Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2002
Heidemarie Ehlert
22104
(C)
(D)
(A)
(B)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2002 22105
(C)
(D)
(A)
(B)
Aigner, Ilse CDU/CSU 01.03.2002
Behrendt, Wolfgang SPD 01.03.2002*
Blumenthal, Antje CDU/CSU 01.03.2002
Brunnhuber, Georg CDU/CSU 01.03.2002
Carstens (Emstek), CDU/CSU 01.03.2002
Manfred
Eich, Ludwig SPD 01.03.2002
Faße, Annette SPD 01.03.2002
Fischer (Homburg), SPD 01.03.2002
Lothar
Dr. Friedrich CDU/CSU 01.03.2002
(Erlangen), Gerhard
Friedrich (Altenburg), SPD 01.03.2002
Peter
Graf (Friesoythe), SPD 01.03.2002
Günter
Haack (Extertal), SPD 01.03.2002
Karl-Hermann
Hartnagel, Anke SPD 01.03.2002
Hauser (Rednitz- CDU/CSU 01.03.2002
hembach), Hansgeorg
Dr. Höll, Barbara PDS 01.03.2002
Dr. Hornhues, CDU/CSU 01.03.2002*
Karl-Heinz
Ibrügger, Lothar SPD 01.03.2002**
Imhof, Barbara SPD 01.03.2002
Irber, Brunhilde SPD 01.03.2002
Irmer, Ulrich FDP 01.03.2002
Jaffke, Susanne CDU/CSU 01.03.2002
Dr. Kenzler, Evelyn PDS 01.03.2002
Knoche, Monika BÜNDNIS 90/ 01.03.2002
DIE GRÜNEN
Dr. Kues, Hermann CDU/CSU 01.03.2002
Lamers, Karl CDU/CSU 01.03.2002
Leidinger, Robert SPD 01.03.2002
Lengsfeld, Vera CDU/CSU 01.03.2002
Lintner, Eduard CDU/CSU 01.03.2002*
Lippmann, Heidi PDS 01.03.2002
Michelbach, Hans CDU/CSU 01.03.2002
Mosdorf, Siegmar SPD 01.03.2002
Parr, Detlef FDP 01.03.2002
Pieper, Cornelia FDP 01.03.2002
Pofalla, Ronald CDU/CSU 01.03.2002
Roos, Gudrun SPD 01.03.2002
Rühe, Volker CDU/CSU 01.03.2002
Schlee, Dietmar CDU/CSU 01.03.2002
Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 01.03.2002
Hans Peter
Dr. Schockenhoff, CDU/CSU 01.03.2002
Andreas
Dr. Schubert, Mathias SPD 01.03.2002
Schuhmann (Delitzsch), SPD 01.03.2002
Richard
Seehofer, Horst CDU/CSU 01.03.2002
Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 01.03.2002
Dr. Staffelt, Ditmar SPD 01.03.2002
Steinbach, Erika CDU/CSU 01.03.2002
Streb-Hesse, Rita SPD 01.03.2002
Strebl, Matthäus CDU/CSU 01.03.2002
Dr. Tiemann, Susanne CDU/CSU 01.03.2002
Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 01.03.2002
Dr. Westerwelle, Guido FDP 01.03.2002
Wieczorek (Duisburg), SPD 01.03.2002
Helmut
* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung des Europarates
** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlametarischen Versamm-
lung der NATO
entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlagen zum Stenographischen Bericht
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO
derAbgeordneten Dr. Heiner Geißler, Dr. Christian
Schwarz-Schilling und Dr. Rita Süssmuth (alle
CDU/CSU) zu der namentlichen Abstimmung über
den von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurf eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung
der Zuwanderung und zur Regelung des Aufent-
halts und der Integration von Unionsbürgern und
Ausländern (Zuwanderungsgesetz) und über den
von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf ei-
nes Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der
Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts
und der Integration von Unionsbürgern und Aus-
ländern (Zuwanderungsgesetz)
(Drucksachen 14/7987, 14/8046, Drucksache
14/7387 und Drucksache 14/8395)
Unsere Zustimmung zum Gesetzentwurf der Koalition
zur Zuwanderung beruht auf folgenden Gründen:
Erstens. Wir entscheiden über das vorliegende Zuwan-
derungsgesetz nach unserer Grundüberzeugung und nach
unserem Gewissen. Die Frage, welches Schicksal Kinder
und Erwachsene erleiden, wenn sie als Flüchtlinge in
Deutschland Schutz suchen, ist für uns ethisch von genau
so großer Bedeutung wie etwa die Frage des Embryonen-
schutzes.
Zweitens. Der Gesetzentwurf der Koalition ist nicht
ohne Fehler und Schwächen, er ist aber eindeutig besser
als das geltende Recht. Wenn das Gesetz nun scheitert,
wird der jetzige, unbefriedigende Zustand verlängert.
Dies ist für die betroffenen Menschen nicht zumutbar.
Dann wird weitergehen, was die Union zu Recht kritisiert,
nämlich die ungeregelte Zuwanderung in die Sozialsys-
teme. Die Integration wird weiterhin keine gesetzliche
Regelung haben. Auch der Status der Flüchtlinge wird im
Neben- und Durcheinander des geltenden Ausländerrech-
tes nicht verbessert. Deshalb brauchen wir eine Reform,
auch wenn sie nicht perfekt ist. Wir können nicht akzep-
tieren, dass in der drittgrößten Industrie- und Handelsna-
tion der Welt die überfällige Reform des Ausländer- und
Zuwanderungsrechts wegen einiger weniger Meinungs-
verschiedenheiten scheitern soll.
Deutschland braucht Zuwanderung auch unter volks-
wirtschaftlichen Aspekten. Das Argument, dass eine wei-
tere Zuwanderung angesichts der hohen Arbeitslosenzahl
nicht notwendig sei, hält einer differenzierten Betrach-
tung nicht stand.
Drittens. Der Gesetzentwurf bringt entscheidende und
überfällige humanitäre Verbesserungen für die Flücht-
linge, zum Beispiel: Die aufenthaltsrechtliche Stellung
von Konventionsflüchtlingen („kleines Asyl“) wird durch
die Abschaffung der Duldung und durch die Angleichung
an den Status von Asylberechtigten entscheidend verbes-
sert. Beide Flüchtlingsgruppen erhalten eine befristete
Aufenthaltserlaubnis, die nach drei Jahren bei unverän-
derter Verfolgungssituation in ein Daueraufenthaltsrecht
verwandelt wird. Damit wird den Betroffenen ein men-
schenwürdiges Leben in Deutschland ermöglicht.
Opfer von nicht staatlicher und geschlechtsspezifi-
scher Verfolgung erhalten einen verbesserten Schutz
gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention: Dies ist im Ein-
klang mit der Rechtspraxis, die in fast allen europäischen
Ländern üblich ist.
Die Einführung einer Härtefallregelung erlaubt es in
besonders gelagerten Härtefällen, Menschen, denen bis-
her keine Aufenthaltstitel erteilt werden konnte, aus drin-
genden humanitären oder persönlichen Gründen die wei-
tere Anwesenheit im Bundesgebiet zu ermöglichen.
Schutzbedürftige erhalten mit der Aufenthaltserlaub-
nis, im Gegensatz zur bisherigen Duldung, einen recht-
mäßigen Aufenthaltsstatus.
Die erleichterte Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in
humanitären Fällen ermöglicht einen – wenn auch einge-
schränkten – Familiennachzug.
Diese und andere Verbesserungen gestalten das Aus-
länderrecht einfacher und gleichzeitig humaner.
Da wir uns seit Jahren für diese positiven Veränderun-
gen des Ausländerrechts eingesetzt haben, würde es unse-
ren Pflichten als Abgeordnete entsprechend Art. 38 des
Grundgesetzes widersprechen, diese im Gesetzentwurf
vorgesehenen Verbesserungen abzulehnen.
Viertens. Mit unserer Entscheidung wissen wir uns in
Übereinstimmung mit den ethischen Grundsätzen unserer
Partei, wie sie im Grundsatzprogramm der CDU auf der
Grundlage des christlichen Menschenbildes niedergelegt
worden sind. Unsere Entscheidung soll auch als Signal
dafür verstanden werden, im weiteren Gesetzgebungsver-
fahren doch noch zu einer Einigung zwischen den politi-
schen Parteien zu kommen.
Anlage 3
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Dr. Norbert Blüm (CDU/CSU)
zu der namentlichen Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurf ei-
nes Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der
Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts
und der Integration von Unionsbürgern und
Ausländern (Zuwanderungsgesetz) und über
den von den Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurf eines Gesetzes zur Steuerung und Be-
grenzung der Zuwanderung und zur Regelung
des Aufenthalts und der Integration von Unions-
bürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz)
(Drucksachen 14/7987, 14/8046, Drucksache
14/7387 und Drucksache 14/8395)
Ich lehne das Zuwanderungsgesetz ab, weil seine Re-
gelungen zynisch gegenüber den ärmeren Ländern und
rücksichtslos gegenüber Arbeitslosigkeit in Deutschland
ist – egal, ob es sich um Arbeitslosigkeit von Ausländern
oder von Deutschen handelt.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 200222106
(C)
(D)
(A)
(B)
„Die Qualifizierten in den ärmeren Ländern abzusah-
nen“ ist das Gegenteil von Entwicklungshilfe. Die ärme-
ren Länder bezahlen die Ausbildung, die reichen nutzen
sie.
Ein 40-jähriger Informatiker hat es in Deutschland
schwer, Arbeit zu finden. Für ihn holen wir einen jünge-
ren und billigeren Informatiker aus Indien. Das ist ein be-
quemer Fluchtweg aus dem Kampf gegen die Arbeitslo-
sigkeit hierzulande.
Die Regelung im Gesetzentwurf zum Asyl- und Aus-
länderrecht halte ich für richtig.
Anlage 4
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Ulla Jelpke (PDS) zu der na-
mentlichen Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Ge-
setzes zur Steuerung und Begrenzung der
Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts
und der Integration von Unionsbürgern und
Ausländern (Zuwanderungsgesetz) und über
den von den Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurf eines Gesetzes zur Steuerung und Be-
grenzung der Zuwanderung und zur Regelung
des Aufenthalts und der Integration von Unions-
bürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz)
(Drucksachen 14/7987, 14/8046, Drucksache
14/7387 und Drucksache 14/8395)
Ich stimme gegen den Regierungsentwurf für ein Zu-
wanderungsgesetz. Dabei leiten mich – kurz gefasst – die
folgenden Motive:
Ich erkenne an, dass im Gesetz einige positive Punkte
enthalten sind, etwa die Anerkennung nicht staatlicher
und geschlechtsspezifischer Verfolgung als Fluchtgrund,
der zur Zuerkennung des Flüchtlingsstatus führt.
Die negativen Seiten des Gesetzes sind jedoch für mich
weitauszahlreicher und gewichtiger:
Kinder werden noch stärker benachteiligt als bisher.
Abgesehen von einigen Ausnahmefällen ist das Höchstal-
ter für den Nachzug auf zwölf Jahre (bisher waren es 16)
abgesenkt worden. Ansonsten gibt es keine Änderungen
zugunsten von Minderjährigen. Spätestens ab 16 Jahren
werden Jugendliche weiterhin durch die Mühlen des Asyl-
verfahrens getrieben, in Abschiebehaft genommen und
abgeschoben.
Noch mehr Menschen als bisher werden der sozialen
Ausgrenzung in Gestalt des Asylbewerberleistungsgeset-
zes unterworfen. Die Abschiebungshaft wird nicht abge-
schafft, sondern im Gegenteil noch durch die ominösen
Ausreisezentren erweitert. Auch die Residenzpflicht
bleibt nicht nur bestehen, sondern wird auf alle ausreise-
pflichtigen AusländerInnen ausgedehnt. Es gibt keinen
Einstieg in die Lösung der Probleme von Menschen ohne
Papiere. Die humanitäre Hilfe für diese Personen bleibt
weiterhin im Grundsatz mit Strafe bedroht. Schulen,
Krankenhäuser und andere Einrichtungen sind wie bisher
verpflichtet, Daten von „Illegalen“ an Polizei und Aus-
länderbehörde weiterzugeben.
Weiterhin wird Flüchtlingen ein Abschiebungsschutz
verweigert, wenn die Gefahren, die ihnen drohen, „allge-
meine“ sind (zum Beispiel Krieg oder Katastrophen).
„Nachfluchtgründe“, das heißt etwa drohende Verfolgung
wegen exilpolitischer Tätigkeit, sollen nicht mehr zum
Abschiebungsschutz führen.
Das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses wird
nicht in jedem Fall zur Erteilung einer Aufenthaltserlaub-
nis führen. Nur wer nachweisen kann, dass er auch in ir-
gendeinen dritten Staat nicht ausreisen kann, wird einen
solchen Aufenthaltstitel bekommen. Viele, die bisher nur
eine „Duldung“ erhalten haben, werden weiterhin allen-
falls mit einer „Bescheinigung über die Aussetzung der
Abschiebung“ ihr Überleben versuchen müssen.
Ein Asylsuchender, der seine Pflicht verletzt, sich un-
verzüglich bei der zuständigen Aufnahmestelle zu mel-
den, zum Beispiel weil er noch Freunde oder Verwandte
besuchen will, wird sich plötzlich vor der Situation ge-
stellt sehen, dass sein Asylantrag nur noch als „Folgean-
trag“ gilt und alle Ereignisse, die vor der Flucht stattge-
funden haben, nicht mehr berücksichtigt werden müssen.
Das ist eine klare Verletzung der Genfer Flüchtlingskon-
vention, aber dies scheint SPD und Grüne nicht zu stören.
Wer es ernst meint mit Menschenrechten, kann sich
von diesem Gesetzentwurf nur mit Grausen abwenden.
Deshalb kann es für mich nur eine Ablehnung des Geset-
zes geben.
Die Einwanderung wird zum Thema eines extrem po-
larisierten Wahlkampfes werden. Hieran wird auch eine
Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes nichts än-
dern. Gegen die diskriminierende Propaganda der Union
unter Edmund Stoiber wird es mit dieser CDU/CSU al-
lenfalls auf Kosten der Betroffenen gehen. Daran kann ich
mich nicht beteiligen.
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung des Entwurfs eines Zehnten Geset-
zes zur Änderung des Fünften Buches Sozialge-
setzbuch (10. SGB V-Änderungsgesetz) (Tages-
ordnungspunkt 22)
Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Zunächst einmal freue ich mich, dass das Fallpau-
schalengesetz vor wenigen Stunden beschlossen worden
ist. Damit wurde der Weg frei gemacht für eine wirkliche
Reform in der Krankenhausfinanzierung. Für die Siche-
rung der Beitragssatzstabilität wurde ein entscheidender
Beitrag geleistet.
Zu dem vorliegenden Gesetzentwurf: Die Rahmen-
bedingungen des vorliegenden Gesetzentwurfes sind
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2002 22107
(C)
(D)
(A)
(B)
von außen vorgegeben und begrenzen damit unseren
Entscheidungsspielraum maßgeblich. Es ist zum einen
die Entscheidung des Verfassungsgerichtes zum Zugang
zur gesetzlichen Krankenversicherung und eine Mittei-
lung des Bundesrechnungshofes über den Zeitpunkt der
Überweisung der Krankenversicherungsbeiträge der
Rentner durch die Rentenversicherung an die GKV. Aber
auch die Alternativen schränken den Raum für vernünf-
tige Entscheidungen ein. Würde unter den gegebenen Be-
dingungen der Bundestag nicht handeln, tritt also gemäß
Verfassungsgerichtsurteil der Rechtszustand von vor
1993 wieder ein. Eine Belastung der sozial schwachen
Rentner wollen wir nicht, denn sie würden durch höhere
Beiträge zur Krankenversicherung wesentlich schlechter
gestellt werden. Dass es sich hierbei um Personen mit
kleinen, ja Kleinstrenten handelt, ist den Anwesenden hier
ja bekannt.
Da wir im Gegensatz zur früheren Regierung eine so-
zial ausgewogene Politik machen, haben wir den vorlie-
genden Gesetzentwurf eingebracht. Die Hintergründe
des Gesetzentwurfs waren: Das Bundesverfassungsge-
richt hatte die im Rahmen des Gesundheitsstrukturge-
setzes von 1992 beschlossene Verschärfung der Voraus-
setzungen für eine Versicherungspflicht als Rentner als
verfassungswidrig erklärt. Das Gericht hat den Gesetz-
geber aufgefordert, die allein auf einer unterschiedlichen
Bewertung von freiwilligen und pflichtversicherten Ver-
sicherungszeiten beruhende Schlechterstellung freiwil-
lig versicherter Rentner bis zum 31. März 2002 zu be-
seitigen. Und nun wird es interessant: Für den Fall, dass
der Gesetzgeber dem nicht nachkommt, richtet sich nach
der Vorgabe des Gerichts der Zugang zur Pflichtversi-
cherung als Rentner vom 1. April 2002 an nach den Re-
gelungen des Gesundheits-Reformgesetzes von 1988.
Dieser Zusatz des Bundesverfassungsgerichts hat Geset-
zeskraft und bedarf keiner ausdrücklichen gesetzlichen
Klarstellung, sodass der Gesetzgeber nicht hätte handeln
müssen.
Eine gesetzliche Regelung des Mitgliedschafts- bzw.
Beitragsrechts von Rentnern entsprechend den Vorgaben
des Bundesverfassungsgerichts erscheint jedoch zum ge-
genwärtigen Zeitpunkt nicht sachgerecht; denn es sollte
keine Präjudizierung der Frage der künftigen Gestaltung
des Beitragsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung
vorgenommen werden. Die vom Bundesverfassungsge-
richt geforderten Regelungen sollten daher in den Kontext
einer grundlegenden Neuregelung des Beitragsrechts für
alle Versichertengruppen gestellt werden.
Wir werden mit dem Gesetz erreichen, dass die über-
wiegende Zahl der freiwillig versicherten Rentner entlas-
tet wird, weil sie geringere Beiträge auf Versorgungsbe-
züge entrichten müssen und die Beitragspflicht sonstiger
Einnahmen entfällt. Verfügen die Betroffenen neben der
Rente der gesetzlichen Rentenversicherung jedoch über
keine weiteren beitragspflichtigen Einnahmen, müssen
sie vom 1. April 2002 an einen höheren Krankenversiche-
rungsbeitrag entrichten, da von ihrer Rente der gesetzli-
chen Rentenversicherung von diesem Zeitpunkt an an-
stelle des ermäßigten Beitragssatzes der allgemeine
Beitragssatz erhoben wird. Gleichzeitig werden sie je-
doch nicht wie die Rentner mit weiteren Einkünften ent-
lastet. Eine Belastung kann auch für mitversicherte Fami-
lienangehörige auftreten, die bislang keine Beiträge auf
Kleinrenten zahlen mussten und durch den Beschluss des
Gerichtes zukünftig Krankenversicherungsbeiträge zah-
len müssen.
Aus Gründen des Bestands- und Vertrauensschutzes
derjenigen, die mit einer Beitragsmehrbelastung nicht
rechnen konnten, sieht der Gesetzentwurf der Koaliti-
onsfraktionen die Möglichkeit vor, diese Beitragsmehr-
belastungen zu vermeiden. Die Rentenbezieher, die bis
zum 31. März 2002 freiwillige Mitglieder sind, weil sie
die durch das Gesundheitsstrukturgesetz von 1992 ver-
schärften Voraussetzungen für den Eintritt der Versiche-
rungspflicht als Rentner nicht erfüllt haben und auf-
grund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts
vom 1. April 2002 an als Rentner versicherungspflichtig
werden würden, sollen die Möglichkeit haben, weiter als
freiwilliges Mitglied in der gesetzlichen Krankenversi-
cherung versichert zu sein. Durch Ausübung dieses Bei-
trittsrechts können die Betroffenen de facto ihren bishe-
rigen Status erhalten. Sie haben damit die Möglichkeit,
Beitragsmehrbelastungen aufgrund des Eintritts der Ver-
sicherungspflicht für sich und für ihren Ehegatten zu
vermeiden, wenn dieser bis zum 31. März 2002 bei-
tragsfrei familienversichert ist und ebenfalls seit dem
1. April 2002 als Rentner versicherungspflichtig werden
würde.
Und noch ein Wort zu den Kosten: Natürlich hat das
Urteil finanzielle Auswirkungen. Circa 250 Millionen
Euro wird die Beitragsentlastung der Rentner den Kran-
kenkassen kosten. Bis zu 50 Millionen Euro sind durch
die Rentenversicherung mehr an die Krankenversiche-
rung zu überweisen. Die Krankenkassen haben in Kennt-
nis des Urteils die Kosten in ihren Haushalten berück-
sichtigt. Das Optionsrecht der Versicherten kann die
Krankenkassen zusätzlich mit bis zu 40 Millionen Euro
belasten. Jedoch steht der Belastung der Krankenkasse
eine Entlastung der Rentenkasse gegenüber. Kosten
wären also in jedem Fall für einen Zweig der Sozialversi-
cherung aufgetreten. In den von den Koalitionsfraktionen
mit den Rentenversicherungsträgern und den Spitzenver-
bänden vorab geführten Gesprächen haben diese ihre Zu-
stimmung zum vorgelegten Gesetz signalisiert. Somit ist
die Entscheidung eine einfache: Zusätzliche Kosten wer-
den bei den betroffenen Rentnern vermieden.
Zum Abschluss noch ein paar Worte zum Urteil des
Verfassungsgerichtes. Dieses hat in seiner Urteilsfindung
ausdrücklich nicht die Einbeziehung weiterer Einkom-
mensarten in die Beitragsbemessung für verfassungswid-
rig erklärt. Mit diesem Urteil ist die Entwicklung neuer
Finanzierungskonzepte nicht eingeschränkt worden. Hier
muss in Zukunft grundsätzlich neu überlegt werden.
Stimmen sie dem Gesetz zu und tragen Sie mit dazu
bei, dass es eine sozial gerechte Lösung für Rentner mit
geringem Einkommen gibt, und beteiligen Sie sich aktiv
an der solidarischen Fortentwicklung der GKV.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 200222108
(C)
(D)
(A)
(B)
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung
– des Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Ände-
rung des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank
– des Entwurfs eines Gesetzes über die integrierte
Finanzdienstleistungsaufsicht
– der Beschlussempfehlung und des Berichts zu der
Unterrichtung: Vorschlag für eine Richtlinie des
Europäischen Parlaments und des Rates über die
zusätzliche Beaufsichtigung der Kreditinstitute,
Versicherungsunternehmen und Wertpapierfirmen
eines Finanzkonglomerats und zur Änderung der
Richtlinien 73/239/EWG, 79/267/EWG,
92/49/EWG, 92/96/EWG, 93/6/EWG und
92/22/EWGdes Rates und derRichtlinien 98/78/EG
und 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und
des Rates
(Tagesordnungspunkt 24 a und b)
Dr. Barbara Höll (PDS): Zum 1. Januar sind die
geld-, wirtschafts- und währungspolitischen Entschei-
dungsbefugnisse der Bundesbank auf das Europäische
System der Zentralbanken übergegangen. Sie hat nun vor
allem die Aufgabe, die Geldpolitik der Europäischen Zen-
tralbank national umzusetzen. Es ist deshalb unbestritten,
dass die Leitungs- und Entscheidungsstrukturen sowie
der organisatorische Aufbau der Bundesbank an die neuen
Anforderungen angepasst werden müssen. Notwendig ist
gleichzeitig eine Effektivierung und Verschlankung der
Strukturen sowohl in der Spitze als auch in anderen Tätig-
keitsbereichen. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein
Kompromiss und wird der Entwicklung adäquat gerecht.
Deutliche Kritik muss jedoch daran geübt werden, dass
diese grundlegend neue Ausrichtung der Bundesbank
nicht dazu genutzt wurde, die Mitwirkungsrechte der Be-
legschaft zu verbessern. Diese Chance wurde vertan. Im
Rahmen der Behandlung des Gesetzentwurfes wurden
seitens der Gewerkschaften Vorschläge unterbreitet, den
Beschäftigten Sitz und Stimme im Verwaltungsbeirat zu
geben. Damit hätten sich zukünftig auch die Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer wirksam an der inneren Ge-
staltung der Bundesbank beteiligen können. Sie sind auf
diese Vorschläge nicht eingegangen. Wir fordern Sie des-
halb auf, dieses Defizit im Rahmen der Verhandlungen im
Bundesrat zu beseitigen. Insgesamt stimmen wir dem Ge-
setzentwurf zur Strukturreform der Bundesbank zu.
Mit der Bundesbankstrukturreform wird auch ein Ge-
setz zur Schaffung einer Allfinanzaufsicht verabschiedet.
Die Aufgaben des Bundesaufsichtsamts für Kreditwesen,
des Bundesaufsichtsamts für Versicherungswesen und des
Bundesaufsichtsamts für den Wertpapierhandel sollen
künftig in einer sektorübergreifenden Allfinanzaufsicht
zusammengeführt werden. Angesichts des Wandels der
Finanzmärkte ist dies ein sinnvoller Schritt, denn klar ist,
dass Banken heute nicht mehr nur Angebote über Anla-
gemöglichkeiten oder günstige Kredite, sondern auch
Versicherungen und demgegenüber Versicherungsunter-
nehmen auch Sparpläne und Anlagemöglichkeiten anbie-
ten. Auch wenn meines Erachtens in Zukunft Finanzkon-
glomerate nicht bestimmend sein werden, so wird deut-
lich, dass die Kooperation von Banken,
Finanzdienstleis-tern und Versicherern stetig zunimmt,
die Produkte immer mehr verschwimmen. Weiterhin ver-
stärken sich permanent die Wechselbeziehungen zwi-
schen Bank- und Kapitalmarktfinanzierung. Eine einheit-
liche Aufsicht über die Anbieter und ihre Produkte ist da
nur sinnvoll. Diese hat sich ja auch international bewährt,
unter anderem in Japan, der Schweiz oder in den skandi-
navischen Ländern.
Durchaus unterstützenswert ist auch die hier gefun-
dene Lösung, die Bundesbank in die Behörde zu integrie-
ren und ihr entsprechende Rechte bei der Aufsicht der
knapp 3 000 Banken und Institute einzuräumen. Ich
denke, hier wird vorhandenes Know-how effektiv ge-
nutzt.
Aus diesem Grund werden wir den Gesetzentwurf un-
terstützen.
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung
– Beschlussempfehlung und Bericht: Wettbewerbs-
fähigkeit der deutschen Omnibusunternehmen er-
halten und sichern
– Beschlussempfehlung und Bericht: Wettbewerbs-
fähigkeit des deutschen Güterkraftverkehrsgewer-
bes erhalten und sichern
– Antrag: Wettbewerbsnachteile für deutsches Gü-
terkraftverkehrsgewerbe beseitigen
(Tagesordnungspunkt 23 a und b)
Hans-Günter Bruckmann (SPD): Ziel unserer Poli-
tik ist es, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Omni-
busunternehmen und des deutschen Güterkraftgewerbes
zu erhalten und für die Zukunft zu sichern, denn die Bun-
desregierung und die sie tragende Regierungskoalition
sind sich der Bedeutung dieser Wirtschaftszweige als be-
vorzugte Träger der Alltags- und Freizeitmobilität und des
Güterkraftverkehrs in Deutschland bewusst.
Die Fakten liegen klar auf der Hand: Der Omnibus ist
nach dem Auto das zweitwichtigste Beförderungsmittel
und im ÖPNV ist er sogar die Nummer eins.
Das Güterkraftverkehrsgewerbe ist Hauptträger des
Wirtschaftsverkehrs in Deutschland und Europa im Nah-
und Fernverkehr
Für diese Branchen prägend und erfolgreich sind ins-
besondere die vielen mittelständisch strukturierten Unter-
nehmen, die sich durch Eigeninitiative, Mut, Phantasie
und Innovation auszeichnen. Mit ihrer Anpassungs- und
Innovationsfähigkeit sorgen sie dafür, dass viele Men-
schen in den Unternehmen Arbeit haben. Auch in schwie-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2002 22109
(C)
(D)
(A)
(B)
rigen Zeiten haben diese Betriebe ihre Leistungsfähigkeit
– allen Unkenrufen zum Trotz – unter Beweis gestellt.
Die CDU/CSU geht davon aus, dass unser deutsches
Omnibusgewerbe und der Güterkraftverkehr auf Dauer
weder konkurrenz- noch überlebensfähig sind. Beim Bus-
verkehr wird außerdem unterstellt, dass die mittelständi-
schen Verkehrsunternehmen nach dem Verordnungs-
entwurf der Europäischen Kommission über die Liberali-
sierung des ÖPNV einem „ruinösen Konkurrenzkampf`“
mit europaweit tätigen Konzernen ausgesetzt sind,
während die kommunalen Verkehrsbetriebe vom Anwen-
dungsbereich der neuen Regelung ausgenommen werden
sollen. Die Lösung wird in der Abschaffung der Öko-
steuer und der Gewährung von Steuervergünstigungen
und/oder -befreiungen zugunsten des ÖPNV und der Bus-
touristik gesehen.
Was hat die Regierung für diesen Bereich der Ver-
kehrswirtschaft getan? Zur Unterstützung dieser Branche
der Verkehrswirtschaft hat das Ministerium im Mai 2000
ein Eckpunktepapier erstellt. Es enthält drei Kernbot-
schaften:
Erstens. Wir geben ein Signal für eine Qualitätsoffen-
sive, um mehr Kunden zu gewinnen.
Zweitens. Verkehrsunternehmen und Beschäftigte
müssen sich auf mehr Wettbewerb einstellen. Sie können
aber darauf bauen, dass der Gesetzgeber ihnen dabei ei-
nen fairen Ordnungsrahmen garantiert.
Drittens. Gemeinsam mit den Ländern wollen wir effi-
ziente und verlässliche finanzielle Rahmenbedingungen
für den ÖPNV schaffen.
Darüber hinaus hat die Steuerreform positive Rahmen-
bedingungen zur Förderung der unternehmerischen Eigen-
initiative geschaffen (Nettoentlastung für den Steuerzah-
ler 55 Milliarden Euro von 1998 bis 2005, davon entfallen
rund 16,5 Milliarden Euro auf den Mittelstand). Die Vor-
teile der kurzen Abschreibungsdauer bei Omnibussen
bleiben erhalten. Im Rahmen der ökologischen Steuerre-
form wird nur der halbe Erhöhungssatz (1,5 statt
3 Cent/Liter bei Diesel) für im ÖPNV eingesetzte Busse
erhoben. Der Eingangssteuersatz bei der Einkommen-
steuer wird stufenweise von 25,9 Prozent (1998) auf
15 Prozent (2005) gesenkt. Der Spitzensteuersatz wird
von 53 Prozent (1998) auf 42 Prozent (2005) herabge-
setzt. Personenunternehmen werden zusätzlich dadurch
entlastet, dass sie faktisch keine Gewerbesteuer zahlen,
weil sie ihre Gewerbesteuer pauschaliert auf die Einkom-
mensteuer anrechnen lassen können. Mit der zum 1. Ja-
nuar in Kraft getretenen steuerfreien Reinvestitionszulage
und der Freibetragserhöhung bei Betriebsveräußerungen
sind weitere wichtige Elemente zur Förderung der mittel-
ständischen Unternehmen im Verkehrsbereich geschaffen
worden.
Was uns gemeinsam freuen kann, ist die Tatsache, dass
unser gemeinsamer Antrag vom 24. Januar 2001 zur EU-
Verordnung über die Liberalisierung im ÖPNV auf
Schiene und Straße bei der Behandlung im Europaparla-
ment positive Wirkung gezeigt hat: Es werden ausrei-
chende Übergangsfristen für den geregelten Wettbewerb
eingeräumt. Die Technik-, Qualitäts- und Umweltstan-
dards werden ebenso wie Arbeits- und Sozialstandards
Kriterien einer Ausschreibung oder Vergabe sein. Unser
Gesetzentwurf zur Tariftreue hilft gleichermaßen den Bus-
unternehmen wie den Verkehrsunternehmen in öffentli-
cher Hand im europäischen Wettbewerb.
Außerdem bleiben wir bei der Förderung des Schie-
nenverkehrs und des ÖPNV auf hohem Niveau: Die Mit-
tel aus dem GVFG und die Regionalisierungsmittel liegen
bei über 8 Milliarden Euro. Wir haben durch Regierungs-
handeln die Zukunftsfähigkeit der Omnibusunternehmen
gesichert.
Zum Antrag der CDU/CSU-Fraktion „Wettbewerbs-
fähigkeit des deutschen Güterkraftverkehrs erhalten und
sichern“, Drucksache 14/4150 vom 26. September 2000,
und zum Antrag der FDP-Fraktion „Wettbewerbsnach-
teile für deutsches Güterkraftverkehrsgewerbe beseiti-
gen“, Drucksache 14/4378 vom 25. Oktober 2000: Ich
sage Ihnen sicherlich nichts Neues, wenn ich feststelle,
dass auch wir das Wohl der deutschen Spediteure nicht
vernachlässigen – und auch in Zukunft nicht vernachläs-
sigen werden. Dennoch können wir beide Anträge nur ab-
lehnen; sind doch die dort enthaltenen Forderungen ent-
weder untauglich oder überholt. Eine lange Liste schöner
Wünsche, in der Tat. Aber ich sagte es bereits: Manche
dieser Wünsche sind längst erfüllt – andere machen we-
nig Sinn.
Lassen Sie mich im einzelnen auf Einige der genann-
ten Punkte eingehen:
Bei der Harmonisierung sind in den letzten Jahren
Fortschritte erreicht worden wie zum Beispiel: Die verur-
sachergerechte Anlastung der Wegekosten wurde geregelt
durch Richtlinie 1999/62/EG. Ein Vorschlag zur Regelung
der Arbeitszeit des fahrenden Personals im Straßenver-
kehr liegt vor. Am 5. Februar 2002 hat das EP das Ergeb-
nis des Vermittlungsverfahrens gebilligt. Ein Richtlinien-
vorschlag zur Ausdehnung des Geltungsbereichs der RL
92/6/EWG über Geschwindigkeitsbegrenzer auf Perso-
nen- und Lastkraftwagen mit einem Gewicht von mehr als
3,5 Tonnen liegt seit Juni vor. Der Wirtschafts- und Sozi-
alausschuss hat am 28. November 2001 Stellung genom-
men.
Zum Thema Kabotage: Die sozialverträgliche Öffnung
des Marktzugangs im Straßenverkehr ist bei der EU-
Osterweiterung im Verkehrsbereich aus deutscher Sicht
angesichts des starken Lohngefälles zu den mittel- und
osteuropäischen Staaten (10:1) tatsächlich das gravie-
rendste Problem.
Um dem deutschen Transportgewerbe eine längere
Eingewöhnungszeit zu verschaffen, bis sich das Lohnni-
veau in den Beitrittsländern zumindest dem EU-Durch-
schnitt angenähert hat, hat Deutschland bei der Festle-
gung der EU-Verhandlungsposition für Marktzugang im
Straßenverkehr ein Vorgehen in drei Phasen gefordert:
Vor dem Beitritt: erste Schritte zur Erweiterung des
Marktzugangs im internationalen Verkehr, um auch deut-
sches Gewerbe auf Marktöffnung vorzubereiten. Mit dem
Beitritt: volle Öffnung des Marktzugangs im grenz-
überschreitenden Verkehr, erste Schritte zur Öffnung der
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 200222110
(C)
(D)
(A)
(B)
Kabotage. Volle Öffnung der Kabotage erst einige Jahre
nach dem Beitritt.
Dieser deutsche Dreistufenplan für den Straßengüter-
verkehr hat bisher aber die notwendige Unterstützung
noch nicht gefunden. Wir werden daran weiter arbeiten.
Im Dezember 2001 hat die Gemeinschaft ihre gemein-
same Position im Verkehrskapitel zu Estland, Litauen,
Slowakei, Tschechien, Ungarn, Lettland und Slowenien
festgelegt. Sie beinhaltet folgende Regelung (so genannte
3+2- bzw. 2+2+1-Lösung): Für Ungarn (und voraussicht-
lich Polen): dreijährige allgemeine Übergangsfrist ab Bei-
tritt bis zur Freigabe der Kabotage mit Verlängerungs-
möglichkeit um zwei Jahre. Für Estland, Litauen,
Slowakei, Tschechien, Lettland: zweijährige allgemeine
Übergangsfrist ab Beitritt bis zur Freigabe der Kabotage
mit Verlängerungsmöglichkeit um zwei Jahre und weite-
rer Verlängerungsmöglichkeit um ein Jahr.
Für alle genannten Staaten gilt weiterhin: Während der
Übergangszeit soll grundsätzlich Kabotageverbot gelten.
Bilateral können Mitgliedstaaten und Beitrittsländer sich
gegenseitig Kabotage auf ihrem Territorium einräumen.
Im Verhältnis zu Slowenien bestehen keine Übergangs-
fristen. Damit ist dem deutschen Interesse an einer mög-
lichst langen Übergangsfrist zugunsten des deutschen
Transportgewerbes Rechnung getragen.
Thema: graue und illegale Kabotage: Illegale Beschäf-
tigung war und ist in der Tat ein drängendes Problem für
das deutsche Güterkraftverkehrsgewerbe. Aber die Bun-
desregierung hat sich diesem Problem gestellt und mit
dem Gesetz zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung
im gewerblichen Straßengüterverkehr (GüKBIIIBG) ein
Instrument geschaffen, um Wettbewerbsverzerrungen in
diesem Bereich nachhaltig zu bekämpfen. Dieses Gesetz
ist am 7. September 2001 in Kraft getreten.
Zum Punkt wettbewerbsverträgliche Einführung der
LKW-Maut: Weder wir noch die Bundesregierung ver-
kennen, dass durch die künftige LKW-Maut auf Bundes-
autobahnen eine Kostenmehrbelastung für das Güter-
kraftverkehrsgewerbe eintreten wird, die ganz
überwiegend den Fernverkehr betrifft. Mit der entfer-
nungsabhängigen LKW-Gebühr bezahlen künftig alle
LKW-Unternehmer für die Anzahl der Kilometer, die sie
auf deutschen Autobahnen fahren. Im internationalen
Wettbewerb wird die LKW-Maut für deutsche Transport-
unternehmen daher eher Vorteile bringen, da ausländische
LKW erstmals zu einer wesentlich verursachergerechte-
ren Wegekostenanlastung als bisher herangezogen wer-
den.
Die Bundesregierung unternimmt zudem alle Anstren-
gungen, um die Einführung der LKW-Maut mit einem
größtmöglichen Harmonisierungsschritt im europäischen
Rahmen zu verbinden. Dies schließt die Anstrengungen
ein, dass die Vergünstigungen, die Unternehmen in ande-
ren EU-Mitgliedstaaten befristet zugute kommen, wie
vorgesehen Ende 2002 auslaufen.
In diese Aktivitäten ist die Vereinbarung von Bundes-
minister Bodewig mit dem Präsidenten des Bundesver-
bandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung e.V.,
Herrn Grewer, vom 10. Januar 2002 einzureihen, die eine
Konkretisierung eines EU-kompatiblen Modells zur An-
rechnung von Mineralölsteueranteilen für mautpflichtige
LKWvorsieht (Volumen: 260 Millionen Euro). Eine voll-
ständige Kompensation der Maut würde dem Ziel der ge-
rechteren Wegekostenanlastung nicht entsprechen und
zudem keine zusätzlichen Finanzmittel für dringend not-
wendige Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen ermöglichen.
Zum anderen entlastet das bereits zum Thema Busver-
kehr von mir angesprochene Steuersenkungsgesetz das
vorwiegend mittelständisch geprägte Transportgewerbe
und durch den Wegfall der Eurovignette wird das Ge-
werbe pro LKWum durchschnittlich 1 380 Euro entlastet.
Zum Punkt Abschaffung der Ökosteuer: Nein, wir wer-
den die ökologische Steuerreform nicht rückgängig ma-
chen! Warum? Ich möchte an dieser Stelle gar nicht ver-
tiefen, dass während Ihrer Regierungszeit zwischen 1989
und 1994 die Benzinsteuer um 50 Pfennige erhöht worden
ist, ohne dass mit dem Steuermehraufkommen andere
Steuern gesenkt worden wären. Und ich scheue mich
schon fast, zu erwähnen, dass Ihr Antrag natürlich keine
Vorschläge dazu enthält, wie denn die mit der Aufhebung
der ökologischen Steuerreform verbundenen Minderein-
nahmen für den Bundeshaushalt ausgeglichen werden
sollen, um ein erneutes Ansteigen der Lohnnebenkosten
(Rentenversicherungsbeiträge) zu verhindern.
Lassen Sie mich stattdessen einfach darauf hinweisen,
dass der Anteil der Kraftstoffkosten und erst recht der An-
teil der Ökosteuer an den Kosten des Straßengütergewer-
bes deutlich geringer ist als der der Lohnkosten. Nicht
einmal Edmund Stoiber würde daher die ökologische
Steuerreform umkehren wollen, wie sich ja mittlerweile
herausgestellt hat.
Mehr ist dazu nicht zu sagen. Wir lehnen den Antrag
ab.
Im Antrag der FDP wird auf die Abschreibungsfristen
(AfA) eingegangen. Zur Klarstellung: Die branchenspe-
zifische Abschreibungstabelle für die Personen- und Gü-
terbeförderung bleibt dem Güterkraftverkehrsgewerbe er-
halten.
Antrag der CDU/CSU-Fraktion „Weißbuch über Har-
monisierungsdefizite bei Verkehrsdienstleistungen“
Drucksache 14/4378 vom 24. Oktober 2000: Laut Antrag
der Opposition soll der Bundestag die Bundesregierung
auffordern, die EG-Kommission darauf zu drängen, in
einem Weißbuch bestehende Regelungs- und Vollzugs-
defizite bei der Harmonisierung der Wettbewerbs-
bedingungen für Verkehrsdienstleistungen, auch in Hin-
blick auf den Beitritt der MOE-Staaten, aufzuzeigen. Die-
sen Antrag können wir – wie die vorigen Anträge auch –
nur ganz klar ablehnen.
Zwar ist es richtig, dass die Liberalisierung des Markt-
zuganges im Straßengüterverkehr mit der völligen Frei-
gabe der Kabotage in der EG zum 1. Juli 1998 vollendet
wurde, und es ist auch richtig, dass es harmonisierter
Wettbewerbsbedingungen, insbesondere bei den fiskali-
schen, sozialen und technischen Vorschriften, bedarf, da-
mit der durch die Liberalisierung freigegebene Wettbe-
werb ohne Wettbewerbsverzerrungen vonstatten gehen
kann. Genauso richtig ist es aber auch, dass die Bundes-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2002 22111
(C)
(D)
(A)
(B)
regierung stets Vorreiter war und ist, wenn es um die Har-
monisierung der Wettbewerbsbedingungen geht, und
genauso richtig ist es, dass die Forderung der Opposition
nach Erstellung eines entsprechenden Weißbuches schon
im Oktober 2000 überholt war. Umso mehr ist sie es jetzt.
Die EU hat am 12. September 2001 ein neues Weiß-
buch zur gemeinsamen Verkehrspolitik herausgegeben,
das unter anderem auch auf Fragen der Harmonisierung,
insbesondere der fiskalischen und sozialen Wettbewerbs-
bedingungen, eingeht. Ein erneuter Vorstoß für einen ge-
sonderten Bericht zu Harmonisierungsdefiziten ist daher
auf absehbare Zeit weder zielführend noch erfolgverspre-
chend. Aus diesem Grunde hat auch der EU-Ausschuss
des Deutschen Bundestages den Antrag der Opposition
ausdrücklich abgelehnt. Diese Entscheidung war völlig
richtig. Wir können uns ihr nur anschließen.
Reinhold Strobl (Amberg) (SPD):Die Fraktionen der
CDU/CSU und FDP fordern die Angleichung der Wettbe-
werbsbedingungen für den Güterkraftverkehr im EU-Bin-
nenmarkt. Sie rennen bei uns damit offene Türen ein. Des-
halb hätte es dieser Entschließungsanträge gar nicht
bedurft. Weil durch Ihre Anträge ein falscher Anschein er-
weckt wird, meine Damen und Herren von der Opposi-
tion, möchte ich klarstellen, dass die Bundesregierung auf
EU-Ebene umfassend tätig ist und die volle Unterstützung
der Koalitionsfraktionen hat. Die Beseitigung der Harmo-
nisierungsdefizite im Bereich der Steuer- und Sozialvor-
schriften im europäischen Güterkraftverkehrsmarkt ist er-
klärtes Ziel unserer zukunftsorientierten Verkehrspolitik.
Die Realität der europäischen Politik ist hart. Das ist
auch den großen Europäern, gerade aus den Reihen der
CDU/CSU, gut bekannt. Oft genug laufen nachbessernde
Regulierungen der Liberalisierung im Binnenmarkt hin-
terher.
Wir haben, wie Sie wissen, seit 1. Juli 1998 die völlige
Freigabe der Kabotage, aber keinen echten Binnenmarkt,
was die ordnungspolitische Seite anbetrifft. Seit 1. Juli
1998 dürfen Unternehmer mit Sitz in einem Mitgliedstaat
der EU oder einem anderen Vertragsstaat des Europä-
ischen Wirtschaftsraums, die über Gemeinschaftslizenzen
verfügen, ohne zahlenmäßige Einschränkung in anderen
Mitgliedstaaten oder Vertragsstaaten Binnenbeförderun-
gen – Kabotage – durchführen. Es ist aber eine recht
durchsichtige Strategie, die Bundesregierung für weiter-
hin bestehende Defizite bei den Wettbewerbsbedingun-
gen verantwortlich zu machen, obwohl Sie wissen, dass
Fortschritte im Rat der Fünfzehn nur im Konsens erzielt
werden können.
Kommen wir zurück zur nationalen Ebene. Zum wie-
derholten Mal hören wir die rückwärts gewandte Forde-
rung nach Abschaffung der Ökosteuer. Tatsache ist, dass
sich die Ökosteuer als weiterer Anreiz zur Verbesserung
der Motorentechnik erwiesen hat. Ich erinnere auch an die
satten Mineralölsteueraufschläge unter der früheren Bun-
desregierung, die bekanntermaßen nichts mit Ökologie
und Entlastung der Rentenbeitragszahler zu tun, sondern
andere Gründe hatte. Es ist absurd, wenn Sie heute die
Ökosteuer als Hauptproblem des deutschen Speditionsge-
werbes ausmachen. Sie fordern damit nichts anderes als
billigeren Diesel für LKWs. Das hat aber nichts mit Kli-
maschutz zu tun.
Im Übrigen – den Hinweis kann ich der CDU/CSU
nicht ersparen – widerspricht Ihr Antrag den Forderungen
Ihres Kanzlerkandidaten. Herr Stoiber kann mit Ihrer Ma-
ximalposition offenbar nichts anfangen und eiert herum
zwischen teilweise, schrittweise oder auch gar nicht. Was
bleibt ihm auch anderes übrig, denn die Union hat in drei-
einhalb Jahren keine seriösen Vorschläge zur Gegenfi-
nanzierung vorgelegt.
Sie sollten sich mehr mit den tatsächlichen Problemen
des deutschen Speditionsgewerbes befassen. Die Branche
leidet an Überkapazitäten, an Outsourcing – im Klartext
heißt das: scheinselbstständige Einzelunternehmer – so-
wie an der grauen und illegalen Kabotage.
Die Regierungskoalition hat hier gehandelt. Am
7. September 2001 ist das Gesetz zur Bekämpfung der il-
legalen Beschäftigung im gewerblichen Straßengüterver-
kehr in Kraft getreten. Im Sommer 2002 tritt eine Verord-
nung der Bundesregierung in Kraft, die eine einheitliche
Fahrerbescheinigung für alle Fahrer auf Lastwagen mit
EU-Lizenz vorschreibt.
Seit 17. Oktober 2001 liegt ein Vorschlag zur Ände-
rung der RL 3820/85 über Lenk- und Ruhezeiten vor.
Seit Juni 2001 liegt ein Richtlinienvorschlag zur Ausdeh-
nung des Geltungsbereichs der RL 92/6 EWG über Ge-
schwindigkeitsbegrenzer auf Personen- und Lastkraftwa-
gen mit einem Gewicht von mehr als 3,5 Tonnen vor. Das
EPhat am 17. Januar 2002 den Vorschlag der Kommission
über eine Richtlinie über die Ausbildung von Berufskraft-
fahrern gebilligt. Am 12. September 2001 hat die
Kommission ein neues Weißbuch zur gemeinsamen
Verkehrspolitik herausgegeben. Dort werden Fragen der
Harmonisierung – Finanzen, Soziales, Kontrollen – an-
gesprochen.
Sie sehen, es tut sich durchaus etwas.
Beim Thema Kabotagefreigabe gibt es eigentlich kei-
nen Dissens zwischen Opposition und Koalition. Die
Bundesregierung hat einen Dreistufenplan vorgelegt, der
allerdings von der EU-Kommission abgelehnt wurde. Es
besteht keine Aussicht, gegenüber den künftigen Mit-
gliedstaaten zusätzliche Beschränkungen für die Vorbei-
trittsphase durchzusetzen. Umso stärker drängt die Koali-
tion auf Zugangsbeschränkungen nach einem Beitritt.
Hier freuen wir uns über die grundsätzliche Anerkennung
der besonderen deutschen Interessenlage seitens der an-
deren Mitgliedstaaten. Am Ende muss eine Lösung he-
rauskommen, die den unbeschränkten Zugang zu Bin-
nentransporten an die Unterbindung des Lohndumpings
knüpft.
Die Anträge der CDU/CSU und FDP werden wir ab-
lehnen, weil sie rückwärts gewandt sind und falsche
Schuldzuweisungen enthalten. Davon abgesehen gibt es
auf diesem Feld der Verkehrs- und Europapolitik viele
Gemeinsamkeiten zwischen Koalition und Opposition,
zum Beispiel bei der Harmonisierung der Steuern im Ver-
kehrsbereich, auf die wir uns im Sinne einer konstrukti-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 200222112
(C)
(D)
(A)
(B)
ven Zusammenarbeit und im Interesse des Güterkraftver-
kehrs stärker konzentrieren sollten.
Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Wir diskutieren heute über Anträge der Op-
positionsfraktionen CDU/CSU und FDP, die bereits über-
holt sind bzw. deren Anliegen von der Bundesregierung
schon so weit auf den Weg gebracht wurden, dass weiter
gehende Forderungen wahrlich nicht zielführend sind.
Aber der Reihe nach: Die CDU/CSU behauptet in
ihrem Antrag, dass die Belastungen durch die Ökosteuer
die Rahmenbedingungen im Busverkehr erheblich ver-
schlechtert hätten, und fordert die Bundesregierung auf,
diese nicht nur abzuschaffen, sondern gleich den gesam-
ten ÖPNV von der Mineralölsteuer zu befreien. Im glei-
chen Antrag stellt die CDU/CSU fest, dass der Kraftstoff-
verbrauch bei den Bussen in den letzten 10 Jahren um
circa 15 Prozent zurückgegangen ist. Warum denn? Weil
Mineralölsteuer und Ökosteuer sehr wohl einen. Anreiz
bieten, sparsame und emissionsarme Busse einzusetzen.
Dies kommt nicht nur dem Fahrgast zugute, sondern auch
der Umwelt und der Gesundheit der Anwohner in den
Städten. Aus diesem Grunde hielten wir es für richtig, den
gesamten öffentlichen Nahverkehr nur zur Hälfte von der
Ökosteuer zu befreien, und genau das haben wir getan. Je-
der weitere Schritt der Erhöhung der Ökosteuer bringt so-
mit einen weiteren relativen Preisvorteil für den ÖPNV
gegenüber dem motorisierten Individualverkehr, also
auch für den Linienbus. Im Übrigen hat die Bundesregie-
rung die Mittel für den öffentlichen Verkehr auf sehr ho-
hem Niveau verstetigt bzw. sogar erhöht – die GVFG-
Mittel ebenso wie die Regionalisierungsmittel.
Auch in dem zweiten Antrag zur Wettbewerbsfähigkeit
des Güterkraftverkehrsgewerbes wird die Abschaffung
der Ökosteuer gefordert. Bezeichnend ist, dass keinerlei
Vorschläge zum Ausgleich der mit der ökologischen Steu-
erreform verbundenen Mindereinnahmen in der Renten-
kasse gemacht werden. Auch der Herr Kanzlerkandidat
Stoiber lässt das im Unklaren.
Die Bundesregierung hat wichtige Schritte umgesetzt,
um in Zusammenarbeit mit der EU-Kommission den Ab-
bau von Wettbewerbsverzerrungen bei den verkehrsspezi-
fischen Abgaben, den technischen Regelungen und den
Sozialvorschriften zu erreichen. Gerade im Sozialbereich
hat die Bundesregierung durch die Verabschiedung des
Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung im
gewerblichen Straßengüterverkehr zum Abbau von Wett-
bewerbsverzerrungen erheblich beigetragen.
Auch die LKW-Maut sichert nicht nur die Wettbe-
werbsfähigkeit des deutschen Güterverkehrgewerbes,
sondern stärkt diese sogar, weil ausländische LKW erst-
mals auch an den Kosten des deutschen Straßennetzes
beteiligt werden. Wir unternehmen im Übrigen alle An-
strengungen, um die LKW-Maut mit einem größtmögli-
chen Harmonisierungsschritt im europäischen Rahmen zu
verbinden. Zugleich erwarten wir, dass die Dieselsubven-
tionen in einigen EU-Ländern gemäß Ecofin-Beschluss
zum 31. Dezember 2002 auslaufen.
Abschließend noch ein Wort zur Ökopunkteregelung in
Österreich: Eine schrankenlose Freigabe des alpenque-
renden Verkehrs würde zu einer verheerenden Belastung
von Mensch und Umwelt in den Alpen führen und den
LKW-Verkehr in Süddeutschland explodieren lassen.
Dies gilt nicht nur für den Schadstoffausstoß, sondern ins-
besondere für die Lärmbelastung. Wir brauchen daher
sehr wohl eine dauerhafte Regelung, die den Schutz der
Natur und die Gesundheit des Menschen in den Mittel-
punkt stellt und nicht das Interesse der LKW-Lobby.
Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Selten war ein
Antrag so zeitgerecht gestellt und plenartechnisch behan-
delt wie unser Antrag vom 25. Oktober 2000.
Alle Punkte, die hier aufgeführt sind, sind nach wie vor
aktuell – und seit Bekanntwerden der Einzelheiten der
Mautgesetzgebung dieser so genannten Bundesregierung
erst recht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungs-
koalition, seit Januar 2001 versprechen Sie dem deut-
schen Güterkraftverkehrsgewerbe eine Entlastung auf
höchstmöglichem europäischem Niveau. Bis heute sind
sie darauf aber die Antwort schuldig geblieben, wie Sie
sich das eigentlich vorstellen. Mit flapsigen Ausflüchten
wie vom Bundesverkehrsminister („Alles sehr schwie-
rig“) oder anderen qualitativ hoch stehenden Bemerkun-
gen zu diesem Thema werden Sie das Problem für das
deutsche Verkehrsgewerbe nicht lösen.
Die jetzt vorliegenden Zahlen aus der Umstellung der
LKW-Maut von der zeitbezogenen Vignette auf die
streckenbezogene Maut lassen deutlich werden, wie Sie
sich tatsächlich die Entlastung vorstellen. Sie belasten
das deutsche Verkehrsgewerbe mit rund 2,6 Milliarden
Euro zusätzlich und bieten dafür als Gegenzug eine Ent-
lastung von 260 Millionen Euro an. Nach Adam Riese
– der kommt schließlich wie ich aus Oberfranken – ist das
nach dem kleinen Einmaleins eine zusätzliche Belastung
für das deutsche Verkehrsgewerbe und keine Entlastung.
Zur KFZ-Steuer verweisen Sie auf angebliche Initiativen
der Länder, die dort nicht stattfinden; von ihnen ist nichts
zu hören. Die Ökosteuer – von Ihnen schon viermal zu-
sätzlich erhoben – wird nach Ihrem Willen selbstver-
ständlich auch zum 1. Januar 2003 noch einmal erhoben.
Sie haben mit keinem Hinweis auf die in anderen Län-
dern im Jahre 2000 eingeführten zusätzlichen Entlastun-
gen reagiert – alle diese Entscheidungen sind mit Zu-
stimmung der deutschen Bundesregierung in Brüssel
beschlossen worden.
Und das alles findet statt vor dem Hintergrund der zu
erwartenden und zu begrüßenden europäischen Osterwei-
terung, die für das deutsche Güterkraftverkehrsgewerbe
erneut Probleme bereiten wird. Diese Probleme sind nicht
dadurch zu lösen, dass man national die Kosten erhöht,
sondern nur dadurch, dass man statt langer Übergangsfris-
ten ein effizientes Kostensenkungsprogramm in Deutsch-
land beginnt, am besten bei der Gesetzgebung. Das ist
Ihre Zuständigkeit. Sie haben nach wie vor das deutsche
Gewerbe im Regen stehen lassen und deshalb konsequen-
terweise unseren Antrag abgelehnt. Stellen Sie sich aber
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2002 22113
(C)
(D)
(A)
(B)
morgen nicht hin und verkünden auf Gewerbeversamm-
lungen, Sie hätten alles für die Entlastung des deutschen
Gewerbes im internationalen Standortwettbewerb getan!
Rot-Grün wird als Totengräber für das deutsche Ver-
kehrsgewerbe in die Geschichte der Bundesrepublik un-
rühmlich eingehen. Wir bleiben bei unserer Ansicht der
Dinge und sind sicher, dass wir im September unsere
Sicht in entsprechende abgabensenkende Politik verant-
wortungsvoll umsetzen können.
Dr. Winfried Wolf (PDS): Die zwei hier vorgelegten
Anträge von den Fraktionen CDU/CSU und FDP, mit de-
nen behauptete „Wettbewerbsnachteile des deutschen Gü-
terverkehrsgewerbes beseitigt“ werden sollen, greifen ei-
nerseits reale Probleme auf, sind jedoch andererseits mit
einigen Ungereimtheiten und Widersprüchen verbunden.
Wir konnten uns daher nur für zwei engagierte Enthaltun-
gen entscheiden. Ein Teil der Widersprüche und Unge-
reimtheiten ist damit verbunden, dass die Anträge beide
vor eineinhalb Jahren verfasst wurden.
Drei Beispiele seien hier exemplarisch angeführt: In
beiden Anträgen wird gefordert, die Ökosteuer aufzuhe-
ben. Die Fraktion der CDU/CSU will dies offensichtlich
rückwirkend bis zum Jahr 1999 so geregelt sehen. Die
FDP verfährt mit der Bundesregierung etwas gnädiger
und stellt anheim, „mindestens die geplanten nächsten
Stufen auszusetzen“, was, da seit Einbringen des Antrages
bereits drei Anhebungen erfolgten, dann, wenn heute
überraschenderweise der FDP-Antrag beschlossen wer-
den sollte, nur auf eine Aussetzung der Anhebung ab 2003
abzielen würde. Richtig ist die Feststellung im Antrag der
CDU/CSU, dass die konkrete Form der beschlossenen
Ökosteuer keine oder kaum eine ökologische Wirkung
entfaltet. Der vor allem von der Partei Bündnis 90/Die
Grünen vielfach erwähnte Umstand, dass der motorisierte
Individualverkehr im Jahr 2000 leicht rückläufig war,
dürfte wenig mit der Ökosteuer und mehr mit dem dama-
ligen allgemeinen Anstieg des Rohölpreises zu tun gehabt
haben. Jedenfalls wäre dann zu erklären, weshalb im ver-
gangenen Jahr der Schienenfernverkehr deutlich rückläu-
fig und nach einer ersten Übersicht der PKW-Verkehr
wieder im Ansteigen begriffen war. Die PDS hat zu dem
Thema mehrfach erklärt, dass sie die Ökosteuer durch
eine ökologisch wirksame und sozial ausgewogene neue
ökologische Steuerreform ersetzt sehen will. FDP und
CDU/CSU hingegen machen keinerlei Vorschläge, wie
eine Ökosteuer, die ökologisch wirksam ist, aussehen
könnte. Vor diesem Hintergrund wirken beide Anträge po-
pulistisch.
Ein zweites Beispiel für Ungereimtheit bei diesen An-
trägen betrifft das Thema LKW-Maut. Die Fraktion der
CDU/CSU will diese „wettbewerbsverträglich gestaltet“
sehen; die Fraktion der FDP fordert eine „strikte Kosten-
neutralität“. Nun konnten beide Anträge im Herbst 2000
nicht auf das konkrete Modell der LKW-Maut eingehen,
das mehr als ein Jahr später vorgelegt wurde. Wenn sich
jedoch heute der Bundestag mit diesen Anträgen befasst,
dann ist es eigentlich ein Unding, allgemeine Statements
zu einer LKW-Maut zu beschließen, ohne auf deren kon-
krete Ausgestaltungsvorschläge, die seit mehreren Mona-
ten vorliegen, einzugehen. Die tatsächlichen Probleme
bei der LKW-Maut liegen auf anderen Gebieten, zum Bei-
spiel darin, dass die Beschränkung dieser Maut auf Auto-
bahnen zu einer erheblichen Verlagerung der LKW-Ver-
kehre auf das nachgeordnete Straßennetz führen wird.
Das dritte Beispiel: Beide Anträge laufen in der
Summe darauf hinaus, dass der LKW-Verkehr nochmals
preiswerter werden soll – wenn auch lediglich für das
deutsche Gewerbe. Am deutlichsten wird das beim FDP-
Antrag, in dem neben der „Kostenneutralität“ bei der
LKW-Maut gefordert wird, die „deutsche Kraftfahrzeug-
steuer für schwere LKWauf das im europäischen Rahmen
zulässige Mindestmaß zu reduzieren“. Damit verfolgen
beide Anträge keinen integrierten Gesamtansatz für den
Güterverkehrssektor. Die Tatsache, dass seit elf Jahren der
LKW-Verkehr massiv ansteigt, dass der Güterverkehr auf
den Binnenwasserwegen stagniert und dass der Schie-
nengüterverkehr auch heute noch deutlich unter dem
Niveau von 1990/91 liegt, hat viel mit Liberalisierung im
Güterverkehrsgewerbe und damit zu tun, dass durch un-
terschiedliche Formen des Dumpings heute eine Situation
vorliegt, bei der das allgemeine Preisniveau zu niedrig ist
und ein hoher und wachsender Teil „externer“ Kosten auf
die Allgemeinheit übergewälzt wird.
Das aber heißt: Bereits das bestehende, niedrige Preis-
niveau fördert immer mehr LKW-Verkehr und eine Verla-
gerung auf die Straße. Wer hier eine weitere Senkung vor-
schlägt, unterstützt diese ökologisch und volkswirt-
schaftlich problematische Tendenz. Bei einer solchen Ge-
samtsicht nutzt der Hinweis wenig, es gehe doch darum,
die Wettbewerbsnachteile des deutschen Gewerbes aus-
zugleichen.
Zum Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel
„Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Omnibusunterneh-
men erhalten“ hier nur einige knappe Anmerkungen.
Grundsätzlich ist Omnibusverkehr Teil des öffentlichen
Verkehrs. Auch sind die Hinweise auf den niedrigen Ener-
gieverbrauch im Busverkehr zu treffen. Schließlich wird
hier auch auf eine Reihe von Benachteiligungen hinge-
wiesen, denen sich deutsche Busunternehmen gegenüber-
sehen.
Doch fehlt auch hier eine Gesamtsicht. Trotz der ge-
nannten Vorteile weist die Schiene bei Fahrten über lange
Strecken eine deutlich bessere ökologische und volkwirt-
schaftliche Gesamtbilanz aus. Das Problem, dem wir uns
hier gegenübersehen, besteht jedoch darin, dass die
Schiene gerade auf langen Strecken und auf internationa-
len Verbindungen dem Bus zunehmend unterlegen ist. Ich
erinnere Sie an die vielen Werbetafeln, die sich sogar in
Bahnhöfen der DB AG und in der Berliner S-Bahn finden
und in denen mit Preisen für feste bundesweite und inter-
nationale Bus-Linien-Verbindungen geworben wird, die
bei der Hälfte der entsprechenden Bahnpreise, BahnCard
bereits berücksichtigt, liegen. Während also der CDU/
CSU-Antrag hier auf eine immanente Harmonisierung
drängt und letztlich auch hier eine weitere Senkung der
Kosten für (deutsche) Busunternehmen fordert, müsste
ein Antrag, der von einer ganzheitlichen Sicht ausgeht,
diese krasse Marktverzerrung im Vergleich Bus zu
Schiene aufgreifen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 200222114
(C)
(D)
(A)
(B)
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung
– der Entwürfe eines Sechsten Gesetzes zur
Änderung des Hochschulrahmengesetzes
(6. HRGÄndG)
– des Antrags: Ein neues Hochschuldienstrecht
für eine moderne, leistungsfähige und attrak-
tive Bildung und Forschung in Deutschland
(Tagesordnungspunkt 25 a und b und Zusatzta-
gesordnungspunkt 9)
Dr. Peter Eckardt (SPD): Der Gesetzentwurf der
Regierungskoalition zum Hochschulrahmenrecht, den
wir heute vorlegen, greift ein Kernproblem des Bildungs-
wesens in Deutschland auf, das für viele Studierende sym-
bolisch für Chancengleichheit und Gerechtigkeit steht. In
Deutschland sollen für Jugendliche, die ein Studium an
einer Fachhochschule oder einer Universität beginnen
und in akzeptabler Zeit auch erfolgreich beenden wollen,
keine Studiengebühren erhoben werden dürfen. Studien-
gebühren zumindest für ein Erststudium müssen nach
Meinung meiner Fraktion an staatlichen Hochschulen
Deutschlands dauerhaft ausgeschlossen bleiben.
Die Begehrlichkeiten der unterfinanzierten Hoch-
schulen und einiger Wissenschaftsminister, für die Hoch-
schulen weitere Mittel auch von den Studierenden zu
bekommen, sind natürlich bekannt. Für so genannte
Langzeitstudenten werden in einigen Ländern schon
heute Gebühren erhoben, Verwaltungsgebühren für
Immatrikulation und Rückmeldung sind fast schon die
Regel.
Ich kann mich wie manche andere in diesem Hause an
die Zeit erinnern, als in Marburg und Frankfurt/Main der
Besuch der höheren Schule und das Studium gebührenfrei
waren, aber in Göttingen und Hannover für das Studieren
Gebühren zu zahlen waren. Eine Besonderheit des Fö-
deralismus war es damals auch, dass Schülerinnen und
Schüler aus Hannoversch Münden, die in Kassel das
Gymnasium besuchten, in die Hessische Staatskasse
Schulgeld bezahlen mussten, weil ihre Eltern nicht in
Hessen wohnten, sondern in Niedersachsen.
Nach den Eintragungen in meinem Studienbuch habe
ich in Göttingen im Semester 149,50 DM Studienge-
bühren bezahlt – damals eine unvorstellbar hohe Summe,
die erst einige Semester später in allen Ländern nicht
mehr erhoben wurde.
Ich bin der Meinung, dass es bildungspolitisch weder
wünschenswert noch lobenswert ist, dass die meisten
Wissenschaftsminister und auch Ministerpräsidenten,
vielleicht auch Bundestagsabgeordnete selbst ohne Ge-
bühren, oft auch mit BAföG erfolgreich studiert haben
und jetzt für ihre Kinder oder Enkel Studiengebühren for-
dern. Auch von einigen Wissenschaftlern und Hochschul-
funktionären werden Studiengebühren gefordert, weil sie
hoffen und vermuten, dass sich mit Studiengebühren das
Studierverhalten ändern werde und sich die Dienst-
leistungsfunktion der Hochschulen erhöhe. Es ist auch
nicht auszuschließen, dass es manchen einfach nur um das
Geld, nicht um eine Frage des Verhältnisses zwischen
Lehrenden und Lernenden geht.
Fest steht aber: Es gibt bisher keine Beweise, dass sich
die wissenschaftliche Leistung und auch die Mängel des
Hochschulsystems durch das Bezahlen oder Nichtbezah-
len von Studiengebühren wesentlich ändern werden. Ein
Hinweis auf die privaten Hochschulen geht auch hier fehl.
Sie haben ausgewählte Fächer für ausgewählte Studieren-
de und repräsentierten auch im Ausland nicht das deut-
sche System der Hochschulen, das attraktiv bleiben muss.
Im Gegenteil: Studiengebühren werden die schon seit ei-
nigen Jahren feststellbaren Veränderungen der sozialen
Zusammensetzung der Studierenden weiter befördern, der
Anteil der Studierenden aus höheren sozialen Schichten
wird weiter zunehmen, der Anteil der BAföG-Empfänger
steigt erfreulicherweise durch die Reform dieser Regie-
rung auch. Aber die Zahl der Kinder aus gesellschaftli-
chen Schichten, die weder BAföG bekommen noch in
höheren Schichten leben, wird bei der Einführung von
Studiengebühren prozentual weiter absinken, weil diese
Familien die Kosten des Studiums noch schlechter ab-
schätzen können als bisher. Sicherheit in den Kosten für
eine Ausbildung ist ein notwendiger Bestandteil der Bil-
dungspolitik, wenn sie möglichst viele Menschen in der
Gesellschaft erreichen soll.
Die Einführung von Studiengebühren würde wahr-
scheinlich auch den Anteil weiblicher Studierender absin-
ken lassen und damit nicht das gesamte Begabungspoten-
zial unserer Gesellschaft ausschöpfen und jungen Frauen
weniger Perspektiven geben. Eng verbunden mit der
Chancengleichheit im Bildungswesen ist die demokra-
tische Beteiligung der Betroffenen, zumal dann, wenn sie
erwachsen sind und selbst über ihr Lernen entscheiden.
Die verfasste Studierendenschaft ist deshalb in den
Hochschulgesetzen aller Bundesländer einzuführen, da-
mit auch dort, wo bisher diese Teilkörperschaft der Hoch-
schulen nicht besteht, diese ihre Arbeit aufnehmen kann.
Internationale Studiengänge sind an deutschen Hoch-
schulen in einer Erprobungsphase eingeführt, und haben
sich von 1998 bis 2001 auf etwa 1 000 erhöht; sie sind
zum Teil in Landesgesetzen akzeptiert und auch akkredi-
tiert und haben außerhalb der Hochschulen Anerkennung
gefunden. Sie sollten als Regelabschlüsse in das Rah-
mengesetz des Bundes aufgenommen werden und damit
der Verpflichtung der Bologna-Erklärung zur Europäisie-
rung vom Juni 1999 Rechnung tragen.
Das sind drei wichtige Strukturelemente eines Gesetz-
entwurfes, den wir heute einbringen, der das Ansehen und
die Leistungsfähigkeit unserer Hochschulen in der Zu-
kunft weiter verbessern und den Weg ebnen wird, Studie-
ren in Deutschland noch attraktiver zu machen.
Thomas Rachel (CDU/CSU): Die sechste Hoch-
schulrahmengesetz-Novelle ist ein Armutszeugnis für
die rot-grüne Bundesregierung. Die Unterschrift von
Bundespräsident Johannes Rau unter die rot-grüne Fünfte
Hochschulrahmengesetz-Novelle ist noch nicht ganz
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2002 22115
(C)
(D)
(A)
(B)
trocken, da beantragt Rot-Grün bereits die nächsten Än-
derungen im Hochschulrahmengesetz. Dies ist reine
Flickschusterei. Alles, was die Regierung Schröder heute
im neuen Gesetz beantragt, hätte sie schon längst in der
Fünfte HRG-Novelle einbringen können. Das zeigt: Die
rot-grüne Regierung ist konfus und konzeptlos.
Als große bildungspolitische Errungenschaft will uns
Bildungsministerin Bulmahn ihr neues Hochschulgesetz
verkaufen. In ihrer Pressemitteilung verkündet sie, dass
künftig „für das Erststudium in Deutschland keine Studi-
engebühren erhoben werden dürfen“. Damit will sie, drei
Tage vor Schluss der Legislaturperiode, das rot-grüne
Wahlversprechen, das schriftvertraglich in der Koaliti-
onsvereinbarung fixiert wurde, noch schnell einlösen.
Doch mit dieser öffentlichen Ankündigung täuscht sie die
Wähler. Denn entgegen ihrer Ankündigung dürfen laut
Gesetzestext und Begründung sehr wohl Studiengebühren
in Ausnahmebereichen erhoben werden. Wo bleiben die
Wahrheit und Klarheit, Frau Ministerin Bulmahn?
Doch was ist nun von dem neuen Gesetz zu halten? Bil-
dungsministerin Bulmahn will mit einem Bundesgesetz
Studiengebühren im Erststudium bundesweit in allen
Bundesländern verbieten. Dies ist aber eine unzulässige
Einmischung in die Angelegenheiten der Länder und zeigt
altes Denken. Nach der Kompetenzverteilung des Grund-
gesetzes liegt die Kompetenz im Bereich der Hochschul-
finanzierung eindeutig bei den Bundesländern. Dies wird
auch durch die Realität bestätigt. So werden 89 Prozent
der Hochschulausgaben von den Ländern und nur 9 Pro-
zent vom Bund sowie 2 Prozent von Stiftern und Mäze-
nen finanziert.
Es ist schon dreist, wenn die Bundesregierung ange-
sichts einer solchen Situation den Bundesländern vor-
schreiben will, wie sie die Hochschulen finanzieren sol-
len bzw. nicht dürfen. Zu Recht hat der Präsident der
Hochschulrektorenkonferenz, Professor Klaus Landfried,
betont: „Für ein solches Gesetz besteht erstens kein Be-
darf, und zweitens hat der Bund dafür nicht die Zustän-
digkeit.“
Das rot-grüne Gesetz zeugt von obrigkeitsstaatlichem
Denken, anstatt Modernisierung und Wettbewerb in einer
Hochschullandschaft des 21. Jahrhunderts zu ermögli-
chen. Zu Recht werden sich die Länder weder ein Verbot
von Studiengebühren noch eine Verpflichtung zur Ein-
führung von verfassten Studentenschaften vorschreiben
lassen. Übrigens kann der Bund auch nicht vorschreiben,
Studiengebühren einzuführen.
Welches Porzellan Bildungsministerin Bulmahn hier
wieder einmal zerschlägt, zeigt die Tatsache, dass bereits
mehrere Bundesländer angekündigt haben, im Falle der
Verabschiedung eines solchen verfassungswidrigen Ge-
setzes vor dem Bundesverfassungsgericht dagegen zu
klagen. In Wirklichkeit soll dieses rot-grüne Hochschul-
gesetz wie ein Placebo die eigene murrende Klientel ru-
hig stellen – angesichts einer farblosen und konzeptlosen
Bildungsministerin Bulmahn.
Rot-Grün wollen mit ihrem Gesetzentwurf verfasste
Studierendenschaften im Hochschulrahmengesetz ver-
bindlich bundesweit vorschreiben. Dies ist von der Sache
her falsch, weil es die Länderrechte nicht berücksichtigt.
Wie stellt sich denn eigentlich der Sachverhalt dar? Im
geltenden Hochschulrahmengesetz ist in § 41 Folgendes
geregelt: „Das Landesrecht kann vorsehen, dass an den
Hochschulen zur Wahrnehmung hochschulpolitischer, so-
zialer und kultureller Belange der Studierenden, zur
Pflege der überregionalen und internationalen Studenten-
beziehungen sowie zur Wahrnehmung studentischer Be-
lange in Bezug auf die Aufgaben der Hochschulen Stu-
dentenschaften gebildet werden.“ Dies zeigt: Das
Hochschulrahmengesetz lässt sehr wohl organisierte Stu-
dentenschaften zu. Die Regelung wird der Gesetzge-
bungskompetenz der Bundesländer überlassen. Diese
Regelung entspricht der Aufgabenverteilung des Grund-
gesetzes und der besonderen Rolle der Bundesländer. Die
gültige Fassung des § 41 kam im Übrigen nur nach einem
langen Tauziehen zwischen Bundestag und Bundesrat zu-
stande. Die Bildung von Studentenschaften soll dem Er-
messen und der Entscheidung der Länder überlassen sein.
Dies hat sich grundsätzlich bewährt.
Entscheidet sich der Landesgesetzgeber dafür, eine
Studentenschaft zu bilden, so fasst er die immatrikulierten
Studenten einer Hochschule in einer Zwangskörperschaft
im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Körperschaft
Hochschule zusammen. Aus dieser Form der Zwangskör-
perschaft ergeben sich bestimmte Konsequenzen. Unter
anderem ergibt sich diejenige, dass die Studentenschaften
ein hochschulpolitisches Mandat haben, nicht aber ein all-
gemeinpolitisches Mandat.
Damit sind wir auch mitten bei einem Kernpunkt des
rot-grünen Antrags. Wer den Gesetzesantrag aufmerksam
liest, wird feststellen, dass es Rot-Grün gar nicht um die
Studierendenschaft im eigentlichen Sinne geht, sondern
darum, ein sehr weitgehendes allgemeines politisches
Mandat durchzusetzen. Heute haben Studierendenschaf-
ten ein hochschulpolitisches Mandat, das ihnen die Mög-
lichkeit gibt, zu allen hochschulrelevanten Themen und
der spezifischen Situation ihrer Ausbildung Stellung zu
beziehen. Dies hat sich als richtig herausgestellt, zumal so
die Studienbedingungen kritisiert und Verbesserungen
durchgesetzt werden können.
Darum geht es Rot-Grün aber nicht. Sie wollen, dass
die Studierendenschaften zu allgemeinen gesellschaftli-
chen und damit auch allgemeinen politischen Fragen Stel-
lung beziehen. Dies haben manche ASten in der Vergan-
genheit schon rechtswidrig gemacht. Ich erinnere mich
gut an Aktivitäten von ASten, die, mit riesigen Steuergel-
dern finanziert, rechtswidrig Kampagnen für Kuba und
Nicaragua und gegen den NATO-Doppelbeschluss veran-
staltet haben. Dies ging zulasten der Steuerzahler. Es
nervte die Studierenden, die wollten, dass sich die ASten
endlich um ihre konkrete hochschulpolitische Situation
kümmern und nicht eine allgemeine Politik der Weltver-
besserung betreiben.
Eine Veränderung, die die politische Linke bisher nicht
hat durchsetzen können und die die deutschen Gerichte
bis zum Bundesverwaltungsgerichtsurteil von 1969 eben-
falls untersagt haben, versucht Rot-Grün nun in einem
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 200222116
(C)
(D)
(A)
(B)
neuen Aufgalopp mittels einer Gesetzesänderung durch-
zusetzen.
Das allgemeinpolitische Mandat ist auch deshalb un-
zweckmäßig und ein Rechtsverstoß, weil es sich bei ein-
gerichteten Studentenschaften um Zwangskörperschaften
handelt. So hat auch das Oberverwaltungsgericht in Müns-
ter am 6. September 1994 entschieden, dass „eine nicht
unmittelbar auf den Bereich der Hochschule und die spe-
zifischen Interessen von Studenten begrenzte politische
Betätigung der Studentenschaft verfassungswidrig in den
individuellen Freiheitsbereich der Mitglieder eingreift.
Da sich die Studierenden unsinniger und ideologischer
Äußerungen oder allgemeinpolitischer Kampagnen von
ASten nicht durch Austritt aus der Studentenschaft als
Zwangskörperschaft entziehen können, stellt die Wahr-
nehmung des allgemeinpolitischen Mandats durch Stu-
dentenvertretungen einen verfassungswidrigen Eingriff in
den individuellen Freiheitsbereich der Studierenden dar.
Aus diesen Gründen lehnt die CDU/CSU-Bundestags-
fraktion ein allgemeines politisches Mandat für die Stu-
dierendenschaften weiterhin nachdrücklich ab.
Anstatt neue, unsachgemäße Hochschulgesetze zu be-
schließen, sollte die rot-grüne Bundesregierung erst ein-
mal wesentliche verkorkste Teile ihrer Fünften HRG-No-
velle zurücknehmen. Den Schaden, den Ministerin
Bulmahn mit ihrer Hochschulpolitik bei der Fünften
HRG-Novelle angerichtet hat, kann man vor Ort an den
Hochschulen in Deutschland besichtigen.
Selten hat es einen solchen Protest gerade aus den Geis-
teswissenschaften und den Rechtswissenschaften wie ge-
gen die faktische Abschaffung der Habilitation gegeben.
Selten hat es einen solchen Protest des akademischen Mit-
telbaus wie gegen die Fünfte HRG-Novelle durch Rot-
Grün gegeben. Im Mittelpunkt des Protests stehen die
neuen Befristungsregelungen für Arbeitsverträge, die Bil-
dungsministerin Bulmahn zu verantworten hat. Stattdes-
sen spricht sie von „Panikmache“ und beschimpft den
akademischen Mittelbau. Anstatt von „Panikmache“ zu
sprechen, müssen aber Lösungen her.
Offensichtlich sind die Befristungsregelungen für Ar-
beitsverträge aus der Sicht der Betroffenen an den Hoch-
schulen nicht praxistauglich. In zahlreichen Initiativen an
deutschen Hochschulen haben sich Vertreter des akade-
mischen Mittelbaus gegen die Fünfte HRG-Novelle von
Ministerin Bulmahn organisiert. Aus Furcht davor, dass
Wissenschaftler nach mehreren befristeten Arbeitsverträ-
gen eine Dauerstelle vor Gericht erfolgreich einklagen
können, droht vielen Nachwuchswissenschaftlern seitens
der Hochschulverwaltung jetzt das berufliche Aus.
Es wäre absurd, wenn durch die Neuregelung jetzt
viele Nachwuchswissenschaftler ins Ausland getrieben
würden, während die Bundesregierung andererseits Ini-
tiativen startet, um dem „Brain drain“ zu begegnen und
Wissenschaftler aus dem Ausland nach Deutschland
zurückzuholen.
Deshalb fordere ich Bildungsministerin Bulmahn auf,
die Sechste HRG-Novelle zurückzuziehen und erst ein-
mal die von ihr durch die Fünfte HRG-Novelle verur-
sachten Schäden für den akademischen Mittelbau zu re-
parieren.
Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wir alle wissen, dass die Studierendenzahlen in Deutsch-
land schon zu niedrig sind. Wir wollen deshalb mehr
Schülerinnen und Schüler motivieren, ein Studium aufzu-
nehmen. Der Zugang zu den Hochschulen muss erweitert,
die Qualität der Lehre verbesssert und innovative Bil-
dungsangebote der Hochschulen müssen gefördert wer-
den.
Jede Form der Bestrafungsrhetorik wie etwa im Sinne
von Strafgebühren für Langzeitstudierende ist dabei kon-
traproduktiv. Die Forderung nach Gebühren für so ge-
nannte Langzeitstudierende ist im besten Fall als populis-
tisch zu bezeichnen. Sie zielt an den wahren Problemen
der Hochschulen vorbei und benennt in verkürzter Form
Sündenböcke: „die faulen Studenten. Wir haben es ja
schon immer gewusst, aber nun werden sie öffentlich vor-
geführt.“ Diese Art des Vorgehens folgt schlicht dem
Motto: Wer nicht hören kann, muss zahlen!
Die wahren Ursachen für die schlechte Ausbildungs-
situation und tatsächlich zu lange Studienzeiten bleiben
dabei im Verborgenen: die unzureichende finanzielle Aus-
stattung der Hochschulen; die häufig schlecht strukturier-
ten Studiengänge, mangelnde Beratung und Betreuung
und oft überfüllte Seminare; unterschiedliche Gründe wie
Erziehungszeiten, erste Schritte auf dem Arbeitsmarkt
oder schlicht Jobben verlängern Studienzeiten um einige
Semester. Allein die Abschreckung der Langzeitstudie-
renden, von denen viele gar nicht mehr die Hochschule
besuchen, wird die Situation an den Hochschulen um kei-
nen Deut verbessern.
Wir, die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen,
haben uns deshalb dafür eingesetzt, das in dieser Sechsten
HRG-Novelle eine Alternative zu Gebühren ermöglicht
wird: Bildungsgutscheine. Bildungsgutscheine werden
nur dann zu einem wirklichen Element der Nachfra-
gesteuerung, wenn die Nachfragenden über genügend In-
formationen verfügen, um ihre Marktmacht auch einzu-
setzen.
Bildungsgutscheine sind zuallererst Ansprüche der
Hochschulberechtigten auf ein Hochschulstudium. Sie
sind steuerfinanziert und bedeuten deshalb keinen Über-
gang zu Studiengebühren. Bildungsgutscheine schaffen
Anreize für Hochschulen, über attraktive Studienange-
bote nachzudenken, und ermutigen sie, neue, differen-
zierte Studienangebote einzuführen, mit denen sie mehr
Studierende an ihre Hochschule locken. Drittens schaffen
sie Anreize für die Hochschule, über einen effizienteren
Einsatz der SWS nachzudenken.
Bildungsgutscheine schaffen auf der anderen Seite
auch Anreize für Studierende. Sie fördern die Etablierung
eines Kostenbewusstseins bei den Studierenden, sie
schaffen positive Anreize für die Studierenden, ihr Stu-
dium zügig zu absolvieren, und sie geben Anreize, sich
weiterzubilden.
Die Idee ist gut. Wir erhoffen uns durch einen Über-
gang zu einer stärkeren Nachfrageorientierung bei der
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2002 22117
(C)
(D)
(A)
(B)
Studienfinanzierung insgesamt eine Qualitätsverbesse-
rung des Studiums.
Mit der Sechsten HRG-Novelle verpflichten wir die
Länder außerdem, künftig an allen Hochschulen verfasste
Studierendenschaften zu bilden. Die bisherige Regelung,
die den Ländern die Bildung verfasster Studierenden-
schaften freistellt, trägt dem Interesse einer funktionie-
renden studentischen Selbstverwaltung nicht in ausrei-
chendem Maße Rechnung.
Drittens wird mit dieser Novelle der Grundstein dafür
gelegt, dass Bachelor- und Master-Studiengänge aus dem
Erprobungsstadium in das Regelangebot der Hochschulen
überführt werden. Dies ist ein weiterer Schritt in Richtung
Internationalisierung der Hochschulen in Deutschland.
Lassen Sie mich zum Abschluss zur Befristungsrege-
lung im Rahmen der Dienstrechtsreform, die an Hoch-
schulen und wissenschaftlichen Einrichtungen zu hefti-
gen Debatten geführt hat, auf Folgendes hinweisen: Wir
werden uns dafür einsetzen, dass unbefristete Beschäfti-
gungsverhältnisse auch über die zwölfjährige Qualifizie-
rungsphase hinaus möglich bleiben. Ob dies einer gesetz-
lichen Präzisierung im Rahmen der Sechsten HRG-
Novelle bedarf, prüfen wir derzeit.
Ulrike Flach (FDP): Es ist schon erstaunlich, wie die
Bundesregierung angesichts der massiven Verunsiche-
rung des wissenschaftlichen Mittelbaus an den Hoch-
schulen seelenruhig einen Gesetzesentwurf einbringt, der
sich um dieses zentrale Thema überhaupt nicht kümmert.
Die Neuregelung des § 57 HRG führt zu einem Flächen-
brand an unseren Unis. Täglich erreichen uns Hilferufe
von Fakultäten, die Ihre Fünfte HRG-Reform als kata-
strophal bewerten. In einer Anzeige in der Westfalenpost
fordert die Fakultät für Geschichtswissenschaft an der
Uni Bielefeld den Rücktritt der Ministerin, weil ihre Neu-
regelung „wissenschaftliche Projekte in vielen Bereichen
künftig unmöglich machen“. Ihr mühsam aufgebautes Re-
nommee reißen Sie mit diesem handwerklichen Fehler.
ein. Wir haben schon in der Beratung des Fünften HRG
immer davor gewarnt, die Zukunft der jungen wissen-
schaftlichen Mitarbeiter zu gefährden, und dies war einer
von drei Punkten, warum wir Ihre Reform abgelehnt haben.
Einige in der Koalition wissen genau, dass die Reform
misslungen ist. Dr. Peter Eckardt hat in der „Süddeut-
schen Zeitung“ vom 24. Januar Korrekturvorschläge vor-
gelegt, Dr. Reinhard Loske hat in der „Frankfurter Rund-
schau“ vom 25. Februar „Nachsteuerungen“ gefordert. Im
vorgelegten Gesetzestext findet sich davon kein Wort. Ich
mache es Ihnen zum Vorwurf, dass Sie wissen, dass Sie
Fehler gemacht haben, sie auch benennen, aber keine An-
stalten zu ihrer Reparatur machen. Sie sind verantwortlich
für die entstehende „Bulmahn-Opfergeneration“.
Mit dem Sechsten HRG wollen Sie die Hochschulen
noch enger mit Regelungen einschnüren. Wir brauchen
keine zwangsweise Einführung der verfassten Studieren-
denschaft. Das ist ein Show-Antrag für einige Juso-Asta-
Funktionäre. Lassen Sie die Hochschulen doch selbst über
ihre Organisationsform entscheiden! Wir brauchen kein
gesetzliches Verbot von Studiengebühren, denn auch hier
setzen wir auf die Autonomie der Hochschulen. Ihr Ent-
wurf enthält zudem zahlreiche Ausnahmen. Die Länder
können in „begründeten Fällen“ Gebühren erheben.
Was Sie vorschlagen, ist ein vollmundig vorgeschla-
genes Studiengebührenverbotsgesetz, hinter dem sich die
unsozialste Form von Gebühren versteckt: Gebühren für
Langzeitstudierende, Senioren, Gasthörer, Gebühren für
Prüfungen und Einschreibungen.
Wir lehnen auch Ihren dritten Punkt ab, die Festschrei-
bung der Bachelor- und Master-Studiengänge als Regel-
form. Kultusministerkonferenz, Hochschulrektorenkon-
ferenz und Wissenschaftsrat haben für die europäische
Vergleichbarkeit immer betont, dass eine Erprobungs-
phase für die in Deutschland neuen Studiengänge unver-
zichtbar ist. Das gilt vor allem für ihre Akzeptanz auf dem
Arbeitsmarkt. Für die Akkreditierung wurden aufwendige
und teure Verfahren erdacht. Erst 42 von 1 093 Studien-
gängen, die von den Ländern genehmigt wurden, sind
zwischenzeitlich akkreditiert.
Was Sie jetzt machen, ist der Abbruch der Erprobung.
Konsequenterweise müssten Sie jetzt auch die Akkredi-
tierungsagentur auflösen. Das tun Sie offensichtlich nicht.
Sinn und Zweck dieser Aktion sind nicht nachvollziehbar.
Bisher weiß niemand, wie die neuen Studiengänge am Ar-
beitsmarkt ankommen. Zur Bulmahn-Opfergeneration
der wissenschaftlichen Mitarbeiter käme dann eine Lost
Generation von Leuten ohne Arbeitsplatzchance. Machen
Sie deshalb die Chance für mehr Internationalität unserer
Studiengänge nicht durch überhastete Festschreibung ka-
putt!
Wir werden einen eigenen Antrag vorlegen, der die
Fehler Ihrer Fünften Novelle bereinigt und das Hoch-
schulrahmengesetz so entrümpelt, dass die Hochschulen
endlich mehr Freiheit erhalten.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Die Bundesregierung ist mit dem Ver-
sprechen angetreten, das Studium an unseren Hochschu-
len attraktiver zu machen. Dieses Versprechen lösen wir
ein und das Sechste Gesetz zur Änderung des Hochschul-
rahmengesetzes – 6. HRGÄndG – leistet dazu einen wich-
tigen Beitrag!
Es geht um drei Punkte:
Erstens sichern wir mit der vorliegenden Gesetzes-
novelle die Studiengebührenfreiheit für das Erststudium
in Deutschland. Die Länder haben sich mit dem „Meinin-
ger Beschluss“ – vom 25. Mai 2000 – zwar inhaltlich auf
einen Kompromiss verständigt, aber keine feste Regelung
getroffen. Deshalb hat die Bundesregierung jetzt gehan-
delt. Für ein Studium bis zum ersten berufsqualifizierenden
Abschluss sowie für ein Studium in einem konsekutiven
Studiengang, der zu einem weiteren berufsqualifizieren-
den Abschluss führt, wird im HRG der Grundsatz der Stu-
diengebührenfreiheit festgeschrieben. Ausnahmen sind
nur in eng definierten Grenzen zulässig. Damit schaffen
wir auch die Grundlage für neue Modelle wie Studien-
konten oder Bildungsgutscheine.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 200222118
(C)
(D)
(A)
(B)
Zweiter Punkt: Bachelor- und Master-Studiengänge
werden aus dem Erprobungsstadium in das Regelangebot
der Hochschulen überführt. Schon heute gibt es an deut-
schen Hochschulen mehr als 1 000 Studiengänge, die mit
einem Bachelor- oder Master-Grad abgeschlossen wer-
den. Diese Entwicklung ist so erfolgreich, dass wir sie nun
langfristig rechtlich absichern wollen. Wir schaffen damit
mehr Verlässlichkeit für die Studierenden und stärken die
internationale Ausrichtung unserer Hochschulen.
Und drittens: Wie im Koalitionsvertrag beschlossen,
wird es künftig an allen deutschen Hochschulen verfasste
Studierendenschaften geben. Mitbestimmung und die
demokratische Vertretung studentischer Belange müssen
in allen Bundesländern gewährleistet sein. Auch das
gehört zur Attraktivität unserer Hochschulen. Eine starke
bundesweite Vertretung der Studierenden ist für uns
außerdem ein wichtiger Gesprächspartner für die Fortset-
zung unserer Reformen im Hochschulbereich.
Diese Reformen setzen an vielen Punkten an und ver-
binden Modernität mit Chancengleichheit und sozialer
Gerechtigkeit. Die HRG-Novelle ist ein wichtiges Ele-
ment dieser Strategie.
Wie wichtig gerade diese Verbindung ist, zeigt ein
Blick auf die Zahl der Studienanfänger in Deutschland:
Mit einem Anteil von 28 Prozent liegen wir deutlich
unter dem internationalen Durchschnitt. In den USA
beginnen 44 Prozent aller Jugendlichen nach der Schule
ein Studium, in Israel 49 Prozent und in Finnland sogar
58 Prozent. Wenn es nicht gelingt, dass mehr junge Men-
schen bei uns ein Studium beginnen und auch erfolgreich
abschließen, dann werden uns in Deutschland bis zum
Jahr 2010 eine Viertel Million Akademiker fehlen. Wir
brauchen also mehr und besser ausgebildete Hochschul-
absolventen. Dazu muss das Studium an unseren Hoch-
schulen für junge Menschen aus dem In- und Ausland
attraktiver werden. Die Bundesregierung hat deshalb die
Investitionen in Bildung und Forschung auf das Rekord-
volumen von 8,8 Milliarden Euro hochgeschraubt, ver-
krustete Strukturen aufgebrochen und ein ehrgeiziges
Reformprogramm für die Hochschulen gestartet.
Wichtige Stichworte sind hier die Dienstrechtsreform,
mit der wir die Juniorprofessur und eine leistungsorien-
tierte Besoldung für unsere Hochschullehrer einführen,
die internationale Ausrichtung unserer Hochschulen, die
intensive Förderung von Nachwuchswissenschaftlern und
das virtuelle Studium, mit dem wir die weltweite Vernet-
zung der deutschen Hochschullandschaft vorantreiben.
Und die Bundesregierung hat das BAföG reformiert und
damit echte Chancengleichheit geschaffen. Niemand muss
heute mehr aus finanziellen Gründen auf ein Studium ver-
zichten.
Aber was wir hier mit der einen Hand geben, dürfen
wir mit der anderen Hand durch Studiengebühren nicht
wieder aus dem Portemonnaie nehmen. Das wäre nicht
nur widersinnig, sondern würde gerade auch unser Ziel
konterkarieren, mehr junge Menschen für ein Studium zu
gewinnen. Studierende und ihre Eltern brauchen verläss-
liche Rahmenbedingungen für ihre Zukunftsplanung.
Schon die öffentliche Diskussion über die Einführung von
Studiengebühren hat viele junge Menschen verunsichert.
Denn Studiengebühren schrecken ab.
Das zeigt auch der internationale Vergleich: Nach einer
aktuellen Erhebung ist in Österreich mit der Einführung
von Studiengebühren ab dem 1. Semester die Zahl der Stu-
dierenden um 20 Prozent zurückgegangen. Auch ein Blick
nach Großbritannien demonstriert die abschreckende Wir-
kung von Studiengebühren: In England stagnieren die Stu-
dierendenzahlen seit der Einführung von Studiengebühren
1998, während sie an den – nach wie vor – gebührenfreien
schottischen Hochschulen deutlich gestiegen sind. Irland
zum Beispiel hat erst vor kurzen die Studiengebühren wie-
der abgeschafft.
Nach der massiven Erhöhung des BAföG, der erfolg-
reichen Einführung von Bildungskrediten und dem Aus-
bau der Familienförderung ist die Festschreibung der
Gebührenfreiheit für ein erstes berufsqualifizierendes
Studium ein wichtiger Anreiz, damit sich mehr junge
Leute für ein Studium entscheiden.
Die Verankerung der Studiengebührenfreiheit im HRG
sichert bundesweit vergleichbare Studienbedingungen für
alle grundständigen Studienangebote. Das ist notwendig,
weil abzusehen ist, dass bei unterschiedlichen Regelun-
gen in den Ländern ein Run auf gebührenfreie Hochschu-
len einsetzen würde. Kapazitätsengpässe und schlechtere
Studienbedingungen wären die Folge. Das wollen wir
verhindern! Es wäre schon ein Stück aus dem Tollhaus,
wenn in Deutschland Studierende nicht mehr ohne Pro-
bleme von einem Bundesland ins andere wechseln kön-
nen, während wir uns gleichzeitig in Europa anstrengen,
vergleichbare Studienbedingungen zu schaffen und die
Mobilität zu verbessern.
Es ist eine gute europäische Tradition, dass junge Men-
schen unabhängig von ihrer sozialen Herkunft und ihren
finanziellen Möglichkeiten eine gute Ausbildung erhal-
ten, ohne dass sie dafür bezahlen müssen – und eine Er-
rungenschaft, an der wir festhalten wollen. Die Sechste
HRG-Novelle ist dazu ein wichtiger Schritt!
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts zu dem Antrag: Bekämpfung der Steu-
erkriminalität durch kontinuierliche und bun-
deseinheitliche Betriebsprüfung (Tagesord-
nungspunkt 26)
Lydia Westrich (SPD): Auch wenn dieser Antrag der
PDS-Fraktion zu der typischen Serie „Ältere SPD An-
träge neu aufgelegt“ gehört, will ich keineswegs den Ernst
und die Brisanz des Themas „Bekämpfung der Steuerhin-
terziehung und der Wirtschaftskriminalität“ herunterspie-
len.
Wer Steuergerechtigkeit sagt und ernsthaft will, muss
immer auch die Beseitigung des Missbrauchs gesetzlicher
Regelungen im Auge haben. Und da haben die Sozialde-
mokraten keine Nachhilfestunde nötig. Wir haben dieses
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2002 22119
(C)
(D)
(A)
(B)
Thema schon in den Oppositionsjahren mit vorangetrie-
ben. Wir haben da bereits veränderte Handlungsweisen
der Bundes- und Länderbehörden durch verstärkte öffent-
liche Diskussion mit bewirkt. Und jetzt sind die Bundes-
regierung und die Koalitionsfraktionen mittendrin, die zur
Verfügung stehenden Mittel und Wege zur Verhinderung
von Steuerhinterziehung erfolgreich auszuschöpfen,
meistens gegen die Stimmen der Opposition.
Es ist noch gar nicht so lange her, dass ein Minister-
präsident von Baden-Württemberg – Lothar Späth war es –
die weit auseinander klaffenden Betriebsprüfungszeiten
in seinem Land als Beitrag zur Wirtschaftsförderung be-
zeichnet hatte. Über dieses Stadium sind wir in allen Län-
dern endlich hinausgewachsen. Das zeigen bereits die Be-
triebsprüfungsstatistiken der Jahre 1997 und 1998, die die
deutsche Steuergewerkschaft veröffentlicht hat. Und es
hat sich weiter verbessert. Zur Steuerfahndung sagt die
Steuergewerkschaft, sie – die Steuerfahndung – sei, wenn
auch nicht ausreichend, so doch spürbar aufgestockt wor-
den.
Natürlich haben in dieser Zeit auch spektakuläre Fälle
von Steuerhinterziehung einen öffentlichen Druck verur-
sacht, ob das im Tennissport oder im Bankwesen war.
Aber egal wie, auch Baden-Württembergs Betriebsprü-
fungsstatistiken lesen sich nun ganz ordentlich.
Inzwischen sind wir schon so weit, dass der eine oder
andere Rechnungshof sein Augenmerk mehr auf eine Ver-
stärkung des Innendienstes richtet, weil die Aufstockung
der Mitarbeiter im Außendienst in den letzten Jahren sehr
schnell vor sich ging und hochqualifizierte, engagierte
Kräfte dem Innendienst entzogen hat. Die Ausstattung der
Steuerfahndung liegt fast überall weit über Mindeststan-
dards. Aber sicher müssen die Länder hier ständig nach-
rüsten, weil das Aufdecken von kriminellen Delikten
nicht an der Ausstattung scheitern darf. Aber es ist ihre
Zuständigkeit, die sie sich nicht wegnehmen lassen wer-
den.
Allerdings gibt es noch etliche bürokratische Hemm-
nisse, gerade wenn es grenzüberschreitende Maßnahmen
betrifft, die wir ernsthaft angehen müssen. Insgesamt ha-
ben wir – die Bundesregierung, die Koalitionsfraktionen
und die Länder – große Schritte in Richtung Bekämpfung
der Steuerkriminalität gemacht – gegen den vereinten Wi-
derstand der Opposition.
Das heißt nicht, dass wir uns zufrieden zurücklehnen –
die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen arbei-
ten kontinuierlich an der Beseitigung des durch die
frühere Regierung entstandenen Eindrucks, Steuerhinter-
ziehung sei nur ein Kavaliersdelikt. Das ist eine mühsame
Geschichte; denn wie die Deutsche Steuergewerkschaft
schreibt, war Steuerhinterziehung ja beinahe Massensport
und die Hinterzieher in den Augen der Bürger keine
Straftäter, sondern „besonders intelligente“ Menschen,
die den Staat austricksen können.
Die Einsicht, dass diese Steuerhinterzieher mitverant-
wortlich für das Finanzdesaster sind, dass sie der Allge-
meinheit Leistungen entziehen, die der Staat wegen der
Steuerausfälle nicht mehr erbringen kann, können wir
nicht in moralisierenden Sonntagsreden, sondern nur in
praktischen Beispielen vermitteln. Das beginnt mit der
Bereinigung vorhandener Steuergesetze. Wie wollen Sie
das Rechtsempfinden der Bürger stärken, wenn zum Bei-
spiel Schmiergelder zum Steuerabzug zugelassen waren?
Die langjährige Forderung der Sozialdemokraten nach
Nichtabsetzbarkeit von Bestechungsgeldern haben wir
bald umsetzen können. Wir haben begonnen, Steuer-
schlupfloch um Steuerschlupfloch zu schließen.
Ich kann mich gut erinnern, dass gerade die PDS-Frak-
tion bei der Anhörung und Diskussion um das Steuerent-
lastungsgesetz 1999/2000/2002 die praktische Umset-
zung von einigen früheren Forderungen Punkt für Punkt
in Frage gestellt hat – weil es Gegenwind gegeben hat,
weil Standfestigkeit gefragt war. Populistische Reden al-
lein führen noch keinen Schritt zu einer gerechteren Steu-
ergesetzgebung.
Deshalb lehne ich Ihren Antrag auch gerne ab. Nach
den Erfahrungen, die wir bisher mit Ihnen gemacht haben,
traue ich Ihnen noch nicht einmal zu, dass Sie einer Än-
derung des § 30 a der Abgabenordnung, des so genannten
Bankgeheimnisses, zustimmen, weil es natürlich nicht
populär ist, deswegen vorsichtshalber nicht in Ihren For-
derungen enthalten. Aber es sind diese Paragraphen, die
Steuerkriminalität begünstigen und die Steuerrechts-
pflege schwierig machen. Wir werden darangehen, auch
legale Steuerumgehung soweit wie möglich einzudäm-
men.
Wir kommen auch voran im Bemühen um eine eu-
ropäisch abgestimmte Regelung für eine Erfassung der
Kapitaleinkünfte. Steueroasen – das muss ein Unwort
werden. Nicht halbherzig, sondern umfassend und sorg-
fältig nehmen wir uns die Bekämpfung des Missbrauchs,
der Steuerhinterziehung und der Schattenwirtschaft vor,
begleitet von zahlreichen Widerständen, weil Menschen
sich bequem in diesen Nischen und Oasen eingerichtet
hatten. Aber wir können nicht weiter laufen lassen, was
sich fast eingebürgert hatte: illegale Arbeitnehmerüber-
lassung, Schwarzgeschäfte, Vortäuschung von Beschäfti-
gungsverhältnissen, Vertragsmanipulation, Kapitalflucht
in Steueroasen, Gewinnverlagerungen ins Ausland, Ka-
russellgeschäfte, Scheinbetriebsausgaben, Scheinunter-
nehmer, Einsatz von Arbeitnehmern für Privatzwecke,
Kompensationsgeschäfte, Verschleierung von Kapitalein-
künften usw. Der kriminellen Energie und Fantasie sind
keine Grenzen gesetzt.
In vielfältiger Weise hat die Bundesregierung und die
sie tragenden Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen Gesetze und Gesetzesvorschriften erlassen, die
diesen Sumpf austrocknen sollen und werden. Sie waren
ja selbst an der Beratung beteiligt: erst kürzlich das Ge-
setz zur Eindämmung illegaler Beschäftigung im Bauge-
werbe auf dringenden Wunsch der Betroffenen und der
Länder oder das Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz,
das der Verwaltung endlich sachgerechte Instrumente an
die Hand gibt, gegen organisierte banden- und gewerbe-
mäßige Steuerhinterziehung vorzugehen.
Die CDU/CSU und FDP reden zwar oft von Steuerge-
rechtigkeit, bekämpfen aber jeden Versuch, sie auch
tatsächlich zu schaffen. Das hängt teilweise sicher noch
am alten Denken, dass fehlende Betriebsprüfungen ein
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 200222120
(C)
(D)
(A)
(B)
günstiger Standortfaktor seien. Sie vergessen dabei eines,
das sich die Ehrlichen immer mehr als die Dummen vor-
kommen, ja, dass gesunder Wettbewerb massiv behindert
wird. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen
haben im Gegensatz dazu den hohen Anspruch, Steuerge-
rechtigkeit zu verwirklichen.
Die Ausfälle, die dem Staat durch Wirtschaftskrimina-
lität und Steuerhinterziehung entstehen, zahlen diejeni-
gen, die ehrlich ihre Steuern zahlen mit, und das sind bei-
leibe nicht nur die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Wir fördern die Steuerehrlichkeit am besten, wenn wir
unseren Weg fortsetzen, die Steuerschlupflöcher zu
schließen, die Bemessungsgrundlage zu verbreitern und
das Steuerrecht wieder einfacher und gerechter zu gestal-
ten.
Wir wissen, dass wir der Steuerverwaltung einen ho-
hen Arbeitseinsatz abverlangen. Bei der Gesetzesflut ge-
raten die Mitarbeiter an den Rand ihrer Belastbarkeit. Sie
sind gut ausgebildet, hoch qualifiziert. Dass die Motiva-
tion ins Wanken gerät, hat viel mit dem ständig steigen-
den Arbeitsdruck zu tun. Durch die von uns laufend ver-
änderten Gesetzesvorschriften wird flexibles Denken und
stetiges Weiterlernen verlangt. Vor einigen Jahren hat der
Finanzausschuss eine dreitägige Anhörung zur Lage der
Finanzverwaltung durchgeführt. Das hat unter anderem
zu einer Verbesserung der Zusammenarbeit der Länder in
diesem Bereich, zu einer eigenen Berufsbezeichnung für
den mittleren Dienst und zu einer besseren Ausstattung
geführt.
Ich halte es für angebracht, dass wir mit den Praktikern
aus den Verwaltungen erneut in die Diskussion eintreten
und mit ihnen und den Ländern erarbeiten, wie wir Steu-
erkriminalität am erfolgreichsten bekämpfen können, wie
Vollzugsdefizite abzubauen sind, wo bürokratische ent-
behrliche Hemmnisse abgeräumt werden müssen und wie
wir insgesamt die verantwortungsvolle Arbeit der Steuer-
verwaltung in neu motivierte Bahnen lenken können.
Einzelmaßnahmen wie der sowieso teilweise überholte
Antrag der PDS helfen auf diesem Weg nicht weiter. Wir
werden ihn daher ablehnen. Aber ich bin überzeugt, dass
alle Fraktionen zusammen daran interessiert sein werden,
Steuergerechtigkeit nicht nur durch Gesetze, sondern
auch mit einer gut funktionierenden Verwaltung zu ver-
wirklichen. Also nehmen wir das Gespräch ernsthaft auf.
Die Ideen und Erfahrungen der Praktiker werden uns ein
gutes Stück auf diesem Weg voranbringen, und ich freue
mich darauf, diese Erkenntnis gemeinsam mit den Län-
dern und mit den Kolleginnen und Kollegen umzusetzen.
Elke Wülfing (CDU/CSU): Der uns vorliegende An-
trag der PDS zur Verschärfung der Betriebsprüfungen ist
ein Asbach-uralter Antrag, den Sie besser zurückgezogen
hätten. Dass Sie das nicht getan haben, beweist Ihre im-
mer noch ungebrochene Gläubigkeit an Staatskontrolle
und Überwachungsstaat. Leider haben sich die rot-grüne
Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen von
dieser Staatsgläubigkeit und von der Überwachungsmen-
talität anstecken lassen.
Hier einige Beispiele: Mit dem Steuerverkürzungs-
bekämpfungsgesetz ist bei der Umsatzsteuerprüfung eine
unangekündigte Nachschau ohne Anfangsverdacht mit
der Erlaubnis von Kontrollmitteilungen zu anderen Steu-
ertatbeständen eingeführt worden. Des Weiteren wurde
die Nichtzahlung von Umsatzsteuer als Verbrechen und
damit als vermutete Vortat zur Geldwäsche eingestuft.
Ebenfalls geändert und verschärft wurden die §§ 146 ff.
der Abgabenordnung. Danach hat der Betriebsprüfer jetzt
Datenzugriff auf alle digital erfassten Betriebsdaten.
Allein diese drei Beispiele beweisen das grundsätzli-
che Misstrauen dieser rot-grünen Bundesregierung ge-
genüber jedem anständigen Unternehmer, der sich
bemüht, Produkte zu verkaufen, Arbeitsplätze zu schaffen
und in der Rezession zu überleben.
Dass Betriebsprüfungen notwendig sind, darüber kann
selbstverständlich kein Zweifel bestehen. Obwohl sich
die Anzahl der zu prüfenden Betriebe in den letzten Jah-
ren nicht erhöht hat, haben die obersten Finanzbehörden
der Länder die Anzahl der Betriebsprüfer seit 1995 um
1 200 erhöht, die auch tatsächlich durch die Prüfung allein
im Jahr 2000 Mehrsteuern von 27,4 Milliarden DM ein-
genommen haben. Darin sind die Lohnsteueraußenprü-
fung, die Umsatzsteuersonderprüfung und die Steuer-
fahndung nicht einmal enthalten.
Wer mehr Steuereinnahmen haben will, als zum Bei-
spiel bei der Körperschaftsteuer im letzten Jahr herausge-
kommen ist, der muss eine vernünftige Steuerreform ma-
chen. Der massive Rückgang bzw. der Negativsaldo bei
der Körperschaftsteuer hat natürlich zur Ursache, dass die
Erstattungen von Körperschaftsteuer infolge der Herstel-
lung der Ausschüttungsbelastung sehr stark angestiegen
sind. Ursächlich für diese hohen Ausschüttungen ist die
Tatsache, dass das Vollanrechnungsverfahren in diesem
Jahr letztmalig zur Anwendung gekommen ist. Aber auch
die Senkung des Thesaurierungssatzes von 40 auf 25 Pro-
zent führt natürlich zu deutlich niedrigeren Vorauszahlun-
gen.
Wie eine SPD-geführte Bundesregierung – die von sich
immer behauptet, sich um die Belange der kleinen Leute
und des Mittelstandes besonders zu kümmern – es mit
ihrem eigenen Programm vereinbaren kann, gerade das
Großkapital so massiv zu entlasten, bleibt mir ein Rätsel.
Dass aber die so auf soziale Gerechtigkeit bedachten Ge-
werkschaften angesichts dieser Tatsache nicht auf die
Barrikaden gehen, ja dass sie daran sogar mitwirken, in
mitbestimmten Unternehmen Vorstandsgehälter und Ab-
findungen in Millionenhöhe zu genehmigen, finde ich
einfach schlimm.
Hätten Sie 1997 die Steuerreform der CDU/CSU- und
FDP-geführten Bundesregierung nicht im Bundesrat
blockiert, wären Sie jetzt in der konjunkturell schwierigen
Lage weitaus besser dran. Seit vier Jahren hätte die Wir-
kung der Steuersenkung vor allen Dingen bei den 83 Pro-
zent der Personenunternehmen schon Wirkung zeigen
können. Auch die Kapitalgesellschaften wären mit dem
von uns damals vorgeschlagenen Satz von 30 in die Lage
versetzt worden, in guten konjunkturellen Zeiten Arbeits-
plätze zu schaffen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2002 22121
(C)
(D)
(A)
(B)
Mein Mitleid gilt den vielen kleinen und mittleren Be-
trieben, die jetzt aufgrund Ihrer verkorksten Steuerreform
und der dazukommenden Konjunkturschwäche Pleite ge-
hen. Die Zahl der Insolvenzen hat sich immerhin im Jahr
2001 auf 38 000 erhöht. Überall in unseren Wahlkreisen
lesen wir jeden Tag von neuen Insolvenzanträgen und
drastisch ansteigenden Arbeitslosenzahlen. Mein Mitleid
angesichts der daraus resultierenden Steuerausfälle für
den Bundesfinanzminister hält sich allerdings in gewissen
Grenzen.
Das Thema ist zurzeit deshalb auf gar keinen Fall, noch
schärfere Betriebsprüfungen einzuführen – in einer Zeit,
wo zu Hunderten und Tausenden Betriebe in Konkurs ge-
hen. Das Thema muss sein: Wie schaffen wir eine Steuer-
reform, die die hohen Anforderungen für Betriebsprüfun-
gen deswegen unnötig macht, weil das Steuersystem
einfacher und gerechter geworden ist? Professor Kirchhof
hat dazu im letzten Jahr interessante und bedenkenswerte
Vorschläge auf den Tisch gelegt. Leider hat die rot-grüne
Bundesregierung dafür nur ein müdes Achselzucken
übrig gehabt. Statt einen mutigen Schritt zu tun und eine
für alle Bürger und Unternehmen gerechte und ausgewo-
gene Steuerreform zu erarbeiten, sind Sie wieder einmal
beim Kurieren an Symptomen stehen geblieben.
Ein Ruck müsste durchs Land gehen, hat Bun-
despräsident Herzog gefordert. Wenn die Bundesrepublik
Deutschland nicht am Ende der Wachstumsschlange in
Europa stehen bleiben will, dann ist ein Neuanfang im
Steuerrecht dringend nötig. Dazu haben Sie vier Jahre
Zeit gehabt. Wir werden am 22. September die Wähler
fragen, ob sie einen Neuanfang ebenfalls für richtig hal-
ten. Zurzeit sieht es jedenfalls so aus.
Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Wirtschaftskrimi-
nalität müssen bekämpft werden. Darüber sind wir uns im
Grundsatz sicherlich einig. Die Finanzverwaltung und da-
mit auch die Betriebsprüfungen sind aber nach wie vor in
der Hauptsache eine Ländersache, das ist ebenso unbe-
stritten und soll auch so bleiben.
Der Bund kann – wegen der Personalhoheit der Län-
der – letztendlich dieser nur auffordern, verstärkte An-
strengungen zu unternehmen, Betriebsprüfer auszubilden
und einzusetzen. Diese Appelle werden im Rahmen der
statistischen Auswertung der Betriebsprüfungsergebnisse
auch durch den Rechnungsprüfungsausschuss des Deut-
schen Bundestages immer wiederholt. Wir können fest-
stellen, dass diese Aufforderungen auch im ureigensten
Interesse der Länder lagen, denn die jüngsten Statistiken
über die Betriebsprüfungen zeigen Erfolge.
Nach den statistischen Aufzeichnungen der Länder ha-
ben die Betriebsprüfungen bei gewerblichen Unterneh-
men aller Betriebsgrößen im Jahr 2000 zu Mehrsteuern
von 27,4 Milliarden DM geführt. Ergebnisse der Umsatz-
steuer-Sonderprüfung und der Steuerfahndungsdienste
sind in dieser Zahl noch gar nicht enthalten. Im Vorjahr
lag die Vergleichszahl bei 26,8 Milliarden DM an
Mehrsteuern. Der größte Teil der Mehreinnahmen an
Steuern aufgrund der Betriebsprüfungen erfolgt aus der
Prüfung von Großbetrieben, nämlich 80 Prozent.
Die kontinuierliche Zunahme der Mehreinnahmen an
Steuern ist auf den Mehreinsatz von Betriebsprüfern
durch die Länder zurückzuführen. Die Zahl der Prüfer be-
trug 1997 noch 9 978, im Jahr 2000 immerhin schon
11 106. Dies ist eine Zunahme um 1 128 Prüfer. Wir be-
grüßen grundsätzlich die vermehrten Anstrengungen der
Länder, Betriebsprüfer auszubilden und verstärkt einzu-
setzen. Außerdem kann ich der Statistik entnehmen, dass
die Länder auch mehr Steuerfahnder ausgebildet und ein-
gesetzt haben. 1997 waren erst 2 035 Steuerfahnder im
Einsatz, im Jahr 2000 immerhin 2 463. Auch diese Ent-
wicklung spricht dafür, dass die Finanzverwaltungen der
Länder grundsätzlich bereit waren, mehr für eine funk-
tionsfähige Steuerüberprüfung zu investieren. Auch der
Bund hat bei dem Aufbau der Betriebsprüfungen in den
neuen Ländern durch den Einsatz der Bundesbetriebsprü-
fung des Bundesamtes für Finanzen unterstützend gehol-
fen. Es ist erfreulich, dass einige neue Länder ihre Be-
triebsprüfungsdienste bereits vollständig aufgebaut
haben. Deswegen konnte die Verwaltungshilfe aus den al-
ten Bundesländer vermindert werden.
Letztendlich verbleibt ein großer Teil der Mehrsteuern
bei den Kommunen und Ländern, sodass sich der Perso-
nalmehraufwand sogar mehr als selbst finanziert. Das
Steuersystem mit all seinen Regeln und Ausnahmen funk-
tioniert nur, wenn der Bürger von seiner Funktionsfähig-
keit und damit der leistungsgerechten Besteuerung über-
zeugt ist. Ein Steuersystem ohne funktionsfähigen
Vollzug ist schlicht ungerecht gegenüber den steuerehr-
lichen Bürgern. Das Sprichwort „Der Ehrliche ist der
Dumme“ hätte seine Bestätigung gefunden. Dies wollen
wir nicht! Im Gegenteil: Steuerhinterziehung, Geldwä-
sche usw. sind keine Kavaliersdelikte, sondern ein be-
wusstes Außer-Kraft-Setzen gesellschaftlicher Regeln
zum eigenen Vorteil. Dies darf nicht hingenommen wer-
den. Deswegen begrüßen wir auch die verstärkten An-
strengungen im Rahmen des Vierten Finanzmarktförde-
rungsgesetzes, in dem versucht wird, der international
organisierten Geldwäsche wirksamere Instrumente entge-
genzusetzen. Vermehrte Betriebsprüfungen sind eine Me-
thode, um unlauteren Geschäftsmethoden das Handwerk
zu legen. Die Weiße-Kragen-Kriminalität hat Jahr für Jahr
mehr Schäden angerichtet. Dieser Tendenz kann unter an-
derem mit vermehrten Betriebsprüfungen entgegenge-
wirkt werden. Letztlich müssen die Steuerpflichtigen für
ihr Handeln haften. Steuerhinterziehung muss wirksam
bekämpft werden, um den Gesellschaftsvertrag unter den
Bürgern zu erfüllen.
Carl-Ludwig Thiele (FDP): Was die PDS heute zur
Debatte stellt, steht für ihr Politikverständnis: strenge
Staatsgläubigkeit, eine Aufblähung des Staatsapparats,
die vermeintliche Herstellung von Gerechtigkeit, kurz:
massives Misstrauen gegenüber den Bürgern. Die FDP
lehnt das grundweg ab.
Dieses Denken stammt aus dem letzten Jahrtausend
und gehört in das letzte Jahrtausend. Eine freie, weltof-
fene Gesellschaft muss dem Bürger Freiheit lassen. Er
muss die Chance haben, Eigenverantwortung zu überneh-
men. Der Staat darf nur dort eingreifen, wo es unbedingt
notwendig ist.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 200222122
(C)
(D)
(A)
(B)
Das kann aber doch nur heißen, allen Menschen die
gleichen Startchancen zu geben. Das staatsgläubige Den-
ken der PDS will hingegen das genaue Gegenteil: Die in-
dividuelle Leistung, das Engagement des Einzelnen sollen
erstickt werden durch Gleichmacherei. Die PDS maßt sich
dabei an, festlegen zu können, was gleich und gerecht ist.
Begründet werden die Forderungen mit mehr Steuer-
gerechtitgkeit. Das ist scheinheilig, schürt das Neidden-
ken und entmündigt die Bürger. Unser Steuersystem ist
nicht gerecht; das stimmt. Das liegt aber doch nicht daran,
dass Einzelne zu wenig Steuern bezahlen und – natür-
lich – in den Augen der PDS zu viel verdienen.
Das Steuersystem ist nicht mehr gerecht, weil es un-
verständlich ist, weil es viele Ausnahmen gibt und weil
die Steuerbelastung zu hoch ist. Ein gerechtes Steuersys-
tem werden wir nur dann bekommen, wenn das Steuer-
recht verständlich für alle ist, wenn die Steuerbelastung
maßvoll und damit aktzeptabel für die Bürger ist. Darin
herrscht doch Konsens in unserer Gesellschaft. Die PDS
stellt sich wieder einmal deutlich ins Abseits, wenn sie das
leugnet. Ihr geht es nicht darum, das Steuersystem gerecht
zu machten, sondern darum, mit hohen Steuersätzen und
massiven staatlichen Kontrollmaßnahmen den Menschen
die Früchte ihrer Leistung wegzunehmen.
Für die FDP steht fest: Dieses Denken, diese Grund-
einstellung können wir nicht brauchen.
Anlage 10
Technisch bedingter Neuabdruck einer
zu Protokoll gegebenen Rede
zur Beratung
– des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung
des Unterhaltsvorschussgesetzes
– des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Ände-
rung des Unterhaltsvorschussgesetzes
(218. Sitzung, Tagesordnungspunkt 10 a und b)
Christina Schenk (PDS): Zur Existenzsicherung von
Kindern allein Erziehender gehören monatliche Unter-
haltszahlungen des getrennt lebenden Elternteils. Soweit
die Theorie. Wie viele Kinder ihren Unterhalt tatsächlich
erhalten, weiß niemand genau. Die letzte statistische Er-
hebung stammt von 1978. Wir begrüßen deshalb, dass die
Bundesregierung eine entsprechende Studie in Auftrag
gegeben hat. Heute wird geschätzt, dass nur etwa an ein
Drittel der Kinder der Unterhalt regelmäßig und in voller
Höhe gezahlt wird. Ein weiteres Drittel erhält ihn unre-
gelmäßig oder in zu geringer Höhe und das letzte Drittel
bekommt ihn selten oder nie.
Wird der Unterhalt nicht gezahlt, streckt seit 1979 der
Staat aus der Unterhaltsvorschusskasse einen Teil des ge-
schuldeten Betrages vor. Der Unterhaltsvorschuss wird
jedoch maximal 72 Monate und längstens bis zum 12. Le-
bensjahr des Kindes gezahlt. Gerade dann, wenn die Kin-
der teuer werden, bekommen sie nichts mehr. Hier spart
der Staat auf Kosten der Kinder. Und er spart auf Kosten
desjenigen Elternteils, der mit dem Kind zusammenlebt.
Das darf nicht länger so bleiben. Der Unterhaltsvorschuss
muss so lange gezahlt werden, wie es einen Anspruch auf
Kindergeld gibt.
Beim Unterhaltsvorschuss erhalten Kinder ohnehin
nur den Mindestunterhalt, wovon allerdings wieder die
Hälfte des Kindergeldes abgezogen wird. Demgegenüber
geht das „Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erzie-
hung und zur Änderung des Kindesunterhaltsrechts“, das
zum 1. Februar 2001 in Kraft getreten ist, eindeutig zu
Recht davon aus, dass der niedrigste Mindestunterhalt den
Bedarf des Kindes nicht deckt. Seitdem darf der Unterhalt
nur dann um die Hälfte des Kindergeldes gemindert wer-
den, wenn er mindestens in Höhe von 135 Prozent des Re-
gelsatzes gezahlt wird. Im Unterschied dazu mindert der
Staat den Unterhaltsvorschuss nach wie vor um die Hälfte
des Kindergeldes – Existenzminimum hin oder her. Hier
wird erneut auf Kosten der Ärmsten gespart.
Kinder, die den Unterhaltsvorschuss in Höhe des Min-
destunterhalts bekommen, erhalten somit monatlich
77 Euro weniger als Kinder, denen der zahlungspflichtige
Elternteil den Mindestunterhalt zahlt. Die PDS-Fraktion
hat bei der Reform des Unterhaltsrechts auf diese Un-
gleichbehandlung hingewiesen. Die rot-grüne Mehrheit
des Hauses hat diese Ungerechtigkeit billigend in Kauf
genommen. Wir wollen sie beenden.
Die Beibehaltung der jetzigen Regelungen zum Unter-
haltsvorschuss verfestigt das Armutsrisiko bei allein Er-
ziehenden. Wenn kein Unterhalt gezahlt wird und die Be-
zugsdauer für den Unterhaltsvorschuss ausgeschöpft ist,
muss derjenige Elternteil einspringen, bei dem das Kind
lebt. In 85 Prozent der Fälle ist das wegen der in Deutsch-
land noch immer traditionellen Rollenverteilung die Mut-
ter. Sie ist damit finanziell doppelt belastet. Sie versorgt
das Kind, hat damit oft genug berufliche und damit auch
finanzielle Nachteile. Und sie übernimmt noch zusätzlich
den Unterhalt, den der Vater zahlen müsste und nicht zahlt.
Für sie gibt es – anders als für diesen – keinen Selbstbe-
halt. Sie kann dem Kind nicht den benötigten Unterhalt mit
dem Argument verweigern, der eigene Bedarf gehe vor.
Sie muss mit allem, was sie hat, für den Unterhaltsausfall
eintreten – solange, bis sie in die Sozialhilfe fällt.
Weil immer mehr Väter und in geringer Zahl auch Müt-
ter ihrer Zahlungspflicht nicht nachkommen, muss der
Staat gegenwärtig rund 450 000 Kindern Unterhaltsvor-
schuss gewähren. Das ist teuer: Allein im vergangenen
Jahr beliefen sich die Kosten, die zu jeweils einem Drittel
vom Bund, den Ländern und den Kommungen getragen
werden, auf etwa 1,5 Milliarden Mark. Die Rückholquote
ist erbärmlich gering. Nur etwa ein Fünftel der Väter zahlt
das quasi zinslose Darlehen zurück. Für den Rest der Vä-
ter ist der Unterhaltsvorschuss praktisch ein Geschenk.
Das kann so nicht bleiben. Hier sehen wir ebenfalls drin-
genden Handlungsbedarf.
Die Forderung nach Anhebung der Altersgrenze und
Ausweitung der Bezugsdauer des Unterhaltsvorschusses
war bereits in der 13. Legislaturperiode Gegenstand einer
Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses. Der Bun-
destag hat dieser Beschlussempfehlung zugestimmt. Ich
denke, in dieser Frage könnte heute eine fraktionsüber-
greifende Mehrheit zustande kommen. Wir sollten diese
Chance nutzen und die allein Erziehenden endlich vor dem
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2002 22123
(C)
(D)
(A)
(B)
Verarmungsrisiko schützen, das durch den Ausfall von Un-
terhalt und Unterhaltsvorschuss zwangsläufig entsteht.
Anlage 11
Amtliche Mitteilungen
Der Abgeordnete Reinhold Hemker hat seine Unter-
schrift zu dem Antrag Dokumentation der freigelegten
russischen Graffiti-Inschriften im Reichstagsgebäude
in historisch gerechtfertigtem Umfang auf Drucksache
14/6761 zurückgezogen.
Die Fraktion der CDU/CSU hat mit Schreiben vom
27. Februar 2002 mitgeteilt, dass sie den Antrag Perus
Rückkehr zur Demokratie unterstützen auf Druck-
sache 14/4527 zurückgezogen hat.
Der Vorsitzende des folgenden Ausschusses hat mitge-
teilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Ge-
schäftsordnung von einer Berichterstattung zu der nach-
stehenden Vorlage absieht:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zum Jahresgutachten 1999
des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesregierung
Globale Umweltveränderungen (WBGU):
„Welt im Wandel – Erhaltung und nachhaltige Nutzung
der Biosphäre“
– Drucksachen 14/6706, 14/6995 Nr. 2 –
– Zwischenbericht der Enquete-Kommission Nachhaltige En-
ergieversorgung unter den Bedingungen der Globalisierung
und der Liberalisierung
Teilbericht zu dem Thema:
Nachhaltige Energieversorgung auf liberalisierten
Märkten: Bestandsaufnahme und Ansatzpunkt
– Drucksache 14/7509 –
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-
Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische
Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera-
tung abgesehen hat.
Finanzausschuss
Drucksache 14/6908 Nr. 2.6
Drucksache 14/7129 Nr. 2.25
Drucksache 14/7409 Nr. 2.19
Drucksache 14/7409 Nr. 2.22
Drucksache 14/7409 Nr. 2.30
Drucksache 14/7409 Nr. 2.31
Drucksache 14/7409 Nr. 2.32
Drucksache 14/7409 Nr. 2.33
Drucksache 14/7409 Nr. 2.34
Drucksache 14/7409 Nr. 2.35
Drucksache 14/7409 Nr. 2.36
Drucksache 14/7409 Nr. 2.37
Drucksache 14/7522 Nr. 1.20
Drucksache 14/7708 Nr. 1.7
Drucksache 14/7708 Nr. 1.9
Drucksache 14/7708 Nr. 2.34
Drucksache 14/7708 Nr. 2.39
Ausschuss für die Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft
Drucksache 14/6508 Nr. 2.29
Drucksache 14/8081 Nr. 2.5
Drucksache 14/8081 Nr. 2.6
Drucksache 14/8081 Nr. 2.14
Drucksache 14/8081 Nr. 2.18
Drucksache 14/8179 Nr. 1.2
Drucksache 14/8179 Nr. 2.4
Drucksache 14/8179 Nr. 2.5
Drucksache 14/8179 Nr. 2.7
Drucksache 14/8179 Nr. 2.11
Drucksache 14/8179 Nr. 2.12
Drucksache 14/8179 Nr. 2.14
Drucksache 14/8179 Nr. 2.15
Drucksache 14/8179 Nr. 2.18
Drucksache 14/8179 Nr. 2.49
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 200222124
(C)
(D)
(A)
(B)
Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin