser Land von
grundsätzlicher Bedeutung“; sie „bedürfen einer umfas-
senden Regelung“. So die Erklärung des Zentralkomitees
der deutschen Katholiken vom 11. Juni letzten Jahres. Die




Christel Riemann-Hanewinckel
22042


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(D)



(A)



(B)


„Frankfurter Rundschau“ stellt in einem Kommentar vom
26. Januar dieses Jahres unter der Überschrift „Austak-
tiert“ fest:

Die gemeinsame Anfangssilbe hatte einst für eine
enge Verbindung gestanden. Zuwanderung hat mit
Zukunft zu tun. Mit dieser Einsicht hatte vor einem
Jahr eine überfällige Debatte begonnen. Nicht ob,
sondern wie wir Einwanderung organisieren, ist eine
Schlüsselfrage unserer Gesellschaft. Darüber, nur
zur Erinnerung, herrschte schon einmal Konsens.

Diesen Konsens hätte es seit vielen Jahren geben kön-
nen. In der Enquete-Kommission „Demographischer
Wandel“wird jetzt in der dritten Legislaturperiode in der
Arbeitsgruppe Migration/Integration über Daten, Anfor-
derungen und Empfehlungen diskutiert und verhandelt.
Anfang 1998 waren wir in vielem weiter als heute; dann
kam der damalige Wahlkampf. Politik darf nicht nur bis
zur nächsten oder übernächsten Wahl planen, schon gar
nicht bei einem solchen Thema. Wir müssen weit darüber
hinaus denken und Vorschläge machen. Das hat die En-
quete-Kommission „Demographischer Wandel“ getan;
dafür meinen herzlichen Dank.

Bei der Diskussion um ein Zuwanderungsgesetz wird
von vielen betont, dass Begrenzung der Zuwanderung be-
sonders wichtig ist. Der Wanderungssaldo der ausländi-
schen Bevölkerung – das haben wir heute schon von Frau
Beck gehört – war in den 90er-Jahren sehr unterschied-
lich. In den Jahren 1997 und 1998 war er sogar negativ; in
dieser Zeit gab es also mehr Wegzüge als Zuzüge.

Charakteristisch für Deutschland sind sowohl Zuzüge
als auch Wegzüge in hoher Zahl. Unser Land ist ein Ein-
wanderungsland und ein Auswanderungsland.Von 1950
bis 2000 kamen über 30 Millionen Menschen in unser
Land; diese Zahl wurde schon genannt. Nicht gesagt
wurde, dass in dieser Zeit über 20 Millionen Menschen
aus unserem Land ausgewandert sind. Hätten wir diese
Wanderungen nicht gehabt, wären wir nicht nur weniger,
sondern unsere Gesellschaft wäre im Durchschnitt auch
älter.

Löst Migration die Probleme alternder Gesellschaften?
Sicher nicht. Aber Migration kann den Alterungsprozess
einer Gesellschaft abmildern oder verlangsamen.

Der Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg hat in
einem Gutachten im Auftrag des Landes Bayern ge-
schrieben:

Aufgrund des hohen Bevölkerungswachstums in den
geographisch benachbarten Regionen Europas ist in
Zukunft mit einem noch verstärkten Zuwanderungs-
druck nach Deutschland zu rechnen.

Will er damit Ängste schüren oder weiß er es nicht an-
ders? Die neuesten Daten des Europarats, veröffentlicht
vor zwei Monaten, stellen fest, dass es von den 43 Mit-
gliedstaaten des Europarates gerade noch zwei Länder
gibt, die ein natürliches Bevölkerungswachstum haben.
Das ist die Türkei mit 2,5 Geburten pro Frau und Island
mit rund 2,1. Viele andere Länder liegen weit darunter, so
auch Deutschland.

Andere Bevölkerungswissenschaftler wie Dieter
Oberndörfer betonen, dass beides nötig ist, Migration und
mehr Kinder. Das heißt, Familienpolitik muss so gut sein,
dass Kinder kein Armutsrisiko sind und dass die Verein-
barkeit von Familie und Beruf verbessert wird. Dazu ist
einiges gemacht worden; vieles wird sicher noch nötig
sein.

Der Sechste Familienbericht ist schon zitiert worden.
Er besagt, dass Familien ausländischer Herkunft ein „in-
tegraler Bestandteil“ der Bundesrepublik sind. Ferner
wird darauf hingewiesen, dass das Nachzugsalter 16 Jahre
– der Meinung ist auch die Europäische Kommission –
kritisiert werden muss und es bei 18 Jahren liegen müsste.

Um wie viele Kinder geht es eigentlich? Auch das ist
schon gesagt worden: Es geht um eine kleine Zahl; die
„Zeit“ spricht von 8 600 im Jahr. Ich frage: Können wir
nicht froh sein, wenn diese Kinder zu uns kommen wol-
len?

Der vorliegende Gesetzentwurf und die Änderungen
erfüllen sicher nicht alle unsere Wünsche. Es sind viele
Kompromisse gemacht worden, sowohl bei der Migration
aus humanitären Gründen als auch bei der arbeitsmarkt-
bedingten Zuwanderung. Manches fehlt völlig, zum Bei-
spiel Regelungen für die Menschen ohne legalen Aufent-
haltsstatus. Die Menschenrechte gelten für alle, auch und
besonders für sie. Niemand sollte bestraft werden, der ih-
nen bei der gesundheitlichen Versorgung oder bei der Bil-
dung ihrer Kinder hilft.

Trotz der Kompromisse und Unzulänglichkeiten ist es
sinnvoll und nötig, dieses Gesetz auf den Weg zu bringen
und in Bundestag und Bundesrat zu verabschieden. So
schreibt Stefan Vesper – ich zitiere noch einmal aus dem
Informationsdienst des Zentralkomitees der deutschen
Katholiken vom Dezember des letzten Jahres –:

Deshalb ist es jetzt an der Zeit, zu handeln und ein
Gesetz zu beschließen, das insbesondere den Anstoß
gibt und auch die finanziellen Voraussetzungen dafür
schafft, dass die Integration von Ausländern wirklich
gelingt.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422204200
Frau Kollegin, Ihre
Redezeit ist weit überschritten.


Christa Lörcher (SPD):
Rede ID: ID1422204300

Dazu gehört für das ZdK auch, die Familie als Ein-
heit zu sehen und das Nachzugsalter für Kinder ent-
sprechend hoch anzusetzen.

Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422204400
Nun erteile ich das
Wort der Kollegin Leyla Onur für die SPD-Fraktion.




Christa Lörcher

22043


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(A)



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Leyla Onur (SPD):
Rede ID: ID1422204500
Frau Präsidentin! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Es fällt mir schwer, Frau Prä-
sidentin, Sie ein wenig zu korrigieren, aber an dieser
Stelle und zu dieser Stunde tue ich das ganz bewusst.
Mein Vorname wird anders ausgesprochen, als Sie es ge-
tan haben. Es ist ein türkischer Name und man darf ihn ru-
hig türkisch aussprechen. Vielleicht passt diese Anmer-
kung ganz gut in diese Debatte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422204600
Vielen Dank für den
Hinweis, Frau Kollegin. Ich entschuldige mich bei Ihnen,
Frau Kollegin. Ich habe gedacht, ich lerne das nie; aber
jetzt habe ich es begriffen. Wunderbar.


Leyla Onur (SPD):
Rede ID: ID1422204700
Ich bitte um Nachsicht. – Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mir heute
Morgen natürlich die Rede des Kollegen Merz angehört.
Mir ist klar geworden, dass der Kollege Merz spielend mit
einer halben Minute Redezeit ausgekommen wäre, wenn
er nur das gesagt hätte, was er eigentlich hat sagen wollen.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Da sind wir aber gespannt!)


Er hätte einfach nur sagen müssen: Wir wollen kein Zu-
wanderungssteuerungsgesetz; wir wollen mit diesem
Thema Wahlkampf machen, Wahlkampf auf dem Rücken
der Migranten und Migrantinnen in diesem Land.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Genau das ist die Quintessenz Ihrer vollmundigen, lang-
atmigen Rede.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Onur, oh wenn Sie nur ruhig geblieben wären!)


Der verehrte Kollege Glos hat das noch ergänzt, hat
aber im Grunde nichts anderes gesagt als: Wir, die
CDU/CSU, wollen kein Zuwanderungssteuerungsgesetz;


(Michael Glos [CDU/CSU]: Wir wollen ein Begrenzungsgesetz!)


wir wollen Wahlkampf auf dem Rücken der Menschen
machen. – Das war nämlich die Aussage. Auch die stän-
dig wiederholte Behauptung – heute von Herrn Glos, aber
auch von Herrn Beckstein, nachzulesen in der gestrigen
Ausgabe der, glaube ich, „Frankfurter Allgemeinen Zei-
tung“ –, dieses Zuwanderungssteuerungsgesetz würde zu
einer Ausweitung der Zuwanderung führen,


(Zuruf von der CDU/CSU: Recht hat er!)

Zigtausende würden pro Jahr nach hierher zusätzlich zu-
wandern, ist und bleibt eine Lüge. Sie wissen das.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Herr Müntefering hat von 300 000 gesprochen!)


Das ist ja das Infame. Indem Sie diese Lüge ständig wie-
derholen, schüren Sie Ängste in der Bevölkerung. Genau
das wollen Sie. Sie wollen im Grunde den Deutschen, ins-

besondere denjenigen, die Arbeit suchen, sagen: Schaut
euch das an! Diese Bundesregierung und die sie tragen-
den Koalitionsfraktionen wollen Arbeitsmigranten auf
eure Kosten in das Land holen; ihr seid arbeitslos und
trotzdem werden Ausländer angeworben! Mit dieser von
Ihnen immer wieder öffentlich geäußerten Behauptung
schüren Sie Angst und erzeugen Sie Misstrauen.

Im Gegenteil ist wahr:

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einen
wichtigen und richtigen Schritt getan, der längst notwen-
dig war. Wir haben uns von der Regelung zum Anwerbe-
stopp verabschiedet. Diese war 1973 durchaus richtig und
angemessen. Aber damals – ich möchte es freundlich for-
mulieren – standen aufgrund von Zeitnot und Zwängen
noch nicht solche klaren, transparenten und für jeden ver-
ständlichen Regelungen wie die unseres jetzigen Gesetz-
entwurfs zur Verfügung.

In den §§ 18, 19 und 20 wird anstelle eines Anwerbe-
stopps und einer Anwerbestoppausnahmeverordnung
klar, transparent und für jeden Mann und jede Frau ver-
ständlich geregelt, unter welchen Bedingungen in Zu-
kunft Arbeitsmigration stattfinden kann, und zwar im
Hinblick auf die Interessen der Bundesrepublik Deutsch-
land. Es geht um unsere wirtschaftlichen und gesell-
schaftlichen Interessen. Angesichts dessen sagen nicht
nur böse Zungen: Ihr wollt ja nur diejenigen, die ihr
braucht. – In der Tat haben wir mit den §§ 18, 19 und 20
Regelungen geschaffen, die sicherstellen, dass nur dieje-
nigen zuwandern, die wir brauchen. Diese Regeln sind
aber so klar und verständlich, dass sie auch von denjeni-
gen verstanden werden, die beabsichtigen, zu uns zu
kommen.

Wir brauchen – ich weiß natürlich nicht genau, wann
das sein wird – die Zuwanderung von ganz bestimmten
Arbeitskräften. Wir brauchen bald – das haben wir in § 19
geregelt – die Zuwanderung von Höchstqualifizierten.
Aber selbst bei dieser Gruppe wird genauestens geprüft
werden, wie viele wann einwandern dürfen; denn – das
muss ich an dieser Stelle deutlich sagen – für uns steht an
erster Stelle, die Menschen, die schon in Deutschland le-
ben, also die Inländer, für die Arbeitsplätze fit zu machen
– hier ist sicherlich die Wirtschaft als Erste gefordert; aber
selbstverständlich ist auch die Arbeitsmarktpolitik gefor-
dert –, die zurzeit angeblich nicht zu besetzen sind.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Job-Aqtiv-Gesetz!)

Das hat absoluten Vorrang. Erst wenn in dieser Hinsicht
alles unternommen worden ist, wird die Zuwanderung
von Höchstqualifizierten aus dem Ausland zugelassen
werden.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Da hören sie weg! – Sebastian Edathy [SPD]: Herr Glos, hören Sie mal zu!)


Im Rahmen eines Auswahlverfahrens werden – das
wird wahrscheinlich erst sehr viel später der Fall sein –
andere Einwanderer eine Niederlassungserlaubnis nur er-
halten, wenn wir sie brauchen. Wann genau das sein wird,
wissen weder Sie, Herr Glos, noch ich. Niemand kann das






(C)



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(A)



(B)


verbindlich vorhersagen. Wenn wir aber tatsächlich Spit-
zen- und Fachkräfte brauchen werden, dann werden wir
sie im Rahmen eines geregelten Verfahrens – ich sage das
ganz bewusst; man kann auch „zulassen“ sagen – anwer-
ben. Das ist wichtig für diese Gesellschaft und für die Zu-
kunft Deutschlands. Deshalb werden wir dem vorlie-
genden Gesetzentwurf heute zustimmen. Wenn Sie ihm
nicht zustimmen, dann schaden Sie Deutschland.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422204800
Nach der Rede der
Kollegin Leyla Onur erteile ich nun das Wort dem Bun-
desinnenminister Otto Schily.


Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1422204900
Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren Kollegen!


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Kolleginnen auch!)


Wir haben eine historische Chance, ein Problem, das sich
über Jahrzehnte aufgestaut hat, einer vernünftigen Lösung
zuzuführen. Wir dürfen diese historische Chance nicht
versäumen; denn sie wird so schnell nicht wieder-
kommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Hinter uns liegt eine kurvenreiche Strecke. Wir sind
jetzt in der Zielgeraden. Herr Kollege Stadler, ich habe
Verständnis dafür, dass Sie mit dem Endspurt vielleicht
nicht so ganz einverstanden sind. Wenn ich noch in der
Opposition wäre, dann hätte vielleicht auch ich eine kriti-
sche Bemerkung gemacht.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Das können Sie bald wieder haben!)


Ich bitte Sie einfach um Verständnis dafür, dass dieser
Endspurt unter den Bedingungen, unter denen dieses Ge-
setzgebungswerk zustande gekommen ist, nicht vermeid-
bar war. Ich hätte das gerne vermieden.


(Beifall des Abg. Dr. Uwe Küster [SPD])

Ich habe mir über zwei Jahre wahrlich große Mühe ge-

geben, diejenigen Überlegungen, die in allen politischen
Lagern entstanden und die durchaus positiv einzuschät-
zen sind, so zusammenzubringen, dass daraus ein moder-
nes, flexibles und den humanitären Prinzipien gerecht
werdendes Zuwanderungsgesetz entstehen kann. Ich
möchte mich an dieser Stelle besonders bei Frau Profes-
sor Süssmuth für ihre herausragende Arbeit bedanken, die
hierbei eine wichtige Unterstützung war.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS] – Ludwig Stiegler [SPD]: Die CDU/CSU ist die Fraktion der eingeschlafenen Hände!)


Ich habe keine Mühe gescheut: Ich habe Ministerprä-
sidenten und Ministern die Schönheiten bayerischer Klös-
ter gezeigt. Ich habe ihnen auch eine gute bayerische Brot-

zeit serviert. Ich habe manchmal meine Stimmbänder
überbeansprucht, wofür ich mich nachträglich entschul-
dige.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Angenommen!)

Ich habe sogar die Vermutung gehabt, in der Opposition
seien Persönlichkeiten, die mit dem nationalen Liedgut be-
sonders vertraut seien und das Lied „Das Wandern ist des
Müllers Lust“ kennten. Aber leider habe ich mich getäuscht:
Weder der saarländische Ministerpräsident noch Herr Glos
haben meine Erwartungen erfüllt. Nur die Vorsitzende der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen tut dies.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Unlustgefühle, die Sie verbreiten wollen, sind bei die-
sem Thema kein guter Ratgeber.

Wir haben uns von folgenden Überlegungen leiten las-
sen – ich will sie aufzählen –: Die Begrenzung der Zu-
wanderung unter Berücksichtigung der Aufnahmefähig-
keit und der Bereitschaft der Bundesrepublik Deutschland
muss das Ziel des Gesetzes sein. Die Wahrnehmung der
humanitären Verpflichtungen Deutschlands muss das Ziel
des Gesetzes sein. Die Steuerung der Zuwanderung unter
Berücksichtigung der nationalen Interessen, also auch der
arbeitsmarktpolitischen Interessen, muss das Ziel des Ge-
setzes sein. Die Ausgestaltung der Zuwanderung unter
Beachtung des Integrationszieles muss das Ziel des Ge-
setzes sein. – Das alles schlägt sich in § 1 dieses Gesetz-
entwurfes nieder. Es stimmt mit dem überein, was im Pa-
pier der von Ministerpräsident Müller geleiteten
Kommission formuliert worden ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ludwig Stiegler [SPD]: Hört! Hört! PISA: Die können nicht lesen!)


Wir haben uns ferner an folgendem Grundsatz orien-
tiert:

... wenn trotz erhöhter Ausbildungsleistungen der
Betriebe und verstärkter Umschulungs- und
Qualifizierungsanstrengungen der Arbeitsverwal-
tung freie Arbeitsplätze nicht besetzt werden können,
dann muss dies negative Folgen für die wirtschaftli-
che Entwicklung unseres Landes haben. Eine gesteu-
erte Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte liegt da-
her durchaus im Interesse unserer Volkswirtschaft
und damit des gesamten Landes.

Ich habe erwartet, dass Sie Beifall zollen; denn ich habe
wortwörtlich aus dem Bericht der Müller-Kommission
vorgetragen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wenn das Gesetz so wäre, würden wir auch klatschen!)


Aber Sie können es nicht mehr hören.
Gerade zur Sicherung wissenschaftlicher Spitzen-
leistungen, hoher Innovationskraft und wirtschaftli-
cher Dynamik muss Deutschland offen sein für
ausländische Fachkräfte, Unternehmer und Wissen-
schaftler. Weltoffenheit ist Voraussetzung für heraus-




Leyla Onur

22045


(C)



(D)



(A)



(B)


ragende Leistungen in allen Bereichen, nicht nur im
Sport.

Das war wiederum ein Originalzitat aus dem Papier der
Müller-Kommission, dessen Inhalt durch unser Gesetz
verwirklicht werden kann. Sie verweigern sich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wer „die Besten“ gewinnen will, muss sie – und ihre
Familien –

– ich betone: und ihre Familien –
mit offenen Armen und ohne Ressentiments aufneh-
men und ihnen in der Bundesrepublik eine dauer-
hafte, attraktive Arbeits-, aber auch Lebensperspek-
tive bieten.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist alles kein Widerspruch!)


Meine Damen und Herren, wie wahr! Wiederum Ori-
ginalzitat aus dem Bericht der Müller-Kommission. Wir
haben es realisiert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Von wegen!)

Zuwanderung aus legitimen nationalen Interessen
und Zuwanderung aus humanitären Gründen müssen
in einer vernünftigen Balance gehalten werden.

Auch das haben wir geregelt.
Ein letzter Satz aus dem Bericht der Müller-Kommis-

sion.

(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Ach so! Ich habe schon gehofft, es ist Schluss!)


– Ich könnte auch alles vorlesen, Herr Zeitlmann; Sie ha-
ben es wahrscheinlich nie gelesen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie leiden ohnehin an Leseschwäche. Sie sind ein Beweis
für die Ergebnisse der PISA-Studie, Herr Zeitlmann, und
das ist traurig.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Was soll die Unverschämtheit? Herrenreiter! – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ausfallend wird er!)


Noch ein Satz also:
Die Frage lautet nicht:

– Originalzitat aus dem Bericht der Müller-Kommission;
hören Sie mal gut zu! –

Zuwanderung – ja oder nein, sondern: Zuwanderung –
weitgehend ungeregelt wie bisher oder geregelt und
begrenzt.

Das ist die Alternative. Sie entscheiden sich für die unge-
regelte Zuwanderung,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


für den Massenzustrom an einer Stelle, an der wir es gar
nicht wollen,


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Von wegen!)

und gegen die wirtschaftlichen Interessen. Wir entschei-
den uns für Zuwanderungsregelung,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Begrenzung und Zulassung von Zuwanderung da, wo es
für unser Land entscheidend ist.


(Beifall bei der SPD – Michael Glos [CDU/ CSU]: Da lachen ja die Hühner! Das glauben Sie doch selber nicht!)


Meine Damen und Herren, alles, was Sie vortragen, er-
weist sich als Ausflüchte und Vorwände.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Warten Sie mal ab, bis Herr Bosbach kommt!)


Sie verschanzen sich hinter Ihren Vorurteilen. Sie haben
eine panische Angst vor dem Konsens.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sie haben eine panische Angst vor den Wählern!)


Sie sind auf der Flucht vor der Verantwortung. Sie bewei-
sen Ihre Technikfeindlichkeit dadurch, dass Sie nicht ein-
mal in der Lage sind, die Bretter vor Ihren Köpfen abzu-
montieren.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU)


Sie manipulieren die Zahlen. Sie – Herr Merz an aller-
erster Stelle – verfälschen tagtäglich den Inhalt des Ge-
setzes.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ja, ja! Darauf wird Ihnen Herr Bosbach gleich antworten! – Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Machen Sie weiter so! Das ist schön! – Michael Glos [CDU/CSU]: Das bringt Wähler!)


Sie behaupten, Sie könnten dem Gesetz nicht zustimmen.
Die Wahrheit ist eher: Sie wollen dem Gesetz partout
nicht zustimmen


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


oder – noch etwas genauer gesagt; gehen wir der Sache
einmal auf den Grund –


(Zuruf von der SPD: Sie dürfen nicht!)

Sie dürfen nicht wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen des Abg. Friedrich Merz [CDU/CSU])


Sie dürfen nicht wollen, weil sich der Kandidat Stoiber
auf die Rolle des Grantlers und Nörglers festgelegt hat


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das hätten Sie gern!)





Bundesminister Otto Schily
22046


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und sich mit Händen und Füßen gegen einen vernünftigen
Kompromiss sträubt.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Sagen Sie was zu den Inhalten, Herr Schily!)


Mit Sträuber-Stoiber können Sie aber nicht beweisen,
dass man Ihnen guten Gewissens eine Regierungsbeteili-
gung anvertrauen darf.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Machen Sie doch nicht so viel Reklame!)


Wer sich einer verantwortlichen Politik verweigert, wer
blockiert und der Vernunft den Weg zu versperren ver-
sucht, hat kein Vertrauen verdient.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Das ist gelesene Pöbelei! – Michael Glos [CDU/CSU]: Der Bundeskanzler ist auch schon übergelaufen!)


Die einst so stolze CDU/CSU-Fraktion bietet heute
wirklich ein trostloses, ein klägliches Bild.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU)


Was Sie veranstalten, ist keine Opposition, sondern reine
Obstruktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Machen Sie mal weiter so! Wenn Sie so weitermachen, werden Sie den Bayerischen Verdienstorden aberkannt bekommen!)


Sie wollen starrsinnig auf niemanden hören, nicht auf
Dieter Hundt von der Bundesvereinigung der Deutschen
Arbeitgeberverbände, nicht auf den Bundesverband der
Deutschen Industrie, nicht auf die Gewerkschaften, nicht
auf den DGB-Vorsitzenden Schulte, nicht auf den Präsi-
denten des Deutschen Industrie- und Handelskammerta-
ges, Herrn Braun,


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Nicht auf Schily!)


nicht auf Herrn Philipp vom Zentralverband des Deut-
schen Handwerks, nicht auf den UNO-Flüchtlingskom-
missar, nicht auf die Vernünftigen in Ihren Reihen, nicht
auf das Deutsche Rote Kreuz, nicht auf den Deutschen
Städtetag, nicht auf den Deutschen Städte- und Gemein-
debund


(Michael Glos [CDU/CSU]: Nur auf den Wähler!)


und nicht auf die Mehrheit des Volkes, die – schauen Sie
auf die heutige Umfrage! – ein vernünftiges Zuwande-
rungssteuerungsgesetz will.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Stattdessen versuchen Sie, Herr Glos, sich hier mit ei-
nem klassenkämpferischen Pathos als Spät-68er aufzu-
führen.


(Lachen bei der CDU/CSU)


Dabei haben Sie aber zu erkennen gegeben, dass Ihnen
jeglicher wirtschaftliche Sachverstand inzwischen abhan-
den gekommen ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Der läuft wirklich zur Hochform auf!)


Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie wol-
len auf niemanden hören.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Machen Sie noch ein bisschen weiter so!)


Aber überhaupt nicht mehr verstehen kann ich, dass Sie
auch nicht mehr auf die Kirchen hören,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Michael Glos [CDU/CSU]: Ich gehe zur Beichte!)


die Sie eindringlich mahnen, sich dem Zuwanderungsge-
setz nicht in den Weg zu stellen. Die Worte von Kardinal
Lehmann und von Präses Kock verhallen und beein-
drucken Sie nicht.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Alle exkommunizieren!)


Man braucht Sie nur anzuschauen, um festzustellen, dass
Sie das überhaupt nicht mehr beeindruckt, was einer der
herausragenden Kardinäle unseres Landes, Kardinal
Lehmann, und was Präses Kock sagen.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Ich zahle immer noch Kirchensteuer! Der Großteil der Regierungsbank nicht!)


Sie müssen es sich gefallen lassen, dass Kardinal
Sterzinsky Ihre Anträge als Schande brandmarkt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn Sie noch eine Spur von Ehrgefühl hätten, dann wür-
den Sie sich dafür schämen, dass ein Kardinal die Anträge
der CDU/CSU, die früher einmal stolz das „C“ im Na-
mensschild führte, als Schande bezeichnet.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sehr souveräner Auftritt, Herr Minister!)


Warum können Sie denn die hoffentlich noch vorhan-
denen Restbestände wirtschaftlicher Kompetenz und hu-
manitärer Verantwortung nicht mobilisieren?


(Michael Glos [CDU/CSU]: Wir sind hier nicht bei einem Terroristenprozess! Sie könnten sich eines anderen Tones befleißigen!)


Versuchen Sie doch einmal, diese Dinge, wenn Sie sie
verlegt haben, wieder aufzustöbern. Dann geht Ihnen viel-
leicht das Licht auf, dass Sie auf einen schlammigen
Holzweg geraten sind. Kommen Sie zurück auf den gera-
den Weg der Vernunft und der Verantwortlichkeit, damit
der Weg frei wird für die Reform des Zuwanderungs-
rechtes, die den wohlverstandenen Interessen unseres
Volkes entspricht: den wirtschaftlichen, aber auch den




Bundesminister Otto Schily

22047


(C)



(D)



(A)



(B)


sozialen. Stimmen Sie zu, damit die Wirtschaft agieren
kann, damit Arbeitsplätze entstehen können, damit trau-
matisierte Menschen nicht von Tag zu Tag oder Monat zu
Monat in Angst leben müssen, damit Frauen, die verfolgt
werden und hier Schutz suchen, einen vernünftigen Auf-
enthaltsstatus bekommen und damit wir alle noch in den
Spiegel schauen können, wenn wir uns fragen, ob wir die
humanitären Prinzipien gewahrt haben. Ich glaube, das
wäre an der Zeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Zeitlmann [CDU/ CSU]: Welchen Spiegel?)


Die Zeichen der Zeit, meine Damen und Herren, ge-
bieten, dass wir ein Gesetz auf den Weg bringen, das zwar
unter Schmerzen zustande gekommen ist – das ist sicher-
lich nicht zu bestreiten –,


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Die hat man Ihnen heute angehört!)


das aber zugleich die Möglichkeiten bietet, Zuwanderung
in Zukunft so zu gestalten, dass die Menschenrechte
gewahrt werden und die wirtschaftliche Entwicklung un-
seres Landes positiv beeinflusst wird.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Selten so viel Dummheit auf einen Schlag!)


Ich bitte Sie alle noch einmal, in sich zu gehen,

(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Nach der Rede?)

und Sie von der CDU/CSU, Ihre Entscheidung zu über-
denken und dem Gesetz zuzustimmen.


(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422205000
Als letztem Redner in
dieser Debatte erteile ich das Wort dem Kollegen
Wolfgang Bosbach.

Wolfgang Bosbach (CDU/CSU) (von der CDU/CSU
mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine sehr geehr-
ten Damen und Herren! Herr Minister Schily, Sie müssen
hier gar nicht so herumbrüllen. Wir sind hier nicht in
Ihrem Ministerium, wir sind hier im Deutschen Bundes-
tag.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Peter Dreßen [SPD]: Was soll das jetzt?)


Wer gute Argumente hat, muss nicht holzen, der kann mit
der Kraft der Argumente überzeugen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)


Tatsache ist: Dieser Innenminister ändert auch in puncto
Zuwanderung seine Meinung schneller, als sich ein Pro-
peller drehen kann, und beschimpft heute jene, die das sa-
gen, was er selber noch bis vor kurzem als richtig und
wahr verkündet hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)


18. November 1998, Originalton Schily:
Die Grenzen der Belastbarkeit durch Zuwanderung
sind überschritten. Auch ein Zuwanderungsgesetz
kann daran nichts ändern; denn die darin festzule-
gende Quote müsste auf null gesetzt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

„Süddeutsche Zeitung“, 7. Januar 1999:
Frage: Die Wirtschaft sagt, dass sie Zuwanderer
benötigt.
Schily: Wenn mir Siemens sagt „Wir brauchen so
und so viele“, bin ich sofort bereit. Da brauchen wir
kein Zuwanderungsgesetz. Das gehe schon mit dem
geltenden Ausländergesetz.


(Beifall bei der CDU/CSU)

„Die Zeit“:
Frage: Ist es nicht anachronistisch, dass bis heute nur
die Opfer staatlicher Verfolgung Asyl erhalten?
Schily: Wenn das Leben dieser Menschen daheim
konkret bedroht ist, schicken wir sie nicht zurück.
Die Sache droht sonst auszuufern. Wo wollen Sie die
Grenze für nicht staatliche Verfolgung ziehen?


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Menschen in diesem Lande erwarten, dass der

Innenminister diejenigen, die das zitieren, was er früher
selber als richtig erkannt hat, nicht beschimpft; sie er-
warten vielmehr einen standhaften und prinzipienfesten
Innenminister. Den können sie haben, aber erst nach dem
22. September. In dieser Wahlperiode bekommen sie
einen solchen nicht mehr.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Frau Kollegin Onur, das mit der Lüge würde ich mir
sehr gut überlegen.


(Sebastian Edathy [SPD]: Stimmt aber!)

In der Begründung zu Ihrem Gesetzentwurf heißt es:

Zu den öffentlichen Interessen gehören im Gegensatz
zum geltenden Ausländergesetz nicht länger eine
übergeordnete ausländerpolitische einseitige Grund-
entscheidung der Zuwanderungsbegrenzung oder der
Anwerbestopp.

Sie heben mit diesem Gesetz den seit 1973 geltenden
Anwerbestopp auf. Die Begrenzung der Zuwanderung
soll nicht länger im öffentlichen Interesse liegen. Sie be-
haupten, als Ergebnis würde das die Zuwanderung nicht
erhöhen. Das ist die glatte Unwahrheit. Die Menschen
wissen das.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Kollege Veit, Sie haben in Ihrer Rede gesagt, wir

würden um des Prinzips willen, um der Opposition willen
Nein sagen, und behaupten, selbst wenn wir Ihre 16 Kern-
forderungen übernähmen, würden wir Nein sagen. Ich
mache Ihnen das Angebot: Nehmen Sie unsere 16 Kern-




Bundesminister Otto Schily
22048


(C)



(D)



(A)



(B)


forderungen an und wir werden sofort zustimmen! Sie
wollen das aber nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Heute noch!)


Sie haben gesagt, wir hätten auf die Kollegen in unse-
rer Fraktion, die anderer Meinung sind, Druck ausgeübt,
was nicht gut sei. Das war auch von Kollege Özdemir ges-
tern in der Sendung „Berlin Mitte“ zu hören. Wir hätten
uns gefreut, wenn Rita Süssmuth, Heiner Geißler und
Christian Schwarz-Schilling mit der Fraktion gestimmt
hätten. Wir respektieren aber, dass sie eine andere Auffas-
sung haben. Der Fraktionsvorsitzende hat in der Sitzung
am Dienstag ausdrücklich darum gebeten, dass auf die
Kollegen keinerlei Druck ausgeübt werde.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Warum reden die heute nicht!)


Ich komme nun zu etwas, was infam ist. Sie, Herr Kol-
lege Veit, haben am 16. November im Deutschen Bun-
destag – es ging in der Debatte um den Afghanistan-Ein-
satz und die Beteiligung beim Kampf gegen den
internationalen Terrorismus – gesagt:


(Rüdiger Veit [SPD]: Haben wir schon gehört! – Gegenruf des Abg. Michael Glos [CDU/CSU]: Das kann man nicht oft genug sagen!)

Das war eine Gewissensentscheidung. Wir standen in
einem Konflikt, den wir nicht gewollt haben, sondern
der uns leider aufgezwungen worden ist.

Darunter ist der Zwischenruf von Herrn van Essen zu le-
sen: „Also doch Erpressung!“


(Sebastian Edathy [SPD]: Sprechen Sie noch zur Sache, Herr Kollege? – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Nun zur Zuwanderung!)


Frau Kollegin Müller, Sie haben hier mit gespielter
Empörung gesagt, Sie könnten uns gar nicht verstehen;
die Koalition sei uns so weit entgegengekommen, dass
wir eigentlich zustimmen müssten, ein sachlich begrün-
detes Argument für unsere Ablehnung gebe es nicht. Sie
selber haben als Damendoppel mit der Vorsitzenden Roth
nach der Pressekonferenz mit dem Bundeskanzler gesagt,
das Gesetz sei im Kern unverändert. Genau so ist es!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wo Sie Recht haben, haben Sie Recht. Aber wenn Sie sich
in der Sache nicht substanziell bewegt haben, können Sie
von uns nicht verlangen, dass wir zustimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Sebastian Edathy [SPD]: Können Sie sich denn noch in der Sache äußern, Herr Kollege?)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422205100
Herr Kollege
Bosbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Müller?


Wolfgang Bosbach (CDU):
Rede ID: ID1422205200
Ja.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422205300
Bitte sehr.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Herr Kollege Bosbach, darf ich Sie darauf auf-
merksam machen, dass ich auf dieser Pressekonferenz
– ich weiß noch sehr genau, was ich dort gesagt habe – wie
auch heute im Deutschen Bundestag sehr deutlich darge-
stellt habe, in welchen Punkten wir Ihnen entgegenge-
kommen sind und dass das Gesetz in der Substanz natür-
lich bei seiner modernen und humanitären Ausrichtung
bleibt.


(Lachen bei der CDU/CSU)

– Da brauchen Sie gar nicht zu lachen. Ich habe nicht ge-
sagt – das hat er gerade behauptet –, das Gesetz sei un-
verändert geblieben.

Könnten Sie daher bitte zur Kenntnis nehmen, dass wir
Veränderungen vorgenommen haben, etwa indem wir das
Nachzugsalter abgesenkt haben und indem wir im Be-
reich der Zuwanderung die Begrenzung ins Gesetz ge-
schrieben haben? Könnten Sie bitte zur Kenntnis nehmen,
dass wir Ihre Anträge – etwa, es dürfe keine Orientierung
am regionalen Arbeitsmarkt geben und Selbstständige
dürften sich nur unter bestimmten Bedingungen nieder-
lassen – aufgenommen haben? Aber natürlich werden wir
nicht im Kern aus einem Zuwanderungsgesetz ein Aus-
wanderungsgesetz machen, wie manche Anträge von Ih-
nen es nahe legen. Nur das habe ich gesagt. Sind Sie be-
reit, das zur Kenntnis zu nehmen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Wolfgang Bosbach (CDU):
Rede ID: ID1422205400
Frau Kollegin
Müller, ich danke Ihnen für die lange Frage, weil sie mir
die Möglichkeit gibt, ohne Anrechnung auf die Redezeit
lange zu antworten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Richtig, Sie haben in der Pressekonferenz gesagt, Sie

hätten sich auf die Union zubewegt, allerdings nicht von
der Stelle weg; im Kern bleibt alles so, wie es ist.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie behaupten schon wieder etwas Falsches!)


Ich sage Ihnen noch einmal: Da haben Sie Recht.
Beispiel Begrenzung. Wir haben gesagt, es genügt

nicht, einen Paragraphen voranzustellen, in dem zur Be-
gründung der Behauptung, die Zuwanderung würde nicht
ausgeweitet, die Überschrift wiederholt wird, wenn sich
aus der Addition der übrigen Vorschriften unzweideutig
ergibt, dass im Gesetz das Gegenteil geregelt sein wird.
Das ist der Grund. Es genügt nicht, in einem Paragraphen
das Gegenteil von dem zu behaupten, was in der Folge im
Gesetz steht.


(Sebastian Edathy [SPD]: Frage ist beantwortet!)


Zweites Beispiel: Kindernachzugsalter.Das geltende
Recht sieht 16 Jahre vor, die nicht bei Beherrschung der
deutschen Sprache gelten. Der ursprüngliche Gesetzent-
wurf hatte die Altersgrenze auf 14 Jahre reduziert, aber




Wolfgang Bosbach

22049


(C)



(D)



(A)



(B)


auch die Sprachanforderung auf nur noch „ausreichende
deutsche Sprachkenntnisse“ gesenkt. Jetzt haben Sie sich
scheinbar auf die Union zubewegt, indem Sie zwar das
Nachzugsalter auf zwölf Jahre reduziert haben, aber
gleichzeitig nur noch das Regelbeispiel „Kenntnisse der
deutschen Sprache“ aufgenommen,


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist im jetzigen Gesetz auch so!)


mit der Folge, dass in der ausländerrechtlichen Praxis
nicht die Senkung des Nachzugsalters, sondern die He-
raufsetzung auf 18 Jahre die Folge sein wird. Das ist der
Grund.


(Beifall bei der CDU/CSU – Sebastian Edathy [SPD]: Was sind Sie so familienfeindlich und kinderfeindlich, Herr Kollege?)


– Herr Kollege, Sie sagen, das sei familienfeindlich. Sie
haben offensichtlich eine völlig falsche Vorstellung da-
von, was dem Wohle der Familie und insbesondere der
Kinder dient. Es geht nicht um das Zuzugsalter, es geht
um das Nachzugsalter, es geht um das Lebensschicksal
derjenigen ausländischen Kinder, die von ihren Eltern, in
der Regel zur Vermeidung von Verwestlichung, ins Her-
kunftsland zurückgeschickt werden, um dort erzogen zu
werden und zur Schule zu gehen. Wenn Sie glauben, dass
das dem Kindeswohl dienen würde, haben wir in dieser
Hinsicht eine völlig unterschiedliche Vorstellung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie preisen es als humanitäre Errungenschaft, wenn die

Eltern in Deutschland und ihre kleinen Kinder in der Tür-
kei leben.


(Sebastian Edathy [SPD]: So ein Quatsch!)

Wir sagen, die Kinder sollen mit ihren Eltern gemeinsam
in Deutschland leben; sie sollen hier die deutsche Sprache
lernen, weil das dem Wohl der Kinder dient, nicht die Er-
ziehung in einem anderen Land.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Nein, ich lasse keine weiteren Zwischenfragen zu.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422205500
Der Redner lässt
keine weiteren Zwischenfragen zu. Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich möchte noch bemerken: Es ist auch
sinnvoll, dass jetzt keine Zwischenfragen mehr zugelas-
sen werden.


(Unruhe bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


– Ich will das als Präsidentin begründen: Es dient dem Ab-
lauf der Debatte; schließlich warten schon alle auf die Ab-
stimmung.

Bitte sehr, Herr Bosbach, Sie haben das Wort.


Wolfgang Bosbach (CDU):
Rede ID: ID1422205600
Frau Kollegin
Müller, es ist nicht richtig, dass Sie die regionale Be-
trachtung des Arbeitsmarktes aufgegeben haben. Das ist
gerade der Unterschied zwischen uns – wir sind entschie-
den anderer Auffassung –: Sie sind der Meinung, dass nur
der regionale Arbeitsmarkt betrachtet werden müsste, um
zu entscheiden, ob wir einen Zuwanderungsbedarf haben
oder nicht.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir doch geändert!)


Wir sagen: Angesichts von 4,3 Millionen Arbeitslosen
– Tendenz steigend – und knapp 2 Millionen Menschen
auf dem zweiten Arbeitsmarkt müssen wir bundesweit
zunächst einmal die Arbeitslosen in Brot und Arbeit brin-
gen, bevor wir weitere Zuwanderung in die Bundesrepu-
blik Deutschland organisieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass Sie sich mit die-
ser Vorschrift nicht auf die Wirtschaft und auch nicht auf
den DGB berufen können. Sowohl die Arbeitgeberver-
bände als auch der Deutsche Gewerkschaftsbund


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Begrüßen das Gesetz!)


lehnen diese Vorschrift ausdrücklich ab.

(Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was erzählen Sie für einen Müll?)


Hinsichtlich Ihres Hinweises auf die Aussage von Kar-
dinal Sterzinsky


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Eine Schande, hat er gesagt!)


und die Meinung der Kirche sage ich: Diejenigen, die hier
herumpöbeln, wären glaubwürdiger, wenn sie auch beim
Schutz des ungeborenen Lebens auf die Kirche hören
würden. Aber dann haben Sie mit der Kirche gar nichts am
Hut.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Unter Ihrem Niveau!)


Sie sagen, Deutschland müsse sich endlich dazu be-
kennen, ein Einwanderungsland zu sein, wir müssten un-
sere Grenzen weiter öffnen, die Menschen würden mobi-
ler und die Grenzen verlören an Bedeutung. Es geht doch
nicht um die Frage, ob wir Zuwanderung haben werden.
Wir haben bereits Zuwanderung und wir werden sie auch
in Zukunft haben. 31 Millionen Menschen sind nach dem
Zweiten Weltkrieg nach Deutschland gekommen; 22 Mil-
lionen Menschen haben unser Land verlassen.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Richtig!)

Nach der Wiedervereinigung sind 12Millionen Menschen
in unser Land gekommen; 10 Millionen Menschen haben
unser Land verlassen. Selbst die Vereinigten Staaten von
Amerika hatten nicht eine so hohe Zuwanderung wie die
Bundesrepublik Deutschland. Warum loben Sie denn




Wolfgang Bosbach
22050


(C)



(D)



(A)



(B)


nicht endlich einmal die gewaltige Integrationsleistung,
die wir in den letzten Jahrzehnten erbracht haben?


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das haben wir doch gemacht!)


Warum stellen Sie unser Land immer in eine bestimmte
Ecke?

Es geht doch nur um die Frage – darum dreht sich der
politische Streit –, ob wir über den ohnehin hohen Zu-
wanderungsdruck hinaus noch mehr Zuwanderung nach
Deutschland sowohl aus humanitären Gründen als auch
aus Gründen, die mit dem deutschen Arbeitsmarkt zu tun
haben, zulassen sollen.


(Sebastian Edathy [SPD]: Taktik!)

Die Zahl der Menschen, die wir jedes Jahr in unsere Ge-
sellschaft integrieren müssen, liegt in der Größenordnung
der Einwohnerzahl von Städten wie Nürnberg oder Dort-
mund. Es gibt doch unübersehbare Integrationsprobleme
in vielen Teilen unseres Landes. Glauben Sie denn ernst-
haft, wir könnten diese Probleme mit mehr Zuwanderung
lösen? Wir haben keinen Mangel an Zuwanderung. Wir
haben einen erkennbaren Mangel an Integration.


(Beifall bei der CDU/CSU – Sebastian Edathy [SPD]: Das wollen wir ja ändern, Herr Kollege! Und Sie blockieren!)


Sie sagen der deutschen Wirtschaft, dass Sie ihren
Wünschen nach mehr ausländischen Arbeitnehmern
Rechnung tragen würden – und erweitern die Bleibe-
rechte aus humanitären Gründen.


(Sebastian Edathy [SPD]: Das ist doch völlig isoliert!)


Sie erweitern den Familiennachzug. Sie heben den An-
werbestopp auf und wollen die Zuwanderung aus demo-
graphischen Gründen. Trotzdem sagen Sie, dass alles dies
im Ergebnis nicht zu mehr Zuwanderung führen würde.
Das glauben wir Ihnen nicht und das glaubt Ihnen auch die
Bevölkerung nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie können Politik gegen die Opposition machen; Sie

haben die Mehrheit. Sie können auch, wie das jetzt bei
diesem Gesetz der Fall ist, gegen eine breite Mehrheit in
der Bevölkerung Politik machen. – Das geht zwar meis-
tens nicht lange gut;


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das werden wir ja sehen!)


aber man kann es ja einmal versuchen. – Aber Sie können
doch nicht gegen die Realität, wie sie sich in den Zahlen
widerspiegelt, Politik machen.


(Sebastian Edathy [SPD]: Sie machen gegen jede Vernunft Politik! Unvernünftig sind Sie!)


Ich warne davor, die Menschen in unserem Land
– 76 Prozent der Bevölkerung wollen nicht mehr Zuwan-
derung, 72 Prozent der Wähler der Grünen wollen nicht
mehr Zuwanderung, 73 Prozent der Wähler der SPD wol-
len nicht mehr Zuwanderung –


(Sebastian Edathy [SPD]: An der Sache vorbei!)


in eine rechte Ecke zu stellen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Sebastian Edathy [SPD]: Sie schüren Ängste!)

Wir müssen die Sorgen der Menschen ernst nehmen.

Wir wissen schon, dass wir unter Druck stehen; das ist
hier angesprochen worden. Natürlich, auch wir sehen im
Fernsehen und lesen in der Presse, dass wir diesem
Gesetzentwurf zustimmen sollen. 76 Prozent der Bevöl-
kerung wollen nicht mehr Zuwanderung. Vermutlich sind
jedoch 76 Prozent aller Kommentatoren der Auffassung,
dass die Bevölkerung falsch liegt.


(Sebastian Edathy [SPD]: Herr Bosbach, Sie reden wider besseres Wissen!)


Es gibt einen erheblichen Unterschied zwischen der öf-
fentlichen und der veröffentlichten Meinung.


(Beifall bei der CDU/CSU –Sebastian Edathy [SPD]: Sie waren einmal ganz vernünftig!)


Mich würde einmal interessieren, ob all die Kommenta-
toren und Redakteure, die für mehr Zuwanderung nach
Deutschland plädieren,


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Wir wollen steuern und begrenzen!)


in Stadtvierteln mit überwiegend ausländischer Bevölke-
rung wohnen. Die Probleme werden doch je nach Umfeld
ganz unterschiedlich wahrgenommen.


(Sebastian Edathy [SPD]: Das ist verantwortungslos, was Sie da machen! – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Demagogische Rede!)


Sie unterstellen uns, wir würden über dieses Thema
nicht ausführlich und sachlich, sondern unter wahltakti-
schen Gesichtspunkten sprechen. Wenn wir uns in
Deutschland entschließen würden, nicht mehr über das
Thema Zuwanderung zu sprechen, begingen wir einen ka-
pitalen Fehler, weil wir dieses Thema den Rechtsradika-
len überlassen würden. Genau das sollten wir nicht tun.


(Beifall bei der CDU/CSU – Sebastian Edathy [SPD]: Der Zündler warnt vor Brandstiftung! Das ist doch nicht zu fassen!)


Sie können von uns nicht verlangen, dass wir einem
Gesetzentwurf zustimmen, der nicht den Interessen des
Landes dient und der die Probleme auf dem Arbeitsmarkt
und die der Integration nicht löst, sondern verschärft.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das ist Ihre Wahrnehmung! – Sebastian Edathy [SPD]: Nehmen Sie einmal die Scheuklappen ab!)


Es ist nicht nur das Recht der Opposition, zu einer solchen
Politik Nein zu sagen; es ist unsere Pflicht.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Hinsetzen!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422205700
Der Herr Bundes-
kanzler hat darum gebeten, das Wort zu erhalten. Ich
weise darauf hin, dass die Debatte damit wieder eröffnet
wird. Im Anschluss daran ist für die CDU/CSU eine
Redezeit von fünf Minuten und für die drei kleineren




Wolfgang Bosbach

22051


(C)



(D)



(A)



(B)


Fraktionen eine Redezeit von je drei Minuten vorgesehen.
Sind Sie damit einverstanden? – Dann ist die Debatte wie-
der eröffnet.

Der Herr Bundeskanzler hat das Wort.


(von der SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen mit Beifall begrüßt)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Ich will nur wenige Bemerkungen zu dem machen,
worum es mir und uns gegangen ist, als wir einen Kom-
promissvorschlag gemacht haben, der es nach meiner
Auffassung – ich denke, dies ist nicht nur meine Auf-
fassung – erlauben sollte, dass dieser Gesetzentwurf, der
heute beschlossen werden wird, seine Wirksamkeit er-
langt.


(Unruhe bei der CDU/CSU)

Um seine Wirksamkeit zu erlangen,


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Präsidentin, man hört nichts!)


brauchen wir nicht nur die Mehrheit des Deutschen Bun-
destages.


(Zurufe von der SPD: Ruhe!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422205800
Herr Bundeskanzler,
einen Augenblick bitte! – Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, es gehört zum parlamentarischen Brauch, dass man
dem Redner auch in einer solch heftigen Debatte bis zum
Schluss zuhört. Darum bitte ich jetzt alle Beteiligten hier
im Deutschen Bundestag.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der PDS)


Ich bitte auch darum, dass alle ihre Plätze wieder einneh-
men. Vielleicht haben Sie noch nicht bemerkt, dass wir
uns noch nicht in der Abstimmung befinden. Gleich wird
Frau Merkel sprechen, anschließend kommt noch jeweils
ein Vertreter der anderen Fraktionen zu Wort. Die Debatte
geht also weiter. Ich bitte um ein bisschen Disziplin!

Der Bundeskanzler hat jetzt das Wort.


Gerhard Schröder (SPD):
Rede ID: ID1422205900
Ich wollte deut-
lich machen, verehrte Frau Präsidentin, dass dieser Ge-
setzentwurf, der heute beschlossen wird, auch eine Mehr-
heit im Bundesrat braucht, um seine Wirksamkeit zu
erlangen. Ich möchte Ihnen gerne sagen, dass wir die
Kompromisse, die wir gemacht haben und die ganz unbe-
streitbar sind, nicht nur deswegen gemacht haben, um Ih-
nen im Bundestag, sondern natürlich auch, um den Lan-
desregierungen im Bundesrat die Zustimmung zu
ermöglichen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte gerne deutlich machen, dass wir mit diesem
Gesetzentwurf nicht die Hoffnung verbinden – ich jeden-

falls nicht, Herr Bosbach –, dass damit die Debatte über
Zuwanderung beendet sei, egal ob im Wahlkampf oder
außerhalb des Wahlkampfes. Diese Debatte kann man
nicht mit einem Gesetz beenden. Das liegt doch auf der
Hand. Die Diskussion über die Fragen, die unser Volk und
damit uns angehen, wird also weitergehen. Ich hoffe, dass
sie in einer sachlichen Atmosphäre geführt werden kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wer seine Angst darüber zum Ausdruck bringt, wir woll-
ten eine Diskussion beenden, die dann von Rechtsradika-
len weitergeführt werden könnte, dem muss ich sagen:
Diese Angst ist unberechtigt. Die Demokraten in diesem
Land werden diese Debatte miteinander führen. Ich hoffe,
sie führen sie sachlich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – HansPeter Repnik [CDU/CSU]: Das haben wir zwei Stunden lang in Ihrer Abwesenheit gemacht!)


Zweite Bemerkung: Der Gesetzentwurf, der Ihnen vor-
liegt, stellt eine sorgfältige Balance zwischen dem, was
für unser Land wirtschaftlich geboten ist, und dem, was
wir humanitär um unser selbst willen realisieren müssen,
dar. Diese Balance kommt zum Beispiel dadurch zum
Ausdruck, dass wir es für richtig halten, dass Frauen
– auch wenn sie nicht staatlich verfolgt sind –, die Angst
haben, verstümmelt zu werden, die um Leib und Leben
fürchten müssen, wie wir das in Afghanistan und an-
derswo erlebt haben, bei uns Zuflucht finden können. Wer
wollte dem ernsthaft widersprechen?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Steht im Gesetz, ist doch geregelt!)


Das, was in diesem Gesetzentwurf geregelt wird, geht
ausdrücklich nicht über jene Grundsätze hinaus, die in der
Genfer Flüchtlingskonvention niedergeschrieben sind.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Die gilt doch schon immer!)


Deshalb bitte ich Sie, zu akzeptieren, dass dies zwar un-
serer humanitären Verpflichtung genügt, ihr aber nur
dann gerecht wird, wenn wir eine solche Fassung des Ge-
setzentwurfes verabschieden und miteinander dafür sor-
gen, dass dieser Gesetzentwurf Wirklichkeit wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zum wirtschaftlich Gebotenen gehört auch, der Forde-
rung nach mehr Internationalität in unserer Gesellschaft
– auch um unserer wirtschaftlichen Entwicklung willen –
ebenso gerecht zu werden wie den Vorrang aufrechtzuer-
halten, dass es auf dem Arbeitsmarkt natürlich zuerst um
diejenigen geht, die bei uns als Deutsche Arbeit suchen.
Aber der Gesetzentwurf stellt genau diese Balance her.
Deswegen ist er zustimmungsfähig und – so hoffe ich –
wird Gesetz werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)





Vizepräsidentin Anke Fuchs
22052


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir stehen nicht vor der Alternative, ob wir Zuwande-
rung bekommen oder nicht. Wir haben sie doch in den
ganzen Jahrzehnten gehabt. Die Alternative, die sich uns
bietet, lautet: Wollen wir mit einem Gesetz Zuwanderung
sinnvoll begrenzen, unsere ökonomischen Interessen
wahren und unsere humanitären Verpflichtungen erfül-
len? Oder wollen wir es weiter so laufen lassen, wie es
bisher gelaufen ist?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich denke, wer Verantwortung für Deutschland wahr-
nehmen will oder wahrnimmt, der muss ein Interesse da-
ran haben, dass wir den Prozess, den wir – ob wir ihn nun
wahrnehmen wollen oder nicht – in der Wirklichkeit ha-
ben, endlich sinnvoll steuern. Dazu gehört natürlich auch,
dass wir ihn begrenzen können.

Ich komme zu meiner letzten Bemerkung. Ich habe die
herzliche Bitte, dass in den folgenden Wochen bis zur
Bundesratsentscheidung weiterhin über die Inhalte des
Gesetzes geredet wird. Es darf aber nicht dazu kommen
– ich will dies jedenfalls nicht –, dass der Bundesrat als
ein Ort missbraucht wird


(Lachen bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Unverschämt!)


– nun warten Sie doch erst einmal ab! –, an dem ein Zwei-
kampf zwischen dem Kandidaten und dem Bundeskanz-
ler stattfindet; darum geht es nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Es wäre besser gewesen, Sie wären dieser Debatte weiterhin ferngeblieben!)


Nach dem, was geschrieben wurde – ich habe es mir an-
geschaut –, mache ich mir Sorgen, dass in den nächsten
Tagen und Wochen nicht mehr über das Gesetz, sondern
nur noch über die Frage, wer bei der Abstimmung im
Bundesrat gewinnt oder nicht, geredet wird. Das würde
dem Gesetz nicht gerecht werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Wie bei der Steuerreform in der letzten Wahlperiode!)


All denjenigen, die davor Angst haben, sage ich: Ich
glaube nicht, dass die Bundestagswahl am 22. September
durch die Entscheidung im Bundesrat – unabhängig da-
von, welche Landesregierung zustimmt oder nicht – in der
einen oder anderen Weise vorentschieden wird. Mir liegt
daran, aus dieser personalisierten Auseinandersetzung
herauszukommen.


(Michael Glos [CDU/CSU]: So ein Quatsch! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


– Es mag ja sein, dass das bei Ihnen nicht der Fall ist. Ver-
stehen Sie aber bitte, dass mir etwas an dem Gesetz liegt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie müssen sich im Übrigen keine Sorgen machen.
Diese Form der Auseinandersetzung – auch eine sehr per-

sonalisierte – wird es geben. Davor haben wir nicht die
geringste Angst. Seien Sie sich dessen ganz sicher.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Er sagt „wir“, wenn er von sich spricht! Das ist anmaßend! Wie der Papst!)


Ich fände es aber falsch, wenn die Wirksamkeit dieses Ge-
setzes, das ich in des Wortes wahrster Bedeutung für not-
wendig halte, davon abhinge, wer bei der Abstimmung im
Bundesrat als Person gewinnt. Das möchte ich vermeiden.

Meine Damen und Herren, deshalb bitte ich darum und
appelliere an Sie, heute diesem notwendigen Gesetz zu-
zustimmen und alles dafür zu tun, dass in den nächsten Ta-
gen und Wochen über die Inhalte geredet und die
Auseinandersetzung in der zweiten Kammer nicht für an-
dere Zwecke missbraucht wird.


(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422206000
Ich erteile der Kolle-
gin Dr. Angela Merkel das Wort.

Dr. Angela Merkel (CDU/CSU) (von der CDU/CSU
mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Herr Bundeskanzler, Sie haben Recht: Dies ist
eine wichtige Debatte. Dieses Thema bewegt uns alle in
unserer globalen Welt gleichermaßen.

Weil es in Deutschland einen Regelungsbedarf gibt, hat
sich die Union in den vergangenen Monaten und Jahren
intensiv mit diesem Thema beschäftigt.


(Sebastian Edathy [SPD]: Vor allem konstruktiv!)


Im Übrigen haben wir dies als erste Partei getan.

(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Die FDP war die erste! – Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Seit wann ist die CDU/CSU die FDP?)


– Darüber brauchen wir jetzt keinen Streit zu führen; wir
haben es getan. – Wir haben für die Integration der heute
bei uns lebenden ausländischen Bürgerinnen und Bürger
– dies halte ich für den Frieden in unserer Gesellschaft für
zentral – als erste ein vollständiges Konzept vorgelegt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Bundeskanzler, Sie werden mir zustimmen, dass

wir uns bei der Integration der bei uns lebenden Bürge-
rinnen und Bürger nicht in einer Balance befinden.
Friedrich Merz hat heute morgen darauf hingewiesen,
dass die Arbeitslosigkeit bei den ausländischen Jugendli-
chen doppelt so hoch ist wie die Arbeitslosigkeit bei de-
nen, die deutscher Herkunft sind. Das muss uns umtreiben
und darauf muss dieser Gesetzentwurf zuallererst eine
Antwort geben. Diese Antwort gibt er nach unserer Mei-
nung nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das Ergebnis der 16 Jahre!)





Bundeskanzler Gerhard Schröder

22053


(C)



(D)



(A)



(B)


Der Gesetzentwurf, den Sie vorgelegt haben, zeichnet
sich – so weit noch richtigerweise – dadurch aus, dass er
zwei Gruppen von Zuwanderung berücksichtigt, und zwar
zum einen die humanitären Fälle und zum anderen die
Fälle des Arbeitsmarktes. Bei den humanitären Fällen ha-
ben wir uns genauso wie Sie weiter zum Art. 16 des Grund-
gesetzes verpflichtet und wir verpflichten uns ebenso wie
Sie, die Genfer Flüchtlingskonvention einzuhalten, wie
das alle Länder dieser Welt, die vernünftig sind, tun.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ludwig Stiegler [SPD]: Dann können Sie doch zustimmen!)


– Herr Stiegler, Sie haben in den letzten Wochen wirklich
genug herumgeschrien.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Michael Bürsch [SPD]: So ist das hier im Hohen Hause!)


Es wird aber niemand bestreiten, dass Sie in einer rela-
tiv künstlichen Formulierung im Gesetzentwurf nicht von
der Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention reden,
sondern „in Anwendung der ...“ sagen und dann die Sach-
verhalte erweitern. Das ist der Punkt, über den wir streiten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das Gesetz nicht gelesen!)


Herr Bundeskanzler, wenn Sie heute Morgen schon
hätten anwesend sein können,


(Zuruf von der SPD: Wo waren Sie denn?)

dann hätten Sie gehört, dass Friedrich Merz ausdrücklich
darauf hingewiesen hat, dass in Fragen von Einzelfällen
humanitärer Schicksale, die es in unserem Lande in der
Tat gibt, mit uns darüber zu reden ist, wie wir diese Fälle
lösen können.


(Rüdiger Veit [SPD]: Dann können Sie doch zustimmen!)


Es geht aber nicht mit generalistischen Klauseln. Das will
ich ausdrücklich sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Da gibt es nur eines: die blaue Stimmkarte!)


Es stellt sich die Frage – das ist das eigentlich Neue und
die interessante Situation, der wir uns alle in den vergan-
genen Jahren nicht geöffnet hatten –: Gibt es die Not-
wendigkeit derZuwanderung aus eigenen deutschen In-
teressen und nicht nur aus Gründen der Humanität, denen
wir uns verpflichtet fühlen?


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Die Antwort lautet Ja!)


Diese Frage haben wir gemeinsam mit Ja beantwortet, wir
haben sie aber insofern unterschiedlich beantwortet, als es
um unsere Interessen geht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ludwig Stiegler [SPD]: Bluecard in Bayern! – Sebastian Edathy [SPD]: Dann können Sie heute nicht Nein sagen! – Christoph Matschie [SPD]: Wenn das so ist, dann stimmen Sie doch zu!)


Ich sage Ihnen, dass wir in der Bundesrepublik
Deutschland seit 1972 eine Entwicklung haben, dass sich
die Zahlen der ausländischen Bürgerinnen und Bürger, die
bei uns leben, mehr als verdoppelt haben, während die
Zahl derer, die sozialversicherungspflichtige Beschäfti-
gungsverhältnisse haben, geringer ist als 1972.


(Ludwig Stiegler [SPD]: 16 Jahre Kohl!)

Das heißt, es hat eine Zuwanderung in die sozialen
Sicherungssysteme gegeben und nicht in den Arbeits-
markt. Diese Entwicklung muss umgekehrt werden. Es
muss gesteuert werden. Deshalb sagen wir: Es muss eine
richtige Steuerung der Zuwanderung nach Deutschland
geben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Bundeskanzler, es ist doch unstrittig, dass wir bei

Fachpersonal – Ingenieuren oder Technikern – durchaus
Bedarf haben


(Joseph Fischer, Bundesminister: Aha!)

und dass wir mehr Studenten brauchen. Auf diesem Feld
haben Sie mit Ihrer Greencard einen relativ lockeren
Vorschlag gemacht, bei dem eine Sache sehr interessant
war. Es hat sich nämlich gezeigt, dass von 20 000 mögli-
chen Informatikern gerade mal 5 000 gekommen sind,
weil die Arbeitsbedingungen in Deutschland so sind, dass
kein Interesse besteht, hier zu arbeiten. Das ist das Pro-
blem, das uns umtreiben muss.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ludwig Stiegler [SPD]: 10 000 haben wir schon begrüßt! – Sebastian Edathy [SPD]: Am Thema vorbei! Sie reden an der Sache vorbei! Weitere Zurufe von der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422206100
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, auch in der Schlussphase dieser Debatte
bitte ich um ein bisschen Disziplin. – Frau Kollegin
Merkel, Sie haben das Wort.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Die Zahlen müssen stimmen!)



Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1422206200
Meine Damen und
Herren, die Wahrheit ist doch, dass die 20 000 Plätze für
Informatiker gar nicht ausgeschöpft sind


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Noch nicht vollständig, aber die Zahl wächst!)


und inzwischen wegen der Konjunkturlage mehr Infor-
matiker entlassen worden sind, als überhaupt zu uns ge-
kommen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir müssen deswegen doch gar nicht schreien, sondern
wir sollten lieber versuchen, die Bedingungen an unseren
Hochschulen und die Bedingungen für die Forschung zu
verbessern. Das können wir an anderer Stelle machen.


(Beifall bei der CDU/CSU)





Dr. Angela Merkel
22054


(C)



(D)



(A)



(B)


Meine Damen und Herren, was Sie jetzt bei der
Arbeitsmarktzuwanderung machen, das ist eine unspe-
zifische Regelung, die nach unserer Meinung eben gerade
nicht sicherstellt, dass die Steuerung der Zuwanderung in
den Arbeitsmarkt wirklich stattfindet. Wir haben die
Sorge, die Befürchtung und auch die sichere Erkenntnis,
dass hier wieder eine Zuwanderung in die sozialen Siche-
rungssysteme stattfinden wird. Das ist der Grund dafür,
dass wir Nein sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das sieht die Wirtschaft ganz anders!)


Da Sie uns vielleicht nicht sofort glauben, muss ich Sie
einfach noch einmal an das erinnern, was die Bundesver-
einigung der Deutschen Arbeitgeberverbände zusammen
mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund Ihnen noch in die
Ausschussberatungen hinein geschickt hat, nämlich dass
der geplante § 39 des Aufenthaltsgesetzes geändert wer-
den muss. Es heißt wörtlich:

Die Vorschrift sieht in ihrer derzeitigen Fassung vor,
dass die örtlichen Arbeitsämter jeweils nach Ermes-
sen ihr eigenes Zuwanderungsprogramm festlegen
können.

(Rüdiger Veit [SPD]: Deswegen haben wir es doch geändert! Auf Ihren Vorschlag! – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Frau Dr. Merkel, es ist geändert! Lesen Sie den neuen Entwurf!)

Aufgrund wechselnder regionaler und politischer
Interessenlagen werden auf diese Weise unvorher-
sehbaren und willkürlichen Entscheidungen Tür und
Tor geöffnet.

(Beifall bei der CDU/CSU – Ludwig Stiegler [SPD]: Die ist von vorgestern!)

Das haben sie nicht im Januar geschrieben, sondern das
haben sie jetzt aufgrund der Veränderung geschrieben.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Das haben wir doch geändert! „Regional“ ist gestrichen!– Dr. Michael Bürsch [SPD]: Wir haben verstanden! Das ist alles geändert!)


Sie haben nichts weiter geändert, als dass Sie das Beneh-
men mit den Landesarbeitsämtern, die übrigens der Bun-
deskanzler abschaffen will, herstellen. Sonst haben Sie
nichts geändert und Sie haben die Bedingungen des DGB
und der BDA nicht erfüllt.

Herr Bundeskanzler, Sie haben gesagt, Sie möchten,
dass die weitere Diskussion sachlich geführt wird. Wir
sind an dieser sachlichen Diskussion interessiert.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Sie haben gesagt, Sie möchten nicht, dass der Bundesrat
missbraucht wird. Genau daran sind auch wir interessiert.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es gibt für den Bundesrat ganz einfache Verfahrensvor-
schriften: Koalitionsregierungen haben Verträge abge-
schlossen, nach denen werden die Entscheidungen gefun-

den. Insofern sehe ich der Debatte sehr gelassen und sehr
ruhig entgegen.


(Sebastian Edathy [SPD]: Seit wann sind Sie Ministerpräsidentin?)


Herr Bundeskanzler, wenn Sie Interesse an einer Lö-
sung haben, was Sie hier noch einmal dargestellt haben,
dann wundert mich allerdings, dass Sie hier Vorschläge
eingebracht haben und als Erstes haben erklären lassen:
Den Vermittlungsausschuss wird die Bundesregierung
aber auf gar keinen Fall anrufen. Was hat das mit einer
sachlichen Diskussion zu tun, Herr Bundeskanzler?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422206300
Frau Kollegin
Merkel, bei aller Großzügigkeit, Sie müssen bitte zum
Schluss kommen.


Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1422206400
Deshalb, Herr Bun-
deskanzler, kann ich Ihnen nur sagen: An uns soll es nicht
liegen.


(Lachen bei der SPD – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Nur Mut, Frau Merkel! – Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch ein bisschen Vermittlungsausschuss, da kommt bestimmt etwas heraus!)


Falls Ihr Redebeitrag zum Ende der heutigen Debatte den
Sinn und den Zweck hatte, noch einmal deutlich zu ma-
chen, dass weder Druck ausgeübt noch eine unsachliche
Diskussion geführt werden soll und Sie, so wie wir, keine
Angst vor dem Austauschen unterschiedlicher Argumente
haben,


(Zuruf von der SPD: Sie haben doch überhaupt nichts zur Sache gesagt!)


weil immer es um die Interessenlage der Bundesrepublik
Deutschland geht, dann machen wir dabei gerne mit.


(Sebastian Edathy [SPD]: Lesen Sie einmal den Redebeitrag von Herrn Glos nach!)


Wir haben in der Bevölkerung viel Verständnis für unsere
Position; dessen bin ich mir ganz sicher.

Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422206500
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Cem Özdemir für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen.


Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422206600
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Merkel, wis-
sen Sie, was das Sympathische an Ihrer Rede war? – Man
merkte bei jedem Satz: Sie hätten ja eigentlich gewollt.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn ich mich hier umsehe, sehe ich viele Kollegen, die
ich in sieben Jahren im Bundestag kennen gelernt habe




Dr. Angela Merkel

22055


(C)



(D)



(A)



(B)


und von denen ich genau weiß, dass sie es besser wissen.
Sie haben sich den Gesetzentwurf angeschaut und wissen,
dass vieles von dem, was hier gesagt wurde, nicht mit dem
übereinstimmt, was in dem Entwurf steht. Sie würden
gerne zustimmen, dürfen es aber aus Gründen, die uns al-
len bekannt sind, nicht. Ich bedaure Sie sehr dafür.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Meine Damen und Herren, am 1. Januar 2000 trat ein
bedeutendes Gesetz in der Bundesrepublik Deutschland
in Kraft. Das ist bekanntlich das Staatsangehörigkeits-
recht. Damals wurde das Geburtsrecht in der Bundesre-
publik Deutschland eingeführt.


(Dirk Niebel [FDP]: Das war unser Vorschlag!)


Wir sind damit ein europäisches Land geworden, weil wir
eine wichtige Sache durchgeführt haben.


(Dirk Niebel [FDP]: Unsere Idee war das!)

– Mit Unterstützung von Ihnen. Freuen Sie sich, dass Sie
auf der richtigen Seite standen. – Damals stand die
CDU/CSU auf der falschen Seite. Ich weiß, dass es viele
von Ihnen bereuen. Heute sind Sie aber dabei, denselben
Fehler noch einmal zu machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie stehen auf der falschen Seite. Sie verhindern ein Gesetz,
das die Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften, Unterneh-
mer, Kirchen und alle vernünftigen Kräfte in der Gesell-
schaft – darunter auch viele Christdemokraten – wollen.
Helfen Sie mit, dass ein Gesetz, das dazu beiträgt, dass künf-
tig alle, die zu uns kommen, Deutsch lernen, verabschiedet
wird. Was haben Sie dagegen, dass Migrantinnen und Mi-
granten künftig Deutsch lernen, wenn sie zu uns kommen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Lächerlich!)


Helfen Sie mit, dass dieses Gesetz durchgesetzt wird. Die
Eltern, die Lehrerinnen und Lehrer und die Schülerinnen
und Schüler wollen es. Ich verstehe nicht, was man dage-
gen haben kann.

Aber eines ist ein bisschen unfair. Wenn man während
seiner Regierungszeit etwas nicht durchgeführt hat, das
dann andere machen – auch wenn es vielleicht zu wenig
ist, weil nicht mehr Mittel zur Verfügung stehen –, und
man dann sagt, das reiche nicht, erscheint mir das ein biss-
chen wohlfeil. Sie hätten es besser machen können, haben
das aber nicht getan.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir beginnen damit. Helfen und unterstützen Sie uns!
Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass wir später
mehr Geld haben und mehr für die Sprachkurse tun kön-
nen. Aber nichts tun ist nicht mehr als zu wenig tun.
Nichts tun ist immer weniger, meine Damen und Herren.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Lieber nichts als etwas Falsches, Herr Özdemir!)


Ich habe leider nur wenig Zeit.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Was heißt hier lei der? Unerträgliche Eitelkeit!)

Aber ich möchte noch auf eines hinweisen. Je weiter wir
in den Wahlkampf kommen, desto stärker wird das Argu-
ment vertreten: Die Ausländer sind stärker von Arbeitslo-
sigkeit betroffen und beziehen häufiger Sozialhilfe. Pro-
fessor Birg, der Bevölkerungswissenschaftler aus
Bielefeld, wird in diesem Zusammenhang gern zitiert.
Aber an eines sollten Sie sich erinnern, meine Damen und
Herren. Ich meine das ernst. Als die Anwerbeabkommen
geschlossen worden sind, haben nicht die Grünen regiert
– uns gab es damals noch nicht –, auch die SPD nicht. Sie
haben regiert, als die Anwerbeabkommen geschlossen
worden sind, aufgrund deren beispielsweise meine Eltern
in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind. Da-
mals wurden Leute in der Schwerindustrie, im Bergbau,
unter Tage und in der Stahlindustrie gesucht. Diese Leute
sind bewusst ausgesucht worden, weil sie ungelernte Ar-
beitskräfte waren. Weil nicht in sie investiert wurde und
weil sie nicht aus- und weitergebildet wurden, sind sie
heute teilweise stärker von Arbeitslosigkeit betroffen. Da-
raus kann man ihnen aber keinen Vorwurf machen,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das sind doch nicht die aus den 50erund 60er-Jahren! Die sind doch in den letzten zehn Jahren gekommen!)


weil wir damals keine Konzepte für Integration hatten und
man ihnen nicht Deutsch beigebracht hat. Das kann man
ihnen heute nicht zum Vorwurf machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Was wir mit dem Gesetz wollen, ist, aus den Fehlern zu
lernen und künftig bei der Einwanderung einen Fahrplan
zur Integration vom ersten Tag der Einreise an zur Verfü-
gung zu stellen. Helfen Sie uns mit, damit durchgesetzt
wird, worauf alle in der Gesellschaft warten!

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422206700
Für die PDS-Fraktion
erteile ich dem Kollegen Roland Claus das Wort.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1422206800
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, Sie
haben sich unerwartet entschlossen, eine Ansprache an
die Fraktion der CDU/CSU zu halten und dafür das Ple-
num des Bundestags zu wählen. Ich erkläre mir das ein
wenig damit, dass Sie möglicherweise die harsche Rede
Ihres Bundesinnenministers dazu veranlasst hat, der hier
in einer Weise mit der Union umgegangen ist, wie es von
ihm auch nicht anders zu erwarten war. Insofern habe ich
ein gewisses Verständnis für Ihr Verhalten, Herr Bundes-
kanzler.




Cem Özdemir
22056


(C)



(D)



(A)



(B)


Aber wir haben auch eines gemerkt. Die Union beein-
druckt es offenbar relativ wenig, wenn man ihr nach dem
Mund redet. Von Frau Merkels Rede ist nur eine einzige
Botschaft übrig geblieben,


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Die würde auch gerne zustimmen!)


nämlich dass Humanität und Menschenrechte nur dann
gewünscht sind, wenn es uns in den Kram passt.


(Beifall bei der PDS – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das sagt der Richtige!)


Mit dieser Überlegung passt es nicht zusammen, dass Sie
sich immer als Lehrmeister in Sachen Humanität und
Menschenrechte aufspielen.

Die CDU/CSU hat natürlich Recht, wenn sie auf das
Kleingedruckte in diesem Gesetz verweist und sagt, es
gebe viele Ausgestaltungsmöglichkeiten. In der vor uns
liegenden öffentlichen Debatte und erst recht in den be-
vorstehenden Wahlkämpfen geht es natürlich nicht um
das Kleingedruckte, sondern darum, wie die Dinge ver-
einfacht und vergröbert interpretiert werden. Hier wün-
sche ich mir noch immer, dass wir als Parlament nicht für
Verklärung und Stimmungsmache, sondern für Auf-
klärung in diesem Lande sorgen. Diese Hoffnung gebe ich
auch nicht auf.


(Beifall bei der PDS – Michael Glos [CDU/ CSU]: Klärt erst einmal eure Gaunereien alle auf!)


Allerdings ist es nicht damit getan, dass Herr Merz er-
klärt, die Probleme der Arbeitslosigkeit seien mit Zuwan-
derung nicht zu lösen. Dass das so ist, ist völlig klar. Aber
es in dieser Verknüpfung zu bringen, bedeutet, die Sorgen
und Nöte von Arbeitslosen gegenüber den Sorgen und
Nöten von Zuflucht Suchenden auszuspielen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Da Sie, Frau Merkel, hier den Platz 1 für sich rekla-
miert haben, sage ich Ihnen: Die CDU/CSU nimmt den
Platz 1 nur auf den Feldern Realitätsverdrängung, Ab-
schottungsabsicht und Stimmungsmache ein. Das ist lei-
der Ihre Bilanz.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, die PDS hat sich mit eige-
nen Vorschlägen in die Diskussion um ein modernes Ein-
wanderungsrecht eingebracht. Das, worüber wir heute ab-
zustimmen haben, stellt uns nicht zufrieden; das haben
wir deutlich zum Ausdruck gebracht. Aber auch hier se-
hen wir natürlich Möglichkeiten für Nachbesserungen,
die auf den Weg gebracht werden können.


(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422206900
Als vorläufig Letz-
te in der Aussprache hat die Kollegin Leutheusser-
Schnarrenberger das Wort.


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1422207000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Debatte hat auch gezeigt, dass es einen guten Politiker
auszeichnet, in seiner Grundüberzeugung im Hinblick auf
grundlegende Fragen unserer Gesellschaft konsistent und
konsequent zu sein. Meinungsäußerungen allein aufgrund
momentaner Anzeichen, Zahlen und Entwicklungen ge-
fährden hingegen sehr schnell die eigene Glaubwürdig-
keit.


(Beifall bei der FDP)

Die FDP hat sich schon vor vielen Jahren und als erste

Fraktion in dieser Legislaturperiode so ernsthaft mit der
Frage der gesteuerten Zuwanderung befasst, dass sie ei-
nen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt hat, der lange nicht
intensiv beraten wurde, weil es keine überzeugenden Al-
ternativen dazu gegeben hat, heute aber ebenfalls zur Ab-
stimmung steht.


(Beifall bei der FDP)

Wir haben uns also nicht vorzuwerfen, an dieser Debatte
nicht konstruktiv teilzunehmen. Im Gegenteil, wir sind
Mitgestalter dieser Debatte.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie konnten sich nicht bei der CDU/CSU durchsetzen!)


Wir sind davon überzeugt, dass Zuwanderung nach
Deutschland stattfindet, in welchen Bahnen auch immer,
nicht aber in Bahnen, die auch von der Politik gesteuert
werden.


(Beifall bei der FDP)

Wir wollen ein Zuwanderungsgesetz, damit Zuwande-
rung auf einen konkreten Arbeitsplatz hin und eben nicht
in Sozialsysteme hinein stattfindet.


(Beifall bei der FDP)

Deshalb vertritt die FDP auch die Überzeugung, dass

sich Asyl Suchende und Migrantinnen und Migranten
in ihrem Bemühen, nach Deutschland zu kommen, ge-
genseitig ausschließen. Es gibt keinen Wechsel unterein-
ander; für Asyl Suchende gilt das Asylrecht. Hier ist es
gut, dass es bei einer Kategorie von Flüchtlingen, die
nicht als Asylbewerber zu uns kommen, eine klare Be-
schreibung ihres Status geben wird.


(Beifall bei der FDP)

Nur darum geht es bei den Regelungen im Hinblick auf
nicht staatliche Verfolgung und auf Menschen, die aus ge-
schlechtsspezifischen Gründen verfolgt werden. Hier
wird kein neuer Zugang eröffnet, sondern hier geht es um
die Statusregelung. Der Status wird so geändert, dass er
der Situation dieser Menschen entspricht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns steht jetzt eine
wichtige Abstimmung bevor. Damit dürfen aber der Dis-
kussionsprozess und das Bemühen um Vermittlung nicht
beendet sein. Jeder, der an einer Regelung zu einer ge-
steuerten und gegebenenfalls auch begrenzten Zuwande-




Roland Claus

22057


(C)



(D)



(A)



(B)


rung interessiert ist, muss auch nach der Abstimmung
heute im Bundestag diese Bemühungen fortsetzen. Des-
halb darf auch niemand sagen: Mit uns wird es kein Ver-
mittlungsverfahren und kein Voranbringen der Beratun-
gen geben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS)


Die FDP enthält sich bei dieser Abstimmung, weil wir
Licht und Schatten sehen. Wir haben aber eine positive
Grundüberzeugung in Bezug auf dieses Vorhaben und
stimmen mit seiner grundlegenden Richtung überein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422207100
Ich schließe die Aus-
sprache. Es liegen persönliche schriftliche Erklärungen
zur Abstimmung der Kollegen Dr. Norbert Blüm,
Dr. Heiner Geißler, Dr. Christian Schwarz-Schilling und
der Kolleginnen Professor Süssmuth und Ulla Jelpke
vor.1)

Wir kommen nun zur Abstimmung über die von der
Bundesregierung sowie von den Fraktionen der SPD und
des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Entwürfe
eines Zuwanderungsgesetzes, Drucksachen 14/7987,
14/8046 und 14/7387. Der Innenausschuss empfiehlt un-
ter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
14/8395, die genannten Gesetzentwürfe als Zuwande-
rungsgesetz in der Ausschussfassung anzunehmen.

Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf
Drucksache 14/8407 vor, über den wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS? – Wer
stimmt dagegen? – Der Änderungsantrag ist gegen die
Stimmen der PDS und mit den Stimmen des restlichen
Hauses abgelehnt.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung mit den von den Berichterstattern übermit-
telten Korrekturen zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Es wird namentliche Abstim-
mung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind
alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Ab-
stimmung.

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat?

Ich frage noch einmal: Ist noch ein Mitglied des Hau-
ses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? –
Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer mit
der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentli-
chen Abstimmung wird später bekannt gegeben.2)

Wir kommen nun zu einer Reihe von einfachen Ab-
stimmungen.

Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-
tion der FDP auf Drucksache 14/8396. Wer stimmt dafür? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ent-
schließungsantrag ist gegen die Stimmen der FDP bei
Enthaltung der CDU/CSU abgelehnt.

Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ausländer-
gesetzes auf Drucksache 14/8009. Der Innenausschuss
empfiehlt unter Nr. 2 auf Drucksache 14/8395, den
Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist gegen die Stimmen der CDU/CSU abgelehnt. Da-
mit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere
Beratung.

Abstimmung über den von der Fraktion der FDP ein-
gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Zu-
wanderung auf Drucksache 14/3679. Der Innenausschuss
empfiehlt unter Nr. 3 auf Drucksache 14/8395, den Ge-
setzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter
Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäfts-
ordnung die weitere Beratung.

Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 4 auf Druck-
sache 14/8395, den Antrag der Fraktion der CDU/CSU
auf Drucksache 14/6641 mit dem Titel „Umfassendes
Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung
sowie zur Förderung der Integration jetzt vorlegen“ ab-
zulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU ange-
nommen.

Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 5 auf Druck-
sache 14/8395, den Antrag der Fraktion der FDP auf
Drucksache 14/3697 mit dem Titel „Berliner Rede des
Bundespräsidenten umsetzen – Zuwanderung nach
Deutschland verbindlich regeln“ abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die
Stimmen der FDP bei Enthaltung der CDU/CSU ange-
nommen.

Schließlich empfiehlt der Innenausschuss unter Nr. 6
auf Drucksache 14/8395, den Antrag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/7810 mit dem Titel „Einwande-
rung und Flüchtlingsschutz menschenrechtlich gestalten“
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Die Beschlussempfehlung ist
gegen die Stimmen der PDS angenommen.

Abstimmung über die Beschlussempfehlung des In-
nenausschusses auf Drucksache 14/3721 zu dem Antrag




Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
22058


(C)



(D)



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1) Anlagen 2 bis 4 2) Seite 22061 C

der Fraktion der FDP mit dem Titel „Zuwanderung steu-
ern, Aus- und Weiterbildung intensivieren, Arbeitserlaub-
nisrecht entrümpeln“. Der Innenausschuss empfiehlt, den
Antrag auf Drucksache 14/3023 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die
Stimmen der FDP angenommen.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/7720 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.

Zusatzpunkt 8: Wir kommen zur Abstimmung über die
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familien,
Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 14/8393
zur Unterrichtung durch die Bundesregierung – Sechster
Familienbericht mit dem Thema „Familien ausländischer
Herkunft in Deutschland“ – sowie zu dem Entschlie-
ßungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnis-
ses 90/Die Grünen zu diesem Bericht.

Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrich-
tung durch die Bundesregierung auf Drucksache 14/4357
den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/6169 zum
Sechsten Familienbericht anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Gegen die Stimmen von CDU/CSU und
FDP ist die Beschlussempfehlung angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Wolfgang Gerhardt, Dr. Guido Westerwelle,
Cornelia Pieper, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Abgabe einerRegierungserklärung des Bundes-
kanzlers im Deutschen Bundestag zu den Vor-
haben der Bundesregierung zur Bewältigung
der aktuellen politischen Herausforderungen
– Drucksache 14/8281 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen, wobei die
Fraktion der FDP sieben Minuten erhalten soll. – Das ist
so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Rainer Brüderle für die FDP.


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1422207200
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Der Bundeskanzler ist nicht hier.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Bei so einem Unsinn muss er das auch nicht!)


Er drückt sich vor der heutigen Debatte.

(Lachen bei der SPD)


Menschlich kann ich das nachvollziehen; denn wer lässt
sich schon gern den Spiegel vorhalten, um darin nur Plei-
ten, Pech und Pannen zu entdecken.


(Beifall bei der FDP)


Politisch aber kann ich das nicht verstehen. Ein Bundes-
kanzler muss sich der ihm übertragenen Verantwortung
für die Politik des Landes stellen.


(Ulrich Heinrich [FDP]: Das Kanzleramt ist überhaupt nicht vertreten!)


Sie aber laufen weg. Ihre Politik ist auch zum Weglaufen.
Herr Bundeskanzler, ich fordere Sie auf: Machen Sie
Ihrem Schweigen ein Ende! Treten Sie vor die gewählten
Vertreter des deutschen Volkes und nehmen Sie Stellung
zu den Problemen, die die Menschen bewegen!


(Beifall bei der FDP)

Wir wollen eine Regierung, die die Probleme nicht ver-

schleppt, sondern ihre Arbeit macht.

(Beifall bei der FDP)


Geben Sie deshalb so schnell wie möglich eine Regie-
rungserklärung zu den Ungereimtheiten, Nachlässigkei-
ten und Verfehlungen, die diese Regierung zu verantwor-
ten hat, ab!


(Beifall bei der FDP)

Worum geht es dabei? Es geht darum, dass Deutsch-

land angesichts eines Berges selbst verursachter, ungelös-
ter Probleme nicht nur im Ausland immer mehr an Repu-
tation verliert. Vor allem im Inland leiden die Menschen
unter falschen politischen Weichenstellungen, schlam-
piger Vorbereitung von Maßnahmen und dem Vor-sich-
Herschieben ungelöster Probleme. Eine klare Linie,
geschweige denn Grundsätze des politischen Handelns
sind nicht erkennbar. Stattdessen erleben wir eine Politik
der Orientierungslosigkeit, der Beliebigkeit und des
„Fettnäpfchenhüpfens“. Man könnte fast meinen – hier
schließt sich der Kreis –: So chaotisch, wie die Regie-
rungszeit des Kanzlers begonnen hat, so endet sie auch.

Ich kann es Ihnen leider nicht ersparen, einige dieser
ungelösten Probleme zu nennen. Dabei rede ich nicht von
dem Fischmehlskandal oder der wirren Verbraucherpo-
litik der Frau Künast.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Weil Sie beim BSE-Skandal auch über Herrn Stoiber reden müssten!)


Ich will mich heute auch nicht darauf einlassen, die Skan-
dalchronik von Herrn Trittin aufzuzeigen. Er wird inzwi-
schen vom Bundeskanzler und seinen Kabinettskollegen
offensichtlich versteckt, damit er mit seinen Verbal-
attacken und inhaltlichen Fehlzündungen nicht noch mehr
Schaden anrichtet.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bezeichnend ist, dass Trittin jetzt, wo er nicht mehr sicht-
bar ist, auf der Beliebtheitsskala an anderen Kabinetts-
mitgliedern vorbeizieht.

Einen Tag nachdem sich die D-Mark als Zahlungsmittel
in Deutschland verabschiedet hat, möchte ich über die Sta-
bilität des Euros reden. Die Bundesregierung hat dieser Sta-
bilität in unerträglicher Art und Weise Schaden zugefügt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)





Vizepräsidentin Anke Fuchs

22059


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(D)



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(B)


Die Vorgänge rund um den blauen Brief haben nicht nur
den europäischen Stabilitätspakt ausgehöhlt, sondern
können auch zu einem nachhaltigen Verlust des Vertrau-
ens in die europäischen Währung beitragen. Politik soll
zwar Ängste nehmen, nicht aber die Angst vor dem blauen
Brief in Europa. Die Bundesregierung hat statt eines
blauen Briefes ein blaues Auge davongetragen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Und Sie erleben Ihr blaues Wunder!)


Sie hat mit ihrem Vorgehen in Brüssel das Fundament der
jungen europäischen Währung beschädigt. Es ist ein völ-
liges Rätsel, wie der Finanzminister seine Zusage, die
Neuverschuldung bis 2004 nahe null zu führen, einhalten
will.

Es bleibt auch die spannende Frage, wie Hans Eichel in
diesem Jahr unterhalb des Defizitkriteriums bleiben will;
denn weder wird die Konjunktur anspringen noch sind
nachhaltige Reformen auf dem Arbeitsmarkt und in der
Sozialversicherung geplant. Die verzweifelten Rufe nach
einem nationalen Stabilitätspakt zeigen, dass Sie von
Grün-Rot mit Ihrem Latein am Ende sind.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch der Bundeskanzler tut nichts, um den Euro zu
stärken; im Gegenteil: Mit seinen Beschimpfungen ge-
genüber der Europäischen Kommission hat er nicht nur
die Glaubwürdigkeit des Stabilitätspakts zusätzlich be-
schädigt, sondern auch der europäischen Integration ins-
gesamt einen Tort angetan. Leider ist hier ein kurzfristiges
nationales Interesse, nämlich die bevorstehende Bundes-
tagswahl im Herbst, über die langfristigen europäischen
Interessen gestellt worden.

Bleiben wir kurz bei dem Problem des Finanzminis-
ters. Da steht immer noch die Umsatzsteuerbegüns-
tigung der Deutschen Post durch den Finanzminister in
Höhe von mehr als 900 Millionen Euro im Raum. Das
Vorgehen mag legal gewesen sein; aber es ist nicht legi-
tim. Wie soll der Wettbewerb und wie sollen Konkurren-
ten da eine Chance haben?


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Peter Rauen [CDU/CSU])


Das zeigt übrigens sehr deutlich, wie wichtig Privati-
sierung ist. Man muss das Unfugpotenzial reduzieren. Po-
litischen Kräften wie Grün-Rot muss man die Instru-
mente, das Spielzeug, aus der Hand nehmen; damit wird
nur Unfug gemacht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Leider weigert sich Herr Eichel bis zum heutigen Tage
auch, den notwendigen Nachtragshaushalt vorzulegen.
Dabei steht fest: Das ist die einzige Möglichkeit, die
Finanzierung aller 73 Transportflugzeuge A400M bis
Ende März 2002 zu sichern und seriös auf die wirtschaft-
liche Situation zu reagieren.

Dann zum Kapitel Metrorapid.Da haben wir ein dilet-
tantisches Projektmanagement des Verkehrsministers er-
lebt. Mein Kollege Friedrich hat zu Recht gesagt, dass

Herr Bodewig bei dieser Leistung in jedem mittelständi-
schen Unternehmen vor die Tür gesetzt worden wäre.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zudem ist die Finanzierung völlig unklar. Die Gegner des
Transrapid, insbesondere in den Reihen des grünen Ko-
alitionspartners, formieren sich. Hier ist die Gefahr, dass
wieder eine Zukunftstechnik abgewürgt wird.

Die Pannenbilanz lässt sich beliebig fortsetzen. So fal-
len einem beim Namen Riester nur Skandale ein: Ver-
mittlungsskandal, EQUAL-Skandal, Entlassung im nahen
Umfeld des Ministers, 4,3 Millionen Arbeitslose, Sen-
kung der Schwankungsreserve der Rentenversicherung
bei gleichzeitig steigendem Bundeszuschuss.

Hinzu kommt: Schlampig vorbereitete Vorlagen für
das Verfassungsgericht führen zu einer unerträglichen
Verletzung des Informationsrechts des Deutschen Bun-
destages und haben der NPD unnötig eine Bühne in
Deutschland verschafft.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Stillstand der Gesundheitspolitik führt zu explo-
dierenden Beitragssätzen und steigenden Defiziten und
gefährdet Arbeitsplätze. Die Beschaffungsvorlagen für
die von der Bundeswehr dringend benötigten Transport-
flugzeuge wurden trotz Einmütigkeit in der Sache so
schlampig vorbereitet, dass zur Klärung nur der Gang
nach Karlsruhe geblieben ist.

So geht es weiter. Unsere Große Anfrage zur Gesell-
schaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb wird
270 Tage lang nicht beantwortet. Der Bundestagsprä-
sident muss das Ministerium ermahnen, eine Antwort zu
geben. Sie muten uns aber zu, 140 Änderungsanträge zum
Zuwanderungsentwurf in Stunden zu studieren, zu analy-
sieren und zu entscheiden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Was ist das für ein Verständnis vom Parlament?Wir
sind nicht das Notariat für Unfug der Regierung, sondern
die Vertreter des Volkes, das frei gewählte Parlament, das
es verdient, Respekt zu erfahren.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Dann sollten Sie aber nicht so einen Unsinn auf den Tisch bringen!)


Motto dieser Regierung ist: Ich ignoriere das lästige
Parlament einfach und hülle mich in Schweigen. Gerhard
Schröder, sonst bei jedem PR-trächtigen Thema sofort im
gleißenden Scheinwerferlicht präsent, ist jetzt hinter ei-
nem dicken Vorhang des Schweigens. Kein Regierungs-
mitglied ist anwesend, kein Minister, kein Kanzler – völ-
lig typisch! Wahrscheinlich sind sie Kaffee trinken,
Erdbeertorte essen oder so etwas.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422207300
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist abgelaufen.




Rainer Brüderle
22060


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Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1422207400
Wir sind hier im Parlament.
Hier stellen wir Anträge. Der Respekt vor dem Parlament
würde es gebieten, dass die Bundesregierung zumindest
einen Minister oder einen Vertreter des Bundeskanzler-
amts herschickt. Die leere Regierungsbank steht für eine
leere Politik.


(Beifall bei der FDP)

Ich schließe mit Folgendem, Frau Präsidentin: Nach

dem Grundgesetz hat der Bundeskanzler die Richtlinien-
kompetenz. Die Richtlinienkompetenz bedeutet auch
eine Richtlinienverpflichtung.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Der Bundeskanzler hat die Pflicht, die Richtlinien seiner
Politik im Parlament darzulegen. Deshalb unsere Forde-
rung nach einer Regierungserklärung. Es kann nicht so
sein: Wenn es unangenehm ist, taucht er weg, schickt eine
Ansichtskarte, isst Erdbeertorte, lässt die Vorhänge run-
ter; wenn es schön ist, dann ist er vorn und dann kennt er
nicht die Ressortverantwortung.


(Joachim Poß [SPD]: Sie wollen auch Erdbeertorte?)


Wenn es schwierig wird, sind die Minister zuständig und der
Kanzler verflüchtigt sich. Wir brauchen keinen Sonnen-
schein-Kanzler. Er muss sich der Verantwortung stellen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Es reicht!)


Das gebietet der Respekt vor dem Parlament. Wir sind
nicht die Idioten der Nation, sondern haben Anspruch da-
rauf, dass die Regierung das Parlament ernst nimmt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422207500
Ich komme noch ein-
mal zurück zu Tagesordnungspunkt 18 a und gebe das von
den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Er-
gebnis der namentlichen Abstimung über den Entwurf ei-
nes Zuwanderungsgesetzes der Bundesregierung sowie
der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü-
nen in der Ausschussfassung bekannt, Drucksachen
14/7987, 14/8046, 14/7387, 14/8395 und 14/8414: Abge-
gebene Stimmen 587. Mit Ja haben gestimmt 321, mit
Nein haben gestimmt 225, Enthaltungen 41.






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Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 586;
davon

ja: 320
nein: 225
enthalten: 41

Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt

Dr. Michael Bürsch
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann

Manfred Hampel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose

Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl




Vizepräsidentin Anke Fuchs
22062


(C)



(D)



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(B)


Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Gerhard Neumann (Gotha)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel Riemann-
Hanewinckel

Reinhold Robbe
René Röspel
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Dr. Frank Schmidt

(Weilburg)


Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter

Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte (Hameln)

Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Volkmar Schultz (Köln)

Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek (Böhlen)

Dieter Wiefelspütz
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff

(Wolmirstedt)


Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley

CDU/CSU
Dr. Heiner Geißler
Dr. Christian Schwarz-
Schilling

Dr. Rita Süssmuth
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Amke Dietert-Scheuer
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)

FDP
Dr. Helmut Haussmann
Fraktionslose Abgeordnete
Christa Lörcher

Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Dietrich Austermann
Norbert Barthle

Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Renate Blank
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Klaus Bühler (Bruchsal)

Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Peter H. Carstensen

(Nordstrand)


Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Dr. Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer (Lübeck)

Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Axel E. Fischer

(Karlsruhe-Land)


Klaus Francke
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Georg Girisch
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg)

Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein

Gottfried Haschke

(Großhennersdorf )


Damit ist der Gesetzentwurf angenommen.
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Wilhelm

Schmidt für die SPD-Fraktion.


Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1422207600
Frau Präsiden-
tin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die schöne Botschaft in diesem Moment lautet
eigentlich: Das Zuwanderungsgesetz ist in diesem Haus

gegen die Interessen und gegen die Polemik auf der rech-
ten Seite durchgebracht worden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Gegen wessen Interessen?)


Daran schließt sich das an, was hier auf Antrag der FDP
gemäß der Tagesordnung zu behandeln ist und was übrigens
an diesem Freitagmittag den der CDU/CSU zustehenden
Debattenplatz eingenommen hat, das heißt also, was jeden-




Vizepräsidentin Anke Fuchs

22063


(C)



(D)



(A)



(B)


Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser (Bonn)

Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Josef Hollerith
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)


Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Eduard Lintner
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Dr. Michael Luther
Erich Maaß (Wilhelmshaven)

Erwin Marschewski

(Recklinghausen)


Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller

Bernward Müller (Jena)

Elmar Müller (Kirchheim)

Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Heinz Schemken
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Andreas Schmidt (Mülheim)

Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Dr. Erika Schuchardt
Gerhard Schulz
Diethard Schütze (Berlin)

Clemens Schwalbe
Wilhelm Josef Sebastian
Heinz Seiffert
Dr. h. c. Rudolf Seiters
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte

Wolfgang Steiger
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten

Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Willy Wimmer (Neuss)

Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
Wolfgang Zöller
PDS
Monika Balt
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Dr. Klaus Grehn
Uwe Hiksch
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Rolf Kutzmutz
Ursula Lötzer
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel

Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert

Enthalten
FDP
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Paul K. Friedhoff
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
PDS
Wolfgang Bierstedt
Wolfgang Gehrcke
Dr. Bärbel Grygier
Gerhard Jüttemann
Dr. Christa Luft
Manfred Müller (Berlin)

Christine Ostrowski

falls platzmäßig die Unterstützung der großen Oppositions-
fraktion findet. Gemessen an der Beteiligung hier im Ple-
num – oh Wunder – nimmt diese Debatte aber wahrlich
nicht diesen Platz ein: Hier treiben sich gerade einmal sie-
ben Figuren herum, vom Fraktionsvorsitzenden, von Frau
Merkel und anderen ist überhaupt nichts zu sehen. Wir woll-
ten die Debatte nicht; aber Sie haben sie erzwungen.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das ist Ihrer unwürdig! Wir zählen demnächst Ihre Figuren durch! – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Auf der Regierungsbank sitzen nur drei Figuren! – Jürgen Koppelin [FDP]: Sie sollten lieber zur Sache sprechen! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)


– Ich weise ja nur auf die Schwäche in Ihren eigenen Rei-
hen hin. Da nützt auch das Zwischenrufen überhaupt
nichts.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Ich lasse mich nicht als Figur bezeichnen, Frau Präsidentin!)


Ich will gleichzeitig auf die Lächerlichkeit dieser De-
batte hinweisen, die von der FDP verlangt wurde. Daran
wird deutlich, dass wir uns längst im Wahlkampf befin-
den. Das haben wir vorhin bei der Zuwanderung leider
schon feststellen müssen. Wir stellen das an dieser Stelle
bei diesem Tagesordnungspunkt mit noch größerer Deut-
lichkeit fest.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: So etwas passt nicht zum Namen Wilhelm!)


Im Übrigen – auch das möchte ich noch einmal sagen –
steht das eigentlich in diametralem Gegensatz zu dem, was
die Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer der Oppo-
sition dieses Hauses in den letzten Tagen gemacht haben.
Sie haben sich immer darüber beschwert, dass wir
Regierungserklärungen abgeben. Sie haben daran herum-
gemäkelt, dass wir Debatten mit Regierungserklärungen
von jeweils 20 Minuten des jeweiligen Regierungs-
mitgliedes festgelegt haben. Nun, da Sie auf einmal eine
Debatte haben wollen, wir sie aber ablehnen, sind Sie auch
nicht zufrieden. Irgendwo passt das alles nicht zusammen.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Zum Thema!)

Wenn man dieses allerdings unter dem Aspekt Wahlkampf
betrachtet, passt es zusammen.

Ich will darauf hinweisen – das ist doch wohl völlig
klar –, dass die Abgabe einer Regierungserklärung im Er-
messen und in der Entscheidungsgewalt einer Regierung
liegt. Nun wollen wir sie nicht – das ist völlig klar –, da-
rum ist es auch in Ordnung, wenn auf der Regierungsbank
kein Vertreter der Bundesregierung anwesend ist,


(Joachim Poß [SPD]: Da sitzen doch welche!)

weil damit auch zum Ausdruck kommt, was man dort von
diesem Antrag der FDP-Fraktion hält, nämlich überhaupt
nichts.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Was ist das für ein Demokratieverständnis?)


Ich will Ihnen im Übrigen auch sagen, dass Ihre Absicht,
die Sie mit diesem Antrag zum Ausdruck bringen, über-

haupt nicht der Geschäftsordnung des Bundestages, der
Verfassung und anderen Bestimmungen entspricht. Bleiben
Sie also ganz ruhig! Übrigens haben Sie 1997 – ich will nur
einmal dieses eine Jahr herausgreifen – als damalige Re-
gierungskoalition, als die PDS solche Anträge gestellt hat,
diese auch abgelehnt. Lange Rede, kurzer Sinn:


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Kurzer Unsinn!)


Damit werden Sie sich abfinden müssen. Es ist aber gut,
dass Sie es noch einmal zur Sprache gebracht haben, dann
können wir auf diese Weise die gleichen Entscheidungen
treffen und Ihr Begehren ablehnen.

Ich will darüber hinaus eines nicht verhehlen: Wir be-
finden uns nicht nur in Wahlkampfzeiten, sondern auch in
einer Zeit, in der Politik dramatisiert und skandalisiert
wird. Diese Feststellung beziehe ich auf uns alle, vor al-
len Dingen aber auch auf eine Gruppe dieser Gesellschaft,
nämlich die Journalisten und Medienvertreter, die ich
bitte, gut zu überlegen, was da erzeugt wird. Das sage ich
nicht einseitig aus Regierungssicht; auch die Opposition
hat ja monatelang unter solcher Dramatisierung und
Skandalisierung von Politik gelitten.


(Ulrich Heinrich [FDP]: Das sind Ihre Arbeitslosen, Herr Schmidt!)


Wir sollten das Aufblasen und Hochziehen von unbedeu-
tenden Themen, das meistens solchen überhaupt nicht an-
gemessen ist, unter dem Aspekt des Verfalls politischer
Kultur zumindest einmal untereinander diskutieren. Das
sollten wir aber nicht hier tun. Ich finde, eine solche Dis-
kussion sollte an anderer Stelle geführt werden. Meiner
Meinung nach sollten Sie aber, wenn Sie hier schon einen
solchen Antrag stellen, dieses Thema an dieser Stelle zu-
mindest als Stichwort ansprechen und probIematisieren.


(Ulrich Heinrich [FDP]: Jetzt sagen Sie schon etwas zur Sache!)


Wir als Regierungsfraktionen müssten, wenn Sie auf
diese Weise versuchen, das Haus zu strapazieren,


(Ulrich Heinrich [FDP]: Keine Geschäftsordnungsdebatte, eine Sachdebatte!)


– warten Sie ab, Herr Heinrich; ich komme darauf noch zu
sprechen –, eigentlich den Antrag stellen, darüber zu disku-
tieren, ob es nicht sinnvoll wäre, als Gegenstück zur Regie-
rungserklärung eine Oppositionserklärung zu verlangen.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Jawohl, das können wir sofort machen!)


Dann könnten wir Ihnen viel deutlicher, vielleicht in ähn-
lich unsinniger Weise, wie gerade vom Kollegen Brüderle
geschehen, vorhalten, welch dummes Zeug, welchen Un-
sinn Sie in den letzten Wochen und Monaten von sich ge-
geben haben, und könnten zeigen, dass Sie überhaupt
nicht in der Lage sind, Oppositionspolitik stringent durch-
zuführen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Rainer Brüderle [FDP]: Sind Sie Abgeordneter oder Oberlehrer?)





Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

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(C)



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(A)



(B)


Wo bleiben denn Ihre Gegenentwürfe? Wo bleibt denn
eine durchgehende und vor allen Dingen auch sinnvolle
Finanzpolitik in diesem Hause? Eine solche ist überhaupt
nicht erkennbar. Passt denn das, was die Opposition, ins-
besondere Herr Stoiber, von sich gibt, in ein Konzept? Es
ist nicht erkennbar, dass Sie überhaupt ein Konzept ha-
ben. Die Heuchelei, die Ihre Rederinnen und Redner vor-
hin bei der Debatte über Zuwanderung, bei einem so
wichtigen und dringend zu regelnden Thema, das Ernst-
haftigkeit erfordert, an den Tag gelegt haben, ist ohne
Beispiel geblieben.

Das, was von Ihnen vorgesehen ist, hat aber offen-
sichtlich noch nicht einmal großes Interesse bei allen
Oppositionsfraktionen geweckt. Sonst wären sicherlich
mehr und wichtigere Abgeordnete anwesend. Sie wollen
dadurch doch auch nur von Ihren eigenen Schwächen ab-
lenken, die Sie zweifellos in vielen Bereichen haben.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Wir haben keine Schwächen!)


Die feindliche Übernahme der CDU durch die CSU, die
in den Reihen Ihrer Oppositionspartei und -fraktion statt-
gefunden hat, spricht Bände. Von daher lassen wir das
nicht gelten.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Kannst du noch ein bisschen dummer schwätzen? Ein Witz ist das!)


Ich erkläre für die SPD-Bundestagsfraktion, dass das
ein unsinniger Antrag ist, der völlig an der Sache vorbei-
geht. Solche Anträge hatten auch in den vergangenen Jah-
ren, wenn Sie oder andere Bemühungen in diesem Be-
reich gezeigt haben, keine Substanz. Wir verlangen
deswegen sofortige Abstimmung, damit Ausschüsse spä-
ter über einen solchen Unsinn nicht weiter beraten werden
müssen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422207700
Zur Geschäftsord-
nung hat der Kollege Koppelin das Wort.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1422207800
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Beitrag des Parlamenta-
rischen Geschäftsführers der SPD-Bundestagsfraktion
war ein einziges Beispiel für die Arroganz der Macht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Kollege Schmidt, es ist eine Zumutung, wenn Sie sa-
gen, dass die Bundesregierung nicht da sei, um zu doku-
mentieren, was sie vom Antrag der FDP halte. Das ist res-
pektlos gegenüber diesem Parlament. Genau das hat der
Kollege Brüderle gesagt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie haben eben eine andere Auffassung dargestellt; das
müssen Sie auch. Aber im Stillen wissen Sie, dass die FDP
Recht hat. Dem, was Sie hier eben beantragt haben, näm-

lich die sofortige Abstimmung, kontern wir: Wir beantra-
gen die Herbeirufung des Bundeskanzlers.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422207900
Das war ein Antrag
zur Geschäftsordnung. – Herr Grund, bitte sehr.


Manfred Grund (CDU):
Rede ID: ID1422208000
Frau Präsidentin! Auch
meine Fraktion findet, dass dieses Haus etwas Besseres
verdient als das Gesülze des Abgeordneten Schmidt. Wir
schließen uns dem Antrag der FDP an.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422208100
Herr Kollege
Schmidt, bitte.


Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1422208200
Meine Rede
war kein Gesülze. Aber das müssen Sie und vor allen Din-
gen die Präsidentin bewerten. Ich finde, dass Sie völlig
übertreiben, wenn Sie an dieser Stelle und zu dieser
Stunde den Bundeskanzler herbeizitieren wollen. Das ist
schon deswegen nicht angemessen, weil in Ihren eigenen
Reihen die Spitzenkräfte nicht anwesend sind. Sie neh-
men Ihren Antrag offensichtlich selber nicht ganz ernst.
Das ist eine völlig unangemessene Forderung. Wir wer-
den diesen Antrag ablehnen. Aber ich bitte, die Sitzung
des Bundestages zu unterbrechen, damit wir das klären
können.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Sie wollten doch sofort abstimmen! – Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt wird abgestimmt!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422208300
Das Wort hat die Kol-
legin Lemke für Bündnis 90/Die Grünen.


Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422208400
An die
Kollegen von der FDP gewandt möchte ich für die Frak-
tion des Bündnisses 90/Die Grünen erklären, dass das,
was Sie hier am Freitagnachmittag im Parlament ablie-
fern, ein Schauspiel ist, das mit den parlamentarischen
Gepflogenheiten überhaupt nichts zu tun hat. Herr Kol-
lege, Sie wissen, dass Vertreter der Bundesregierung auf
der Regierungsbank anwesend waren und die Debatte von
dort verfolgt haben.


(Zurufe von der FDP: Wo? – Jürgen Koppelin [FDP]: Das ist ein Skandal!)


– Nein, Herr Koppelin, es ist kein Skandal, dass die Re-
gierungsvertreter angesichts dessen, was Sie hier abgelie-
fert haben, die Regierungsbank verlassen haben. Sie in-
strumentalisieren das Parlament zum wiederholten Male
für den Wahlkampf. Sie haben einen Antrag eingereicht,
zu dem Sie vonseiten der Koalitionsfraktionen signalisiert
bekommen haben, dass wir dem so, wie es im Parlament
normalerweise im Zusammenhang mit Regierungs-
erklärungen gehandhabt wird, nicht nachkommen wollen,
dass wir diesem Verfahren nicht zustimmen wollen. Dass
Sie dann, nachdem von unserer Seite klar war, wie mit




Wilhelm Schmidt (Salzgitter)


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diesem Antrag verfahren wird, am Freitagnachmittag ein
solches Verfahren in Gang setzen, obwohl mehrere Re-
gierungsvertreter den Beginn der Debatte auf der Regie-
rungsbank verfolgt haben,


(Rainer Brüderle [FDP]: Spitzenkräfte!)

finde ich unparlamentarisch und ich werfe Ihnen vor, dass
Sie das Ganze für den Wahlkampf instrumentalisieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422208500
Ich lasse nun über den
Antrag abstimmen. Wer dem Antrag auf Herbeirufung des
Bundeskanzlers zustimmen möchte, den bitte ich um das
Handzeichen. – Die Gegenprobe! – Das Präsidium ist sich
einig, dass Letzteres die Mehrheit war. Wenn Sie das an-
zweifeln, gibt es einen Hammelsprung. Aus der einhelli-
gen Sicht des Präsidiums ist der Antrag abgelehnt.

Wir fahren in der Beratung fort. Das Wort hat der Kol-
lege Peter Rauen.


Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1422208600
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege
Schmidt, ich empfand es eben als eine Unverschämtheit,
wie Sie den Antrag der FDP vor dem Hintergrund der ge-
ringen Anwesenheit meiner Fraktion qualifizieren woll-
ten. Wir stehen hinter diesem Antrag.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Darum hätten es bei Ihnen ein paar Leute mehr sein können!)


Herr Schmidt, Sie können mit den Kolleginnen und
Kollegen hier nicht so umgehen. Sie wissen, dass die vor-
herige Debatte zwei Stunden länger gedauert hat und dass
viele ihre Heimfahrt planen. Sie verteidigen die Regie-
rung, die überhaupt nicht vertreten ist, wollen aber uns ei-
nen Vorwurf machen, weil wir zahlenmäßig nicht so ver-
treten sind, wie wir inhaltlich hinter dem Antrag stehen.

Es verwundert, dass die Regierungsbank fast gänzlich
leer ist, und zwar seit Beginn der Debatte. Denn im Kern
stellt der FDP-Antrag die Frage, wie diese Regierung mit
dem Parlament und den Rechten des Parlaments umgeht.
Herr Schmidt, Sie sollten nicht so leicht darüber hinweg-
gehen, denn das ist doch die Wahrheit: Verteidigungsmi-
nister Scharping kauft Flugzeuge, für die das Parlament
keine Mittel zur Verfügung gestellt hat. Ähnlich verfährt
Verkehrsminister Bodewig. Er sagt Mittel für den Trans-
rapid zu, ohne dass diese qualifiziert in den Haushalt ein-
gestellt werden. Wir können hier im Parlament nicht ein-
mal unter verkehrspolitischen Gesichtspunkten darüber
diskutieren, ob sich der Transrapid, der mal als Alterna-
tive zum Flugzeug gedacht war, als Flughafenzubringer
überhaupt eignet und in Konkurrenz zur Straßenbahn tre-
ten sollte.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Unruhe)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422208700
Herr Kollege Rauen,
einen Augenblick bitte. – Kolleginnen und Kollegen, der
eine Antrag ist erledigt. Ich bitte Sie, sich jetzt hinzuset-
zen und zuzuhören. Der Kollege Rauen hat einen An-
spruch darauf.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wir sollten hier eine vernünftige parlamentarische
Debatte führen. Deswegen bitte ich auch die linke Ecke:
Entweder ihr setzt euch hin oder ihr verlasst das Ple-
num. – Herr Rauen.


Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1422208800
Ich habe noch einige wei-
tere Punkte, die zeigen, warum die FDPmit ihrem Antrag
Recht hat und warum wir ihn unterstützen. Gesundheits-
ministerin Schmidt lässt sich ein notwendiges Gesetz vom
Pharmaverband abkaufen


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Unerhört!)


und verzichtet auf das Gesetz, ein Vorgang, den selbst eine
Verfassungsrichterin jüngst öffentlich als schweren An-
schlag auf die staatliche Ordnung bewertet hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Arbeitsminister Riester verteilt EG-Arbeitsmarktmit-

tel nach Gutsherrenart und hat es zu verantworten, dass
durch falsche Statistiken bei der Bundesanstalt für Arbeit
das Vertrauen der Menschen in wichtige Institutionen er-
schüttert wird. Finanzminister Eichel macht der Post AG
ein milliardenschweres Mehrwertsteuergeschenk. In
Brüssel macht er Zusagen – diese können nach seriösen
Einschätzungen überhaupt nicht eingehalten werden –,
nur um sich die Blamage eines blauen Briefes zu erspa-
ren.


( V o r s i t z : Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters)


Während wir über dieses Thema diskutieren, ist keiner
der angesprochenen Minister anwesend. Wozu brauchen
sie eigentlich das Parlament?


(Ludwig Stiegler [SPD]: Das haben Sie schon oft gesagt! Man muss sich denselben Schmarren nicht zehnmal anhören!)


Vielleicht wird die Zeit genutzt, um mit irgendwelchen In-
teressenverbänden und Lobbyisten neue Deals auszuhan-
deln, von denen wir Parlamentarier erst aus der Presse er-
fahren können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Viel schlimmer ist aber, dass der Bundeskanzler bei

dieser Debatte nicht anwesend ist, obwohl der Inhalt die-
ses Antrages schon sehr lange bekannt ist. Er hat nach un-
serer Verfassung die Richtlinienkompetenz für die Politik
und muss das Handeln seiner Minister verantworten.
Diese Pleiten- und Pannenserie, verbunden mit der Miss-
achtung des Parlaments, ist letztlich die Politik Schröders.
In meiner Heimat gibt es dazu einen treffenden Spruch:
Der Fisch stinkt vom Kopf.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)





Steffi Lemke
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(C)



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(A)



(B)


Die Politik Schröders – eine Politik der Beliebigkeit, der
runden Tische, der Moderation von Interessen anstelle ei-
ner Politik der Durchsetzung von politischen Grundüber-
zeugungen – ist gescheitert. Wenn er schon keine Er-
klärung durch seine Minister, was eine Missachtung des
Parlaments ist, abgeben will, dann sollte er den Menschen
in Deutschland wenigstens seine Vorstellungen darüber
mitteilen, wie es in der Wirtschaft und auf dem Arbeits-
markt weitergehen soll.

Wir befinden uns in einer tiefen Rezession. Viele
fleißige Menschen haben ihre Arbeit verloren. Mittelstän-
dische Betriebe wissen in zunehmendem Maße nicht
mehr, wie es weitergehen soll. Die Politik der ruhigen
Hand von Schröder


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Herr Schröder! So viel Zeit muss sein!)


erweist sich zunehmend als eine Politik der Ratlosigkeit.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)


Wenn man richtige Antworten geben will, muss man zu-
vor treffend analysieren.

Ich komme zurück auf das, was gestern hier in der De-
batte über die Arbeitsmarktpolitik eine Rolle gespielt hat.
Der Parlamentarische Staatssekretär Andres und viele an-
dere Redner haben uns glauben machen wollen, dass es ei-
nen Aufwuchs der Beschäftigung in Deutschland gege-
ben habe. Das ist nachweisbar nicht der Fall.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Weil Sie nicht lesen können!)


Zum Verständnis für alle muss ich eines klarstellen: Wenn
2 Millionen zusätzliche Teilzeitarbeitsplätze geschaffen
werden, dafür aber 1 Million Vollzeitarbeitsplätze verlo-
ren gehen, dann gibt es zwar 1 Million Beschäftigte mehr;
aber mehr gearbeitet wird in Deutschland deshalb nicht.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Es wird immer von einem Beschäftigungsaufwuchs gere-
det, obwohl es in Wahrheit im letzten Jahr in Deutschland
einen massiven Rückgang der Beschäftigung gegeben
hat.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Leider wahr! – Ludwig Stiegler [SPD]: Wenn der Aufwuchs zurückgeht, geht nicht automatisch die Beschäftigung zurück! Er kann noch nicht einmal zwischen Wachstum und Beschäftigung unterscheiden!)


Ich muss Ihnen schon vorhalten, was Ihnen im Auftrag
der Regierung und auf Kosten des Steuerzahlers der Sach-
verständigenrat bereits im November 2000 ins Stamm-
buch geschrieben hat. Es wird zwar von einem Aufwuchs
an Beschäftigung gesprochen. Aber weiter heißt es im
Jahresgutachten des Sachverständigenrates:

Diesem Beschäftigungsanstieg in Personen steht al-
lerdings kein entsprechender Anstieg in Erwerbstäti-
genstunden gegenüber: Im Jahre 2000 unterschied
sich das gesamtwirtschaftlich geleistete Arbeitsvolu-
men nicht wesentlich von dem des Vorjahres. Die
Diskrepanz zwischen dem Beschäftigungsanstieg in

Personen und demjenigen in Erwerbstätigenstunden
war im Wesentlichen auf die Zunahme im Segment
der geringfügigen Beschäftigen zurückzuführen, für
die seit Einführung der Meldepflicht eine bessere sta-
tistische Erfassung möglich ist.

(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Das ist deutlich!)

Ein Jahr später, vor wenigen Monaten, hat der Sach-

verständigenrat – ein Gremium führender hervorragender
Wissenschaftler, die von der Regierung bestellt und be-
zahlt werden – noch einmal festgestellt:

Das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen, das die
unterschiedlichen Wochenarbeitszeiten der Beschäf-
tigten berücksichtigt und somit ein genaueres Bild
vom Einsatz des Produktionsfaktors Arbeit zu zeich-
nen vermag als die Anzahl der Erwerbstätigen, ist um
1,0 v. H. gesunken und verdeutlicht damit die gegen-
über dem Vorjahr schlechtere Entwicklung am
Arbeitsmarkt.

(Ulrich Heinrich [FDP]: Das sind die Zahlen!)


Die Wahrheit ist: In Deutschland wurde im Jahre 2001
weniger gearbeitet als 1998. Aufgrund des Rückgangs der
Erwerbsstunden hatten wir im letzten Jahr 600 Millionen
Arbeitsstunden weniger.

Damit es alle ökonomisch und im Hinblick auf die so-
zialen Sicherungssysteme auch verstehen: Wenn man bei
einem normalen Facharbeiter zu seinem Stundenlohn von
27 DM den Arbeitgeberanteil für die Sozialversicherung,
den Beitrag an die Berufsgenossenschaft und darauf ins-
gesamt die Mehrwertsteuer von 16 Prozent hinzurechnet,
dann kommt man zu dem Ergebnis, dass eine solche feh-
lende Arbeitsstunde rund 40 DM kostet. Wenn 600 Mil-
lionen Stunden fehlen, dann entspricht das einem nicht
mehr vorhandenen Wirtschaftspotenzial von 24 Milliar-
den DM. Dass die Beitragseingänge wegbrechen, ist der
Grund dafür, dass die Haushalte der sozialen Sicherungs-
systeme in große Probleme geraten und die Krankenkas-
sen ihre Beiträge erhöhen müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Eigentlich müsste ein Nachtragshaushalt eingebracht

werden. Denn in den Eckdaten des Haushaltes 2002 war
ein Wachstum von 1,25 Prozent vorgesehen. Herr
Metzger, Sie wissen es ganz genau: Minister Eichel hat in
seiner Rede zum Jahreswirtschaftsbericht von nur noch
0,7 Prozent gesprochen. Die Zahl von 3 850 000 Arbeits-
losen war ein Eckpunkt im Haushalt 2002. Wir werden im
Durchschnitt des Jahres 2002 rund 300 000 mehr haben.
Wir haben also gewaltige Haushaltsrisiken.

Einen letzten Punkt möchte ich ansprechen – er treibt
mich besonders um –: Minister Eichel hat in der letzten
Woche bei der Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht ver-
kündet, dass der Aufschwung bevorsteht. Er hat den Ge-
schäftsklimaindex genannt. Das sind subjektive Erwar-
tungen. Die Realität in der deutschen Wirtschaft sieht
völlig anders aus. Wir befinden uns in der tiefsten Rezes-
sion, die man sich nur vorstellen kann.




Peter Rauen

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(A)



(B)


Dann höre ich immer wieder – auch vom Kanzler
selbst; schade, dass er nicht anwesend ist –, man warte auf
den Aufschwung in Amerika. Ich muss sagen: Es ist ein
Anachronismus, wenn ein deutscher Kanzler den Auf-
schwung in Amerika herbeisehnt, damit wir in Deutsch-
land mehr Wachstum haben.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie haben wirklich keine Ahnung! Nicht einmal von Wirtschaft!)


– Herr Schmidt, Sie sollten lieber zuhören. Sie verstehen
von der Wirtschaft viel zu wenig, um hier Zurufe zu ma-
chen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich habe 35 Jahre meines Lebens Steuern gezahlt und über
100 Menschen Arbeit gegeben. Davon können Sie nur
träumen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das müssen gerade Sie mir sagen! – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Herr Schmidt kann nur dumm reden!)


Mich hier zu verbessern ist eine Frechheit – um es einmal
sehr deutlich zu sagen. So geht es einfach nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Uwe Küster [SPD]: Haben Sie die Weisheit mit Löffeln gefressen?)


– Sie sollten sich das hier in aller Deutlichkeit anhören,
nachdem Sie wieder Ruhe gewonnen haben.

Der Export ist nicht unser Problem. Das Wachstum der
letzten Jahre wurde ausschließlich durch den Export ge-
tragen. Wir hatten im letzten Jahr, bezogen auf den außen-
wirtschaftlichen Anteil, noch ein Wachstum von 1,6 Pro-
zent zu verzeichnen. Aber auf dem Binnenmarkt haben
wir bereits seit Anfang des Jahres 2001 eine tiefe Rezes-
sion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wenn die Weltwirtschaft wirklich anspringt, dann hat
zunächst der Export etwas davon, aber noch lange nicht
die Binnenkonjunktur.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es!)

Im Hinblick auf die Arbeitnehmer, die hier in Deutsch-

land nicht über die Grenzen hinweg operieren können und
aufgrund unseres Steuer- und Sozialrechts immer weniger
von ihrem Lohn in der Tasche behalten, ist nicht im An-
satz zu sehen, dass sich etwas ändern könnte.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das hat der Schmidt noch nicht ganz kapiert! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Herr Hinsken, kommen Sie doch mal wieder mit einer roten Laterne!)


Ich sage Ihnen abschließend: Einer der größten Fehler
der Regierung Schröder war, dass sie geglaubt hat, unsere
Maßnahmen der Deregulierung des Arbeitsmarktes

zurücknehmen und den Arbeitsmarkt mit neuen Regulie-
rungen weiter zementieren zu müssen,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

und zwar mit neuen Regelungen hinsichtlich der
630-Mark-Jobs und der Scheinselbstständigkeit, mit dem
Recht auf Teilzeitarbeit und mit einem Betriebs-
verfassungsrecht, das lediglich die Macht der Gewerk-
schaften stärkt, aber die Betriebe weiter ruiniert. Mit die-
sen Unwahrheiten, die Sie selbst verbreiten wollen, und
auch mit der ewigen Erblastdiskussion erreichen Sie auf
dem Arbeitsmarkt nichts.

Ich sage noch einmal: In Deutschland wurde 2001 we-
niger gearbeitet als 1998.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Bei Ihnen! – Joachim Poß [SPD]: Bei der CDU/CSU! Ich habe schon immer gewusst, dass Sie nicht arbeiten können!)


Das ist das Ergebnis Ihrer verfehlten Wirtschafts-, Finanz-
und Sozialpolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422208900
Ich erteile
dem Kollegen Oswald Metzger für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen das Wort.


Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422209000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich leide kör-
perlich an solchen Debatten, bei denen die Substanz fehlt.
Herr Rauen, was Sie gerade im Hinblick auf wirtschaftli-
che Zusammenhänge gesagt haben, ist eines Unterneh-
mers unwürdig.

Was passiert denn, wenn der Export anzieht? Wer ar-
beitet denn in Deutschland im Export? Wir sind die zweit-
größte Exportnation auf dem Globus.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Das ist doch gerade unser Problem! Sie verstehen überhaupt nichts! – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das hat er doch gar nicht gesagt! Sie haben nicht aufgepasst!)


Wir wissen seit gestern, dass die US-Volkswirtschaft im
vierten Quartal des letzten Jahres Gott sei Dank um sage
und schreibe 1,4 Prozent gestiegen ist. Damit war die
Wirtschaft in den USA nur ein Quartal lang in der Rezes-
sion. Wenn Sie wissen, dass 1 Prozent Wachstum in den
USA automatisch 0,4 Prozent Wachstum in Deutschland
bedeutet, dann sehen Sie, dass wir im Prinzip bereits jetzt
den Turn-around erleben.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Sie haben nichts verstanden und nicht zugehört! Sie haben keine Ahnung! – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Er versteht es schon, aber er will es nicht verstehen!)


– Regen Sie sich nicht so auf. Ihre Unkenrufe werden be-
reits in vier bis sechs Wochen in der Öffentlichkeit nicht
mehr verfangen, weil man sieht, dass sich in Deutschland




Peter Rauen
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(A)



(B)


die konjunkturelle Situation im Zuge der weltwirtschaft-
lichen Erholung in der Tat verbessert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Peter Rauen [CDU/CSU]: Darauf komme ich zurück, Herr Metzger!)


Diese Regierung macht dadurch eine flankierende Po-
litik, dass wir beispielsweise finanzpolitisch auf der si-
cheren Seite bleiben und all Ihren Konjunktur- und Steu-
ersenkungsfantasien eine Absage erteilt haben. Wir
konnten den Bürgerinnen und Bürgern glaubwürdig ver-
mitteln: Ein Staat, der seine Ausgabenprogramme durch
Kredite finanziert, greift den Bürgerinnen und Bürgern
über kurz oder lang in die Tasche, weil die Zinsen und
Zinseszinsen für die Schulden des Staates über Steuern
und Abgaben gezahlt werden. Keine Frage: Diese Soli-
dität ist eine positive Flankierung der wirtschaftlichen
Erwartungshaltung.

Beide Regierungsfraktionen wissen natürlich, dass wir
der Reformmotor in dieser Legislaturperiode sind. Ein
Reformprojekt haben wir heute vor einer guten Stunde ge-
gen den Widerstand der Union und gegen eine
unentschlossene FDP verabschiedet, die meint, sich sozu-
sagen als taktisches Lämpchen für ein mögliches Vermitt-
lungsverfahren anhängen zu können, obwohl sie immer
für Zuwanderung war und dies auch herausgestellt hat.

Wir glauben, dass die Reformagenda weiterbesteht.
Eine Schlagzahl werden wir nächste Woche, am 6. März,
aus Karlsruhe bekommen. Dann wird das Urteil zur Ren-
tenbesteuerung bzw. der Gleichbehandlung mit den Pen-
sionen gesprochen. Dabei wird sofort klar, dass die Steu-
erfreistellung von Altersvorsorgeleistungen durch die
nachgelagerte Besteuerung ein weiteres Thema auf der
aktuellen Reformagenda der nächsten zwei bis drei Jahre
sein wird. Genauso herrscht Einigkeit darüber, dass wir
bei den sozialen Transferleistungen mit unserem Vorha-
ben der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozial-
hilfe eine höhere Zielgenauigkeit erreichen werden.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Wer wollte das denn? – Peter Rauen [CDU/CSU]: Wann kommt das denn?)


Zu dem Punkt haben sich der Kanzler und die Koalitions-
fraktionen in gleicher Weise positioniert.

Wir werden bis Ende März eine Kommission zur Re-
form der Gemeindefinanzverfassung einrichten, die dafür
Sorge trägt, dass die Gemeinden und Landkreise in
Deutschland im Geleitzug dieser Reform nicht zum Zahl-
meister der Entlastung werden, wenn die Arbeitslosen-
hilfe nicht mehr aus dem Bundeshaushalt, sondern von
den Kommunen gezahlt wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben sehr wohl eine Reformagenda und wissen,
wie die Dinge zusammenhängen. Sie sind oft viel kom-
plexer, als ein Brüderle oder Rauen hier weismachen wol-
len. Aber die Wählerinnen und Wähler können weiß Gott
differenzierter denken, als die unterirdische Diskussion in

diesem Parlament, vor allem zu so vorgerückter Stunde
am Freitagnachmittag, aufzeigt.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Sie arroganter Nichtwisser, kann ich dazu nur sagen! Das ist unerträglich!)


Kollege Brüderle, Sie haben denAirbusA400M ange-
sprochen. Ich sage Ihnen, wie das Verfahren läuft – das ist
aber bekannt –: Dieses Parlament hat in einer Debatte in
Anwesenheit des zuständigen Ministers eine politische
Willenserklärung abgegeben, aus der klar ersichtlich war,
dass die Regierungsfraktionen die Haushalts- und
Budgetrechte dieses Parlaments achten. An genau dieses
Verfahren werden wir uns halten.


(Zurufe von der FDP: Oh! – Peter Rauen [CDU/CSU]: Schwafler!)


Wir haben am 13. März im Haushaltsausschuss des Deut-
schen Bundestages die erste Befassung mit der Beschaf-
fungsvorlage. Wenn ich richtig informiert bin, geht die
Beschaffungsvorlage über das Finanzministerium gerade
den Berichterstattern aller Fraktionen zu.

Sie haben den Transrapid bzw. den Metrorapid, wie er
in Nordrhein-Westfalen genannt wird, angesprochen. Wir
werden deutlich machen, dass die Zusagen der Bundes-
regierung im Entwurf des Haushaltsgesetzes 2003 der
Bundesregierung stehen, weil das Parlament dieses Jahr
keine Mittel für dieses Projekt zur Verfügung gestellt hat.

Kollege Brüderle, man muss bei dieser Geschichte auf-
passen. Die Technologie des Transrapid wird von den
meisten von uns Grünen nicht infrage gestellt.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Rainer Brüderle [FDP]: Sie sind der Exot bei den Grünen!)


– Keine Sorge, das ist in Nordrhein-Westfalen ein Lan-
desprojekt. Genauso wie in Bayern müsste die Landesre-
gierung zunächst einmal die eigene Finanzierung darstel-
len, bevor sie mit dem Projekt beginnt. Auf jeden Fall
weiß jede Landesregierung: Rechtsverbindliche Ver-
pflichtungen mit der Unterstützung des Bundes können
nur dann eingegangen werden, wenn im Haushaltsgesetz
des Jahres 2003 der dann gewählte 15. Deutsche Bundes-
tag entsprechende Mittel einstellt.

So sieht die Rechtslage aus. Das ist keine Frage.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Herr Metzger, man muss aber wissen, wie viel man bekommt!)


Herr Clement und Herr Stoiber müssen sich entscheiden,
ob sie die entsprechenden landesrechtlichen Vorausset-
zungen erfüllen können und ob sie die Projekte bereits in
diesem Jahr starten wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Wenn jemand benachteiligt wird, kann man es nicht richtigrechnen!)


– Herr Kollege Hinsken, so einfach ist die Rechtslage.
Ich komme zum Thema Steuerpolitik. Die Aussage

des Kollegen Schmidt hat mir gut gefallen. Er sagte, man
müsse sich ob der Vielstimmigkeit des Oppositionschores




Oswald Metzger

22069


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(D)



(A)



(B)


einmal entscheiden und in einer Oppositionserklärung sa-
gen, was gelte. Gilt das, was Brüderle sagt? Er sagt näm-
lich, er wolle Steuerschecks ans Volk geben. Er will also
kreditfinanzierte Steuernachlässe vergeben. Weiterhin will
er, sollte die Telekomaktie weiterhin einen Kursverlust er-
leiden, den Aktionären diesen Kursverlust aus Staatsmit-
teln ausgleichen. Was ist das für ein Verständnis von
Marktwirtschaft? Oder gilt bei der CDU/CSU das, was
Herr Stoiber sagt? Er sagt nämlich, dass die Schwan-
kungsreserve noch 6 oder 7Milliarden Euro beträgt, bevor
die 3-Prozent-Hürde erreicht wird. Gleichzeitig laufen
Merz, Merkel und andere gegen die gefährliche Nähe zum
3-Prozent-Kriterium Amok. Was gilt denn bitte schön?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es kann hier doch keine Beliebigkeitspolitik von der Op-
position betrieben werden.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Wir sind keine Beliebigkeitspolitiker!)


Das Ganze packen Sie in einen Sammelsuriumantrag,
wobei Sie so tun, als habe die Regierung über all diese
Punkte in Aktuellen Stunden und in großen Debatten, wie
zum Jahreswirtschaftsbericht, mit Ihnen nicht ausführlich
diskutiert. Dies geschah hier im Parlament, wobei eine
hohe Präsenz der zuständigen Ministerinnen und Minister
sowie gelegentlich auch des Kanzlers gegeben war. Das
ist ein Schauantrag. Es handelt sich um Wahlkampf und
um nichts anders.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422209100
Herr Kol-
lege Metzger, Sie können Ihre eigentlich abgelaufene Re-
dezeit noch ein wenig verlängern, indem Sie eine Frage
beantworten.


Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422209200

Das tue ich.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Er muss ja auch als Kandidat gewählt werden!)



Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1422209300
Herr Kollege Metzger, sind
Sie bereit zur Kenntnis zu nehmen, dass das, was Sie sa-
gen, falsch ist?

Erstens. Ich habe nie vorgeschlagen, die Telekom-
aktionäre zu entschädigen. Ich habe nur gesagt, dass man
den Kleinaktionären, wenn sie bei erneuten Privatisie-
rungsschritten zeichnen, einen Wiederanlagerabatt – in
der Form, in der man Mitarbeiterrabatte einräumt – als
Treueprämie gewähren sollte. Dies ist für Frühzeichner
bei der Telekom ohnehin der Fall gewesen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wie verträgt sich das denn mit der FDP?)


– Herr Schmidt, wenn Sie zuhören, können Sie mein Ar-
gument verstehen. Das würde die Sache leichter machen.
Aufgrund Ihres Dazwischenquiekens können Sie das
nicht mitbekommen. Das ist schade.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Das ist ein Dauerproblem!)


Also: Mein Vorschlag war, dass man den Kleinak-
tionären, die durchhalten, bei einer weiteren Zeichnung
– ähnlich dem Frühzeichner- bzw. Mitarbeiterrabatt – ei-
nen Rabatt einräumt. Ich habe nie vorgeschlagen – wenn
Sie etwas anderes behaupten, bitte ich Sie, das zu belegen –,
dass man die Aktionäre für Kursverluste, die sie mit der
Telekomaktie erlitten haben, entschädigen sollte. Das ist
absurd.

Zweitens. Ich habe auch nie vorgeschlagen, Steuerge-
schenke zu verteilen. Die Steuerschecks, die in Amerika
mit Erfolg verteilt wurden


(Zuruf von der SPD: Das ist eine Zwischenfrage und keine Kurzintervention!)


– hören Sie doch einmal zu, dann verstehen Sie es auch
besser –, waren eines der Instrumente, die dazu beigetra-
gen haben, dass die Amerikaner möglicherweise nur eine
sehr kurze Rezession gehabt haben. Sie selbst haben vor-
hin die neuesten Daten genannt.


(Horst Kubatschka [SPD]: Wo bleibt die Frage?)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422209400
Herr Kol-
lege Brüderle, kommen Sie bitte zu Ihrer Frage.


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1422209500
Ich frage, ob Sie bereit sind,
dem zuzustimmen. Das, was Sie gesagt haben, ist die Un-
wahrheit; denn ich habe es nicht gesagt. Man darf die
Dinge hier doch wohl noch richtig stellen, auch wenn Sie
dadurch, dass ich eine Frage stelle, später nach Hause
kommen.

Ich habe also nie vorgeschlagen, Steuern zu schenken.
Es ging nur darum, steuerliche Entlastungen im Voraus
vorzunehmen, wie es in Amerika höchst erfolgreich be-
trieben wurde.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch das Gleiche wie ein Steuergeschenk!)



Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422209600
Ich
antworte jetzt ernsthaft, obwohl man auch sehr polemisch
darauf reagieren könnte.

Ich komme zu Ihrem letzten Punkt. Sie haben Steuer-
senkungen durch Schecks vorgeschlagen, sodass die
Menschen das Geld sofort bar in der Tasche gehabt hät-
ten. Sie und Ihre Partei, die 29 Jahre mitregiert hat, hätten
wie die Amerikaner dafür sorgen müssen, dass Haus-
haltsüberschüsse bestehen, sodass eine wirklich großzü-
gige Steuerreform hätte durchgeführt werden können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Man sollte nicht den Eindruck erwecken, dass ein Staat,
der unter dem Strich am Pranger – auch dem der FDP –
steht, wenn es um den fast zugesandten blauen Brief geht,
etwas zu verschenken hat. Sie müssen sich entscheiden,
was Sie wollen.

Aus meiner Sicht war das eine Beliebigkeitsge-
schichte. Sie haben der Bevölkerung das Blaue vom Him-




Oswald Metzger
22070


(C)



(D)



(A)



(B)


mel versprochen und den Eindruck erweckt, als ob Manna
vom Himmel regnet, obwohl jeder weiß, dass Bund, Län-
der und Gemeinden – auch solche Länder und Gemein-
den, in denen Sie mitregieren – nach wie vor Kredite auf-
nehmen müssen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Dort den
Leuten vorzugaukeln, man könne ihnen Geld schenken,
ist absurd. Wir haben die Steuern in drei Stufen – im Ge-
setzblatt können Sie das nachlesen – seriös gesenkt und
gleichzeitig die Neuverschuldung reduziert. Das ist eine
solide Politik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das geht zwar langsamer, aber wir müssen auch noch
Aufräumarbeiten aufgrund der jahrzehntelangen Regie-
rungsbeteiligung der FDP durchführen. Diese hat ständig
niedrige Steuern versprochen und gleichzeitig die Steuer-
sätze – egal, mit welchem Partner – hoch gehalten.

Zweite Bemerkung. Herr Brüderle, ich habe die Quelle
nicht mehr greifbar. Ich habe im letzten Herbst eine „Bild
am Sonntag“


(Rainer Brüderle [FDP]: Die seriöseste Quelle, die es gibt!)


gelesen. Es kann sein, dass Sie falsch zitiert wurden. Auf
jeden Fall war für das Volk deutlich sichtbar zu lesen:
Brüderle will Entschädigung für Aktionäre wegen Kurs-
verlusten. Das wäre marktwirtschaftlicher Nonsens. Da-
rüber brauchen wir uns nicht zu unterhalten. Wenn das
nicht so ist, dann nehme ich es zur Kenntnis und werde es
nicht mehr verwenden, Herr Brüderle. So bin ich.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422209700
Für die
Fraktion der PDS spricht der Kollege Dr. Dietmar
Bartsch.


Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1422209800
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! „Bild am Sonntag“, die seriöseste
Quelle, Herr Metzger.

Ich will, Herr Schmidt und Herr Metzger, einen Satz
zur Zuwanderung sagen. Sie feiern, dass der Gesetzent-
wurf heute verabschiedet worden ist. Das hat mich nicht
sehr überrascht. Die Probleme sind aber noch da und das
liegt auch daran, dass Sie mit dem Gesetzentwurf so spät
in den Bundestag gekommen sind.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wir haben nur den Versuch gemacht, alle einzubeziehen!)


In einem Wahljahr ist das äußerst kompliziert. Nur dieser
Satz dazu.

Als ich von dem Antrag hörte, dachte ich zunächst,
dass die FDP – insbesondere Herr Westerwelle – sauer ist,
dass er noch nicht alleine bei Illner oder Christiansen war,
und sie deshalb einen solchen Antrag stellt. Ich habe ge-
dacht, wenn jemand 18 Prozent haben will und dann zwei

Drittel abzieht, wird es einigermaßen stimmen. Ich habe
immer noch das Gefühl, dass es sich um einen Wahl-
kampfantrag handelt.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist doppelt so viel, wie die PDS hat!)


– Das wollen wir mal sehen. Warten Sie den September
ab! – Ich habe immer noch das Gefühl, dass es sich um
Wahlkampfreden handelt, obwohl Regierungshandeln ge-
fragt ist.

Das Problem ist, obwohl der FDP-Antrag ein Stück
weit scheinheilig ist: Herr Brüderle hat mit dem, was er
hier gesagt hat, Recht. Wenn man sich alle zwölf Punkte
einzeln ansieht, wird man feststellen, dass überall Fragen
offen geblieben sind. Das Herbeirufen der Regierung wird
uns nicht sonderlich helfen. Da hätte ich eher Sorgen.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Aber die Ablösung der Regierung!)


– Ich glaube, über die Ablösung der Regierung diskutie-
ren wir jetzt nicht. Wir haben dafür noch Monate Zeit.

Allerdings haben Sie, Herr Brüderle, ein Privileg: Sie
haben in Ihrem Antrag gesagt, Sie hätten eine Linie er-
kannt. Das ist genau das, was ich in dem Regierungshan-
deln nicht erkennen kann. Das kann ich aber vielleicht bei
Ihnen noch lernen. Ich komme gerne darauf zurück. Sie
wissen, dass die Regierung jetzt Erdbeertorte essen ist.
Ich weiß das leider nicht. Wir müssen einmal schauen,
woher Sie diese Information haben.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Sicher ist, dass es im Sozialismus um diese Jahreszeit keine Erdbeeren gab!)


Richtig ist: Sie können jedes einzelne Thema – Trans-
portflugzeug, blauer Brief, V-Mann-Skandal – nehmen
– es sind nicht wir, sondern die Medien – die Ihnen im
Übrigen nahe stehen –, die von Chaostruppe sprechen. Es
sagt alles, wenn aus der Regierungsmannschaft des Kanz-
lers der Umweltminister, der den Atomausstieg in 32 Jah-
ren bewerkstelligen will, der Vorzeigeminister geworden
ist. Das ist wirklich ein Problem.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Für wen? Für Sie?)


– Für die Regierung ist es ein Problem.
Das, was in der Bundesanstalt für Arbeit gelaufen ist,

ist inakzeptabel. Ich glaube, das ist nur ein Mosaikstein-
chen. Das Hauptproblem ist: Die Arbeitslosigkeit – hier
wurde heftig über Konjunktur geredet – steigt im Kern
seit 25 Jahren. Konjunktur kommt und geht auch wieder;
man kann das bei Marx oder – wem das nicht passt –
Adam Smith nachlesen. Es sind strukturelle Probleme.
Die Lösung dieser Probleme ist auch nicht angegangen
worden. Sie haben weitergemacht wie bisher. Hier ist ei-
ner der Punkte, wo Sie handeln müssen.

Ich will kurz zu dem Thema, das Kofi Annan gestern
angesprochen hat, sprechen – auch die FDP spricht das in
ihrem 11. Punkt an –: dass die Folgen des 11. September
nicht nur militärisches Handeln – das wir, wie Sie wissen,
ablehnen – sondern andere Dinge beinhalten. Schauen Sie
sich den Haushalt von Frau Wieczorek-Zeul an! Der geht




Oswald Metzger

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(C)



(D)



(A)



(B)


immer weiter runter. Da liegen Reden und Handeln of-
fensichtlich weit auseinander. Das ist doch ein ernsthaftes
Problem.


(Beifall bei der PDS)

Frau Wieczorek-Zeul fordert dann die Einführung der To-
binsteuer. Wir hatten das neulich im Parlament; Sie haben
das abgelehnt. Es ist keine Linie zu erkennen.

Ich will in Bezug auf die Linie einen letzten Punkt nen-
nen: Die Chefsache Ost ist zur Nebensache verkommen.
Ich könnte viele Zahlen nennen. Die Arbeitslosigkeit ist
so hoch wie noch nie. 72 Prozent der Ostdeutschen zwi-
schen 16 und 29 sehen ihre Chancen im Westen besser als
im Osten. Im Osten leben ein Fünftel der Menschen, aber
ein Drittel der Arbeitslosen. Die 100 größten deutschen
Unternehmen haben ihren Sitz im Westen und die 100
größten im Osten haben noch nicht einmal halb so viel
Jahresumsatz wie VW. Wenn es denn zu Entscheidungen
wie zu der über den A3XX kommt, engagiert sich der
Bundeskanzler für den Westen. Das alles sind Probleme.

Sie dürfen Ostdeutschland eben nicht wie die Afrika-
forscher behandeln, die Glasperlen verteilen, sondern Sie
müssen die Lösung der Probleme anpacken. Genauso ist
das, wenn man mit der Plastiktüte auf dem Kopf durch
Ostdeutschland läuft und Schokoladenessen für Deutsch-
land macht. Das alles wird nichts bringen. Das ist ein
Ignorieren der Probleme.

Es wird auch nichts helfen, wenn wir die Regierung
noch einmal befragen, weil die Konzeptlosigkeit das Pro-
blem ist. Gerade für den Osten wird es notwendig sein,
nicht nur in Fußgängerzonen zu stehen und zu lächeln.
Vielmehr muss sich die Politik ändern – und das um der
Demokratie und der Menschen im Osten willen.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422209900
Für die
SPD-Fraktion spricht der Kollege Joachim Poß.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Uns bleibt auch nichts erspart!)



Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1422210000
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Herr Koppelin, wenn Sie solche Anträge stel-
len, müssen Sie damit rechnen, dass man mehr oder we-
niger ernst dazu Stellung nimmt. Was mein Kollege
Schmidt zur Unernsthaftigkeit gesagt hat, ist zutreffend.
Mit diesem wirren Antrag, der ein Sammelsurium von
Unterstellungen und Halbwahrheiten ist, kann man politi-
sche Themen nicht behandeln.


(Beifall bei der SPD)

Man kann in der Beurteilung einzelner Vorgänge sehr
wohl unterschiedlicher Meinung sein, nur tun wir uns als
Parlament insgesamt keinen Gefallen, wenn wir auf der
Grundlage solch unqualifizierter Anträge eine Debatte
führen.


(Beifall bei der SPD – Ulrich Heinrich [FDP]: Das ist Ihre Erfolgsbilanz, Herr Poß!)


Das ist doch der Punkt, um den es hier geht. Eine solche
Debatte fördert eher den Politikverdruss. Deshalb werde
ich auch nur auf einige Aspekte eingehen.

Eigentlich habe ich erwartet, dass das Kompetenzpaket
Rauen – er hat ja große Kompetenzen für sich in Anspruch
genommen – noch da ist; denn ich kann ihm nicht durch-
lassen, dass er dem Bundeskanzler etwas unterstellt, was
er nicht belegen kann. Wo hat der Bundeskanzler erklärt,
dass seine Politik darin besteht, auf den Aufschwung in
den USA zu warten? Eine solche Aussage wird er nicht
belegen können. Der Bundeskanzler hat im Deutschen
Bundestag und anderswo auf Zusammenhänge hingewie-
sen, die jeder einigermaßen und halbwegs wirtschafts-
kundig Gebildete kennen müsste. Es ist eben keine andere
europäische Wirtschaft so wie unsere im weltwirtschaftli-
chen Zusammenhang zu sehen.


(Beifall bei der SPD)

Darauf und auf die besonders enge Verflechtung mit den
USA hat er hingewiesen. Das ist doch nicht zu leugnen.

Ich wiederhole es: Im Herbst 2000 haben alle so ge-
nannten Experten erklärt, Europa könne sich von einem
„soft landing“ oder „hard landing“ in den USAabkoppeln.
Das ist nicht eingetreten. Das haben nicht die Politiker
prognostiziert, das waren Institute und Wirtschaftsprofes-
soren. Wissenschaftlich-empirische Untersuchungen be-
weisen die enge Verflochtenheit mit der Weltwirtschaft
und mit der Wirtschaft in den USA.

Wenn wir über Kompetenz reden, müssen sich die Ver-
treter der Union schon gefallen lassen, dass ich sie bitte,
endlich einmal zu klären, wann sie ihre zentralen Vorstel-
lungen zur Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik präzi-
sieren. Der Wirrwarr ist ja nicht mehr zu überbieten.


(Beifall bei der SPD – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Da gibt es viele, viele Papiere!)


Gestern haben Ihre Fachpolitikerinnen mehr Familien-
geld gefordert. Anschließend haben sie sich mit Herrn
Stoiber getroffen und der hat gesagt: Liebe Frauen, das
können wir sehr wahrscheinlich so nicht finanzieren, und
hat das wieder einkassiert. So sieht Ihre Kompetenz aus.


(Beifall bei der SPD – Manfred Grund [CDU/CSU]: Nicht im ersten Schritt!)


Jeden Tag wird bei Ihnen herumgeeiert. Sie wissen über-
haupt nicht, wohin Sie wollen.

Sie haben jetzt angekündigt, Ende April wollten Sie
Ihre Vorstellungen vorlegen. Herr Merz hat laut „FAZ“
erklärt: Wir werden unsere Vorstellungen in Ruhe ent-
wickeln. Das stelle man sich einmal vor!


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die ruhige Hand!)


Wir sind in einem Wahljahr und die große Oppositions-
partei erklärt, sie fange jetzt erst an, Vorstellungen zu ei-
nem zentralen Feld der Politik zu entwickeln. So sieht Ihre
Kompetenz aus.


(Beifall bei der SPD – Manfred Grund [CDU/CSU]: Ihr habt erst nach der Wahl angefangen! Ihr wusstet ja gar nicht, was ihr machen solltet!)





Dr. Dietmar Bartsch
22072


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich will mich auch nicht mit den vielen Widersprüchen
von Herrn Stoiber, die er jetzt nach und nach einkassiert,
auseinander setzen. Es geht um mehr als 60 Milliar-
den DM. Kürzlich hat er noch eine Senkung des
Spitzensteuersatzes auf unter 40 Prozent gefordert. Wie er
das finanzieren will, hat er nicht gesagt.

Er hat nur in der Tat deutlich gemacht, dass eine ge-
wisse Verbindung in der Unseriosität mit der FDP gege-
ben ist. Die FDP fordert auch ständig einfache, gerechte
Steuertarife.


(Walter Hirche [FDP]: Richtig!)

Schon der damalige Bundesfinanzminister Waigel – um
eine unverdächtige Quelle zu zitieren – hat ausgerechnet,
das würde zusätzliche Steuerausfälle von mehr als
100 Milliarden DM bedeuten.

Meine Damen und Herren, wenn es in der deutschen
Politik eine Kraft gibt, die, was Konzeptionen angeht
– nicht was Personen angeht, es sind nette Menschen dar-
unter –, überflüssig ist, die durch und durch unseriös ist,


(Walter Hirche [FDP]: Warum macht ihr denn zehn Jahre später immer das, was wir vorgeschlagen haben?)


die uns durch ihre jahrzehntelange Regierungsbeteiligung
in diese Staatsverschuldungsfalle hat laufen lassen,


(Walter Hirche [FDP]: Weil die Steuern nicht gesenkt worden sind!)


dann sind Sie das, meine Damen und Herren von der FDP.

(Beifall bei der SPD)


Sie waren wesentlich mit daran beteiligt, dass falsche
Grundsätze beim Aufbau Ost durchgesetzt wurden. Unter
den Folgen dieser falschen Finanzierung der deutschen
Einheit leiden wir eben noch heute. Es ist eine Frechheit,
dass Sie uns hier auf die Anklagebank setzen wollen, wo
wir nur durch harte Arbeit Tag für Tag versuchen, Ihren
Mist wegzuräumen. Das ist doch die Situation.


(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)


Und die Kompetenz Stoibers ist hier doch nicht größer.
Ich könnte ihn ja zitieren.

Heute habe ich festgestellt, dass sich Herr Stoiber of-
fenbar auch noch als Beschützer der Steuerhinterzieher
versteht. Der Bundesrechnungshof liegt mit Bayern im
Clinch. Den Prüfern des Bundesrechnungshofs wird der
Zugang zur bayerischen Finanzverwaltung verboten, weil
dort offenkundig vieles passiert – sozusagen Bayern als
Steueroase –, was nicht geltendem Recht entspricht. Die-
sem Vorgang und der Frage, wie es mit der Kompetenz
von Herrn Stoiber aussieht, werden wir von politischer
Seite in den nächsten Tagen sehr sorgfältig nachgehen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Über die FDP muss man eigentlich nicht mehr spre-
chen. Was werfen Sie denn Hans Eichel eigentlich vor?


(Zuruf von der FDP: Nichts!)


Wollen Sie ihm im Ernst vorwerfen, dass er jetzt in Brüs-
sel bestätigt hat, was der Finanzplanungsrat unter Beteili-
gung aller Landesregierungen schon im Juni vergangenen
Jahres gesagt hat, nämlich dass wir versuchen werden,
uns bis 2004 einem ausgeglichenen Gesamthaushalt zu
nähern? Wollen Sie damit sichtbar machen, dass Ihnen an
Stabilitätspolitik nicht gelegen ist, weil Sie sich treu blei-
ben wollen?

Herr Westerwelle sagt, er werde nur dann einen Koali-
tionsvertrag unterschreiben, wenn die Steuern geringer,
gerechter und einfacher würden. Was das bei Ihnen heißt,
wissen die Menschen in Deutschland: Die Steuern müs-
sen für Spitzenverdiener geringer werden. Es muss einfa-
cher werden, Steuern zu hinterziehen, und Gerechtigkeit
ist für Sie sowieso nur ein partielles Problem. So sieht das
in der Praxis aus, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD)

Denn immer, wenn es darum gegangen ist, in der Bun-
desrepublik Deutschland mehr Steuergerechtigkeit herzu-
stellen, ist das gegen Ihre Stimmen im Deutschen Bun-
destag oder dort, wo Sie sonst noch beteiligt waren,
geschehen. Sie sind ungeeignet, solche Anträge zu stellen.


(Beifall bei der SPD)

Sie haben keine politische Legitimation. Das gilt auch

für die anderen Beispiele. Wollen Sie nun eigentlich das
Transportflugzeug A400M oder wollen Sie es nicht?


(Zuruf von der [CDU/CSU]: Natürlich wollen wir es! – Aribert Wolf [CDU/CSU]: Aber verfassungskonform!)


Sind Sie dafür, die dafür notwendigen Mittel bereitzustel-
len, oder nicht? Sie bekommen die Beschaffungsvorlage.
Dann können Sie ihr am 30. März im Haushaltsausschuss
des Deutschen Bundestag zustimmen.


(Walter Hirche [FDP]: Machen Sie einen ordentlichen Nachtragshaushalt!)


Stichwort Transrapid: Wollen Sie die Projekte etwa
nicht, um Ihrem Schattenvorsitzenden Jürgen Möllemann
eins auszuwischen? Oder wollen Sie sie vielleicht nicht in
Bayern? Sie müssen schon erklären, was Sie eigentlich
wollen.


(Walter Hirche [FDP]: Das haben wir schon erklärt!)


Was halten Sie denn von der jetzt eingeleiteten Reform
der Bundesanstalt für Arbeit? Halten Sie diese für gut
oder kritisieren Sie sie?


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Dazu kommen wir gleich, Herr Poß!)


Walter Riester hat doch schnell und zukunftsweisend auf
die Probleme bei der Bundesanstalt für Arbeit reagiert.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ist es!)


Ich verstehe nicht, was daran auszusetzen sein soll.




Joachim Poß

22073


(C)



(D)



(A)



(B)


Herr Laumann, wenn Sie gleich darauf eingehen, wer-
den Sie doch sehr wahrscheinlich auch auf die Geschichte
vor dem Regierungswechsel 1998 eingehen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Jedenfalls erwarte ich von Ihnen – Sie sind ja ein redlicher
Mann –, dass Sie das machen, wenn Sie zu dem Thema
Stellung nehmen.

Ich nenne weiter das Stichwort Lohnnebenkosten.
Auch uns gefallen die relativ hohen Lohnnebenkosten
nicht. Ich muss allerdings daran erinnern, dass wir in Ih-
rer Regierungszeit – so lange liegt sie noch nicht zu-
rück – Lohnnebenkosten von mehr als 42 Prozent hatten.


(Zuruf von der SPD: Aha! Schaut her!)

Ich könnte noch weitere Stichworte anführen.
Meine Damen und Herren, wir nehmen das Parlament

durchaus Ernst,

(Zuruf von der CDU/CSU: Ach!)


aber Sie sollten die Parlamentsarbeit nicht mit einem
solch wirren Zeug zusätzlich erschweren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422210100
Als letztem
Redner in dieser Debatte erteile ich nun dem Kollegen
Karl-Josef Laumann von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.


Karl-Josef Laumann (CDU):
Rede ID: ID1422210200
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kol-
lege Poß, lassen Sie mich zunächst einmal eine Bemer-
kung zu Ihrer Anmerkung machen, dass mein Kollege
Rauen nicht mehr an der Debatte teilnimmt. Es ist nun
einmal so, dass die CDU in Rheinland-Pfalz heute am
frühen Abend ihre Landesvertreterversammlung durch-
führt. Als Profis wissen wir alle, dass man an solchen Ter-
minen teilnehmen muss.


(Joachim Poß [SPD]: Ich habe das nur festgestellt! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wir haben alle unsere Arbeit!)


Ich meine, das sind wir unserer Parteibasis auch schuldig.

(Joachim Poß [SPD]: Das ist ja okay! Das ist ja nicht der Punkt! Aber wenn er uns hier Nachhilfeunterricht gibt, soll er sich auch die Fakten anhören! Dann kann er nicht abhauen!)


Der Antrag der FDP-Fraktion macht deutlich, dass un-
sere Verfassung dem jeweiligen Bundeskanzler aus gutem
Grund eine ziemlich mächtige Stellung einräumt. Diese
mächtige Stellung begründet sich daraus, dass in Art. 65
Satz 1 des Grundgesetzes von der Richtlinienkompetenz
die Rede ist.

Angesichts der Arbeitsmarktlage in Deutschland hat
die FDP völlig Recht: In der nächsten Woche werden wir
wieder neue Arbeitslosenzahlen bekommen, die höher als
die vom 6. Februar sein werden. Mit denjenigen, die in ge-

förderter Beschäftigung sind, gibt es in Deutschland
6Millionen Arbeitslose. Als Mitglied des Deutschen Bun-
destages weiß ich nicht – niemand von uns weiß das –, wie
sich der Bundeskanzler unseres Landes den Abbau der Ar-
beitslosigkeit vorstellt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das haben wir nun in vielen Debatten erklärt! Wenn Sie nicht zuhören, ist das Ihr Bier!)


Vor allem wissen wir nicht, wie sich der Bundeskanzler
dies im Hinblick auf die Arbeiter vorstellt. Mittlerweile
sind 63 Prozent der Arbeitslosen in Deutschland Arbeite-
rinnen und Arbeiter. Sie haben völlig Recht, dass es sich
hier um einen strukturellen Prozess handelt, der seit vie-
len Jahren abläuft. Ich weiß nicht, wie sich der Bundes-
kanzler die Schaffung von Arbeitsplätzen, die wir in der
industriellen Fertigung leider nicht mehr haben, für die-
sen Personenkreis vorstellt. Wir wissen nicht, wie die
Bundesregierung dazu steht – Anträge von CDU/CSU
und FDP liegen dazu vor –, wie man etwa im Nied-
riglohnbereich in Deutschland zu mehr Arbeitsplätzen in
Deutschland kommen kann. Seit Wochen schweigt der
Bundeskanzler auf der ganzen Linie.

Dass wir den Bundeskanzler auffordern, dazu etwas zu
sagen,


(Joachim Poß [SPD]: Ist das Ihr Antrag? Mit so einem miesen Antrag identifizieren Sie sich?)


hat auch damit zu tun, dass wir dem Bundesarbeitsminis-
ter die Antworten schon gar nicht mehr zutrauen. Wir
erwarten schon gar nicht mehr, dass wir von ihm eine Ant-
wort darauf bekommen, wohin es in der Arbeitsmarktpo-
litik gehen soll. Deswegen ist es völlig richtig, dass wir in
dieser Frage verlangen, dass uns der Bundeskanzler sagt,
wohin er will. Das soll er uns vor allen Dingen vor dem
22. September sagen.

Heute sind in Deutschland 550 000 junge Leute unter
25 Jahren arbeitslos. Das ist trotz Ihres JUMP-Program-
mes die höchste Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen seit
über drei Jahren. Ist es zu viel verlangt, wenn man von ei-
nem Bundeskanzler erwartet, dass er hier im Parlament
einmal dazu Stellung nimmt, wie er sich die Bekämpfung
der Jugendarbeitslosigkeit vorstellt, und dass er uns sagt,
was er tun will, damit Mittelstand, Handel und Gewerbe
eine ausreichende Zahl von Ausbildungs- und Arbeits-
plätzen zur Verfügung stellen können?

Die Kommunalpolitiker im Bundestag wissen, dass
wir langsam, aber sicher das Herzstück unserer Demo-
kratie, die kommunale Selbstverwaltung, verlieren. In
meinem Heimatland Nordrhein-Westfalen sind mittler-
weile mehr als ein Drittel der Kommunen im so genann-
ten Ausgleichsstock. Das heißt, in diesen Gemeinden wird
nur noch über Pflichtaufgaben beschlossen; dort kann
nichts mehr gestaltet werden. Angesichts einer solchen Si-
tuation interessiert mich schon, wie sich ein Bundeskanz-
ler einen neuen Finanzausgleich zwischen Bund, Ländern
und Gemeinden mit dem Ziel vorstellt, dass die kommu-
nale Selbstverwaltung erhalten bleibt.

Der Irrsinn, dass mittlerweile viele Programme der
Kinder- und Jugendarbeit in den Regionen unseres Lan-
des über so genannte Projektmittel der Arbeitsverwaltung




Joachim Poß
22074


(C)



(D)



(A)



(B)


finanziert werden, ist nun wirklich nicht der Weisheit letz-
ter Schluss. Es wäre doch besser, die Kreistage und Ge-
meinderäte könnten das selbst entscheiden. Auch hierzu
haben wir keine Antworten der Bundesregierung.

Wir alle wissen, dass in unserem Land der Anteil der
pflegebedürftigen Menschen steigt. Diejenigen von uns,
die in ihrem Wahlkreis damit befasst sind, wissen, dass in
den Altenheimen mittlerweile eine miese Stimmung
herrscht. Die Träger wissen nicht mehr, wie sie es finan-
zieren sollen, die Altenpflegerinnen und Altenpfleger stei-
gen aus dem Job aus, weil sie den Stress nicht mehr aus-
halten, und die alten Leute fühlen sich immer schlechter
betreut. Wo ist die Antwort der Bundesregierung auf die
Frage, was dagegen getan werden soll, dass sich dieses
Problem aufgrund der demographischen Situation in un-
serem Land gravierend verschärft?


(Walter Hirche [FDP]: Ruhige Hand und tote Zunge!)


Es passiert nichts. Ich kenne keine Aussagen des Bundes-
kanzlers, wie er sich die Lösung dieses Problems vorstellt.

Ich bin sehr gespannt, was die SPD-Fraktion in der
übernächsten Woche sagen wird, wenn der Arbeitsminis-
ter allen Ernstes vorschlägt, dass die Arbeitslosen dem-
nächst ihre privaten Arbeitsvermittlermit bis zu einein-
halb Monatslöhnen selber bezahlen sollen. Wenn Sie
damit beginnen, dass der Arbeitslose, der noch über Geld
verfügt, sich im Gegensatz zu demjenigen, der kein Geld
mehr hat, einen Arbeitsplatz kauft, dann ändern Sie bitte
den Namen der Sozialdemokratischen Partei.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422210300
Ich schließe
die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
FDP auf Drucksache 14/8281 mit dem Titel „Abgabe ei-
ner Regierungserklärung des Bundeskanzlers im Deut-
schen Bundestag zu den Vorhaben der Bundesregierung
zur Bewältigung der aktuellen politischen Herausforde-
rungen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen
der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die
Stimmen der Fraktionen der FDP und der CDU/CSU bei
Enthaltung der Fraktion der PDS abgelehnt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Zehnten Ge-
setzes zur Änderung des Fünften Buches Sozi-
algesetzbuch (10. SGB V-Änderungsgesetz)

– Drucksache 14/8099 –

(Erste Beratung 216. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14. Ausschuss)

– Drucksache 14/8384 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Fritz Schösser

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Das Haus ist
damit einverstanden. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst für die
Bundesregierung der Parlamentarischen Staatssekretärin
bei der Bundesministerin für Gesundheit, der Kollegin
Gudrun Schaich-Walch, das Wort.

G
Gudrun Schaich-Walch (SPD):
Rede ID: ID1422210400
Herr Präsident!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Rentnerinnen und
Rentner in der gesetzlichen Krankenversicherung sind
gleich zu behandeln – so lautet das Urteil des Bundesver-
fassungsgerichts. Der Gesetzgeber schafft mit dem vor-
liegenden Gesetzentwurf die notwendigen Regelungen,
damit das Urteil umgesetzt werden kann, ohne dass dies
zu unvertretbaren Beitragsmehrbelastungen führt. Des-
halb geht es heute nicht nur um Verfassungsrecht; es geht
auch darum, einen Schritt in Richtung mehr Beitragsge-
rechtigkeit zu gehen.


(Ulf Fink [CDU/CSU]: Ja, das wäre schön!)

– Es ist so, Herr Fink.

Für die Akzeptanz der sozialen Sicherungssysteme
– davon bin ich fest überzeugt – ist es sehr entscheidend,
dass die Menschen die Überzeugung haben, dass ihnen
hier Gerechtigkeit widerfährt. Diese Akzeptanz wird nur
dann zu erreichen sein, wenn wir die Menschen auf die-
sem Gebiet vor unliebsamen Überraschungen bewahren
können, sei es durch Leistungskürzungen, wie Sie sie mit
Wahl- und Regelleistungen ja immer wieder ins Gespräch
bringen,


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Der Herr Gerster ist auch dabei! – Aribert Wolf [CDU/CSU]: Herr Hovermann auch!)


sei es durch Beitragsmehrbelastungen, die aus alten ge-
setzgeberischen Fehlentscheidungen resultieren, die letzt-
endlich Sie verursacht haben. In diesem Zusammenhang,
meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ist es mir
völlig unverständlich, dass Sie als entscheidende Verursa-
cher dieses zehn Jahre alten Problems nicht bereit sind


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Da war der Herr Dreßler aber auch beteiligt!)


– ich habe ja gesagt: entscheidende Verursacher; ich habe
nicht gesagt: alleinige Verursacher –,


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Das war der Herr Dreßler!)


eine entsprechende Korrektur mitzutragen, die die Un-
gleichbehandlung, deren Vorhandensein uns das Verfas-
sungsgericht bescheinigt hat, aufhebt.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Dann wollen wir die Geschichte aufarbeiten!)


Wir werden das jetzt mit diesem Gesetz tun.
Ich komme zunächst zu den freiwillig versicherten

Rentnerinnen und Rentnern in der gesetzlichen Kran-
kenversicherung. Wir haben uns in der Diskussion über
die Umsetzung des Verfassungsgerichtsurteils davon lei-
ten lassen, dass für die Rentnerinnen und Rentner, die jetzt




Karl-Josef Laumann

22075


(C)



(D)



(A)



(B)


als freiwillig Versicherte in der gesetzlichen Krankenver-
sicherung sind, ein Bestandsschutz gelten muss, dass sie
deshalb einen gewissen Entscheidungsspielraum haben
müssen und dass sie anders behandelt werden müssen als
die, die zukünftig als Neurentner in dieses System hinein-
kommen werden. Wir haben sehr gute Gründe dafür, dass
wir den freiwillig versicherten Rentnerinnen und Rent-
nern diesen besonderen Schutz gewähren. Denn es ist
nicht einzusehen, dass diejenigen, die der gesetzlichen
Krankenversicherung die Treue gehalten haben und nicht
in die PKV abgewandert sind, für die gleiche Leistung ei-
nen höheren Beitrag zahlen sollen.

Es wird sich auch in der praktischen Umsetzung für die
betroffenen Frauen und Männer auszahlen. Ich möchte Ih-
nen ein Beispiel nennen: Ein bisher freiwillig versicherter
Rentner mit Versorgungsbezügen, der im Monat etwa
1 000 Euro aus seiner Rente und 300 Euro aus einer Be-
triebsrente erhält und der sich nun pflichtversichert, wird
im Monat 13 Euro sparen. Das ist für manch einen eine
Menge Geld. Denn nicht jeder ehemals freiwillig Versi-
cherte bekommt auch eine hohe Rente.


(Ulf Fink [CDU/CSU]: Wer zahlt die 13 Euro?)


Es gibt eine zweite Gruppe, für die diese Regelungen
auch so zu gestalten sind; das sind diejenigen, die als
Familienangehörige bei freiwillig Versicherten mit ver-
sichert waren. Bei dieser Gruppe handelt es sich nahezu
ausschließlich um Frauen. Auch diesen wollen wir durch
die im Gesetz enthaltene Wahlmöglichkeit die Chance ge-
ben, ihren Versicherungsstatus beizubehalten. Das betrifft
etwa 50 000 bis 100 000 Bezieherinnen kleiner Renten.
Mit der jetzigen Regelung – das ist sehr wichtig –, sorgen
wir dafür, dass diese Frauen in jedem Fall abgesichert
sind.

Entscheidend wird es trotz der Mehrbelastungen, die
Sie, Herr Fink, angesprochen haben, sein, dass wir eine
Lösung für die Zukunft finden. Es wird bei Herstellung
der Gleichbehandlung zum einen um den Bestandsschutz
und zum anderen um entsprechende Regelungen für Neu-
rentner gehen. Neurentner werden nach Maßgabe des vor-
liegenden Gesetzes künftig gleich behandelt werden. Das
ist genau das, was das Bundesverfassungsgericht vom
Gesetzgeber verlangt hat.

Es würde mich sehr freuen, wenn Sie als Mitverursa-
cher dem vorliegenden Gesetzentwurf zustimmten. Wenn
Sie es nicht tun, dann wollen Sie die Mehrbelastungen, die
sich aus der Umsetzung der im Beschluss des Bundesver-
fassungsgerichts enthaltenen Maßgaben ergeben, nicht
auf die vielen Schultern der in der GKV Versicherten
gleichmäßig verteilen. Dann müssen Sie klar sagen, dass
die Rentnerinnen und Rentner sowie die Bezieher kleiner
Einkommen die finanzielle Mehrbelastung tragen sollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422210500
Für die
Fraktion der CDU/CSU spricht der Kollege Aribert Wolf.


(Ulf Fink [CDU/CSU]: Das wird gut!)



Aribert Wolf (CSU):
Rede ID: ID1422210600
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Am 15. März 2000 hat das
Bundesverfassungsgericht wegen eines Verstoßes gegen
den Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes eine
gesetzliche Regelung für ungültig erklärt, nach der nur
freiwillig versicherte Rentner, also nicht alle Rentner,
Krankenkassenbeiträge auch aus Einnahmen von Be-
triebsrenten, Zinsen oder Mieteinnahmen zu entrichten
hatten. Entgegen der von Rot-Grün immer wieder erho-
benen Behauptung – auch die Frau Staatssekretärin
Schaich-Walch hat das gerade behauptet – geht diese ge-
setzliche Regelung auf eine Forderung der SPD zurück.
Damals – ich kann mich noch gut daran erinnern – hat
Herr Dreßler in Lahnstein gefordert, die Besserverdienen-
den müssten in der gesetzlichen Krankenversicherung
stärker zur Kasse gebeten werden. Die Regelung geht also
auf Rudolf Dreßler und nicht auf Horst Seehofer zurück.
Das ist die historische Wahrheit. Darum haben Sie dieses
Gesetz 1992, als Sie in der Opposition waren, zusammen
mit der Union und der FDP beschlossen. Es war Ihre
Regelung, die das Bundesverfassungsgericht aufgehoben
hat.

Sie hatten – auch das ist interessant – zwei Jahre,
730 Tage, Zeit, um eine tragfähige gesetzliche Regelung
auf den Weg zu bringen. Es war also genug Zeit. Aber es
ist typisch für die Gesundheitspolitik dieser rot-grünen
Bundesregierung, dass man jahrelang nichts macht, die
Sachen schleifen lässt und dann kurz vor Torschluss
schnell einen Gesetzentwurf auf den Tisch knallt. Das
zeigt wieder einmal: Derjenige, der sich aus Angst vor De-
batten und Auseinandersetzungen in der Gesundheitspoli-
tik scheut, rechtzeitig ein Reformkonzept zu entwickeln,
muss in hektischen Aktionismus verfallen. Das merken
die Menschen. Alle Umfragen zeigen, dass sich immer
mehr Bürger von der rot-grünen Bundesregierung in der
Gesundheitspolitik nicht gut vertreten fühlen. Die Men-
schen haben Recht.

Auch der heutige Entwurf eines Gesetzes zur
Krankenversicherungspflicht der Rentner ist wieder ein-
mal mit heißer Nadel gestrickt, handwerklich mangelhaft
ausgeführt und nicht in ein Gesamtkonzept eingebettet
worden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Alleine das wäre schon Grund genug, den Gesetzentwurf
abzulehnen. Aber es kommt noch viel schlimmer: Vom In-
halt her ist der Gesetzentwurf eine einzige Wählertäu-
schung. Es wird bereits in der Begründung des Gesetz-
entwurfes deutlich, dass das, was Rot-Grün heute
beschließt, nur eine Übergangsregelung ist. Auf Seite 3
des Gesetzentwurfs heißt es – ich zitiere –:

Eine gesetzliche Regelung des Mitgliedschafts- bzw.
Beitragsrechts von Rentnern entsprechend den Vor-
gaben des Bundesverfassungsgerichts erscheint zum
gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch nicht sachgerecht,
weil keine Präjudizierung der Frage der künftigen
Gestaltung des Beitragsrechts der gesetzlichen Kran-
kenversicherung vorgenommen werden sollte.

Jetzt kommt’s:




Gudrun Schaich-Walch
22076


(C)



(D)



(A)



(B)


Die vom Bundesverfassungsgericht geforderten Re-
gelungen sollten daher in den Kontext einer grundle-
genden Neuregelung des Beitragsrechts für alle Ver-
sichertengruppen gestellt werden.

So viel zur Gesetzesbegründung.

(Fritz Schösser [SPD]: Völlig richtig, was Sie sagen!)

Was heißt das auf gut Deutsch, Herr Schösser? Sagen

Sie den Wählern die volle Wahrheit! Zur vollen Wahrheit
gehört auch, dass Sie jetzt, vor der Wahl, etwas machen,
was Sie nach der Wahl ändern wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sagen Sie den Menschen doch, was Sie nach der Wahl an-
ders machen wollen!


(Fritz Schösser [SPD]: Wir sind nicht die Union!)


Herr Schösser, es ist ganz interessant, nachzulesen,
was andere, mutigere führende SPD-Politiker an anderer
Stelle gesagt haben, zum Beispiel Ihr SPD-Kollege
Florian Gerster. Er ist noch Sozialminister in Rhein-
land-Pfalz, soll aber zum Chef der Bundesanstalt für Ar-
beit in Nürnberg befördert werden. Er ist also kein kleiner
Parteisoldat, sondern einer Ihrer führenden Leute.


(Fritz Schösser [SPD]: Guter Mann! – Dr. Dieter Thomae [FDP]: Der ist begehrt von der FDP!)


Am 12. Januar 2002 in der „Frankfurter Rundschau“, Herr
Thomae – das ist schon interessant –, sagte Gerster:

Mit Blick auf die Generationengerechtigkeit sollten
bei der Krankenversicherung der Rentner alle
Einkünfte bis zur Beitragsbemessungsgrenze einbe-
zogen werden: Leistungsfähige ältere Menschen
würden dann einen angemesseneren Teil der Gesund-
heitskosten tragen, die aktive jüngere Generation
könnte entlastet werden. Eine solche Umsetzung des
Bundesverfassungsgerichtsurteils wird bis zu dem
vorgegebenen Termin Ende März nicht mehr mög-
lich sein; im Rahmen einer Gesundheitsreform 2003
muss sie jedoch angegangen werden.

Das heißt nichts anderes, als dass Sie sich jetzt mit einem
Wahlgeschenk für freiwillig versicherte Rentner über den
Wahltag hinwegretten wollen, um dann nach der Wahl
umso kräftiger den Zahltag für alle Rentnerinnen und
Rentner auszurufen. Das ist nichts anderes als Wahlbe-
trug!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

In Anbetracht der Finanzentwicklung in der gesetzli-

chen Krankenversicherung während der Regierungszeit
der rot-grünen Bundesregierung bleibt Ihnen auch gar
nichts anderes übrig: Trotz einer Rekordhöhe der Bei-
tragssätze von 14 Prozent – die Bundesbürger mussten
noch nie, seitdem die Bundesrepublik Deutschland exis-
tiert, so viel für ihre Krankenversicherung zahlen wie un-
ter dieser Bundesregierung, und das bei gleichzeitig
schlechter werdenden Leistungen – erwarten die Kran-
kenkassen ein Defizit von rund 5 Milliarden DM bzw.

2,5 Milliarden Euro. Die Ministerin weiß ganz genau,
warum sie diese Zahlen nicht heute auf einer Pressekonfe-
renz genannt hat, sondern warum sie sie erst nächste Woche
verkünden wird: Durch die Verabschiedung dieses Gesetz-
entwurfs werden die gesetzlichen Krankenkassen zusätzlich
mit Kosten in Höhe von 300 Millionen Euro belastet.

Ich bin der Auffassung: Weder Wahltaktik noch die
prekäre Finanzlage der Krankenversicherungen recht-
fertigen es, mit einer Generation, die unser Land aus Trüm-
mern wieder aufgebaut hat, derart unehrlich umzugehen,
wie Sie es tun. Wer vor der Lebensleistung der älteren Ge-
neration Respekt hat, der darf zu diesem Wahlbetrug die
Hand nicht reichen. Deswegen werden wir von CDU und
CSU dieses Gesetz ablehnen und allen Menschen mit al-
len Mitteln deutlich machen, wie unehrlich Sie mit den
Menschen umgehen, wenn Sie vor der Wahl etwas anderes
verkünden und beschließen, als Sie nach der Wahl tun.
Dazu werden wir unsere Hand niemals reichen.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU – Fritz Schösser [SPD]: Die Hand haben Sie schon gar nicht mehr! – Gegenruf des Abg. Aribert Wolf [CDU/ CSU]: Ich habe beide Hände noch!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422210700
Ich gebe
dem Kollegen Fritz Schösser für die Fraktion der SPD das
Wort.


Fritz Schösser (SPD):
Rede ID: ID1422210800
Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Än-
derungsgesetz, das jetzt zur Abstimmung steht, verhin-
dern wir, dass die Versicherten mit hohen Nebeneinnah-
men entlastet werden und die freiwillig versicherten
Rentner ohne weitere Einnahmen sowie die beitragsfrei
mitversicherten Ehegatten mit Kleinstrenten höhere
Beiträge zahlen müssen. Das sind Ziel und Zweck dieses
Änderungsgesetzes.


(Beifall bei der SPD)

Sie, meine Damen und Herren von der Union, hätten es

gerne gesehen – das gestehe ich durchaus zu –, wenn wir
den anderen Weg gewählt hätten, den Herr Wolf gerade
beschrieben hat, und auch die sonstigen Einnahmen aller
pflichtversicherten Rentner zur Beitragsbemessung her-
angezogen hätten.


(Ulf Fink [CDU/CSU]: Das haben Sie selber 1996 gefordert!)


Das wäre für Sie wahrlich ein wahlkampfpolitischer Or-
gasmus gewesen. Das gestehe ich ein.


(Beifall bei der SPD)

Herr Fink und Herr Wolf, ich sage Ihnen einmal, was

Ihr damaliger Gesundheitsminister Seehofer im Schilde
führte – da ging die Wählertäuschung los –: Als Seehofer
1992 vom DGB auf die Verfassungswidrigkeit angespro-
chen wurde, entgegnete er mit voller Häme: Bis das Bun-
desverfassungsgericht entscheidet, vergehen noch viele
Jahre, in denen mehrere Milliarden Mark Bei-
tragseinnahmen erzielt werden können. Wenn die Ent-




Aribert Wolf

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(C)



(D)



(A)



(B)


scheidung wegen der Verletzung des Gleichheitsgrund-
satzes vom Bundesverfassungsgericht gerügt wird, dann
muss man eben auch die sonstigen Einnahmen von
pflichtversicherten Rentnern in der Krankenversicherung
in die Beitragsbemessung einbeziehen. – Das, Herr Wolf,
war Ihre Absicht!


(Beifall bei der SPD)

Die Pflichtversicherten waren bereits für die zweite Stufe
eingeplant.


(Ulf Fink [CDU/CSU]: Das hat die SPD 1996 selbst vorgeschlagen! – Aribert Wolf [CDU/ CSU]: Warum regeln Sie es so kurzfristig? Zwei Jahre Zeit zum Überlegen!)


Um das tun zu können, hätten Sie sich scheinheilig hinter
dem Bundesverfassungsgerichtsurteil versteckt.

Herr Wolf, Sie wissen, dass die Fragen der Finan-
zierung der Krankenversicherung keine einfachen Fra-
gen sind. Heute mosern Sie herum und haben nicht mehr
den Mut, Ihr wahres Gesicht zu zeigen und zu sagen: Wir
von der Union wollen auch noch die etwa 3,5 Millionen
pflichtversicherten Rentner, die über sonstiges Einkom-
men verfügen, abkassieren.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Herr Gerster, SPD!)


Das aber war die Absicht von Seehofer.
Mit uns wird es im Hinblick auf die künftige Finan-

zierung der Krankenversicherung keine Hauruck-Ent-
scheidungen geben, wie Sie es damals gemacht haben.
Das muss man schon sehr sorgsam prüfen.

Sie stellen sich heute hin wie die Unschuldslämmer
und tun so, als hätten Sie mit dem Urteilsspruch überhaupt
nichts zu tun. Herr Wolf, es ist schlicht und einfach eine
Lüge, wenn Sie sagen, Herr Dreßler habe gefordert, dass
es zu dieser Regelung der Belastung der freiwillig ver-
sicherten Rentner in der Krankenversicherung kommt.
Sie waren es doch, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU, die den Vorschlag eingebracht haben, dessen
Umsetzung jetzt vom Bundesverfassungsgericht bean-
standet wurde. Da hilft auch alle künstliche Aufregung
nichts.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Waren Sie dabei?)

– Herr Thomae, lesen Sie es doch im Protokoll nach!


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Sie haben kein Protokoll von den Koalitionsvereinbarungen!)


– Wir haben das Protokoll des Deutschen Bundestages,
vom 9. Dezember 1992. Sie können mir gern eine Frage
stellen. Dann habe ich ausreichend Zeit, aus diesem Pro-
tokoll zu zitieren. Interessanterweise erscheint in diesem
Zusammenhang auch Ihr Name.


(Zurufe von der SPD: Aha! – Hört! Hört!)

Im Protokoll ist zu lesen, dass Sie gefragt wurden, wie Sie
sich dazu verhalten, dass die SPD die Beitragsbemes-
sungsgrenze um 300 DM erhöhen will.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Lesen Sie doch mal vor, was der Herr Dreßler gesagt hat!)


Darauf haben Sie klar und eindeutig gesagt, dass Sie das
nicht wollen. Sie haben an Ihrem Vorschlag festgehalten,
was vom Bundesverfassungsgericht beanstandet worden
ist, sodass wir heute eine andere Lösung finden müssen.


(Dr. Hansjörg Schäfer [SPD]: Hört! Hört!)

Sie haben den damaligen Alternativvorschlag der SPD
abgelehnt. Ich sage es noch einmal: Unser Vorschlag war,
die Bemessungsgrenze um 300 DM zu erhöhen.

Richtig ist, dass die SPD am Ende die Kröte geschluckt
hat, um dem gemeinsamen Reformpaket eine Chance zu
geben. Aber der Urheber der vom Bundesverfassungsge-
richt beanstandeten Regelung – da wird Ihnen leider nie-
mand helfen – sind und bleiben Sie, meine Damen und
Herren von der damaligen Regierungskoalition. Ich emp-
fehle Ihnen wirklich, einmal einen Blick in das Protokoll
vom 9. Dezember 1992 zu werfen.


(Beifall bei der SPD)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir sorgen mit un-

serem Änderungsgesetzentwurf dafür, dass niemand be-
nachteiligt wird. Gewinner sind die freiwillig kranken-
versicherten Rentner, die auf ihre sonstigen Einkünfte ab
dem 1. April 2002 keine Krankenversicherungsbeiträge
mehr zahlen müssen. Gewinner sind Rentner mit Versor-
gungsbezügen, die für ihre Versorgungsbezüge künftig
nicht mehr den ermäßigten, sondern nur noch den halben
allgemeinen Beitragssatz entrichten müssen. Nur Rent-
nern ohne Nebeneinkommen und Familienmitversicher-
ten räumen wir mit unserem Entwurf eine Options-
möglichkeit ein, damit sie nicht zu Verlierern der
Bundesverfassungsgerichtsentscheidung werden. Darum
geht es bei diesem Änderungsgesetzentwurf. Dafür bitte
ich um Ihre Unterstützung.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422210900
Für die
FDP-Fraktion spricht der Kollege Dr. Dieter Thomae.


Dr. Dieter Thomae (FDP):
Rede ID: ID1422211000
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! SPD, CDU/CSU und
FDP waren dabei. Wir allesamt haben das Paket damals
beschlossen. Viele, auf jeden Fall einige, hatten Beden-
ken, ob es verfassungsmäßig richtig ist. Dennoch sind wir
den Weg gegangen. Jetzt stellen wir fest: Das Bundesver-
fassungsgericht hat anders geurteilt. Eine Änderung ist
notwendig.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Zwei Richtungen sind aber möglich!)


– Es sind zwei Richtungen möglich. – Ich bin der Auffas-
sung, dass Grundlage nur das Einkommen bzw. der Ar-
beitslohn – nichts anderes – sein sollte.

Wir hätten uns gewünscht, dass der Änderungsgesetz-
entwurf früher vorgelegt worden wäre und wir Zeit gehabt
hätten, ein Gesamtpaket zu schnüren. Jetzt haben Sie ein
erhebliches Problem. Sie haben wiederum Belastungen in
diesem System etabliert. 300 Millionen Euro müssen Sie
verkraften.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: So ist es!)





Fritz Schösser
22078


(C)



(D)



(A)



(B)


Wie wollen Sie das verkraften? Wenn Sie ehrlich sind,
dann bleibt Ihnen, da Sie die Beitragssätze nicht noch
weiter steigen lassen dürfen – das passierte ja schon in den
letzten Wochen, als Sie das Thema Lohnnebenkosten in-
tensiv berührte –, nichts anderes übrig, als weitere Leis-
tungskürzungen im System vorzunehmen.


(Widerspruch der Abg. Regina Schmidt-Zadel [SPD])


Das berührt die Patienten insgesamt und das berührt auch
– ich habe es gestern schon gesagt – die medizinische Ver-
sorgung in den neuen Bundesländern durch die Ärzte und
durch die sonstigen Leistungserbringer.


( V o r s i t z : Vizepräsidentin Petra Bläss)

Meine Damen und Herren von der SPD, Sie nehmen das
Problem ziemlich leicht. In der ambulanten Versorgung
haben wir in den neuen Bundesländern schon massive
Probleme. Sie verabschieden ein Gesetz über Desease-
Management-Programme, können diese aber gar nicht
realisieren, weil es die niedergelassenen Ärzte dafür über-
haupt nicht mehr gibt.


(Fritz Schösser [SPD]: Worüber reden Sie denn? Was ist denn das Thema? Sie haben die falsche Rede dabei!)


– Hören Sie zu!
Von daher sage ich Ihnen: Sie haben wieder ein Ein-

zelgesetz auf den Weg gebracht, aber das Gesamtkonzept
fällt unter den Tisch.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ihre Probleme in der Gesundheitspolitik rühren daher,
dass Sie immer wieder Einzelpakete schnüren, deren
Wirkungen nicht im größeren Zusammenhang gesehen
werden. Dies führt dazu, dass Ihre Gesundheitspolitik
mittlerweile von über 70 Prozent der Bürger in der Bun-
desrepublik Deutschland abgelehnt wird.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Herr Kollege, können Sie das wiederholen?)


Diese Ablehnung wird sich in den nächsten Wochen und
Monaten noch verstärken. Ihre Einzelgesetze bilden eine
Falle für Ihre rot-grüne Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch der Abg. Regina Schmidt-Zadel [SPD])



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422211100
Das Wort hat die Kol-
legin Dr. Ruth Fuchs für die PDS-Fraktion.


Dr. Ruth Fuchs (PDS):
Rede ID: ID1422211200
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Lieber Kollege Thomae, Sie haben
wirklich Recht: Ja, wir brauchen eine neue Gesundheits-
reform; darüber sind wir uns alle einig. Aber heute steht
nun wirklich nicht diese Frage zur Debatte, sondern wir
haben es mit dem 10. SGB V-Änderungsgesetz zu tun, in
dem natürlich nur ein Detail geklärt wird. Dass dieses
Detail nun zu klären ist, hat eine Ursache in Gesetzen, die

Sie als FDP damals bewusst so auf den Weg gebracht ha-
ben.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Natürlich, das habe ich gesagt!)


Nun zu Ihnen, lieber Kollege Wolf: Es wäre wirklich
besser gewesen, Sie hätten dem Vorschlag zugestimmt,
die Reden zu Protokoll zu geben. Die Vorstellung, die Sie
heute hier gegeben haben, war wirklich peinlich.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Bezüglich der Stellung von freiwillig versicherten Rent-
nerinnen und Rentnern haben Sie – jetzt nicht Sie persön-
lich, sondern Ihre Fraktion – bewusst damals Ihre Ent-
scheidung getroffen. Sie wussten damals schon, dass sie
verfassungswidrig war. Sie haben einen Versuchsballon
gestartet, der irgendwo nicht ganz funktioniert hat.

Sie haben gefragt, warum die neue Koalition an dieser
Stelle nicht weitermacht. Für mich stellt sich eher die
Frage, warum Sie nicht, als Sie die Regierung stellten, auf
diesem Weg weitergegangen sind und alle Einkommens-
arten der Beitragszahler einbezogen haben. Das haben Sie
nicht gemacht.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Weil wir die Ausgaben besser im Griff hatten als Sie! Wir hatten keine Beitragssätze von 14 Prozent!)


Welchen Weg haben Sie eingeschlagen? – Sie haben mit
Ihrer Reform den Weg über Zuzahlungen und Leis-
tungsausgrenzung – so brutal bezeichne ich das hier –
eingeschlagen. An ein richtig vernünftiges Finanzkonzept
zur Existenzsicherung der gesetzlichen Krankenver-
sicherung,


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Die hatte bei uns am Ende Überschüsse!)


bei dem es im Kern um das Beibehalten des Solidar-
prinzips und der paritätischen Finanzierung gehen muss,
haben Sie nie gedacht. Das wird es wohl auch nicht so
schnell geben.

Ich gehe jetzt nicht mehr darauf ein, wie das Gesetz
funktioniert, welche Vorteile es für wen bringt und an wel-
cher Stelle es zu Ungerechtigkeiten führt – dass es die
gibt, wissen wir –, sondern halte nur fest: Sie hätten zu Ih-
rer Zeit genau so ein Gesetz vorgelegt, wie es jetzt hier zur
Debatte steht.

Wir werden diesem Gesetz zustimmen, weil es wenigs-
tens für einen Großteil der freiwillig versicherten Rentner,
wie schon gesagt, Beitragsgerechtigkeit schafft. Ich
wünsche nur, dass mit der neuen Gesundheitsreform
– egal, wer dann regiert und wann sie kommt – auch die
Grundlage für eine Finanzreform gelegt wird, die sich
– das sage ich noch einmal – ganz klar und deutlich am
Solidaritätsprinzip, der paritätischen Finanzierung und an
anderen wichtigen Dingen orientiert, damit für die Men-
schen letztendlich die medizinische Behandlung ihrer
Krankheiten noch bezahlbar bleibt.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)





Dr. Dieter Thomae

22079


(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422211300
Letzter Redner ist der
Kollege Ulf Fink für die CDU/CSU-Fraktion.


Ulf Fink (CDU):
Rede ID: ID1422211400
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Andreas Mihm hat sich
heute in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ mit dem
Thema beschäftigt, das heute auch Gegenstand unserer
Debatte ist, nämlich mit der Reform der Krankenversiche-
rung der Rentner. Er endet mit dem Satz – ich zitiere –:

Die Freude über niedrigere Beiträge in vielen Rent-
nerhaushalten wird nicht lange vorhalten.

(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Das ist die Wahr heit!)

Ich glaube, er hat es mit diesem Satz auf den Punkt ge-

bracht. Sie sagen selber in der Begründung Ihres Gesetz-
entwurfs, dass Sie nicht genügend Zeit gehabt hätten – das
wollen wir einmal dahingestellt sein lassen –, grundle-
gend neu über die Beitragsbasis nachzudenken; das müsse
einem späteren Gesetz vorbehalten bleiben. Wir wissen
doch, Herr Kollege Schösser, an was Sie in dem Zusam-
menhang denken. Das SPD-Parteipräsidium hat 1996
einen Beschluss gefasst – das wissen wir noch –, dessen
Inhalt es war, dass künftig nicht nur die Lohneinkommen,
sondern auch die sonstigen Einkommen zur Beitrags-
bemessung in der Krankenversicherung herangezogen
werden sollten. Genau darum geht es.

Die Leute können doch rechnen. Die Krankenver-
sicherung der Rentner weist schon heute ein Defizit von
30 Milliarden Euro auf. Die allgemein Versicherten müs-
sen also 30 Milliarden Euro mehr in die Krankenver-
sicherung einzahlen, als ihren Ausgaben entspricht, um
die Krankenversicherung der Rentner entsprechend zu fi-
nanzieren. Das ist für die allgemein Versicherten bereits
heute eine riesige Last.

Diese Last wird in Zukunft dramatisch größer werden,
da die Zahl der Rentner, wie wir wissen, in Zukunft er-
heblich ansteigen wird. Die Rentnerquote wird eines der
großen Themen der Zukunft sein. Bei der Diskussion um
die Alterssicherung haben wir uns in dieser wie auch in
der letzten Legislaturperiode bereits sehr intensiv damit
auseinander gesetzt. Aber beim Gesundheitswesen wird
diese Entwicklung noch viel dramatischer sein als bei der
Alterssicherung. Es werden noch höhere Defizite entste-
hen. Deshalb kann man erwarten, dass Sie die Über-
gangslösung – Sie sagen ja, dass das eine Übergangslö-
sung sein soll – so gestalten, dass sie perspektivisch der
künftigen Regelung entspricht.

Aber die Wahrheit ist: Sie verringern das Defizit nicht,
sondern vergrößern es um 300 Millionen Euro.


(Fritz Schösser [SPD]: Was ist denn Ihre Alternative? Reden Sie doch einmal über sich selbst!)


– Fritz Schösser, es wurde vorhin gesagt, dass niemand
durch diese Regelung, die mit diesem Gesetzentwurf
vorgelegt wird, benachteiligt werde. Das können Sie doch
nur sagen, weil Sie davon ausgehen, dass die Leute nicht
nachrechnen. Denn wenn durch dieses Gesetz bei der
Krankenversicherung ein Defizit von zusätzlich 300 Mil-

lionen Euro entsteht, dann muss dafür jemand aufkom-
men. Es gibt doch niemand der Krankenversicherung ein
Geschenk. Diesen Betrag müssen die anderen Ver-
sicherten aufbringen.


(Fritz Schösser [SPD]: Was ist denn Ihre Alternative?)


Diejenigen, die keine Nebeneinkünfte haben, werden
diese 300 Millionen Euro zusätzlich bezahlen müssen.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: So ist es!)

Frau Parlamentarische Staatssekretärin, Sie haben vor-

hin gesagt, verschiedene Versicherte würden entlastet,
und zwar um 13 Euro pro Monat. Da frage ich mich: Wer
zahlt denn das? Das werden diejenigen sein, die keine Ne-
beneinkünfte haben, denen es finanziell nicht so gut geht.
Sie müssen dann mit ihren Beiträgen dafür aufkommen.


(Fritz Schösser [SPD]: Herr Fink, was ist Ihre Alternative? Der Gerichtsbeschluss bleibt doch bestehen!)


Ich komme zum Schluss. Dieser Gesetzentwurf wird
eine Menge Arbeit verursachen. Die Krankenversiche-
rungen müssen Hunderttausende von Bescheiden neu
ausstellen, sie müssen Fragebögen entwickeln usw. Und
dieser ganze Aufwand für dieses Jahr! Im nächsten Jahr
wird das Gegenteil eintreten, wenn Sie wider Erwarten die
Wahl gewinnen sollten. Das möge Gott verhüten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Lassen Sie den lieben Gott aus dem Spiel!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422211500
Ich schließe die Aus-
sprache. Die Kollegin Katrin Göring-Eckardt hat ihre
Rede für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen zu
Protokoll gegeben.1) – Ich sehe keinen Widerspruch.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des V. Buches
des Sozialgesetzbuches auf den Drucksachen 14/8099
und 14/8384. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen
die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Keine. Der Gesetzent-
wurf ist damit gegen die Stimmen der CDU/CSU
angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Peter Götz, Dietrich Austermann, Günter






(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 5

Baumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Sicherung des Bestandes und Fortentwicklung
der kommunalen Selbstverwaltung in Deutsch-
land im Rahmen von Rechtsetzung der Euro-
päischen Union
– Drucksachen 14/4171, 14/5636 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kol-
lege Peter Götz für die CDU/CSU-Fraktion.


Peter Götz (CDU):
Rede ID: ID1422211600
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! CDU und CSU wollen ein starkes Eu-
ropa mit starken Kommunen. Über 60 Prozent der Ent-
scheidungen, die in Brüssel getroffen werden, haben
Auswirkungen auf die Städte und Gemeinden in unserem
Land. Das Geflecht der Regelungen und Regulierungen
wird immer undurchsichtiger, die demokratische Legi-
timation nimmt ab und die Gefahr, dass sich die Men-
schen in den Städten und Gemeinden von Europa abwen-
den, nimmt zu.

Heute leidet unser Ansehen in Europa an vielen Feh-
lern der SPD-geführten Bundesregierung.


(Hans-Werner Bertl [SPD]: Das ist ja ein Hammer!)


Ein typisches Beispiel, wie diese Bundesregierung Eu-
ropapolitik macht, ist der blaue Brief aus Brüssel, den der
Bundeskanzler bekommen hat, ohne dass er dort
angekommen wäre. Gerhard Schröder hat durch sein Ver-
halten unnötig viel Porzellan zerschlagen und in unver-
antwortlicher Weise das Vertrauen in eine stabile euro-
päische Währung aufs Spiel gesetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Er hat Deutschland in eine hausgemachte Rezession
geführt.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Leider, ja!)

Es ist ungeheuerlich, dies jetzt den Kommunen in die
Schuhe schieben zu wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das lassen wir nicht zu.

Der Bund hat 100Milliarden DM aus UMTS-Lizenzen
kassiert und hat sich dabei auch noch mit über 14 Milliar-
den DM von den Kommunen über Steuerausfälle finan-
zieren lassen. Sie haben durch die Ökosteuer die Sprit-
preise um 28 Pfennig angehoben. Über die erhöhte
Entfernungspauschale sind die Kommunen beim Bezah-
len wieder mit dabei, ganz zu schweigen von den eigenen
Belastungen aus der Ökosteuer. Ebenso ist es falsch, den
Gemeinden die Steuereinnahmen, die ihnen aus der Ge-
werbesteuer noch verbleiben, über die Erhöhung der Ge-
werbesteuerumlage von 20 auf 30 Prozent wieder wegzu-
nehmen.

Jetzt zu versuchen, das eigene Versagen in der Arbeits-
markt- und Wirtschaftspolitik den Kommunen anzulas-
ten, ist ein starkes Stück.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber täuschen Sie sich nicht! Die vielen Kommunal-

politikerinnen und Kommunalpolitiker lassen sich nicht
für dumm verkaufen. Unterschätzen Sie die Menschen
nicht, die oft seit vielen Jahren und Jahrzehnten in den
Städten, Gemeinden und Kreisen kommunalpolitische
Verantwortung tragen. Sie wissen sehr wohl, was hier ge-
spielt wird, und sind bitter enttäuscht. Fragen Sie einmal
Ihre SPD-Oberbürgermeister, was sie von Ihrer Politik
halten.

Die Städte, Gemeinden und Kreise fahren seit über ei-
nem Jahrzehnt einen entschiedenen Konsolidierungs-
kurs. Sie geben heute nicht mehr Geld aus als 1993 und
sie haben mehr Personal abgebaut als Bund und Länder
zusammen. Wenn die Neuverschuldung der Kommunen
im vergangenen Jahr bei 1,3 Milliarden Euro lag, so war
das nur deshalb der Fall, weil Sie den Gemeinden durch
Ihre kommunalfeindliche Politik ständig Knüppel zwi-
schen die Beine werfen und ihnen das Geld wegnehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Wer hat denn den Rechtsanspruch auf Kindergartenplätze umgesetzt?)


Immer mehr Pflichtaufgaben bei immer weniger Einnah-
men, das passt nicht zusammen.

Wir hören von der Gesundheitsministerin und nun auch
vom Kanzler, der Bund erwäge, bei der Arbeitslosenhilfe
zu sparen. Was bedeutet das? Ohne eine grundlegende Re-
form der Arbeitsmarktpolitik bedeutet Sparen bei der Ar-
beitslosenhilfe bei Ihnen nichts anderes als neue Sozial-
hilfekosten. Das geht wieder eindeutig zulasten der
kommunalen Haushalte. Wir nennen das Verschiebebahn-
hof.

Nicht anders verhält es sich beim verkorksten Zuwan-
derungsgesetz,


(Zuruf von der SPD: Na, na!)

über das wir heute Vormittag abgestimmt haben. Anstatt
die Zuwanderung vernünftig zu begrenzen und zu steuern,
will Rot-Grün immer mehr Menschen ins Land holen. Die
kommunale Sozialhilfe bezahlt es ja.


(René Röspel [SPD]: Diese Argumentation ist unglaublich!)


Auch Integration kostet Geld. Die Kommunen müs-
sen sich auch an den Kosten für die Integration beteiligen.
Zuwanderung und Integration sind gesamtstaatliche Auf-
gaben.


(Rüdiger Veit [SPD]: Heute Morgen durften Sie wohl nicht reden!)


Über die Kosten und über die Finanzierungszuständigkeit
herrscht im Gesetz tiefes Schweigen.


(René Röspel [SPD]: Sie glauben doch Ihren eigenen Worten nicht!)





Vizepräsidentin Petra Bläss

22081


(C)



(D)



(A)



(B)


Entgegen den Behauptungen von heute Vormittag steht
nicht im Gesetz, dass der Bund die Kosten für die Inte-
gration übernimmt. Sie haben lediglich eine Ermächti-
gungsklausel für eine Verordnung aufgenommen. Das
heißt letzten Endes: Kostenübernahme ausschließlich
nach Kassenlage und Gutdünken des Finanzministers. So
kann und darf man keine Politik machen.

Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktio-
nen, die Städte und Gemeinden in Deutschland sind nicht
die reichen Verwandten, wie es der Bundeskanzler zy-
nisch auf der Hauptversammlung des Deutschen Städteta-
ges vor nicht einmal einem Jahr gesagt hat. Sie haben es
in drei Jahren Ihrer Regierungszeit verstanden, die bis
1998 vorhandenen guten Rahmenbedingungen für die
Kommunen durch Ihre kommunalfeindliche Politik syste-
matisch zu zerstören.


(Beifall bei der CDU/CSU – Rüdiger Veit [SPD]: So ein Schwachsinn!)


Inzwischen können Sie es nicht mehr schönreden: Die
Finanzlage der Kommunen ist so dramatisch wie noch
nie. Der frühere Bundespräsident Roman Herzog hat
Recht, wenn er heute in einem Artikel in der „Welt“ eine
Verfassungsänderung für die Verteilung der Finanzen for-
dert,


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Da hat er Recht!)


damit die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland
wieder gesichert wird.


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Seit 20 Jahren fällig!)


Das ist ein sehr guter Vorschlag.
Es muss dringend gehandelt werden:
Erstens. Geben Sie einen Teil der Erlöse aus der Ver-

steigerung der UMTS-Lizenzen an die Kommunen
zurück, damit sie wieder investieren können.

Zweitens. Wir brauchen dringend die von Ihnen unge-
liebte Gemeindefinanzreform.


(René Röspel [SPD]: Stimmt doch überhaupt nicht! Wir sind die ersten, die es auf den Weg bringen wollen!)


Jetzt, wenige Monate vor Ende der Legislaturperiode,
wollen Sie eine Kommission dafür einsetzen.


(Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin: Die letzte Gemeindefinanzreform war 1969!)


Was ist bis heute geschehen? Kann mir irgendjemand von
der Regierungsbank vielleicht sagen, wie sich diese Kom-
mission zusammensetzt? Können Sie Namen nennen?
Wir wären daran interessiert, etwas Konkreteres zu hören.
Das sind alles Beruhigungspillen und durchsichtige Ab-
lenkungsmanöver vor der Bundeswahl. Geschehen ist bis-
her nichts. Die Kommunen sollen ruhiggestellt werden.

Das ist aber zu wenig. Wir brauchen Entscheidungen
jetzt. Straßen und Schulen müssen jetzt saniert werden.
Die Menschen in den Gemeinden verstehen es nicht mehr,
wenn das Geld für die dringend notwendige Renovierung

ihrer Schule fehlt und die Bundesregierung zur gleichen
Zeit mit großzügigen Steuergeschenken Banken und Ver-
sicherungskonzerne entlastet.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Da haben Sie ausnahmsweise Recht!)


Der Marmor in den Versicherungs- und Bankenfilialen
glänzt noch mehr. Aber die daneben stehende Schule ver-
fällt. So kann und darf man nicht Politik machen.

Die kommunale Selbstverwaltung ist in Gefahr.

(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Genau!)


Es gibt keine Handlungsspielräume mehr. Wir werden uns
deshalb zunehmend schwer tun – ich sage das sehr deut-
lich –, geeignete Persönlichkeiten zu finden, die noch be-
reit sind, ein kommunales Mandat anzunehmen.


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Leider!)

Das können und dürfen wir nicht zulassen, wenn wir es
mit unserer Demokratie ernst meinen. Darüber sollten wir
gemeinsam nachdenken.

Lassen Sie mich auf unsere Große Anfrage zurück-
kommen:


(Rüdiger Veit [SPD]: Das wird langsam Zeit!)

Erstens. Die Antwort der rot-grünen Regierung darauf

ist ungenau, ausweichend und oberflächlich.

(Aribert Wolf [CDU/CSU]: So ist es!)


Es wird klar: Rot-Grün fehlt ein Konzept für die Zukunft
der kommunalen Selbstverwaltung in Europa.

Zweitens. Die Kommunen fühlen sich von dieser Bun-
desregierung auch auf europäischer Ebene schlecht ver-
treten. Oder kann mir jemand sagen, warum mittlerweile
nahezu jede größere Stadt in Brüssel mit viel Steuergel-
dern ein eigenes Büro einrichtet?


(Zuruf von der SPD: Können Sie mal ein paar Städte nennen?)


Drittens. Die Vorgaben der europäischen Wettbe-
werbspolitik fordern einen tiefen Strukturwandel bei der
Gemeindewirtschaft: von der Energie- und Wasserversor-
gung bis zur Abfallwirtschaft und Abwasserreinigung,
vom öffentlichen Personennahverkehr bis zu den Spar-
kassen.

Durch die europäische Wettbewerbspolitik und das
Beihilferecht haben sich die Bedingungen grundlegend
verändert. Das hat Auswirkungen für die Kommunen, de-
ren Tragweite viele bestenfalls erahnen. Es ist Aufgabe
der Bundesregierung, in Brüssel dafür zu sorgen, dass die-
ser notwendige Strukturwandel ohne Schaden für unser
Land erfolgen kann.

Wir erleben es immer wieder: Bestimmte Themen ste-
hen in Europa seit langem auf der Tagesordnung. Die
Bundesregierung wartet und schaut zu. Sehr spät wird
dann ein Gutachten in Auftrag gegeben. Eine erkennbare
abgestimmte Meinungsbildung findet allerdings nicht
statt. Dies gilt für die Wasserversorgung genauso wie für
den Gasmarkt; ich könnte noch weitere Beispiele nennen.
Auf vielen Feldern besteht konkreter Handlungsbedarf.




Peter Götz
22082


(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn sich die Herren Minister nicht bewegen, ist der
Bundeskanzler gefordert. Aber auch hier: Fehlanzeige auf
der ganzen Linie.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Der hat auch eine ruhige Hand!)


Gestern hat der Konvent zur Zukunft der Europä-
ischen Union seine Arbeit aufgenommen. Dort finden
wichtige Weichenstellungen statt. Dabei muss es vor al-
lem darum gehen, ein Gleichgewicht zwischen der Euro-
päischen Union, den Mitgliedstaaten, den Ländern, aber
auch den Kommunen zu schaffen. Der Kern des Arbeits-
auftrages ist, die Zuständigkeiten neu zu sortieren. Wenn
wir wollen, dass sich die Menschen in Deutschland mit
Europa identifizieren, brauchen wir mehr Transparenz
und Effizienz und vor allem klar definierte Verantwortun-
gen.

Wir haben in Deutschland – stärker als in den meisten
europäischen Nachbarländern – eine ausgeprägte kom-
munale Ebene. Sie ist unter anderem ein Erfolgsmodell
für unser Land. Nach meinem Demokratieverständnis ist
es Aufgabe der Bundesregierung, dafür zu sorgen, dass
die kommunale Selbstverwaltung in der europäischen
Verfassung verankert wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Chance ist jetzt vorhanden; aber man muss dafür et-
was tun.

Lassen Sie mich zusammenfassen:

(Rüdiger Veit [SPD]: Das muss nicht sein!)


Die Städte, Gemeinden und Kreise in Deutschland sind
unter der rot-grünen Bundesregierung in eine Krise gera-
ten, wie sie es seit vielen Jahrzehnten nicht mehr waren.
Es ist höchste Zeit für einen Politikwechsel, damit es in
Deutschland wieder aufwärts geht. CDU und CSU wollen
keinen Zentralismus. Wir wollen in unserem Land und in
Europa im Interesse der Menschen, für die wir arbeiten,
eine starke kommunale Selbstverwaltung mit viel Eigen-
verantwortung.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422211700
Nächster Redner ist
der Kollege Hans-Werner Bertl für die Fraktion der SPD.


Hans-Werner Bertl (SPD):
Rede ID: ID1422211800
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Kolleginnen und Kollegen! Nachdem die Antwort
der Bundesregierung auf die Große Anfrage der
CDU/CSU-Fraktion nun seit gut einem Jahr in irgend-
welchen Oppositionsaktenschränken verstaubt, wird sie
gerade rechtzeitig vor der Kommunalwahl in Bayern aus
den Ordnern hervorgezaubert. Man pustet den Staub he-
runter und versucht den Eindruck zu erwecken, als ob die
Bundesregierung die kommunale Selbstverwaltung in Eu-
ropa gefährdet.

Meine Damen und Herren von der Union, für diesen
Zweck haben Sie nicht nur das falsche Dokument heraus-
gegriffen, sondern dies auch zu spät getan. Dies war übri-

gens auch bei Ihren Vorwürfen im Hinblick auf die
Gemeindefinanzreform so. Die letzte war, wenn ich
mich richtig erinnere, im Jahre 1969. Sie haben also lange
16 Jahre, in denen Sie die Chance hatten, eine solche Re-
form durchzuführen, wunderbar verschlafen.


(Beifall bei der SPD – Albert Deß [CDU/CSU]: Ihr wolltet doch alles besser machen!)


Mit Ihrer Großen Anfrage zur „Sicherung des Bestan-
des und Fortentwicklung der kommunalen Selbstverwal-
tung in Deutschland im Rahmen von Rechtsetzung der
Europäischen Union“ – es ist schwer, sich diesen Titel zu
merken – versucht die CDU/CSU-Fraktion den Eindruck
zu erwecken, dass von der Europäischen Union – und vom
Kanzler unterstützt – eine wie auch immer geartete Ge-
fahr für die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland
ausgehe. Dies tut sie wahrscheinlich in der Hoffnung, dass
sich jeder klar denkende Mensch von diesem bandwurm-
artigen Titel der Anfrage verwirren lässt.

Ich bringe das auf einen ganz einfachen Nenner: Die
kommunale Selbstverwaltung in Deutschland gewährleis-
tet, dass jeder Bürgermeister, jede Oberbürgermeisterin,
jeder Landrat, jede Gemeinderätin und jeder Stadtrat vor
Ort für die Bürgerinnen und Bürger dafür sorgen kann,
dass die Menschen in ihren Regionen sauberes Wasser
und Strom haben, dass ihr Müll entsorgt wird, dass das
Gesundheitswesen und die Wohlfahrtspflege funktionie-
ren, dass es Schwimmbäder, Sportanlagen, Museen und
Theater gibt, der Notarzt für alle und überall – und das vor
allen Dingen rechtzeitig – zur Stelle ist und dass es – nicht
zuletzt – Schulen und Kindergärten gibt.

Die Leistungen der Daseinsvorsorge gewährleisten al-
len Bürgerinnen und Bürgern einen gleichen und er-
schwinglichen Zugang zu lebenswichtigen Diensten und
Leistungen. Bezogen auf die einzelnen Bürgerinnen und
Bürger sollen sie über die bloße Existenzsicherung hinaus
eine diskriminierungsfreie Teilhabe am öffentlichen und
gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Dazu zählt auch
die Daseinsvorsorge in den Infrastrukturen, die das Wirt-
schaftsleben funktionsfähig halten: Straßen, Energiever-
sorgung, Verkehr, Telekommunikation und auch Umwelt-
schutz.

Staatliche Leistungen müssen zur Sicherung der öf-
fentlichen Daseinsvorsorge – jetzt komme ich auf die eu-
ropäische Dimension zu sprechen – mit dem gemeinsa-
men Markt grundsätzlich vereinbar sein und mit dem
europäischen Wettbewerbs- und Beihilferecht in Ein-
klang stehen. Dabei setzen wir voraus, dass die Aspekte
des Gemeinwohls und der Wettbewerbsordnung zur Ver-
wirklichung der Europäischen Union und des Binnen-
marktes gleichrangig sind.

Ich möchte Ihnen hier Nachhilfe geben, meine Damen
und Herren von der CDU/CSU. Vielleicht hätten Sie sich
die Antwort der Bundesregierung, die Mitteilung der
Kommission oder die Stellungnahme des Europäischen
Parlaments zur Mitteilung der Kommission verständiger
durchlesen sollen.


(Zuruf von der SPD: Lesen bildet nämlich!)





Peter Götz

22083


(C)



(D)



(A)



(B)


Die kommunale Selbstverwaltung ist in Deutschland in
der Verfassung verankert. Die Befugnisse der Selbstver-
waltung von Ländern und Gemeinden sind in Art. 28
Abs. 2 des Grundgesetzes festgeschrieben. Dort steht:

Den Gemeinden muss das Recht gewährleistet sein,
alle Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft ... in
eigener Verantwortung zu regeln.

Die Europäische Union hat im Gegensatz zu dem Tenor
Ihrer Anfrage die nationale Identität ihrer Mitglieder zu
beachten. Vertraglich ist das in Art. 6 des EU-Vertrages
geregelt. Ausdrücklich wird dort festgehalten, dass sie
nicht in die Verfassungsstruktur ihrer Mitgliedstaaten ein-
greifen wird. Auch in der Präambel der Grundrechte-
Charta der Europäischen Union steht:

Die Union trägt zur Erhaltung und zur Entwicklung
dieser gemeinsamen Werte

– gemeint sind die Würde des Menschen, die Freiheit, die
Gleichheit und die Solidarität –

unter Achtung der ... nationalen Identität der
Mitgliedstaaten und der Organisation ihrer staat-
lichen Gewalt

– jetzt kommt der entscheidende Punkt; das hat Ihnen die
Bundesregierung sehr ausdrücklich mitgeteilt –

auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene bei.
Wir haben nicht umsonst bereits 1991 den Ausschuss

für die Regionen eingerichtet, der in diesen Bereichen
gehört wird. Panikmache, verehrte Kolleginnen und Kol-
legen von der CDU/CSU, ist also unbegründet und sicher-
lich nur durch die nahende Kommunalwahl in Bayern zu
erklären,


(Zustimmung bei der SPD)

weil Sie den Eindruck erwecken wollen, als würde all das,
was den Gemeinderäten und Oberbürgermeistern an
Handlungsspielraum zur Verfügung steht, nicht nur von
dieser Bundesregierung, sondern auch von der Europä-
ischen Union negiert.

Auf Initiative von Bundeskanzler Gerhard Schröder
beschloss der Europäische Rat von Lissabon bereits im
März 2000, die Europäische Kommission um die Überar-
beitung ihrer Mitteilung zur Daseinsvorsorge zu bitten.
Diese Mitteilung liegt auch Ihnen seit dem 20. Septem-
ber 2000 vor. Sicherlich haben Sie inzwischen Zeit ge-
funden, den einen oder anderen Blick hineinzuwerfen. Ich
will aber auch gerne Ihre Erinnerung auffrischen. Die
Kommission hat unmissverständlich erklärt, dass die
Frage, ob ein Dienst als Leistung der Daseinsvorsorge an-
zusehen ist und wie er organisiert werden soll, zuerst auf
nationaler Ebene entschieden werden muss.

Es ist klargestellt, dass die Gesamttätigkeit, insbeson-
dere von Sozialorganisationen, soweit sie gemeinwohl-
orientiert sind, nicht unter den Art. 86 EGV fällt. Ich
glaube, auch damit ist eine große Sorge der Kommunen in
der Frage ihrer Eigengestaltungsfähigkeit von Sozial- und
Gemeinwohlpolitik ausgeräumt worden. Die Mitteilung
ist eine Grundlage für die weitere notwendige Diskussion
mit der Kommission und auch den EU-Partnern. Sie wis-

sen genau – das steht in der Antwort der Bundesregie-
rung –:

Die Bundesregierung tritt dafür ein, im Rahmen von
Maßnahmen der Kommission ... die Rechtssicher-
heit im Rahmen der Daseinsvorsorge weiter zu er-
höhen.


(Beifall bei der SPD)

Zudem hat die Kommission unmissverständlich be-

stätigt, dass sie nach dem EU-Vertrag keine Kompetenz
besitzt, die Privatisierung öffentlicher Unternehmen zu
verlangen. Die Kommission hat sich wettbewerbs- und
beihilfepolitisch erheblich bewegt. Ich sage Ihnen eines:
Das ist ein Erfolg der rot-grünen Bundesregierung und
vor allen Dingen des Bundeskanzlers.


(Beifall bei der SPD)

Es lohnt also, sich neben der Antwort, die Ihnen die

Bundesregierung auf Ihre Große Anfrage gegeben hat
– das war übrigens schon vor einem Jahr –, auch die
Kommissionsmitteilung noch einmal durchzulesen. Se-
hen Sie sich auch die Entschließung des Europäischen
Parlaments zu dieser Mitteilung an. Auch dort heißt es
– das haben unsere Kolleginnen und Kollegen im Euro-
päischen Parlament beschlossen –, dass eine Weiterent-
wicklung der Daseinsvorsorge auf der Grundlage des Mo-
dells der sozialen Marktwirtschaft ein Kernelement der
europäischen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik sein
muss.

Natürlich bestimmen Liberalisierung und zunehmend
freier Wettbewerb einen Teil der Europäischen Union.
Das bedeutet auch für uns: Je größer die Marktöffnung
wird, desto genauer muss Daseinsvorsorge definiert und
geklärt werden. Maßstab für uns und für die Regierungs-
koalition ist die Versorgung unserer Bürgerinnen und
Bürger, und zwar nicht abstrakt in irgendwelchen uralten
Anfragen, Resolutionen oder Richtlinien, sondern dort,
wo sie leben, in den Städten und Dörfern unseres Landes.

Die Europäische Union hat mit ihrer bisherigen Philo-
sophie – auch der Universaldienste – auf Anregung der
Mitgliedstaaten, aber, glaube ich, auch aus eigener Er-
kenntnis – das muss man sagen – Maßstäbe gesetzt, die
die Versorgungssicherheit und die kommunale Selbstver-
waltung garantieren.

Meine Damen und Herren, wir werden auch weiterhin
dafür sorgen – dafür stehen die Fraktionen der Regie-
rungskoalition und dafür steht die Bundesregierung –,
dass die Städte und Gemeinden auch in Zukunft in einem
rechtssicheren Rahmen agieren. Die Finanzierung der
Kommunen haben wir ebenfalls angepackt. Dies haben
Sie 16 Jahre lang verschlafen.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben eine Kommission gegründet und werden in der
nächsten Legislaturperiode sicherlich Entscheidungen
treffen, die die Handlungsfähigkeit der Kommunen deut-
lich stärken.

Ich will noch ein Wort zu den Kollegen der FDP sagen,
die in dieser Diskussion außer ihren diffusen und zum Teil
unverantwortlichen Sehnsüchten nach vollkommener




Hans-Werner Bertl
22084


(C)



(D)



(A)



(B)


Freiheit der Märkte nicht mehr beigetragen haben, als sich
einen Punkt aus dem Gutachten des Wissenschaftlichen
Beirates beim Wirtschaftsministerium herauszupicken:
Sie wollen die Gestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten bei
der Definition der Daseinsvorsorge infrage stellen. Dieses
Ansinnen wird zu Recht weder vom Wirtschaftsminister
noch von uns geteilt. Sie können das in den Mitteilungen
entsprechend nachlesen.

Noch einmal: Zwölf Monate haben Sie gebraucht, um
sich daran zu erinnern, dass Sie auf Ihre Anfrage an die
Bundesregierung eine umfassende, richtige und rich-
tungsweisende Stellungnahme zur Daseinsvorsorge und
zur Selbstverwaltung der Kommunen erhalten haben. Sie
sind schon eine extrem hellwache und schnelle Opposi-
tion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich habe den Verdacht, dass Ihnen ein Referent das Datum
der bayerischen Kommunalwahl in Erinnerung gebracht
hat und Sie deshalb auf die abstruse Idee gekommen sind,
hier den Eindruck zu erwecken, dass die Bundesregierung
die kommunale Selbstverwaltung irgendwelchen fürch-
terlichen Brüsseler Technokraten zum Fraß vorwirft.

Im Ergebnis sind Sie nicht nur wieder einmal zu spät,
Sie liegen auch derart falsch – das wissen Sie auch –, dass
hier mehr als deutlich wird, dass Sie die Bürgerinnen und
Bürger in unserem Land täuschen wollen. Sie nehmen da-
bei sogar in Kauf, den Beifall Ihrer eigenen Landesminis-
ter, inklusive des Herrn Stoiber, die die Haltung der
Bundesregierung und des Bundeskanzlers vor der beant-
worteten K-Frage unisono begrüßt und gestützt haben, zu
diskreditieren.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Auch SPD-Bürgermeister in Bayern meckern über die schlechten Finanzen!)


In Übereinstimmung mit der Bundesregierung wird die
Regierungskoalition, das kann ich Ihnen sagen, das euro-
päische Gesellschaftsmodell beibehalten und das Ganze
nicht nur durch die Brille des Profits sehen. Ich kann Ih-
nen sagen: Die SPD steht weiterhin für die Philosophie
der europäischen Sozialunion, die Willy Brandt schon
1972 beim Pariser EG-Gipfel geprägt hat.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422211900
Für die FDP-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Gerhard Schüßler.


Gerhard Schüßler (FDP):
Rede ID: ID1422212000
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, wir spre-
chen hier heute nicht über die Gemeindefinanzreform,
sondern über die Rechtsetzung der Europäischen Union
und die Fortentwicklung der kommunalen Selbstverwal-
tung.


(Rüdiger Veit [SPD]: Stimmt!)

Die kommunale Selbstverwaltung hat in Deutsch-

land eine lange Tradition. Die Machtfülle der Hansestädte

und der Freien Reichsstädte des Mittelalters und der Neu-
zeit ist ein gutes Zeugnis dafür. Diese Selbstverwaltungs-
tradition wurde zugunsten der zentralisierten Territorial-
staaten immer mehr zurückgedrängt. Ein Kernbestand
blieb allerdings immer erhalten und fand als Selbstver-
waltungsgarantie in den deutschen Verfassungen seinen
Niederschlag.

Heute wird das Selbstverwaltungsrecht der Kommu-
nen von vielen Seiten bedroht. Herr Kollege Bertl, wären
Sie gestern beim Deutschen Städtetag gewesen und hätten
Sie die Vorträge von vier namhaften Kämmerern aus
Großstädten gehört, würden Sie hier heute nicht so reden.
Sie wüssten dann, wie es mit der Selbstverwaltung bestellt
ist, nämlich so miserabel wie noch nie.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS] – Widerspruch bei der SPD)


Da die Kommunen unter der finanziellen Last der
staatlichen Aufgaben in die Knie gehen, sind die Angele-
genheiten der örtlichen Gemeinschaft, die das Selbstver-
waltungsrecht nach Art. 28 Grundgesetz garantiert, häu-
fig nicht mehr wahrnehmbar. Kommunale Demokratie
kommt zum Erliegen. Es gibt keine Gestaltungs- und
Handlungsspielräume mehr.


(Jürgen Koppelin [FDP]: So ist es!)

Ich erwähne diese Seite, weil sie unausweichlich mit

der zentralen Problematik der vorliegenden Großen An-
frage zu tun hat. In der Europapolitik kann lediglich die
Bundesregierung verhandeln. Die Länder sind über
Art. 23 Grundgesetz und das Gesetz über die Zusammen-
arbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Eu-
ropäischen Union an dem Verhandlungsprozess beteiligt.
Daher findet sich hier die gleiche Konstellation wie zu-
meist auf nationaler Ebene. Die Kommunen müssen auch
auf europäischer Ebene mehr oder minder tatenlos zu-
sehen, wie an höherer Stelle über ihre Leistungsfähigkeit
verfügt wird. Die Schuld dafür Europa zuzuschieben und
sie dort zu suchen ist ebenso populistisch wie falsch.
Wenn der Bundeskanzler die Kommission dafür brand-
markt, dass sie ein gesamtstaatliches Defizit rügt, das die
Bundesregierung durch Belastung von Ländern und
Kommunen wesentlich selbst verursacht hat, dann ist
auch das Populismus.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Um nicht in einen solchen Populismus zu verfallen,

müssen wir konstatieren, dass die Mängel im System we-
niger auf europäischer Ebene, sondern vielmehr im
nationalen Abstimmungsprozess liegen. Solange das
europäische Parlament nicht über die Rechtsetzung ent-
scheidet, sind es die Mitgliedstaaten, die dazu befugt sind.
Bei uns ist es eine nationale Aufgabe, nach vorangegan-
gener Interessenabwägung mit einer Stimme zu sprechen.
Die Regierungen anderer Mitgliedstaaten können sich
nämlich ebenso wenig für die Belange der nordrhein-
westfälischen Kommunen interessieren, wie sich unsere
Regierung – und letztlich auch wir – für die besonderen
Probleme von Aarhus, Antwerpen oder Avignon interes-
sieren würde.




Hans-Werner Bertl

22085


(C)



(D)



(A)



(B)


Deshalb müssen die Mitwirkungsrechte an den Ver-
handlungsprozessen auf nationaler Ebene gestärkt wer-
den. Art. 23 Grundgesetz und das Gesetz über die Zusam-
menarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der
Europäischen Union reflektieren die innerstaatlichen Ge-
setzgebungskompetenzen. Dadurch werden die Rechte
der Länder abgesichert. Eine Mitwirkung der Kommunen
ist aber nicht vorgesehen. Der Abstand der Kommunen
zur europäischen Ebene ist noch größer als bei Gesetzge-
bungsvorhaben auf Bundesebene. Um eine Anbindung
der nationalen Position, der einheitlichen Stimme, an die
Interessen der Gemeinden zu erreichen, müssen die Kom-
munen besser in diesen Prozess eingebunden werden.

Die Missachtung der Kommunen rührt aus einer Fehl-
einschätzung her, nämlich der, dass die Kommunen nicht
viel mit den Rechtsakten der EU zu tun hätten. Die Kom-
munen führen aber einen guten Teil der Bundes- und
Landesgesetze aus. Damit sind sie ganz wesentlich am
Umsetzungprozess europäischer Rechtsakte beteiligt.
Deshalb ist es entscheidend, dass sie im Vorfeld auch Ein-
fluss nehmen können.


(Beifall bei der FDP)

Wie notwendig eine Einbindung der Kommunen in den

vorbereitenden Prozess ist, zeigt die vorliegende Große
Anfrage. Sie zeigt die verschiedenen Politikfelder auf, an
denen die Kommunen mitwirken und von denen sie
betroffen sind. Geht man der Sache auf den Grund, er-
kennt man, dass der Kern des Problems darin liegt, dass
das Subsidaritätsprinzip auf europäischer Ebene nicht
konsequent eingehalten wird. Dieses in Art. 5 des EG-
Vertrages niedergelegte Prinzip sieht vor, dass Angele-
genheiten auf der Ebene geregelt werden, die dazu am
besten in der Lage ist. Dies ist jedoch keineswegs der Fall.
Die Abgrenzung der Kompetenzen funktioniert nicht. Mit
konsequenter Anwendung des Subsidaritätsprinzips wür-
den viele Materien auf die Ebene der Mitgliedstaaten
zurückgeführt und dort zu regeln sein. Über die nationale
Kompetenzverteilung, also insbesondere die Selbstver-
waltungsgarantie, haben die Kommunen an dieser Zuwei-
sung teil.

Die FDP-Bundestagsfraktion fordert die Bundesregie-
rung auf, stärker auf die Einhaltung des Subsidaritäts-
prinzips auf europäischer Ebene zu dringen. Nur wenn
sich in Zukunft die Kompetenzen der verschiedenen Ebe-
nen der Europäischen Union – Bund, Länder und Kom-
munen – sauber trennen lassen, besteht Hoffnung, dass
auch der nationale Vorbereitungsprozess entlastet wird.


(Beifall bei der FDP)

Gestern hat der Konvent zur Zukunft der Europä-

ischen Union seine Arbeit aufgenommen. In der Sache
wird es nicht wenig sein, was der Europäische Konvent
leisten muss. Er kann – besser gesagt, er muss – daran
mitwirken, dass auch die Kommunen und ihre berechtig-
ten Interessen nicht nur wahrgenommen, sondern auch
umgesetzt werden. Es geht um eine sachgerechte Kompe-
tenzordnung. Sie kann nur dann auf dem richtigen Weg
sein, wenn Kompetenzen nicht immer und zunehmend
nur in eine Richtung, nämlich nach Brüssel, wandern,
sondern auch den umgekehrten Weg einschlagen können,

oder –noch besser –, wenn sie den Kommunen und Re-
gionen gar nicht erst entwunden werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS])



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422212100
Nächster Redner ist
der Kollege Gerald Häfner für die Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen.


Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422212200
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Art. 28 un-
seres Grundgesetzes sagt:

Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein,
alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im
Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu re-
geln.

Das ist ein klares Bekenntnis zu einer lebendigen, prakti-
zierten Demokratie, in der so viel wie möglich so nahe als
möglich bei den Menschen entschieden wird und nicht
umgekehrt. Die Gemeinden sind also nach unserem
Grundgesetz nicht Befehlsempfänger und auch nicht nur,
wie das manche vielleicht gern hätten und wie das in an-
deren Mitgliedsländern der EU teilweise der Fall ist, le-
diglich schwache Verwaltungseinheiten, sondern sie sind
Organe der Selbstverwaltung und damit auch Hort und
Keimzelle einer von unten nach oben sich entwickelnden
Demokratie.

Darin kommt ein sehr modernes Gestaltungsprinzip
und ein klares Bekenntnis zur Demokratie und zur Selbst-
verwaltung zum Ausdruck. Es ist aber nicht nur modern,
sondern zur gleichen Zeit auch sehr alt. Ich glaube schon,
dass es, wenn wir diese Debatte führen, berechtigt und
wichtig ist, darauf hinzuweisen, dass die Demokratie, so
wie wir sie heute in Europa kennen, in den Städten, in den
Kommunen entstanden und gewachsen ist, dass auch die-
ses Europa, so wie wir es lieben, eigentlich seinen Kern,
sein Zentrum in den Kommunen, in den Städten hat. Dort
und von dort aus haben sich erst die Idee des freien Bür-
gers und der Bürgerrechte, die Demokratie, aber auch die
moderne Form der Marktwirtschaft ebenso wie unsere
Vorstellung eines europäischen Sozialmodells entwickelt.
All dies verdankt seine Entstehung den Kommunen, ganz
besonders wie schon gesagt, die Demokratie selbst, die
schon vor 2 500 Jahren in der griechischen Polis entstan-
den ist und sich dort und danach im Mittelalter erst all-
mählich über die Städte hinaus auf die gesamtstaatliche
Ebene hin entwickelt hat.

Insofern ist auch die Demokratie nicht, wie so oft be-
hauptet wird, nur die bestmögliche aller schlechten Re-
gierungsformen, sondern die heute einzig mögliche Re-
gierungsform, indem sie von der Freiheit und Würde des
Individuums, von dem Prinzip der Selbstbestimmung und
von dem Gedanken der Gleichheit aller vor dem Recht so-
wie beim Zustandekommen des Rechts ausgeht. Sie ist
und bleibt die einzige für uns überhaupt denkbare Regie-
rungsform, sofern wir uns darüber einig sind – auch wenn
das heute immer öfter angezweifelt wird –, dass der




Gerhard Schüßler
22086


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(D)



(A)



(B)


Mensch ein freies, selbstbestimmtes, würdiges und
gleichberechtigtes Wesen sein soll und ist.

Damit ist nicht nur die Bedeutung von Demokratie un-
terstrichen, sondern zugleich auch klar: Demokratie ent-
steht und wächst von unten. Ihr Vorhandensein ist also
nicht nur eine Frage des Verfahrens, sondern auch der
Größe, der Nähe zu den Entscheidungen, der Diskurs- und
Kommunikationsmöglichkeiten. Deshalb müssen wir
aufpassen und sollten uns davor hüten, alles immer wei-
ter nach oben, von den Bürgerinnen und Bürgern weg, zu
delegieren, alles immer zentraler zu regeln. Es ist viel-
mehr wichtig, dass so viele Entscheidungen wie möglich
so nahe wie möglich bei den Menschen getroffen werden
können, also dort, wo die Menschen die Verhältnisse ken-
nen und auch die unmittelbaren Auswirkungen der Ent-
scheidungen beurteilen können.

Ich bin, wie meine Fraktion ein glühender Europäer,
Anhänger einer weiter gehenden Vergemeinschaftung in
all den Bereichen, in denen das notwendig und sinnvoll
ist, ganz besonders im Bereich des Binnenmarktes, wo
wir ja schon weit vorangekommen sind. Wenn etwas
heute nicht mehr national geregelt werden kann, dann sind
das Fragen der Wirtschaftspolitik. Hier ist die Kritik
– meine Kritik jedenfalls – ja eher schon nicht die, dass
wir die Dinge heute nicht mehr national entscheiden kön-
nen, sondern dass auch Regelungen auf europäischer
Ebene nicht mehr ausreichen und wir diese Fragen immer
mehr global sehen und entscheiden müssen.

Andere Bereiche notwendiger Vergemeinschaftung
sind Teile der Außen- und Sicherheitspolitik und insbe-
sondere das Umweltrecht, weil Umweltschäden eben
nicht Halt machen vor Grenzen. Deswegen dürfen auch
die Gesetze hier nicht Halt machen.

Aber jede solche Vergemeinschaftung geht eben auch
einher mit einem Verlust an unmittelbarer Beteiligung der
Menschen. Die Legitimationskette, aus der sich Entschei-
dungen ableiten, wird dünner und dünner und die Mitwir-
kungsmöglichkeit der Bürgerinnen und Bürger wird da-
mit geringer. Daraus folgt meines Erachtens, dass wir in
demselben Maße, in dem wir gerade auch Europa weiter-
entwickeln wollen, die Basis, die Ebene, aus der dieses
Europa wächst, das heißt insbesondere auch die kommu-
nale Selbstverwaltung, stärken und weiterentwickeln
müssen.

Vor diesem Hintergrund halte ich es in der Tat für ei-
nen Mangel der bisherigen Verträge, dass das Recht auf
kommunale Selbstverwaltung auf europäischer Ebene
bislang nicht ausreichend verankert ist. Das ist ein Feh-
ler, den wir gerade jetzt korrigieren können. Insofern ist
es mir ein Rätsel, meine lieben Kolleginnen und Kollegen
von der CDU/CSU-Fraktion, wie Sie in einer Situation, in
der wir alle, was das Recht auf Selbstverwaltung und die
Interessen der Kommunen im Hinblick auf den europä-
ischen Einigungsprozess betrifft, ein gemeinsames Anlie-
gen haben und an einem Strang ziehen sollten, dies als
Wahlkampfthema zu missbrauchen versuchen.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Das ist doch eine Unterstellung!)


Lassen Sie uns doch vielmehr gerade jetzt, da mit dem
Zustandekommen des Konvents über eine europäische
Verfassung erstmalig die Chance gegeben ist, dies in
rechtlich verbindlicher Weise in der europäischen Verfas-
sung zu verankern, all das tun, was wir dazu beitragen
können, damit das Recht der Kommunen auf Selbstver-
waltung darin verankert wird. Dabei können wir alle mit-
helfen. Dazu können Sie beitragen, die Fraktionen, das
Parlament im Ganzen, die Länder und die Regierung.
Auch die Kommunen und ihre Bündnispartner in anderen
Ländern können dazu beitragen.

Wenn wir schon bei diesem Punkt sind, meine ich, dass
es Erwähnung verdient und als Teil der Beschreibung des
jetzigen Status wichtig ist, dass das Problembewusstsein
der Akteure und Organe der EU in diesem Bereich in jün-
gerer Zeit deutlich gewachsen ist. In der Mitteilung
„Wege zur Stadtentwicklung in der EU“ von 1997 etwa
hat sich die Europäische Union das erklärte Ziel gesetzt,
die städtische Ebene immer stärker in die Entwicklung
und Durchführung der jeweiligen europäischen Politiken
einzubeziehen. Im Weißbuch „Europäisches Regieren“
vom 25. Juli vergangenen Jahres unterstreicht die Kom-
mission mit bislang ungehört deutlichen Worten die be-
sondere Rolle der Städte und Kommunen im europäischen
Einigungsprozess und entwickelt darin das Bild eines
Netzwerks von ineinander und miteinander verschränkten
politischen Ebenen anstelle der klassischen, rein hierar-
chischen Betrachtungsweise von oben nach unten.

Auch in der Präambel der EU-Grundrechte-Charta
ist bereits auf die lokale Ebene Bezug genommen worden,
allerdings nicht in verbindlicher Weise. Deswegen ist jetzt
beim Konvent, beim Zustandekommen der europäischen
Verfassung, erstmalig die Chance gegeben, dies endlich
rechtlich verbindlich zu verankern. Dafür möchte ich
mich deutlich aussprechen und Sie dazu auffordern, ge-
meinsam über die uns zur Verfügung stehenden Möglich-
keiten zu versuchen, das zu erreichen.

Ein anderer wunder Punkt ist, dass im Ausschuss der
Regionen auf europäischer Ebene nur drei der 24 von
Deutschland gestellten Delegierten, Vertreter der Kom-
munen sind. Auch das erscheint mir viel zu wenig. Dabei
handelt es sich um eine Frage, die sich auch bzw. zuvör-
derst an die Länder und nicht nur an den Bund richtet. Wir
sollten die Länder, die Sie hier mit vertreten, dazu auffor-
dern, die Kommunen stärker zu gewichten und zu berück-
sichtigen.


(Beifall bei der FDP)

Auch wenn die Zeit nicht mehr ausreicht, lassen Sie

mich doch noch kurz auf zwei Punkte eingehen. Ein Punkt
ist die Frage der kommunalen Selbstverwaltung und der
Daseinsvorsorge. Ich halte es für gut, wenn wir einge-
fahrene Strukturen in vielen Bereichen aufbrechen. Ins-
besondere Monopole haben sich häufig für effiziente und
moderne Methoden, Verfahren und Techniken zur Bewäl-
tigung der anstehenden Probleme als nicht hilfreich er-
wiesen. Beispielsweise war die Liberalisierung des Ener-
giemarktes eine wichtige Voraussetzung auch für den
Marktzugang alternativer Energien. So ist es auch in vie-
len anderen Bereichen wichtig, solche Monopolstruktu-
ren infrage zu stellen.




Gerald Häfner

22087


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(A)



(B)


Es scheint mir aber nicht ausreichend und auch nicht
immer im Interesse der Menschen, überall dort, wo es bis-
her zentralistische und bürokratische Träger und Lösun-
gen gab, Private an deren Stelle zu setzen, die diese Auf-
gaben mit einer ganz anderen Gewichtung und unter
anderen Gesichtspunkten – nämlich mit der Absicht der
Gewinnerzielung – in Angriff nehmen. Nicht in allen Be-
reichen ist das vertretbar. In der kommunalen Daseins-
vorsorge geht es ja in hohem Maße auch um ökologische
und soziale Fragen oder zum Beispiel auch um die
Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse. Es geht auch
um die demokratische Frage, wieweit die Bürgerinnen
und Bürger zukünftig überhaupt noch die Möglichkeit ha-
ben, zum Beispiel über den öffentlichen Verkehr vor Ort,
die Wasserversorgung und andere Fragen mitzubestim-
men und zu entscheiden. Mir scheint, dass es hier nötig
ist, mehr auch über alternative Modelle nachzudenken,
die sich jenseits dieser Dichotomie – hier privat und dort
Aufgabendurchführung durch eine Behörde – entwickeln
können und teilweise auch schon entstehen. Solche Mo-
delle verbinden die freie Initiative und die persönliche
Verantwortung mit öffentlicher Kontrolle und Transpa-
renz sowie mit der Orientierung am Gemeinwohl.

Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Gedanken an-
sprechen: Mir scheint der Kampf der Kommunen für eine
Sicherung und Stärkung ihres Rechts auf Selbstverwal-
tung, den wir mit ihnen gemeinsam fechten sollten, dann
berechtigt und sinnvoll zu sein, wenn auch in den Kom-
munen selbst das Selbstbestimmungsrecht der Bürge-
rinnen und Bürger ernst genommen und ausgebaut wird.


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])

Hier haben wir sehr erfreuliche Entwicklungen. Gerade
die Einführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid
führte nicht, wie viele auch im Bayerischen Städtetag und
im Bayerischen Gemeindetag befürchtet haben, dazu,
dass die Städte unregierbar würden. Im Gegenteil: Gerade
auch der Bayerische Städtetag und der Gemeindetag ha-
ben mittlerweile erkannt, dass sich die Bürger seit der Ein-
führung dieses Instruments wieder viel stärker mit ihrer
Gemeinde identifizieren und sich stärker engagieren und
in das Gemeinwesen einbringen. Auf diesem Weg sollten
wir meines Erachtens weitergehen, statt uns in absurder
Weise im Wahlkampf über Aufgaben zu streiten, die wir
gemeinsam anzupacken haben und für die gerade jetzt die
Gelegenheit ausgesprochen günstig ist.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422212300
Jetzt spricht der Kol-
lege Dr. Uwe-Jens Rössel für die Fraktion der PDS.


Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS):
Rede ID: ID1422212400
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und liebe Kollegen! Schon jetzt haben bis zu
70 Prozent der Entscheidungen der Europäischen Union
Auswirkungen auf die Städte, Gemeinden und Land-
kreise. Gerade aber auf der kommunalen Ebene erleben
Bürgerinnen und Bürger die Vertrauenskrise der Euro-
päischen Union. Das sage ich auch in Richtung des Kol-

legen Bertl. Immer offensichtlicher wird – das ist eine
aktuelle Einschätzung des Deutschen Städte- und Ge-
meindebundes –, dass sich die Europäische Union mit
ihren Entscheidungen zum Teil bis in die Details der
Kommunalpolitik einmischt. Auf diese Weise werden
Grundlagen kommunaler Selbstverwaltung generell aus-
gehöhlt.


(Beifall bei der PDS und der FDP)

Das dürfen wir über alle Fraktionen hinweg nicht hinneh-
men.

Solche Einschränkungen der kommunalen Selbstver-
waltung und Selbstbestimmung betreffen vor allem die
öffentliche Daseinsvorsorge, den Umweltschutz, die Was-
serversorgung und Abwasserbeseitigung sowie die Libe-
ralisierung der Stromversorgung und des öffentlichen
Personennahverkehrs. Sie betreffen auch die momentan
laufende Auseinandersetzung über ein so genanntes
EU-Weißbuch zu „New Governance“, Verwaltungskultur,
die Geldvergabe über Strukturfonds der Europäischen
Union, technische DIN-Normen und den Katastrophen-
schutz.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf immer mehr Fel-
dern müssen Rathäuser und Landratsämter teilweise
kleinliche Vorgaben aus Brüssel in Rechnung stellen. Die
Gestaltungsfreiheiten kommunaler Vertretungen werden
auf diese Weise eingeschränkt. Bürgerinnen und Bürger
und ihre Vereine haben zunehmend das Gefühl, mit ihren
örtlichen Initiativen gerade durch EU-Rechtsetzungsvor-
haben immer mehr bevormundet zu werden. Das ist kein
Zeichen für lokale Demokratie; Änderungen sind auch
hier dringend geboten.

Die Bundesregierung kommt in ihrer Antwort auf die
Große Anfrage, die immerhin schon ein Jahr alt ist, nicht
umhin, anzuerkennen, dass Rechtsetzungsakte der
EU/EG Belastungen für die kommunale Selbstverwaltung
bringen. Das hat die Regierung bestätigt. Sie ist sich aber
wohl nur in Ansätzen ihrer Verantwortung bewusst, dafür
Sorge zu tragen, dass im Rahmen der EU die Belange der
Kommunen genügend berücksichtigt werden. Hierfür
muss sie sich stärker einsetzen. Der Ausschuss der Regio-
nen, dessen Mitwirkungsrechte nach Auffassung der PDS
vehement gestärkt werden sollten, kann dies allein nicht
erfüllen.

Die PDS-Fraktion erwartet von der Bundesregierung
ein größeres Engagement für die langfristige Sicherung
kommunaler Daseinsvorsorge.


(Beifall bei der PDS)

Gerade in Deutschland sind traditionell die Städte, Ge-
meinden und Landkreise die wichtigsten Träger der Da-
seinsvorsorge. Damit die Kommunen dieser Verantwor-
tung bei der Versorgung mit Energie oder Wasser, beim
ÖPNV oder bei der Abfallentsorgung entsprechen kön-
nen, müssen sie auch künftig Rechtssicherheit und loka-
len Gestaltungsspielraum haben. Für sehr viel Unruhe
sorgt – das wissen die Kommunalpolitikerinnen und
-politiker – die vorgesehene Änderung der EU-Verord-
nung 1893/91, nach der sämtliche Verkehrsleistungen im
ÖPNVEU-weit auszuschreiben sind. Würde diese Recht-




Gerald Häfner
22088


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(B)


setzung zustande kommen, wäre das das Aus für viele
ortsansässige Unternehmen. Das darf nicht zugelassen
werden.


(Beifall bei der PDS)

Nicht hinnehmbar ist auch der Beschluss des Europä-

ischen Rates von Laeken, im Bereich der Daseinsvorsorge
neue Kompetenzen auf europäischer Ebene festzuschrei-
ben und die bestehenden Kompetenzen den Kommunen
wegzunehmen. Diese Aufgaben werden in aller Regel
durch die Kommunen bürgernah wahrgenommen. Des-
halb fordern wir von dieser Stelle aus: Hände weg von ei-
ner Verlagerung dieser Kompetenzen auf die europäische
Ebene! Sie müssen dort verbleiben, wo sie in aller Regel
effektiv und bürgernah vollzogen werden – auf der kom-
munalen Ebene.

Es ist grundsätzlich festzustellen, dass die Bundesre-
gierung mit der Aussage Recht hat, dass das kommunale
Selbstverwaltungsrecht durch Förderprogramme der
Europäischen Gemeinschaft durchaus gestärkt werden
kann. Aber ich möchte hier das Gewicht auf „kann“ legen.
Denn einerseits bringt die verwirrende Vielfalt der Pro-
gramme nicht wenige Probleme für Übersicht und Koor-
dination; andererseits – das scheint mir besonders wichtig
zu sein – nimmt die Anzahl der Kommunen sprunghaft zu,
die nicht mehr in der Lage sind, den notwendigen Eigen-
anteil bei der Inanspruchnahme der Förderprogramme
aufzubringen. Somit verpuffen diese Förderprogramme.
Die Bundesregierung sollte, um diesen Notstand zu be-
seitigen, endlich in eine Reform der Kommunalfinanzie-
rung einsteigen. Dreieinhalb Jahre Nichtstun sind zu viel
und die bloße Ankündigung, dass man in wenigen Tagen
eine Kommission einsetzen werde, ist zu wenig.

Ich komme zum Schluss. Der heutige 1. März 2002, an
dem der EU-Konvent unter Vorsitz von Valéry Giscard
d’Estaing tagt, sollte auch das Signal aussenden, dass die
Zeit für nachhaltige Schritte zur Stärkung der kommuna-
len Selbstverwaltung in der Bundesrepublik und in allen
übrigen und künftigen EU-Mitgliedstaaten überreif ist.
Kommunalpolitik als gelebte Dezentralität und Bür-
gernähe muss endlich auch eine europäische Größe wer-
den – im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422212500
Nächster Redner ist
der Kollege Rüdiger Veit für die SPD-Fraktion.


Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1422212600
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren Kollegen! Im Prinzip ist zu
der Antwort auf die Große Anfrage der CDU/CSU von
meinem Kollegen Hans-Werner Bertl das Notwendige ge-
sagt worden.


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])

– Ich werde gleich zwar nicht zu Ihnen, aber zu einem an-
deren Kollegen kommen. Ein paar Dinge müssten hier,
glaube ich, klargestellt werden.

Herr Götz hat sich in Anbetracht des bevorstehenden
Termins der bayerischen Kommunalwahlen in über zwei
Dritteln seiner Redezeit mit anderen Fragen befasst als
denjenigen, auf die in der Antwort Bezug genommen
wurde. Herr Kollege Götz, da wir noch nicht das Vergnü-
gen hatten, uns persönlich kennenzulernen, und ich in
Ihren Ausführungen nur bedingt die erforderliche Sach-
kunde eines aktiv handelnden Kommunalpolitikers
habe wahrnehmen können, habe ich mir erlaubt, im
„Kürschner“ nachzuschlagen, und habe festgestellt, dass
Sie sowohl Stadtrat als auch Bürgermeister waren.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Deswegen hat er auch eine so gute Rede gehalten!)


Zum Teil waren wir sogar zu der gleichen Zeit Kollegen.
Aber ich habe mich bei Ihrer Rede gefragt: Von welcher
Zeit redet dieser Mann und von welcher Sache redet er?

Ich habe in der Zeit von 1985 bis 1997

(Peter Götz [CDU/CSU]: Das war eine gute Zeit in Deutschland!)

– dazu komme ich gleich noch – zwölf Haushalte und
auch Nachtragshaushalte als Kämmerer und gleichzeitig
als Dezernent verantworten dürfen. Ich will Ihnen sagen,
wie sich die kommunalen Finanzen entwickelt haben
und wo die Ursachen dafür lagen. Die Tatsache, dass die
Finanzen der Kommunen in ihrer Eigenschaft als Sozial-
hilfeträger regelrecht stranguliert worden sind, dass sich
der Zuschuss beim Einzelplan 04 in den Jahren 1985 bis
1997 geradezu verdoppelt hat, hat eine einzige Ursache:


(Peter Götz [CDU/CSU]: Die Pflegeversicherung!)


nämlich dass immer mehr Langzeitarbeitslose keine
Leistungen des Arbeitsamtes, sondern Sozialhilfe bezo-
gen haben.


(Peter Götz [CDU/CSU]: Pflegeversicherung!)

Erst als meine Kommune und mein Kreis damit begonnen
haben, selber eine aktive Beschäftigungspolitik zu betrei-
ben, und umfangreiche Programme, die Hilfen zur Ar-
beitsaufnahme bieten, aufgelegt haben, hat es eine Ände-
rung dieser Tendenz gegeben. Ich weiß von meinem
Nachfolger im Amte, dass im Grunde genommen erst mit
dem Haushalt 1999 dieser Trend in Richtung eines immer
größeren Zuschusses nachgelassen hat. Die Ursachen sind
also: Langzeitarbeitslosigkeit, fehlende Arbeitsplätze und
gestiegene Aufwendungen bei der Sozialhilfe. Dabei sind
übrigens die Risiken und die Lasten unterschiedlich auf
die Kommunen verteilt.

Wenn man die Haushalte des Bundes, der Länder und
der Kommunen miteinander vergleicht, dann stellt man
fest, dass der Anteil der Schulden am Bundeshaushalt
ungefähr doppelt so hoch ist wie der an den Kommunal-
haushalten. Die Länderhaushalte liegen dazwischen.
Natürlich ist die Situation in den einzelnen Kommunen
sehr unterschiedlich. In meinem Wahlkreis beispielsweise
ist es so, dass es im so genannten Speckgürtel der Kreis-
stadt noch immer Städte und Gemeinden gibt, die auf-
grund von Gewerbeansiedlungen und daraus folgenden
hohen Steuereinnahmen aus den Überschüssen von drei




Dr. Uwe-Jens Rössel

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(D)



(A)



(B)


Verwaltungshaushalten ganz leicht ein Bürgerhaus für
5,5Millionen bauen könnten. Es gibt aber auch Städte und
Gemeinden, die nicht einmal die Kreisumlage aufbringen
können, ohne defizitär zu werden.

Die Situation der Kommunen in Deutschland ist also
sehr unterschiedlich, weil die Lasten unterschiedlich ver-
teilt sind. Die Ursachen dafür sind neben Langzeitarbeits-
losigkeit – das ist die eigentliche Ursache –, dass der
Zuschussbedarf, den die Kommunen als Träger der Sozial-
hilfe in den Einzelplänen 4, Soziales, haben, nur in unzu-
reichendem Maße durch die jeweiligen Länder gedeckt
wird. Die Länder decken im Rahmen des Sozialhilfe-
lastenausgleichs präterpropter gerade einmal ein Drittel
dieses Zuschussbedarfs. Auch das ist eine Ursache für die
unterschiedliche Situation der Kommunen.

Lassen Sie mich nun auf das eigentliche Thema zu
sprechen kommen, nämlich die Fortentwicklung der
kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland im Rah-
men von Rechtsetzung der Europäischen Union. Selbst
die alte Bundesregierung, die ich wegen ihrer schlechten
Arbeitsmarktpolitik – eigentlich hat eine solche gar nicht
stattgefunden – und ihrer unzureichenden Wirtschaftspo-
litik sonst immer schelten muss, hat genau wie die jetzige
Regierung – das habe ich auch, als ich noch
Kommunalpolitiker war, immer anerkannt – garantiert,
dass die öffentliche Daseinsvorsorge in Deutschland
trotz aller Vorgaben aus Brüssel gewährleistet bleibt. Alle,
die in der Kommunalpolitik oder in den Gremien von
kommunalen Energieversorgungs- und Verkehrsunter-
nehmen tätig waren, wissen, dass die Zeit dieser Unter-
nehmen, und zwar von der Waterkant bis in den Voral-
penbereich, vorbei wäre, wenn die Frage der
Quersubventionierung oder des durch die Binnenge-
setzgebung zu regelnden steuerlichen Querverbundes an-
ders beantwortet würde. Das darf nicht geschehen. Ich
mache mir deshalb in der Tat Sorgen, wenn ohne Rück-
sicht auf soziale Standards und Tarifverträge beispiels-
weise Verkehrsleistungen ausgeschrieben würden. Ich bin
guter Hoffnung, dass die jetzige Bundesregierung – ge-
nauso wie seinerzeit die ehemalige – ihre Garantenstel-
lung gegenüber den Kommunen wahrnehmen wird.

Lassen Sie mich auf einen anderen Punkt zu sprechen
kommen, nämlich auf das Sparkassenwesen und die Lan-
desbanken. Hier muss man differenzieren: Es ist sicher-
lich sinnvoll – das möchte ich gerne einräumen –, die der-
zeitige Rechtsform der Sparkassen mit Anstaltslast und
Gewährträgerhaftung zu erhalten. Bei den Landesbanken
bin ich anderer Meinung. Diese betreiben weitestgehend
Universalbankgeschäfte und erzielen den größten Teil des
Deckungsbeitrags, aufgrund dessen sie den Kommunen
verbilligte Kredite gewähren können, im so genannten
Wertpapiereigenhandel. Ich vermag deshalb nicht einzu-
sehen, warum beispielsweise für Warentermin- oder De-
visengeschäfte der Landesbanken die letzte Gemeinde des
Sparkassenzweckverbandsgebiets haften soll. Das muss
man differenzierter regeln.

Herr Kollege Dr. Rössel, als ich noch in der Kommu-
nalpolitik tätig war, habe ich nur wenig davon gemerkt,
dass es die kleinlichen Vorgaben aus Brüssel wären, die
kommunalpolitisches Engagement verhindern und den

Kommunalpolitikern die Gestaltungsmöglichkeiten neh-
men. Das, was uns Kommunalpolitiker zum Teil den Spaß
an der Sache und auch die Möglichkeiten der Gestaltung
genommen hat, war vielmehr die ungünstige Entwicklung
des Zuschussbedarfs in Einzelplan 4. Damit bin ich wie-
der beim Ausgangspunkt: Die Ursache für die schlechten
kommunalen Finanzen war eine schlechte Arbeitsmarkt-
und Wirtschaftspolitik. Das hat sich verändert.

Als ehemaliger Kommunalpolitiker bin ich guter Hoff-
nung, dass es uns in der nächsten Legislaturperiode gelin-
gen wird, bei der Gemeindefinanzreform, die auch ich lie-
ber heute als erst in der nächsten Legislaturperiode hätte,
ein entscheidendes Stück weiterzukommen und für not-
wendige Klarheit zu sorgen.

Zum Schluss möchte ich sagen: Vergessen wir alle bitte
nicht, dass die Bundesländer ihrerseits problemlos in der
Lage wären, durch Umstrukturierung im kommunalen Fi-
nanzausgleich die größten Belastungen für die Kommu-
nen zu beseitigen. Aber angesichts der großen Zahl der
kreisangehörigen Städte und Gemeinden, die zumindest
jedes Flächenland aufzuweisen hat, überlegt sich jede
Landesregierung, egal welche politische Farbe sie hat, ob
sie sich mit vielen Hundert kleinen kreisangehörigen
Städten und Gemeinden oder mit den kreisfreien Städten
und den Landkreisen anlegt, deren Zahl – und manchmal
auch Bedeutung – geringer ist.

Ich hoffe, dass ich damit ein bisschen von dem richtig
gestellt habe, was Sie, Herr Kollege, über eine Zeit gesagt
haben, die wir beide als Kommunalpolitiker, wenn auch
als Mitglieder verschiedener Parteien, gemeinsam erlebt
haben. Sie hätten es eigentlich besser wissen müssen.

Danke.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422212700
Herr Kollege, vielen
Dank für die Zeit, die Sie uns allen geschenkt haben.

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Albert
Deß für die CDU/CSU.


Albert Deß (CSU):
Rede ID: ID1422212800
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Peter Götz hat schon gesagt – es
ist auch von anderen angesprochen worden; wir alle wis-
sen es –: Mehr als 60 Prozent aller Gesetzgebungsmaß-
nahmen der Europäischen Union wirken sich direkt oder
indirekt auf unsere Kommunen aus. Bei allen Entschei-
dungen in Europa muss der Gedanke der Subsidiarität
gerade im Hinblick auf unsere Kommunen gewahrt blei-
ben bzw. noch stärker verwirklicht werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Entwicklungen in Europa werden wir genau im

Auge behalten. Europa muss von unten her gestaltet wer-
den. Die Bürger müssen die Chance haben, an ihrem Eu-
ropa mitzubauen. Nur so wird die Akzeptanz des weiteren
Einigungsprozesses langfristig gewährleistet sein. Die
kommunale Selbstverwaltung muss in einem EU-Ver-




Rüdiger Veit
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(C)



(D)



(A)



(B)


tragswerk verankert werden, damit die Stellung der Kom-
munen in Europa auch langfristig gesichert ist.

Wir stehen zu Europa. Ein starkes Europa braucht aber
auch starke Kommunen. Das CSU-regierte Bayern und
auch das CDU/FDP-regierte Baden-Württemberg, um nur
zwei unionsgeführte Bundesländer zu nennen, unterstützen
ihre Kommunen wesentlich stärker, als dies bei rot, rot-grün
oder rot-dunkelrot regierten Bundesländern der Fall ist.


(Beifall bei der CDU/CSU – Rüdiger Veit [SPD]: Das ist mit nichts zu belegen!)


Nur so sind die Kommunen in der Lage, die Herausforde-
rungen der Zukunft wirkungsvoll zu bewältigen. Der
bayerische Finanzminister sorgt für eine gute Finanzaus-
stattung der bayerischen Kommunen. Die Leistungen des
Landes wurden im Vergleich zum Vorjahr um 3,1 Prozent
erhöht.


(Rüdiger Veit [SPD]: Dafür haben die Hessen sie kürzen müssen!)


Davon können SPD-regierte Bundesländer nur träumen.
Weder die Bayerische Staatsregierung noch andere

Bundesländer können aber das ausgleichen, was Rot-
Grün den Kommunen durch eine völlig verfehlte Politik
zumutet.


(Rüdiger Veit [SPD]: Quatsch!)

Wegen einer völlig verfehlten Steuerpolitik und aufgrund
der schlechten Konjunktur stehen viele Kommunen heute
vor massiven Haushaltsproblemen.

Die rot-grünen Bundesgesetze haben zu massiven Ein-
bußen bei den kommunalen Haushalten geführt.


(Detlef Dzembritzki [SPD]: Das stimmt doch überhaupt nicht!)


Nach Angaben der kommunalen Spitzenverbände sanken
die kommunalen Einnahmen 2001 um mehr als 4 Milliar-
den Euro. Die kommunalen Steuereinnahmen gingen um
5,5 Prozent zurück. Die Investitionszuweisungen von
Bund und Ländern sanken um 4 Prozent.

Trotz sinkender Einnahmen haben die Kommunen zu-
sätzliche Aufgaben bekommen, die mit Kosten verbunden
sind. Stark angestiegen sind die Kosten im Sozialbereich.
Pflegefälle werden trotz der Pflegeversicherung zuneh-
mend wieder zu Sozialhilfefällen, weil die Kosten für die
Pflege in den Einrichtungen kontinuierlich steigen. An-
dere auf die Kommunen verschobene Mehrkosten im So-
zialbereich belasten die Haushalte mit mehr als 1 Milli-
arde Euro zusätzlich.

Ein krasses Beispiel für die Verlagerung von Kosten
auf die Kommunen ist die Rentenreform. Allein diese Re-
form belastet die Kommunen bis zum Jahre 2008 mit circa
8 Milliarden Euro. Kosten und Steuerausfälle hat die
rot-grüne Bundesregierung auf die Kommunen verlagert,
die unter anderem für die Einrichtung der neuen Grund-
sicherungsämter verantwortlich sind.

Die BSE-Krise war Anlass für ein Bundesgesetz, des-
sen Kosten die Kommunen weitgehend zu tragen haben.
Die kommunalen Schlachthöfe müssen die Kosten der

Abfallentsorgung tragen und viel Geld in neue Investitio-
nen stecken. Dazu kommen die Kosten für zusätzliches
Personal und die Entsorgung von Klärschlamm. Die Aus-
bringung auf landwirtschaftliche Flächen ist nur noch ein-
geschränkt möglich und wird wahrscheinlich auf längere
Sicht gesehen vollkommen eingestellt werden müssen.

Unsere Kommunen tragen erhebliche Lasten bei der
Ausländerintegration.Dazu gehören nicht nur die Förde-
rung von Ausländerorganisationen, sondern auch die
Durchführung von Sprachkursen, Maßnahmen zur Stadt-
planung oder die Förderung von gemischten Verbänden
und Vereinen. Hinzu kommt, dass die Arbeitslosigkeit
– das haben wir heute schon gehört – unter Ausländern dop-
pelt so hoch ist wie die unter der deutschen Bevölkerung.

Auch im Asylrecht sind wir an die Vorgaben aus Brüs-
sel gebunden. Die Regierung Schröder schafft es aber
nicht, dass es zu einer Regelung kommt, mit der die Asyl-
bewerber gerecht auf die Mitgliedstaaten verteilt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Das war unter Kohl ganz anders!)


Die Versteigerung der UMTS-Lizenzen brachte dem
Bund Rekordeinnahmen in Höhe von circa 50 Milliarden
Euro. Im Gegensatz dazu müssen die Kommunen mit be-
trächtlichen Steuerverlusten zurechtkommen. Unterneh-
men schreiben die von ihnen ersteigerten Lizenzen ab und
vermindern dadurch ihre Gewinne, was zu massiven Steu-
erausfällen bei den betroffenen Kommunen führt.

Die rot-grüne Bundesregierung hat eine Steuerreform
auf den Weg gebracht, die die Basis der Gewerbesteuer
aushöhlt. Die Erhöhung der Gewerbesteuerumlage wurde
damit begründet, dass die Kommunen von den erhöhten
Steuereinnahmen, die durch die Steuerreform zu erwarten
sind, profitieren. Es war eine Milchmädchenrechnung
von Herrn Eichel, dass durch die Verlängerung der Ab-
schreibungszeiträume die Gewerbesteuereinnahmen stei-
gen würden.


(Abg. René Röspel [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422212900
Herr Kollege Deß,
möchten Sie eine Zwischenfrage zulassen?


Albert Deß (CSU):
Rede ID: ID1422213000
Ich lasse keine Zwischen-
frage zu.

Die Kommunen spüren davon nichts; im Gegenteil.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Wer hat denn die Lohnsummensteuer abgeschafft?)


Nach Angaben der kommunalen Spitzenverbände ist die
Entwicklung beim Gewerbesteueraufkommen beängs-
tigend. Grund dafür ist nicht nur die schlechte Konjunk-
tur, sondern auch die Tatsache, dass Kapitalgesellschaften
keine Steuern mehr zahlen. Wenn wir eine solche Steuer-
reform gemacht hätten, dann hätte Rot-Grün vor Ort
Mahnwachen abgehalten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP])





Albert Deß

22091


(C)



(D)



(A)



(B)


Die rot-grüne Steuergesetzgebung wirkt sich auf die
Kommunen katastrophal aus. Die Folge ist, dass Inves-
titionen radikal zusammengestrichen werden müssen.
Weniger Investitionen der Kommunen bedeuten auch we-
niger Arbeit für die Betriebe und damit steigende Arbeits-
losigkeit. Ein fataler Kreislauf, den die rot-grüne Bundes-
regierung auf den Weg gebracht hat!

Die Gestaltungsmöglichkeiten für die Kommunen
werden immer geringer. Gespart wird jetzt vor allem an
der Kultur, an sozialen Einrichtungen, an der Unterstüt-
zung von Verbänden und Vereinen – gespart wird
schlichtweg an der Lebensqualität.

Die CDU/CSU-Fraktion steht zu einem starken Eu-
ropa. Ein starkes Europa braucht starke Kommunen. Des-
halb fordert die CDU/CSU-Fraktion, dass legale Steuer-
schlupflöcher für die Kapitalgesellschaften nicht zulasten
der Kommunen genutzt werden können, dass die Er-
höhung der Gewerbesteuerumlage zurückgenommen
wird, dass das Gemeindefinanzsystem überprüft wird und
dass die kommunale Finanzausstattung als Grundlage der
kommunalen Selbstverwaltung verbessert wird.

Wir haben mit dem Vertrag von Maastricht das Subsi-
diaritätsprinzip in den EU-Verträgen verankert. Dafür hat
die Union unter Helmut Kohl und Theo Waigel gesorgt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Einschließlich der Finanzierung wahrscheinlich!)


Wir haben die Achtung der innerstaatlichen Gliederung
festgelegt. Im Konvent zur Zukunft Europas müssen
diese weichen Formulierungen konkretisiert werden.
CDU und CSU wollen, dass klare und eindeutige Formu-
lierungen die kommunale Selbstverwaltung stärken. Die
Schröder-Regierung, deren Zeit abläuft, will das offen-
sichtlich nicht. Wir fordern Sie auf, sich im Konvent für
die Sicherung unseres traditionellen Erfolgsmodells der
kommunalen Selbstverwaltung stark zu machen. Begin-
nen Sie bald damit! Bis zum 22. September bleiben Ihnen
nur noch 206 Tage.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Und danach vier Jahre!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422213100
Ich schließe die Aus-
sprache.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a bis 24 c auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-

regierung eingebrachten Entwurfs eines Sieben-
ten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über
die Deutsche Bundesbank
– Drucksache 14/6879 –

(Erste Beratung 192. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)

– Drucksachen 14/8390, 14/8413 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Jörg-Otto Spiller
Otto Bernhardt
Dr. Barbara Höll

b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die integrierte Finanzdienstleistungs-
aufsicht
– Drucksachen 14/7033, 14/7088 –

(Erste Beratung 192. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des

Finanzausschusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/8389 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Lothar Binding (Heidelberg)

Otto Bernhardt
Dr. Barbara Höll


(8. Ausschuss)

– Drucksache 14/8391 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Susanne Jaffke
Hans-Eberhard Urbaniak
Antje Hermenau
Jürgen Koppelin
Dr. Uwe-Jens Rössel

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu der
Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates über die zusätzli-
che Beaufsichtigung der Kreditinstitute, Versi-
cherungsunternehmen und Wertpapierfirmen
eines Finanzkonglomerats und zur Änderung
der Richtlinien 73/239/EWG, 79/267/EWG,
92/49/EWG, 92/96/EWG, 93/6/EWG und
93/22/EWG des Rates und der Richtlinien
98/78/EG und 2000/12/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates
KOM (2001) 213 endg.; Ratsdok. Nr. 08297/01
– Drucksachen 14/6508 Nr. 2.6, 14/8389 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Lothar Binding (Heidelberg)

Otto Bernhardt
Dr. Barbara Höll

Zum Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesbank-
gesetzes liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.




Albert Deß
22092


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist für die
Bundesregierung die Parlamentarische Staatssekretärin
Dr. Barbara Hendricks.

Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim

(von der SPD mit Beifall begrüßt)

ginnen und Kollegen! Man darf zwar nicht auf einen
abgeschlossenen Tagesordnungspunkt zurückkommen,
aber ich möchte dem lieben Albert Deß doch sagen: Selbst
die Kommunalwahl von übermorgen erlaubt es nicht, eine
solche Litanei von Unwahrheiten und Halbwahrheiten
dem Hohen Hause vorzutragen.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Sie sollten sich an die eigene Nase fassen!)


Jetzt möchte ich mich dem vorliegenden Gesetzent-
wurf zuwenden. Mit dem heute hier zu verabschiedenden
Gesetz zur Reform der Bundesbankstruktur wird endlich
umgesetzt, was schon seit drei Jahren Realität ist, nämlich
dass die geldpolitische Zuständigkeit der Bundesbank
seit dem 1. Januar 1999 auf die Europäische Zentralbank
übergegangen ist. Wir sind also heute im Bundestag ver-
sammelt, um abschließend ein Gesetz zu beraten, mit dem
die Struktur der Bundesbank an die Realität angepasst
wird. Wir können nicht so tun, als habe die Bundesbank
dieselben Aufgaben wie noch vor drei Jahren.

Wir sorgen mit dem hier vorliegenden Gesetz, von dem
ich hoffe, dass es auch im Bundesrat nicht blockiert wer-
den wird,


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Da schauen wir einmal!)


insbesondere auch dafür, dass die deutschen Interessen im
System der Europäischen Zentralbank angemessen ver-
treten werden. Wir sorgen dafür, dass die Deutsche Bun-
desbank künftig eine einheitliche Leitungs- und Entschei-
dungsstruktur erhält, die den Aufbau einer effizienten und
kostengünstigen internen Organisation ermöglicht. Da-
rüber hinaus wird es bei der Deutschen Bundesbank
zukünftig größere Ausgabentransparenz und eine stärkere
Kostenkontrolle geben. Zudem wird gewährleistet, dass
das in der Fläche präsente Bundesbanksystem erhalten
bleibt; das heißt, die neuen Standorte der Hauptverwaltun-
gen bleiben unter anderem als regionale Ansprechpartner
für die Kreditwirtschaft und die Unternehmen erhalten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich sagte schon, ich erwarte, dass der Bundesrat der

Umsetzung dieser Kompromisse keine Steine in den Weg
legen wird. Diejenigen, die hier in diesem Hause oder
auch im Bundesrat nicht zustimmen wollen, unterschei-
den sich nicht sehr von solchen, die für einen Heizer auf
einer E-Lok plädieren. Das müssen Sie sich wirklich ver-
gegenwärtigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Leo Dautzenberg [CDU/ CSU]: Reines zentralistisches Modell!)


Mit dem zweiten heute hier zur Abstimmung stehenden
Gesetz werden entscheidende Reformen für den Erhalt

der Zukunftsfähigkeit des Finanzplatzes Deutschland
eingeleitet. Wir schaffen damit Voraussetzungen für eine
integrierte, wettbewerbsneutrale und stärker kapital-
marktorientierte Aufsicht über sektorübergreifende Ver-
flechtungen und Risikotransfers, die es ja heute schon gibt
und vor denen wir die Augen nicht verschließen dürfen.
Die Aufsicht muss den tatsächlichen Entwicklungen am
Markt angepasst werden und darf ihnen nicht hinterher
hinken. Wir begegnen also drohenden Aufsichtsdefiziten
durch Kompetenzbündelung und sichern die Wettbe-
werbsfähigkeit insbesondere im Vergleich mit dem Fi-
nanzplatz London und der dortigen Financial Services
Authority.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Die Einzige, die es macht!)


Wir erreichen Effizienzsteigerungen durch Verbund-
vorteile, und zwar durch Einführung risikoadäquater
wettbewerbsneutraler Standards, bei der Aufsicht über Fi-
nanzkonglomerate, bei der Überwachung von Finanzun-
ternehmen, bei sektorübergreifend eingesetzten Riskma-
nagementmethoden sowie hinsichtlich Anzeigepflichten
und Informationsaustausch.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wer hat ihr denn das aufgeschrieben? – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Bürokratendeutsch!)


Zugleich erleichtern wir die Rekrutierung sowie den
effektiveren Einsatz von Experten durch Abkoppelung
des Etats der Aufsicht vom Bundeshaushalt; sie wird
zukünftig ausschließlich von den Instituten finanziert, die
der Aufsicht unterliegen. Sie sehen daran, dass den Insti-
tuten, die der Aufsicht unterliegen, diese Aufsicht so viel
wert ist, dass sie sie selber vollständig bezahlen wollen.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Müssen!)

Früher haben sie sie zu 90 Prozent bezahlt, jetzt zahlen sie
sie zu 100 Prozent. Es gibt also keine Verknüpfungen
mehr mit dem Bundeshaushalt. Das wird vom Zentralen
Kreditausschuss und vom Bundesverband deutscher Ban-
ken begrüßt, da sie auf diese Weise auch besondere Ex-
perten heranziehen können, was aufgrund der bisherigen
Struktur nicht möglich war.

Wichtig ist die Einbeziehung der Bundesbank zur Er-
fassung von Systemrisiken und zur Gewährleistung von
Präsenz in der Fläche. Erstmals gibt es eine gesetzliche
Konkretisierung der Kooperation zwischen Bundesbank
und der Bundesanstalt sowie deren Einbindung in die lau-
fende Bankenaufsicht. Durch Zuweisung der laufenden
Aufsicht über nunmehr alle Institute, das heißt auch über
die Großbanken, stärken wir die Rolle der Bundesbank.
Diese wird in der Regel durch die Hauptbereichsverwal-
tungen – das sind die bisherigen Landeszentralbanken –
durchgeführt.

Die Anhörung des Finanzausschusses des Bundestags
im November des vergangenen Jahres hat ergeben, dass
das Gesetzesvorhaben als notwendige Reaktion auf die
Marktveränderungen befürwortet wird. Das Konzept wird
bestätigt. Die Wirtschaft begrüßt im Interesse einer
besseren personellen Ausstattung die Abkopplung vom




Vizepräsidentin Petra Bläss

22093


(C)



(D)



(A)



(B)


Bundeshaushalt und bekräftigt die Bereitschaft zur Kos-
tenübernahme.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Eine sehr selektive Wahrnehmung!)


Das Konzept ist vom Internationalen Währungsfonds
und von der Europäischen Zentralbank begrüßt worden.
In den skandinavischen Ländern, in Großbritannien, in
Japan und in Australien bestehen bereits sektorüber-
greifende Aufsichtsbehörden. Die neue Bundesanstalt
wird ein kompetenter gleichwertiger Partner auch im in-
ternationalen Bereich werden. Der Trend zur integrierten
Finanzdienstleistungsaufsicht schreitet im Übrigen fort,
so in Irland, in Österreich und demnächst auch in der
Schweiz.

Mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Bundes-
bankstrukturreform durch den Bundestag wird der Re-
formstau beseitigt, der hier zu beklagen war. In
Verbindung mit dem Gesetz über die integrierte Finanz-
dienstleistungsaufsicht setzen wir ein wichtiges Signal für
den Finanzplatz Deutschland. Die Bundesregierung er-
wartet, dass sich auch der Bundesrat in seiner Sitzung im
März der Verantwortung für den Finanzplatz Deutschland
stellen wird und die Verabschiedung dieser beiden wichti-
gen Gesetze nicht verzögert.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422213200
Für die CDU/CSU-
Fraktion hat jetzt der Kollege Otto Bernhardt das Wort.


Otto Bernhardt (CDU):
Rede ID: ID1422213300
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht bei die-
ser Debatte um zwei zentrale Gesetze, die den Finanzplatz
Deutschland betreffen. Es ist schade, dass wir diese De-
batte am Freitagnachmittag führen. Eigentlich hätte die
Beratung dieser beiden zentralen Gesetze eine bessere
Zeit verdient.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Zwischen beiden Gesetzen besteht ein sachlich sehr enger
Zusammenhang. Deshalb ist es gut, dass wir beide Ge-
setze gemeinsam beraten.

Bei der Notenbank besteht in der Tat – die Staatssekre-
tärin hat das bereits gesagt – Handlungsbedarf. Zum 1. Ja-
nuar 1999 hat die Notenbank eine zentrale Aufgabe, näm-
lich die Geldpolitik, an die Europäische Zentralbank
abgegeben. Alle Fachleute sind sich darüber im Klaren,
dass dies zu Veränderungen bei der deutschen Notenbank
führen muss. Wir sind uns einig, dass es zu einer Ver-
schlankung kommen muss.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!)

Wir sind uns einig, dass wir nur noch ein zentrales Gre-
mium brauchen.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!)


Wir sind uns auch einig, dass man die Arbeitsteilung zwi-
schen der Bundesbank und den Landeszentralbanken
überdenken muss.

Dann hören die Gemeinsamkeiten aber leider auch auf.

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Leider wahr!)


Es gibt zwei entscheidende Gründe, warum wir dem Ge-
setz nicht zustimmen können. Der eine Grund betrifft die
Zusammensetzung des neuen Vorstandes und der an-
dere die zukünftige Rolle der Landeszentralbanken.

Zum ersten Punkt. Das zentrale Organ der Notenbank
besteht heute aus acht Direktoriumsmitgliedern, die von
der Bundesregierung vorgeschlagen werden und aus neun
Landeszentralbankpräsidenten, die der Bundesrat vor-
schlägt. Im Entwurf war ursprünglich vorgesehen, dass in
Zukunft ein sechsköpfiger Vorstand eingesetzt werde. Die
Bundesregierung sollte den Präsidenten und den Vizeprä-
sidenten vorschlagen, die weiteren vier Vorstandsmitglie-
der sollte sich – Sie hören richtig – der Bundesbankpräsi-
dent selbst aussuchen.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Abenteuerliche Vorstellung!)


Natürlich war jedem klar, dass hier ein gewisser Hand-
lungsspielraum vorgesehen war; denn es gibt keinen Vor-
standsvorsitzenden in Deutschland, der sich – auch wenn
das viele möchten – seine Vorstandskollegen selbst aus-
suchen kann.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Zumindest nicht formal!)


Der Entwurf, der jetzt vorliegt, sieht einen achtköpfi-
gen Vorstand vor. Vier Vorstandsmitglieder werden von
der Bundesregierung vorgeschlagen. Die anderen vier
Mitglieder darf zwar der Bundesrat vorschlagen, aber im
Einvernehmen mit der Bundesregierung. Meine Damen
und Herren, das ist das Ende einer überparteilichen No-
tenbank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie sollten sich wirklich darüber im Klaren sein, ob Sie
das wollen. Die deutsche Notenbank hat sich in ihrer lan-
gen Geschichte national und international ein hervorra-
gendes Standing erarbeitet. Das ist in Kürze vorbei. Ich
finde es unverantwortlich, diesen Weg zu gehen. Wir
drücken in unserem Antrag deshalb die Sorge aus, dass
der Vorstand der Notenbank in Zukunft von der jeweili-
gen Regierung stromlinienförmig besetzt werden könnte,
und befürchten, dass er es auch wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der zweite Ablehnungsgrund betrifft die zukünftige

Position der Landeszentralbankpräsidenten. Sie
sollen jetzt im Grunde schlicht regionale Direktoren wer-
den, weisungsabhängig vom Präsidenten,


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Und ernannt vom Präsidenten!)


auch wenn sie den schönen Titel „Präsident“ behalten.
Was Sie damit anrichten, scheint Ihnen nicht klar zu

sein; wahrscheinlich sind Sie auch ein Stück zu weit weg




Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
22094


(C)



(D)



(A)



(B)


von der Wirtschaft. Heute haben wir neun hoch qualifi-
zierte Landeszentralbankpräsidenten. Jeder hat vor Ort
sein Image, ist Ansprechpartner für Politik und Wirt-
schaft, insbesondere für die Banken. Das ist demnächst
vorbei. Sie glauben doch nicht, dass sich solche Persön-
lichkeiten um den Posten eines weisungsabhängigen Di-
rektors bewerben!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich glaube, Ihr Parteifreund, der lange Zeit Landeszen-

tralbanken geleitet hat, Professor Krupp, hat Recht, wenn
er vom „Zentralisierungswahn“ spricht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie nehmen überhaupt nicht zur Kenntnis, wie sich die
Wirtschaftsstruktur in Deutschland entwickelt hat. Sie
sollten sich einmal die Kritik der Kreditinstitute vor Ort in
Bezug auf das, was Sie hier geplant haben, anhören.

Zum zweiten Gesetz, dem Gesetz über die integrierte
Finanzdienstleistungsaufsicht. Im Ausschuss ist uns er-
zählt worden, das sei das Zukunftsmodell der Welt, das sei
europatauglich. Schon das Anhörungsverfahren hat ge-
zeigt, dass diese Aussagen alle nicht richtig sind. In den
Vereinigten Staaten lächelt man über eine solche Aufsicht.
Man würde nie auf die Idee kommen, so etwas zu schaffen.

Hier ist Großbritannien zitiert worden. Richtig, Frau
Staatssekretärin, aber dort ist das aus einer Not heraus ge-
schehen. Lesen Sie einmal Erfahrungsberichte darüber!
Nein, die Tendenz in Europa geht woandershin: Sie geht
dahin, die Bankenaufsicht den Notenbanken zu übertra-
gen. Das ist ein Vorschlag, der auch bei uns große Sym-
pathie findet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich sage sehr deutlich: Mit der Lösung, die Sie jetzt ver-
abschieden wollen, verbauen wir bessere, europataugli-
che Lösungen.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs)

Es ist bedauerlich, dass es bei zwei so zentralen Gesetzen

für den Bereich der Finanzen zu derart kontroversen Aus-
einandersetzungen kommt. In der Vergangenheit sind
Gesetze, die die Notenbank und die Finanzaufsicht betrafen,
eigentlich immer einstimmig oder mit großer Mehrheit von
Bundestag und Bundesrat verabschiedet worden.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!)

Diesmal hat der Bundesrat einstimmig, das heißt unab-
hängig von der jeweiligen Zusammensetzung der Regie-
rung, ein negatives Votum zu beiden Gesetzen abgegeben.
Nun hören wir schon wieder, dass man offensichtlich mit
Zusagen und Geschenken versuchen will, ein paar Länder
herauszubrechen; denn es handelt sich bei diesem Gesetz
um ein Einspruchsgesetz, also ein Gesetz, das der Bun-
desrat nur verhindern kann, wenn er es mit Zweidrittel-
mehrheit ablehnt. Zurzeit sind noch alle Bundesländer
dagegen; aber die Gefahr, dass es gelingt, ein Drittel zur
Zustimmung zu bewegen, ist vorhanden, wie die Staats-
sekretärin uns gesagt hat.


(Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin: Die Chance!)


Ich sage ganz deutlich: Die Gesetzentwürfe, wie sie
hier vorliegen, können den Finanzplatz Deutschland nicht
nach vorne bringen. Sie zerstören gewachsene Strukturen.
Unsere Hoffnungen liegen beim Bundesrat, dass er bei
seinem ablehnenden Votum bleibt, damit wir für beide
Bereiche bessere Gesetze bekommen können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422213400
Ich erteile das Wort
der Kollegin Christine Scheel für Bündnis 90/Die Grünen.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422213500

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Die geld- und währungspolitische Verantwortung ist von
der Bundesbank auf den Rat der Europäischen Zentral-
banken übergegangen. Die einzige deutsche Stimme im
Rat ist die des Bundesbankpräsidenten. Diese Stimme
muss eine starke Stimme für die Vertretung der deutschen
Stabilitätsinteressen sein.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Deshalb brauchen wir einen anderen Präsidenten!)


Allein deshalb muss eine solch durchgreifende Verän-
derung auch strukturelle Konsequenzen haben. Dabei
muss gewährleistet sein, dass der Bundesbankpräsident in
seiner Unabhängigkeit gestärkt wird und dass die Bun-
desbank eine schlanke und effiziente Führungsstruktur
bekommt.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das muss sich ja nicht widersprechen!)


Kernanliegen der Reform ist die Schaffung eines ein-
heitlichen Leitungsgremiums. Hier werden die geschäfts-
politischen Entscheidungen gefällt und für die jetzigen
Landeszentralbanken, die künftigen Hauptverwaltungen,
bindende Richtlinien erlassen. Aufwendige Abstim-
mungsprozesse entfallen; Doppelarbeiten können auf
diese Art und Weise besser vermieden werden.

Der neue achtköpfige Bundesbankvorstand ist ge-
genüber der heutigen Leitungsstruktur mit Direktorium,
Zentralbankrat und Vorständen der Hauptverwaltungen
mit insgesamt 26 Organmitgliedern nicht nur strukturell,
sondern auch personell wesentlich abgespeckt worden.
Das wird sich auch auszahlen. Denn mittelfristig werden
wir durch die neue Struktur der Bundesbank erheblich
sparen. Allein die neue Leitungsstruktur wird nach einer
Übergangszeit, nach ungefähr ein bis drei Jahren, in etwa
1,6 Millionen Euro im Jahr weniger kosten. Das ist eine
Einsparung, die sich durch diese Maßnahme Jahr für Jahr
ergibt. Der Kostenblock wird um mehr als ein Drittel re-
duziert.

Bei aller Effizienz sollte man aber Bewährtes nicht
ohne Not aufgeben.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: So ist es!)

Eine der Stärken der Bundesbank war immer ihre Präsenz
in der Fläche sowie die Vertretung und auch die Mitspra-




Otto Bernhardt

22095


(C)



(D)



(A)



(B)


che der Regionen in den Leitungsgremien. Dieses be-
währte System wird modifiziert beibehalten. So bleiben
alle neun Landeszentralbanken als Hauptverwaltungen
der Bundesbank bestehen. Die regionale Wirtschaft, die
Banken und auch die Sparkassen finden so weiterhin vor
Ort kompetente Ansprechpartner.

Besonders wichtig in diesem Zusammenhang ist aber
auch das Vorschlagsrecht des Bundesrates für die
Hälfte der künftigen Vorstandsmitglieder. So haben wir
dem föderalen Gedanken besser, als im Ursprungsentwurf
vorgesehen, Rechnung getragen. Darüber hinaus stärkt
dies letztlich auch die Stellung und die Unabhängigkeit
des Bundesbankpräsidenten; denn nun stehen Bund und
Länder gemeinsam hinter dem Bundesbankvorstand.

Ebenfalls mehr Effizienz wird es auch dadurch geben,
dass die Bundesbank in Zukunft verstärkt betriebswirt-
schaftliche Instrumente wie etwa eine Kostenrechnung
oder eine Plan-Ist-Analyse einsetzen muss. Diese Unter-
lagen werden zusammen mit dem Jahresabschluss und
dem Prüfbericht des Wirtschaftsprüfers sowohl dem Bun-
desminister für Finanzen als auch dem Bundesrechnungs-
hof und dem Bundestag bekannt gemacht. Die Ausgaben
werden transparent. Das bringt sicherlich auch mehr Aus-
gabendisziplin mit sich. Wir kennen auch von anderen Zu-
sammenhängen: Mehr Transparenz schafft mehr Ausga-
bendisziplin.

Mit einer wesentlich gestrafften Führungsstruktur kann
die Bundesbank auch ihren zukünftig stets anspruchsvol-
leren Aufgaben bei der Bankenaufsicht immer gerechter
werden. Basel II stellt die Bankenaufsicht vor neue An-
forderungen. Die Bundesbank wird bei der Umsetzung
eine ganz wesentliche Rolle spielen. Deshalb ist es sehr
wichtig, dass die neue Finanzdienstleistungsaufsicht ihre
Richtlinien zur Bankenaufsicht im Einvernehmen mit der
Bundesbank erlässt. Die stärkeren Mitwirkungsrechte der
Bundesbank garantieren nun, dass die Kompetenz und
auch das praxisnahe Wissen der Bundesbank in die Ge-
staltung der Bankenaufsicht verlässlich mit einfließt. Dies
ist eine richtige Entscheidung.

Dieses Gesetz, das wir heute verabschieden, sorgt für
effizientere Strukturen. Es ist modern und zukunftsge-
recht.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422213600
Für die FDP-Fraktion
erteile ich nun dem Kollegen Carl-Ludwig Thiele das
Wort.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1422213700
Herzlichen Dank, Frau
Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Nachdem das Gesetz zur Bundesbankreform schon seit
drei Jahren diskutiert wird, erstaunt die Hast und Eile, mit
der Rot-Grün kurz vor Ablauf der Wahlperiode das Bun-
desbankgesetz durch das Parlament und durch den Bun-
desrat peitschen will.

Auch die heutige Uhrzeit lässt auf ein schlechtes Ge-
wissen schließen; denn offensichtlich soll diese Gesetzes-
änderung unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden.


(Jürgen Koppelin [FDP]: So ist es! – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Öffentlichkeit ist doch da!)


Das schlechte Gewissen ist auch verständlich; denn es ist
absolut unüblich, durch den Gesetzgeber die Direktori-
umsmitglieder der Deutschen Bundesbank mit Millionen-
lasten für den Steuerzahler in den unbezahlten Urlaub bis
zum Ende ihrer Amtszeit zu schicken.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch!)


Es ist ferner ein Verstoß gegen die Rechte der Abge-
ordneten, dass im Finanzausschuss die Frage nach den
Kosten dieser Maßnahme für den Steuerzahler pro Jahr
nicht beantwortet wurde und bis zum heutigen Tage und
bis zur heutigen Stunde nicht beantwortet worden ist.

Die Unabhängigkeit der Bundesbank ist ein hohes
Gut. Die heute zur Abstimmung stehende Regelung be-
deutet aber, dass Rot-Grün den Vorstand der Bundesbank
stromlinienförmig mit Personen seines Vertrauens für die
nächsten acht Jahre besetzen will. Dies entspricht nicht
der Unabhängigkeit der Bundesbank. Denn bisher wurden
die Direktoriumsmitglieder zu sehr unterschiedlichen
Zeiten und damit aus unterschiedlichen politischen Inte-
ressenlagen heraus gewählt. Auch dadurch war die Un-
abhängigkeit der Bundesbank gewährleistet.


(Jörg-Otto Spiller [SPD]: Die wurden nie gewählt!)


Das alles wird ausgehebelt.
Die FDP ist für eine stärkere Straffung der Struktur der

Bundesbank. Die Ziele müssen klarer ausgerichtet wer-
den. Das bedeutet aber, dass in einer gesetzlichen Rege-
lung über die Bestimmung des Vorstandes diesem dann
auch funktionale Zuständigkeiten zugewiesen werden.
Genau dies geschieht durch den vorliegenden Gesetzent-
wurf nicht.

Die FDP ist ferner der Auffassung, dass die Deutsche
Bundesbank die Bankenaufsicht übertragen bekommen
sollte, da sie an die EZB erhebliche Zuständigkeiten ver-
loren hat. Die Bundesbank hat schon jetzt die Bankenauf-
sicht in der Fläche. Die Doppelzuständigkeit der Banken-
aufsicht hat sich nach unserer Auffassung nicht bewährt.

Vor allem aber hält die FDP eine neue Superbehörde
für hochgradig überflüssig. Denn auch die Wertpapierauf-
sicht ließe sich problemlos durch die Bundesbank erfül-
len.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Sehr wahr!)

Die Versicherungsaufsicht, die sich mit einer ganz ande-
ren Materie beschäftigt, hätte so bleiben können, wie sie
ist.


(Ilse Falk [CDU/CSU]: Sehr richtig!)





Christine Scheel
22096


(C)



(D)



(A)



(B)


Trotz vieler guter Ansätze ist der Entschließungs-
antrag derUnion aus Sicht der FDP an einigen Stellen zu
stark auf die Interessen der Länder ausgerichtet.


(Beifall bei der FDP)

Fazit: Rot-Grün ist zu einseitig zentral. Notwendig

wäre ein vernünftiger Kompromiss unter Berücksichti-
gung des Bundesinteresses und der Länderinteressen.
Aber auch unter Berücksichtigung der Interessen des
Steuerzahlers hätte sich ein gleitender Übergang der Per-
sonen des Direktoriums in die neue Führungsstruktur er-
heblich besser dargestellt als das jetzige möglicherweise
Sichern von Pfründen. Wir werden noch erleben, welche
Personen die Bundesregierung benennen wird. Ich halte
es für abenteuerlich, wenn die Bundesregierung sagt:
Wenn der Vizepräsident eine qualifizierte Person sein
sollte, dann wird nicht sie ihn benennen, sondern dann ist
es in das Ermessen der Länder gestellt, ihn zu benen-
nen. – Wer so mit Direktoriumsmitgliedern der Bundes-
bank umgeht, der hat seine Glaubwürdigkeit verspielt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Durch diesen Gesetzentwurf ist die Unabhängigkeit

der Bundesbank massiv beeinträchtigt. Die Bundesregie-
rung benennt zukünftig vier Personen. Die Personen, die die
Länder bestimmen, müssen im Einvernehmen mit der Bun-
desregierung benannt werden. Auch dies halten wir für
falsch. Dies spricht dafür, dass die Bundesbank stromlini-
enförmig werden soll. Das birgt die Gefahr, dass als Nächs-
tes die Europäische Zentralbank in ihrer Unabhängigkeit be-
einträchtigt wird. Denn gegen den Widerstand vieler anderer
europäischer Länder wurde durchgesetzt, die Deutsche
Bundesbank als Vorbild für die Unabhängigkeit der EZB
zu nehmen. Wenn die Unabhängigkeit der Deutschen Bun-
desbank jetzt eingeschränkt wird, dann kommen bestimmt
Wünsche – ich kann mir das gut vorstellen –, dass die EZB
doch näher an die Europäische Kommission bzw. an den
Ecofin gekoppelt werden sollte.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben komische Vorstellungen!)


Wie die Bundesregierung mit den Maastricht-Kriterien
umgeht, haben wir gerade in der Diskussion über den
blauen Brief der EU-Kommission erlebt. Da zählt nur
noch das Interesse der Bundesregierung, aber nicht die
Grundsätze, die damals beschlossen wurden.

Deshalb fordern wir als FDP Rot-Grün auf: Ziehen Sie
Ihren Gesetzentwurf zurück! Versuchen Sie zu einem ver-
nünftigen Konsensergebnis zu kommen und weichen Sie
die Stabilitätskriterien nicht auf!

Wir werden dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zu-
stimmen. Wir hoffen auf Einsicht. Die nächsten Wochen
und Monate werden zeigen, ob es gelingt, zu einer Ein-
sicht zu kommen. Wir werden dies ebenso wie die perso-
nellen Vorstellungen im Zuge der Götterdämmerung am
Ende der Koalition genau beobachten; denn am 22. Sep-
tember 2002 ist Schluss. – Frau Präsidentin, auch ich ma-
che jetzt Schluss.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422213800
Das ist sehr löblich.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1422213900
Richtig. Deshalb sage ich
das extra. – Insofern finde ich es gut, wenn Rot-Grün eine
Unabhängigkeit zumindest in der Form akzeptiert, dass
die neue Bundesregierung personelle Weichenstellungen
vornehmen kann, damit nicht der Eindruck erweckt wird,
dass sich Rot-Grün lediglich Pfründe sichern will.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422214000
Jetzt hat der Kollege
Jörg-Otto Spiller für die SPD-Fraktion das Wort.


Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1422214100
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Thiele,
Herr Kollege Bernhardt, man merkt richtig, wie viel
Mühe Sie hatten,


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Nein!)

etwas zu finden, was Ihnen erlauben könnte, gegen die
beiden vorliegenden Gesetzentwürfe zu sein.

Es war ein krampfhafter Versuch, darüber hinwegzu-
täuschen, dass Sie im Frühjahr 1998, als die Entscheidung
über den Eintritt Deutschlands in die dritte Stufe der Wirt-
schafts- und Währungsunion gefallen war, nicht die Kraft
aufgebracht haben, die notwendige Anpassung der Struk-
tur der Deutschen Bundesbank an das neue System der eu-
ropäischen Zentralbanken zu schaffen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – CarlLudwig Thiele [FDP]: In der Sommerpause!)


Sie haben nichts gemacht.

(Otto Bernhardt [CDU/CSU]: So etwas muss sorgfältig vorbereitet werden! Kein Schnellschuss, Herr Kollege!)


Sie haben das absolute Minimum gemacht, was aber keine
Strukturveränderung bedeutet hat.

Bei der Allfinanzaufsicht ist es genau das Gleiche. Sie
verweigern sich den tatsächlichen Entwicklungen am
Markt.


(Otto Bernhardt [CDU/CSU]: Nein, wir haben bessere Lösungen!)


Wir haben viele Beispiele für das Zusammenwachsen von
Angeboten aus dem Bereich des Versicherungswesens
und des Bankwesens.


(Otto Bernhardt [CDU/CSU]: Das haben die Amerikaner doch auch!)


Sie tun so, als gäbe es das alles nicht. In London ist es
längst üblich – das gilt nicht erst seit der offiziellen Er-
richtung dieser Allfinanzaufsicht, sondern in der Praxis
schon seit längerer Zeit –, dass die Finanzaufsicht ge-
meinsam geführt wird, damit sie effizienter wird.

Herr Kollege Thiele, Sie haben über Kontroversen ge-
sprochen. Ich will aber doch noch einmal daran erinnern,
warum Sie so getan haben, als wäre die Übertragung der
geldpolitischen Kompetenzen von den nationalen




Carl-Ludwig Thiele

22097


(C)



(D)



(A)



(B)


Notenbanken auf die gemeinsame Europäische Zentral-
bank kein Grund, die Struktur der nationalen Banken zu
verändern.


(Otto Bernhardt [CDU/CSU]: Das war der erste Satz in meiner Rede!)


– Darauf sind Sie nicht eingegangen. Sie haben gesagt,
dass man dies vielleicht tun müsse. Als Herr Waigel noch
Minister war, haben Sie nichts dafür vorgesehen.


(Otto Bernhardt [CDU/CSU]: Ich habe gesagt: Hier ist Handlungsbedarf!)


– Der Handlungsbedarf bestand spätestens im Früh-
jahr 1998, eigentlich schon ein Jahr zuvor.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Da sprach Herr Schröder noch von einer kränkelnden Frühgeburt!)


Sie haben überhaupt nicht wahrnehmen wollen, dass
die Deutsche Bundesbank zu Recht eine besondere Struk-
tur hatte, weil sie innerhalb der Europäischen Union die
bedeutendste Zentralbank geworden war. Sie war im Be-
reich der Geldpolitik ein wirkliches Machtzentrum. Sie
brauchte eine besondere Struktur, weil Pluralität von Mei-
nungen, Diskussion, Kontrolle und Begrenzung von
Macht dieser Funktion entsprachen. All das ist auf die Eu-
ropäische Zentralbank übergegangen.

Ich finde, es ist das schönste Kompliment, das man der
Bundesbank machen kann, dass die Europäische Zentral-
bank nach dem Muster der Deutschen Bundesbank er-
richtet worden ist.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!)

Das ist einmal die Konstruktion. Die Grundprinzipien,
Unabhängigkeit der Notenbank von Parlamenten und Re-
gierungen, die Verpflichtung auf das vorrangige Ziel der
Geldwertstabilität für die Geldpolitik der Notenbank, das
Verbot, den Gebietskörperschaften Kredite zu gewähren,
sind nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank über-
nommen worden.

Auch der innere Aufbau ist übernommen worden. Das
Entscheidungsgremium für die Geldpolitik ist der Rat der
Europäischen Zentralbank, der in seiner Grundkonstruk-
tion dem bisherigen Zentralbankrat der Deutschen Bun-
desbank entspricht. Das kann man nicht unabhängig von
den Funktionen sehen. Es ist geradezu widersinnig, dass
man eine einzelne nationale Bank in der Struktur belässt,
wie sie der besonderen Situation der Deutschen Bundes-
bank vor Schaffung des Europäischen Systems der Zen-
tralbanken entsprach.

Ich will zum Schluss nur noch ein paar Anmerkungen
zu dem machen, was wir in den Beratungen im Ausschuss
gegenüber dem ursprünglichen Entwurf der Regierung
verändert haben. Wir haben das Verfahren, der Bestellung
des Vorstands verändert. Die Hälfte der Mitglieder wer-
den vom Bundesrat vorgeschlagen. Präsident, Vizepräsi-
dent und zwei Mitglieder des Vorstandes werden von der
Bundesregierung vorgeschlagen. Dieses Verfahren knüpft
an das frühere Verfahren der Bestellung des Direktoriums

und Landeszentralbankpräsidenten an. Die Pluralität der
Meinungen ist gewährleistet.

Eines will ich allerdings auch noch sagen: Die Persön-
lichkeiten, die diese Funktionen übernehmen, werden,
gleich wer sie vorschlägt, immer – da bin ich mir ganz si-
cher; das war in der Vergangenheit so und das wird auch
in Zukunft so sein – unabhängig sein. Diese Persönlich-
keiten hingen in der Vergangenheit nie am Gängelband.
Darauf können wir auch in Zukunft bauen. Sowohl Herr
Pöhl als auch Herr Klasen waren Sozialdemokraten. We-
der der eine noch der andere war ein bequemer Bundes-
bankpräsident. Herr Tietmeyer stand Herrn Waigel be-
stimmt sehr nahe. Dass er aber Herrn Waigel alles hätte
durchgehen lassen, beispielsweise seine Goldfingerak-
tion, wäre gänzlich undenkbar gewesen.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Was ist denn mit Welteke?)


Auch in Zukunft können Sie darauf bauen – Sie müs-
sen dies auch –, dass die Bundesbank von kantigen, pro-
filierten und unabhängigen Persönlichkeiten geleitet
wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Schön wäre es!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422214200
Die Rede der Kolle-
gin Dr. Höll wurde zu Protokoll gegeben1). – Damit
schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank auf den
Drucksachen 14/6879, 14/8390 und 14/8413. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP
angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genprobe! – Der Gesetzentwurf ist damit gegen die Stim-
men von CDU/CSU und FDP angenommen.

Abstimmung über den Entschließungsantrag der
CDU/CSU auf Drucksache 14/8392. Wer stimmt für die-
sen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf über die inte-
grierte Finanzdienstleistungsaufsicht auf den Druck-
sachen 14/7033 und 14/7088. Der Finanzausschuss
empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 14/8389, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-




Jörg-Otto Spiller
22098


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 6

len, um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung ge-
gen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genprobe! – Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.

Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Fi-
nanzausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung über einen Vorschlag für eine Richtlinie über
die zusätzliche Beaufsichtigung der Kreditinstitute,
Versicherungsunternehmen und Wertpapierfirmen eines
Finanzkonglomerats und zur Änderung bestimmter Richt-
linien. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/8389, die Un-
terrichtung durch die Bundesregierung zur Kenntnis zu
nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a und 23 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen (25. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Renate Blank, Peter Letzgus, Dirk
Fischer (Hamburg), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Omnibus-
unternehmen erhalten und sichern
– Drucksachen 14/4934, 14/8352 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Hans-Günter Bruckmann

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen (15. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Blank,

(Hamburg)

der CDU/CSU
Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Güter-
kraftverkehrsgewerbes erhalten und sichern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Horst
Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann,
Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der FDP
Wettbewerbsnachteile für deutsches Güter-
kraftverkersgewerbe beseitigen

– Drucksachen 14/4150, 14/4396, 14/8349 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Reinhold Strobl (Amberg)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. – So lange
wird allerdings nicht geredet. Zunächst reden der Kollege
Sebastian und die Kollegin Blank für die CDU/CSU-

Fraktion. Alle anderen Reden wurden zu Protokoll gege-
ben.

Ich eröffne die Aussprache und gebe Herrn Kollegen
Sebastian das Wort.


Wilhelm Josef Sebastian (CDU):
Rede ID: ID1422214300
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß,
dass es schon spät ist. Am Freitagnachmittag will man
nach Hause, da viele Termine im Wahlkreis warten. Des-
halb ist das Haus auch nicht mehr sehr gefüllt. Aufgrund
der Bedeutung dieses Punktes wäre er es eigentlich wert,
dass man sich seiner sehr viel mehr annimmt.

Die Situation des deutschen Güterkraftverkehrsgewer-
bes in Europa ist nach wie vor schlecht. Seitdem wir im
September 2000 unsere Anträge gestellt haben, hat sich so
gut wie nichts getan. Es ist nichts geschehen, um die Situ-
ation zu verbessern. Im Gegenteil, die Talfahrt einer Bran-
che hat sich ungebremst fortgesetzt. Es ist eine traurige
Bilanz, wenn man anderthalb Jahre nach der An-
tragstellung in der parlamentarischen Aussprache eine
solche Feststellung treffen muss. So wie die Regierung
Gerhard Schröder im Bereich des Wirtschaftswachstums
und der Staatsfinanzen die rote Laterne in Europa über-
nommen hat und diese Position eisern verteidigt, so steht
das deutsche Güterkraftverkehrsgewerbe in Europa als
Schlusslicht da.

Das ist nicht etwa deshalb der Fall, weil die Unterneh-
men schlecht wirtschaften, sondern weil die gesetzlichen
Rahmenbedingungen so ungünstig sind, dass an Wettbe-
werbsfähigkeit nicht zu denken ist. Fakt ist, dass die deut-
schen Spediteure entgegen der oft gehörten Theorie aus
dem Regierungslager keine Chance haben, die erhöhten
Preise aufgrund der Ökosteuer und zukünftig auch der
Maut auf die Kunden umzuwälzen. Der Markt und die eu-
ropäischen Konkurrenten lassen dies nicht zu. Wir stehen
in Europa angesichts von etwa 30 Prozent Überkapazitä-
ten in diesem Bereich in einem Dumping-Wettbewerb,
nicht in einem Leistungswettbewerb.

Ein Weiteres: Im Zuge der Deregulierung der europä-
ischen Transportmärkte sind die Entgelte für Beförde-
rungsleistungen auf der Straße um 30 bis 40 Prozent ge-
fallen. Während für das Jahr 2015 damit gerechnet wird,
dass der Anteil des grenzüberschreitenden Verkehrs den
des innerstaatlichen Verkehrs überholen wird – 1990 lag
er erst bei 10 bis 15 Prozent des Gesamtmarktes –, sinkt
der Anteil deutscher Spediteure an diesem wachsenden
grenzüberschreitenden Markt immer mehr. Wenn das kein
Alarmzeichen ist, dann weiß ich es nicht. Spediteure aus
anderen Ländern der EU genießen deutliche Wettbe-
werbsvorteile.

Vor wenigen Tagen gingen die Olympischen Winter-
spiele in Salt Lake City zu Ende. Am vorletzten Tag hat
Deutschland im Viererbob eine Goldmedaille gewonnen.
Es wäre ein Aufschrei durch die Bevölkerung gegangen,
wenn andere Bobs mit einem Vorsprung hätten starten
dürfen. Im LKW-Gewerbe ist es so, dass alle anderen eu-
ropäischen Partner erhebliche Vorteile haben. Deshalb
kann unser Gewerbe dort einfach nicht mithalten. Wenn
Wettbewerbsbedingungen herrschen, müssen die Rah-




Vizepräsidentin Anke Fuchs

22099


(C)



(D)



(A)



(B)


menbedingungen die gleichen sein. Der Ruf nach dem
Staat ist nicht immer der richtige, aber in diesem Falle
sind die negativen Rahmenbedingungen in Deutschland
weit überwiegend fiskalisch verursacht und können nur
durch eine Korrektur der Politik geändert werden.

Der Blick auf die Belastungen des deutschen Gewer-
bes macht dies sehr deutlich: Bei der Kraftfahrzeug-
steuer kostet der deutsche 40-Tonner bei einem Euro-II-
Fahrzeug 2 979 DM, in den Niederlanden kostet das
gleiche Fahrzeug 1100 DM, in Belgien 1 400 DM und in
Frankreich 1 900DM weniger. Beim Dieselkraftstoff wird
das noch viel deutlicher, weil er den Hauptteil der Lasten
darstellt. In Deutschland beträgt der Anteil der Mineralöl-
steuer pro Liter Dieselkraftstoff 80 Pfennig, in den Nie-
derlanden nur 58 Pfennig, in Belgien 57 Pfennig und in
Frankreich 64 Pfennig. Das ist der Stand von Mitte 2001,
das heißt ohne die Erhöhung der Ökosteuer zum 1. Ja-
nuar 2002, die noch dazukommt. Es ergeben sich immer
mehr Belastungen für unser Gewerbe.

Ich habe das bereits bei mehreren Debatten angemahnt.
Die Fakten sind klar. Es wird nichts besser, sondern
schlechter. Die Verantwortung dafür trägt die Regie-
rungskoalition. Gerade das Drehen an der Ökosteuer-
schraube bringt das deutsche Gewerbe in immer größere
Bedrängnis. Allein die Mehrbelastung in Höhe der von
mir eben genannten 7 500 Euro bedeutet ein Mehrfaches
der Gewinnerwartung im grenzüberschreitenden Verkehr.

Es ist wirklich fünf vor zwölf. Die Entwicklung der In-
solvenzen im Transportgewerbe zeigt klar, dass die Öko-
steuer die Unternehmen massiv in die Pleite treibt. Bereits
im Jahr 2000, als wir unseren Antrag formulierten, stieg
die Zahl der Insolvenzen um 29 Prozent an. Im letzten
Jahr stieg sie nochmals um 20 Prozent. Es stehen Arbeits-
plätze auf dem Spiel. Man schätzt, dass durch die unglei-
chen Wettbewerbsbedingungen in etwa 75 000 Arbeits-
plätze gefährdet sind. Wir wissen, wie viel Mühe es
macht, um jeden Arbeitsplatz zu kämpfen. Hier wird eine
völlig falsche Verkehrspolitik betrieben. Meine Damen
und Herren, wenn hier nichts geschieht, sehe ich wirklich
schwarz für unser Güterkraftverkehrsgewerbe.

Ich will abschließend und zusammenfassend noch ein-
mal sagen: Wohl selten wurde aus ideologischen Gründen
ein Wirtschaftszweig durch eine Bundesregierung so
drangsaliert wie das Güterkraftverkehrsgewerbe. Ich
wage sogar zu sagen: Das ist einzigartig. Dabei geht es
noch nicht einmal um Subventionen oder andere staat-
liche Hilfen; es geht nur darum, in Deutschland und in ei-
nem gemeinsamen europäischen Markt einen gerechten
ordnungspolitischen Rahmen herzustellen. Dieser Bun-
desregierung fehlen dazu jedoch die Kraft, der Wille und
die Konzeption.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422214400
Nun hat das Wort die
Kollegin Renate Blank für die CDU/CSU-Fraktion.


Renate Blank (CSU):
Rede ID: ID1422214500
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Welche Bedeutung das Güterkraft-
verkehrsgewerbe und das Omnibusgewerbe bei Rot-Grün
haben, zeigt sich darin, dass die Reden zu Protokoll gege-
ben wurden.


(Widerspruch bei der SPD)

– Sie können ruhig protestieren, aber daran erkennt man
die Bedeutung, die Sie diesem Thema beimessen.

Die Zuhörer auf der Tribüne wissen: Wenn es die bei-
den Verkehrsträger Güterkraftverkehrsgewerbe und Om-
nibusgewerbe nicht gäbe, hätten sie keine Waren zum
Essen und auch der Tourismus wäre stark eingeschränkt.

Meine Damen und Herren, der Kollege Sebastian hat
zum Güterkraftverkehrsgewerbe gesprochen; ich werde
mich auf unseren Antrag zu den Omnibusunternehmen
beschränken.

Obwohl unser Antrag schon im Dezember 2000 ent-
worfen wurde, also über ein Jahr alt ist, hat er nach wie
vor Gültigkeit; denn die Bundesregierung hat bisher nicht
im Interesse des deutschen Omnibusgewerbes gehandelt.
Sie ist untätig geblieben.

Es ist doch Allgemeingut, dass der Bus das Rückgrat
im öffentlichen Personennahverkehr ist. Zwei Drittel aller
Fahrgäste im ÖPNV sind auf den Bus angewiesen. Der
Bus sichert im ÖPNV und in der Touristik weit über einer
Million Menschen direkt und indirekt ihre Arbeitsplätze.

Die drastischen Preissteigerungen bei den Kraftstof-
fen haben zu erheblichen Belastungen der deutschen Tou-
rismuswirtschaft und damit verbunden zu einer
Schwächung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit
geführt. Auch der halbe Ökosteuersatz im ÖPNV hat Ver-
teuerungen für die Verbraucher gebracht. In unserem An-
trag fordern wir, keine weiteren zusätzlichen steuerlichen
oder sonstigen finanziellen Belastungen für den umwelt-
freundlichen Bus einzuführen. Sie haben den Bus für die
Nutzer verteuert.

Meine Damen und Herren, dass die mittelständischen
privaten deutschen Omnibusunternehmen der geplanten
EU-Osterweiterung außerordentlich skeptisch entgegen
sehen, ist bekannt. Insbesondere die in den Grenzregionen
zu den Beitrittsstaaten tätigen Betriebe befürchten exis-
tenzbedrohende Nachteile. Wir nehmen diese Sorgen sehr
ernst und weisen darauf hin, dass bislang weder in den bi-
lateralen Verträgen noch in den Beitrittsverhandlungen
eindeutige Lösungen zur Beseitigung der Wettbewerbs-
nachteile für deutsche Unternehmen nach dem Beitritt
vorgesehen sind. Das Lohn- und Sozialkostengefälle
sowie die geringere Steuerbelastung der Drittstaaten-
Konkurrenz schwächen die Wettbewerbsposition der
deutschen Unternehmen entscheidend, von den unter-
schiedlichen technischen Standards und den damit ver-
bundenen Belastungen für Verkehrssicherheit und Um-
welt ganz zu schweigen.

Wenn schon der Verkehrsminister erkennt, wie er im
Jahr 2001 ausgeführt hat, dass der Bus der zweitwichtigs-
te Verkehrsträger ist, und er auf die Schwierigkeiten bei
der EU-Osterweiterung und der EU-ÖPNV-Verordnung
hinweist, dann ist Handeln auf europäischer Ebene ange-




Wilhelm Josef Sebastian
22100


(C)



(D)



(A)



(B)


sagt und nicht nur Reden. Nach unserer Auffassung ist die
ÖPNV-Verordnung der EU so zu fassen, dass die zustän-
dige Behörde unabhängig von den Interessen eines
Verkehrsunternehmens agieren und einen fairen Wettbe-
werb garantieren kann.

Bei der Bustouristik stößt der von der EU-Kommission
vorgelegte Entwurf einer Verordnung zur Harmonisie-
rung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr
auf Ablehnung, da die neuen Sozialvorschriften für
Änderungen der Arbeits- und Ruhezeiten völlig praxis-
fremd sind, weil sie die Notwendigkeiten bei der Durch-
führung von Omnibusreisen und -ausflügen ignorieren.
Sie gehen von der falschen Annahme aus, eine Neurege-
lung entsprechend den Bestimmungen für Produktionsbe-
triebe bringe der Busbranche Erleichterungen und Ver-
besserungen. Mir scheint, die EU-Kommission vergleicht
hier Äpfel mit Birnen.

Im Übrigen fordert das Gewerbe deutlich flexiblere
Vorschriften. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass die
seit mehr als 20 Jahren in der EU bestehenden Vorschrif-
ten nicht gerade einfach zu handhaben sind. Unternehmer,
Fahrer und Reisegäste haben sich aber im Laufe der Zeit
darauf eingestellt und sind bisher zurechtgekommen.
Schwarze Schafe gibt es überall. Das kann und darf aber
nicht dazu führen, dass Verordnungen vorgelegt werden,
die nicht mehr kundenorientiert und praxisgerecht umge-
setzt werden können.

Meine Damen und Herren, die Existenz unserer mittel-
ständischen Busunternehmen muss gegenüber dem
Verdrängungswettbewerb durch Großunternehmen im eu-
ropäischen Verkehrsgewerbe wirksam sichergestellt wer-
den. Es nützt den Unternehmen nichts, wenn sich auf der
einen Seite die Beförderungsleistung erhöht und sogar
die Einnahmen zunehmen, aber auf der anderen Seite die
Ausgaben massiv steigen. Die Betriebsergebnisse ver-
schlechtern sich aufgrund der exorbitant gestiegenen
Kraftstoffpreise, aber auch aufgrund der Personalkosten
und der gesamten Fahrzeugkosten. Viele Unternehmen
– nicht nur die kleinen – sind infolge dieser Entwicklung
in die Insolvenz geraten, von den kleinen Betrieben, die
über weniger als sechs Fahrzeuge verfügen und von kei-
ner Statistik erfasst werden, ganz zu schweigen.


(Ilse Janz [SPD]: Der Kollege hat geredet und geht jetzt! Das scheint ja auf ganz großes Interesse bei Ihnen hinzudeuten!)


Gerade die Kleinunternehmer sind es, die häufig in den
wenig ertragsgesicherten ländlichen Regionen den Ver-
kehr garantieren und Anmietaufträge im ÖPNV bedienen.
Insbesondere die Busgesellschaften der Deutschen Bahn
AG sind nicht bereit, die gestiegenen Kosten ihrer Sub-
unternehmer auszugleichen,


(Zuruf von der SPD: Wir sitzen hier und die lassen uns ganz allein!)


sondern sie setzen die Betriebe unter Druck, um eine er-
hebliche Absenkung der Anmietsätze durchzusetzen.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422214600
Frau Kollegin, kom-
men Sie bitte zum Schluss.


Renate Blank (CSU):
Rede ID: ID1422214700
Meine Damen und Her-
ren, stimmen Sie unserem Antrag zu! Dann können die
Rahmenbedingungen für das Busgewerbe verbessert wer-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Wo ist denn Ihre Fraktion?)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422214800
Die Kollegen Hans-
Günter Bruckmann, Reinhold Strobl, Albert Schmidt,
Horst Friedrich und Dr. Winfried Wolf haben ihre Reden
zu Protokoll gegeben.1)


(Abg. Jürgen Koppelin [FDP] meldet sich zu Wort)


– Herr Koppelin, wozu melden Sie sich?

(Jürgen Koppelin [FDP]: Zu einer Kurzintervention!)

– Sie haben das Wort zu einer Kurzintervention. Bitte
sehr.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1422214900
Frau Kollegin, Sie haben
eine Bemerkung gemacht, die ich so nicht stehen lassen
möchte. Sie haben kritisiert, dass einige Kolleginnen und
Kollegen ihre Reden zu Protokoll gegeben haben. Ich
meine, man sollte ihnen nicht unterstellen, dass sie kein
Interesse an diesem Thema gehabt haben. Wenn Ihr Vor-
redner seine Rede hält und dann geht, ist auch das meiner
Meinung nach kein besonders guter Stil.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422215000
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen auf Drucksache 14/8352 zu dem Antrag der
Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Wettbewerbs-
fähigkeit der deutschen Omnibusunternehmen erhalten
und sichern“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/4934 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen
der Fraktionen der CDU/CSU und der FDPbei Enthaltung
der Fraktion der PDS angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen auf Drucksache 14/8349. Der Ausschuss
empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 14/4150 mit dem Titel „Wettbewerbsfähig-
keit des deutschen Güterkraftverkehrsgewerbes erhalten




Renate Blank

22101


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 7

und sichern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktionen
der CDU/CSU und der FDP bei Enthaltung der Fraktion
der PDS angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der FDP-Fraktion
auf Drucksache 14/4396 mit dem Titel „Wettbewerbs-
nachteile für deutsches Güterkraftverkehrsgewerbe
beseitigen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktionen
der CDU/CSU und der FDP bei Enthaltung der Fraktion
der PDS angenommen.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 25 a und b so-
wie Zusatzpunkt 9 auf:
25a) Erste Beratung des von den Abgeordneten


(Starnberg)

SPD sowie den Abgeordneten Dr. Reinhard Loske,
Hans-Josef Fell, Christian Simmert, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des
Hochschulrahmengesetzes (6. HRGÄndG)

– Drucksache 14/8361 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Maritta
Böttcher, Dr. Heinrich Fink, Pia Maier, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion der PDS einge-
brachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes
zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes

(6. HRGÄndG)

– Drucksache 14/8295 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Flach, Cornelia Pieper, Birgit Homburger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP.
Ein neues Hochschuldienstrecht für eine mo-
derne, leistungsfähige und attraktive Bildung
und Forschung in Deutschland
– Drucksache 14/7077 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Wir brauchen
sie aber nicht, weil Dr. Peter Eckardt, Thomas Rachel,
Dr. Reinhard Loske, Ulrike Flach und Bundesministerin
Bulmahn ihre Reden zu Protokoll gegeben haben.1)

Ich erteile der Kollegin Maritta Böttcher für die PDS-
Fraktion das Wort.


Maritta Böttcher (PDS):
Rede ID: ID1422215100
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Die beharrliche parlamentarische Op-
positionsarbeit der PDS und die außerparlamentarischen
studentischen Proteste haben bewirkt, dass die Koalition
überhaupt noch in dieser Wahlperiode einen Entwurf für
eine weitere HRG-Novelle auf den Weg gebracht hat.
Dem Parlament liegen zwei Gesetzentwürfe vor: Neben
dem Entwurf der Koalitionsfraktionen beraten wir heute
auch einen Alternativentwurf der PDS; denn das Vorha-
ben der Bundesregierung lässt noch viel zu wünschen
übrig.

Ich freue mich, dass sich Frau Bulmahn endlich der
Forderung nach einem gesetzlichen Ausschluss von
Studiengebühren angeschlossen hat. Aber wie immer
steckt auch hier der Teufel im Detail. Wenn Sie im Hoch-
schulrahmengesetz Gebühren für das Erststudium aus-
schließen, gleichzeitig aber unbestimmte Ausnahmen von
diesem Grundsatz zulassen, dann ist das ein infamer Eti-
kettenschwindel. Glauben Sie nicht, dass die Studieren-
den auf einen derart plumpen Trick hereinfallen; denn sie
haben längst begriffen, dass Rot-Grün nicht mehr die
Langzeitstudiengebühren in Baden-Württemberg ab-
schaffen will, sondern ihre Einführung in Schleswig-Hol-
stein, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Nieder-
sachsen absichern möchte.


(Willi Brase [SPD]: Aber nicht für das Erststudium! Das ist frei! Das ist auch richtig so!)


Es kommt noch schlimmer: Der Wortlaut Ihres Ge-
setzentwurfs lässt sogar Studiengebühren ab dem ersten
Semester zu. Damit fallen Sie weit hinter den einstimmi-
gen Beschluss der Kultusministerkonferenz vom Mai
2000 zurück. Außerdem ist Ihre Politik ein Schlag ins Ge-
sicht Ihrer eigenen Basis, die sich auf dem letzten Partei-
tag ausdrücklich für die uneingeschränkte Sicherung der
Gebührenfreiheit ausgesprochen hat.


(Beifall des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS])

Wenn Sie schon in Ihrer eigenen Partei keine Mehrheit für
Ihr Gesetz haben, wie wollen Sie es dann hier im Parla-
ment durchbringen? Gehen Sie lieber auf Nummer sicher
und halten Sie sich an den Alternativentwurf der PDS. Wir
bleiben bei unserer klaren Forderung nach Studienge-
bührenfreiheit ohne Wenn und Aber.


(Beifall bei der PDS)

Neben den berechtigten studentischen Anliegen greifen

wir mit unserem Gesetzentwurf ein Problem auf, das derzeit
insbesondere den wissenschaftlichen Nachwuchs massiv
verunsichert. Nach der soeben in Kraft getretenen 5. HRG-




Vizepräsidentin Anke Fuchs
22102


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 8

Novelle dürfen wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter an Hochschulen und Forschungseinrichtungen
maximal zwölf Jahre befristet beschäftigt werden. Die PDS
unterstützt grundsätzlich das Ziel, die ausufernde Praxis der
Befristung von Arbeitsverträgen in Hochschule und For-
schung einzudämmen. Wer die Kontinuität und Qualität von
Forschung und Lehre sichern möchte, muss auch Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftlern ohne Lehrstuhl ange-
messene Arbeitsbedingungen bieten.


(Beifall bei der PDS)

In dieser Frage sind auch die Hochschulen zum Umden-
ken aufgefordert.

Es war ein Fehler, dass die Bundesregierung keine
Übergangsregelungen für das neue Befristungsrecht vor-
gesehen hat. Bei der Reform der Professorenbesoldung
haben Sie auf eine lebenslange Besitzstandswahrung für
vorhandene Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer
geachtet. Warum müssen sich dann aber Nachwuchs und
Mittelbau über Nacht einer neuen Rechtslage beugen?
Was für Professoren gilt, muss erst recht für Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftler gelten.


(Beifall bei der PDS)

Grundsätzlich ist die PDS der Auffassung, dass der

Staat mit der einseitigen Regulierung der Beschäftigungs-
bedingungen des wissenschaftlichen Personals überfor-
dert ist. Deshalb fordern wir eine Aufhebung der bisher im
HRG enthaltenen Tarifsperre. Wenn an einer Stelle die
Forderung nach einem Rückzug des Staates Berechtigung
hat, dann hier. Ich traue der Ministerialbürokratie zwar
vieles zu; aber eines können die Tarifpartner wirklich
besser: ein Befristungsrecht ausarbeiten, das den Interes-
sen der Betroffenen und den Anforderungen des Wissen-
schaftsbetriebs gleichermaßen gerecht wird.

Sie haben durch die Vorlage unseres Alternativent-
wurfs die Chance, das immer noch zu korrigieren. Ich for-
dere Sie zu einem Dialog auf, damit es zu einer Änderung
des HRG kommt, die den Betroffenen gerecht wird.


(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422215200
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 14/8295 und 14/7077 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die
Vorlage auf Drucksache 14/8361 soll an dieselben Aus-
schüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstan-
den? – Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Heidemarie Ehlert,
Dr. Barbara Höll, Dr. Christa Luft, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der PDS
Bekämpfung der Steuerkriminalität durch
kontinuierliche und bundeseinheitliche Be-
triebsprüfung
– Drucksachen 14/1192, 14/7704 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Heidemarie Ehlert

Auch hier war eine Redezeit von einer halben Stunde ver-
einbart. Die Kolleginnen Lydia Westrich, Elke Wülfing,
Christine Scheel und der Kollege Carl-Ludwig Thiele haben
ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Sprechen will noch
Heidemarie Ehlert für die PDS, der ich jetzt das Wort erteile.


Heidemarie Ehlert (PDS):
Rede ID: ID1422215300
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Seit Beginn dieser Legisla-
turperiode wird vom Sparen geredet. Nach der Ankündi-
gung des blauen Briefes der EU-Kommission muss noch
mehr gespart werden und bei Herrn Eichel angefangen
überlegen nun alle, wo wir denn noch mehr und noch bes-
ser sparen können. Aber über die Möglichkeiten, zu Geld
zu kommen, wird nur am Rande geredet. Meist ist dann
von Steuererhöhungen die Rede, die sehr schnell wieder
dementiert werden. Überlegungen dahin gehend, wie die
vorhandenen gesetzlichen Regelungen so umgesetzt wer-
den können, dass die Steuereinnahmen des Staates nicht
ständig weiter sinken, werden nicht angestellt.

Wir hatten bereits 1999 einen Vorschlag der heutigen
Regierungskoalition von 1996 aufgegriffen. Im Aktions-
programm gegen Wirtschaftskriminalität und Steuerhin-
terziehung der Fraktion der SPD stand unter anderem die
Forderung nach einem einheitlichen Vorgehen der Steuer-
behörden bei Betriebsprüfungen und Steuerfahndun-
gen, um insbesondere zu einer gleichmäßig höheren Kon-
trolldichte zu kommen. Uns geht es – das sage ich zu Ihrer
Erinnerung – vor allem um eine zeitnähere steuerliche
Prüfung der Betriebe.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Grundvoraussetzung dafür ist, die Zahl der Betriebsprüfer
und der Steuerfahnder aufzustocken.


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Arbeitsplätze!)

Da dies in erster Linie Ländersache ist, sollte nach unse-
ren Vorstellungen im ersten Jahr die Hälfte der durch ver-
stärkte Steuerprüfungen bewirkten Mehreinnahmen den
Ländern überlassen werden, damit Neueinstellungen be-
wirkt werden können.


(Beifall bei der PDS)

Die Ergebnisse der Betriebsprüfungen zeigen, dass es

sich nach wie vor lohnen würde, diesen Antrag umzusetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)


Allein im Jahr 2000 haben Betriebsprüfer dem Fiskus
bundesweit 27,4 Milliarden DM beschert. Sie haben
knapp 225 000 Betriebe geprüft. Die rund 11 000 Prüfer
haben im Schnitt ein Mehrergebnis von 2,74 Milli-
onen DM erbracht. In Schleswig-Holstein haben die Be-
triebsprüfer im Jahr 2000 Mehrsteuern in Höhe von
587 Millionen DM ermittelt; das sind 106 Millionen DM
mehr als 1999.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Trotzdem ist das Land pleite!)





Maritta Böttcher

22103


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 9

Dabei wurden 211 gewerbliche und 55 land- und forst-
wirtschaftliche Betriebe weniger als im Vorjahr geprüft.

In Sachsen ist eine ähnlich positive Entwicklung zu
verzeichnen. Es gab Gesamteinnahmen von rund 469Mil-
lionen DM; im Vorjahr waren es 295 Millionen DM – und
das bei nur acht Prüfern mehr.

Selbst im krisengeschüttelten Berlin erbrachte jeder
der 690 Betriebsprüfer im Jahr 2000 ein Mehrergebnis
von rund 1 Million DM. Dabei prüften sie nur 23,7 Pro-
zent der Großbetriebe, 10,4 Prozent der Mittelbetriebe
und 3,5 Prozent der Kleinbetriebe. Von den Kleinstbetrie-
ben will ich hier gar nicht reden. Die Mehreinnahmen
stammen vorrangig von Großbetrieben. Der Prüfungstur-
nus ist aber nicht kürzer geworden, sondern liegt bei den
Großbetrieben immer noch im Schnitt bei 4,3 Jahren; bei
Klein- und Mittelbetrieben liegt er zwischen zehn und
25 Jahren. Manche kleinen und mittelständischen Be-
triebe sind schon in Konkurs gegangen, ohne dass sie je
mit einem Prüfer zu tun hatten.

Bei diesen Zahlen müsste es eigentlich logisch sein,
dass die Anzahl der Betriebsprüfer endlich aufgestockt
wird, und zwar real und nicht durch Verschiebungen in
den Finanzverwaltungen. Dies führt nämlich zu einer
enormen Mehrbelastung der dort Beschäftigten. Außer
den Betriebsprüfungen wurde ihnen in den vergangenen
Jahren noch manches andere überantwortet. Ich erinnere
hier nur an die Bauabzugsteuer und die Bekämpfung des
Umsatzsteuerbetrugs. Letzteres ist gegenwärtig der
Schwerpunkt bei den Finanzämtern, zumindest dort, wo
ich beschäftigt war, im Finanzamt Halle Nord.

In einigen Ländern wurde inzwischen mit einer vor-
sichtigen Aufstockung der Anzahl der Betriebsprüfer be-
gonnen. So sind in Bayern 28 und in Nordrhein-Westfalen
30 neue Stellen entstanden. Die finanzpolitische Spreche-
rin von Bündnis 90/Die Grünen im Landtag von NRW
sagte in diesem Zusammenhang im November 2001:

Immer wieder haben die Grünen mehr Betriebsprü-
fer gefordert; jetzt wird es sie geben. Endlich unter-

scheiden wir zwischen einnahmen- und ausgaben-
orientierten Stellen. Dies ist ein unverzichtbarer
Schritt zu mehr Steuergerechtigkeit und ein wichti-
ger Beitrag zur Haushaltskonsolidierung.

Der Einsatz von zusätzlichen Betriebsprüfern lohnt
sich für die Länder und für den Bund,


(Beifall des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS])

zumal diese – hier zitiere ich den SPD-Politiker Günter
Neugebauer, der finanzpolitischer Sprecher der SPD-
Landtagsfraktion in Schleswig-Holstein ist – „ihre Besol-
dung allemal selbst“ verdienen.

Ich sage es noch einmal: Sparen ist gut und richtig, aber
dort, wo es angebracht ist. Sparen an der falschen Stelle
wird letztlich teurer. Stimmen Sie deshalb unserem An-
trag zu.


(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422215400
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 14/7704
zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem Titel
„Bekämpfung der Steuerkriminalität durch kontinuier-
liche und bundeseinheitliche Betriebsprüfung“. Der Aus-
schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/1192 ab-
zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Die Beschlussempfehlung ist gegen die
Stimmen der PDS angenommen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung. Ich danke Ihnen allen, dass Sie ausgeharrt haben.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 13. März 2002, 13 Uhr, ein.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.