Protokoll:
14213

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 213

  • date_rangeDatum: 25. Januar 2002

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 16:14 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Tagesordnungspunkt 16: a) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Klaus Wiesehügel, Dr. Axel Berg, weitereren Abgeordneten und der Frak- tion der SPD sowie den Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur tarif- lichen Entlohnung bei öffentlichen Aufträgen und zur Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Unter- nehmen (Drucksache 14/7796) . . . . . . . . . . . . . 21087 B b) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes für Tariftreueerklärungen (Drucksache 14/5263) . . . . . . . . . . . . . 21087 B c) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur tariflichen Entlohnung bei öf- fentlichen Aufträgen (Drucksache 14/6752) . . . . . . . . . . . . . 21087 C d) Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Ta- riftreue im Vergaberecht – Bundes- einheitliche Regelung schafft fairen Wettbewerb (Drucksache 14/6982) . . . . . . . . . . . . . 21087 D e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Abgeordne- ten Ursula Lötzer, Rolf Kutzmutz, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Sicherung tariflicher, arbeits- und sozialrechtlicher Standards und Förderung arbeitsmarktpolitischer Zielsetzungen durch ein Vergabege- setz (Drucksachen 14/4036, 14/5739) . . . . 21087 D f) Antrag der Abgeordneten Hartmut Schauerte, Dr. Hansjürgen Doss, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Offensive für die Bau- wirtschaft – Ursachen wirksam be- kämpfen (Drucksache 14/7506) . . . . . . . . . . . . . 21087 D g) Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Hans-Michael Goldmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Mehr Chancen für die Bau- wirtschaft durch weniger Regulie- rung (Drucksache 14/7458) . . . . . . . . . . . . . 21088 A Dr. Werner Müller, Bundesminister BMWi 21088 B Peter Rauen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 21089 D Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21091 D Dirk Niebel FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21092 D Rainer Brüderle FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21093 A Ursula Lötzer PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21094 C Ernst Schwanhold, Minister (Nordrhein-West- falen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21095 C Manfred Grund CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 21096 C Dr. Ditmar Staffelt SPD . . . . . . . . . . . . . . 21097 A Klaus Wiesehügel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 21098 B Plenarprotokoll 14/213 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 213. Sitzung Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 17: a) Antrag der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt, Heinz Seiffert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Einsetzung einer Kom- mission zur Reform der Gemeinde- finanzen durch die Bundesregierung (Drucksache 14/7442) . . . . . . . . . . . . . 21099 D b) Antrag der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt, Peter Götz, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Gewerbesteuerumlage auf die vor dem Steuersenkungsgesetz maßgeblichen Werte senken (Drucksache 14/7787) . . . . . . . . . . . . . 21099 D c) Antrag der Abgeordneten Gerhard Schüßler, Dr. Hermann Otto Solms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Gemeindefinanzen refor- mieren – Gewerbesteuer abschaffen – Finanzkraft der Gemeinden stärken (Drucksache 14/7326) . . . . . . . . . . . . . 21100 A d) Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Erhöhung der Gewerbesteuer- umlage zurücknehmen (Drucksache 14/7993) . . . . . . . . . . . . . 21100 A e) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Jochen-Konrad Fromme, Peter Götz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Umset- zung des Versprechens der Bundes- regierung zur Stärkung der Kommu- nalfinanzen (Drucksachen 14/6163, 14/7424) . . . . 21100 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Reform der Gemeindefinanzen (Drucksache 14/8025) . . . . . . . . . . . . . . . 21100 B Peter Götz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21100 C Bernd Scheelen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21103 A Peter Rauen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 21106 C Bernd Scheelen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21106 D Gerhard Schüßler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 21107 A Christine Scheel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21108 C Dr. Uwe-Jens Rössel PDS . . . . . . . . . . . . . . . 21110 C Horst Schild SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21111 D Gerhard Schüßler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 21114 B Horst Schild SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21114 D Hans Michelbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 21115 A Tagesordnungspunkt 18: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern (Drucksachen 14/7564, 14/8058) . . . . 21116 D – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Alfred Hartenbach, Hermann Bachmaier, weiteren Abge- ordneten und der Fraktion der SPD so- wie der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Grietje Bettin, weiteren Abge- ordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stel- lung von Urhebern und ausübenden Künstlern (Drucksachen 14/6433, 14/8058) . . . . 21116 D Eckhardt Barthel (Berlin) SPD . . . . . . . . . . . 21117 A Dr. Norbert Röttgen CDU/CSU . . . . . . . . . . 21118 B Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21120 D Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21122 B Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 21123 B Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21124 A Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . . . . . . . . 21126 A Dirk Manzewski SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21127 C Tagesordnungspunkt 19: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Norbert Lammert, Bernd Neumann (Bremen), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Jüdisches Museum, Topogra- phie des Terrors, Mahnmal für die er- mordeten Juden Europas (Drucksachen 14/4249, 14/7451) . . . . . . . 21129 D Günter Nooke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 21130 A Dr. Julian Nida-Rümelin, Staatsminister BK 21132 A Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21132 D Hans-Joachim Otto (Frankfurt) FDP . . . . . . . 21133 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002II Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 21134 C Eckhardt Barthel (Berlin) SPD . . . . . . . . . . . 21135 B Zusatztagesordnungspunkt 9: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für die Erhaltung, die Mo- dernisierung und den Ausbau der Kraft- Wärme-Kopplung (Kraft-Wärme-Kopp- lungsgesetz) (Drucksachen 14/7024, 14/7086, 14/8059) 21136 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Rolf Kutzmutz, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung und zum Ausbau der gekoppelten Strom- und Wär- meerzeugung (KWK-Gesetz) (Drucksachen 14/2693, 14/8048) . . . . . . . 21136 C Volker Jung (Düsseldorf) SPD . . . . . . . . . . . 21136 C Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . . . 21138 D Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21140 C Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . 21140 C Walter Hirche FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21142 B Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21143 C Monika Ganseforth SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 21144 C Kurt-Dieter Grill CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 21146 B Volker Jung (Düsseldorf) SPD . . . . . . . . . . . 21147 D Kurt-Dieter Grill CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 21148 A Tagesordnungspunkt 21: Antrag der Abgeordneten Katherina Reiche, Dr. Maria Böhmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Anwendung von Gentests in Medizin und Versicherungen (Drucksache 14/6640) . . . . . . . . . . . . . . . 21148 C Katherina Reiche CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 21148 C Dr. Wolfgang Wodarg SPD . . . . . . . . . . . . . . 21150 C Detlef Parr FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21151 C Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21152 C Angela Marquardt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 21153 C Tagesordnungspunkt 22: Antrag der Abgeordneten Ursula Burchardt, Petra Bierwirth, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Winfried Hermann, Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN: Nachhaltige Wasserwirtschaft in Deutschland (Drucksache 14/7177) . . . . . . . . . . . . . . . 21154 B Tagesordnungspunkt 23: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh- nungswesen zu dem Antrag der Abgeord- neten Birgit Homburger, Horst Friedrich (Bayreuth), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Übergangsregelung für das neue Führerscheinrecht (Drucksachen 14/2370, 14/5558) . . . . . . . 21154 C Tagesordnungspunkt 24: Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Heidi Lippmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak (Drucksachen 14/4709, 14/5716) . . . . . . . 21154 D Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 21155 A Zusatztagesordnungspunkt 11: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- desregierung zu aktuellen Veröffent- lichungen über einen Einsatz eines V-Mannes im NPD-Vorstand . . . . . . . . . 21156 A Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21156 B Dr. Michael Bürsch SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 21157 B Erwin Marschewski (Recklinghausen) CDU/ CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21158 A Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21159 A Dr. Edzard Schmidt-Jortzig FDP . . . . . . . . . 21160 B Sebastian Edathy SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 21161 B Thomas Strobl (Heilbronn) CDU/CSU . . . . . 21162 B Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21163 B Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21164 C Rüdiger Veit SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21165 B Wolfgang Zeitlmann CDU/CSU . . . . . . . . . . 21166 C Dieter Wiefelspütz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 21167 D Otto Schily, Bundesminister BMI . . . . . . . . . 21169 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 III Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21171 C Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21171 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 21173 A Anlage 2 Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Bahnpreissystem für Fahrgäste attraktiv gestalten (212. Sitzung, Tagesordnungspunkt 14) . . . . . . . . . . . . . . . . . 21174 B Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 21174 B Anlage 3 Nachträglich zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Ausgleich für die nu- klearen Entsorgungsstandorte Gorleben und Salzgitter (Schacht Konrad) in Niedersachsen und Morsleben in Sachsen-Anhalt (212. Sit- zung, Tagesordnungspunkt 11) . . . . . . . . . . . . 21175 D Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU . . . . . . . 21175 D Kurt-Dieter Grill CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 21177 B Anlage 4 Erklärung nach § 31 des Abgeordneten Hans- Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) zur Abstim- mung über den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhe- bern und ausübenden Künstlern . . . . . . . . . . . 21177 D Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Nachhaltige Wasserwirtschaft in Deutschland (Tagesordnungspunkt 22) . . . . . . 21178 A Ursula Burchardt SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 21178 A Marlene Rupprecht SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 21179 A Max Straubinger CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 21179 D Winfried Hermann BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21181 A Walter Hirche FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21181 D Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . 21182 B Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Über- gangsregelung für das neue Führerscheinrecht (Tagesordnungspunkt 23) . . . . . . . . . . . . . . . . 21183 A Rita Streb-Hesse SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21183 A Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU . . . 21183 C Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21184 C Horst Friedrich (Bayreuth) FDP . . . . . . . . . 21185 B Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 21185 D Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Auf- hebung der Sanktionen gegen den Irak (Tages- ordnungspunkt 24) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21186 B Christoph Moosbauer SPD . . . . . . . . . . . . . . 21186 B Joachim Hörster CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 21187 B Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21188 B Ulrich Irmer FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21189 B Anlage 8 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21190 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002IV Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 Bundesminister Otto Schily 21171 (C)(A) Berichtigung 212. Sitzung, Seite 21057 (B), 1. Absatz, der letzte Satz ist wie folgt zu lesen: „Sie beabsichtigen, einen Parlamentsvorbehalt auf der Grundlage des Antrages, der heute Abend von SPD und Grünen vorgelegt worden ist, in Höhe eines Ge- samtvolumens von 8,6 Milliarden Euro aufzuheben.“ Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21173 (C) (D) (A) (B) Balt, Monika PDS 25.01.2002 Behrendt, Wolfgang SPD 25.01.2002* Bierwirth, Petra SPD 25.01.2002 Bindig, Rudolf SPD 25.01.2002* Binding (Heidelberg), SPD 25.01.2002 Lothar Bohl, Friedrich CDU/CSU 25.01.2002 Brandt-Elsweier, SPD 25.01.2002 Anni Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 25.01.2002* Klaus Bury, Hans Martin SPD 25.01.2002 Büttner (Ingolstadt), SPD 25.01.2002 Hans Carstensen CDU/CSU 25.01.2002 (Nordstrand), Peter H. Eich, Ludwig SPD 25.01.2002 Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 25.01.2002 DIE GRÜNEN Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 25.01.2002 Joseph DIE GRÜNEN Fischer (Karlsruhe- CDU/CSU 25.01.2002 Land), Axel E. Friedrich (Altenburg), SPD 25.01.2002 Peter Dr. Friedrich CDU/CSU 25.01.2002 (Erlangen), Gerhard Friedrich (Mettmann), SPD 25.01.2002 Lilo Gradistanac, Renate SPD 25.01.2002 Griese, Kerstin SPD 25.01.2002 Gröhe, Hermann CDU/CSU 25.01.2002 Günther (Duisburg), CDU/CSU 25.01.2002 Horst Dr. Gysi, Gregor PDS 25.01.2002 Hauser (Rednitzhem- CDU/CSU 25.01.2002 bach), Hansgeorg Dr. Haussmann, Helmut FDP 25.01.2002 Heinrich, Ulrich FDP 25.01.2002 Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 25.01.2002 DIE GRÜNEN Holetschek, Klaus CDU/CSU 25.01.2002 Dr. Hornhues, CDU/CSU 25.01.2002 Karl-Heinz Hornung, Siegfried CDU/CSU 25.01.2002* Imhof, Barbara SPD 25.01.2002 Jäger, Renate SPD 25.01.2002* Klappert, Marianne SPD 25.01.2002 Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 25.01.2002 Kramme, Anette SPD 25.01.2002 Dr. Krogmann, Martina CDU/CSU 25.01.2002 Dr. Küster, Uwe SPD 25.01.2002 Lamers, Karl CDU/CSU 25.01.2002 Dr. Lamers CDU/CSU 25.01.2002 (Heidelberg),Karl A. Lehder, Christine SPD 25.01.2002 Leidinger, Robert SPD 25.01.2002 Lintner, Eduard CDU/CSU 25.01.2002* Dr. Lippelt, Helmut BÜNDNIS 90/ 25.01.2002* DIE GRÜNEN Lörcher, Christa fraktionslos 25.01.2002* Louven, Julius CDU/CSU 25.01.2002 Dr. Lucyga, Christine SPD 25.01.2002* Meckel, Markus SPD 25.01.2002 Merten, Ulrike SPD 25.01.2002 Michels, Meinolf CDU/CSU 25.01.2002* Müller (Berlin), PDS 25.01.2002* Manfred Müller (Köln), Kerstin BÜNDNIS 90/ 25.01.2002 DIE GRÜNEN Neumann (Gotha), CDU/CSU 25.01.2002* Gerhard Nickels, Christa BÜNDNIS 90/ 25.01.2002 DIE GRÜNEN Nietan, Dietmar SPD 25.01.2002 Ohl, Eckhard SPD 25.01.2002 entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Onur, Leyla SPD 25.01.2002* Palis, Kurt SPD 25.01.2002* Polenz, Ruprecht CDU/CSU 25.01.2002 Roos, Gudrun SPD 25.01.2002 Schlee, Dietmar CDU/CSU 25.01.2002 Schloten, Dieter SPD 25.01.2002* Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 25.01.2002 Schmidt-Zadel, Regina SPD 25.01.2002 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 25.01.2002 Hans Peter von Schmude, Michael CDU/CSU 25.01.2002 Dr. Schockenhoff, CDU/CSU 25.01.2002 Andreas Dr. Schubert, Mathias SPD 25.01.2002 Dr. Schuchardt, Erika CDU/CSU 25.01.2002 Schuhmann (Delitzsch), SPD 25.01.2002 Richard Dr. Schwall-Düren, SPD 25.01.2002 Angelica Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 25.01.2002 Christian Seehofer, Horst CDU/CSU 25.01.2002 Simm, Erika SPD 25.01.2002 Simmert, Christian BÜNDNIS 90/ 25.01.2002 DIE GRÜNEN Dr. Freiherr von CDU/CSU 25.01.2002 Stetten, Wolfgang Strebl, Matthäus CDU/CSU 25.01.2002 Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 25.01.2002 Titze-Stecher, Uta SPD 25.01.2002 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 25.01.2002 Dr. Wieczorek, Norbert SPD 25.01.2002 Zierer, Benno CDU/CSU 25.01.2002* * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates Anlage 2 Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Bahnpreissystem für Fahrgäste attraktiv gestalten (212. Sitzung, Tagesordnungspunkt 14) Dr. Winfried Wolf (PDS): Die FDP hat vor wenigen Wochen eine kokette Anfrage an die Bundesregierung ge- stellt. Gefragt wird, ob der Termin „Dezember 2002“, an dem das neue Bahnpreissystem in Kraft treten soll, auf Veranlassung der Bundesregierung so gelegt worden sei. Die FDPweist darauf hin, dass die Bahn ursprünglich ge- plant habe, dieses neue System bereits „im Sommer“ 2002 in Kraft treten zu lassen. Immerhin wurde es bereits mehr- mals in den Jahren 2000 und 2001 angekündigt. Die Fragen der FDP sind mehr als berechtigt. Wir pro- phezeien: Das ohnehin bei plus minus Null pendelnde Image der Bahn wird im Dezember 2002 einen neuen schweren Schlag erhalten. Dieses zur Debatte stehende neue Bahnpreissystem wird nicht nur – wie bahnüblich – Chaos produzieren. Es wird vor allem massenhafte Pro- teste und Anlass zur Abwanderung von Hunderttausenden treuen Bahnkundinnen und -kunden geben. In diesem Sinne haben wir rechtzeitig – gut zehn Mo- nate vor In-Kraft-Treten dieses Bahnpreissystems – unse- ren Antrag in den Bundestag eingebracht. Wir leisten in diesem Antrag eine detaillierte Kritik an dem neuen Sys- tem und wir nennen in konzentrierter Form Aspekte, die unserer Ansicht nach die Bausteine eines neuen Bahn- preissystems sein könnten – wenn dieses tatsächlich das Ziel verfolgt, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. Nun dürfte hier von der einen und der anderen Seite im Parlament strittig gestellt werden, dass dieses Thema in die Zuständigkeit des Bundestags fällt. Es dürfte argumentiert werden, die Bahn in Gestalt einer privatrechtlichen Akti- engesellschaft – und auf Privatisierungskurs befindlich – könne nicht auf dem Gebiet der Bahntarife im Fernverkehr vom Bund bzw. vom Bundestag kontrolliert werden. Das mag für Detailfragen und Detailreformen zutreffen. Im Fall der vorgesehenen umfassenden Bahnpreisreform sehen wir das jedoch anders. Wir verweisen hier auf § 12 Abs. 3 des Allgemeinen Eisenbahn-Gesetzes (AEG), in dem es heißt: „Die Tarifhoheit liegt beim Bund, soweit es sich um Beförderungsbedingungen einer Eisenbahn des Bundes für ihren Schienenpersonenfernverkehr handelt...“ Wenn der für Verkehr verantwortliche Bundesminister eine derart weitreichende und – wir zeigen: Bahnverkehr zerstörende – Preisreform „durchgehen“ lässt, dann sollten wir als Parlament nicht dieselbe Verantwortungslosigkeit begehen. Daher geben wir Ihnen allen die Chance, diese Tarifreform im Bundestag kritisch zu begleiten und nach Möglichkeit zu korrigieren, wobei dies übrigens durchaus wahlkampfwirksam sein könnte. Immerhin sind Dutzende Millionen Fahrgäste und damit Millionen Wählerinnen und Wähler von diesem Vorhaben direkt betroffen. Wir haben in unserem Antrag detailliert unsere Kritik an diesem Bahnpreissystem vorgetragen. Ich möchte hier nur drei Aspekte anführen: Erstens. Faktisch läuft das System darauf hinaus, dass im Fernverkehr nur diejenigen preiswert – und teilweise durchaus auch preiswerter als heute – Bahn fahren kön- nen, die sieben Tage im Voraus ihre Hin- und Rückfahrt „zug-genau“ buchen. Zu erwarten, ein Massenverkehr könne so funktionieren, ist wirklichkeitsfremd. Es ist kein Zufall, dass die neuen Bahnplaner, die das ersonnen ha- ben, „Lufthansa-Implantate“ sind. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 200221174 (C) (D) (A) (B) Zweitens. Die beabsichtigte Senkung des Bahncard- rabatts von 50 auf 25 Prozent entwertet diese Karte völlig und verprellt mehr als zwei Millionen Stammkunden der Bahn. Statt einer Mobilitäts-Zugangskarte, was die Bahn- card heute noch ist, wird daraus eine Schnäppchenjäger- Karte. Der entscheidende Effekt, mit dieser Karte eine Stammkundschaft zu binden, wird zerstört. Drittens. Insgesamt gesehen wird das neue Preissystem Bahnfahren teurer machen. Vor allem werden mehr Men- schen von den Teuerungen betroffen sein, als Fahrgäste von den Vergünstigungen profitieren. Die Rechnung ist einfach: Mehr als 50 Prozent der Verkehrsleistungen der Bahn werden im Nahverkehr erbracht. Rund 90 Prozent der Bahnkundinnen und -kunden sind Nahverkehrskun- den. Im Nahverkehr aber sollen die Preise erhöht werden. Nach den Steigerungen, die es bereits Anfang dieses Jah- res zusammen mit der Euroumstellung gab, dürften damit Tarif-Höhen erreicht werden, die die große Preissensibi- lität der Bahnkundschaft gerade in diesem Segment einem „Härtetest“ aussetzen. Das deckt sich mit den internen Daten des Bahnma- nagements. Erwartet wird ein Anstieg der Erlöse, während das Zugangebot und das Platzangebot gerade in den Jahren 2002/2003 nochmals erheblich „zurückgefah- ren“ werden. Nach Adam Riese läuft das auf ein insge- samt gesehen höheres Preisniveau hinaus, zumal eine Steigerung des Personenverkehrs auf Schienen nicht statt- findet; siehe den von uns immer wieder prognostizierten und nun eingetretenen Rückgang des Schienenpersonen- fernverkehrs im letzten Jahr. Die Bahnpreisreform zeigt aus meiner Sicht durchaus eine gewisse Konsequenz. Ich sehe diese in einer „Logik“ – mit der zunehmenden Konzentration der Bahn auf den Hochgeschwindigkeitsverkehr bei gleichzeitigem Abhän- gen ganzer Regionen – siehe ICE-Durchfahrten Hanno- ver/Braunschweig/Wolfsburg bis Berlin-Spandau –, mit der wachsenden Konzentration der DB AG auf den Ge- schäftsreiseverkehr – siehe die geplante Abschaffung der Speisewagen bzw. der „Bordrestaurants“ bei gleichzeiti- gem Angebot des „Caterings“ in der 1. Klasse –, mit der Abschaffung des Interregios und damit dem fortgesetzten Abhängen großer Regionen, touristisch wichtiger Gebiete und großer Städte vom Schienenfernverkehr. Damit aber wird die Bahn umgemodelt von einem Massenverkehrsmittel und einer potenziellen Alternative zu Autoverkehr und Binnenflug in eine elitäre Veranstal- tung für wenige. Sie wird Marktlücken füllen dürfen – un- ter anderem im Interesse der Airlines, die ihre Slots zwi- schen Stuttgart und Frankfurt oder Düsseldorf und Köln besser auslasten können. Einmal abgesehen davon, dass die PDS eine solche Po- litik aus sozialen Gründen ablehnt, spricht gegen diese Politik die schlichte Betriebswirtschaftslehre im Allge- meinen und die betriebswirtschaftliche Kenntnis des Schienenverkehrs im Besonderen. Ich erinnere an die Zei- ten, in denen die Bundesbahn den Intercity-Verkehr als Taktverkehr einführte – als reinen 1.-Klasse-Verkehr. Das war betriebswirtschaftlich ein Desaster. Erst die Verallge- meinerung dieses Modells für beide Klassen brachte ei- nen durchschlagenden Erfolg, unter anderem mit dem Slogan: „Jede Stunde, jede Klasse“. Jetzt soll das Rad der Bahngeschichte zurückgedreht werden. Faktisch orientieren sich mit der Konzentration auf ICE, mit dem Abbau der Bahn in der Fläche und mit dem neuen Bahnpreissystem die Angebote auf eine kleine Klientel. Das heißt aber auch: Im Ergebnis werden wir rote, werden wir tiefrote Zahlen in der DB Bilanz sehen. Wir haben in unserem Antrag konkrete Vorschläge ge- macht, wie eine alternative Bahnpreisreform aussehen könnte. Dass eine Reform erforderlich ist, das sehen wir auch. Doch unsere Vorschläge weisen in die entgegenge- setzte Richtung des mit der Bahnpreisreform des DB-Ma- nagements Vorgesehenen. Unsere Vorschläge sind geeig- net, wirklich massenhaft mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen – unter anderem mit dem Erhalt des bestehenden Bahncardrabatts, mit dem Ausbau dieser Mobilitätskarte und mit der Einführung einer neuen Mobilitätskarte, einer preislich für Millionen Kunden interessanten Netzkarte, analog dem Generalabonnement der Schweizer Bundes- bahnen (SBB). Wir haben uns diese Vorschläge nicht im Wolken- kuckucksheim erdacht. Wir orientieren uns dabei an kon- kreten Erfahrungen – im eigenen Land, zum Beispiel mit der Bahncard, die trotz des ständigen Unterlaufens dieses Rabattsystems dennoch eine ansehnliche Erfolgsstory ist. Und wir orientieren uns an den Erfahrungen, die diesbe- züglich in der Schweiz gemacht wurden, also dort, wo eine staatliche Bahn existiert, wo die Menschen zweieinhalb Mal mehr Kilometer mit der Bahn zurücklegen als hierzu- lande – trotz des erheblich kleineren Landes – und wo das Image der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) an der Spitze der entsprechenden Unternehmensskala liegt. Ich bitte Sie, ich bitte den für Verkehr verantwortlichen Bundesminister und ich bitte das Management der Deut- schen Bahn AG, unsere Kritik ernst zu nehmen und unsere Vorschläge zu prüfen. Anlage 3 Nachträglich zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Ausgleich für die nu- klearen Entsorgungsstandorte Gorleben und Salzgitter (Schacht Konrad) in Niedersachsen und Morsleben in Sachsen-Anhalt (212. Sitzung, Tagesordnungspunkt 11) Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Unser An- trag beinhaltet ein allgemeines Problem. Die Entsorgung von Nuklearabfällen aus Energieerzeugung, medizini- scher Anwendung, Industrie und Forschung steht – wie jede Abfallbeseitigung – auch am Ende einer Wertschöp- fungskette. Ihr Betrieb stellt die gleichen oder sogar noch höhere Anforderungen an die Infrastruktur wie jede an- dere Produktionsstätte. Entsorgungsanlagen unterschei- den sich jedoch dadurch von den auf regelmäßige Ge- winnerzielung abgestellten Produktionsstätten, dass hier nach Beendigung der wirtschaftlichen Nutzung kein Inte- resse an einer Wertschöpfung mehr besteht. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21175 (C) (D) (A) (B) Häufig geschieht die Entsorgung in öffentlich-rechtli- chen Einrichtungen, die ohnehin keine Gewinne machen dürfen. Aber auch wenn es sich hier um privatwirtschaft- liche Aufgabenerledigung handelt, werden hier regel- mäßig keine Gewinne erzielt, oft sogar noch Verluste ge- macht. Nach Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer werden von solchen Einrichtungen faktisch keine Steuern mehr bezahlt. Die Standortgemeinden haben aber für diese für die Gesellschaft notwendigen Einrichtungen erhebliche In- frastrukturaufwendungen zu tragen und nicht selten einen Imageverlust zu erleiden. Der damit üblicherweise ver- bundene Ausgleich an Steuern fehlt, weil durch die Ab- läufe und die Stellung am Ende der Wertschöpfungskette diese nicht anfallen. Die eigentliche Wertschöpfung hat nämlich in der Produktionsstufe davor stattgefunden und dort werden auch Gewinne gemacht. Da die Erzeugung von Energie und ihr Verbrauch ebenso wie die Durchführung von Forschung und die Er- bringung von medizinischen Leistungen eine gesamtge- sellschaftliche Aufgabe ist, sind die Folgen auch auf alle umzulegen. Deshalb ist ein besonderer Ausgleichsfaktor für die Entsorgungseinrichtungen und hier namentlich für Entsorgungsstandorte wie Gorleben, Konrad und Morsle- ben erforderlich. In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, dass die Standortwahl für Konrad und Gorleben auf ein- stimmigen Beschlüssen des Bundes und der Länder aus den Jahren 1979, 1981 und 1990 beruht. Damit stehen sowohl SPD als auch CDU, als auch FDP in der Verantwortung. Ursprünglich sind auch entsprechende Entschädi- gungszahlungen geleistet worden. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal deutlich machen: Wer – wie die Koalition – aus der Kern- energie aussteigen will, der braucht Entsorgungsstandorte für die Reste der Anlagen. Deshalb ist es völlig unver- ständlich, warum darauf verzichtet wird. Wer, wie die Ko- alition, den Sofortvollzug für Gorleben aufgegeben hat und es auf einen langjährigen Rechtsstreit durch alle ver- waltungsgerichtlichen Instanzen ankommen lässt, ver- größert den Imageschaden. Daher muss der Ausgleich größer ausfallen. Wenn es beim Sofortvollzug geblieben wäre, hätte eine umfangreiche rechtliche Überprüfung im einstweiligen Verfahren mit einem kurzen Lauf stattge- funden und die Stadt Salzgitter wäre nicht so lange in der negativen öffentlichen Diskussion. Insofern hat die Ko- alition den Schaden mutwillig vergrößert. Es geht durch Entschädigungszahlungen nicht darum, die Akzeptanz für die Anlagen zu erhöhen, sondern es geht darum, einen Nachteilsausgleich zu schaffen. Mit dieser Forderung sind wir nicht allein. So hat der SPD- Landtagsabgeordnete Dehde im niedersächsischen Land- tag diese Forderung am 26. Oktober 2001 im Namen sei- ner Fraktion unterstützt. Umweltminister Trittin hat gegenüber dem Landtagsabgeordneten Wojahn im Okto- ber in Gorleben auf einer Veranstaltung erklärt: „Ja, aber die Finanzpolitiker wollen nicht daran“. Auch der nieder- sächsische Finanzminister Heiner Aller (bekanntlich SPD) hat in der Landtagsdebatte vom 26. Oktober 2001 in Hannover deutlich gemacht, dass aus der Region Gorle- ben mit guten Argumenten eine Kompensation für die Sonderlast eingefordert werde. Er ist der Auffassung, dass dieses pauschal oder wie auch immer organisiert abge- golten werden müsse. Dafür streitet die Landesregierung: „Der Umweltminister auf seinen Kanälen, der Finanzmi- nister auf seinen Kanälen und der Innenminister auf sei- nen Kanälen“, so Aller wörtlich in der Debatte. Er betonte noch einmal: „Wir wollen durchsetzen, dass die erkenn- baren Sonderlasten, die aus dem Atomendlager abzuleiten sind, letztlich durch eine Sonderdotierung – dann aber im Bundeshaushalt – abgegolten werden“. Was für Gorleben gilt, muss auch für Konrad gelten. Das kann man auch nicht wie der Kollege Schmidt da- mit aushebeln, dass man vor Ort den Eindruck erweckt, in Konrad werde es keine Einlagerung geben. Der Verweis auf die Ein-Endlager-Strategie zieht nicht. Der von der Koalition selbst eingesetzte Arbeitskreis Auswahlverfah- ren-Endlagerstandorte hat in seinem aktuellen zweiten Zwischenbericht ganz deutlich gemacht, dass die ge- trennte Endlagerung unterschiedlicher Stoffe sinnvoller ist. Wörtlich heißt es im Bericht auf Seite 31: „Die Auf- teilung der radioaktiven Abfälle auf mehrere Endlager könnte vor allem dann Sinn machen, wenn sich gegenüber dem Ein-Endlager-Konzept sicherheitstechnische Vor- teile ergäben, wenn der Nachweis der Langzeitsicherheit der Endlagerung leichter zu führen wäre oder wenn diese Aufteilung die Auswahl eines Standortes mit günstigeren Voraussetzungen für die Endlagerung Wärme entwickeln- der Abfälle durch die zusätzliche Einlagerung der übrigen Abfälle erschwert bzw. einschränkt“. Auf Seite 36 heißt es dann: „... ist die Komplexität des geochemisch geführten Langzeitsicherheitsnachweises signifikant höher als bei strikter Trennung der verschiedenen Abfallarten“. Es wird also deutlich, dass das Ein-Endlager-Konzept aufgegeben wird. Damit wird es zu einer Einlagerung kommen und jegliche andere Äußerung dient der Ablen- kung und will den Bürgern Sand in die Augen streuen. Im so genannten Energiekonsens ist Konrad festgeschrieben. Dort heißt es: „Die zuständigen Behörden schließen das Planfeststellungsverfahren für den Schacht Konrad nach den gesetzlichen Bestimmungen ab. Der Antragsteller nimmt den Antrag auf sofortige Vollziehbarkeit des Plan- feststellungsbeschlusses zurück, um eine gerichtliche Überprüfung im Hauptsacheverfahren zu ermöglichen.“ Das bedeutet nichts anderes, als dass Konrad festge- schrieben ist. Wer etwas anderes behauptet, streut den Leuten Sand in die Augen oder er hat von vornherein die Energiewirtschaft hinter das Licht geführt. Beide Wahr- heiten vertragen sich nicht. Noch schlimmer wird es dann, wenn man wie der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Wilhelm Schmidt, im Wahlkreis so tut, als sei man der Vor- kämpfer gegen Konrad, und dann bei der politischen Wil- lensbildung, auf die man ja angeblich als Erster PG einen sehr hohen Einfluss hat, nichts gegen die Festschreibung von Konrad tut. Um seinem Kampf mehr moralisches Ge- wicht zu verleihen, hat er sich dazu verstiegen, vor einer Gewerkschaftsversammlung zu erklären, dass er alle poli- tischen Ämter niederlegen würde, wenn die erste Tonne im Schacht eingelagert wird. Sein Parteigenosse Bosse kom- mentierte wie folgt: „Seinen Parteigenossen Wilhelm Schmidt finde er in dieser Beziehung einfach nur lächer- lich“. Recht hat er. Wenn ein Politiker sein eigenes persön- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 200221176 (C) (D) (A) (B) liches Schicksal mit einer Frage verbindet, dann kann dies nur an einer politischen Entscheidung anknüpfen und dort festgemacht werden, nicht aber an einem faktischen Vor- gang, der außerhalb der Einflusssphäre der Politiker liegt. Es gibt zwei politische Anknüpfungspunkte, die hätten gewählt werden können und müssen, wenn die Forderung hätte glaubwürdig sein sollen: Zum einen die Frage des Energiekonsenses; diese Frage hat Wilhelm Schmidt ohne Widerstand ziehen lassen. Es gibt jetzt noch eine andere Möglichkeit der politischen Entscheidung: Der Bund als wirtschaftlicher Quasi-Eigentümer der DBE, der Antrag- stellerin auf das Planfeststellungsverfahren, könnte seine eigene Firma veranlassen, den Planfeststellungsbeschluss zurückzunehmen. Das wäre eine politische Entscheidung, die auf rechtstaatliche Art und Weise die Einlagerung ver- hindern würde. Aber hierzu habe ich noch keine einzige Forderung von Wilhelm Schmidt gehört. Stattdessen wählt er den Zeitpunkt der ersten Einlagerung, weil er sich sicher sein kann, dass durch sechs- bis achtjährige Pro- zesse die erste Tonne eingelagert wird, wenn er schon längst im politischen Ruhestand ist. Erste Absetzbewe- gungen hat er ja schon gemacht, indem er sich an die Spitze des Sportbundes bewerben wollte. Wer eine solche völlig unverbindliche und risikolose Versprechung macht, macht sich als Politiker lächerlich. Aber auch wenn es um die Forderung geht, wenigstens die materiellen Nachteile auszugleichen, stellt er sich nicht hinter die Interessen seines Wahlkreises. Er stimmt dagegen, dass Salzgitter für Konrad wenigstens dann ei- nen Ausgleich erhält, wenn sich die Einlagerung schon nicht vermeiden lässt. Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Die Debatte über den Antrag der CDU/CSU sollte unbeschadet der politischen Unterschiede in der Beurteilung der Kernenergie geführt werden. In der Verantwortung für die nuklearen Entsor- gungsstandorte in Deutschland stehen alle Fraktionen des Bundestages. Insbesondere die Standorte in Niedersach- sen sind unter der Verantwortung von SPD, FDP und CDU/CSU geplant und bestimmt worden. Wenn wir heute gerade über den Standort Gorleben spre- chen, dann vor allem, weil sich hier nach wie vor die kon- troverse Diskussion über die Kernenergie öffentlich doku- mentiert. Es wird deutlich, welche Lasten, nicht etwa nur im materiellen Sinne, eine Standortregion zu tragen hat. Die Debatte hat insofern meines Erachtens zwei Aspekte: Erstens. Nachdem die Bundesregierung mit den Be- treibern der Kraftwerke einen Vertrag über den so ge- nannten Ausstieg geschlossen hat, steht sie in der Pflicht, sich auch für eine Befriedung vor Ort einzusetzen. Ich wiederhole hier meine Forderung nach einem Mediati- onsverfahren zur Beilegung der Konflikte. Die Begleit- umstände der Castortransporte sind eine besondere Belastung vor Ort. Sprüche wie die der SPD-Landesvor- sitzenden von Baden-Württemberg, Ute Vogt, „Der Dreck muss ja irgendwohin“, sind da wenig hilfreich. Diejeni- gen, die gestern noch von unverantwortlichen Gefahren geredet haben, weil es der Union schaden sollte, behaup- ten heute, es sei alles sicher. Sie, insbesondere der Bun- deskanzler und der Bundesumweltminister sind deswegen in einer besonderen Pflicht. Zweitens. Die Wiederaufnahme der materiellen Unter- stützung sollte deutlich machen, dass der Bund seiner be- sonderen Verantwortung gerecht wird. Historisch gesehen war es von Anfang an so, dass Bund, Land und Gemein- den bis 1996 unterschiedliche Vereinbarungen hatten, die auch auf dem Hintergrund des Art. 106 GG einen finanzi- ellen Ausgleich für das Land Niedersachsen und die kom- munalen Gebietskörperschaften geschaffen haben. Dies hatte viele Vorteile für die Menschen vor Ort. Noch der letzte Vertrag für die Zeit von 1990 bis 1996 hat jährlich 15 Millionen DM als Ausgleich festgelegt. Nur eine Ver- änderung im Kreistag von Lüchow-Dannenberg hin zu Rot-Grün, die die Zahlungen abgelehnt hat, verhinderte eine Fortführung nach 1996. Selbst der heutige Bundes- kanzler hat dies für einen Fehler gehalten und ausdrück- lich Ausgleichsansprüche anerkannt. Dies ist auch das Er- gebnis eines Gutachtens, was die SPD-Landesregierung hat anfertigen lassen. In der Zwischenzeit hat sich die Position des Kreista- ges geändert. Mit großer Mehrheit wird ein Entwick- lungsfonds gefordert. Die Bundesregierung hat alle An- fragen und Wünsche abschlägig beschieden. Es ist an der Zeit, diese Position zu ändern. Der Bundesumweltminis- ter scheint dazu bereit zu sein. Bei seinem Besuch vor Ort am 18. Oktober erklärte er: „Es gilt nun, die wirtschaftli- che Prosperität des Landkreises nachhaltig zu sichern. Alle Bemühungen dazu werde ich unterstützen.“ Herr Trittin und die Grünen können also unseren Antrag unterstützen. Das gilt, denke ich, für die SPD. Als Ministerpräsident hat Gerhard Schröder die Forderung für richtig gehalten. Was sollte ihn jetzt daran hindern, den Worten Taten folgen zu lassen? Der niedersächsische Finanzminister Aller (SPD) hat am 26. Oktober 2001 im Landtag erklärt – ich zitiere –: „Sie (die Debatte) hat deutlich gemacht, dass aus der Re- gion Gorleben mit guten Argumenten eine Kompensation der Sonderlasten eingefordert wird“, und an anderer Stelle: „Wir wollen durchsetzen, dass die Sonderlasten ... letztlich durch eine Sonderdotierung – dann aber im Bundeshaus- halt – abgegolten werden“. Ich kann dem nur zustimmen und bitte Sie um Ihre Un- terstützung zu unserem Antrag. Anlage 4 Erklärung nach § 31 des Abgeordneten Hans-Joachim Otto (Frank- furt) (FDP) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künst- lern Trotz mancher Verbesserungen im Laufe der Aus- schussberatungen sehe ich mich außerstande, diesem Ge- setzentwurf meine Zustimmung zu erteilen. Insbesondere aus folgenden Gründen habe ich in Abweichung von mei- ner Fraktion mit Nein gestimmt: Erstens. Der gesetzliche Anspruch auf eine „angemes- sene“ Vergütung in § 32 Abs. 1 Satz 3 des Entwurfs ist ein Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21177 (C) (D) (A) (B) ordnungspolitischer Sündenfall. Er durchlöchert das ver- fassungsrechtlich gebotene Prinzip der Vertragsautono- mie und wird voraussichtlich zahlreiche Rechtsstreite provozieren. Er gefährdet daher die Rechts- und Investi- tionssicherheit und belastet den Wirtschaftsstandort Deutschland. Zweitens. Angesichts der hohen wirtschaftlichen und ordnungspolitischen Bedeutung dieses Reformvorhabens halte ich das von den Koalitionsfraktionen durchgesetzte Verfahren in den beteiligten Ausschüssen für völlig inak- zeptabel. Der mitbeteiligte Ausschuss für Kultur und Me- dien beispielsweise hat sich mit dem Gesetzentwurf in der nunmehr dem Plenum vorliegenden Fassung nie beschäf- tigen können. Der federführende Rechtsausschuss hat die letzten Änderungen erst als Tischvorlage unmittelbar vor der abschließenden Sitzung am 23. Januar 2002 erhalten, sodass eine Rückkopplung mit den Fraktionen praktisch ausgeschlossen war. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Nachhaltige Was- serwirtschaft in Deutschland (Tagesordnungs- punkt 22) Ursula Burchardt (SPD): Ein hartnäckiges Gerücht besagt, dass nach Strom, Gas, Telekommunikation bald auch die Marktöffnung bei der Wasserversorgung anstehe. Um es gleich zu Beginn klar und deutlich zu sagen: Die- ses Gerücht entbehrt jeder Grundlage! Eine Liberalisie- rung der deutschen Wasserwirtschaft wird es mit dieser Koalition nicht geben! Wasser ist für uns kein Wirtschaftsgut wie jedes andere, sondern ein Erbe, das einen nachhaltigen, das heißt: spar- samen, pfleglichen und vorsorgenden Umgang verlangt, gerade auch im Hinblick auf kommende Generationen. Eine Wasserwirtschaft, die das Attribut „nachhaltig“ verdient, muss hohe Trinkwasserqualität gewährleisten, flächendeckende Versorgung sicherstellen und sie muss wirtschaftlich effizient und international wettbewerbs- fähig sein. Natürlich geht es bei der Wasserversorgung auch ums Geschäft. Die Weltbank schätzt den Investitionsbedarf bis Ende des Jahrzehnts auf mehrere 100 Milliarden Euro weltweit. Bislang teilen sich dieses Geschäft einige we- nige Großversorger aus Frankreich und England, RWE und Eon schließen auf. Aber das ist beileibe nicht d i e deutsche Wasserwirt- schaft. Die besteht vielmehr aus einer enormen Fülle von Unternehmen: Ver- und Entsorgern, Anlagenbauern, Zu- lieferern, Ingenieurbüros und anderen Dienstleistern und natürlich einer Vielzahl von kommunalen Betrieben. De- ren Spitzen-Know-how und spezifische Erfahrungen im Management dezentraler, föderal organisierter Versor- gungsstrukturen sind ein Wettbewerbsvorteil, der bislang noch viel zu wenig zur Geltung kommt. Die Unternehmen der deutschen Wasserwirtschaft ga- rantieren seit Jahrzehnten eine konkurrenzlos gute Was- serqualität und sichere Versorgung zu angemessenen Prei- sen. Das muss hier ausdrücklich festgestellt werden. Gleichwohl sehen wir auch in der heimischen Versorgung noch Spielräume für mehr Wirtschaftlichkeit und Effizi- enz. Das alles aber bedeutet nicht, dass man das Kind mit dem Bade ausschütten sollte. Modernisierung braucht keine Liberalisierung! Mit unserem Antrag liefern wir das Handlungskonzept, wie die deutsche Wasserwirtschaft national und internatio- nal besser aufzustellen ist, ohne bewährte Strukturen zu zerstören. Dieser Antrag ist das Ergebnis eines fast zwei- jährigen Beratungsprozesses. Die SPD-Bundestagsfraktion hat einen intensiven und kontinuierlichen Dialog mit den unterschiedlichen Akteuren geführt. Wir haben eine Kon- ferenz mit über 250 Fachleuten organisiert. Wir haben mit Ländern und Kommunalvertretern, Verbänden, Umwelt- gruppen und Unternehmen diskutiert. Und wir haben – in enger Abstimmung mit unseren Kollegen im Europäischen Parlament – direkte Gespräche mit den EU-Generaldirek- tionen Wettbewerb, Binnenmarkt und Umwelt geführt. Unsere Schlussfolgerung: Die deutsche Wasserwirt- schaft braucht Modernisierung; ein Opfer blindwütiger Deregulierungsideologie darf sie aber unter keinen Um- ständen werden! Wir zeigen in unserem Antrag auf, in wessen Verant- wortung welche Maßnahmen auf den Weg gebracht wer- den müssen, um eine nachhaltige Wasserwirtschaft in Deutschland zu garantieren. Mehr betriebswirtschaftliche Effizienz zu erreichen ist in erster Linie Sache der Unter- nehmen selbst. Leistungsvergleiche zwischen den Anbie- tern – neudeutsch Benchmarking – können dazu beitra- gen, dass Unternehmen voneinander lernen und dass sich die effektivsten Verfahren durchsetzen. Kooperationen zwischen benachbarten Versorgungs- gebieten können zu erheblichen Synergieeffekten führen. Das Gleiche gilt für die engere Verzahnung von Ver- und Entsorgung. Wir regen an, sorgfältig zu prüfen, inwieweit diese Verzahnung durch einen gemeinsamen ermäßigten Umsatzsteuersatz für Ver- und Entsorgung vorangebracht werden kann. Deutsche Unternehmen müssen mehr Präsenz auf aus- ländischen Märkten zeigen. Hier kann der Bund helfen. Exportförderung ist weniger eine Frage des Geldes. Un- sere Auslandsvertretungen dürfen hier durchaus offensi- ver werden und auch als Exportagenturen agieren. Besonders wichtig sind auch in diesem Wirtschafts- zweig Ausbildung und Qualifikation. Die Ausbildung muss internationaler werden. Der Technologietransfer über Köpfe – zum Beispiel durch studentische Aus- tauschprogramme für Ingenieure – ist ausbaufähig. Mehr noch als dies ohnehin schon geschieht, sind die Entwick- lung und der Transfer von Technologien und Lösungs- strategien zu fördern, die auf die schwierigen Bedin- gungen in Entwicklungs- und Schwellenländern zuge- schnitten sind. Dort liegen die Hauptchancen für die deut- sche Wasserwirtschaft. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 200221178 (C) (D) (A) (B) Das sind – in wenigen Stichworten – die entscheiden- den Fragen, auf die sich die Akteure konzentrieren sollten, anstatt im Trüben zu fischen und sich über Reißbrett-Ent- würfe den Kopf zu zerbrechen. Es gibt keinen rationalen Grund, die Strukturen der deutschen Wasserwirtschaft – etwa durch eine Änderung des Kartellrechts – in ihren Grundlagen zu zerschlagen. Der Bundeswirtschaftsminis- ter hat hierzu ein Gutachten in Auftrag gegeben, um Klar- heit zu bekommen, was eine Liberalisierung bringen würde und ob und wie sie zu gestalten wäre. Es ist sehr zu begrüßen, dass das Ministerium dabei von Anfang an die offene Diskussion mit der Fachwelt gesucht und zu einem Dialog mit den Gutachtern eingeladen hat. Dabei ist sehr deutlich geworden: Die reine akademische Lehre ordoliberaler Professoren wird der Wirklichkeit nicht gerecht und hinterlässt mehr Fragen als Antworten. Unser Fazit aus dem Gutachten: Eine Liberalisierung der Wasserwirtschaft wäre ein ordnungspolitisches Groß- experiment mit zweifelhaftem wirtschaftlichen Nutzen auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger. Wir setzen auf Modernisierung, nicht auf Liberalisierung. Nicht Deregu- lierung ist gefragt, sondern Reregulierung. Und weil die Wasserver- und -entsorgung ein so sensibler und komple- xer Bereich ist, der sowohl ökologische wie auch gesund- heitliche, soziale und wirtschaftliche Fragen berührt, ra- ten wir dringend, dies zu einem Schwerpunkt der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung zu machen. Marlene Rupprecht (SPD):Wer in den letzten Tagen die Nachrichten über den Vulkanausbruch in der Republik Kongo verfolgt hat, dem wurde klar, dass für die betrof- fenen Menschen die Versorgung mit Trinkwasser das zen- trale Problem ist. Nun können Sie sagen: Was geht mich die Wasserversorgung in Afrika an und was hat das mit dem vorliegenden Antrag zu tun? Lassen Sie mich einfach einige Zahlen und Fakten in Erinnerung rufen. 97 Prozent der Wasservorräte sind Salzwasser auf die- sem Planeten. 2 Prozent des Süßwassers ist in Gletschern und Polarkappen gebunden. Nur 1 Prozent ist verfügbares Süßwasser. 65 Prozent des globalen Süßwassers werden für die Landwirtschaft verbraucht. Das Volumen dieses im hydrologischen Kreislauf verfügbaren Wassers beträgt rund 500 000 Kubikkilometer. Normalerweise wäre diese Menge für die gesamte Menschheit ausreichend. Jedoch ist diese Ressource höchst ungleichmäßig verteilt. 2 Mil- liarden Menschen, vor allem in Afrika und Nahost, haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Nur rund 5 Pro- zent der Abwässer werden gereinigt. Etwa 250 Millionen Menschen erkranken durch verunreinigtes Trinkwasser und rund 5 Millionen sterben an den Folgen. Ein Drittel der Weltbevölkerung wird in den nächsten 25 Jahren von ernsthafter Wasserknappheit bedroht sein. 17 Staaten müssen mit absolutem Wassermangel rechnen. Die nächsten Kriege werden nicht um Gold und Erdöl, sondern um Trinkwasser geführt werden. Es geht also den Gruppierungen, die in Deutschland und Europa der Libe- ralisierung das Wort reden, darum, rechtzeitig Schlüssel- positionen im globalen und nationalen Wassermarkt zu besetzen. Hier ist viel Geld zu verdienen. Ich will an dieser Stelle nicht weiter auf die Wasser- versorgung aus globaler Sicht eingehen. Dazu haben wir einen gesonderten Antrag in den Bundestag eingebracht. Wer sind die großen Befürworter der Liberalisierung der Trinkwasserversorgung? Es sind häufig Unterneh- men, die bereits in liberalisierten Bereichen der Daseins- vorsorge wie Strom, Gas etc. tätig sind. – Sie stellen fest, dass die treuesten Kunden die Wasserverbraucher sind. Ihre Überlegung, nun die Wasserversorgung in ihr Ange- bot aufzunehmen, das sichere ihnen feste Kunden auch für den Strommarkt, ist betriebswirtschaftlich nachzuvollzie- hen. Aber ist die Trinkwasserversorgung wirklich nur unter einem rein betriebswirtschaftlichen Kosten-Nutzen- Denken zu beurteilen oder muss vielmehr ein Bewer- tungsverfahren mit vielen Kriterien angewandt werden? Wir haben meiner Ansicht nach ökologische und ge- sundheitliche Aspekte mit der Verpflichtung zum Arten- schutz und zur Minimierung der Schadstoffe in den Ge- wässern zu berücksichtigen. Im Übrigen sind wir durch die EU-Wasserrahmenrichtlinie verpflichtet, dies bis 2015 umzusetzen. Und wir müssen den sozialen Aspekt, das heißt Zugang zu Wasser für alle und gerechte Gestaltung des Wasserpreises bei der Bewertung einfließen lassen. Wasser- und Abwasserfachleute der Weltbank stellten nach einer Bereisung im Oktober 1998 fest, dass wir welt- weit die besten Trinkwassernormen und Qualitäten vor- zuweisen hätten. Sie bemängelten aber unsere Preise. Lo- gisch ist es also, Bereiche mit Reformbedarf neu zu strukturieren und nicht die Bereiche abzubauen, in denen wir weltweit im Wettbewerb führend sind. Kollegin Burchardt zeigte Ihnen bereits die Handlungsfelder auf, in denen wir Politiker und die deutsche Wasserwirtschaft tätig werden müssen. Ich brauche dies deshalb nicht zu wiederholen. Es ist Wachsamkeit auf nationaler und europäischer Ebene angesagt. Der Erfindungsreichtum, das Herzstück kommunaler Daseinsvorsorge, die Trinkwasserversor- gung zu liberalisieren, ist nicht zu unterschätzen. Zurzeit wird ein Konzessionsmodell wie in Frankreich favori- siert. Vordergründig bleibt hier die Versorgungshoheit bei der Kommune, in Wirklichkeit haben etwa drei große Un- ternehmen, die auch weltweit agieren, den Markt fest in der Hand. So stellen sich Bürgerinnen und Bürger demo- kratische Teilhabe nicht vor. Da der Mensch ohne sauberes Trinkwasser nicht leben kann, darf Wasser nicht zum handelbaren Gut werden. Max Straubinger (CDU/CSU): Wasser ist und bleibt Lebensmittel Nummer 1 und bedarf daher besonderer Vorsorgemaßnahmen hinsichtlich der Trinkwasserqualität sowie des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung. Die deutsche Wasserversorgung nimmt bekannter- maßen weltweit eine Spitzenstellung ein, was an der bis- lang hohen Versorgungssicherheit, an der Zahl von Was- serschutzgebieten, der hervorragenden Qualität sowie der ökologischen Wasserversorgung abzulesen ist. Das Ziel einer verantwortungsvollen Politik ist es, dass eine bestmögliche Wasserqualität zu kostendeckenden, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21179 (C) (D) (A) (B) aber sozial verträglichen Preisen erreicht wird – und das nicht nur in den Ballungsräumen, sondern auch im ländli- chen Raum. Bayern nimmt dabei mit rund zwei Drittel des gewonnenen Wassers, das ohne jede Aufbereitung und Desinfektion an den Verbraucher abgegeben werden kann, und einem bundesweit unschlagbaren Wasserpreis eine herausragende Rolle ein. Nun gibt es seit einiger Zeit seitens der EU Bestrebun- gen, den Wassermarkt zu liberalisieren. Die Diskussion darüber hat jedoch sowohl Bürger als auch Gemeinden verunsichert. Darüber hinaus lähmt sie notwendige Inves- titions- und Organisationsentscheidungen der Wasserver- sorgungsunternehmen. Auf Drängen der CDU/CSU-Europagruppe, der CSU- Landesgruppe und der Bayerischen Staatsregierung konn- ten die zunächst sehr weit reichenden Liberalisierungs- forderungen entschärft werden. Denn in seinem Entschließungsantrag vom 13. November 2001 hat das Europäische Parlament die Mitgliedstaaten der EU nun lediglich aufgefordert, einerseits „... zu prüfen, ob die Öff- nung der Wasserversorgung und der Abwasserbeseitigung für private Unternehmen zu einer Verbesserung der Ar- beitsweise dieser Einrichtungen beitragen würde“, ande- rerseits wirtschaftliche Gesichtspunkte zu fördern und zu prüfen, ob die schon bestehenden Privatisierungen bereits zu einer Verbesserung der Arbeitsweise der betreffenden Einrichtungen der Wasserwirtschaft beigetragen haben. Die Bundesregierung hatte die Anregungen zur Libe- ralisierung durch Bundeswirtschaftsminister Müller auf- gegriffen und ein Gutachten in Auftrag gegeben, das prü- fen sollte, wie der deutsche Wassermarkt liberalisiert werden könnte. Darin wurden die Streichung des Ge- bietsmonopols, die Abschaffung der Konzessionsabgaben sowie flankierende Maßnahmen zur Herstellung eines freien Marktes, zum Beispiel durch einen Zwang zur öf- fentlichen Ausschreibung von Wasserversorgungsdienst- leistern, als mögliche Maßnahmen genannt. Angesichts des erreichten hohen Standards der Was- serwirtschaft in Deutschland und des angestrebten euro- päischen Gleichschritts gibt es allerdings nach Meinung der Union keine Notwendigkeit, hierzulande besonders übereifrig zu agieren. Das von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Gutachten berücksichtigt überdies nicht hinreichend die Sorgen um unser Trinkwasser, ins- besondere hinsichtlich seiner Qualität, was aus den zahl- reichen Stellungnahmen der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser, der Umwelt- und Fachverbände und vieler Bür- ger hervorgeht. Zudem ist noch unklar, ob und wie weit das Bundeswirtschaftsministerium künftig die Liberalisie- rungsideen im Wassermarkt weiter verfolgt. Es scheint – das zeigt auch der vorliegende Antrag von SPD- und Bündnis 90/Die Grünen-Abgeordneten „Nachhaltige Was- serwirtschaft in Deutschland“ –, dass sich auch im Regie- rungslager ein deutlicher Widerstand gegen allzu weit rei- chende Liberalisierungstendenzen auf diesem Gebiet regt. Zumindest für die laufende Legislaturperiode sind vorerst keine weiteren Schritte zu erwarten. Eine verstärkte Konkurrenz durch die im Gutachten geforderte Öffnung der bislang geschlossenen Versor- gungsgebiete über Durchleitungsrechte, Stichleitungen und Fremdeinspeisungen in Leitungsnetze sowie die Pflicht zur Ausschreibung der Versorgungsaufgabe in ab- gegrenzten Gebieten ist mit Blick auf die berechtigten Sorgen um die Trinkwasserqualität abzulehnen. Ich for- dere die Bundesregierung zu einem klaren Bekenntnis für die kommunale Trägerschaft der Wasserversorgung unter Beibehaltung des bestehenden Kartellrechts sowie zur entschiedenen und sofortigen Aufgabe ihrer zögerlichen Haltung auf, um die Verunsicherung in der Bevölkerung schnell zu beenden. Im Übrigen ist in diesem Zusammenhang eine Aus- höhlung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden zu befürchten. Ein vollständiger und endgül- tiger Rückzug der Gemeinde aus der kommunalen Pflichtaufgabe „Wasserversorgung“ ist mit uns nicht er- reichbar. Das heißt, eine völlige Öffnung des Marktes kann angesichts der Bedeutung, gerade in gesundheitli- cher Hinsicht, nicht das Ziel einer vernünftigen Politik sein. Hingegen unterstützt die Union sinnvolle Privatisie- rungsmöglichkeiten auf diesem Gebiet, wie sie unter an- derem in Bayern, Hessen und Westfalen im Hinblick auf die Ausnutzung von Synergieeffekten genutzt werden. In Bayern nehmen in diesem Zusammenhang zahlrei- che Wasserversorger an einem bayernweiten Unterneh- mensvergleich mit Kennzahlensystem und Benchmarking teil und zeigen damit, dass sie keinen Vergleich zu scheuen brauchen und alle Möglichkeiten zur Effizienz- steigerung nutzen. Unter den eben genannten sinnvollen Kooperations- möglichkeiten verstehe ich die Zusammenarbeit mit pri- vaten Partnern nur dann, wenn diese fachkundig, leis- tungsfähig und vertrauenswürdig sind. Eine sorgfältige Vertragsgestaltung ist dabei unabdingbar. Die Entschei- dung darüber – das möchte ich an dieser Stelle noch ein- mal ausdrücklich betonen – soll allein bei den Kommunen bzw. den betroffenen Bürgern bleiben. Die Gefahren bei einer grundlegenden Änderung der bestehenden Situation in Richtung Liberalisierung liegen auf der Hand. Ich will an dieser Stelle schlagwortartig die wesentlichen Gefahren und Risiken nennen: die bereits angesprochene Schwächung der kommunalen Selbstver- waltung, die Verringerung des Einflusses der Bürger und der Gemeinden auf „ihre“ Wasserversorgung, die Er- höhung des staatlichen Regulierungsbedarfes und damit des Verwaltungsaufwandes, der Rückgang ortsnaher Versorgungen und Schwächung des Regionalitätsprinzips und schließlich technische und rechtliche Probleme in den Leitungsnetzen bei Mitbenutzung und Durchleitung durch Dritte. Darüber hinaus haben die Erfahrungen im europä- ischen Ausland, gerade in Frankreich und Großbritannien, gezeigt, dass der Zwang zur Ausschreibung aus Versor- gungsmonopolen Konzernmonopole und daher keinerlei Preisstabilität mit sich brachte sowie zu Qualitätsminde- rung und Verlust des ökologischen Standards geführt hat. Es ist auch keine wesentliche Kostensenkung durch pri- vate Anbieter zu erwarten, da der Wasserpreis einen ho- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 200221180 (C) (D) (A) (B) hen Fixkostenanteil enthält. Von daher ist zu befürchten, dass nach kurzer Zeit die Preise sogar steigen werden. Insgesamt wäre mit der Liberalisierung die Zerschla- gung einer grundsätzlich bewährten Struktur – wenn es nach dem von Bundeswirtschaftsminister Müller in Auf- trag gegebenen Gutachten geht – zwangsläufig über kurz oder lang zu befürchten gewesen. Die freie Wahl der Un- ternehmensform durch die demokratisch gewählten Ver- treter der Kommunen ist der richtige Weg. Deshalb wen- den wir uns gegen jegliche Liberalisierungsbestrebungen auf dem Wassermarkt. Wir begrüßen und unterstützen aber die Modernisierungsschritte der Kommunen, damit eine hochwertige Trinkwasserversorgung mit günstigen Wasserpreisen dauerhaft zur Verfügung steht. Der vorliegende Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen weist in die richtige Richtung. Es bleibt zu hoffen, dass die darin enthaltenen Forderungen und die Hinweise auf die genannten Gefahren einer Liberalisierung auch im Bundeswirtschaftsministerium nachhaltig ernst genom- men werden. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Panta rhei“ sprach Heraklit und meinte damit mehr die Änderlichkeit der Zeitläufte als die deutsche Wasserwirt- schaft. Aber auch dort ist – nicht nur buchstäblich – alles im Fließen. Selbst die gewachsenen, bewährten Struktu- ren kommunaler Verantwortung werden immer stärker in- frage gestellt: kein bedeutender Wasserkongress in den letzten Jahren ohne eine breite Diskussion über Privati- sierung und Liberalisierung. Ursächlich dafür ist die Globalisierung der Wasseröko- nomien dieser Welt. Kapital sucht Beschäftigung und möchte rentabel wirtschaften. So fiel der Blick der Unter- nehmensstrategen – vor allem der Energiekonzerne – vor Jahren auf die Trinkwasserversorger. Einige wie der RWE-Vorstandsvorsitzende Dietmar Kuhnt sprechen ge- radezu vom „Öl des 21. Jahrhunderts mit zuverlässig sta- bilen und hohen Erträgen“. Zeitgleich sorgte die Globali- sierung dafür, dass sich die deutsche Wasserwirtschaft mittlerweile einem internationalen Wettbewerb stellen muss: konkret in Europa bereits mit Unternehmen aus Frankreich oder England, deren Märkte entweder voll li- beralisiert oder privatisiert sind. Aber nebenbei: Was ist das für eine Liberalisierung, die den Markteintritt deutscher Unternehmen in den französi- schen Markt verhindert? Und was bleibt vom Entmonopo- lisierungsargument der Liberalisierer, wenn aus öffentlich- rechtlichen Monopolen private werden? Aber: Wasser ist anders. Es ist nicht nur Handelsgut, es ist vor allem ein es- senzielles Grundnahrungsmittel und als Grund- und Ober- flächenwasser gar die Lebensgrundlage schlechthin. Was- ser ist nicht gleich Strom oder Telekommunikation. Es ist nicht unbegrenzt misch- und haltbar. Wir wollen nicht die chemisch aufbereitete Einheitsbrühe, sondern frisches, le- bendiges Trinkwasser, möglichst regional gefördert und vermarktet. Wir wollen nicht in die Hochzeit der Wasser- chlorierung der 60er- und 70er-Jahre zurück. Wettbewerb um das Wasser und seine Kunden wird im- mer zulasten der Verbraucher, der Umwelt und langfristig auch der Trinkwasserqualität gehen. Gewachsene und be- währte Strukturen unserer Versorgung wären gefährdet. Wir schließen uns daher den Beschlüssen der Umwelt- und Innenministerkonferenzen der Bundesländer an, De- regulierung und Liberalisierung der Wasserwirtschaft zu unterbinden und den kartellrechtlichen Ausnahmetatbe- stand für Wasser auch weiterhin zu erhalten. Es geht uns also darum, die von Habermas als „Groß- metapher“ bezeichnete Globalisierung für alle deutlich sichtbar in seine alltäglichen Folgen für Verbraucher und Umwelt zu zerlegen: steigende Preise, sinkende Qualität und geringerer Schutz von Umwelt und Natur. Wir haben nicht vor, rauhen Putz in der Idylle zu machen. Vielmehr gilt: Die Idylle der deutschen Wasserwirtschaft besteht doch schon längst nicht mehr. Andauernd wird sie durch die Androhung der Liberalisierung des letzten, natürli- chen Monopols unserer Volkswirtschaft bedroht. Dies lähmt Politik und Unternehmen gleichermaßen. Dabei hat selbst das vom Wirtschaftsminister in Auftrag gegebene, so genannte „Ewers-Gutachten“ mehr Argumente gegen als für den hemmungslosen Wettbewerb um das Trink- wasser geliefert. Auch beim so genannten „Langen-Bericht“ des Euro- päischen Parlaments wurde nach dem ersten – liberalisie- rungsfreundlichen – Entwurf kräftig zurückgerudert. Hier zog Vernunft ein: Das Europäische Parlament stellt heute fest, dass eine vollständige Liberalisierung keine ange- messene Perspektive für die Daseinsvorsorge ist. Es er- kennt an, dass die Liberalisierung auch gravierende, ne- gative Auswirkungen für Verbraucher und Umwelt haben kann. Wir brauchen deshalb – das ist das Ziel unseres An- trags – ein starkes Signal in Richtung einer nachhaltigen Wasserwirtschaft. Dieses zukunftsfähige Leitbild umfasst erstens eine vorsorgende Gewässerschutzpolitik. Zu Recht hat gerade Ihr ehemaliger Umweltminister Klaus Töpfer die Einführung des Vorsorgeprinzips als „Königs- weg der Umweltpolitik“ gefeiert. Doch wer sollte bei ei- nem grenzenlosen Wettbewerb noch auf Gemeinnutz und Umweltschutz achten? Zweitens brauchen wir auch weiterhin sozialverträgli- che Gebühren und Tarife und drittens wollen wir eine sta- bile und leistungsfähige Wasserwirtschaft: Wir wollen den Zusammenschluss von Wasser- und Abwasserbetrie- ben sowie die Schaffung größerer, auch international handlungsfähiger Betriebseinheiten fördern. Wir wollen eine Modernisierung der Wasserwirtschaft durch mehr re- gionale Kooperation. Doch wäre das alles nichts – würden wir nicht den Ge- bietsschutz für die Wasserversorgung beibehalten. Das unverantwortliche Gerede von der Liberalisierung muss ein Ende haben. Walter Hirche (FDP): Versorgungsmonopole bedür- fen einer besonderen Rechtfertigung. Wettbewerbliche Strukturen sind in aller Regel geeigneter und verbrau- cherfreundlicher. Diese beiden Feststellungen finden so allgemein breite Zustimmung. Auch der vorliegende An- trag der Regierungsfraktionen benennt diesen Gedanken Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21181 (C) (D) (A) (B) als Ausgangspunkt, allerdings nur, um für den Bereich der Wasserversorgung seine Geltung zu verneinen. Unbestritten ist: Wasser ist ein besonderes Lebensmit- tel. Wir sind uns deshalb auch in der Aufgabe einig: Die Versorgung mit Wasser bestmöglicher Qualität, verbun- den mit der Beachtung aller Umweltschutz-Notwendig- keiten, ist ein Bereich der Daseinsvorsorge und damit ein Bereich, auf den der Staat besonderes Augenmerk richten muss. Das ist aber noch lange kein Argument für die Auf- rechterhaltung kommunaler Monopole. Genau darauf aber setzt der Antrag der Regierungsfraktionen. Diese durchsichtige Absicht ist zugleich seine fundamentale Schwäche. Denn mit einem solchen Ansatzpunkt könnte man auch die Versorgung mit Brot zum kommunalen Mo- nopol machen! Monopole dieser Art sind der Traum kommunaler Kämmerer, denn sie eröffnen die Möglichkeit für Quer- subventionen. Auf diese Weise die Kommunalfinanzen zu stützen ist aber der falsche Weg. Der richtige Weg ist eine bessere Wirtschafts- und Finanzpolitik, die zu weniger Arbeitslosigkeit führt und damit die kommunale Finanz- lage bessert. Es geht um eine sichere Wasserversorgung, verbunden mit der Sicherung der Qualität des Lebensmittels Wasser und der Aufrechterhaltung von Zielen des Umwelt- und Gewässerschutzes. Gleichzeitig geht es aber auch darum, die Möglichkeiten zu nutzen, auch in diesem Bereich den Wettbewerb zu stärken und damit zu Kostensenkungen für den Verbraucher ohne Qualitätsverlust zu kommen. Es kommt nicht darauf an, dass der Staat diese Aufgabe selbst durchführt, es kommt darauf an, dass er klare Re- geln setzt und für deren Einhaltung sorgt. Die Qualitäts- kontrolle ist Aufgabe des Staates. Die Bereitstellung und Organisation dagegen ist bei Qualitätssicherung ebenso gut privat organisierbar – das beweisen unsere Nachbar- staaten. Allerdings ist dazu eines dringend notwendig: Wir brauchen die steuerliche Gleichbehandlung von Kommunalen und Privaten – im Bereich der Wasserver- sorgung ebenso wie bei der Abwasserentsorgung. Wir stimmen der in dem Antrag vertretenen Auffas- sung zu, dass es erheblichen Modernisierungsbedarf in der Wasserwirtschaft gibt und dass die Potenziale, um zu mehr Effizienz im Sinne einer optimalen betriebswirt- schaftlichen Bereitstellung bester Wasserqualität zu kom- men, genutzt werden müssen. Wir stellen aber fest, dass die Maßnahmen, die die Re- gierungskoalition hierzu vorschlägt, allzu sehr von dem Gedanken dominiert sind, den Kommunen dieses Aufga- benfeld als Monopol zu sichern. Das ist sachwidrig. Dem können wir nicht zustimmen. Eva Bulling-Schröter (PDS): Es wurde Zeit, dass die Zukunft der deutschen Wasserwirtschaft endlich in die- sem Hause debattiert wird. Schließlich gibt es nun schon seit mehreren Jahren eine heftige Diskussion über diese Kernaufgabe der kommunalen Daseinsvorsorge. Angestoßen wurde sie von den radikal marktwirt- schaftlichen Vertretern des SPD-geführten Bundeswirt- schaftsministeriums. Was diese auf zahlreichen Konfe- renzen – sekundiert von einigen Verbandsvertretern und Wissenschaftlern – zu verkünden hatten, ließ Umweltver- bänden, Gewerkschaftern und Wasserwerkern die Haare zu Berge stehen. Der Affront war so groß, dass sich schon früh ein Netz- werk „Unser Wasser“ bildete, um unermüdlich Lobby- arbeit für den Erhalt einer bewährten Wasserversorgung zu betreiben. Wie auch der Koalitionsantrag feststellt, zeichnet sie seit Jahren flächendeckend eine hohe Versor- gungssicherheit und eine hohe Trinkwasserqualität aus, die jedem internationalen Vergleich standhält. Und dies auch im Hinblick auf das Preisniveau. Dieser Standard drohte nun auf dem Altar der neoli- beralen Marktradikalen geopfert zu werden. Der § 103 GWB (alt) sollte fallen. Die Ausnahmen im Wettbe- werbsrecht zugunsten geschlossener Versorgungsgebiete wären damit hinfällig. Da sich die PDS in diesem Netzwerk engagiert hat, bin ich vor diesem Hintergrund in weiten Teilen über den Ko- alitionsantrag erfreut. Scheinbar haben sich hier aus- nahmsweise Umwelt- und Kommunalpolitiker sowie Ge- werkschafter durchgesetzt. Der Antrag erkennt an, dass ein Wettbewerb im Markt keinesfalls günstigere Preise für die Bürgerinnen und Bür- ger bringen würde. Schließlich ging es den Befürwortern ja nur um das Herausbrechen von Großabnehmern durch Großkonzerne zulasten der Allgemeinheit und er stellt sich hinter das Gutachten des Umweltbundesamtes, wel- ches die großen Risiken einer Liberalisierung des Was- sermarktes für Verbraucher und Umwelt nachweist. Eine Konzession an das BMWi ist sicher die Neuauflage der alten Forderung nach umsatzsteuerlicher Gleichstel- lung der Wasser- mit der Abwasserversorgung. Mir leuch- tet in diesem Zusammenhang nicht ein, warum Bürgerin- nen und Bürger für eine hoheitliche Aufgabe Umsatzsteuer zahlen sollen. Schließlich gelten Kommunen und nicht die Bürgerinnen und Bürger in diesem Fall als letzte Kunden – eine nachvollziehbare Logik, die kommunale Selbstver- waltung und Daseinsvorsorge auch steuerlich reflektiert und nicht als Wirtschaftsunternehmen betrachtet. Bei 7 Prozent würden sich Bund und Länder übrigens langfristig selber ins Knie schießen, jedenfalls für alle Neuinvestitionen. Das Stichwort 16 Prozent Vorsteuer- abzug soll hier genügen. Die Forderungen zur Förderung der Wettbewerbsfähig- keit im internationalen Bereich sehen wir ähnlich skep- tisch. Profitieren werden hier Eon, RWE und Co, nicht der kleine bayerische Wasserverband. Die großen Player sollen ihre Expansionen aber gefälligst selber bezahlen. Sie strei- chen ja nachher auch die Kohle ein. Schon jetzt verdienen sie im Wasserbereich unverschämt viel. Nach RWE-Schät- zungen wird das Wassergeschäft im Geschäftsjahr 2001/2002 nur einen Umsatzanteil von 3 Prozent haben, aber mit 20 Prozent zum Betriebsergebnis beitragen. Ich finde, angesichts solcher Zahlen sollte sich auch je- des Kommunalparlament dreimal überlegen, ob es seine Wassersparte wirklich in private Hände legt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 200221182 (C) (D) (A) (B) Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Übergangsregelung für das neue Füh- rerscheinrecht (Tagesordnungspunkt 23) Rita Streb-Hesse (SPD): Als der Euro in diesen Ta- gen in die Geldbörsen der Bürger kam, steckte dort schon der europäische Führerschein. Bereits im April 1991 wurde eine gemeinsame Führer- scheinrichtlinie für die Europäische Union beschlossen und ihre Umsetzung in nationales Recht bis 1996 verein- bart. Die Einführung der international üblichen Führer- scheinklassen hatte für die Bundesrepublik zur Folge, dass die PKW-Fahrerlaubnis nun nicht mehr zum Führen eines Fahrzeugs bis zu einer zulässigen Gesamtmasse von 7,5 Tonnen, sondern nur noch bis 3,5 Tonnen berechtigt. Die möglichen Folgen für gemeinnützige Organisation wie Feuerwehr und Rettungsdienste, aber auch für kleinere Unternehmen wurden mit der Veröffentlichung bekannt und bei der Erarbeitung der neuen Verordnung bedacht. Im August 1998 wurde die neue Fahrerlaubnisverordnung ver- öffentlicht; sie trat am 1. Januar 1999 in Kraft. Schon der lange Übergangszeitraum von sieben Jahren ermöglichte allen Beteiligten, sich auf die neuen Regelun- gen einzustellen. Ein Blick in den Verordnungstext zeigt außerdem, dass sich die fachlich Verantwortlichen um eine weitestgehende Besitzstandswahrung und eine Begren- zung zukünftig entstehender Kosten bemüht haben. So ist es weiterhin möglich, mit einem bis zum 31. Dezember 1998 erworbenen Führerschein der Klasse 3 Fahrzeuge bis zu 7,5 Tonnen zu führen. Mit Blick auf den „Nachwuchs“ wurde diese Erlaubnis auch den Führerscheinbewerbern erteilt, die nach In-Kraft-Treten der Verordnung bis zum 1. Juli 1999 ihre Prüfung ablegten. Um auch zukünftig das Fahren von Fahrzeugen zwischen 3,5 Tonnen und 7,5 Ton- nen unter zumutbaren Bedingungen zu sichern, wurde eine spezielle C1-Klasse als „Auffangklasse“ neu eingeführt. Wir alle wissen, dass notwendige Umstellungen auf- grund gesetzlicher Veränderungen und Verordnungen „vor Ort“ nicht immer gleich Akzeptanz finden. Und so erstaunt es nicht, dass diese Thematik im Spätsommer 1999 von Abgeordneten aufgegriffen wurde: vom Kolle- gen Meister, CDU, in der Fragestunde am 2. September 1999, mit einer Kleinen Anfrage der FDP und mit Schrei- ben weiterer Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktio- nen. Die Antworten des Ministeriums haben uns allen den Sachverhalt nochmals nachvollziehbar und überzeugend dargestellt. Weder ist das von Kolleginnen und Kollegen präferierte österreichische Modell des „Feuerwehrführerscheins“ kos- tengünstiger noch sind weiter reichende Erleichterungen bei Ausbildung und Prüfung aus Gründen der Verkehrs- sicherheit vertretbar. Diesen Sachverhalt negierend forderte die FDP-Frak- tion im Dezember 1999 mit einem Antrag zusätzliche Ausnahmeregelungen. Ein Jahr nach In-Kraft-Treten der Verordnung wurden damit in unverantwortbarer Weise bei den Betroffenen Hoffnungen und Illusionen geweckt bzw. unterstützt. Der Hinweis auf angeblich nicht tragbare Kosten für Gemeinden und mittelständische Wirtschaft erstaunt umso mehr, da die FDP damit ein Ergebnis ihrer eigenen Regierungsarbeit als unzulänglich und kosten- steigernd bewertet. Ein erneuter Vorstoß der Bundesregierung in Brüssel, weiter gehende nationale Ausnahmeregelungen für Feuer- wehr, technische Hilfsdienste und Rettungsdienste zu er- reichen, wurde als „nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar“ im September 2000 abschlägig beschieden. Damit war klar, dass die Forderungen nicht umsetzbar sind. Trotzdem bestand die FDP in den zuständigen Aus- schüssen auf einer Abstimmung. Aber auch die anderen Oppositionsfraktionen votierten verwirrend und keines- falls sachbezogen. Für eine nochmalige Veränderung besteht weder die sachliche Notwendigkeit noch die rechtliche Möglichkeit. Die seit dem 1. Januar 1999 geltende neue Fahrerlaubnis- verordnung berücksichtigt die besonderen Interessen der Kommunen und betroffenen Organisationen sowie der Wirtschaft. Nicht nur die hohe Nachfrage nach dem EU- Führerschein beweist die mittlerweile breite Akzeptanz. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Mehr als 20 000 Feuerwehr-, Rettungs- und Krankenwagen sind bei den Organisationen der Rettungsdienste, technischen Hilfsdienste und Feuerwehren zugelassen, deren ehren- amtliche Fahrer zukünftig einen teuren LKW-Führer- schein machen müssen, um die Einsatzfahrzeuge über- haupt bewegen zu dürfen. Diese zusätzliche Ausgabe kostet Geld, das die betroffenen Gebietskörperschaften oder Organisationen nicht haben. Wir halten es in diesen Fällen für vertretbar, das Füh- rerscheinrecht mit einer Ausnahmeregelung auszustatten, nach der auch Inhaber des Führerscheins der Klasse B für die Dauer der ehrenamtlichen Tätigkeit die Erlaubnis er- halten, die betroffenen Einsatzfahrzeuge bis zu 7,5 Ton- nen zu führen. Die Sicherheit dieser Maßnahmen wird da- durch gewährleistet, dass die Fahrer ohnehin eine Einweisung in das Fahrzeug erhalten, sodass Bedenken in diesen Fällen nicht begründet sein müssen. Seit dem 1. Januar 1999 wird auch in der Bundesrepu- blik Deutschland die international übliche Einteilung der Fahrerlaubnisklassen nach der EU-Führerscheinrichtlinie praktiziert. Die Grenze zwischen PKW und LKW liegt damit jetzt bei 3,5 Tonnen Gesamtgewicht und nicht mehr – wie bisher – bei 7,5 Tonnen. Dafür gibt es nun die neue Führerscheinklasse C 1. Wer also ein Fahrzeug mit einem Gesamtgewicht zwischen 3,5 und 7,5 Tonnen fahren will, muss seit 1. Januar 1999 auch eine Fahrerlaubnis C 1 er- werben. Das schafft Probleme in jenen Bereichen, in de- nen vor allem junge Menschen in für die gesamte Gemeinschaft wichtigen Hilfsdiensten, Katastrophen- schutzeinrichtungen und Wohltätigkeitsorganisationen, zum Beispiel den Feuerwehren, ehrenamtlich Dienst tun. Dort sollen sie mit vorhandenen LKWs bis zu 7,5 Tonnen fahren, was seit 1999 eben einen eigenen Führerschein er- fordert. Einen solchen brauchen sie in aller Regel nicht im Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21183 (C) (D) (A) (B) privaten Bereich, sodass sie meistens nicht bereit sind, die Kosten für diese zusätzliche Prüfung zu tragen. Aber auch die Hilfsorganisationen haben keine gefüll- ten Kassen, aus denen sie die Kosten für eine solche Prü- fung ersetzen könnten. Da aber das Engagement vor allem auch jüngerer Menschen für diese Art Gemeinwohl höchst wünschenswert, ja unverzichtbar ist, ist es not- wendig, einen gangbaren Ausweg aus dieser Misere zu schaffen. Förderung des Ehrenamtes, ja, Aufgabe der Si- cherheit, nein. Da die Richtlinie keine Ausnahmen vorsieht, benötigen die Fahrerinnen und Fahrer in solchen Organisationen eine besondere Erlaubnis, das EU-Recht macht nationales Recht möglich. Da die rot-grüne Bundesregierung nein dazu sagt, obwohl in Österreich mit dem so genannten „Feuerwehrführerschein“ Sonderregelungen möglich sind, bleibt uns eigentlich nur noch der Weg, in den betroffenen Diensten selbst eine Möglichkeit zum Erwerb der Führer- scheinklasse C 1 zu schaffen. Die Tatsache, dass die Füh- rerscheinrichtlinie selbst keine Ausnahmen vorsieht, sollte aber die Bundesregierung nicht davon abhalten, neue Wege zur Führerscheinerwerbung bei gemeinnützigen Organisationen zu prüfen und zu beschreiten. Bedenkenswert sind die Herausforderungen, die durch die Neuregelung bei kleineren und mittleren Firmen ent- stehen. Auch dort kann es durch die jetzt zusätzlich anfal- lenden Kosten für die Ablegung einer Prüfung der Füh- rerscheinkategorie C 1 zu ernst zu nehmenden, neuen Belastungen kommen, zumal es viele Betriebe gibt, die speziell LKWs zwischen 3,5 und 7,5 Tonnen einsetzen, besonders im Handwerk. Auch der Bereich der Landwirtschaft ist betroffen. Dort sind allein 675 000 Traktoren vorhanden, die künf- tig mit neuen Führerscheinen der Klassen T und L gefah- ren werden müssen. Damit kommt es zu Kostenmehrun- gen, die von den Betrieben nicht einfach weggesteckt werden können. Für uns als Union hat die Verkehrssicherheit einen hohen Stellenwert. Doch wo Sonderregelungen ohne Si- cherheitsverluste möglich sind, sollte man sie praktizieren. Kleinlastwagenfahrer sind keine besondere Risikogruppe, laut Unfallstatistik. Deshalb gilt es, wie in Österreich, Aus- nahmen zu genehmigen. Diese Empfehlung geht auch an die Bundesländer. Wenn es um den Führerscheinerwerb mit 16,5 oder 17 geht, sind sie auch nicht so pingelig. Sie- ben Länder wollen einen Modellversuch, obwohl es bei jungen Fahrern überdurchschnittlich häufig kracht. Impo- niergehabe, Alkohol oder die falsche Einschätzung der Ge- schwindigkeit lassen die Unfallraten von Führerschein- neulingen nach oben schnellen – mit schweren, zu häufig tödlichen Folgen. Daher ist grundsätzlich jede Überlegung begrüßenswert, die zu höherer Verkehrssicherheit in dieser Altersgruppe führen könnte. Ich frage Sie aber: Hilft es, wenn 17-Jährige – zwar un- ter Bedingungen und nur mit Begleitung, schon ans Lenk- rad dürfen? Zwar wirken gestandene Beifahrer mäßigend auf stürmische Neulinge, die ihren Praxistest nicht nur in der Theorie oder klammheimlich machen. Auch gute Er- fahrungen in vielen Ländern Europas und den USA spre- chen dafür. Doch es gibt berechtigte Einwände. Etwa den, dass sich kaum kontrollieren lässt, ob ein Jugendlicher tatsächlich die mit der Fahrerlaubnis verbundenen Aufla- gen einhält. Und: Ein noch so erfahrener Begleiter kann nun einmal kein Fahrlehrer sein. Weder ist er so gründlich geschult wie ein Fachmann, noch besitzt er dessen tech- nische Möglichkeiten. Dem Beifahrer fehlt die Bremse, wenn ein Autounfall droht – das Risiko auf der Straße würde somit noch steigen. Außerdem wird der Kampf ge- gen den Alkohol am Steuer nicht dadurch zu gewinnen sein, dass der Führerscheinerwerb vorgezogen wird. Jede Art von Selbstversuch auf einem Platz der Verkehrswacht ist daher für alle Beteiligten gefahrloser als auf den viel befahrenen Bundesstraßen und Autobahnen. Auch wenn in Schweden Unfälle junger Fahrer deut- lich durch das Beifahrer-System gesenkt wurden: Hier in Deutschland, im verkehrsreichsten Land Europas, sind die Bedingungen für Jungfahrer völlig anders. Bei dieser Risikogruppe gelten andere Gesetze. Die von uns einge- brachte und über drei Jahre praktizierte Schutzengelkam- pagne war ein richtiger Weg. Bedauerlich, dass Bodewig ihn ausbremste. Trotzdem werden wir uns nicht entmuti- gen lassen, weiter für mehr Sicherheit im Straßenverkehr zu sorgen. Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Mit der zweiten Führerscheinrichtlinie der EG vom 29. Juli 1991 wird die Grenze zwischen PKW- und LKW-Klasse europaweit bei 3,5 Tonnen festgesetzt. Seit 1. Januar 1999 ist sie in nationales Recht umgesetzt. Die FDP will mit ihrem Antrag eine Ausnahmeregelung für bestimmte Personengruppen erreichen, die dann auch mit dem PKW-Führerschein B Fahrzeuge bis 7,5 Tonnen fah- ren dürften. Gedacht ist an die Personen der Rettungs- und Hilfsdienste und kleiner mittelständischer Unternehmen. Die Realisierung des FDP-Antrags wäre ein klarer Ver- stoß gegen EU-Recht und damit rechtswidrig. Aber auch inhaltlich ist der Antrag nicht überzeugend. Denn die neue Regelung ist ein großes Stück mehr Ver- kehrssicherheit. Das Führen von größeren Fahrzeugen – gerade im Einsatz zur Rettung von Leben, zum Löschen von Bränden, in Katastrophensituationen – erfordert enorme Fähigkeiten der helfenden Fahrzeugführer. Sie sind einer besonderen Stresssituation ausgesetzt und dür- fen bei aller Hektik nie die Übersicht und die Kontrolle über das Fahrzeug verlieren. Das hat auch die EU-Führer- scheinrichtlinie vom 29. Juli 1991 im Sinn, wenn sie die Grenze zwischen der PKW-Klasse und der LKW-Klasse bei 3,5 Tonnen festsetzt. Denn mit der Größe des Fahrzeu- ges steigen die Anforderungen der Fahrzeuglenker an Um- sichtigkeit, Reaktionsvermögen und fahrerischem Kön- nen. Das kann nicht ernsthaft bestritten werden. Bei der Richtlinie von 1991 geht es um ein Stück Ver- kehrssicherheit bei einem immer höher werdenden Ver- kehrsaufkommen. Wer große Kraftfahrzeuge von über 3,5 Tonnen fahren will, muss besondere Fähigkeiten nachweisen. Dies ist sinnvoll und wird von Ihnen, ver- ehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ja auch nicht bestritten. Warum denn aber Ihre Forderung nach Ausnahmen von dieser Regelung? „Das Rettungswesen und die Hilfs- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 200221184 (C) (D) (A) (B) dienste in Deutschland werden durch die neue Führer- scheinregelung behindert, belastet oder gar in ihrem Be- stand gefährdet“, behaupten Sie in dem letzten Satz Ihres Antrags. Sie fordern eine Ausnahmeregelung, damit „... neu dort tätiges Personal für die Dauer der Tätigkeit die Erlaubnis erhält, die betroffenen Fahrzeuge auch mit einem Führer- schein der Klasse B führen zu dürfen“. Für neu dort täti- ges Personal eben deshalb, weil für Inhaber von älteren deutschen Fahrerlaubnissen der Klasse 3 auch unter eu- ropäischem Recht gilt, dass sie, die in der Vergangenheit ja schon Erfahrungen mit dem Führen größerer Fahrzeuge bis 7,5 Tonnen erworben haben, dies auch weiterhin tun dürfen. Sonderrechte also nur für unerfahrene Fahr- zeuglenker? Doch wohl lieber nicht. „Für die Dauer der Tätigkeit“ bedeutet auch: Sie ver- langen allen Ernstes, dass Personen während ihrer zeiti- gen Tätigkeit unter den oben erwähnten Stressanforde- rungen, die ein Einsatz im Ernstfall mit sich bringt, größere Fahrzeuge lenken dürfen als außerhalb ihres Dienstes, und dies dann auch noch unter Inan- spruchnahme der Sonderrechte nach der StVO, nach dem Motto: Morgens mit Blaulicht und Vollgas auf dem 7,5-Tonner durch die Innenstadt, abends muss der Umzug mit dem Kleinbus unternommen werden. Außerdem ist nicht zu vermitteln, wieso an einen Ret- tungsfahrer, der Sonderrechte in Anspruch nehmen darf, geringere Anforderungen zu stellen sind als an einen Brummifahrer, der mit langer Erfahrung Güter transpor- tiert. Sie sehen, Ihr Antrag ist in sich widersprüchlich. Der Hinweis auf das in seinem Bestand angeblich gefährdete Rettungswesen vermag diesen Widerspruch nicht auf- zulösen. Die EU-Richtlinie datiert vom 24. September 1991. Alle Beteiligten, auch die kleinste freiwillige Feuerwehr, konnten sich lange Zeit auf die Veränderung einstellen. Auch mutet Ihre persönliche Besorgnis etwas merkwür- dig an, weil die Umsetzung der Richtlinie durch die Fahr- erlaubnisverordnung vom 18. August 1998 bekanntlich in Ihre Regierungszeit fällt. Offenbar haben Sie damals die Problemlage noch etwas realer gesehen. Den Rettungsdiensten hohen Dank für ihren selbstlo- sen Einsatz beim „löschen – retten – bergen“ – aber mit Sicherheit! Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Das neue EU- Führerscheinrecht ist insgesamt ein gelungener Wurf, ein Schritt auf dem Weg zu verbessertem praktischen Zusam- menleben in der ganzen Europäischen Union. Wir haben es vor dem Regierungswechsel noch selbst beschlossen und stehen auch dazu. Aber wenn sich im Laufe der Zeit zeigt, dass im Detail die eine oder andere Bestimmung verbesserungswürdig ist, verstecken wir uns nicht, son- dern sagen, dann ändern wir eben jenes Detail. Das ist ein ganz normaler Vorgang, über den wir eigentlich gar nicht zu streiten bräuchten. Ich wundere mich schon, dass wir hier keinen Konsens erzielen. Wenn Sie sich die Mühe ge- macht hätten, die – sicher auch in Ihren Wahlkreisen – aufkeimenden Besorgnisse anzuhören, würden Sie viel- leicht nicht so rigoros auftreten. Worum geht es denn? Früher konnten mit dem PKW- Führerschein Klasse 3 Fahrzeuge bis zu 7,5 Tonnen gefah- ren werden, sodass beispielsweise ein junger Zivildienst- leistender mit seinem Führerschein die Krankenwagen oder Feuerwehrfahrzeuge fahren durfte. Nach neuem Recht haben Hilfsdienste, Feuerwehren, kleinste Firmen und Landwirtschaft das Problem, von ihren jungen Fah- rern nicht nur den PKW-Führerschein Klasse B (neu), sondern auch den LKW-Führerschein Klasse C (neu) ver- langen zu müssen. Sonst bleiben die Krankenwagen näm- lich in der Garage. Welcher junge Mensch macht schon automatisch den LKW-Führerschein gleich mit dem für PKW zusammen? Kaum jemand, sodass auf die genannten Organisationen deutliche Mehrkosten und organisatorische Probleme zu- kommen. Soll der Zivildienstleistende die Hälfte seiner Dienstzeit erst einmal mit Fahrschulung zubringen, oder soll er das – auf Kosten der Organisationen und von ihnen organisiert – vorher erledigen? Den Zusagen für eine Zi- vildienststelle folgt dann gleich die Einteilung in eine Fahrschule – oder wie hat man sich das vorzustellen? Wird das dann auf die spätere Dienstzeit angerechnet? Das Ganze ist ein fantastisches Feld für neue Verwal- tungsvorschriften und neue Stellen. Und die Kosten? Eine Sanitätsstation in einer mittleren Stadt soll pro Jahr zwei bis drei LKW-Führerscheine bezahlen? Das ist doch alles völliger Unsinn und wäre durch eine kleine Änderung so- fort aus der Welt zu schaffen. Ich möchte noch einmal daran erinnern: Hilfsdienste, Feuerwehren, kleinste Firmen und Landwirtschaft sind in diesem Lande ja nicht gerade privilegiert, obwohl in Sonntagsreden deren wichtige Rolle für das Funktionie- ren unseres Gemeinwesens ständig über den grünen Klee gelobt wird. Hier hätten wir die Chance, wirklich etwas zu tun, was den Betroffenen sehr unter den Nägeln brennt, wie unsere Gespräche mit ihnen gezeigt haben. Die aufgezeigten Probleme haben auch nichts mit Par- teizugehörigkeit zu tun. Es geht uns auf fachpolitischer Ebene einfach alle an. Für uns ist eine solche Änderung keine große Sache, hat aber für die Betroffenen eine enorme Bedeutung. Ich bitte Sie daher, unserem Antrag im Interesse der konkret Betroffenen zuzustimmen. Dr. Winfried Wolf (PDS): Bei diesem Tagesordnungs- punkt und dem zur Debatte stehenden FDP-Antrag wurde offensichtlich das Gewissen der Abgeordneten einem ernsthaften Test unterworfen. Von einer Fraktionsdiszi- plin ist hier jedenfalls bei CDU/CSU und bei meiner Par- tei, der PDS, wenig zu erkennen. Im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union stimmten am 5. Juli 2000 nur CDU/CSU und FDP gemeinsam für den FDP-Antrag, während die PDS sich im Lager der neinsagenden Regierungsparteien vereinte. Im Innenausschuss ergab sich am 7. Februar 2001 dann eine wieder andere Konstellation: SPD und Bündnis 90/ Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21185 (C) (D) (A) (B) Die Grünen gelang es, die CDU/CSU zum Neinsagen zu gewinnen, während PDS und FDPeine gemeinsame Front bildeten. Die Odyssee des FDP-Antrags, der am 15. Dezember 1999 erstmals als Drucksache des Bundestages höhere Weihen erfuhr, nähert sich nach 25 Monaten offensicht- lich dem sicheren Hafen der Entscheidung. Bleibt die spannende Frage: Wie wird die Abstimmung in dieser zweiten und dritten Lesung ausfallen? Gibt es weitere Möglichkeiten der parlamentarischen Frontbildung und Bündnispolitik? Nach erneuter eingehender Prüfung erklärt sich jeden- falls die PDS nun endgültig für den FDP-Antrag – und da- mit für die Beseitigung unbilliger Härten für Feuerwehr und andere Hilfsdienste, primär von Organisationen ohne Erwerbscharakter. Wir gehen im Übrigen davon aus, dass sich Menschen mit und ohne Führerschein für den demokratischen So- zialismus entscheiden können und sollten – bei den Feu- erwehren, die ohnehin mit der Farbe rot identifiziert wer- den, und anderswo. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak (Tagesordnungspunkt 24) Christoph Moosbauer (SPD): Wir haben den uns heute vorliegenden Antrag zur Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak im vergangenen Jahr hier im Plenum behandelt – wenn ich mich recht erinnere, sogar auf den Tag genau vor einem Jahr. Seitdem hat sich die interna- tionale Situation, vor allem auch in Bezug auf den Irak, fundamental geändert. Dazu werde ich noch einiges sa- gen. Einige Argumente sind aber die gleichen geblieben. Damit werde ich beginnen. Ich habe große Sympathie für die Grundanliegen des Antrages. Es ist unbestreitbar, dass die humanitäre Situa- tion im Irak heute dramatisch schlechter ist als vor zehn Jahren. Und es ist unbestreitbar, dass die Sanktionen der internationalen Gemeinschaft nicht das erreicht haben, was sie wollten: nämlich die Erzwingung der irakischen Kooperation bei der Identifizierung und Unschädlichma- chung des irakischen Massenvernichtungspotenzials. Wie im Antrag richtig steht, haben die wirtschaftlichen Sank- tionen Saddam Husseins innenpolitische Stellung eher noch gefestigt, indem seine Propaganda für die katastro- phalen Auswirkungen seiner brutalen Politik den Feind von außen verantwortlich machen kann. Von Saddam Hussein erwartet man das ja nicht anders; von der PDS hätte ich mir das aber schon differenzierter gewünscht. Da liegt nämlich der Haken in Ihrem Antrag: Er ver- wechselt Ursache und Wirkung. Wir müssen zunächst ein- mal feststellen, dass Lebensmittel und Medikamente vom Sanktionsregime ausdrücklich ausgenommen worden sind. Saddam Hussein verweigert sie seinem Volk aber. Die finanziellen Mittel, die aus dem „Food for Oil“-Pro- gramm kommen, liegen auf einem Bankkonto und werden von der irakischen Regierung nicht für die Versorgung der Bevölkerung genutzt. Im Irak müsste niemand hungern, wenn Saddam Hussein das nicht wollte. Es hat ja im letzten Jahr im Sicherheitsrat die Debatte über die so genannten „smart sanctions“ gegeben. Und es wird sie wieder geben, wenn die Verlängerung des Sank- tionsregimes wieder auf der Tagesordnung des Sicher- heitsrates steht. Saddam Hussein hat schon im letzten Jahr klar gemacht, dass er auch im Falle einer Lockerung der wirtschaftlichen Sanktionen keinesfalls bereit sei, den Vereinten Nationen entgegenzukommen. Das müssen wir in der heutigen Debatte schon auch berücksichtigen. Sie müssen in so einen Antrag schon auch klar hinein- schreiben, wie es denn zu den Sanktionen kam. Das war ja kein spontaner Einfall der westlichen Staatengemein- schaft, sondern des Sicherheitsrates der Vereinten Natio- nen, nach dem Sie ja sonst auch bei jeder Gelegenheit schreien, und zwar als Reaktion auf den Überfall und die Zerstörung Kuwaits: nachdem der Irak israelische Städte mit Raketen beschossen hat; nachdem der Irak sämtliche kuwaitischen Ölfelder in Brand gesteckt und damit eine der größten Umweltkatastrophen zu verantworten hat. Es gab also durchaus Gründe für die Sanktionen, so ist es ja nicht. Und im Übrigen wären die Sanktionen schon längst weg, wenn Saddam Hussein mit den Vereinten Nationen kooperiert hätte, wie es der Beschluss des UN-Sicher- heitsrates vorsieht. Da liegt meines Erachtens der ent- scheidende Fehler des Antrags und das hätten Sie berück- sichtigen sollen: Das Problem des irakischen Volkes sind nicht die Ver- einten Nationen, das Problem des irakischen Volkes heißt Saddam Hussein. Ich finde es schon bezeichnend, dass dieser Name kein einziges Mal in Ihrem Antrag vor- kommt. Wenn wir über eine Lösung der Krise in und um den Irak sprechen, dann müssen wir das mit dem Appell an Saddam Hussein verbinden, endlich mit den Vereinten Nationen zu kooperieren: Nur so kann dauerhaft eine Ent- wicklungsperspektive für das irakische Volk erreicht wer- den! Wir wissen natürlich, dass ein solcher Appell nur eine recht bescheidene Wirkung in Bagdad zeitigen wird. Aber ich erwarte schon, dass wir hier im Deutschen Bun- destag Ross und Reiter nennen! Aber auch mir ist natürlich klar, dass das Sanktionsre- gime modifiziert werden muss, da mit einer Kooperation seitens des Iraks im vollen Umfang nicht zu rechnen ist. Sie wissen, dass auch ich dafür bin, die wirtschaftlichen Sanktionen von den militärischen Sanktionen abzukop- peln. Das kann in einem schrittweisen Prozess erfolgen, vergleichbar mit dem, was Sie unter Punkt 5 bei der Re- duzierung der Reparationszahlungen fordern. Jeder Schritt zu mehr Kooperation wird belohnt mit einem Ent- gegenkommen der internationalen Gemeinschaft. Nur, auch hier gilt: Saddam Hussein muss sich zunächst einmal grundsätzlich kooperationsbereit zeigen, dann kann der erste Schritt seitens der internationalen Gemeinschaft ge- macht werden. Ein solcher erster Schritt des Iraks könnte etwa die Freilassung der im Golfkrieg verschleppten ku- waitischen Staatsbürger sein. Hunderte davon werden im- mer noch vermisst, ihre Familien haben keine Nachricht Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 200221186 (C) (D) (A) (B) über ihren Verbleib oder ihren Gesundheitszustand. Der Irak zeigt sich hier nicht einmal in Ansätzen kooperativ bei der Aufklärung dieser Schicksale – von der Weigerung der irakischen Staatsführung, mit UNMOVIC zusammen- zuarbeiten, ganz zu schweigen. Wenn wir also über eine Modifizierung des Sanktions- regimes sprechen, müssen wir von einem Prozess spre- chen, an dessen Ende die Aufhebung der wirtschaftlichen Sanktionen steht, nicht an dessen Anfang. Ich bin sehr dafür, das abgestimmt mit unseren europäischen Partnern zu machen. Noch ein Wort zum Zeitpunkt. Ich weiß ja, dass der An- trag schon lange in den Gremien hängt und es außerdem fast nie einen günstigen Zeitpunkt gibt, einen solchen An- trag zu behandeln. Aber wir alle wissen um die Diskus- sion, dass der Irak relativ hoch oben auf der Liste mögli- cher Ziele im Antiterrorkampf der USA steht. Bitte verstehen sie mich nicht falsch: Ich bin absolut dagegen, gegen den Irak militärisch vorzugehen. Aber jede Ent- scheidung, die irgendwie missverstanden werden kann und entweder den Irak ermutigt, ein wenig frecher zu werden oder in den USA den Hang zu einer unilateralen Haltung in der Irakfrage verstärkt, kann am Ende kontra- produktiv sein, vor allem auch für die Grundanliegen des Antrages, die ich, wie schon gesagt, teile. Aus diesen Gründen – falsche Ursachenanalyse, falsches Vorgehen und falsche Zeit –: Die SPD bleibt beim Votum des Auswärtigen Ausschusses und lehnt den Antrag ab. Joachim Hörster (CDU/CSU): Schon bei der ersten Erörterung des PDS-Antrages heute vor genau einem Jahr habe ich darauf hingewiesen, dass die PDS nach der Grundstruktur ihres Antrages nicht dem das irakische Volk gegenwärtig beherrschenden Unrechtsregime, son- dern vielmehr den Alliierten des Golfkrieges die Schuld am Elend der irakischen Bevölkerung geben will. Dabei hat sich seit Stellung des PDS-Antrages nichts daran geändert, dass das irakische Regime mit brutaler Gewalt, mit fortdauernden gravierenden Menschenrechtsverlet- zungen und ohne Rücksichtnahme auf das irakische Volk seine Macht aufrechterhält. Niemand kann und will be- streiten, dass das irakische Volk unter dem auch durch das Embargo verursachten Mangel an Lebensmitteln, Medi- kamenten und erheblichen Schäden an der Sozialinfra- struktur leidet. Niemand in diesem Hause will dem iraki- schen Volk schaden, sondern wir wünschen ganz im Gegenteil dem irakischen Volk eine Regierung, die sich für die lebenswichtigen nationalen und internationalen In- teressen des Irak einsetzt und nicht den eigenen Machter- halt – mit welchen Mitteln auch immer – zum alleinigen Maßstab ihres Handelns macht. Wenn es um die Aufhe- bung der Sanktionen geht, so ist festzuhalten, dass die ge- genwärtigen Machthaber im Irak eine Bringschuld haben. Dazu kann ich nur wiederholen, was ich schon vor einem Jahr ausgeführt habe: Da ist zunächst einmal die Frage der Rüstungskon- trolle. Gerade wir Deutschen können aus eigener ge- schichtlicher Erfahrung bestätigen, wie wichtig und notwendig es ist, infolge eines Angriffskrieges die Rüstungsproduktion internationaler Kontrolle zu un- terwerfen, dabei verlässlich und vertrauenswürdig zu agieren und so verlorenes Vertrauen in der Nachbar- schaft wiederherzustellen. Daran hapert es nach wie vor im Irak. Als Vorsitzender der Parlamentarier- gruppe für die Beziehungen zu den Arabisch spre- chenden Ländern des Nahen Ostens kann ich aus zahl- reichen Gesprächen und Kontakten berichten, dass es dem Irak noch nicht gelungen ist, Vertrauen bei seinen Nachbarn wiederzugewinnen. Es sind nicht nur die Zweifel hinsichtlich ausreichender Kooperation im Zusammenhang mit Fragen der Rüstungskontrolle und der Vernichtung von Waffen- und Massenver- nichtungsarsenalen. Es geht auch um die Vermeidung des verbalen Radikalismus und des Aufbaus von Be- drohungsszenarien. Und nicht zuletzt geht es auch um die Frage, ob der Irak sich glaubhaft darum bemüht, das Schicksal und den Verbleib von vermissten ku- waitischen Soldaten und Staatsbürgern – es ist die Rede von bis zu zweitausend Menschen – aufzu- klären. Wenn wir darangehen, etwas für die Abschaf- fung der Sanktionen zu tun, so kann dies nur funktio- nieren in Übereinstimmung mit dem arabischen Umfeld. Das Regime in Bagdad wäre zuallererst gut beraten, vertrauensbildende Maßnahmen im Hinblick auf seine direkten Nachbarn zu unternehmen. Durch viele Kontakte zu Repräsentanten der arabi- schen Welt weiß ich, dass man mit großer Sorge beobach- tet, dass im Irak die gesamte Versorgung am Boden liegt und nicht funktioniert, dass neben der flächendeckenden Verarmung das vollständige Verschwinden des Mittel- standes ins Auge fällt und dass die Jugend des Landes we- gen fehlender Bildungsmöglichkeit und der fortdauern- den Propaganda sich als Sanktionsopfer Nummer eins begreift und gegenüber der westlichen Welt feindselig eingestellt ist. Man befürchtet Langzeitwirkungen, die man möglichst verhindern sollte. Dennoch ist es schwierig, von den arabischen Ge- sprächspartnern Ratschläge oder Empfehlungen zu erhal- ten, wie das Sanktionsregime geändert werden könnte, um einerseits die Leiden des irakischen Volkes zu min- dern ohne andererseits das gegenwärtige Regime zu stär- ken. Dabei spielt eine nicht unerhebliche Rolle, dass der Irak selbst innerhalb der arabischen Liga nicht bereit war, die Unverletzlichkeit der kuwaitischen Grenzen anzuer- kennen und der Sohn Sadam Husseins, der nicht irgend- wer ist, noch vor weniger als einem halben Jahr eine Landkarte präsentierte, auf der Kuwait als Teil des Irak dargestellt wurde. Auch die arabischen Länder erkennen, dass es äußerst schwierig ist, mit einem Regime, das zu keinerlei ver- trauensbildender Kooperation bereit ist, Regelungen zu finden, die die irakische Bevölkerung in ihren alltäglichen Grundbedürfnissen nicht tangieren. Zunehmend wird man aber auch von arabischen Gesprächspartnern nach- drücklich darauf hingewiesen, dass es in der arabischen Bevölkerung eine stark wachsende Tendenz gibt, die die Sanktionen gegen den Irak als ungerecht empfindet. Bei dieser Bewertung spielen vor allem die Vorgänge in Palästina und das Verhalten Israels eine zentrale Rolle. Während man es Israel durchgehen lasse, dass es Resolu- tionen der Vereinten Nationen schlicht ignoriere und bei dem Vorgehen gegen Palästina ständig das Völkerrecht Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21187 (C) (D) (A) (B) verletze, werde die Verletzung von Entscheidungen der Vereinten Nationen durch den Irak sofort und unnach- giebig geahndet. Die internationale Gemeinschaft wende zweierlei Maßstäbe an und billige Arabern weniger Rechte zu als den Israelis. Ich brauche nicht zu betonen, dass sich dieses Mei- nungsbild gerade wegen der Vorgänge der letzten Wochen in Palästina dramatisch verstärkt hat. Aber selbst wenn, was wir alle hoffen, der Konflikt zwischen Israel und Palästina befriedet werden kann, ändert dies unseren deut- schen Handlungsspielraum gegenüber dem Irak nicht. Ich wiederhole: Keiner von uns will das irakische Volk leiden sehen, zumal es kaum eine Chance hat, sich dem Würgegriff seiner diktatorischen und menschenverach- tenden Regierung zu entziehen. Solange diese Regierung aber selbst ihre aus den Petrodollars erwirtschaftete Fi- nanzkraft nicht ausschließlich für die Bevölkerung ein- setzt, ist es sehr schwierig, ein anderes Sanktionssystem, das die Angriffsfähigkeit des Irak gegen andere Staaten in der Region verhindert, zu finden. Deswegen bedarf es diplomatischer Bemühungen vieler Seiten, um dem im Irak herrschenden Regime klar zu machen, dass ihre Pro- pagandapolitik mit den Leiden des irakischen Volkes nicht der Weg ist, um das Sanktionsregime zu beenden. Es muss dieser Regierung klar gemacht werden, dass der ein- zige Weg darin besteht, die Aggressionsbereitschaft ge- genüber anderen Staaten in der Region aufzugeben, mi- litärisch abzurüsten, sich dabei internationaler Kontrolle zu unterwerfen und auch dem eigenen Volk wieder die Mindeststandards an Menschenrechten einzuräumen. Der PDS-Antrag war vor einem Jahr und ist auch heute in diesem Sinne alles andere als hilfreich und der Aus- wärtige Ausschuss und die mitberatenden Ausschüsse empfehlen zu Recht, diesen Antrag abzulehnen. Daher stimmt meine Fraktion der Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu. Rita Grießhaber (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die humanitäre Situation im Irak ist katastrophal, die Kinder- sterblichkeit gestiegen und die Gesundheitsversorgung schlecht. Mangelhaft ist die Versorgung mit Medikamen- ten, Elektrizität und Wasser. Weil das Bildungssystem zu- sammengebrochen ist, steigt das Analphabetentum. Auch das humanitäre Programm „Nahrungsmittel gegen Öl“ hat die Situation der Bevölkerung nicht verbessert. Sad- dam Hussein ist innenpolitisch gefestigt aus der Sank- tionszeit herausgegangen. Die Sanktionen werden schon seit längerer Zeit von Dritten unterlaufen, hauptsächlich durch den Ölschmuggel. Schauen wir uns diese Realität an, so müssen wir ganz klar sagen: Diese Sanktionen sind gescheitert! Aber, meine Damen und Herren von der PDS, es ist schlicht ir- reführend zu behaupten, dass ein Ende des Wirt- schaftsembargos auch dem Leiden der irakischen Bevöl- kerung ein Ende machen würde! Die politische Botschaft auf diese Weise zu vereinfachen ist unredlich! Warum leidet die Bevölkerung? Die Verantwortung hier- für ist vor allem Saddam Hussein zur Last zu legen: Er hat die Mittel, die dem Irak aus dem Programm „Nahrungsmit- tel gegen Öl“ zur Verfügung stehen, absichtlich nicht aus- geschöpft. Er hat mögliche Leistungen der irakischen Zivil- bevölkerung absichtlich nicht zur Verfügung gestellt und sein eigenes Land bewußt in Geiselhaft genommen. Das Elend im Irak hat viele Ursachen. Die erste ist der lange Krieg des Irak gegen den Iran, die zweite der Über- fall des Irak auf Kuwait und der folgende Golfkrieg und nicht zuletzt der Mißbrauch und die Folge der Sanktionen. Lassen Sie uns also nicht vergessen, mit wem wir es hier zu tun haben: Saddam Hussein ist bestrebt, Massen- vernichtungswaffen herzustellen, und verweigert die Ko- operation mit Inspekteuren der Vereinten Nationen. Im Kampf gegen den Iran und irakische Kurden hat Saddam Hussein Giftgas eingesetzt und die Meldungen aus der jüngsten Zeit, dass der Irak in der Lage sei, biologische und chemische Waffen, wenn nicht sogar Atomraketen zu produzieren, bestärken mich in der Haltung, dass es drin- gend nötig ist, den Irak zur Zusammenarbeit mit den Waf- feninspekteuren zu bewegen. Deshalb begrüße ich den Vorschlag, der schon seit län- gerem auch unter Franzosen, Briten und den USA Zu- stimmung findet, die Sanktionen nicht aufzuheben, son- dern das Sanktionsregime zu verändern. Was wir brauchen ist eine Politik des „Alles ist erlaubt bis auf Waf- fen!“ anstelle des bisherigen „Alles ist verboten bis auf Nahrungsmittel!“. Leider wird dies frühestens nächsten Juni möglich werden. Aber immerhin haben es die Mit- glieder des Sicherheitsrates jetzt geschafft, sich auf dieses Vorgehen zu einigen. Der Sicherheitsrat stellt dem Irak die Aufhebung der Sanktionen in Aussicht, wenn er es endlich zulässt, dass internationale Inspekteure ungehindert nach Massenver- nichtungswaffen und Anlagen zu deren Herstellung su- chen können. Das ist das richtige Signal an den irakischen Diktator: Wir sind kompromissbereit, aber das Ziel der Non-Proliferation werden wir nicht aufgeben! Eine Debatte zum Irak ist derzeit aus doppeltem Grund wichtig: Einerseits geht es nach wie vor um die Folgen der Golfkriege, andererseits aber gleichzeitig um den Terro- rismus und die internationale Allianz zu dessen Bekämp- fung. Eine erste Frucht der Antiterrorallianz war es, dass sich die Sicherheitsratsmitglieder nach drei vergeblichen Anläufen endlich auf einen Fahrplan zur Veränderung des Sanktionsregimes einigen konnten. Jetzt gilt es, diese Antiterrorallianz am Leben zu erhalten! Sie durch einen erneuten Angriff zu gefährden wäre politisch falsch. Des- halb unterstützen wir die Bundesregierung und unsere eu- ropäischen Partner bei ihren Bemühungen, die USA da- von zu überzeugen, dass sie ihre Drohungen gegen den Irak nicht militärisch umsetzen. Die Meldungen, die uns in den letzten Wochen und Ta- gen aus dem oder zum Irak erreicht haben, sind mehr als beunruhigend. Der Ton wird aggressiver. In den USAmel- den sich immer mehr Falken zu Wort, die den Irak als nächstes Ziel der Vereinigten Staaten im Kampf gegen den Terrorismus sehen. Erst am Mittwoch hat US-Präsident Bush eine amerikanische Militäraktion im Irak als Option bezeichnet. Unterdessen hat Saddam Hussein eine Gene- ralmobilmachung angeordnet. Und der ägyptische Präsi- dent Mubarak warnt, dass ein Angriff auf ein arabisches Land „schreckliche Folgen für die Region“ haben werde. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 200221188 (C) (D) (A) (B) Diese Gefahr ist uns allen bewusst. Bereits jetzt ist die Situation im Nahen Osten angespannt genug und die Bun- desregierung bemüht sich darum, den israelisch-paläs- tinensischen Konflikt einzudämmen. Die Auswirkungen einer kriegerischen Auseinandersetzung mit dem Irak wären unkalkulierbar. Deswegen kann ich auch nicht dem früheren US- Außenminister Kissinger zustimmen, der sich am 20. Ja- nuar in der „Welt am Sonntag“ für ein rasches militäri- sches Vorgehen gegen den Irak ausgesprochen hat. Kissingers geopolitischen Gründen werden wir nicht nur menschenrechtliche und humanitäre Argumente entge- genhalten, sondern auch politische Argumente, die nicht nur den Zusammenhalt der Allianz gegen den Terror in den Vordergrund stellen, sondern auch vor dem Zerfall Iraks und den Folgen warnen. Deutsche ABC-Soldaten sind auf dem Weg nach Ku- wait bzw. bereits vor Ort. Dort werden sie an einer inter- nationalen Katastrophenschutzübung mehrerer Staaten teilnehmen. Bei unserer Entscheidung zur Bereitstellung von deutschen Truppen Ende letzten Jahres war uns klar, dass im Kampf gegen den Terror die defensiven Fuchs- Spürpanzer zum Schutz von amerikanischen Einrichtun- gen von Nutzen sein könnten. Nach Angaben der Bun- desregierung handelt es sich nur um eine Übung; der größte Teil der Truppe wird danach wieder nach Deutsch- land zurückgeholt. Zurück zu den Sanktionen. Was soll mit Sanktionen er- reicht werden? Die Sanktionen sind keine Strafe für die notleidende Bevölkerung. Sie sind die einzige Möglich- keit, Missbilligung gegen das irakische Verhalten auszu- drücken und Druck auf das Regime auszuüben. Wo diplo- matische Vermittlungsbemühungen nicht weiterkommen und noch keine militärische Gewalt eingesetzt werden soll, sind Sanktionen das einzige politische Mittel, das die internationale Staatengemeinschaft in Händen hat. Sie sendet folgende, faire Botschaft an das irakische Regime: Lasst internationale Waffeninspekteure in euer Land, und die Sanktionen werden beendet! Denn die internationale Gemeinschaft darf eines nicht: das Ziel der Non-Prolife- ration aufgeben. Ulrich Irmer (FDP): Mit der Verhängung von Sanktio- nen soll – wie auch im Falle des Irak – in der Regel zwei- erlei erreicht werden: Zum einen soll das betroffene Re- gime oder Land durch wirtschaftlichen und politischen Druck zu einer Handlung oder Unterlassung veranlasst werden, zum anderen sind Sanktionen per se aber auch ein besonders deutliches Symbol der Missbilligung von politi- schem Fehlverhalten. Mit der Aufhebung von Sanktionen würde mithin auch anerkannt, dass die Gründe für ihre Ver- hängung nicht mehr vorliegen. Uns ist noch allen der Eier- tanz in Erinnerung, den die Europäische Union auch nach der Vorlage des Gutachtens der drei Weisen bis zur Ausset- zung der Sanktionen gegen Österreich aufgeführt hat. Doch wie sieht die Situation im Irak aus? Zehn Jahre nach der Operation Wüstensturm sitzt Saddam Hussein fester im Sattel als je zuvor. Und sein Regime meldet sich auf internationalem Parkett zurück. Auf dem Saddam In- ternational Aerport landen wieder Linienflugzeuge, Bot- schaften werden in Bagdad wieder eröffnet und der Irak ist wieder zum zweitgrößten Erdölexporteur der Welt avanciert. Statt Medikamente und Nahrungsmittel für sein darbendes Volk zu besorgen, lässt er lieber 11 Milliarden Öldollar ungenutzt auf Depotkonten liegen. Nach UNO- Beobachtungen werden die dank gestiegener Weltmarkt- preise enormen Einnahmen aus Ölschmuggel für den Wiederaufbau seiner konventionellen Streitkräfte einge- setzt. Seine Rüstungsindustrie läuft wieder auf Hochtou- ren, nachdem er es geschafft hat, die UNO-Inspektoren zu vergraulen. Die Mittel hierfür besorgt er sich unter Um- gehung des UN-Ölembargos aus illegalen Ölexporten zu Dumpingpreisen. Und während seine Ingenieure die Ziel- genauigkeit seiner Mittelstreckenraketen verbessern, ruft er die „arabischen Brüder“ zum „Vernichtungsschlag ge- gen Israel“ auf. Der ehemalige UNSCOM-Chef, Richard Butler, schätzt, dass Bagdad nunmehr imstande ist, inner- halb eines Jahres eine Atombombe zu entwickeln. Gleich- zeitig weigert sich Saddam Hussein weiterhin, die UNO- Waffeninspektoren ins Land zu lassen. In jüngster Zeit nutzt Saddam die Krise im Nahost- Friedensprozess, um sich wieder als panarabischer Führer zu präsentieren. Während sein Volk hungert und Kranken- häuser geschlossen werden müssen, ließ Saddam Hussein über 50 Lastwagen mit 1 600 Tonnen Medikamenten und Lebensmitteln auf dem Landweg über Jordanien nach Palästina schaffen. Zehntausende Iraker warten angeblich darauf, in einem israelisch-palästinensischen Krieg an der Seite ihrer arabischen Brüder kämpfen zu dürfen. Überdies kündete er die Bildung einer Kommission an, mit der 100 Millionen Euro an arbeitslose amerikanische Staats- angehörige verteilt werden sollen. Gleichzeitig führt er sein Regime nach innen mit einer derart unerbittlichen Härte, dass sich die UNO-Vollversammlung zur Verab- schiedung einer Resolution veranlasst sah, die der Regie- rung von Saddam Hussein „systematische, weitverbreitete und besonders schwere Verstöße gegen die Menschen- rechte und internationales humanitäres Recht“ vorwirft. Wenn es je Anlässe zur Verhängung von Sanktionen gegeben hat, dann sind sie durch dieses Verhalten des Dik- tators von Bagdad noch eher verstärkt worden. Es ist unbestritten, dass die Versorgungslage im Lande ausgesprochen prekär ist und die Mehrheit der Bevölke- rung vom Lande katastrophale Lebensverhältnisse erdul- den muss. Umgekehrt gilt aber auch, dass das „Öl für Nahrungsmittel“-Abkommen in den letzten Jahren zu einer deutlich spürbaren Verbesserung der Situation bei- getragen hat. Es fragt sich also, was mit der Aufhebung der Sanktio- nen erreicht werden könnte. Eine erste Maßnahme wäre doch sicherlich, das Programm „Öl für Nahrungsmittel“ abzustellen mit der Folge, dass Saddam nunmehr freie Hand hätte, seinem Volk noch weitere Leiden aufzubür- den. Er könnte dabei überdies noch auf eine Art Quasile- gitimierung durch die Aufhebung der Sanktionen verwei- sen. Dass es bereits heute – Sanktionen hin, Sanktionen her – nur eines Fingerzeiges des Diktators bedürfte, um die Lebenssituation der Iraker nachhaltig zu entspannen, ist ebenso klar. Eine nüchterne Analyse der Lage im Irak kommt daher zu dem Ergebnis, dass mit der Aufhebung der Sanktionen die Position des Diktators weiter gestärkt, seinem Volk Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21189 (C) (D) (A) (B) aber nicht geholfen würde. Im Gegenteil. Es kommt jetzt darauf an, die Sanktionen zu verschärfen, sie zielgerichte- ter dort einzusetzen, wo sie unmittelbar die Interessen Saddam Husseins beeinträchtigen, und ihre Umsetzung besser zu kontrollieren. Es ist geradezu grotesk, dass die gleiche PDS-Fraktion, die Saddam Hussein noch vor kurzem mit einem Antrag des Völkermordes bezichtigt, nunmehr die Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak fordert. Aber derartige politische Akrobatik sind wir ja in- zwischen von den „demokratischen Sozialisten“ gewöhnt. Anlage 8 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 771. Sitzung am 20. No- vember 2001 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen, bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Ab- satz 2 Grundgesetz nicht zu stellen: – Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse von Pros- tituierten (Prostitutionsgesetz – ProstG) – Gesetz zur Änderung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften – Gesetz zur Neuausrichtung der Bundeswehr (Bundes- wehrneuausrichtungsgesetz – BwNeuAusrG) – Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2002 (Haushaltsgesetz 2002) – Gesetz zur Bestimmung der Schwankungsreserve in der Rentenversicherung der Arbeiter und Ange- stellten – Erstes Gesetz zur Änderung des Postumwand- lungsgesetzes – Zweites Gesetz zur Änderung des Postgesetzes – Versorgungsänderungsgesetz 2001 – Gesetz zur Änderung des Aufstiegsfortbildungsför- derungsgesetzes (AFBG-ÄndG) – Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung – ... Gesetz zur Änderung des Vermögenszuordungs- gesetzes – Gesetz zur Änderung des Gesetzes überArbeitneh- mererfindungen – Gesetz zur Änderung des Anerkennungs- und Voll- streckungsausführungsgesetzes – Gesetz zur Bereinigung des als Bundesrecht fort- geltenden Rechts der Deutschen Demokratischen Republik – Gesetz zu dem Markenrechtsvertrag vom 27. Okto- ber 1994 – Gesetz zur Umsetzung von Rechtsakten der Europä- ischen Gemeinschaften auf dem Gebiet der Energie- einsparung bei Geräten und Kraftfahrzeugen (Ener- gieverbrauchskennzeichnungsgesetz – EnVKG) – Gesetz über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2002 (ERP-Wirt- schaftsplangesetz 2002) – Gesetz über die Aufhebung des Gesetzes zur Förde- rung der Rationalisierung im Steinkohlenbergbau – Gesetz zu dem Vertrag vom 19. September 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die Zusammenarbeit der Polizeibehörden und der Grenzschutzbehörden in den Grenzgebieten – Gesetz zu dem Partnerschaftsabkommen vom 23. Juni 2000 zwischen den Mitgliedern der Gruppe der Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits (AKP-EG- Partnerschaftsabkommen) – Gesetz zu dem Abkommen vom 11. März 1996 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und derDe- mokratischen Volksrepublik Algerien über die ge- genseitige Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen – Gesetz zu dem Vertrag vom 7. Februar 2000 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und derDe- mokratischen Sozialistischen Republik Sri Lanka über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen – Gesetz zu dem Vertrag vom 23. Mai 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Botsuana über die Förderung und den gegenseiti- gen Schutz von Kapitalanlagen – ... Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung – Gesetz zur Reform der Professorenbesoldung (Profes- sorenbesoldungsreformgesetz – ProfBesReformG) – Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess (RmBereinVpG) – Gesetz zur Fortführung des Solidarpaktes, zur Neuord- nung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Abwicklung des Fonds „Deutsche Einheit“ (Solidar- paktfortführungsgesetz – SFG) Mit der Neufassung des § 1 FAG gemäß Art. 106 Ab- satz 3 und 4 GG in Verbindung mit § 4 Maßstäbegesetz wird die Höhe der Umsatzsteueranteile von Bund und Ländern festgelegt. Der Bundesrat stellt fest, dass die jeweiligen Rechts- positionen von Bund und Ländern zur Interpretation der Bestimmungen zum Familienleistungsausgleich in Art. 106 Abs. 3 und 4 GG in Verbindung mit § 4 Maß- stäbegesetz druch § 1 FAG gewahrt bleiben. Auf die entsprechenden Begründungen im Gesetzentwurf der Bundesregierung zu einem Maßstäbegesetz (Bundes- ratsdrucksache 161/01) sowie in der Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf des Maßstäbegesetzes (Bundesratsdrucksache 161/01 [Beschluss]) wird Be- zug genommen. Im Übrigen wird auf Ziffer IV. 3 der Entschließung des Bundesrates vom 13. Juli 2001 (Bundesratsdrucksache 485/01 [Beschluss]) verwiesen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 200221190 (C) (D) (A) (B) Der Bundesrat erwartet, dass der nach § 6 Absatz 3 Sätze 4 und 5 des Gemeindefinanzreformgesetzes bis einschließlich dem Jahr 2019 um 29 v. H.-Punkte er- höhte Landesvervielfältiger zur Ermittlung der Gewer- besteuerumlage bereits im Jahr 2010 von Bund und Ländern auf seine Angemessenheit überprüft wird. Er gibt seiner Erwartung Ausdruck, dass das Ergebnis der Überprüfung zu einer gegebenenfalls erforderlichen Anpassung des Landesvervielfältigers führt. – Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terroris- mus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) Der Bundesrat begrüßt die mit dem Gesetzesbeschluss zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus vor- gesehenen Maßnahmen zur Stabilisierung der Sicher- heitslage in Deutschland. Mit den Anschlägen in den Vereinigten Staaten von Amerika vom 11. September 2001 hat die terroristische Bedrohung weltweit eine neue Dimension erreicht. Vorbereitung und Ausführung der Anschläge waren ge- kennzeichnet durch ein hohes Ausmaß an Brutalität, Menschenverachtung und Fanatismus. Hinter den An- schlägen steht ein staatenübergreifendes Netz logi- scher und operativer Strukturen. Die gemeinsame Aufgabe aller staatlichen Kräfte muss es sein, dieser Bedrohung mit geeigneten Schutzmaß- nahmen entgegenzutreten. Die nunmehr beschlossenen Gesetzesänderungen stel- len eine notwendige Reaktion auf die internationalen Terrorangriffe vom 11. September und die damit ver- bundenen Angriffe auf die nationale Sicherheitslage in Deutschland dar. Die jüngsten terroristischen Anschläge haben gezeigt, dass eine wirksamere Bekämpfung des Terrorismus ne- ben geeigneten nationalen Maßnahmen auch eine ver- stärkte internationale Zusammenarbeit erfordert. Des- halb ist eine enge Kooperation aller zivilisierten Staaten und ihrer Sicherheitsbehörden notwendiger denn je. Dies gilt insbesondere für die Staaten der Eu- ropäischen Union. Die Innen- und Justizminister der EU haben am 20. September 2001 in einer von Deutschland initiierten Sondersitzung des Rates Justiz und Inneres einen um- fangreichen Maßnahmenkatalog zur Terrorismus- bekämpfung beschlossen. Dieser Katalog sieht unter anderem Maßnahmen bei der Visaerteilung, der Grenz- kontrolle sowie Maßnahmen im Inland vor, die sich in weiten Bereichen mit dem nationalen Sicherheitspaket decken. Der Bundesrat begrüßt daher die dort verabschiedeten Maßnahmen als Ausgangspunkt für eine entschlossene und wirkungsvolle Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Ohne die Gesamtheit dieser Maßnahmen aus dem Auge zu verlieren, sind die nachstehend genannten Punkte besonders hervorzuheben: – Billigung der konkreten Modalitäten des europä- ischen Haftbefehls, der die nationalen Ausliefe- rungsverfahren ersetzen soll; – Gemeinsamer Rechtsrahmen für die Terrorismus- bekämpfung (Definition der terroristischen Straftat- bestände sowie Strafen); – Einfrieren von Vermögensgegenständen; – Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen den operativen Dienststellen, die für die Terrorismus- bekämpfung zuständig sind: EUROPOL, EURO- JUST, Nachrichtendienste, Polizeidienste und die Justizbehörden. Diese Zusammenarbeit soll es ins- besondere ermöglichen, bis Jahresende eine Liste der terroristischen Organisationen zu erstellen; – Stärkung der Sicherheitsmerkmale des gemeinsa- men Visums; – Überlegungen, wie das bisherige EU-Recht (bei- spielsweise zur Asylfrage oder für die Finanzmärkte) „terrorismus“-sicher gemacht werden kann; – Wirksamere Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus durch die förmliche Annahme der Richtlinie über die Geldwäsche und die beschleu- nigte Ratifizierung des Übereinkommens der Ver- einten Nationen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus durch alle Mitgliedstaaten. Nur durch eine enge Zusammenarbeit der EU mit den Mitgliedstaaten kann ein wirksamer Schutz erreicht wer- den. Nationale Maßnahmen reichen hierfür nicht aus. – Gesetz zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuer- rechts (Unternehmenssteuerfortentwicklungsge- setz – UntStFG) 1. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die mit der Enschließung des Bundesrates vom 30. November 2001 (Drucksache 892/01 [Be- schluss]) geforderte Überprüfung zügig mit dem Ziel durchzuführen, umgehend eine neue Rege- lung außerhalb des Steuerrechts vorzulegen, mit der die organschaftlichen Regelungen für Versi- cherungsunternehmen (§ 14 Abs. 3 KStG i.d.F. des Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetzes) im Ergebnis entbehrlich werden. 2. Der Bundesrat erwartet, dass dann § 14 Abs. 3 KStG rückwirkend aufgehoben wird. Die Vorsitzenden des folgenden Ausschusses haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der nachstehenden Vorlage absieht: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Ver- sammlung der Westeuropäischen Union/interimistische Eu- ropäische Versammlung für Sicherheit und Verteidigung (WEU/iEVSV) über die Tagungen der Versammlung vom 5. bis 8. Juni und vom 4. bis 7. Dezember 2000 in Paris – 46. Sitzungs- periode – Drucksachen 14/76705, 14/6995 Nr. 1 – – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parla- mentarischen Versammlung der NATO Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21191 (C) (D) (A) (B) über die 46. Jahrestagung der Parlamentarischen Ver- sammlung der NATO vom 17. bis 21. November 2000 in Berlin – Drucksachen 14/6932, 14/7119 Nr. 3 – Innenausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundes- tag gemäß § 5 Abs. 3 Bundesstatistikgesetz (BStatG) für die Jahre 1999 und 2000 – Drucksachen 14/5912, 14/6213 Nr. 1 – Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2001 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 17 02 Titel 632 01 – Aufwendungen für Gräber der Opfer von Krieg und Ge- waltherrschaft – – Drucksachen 14/7262, 14/7413 Nr. 7 – Ausschuss für Tourismus – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über den Verlauf derWeltausstellung EXPO 2000 in Hannover (1. Juni bis 31. Oktober 2000) – Drucksache 14/5883 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit-geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla-gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla-ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratungabgesehen hat. Innenausschuss Drucksache 14/6615 Nr. 2.9 Drucksache 14/6908 Nr. 1.3 Drucksache 14/7000 Nr. 2.16 Drucksache 14/7000 Nr. 2.17 Drucksache 14/7000 Nr. 2.25 Finanzausschuss Drucksache 14/7000 Nr. 1.15 Drucksache 14/7000 Nr. 1.24 Drucksache 14/7000 Nr. 2.4 Drucksache 14/7000 Nr. 2.13 Drucksache 14/7000 Nr. 2.37 Drucksache 14/7000 Nr. 2.39 Drucksache 14/7000 Nr. 2.41 Drucksache 14/7000 Nr. 2.48 Drucksache 14/7000 Nr. 2.57 Drucksache 14/7197 Nr. 2.12 Drucksache 14/7197 Nr. 2.13 Haushaltsausschuss Drucksache 14/7409 Nr. 2.25 Ausschuss fürWirtschaft und Technologie Drucksache 14/4309 Nr. 1.37 Drucksache 14/7000 Nr. 2.20 Drucksache 14/7409 Nr. 2.6 Drucksache 14/7409 Nr. 2.15 Drucksache 14/7522 Nr. 1.19 Drucksache 14/7522 Nr. 2.5 Drucksache 14/7522 Nr. 2.7 Drucksache 14/7522 Nr. 2.9 Drucksache 14/7522 Nr. 2.11 Drucksache 14/7522 Nr. 2.12 Drucksache 14/7522 Nr. 2.14 Drucksache 14/7522 Nr. 2.16 Drucksache 14/7708 Nr. 2.30 Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 14/7129 Nr. 2.19 Drucksache 14/7129 Nr. 2.20 Drucksache 14/7197 Nr. 2.29 Drucksache 14/7409 Nr. 2.26 Drucksache 14/7409 Nr. 2.27 Drucksache 14/7409 Nr. 2.39 Drucksache 14/7522 Nr. 2.3 Drucksache 14/7522 Nr. 2.13 Drucksache 14/7708 Nr. 2.1 Drucksache 14/7708 Nr. 2.36 Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Drucksache 14/342 Nr. 2.38 Drucksache 14/1276 Nr. 2.2 Drucksache 14/4170 Nr. 2.27 Drucksache 14/5281 Nr. 1.3 Drucksache 14/5281 Nr. 2.20 Drucksache 14/5730 Nr. 2.14 Drucksache 14/6026 Nr. 1.2 Drucksache 14/6026 Nr. 1.3 Drucksache 14/6026 Nr. 2.4 Drucksache 14/6395 Nr. 2.12 Drucksache 14/6508 Nr. 2.9 Drucksache 14/6908 Nr. 2.3 Drucksache 14/7000 Nr. 1.16 Drucksache 14/7000 Nr. 2.18 Drucksache 14/7522 Nr. 1.2 Drucksache 14/7522 Nr. 2.1 Ausschuss für Gesundheit Drucksache 14/7129 Nr. 2.6 Drucksache 14/7129 Nr. 2.7 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 14/7129 Nr. 1.2 Drucksache 14/7129 Nr. 2.18 Drucksache 14/7197 Nr. 1.1 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 14/7197 Nr. 2.6 Drucksache 14/7197 Nr. 2.25 Drucksache 14/7409 Nr. 2.11 Drucksache 14/7409 Nr. 2.12 Drucksache 14/7409 Nr. 2.13 Drucksache 14/7409 Nr. 2.23 Drucksache 14/7409 Nr. 2.29 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 14/6026 Nr. 2.22 Drucksache 14/6026 Nr. 2.23 Drucksache 14/6508 Nr. 1.1 Drucksache 14/6508 Nr. 2.25 Drucksache 14/7000 Nr. 1.19 Drucksache 14/7000 Nr. 1.26 Drucksache 14/7000 Nr. 2.42 Drucksache 14/7000 Nr. 2.45 Drucksache 14/7000 Nr. 2.46 Drucksache 14/7000 Nr. 2.47 Drucksache 14/7000 Nr. 2.49 Drucksache 14/7000 Nr. 2.53 Drucksache 14/7129 Nr. 2.11 Drucksache 14/7197 Nr. 2.17 Drucksache 14/7129 Nr. 2.44 Drucksache 14/7129 Nr. 2.48 Drucksache 14/7409 Nr. 2.7 Drucksache 14/7409 Nr. 2.14 Drucksache 14/7409 Nr. 2.17 Drucksache 14/7522 Nr. 1.3 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 200221192 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421300000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Der Ältestenrat hat in seiner Sitzung am 24. Januar ver-
einbart, dass in der kommenden Sitzungswoche wegen
der Debatte zum Thema Stammzellenimport, die am Mitt-
woch, 30. Januar, bereits um 13 Uhr beginnt, keine Be-
fragung der Bundesregierung, keine Fragestunde und
– am Mittwoch – keine Aktuelle Stunde stattfindet. Sind
Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a bis 16 g auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Klaus

Wiesehügel, Dr. Axel Berg, Hubertus Heil, weite-
reren Abgeordneten und der Fraktion der SPD
sowie den Abgeordneten Kerstin Müller (Köln),
Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur tariflichen Entlohnung bei
öffentlichen Aufträgen und zur Einrichtung
eines Registers über unzuverlässige Unterneh-
men
– Drucksache 14/7796 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes für Tariftreueerklä-
rungen
– Drucksache 14/5263 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur tariflichen Entloh-
nung bei öffentlichen Aufträgen
– Drucksache 14/6752 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

d) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Tariftreue im Vergaberecht – Bundeseinheit-
liche Regelung schafft fairen Wettbewerb
– Drucksache 14/6982 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Ursula Lötzer, Rolf Kutzmutz, Dr. Christa
Luft, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
PDS
Sicherung tariflicher, arbeits- und sozialrechtli-
cherStandards und Förderung arbeitsmarktpo-
litischer Zielsetzungen durch ein Vergabegesetz
– Drucksachen 14/4036, 14/5739 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ursula Lötzer

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hartmut
Schauerte, Dr. Hansjürgen Doss, Wolfgang Börnsen

21087


(C)



(D)



(A)



(B)


213. Sitzung

Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Beginn: 9.00 Uhr


(Bönstrup), weiterer Abgeordneter und der Fraktion

der CDU/CSU
Offensive für die Bauwirtschaft – Ursachen
wirksam bekämpfen
– Drucksache 14/7506 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Hans-Michael Goldmann, Horst Friedrich

(Bayreuth), weiterer Abgeordneter und der Fraktion

der FDP
Mehr Chancen für die Bauwirtschaft durch
weniger Regulierung
– Drucksache 14/7458 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesminister Werner Müller.

Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Der bayerische Staatsminister Otto
Wiesheu hat im Mai des Jahres 2000 darauf hingewiesen,
dass das Vergaberecht nicht mit vergabefremden Aspek-
ten überfrachtet werden darf. Er hat zugleich das baye-
rische Gesetz über eine Tariftreueerklärung bei öffent-
lichen Bauaufträgen in Bayern ausführlich gelobt.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Deshalb wird das aber nicht besser!)


Daran möchte ich anknüpfen und festhalten: Selbst-
verständlich darf man dem Vergaberecht nicht zu viele
politische Kriterien aufbürden. Bereits die notwendige
Transparenz, Objektivität und Justiziabilität machen die
Vergabe öffentlicher Aufträge teilweise recht mühsam.
Mit der Zulassung verschiedenster vergabefremder As-
pekte würde das primäre Ziel des Vergaberechts, öffent-
liche Aufträge objektiv und diskriminierungsfrei zu ver-
geben, kaum mehr erreichbar.

Die Bundesregierung hat es sich deshalb bei ihrer Ent-
scheidung, die vom Bundesrat gewollte Tariftreuepflicht
gesetzlich zu verankern und das bayerische Tariftreue-
gesetz gemäß Bundesratswillen zu einem Bundesgesetz
zu machen, nicht leicht gemacht. Dabei geht es nicht allein
darum, eine für die Wirtschaft verheerende Zersplitterung

des Vergaberechts zu verhindern. Viele Bundesländer ha-
ben ja bereits Tariftreueregelungen in der einen oder ande-
ren Form. Bayern habe ich schon erwähnt; auch das Saar-
land, Sachsen-Anhalt und Berlin verfügen über derartige
Vorschriften und andere Bundesländer bereiten sie vor.

Hinzu kommt die prekäre Situation in der Bauwirtschaft.
Ein Unternehmen, das sich an die Tarifvereinbarungen hält,
hat in Ost- und Westdeutschland nur noch wenig Chancen
am Markt. So sehr die Tarifpartner für wirtschaftlich trag-
bare und vernünftige Tarifvereinbarungen sorgen müssen,
der Staat kann die Augen nicht verschließen, wenn in einer
Branche Tarifvereinbarungen obsolet zu werden drohen.
Das ist nicht im Sinne unserer Verfassung.


(Beifall bei der SPD)

Heute liegt Ihnen deshalb der Entwurf eines Bundes-

gesetzes vor, den die Regierungsfraktionen gleich lautend
zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung eingebracht
haben. Mit dem Gesetzentwurf wird auch auf die Situa-
tion der Bauwirtschaft reagiert. Durch Lohndumping
werden immer mehr Arbeitsplätze insbesondere in mittel-
ständischen Unternehmen zerstört, Arbeitsplätze, die oh-
ne dieses Lohndumping einen ausreichenden sozialen
Schutz gewährleisten könnten.

Weder Unternehmen noch Arbeitnehmer können aber
auf Dauer zu immer niedrigeren Löhnen und immer in-
stabileren Arbeitsbedingungen existieren. Es ist in einer
wohlverstandenen sozialen Marktwirtschaft eigentlich
Aufgabe der Wirtschaft, eine derartige Fehlentwicklung
zu unterbinden.


(Beifall bei der SPD)

Aber diese Chance zur Selbststeuerung wurde nicht er-
griffen.

Ein weiteres Mal zeigt sich: Der mangelnde Wille, die
mangelnde Kraft zur Selbstregulierung erfordert zwin-
gend eine staatliche Regulierung; denn man kann dieses
Lohndumping nicht weiter treiben lassen. Die öffentliche
Hand muss also handeln. Ansonsten würde aufgrund der
Dynamik des Wettbewerbs ein Stundenlohn von 3 Euro
zur Regel, um wettbewerbsfähig zu sein.

Die öffentliche Hand mit ihrem immensen Auftragsvo-
lumen von rund 250 Milliarden Euro darf dieser Ab-
wärtsspirale nicht Vorschub leisten, sondern muss ihren
damit verbundenen Einfluss dazu nutzen, diese Abwärts-
spirale abzuschaffen, da sich hier die Wirtschaft nicht sel-
ber regulieren will oder kann. Es ist ferner völlig ver-
ständlich, wenn die Arbeitnehmer dagegen protestieren,
dass mit ihren Steuergeldern Dumpinglöhne gezahlt wer-
den. Das gilt für den öffentlichen Personennahverkehr
ebenso wie für den Baubereich.

Mit der EU wollen wir auch in diesem Bereich dem
Wettbewerb mehr Geltung verschaffen. Das darf aber
nicht heißen, dass wir einen Wettlauf um niedrige soziale
Standards und schlechte Bezahlung staatlicherseits för-
dern oder tolerieren. Es geht uns vielmehr um mehr Effi-
zienz und attraktivere Angebote.

Noch einmal erlaube ich mir ein Zitat des bayerischen
Wirtschaftsministers Wiesheu. Er sagt:




Präsident Wolfgang Thierse
21088


(C)



(D)



(A)



(B)


Bayern tritt für einen fairen Wettbewerb mit Augen-
maß im ÖPNV ein. Deshalb haben wir mit allen
Betroffenen ... eine Vereinbarung über die Anforde-
rungen bei Linienausschreibungen getroffen. Sie
betreffen die Qualität, die Busausstattung, die Tarif-
verträge.

Genau das wird nun mit dem Gesetz Bundesstandard.
Der Staat soll Bauaufträge und ÖPNV-Leistungen nur

noch an tariftreue Unternehmen vergeben. Um die damit
verbundenen bürokratischen Belastungen gering zu hal-
ten, will die Bundesregierung eine Bagatellgrenze in Hö-
he von 50 000 Euro pro Auftrag einführen. Die einzelnen
Regelungen des Gesetzes bergen für die öffentlichen Auf-
traggeber und die Wirtschaft letztlich wenig Überra-
schungen; denn sie kennen die Praxis, die sich leider eta-
bliert hat. Ferner hat der Bundesrat die Grundzüge einer
derartigen Regelung im Juni letzten Jahres skizziert.

Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf stützt sich auf
diesen Bundesratsbeschluss. Er stützt sich zudem auf die
Arbeit einer Arbeitsgruppe aus Vertretern der betroffenen
Wirtschaft, der Ressorts und auch der Gewerkschaften.
Bauaufträge und Aufträge über Verkehrsleistungen im
ÖPNV sollen danach in Zukunft nur noch an Unterneh-
men vergeben werden, die die am Ort der Leistungs-
erbringung einschlägigen Tariflöhne zahlen.

Ich will nicht verschweigen, dass uns die Frage, ob auf
den Lohn der Baustelle oder auf den Lohn des Unterneh-
menssitzes abgestellt werden soll, einige Kopfschmerzen
bereitet hat. Denn für viele ostdeutsche Unternehmen des
Baugewerbes bedeutet der Lohn der Baustelle, dass sie
bei öffentlichen Aufträgen im Westen nicht mehr mit Ost-
löhnen kalkulieren können. Dies gilt allerdings nur für das
Baunebengewerbe. Im Bauhauptgewerbe ist tarifver-
traglich vereinbart, dass bei Aufträgen im Westen die
Westlöhne zu zahlen sind. Das Gesetz schreibt hier also
nur das vor, was die Tarifvertragsparteien ohnehin bereits
vereinbart haben. Damit ist die Dimension dieser Ostpro-
blematik weit geringer, als vielfach angenommen, da sie
– wie gesagt – nur das Baunebengewerbe betrifft.

Jetzt will ich noch eine praxisorientierte Frage hinzu-
fügen: Ist ein ostdeutscher Tarifstundenlohn plus Aus-
lösung für den Einsatz in Westdeutschland tatsächlich
billiger als ein westdeutscher Tarifstundenlohn? – Bei Ta-
riftreue wohl nicht. Theoretisch kann man also sagen, dass
der sich aus dem niedrigen Ostlohn ergebende Vorteil bei
Aufträgen im Westen entfällt.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Sollen sie bleiben, wo sie sind, die Ossis!)


Praktisch wird das aber keine Rolle spielen. Deshalb gibt
es zum Lohn der Baustelle hier keine Alternative.

Festzulegen, dass der Lohntarif am Unternehmenssitz
gezahlt werden soll, scheidet ferner auch deswegen aus,
weil das gerade bei ausländischen Unternehmen nicht zu
kontrollieren wäre. Auch würden im Zuge der Osterwei-
terung der EU zuerst die ostdeutschen Unternehmen von
den neuen Wettbewerbern bedrängt.


(Susanne Kastner [SPD]: So ist es!)


Im Übrigen kann man sich durchaus fragen, ob es wirk-
lich zukunftsweisend und auf lange Sicht vernünftig ist,
wenn sich Unternehmen im Wesentlichen auf einen Per-
sonalkostenvorsprung verlassen, der allein auf die Lohn-
höhe zurückzuführen ist.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Sie haben auch einen Qualitätsvorsprung!)


Unter diesem Aspekt ist die Streichung des Lohnkosten-
vorteils aus dem Wettbewerb um öffentliche Bauaufträge
durchaus auch eine Chance.

Ein weiteres wichtiges Thema des Gesetzentwurfs sind
die Kontrollregelungen. Darin, dass das Gesetz ohne ef-
fektive Kontrollen und Sanktionen wertlos wäre, sind
sich alle einig. Der öffentliche Auftraggeber kann sich
deshalb der Hilfe der Bundesanstalt für Arbeit und des
Zolls bedienen, die ohnehin schon die Mindestlöhne auf
den Baustellen kontrollieren.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Dort werden Arbeitsplätze geschaffen!)


Verstößt ein Unternehmen gegen die Tariftreuepflicht,
stehen dem öffentlichen Auftraggeber mehrere Sankti-
onsmöglichkeiten zur Verfügung – von der Vertragsstrafe
bis zum Ausschluss von der Vergabe künftiger öffent-
licher Aufträge. Übrigens: Wer die Probleme auf dem Bau
kennt, weiß auch, dass meist nicht die Vertragspartner
Dumpinglöhne zahlen. Die Preise werden vielmehr bei
den Nach- und Nach-Nachunternehmen gedrückt. Damit
das Gesetz kein zahnloser Tiger wird, werden auch alle
Nachunternehmen in die Tariftreueregelung einbezogen.

Meine Damen und Herren, das Gesetz soll dazu beitra-
gen, dass es auf dem Bau und im öffentlichen Personen-
nahverkehr auch in Zukunft stabile Arbeitsverhältnisse
gibt. Gleichzeitig hoffe ich, dass die Diskussion um die-
ses Gesetz auch die Verantwortung deutlicher werden
lässt, die die Tarifpartner für die Beschäftigung haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421300100
Ich erteile dem Kolle-
gen Peter Rauen, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1421300200
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Es gibt einen beispiellosen Niedergang in
der deutschen Bauwirtschaft.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Leider wahr!)

Es ist nur allzu normal, dass wir uns hier im Parlament
über diese dramatische Entwicklung unterhalten. Seit
1995 gibt es im Bauhauptgewerbe 500 000 Beschäftigte
weniger. Im November letzten Jahres waren es gerade
noch 948 000. In Deutschland sind 264 500 Bauarbeiter
arbeitslos; das sind fast 28 Prozent.

Wenn man wie ich seit 36 Jahren in der Branche arbei-
tet – ich hätte mir niemals vorstellen können, dass einmal
eine Situation eintritt, in der man trotz aller Bemühungen




Bundesminister Dr. Werner Müller

21089


(C)



(D)



(A)



(B)


keine Arbeit mehr für seine Leute hat, selbst wenn man
bereit ist, zu Selbstkosten anzubieten –, drängt einen die-
ses Problem mehr als manch anderes.

Kommt dann ein Vorschlag wie der, ein Betriebstreue-
gesetz einzuführen, hat man zunächst einmal Hoffnung,
dass das vielleicht wirklich etwas verbessern könnte, vor
allen Dingen wenn man selbst ausschließlich Tariflöhne
zahlt und bei diesen Löhnen seit Monaten keine Arbeit
mehr bekommt. Wenn man aber genauer hinschaut, ob das
Gesetz an der dramatischen Situation wirklich etwas än-
dern wird, muss man letztlich feststellen, dass es eine ge-
nauso weiße Salbe bleiben wird wie viele andere Regu-
lierungen, die in diesem Bereich gemacht wurden, auch.

Das Gesetz gilt ja nur für öffentliche Aufträge.Die öf-
fentlichen Aufträge machen aber leider gerade nur noch
14 Prozent der Bausumme in Deutschland aus.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Auch ein beispielloser Niedergang!)


Von diesen 14 Prozent werden zwei Drittel von den Ge-
meinden investiert. Es ist ja nicht so, als wenn nicht genü-
gend Arbeit da wäre. Man schätzt den Investitionsbedarf
der Gemeinden für Infrastruktureinrichtungen, die ge-
baut, aber auch unterhalten werden müssen, damit sie
nicht vor die Hunde gehen, zurzeit auf 1 Billion DM.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sogar noch mehr!)


Wenn ich mir die Wirklichkeit in den öffentlichen
Haushalten ansehe, ist zunächst einmal festzustellen, dass
die Nachfrage der öffentlichen Hand in den letzten Jahren
leider massiv zurückgegangen ist, nämlich um 1,9 Pro-
zent in 2000 und 2,5 Prozent in 2001. Wenn ich jetzt das
Jahr 2002 betrachte, stelle ich fest: Der Bund hat eine
Investitionsquote von nur noch 10,1 Prozent im Haushalt
vorgesehen. Das ist die niedrigste Investitionsquote, die
es je gegeben hat.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Der Bund investiert im Jahr 2002 9,5 Milliarden DM no-
minal weniger als 1998, und zwar trotz eines Steuerauf-
wuchses von rund 48,5 Milliarden DM in diesem Zeit-
raum.

Auch in den Ländern sind die Haushalte, um die nöti-
gen Investitionen durchzuführen, sehr eng. Es gibt einen
guten Grund, warum Herr Eichel den Ländern und Ge-
meinden eine höhere Nettoneuverschuldung erlaubt hat.
Wenn ich mir aber die Gemeinden anschaue, die einen
traumatischen Einnahmeausfall haben, weil durch die
Steuerreform die kommunale Einnahmebasis ruiniert
worden ist, dann weiß ich, was in Zukunft auf das Bauge-
werbe noch zukommt: Dieser verminderte Investitions-
wille und diese verminderte Investitionsfähigkeit der ein-
zelnen Ebenen werden dazu führen, dass wir einen sich
selbst beschleunigenden Abschwung im Baugewerbe be-
kommen werden. Ich kann nur dringend dazu raten, die
kommunale Einnahmebasis möglichst schnell wieder zu
verändern. Damit ist mehr getan als durch jede unsinnige
Regulierung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich komme zum zweiten Schwerpunkt, woran der Bau
heute krankt. Wir hatten im Wohnungsbau in 2000 ein
Minus von 9 Prozent und in 2001 eines von 17 Prozent.
Es ist nicht so, als wenn die Menschen in Deutschland
nicht mehr den Willen zum Bau von Eigenheimen hätten.
Aber Sie haben die Ausgangsvoraussetzungen, damit die
Leute bauen können, in Ihrer Regierungszeit massiv ver-
schlechtert. Sie haben die Einkommensgrenze für die
Wohneigentumsförderung von 120 000 bzw. 240 000 DM
auf 80 000 bzw. 160 000 DM reduziert.

Wir haben Ihnen damals bei den Beratungen gesagt,
dass dies zum Rückgang des Wohneigentumsbaus in
Deutschland führen werde. Auch die Verbände haben Ih-
nen dies gesagt. Aber Sie haben – aus welchen Gründen
auch immer – die Schwelle für die Förderung des Wohnei-
genheimbaus, die wir eingeführt hatten, sinnlos reduziert.

Ich sage das hier, weil mancher von Ihnen ein Haus ge-
baut hat. Ich habe viel Baufinanzierung gemacht.


(Susanne Kastner [SPD]: Ich auch!)

Ich weiß: Wer mit dem Groschen rechnen muss, für den
sind bei einer monatlichen Refinanzierung die letzten
200 oder 300 DM am schwierigsten aufzubringen. Das
weiß jeder, der einmal einen Hausbau finanziert hat.

Sie haben auch die Möglichkeit vieler Menschen redu-
ziert, den Wohnungsneubau zu finanzieren. Was Sie mit
den 630-DM-Jobs gemacht haben, hat die Fleißigsten in
unserem Lande bestraft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD)


Sie wollen die Partei der kleinen Leute sein. Sie wissen
aber nicht, was sich da abspielt. Ich kenne Dutzende von
Beispielen, bei denen ein Ehepaar, um ein Haus zu bauen,
eine Wohnung oder Möbel zu kaufen, entschieden hat,
dass einer von beiden einen Nebenjob annimmt. Damit
konnte dann das Geld aufgebracht werden, um sich dies
leisten zu können. Diejenigen, die so gehandelt haben und
jetzt die 630 DM zu ihrem ersten Gehalt dazurechnen
müssen, womit sie in die Progressionszone kommen und
damit aus 630 DM netto nur noch 350 DM netto gewor-
den sind, sind aber nicht mehr in der Lage, sich diese
Dinge zu leisten. Das führt zu einem dramatischen Rück-
gang bei den Wohnungsneubauten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD)


– Lassen Sie diese dümmlichen Zwischenrufe! Ich weiß
sehr genau, wovon ich spreche.


(Zurufe von der SPD: Wir auch!)

Auch Sie wissen, dass ich genau weiß, wovon ich spreche.

Wenn man in einer Branche arbeitet, dann stellt man
sich nicht erst heute die Frage: Was ist eigentlich in unse-
rer Branche los? Ich kann mich gut daran erinnern, dass
ich Anfang der 90er-Jahre auch bei uns davor gewarnt
habe, zu glauben, dass eine Mindestlohnverordnung
oder ein Entsendegesetz etwas bringen würden. Vor
kurzem haben Sie den Unfug mit der Bauabzugssteuer ge-




Peter Rauen
21090


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(B)


macht. Jetzt wollen Sie die Tariftreueregelung einführen.
Das ist doch alles nur weiße Salbe.

Meine Damen und Herren, ich will Ihnen den wahren
Grund nennen.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das mit der Bauabzugssteuer wirkt positiv! Das sagt das Baugewerbe!)


– Das war als Gesetz zur Bekämpfung der illegalen Be-
schäftigung geplant. Das hat sich zunächst auch gut an-
gehört. Aber angesichts des bürokratischen Molochs, der
auf unsere Handwerksbetriebe zurollt, die seit zehn oder
15 Jahren ihre Steuernummer haben und plötzlich mit die-
sen Abzügen kujoniert werden,


(Beifall bei der CDU/CSU – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Freistellungsbescheinigungen liegen doch mittlerweile fast alle vor!)


macht sich Ärger in den Betrieben über diese Regelungen
breit.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Gesetz lässt die Betriebe zum Inkassobetrieb für

die Finanzämter werden. Das war bei dem Gesetz zur
Bekämpfung der illegalen Beschäftigung, dem wir
seinerzeit zugestimmt haben, zunächst nicht bedacht wor-
den.


(Walter Hirche [FDP]: Die Praxis ist anders als der runde Tisch!)


Lassen Sie mich zum Abschluss noch feststellen: Was
Sie hier machen, ist aus der Sicht der neuen Bundesländer
nicht akzeptabel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich bin nicht bereit, meine eigene Lebenserfahrung

hinter vordergründigen Überlegungen zurückzustellen.
Ich erinnere mich noch gut daran, als ich vor 35 Jahren an-
gefangen habe, ohne irgendetwas an den Füßen zu haben.
Ich war froh, meinen Betrieb in der Eifel zu haben, wo es
damals etwas geringere Tariflöhne gab und wir froh wa-
ren, Aufträge im Saarland oder in Nordrhein-Westfalen zu
bekommen. Wenn ich damals gezwungen worden wäre,
die Löhne vor Ort zu bezahlen, wäre ich sicherlich nicht
hochgekommen und hätte den Betrieb nicht in Gang set-
zen können.

Ich bin nicht bereit, den Betrieben in den neuen Bun-
desländern, die um ihre Existenz kämpfen, eine Regelung
überzustülpen, die im Prinzip ein Unternehmensvernich-
tungsgesetz in den neuen Bundesländern darstellt. Das
kann nicht sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, wenn Sie die Probleme auf

dem Bau wirklich lösen wollen, dann muss alles getan
werden, um die viel zu große Schere zwischen den
Nettolöhnen der deutschen Bauarbeiter, die zu gering
sind,


(Susanne Kastner [SPD]: Wie ist das mit dem Tariftreuegesetz?)


und ihren Bruttoarbeitskosten, die viel zu hoch sind,
durch entsprechende Reformen wieder zu schließen. Das
ist die einzige Möglichkeit, um international wettbe-
werbsfähig zu bleiben.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bayern hat angefangen mit dem Tariftreuegesetz!)


Das gilt auf Dauer nicht nur für das Baugewerbe. Der Bau
ist nur der Fokus einer Entwicklung, die wir gewollt ha-
ben und die jetzt eintritt.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Sagen Sie mal, welche Beweggründe hatte denn die CDU in Berlin, das zu fordern, oder die CSU in Bayern oder die CDU im Saarland? Sagen Sie das doch mal!)


Wir sind davon ausgegangen, dass Europa den freien
Verkehr von Menschen, Waren, Dienstleistungen und Ka-
pital bedeutet. Genau das geschieht jetzt bei der Lohn-
migration in Europa. Dabei können wir langfristig nicht
mit Verboten argumentieren.


(Susanne Kastner [SPD]: Warum macht das denn die CDU? – Zuruf von der CDU/CSU)


Ich nehme zum Beispiel den Bauboom in Portugal.
Man sieht bei einem Besuch der Baustellen, dass dort
viele Marokkaner arbeiten, wobei man sich dann nicht da-
rüber wundern muss, warum so viele Portugiesen an-
derswo in Europa arbeiten.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Klären Sie das erstmal mit Ihren Unionskollegen!)


In Tschechien oder Polen arbeiten heute Letten, Ukrainer
und Weißrussen, weil die einheimischen Arbeitnehmer ihr
Geld bei uns verdienen.


(Susanne Kastner [SPD]: Ihr Kandidat aus Bayern hat so ein Gesetz!)


Wenn wir es nicht schaffen, die viel zu hohe Belastung
der Arbeit durch die notwendigen Reformen zu senken
mit dem Ziel, dass den Menschen mehr bleibt, dann wer-
den wir die Probleme auf dem Bau niemals lösen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Genau dabei haben Sie versagt. Sie haben das Gegenteil
von dem gemacht, was Sie eigentlich tun müssten.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421300300
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Werner Schulz von Bündnis 90/Die Grü-
nen.

Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kol-
lege Rauen, Sie wissen zwar genau, worüber Sie reden;
aber Sie reden nicht genau über die Probleme.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das war eine exzellente Rede!)





Peter Rauen

21091


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Es sind natürlich nicht nur die klammen Gemeindefi-
nanzen und die hohen Lohnnebenkosten, die das Bauge-
werbe bedrücken, sondern auch die politischen Fehler, die
im Zuge der deutschen Einheit gerade von Ihnen gemacht
wurden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das sind die Fehler der Bundesregierung!)


Die prekäre Situation des ostdeutschen Baugewerbes
hängt sehr stark mit den Überkapazitäten zusammen, die
dort geschaffen worden sind, und zwar durch Steuerab-
schreibungsmodelle der FDP


(Walter Hirche [FDP]: Sonst wären die Leute viel eher arbeitslos gewesen!)


und durch Fehlallokation von Kapital in einer beachtli-
chen Größenordnung. Es gibt dort Investitionsruinen; dort
sind Bauten errichtet worden, die niemand braucht und
die leer stehen. Der Leerstand ist unglaublich hoch. Das
ist gerade für eine neues Bundesland bedrückend. Das ist
sicherlich durch die Wunschvorstellungen getragen, eine
Art zweites Wirtschaftswunder mit einer Baukonjunktur-
lokomotive in Gang setzen zu können. Doch heute haben
wir dadurch massive Probleme. Die Experten sagen, dass
das Wirtschaftswachstum bei etwa 1,5 Prozent liegen
würde, wenn die Probleme der ostdeutschen Bauwirt-
schaft mit dem Abbau der Überkapazitäten nicht berück-
sichtigt würden.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Erzähl die Wahrheit!)


– Günter Nooke, zu diesem Ergebnis ist das Institut für
Wirtschaftsforschung Halle gekommen. Ich vertraue da-
rauf.


(Walter Hirche [FDP]: Wenn man alle Arbeitslosen herausrechnet, dann haben wir keine Arbeitslosen mehr! – Zurufe von der CDU/CSU)


– Da Sie sich an dieser Debatte so engagiert beteiligen,
vermute ich, dass Sie heute Morgen sehr starken Kaffee
getrunken haben


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Im Gegensatz zu Ihrem Minister. Zuruf von der CDU/CSU: Das ist starker Tobak! – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wir sind im Gegensatz zu Ihnen ausgeschlafen!)


oder dass Ihnen, Kollege Merz, der gestrige Abend noch
lebhaft in Erinnerung ist.

In der Wirtschaftsentwicklung der Europäischen
Union spielen Liberalität und Wettbewerb eine sehr
große Rolle. Das ist mit der Einführung des Euro noch
einmal verstärkt worden. Der Wettbewerb hält auch Ein-
zug in alle Bereiche der alten Daseinsvorsorge. Das ist aus
unserer Sicht förderlich; denn wir setzen auf die Kreati-
vität des Wettbewerbs. Es geht dabei um den besten Ser-
vice sowie um die besten technologischen und ökologi-
schen Lösungen. Aber wir müssen darauf achten, dass der
Wettbewerb – dass Ihnen Wettbewerb nicht gefällt, kann
ich mir vorstellen – fair ist, dass faire Rahmenbedingungen
geschaffen werden, dass die sozialen Rechte eingehalten

werden – das ist im Baugewerbe ein großes Problem – und
dass die soziale Realität in einem zusammenwachsenden
Deutschland berücksichtigt wird.

Fakt ist: Vergabegesetze gibt es in Bayern – das dortige
Gesetz geht auf die Initiative der CSU zurück –, in Berlin
– dort hat die große Koalition, an der die CDU beteiligt war,
ein entsprechendes Gesetz in Kraft gesetzt –, im Saarland
– auch dort hat die CDU ein Vergabegesetz verabschiedet –
und in Sachsen-Anhalt. Man weiß aufgrund praktischer Er-
fahrungen, dass sich mit Vergabegesetzen gewisse soziale
Standards erhalten lassen. Allerdings stellt sich die Frage,
ob man mit solchen Gesetzen der sozialen Realität in einem
Transformationsland, wie es das vereinte Deutschland ist,
in ausreichendem Maße Rechnung trägt.

Wir sollten aber auch die Einwände beachten, die bei-
spielsweise der Deutsche Städte- und Gemeindebund vor-
gebracht hat. Er sieht in dem angekündigten Tariftreue-
gesetz die Gefahr der einseitigen Benachteiligung von
Bauunternehmen – sei es auch nur des Baunebengewer-
bes – aus den neuen Bundesländern. Viele dieser Betriebe
können sich offensichtlich nur durch Aufträge der öffent-
lichen Hand aus den alten Bundesländern über eine be-
stehende Durststrecke hinweghelfen. Wir müssen auf je-
den Fall eine Lösung finden, die es vermeidet, dass solche
Unternehmen von zwei Dritteln des gesamtdeutschen
Marktes ausgeschlossen werden. Darauf sollten wir in der
Anhörung den Fokus legen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421300400
Kollege Schulz, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel?

Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Ja.


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1421300500
Vielen Dank. – Herr Schulz, ist Ih-
nen der Artikel des Kollegen Metzger aus der „FAZ“ vom
18. Januar dieses Jahres bekannt, in dem er vehement vor
der Einführung eines Tariftreuegesetzes warnt, da dieses
zum Absterben der Bauindustrie und des Baugewerbes in
Deutschland führen werde?


(Rainer Brüderle [FDP]: Kluger Mann, der Metzger! – Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Sagen Sie Nein! Er schreibt jeden Morgen solche Artikel!)


Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Ich kenne diesen Artikel zwar nicht. Aber ich
kenne die Position und die Auffassung meines Kollegen
Metzger. Wir haben darüber sehr kritisch diskutiert. Sol-
che Einwände, wie Sie sie gerade angeführt haben, wer-
den ja nicht nur von ihm, sondern auch von der mittel-
ständischen Bauwirtschaft erhoben. Wir nehmen – das
haben Sie vielleicht auch mitbekommen – diese Ein-
wände und die damit verbundenen Sorgen sehr ernst. Wir
sind um eine Lösung bemüht. Der vorliegende Entwurf ei-
nes Tariftreuegesetzes – das ist bei vielen Gesetzesbera-
tungen so – wird den Bundestag mit Sicherheit nicht so




Werner Schulz (Leipzig)

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verlassen, wie er eingebracht worden ist. Wir setzen auf
die Beratung und die Anhörung. Wir sind der Meinung,
dass wir eine gemeinsame Lösung für die Probleme fin-
den werden, auch wenn das nicht einfach sein wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das Gleiche gilt für den Schwellenwert.Auch hier ge-
hen die Auffassungen sehr stark auseinander. Die einen
hätten am liebsten einen Schwellenwert von 10 000 Euro;
die anderen möchten beim Auftragsvolumen einen
Schwellenwert von 300 000 Euro haben. Auch darüber
müssen wir in der Anhörung Klarheit schaffen.

Wir werden auch Klarheit darüber schaffen müssen,
wie hoch der Verwaltungsaufwand sein wird und wie und
wo beispielsweise ausländische Unternehmen kontrolliert
werden können. Wir müssen uns auch über die Laufzeit
und über den Berichtszeitraum für dieses Gesetz verstän-
digen.

Ich glaube, wir haben in diesem Falle einen echten und
großen Beratungsbedarf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421300600
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Rainer Brüderle, FDP-Fraktion.


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1421300700
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Der Sachverständigenrat schreibt in sei-
nem aktuellen Gutachten zu dem Tariftreuegesetz – ich zi-
tiere –: „Wir raten von diesem Gesetz ab, hoffentlich nicht
wieder umsonst.“ Eigentlich ist dem nichts hinzuzufügen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir haben in der Bauwirtschaft unbestritten eine ka-

tastrophale Lage. Sie ist noch katastrophaler in Deutsch-
land-Ost. Herr Schulz, ich verstehe Sie überhaupt nicht.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie verstehen nie irgendetwas, Herr Brüderle!)


36 Prozent der ostdeutschen Bauarbeiter sind arbeitslos.

(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Ja, warum eigentlich?)

In den neuen Bundesländern sind etwa 80 Prozent aller
Arbeitsverhältnisse außerhalb des geltenden Tarifver-
tragsrechts.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist die Realität!)


Das ist eindeutig rechtswidrig. Keine Gewerkschaft
– auch nicht die IG BAU –, keine Regierung und kein Po-
litiker gehen an den rechtswidrigen Tatbestand heran,
dass 80 Prozent außerhalb des geltenden Tarifvertrags-
rechts beschäftigt sind. Jeder weiß nämlich: Wenn man da
herangeht, verdoppelt oder verdreifacht sich die Arbeits-
losigkeit in den neuen Bundesländern.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Es ist eine Notreaktion, dass sich in den betroffenen
Unternehmen die Mitarbeiter und die Unternehmer zu-
sammensetzen, damit Arbeit in einem gewissen Umfang
überhaupt noch vorhanden ist. Der einzige Vorteil dieser
Betriebe ist – die Fachleute sprechen von einem kompa-
rativen Vorteil –, dass sie zu anderen Konditionen anbie-
ten können. – Herr Schwanitz schweigt dazu. Der Aufbau
Ost soll doch Chefsache sein. Chefsache in diesem Land
ist aber nur Holzmann. Sie nehmen genau diesen Betrie-
ben die Chance, Beschäftigung zu bekommen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wenn ein ostdeutscher Betrieb in Köln, in Frankfurt

oder in Stuttgart zu den örtlichen Tarifen anbietet, hat er
keine Chance. Sie nehmen ihm die Chance! Sie bauen
wieder Schutzzäune um die Märkte. Das ist genau der
falsche Weg.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das ist der gegenteilige Ansatz zu dem Ordnungsprinzip
der sozialen Marktwirtschaft.

Dass ausgerechnet ein Land wie Sachsen-Anhalt, das
die höchste Arbeitslosigkeit und die miserabelsten Wirt-
schaftsdaten in Deutschland hat,


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Die miserabelste Regierung!)


einen solchen Gulasch, eine solche Fehlentwicklung un-
terstützt, indem es einen entsprechenden Gesetzentwurf
in den Bundesrat mit einbringt, zeigt, dass diese Regie-
rung die Probleme ihres Landes nicht verstanden hat. Des-
wegen muss sie weg.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die IG BAU „honoriert“ der Regierung die Tatsache,

dass diese ihren sehnsüchtigen Wunsch erfüllt, nach dem
Entsendegesetz einen weiteren Schutzzaun zu bauen, mit
einer Lohnforderung von 4,5 Prozent, was angesichts
der hohen Arbeitslosigkeit in die Rezession hineinführt.
In dieser Situation muss man erst einmal auf die Idee
kommen, mit einer solchen Forderung in die Tarifver-
handlungen hineinzugehen. Die Theaterinszenierung
Bündnis für Arbeit wird erneut nichts bringen. Dort wer-
den keine neuen Arbeitsplätze geschaffen.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Kernproblem in diesem Bereich ist die Schwarzarbeit.

Auch dort geht man den falschen Weg. Hauptursache der
Schwarzarbeit ist, dass die Differenz zwischen Brutto und
Netto zu hoch ist. Wir nehmen den Leuten zu viel ab.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Aber anstatt an den Ursachen anzusetzen und anstatt Frei-
raum zu geben, geht man die andere Richtung, indem man
noch mehr reguliert und ein Zwangskorsett schafft. So
geht man gegen die Arbeitslosen vor; man gibt ihnen
keine Chance. Das ist doch alles nur Kosmetikköfferchen.
Das hilft doch überhaupt nicht; das ist keine Lösung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Konsequenz ist: Das Bauen wird teurer. Es wird

weniger Bauaufträge der öffentlichen Gebietskörper-
schaften geben, denen es eh schon schlecht geht und die




Werner Schulz (Leipzig)


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aus dem letzten Loch pfeifen. „Weniger Bauaufträge“
heißt: weniger Beschäftigung, also wieder mehr Arbeits-
losigkeit. Das kostet mehr. Man gibt, wie gesagt, den
draußen Stehenden keine Chance. Das ist erneut ein Bei-
trag zu mehr Kompliziertheit.

Wir haben bei uns in Deutschland Vergabedschungel
und Regulierungswut. Wir legen denen, die etwas ma-
chen wollen, Handschellen an. Statt 1 000 Handschellen
abzulegen, damit sie etwas machen können


(Zuruf von der SPD)

– Sie sollten sich schämen, statt dazwischenzurufen –,


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


gehen wir weiter in Richtung Regulierung. Das Gegenteil
von „gut“ ist eben „gut gemeint“. Ich will dem einen oder
anderen gar nicht unterstellen, dass er keine gute Absicht
dabei hat, aber Sie machen es fundamental falsch.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich verstehe auch nicht, dass sich ein Wirtschaftsminis-
ter, der in einer Regierung eigentlich das ordnungspolitische
Gewissen sein sollte, hier hinstellt und diesen elementaren
Verstoß gegen die Grundidee der sozialen Marktwirtschaft
– wieder mehr Zement, mehr Schutzzäune, keine Flexibi-
lität, keine Öffnung – auch noch rechtfertigt. Das ist ei-
gentlich noch der i-Punkt dabei.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Die FDP in Rheinland-Pfalz hat im Bundesrat übrigens auch zugestimmt!)


Bei allen Wirtschaftsforschungsinstituten, bei der Bun-
desbank, bei der OECD besteht die klare Auffassung:
Dass wir von der unerträglich hohen Arbeitslosigkeit
nicht herunterkommen, liegt an der Inflexibilität des Ar-
beitsmarktes. Das ist das Kernproblem.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie müssen endlich Freiräume schaffen und das Tarifver-
tragsrecht novellieren, sodass auch das Günstigkeitsprin-
zip zugunsten der Erhaltung des Arbeitsplatzes angewen-
det werden kann.


(Zuruf von der SPD: Jetzt kommt er auf den Punkt!)


Gebt den Mitarbeitern in den Betrieben Mitbestimmung
und kommt weg von der Funktionärsfremdbestimmung!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lassen Sie sie, wenn sie es wollen, mit 75 Prozent Mehr-
heit anders entscheiden. Sie sind betroffen. Um deren Ar-
beitsplatz und nicht um den der Gewerkschaftsfunk-
tionäre geht es!


(Zuruf von der SPD: Ein Hinterwäldler!)

– Sie als IG-Metall-Funktionär müssen aus Solidarität an-
ders schreien. So ein Unsinn!


(Susanne Kastner [SPD]: Bayern hat auch Zäune um die Bauwirtschaft!)


Wenn Sie weiter den falschen Weg gehen, dann werden
Sie die Arbeitslosigkeit von Monat zu Monat steigern. Al-
lein im Dezember 180 000 neue Arbeitslose! Das wird
weiter so gehen. Sie werden im nächsten Monat eine wei-
tere Steigerung der Arbeitslosigkeit hinnehmen müssen.
Sie gehen genau in die falsche Richtung. Dieses Gesetz
hat fast Symbolcharakter. Es steht für eine falsche Denke.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Warum macht der Stoiber das dann? Warum stimmt der Wirtschaftsminister aus Rheinland-Pfalz zu? Erzählen Sie das mal!)


Flexibilität, Freiraum, Marktwirtschaft – das ist der
Weg. Zementieren, lokales Denken, Schutzzäune um
Köln, um Bonn, damit kein anderer Bauarbeiter eine
Chance hat – das ist Rückschritt ins Mittelalter. Sie bauen
ja wieder eiserne Schienen in die Flüsse, damit sich dort
nichts bewegt. Das ist intellektuelles Raubrittertum. Sie
machen es fundamental falsch.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421300800
Ich erteile der Kolle-
gin Ulla Lötzer, PDS-Fraktion, das Wort.


Ursula Lötzer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1421300900
Herr Präsident! Kolleginnen
und Kollegen! Herr Brüderle, kümmern wir uns mal um
die realen Probleme der Menschen, die in diesen Bran-
chen arbeiten!


(Rainer Brüderle [FDP]: Gruß von Honecker!)

Sie werden zum Beispiel bei dem Streit deutlich, den die
Busfahrer der Firma Rheinbus in Düsseldorf seit Dezem-
ber führen. Sie wollen nichts anderes, als ihren Anspruch
durchzusetzen, das Einstiegsniveau nach dem Tarifver-
trag zu erhalten, der mit dem kommunalen Arbeitgeber-
verband ausgehandelt wurde. Die Arbeitgeber haben
einen Gefälligkeitstarifvertrag mit einer anderen Ge-
werkschaft zu niedrigeren Tarifen, nämlich 1 400 Euro im
Monat für Busfahrer im Schichtdienst, abgeschlossen.


(Zuruf von der PDS: Pfui!)

Das gehört zu den realen Problemen der Menschen. Dafür
streiken sie. Da geht es nicht um irgendwelche Funk-
tionäre.


(Beifall bei der PDS)

Zielsetzung des Entwurfs ist es, so sagen Sie, Arbeits-

plätze zu erhalten, die einen ausreichenden sozialen
Schutz und ein angemessenes Einkommensniveau ge-
währleisten. Nur ist der Entwurf insofern inkonsequent.
Der Gefälligkeitstarifvertrag, den ich eben erwähnte,
könnte nämlich zur Grundlage des Wettbewerbs werden,
wenn dieser Entwurf Gesetz wird. Sie sagen darin ja: Der
öffentliche Auftraggeber kann entscheiden, welchen der
gültigen Tarifverträge er wählt, wenn es denn mehrere
gibt. Das ist für uns ebenso unannehmbar wie für die Ge-
werkschaften. Wir wollen, dass der Entwurf in der Bera-
tung dahin geändert wird, dass der repräsentative ortsüb-
liche Tarifvertrag eingehalten werden muss.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)





Rainer Brüderle
21094


(C)



(D)



(A)



(B)


Der vom Europäischen Parlament beschlossene Hand-
lungsrahmen erlaubt ausdrücklich auch den Schutz der
tariflichen Arbeitsbedingungen. Warum bleiben Sie mit
Ihrer Beschränkung auf Einkommen eigentlich dahinter
zurück?

Auch sollten die Behörden dazu verpflichtet werden,
bei Verstößen tätig zu werden. Sie alle kennen doch beim
Bau die Erfahrungen zur Genüge, wenn solche Kontroll-
rechte und Aufsichtspflichten nicht eingeführt sind.

Warum sind eigentlich Branchen wie das Bewa-
chungs- und Reinigungsgewerbe und die Abfallwirt-
schaft nicht einbezogen? Weil sie nicht gekämpft haben,
Ihnen das nicht abgerungen haben? Das kann sich aller-
dings ändern. Heute tagen die Betriebsräte dieser Bran-
chen in Kassel


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist genau das, was die Menschen interessiert!)


und werden über das Vergabegesetz sprechen, weil auch
in diesen Branchen Niedrigsteinkommen und Tarifflucht
an der Tagesordnung sind.

Nun zu all den Freunden des Ostens: Sie, die Kollegen
Schulz, Rauen und Brüderle, treiben ein zynisches Spiel
mit den Ängsten und Sorgen der Menschen in Ost-
deutschland um ihre Arbeitsplätze,


(Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


wenn Sie deren Arbeitsplätze nur dadurch sichern wollen,
dass der Osten gegenüber dem Westen zum Lohndum-
pinggebiet erklärt wird.


(Beifall bei der PDS)

Wir unterstützen deshalb die Bindung an den ortsüblichen
Tarif. Er bringt uns ein Stück näher an die Angleichung
der Ostlöhne an die Westlöhne. Mit Ihren Vorstellungen
aber würden Sie forcieren, dass in den ostdeutschen Län-
dern die Auseinandersetzung um den niedrigsten Tarif
weitergeführt würde. Auch würde die Abwärtsspirale fort-
gesetzt werden und der rechtsfreie Zustand hielte an.
Auch Sie wissen, dass junge, qualifizierte Leute gerade in
der Baubranche längst die ostdeutschen Länder verlassen
und in die Niederlande sowie die westdeutschen Länder
gehen, weil sie dort nicht als Menschen zweiter Klasse be-
handelt werden. Diese Entwicklung müssen wir stoppen.

Des Weiteren betrügen Sie die Menschen: Auch Ihnen
ist bekannt, dass das Vergabegesetz den europaweiten
Wettbewerb regelt. Längst verlagern ost- und westdeut-
sche Baubetriebe ihren Sitz nach Polen. Dort beträgt die
tarifübliche Bezahlung 1 000 DM pro Monat. Wollen Sie
diesen Zustand fortschreiben? Damit wird kein Erfolg
verbunden sein.

Die Deutsche Bank Research hat mit Blick auf den öf-
fentlichen Personennahverkehr festgestellt, dass es über-
haupt nicht um die kleinen und mittleren Betriebe geht,
weil auf der Grundlage der europäischen Richtlinie längst
Konzerne wie Vivendi in den Startlöchern sitzen. Sie be-
treiben das Geschäft dieser Konzerne und machen ihnen
die Übernahme der öffentlichen Aufträge billig, nicht aber

das Geschäft der kleinen und mittleren Unternehmen in
Ostdeutschland oder Westdeutschland.

Zukunftsfähige Arbeitsplätze brauchen wir auch in
Ostdeutschland. Das bedeutet existenzsichernde Arbeit
und Einhaltung von sozialer Demokratie.Mit Lohndum-
ping jedoch ist die Zukunft auf Sand gebaut; denn dann
werden weder die ostdeutschen Betriebe noch die ost-
deutschen Beschäftigten eine Chance haben. Deshalb
muss dieses Gesetz eher noch verbessert werden. Wir
werden entsprechende Änderungsanträge einbringen.


(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421301000
Ich erteile das Wort
dem Minister für Wirtschaft des Landes Nordrhein-West-
falen, Ernst Schwanhold.


Ernst Schwanhold (SPD):
Rede ID: ID1421301100

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wenn man Herrn Brüderle gehört hat, dann muss man sich
schon über das wundern, was sein Kollege Bauckhage zu
diesem Thema im Bundesrat sagt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Ja, das musste einmal gesagt werden!)


Man wundert sich auch, mit welcher Gesetzesinitiative
der sehr geschätzte Kollege Otto Wiesheu aus Bayern ver-
sucht, den Arbeitnehmern die Sicherheit zu geben, dass
die Aufträge, die sie mit ihren Steuern finanzieren, auch
zu einem auskömmlichen Einkommen führen. Nur um
diese Frage geht es in Ost wie in West und genau über die-
sen Punkt sollten wir hier streiten.

Herr Brüderle, es gibt noch genügend Wahlkämpfe.
Unterlassen Sie es, an dieser Stelle Wahlkampfreden zu
halten. Wir reden über 10 Prozent des Auftragsvolumens.
Dies bedeutet keine generelle Sperre, sondern betrifft die
beispielgebende Funktion von öffentlich ausgeschriebe-
nen Aufträgen. Dafür haben wir eine höhere Verantwor-
tung, als Sie es hier deutlich gemacht haben. Wir haben
nämlich als öffentliche Hand die Verantwortung, auf allen
Ebenen dafür zu sorgen, dass das, was gesetzlich verein-
bart ist, eingehalten wird. Sie können nicht nach dem
Motto vorgehen, die Tarifverträge hätten keine Gültigkeit,
obwohl Sie in Sonntagsreden gerade die Tarifvertragspar-
teien gefeiert haben. Ich könnte Ihnen alle Reden vorle-
sen, die Sie dazu gehalten haben. Sie können nicht sagen:
Wenn die Tarifverträge gebrochen werden, ist das auch in
Ordnung. Schwarzarbeit ist gesetzwidrig, aber die
Schwarzarbeit wird zum Maßstab gemacht, um anschlie-
ßend die Tarifvertragsregelungen anzupassen. So kann
der Gesetzgeber nicht damit umgehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, ich will darauf hinweisen,
dass der Bundesrat am 22. Juni letzten Jahres auf Initia-
tive der Länder Nordrhein-Westfalen und Berlin einen
Gesetzentwurf zur tariflichen Entlohnung bei öffentlichen
Aufträgen beschlossen hat. Danach sollten öffentliche
Auftraggeber Bauaufträge nur an solche Unternehmen




Ursula Lötzer

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vergeben dürfen, deren Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer nach den am Ort der Auftragserfüllung einschlä-
gigen Tarifverträgen entlohnt werden.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Ablesen können wir auch!)


Das ist das Mindestmaß an Sicherheit, das Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer in diesem Land verdient haben.
Worum sollten wir uns sonst eigentlich kümmern?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das gleiche Begehren haben wir an die Verkehrsleistun-
gen des öffentlichen Personennahverkehrs gestellt.

Heute stehen neben diesem Gesetzentwurf weitere Ge-
setzentwürfe auf der Tagesordnung. Das macht deutlich,
mit welchem Problemdruck wir es zu tun haben. Ich will
die Probleme der Bauwirtschaft weder in Ost noch in
West geringreden. Wir werden sie aber nicht damit lösen,
dass wir alle Schleusentore öffnen. Das ist ein Irrglaube,
den es schon viel zu lange gibt.

Das Motiv unserer Gesetzesinitiative hat Bundeswirt-
schaftsminister Müller soeben dargestellt. Naturgemäß
stößt die Tarifbindung der Auftragnehmer bei den ein-
schlägig betroffenen Verbänden auf ein unterschiedliches
Echo; auch das ist mir klar. Ich möchte aber betonen, dass
der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes eine tarif-
bindende gesetzliche Regelung ausdrücklich befürwortet.
Die mittelständischen Unternehmen, die Wettbewerbsnach-
teile haben – in jeder Sonntagsrede von Herrn Brüderle gibt
es übrigens lange Passagen zu den mittelständischen Be-
trieben –, verlangen, dass diese Regelungen erlassen wer-
den, weil sie ihre einzige Überlebenschance darstellen;
ansonsten würden sie in diesem gnadenlosen und brutalen
Wettbewerb ohne tarifliche und gesetzliche Bindung un-
tergehen.


(Beifall bei der SPD)

Der Verband der Verkehrsunternehmen, Herr Brüderle,

ist der Ansicht, dass die infrage stehenden Ziele am ehes-
ten durch ein Bundesvergabegesetz bzw. Tariftreuegesetz
zu erreichen sind. Nach Ansicht dieses Verbandes muss es
das Ziel sein, dass sich die im Wettbewerb konkurrieren-
den Unternehmen auch an arbeits- und sozialrechtliche
Mindeststandards im Hinblick auf die bei ihnen be-
schäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer halten.

Der Gesetzentwurf zur Tarifbindung greift in die Ver-
tragsfreiheit ein, darüber sind wir uns alle im Klaren;
auch der Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen
sieht das so.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Das wollen Sie!)

– Das machen wir an anderen Stellen auch, das wissen
Sie. Das ist ein Abwägungsprozess.

Ich bin der festen Überzeugung, dass dieser Eingriff
auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten zu recht-
fertigen ist. Der Verhältnismäßigkeit entspricht auch die
Beschränkung auf die Bauwirtschaft und den öffentlichen
Personennahverkehr, da dies die Sektoren sind, in denen
sich die am wenigsten sozialverträglichen Effekte zeigen.

Mit dem Vollzug des Gesetzes entstehen den öffentli-
chen Auftraggebern betriebswirtschaftlich gesehen
höhere Kosten.Das ist natürlich gerade in Zeiten knapper
Kassen problematisch, aber es ist gesamtwirtschaftlich
zum Schutz der sozialen Sicherungssysteme gerechtfer-
tigt. Betriebswirtschaftliche Aspekte müssen immer ge-
genüber volkswirtschaftlichen Aspekten abgewogen wer-
den. Der volkswirtschaftliche Schaden in diesem Bereich
wäre sehr viel größer als der vermeintlich betriebswirt-
schaftliche Nutzen, der nur dazu führen würde, dass Ta-
rifsysteme ausgehöhlt würden.

Herr Brüderle, ich freue mich auf die Diskussion, ins-
besondere mit Ihrem Kollegen Bauckhage und dem Kol-
legen Wiesheu. Wir wollen einmal sehen, zu welchen Ein-
sichten Sie fernab des Getümmels, welches hier
stattgefunden hat, kommen werden.

Herzlichen Dank für die Geduld.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421301200
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Manfred Grund, CDU/CSU-Fraktion.


Manfred Grund (CDU):
Rede ID: ID1421301300
Herr Präsident! Meine
Damen, meine Herren! In Kunst und Politik bewirkt gut
gemeint regelmäßig das Gegenteil von gut. Die heute in
erster Lesung zu beratenden Anträge zur tariflichen Ent-
lohnung bei öffentlichen Aufträgen mögen gut gemeint
oder auch naiv sein, sie werden genau das Gegenteil be-
wirken:


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Das Gegenteil von naiv, das ist schon mal in Ordnung!)


Statt Wettbewerbsverzerrungen entgegenzuwirken – so
im Gesetzentwurf von SPD und Grünen formuliert – soll
Wettbewerb unterbunden und verhindert werden, statt in
arbeitsmarktpolitisch sensiblen Bereichen Arbeitsplätze
zu halten – so steht es im Gesetzentwurf –, wird bei Um-
setzung dieses Gesetzes daraus ein Arbeitsplatzvernich-
tungsprogramm. Statt öffentliches Bauen preiswerter zu
machen, kommt es zu einer Verteuerung öffentlicher Bau-
aufträge um mindestens 5 Prozent. Die einzigen Arbeits-
plätze, die geschaffen werden, sind Arbeitsplätze in der
öffentlichen Verwaltung: im Bundesministerium für Ar-
beit und Sozialordnung, bei der Bundesanstalt für Arbeit
und bei der Zollverwaltung. Haben wir im öffentlichen
Dienst nicht bereits genug Arbeitsplätze und ist das öf-
fentliche Bauen nicht schon teuer genug?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Haben wir in der Bauwirtschaft, insbesondere in der ost-
deutschen Bauwirtschaft, keine anderen Sorgen? Nicht
zuletzt: Wer kann ein Interesse daran haben, dass ost-
deutsche Bauarbeiter den Unterhalt ihrer Familien nicht
mehr durch eigene Arbeit bestreiten können?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Abg. Dr. Ditmar Staffelt [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)





Minister Ernst Schwanhold, (Nordrhein-Westfalen)

21096


(C)



(D)



(A)



(B)


Herr Kollege Staffelt, mit diesen Fragen und mit der
Ablehnung dieser Gesetzesanträge steht die Unionsfrak-
tion nicht allein.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421301400
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Staffelt?


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Lass ihn ruhig fragen! Das bringt dir Zeit!)



Manfred Grund (CDU):
Rede ID: ID1421301500
Ja.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421301600
Bitte.


Dr. Ditmar Staffelt (SPD):
Rede ID: ID1421301700
Sehr geehrter Herr Kollege,
die Erfahrung lehrt: Wenn schwere Wahlkämpfe vor einem
liegen, ist es immer ratsam, zunächtst einmal in der eige-
nen Partei die Dinge zu klären. Meine Frage an Sie lautet:
Wie erklären Sie sich, dass der bayerische Ministerpräsi-
dent, Ihr Spitzenkandidat, der bayerische Wirtschaftsmi-
nister, der ehemalige Regierende Bürgermeister von Ber-
lin – auch er gehört bekanntlich der CDU an – und der
damalige Wirtschaftssenator Branoner – auch er gehört der
CDU an – ein solches Vergabegesetz vehement gefordert,
begründet und entworfen haben? Berlin ist sogar bis vor
Bundesgerichte gezogen. Glauben Sie nicht, dass es bes-
ser wäre, diese Frage zunächst einmal intern zu reflektie-
ren, bevor Sie sich hier so weit vorwagen, dass Sie sich
am Ende nicht mehr vor den Menschen sehen lassen kön-
nen?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Sie müssen so viele Fragen klären!)



Manfred Grund (CDU):
Rede ID: ID1421301800
Herr Kollege Staffelt,
bevor ich zu den Interna Ihrer Partei komme, möchte ich
Folgendes sagen: Ein schlechtes Gesetz wird nicht dadurch
besser, dass eine bayerische Unterschrift darunter steht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen und Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der PDS – Susanne Kastner [SPD]: Der Spitzenkandidat!)


Die „Leipziger Volkszeitung“ schreibt am 14. Dezem-
ber:

Ost-SPD-Abgeordnete machen Front gegen Tarif-
vergabegesetz.

23 ostdeutsche SPD-Bundestagsabgeordnete der neuen
Länder beklagen, dass damit die Baubranche der neuen
Länder zurückgeworfen wird und eine „Diskriminierung
ostdeutscher Arbeitnehmer“ einhergeht.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Unruhe bei der SPD)


– Meine lieben Kollegen von der SPD, nun hören Sie sich
doch einmal Ihre Schande an: Dies steht in einem Schrei-
ben von 23 SPD-Bundestagsabgeordneten an ihren Frak-
tionsvorsitzenden. Darin wird beklagt – sie kündigen ei-

nen „entschiedenen Widerstand“ gegen dieses Gesetz
an –:

Wir sind gewählt worden,

(Unruhe bei der SPD)


– hören Sie einmal zu! –
um Arbeitsplätze im Osten zu erhalten bzw. zu schaf-
fen, und nicht, um eine Schutzfront West aufzu-
bauen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

„Schutzfront West“, Kollege Staffelt, Ost gegen West – es
geht in der Bundestagsfraktion der SPD ja munter zu.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Aber wir haben die Frage eindeutig geklärt!)


So viel Mut vor dem Königsthron konnte man bei Ihnen
bisher selten feststellen. Es gab keinen Widerstand der
Ost-SPD-Bundestagsabgeordneten, als die ICE-Strecke
– ein Infrastrukturprojekt – von München über Erfurt und
Halle nach Berlin gestrichen wurde. Stattdessen wird der
ICE von Frankfurt nach Köln bei Verdopplung der Bauko-
sten munter weitergebaut. Es gab keinen Widerstand, als
der Transrapid gestrichen wurde. Stattdessen wird mit ei-
ner Unterstützung des Bundes in Milliardenhöhe eine wild
gewordene Straßenbahn im Ruhrgebiet finanziert.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Na, na! Jetzt seien Sie aber vorsichtig!)


Es gab keinen Protest, als nicht Rostock, sondern Ham-
burg als Produktionsstandort des Airbusses benannt
wurde.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Nun, da der Wahltag näher rückt und Edmund Stoiber

vor den Toren des Bundeskanzleramts steht, wird die Un-
ruhe in der SPD-Fraktion größer und die SPD-Bundes-
tagsabgeordneten besinnen sich ihres Auftrags. Meine
Kollegen von der SPD, bleiben Sie bei Ihrer Ablehnung
des Gesetzes und verhindern Sie, dass Tariftreue am Ort
der Leistungserbringung gesetzlich vorgeschrieben wird!
Lassen Sie den ostdeutschen Bauunternehmen auch wei-
terhin die Möglichkeit, sich zu ihren preiswerteren Kon-
ditionen um lukrative Aufträge zu bewerben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Schließen Sie Thüringer Bauunternehmen nicht von Auf-
trägen am Frankfurter Flughafen oder von Aufträgen in
München, Stuttgart oder Hannover aus.

Lassen Sie es nicht zu, dass ostdeutsche Konkurrenz
über diesen Umweg erledigt wird;


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


denn wer eine „Schutzfront West“ aufbaut, wer um Hoch-
preisregionen einen Schutzwall zieht, der nimmt billigend
wachsende Arbeitslosigkeit in den neuen Bundeslän-
dern in Kauf. Entweder haben die Bauunternehmer in den




Manfred Grund

21097


(C)



(D)



(A)



(B)


neuen Bundesländern Anteil an Aufträgen der öffent-
lichen Hand auch in den alten Bundesländern und sichern
damit Arbeitsplätze oder der Umfang der Sozialtransfers
von West nach Ost wird wesentlich größer werden als
bisher. Der Ausschluss preiswerter ostdeutscher Konkur-
renz von öffentlichen Bauaufträgen muss bezahlt werden,
und zwar durch höhere Sozialtransfers. Damit wird der
Ausbau West zum Abbau Ost. Das können Sie nicht ernst-
haft wollen.

Gut gemeint ist das Gegenteil von gut. Wer es wirklich
gut mit der ostdeutschen Bauwirtschaft meint, der zwingt
sie nicht in ein Tarifkorsett. Wer es gut meint, tut etwas für
die öffentliche Infrastruktur, für die Bauwirtschaft, für
Aufträge und handelt nicht gegen die Bauwirtschaft. Ent-
lasten Sie Arbeitnehmer und Betriebe durch Reformen.

Erklären Sie mir hierzu folgenden Punkt: Während der
Bund fortwährend Aufgabenbereiche privatisiert und
diese an neu gegründete Unternehmen auslagert, um sich
aus der Tariftreue herauszumogeln und die Aufgaben bil-
liger erledigt zu bekommen, verlangen und erwarten Sie,
dass die gebeutelte ostdeutsche Bauwirtschaft in das Kor-
sett der Tariftreue hineingezwängt wird. Hören Sie auf, al-
les zuerst an den Ostdeutschen auszuprobieren. Herr Kol-
lege Schulz, da hilft auch keine Anhörung: Entweder will
man das Gesetz, oder man will es nicht. Dazwischen gibt
es nichts. Dieses Gesetz darf nicht in Kraft treten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Susanne Kastner [SPD]: Die Bayern setzen ihre Unterschrift drunter!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421301900
Das Wort hat nun Kol-
lege Klaus Wiesehügel, SPD-Fraktion.


Klaus Wiesehügel (SPD):
Rede ID: ID1421302000
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! In der Einschätzung
von Herrn Rauen stimmte die Jahreszahl, auf die auch ich
eingehen möchte: Seit 1995 befindet sich die Bauwirt-
schaft nicht nur in einer Konjunktur-, sondern auch in ei-
ner Strukturkrise; das ist nicht erst seit 1998 der Fall. Man
darf nicht dieser Regierung die Verantwortung dafür ge-
ben; die Ursachen für diese Strukturkrise – das wurde hier
schon dargestellt – liegen in der Tat weiter zurück.

Die Bauwirtschaft leidet unter einer starken Wettbe-
werbsverzerrung. Seit Jahren tobt ein ruinöser Preiswett-
bewerb. Besonders bei den eingesetzten Nachunterneh-
men erfolgt die Bezahlung der Arbeitnehmer jenseits aller
Tarifverträge und oftmals im illegalen Bereich.


(Zuruf von der SPD: Sehr wahr!)

Im Ergebnis sind die Baupreise seit 1995 um 1,5 Pro-

zent gesunken, während die Preise im übrigen produzie-
renden Gewerbe um 5 Prozent gestiegen sind. An diesen
Zahlen sieht man, dass es nicht stimmt, dass sinkende
Baupreise und niedrige Löhne – Herr Brüderle, wenn man
Ihnen zuhört, dann könnte man zu diesem Ergebnis kom-
men – zur Schaffung von Arbeitsplätzen beitragen. In den
anderen Gewerben sind, das sage ich noch einmal, die
Preise gestiegen, während die Baupreise um 1,5 Prozent
gesunken sind. In der Automobilindustrie haben wir einen

erheblich höheren Anstieg der Einkommen und der Preise
zu verzeichnen. 90 000 neue Arbeitsplätze wurden dort ge-
schaffen, während wir gleichzeitig im Baugewerbe einen
Verlust von 400 000 Arbeitsplätzen zu verzeichnen hatten,
bei sinkenden Preisen und sinkenden Einkommen.


(Beifall bei der SPD)

Solide kalkulierende Bauunternehmer haben heute in

diesem Wettbewerb regelmäßig keine Chance gegen die
Billigkonkurrenz. Sie werden vom Markt verdrängt. Mit
ihnen verschwinden Arbeitsverhältnisse, für die Sozial-
versicherungsbeiträge und Steuern abgeführt werden. An
ihre Stelle treten illegale Beschäftigungsverhältnisse.
So sind im Bauhauptgewerbe seit 1995 mehr als ein Drit-
tel aller legalen, inländischen Arbeitsplätze – das sind et-
was mehr als eine halbe Million – abgebaut worden.
Gleichzeitig haben wir eine Zunahme der illegalen Be-
schäftigung auf mindestens 300 000 Beschäftigte zu ver-
zeichnen. Zwar ist die Zahl der Baubetriebe im gleichen
Zeitraum nahezu konstant geblieben, nämlich circa
75 000, nur werden diese Betriebe immer kleiner und vor
allen Dingen immer weniger leistungsfähig.

Die Konsequenzen sind bekannt: Eine enorm hohe
Arbeitslosigkeit am Bau; die Zahl ist genannt worden, sie
liegt bei 265000 Arbeitslosen. Die Arbeitslosenquote liegt
bei über 23,5 Prozent, im Osten ist sogar fast jeder dritte
Bauarbeiter arbeitslos.

Herr Brüderle, noch ein Einwand. Sie sagen, keine Ge-
werkschaft, kein Gesetz, niemand kann etwas dagegen
tun – oder wird etwas dagegen tun –, dass die Arbeitneh-
mer im Osten für erheblich weniger arbeiten, als der Ta-
rifvertrag vorsieht. Wenn das so ist, hat das nichts mit
höherer Einsicht, sondern mit Erpressung und Angst zu
tun.


(Beifall bei der SPD)

Wenn jeder Dritte arbeitslos ist, hat man weniger Mut, den
Tarifvertrag durchzusetzen.


(Rainer Brüderle [FDP]: Sie können es doch machen! Sie reden doch hier als Gewerkschaftsfunktionär! Als Gewerkschaftsboss!)


Aber das ist nicht Ihre Welt. Davon haben Sie noch nie et-
was mitgekriegt. Das ist nicht Ihre Lebenserfahrung. Des-
wegen reden Sie solch einen Unsinn.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Herr Brüderle, wenn Sie noch einmal „Gewerkschafts-
boss“ zu mir sagen, dann sage ich: Ihre Aufgabe ist nichts
anderes, als Löhne in diesem Land zu senken.


(Rainer Brüderle [FDP]: Das ist eine Unterstellung! Was reden Sie hier?)


Das ist auch keine ehrenwerte Angelegenheit.

(Beifall bei der SPD)


Meine Damen und Herren, die Rendite der Bauunter-
nehmen nach Steuern sank 1999 auf 0,6 Prozent des Um-
satzes. Die vergleichbare Rendite der Industrie lag dage-
gen bei 2,7 Prozent des Umsatzes. Der ehemals gesunde




Manfred Grund
21098


(C)



(D)



(A)



(B)


Mittelstand bricht weg. An seine Stelle treten immer klei-
nere, kapital- und leistungsschwächere Unternehmen. Die
Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer verschlechtern
sich ständig,


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie machen doch die Unternehmen kaputt!)


da eine zunehmende Zahl von Betrieben meint, nur so
dem Wettbewerb standhalten zu können.

Die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe und die Be-
reitschaft junger Menschen, am Bau zu arbeiten, sinken
rapide. Die Zahl der Auszubildenden ist von 92 000 auf
50 000 gesunken. Zwangsläufig ist schon jetzt ein die
Volkswirtschaft mittel- und langfristig schädigender, gra-
vierender Qualitätsverlust zu verzeichnen. Die Bauqua-
lität spielt in der Vergabepraxis der öffentlichen Hand und
der institutionellen Investoren keine Rolle mehr. Den Zu-
schlag erhält praktisch immer der billigste Anbieter.

Meine Damen und Herren, weil mir die Zeit ein biss-
chen wegläuft, will ich Ihnen nur noch eines mit auf den
Weg geben. Alle, die über niedrige Löhne reden, sollten
sich einmal in den USA umgucken. Dieses Land gilt ja
immer als vorbildlich. Sowohl auf der Bundesebene als
auch in rund 60 Prozent der Bundesstaaten gelten dort
nämlich Gesetze, die mit dem hier diskutierten Vergabe-
gesetz vergleichbar sind.


(Susanne Kastner [SPD]: Hört! Hört! Das hat Herr Brüderle noch nicht mitgekriegt!)


In den Staaten, in denen Vergabegesetze zwischenzeitlich
wegen liberaler Wünsche aufgehoben waren, konnte man
in dieser Phase feststellen, dass die Baukosten nicht sanken,
obwohl die Löhne und Sozialkosten deutlich zurückgingen.
Aber ohne Vergabegesetz verringerte sich die Ausbil-
dungsquote drastisch, nämlich um mehr als die Hälfte, und
es trat ein Besorgnis erregender Facharbeitermangel ein.
Zugleich gingen in dieser Zeit die Innovationsfähigkeit
und, ihr folgend, die Qualität und Produktivität in der ame-
rikanischen Bauwirtschaft zurück. Niemand investiert
nämlich in langfristig wirksame Innovationen, wenn seine
Konkurrenten kurz- und mittelfristig die Aufträge erhalten,
weil sie auf die Innovationen und Investitionen verzichten.
Die erwähnten Bundesstaaten der USAsetzten nach diesen
ernüchternden Erfahrungen ihre Vergabegesetze wieder in
Kraft. Sie sollten daraus lernen.

Ich bitte Sie daher: Unterstützen Sie diesen Gesetzent-
wurf! Er ist ein wichtiger Schritt, um den ehemaligen Mo-
tor der deutschen Konjunktur, die Bauwirtschaft, aus der
Krise herauszuführen und den öffentlichen Personennah-
verkehr vor einer solchen Krise zu bewahren. Was wir
nämlich zurzeit in der Bauwirtschaft erleben, wird, wenn
wir dieses Gesetz nicht verabschieden, die Zukunft des öf-
fentlichen Personennahverkehrs sein. Da sollten wir uns
nicht versündigen, sondern die ewigen Deregulierer, die
nichts anderes wollen, als zugunsten ihrer Unternehmer-
freunde die Löhne zu senken, zurückweisen.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP – Peter Rauen [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch! – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wer macht denn der Post Steuergeschenke?)


Wir sollten Gesetze verabschieden, die dazu führen, dass
in diesem Land bestimmte Dinge geregelt sind. Wir kom-
men nämlich sonst in ein Fahrwasser, in dem Arbeitslo-
sigkeit nicht abgebaut, sondern erneut aufgebaut würde.

Meine Damen und Herren, natürlich muss über dieses
Gesetz geredet werden. Auch ich weiß, dass es sicherlich
noch einiges an Diskussionsbedarf gibt. Dieser Diskus-
sion stellen wir uns. Wir sind heute in der ersten Lesung.
Es ist nicht so, dass wir nicht diskussionsbereit wären.
Aber die grundsätzliche Ablehnung, die hier von Ihnen
präsentiert wird, hat überhaupt nichts damit zu tun, was
zurzeit im Bundesrat von den Ländern, darunter viele mit
CDU-Regierungen, gefordert wird. Sie sollten zu Diskus-
sionen auch im eigenen Lager bereit sein. Sonst ist wenig
glaubhaft, was Sie hier darstellen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421302100
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/7796, 14/5263, 14/6752, 14/6982,
14/7506 und 14/7458 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu ander-
weitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie auf Drucksache 14/5739 zu dem Antrag der Fraktion
der PDS mit dem Titel „Sicherung tariflicher, arbeits- und
sozialrechtlicher Standards und Förderung arbeitsmarkt-
politischer Zielsetzungen durch ein Vergabegesetz“. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/4036
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Stimmenthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS vom
Hause angenommen.

Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 17 a bis
17 e sowie Zusatzpunkt 8 auf:
17.a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerda

Hasselfeldt, Heinz Seiffert, Dietrich Austermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Einsetzung einer Kommission zur Reform der
Gemeindefinanzen durch die Bundesregierung
– Drucksache 14/7442 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Sonderausschuss Maßstäbe-/Finanzausgleichgesetz
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerda
Hasselfeldt, Peter Götz, Heinz Seiffert, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Gewerbesteuerumlage auf die vor dem Steuer-
senkungsgesetz maßgeblichen Werte senken




Klaus Wiesehügel

21099


(C)



(D)



(A)



(B)


– Drucksache 14/7787 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerhard
Schüßler, Dr. Hermann Otto Solms, Ina Albowitz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Gemeindefinanzen reformieren – Gewerbe-
steuer abschaffen – Finanzkraft der Gemein-
den stärken
– Drucksache 14/7326 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Uwe-
Jens Rössel, Dr. Dietmar Bartsch, Heidemarie
Ehlert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
PDS
Erhöhung der Gewerbesteuerumlage zurück-
nehmen
– Drucksache 14/7993 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Jochen-Konrad
Fromme, Peter Götz, Dietrich Austermann, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Umsetzung des Versprechens der Bundesregie-
rung zur Stärkung der Kommunalfinanzen
– Drucksachen 14/6163, 14/7424 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Bernd Scheelen
Jochen-Konrad Fromme

ZP 8 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und
des Bündnisses 90/Die Grünen
Reform der Gemeindefinanzen
– Drucksache 14/8025 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Innenausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Peter Götz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Peter Götz (CDU/CSU) (von Abgeordneten der
CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir brauchen zur Gestaltung
unseres Lebensraumes starke Städte und Gemeinden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!)

Es ist Aufgabe einer Regierung, dafür die Rahmenbedin-
gungen zu setzen. Diese Bundesregierung aber hat in den
vergangenen drei Jahren die bis 1998 vorhandenen guten
Rahmenbedingungen durch ihre kommunalfeindliche Po-
litik systematisch zerstört.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das bekommen die Menschen immer mehr zu spüren.
„Daumenschrauben für Bürger“ nennt dies der „Spiegel“
in einer Überschrift vorletzte Woche. Weiter heißt es:

Städte und Gemeinden rutschen in die Pleite, sie
müssen Gebühren erhöhen und Leistungen streichen.
Denn Konjunktureinbruch, Arbeitslosigkeit und die
letzten Steuerreformen gehen zu ihren Lasten.

Ich kann auch das „Handelsblatt“ vom Dienstag letzter
Woche zitieren, das zum Thema Finanznot in den Kom-
munen in seiner Überschrift schreibt: „In Gerhard Schrö-
ders Heimat ist die SPD nicht gut auf die Bundesregierung
zu sprechen.“


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Nicht nur dort!)

Wenn der SPD-Oberbürgermeister von Hannover,

Herbert Schmalstieg, der Bundesregierung öffentlich vor-
wirft, die kommunale Selbstverwaltung zu gefährden,
und sein SPD-Kämmerer gegenüber dem „Handelsblatt“
sagt: „So habe ich mir sozialdemokratische Steuerpolitik
nicht vorgestellt“, macht dies eine große Enttäuschung
mehr als deutlich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP– Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die geben nur Steuergeschenke an die Post!)


Die Aufzählung der Städte, die zunehmend die Auswir-
kungen Ihrer verfehlten Investitions- und sonstigen Ent-
scheidungen auf kommunaler Ebene nach nur drei Jahren
öffentlich kritisieren, ließe sich problemlos fortsetzen:


(Joachim Stünker [SPD]: Die Steuerreform vorziehen, das ist Ihr einziger Vorschlag!)


Von Leverkusen über Holzminden bis Hannover – von
den Kommunen in den neuen Ländern ganz zu schweigen –
stehen alle mit dem Rücken an der Wand – ob Ihnen das
gefällt oder nicht.

Auf der Hauptversammlung des Deutschen Städtetages
im Mai vorigen Jahres in Leipzig war auch der Bundes-
kanzler zu Gast.


(Zuruf von der SPD: Was ist mit Stoiber?)

Dies war ein als freundliche Geste gedachter Auftritt, der
jedoch sehr peinlich wurde. Als Erstes führte sich Gerhard
Schröder mit dem Satz ein, er sei bei reichen Verwandten.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Hört! Hört! Das ist Zynismus pur!)





Präsident Wolfgang Thierse
21100


(C)



(D)



(A)



(B)


Alle anwesenden Kommunalpolitikerinnen und Kommu-
nalpolitiker verstanden dies zu Recht als Provokation.
Denn schon damals war klar: Die Finanzsituation der Ge-
meinden ist schwierig. Jeder wusste, sie würde sich we-
gen der rot-grünen Gesetze weiter verschlechtern. Der
Kanzler schien davon nichts zu wissen oder es war ihm
einfach egal.

Zweitens wollte er die dort geforderte Gemeinde-
finanzreform auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschie-
ben. Dabei hatten SPD und Grüne genau diese in ihrer Ko-
alitionsvereinbarung vom Herbst 1998 versprochen. So
einfach macht sich Rot-Grün das Regieren in Deutsch-
land. Wir nennen das: Versprechen gebrochen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


CDU und CSU wollen eine umfassende Gemeinde-
finanzreform, die auch den Namen verdient. Inzwischen
kommt die Regierung nicht mehr um das Thema herum;
denn die dramatische Krise der kommunalen Haushalte
ist für jeden unübersehbar. Doch wie reagiert der Bundes-
kanzler darauf? Mit ruhiger Hand wird kurz vor der Bun-
destagswahl eine Kommission eingesetzt, und zwar so,
dass vor der Bundestagswahl möglichst nichts mehr pas-
siert. Die jahrelange Verweigerungshaltung ist mehr als
peinlich. „Viele Kommunen sind kaum noch in der Lage,
die Alltagsprobleme ihrer Bürger zu bewältigen“,
schimpft der niedersächsische SPD-Ministerpräsident
Gabriel im „Spiegel“.

Die Erklärung der Vizepräsidentin des Deutschen Städ-
tetages, der Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth,


(Bernd Scheelen [SPD]: Warum heißt die eigentlich Roth?)


unsere Städte stünden vor dem Bankrott, ist keine Droh-
gebärde, sondern ein Hilferuf. Ihren ständigen Verschie-
bebahnhof zulasten kommunaler Haushalte spürt inzwi-
schen jeder Kämmerer in Ost und West am eigenen Leib.
Die Zeche zahlen die Bürgerinnen und Bürger in Form
von steigenden Gebühren für immer schlechter werdende
kommunale Leistungen.

Meine Damen und Herren, die Ursachen sind viel-
schichtig: Die Gewerbesteuereinnahmen sind als wich-
tige Geldquelle der Kommunen total eingebrochen, in
vielen Städten bis auf null. Ihre Steuerpolitik, die es Ban-
ken und Versicherungen, aber auch Großkonzernen wie
Eon oder BMW erlaubt, trotz Milliardengewinnen um
Gewerbesteuerzahlungen herumzukommen, ist eindeutig
falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Wie hat denn Ihre Partei im Vermittlungsausschuss abgestimmt? Erkundigen Sie sich da einmal!)


Oder kann es richtig sein, dass der BMW-Konzern im ver-
gangenen Jahr mit 1 300Millionen Euro den höchsten Ge-
winn seiner Geschichte einfährt und München, die Stadt
des Firmenhauptquartiers, davon keinen einzigen Cent
Gewerbesteuer sieht?


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Unglaublich!)


Als Rot-Grün die so genannte Jahrhundertsteuerreform
zugunsten des Großkapitals und zulasten des Mittelstan-
des durchsetzte,


(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [PDS])

rechneten Sie uns einen Anstieg der Gewerbesteuer vor.
Deshalb sollten die Gemeinden eine höhere Umlage, die
von bisher 20 Prozent auf 30 Prozent im Jahre 2004 stei-
gen soll, an Bund und Länder abtreten. Was passiert jetzt?
– Die Gewerbesteuereinnahmen sinken auf ein bedrohlich
niedriges Niveau.


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: 40 Prozent minus!)


Der „Spiegel“ bezeichnet dies in seiner jüngsten Ausgabe
als Milliardendesaster. Es gibt keine Rechtfertigung mehr
für die von Ihnen gegen den Widerstand der Städte und
Gemeinden durchgesetzte Erhöhung der Gewerbesteuer-
umlage.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Joachim Poß [SPD]: Wie verhalten sich denn Ihre Länder mit Ausnahme von Bayern?)


Ich fordere Sie deshalb auf: Lassen Sie den Gemeinden
ihr Geld und nehmen Sie es ihnen nicht ständig weg!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Susanne Kastner [SPD]: Wenn Stoiber uns das Geld geben würde! – Joachim Poß [SPD]: Machen Sie sich bei Ihrem Finanzminister in Baden-Württemberg sachkundig. Der lehnt es doch ab!)


Ich komme zu einem weiteren Beispiel. Bei Betrach-
tung der Auswirkungen des Verkaufs der UMTS-Lizen-
zen auf die Kommunen – ich weiß, dass Sie das nicht
gerne hören – wird Ihre kommunalfeindliche Politik ganz
besonders deutlich: Der Bund kassiert 50 Milliarden
Euro, ungefähr ein Fünftel seines gesamten Etats. Die Te-
lekommunikationsunternehmen setzen diese exorbitanten
Kosten steuerlich ab und schreiben dadurch auf Jahre hi-
naus Verluste. Die Folge ist: Den Gemeinden fehlen
7 Milliarden Euro


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Den Ländern noch einmal 9 Milliarden!)


in ihren Kassen. Sie finanzieren damit indirekt die Ein-
nahmen des Bundes.

Hinter solch abstrakten Zahlen verbergen sich drama-
tische Verhältnisse. Ich nenne ein Beispiel, das ich hier
schon einmal angeführt habe: Das Amt Stahnsdorf, eine
Gemeinde in Brandenburg mit 12 000 Einwohnern, hatte
bisher 1,2 Millionen Euro Gewerbesteuereinnahmen. Das
war für diese Gemeinde viel Geld, das im Wesentlichen
von Telekommunikationsunternehmen kam. 2001 fällt
diese Einnahme weg; es gibt keinen Ausgleich dafür. Was
dies für eine solche Gemeinde bedeutet, kann sich jeder
selbst ausmalen.

Hinzu kommt, dass in Deutschland viele Gemeinden in
diesen Monaten aus ihren leeren Kassen Gewerbesteuer-
rückzahlungen an Telekommunikationsunternehmen




Peter Götz

21101


(C)



(D)



(A)



(B)


leisten müssen. So gestaltet sich ganz konkret in der Pra-
xis das Versprechen in der rot-grünen Koalitionsvereinba-
rung, die kommunalen Finanzen zu stärken. Ich nenne das
kommunalfeindliche Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein Weiteres kommt hinzu: Noch nie war der Anteil der

sozialen Leistungen an den kommunalen Ausgaben so
hoch wie heute. Im Jahr 2001 lag er zum ersten Mal über
50 Prozent der Steuereinnahmen, das heißt bei mehr als
der Hälfte; im Jahr zuvor waren es noch 47 Prozent.
37 Prozent der Arbeitslosen beziehen zur Arbeitslosen-
hilfe zusätzlich Sozialhilfe. Die Mitfinanzierung der
Langzeitarbeitslosigkeit ist keine kommunale Aufgabe.
Auch hier entlastet sich der Bund auf Kosten der Kom-
munen mit steigender Tendenz. Hier sind Änderungen
dringend geboten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Das war ja unter Kohl anders, nicht? – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Verschiebebahnhof!)


Ich kann die Liste der Auswirkungen Ihrer kommunal-
feindlichen Politik – ob Sie das jetzt hören wollen oder
nicht – beliebig verlängern: von den Entscheidungen
während der BSE-Krise über die Mitfinanzierung beim
Kindergeld bis zur Grundsicherung bei der Rente – all das
sind keine kommunalen Aufgaben. Jetzt wollen Sie den
Kommunen noch die Integrationskosten aus Ihrem ver-
korksten Zuwanderungsgesetz aufs Auge drücken.


(Zuruf von der CDU/CSU: Pfui!)

Die Menschen in unserem Land müssen für Ihre Politik
teuer bezahlen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Der Kollaps der Gemeindefinanzen hat Konsequenzen,
die inzwischen für alle sichtbar sind. In besseren Zeiten
– die gab es bis 1998 –


(Lachen bei der SPD – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


haben die Gemeinden bis zu 70 Prozent der öffentlichen
Bauinvestitionen in Deutschland erbracht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Was wahr ist, ist wahr! Hier muss die Wahrheit auf den Tisch!)


Damit waren sie ein Schwungrad der Wirtschaft. Viele
mittelständische Arbeitsplätze wurden dadurch dauerhaft
gesichert. Das ist überhaupt nicht zum Lachen.

Heuten liegen die Investitionen der Kommunen ein
Drittel unter dem Niveau von vor zehn Jahren. Und jetzt
wundern Sie sich, wenn die Konjunktur einbricht und die
Infrastruktur verfällt.


(Susanne Kastner [SPD]: Sechs Jahre davon haben Sie regiert!)


Durch Ihr kommunalfeindliches Verhalten verstärken Sie
den wirtschaftlichen Abschwung in Deutschland drama-

tisch. Das ist unverantwortlich gegenüber den Menschen
in unserem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP– Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wir sind schon im Keller!)


Lassen Sie mich zusammenfassen:
Erstens. Bei allen politischen Entscheidungen muss

das Konnexitätsprinzip Maßstab sein. Das heißt: Wer be-
stellt, bezahlt – ohne Wenn und Aber.


(Horst Schild [SPD]: Ja, genau, wie das in der Vergangenheit immer war!)


Zweitens. Wir brauchen dringend eine umfassende Ge-
meindefinanzreform. Kommunale Einnahmen, Aufgaben
und Ausgaben müssen dabei ungeschminkt auf den Prüf-
stand. Dazu gehört auch die Gewerbesteuer. Die be-
schlossene Erhöhung der Gewerbesteuerumlage ist sofort
rückgängig zu machen.

Drittens. Die Städte und Gemeinden sind in die Lage
zu versetzen, dringend notwendige Investitionen zu täti-
gen. Dafür muss der Finanzminister einen Teil der Erlöse
aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen den Kommu-
nen zurückgeben.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Jawohl!)

Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Ist es richtig,

bestimmte Großkonzerne mit Steuergeschenken zuzu-
schütten, wenn dadurch den Städten und Gemeinden das
Geld für die Sanierung von Schulen fehlt,


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Unverantwortlich ist das!)


städtische Angebote für Kinder und Familien aufgegeben
werden müssen und kommunale Investitionen weitge-
hend unterbleiben?


(Joachim Poß [SPD]: Das stimmt nicht! Fragen Sie mal die Mitglieder des Vermittlungsausschusses, wie die sich verhalten haben!)


Wir sagen: nein. Deshalb, Herr Poß, ist es höchste Zeit für
ein Umsteuern, für einen Politikwechsel in diesem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP– Joachim Poß [SPD]: Wir haben die Gewerbesteuer gefestigt! – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Die Unruhe auf der linken Seite zeigt nur das schlechte Gewissen!)


– Ich kann Ihre Unruhe und Ihre Nervosität verstehen.
Der Erfolg Deutschlands steht und fällt auch mit der

Leistungsfähigkeit der Kommunen. CDU und CSU wol-
len keinen Zentralismus, sondern wir wollen auch in Zu-
kunft in unserem Land eine starke kommunale Selbstver-
waltung mit leistungsstarken Städten und Gemeinden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421302200
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Bernd Scheelen, SPD-Fraktion.




Peter Götz
21102


(C)



(D)



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Bernd Scheelen (SPD):
Rede ID: ID1421302300
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Wenn man dem Kollegen Götz zuhört,
fragt man sich: Warum haben Sie das, was Sie hier vor-
schlagen, in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit nicht ge-
macht? Sie hätten doch die Gelegenheit dazu gehabt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ihr Nichtstun auf dem Sektor der Gemeindefinanzreform
führte genau zu den Problemen, die Sie heute beklagen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie haben doch die Gewerbesteuerumlage erhöht! – Walter Hirche [FDP]: Warum haben Sie das denn in den letzten Jahren verschlechtert?)


Ganz anders die Bundesregierung und die sie tragen-
den Koalitionsparteien von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen. Wir haben mit dem Steuersenkungsgesetz die
größte Steuerentlastung in der Nachkriegszeit auf den
Weg gebracht. Darauf sind wir stolz.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das Entlastungsvolumen der Steuerreform betrug allein
im Jahr 2001 45 Milliarden DM. Davon profitieren im
Wesentlichen die Arbeitnehmer, die Familien und die
Wirtschaft, bei der Wirtschaft ganz besonders auch der
Mittelstand. Das Kernstück der Reform ist die Senkung
der Sätze: bei der Lohn- und Einkommensteuer von fast
26 Prozent Eingangssteuersatz auf demnächst 15 Prozent,


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Zum Sankt-Nimmerleins-Tag!)


von 53 Prozent Spitzensteuersatz auf demnächst 42 Pro-
zent; bei der Körperschaftsteuer eine Senkung von 40 auf
25 Prozent.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Nur, keiner merkt es!)


Insbesondere was den Mittelstand angeht, will ich Ihnen
das gerne ins Stammbuch schreiben, weil Sie das immer
geflissentlich übersehen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Kommen Sie doch mal zu den Gemeindefinanzen!)


– Herr Fromme, warten Sie ab. Ich habe zwölfeinhalb Mi-
nuten Redezeit. Ich komme noch dazu, keine Sorge.

Die Mittelstandsfreundlichkeit dieser Steuerreform
zeigt sich insbesondere in der Tatsache, dass nach der
Neuregelung die Personenunternehmen ihre Gewerbe-
steuerschuld bei der Einkommensteuerschuld abziehen
können. Das heißt ganz konkret: Der Mittelstand wird
nicht mehr mit der Gewerbesteuer belastet, aber für die
Städte ist diese Quelle erhalten geblieben. Das ist etwas,
was Sie in 16 Jahren überhaupt nicht zustande gebracht
haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Bei den Sätzen und Rahmenbedingungen der Gewer-
besteuer hat es keine Veränderungen gegeben. Weder ha-

ben wir – wie Sie das vorgeschlagen haben – die Mess-
zahlen gesenkt noch haben wir die Freibeträge angehoben.
Deshalb ist Ihre Behauptung, dass der aktuelle Rückgang
der Gewerbesteuereinnahmen bei den Kommunen etwas
mit der Steuerreform zu tun hat, barer Unsinn.

Unser Ziel war es, die Gewerbesteuer als Einnahme-
quelle für die Städte und Gemeinden zu erhalten, aber die
mit ihr verbundene Belastung für die Wirtschaft zu elimi-
nieren. Dazu haben wir die eben schon erwähnte Abzugs-
möglichkeit bei der Einkommensteuer eingeführt. Das ist
übrigens eine Maßnahme, die den Mittelstand, die Perso-
nengesellschaften, im vergangenen Jahr um 10 Milliarden
DM entlastet hat.


(Beifall bei der SPD – Zurufe von der SPD: Hört, hört! Peter Rauen [CDU/CSU]: Wo haben Sie die Zahlen her?)


Deswegen stelle ich fest: Bei dieser Steuerreform gibt es
von Mittelstandsfeindlichkeit keine Spur. Auch wenn Sie
diese Behauptung überall wiederholen, wird sie nicht
wahrer.

Der Vorwurf, den man dem Besteuerungssystem in der
Bundesrepublik, insbesondere dem Unternehmensteuer-
recht, Ende der 90er-Jahre gemacht hat, war, dass die
Steuersätze zu hoch seien – nicht etwa, dass die Steuer zu
hoch sei. Internationale Untersuchungen zeigen, dass un-
sere Unternehmen hinsichtlich der steuerlichen Belastung
durchaus im Mittelfeld lagen, weil es viele Abschrei-
bungsmöglichkeiten gab. Die Steuersätze waren aber sehr
hoch. Die Lösung war, die Steuersätze zu senken und die
Bemessungsgrundlage zu verbreitern. Genau das haben
wir mit unserer Steuerreform gemacht.

Wir haben insbesondere die Körperschaftsteuer von
40 auf 25 Prozent gesenkt.


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Die Einnahmen sind um 70 Prozent eingebrochen!)


– Ja, aber die Körperschaftsteuer steht nicht den Gemein-
den zu. Wir reden hier aber über Gemeindefinanzen. Die
Körperschaftsteuer – Herr Kollege Rössel, das wissen Sie
ganz genau – steht dem Bund und den Ländern zu.


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Die Länder erhalten einen kommunalen Finanzausgleich! Davon haben auch die Gemeinden etwas!)


Insofern kann ein Ausfall bei der Körperschaftsteuer nicht
auf die Gemeinden durchschlagen. Das müssten Sie ei-
gentlich wissen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/ CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421302400
Kollege Scheelen, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rauen?


Bernd Scheelen (SPD):
Rede ID: ID1421302500
Nein, weil Freitag ist,
möchte ich keine Zwischenfragen zulassen. Ich bitte um
Verständnis.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)







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Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421302600
Also abgelehnt.

(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Er traut sich nicht! Er kneift!)



Bernd Scheelen (SPD):
Rede ID: ID1421302700
Herr Fromme, keine Sorge,
das mache ich auch bei Ihnen nicht.

Jetzt kommt die Gewerbesteuerumlage ins Spiel. Die
schrittweise Erhöhung der Gewerbesteuerumlage führt zu
Windfall Profits bei den Gemeinden. Diese sollten zur
Mitfinanzierung der Unternehmensteuerreform herange-
zogen werden. Das ist eine Systematik, der die kommu-
nalen Spitzenverbände ausdrücklich zugestimmt haben,
denn für die Kommunen ergab sich so eine Beteiligung an
den Steuerausfällen durch die Reform von nur 8,9 Pro-
zent. Das – das wissen Sie auch – ist eine sehr unter-
durchschnittliche Beteiligung an den Steuerausfällen,
denn die Gemeinden sind an den Steuereinnahmen mit
12 Prozent beteiligt. Dies ist also ein überaus kommunal-
freundlicher Zug der Steuerreform.

Trotzdem sind auch 8,9 Prozent von 45 Milliarden DM
viel Geld. Die Kommunen hatten sich allerdings bereit er-
klärt, ihren Anteil an den Ausfällen und den Entlastungen
von Bürgerinnen und Bürgern sowie der Wirtschaft zu tra-
gen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Proportional!)


Worüber wir zurzeit debattieren, nämlich über die teil-
weise dramatischen Einbrüche bei der Gewerbesteuer, hat
– das habe ich gerade ausgeführt – mit der Steuerreform
nichts zu tun. Vielmehr haben die Ölpreisexplosionen des
letzten Jahres, die deutliche Abkühlung der amerikani-
schen Wirtschaft, Krisen in Japan, in der Türkei, in Ar-
gentinien und anderen Teilen der Welt ihre Bremsspuren
in der Weltwirtschaft hinterlassen


(Walter Hirche [FDP]: Die Amerikaner haben bei uns die Ökosteuer eingeführt?)


und wegen der durch die Exportorientierung starken Ver-
flechtung der Bundesrepublik Deutschland mit der Welt-
wirtschaft auch bei uns. Insofern teilen wir die Analyse
der kommunalen Spitzenverbände vom Herbst letzten
Jahres – auch Ihnen müsste noch im Gedächtnis sein, was
damals gesagt wurde –, dass die Gewerbesteuerausfälle
nichts mit der Steuerreform zu tun haben, sondern auf un-
terschiedliche Faktoren zurückzuführen sind, als da zu-
nächst die konjunkturelle Entwicklung wäre.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die kommt vom Himmel oder wie?)


Wir erinnern uns, dass vor einem Jahr alle Prognosen
der wissenschaftlichen Institute von Wachstumsraten für
das vergangene Jahr von etwa 3 Prozent ausgingen.
Tatsächlich sind wir bei 0,6 Prozent gelandet. Dass das
nicht ohne Folgen für die Finanzierung der staatlichen
Haushalte ist, muss eigentlich jedem klar sein.

Ein zweiter Grund sind Unternehmensumstrukturie-
rungen, die im letzten Jahr verstärkt unter Ausnutzung
bereits bestehender Regelungen des Steuerrechts stattge-
funden haben. Dies betrifft also keine neuen Regelungen

des Steuersenkungsgesetzes dieser Koalition. Es geht um
die Möglichkeit, Gewinne und Verluste zwischen Mutter-
und Töchterunternehmen in Form einer so genannten Or-
ganschaft zu verrechnen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das kann ja gar nicht sein!)


Da wir die Sorgen der Kommunen über diese teilweise
dramatischen Entwicklungen bei der Gewerbesteuer tei-
len, hat die Koalition reagiert, und zwar kurzfristig und
gegen Ihren entschiedenen Widerstand.


(Beifall bei der SPD – Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Die Organschaft kommt erst ab 2002!)


Sowohl im Finanzausschuss als auch im Bundesrat haben
wir Verbesserungen für die kommunale Finanzsituation
durchgesetzt. Das sollte man einmal ganz deutlich sagen.
Sie verweigern sich hier jeder Regelung, die den Ge-
meinden mehr Geld bringt.


(Beifall bei der SPD)

Ich sage Ihnen auch, welche das waren: Im Zuge des

Unternehmensteuerfortführungsgesetzes haben wir die
Voraussetzungen für die so genannte gewerbesteuerliche
Organschaft verschärft und sie an die Voraussetzungen
für die körperschaftliche Organschaft angepasst.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist Steuerwillkür!)


Das bedeutet: Für Unternehmen ist das Steuersparen bei
der Gewerbesteuer nicht mehr so leicht wie vorher.

Außerdem haben wir das Steuersparmodell der so ge-
nannten Mehrmütterorganschaft nicht zugelassen. Sie
wissen, dass es ein Urteil gab, das jetzt schon fast zehn
Jahre alt ist. Wenn daraus geltendes Recht geworden
wäre, hätte es die Gemeinden eine Menge Geld gekostet.
Die Gemeinden hätten die vereinnahmte Gewerbesteuer
aus ihren Kassen zurückzahlen müssen. Das haben wir
verhindert und diese Einnahmen den Gemeinden gesi-
chert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben nicht zugelassen, dass die Versicherungs-
wirtschaft Gewinne und Verluste aus verschiedenen Spar-
ten miteinander verrechnet. Auch das drohte. Dieses Steu-
erschlupfloch ist von vornherein geschlossen worden.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Auch das ist Steuerwillkür!)


Auch dagegen haben Sie sich ausgesprochen. Es sollte in
den Standorten der Versicherungen einmal bekannt wer-
den, wie Sie sich hier verhalten.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Sie müssen einmal systemkonform handeln!)


Zusätzlich haben wir die Gewerbesteuerpflicht für Ge-
winne aus der Veräußerung von Betrieben oder Teilbe-
trieben festgeschrieben.

Meine Damen und Herren, das alles zusammen ist ein
Paket, das den Gemeinden in diesem Jahr Mehreinnah-






(C)



(D)



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(B)


men von 700 Millionen Euro sichert. Für Herrn Stoiber
füge ich hinzu, dass das ungefähr 1,4 Milliarden DM ent-
spricht.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Nicht Mehreinnahmen, sondern sie erhalten Einnahmen, die vorher schon da waren! Das ist nichts Neues!)


Herr Kollege Fromme, darüber hinaus sind die vorbe-
reitenden Arbeiten zur Bildung einer Kommission für
eine Gemeindefinanzreform angelaufen. Die Kommis-
sion wird ihre Arbeit zügig aufnehmen. Damit erfüllen wir
den Koalitionsvertrag.


(Lachen bei der CDU/CSU – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Ja, in Ihrer eigenen Qualität! – Walter Hirche [FDP]: Denken Sie lieber an die Beseitigung der Arbeitslosigkeit! – Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Nach 1200 Tagen habt ihr den Entschluss gefasst! 1200 Tage nachdenken!)


– Ich denke, dass Legislaturperioden vier Jahre dauern.
Drei Jahre sind um und wir nehmen dieses Thema in An-
griff.


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Wenn ich nicht mehr weiter weiß, bild’ ich einen Arbeitskreis!)


Sie wissen auch ganz genau, warum wir das nicht früher
machen konnten. Sie waren ja auch nicht in der Lage
dazu. Die Arbeitskapazitäten sowohl in den Ministerien
als auch im Parlament waren nämlich durch ein anderes
Thema belegt, das uns das Bundesverfassungsgericht
nach den Wahlen auf den Tisch gelegt hat, nämlich den
Länderfinanzausgleich.


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Das war nach einem Jahr!)


Das haben wir jetzt abgearbeitet und jetzt kommt das
nächste Thema, nämlich die Gemeindefinanzreform. Wir
werden sie durchführen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Susanne Kastner [SPD]: Das habt ihr uns hinterlassen! – Jochen-Konrad Fromme [CDU/ CSU]: Gott sei Dank habt ihr keine Mehrheit mehr im Bundesrat!)


Damit komme ich zum Kapitel Heuchler und Pharisäer.
In der Hauptrolle sind CDU/CSU und FDP. 16 Jahre lang
haben Sie nicht eine Hand für die Reform der Gemeinde-
finanzen gerührt.


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Das stimmt leider! Aber ihr auch nicht!)


Das rächt sich jetzt. Im Gegenteil: Sie haben sogar durch
ständiges Manipulieren an der Gewerbesteuer deren Ba-
sis ausgehöhlt und sie zu einer Großbetriebssteuer ver-
kommen lassen. Gerade das bereitet uns im Moment auch
die großen Probleme. Die größten Verlierer des letzten
Jahres – schauen Sie sich doch einmal die Statistiken des
Deutschen Städtetages an – sind gerade die Städte, in de-
nen die großen Betriebe ihren Sitz haben. Beispiel

Ludwigshafen: minus 70 Prozent; Beispiel Leverkusen:
minus 65 Prozent.


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: München!)

Das zeigt, dass Sie die Gewerbesteuer zu einer Rest-

steuer haben verkommen lassen, die nur noch wenige be-
zahlen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn diejenigen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten
sind, trifft es die Gemeinden voll.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Haben Sie vielleicht jederzeit im Bundesrat zugestimmt?)


Man soll aber nicht verschweigen, dass es auch Städte
gibt, die keine Probleme bei der Gewerbesteuer haben.
Ich glaube, es ist ganz wichtig, das einmal zu sagen. Im
Durchschnitt gibt es weniger Einnahmen bei der Gewer-
besteuer. Das konzentriert sich im Wesentlichen auf die
großen Städte. Je kleiner aber die Städte, desto kleiner
sind auch die Probleme mit der Gewerbesteuer.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Manche Kommunen haben sogar mehr Einnahmen!)


Der Antrag von CDU/CSU, in dieser Situation die Ge-
werbesteuerumlage zu senken, ist ein wohlfeiler Wahl-
kampfgag mit Blick auf die Kommunalwahlen in Bayern.
Wer die bayerischen Verhältnisse kennt, weiß, dass die
Mehreinnahmen, die Bayern hat, nicht an die Kommunen
weitergegeben werden. Stattdessen wird mit dem Geld
weitergearbeitet und es wird versucht, sich zulasten der
bayerischen Gemeinden weiter zu entschulden. Das ist
unseriös.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, Bayern hat im Bundesrat
den Antrag auf Senkung der Umlage auch nur deshalb ge-
stellt, weil es von vornherein wusste, dass er – auch durch
unionsgeführte Länderregierungen und deren Stimmen
im Bundesrat – abgelehnt würde. Man kann leicht mutig
sein, wenn man weiß, dass die Forderung sowieso nicht
erfüllt wird. Genau aus diesem Grunde fordern Sie heute
die Absenkung der Gewerbesteuerumlage. Sie wissen ge-
nau, dass das keine Chance auf Beschluss hat.

Sie wissen doch, dass die Systematik, die ich Ihnen
vorhin erläutert habe, auch natürlich dann gilt, wenn die
Gewerbesteuereinnahmen unterschiedlich hoch sind. Die
Systematik der Windfall Profits, der Einnahmen, die die
Gemeinden zusätzlich durch Änderungen im Steuersys-
tem haben, aber von den Ausfällen unberührt bleiben, gilt
auch, wenn die Gewerbesteuereinnahmen niedriger sind.

Dass es Ihnen mit der Absenkung der Umlage über-
haupt nicht ernst ist, haben Sie beim Solidarpaktfort-
führungsgesetz ganz deutlich gezeigt. Dabei hätten die
Länder die Chance gehabt, die länderbezogene Gewerbe-
steuerumlage von 29 Prozentpunkten abzusenken. Das




Bernd Scheelen

21105


(C)



(D)



(A)



(B)


haben Sie einstimmig abgelehnt. So etwas nenne ich Heu-
chelei.


(Beifall bei der SPD)

Jetzt komme ich zu den Vorschlägen der FDP. Sie wol-

len die Gewerbesteuer abschaffen und gleichzeitig die
Kommunalfinanzen stärken. Das ist ein Kunststück, bei
dem ich mich frage, wie Sie das bewerkstelligen wollen.


(Gerhard Schüßler [FDP]: Lesen Sie den Antrag!)


Sie wollen – das steht in dem Antrag, Herr Schüßler – zum
Beispiel ein Hebesatzrecht bei der Körperschaftsteuer
einführen. Die Kommunen werden sich dafür herzlich be-
danken; denn die Körperschaftsteuer ist noch kon-
junkturanfälliger als die Gewerbesteuer. Das heißt, Sie
treiben den Teufel mit Beelzebub aus. Das kann doch kein
Zukunftskonzept sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Hebesatzrecht bei der Einkommensteuer wird nur
dazu führen, dass sich die Ballungsräume von den gut
Situierten leeren. Diese werden in die Fläche ausweichen.
Das wird die ungerechte Verteilung zwischen den Bal-
lungsräumen und dem ländlichen Raum noch weiter ver-
stärken. Das ist nicht unser Programm.

Was die Kommunen brauchen, sind verlässliche und
stetige Einnahmen – zumindest darin können wir über-
einstimmen –, die von konjunkturellen Schwankungen
nicht in großem Maße abhängen. Auch brauchen sie eine
Entlastung auf der Ausgabenseite. Das sind die beiden
Kernthemen, mit denen sich die Kommission beschäf-
tigen muss und beschäftigen wird.

Wir haben gestern das steuerpolitische Chaos der
Union debattiert. Frau Merkel fordert ein Vorziehen der
Steuerreform auf 2003, Herr Stoiber will nur den Teil für
den Mittelstand vorziehen, Herr Glos hält das alles tech-
nisch nicht für möglich. Dazu sage ich: Gegen dieses
Chaos in der Union ist ein Hühnerhaufen eine relativ ge-
ordnete Veranstaltung.


(Beifall bei der SPD – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Weil Sie das Steuerrecht verwüstet haben!)


Wenn es technisch machbar wäre, so Herr Glos, dann
würden Sie es tun und die Steuerreform vorziehen. Dies
würden Sie mit mehr Schulden finanzieren. Ich sage Ih-
nen ganz deutlich: Schulden machen ist das Einzige, was
Sie wirklich können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jahrelang praktiziert!)


16 Jahre lang haben Sie nichts anderes als Schulden ge-
macht. Sie haben in den 16 Jahren die Bundesschuld auf
1,6 Billionen DM vervierfacht. Das belastet uns jährlich
mit 82 Milliarden DM, sprich: rund 41 Milliarden Euro.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie haben doch einen blauen Brief aus Brüssel bekommen!)


Das ist nicht unsere Politik; denn die Schulden von
heute – das wissen Sie – sind die Steuern von morgen.


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Und was machen Sie mit den Transportflugzeugen? Wie wird das finanziert?)


Sie wollen mit dem Personal von gestern und den Model-
len von vorgestern die Politik von heute und morgen ge-
stalten. Das ist zum Scheitern verurteilt. Die Opposition
ist nicht regierungsfähig. Das Urteil lautet: vier weitere
Jahre Opposition.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist richtig!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421302800
Nun gebe ich dem
Kollegen Rauen zu einer Kurzintervention das Wort.


Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1421302900
Herr Kollege Scheelen,
ich möchte mich mit Ihnen nicht über die Wirkungen der
Steuerreform auf Arbeitnehmer, Mittelstand und große
Konzerne streiten.

Aber ich frage Sie: Wie erklären Sie sich, dass im Er-
gebnis der Steuerschätzung vom November letzten Jahres
im Auftrag der Regierung die Körperschaftsteuer im Jahr
2001 gegenüber dem Jahr 2000 von 45 Milliarden DM auf
6 Milliarden DM abgestürzt ist? Wie erklären Sie sich,
dass der Finanzminister von Hessen festgestellt hat, dass
in Hessen mit vielen großen Banken die Körperschaft-
steuer im Jahr 2001 bei den Ist-Einnahmen geringer als
die Zunahme bei der Lohnsteuer und der Einkommen-
steuer ist?


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Und dass die Rückzahlungen in Nordrhein-Westfalen höher als die aktiven Zahlungen sind!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421303000
Kollege Scheelen.


Bernd Scheelen (SPD):
Rede ID: ID1421303100
Herr Kollege Rauen, so wie
Sie argumentieren, ist typisch: Sie betrachten einen Teil
der Wahrheit und lassen den anderen Teil aus.


(Beifall bei der SPD – Peter Rauen [CDU/ CSU]: Ich habe nur Fakten genannt!)


Sie wissen doch ganz genau, dass den Mindereinnah-
men bei der Körperschaftsteuer Mehreinnahmen bei der
nicht veranlagten Einkommensteuer gegenüberstehen.
Das wissen Sie ganz genau. Das können Sie auch aus den
Zahlen der Steuerschätzung vom November letzten Jah-
res ersehen, weil das natürlich mit dem Ausschüttungs-
verhalten der Unternehmen zusammenhängt.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Ich habe von der Lohnsteuer gesprochen!)


Wie es funktionieren würde, konnten wir alle vorher nur
schätzen. Sie haben offensichtlich im vergangenen Jahr




Bernd Scheelen
21106


(C)



(D)



(A)



(B)


mehr ausgeschüttet als prognostiziert. Das heißt aber, dass
in den nächsten Jahren weniger ausgeschüttet wird und
dass die Steuer dann wieder steigt. Insofern hat sich an
den Prognosen der Steuerreform nichts geändert.


(Beifall bei der SPD sowie bei der Abg. Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Walter Hirche [FDP]: Wenn Sie sich weiter so in die Tasche lügen, müssen Sie scheitern! – Beifall bei der CDU/CSU – Gegenruf des Abg. Joachim Poß [SPD]: Wissen Sie denn eigentlich, wovon hier geredet wird, Herr Hirche?)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421303200
Nun hat der Kollege
Gerhard Schüßler von der FDP-Fraktion das Wort.


Gerhard Schüßler (FDP):
Rede ID: ID1421303300
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Wir bringen heute
einen Antrag mit der Überschrift „Gemeindefinanzen re-
formieren – Gewerbesteuer abschaffen – Finanzkraft der
Gemeinden stärken“ ein.


(Joachim Poß [SPD]: Die FDP besteht nur aus Überschriften!)


Die Bundesregierung hat in ihrer Regierungserklärung
angekündigt, die Finanzkraft der Gemeinden stärken zu
wollen. Was ist daraus geworden? Gar nichts. Es hat noch
keine Bundesregierung gegeben, die die Interessen der Ge-
meinden in so sträflicher Weise vernachlässigt hat wie diese.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Da hat er Recht!)


Herr Kollege Scheelen, was die Ihnen angemessene
Polemik, mit der Sie immer wieder vortragen, angeht: Sie
können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Einnah-
men aus der Gewerbesteuer dramatisch zurückgegangen
sind


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bezweifelt doch niemand! Es sagt doch niemand etwas anderes! – Bernd Scheelen [SPD]: Da haben Sie nicht zugehört!)


und jeden Handlungsspielraum in den Kommunen ver-
hindern. Das ist eine Tatsache. Mir liegt eine lange Liste
vor. Sie können nicht einfach sagen, dass nur die großen
Städte betroffen sind. Das ist nicht der Fall, die Städte sind
durchgehend betroffen.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht wahr!)


Ich kann Ihnen zwar eine lange Liste vorlegen, will dies
aber nicht tun. Wenn die Kommunen seit Wochen und
Monaten über zurückgehende Einnahmen klagen, dann
hat das etwas mit den ihnen zugewiesenen Aufgaben
– durch den Gesetzgeber verursacht – zu tun. Allein in
Nordrhein-Westfalen stehen 90 Prozent aller kreisfreien
Städte unter Haushaltsbewirtschaftung. Das ist das Er-
gebnis der Politik der rot-grünen Landesregierung in
Nordrhein-Westfalen.


(Beifall bei der FDPund der CDU/CSU – Bernd Scheelen [SPD]: Und der Vorgängerregierung!)


Gerade die SPD, die immer großen Wert darauf gelegt hat,
eine Kommunalpartei zu sein, hat diesen Anspruch längst
verloren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Horst Schild [SPD]: Das gilt vielmehr für die FDP! – Zuruf des Abg. Bernd Scheelen [SPD])


– In dieser Stunde, Herr Scheelen, wird der nordrhein-
westfälische Finanzminister, Herr Steinbrück, im Landtag
von Nordrhein-Westfalen vortragen, dass 1,7 Milliarden
Körperschaftsteuer zurückzuzahlen sind.

Ich würde Ihnen empfehlen, das Memorandum der
Oberbürgermeister des Ruhrgebiets aus der vergangenen
Woche zu lesen.


(Zuruf von der SPD: Das haben alle Abgeordneten bekommen!)


Fast alles von dem, was Sie heute Morgen vorgetragen
haben, wird durch dieses Memorandum ad absurdum ge-
führt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Alles aus Ihrer hehren Regierungserklärung, nach der
Sie die Finanzkraft der Gemeinden stärken wollen, ist wie
Seifenblasen zerplatzt. Wenn selbst eine Zeitung wie die
„Frankfurter Rundschau“, die bekanntlich manche Vor-
lagen zu ihren Artikeln direkt aus dem Büro des Kollegen
Struck bekommt, Alarm schlägt und titelt „Kommunen
klagen über finanzielle Zwangsjacke“, dann muss die
Lage verdammt ernst sein.

Doch das Wegbrechen des Gewerbesteueraufkommens
scheint jetzt langsam alle munter gemacht zu haben. Noch
im vergangen Jahr wurde auf dem Deutschen Städtetag
– ganz im Sinne der PDS – beschlossen, die Gewerbe-
steuer zu revitalisieren. Nun wird die Einsetzung einer
Kommission geplant. Das ist in Ordnung, aber hoffent-
lich kommt sie bald und hoffentlich auch schnell zu Er-
gebnissen. Denn die Gemeinden brauchen jetzt ihre Hilfe.

Die kommunalen Aufgaben müssen auf ein notwen-
diges Maß zurückgeführt und damit auch die Ausgaben
begrenzt werden. Davon sprechen Sie nie. Die Gemein-
den benötigen solide Steuereinnahmen zur Finanzierung
ihrer Aufgaben. Was wir brauchen, ist eine präzise und
punktgenaue Struktur der Steuergesetzgebung. Nur mit
einem solchen, längst überfälligen Schritt kann das Ende
der für niemanden mehr nachvollziehbaren Umvertei-
lungsorgien eingeläutet werden.


(Joachim Stünker [SPD]: Machen Sie mal weitere Vorschläge!)


Wer will noch bestreiten, dass sich die Gewerbesteuer
überlebt hat? Sie hat zunehmend prozyklischen Charakter
und bietet keine Planungssicherheit mehr. Den Gemein-
den bleibt kein Gestaltungsspielraum mehr.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Auf einmal geben auch die kommunalen Spitzenverbände
ihre starrsinnige Haltung auf – das freut mich –: Die Ge-
werbesteuer ist zu konjunkturabhängig und schwankt viel
zu stark; sie muss dringend ersetzt werden.




Bernd Scheelen

21107


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Vorschläge der FDP-Bundestagsfraktion liegen
vor: ein höherer Anteil an der Umsatzsteuer und ein He-
besatzrecht bei der Einkommensteuer. Gegen Ihren Wi-
derstand, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der
SPD, haben wir durchgesetzt, dass der Anteil der Ge-
meinden am Aufkommen aus der Umsatzsteuer bei
2,3 Prozent liegt. Wenn Sie heute die Kämmerer fragen,
was sie vom Wegfall der Kapitalertragsteuer halten, dann
werden Sie feststellen, dass diese inzwischen begriffen
haben, dass die Umsatzsteuerbeteiligung eine der pro-
gressivsten und stabilsten Einnahmequellen für die Kom-
munen ist.


(Horst Schild [SPD]: Deshalb wollten Sie damals nur einen Anteil von 1,7 Prozent anbieten!)


– Wir werden dafür sorgen, dass dieser Anteil erhöht wird.

(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und dann? Was ist mit dem Hebesatzrecht?)


– Frau Kollegin Scheel, wenn die Länder die Gemeinden
an dem Aufkommen aus den Sonderumsatzsteuerpunkten
entsprechend beteiligt hätten, dann sähe die Situation
heute anders aus. Aber sie haben das nicht getan.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch ausgeglichen worden! – Walter Hirche [FDP]: Die Länder haben die Gemeinden abgezockt!)


Alle unsere Vorschläge werden seit langem von der
Wissenschaft unterstützt. Das Beharrungsvermögen und
das Besitzstandsdenken vieler Politiker der großen Par-
teien und der Funktionäre der kommunalen Verbände,
Herr Kollege Scheelen, haben bisher jeden Ansatz einer
Reform verhindert. Diese Bundesregierung hat noch nicht
einmal Lösungsansätze aufgezeigt. Sie hat vielmehr nur
Gesetze beschlossen, die den Kommunen in erheblichem
Umfang neue Pflichten auferlegt und neue Kosten aufge-
bürdet haben. Dadurch hat sich die Situation der Gemein-
den so dramatisch verschlechtert.

Wir dürfen die Finanzen der Gemeinden nicht isoliert
betrachten. Es liegt auf der Hand, dass unsere gesamte
bundesstaatliche Finanzverfassung zur Diskussion
steht. Das nicht mehr durchschaubare Geflecht aus Lan-
deskompetenzen in der Gesetzgebung sowie davon ab-
weichenden Kompetenzen im Vollzug und bei den Steuer-
einnahmen muss von Grund auf entwirrt werden.
Neuregelungen sind also notwendig. Auch das ist inzwi-
schen eine Binsenweisheit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wie hat die Bundesregierung darauf reagiert? Es gab

ein unwürdiges Geschacher um den Solidarpakt II zwi-
schen dem Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten,
die sich wie die Kesselflicker gestritten haben. Nach einer
Nachtsitzung beim Kanzler bekam jeder ein paar Mil-
lionen. Nun wird behauptet, dass die Finanzbeziehungen
zwischen Bund und Ländern bis zum Jahre 2018 befriedi-
gend geregelt seien. Darüber kann man nur lachen. Wir ha-

ben den Solidarpakt II abgelehnt, weil er ein fauler Kom-
promiss ist, der nicht ein einziges Grundsatzproblem löst.

Es liegt auf der Hand, was zu tun ist. Die Aufgaben von
Bund, Ländern und Gemeinden müssen entzerrt werden.
Gleiches gilt für die Einnahmen. Wer kostenträchtige Ge-
setze und Verordnungen beschließt, muss auch für die fi-
nanzielle Seite zuständig sein. Sie reden andauernd vom
Konnexitätsprinzip. Ja, dann sorgen Sie doch dafür, dass
die Mittel tatsächlich dorthin fließen, wo die Aufgaben-
erfüllung zu erfolgen hat!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie betreiben Gleichmacherei. Das kann man daran er-

kennen, dass eine Gemeinde, die vernünftig wirtschaftet, am
Ende nicht besser dasteht als eine Gemeinde, die über ihre
Verhältnisse lebt. Die Ursache dafür ist Ihre Gesetzgebung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421303400
Ich erteile Kollegin
Christine Scheel, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421303500

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr
Schüßler, ich finde es immer wieder erstaunlich, wie die
FDP hier auftritt. Sie fordern andauernd, dass die Steuern
gesenkt werden, dass bestimmte Steuerarten abgeschafft
werden, dass die Sozialversicherungsbeiträge gesenkt
werden und dass im investiven Bereich des Haushalts
Mehrausgaben getätigt werden. Aber Sie sagen niemals,
woher das Geld dafür kommen soll.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das ist genau das, was die Menschen nicht mehr hören
können: Versprechen, Versprechen, Versprechen und nichts
dahinter.

Ich möchte anhand von Zahlen deutlich machen, wie
sich die Situation wirklich darstellt. In der Ausgabe des
„Handelsblattes“ vom 22. Januar 2002 kann man lesen:
„Gemeinden melden Haushaltsüberschuss.“ Im Gegen-
satz zu Bund und Ländern, die im vergangenen Jahr
erhebliche Defizite verbuchen mussten, haben die Kom-
munen das vergangene Jahr mit einem Haushaltsüber-
schuss in Höhe von 1,1 Milliarden Euro abgeschlossen.


(Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)

Das ist ein Faktum, das man zur Kenntnis nehmen muss.

Es ist zwar richtig, dass die Haushaltsüberschüsse der
Kommunen stark zurückgegangen sind. Lagen sie 1998
noch bei 4,3 Milliarden Euro und im Jahr 2000 bei
4,5 Milliarden Euro, betragen sie im Jahr 2001, wie ge-
sagt, lediglich 1,1 Milliarden Euro. Aus diesem Grunde ist
es völlig richtig, die Situation der Kommunen sehr ernst
zu nehmen. Das tun wir auch. Aber es ist politisch nicht
seriös, den finanzpolitischen Zusammenbruch der Kom-
munen pauschal an die Wand zu malen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Gerhard Schüßler
21108


(C)



(D)



(A)



(B)


Auch das muss erwähnt werden, wenn Sie sagen, dass es
bei allen Kommunen drastische Einnahmeeinbußen gibt.
Das ist einfach nicht richtig, Herr Schüßler.


(Gerhard Schüßler [FDP]: Natürlich ist das richtig!)


Es gibt viele Kommunen und Gemeinden, die Mehrein-
nahmen aufweisen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sollen sie das Tafelsilber verkaufen?)


Es gibt in den größeren Städten spezielle Effekte, auf die
ich noch zurückkomme und die mit verschiedenen Ursa-
chen zusammenhängen.

Angesichts der Prognose des Sachverständigenrates
haben wir damals die Befürchtung gehabt, dass die Kom-
munen im Jahr 2001 ein Hauhaltsminus von 2,7 Milliar-
den Euro haben würden. Dies hat sich Gott sei Dank nicht
bewahrheitet. Aber richtig ist natürlich, dass wir aufgrund
der rückläufigen Konjunktur eine schwierige Situation
haben. Diese darf man nicht beschönigen; denn die Ge-
meinden haben aufgrund der Einnahmerückgänge die
Ausgaben gekürzt. – Das ist wie bei einem privaten Haus-
halt: Bei einer vernünftigen Haushaltsführung gibt man
weniger aus, wenn man weniger einnimmt. – Dieses wirkt
sich negativ auf die Investitionen aus; denn fast 80 Pro-
zent der öffentlichen Sachinvestitionen werden von den
Kommunen getätigt. Das ist gesamtwirtschaftlich gese-
hen also ein Problem.

Gleichzeitig ist das Gewerbesteueraufkommen laut
Steuerschätzung im Jahr 2001 im Durchschnitt um rund
10 Prozent zurückgegangen. Einzelne Städte mit be-
stimmten Großbetrieben melden starke Gewerbesteuer-
einbrüche. Auch das ist Realität. Diese Mindereinnahmen
sind aber nicht auf die Unternehmensteuerreform zurück-
zuführen, wie Sie fälschlicherweise hier immer wieder
behaupten. Aufgrund der Systemveränderungen im Rah-
men der Körperschaftsteuerreform gibt es keinen Effekt
auf das Gewerbesteueraufkommen der Kommunen. Die
steuerlichen Entlastungen der Unternehmen im Rahmen
der Steuerreform treffen, was die Körperschaftsteuer an-
belangt, nicht die Kommunen.

Folgende Gründe spielen eine wesentliche Rolle: Die
konjunkturelle Entwicklung bringt – das wird von allen
Seiten bestätigt – niedrigere Gewinne. Dadurch ergibt
sich eine andere Besteuerungsgrundlage. Die Energiever-
sorgungsunternehmen stehen in einem verstärkten Wett-
bewerb mit rückläufigen Preisen. Auch daraus ergeben
sich geringere Steuereinnahmen. Die Unternehmen nah-
men verstärkt das Instrument der gewerbesteuerlichen Or-
ganschaft in Anspruch. Das heißt, Unternehmensverbünde
konnten problemlos Gewinne und Verluste steuermin-
dernd miteinander verrechnen. Es gab bei einzelnen Ge-
werbesteuerzahlern Sondersituationen infolge von Fusio-
nen, die in den betroffenen Städten Mindereinnahmen
bewirkt haben. Es gab Wertberichtigungen bei Banken
und Versicherungsunternehmen wegen des Kursverfalls
auf den Aktienmärkten, wodurch Gewinneinbrüche und
Verluste verursacht wurden.

Das sind die Gründe, weswegen gerade in den größe-
ren Städten wie Frankfurt, München, Köln und Duisburg
– also in den meisten großen Städten – die heutige Situa-
tion entstanden ist.

Eine Maßnahme, die im Rahmen der Steuerreform be-
schlossen worden ist und die zu einem kleinen Teil dazu
beigetragen hat, dass sich die Einnahmen der Kommunen
im Jahre 2001 um insgesamt 1,4 Prozent rückläufig ent-
wickelt haben, ist die Gewerbesteuerumlage, die im
Jahre 2001 angehoben worden ist. Sie wurde im Rahmen
der Steuerreform erhöht, um eine angemessene Beteili-
gung der Kommunen an der Steuerentlastung sicherzu-
stellen. Wir haben damals festgelegt, dass die Beteiligung
der Kommunen unterproportional erfolgen soll. Das
heißt, während sie einen Anteil am gesamtstaatlichen Auf-
kommen von rund 12 Prozent haben, müssen sie die Steu-
erausfälle infolge der Steuerreform nur in einer Größen-
ordnung von rund 9 Prozent tragen.

Ich halte es für notwendig – das sage ich mit großem
Ernst –, dass die Wirkungen der erhöhten Gewerbesteuer-
umlage im Lichte der konkreten Konjunkturentwicklung
und der damit verbundenen Steuermindereinnahmen, die
zum Teil auch aufgrund verschiedener anderer rechtlicher
Regelungen bewirkt werden, zeitnah überprüft werden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Dann stimmen Sie unserem Antrag einfach zu!)


– Ich komme auf den Antrag noch zu sprechen. – Dabei
sind jedoch die Maßnahmen, die wir im Rahmen des
Unternehmensteuerfortentwicklungsgesetzes zugun-
sten der Kommunen ab 2002 getroffen haben, zu berück-
sichtigen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist das doppelte Christinchen! In jede Richtung Recht geben!)


Dabei geht es um ein geschätztes Volumen von etwa
700 Millionen Euro, die als Entlastungen zugunsten der
Gewerbesteuereinnahmen für die Kommunen ab dem
1. Januar 2002 gelten. Das sind zum Beispiel die Rege-
lungen für die gewerbesteuerliche Organschaft. Diese Re-
gelungen wurden an diejenigen für die körperschaftsteu-
erliche Organschaft angeglichen. Damit ist das Ganze
nicht mehr so attraktiv. Die Rechtslage bezüglich der so
genannten Mehrmütterorganschaften wurde korrigiert.
Auch daraus wird es Mehreinnahmen geben. Die Mög-
lichkeit der spartenübergreifenden Verlustverrechnung
bei Versicherungsunternehmen wurde beschränkt. Das
hängt damit zusammen, dass das Versicherungsaufsichts-
gesetz im letzten Jahr geändert wurde. Damit wurden
spartenübergreifende Berechnungen ermöglicht. Das ha-
ben wir über das Gesetzgebungsverfahren im Dezember
wieder rückgängig gemacht, sodass es in diesem Bereich
die spartenübergreifende Verrechnungsmöglichkeit nicht
mehr gibt.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Wo ist da Planbarkeit? Erst einführen, dann abschaffen!)


Die Gewerbesteuerpflicht für Gewinne von Kapital- und
Personengesellschaften aus der Veräußerung von Betrie-
ben, Teilbetrieben und Mitunternehmerschaften wurde




Christine Scheel

21109


(C)



(D)



(A)



(B)


festgeschrieben. Die Beibehaltung des Verbots des Ab-
zugs von Betriebsausgaben bei steuerfreien Dividenden
sowie die Gewerbesteuerpflicht für Dividenden auf Ak-
tien im Streubesitz wurden beschlossen.

Alle diese Maßnahmen, die ich gerade aufgezählt habe,
werden dazu führen, dass die kommunalen Haushalte ab
diesem Jahr wieder Mehreinnahmen verzeichnen werden.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Prinzip Hoffnung!)


Alle diese fiskalpolitischen Verbesserungen für die
Kommunen müssen bei der Überprüfung der Gewerbe-
steuerumlage mit einkalkuliert werden. Deswegen sollte
die Überprüfung vor dem Jahr 2004, wie sie gesetzlich
festgeschrieben worden ist, erfolgen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Bayern hat im Bundesrat einen Antrag eingebracht,
der zum Ziel hat, die Gewerbesteuerumlage wieder auf
die alte Höhe zurückzuführen. Dieser Antrag ist identisch
mit dem, was hier vonseiten der CDU/CSU vorliegt. Der
Antrag Bayerns ist im letzten Winter eingebracht worden.
Im Finanzausschuss des Bundesrats haben nicht einmal
die unionsregierten Länder für die Annahme gestimmt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Schon im Vorfeld also haben die unionsregierten Län-
der keine gemeinsame Linie gehabt, was die Frage der
Gewerbesteuerumlage betrifft. Auch hieran sieht man,
dass es in der Union keinen Zusammenhalt in finanzpoli-
tischen Fragen gibt. An diesem Beispiel können wir wie-
der belegen, dass es bei Ihnen hü und hott geht, dass Sie
völlig konfus agieren und reagieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Auch wir wissen, dass das Gewerbesteueraufkom-
men sehr konjunkturabhänig ist. Die Steuer selbst ist
durch die Aushöhlung ihrer Bemessungsgrundlage immer
mehr zu einer Großbetriebssteuer geworden. Das ist übri-
gens in den 16 Jahren der Kohl-Regierung und nicht in un-
serer Regierungszeit – das darf ich hier einmal anmerken –
erfolgt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Immer mit Ihrer Zustimmung im Bundesrat! Das sollte man nicht vergessen!)


Diese Aushöhlung der Bemessungsgrundlage geht zurück
auf die Entscheidungen der CDU/CSU- und vor allem der
FDP-Fraktion, die mit Steuereinnahmen ja ohnehin nichts
am Hut hat.

Wir werden eine Kommission zur Erarbeitung eines
Entwurfs zur Reform des Gemeindefinanzsystems einset-
zen. Die Einsetzung dieser Kommission steht kurz bevor.
Es gibt drei Ziele, die zu verwirklichen sind:

Erstens. Den Kommunen muss eine möglichst kon-
junkturunabhängige Finanzierungsbasis geschaffen wer-
den.

Zweitens. Die Verbindung zwischen den Wirtschafts-
unternehmen und den jeweiligen Kommunen muss ge-
stärkt werden.

Drittens. Den Kommunen muss im Rahmen der Re-
form ein verfassungsrechtlich einwandfreies Hebesatz-
recht zur Sicherung und Gestaltung ihrer Einnahmebasis
gewährleistet werden.

Wir müssen natürlich auch insgesamt die Möglichkeit
von Entlastungen auf der Ausgabenseite prüfen.

Eine solche Reform wird in der nächsten Legislatur-
periode Realität werden. Ich kann Sie nur auffordern: Ar-
beiten Sie daran mit! Wir wollen diese Reform gemein-
sam mit den kommunalen Spitzenverbänden und
gemeinsam mit den Ländern verwirklichen. Das geht nur
mit den kommunalen Spitzenverbänden, die in der Kom-
mission ein ganz starkes Gewicht haben werden.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421303600
Ich erteile dem Kolle-
gen Uwe-Jens Rössel, PDS-Fraktion, das Wort.


Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS):
Rede ID: ID1421303700
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Kollegin Scheel, die Koali-
tion, der Sie angehören, hat im November 1998 bekannt
gemacht, das Gemeindefinanzsystem auf den Prüfstand
zu stellen


(Bernd Scheelen [SPD]: Machen wir!)

und eine Gemeindefinanzreform vorzubereiten. Bis heute,
immerhin 1100 Tage später, ist nichts, aber auch gar
nichts passiert. Vor drei Tagen erst haben Sie in Ihrer Frak-
tion nur beschlossen, eine solche Kommission auf den
Weg zu bringen. Das ist wahrlich sehr wenig.


(Beifall bei der PDS – Bernd Scheelen [SPD]: Die vorbereitenden Arbeiten laufen doch schon längst!)


Kollege Scheelen, Sie behaupteten, dass die Absen-
kung der Körperschaftsteuer um 80 Prozent im Jahres-
vergleich keine Auswirkungen auf die Kommunen habe.
Die Körperschaftsteuer fließt zu großen Teilen in die Län-
derkassen und die Länder wiederum sind für den kom-
munalen Finanzausgleich verantwortlich. Der Abschwung
trifft daher die Länder und ebenfalls die Kommunen dra-
matisch.


(Bernd Scheelen [SPD]: Das hat doch keine Auswirkungen auf die Gewerbesteuer! Wir reden über die Gewerbesteuer!)


Dadurch, dass nichts passiert ist, befinden sich die
Kommunalfinanzen in einem desolaten Zustand. In vie-
len Städten und Gemeinden ist kein Geld mehr vorhan-
den, um Schwimmbäder zu unterhalten. Es ist kein Geld
mehr vorhanden, um den kommunalen Eigenanteil für
Förderprogramme aufzubringen. Die kommunalen Inves-
titionen gehen dramatisch zurück. All das geschieht in




Christine Scheel
21110


(C)



(D)



(A)



(B)


einer Zeit, in der die Bundesrepublik 4,3 Millionen
Arbeitslose hat. Das ist unverantwortlich.

Die Regierungskoalition hat nichts, aber auch gar
nichts auf diesem Gebiet zuwege gebracht. Mit der Steu-
erreform haben Sie sogar dafür gesorgt, dass die Einnah-
mebasis der Kommunen auf Jahre hinaus ausgehöhlt
wird. Die Gewerbesteuerumlageerhöhung bewirkt al-
lein in diesem Jahr bei den Städten und Gemeinden Ein-
nahmeausfälle in Höhe von 1 Milliarde Euro.

Ein Wort an die CDU/CSU: Kollege Götz, Sie fordern
zu Recht – wir unterstützen das –, die Gewerbesteuerum-
lageerhöhung rückgängig zu machen. Dann frage ich Sie
aber, warum Sie in der Debatte am 21. Juni 2001 unseren
Antrag, der genau dies vorsah, abgelehnt haben. Auch die
FDP, die heute Entsprechendes lauthals verkündet, lehnte
damals unseren Antrag ab. Das ist doch Rosstäuscherei!


(Beifall bei der PDS – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Die Einnahmen der Kommunen reichen nicht aus, um
die dringendsten Aufgaben zu erfüllen. Auf der anderen
Seite werden Steuergelder in unübersehbarem Umfang für
wahnwitzige Rüstungsprojekte verausgabt: gestern das
neue Transportflugzeug A400M, morgen der Eurofighter
2000. Die neuesten Zahlen aus dem Bundesverteidigungs-
ministerium besagen, dass die Kosten des Eurofighters
jetzt bei 22 Milliarden Euro liegen, während 1997 noch
von 12 Milliarden Euro ausgegangen worden ist. Hier
stimmt im staatlichen Finanzgefüge eine Menge nicht.


(Beifall bei der PDS)

Auch die finanziellen Folgen der Langzeitarbeits-

losigkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen die
Kommunen tragen. Neueste Berechnungen des Deut-
schen Städte- und Gemeindebundes besagen, dass von
den 26 Milliarden Euro, die die Kommunen für Sozial-
hilfe ausgeben, allein 15 Milliarden Euro auf die Lang-
zeitarbeitslosigkeit zurückzuführen sind. Hier stimmt das
ganze Konstrukt der Sozialhilfe nicht mehr. Dazu haben
Sie nicht ein einziges Wort gesagt. Das ist unverantwort-
lich.

Die PDS ist die einzige Fraktion im Deutschen Bun-
destag, die bereits 1999 einen konzeptionellen Vorschlag
für den Einstieg in die Reform der Kommunalfinanzie-
rung eingebracht hat. Alle anderen Fraktionen haben da-
rüber nur geredet, bis zum heutigen Tage auch die
CDU/CSU. Ihre Anträge, die wir jetzt beraten, stellen die
ersten Versuche in dieser Richtung dar.

Wir verlangen eine auf die Wirtschaftskraft bezogene
Steuer, die dauerhaft Bestand hat. Die Einnahmen aus die-
ser Steuer sollen möglichst vollständig in die kommuna-
len Kassen fließen. Wir sagen: Weg mit dem Konstrukt
Gewerbesteuerumlage, das dazu geführt hat, dass das Fi-
nanzsystem von den Füßen auf den Kopf gestellt wird.


(Bernd Scheelen [SPD]: Als das 1969 eingeführt wurde, waren Sie noch nicht hier! Das können Sie nicht wissen!)


Wir verlangen für die besonders gebeutelten ostdeutschen
Kommunen, aber auch für so manche Kommune im Alt-

bundesgebiet, dass eine kommunale Investitionspau-
schale des Bundes aufgelegt wird. Die Kommunen müs-
sen selbst entscheiden können, wofür sie es vordringlich
verwenden. Diese kommunale Investitionspauschale soll
direkt vom Finanzministerium in Berlin in die Städte und
Gemeinden fließen. Das wäre kommunale Selbstverwal-
tung pur, Herr Kollege Scheelen.


(Beifall bei der PDS – Bernd Scheelen [SPD]: Was sagt denn die Verfassung dazu?)


– Die Verfassung lässt das zu; das wissen Sie ganz genau.
Bereits vor Jahren hat es diese Möglichkeit gegeben.


(Horst Schild [SPD]: Schauen Sie einmal hinein!)


Außerdem brauchen wir eine dauerhafte Entlastung
der Kommunen von Problemen, für die sie nicht verant-
wortlich sind. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass
die finanziellen Folgen der Langzeitarbeitslosigkeit nicht
mehr den Kommunen aufgedrückt werden, denn die
Kommunen haben dieses Problem nicht verursacht.


( V o r s i t z : Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
Schluss. Die Fakten, die in der heutigen Debatte eine
Rolle spielen und die sich noch mannigfach ergänzen
ließen, zeigen, dass die Kommunalfinanzen in der Bun-
desrepublik auf dem Kopf stehen. Sie müssen endlich auf
die Füße gestellt werden. Eine umfassende kommunale
Finanzreform ist notwendig. Packen wir es gemeinsam
an. Eine Lösung im Interesse der Bürgerinnen und Bür-
ger in der Bundesrepublik Deutschland ist dringend ge-
boten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421303800
Als
nächster Redner hat der Kollege Horst Schild von der
SPD-Fraktion das Wort.


Horst Schild (SPD):
Rede ID: ID1421303900
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Wir müssen den Gemeinden helfen, aber
nicht durch politische Schnellschüsse.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Alle Ihre Anträge beinhalten nur Schnellschüsse. Einzige
Ausnahme ist der Antrag der Union zur Einsetzung einer
Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen und die-
ser hat sich durch die Ankündigung des Bundesfinanzmi-
nisters vom Herbst letzten Jahres und durch unseren heu-
tigen Antrag, selbige zu unterstützen, eigentlich erledigt.
Im Übrigen hat der Bundesfinanzminister schon im
Herbst des letzten Jahres angekündigt, eine solche Kom-
mission einzusetzen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Aber mit dem Tempo von Scharping!)


– Herr Kollege Fromme, ich habe den Eindruck, dass Sie
heute nicht auf der Rednerliste stehen und deshalb alles




Dr. Uwe-Jens Rössel

21111


(C)



(D)



(A)



(B)


von den hinteren Bänken einbringen. Lassen Sie sich auf
die Rednerliste setzen!


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Herr Fromme, machen Sie Ihrem Namen ein bisschen
Ehre!


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Der Zwischenruf hat mehr Substanz als Ihre ganze Rede!)


Herr Kollege Götz, Sie haben in Ihrem Vortrag den Ko-
alitionsvertrag angesprochen


(Zuruf von der CDU/CSU: Wofür ist der gut?)

und darauf hingewiesen, dass wir eine Gemeindefinanz-
reform angekündigt haben; das ist richtig.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie haben das Gegenteil gemacht!)


Aber wir brauchen, Herr Kollege Michelbach – damit bin
ich gleich bei Bayern –, für eine Gemeindefinanzreform
als Bezugspunkt das Gerüst eines bundesstaatlichen
Finanzausgleichs.Wer ist denn nach Karlsruhe gegangen
und hat uns zwei, drei Jahre Verzögerung eingebrockt?


(Beifall bei der SPD – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Der Eichel hat keine Klage eingebracht als Ministerpräsident von Hessen?)


Sie wissen, dass wir den Finanzausgleich brauchen,

(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die Klage stammt doch von Herrn Eichel!)

um auf dieser Basis einen Blick in die Zukunft werfen zu
können und eine Gemeindefinanzreform zu installieren.

Besonders heuchlerisch ist es allerdings, wenn sich jetzt
diejenigen öffentlich als Retter und Fürsprecher der kom-
munalen Finanzen aufschwingen, deren steuerpolitische
Vorschläge immer zum gegenteiligen Ergebnis führen.


(Beifall bei der SPD)

Mit Ihren – das haben wir gestern früh diskutiert – immer
widersprüchlicher werdenden Steuervorschlägen würden
Sie Bund und Ländern, aber auch den Kommunen erheb-
liche Steuerausfälle bescheren.

Allein das Vorziehen der Steuerreformstufe von
2005 auf 2003 würde für die Kommunen in den Jahren
2003 und 2004 Mindereinnahme in Höhe von 5,5 Milliar-
den Euro zur Folge haben.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Sie haben es immer noch nicht begriffen!)


– Nein, Sie müssen endlich einmal erkennen, dass nicht
beides geht. Sie können nicht ständig Steuersenkungen
fordern und gleichzeitig so tun, als würden die Gemein-
den durch die Steuersenkungen mehr Geld in die Kassen
bekommen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie bleiben, wenn es um die Gemeindefinanzen geht,
immer im Vagen und Widersprüchlichen. Da gibt es nichts

Konkretes. Ihr Steuerkonzept „Die bessere Alterna-
tive“ von Anfang 2000 sah vor, die Gewerbesteuer um
20 Prozent zu senken. Wäre der Deutsche Bundestag die-
sem Antrag gefolgt, hätten wir nicht nur 5 Milliarden DM
weniger, sondern 10 Milliarden DM.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Dann hätten wir heute ein ganz anderes Wachstum!)


– Das ist doch Unsinn. Wir hatten in den letzten Jahren ein
hohes Wachstum. Dass allein die Absenkung der Gewer-
besteuer um 20 Prozent das Wachstum beschleunigt, kön-
nen Sie doch niemandem hier erzählen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das ganze Konzept! – Walter Hirche [FDP]: Mit einer anderen Politik!)


Nein, man kann nicht den Rückgang des Gewerbesteu-
eraufkommens beklagen und gleichzeitig die Absenkung
derselben Steuer im Deutschen Bundestag beantragen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ihr Konzept wurde damals von den kommunalen Spit-
zenverbänden verständlicherweise entschieden abgelehnt.
Auch die kommunalen Spitzenverbände haben sich von
diesem Vorschlag wahrhaftig keine Hilfe versprochen. Im
Übrigen war darin die Abschaffung der Gewerbesteuer,
wie sie jetzt von Unionspolitikern in den Kommunen teil-
weise gefordert wird – auch hier gibt es kein einheitliches
Bild bei Ihnen –, ausdrücklich nicht vorgesehen.


(Zuruf des Abg. Heinz Seiffert [CDU/CSU])

– Herr Kollege Seiffert, ich komme jetzt auch auf die neue
Beschlusslage Ihrer Partei zu sprechen.

Damals hieß es:
Wir wollen keine Abschaffung der Gewerbesteuer,
da sie ein zentrales Element eigenverantwortlicher
kommunaler Steuerpolitik ist.

Das gestehe ich zu. In Ihrem Parteitagsbeschluss von De-
zember letzten Jahres fordern Sie:

Parallel zur Reform der Einkommen- und Unterneh-
mensteuern muss auch die Gemeindefinanzierung
grundlegend reformiert werden, um mehr Wettbe-
werb unter den Kommunen zuzulassen.

(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

In diesem Rahmen muss eine sinnvolle Fortentwick-
lung der kommunalen Wirtschaftsbesteuerung ent-
wickelt werden.

In der Tat sind auch wir für eine sinnvolle Fortent-
wicklung der kommunalen Wirtschaftsbesteuerung.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Jetzt haben Sie etwas gesagt!)


Das bedeutet aber, dass man allen Kommunen faire Wett-
bewerbschancen bietet. Ich hoffe, wir können in Zukunft
auf der Basis der Vorschläge der Expertenkommission
– auch wir gehen davon aus, dass sich diese Arbeit nicht
über mehrere Jahre erstrecken wird – konstruktiv zusam-




Horst Schild
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(D)



(A)



(B)


menarbeiten. Ich sage das deutlich. In einigen Fragen sind
wir vielleicht gar nicht so weit auseinander. Wir sollten
uns aber davor hüten, durch widersprüchliche Vorschläge
in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, Gemein-
den helfen zu wollen und am Ende das Gegenteil zu be-
fördern.

Eines möchte ich noch sagen, Kollege Schüßler: Über
das, was die FDP hier vorgelegt hat, habe ich mich aller-
dings gewundert. Andererseits hielt sich die Verwunde-
rung in Grenzen; denn es ist zu bedenken, dass Sie Ihrem
Ruf als Klientelpartei Rechnung tragen wollten.


(Widerspruch bei der FDP)

Sie erheben Forderungen, die widersprüchlich begründet
sind und die kommunalen Finanzen ganz eindeutig zum
Nachteil gereichen. Kollege Schüßler, wer die Abschaf-
fung der Gewerbesteuer fordert, der muss klarstellen, wie
den Gemeinden eine Kompensation in einem Volumen
von 50 Milliarden DM oder 25 Milliarden Euro zukom-
men soll.


(Joachim Stünker [SPD]: Wo soll es herkommen?)


Die Steuersätze sollen also wieder gesenkt werden. Sie
wollen ein Hebesatzrecht in Bezug auf die Körperschaft-
steuer und die Einkommensteuer.


(Gerhard Schüßler [FDP]: Lesen Sie doch einmal den Antrag!)


– Ich komme gleich darauf zu sprechen.
Es fällt relativ leicht, das anhand des vorliegenden

FDP-Antrags zu dokumentieren.

(Gerhard Schüßler [FDP]: Den haben Sie gar nicht gelesen!)

Sie stellen zu Recht fest, dass die Gewerbesteuer an die
Erträge der Unternehmen anknüpft und daher stark kon-
junkturabhängig ist. Finanzielle Planungssicherheit ist für
die Kommunen damit nicht gegeben. Wer hat denn – diese
Frage ist hier schon vorhin gestellt worden – die Gewer-
besteuer zur bloßen Ertragsteuer – das ist sie heute – ge-
macht? Das waren doch nicht wir!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Durch die grundsätzliche Anknüpfung der Gewerbesteuer
an die Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer bzw.
Einkommensteuer der Gewerbetreibenden – das ent-
nehme ich Ihrem Antrag – schlagen Änderungen der kör-
perschaftsteuerlichen bzw. einkommensteuerlichen Be-
messungsgrundlage automatisch auf die Gewerbesteuer
durch.

Wie sieht Ihre Schlussfolgerung, Ihre Alternative aus? –
Ein kommunaler Zuschlag auf Körperschaftsteuer und
Einkommensteuer! Sie tun so, als gälte für einen solchen
Zuschlag nicht genau das, was Sie an der Gewerbesteuer
kritisieren – bloß in noch viel stärkerem Ausmaß.


(Joachim Stünker [SPD]: So ist es! – Zuruf des Abg. Gerhard Schüßler [FDP])


– Herr Schüßler, Sie können das einmal in einem Ge-
spräch am Rande des Plenums erläutern.


(Joachim Poß [SPD]: Die haben ja nicht einmal die geringste Sachkunde!)


Die jetzige Gewerbesteuer weist wenigstens noch ei-
nige objektsteuerliche Korrekturen in ihrer Bemessungs-
grundlage auf.

Gleichzeitig wollen Sie den Einkommensteuerspitzen-
satz auf 35 Prozent senken. Über die daraus resultieren-
den Steuerausfälle werden Länder und Kommunen si-
cherlich begeistert sein. Fragen Sie einmal Kämmerer
oder Finanzminister der Länder, ob das zur Stabilisierung
ihrer Planungssicherheit beiträgt!

Man mag das alles wollen, was Sie fordern, Herr Kol-
lege Schüßler. Nur sollte man dann wenigstens im Hin-
blick auf die Auswirkungen auf die Kommunalfinanzen
ehrlich sein und nicht das Gegenteil von dem behaupten,
was tatsächlich zutrifft.


(Beifall bei der SPD)

Unbestritten ist: Die Gewerbesteuer weist in ihrer der-

zeitigen Form vielfältige Schwächen auf. Darüber brau-
chen wir hier nicht zu diskutieren. Wir müssen darüber
diskutieren, welche Schlussfolgerungen wir daraus zie-
hen. Die derzeitige kommunale Finanzsituation ist nicht
nur auf konjunkturelle Gründe, sondern im Wesentlichen
auf strukturelle Probleme bei den Einnahmen und den
Ausgaben zurückzuführen.


(Gerhard Schüßler [FDP]: Und auf die Amerikaner!)


Deswegen wird der Bundesfinanzminister mit voller Unter-
stützung der Koalitionsfraktionen in den nächsten Wochen
eine Kommission zur Gemeindefinanzreform einsetzen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist ja eine Drohung!)


An der Arbeit dieser Kommission wird, Kollege Michelbach,
auch das Land Bayern beteiligt sein. Die Länder können
durch ihre Vertreter ihre Vorstellungen einbringen. Ich
hoffe, sie haben bis dahin welche, und zwar abgestimmte.

Wir streben an, frühzeitig in der nächsten Legislatur-
periode eine Reform auf der Grundlage der Vorarbeiten
der Kommission gesetzgeberisch umzusetzen.

Zu einer Gemeindefinanzreform gehört vor allen Din-
gen die Zukunft der Gewerbesteuer. Alle Alternativvor-
schläge zur Gewerbesteuer müssen sich in erster Linie an
der Verfassung messen lassen. Ich frage Sie, auch die Kol-
legen von der FDP: Wollen Sie Art. 28 Abs. 2 des Grund-
gesetzes ändern oder wollen Sie ihn unverändert lassen?


(Gerhard Schüßler [FDP]: Nein, wollen wir nicht!)


Man muss sich darüber im Klaren sein, ob man das Band
zwischen den Betrieben vor Ort in der Kommune und der
Kommune selbst zerschneiden oder es erhalten will.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir sind der Meinung, dass sich alle Alternativvorschläge
an der Forderung aus Art. 28 Abs. 2 Satz 3 des Grundge-
setzes orientieren müssen, der eine Kommunalsteuer in




Horst Schild

21113


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(D)



(A)



(B)


Form einer wirtschaftsbezogenen Steuer mit Hebesatz-
recht vorschreibt. Das ist unsere Position. Andernfalls
zerschneiden wir das Band zwischen den Kommunen und
den örtlichen Betrieben.

Wir müssen berücksichtigen – das sage ich ganz deut-
lich –, welche Aufgaben die Gemeinden haben. Hierzu
zählt der für die Kommunen besonders bedrückende Be-
reich der Sozialhilfe. Auch das muss im Mittelpunkt der
Erörterung dieser Kommission stehen. Die Gemeinde-
finanzreform wird sich also nicht nur mit dem Thema der
Gewerbesteuer, sondern auch mit den Ausgaben der Kom-
munen befassen müssen.

Aufgabenerfüllung und Finanzierung müssen wie-
der in Einklang miteinander gebracht werden; da stimmen
wir vielem, was heute gesagt wurde, zu. Kommunale Ent-
scheidungsspielräume müssen erweitert werden. Wir wer-
den in der nächsten Wahlperiode eine seriöse Gemeinde-
finanzreform verabschieden.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist ja schon wieder eine Drohung! – Peter Götz [CDU/CSU]: Warum habt ihr das denn nicht in dieser Legislaturperiode gemacht?)


– Herr Götz, das habe ich doch bereits gesagt. Ich habe
den Eindruck, dass Sie das nicht ganz verstanden haben.
Ich wiederhole es: Durch die Klage insbesondere der süd-
deutschen Länder vor dem Bundesverfassungsgericht ge-
gen den bundesstaatlichen Finanzausgleich ist es zu einer
Verzögerung gekommen. Sie konnte nicht aufgehoben
werden, bevor wir als Grundgerüst für die zukünftige Ge-
meindefinanzreform einen bundesstaatlichen Finanzaus-
gleich schaffen konnten, den wir nun haben. Darauf wer-
den wir aufbauen.


(Beifall bei der SPD)

Wir werden den Gemeinden hinsichtlich ihrer Finanzen
dauerhaft eine verlässliche Basis geben und die kommu-
nale Selbstverantwortung stärken.

Ich hoffe, meine Damen und Herren, dass wir gemein-
sam zu tragfähigen Ergebnissen kommen werden. Wir alle
wissen: Für eine Gemeindefinanzreform brauchen wir die
Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen.
Deshalb biete ich Ihnen heute die Zusammenarbeit an.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421304000
Zu einer Kurzin-
tervention erteile ich dem Kollegen Gerhard Schüßler von
der FDP-Fraktion das Wort.


Gerhard Schüßler (FDP):
Rede ID: ID1421304100
Herr Kollege Schild, es ist
immer interessant, zu erleben, dass Sie – das wird bei
Ihren Ausführungen deutlich – nie den gesamtstaatlichen
Finanzausgleich in Ihre Gedanken einbeziehen.


(Zuruf von der SPD: Sie haben wohl nicht zugehört!)


Sie wissen sehr genau, dass wir eine nachhaltige Reform
des bundesstaatlichen Finanzausgleichs brauchen, und
zwar auf gar keinen Fall ohne Gemeindefinanzreform.
Diese hat der Herr Finanzminister noch im vorigen Jahr
abgelehnt; das wollen wir nicht vergessen.

Ihnen ist darüber hinaus noch immer nicht klar, dass
die Gewerbesteuer eine wettbewerbsfeindliche Steuer ist,
die es in keinem anderen europäischen Land gibt.


(Joachim Poß [SPD]: Die haben aber andere, vergleichbare Steuern!)


– Herr Poß, dass Sie eine andere Meinung haben, wundert
niemanden. Ich will Ihnen aber sagen: Ihre eigenen Leute,
wo auch immer Sie sie heute suchen, in Nordrhein-West-
falen, beim Deutschen Städtetag oder bei den Oberbür-
germeistern, werden Ihnen erklären, dass die Gewerbe-
steuer weg muss.


(Joachim Poß [SPD]: Die Spitzenverbände haben vor 14 Tagen das Gegenteil beschlossen!)


Nur Sie haben das noch nicht begriffen. Sie stellen noch
Anträge, um diese Gewerbesteuer zu revitalisieren. Das
ist das Letzte, was wir gebrauchen können.

Wir brauchen einen gesamtstaatlichen Finanzaus-
gleich; denn die Entwicklung der Finanzbeziehungen
zwischen Bund und Ländern versteht im Moment kein
Mensch mehr. Oder können Sie die nachvollziehen?
Dafür braucht man schon ein finanzwissenschaftliches
Studium. Und Sie wollen mir weismachen, dass das so
bleiben kann? Darüber sollten Sie einmal nachdenken, an-
statt hier so zu polemisieren.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421304200
Herr Kollege
Schild, wollen Sie erwidern? – Bitte schön.


Horst Schild (SPD):
Rede ID: ID1421304300
Herr Kollege Schüßler, der Deut-
sche Bundestag und der Bundesrat haben nahezu einstim-
mig – nur im Deutschen Bundestag gegen Ihre Stimmen –
im letzten Jahr einen bundesstaatlichen Finanzausgleich
beschlossen.


(Gerhard Schüßler [FDP]: Das war doch eine Scheinveranstaltung! – Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Aber ohne Gemeindefinanzreform!)


– Herr Kollege Michelbach, ich habe vorhin gesagt, dass
das eine wesentliche Voraussetzung für eine Gemeinde-
finanzreform darstellt.

Herr Kollege Schüßler, dafür, dass Sie vieles nicht ver-
standen haben,


(Lachen des Abg. Gerhard Schüßler [FDP])

bin ich nicht verantwortlich. Aber die Bundesländer, in
denen die FDP an der Regierung beteiligt war, haben die-
sem bundesstaatlichen Finanzausgleich zugestimmt.

Was die Gewerbesteuer anbelangt, habe ich nicht ge-
sagt, dass das so bleiben muss. Ich habe Ihnen, Herr Kol-
lege Schüßler, aber den Vorwurf gemacht, dass Sie eine




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Forderung erheben, ohne eine Alternative auf den Tisch
zu legen.


(Gerhard Schüßler [FDP]: Stimmt doch gar nicht!)


Sie fordern die Abschaffung der Gewerbesteuer, ohne zu
sagen, wie ein Volumen von 50Milliarden DM respektive
25Milliarden Euro kompensiert werden soll. Alternativen
zu finden wird Gegenstand der Arbeit dieser Kommission
sein. Aber ein politischer Schnellschuss – die Abschaf-
fung der Gewerbesteuer – wird den Gemeinden nicht hel-
fen, vor allem nicht, wenn dies gegen den Willen der kom-
munalen Spitzenverbände beschlossen wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421304400
Das Wort
hat jetzt der Kollege Hans Michelbach von der CDU/
CSU-Fraktion.


Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1421304500
Sehr geehrter Herr
Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
„Wirtschaft ist nicht alles, aber alles ist nichts ohne Wirt-
schaft.“ Dieses Grundprinzip von Ludwig Erhard wurde
von Rot-Grün außer Kraft gesetzt. Die verfehlte Finanz-
und Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung hat in den
letzten drei Jahren dazu geführt, dass sich unsere Kom-
munen in einer kritischen Finanzsituation befinden und
unsere Wirtschaft in eine Rezession geraten ist. Wachs-
tumseinbruch, hohe Arbeitslosigkeit, Steuergeschenke
und Steuerwillkür sind die Ursachen für den Niedergang
der Kommunalfinanzen.

Wirtschaftliche Dynamik ist die Grundlage für Arbeits-
plätze, Steueraufkommen und Leistungsfähigkeit der so-
zialen Sicherungssysteme. Diese können nur gedeihen,
wenn es bessere Rahmenbedingungen für Wirtschaft und
Kommunen in unserem Land gibt. Unter Rot-Grün ist ge-
nau das Gegenteil passiert. Die Bilanz in der Wirtschafts-,
Finanz- und Sozialpolitik von Rot-Grün ist miserabel. Die
Folge ist: Die Zahl der Unternehmensgründungen ist
rückläufig. Die Firmenpleiten haben um 19 Prozent auf
die Rekordzahl von 34 000 zugenommen. Rot-Grün hat
Deutschland zum Absteiger in der Europaliga gemacht.
Rot-Grün hat die Leistungsfähigkeit von Wirtschaft und
Kommunen wesentlich beschwert.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Rot-Grün ist damit ein Belastungsprogramm für Deutsch-
land.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deutschland ist mit 0,6 Prozent Wachstum Schlusslicht

der Europäischen Union. 1 Prozent Wachstumsverlust
hat die öffentliche Hand rund 8 Milliarden Euro gekostet.
Die Arbeitslosenzahlen steigen unaufhaltsam. Jeweils
100000 Arbeitslose kosten mehr als 1,5 Milliarden Euro.
Ausgehend von 3,5 Millionen Arbeitslosen – das ist die Pro-
gnose Ihres Bundeskanzlers – wird es zu 12Milliarden Euro
Mehrbelastung für die öffentliche Hand kommen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)


Das ist der Niedergang in der Wirtschaft und in den Kom-
munen. Letzten Endes können wir so nicht weitermachen.

Der Leistungsverlust schadet dem Gemeinwohl und
der Zukunft. Im vierten Quartal 2001 hatten wir beim
Bruttoinlandsprodukt wiederum ein Minus zu verzeich-
nen. Damit sind wir das einzige Land in der Europäischen
Union, das akut in der Rezession steht. Ein Abstieg auf al-
len Ebenen – das ist die Situation, die wir heute haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Pfui Teufel!)


Meine Damen und Herren, die nächste Blamage steht
leider bevor. Deutschland hat die höchste jährliche Neu-
verschuldung des öffentlichen Gesamthaushaltes, ge-
messen als Anteil am Bruttoinlandsprodukt. Deutschland
steht kurz davor, wegen seines hohen Haushaltsdefizits
die rote Karte aus Brüssel zu erhalten. Der Verstoß gegen
den von Theo Waigel durchgesetzten Stabilitätspakt ist
der Offenbarungseid dieser Bundesregierung und des
Bundesfinanzministers im Besonderen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Nicolette Kressl [SPD]: Was sagt Herr Merz?)


Die Kommission ist zu Recht besorgt, weil der Bun-
desfinanzminister seine vollmundig angekündigten Spar-
ziele deutlich verfehlt. Das gesamtstaatliche deutsche De-
fizit liegt bei 2,6 Prozent des BIP, das sind 1,1 Prozent
mehr, als ursprünglich in Brüssel gemeldet.


(Joachim Poß [SPD]: Das wollen Sie noch erhöhen! Herr Merz hat gesagt, wir sollen das bis 3 Prozent ausnutzen!)


Herr Eichel lässt sich von Ihnen als selbst ernannter Spar-
kommissar feiern. In Wahrheit wird auf Kosten der Kom-
munen, Länder und Sozialversicherungen gespart. Die
Neuverschuldung des öffentlichen Gesamthaushaltes ex-
plodiert. Das sind die Tatsachen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Gleichzeitig – das ist besonders hervorzuheben – ma-

chen Sie große Steuergeschenke an Aktiengesell-
schaften.


(Joachim Poß [SPD]: Was?)

Das ist Ihre Politik, die das Großkapital unterstützt.


(Joachim Poß [SPD]: Ach! Kommen Sie mal in den Vermittlungsausschuss!)


Der normale Steuerzahler steht dieser Ungerechtigkeit
fassungslos gegenüber. Große Aktiengesellschaften ge-
nießen bei Ihnen die Freiheit zur Selbstbedienung. Das ist
die Situation, die wir haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein Staatssekretär wird bei der Post AG in den Auf-

sichtsrat geholt. Das kostet den Staat 1,4 Milliarden Um-
satzsteuer.


(Joachim Poß [SPD]: Gehen Sie doch zur PDS!)

Ein Chemieriese schickt den Leiter der Steuerabteilung als
Staatssekretär in das Bundesfinanzministerium. Ergebnis:
mittelstandsfeindliche Steuerpolitik, große Entlastung der




Horst Schild

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(A)



(B)


Kapitalgesellschaften durch die Senkung der Körper-
schaftsteuer, was eine Reduzierung des Körperschaftsteu-
eraufkommens von 45 Milliarden DM auf 6 Milliar-
den DM zur Folge hat. Das ist eine Politik für die Bosse,
das ist eine ungerechte Politik, eine mittelstandsfeindliche
und letzten Endes auch eine kommunalfeindliche Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Weitere Hiobsbotschaften werden folgen, wenn die

ordnungspolitische Irrfahrt kein Ende hat. Die Fakten
sind: Arbeitnehmer und Mittelstand zahlen nicht zu we-
nig, sondern zu viel Steuern. Die Einkommensbelas-
tungsquote ist mit 54,5 Prozent für die Bürger nach wie
vor sehr hoch. Gleichzeitig ist der Lebensnerv der Kom-
munen für eine ausreichende Finanzkraft abgeschnitten.
Die kommunalen Investitionen liegen heute um ein Drit-
tel unter dem Niveau von 1992.


(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

Das muss man sich einmal vor Augen halten! Diese Zah-
len sprechen Bände über die rot-grüne Kommunalfeind-
lichkeit. Viele Städte befinden sich durch dramatische Fi-
nanzverschiebungen und Steuerverluste zurzeit in einer
sehr ernsten Finanzkrise, aus der sie sich selbst nicht mehr
befreien können. Ihre politischen Entscheidungen sind die
Ursache dafür, dass in den Kommunen die Abwärtsspirale
von sinkenden Einnahmen, wachsenden Aufgaben und
steigenden Defiziten angetrieben wird.

Mit Schönredereien, Durchhalteparolen und hekti-
schem Aktionismus wie zum Beispiel der schnellen Grün-
dung eines Arbeitskreises wollen Sie sich durchmogeln.
Durch das Einsetzen einer Kommission zur Reform der
Gemeindefinanzen wollen Sie jetzt noch Aktionismus
darstellen – viel zu spät! Sie haben es versäumt, parallel
zu Steuerreform und Länderfinanzausgleich eine Ge-
meindefinanzreform durchzuführen. Sie haben Reformen
verweigert und deshalb müssen jetzt die Kommunen und
letzten Endes auch die Bürger die Zeche zahlen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Rauen [CDU/CSU]: Die haben die Steuerreform in den Sand gesetzt!)


Der Gipfel der Kommunalfeindlichkeit aber ist die Er-
höhung der Gewerbesteuerumlage.Das ist ein Anschlag
auf die kommunale Selbstverwaltung und nichts anderes.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich zeige Ihnen am Beispiel meiner Heimat einmal, wie
die Kommunen dadurch unter Druck geraten: Die Stadt
Coburg muss 980 000 Euro mehr abgeben, die Stadt Neu-
stadt 700 000 Euro, die Stadt Rödental 350 000 Euro, die
Stadt Kronach 260 000 Euro. Die Landeshauptstadt Mün-
chen muss durch Ihre Erhöhung der Gewerbesteuerum-
lage 32 Millionen Euro mehr abgeben. Diese Beträge feh-
len vor Ort für Aufträge, für Investitionen und zur
Sicherung der Arbeitsplätze. Die Arbeitslosigkeit, die
letzten Endes Sie zu verantworten haben, ist hausge-
macht!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, die CDU/CSU wird im

Herbst den Abstieg Deutschlands unter Rot-Grün been-

den und Deutschland wieder nach vorne bringen. Der
Abstieg, der unter Rot-Grün stattgefunden hat, muss ge-
stoppt werden. Deutschland braucht wieder mehr Wachs-
tum und Beschäftigung, eine neue Steuerreform, eine Ge-
meindefinanzreform, die zielführend und gerecht ist,
sowie Steuergerechtigkeit und Steuervereinfachungen für
die gesamte Bürgerschaft, den gesamten Mittelstand und
nicht nur für einige wenige Großkonzerne, deren Bosse
letzten Endes in Gesprächen beim Bundeskanzler, beim
Genossen der Bosse, Gehör finden.

Ich möchte Ihnen deutlich machen, dass Sie für eine
gerechte Entwicklung sorgen müssen. Ihre Maßnahmen
im Bereich der Kommunalfinanzen, der Wirtschafts- und
Finanzpolitik stellen eine ordnungspolitische Irrfahrt dar,
die zu Einseitigkeiten und Ungerechtigkeiten führt.


(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Runterkommen!)


Beenden Sie diese Politik! Der Wähler wird Ihnen am
22. September dafür die Quittung geben.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421304600
Ich
schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/7442, 14/7787, 14/7326 und
14/7993 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache
14/8025 soll zur federführenden Beratung an den Finanz-
ausschuss und zur Mitberatung an den Innenausschuss
überwiesen werden. Gibt es dazu anderweitige Vor-
schläge? – Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überwei-
sungen so beschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 14/7424
zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel
„Umsetzung des Versprechens der Bundesregierung zur
Stärkung der Kommunalfinanzen“. Der Ausschuss emp-
fiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/6163 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU und
FDP und bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Stärkung der vertraglichen Stellung von
Urhebern und ausübenden Künstlern
– Drucksache 14/7564 –

(Erste Beratung 205. Sitzung)

Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Alfred Hartenbach, Hermann Bachmaier,
Doris Barnett, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Volker
Beck (Köln), Grietje Bettin, Rita Grießhaber, wei-
teren Abgeordneten und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten




Hans Michelbach
21116


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Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der ver-
traglichen Stellung von Urhebern und ausüben-
den Künstlern
– Drucksache 14/6433 –

(Erste Beratung 179. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses

(6. Ausschuss)

– Drucksache 14/8058 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dirk Manzewski
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Antje Vollmer
Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler

Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der PDS
vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Eckhardt Barthel von der SPD-Fraktion das Wort.


Eckhardt Barthel (SPD):
Rede ID: ID1421304700
Meine Damen und
Herren! Seit 1965, seit Verabschiedung des Urhebergeset-
zes, steht ein Thema immer wieder auf der Agenda, näm-
lich, einen fairen Ausgleich zwischen Urhebern und Ver-
wertern zu finden. Ich möchte sie als Partner bezeichnen,
denn es sind in der Tat Partner, weil sie beide voneinander
abhängig sind. Die Verhandlungen dauerten sehr lange
und es waren viele Anhörungen und Expertengespräche
sowie Berichterstattergespräche nötig, um zu dem Ergeb-
nis zu kommen, das wir Ihnen heute vorlegen.

Es hat in diesem langen Prozess natürlich viele heftige
Auseinandersetzungen gegeben, auch zwischen der Re-
gierungskoalition und der Opposition. Wenn ich mir das
aber im Nachhinein anschaue, habe ich den Eindruck,
dass die Einbeziehung der Opposition in diesen Prozess
fast lehrbuchhaft genannt werden kann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Das können Sie doch nicht ernst meinen!)


– Ich meine das sehr ernst, denn ich habe selten so viele
Informationen, auch von der Regierungsseite, übermittelt
bekommen, wie das bei diesem Gesetz der Fall war. Dass
Sie die Gelegenheit nicht immer wahrgenommen haben,
meine Damen und Herren von der Opposition, ist Ihr Pro-
blem. In der vorigen Woche haben wir beispielsweise zu
Berichterstattergesprächen eingeladen; dazu sind Sie
nicht einmal erschienen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Joachim Stünker [SPD]: So sind sie! Das kennen wir doch!)


Ich meine schon, dass diese Beratung wirklich hervor-
ragend gelaufen ist, gerade wenn ich an die Einbeziehung

vieler Fachleute und Experten in diesen Prozess denke.
Manchmal hatte ich allerdings das Gefühl, dass sich einige
in der Opposition zum parlamentarischen Büchsenspanner
gewisser Lobbyistengruppen haben degradieren lassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, Ziel unseres Gesetzes ist
es, zu einem fairen Interessenausgleich zwischen
Urhebern und Verwertern zu kommen und strukturelle
Ungleichheiten, die zweifelsohne vorhanden sind, zu be-
seitigen. Wenn man es politisch auf den Punkt bringt,
heißt das schlicht und einfach: Wir wollen die Stellung der
Urheber verbessern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wie nötig es ist, die Stellung der Urheber zu verbessern,
muss ich an dieser Stelle und vor denen, die hier sitzen,
nicht wiederholen. Wir haben das in den Anhörungen
gehört. Übrigens fand ich eine Formulierung eines Über-
setzers in der Anhörung ziemlich überzeugend, der das
Verhältnis zwischen Urhebern und Verwertern bildlich
dargestellt hat. Er hat es das „System des freien Fuchses
im freien Hühnerstall“ genannt. Ich glaube, das gibt die
Situation ziemlich gut wieder.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Alfred Hartenbach [SPD]: Ist der Fuchs rot, Herr Barthel?)


Auf diesen Gesetzgebungsprozess ist massiv Einfluss
genommen worden. Ich sage: Das ist in Ordnung. An der
Form der Einflussnahme kann man allerdings schon er-
kennen, wie groß das Ungleichgewicht zwischen Verwer-
tern und Urhebern ist. Von den Urhebern, Übersetzern etc.
haben wir Faxe oder E-Mails bekommen mit dem Inhalt:
„Macht weiter, das ist der richtige Weg.“ Von der Verwer-
terseite dagegen kamen ganzseitige Polemiken in den Zei-
tungen, die ein Normalsterblicher gar nicht bezahlen kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Alfred Hartenbach [SPD]: Da sieht man mal, wie viel Geld die übrig haben!)


Meine Damen und Herren, in diesem Prozess ist es
auch zu Veränderungen des ursprünglichen Professoren-
entwurfs, wie es damals hieß, gekommen. Ich denke hier
zum Beispiel an den Filmbereich, Herr Neumann.


(Bernd Neumann [Bremen] [CDU/CSU]: Den würde ich aber an Ihrer Stelle lieber weglassen!)


– Nein, nein. Ich denke an die Frage der Rückwirkung des
Auskunftsanspruchs etc.

Viele Änderungen sind mit dem Ziel eines Interessen-
ausgleichs vorgenommen worden. Trotzdem – und darauf
lege ich den allergrößten Wert – haben wir die Essentials,
die wir uns für die Reform des Gesetzes vorgenommen
haben, erhalten.


(Dr. Rupert Scholz [CDU/CSU]: Da ist nichts übrig geblieben!)


Gestatten Sie mir, dass ich die drei Punkte noch einmal
nenne. Die Essentials sind erstens der gesetzliche Anspruch




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

21117


(C)



(D)



(A)



(B)


auf angemessene Vergütung, zweitens die Erstellung ge-
meinsamer Vergütungsregeln mit Schlichtungsverfahren
und drittens der Fairnessausgleich bei Bestsellererfolgen.
Diese Hauptansätze haben wir in die Form, die heute zur
Abstimmung steht, gießen können.

Ich weiß, zum Schluss ist noch etwas Wasser in den
Wein gegossen worden,


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Da war ja nur Sprudelwasser drin! – Norbert Geis [CDU/ CSU]: Vorher war es Essig!)


indem – daraus mache ich keinen Hehl – Bindendes zu-
mindest partiell durch das Prinzip der Freiwilligkeit er-
setzt worden ist. Das war ein Angebot der Verwerter. Ich
gestehe, meine Kolleginnen und Kollegen und ich haben
dem nur mit der Faust in der Tasche zugestimmt. Nun gilt
es zu prüfen, ob dieses Angebot der Freiwilligkeit in der
Praxis standhält.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS])


Wenn das nicht der Fall ist, müssen wir dieses Gesetz in
der Tat noch einmal auf die Tagesordnung setzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Norbert Geis [CDU/CSU]: Dann stimmen wir dagegen!)


Unter dem Strich: Dieses Gesetz war überfällig. Übri-
gens wird gerade in der fortschreitenden Wissensgesell-
schaft die Bedeutung von Urhebern und Kreativen immer
wichtiger. Deshalb muss auch deren Stellung verbessert
werden. Das erreichen wir mit dem vorliegenden Gesetz-
entwurf. Ich glaube, er ist ein Erfolg für unsere Kulturpo-
litik.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421304800
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Norbert Röttgen von der
CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1421304900
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Fast zwei Jahre
lang hat die Bundesjustizministerin die Reform des Ur-
hebervertragsrechts als ideologischen Kampf geführt.


(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie, Frau Ministerin, haben diesen Kampf heute auf der
ganzen Linie und ganz persönlich verloren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Von dem, was Sie wollten, ist nichts mehr übrig geblie-
ben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Zum Glück!)

„Die Revision des Urheberrechts ist bei Null ange-

kommen“, titelte gestern die „Süddeutsche Zeitung“. Der

Titel der Presseerklärung der Gewerkschaft Verdi lautete:
„Bundesregierung als Bettvorleger gelandet.“ Beide ha-
ben Recht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum regen Sie sich denn dann so auf?)


Frau Ministerin, Sie sind in Ihrer gut dreijährigen
Amtszeit inzwischen mit dem zweiten großen und auch
mit einem persönlichen Anspruch verfolgten Reform-
vorhaben gescheitert: zuerst mit der Justizreform und jetzt
mit der Reform des Urhebervertragsrechts. Sie sind ge-
scheitert.


(Joachim Stünker [SPD]: Das ist ein richtig populistischer Demagoge! Das ist unglaublich!)


Worin liegt eigentlich das Scheitern der Justizministe-
rin? Was macht es aus? Es liegt nicht darin, dass das Ge-
setz am Ende anders aussieht, als es eingebracht wurde.
Das kommt häufiger vor.


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Gehen Sie nach Qualität, nicht nach Quantität!)


Das Scheitern der Justizministerin liegt darin, dass sie
zwar das Gesetz geändert hat, aber nicht ihre Meinung,
nicht ihren Standpunkt.


(Lachen und Beifall der Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin)


Das ist gar nicht mehr Ihre Politik, die Sie dort betrei-
ben, nicht mehr Ihre Handschrift. Sie machen Politik und
Gesetzentwürfe auf Anweisung aus dem Kanzleramt.
Das, was Sie betreiben, ist doch nicht mehr Ihre Rechts-
politik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alfred Hartenbach [SPD]: Sie machen Polemik auf Anweisung von Herrn Stoiber!)


Sie sind in der Rechtspolitik entmachtet worden

(Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: „Entmannt“ heißt das!)

und müssen noch die abendlichen Anweisungen des
Kanzlers entgegennehmen. Dieses Gesetz wird Ihnen auf-
gezwungen.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Zur Sache, Schätzchen!)


Sie stellen heute etwas vor, zu dem Sie gar nicht mehr
stehen. Und – weil der Protest der Regierungsfraktions-
mitglieder kommt – nebenbei bemerkt: Ihr Versagen in
der Rechtspolitik liegt nicht darin, dass Sie Ihre Meinun-
gen wechseln. Ihr Versagen liegt darin, dass Sie schon gar
keine Meinung mehr haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Sie sind doch jeden Tag zu einer neuen Meinung bereit.
Sie haben doch alles vertreten.


(Joachim Stünker [SPD]: Sie haben nur alte Kamellen! Drei Jahre lang haben Sie nur alte Kamellen vorgelegt! – Eckhardt Barthel [Berlin] Eckhardt Barthel 21118 [SPD]: Was ist denn Ihre Meinung? Sagen Sie es doch einmal!)





(C)


(D)


(A)


(B)


Bei dem Professorenentwurf waren Sie erst für 100 Pro-
zent, dann für 5 Prozent. Alles war gut. Sie haben jeden
Tag eine neue Meinung. Sie sind flexibel und haben damit
kein Problem. Sie sind der willenlose verlängerte Arm der
Regierung im Parlament. Sie nehmen hier eine Selbstent-
machtung vor, für die ich als Parlamentarier kein Ver-
ständnis habe.

Das Problem von Frau Däubler-Gmelin ist nicht, dass
sie keine Meinung hat. Frau Däubler-Gmelin hat eine
Meinung, aber als Ministerin hat sie damit immer ein Pro-
blem.


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Aber Ihre wollen wir einmal hören!)


Sie ist einerseits nicht bereit, ihre Meinung in einen
konstruktiven Dialog einzuführen, andererseits aber nicht
in der Lage, ihre Meinung auch durchzusetzen. Aus die-
ser Eigenart erwächst das Strickmuster der Rechtspolitik
von Frau Däubler-Gmelin:

Am Anfang wird stets mit hohem Anspruch und vollem
Elan ein großes Projekt verkündet.


(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So macht man das!)


Und weil diese Projekte ebenso ideologiegetränkt wie
praxisfern sind, treiben Sie regelmäßig die Beglückten Ih-
rer Projekte auf die Barrikaden. Sie treiben sie zur Not-
wehr. Es finden ständig Kämpfe statt.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Joachim Stünker [SPD]: Rechtswidriger Angriff! Notwehr!)


Sie treffen stets auf geschlossene Gegenwehr der Betrof-
fenen, die Ihre Vorschläge ablehnen. In einer solchen At-
mosphäre finden sachliche Gespräche nicht mehr statt;
mit der Opposition schon gar nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Justizministerin will mit dem Kopf durch die Wand,
verliert aber gleichzeitig immer mehr an Boden. Sie nervt
damit den Kanzler, der sie auch regelmäßig im entschei-
denden Augenblick im Regen stehen lässt. Am Ende geht
es nur noch um die Gesichtswahrung der Ministerin. Das
ist das Strickmuster rot-grüner Rechtspolitik, das wir im-
mer wieder verfolgen können.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Nun könnte man sagen: Die Opposition mag sich da-

rüber freuen, wenn die Justizministerin im Grunde gar
nicht mehr für die Rechtspolitik zuständig ist und keine
Politik mehr machen kann.


(Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: Sie sind ja nicht einmal dazu fähig!)


Aber die Art, wie Sie Rechtspolitik machen, ist schon
mehrfach von großem Schaden für unser Land gewesen.

Ich will es anhand des Urhebervertragsrechts belegen:
Mit der in Ihrem Gesetzentwurf vorgesehenen Beschrän-

kung der Vertragsfreiheit in einem Bereich, der von
kultureller Vielfalt, schöpferischen Beiträgen und Indivi-
dualität geradezu geprägt ist, wollten Sie ein Nullacht-
fünzehn-Muster einführen.


(Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: Keine Ahnung! Quatsch!)


Sie haben vorgeschlagen, den an solchen vertraglichen
Beziehungen Beteiligten zwangsweise Schiedssprüche
aufzuoktroyieren. Sie wollten durch staatlichen Spruch
vertragliche Beziehungen festlegen lassen. Die kleinen
und mittleren Verlage, kleinere Unternehmen – vor allem
auch linke, liberale Verlage – haben gesagt: Das ist für uns
existenzbedrohend. – Die Größeren dagegen haben ge-
sagt: Wenn das kommt, sind wir international nicht mehr
wettbewerbsfähig. Das war die Reaktion der gesamten be-
troffenen Wirtschaft, der Kulturwirtschaft, der Werbe-
wirtschaft und der Medienwirtschaft. Sie alle haben ge-
sagt: Dann können wir nicht mehr, dann gehen wir unter.

Am wenigsten hätten Sie mit einer solchen Politik den
Autoren, den Urhebern, den Künstlern gedient.


(Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: Ach, so ist das!)


Der Glaube, dass es den Autoren erst dann richtig gut
geht, wenn es den Verlagen und den Unternehmen richtig
schlecht geht, war der Grundirrtum in Ihrem Ansatz.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Genauso wie es keinem Arbeitnehmer gut gehen kann,
wenn es dem Unternehmen schlecht geht, kann es auch
keinem Autor gut gehen, wenn er keinen Verlag findet,
weil die Verlage wirtschaftlich nicht erfolgreich sein kön-
nen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Oder wenn es nur noch Monopole gibt!)


Das war der Grundirrtum Ihres Vorhabens.
Der Kampf hiergegen war erfolgreich. Es war ein

Kampf, zu dem Sie immer gezwungen haben. Alle, aber
auch sämtlich alle diese Giftzähne sind dem Gesetzent-
wurf gezogen worden.


(Rainer Funke [FDP]: Gott sei Dank!)

All das, was Sie proklamiert haben, befindet sich heute
nicht mehr im Gesetzentwurf.


(Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: Lesen kann er auch nicht! – Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Sie sollten ihn einmal lesen!)


Das ist Ihr inhaltliches Scheitern.
Der entstehende Schaden geht aber noch über die Sa-

che hinaus. Er betrifft auch das Gesetzgebungsverfahren.
Bei diesem Thema, aber auch bei anderen Themen, haben
wir gerade in den letzten Tagen, Wochen und Monaten ein
Gesetzgebungsverfahren erlebt, dass man nur mit dem
Begriff „Gesetzgebungschaos“ bezeichnen kann. Es war
das reinste Chaos.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Funke [FDP])





Dr. Norbert Röttgen

21119


(C)



(D)



(A)



(B)


Nach den zahlreichen Änderungen im letzten halben
Jahr kamen in dieser Woche substanzielle Änderungen
des Gesetzentwurfsmit täglicher Post. In der letzten Wo-
che, am 15. Januar, kamen solche Änderungen. Diese
wurden schon am nächsten Montag, dem 21. Januar, wie-
der verworfen. Am Dienstag, dem 22., gab es neue Post.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Kommen Sie doch endlich einmal zur Sache, Herr Röttgen!)


Eine Stunde vor der Rechtsausschusssitzung wurde auch
der Rest des verbliebenen Gesetzentwurfes verworfen.
Meine Damen und Herren, das ist das reinste Gesetz-
gebungschaos.

Ihre Abgeordneten nicken unterdessen alles ab. Mein
lieber Herr Barthel, noch am Dienstag haben Sie im Kul-
turausschuss für etwas ganz anderes als das, für das Sie
heute stimmen werden, gestimmt. Das macht doch die
Absurdität Ihres Verhaltens deutlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

In Ihrem Engagement ist nicht einmal ein Funke von

Glaubwürdigkeit mehr vorhanden. Sie in Person und an-
dere Mitglieder des Kulturausschusses haben am Diens-
tag für eine Vorlage gestimmt, die eine völlig andere ist
als jene, für die Sie heute stimmen. Die Mitglieder des
Rechtsausschusses haben auch für etwas anderes ge-
stimmt. Sie stimmen immer für das, was von der Regie-
rung gerade vorgelegt wird.


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Es ist doch normal, dass, wenn etwas Neues vorgelegt wird, man seine Meinung ändern kann! Was ist denn Ihre Meinung?)


Glauben Sie eigentlich, dass Sie hier nur zum Abnicken
da sind? Bilden Sie sich doch mal eine Meinung und ver-
treten Sie diese auch gegenüber der Regierung. Sie sind
doch Parlamentarier und keine Abnicker.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Horst Kubatschka [SPD]: Haben Sie das Gesetz gelesen? – Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Sie sagen kein Wort zum Inhalt!)


– Ja, ich rede besonders über das Verfahren, weil uns das
beschwert; denn ein solches Chaos im Verfahren hat
natürlich Auswirkungen auf die Qualität. Wer kann das,
was Sie machen, denn noch übersehen? Sie können es
auch nicht.


(Dirk Manzewski [SPD]: Ich kann es und Herr Funke auch!)


Sie übernehmen die volle Haftung für die Unüberseh-
barkeiten in diesem Gesetzentwurf. Diese Haftung tragen
Sie, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421305000
Herr Kol-
lege Röttgen, kommen Sie bitte zum Schluss.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Er soll erst einmal zur Sache kommen, Herr Präsident! – Joachim Stünker [SPD]: Das wird auch Zeit!)



Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1421305100
Ich will in einem
letzten Satz noch etwas zum Schaden sagen. Weil Sie den
ideologischen Kampf geführt haben, sind Sie bis zu den
Problemen nicht vorgestoßen. Wir wissen doch, dass es
Problemgruppen gibt: Übersetzer, freiberufliche und an-
dere. Für diese kommt nichts dabei heraus. Sie stehen
weiterhin im Regen. Die Probleme sind nicht gelöst wor-
den, weil Sie ideologisch gekämpft haben.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmen Sie jetzt zu oder nicht? Sie müssen doch einmal einen Abschlusssatz sagen!)


Meine letzte Bemerkung: Es ist den Oppositionsfrak-
tionen gelungen, Schlimmstes für die Betroffenen zu ver-
hindern. Wir haben mehr erreicht, als eine Opposition ei-
gentlich erreichen kann. Mit dem Ergebnis kann man
leben; es wurde ein Interessenausgleich gefunden.


(Lachen bei der SPD – Zurufe von der SPD: Ah!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421305200
Herr Kol-
lege, keine Debattenbeiträge mehr. Sie müssen zum
Schluss kommen.


Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1421305300
Ich komme zum
Schluss. – Sie müssen sich fragen, ob Sie zustimmen kön-
nen. Wir machen deutlich, dass wir mit dieser Zustim-
mung das Gesetzgebungschaos nicht sanktionieren wol-
len


(Lachen bei der SPD – Alfred Hartenbach [SPD]: Haben Sie überhaupt Charakter, Herr Röttgen? – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit den Giftzähnen?)


und dass wir in der Rechtspolitik einen anderen Stil pfle-
gen, nämlich eine klare Position und keine Konfrontation.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU – Alfred Hartenbach [SPD]: Das war eine hervorragende Büttenrede!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421305400
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Dr. Antje Vollmer von Bündnis 90/
Die Grünen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421305500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
war wirklich eine merkwürdige Rede.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn Sie zustimmen wollen, Herr Röttgen, warum sprei-
zen Sie sich dann während Ihrer ganzen Redezeit? Warum
reden Sie nicht zu der guten Sache selber?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Dr. Norbert Röttgen
21120


(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn der Entwurf ein „Nichts“ ist, warum ärgern Sie sich
dann? Worüber zürnen Sie denn eigentlich?


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Über das Verfahren! Darüber muss man schon ein Wort verlieren!)


Zürnen Sie über einen parlamentarischen Prozess, bei
dem es Veränderungen gegeben hat? Das ist doch genau
das, worauf ein Parlament stolz sein kann. Ich verstehe
den Sinn Ihrer Rede nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Norbert Geis [CDU/CSU]: Es kommt auf das Wie an! Das wissen Sie doch!)


Was machen wir mit diesem Gesetz? Seit über 35 Jah-
ren gibt es das Urhebergesetz. Seit über 35 Jahren ist klar,
dass die vertragliche Beziehung zwischen Urhebern und
Verwertern neu geregelt werden muss. Das Bundesver-
fassungsgericht hat in seinen Entscheidungen wiederholt
darauf hingewiesen, dass zur Vertragsfreiheit ein Mindest-
maß an Gleichgewicht, also ein Verhandeln auf gleicher
Augenhöhe zwischen den verschiedenen Vertragspart-
nern gehört.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Genau dieses Gleichgewicht stellen wir heute her.
Nach Hunderten Stunden von Debatten müssen wir die-
sen Prozess in einer einzigen parlamentarischen Stunde
zusammenbinden. Es war wegen struktureller Unter-
schiede ein komplizierter Prozess. Wir schaffen ein Ge-
setz, das Schriftstellern, Journalisten, Übersetzern, Foto-
grafen, Malern und Bildhauern einen gesetzlichen
Anspruch auf angemessene Vergütung verschaffen soll.
Wir haben das in einer Atmosphäre von sehr konträren In-
teressen getan: der Urheber auf der einen Seite und der
Verwerter auf der anderen Seite. Dabei wissen wir sehr
wohl, dass wir beide brauchen, damit es zu einer lebendi-
gen Kulturlandschaft kommen kann.

Es gab verwickelte Debatten. Auch gab es ein Verfah-
ren, das viel Energie und Mut gekostet hat. Es spricht
tatsächlich Bände – genau wie bei Ihrer heutigen Rede,
Herr Röttgen –, dass Sie sich in der entscheidenden Phase
der Teilnahme an den Debatten einfach entzogen haben.
Das verstehe ich nicht unter konstruktiver Oppositions-
politik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Sie haben sie doch zur Farce gemacht! Das war eine Alibiveranstaltung!)


Schwierig war aber auch, dass wir diese ganzen De-
batten in einer Zeit führen mussten, die von Kampagnen
bestimmt war. Eckhardt Barthel hat schon darauf hinge-
wiesen: Eigentlich haben diese Kampagnen selbst bewie-
sen, was jedem einzelnen Urheber immer wieder passiert,
nämlich dass er es in einem ganz ungleichen Verhältnis
mit einem viel stärkeren Vertragspartner zu tun hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Die Verleger hatten die Möglichkeit, über ganzseitige
Anzeigen in Zeitungen und über Briefe an den Bundes-
kanzler dem ganzen Land ihre Sicht der Dinge mitzutei-
len. Die Verwerter haben uns Faxe und E-Mails geschickt.
Ich freue mich, dass Vertreter der Urheber auf der Tribüne
sind und dieser Debatte zuhören. Wir wissen, dass dieser
Prozess auch ihnen viel zugemutet hat.

Es war – das hat Eckhardt Barthel richtig gesagt – wie
ein Kampf der Füchse gegen die Hühnchen oder wie
David gegen Goliath. Mit dem Urhebervertragsgesetz
wird den Urhebern nun zum ersten Mal ein gesetzlicher
Anspruch eingeräumt, eine angemessene Vergütung von
ihren Vertragspartnern zu fordern. Das ist der ganz große
Fortschritt. Gleichzeitig haben wir ein Schlichtungsver-
fahren eingeführt, sodass sowohl Sachverstand als auch
Marktkenntnisse in die Ergebnisse einfließen werden.
Dies geschieht deswegen, weil es eine gemeinsame Kultur-
landschaft und einen gemeinsamen freien Raum von
Kreativität zu sichern gilt.

Nun ist in der letzten Phase gerade in Bezug auf das
Schlichtungsverfahren zur Besorgnis der Urheber eine
Änderung eingetreten. Ich finde, dass die Änderung, die
wir hier vorgenommen haben, mit den Grundüberzeugun-
gen von Bündnis 90/Die Grünen durchaus übereinstimmt,
nämlich dass gerade im Bereich von freier Kreativität
Zwang kein geeignetes Mittel ist, um Veränderungen her-
beizuführen. Aber auch ich möchte unterstreichen: Die
Freiwilligkeit muss auch eine Wirkung erzeugen. Wir
werden wie die Kollegen der SPD und wie hoffentlich alle
in diesem Hause darauf achten, dass beide Vertragspart-
ner in diesem Schlichtungsverfahren freiwillig zu positi-
ven Ergebnissen kommen; sonst werden wir – darauf ver-
pflichten wir uns als Gesetzgeber schon heute – erneut
tätig werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der dritte wichtige Punkt – neben dem Anspruch auf
angemessene Vergütung und dem Schiedsverfahren – ist
der neue Bestsellerparagraph. In der vorliegenden For-
mulierung war der alte Bestsellerparagraph – das haben
auch alle Verwerter immer wieder gesagt – im Grunde ge-
nommen ein zahnloser Tiger. Er führte nicht selten dazu,
dass die Urheber besonders erfolgreicher Werke im Streit
um eine dem Erfolg entsprechende Anhebung ihrer Ver-
gütung das gesamte erstrittene Geld durch die Prozesskos-
ten wieder einbüßen mussten. Nur mit unserer Regelung
haben die Urheber von Bestsellern nun die reelle Chance,
an dem Erfolg ihrer Werke beteiligt zu werden. Dazu hat
es im Kern auch nie Widerspruch gegeben.

Von Anfang an haben wir besonders um eine Sicht der
Dinge gekämpft, nämlich dass dieser Prozess nicht auf
Kosten der kleinen unabhängigen Verwerter vollzogen
wird. Die Interessen der kleinen Verlage haben uns immer
besonders am Herzen gelegen. Eine Schwächung gerade
dieser unabhängigen kleinen Verwerter hätte auch die
Chancen von jungen Autoren und ausübenden Künstlern
eingeschränkt. Denn diese finden in der Regel keine Partner
in den großen Verlagen. Sie brauchen die kleinen Verlage,
die das Risiko mit ihnen eingehen, und sie brauchen auch
die Betreuung in Gesprächen mit diesen kleinen Verlagen.




Dr. Antje Vollmer

21121


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich meine, indem wir deren Interessen berücksichtigt ha-
ben, haben wir beiden geholfen – den jungen Autoren und
diesen Verlagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dabei wissen wir aber auch, dass deren Hauptbedrohung
in der Konzentration des Verlagswesens liegt und nicht in
dem, was wir heute vorhaben. Deswegen war es so wich-
tig, alle Argumente auszutauschen. Ich meine, was uns
nun vorliegt, ist ein gelungener Kompromiss.

An dieser Stelle möchte ich einer Frau besonders dan-
ken, von der ich weiß, dass ohne sie dieser Prozess nicht
zustande gekommen wäre. Ich tue das nicht häufig. Aber
in diesem Fall, liebe Herta Däubler-Gmelin, muss man
wohl sagen, dass es bei all den vielen Veränderungen, die
Sie hinter sich bringen mussten, Ihre Entschlossenheit,
aber auch die Heiterkeit einer erfahrenen Politikerin


(Lachen bei der CDU/CSU)

und Ihr unbeugsamer Wille waren, die dieses Vorhaben
durch alle Prozesse getragen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU)


Es ist sicherlich allen Beteiligten bekannt, dass dies ein
gelungenes Beispiel dafür war, dass man selbst bei größ-
tem Gegenwind in einer schwierigen Phase eines Wahl-
jahres ein gutes Gesetz über alle Hürden bringen kann.
Deswegen sind wir wohl alle nach all diesen Stunden
ziemlich froh.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Daran sollten Sie sich mal ein Beispiel nehmen, an dieser Beständigkeit!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421305600
Das Wort
hat jetzt der Kollege Rainer Funke von der FDP-Fraktion.


Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1421305700
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Das Urheberrecht und darin insbesondere das
Urhebervertragsrecht ist in der medial immer weiter ver-
netzten Gesellschaft immer wichtiger geworden und soll
unter anderem einen angemessenen Interessenausgleich
zwischen Urhebern und Verwertern herbeiführen.

Für die FDP-Fraktion hat stets festgestanden, dass Ur-
heberrechte Eigentumsrechte sind und demgemäß schon
allein von der Verfassung her besonders zu schützen sind.
Insoweit waren wir mit der Neufassung und Entwicklung
eines Urhebervertragsrechts durchaus einverstanden. Wir
haben uns deshalb frühzeitig und konstruktiv an der Aus-
einandersetzung um dieses für Kultur, Wissenschaft und
Wirtschaft in Deutschland gleichermaßen wichtige Ge-
setzgebungsverfahren beteiligt.

Dass wir zunächst dem von der Bundesjustizministerin
besonders begrüßten so genannten Professorenentwurf
und auch ihrem eigenen späteren Entwurf nicht zustim-
men konnten, lag an der einseitigen Verschiebung der In-
teressenlage zugunsten der Urheber und zulasten der Ver-

leger und der Medienwirtschaft. Jetzt jedoch werden wir
dem Gesetzentwurf in der erheblich veränderten Form zu-
stimmen. Denn nach intensiven Beratungen und auch An-
trägen meiner Fraktion konnte die einseitige Ausrichtung
und Gewichtung zugunsten eines angemessenen Interes-
senausgleichs verändert werden.

Das Prinzip der Vertragsfreiheit und der Vorrang des
Vertrages zwischen Urhebern und Verwertern konnte wie-
der eingefügt werden.


(Beifall bei der FDP)

Dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass das Modell
der Zwangsschlichtung, wie es in § 36 des Entwurfs vor-
gesehen war, beseitigt werden konnte. Das Schlichtungs-
verfahren ist jetzt so gestaltet, dass die berechtigten In-
teressen aller Beteiligten berücksichtigt werden und der
Vorrang der Privatautonomie anerkannt wird. In Überein-
stimmung mit dem Änderungsantrag, den die FDP im
Rechtsausschuss gestellt hat, werden die Parteien frei da-
rüber entscheiden können, ob sie sich dem Spruch der
Schlichtungsstelle unterwerfen wollen und die gemeinsa-
men Vergütungsregeln akzeptieren oder aber ob sie dem
Schlichterspruch widersprechen.

Die Konkretisierung hinsichtlich der Angemessenheit
der Vergütung durch die Verbände der Urheber und die
Verbände der Werknutzer erscheint uns gerade unter dem
Gesichtspunkt des Subsidiaritätsprinzips richtig und
wichtig, weil dadurch die Fachkunde der jeweils Betrof-
fenen genutzt werden kann. Gegen das Konzept der ge-
meinsamen Vergütungsregeln an sich ist vor diesem Hin-
tergrund deshalb auch nichts einzuwenden.


(Beifall bei der FDP)

Die ursprünglich vorgesehene Rückwirkung um 20 Jah-

re und damit die rückwirkende Einwirkung auf beste-
hende Verträge ist sinnvollerweise gestrichen worden. Für
die Frage der Angemessenheit der Vergütung kommt es
allein auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses an. Eine
nachträgliche Infragestellung des einmal Vereinbarten ist
damit ausgeschlossen. Die FDP begrüßt ausdrücklich,
dass die Bundesregierung hier von ihren neuen Ände-
rungsplänen aus der vergangenen Woche im Interesse der
Rechts- und der Kalkulationssicherheit schnell wieder
Abstand genommen hat.

Überhaupt kann gesagt werden, dass die Grundkon-
zeption des Gesetzes während der Beratungen im Aus-
schuss sowie nach Rücksprache mit den Sachverstän-
digen und den Vertretern der beteiligten Verbände grund-
legend überarbeitet worden ist. Wir glauben, dass das vor-
liegende Gesetz nunmehr eine gute Grundlage für eine
vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Urhebern
auf der einen Seite und den Nutzern und den Verwertern
auf der anderen Seite ist. Es wird auch bei den Werknut-
zern liegen, durch faire Vereinbarungen beispielsweise
mit Übersetzern, Bildjournalisten und vergleichbaren Be-
rufsgruppen einen angemessenen Interessenausgleich zu
erreichen.

Wir wissen, dass das Urhebervertragsrecht nur die ge-
setzlichen Rahmenbedingungen festlegen kann, damit
zwischen den Urhebern auf der einen Seite und den Werk-




Dr. Antje Vollmer
21122


(C)



(D)



(A)



(B)


nutzern auf der anderen Seite vernünftige Regelungen ge-
funden werden. Ein Gesetz kann nicht alle einzelnen Ver-
tragsbedingungen, die die verschiedenen Künstler- und
Urhebergruppen betreffen – Frau Dr. Vollmer hat zu Recht
darauf hingewiesen –, umfassen. Das Gesetz muss nur
eine vernünftige Rechtsgrundlage für die Vertragsbedin-
gungen herstellen. Nur dort, wo es diese fairen Vereinba-
rungen nicht gibt – das werden wir beobachten –, muss
der Gesetzgeber durch Gesetze eingreifen. Ich glaube,
dass dies in Zukunft nicht notwendig sein wird, weil der
vorliegende Gesetzentwurf zum Urhebervertragsrecht
eine gute Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammen-
arbeit ist.

Wir Freien Demokraten haben uns stets bemüht, beim
Urheberrecht einen möglichst breiten Konsens im Bundes-
tag herzustellen. Die Beratungen über die vorangegange-
nen Novellen haben das bewiesen. Ich bin froh, dass es uns
auch diesmal gelungen ist, einen Kompromiss zu erzielen,
auch wenn das Gesetz letztendlich maßgeblich – wie ich
meine: zum Vorteil von Urhebern und Verwertern – geän-
dert worden ist.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421305800
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich Fink von der PDS-Frak-
tion.


Dr. Heinrich Fink (PDS):
Rede ID: ID1421305900
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir entscheiden
heute über das wichtigste kulturpolitische Reformvor-
haben in dieser Legislaturperiode. Es war ein hoch inter-
essanter Prozess. Herr Röttgen, Sie können es nicht leug-
nen: Es hat doch auch Ihnen Spaß gemacht.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Wieso sollte ich keine Freude an meiner Tätigkeit haben? – Alfred Hartenbach [SPD]: Er hatte eine freudlose Jugend!)


Wir haben miteinander gerungen, um zu guten Ergebnis-
sen zu kommen. Dieser Prozess ist aber noch nicht zu
Ende. Er muss weitergehen.

Die Fraktion der PDS wird dem Gesetzentwurf zu-
stimmen


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


trotz der beträchtlichen Abstriche, die die Bundesregie-
rung im Prozess der Novellierung an ihrem Reform-
projekt vorgenommen hat. Wir stimmen zu, weil der Ent-
wurf, so wie er jetzt ist, eine Verbesserung für die Urheber
im Vergleich zu der derzeitigen Rechtslage bringt.

Wir kritisieren zugleich, dass die Bundesregierung
dem Druck der Medienwirtschaft nachgab und Änderun-
gen vornahm, die ihr eigenes Reformwerk konterkariert
haben. Wir fordern die Bundesregierung auf, weitere
Schritte zur Stärkung der Kreativen und zur Verbesserung

ihrer Existenzbedingungen zu gehen. Das war jetzt ein
kleiner Schritt; nötig ist aber ein großer Schritt.


(Beifall bei der PDS)

Unsere Positionen und unsere Forderungen haben wir

in einem Entschließungsantrag niedergelegt. Ich möchte
Ihnen unsere Beweggründe dafür kurz erläutern. Meine
Fraktion hat die Gesetzesinitiative der Justizministerin
von Beginn an nachdrücklich unterstützt. Die erste Ge-
setzesfassung war für uns die beste.

Das wirtschaftliche Ungleichgewicht und die struktu-
relle Überlegenheit der Verwerter sind offensichtlich.
Die Folge ist, dass viele der Kreativen – das Musterbei-
spiel sind die literarischen Übersetzer – ihre Ansprüche
auf eine angemessene Vergütung in den Vertragsverhand-
lungen gegenwärtig nicht durchsetzen können. In welcher
prekären sozialen Situation sich die Mehrzahl der frei-
beruflichen Künstlerinnen und Künstler, Publizistinnen
und Publizisten befindet, ist bekannt. Wir hatten dazu in
der Fraktion eine Anhörung und sind intensiv darüber auf-
geklärt worden.

Einen Ausgleich gestörter Vertragsparität zu erreichen
ist unserer Auffassung nach sowohl aus sozialen und kul-
turellen wie auch aus wirtschaftlichen Gründen zwin-
gend. Denn die Kulturwirtschaft lebt von den Krea-
tiven. Eine erfolgreiche Medien- und Kulturindustrie ist
auf dieses Potenzial angewiesen. Angemessene Existenz-
bedingungen für schöpferische Arbeit zu gewährleisten
ist unverzichtbar und liegt auch im Interesse der Verwer-
ter.

Wenn die Vertreter der Medienwirtschaft nun ange-
sichts des Reformprojektes den Untergang der Kultur des
Abendlandes beschwören, erscheint dies nicht plausibel.
Dass sie dazu ihre marktbeherrschende Stellung mit
Anzeigenkampagnen in den Tageszeitungen und mit Ein-
blendungen in Fernsehsendungen missbrauchen, ist
natürlich symptomatisch. Es hat leider Wirkung auf die
Regierung gezeigt. Demokratische Sozialisten allerdings
lassen sich davon nicht beeinflussen.


(Lachen des Abg. Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU] – Zuruf von der PDS: Was gibt es denn da zu lachen?)


Wir fragen vielmehr: Warum wehrt sich die Branche ei-
gentlich so vehement gegen den Grundsatz eines An-
spruchs auf angemessene Vergütung, wenn dieser Grund-
satz doch schon – so die Behauptung – in weiten Teilen
durchgesetzt ist?

Vom ursprünglich vorgeschlagenen Konzept sind der
Rechtsanspruch auf angemessene Vergütung und die
gemeinsamen Vergütungsregeln geblieben. Das trägt zur
Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und
ausübenden Künstlern bei. Wie weit aber – das wird noch
zu beobachten sein – sind doch diese Kernregelungen zu-
gunsten der Verwerter aufgeweicht?

Eine Schlussbemerkung. In den Zeitungsannoncen der
Kulturwirtschaft wird eine Bitte an die Abgeordneten des
Bundestages geäußert: Sie sollten für Kreativität und
Vielfalt in Deutschland stimmen. Genau das werde ich tun




Rainer Funke

21123


(C)



(D)



(A)



(B)


und mit mir meine Kolleginnen und Kollegen in der Frak-
tion.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421306000
Das Wort
hat jetzt die Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin.

Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der

(von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit Beifall begrüßt)

dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege
Röttgen, darf ich ein ganz kurzes persönliches Wort an Sie
richten? Ich danke Ihnen für diese bemerkenswerte Rede.
Ich habe mich sehr darüber gefreut, übrigens nicht nur
deswegen, weil ich sie jetzt schon zum fünften Mal höre,


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Wir sind ja alle zufrieden!)


sondern auch deswegen, weil es inzwischen schon so eine
Art von Röttgen-Gesetz in diesem Haus gibt – seit Sie in
der Opposition sind, stellen wir das immer häufiger fest –:
Je mehr Sie schimpfen, desto besser ist das Gesetz.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Tatsache, dass Sie Ihre Rede diesmal dazu genutzt
haben, um Ihre Zustimmung zu begründen, ist zumindest
originell


(Heiterkeit bei der SPD – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Halten Sie dann das Gesetz nicht für gut?)


und es erinnert mich ein bisschen an die Geschichte von
dem Trittbrettfahrer, der, um sein Tun zu verbergen, hef-
tig auf den Lokführer schimpft. Ihr Verhalten zeigt aber
auch, dass Sie offensichtlich dem Motto anhängen – liebe
Antje Vollmer, da müssen wir dem Herrn Röttgen viel-
leicht auch noch etwas Nachilfeunterricht geben –:


(Alfred Hartenbach [SPD]: Das hilft bei dem nicht mehr!)


„Jeder Erfolg hat viele Väter, aber keine Mütter.“

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Norbert Röttgen [CDU/ CSU]: Da wundert mich nur, warum Sie zustimmen!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das war für mich wie-
der ein Erlebnis.

Lassen Sie mich jetzt sehr deutlich sagen: Heute ist in
der Tat ein guter Tag für die Urheber. Viele Verbände der
Urheber sind heute hier vertreten und hören mit großer
Aufmerksamkeit zu, wer was zu welchem Punkt zu sagen
hat. Heute ist auch ein guter Tag für die Kulturwirtschaft.
Denn: Was wäre die eigentlich ohne die Urheber und auch
ohne die freiberuflichen Urheber? Ich sage das ganz be-
wusst deswegen, weil es in den letzten Monaten Töne ge-
geben hat, die für eine gedeihliche Entwicklung der Kul-

turlandschaft in Deutschland und auch für die Bedeutung
unserer Kulturnation außerordentlich schädlich sein kön-
nen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wäre ich Urheberin oder Urheber, würde mich viel von
dem, was da einige Verwerter, ganz offensichtlich unter
großem Beifall der CDU/CSU, verkündet haben, außer-
ordentlich verletzt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Seit 1965 – darauf ist hingewiesen worden – wurde den
Urheberinnen und Urhebern, gerade auch den freiberuflich
tätigen, versprochen, ihre rechtlichen Rahmenbedingun-
gen zu verbessern. Aber auch in den 16 Jahren vor unserer
Übernahme der Regierungsverantwortung ist nichts pas-
siert. Es ist auch zu Recht darauf hingewiesen worden,
dass sich in einigen Bereichen der Kulturwirtschaft ver-
nünftige Vorbilder der Kooperation entwickelt haben, die
wir verwenden konnten – dafür sind wir dankbar –, in an-
deren aber Verhältnisse, die so einfach nicht hinnehmbar
sind. Wer diese Verhältnisse nicht im Einzelnen kennt, den
haben jetzt wohl gerade die großen Anzeigen der Verwer-
ter in den letzten Monaten überzeugt. Man kann sich jetzt
gut vorstellen, wie sich ein Urheber gegenüber einer sol-
chen Medienmacht fühlen muss! Die Berechtigung seiner
Forderungen ist, glaube ich, völlig klar und offensichtlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich will aber trotzdem ein Beispiel nennen, das – viel-
leicht – auch die Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU dazu bewegt hat, noch einmal zu überlegen, ob
sie unser Gesetz hier nicht doch ein bisschen mittragen
können. Darüber, dass einige das tun, freue ich mich.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir tragen das Gesetz mit, nicht nur ein bisschen!)


Die brillante deutsche Übersetzerin von Donna Leons
beliebten Kriminalromanen, Monika Elwenspoek, ist lei-
der viel zu früh verstorben, Ende des letzten Jahres. Ich
kannte sie. Sie wohnte in Tübingen. Sie hat vor ihrem Tod
in einem wirklich bitteren Interview mit dem „Schwäbi-
schen Tagblatt“ nochmals auf das hingewiesen, was die
Kulturwirtschaft heute hoch qualifizierten Übersetze-
rinnen und Übersetzern zumutet.

Das heißt: Die Vertragsparität, von der wir doch aus-
gehen, gerade wenn wir den Grundsatz der Vertragsfrei-
heit unterstützen, war nicht nur in diesem Einzelfall – so-
gar bei dieser berühmten Übersetzerin – gestört, sondern
auch in vielen anderen Einzelfällen, auch bei den Foto-
journalisten und bei anderen der über 250 000 freiberuf-
lichen Kreativen.

Ich darf eine ganz kleine Kritik an Ihrer Rede üben, die
mir im Übrigen sehr gut gefallen hat, lieber Herr Röttgen:
Sie haben in diesem Zusammenhang das Wort „Ideolo-
gie“ verwendet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Dr. Heinrich Fink
21124


(C)



(D)



(A)



(B)


Es gehört zu den verfassungsmäßigen Aufgaben unseres
Parlaments, Vertragsparität als Grundlage für die Ver-
tragsfreiheit ernst zu nehmen und da, wo es sie nicht
gibt, wieder herzustellen. Dieser Meinung war früher ei-
gentlich auch die CDU/CSU. Sie sollten darüber nach-
denken, warum Sie das heute nicht mehr tun. Wir tun das
jetzt.

Gegen Ihren Widerstand – auch wenn einige von Ihnen
jetzt mitmachen – haben wir in unserem Gesetz drei wich-
tige Punkte durchgesetzt: Der erste ist der gesetzliche An-
spruch auf eine angemessene Vergütung. Das ist wirk-
lich vernünftig und gut. Zweitens sagen wir: Anders als
bei Anwälten oder Architekten bestimmt nicht der Ge-
setzgeber, was angemessen ist; das soll vielmehr durch
gemeinsame Vergütungsregeln der Branche selbst ge-
schehen. Das ist vernünftig. Der dritte Punkt ist auch et-
was, was Sie schon längst hätten tun können, als Sie in der
Regierungsverantwortung waren, nämlich die Schaffung
eines Fairnessausgleichs zum Beispiel für künstlerische
Werke, die sich im Laufe der Jahre zu Bestsellern ent-
wickeln, was bei Vertragsabschluss nicht vorherzusehen
gewesen ist. Hierzu gehört es, dass die Urheber einen an-
gemessenen Anteil abbekommen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Dagegen hat niemand etwas!)


Der jetzige Bestseller-Paragraph – das wissen Sie ganz
genau; wenigstens könnten Sie es wissen, wenn Sie sich
dafür interessierten – ist das Papier nicht wert, auf dem er
steht, da er nicht gegriffen hat. Daher fassen wir ihn jetzt
neu.

Jetzt komme ich zu einem Punkt, den Sie einerseits
kritisieren und andererseits begrüßen; ich nehme an, dass
sogar Sie sich irgendwann entscheiden werden. Wir ha-
ben festgelegt, dass die gemeinsamen Vergütungsregeln,
die von der Branche entwickelt werden, um einen
obligatorischen Schlichtungsmechanismus für alle er-
gänzt werden, falls das, was wir alle wollen und wozu wir
auch die Verwerter aufrufen, nicht eintreten sollte, näm-
lich einverständliche gemeinsame Vergütungsregeln. Ich
hätte gern zusätzlich die Kraft unseres sozialen Rechts-
staates zur Durchsetzung solcher Schlichtungsergebnisse
nutzbar gemacht; aber auch das halten Sie offenbar für
Ideologie.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Diese Frage hat jedoch mit Ideologie nichts zu tun. Wenn
die Branche selber einen vernünftigen, angemessenen und
auch begründeten Einigungsvorschlag vorlegt, der ohne
Zweifel ein Indiz für die Angemessenheit der Vergü-
tung sein wird, dann ist es auch vernünftig, diesen Vor-
schlag mit der Stärke unseres Rechtsstaates durchsetzen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Aber das haben Sie nicht gemacht!)


– Nein, das war jetzt wegen des Widerstandes der
CDU/CSU nicht möglich. Im Übrigen haben auch Sie das
persönlich nicht gefordert, Herr Geis.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)


Wären wir, wie Sie das jetzt andeuten, gemeinsam daran-
gegangen, hätten wir es vielleicht schon jetzt geschafft.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir waren ja dagegen! – Alfred Hartenbach [SPD]: Geis, der Rächer der Enterbten!)


– Ja, Sie sind auch jetzt noch dagegen und zugleich dafür.
Das ist immer die bequemste Haltung für eine Opposition.
Machen Sie ruhig so weiter!


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir waren für eine vernünftige Regelung und Sie haben am Schluss der Vernunft zugestimmt!)


Meine Damen und Herren, ein Gutes hat die Lage, in
der wir jetzt sind: Wir haben gehört, dass viele Verleger,
übrigens auch solche, die über die Verwerter-Kampagne
auch ziemlich entsetzt waren, Folgendes gesagt haben:
Wir sind doch heute schon ein Vorbild für solche Rege-
lungen. Warum traut uns der Gesetzgeber nicht zu, dass
wir das freiwillig, also ohne staatliche Durchsetzungs-
mechanismen,machen? Diese, aber auch jene, die das in
ihren Anzeigen zugesagt und im Übrigen erklärt haben,
was sie nicht wollen, nehmen wir beim Wort. Auch wir
sind ja für Konsens und Freiwilligkeit, vorausgesetzt,
dass sich auch die Verwerter an ihre Ankündigungen und
Zusagen halten. Dies liegt ja nicht nur im Interesse der Ur-
heber, sondern auch im Interesse der gemischten Kultur-
wirtschaft, die diese Bundesregierung wie keine vor ihr
unterstützt, wie unser Einsatz für die Buchpreisbindung
und Schutzregelungen für mittelständische Verlage
deutlich zeigen. Wir werden genau beobachten, was sich
bei den gemeinsamen Vergütungsregelungen tut. Ich
danke dem Kollegen Funke dafür, dass auch er das aus-
drücklich unterstrichen hat. Wenn es auf freiwilliger Ba-
sis und im Konsens der Beteiligten nicht funktioniert,
werden wir weitergehende Regelungen ins Auge fassen.


(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich am Schluss ganz herzlich danken: Ich

danke ausdrücklich den Urheberrechts-Professoren und
Experten, die den Anstoß gegeben und die Richtung ge-
wiesen haben. Es war ja kein Zufall, dass CDU/CSU und
FDP in ihrer Regierungszeit nichts hinbekommen haben:
Abhängigkeit von Interessenverbänden ist in solchen Fäl-
len immer ein Hindernis. Ich bedanke mich bei den Urhe-
bern und Urheberverbänden, die mitgewirkt haben. Ich
bedanke mich ausdrücklich bei allen Kolleginnen und
Kollegen im gesamten Haus, denen es um die Sache ging
und die sich eingeschaltet und mitgearbeitet haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Last but not least bedanke ich mich bei den Mitarbei-
terinnen und Mitarbeitern des Bundesministeriums der
Justiz ganz herzlich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Ronald Pofalla [CDU/CSU]: Die hatten bei dem Wirrwarr viel zu tun! – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Die armen Kerle! Dauernd hü und hott!)





Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin

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(B)


Sie sitzen hier hinten und haben großen Anteil daran, dass
heute ein erfolgreicher Tag für die Urheber, für die Kultur
und die Kulturwirtschaft in Deutschland ist.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421306100
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Norbert Lammert von der
CDU/CSU-Fraktion.


(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt könnten wir eigentlich Schluss machen! – Gegenruf des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU]: Warum sind Sie eigentlich so polemisch?)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1421306200
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Novellie-
rung des Urhebervertragsrechts handelt es sich ohne
jeden Zweifel um das wichtigste kulturpolitische Gesetz-
gebungsvorhaben dieser Legislaturperiode. Deswegen
hat allein die Ankündigung dieser Absicht hohe Erwar-
tungen und – spiegelbildlich – hohe Befürchtungen auf
der Seite der Urheber wie auf der Seite der Verwerter aus-
gelöst. Beide haben im Übrigen einen Anspruch darauf,
dass ihre jeweiligen Erwartungen und Besorgnisse ernst
genommen werden. Wir haben uns genau in diesem Sinne
um die Berücksichtigung der einen wie der anderen Inter-
essen sehr intensiv bemüht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deswegen hätte dieses Gesetzgebungsverfahren

noch mehr als die von der Kollegin Vollmer bei der fe-
derführenden Justizministerin beobachtete Heiterkeit das
Maß an Sorgfalt verdient, das wir mehrfach vermisst ha-
ben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Beratung dieses Gegenstands ist durch ständig

wechselnde Textvorlagen,

(Norbert Geis [CDU/CSU]: War schlimm!)


die übrigens nicht nur Formulierungsänderungen, son-
dern auch abrupte Kehrtwendungen in Bezug auf die Re-
gelungsabsicht enthielten, durch Hektik und zum Schluss
durch Zeitdruck gekennzeichnet gewesen,


(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hektik? Zwei Jahre!)


die dem Rang dieses Themas völlig unangemessen gewe-
sen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich erwarte, dass sich der Bundesrat, der sich mit diesem
Thema noch zu befassen hat, den Zeitdruck nicht bieten
lassen wird, der die Endphase des Gesetzgebungsverfah-
rens im Deutschen Bundestag gekennzeichnet hat.

Gerade weil es sich um ein herausragendes Thema han-
delt, muss ich noch einmal sagen: Ein Glanzstück souve-

räner Regierungskunst war das nicht und leider auch kein
Paradebeispiel für solide Gesetzgebung.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Die Opposition war besonders schwach! – Gegenruf des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU]: Ach, das ist ja übertrieben! Wenn wir nicht gewesen wären, wären nur Dummheiten herausgekommen! – Heiterkeit)


– Sie werden sich ganz gewiss auch ohne meine Ermuti-
gung Ihr strammes Selbstbewusstsein erhalten. Das kön-
nen wir aber getrost auch bei anderer Gelegenheit weiter
vertiefen.

Ich lege am Schluss dieses Verfahrens großen Wert da-
rauf, noch einmal festzuhalten, dass Inhalt des Gesetzes
und Gesetzgebungsverfahren mit den mehrfach veränder-
ten Texten nicht nur in Bezug auf die Formulierung, son-
dern auch auf die Regelungsabsicht sowohl bei den Urhe-
bern – den Autoren, den Übersetzern, den Fotografen und
Produzenten – wie bei den Verwertern – den Verlagen, den
Zeitungen und Zeitschriften – in den verschiedenen Pha-
sen unseres Beratungsprozesses mal hohe Erwartungen,
mal tiefe Enttäuschung und kurz vor Ende auch offene
Empörung ausgelöst haben.

Dieses unzumutbare und wegen der wechselnden Text-
passagen schludrige Verfahren hätte bei einer wirklich so-
liden Behandlung so nicht ablaufen müssen. Wir haben al-
les uns Mögliche getan.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Alfred Hartenbach [SPD]: Gestatten Sie, dass ich lache? Ich habe kaum Beiträge von Ihnen erlebt!)


– Sie haben den großen Vorteil, an dem Teil des Bera-
tungsverfahrens gar nicht beteiligt gewesen zu sein, den
die Kulturpolitiker diesem Gesetzentwurf gewidmet ha-
ben. Es wird niemand von Ihren Kollegen ob von der lin-
ken oder rechten Seite bestreiten, dass die Behandlung
von Anfang bis zum Ende durch das Bemühen gekenn-
zeichnet war, einen solchen durch hohe Sensibilität ge-
kennzeichneten Gegenstand möglichst im Konsens zu re-
geln. Das ist die reine Wahrheit.


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Das widerspricht Ihrem Vorwurf!)


– Nein, das widerspricht dem Vorwurf ganz und gar nicht.
Es ist enttäuschend, dass trotz dieser Absicht das Verfah-
ren leider nicht so solide gewesen ist, wie wir es uns ge-
wünscht hätten.

Wir haben mehrfach im Verlauf des Verfahrens deutlich
gemacht, dass wir einer solchen Gesetzgebungsabsicht zu-
stimmen, aber wir haben auch die Kriterien deutlich ge-
macht, die dabei unserer Überzeugung nach eingehalten
werden müssen. Es sind mehr als ein halbes Dutzend kon-
kreter Vorschläge, Hinweise und Orientierungen gewe-
sen, die ich nicht mehr im Einzelnen aufführen kann und
muss.

Für uns stand das Prinzip der Koalitionsfreiheit nicht
ernsthaft zur Diskussion, schon gar nicht durch die ur-
sprünglich vorgesehenen Schlichtungsverfahren mit
zwangsweiser kollektiver Festsetzung von Vergütungsre-




Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin
21126


(C)



(D)



(A)



(B)


gelungen. Wir haben großen Wert darauf gelegt, dass hier
zwischen freischaffenden Urhebern und in Verlagen an-
gestellten Arbeitnehmern unterschieden wird, die natür-
lich in ihren Rechtsansprüchen unterschiedlich behandelt
werden müssen.

Wir haben – sicher alle gemeinsam, wenn auch nicht mit
präzise den gleichen Erwartungen – auf eine angemessene
Modifizierung des Bestseller-Paragraphen großen Wert ge-
legt.

Wir haben immer sicherstellen wollen, dass Urheber
und Verwerter, die unter deutschem Recht kontrahieren,
keine Nachteile gegenüber solchen erfahren, die ihre Ver-
träge nach ausländischem Recht abschließen oder es in
Zukunft vielleicht tun wollen. Wir haben ebenfalls
sicherstellen wollen, dass es keine Schlechterstellung be-
stimmter Branchen gibt, und zwar nicht, weil man sie de-
zidiert schlechter stellen will, sondern weil sich für sie
aufgrund der Besonderheit der jeweiligen Branchen
allgemeine Regelungen in einer diskriminierenden, je-
denfalls wirtschaftlich belastenden Weise niederschlagen.
Wir – vor allem der Kollege Neumann – haben mehrfach
auf die besonderen Probleme in der Filmwirtschaft hinge-
wiesen, die durch diesen Gesetzentwurf an vielen Stellen
nur unzureichend berücksichtigt worden sind.

Es liegt in der Natur der Rollenverteilung, dass wir un-
sere Vorstellungen von einem solchen Gesetzentwurf gar
nicht in vollem Umfang – das ist wahr – realisieren kön-
nen. Darauf waren wir geistig vorbereitet. Deswegen ist
es nicht weiter überraschend, dass sich eine Reihe von
Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion aufgrund ih-
rer Bewertung des Ergebnisses nicht in der Lage sieht,
diesem Gesetzentwurf zuzustimmen; denn Ihr Gesetzent-
wurf bleibt an der einen oder anderen Stelle hinter dem
zurück, was wir für richtig halten und getan hätten.

Der Gesetzentwurf in der vom Rechtsausschuss vorge-
legten Fassung – er unterscheidet sich substanziell von
der Fassung des Vortages –, der heute zur Beschlussfas-
sung ansteht, ist allemal besser als der ursprüngliche Ge-
setzentwurf


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum wird dann nicht zugestimmt? Wir haben uns so bemüht!)


und näher an der von uns angestrebten, gemeinsam be-
schworenen, notwendigen Balance zwischen den jeweils
legitimen Interessen der Urheber und Verwerter.


(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehen Sie, das ist Regierungskunst! Am Ende stimmen alle zu! – Gegenruf des Abg. Ronald Pofalla [CDU/CSU]: Wenn Sie das für Regierungskunst halten, gehören Sie wirklich abgewählt!)


Deshalb und nur deshalb stimmen wir diesem Gesetzent-
wurf in der jetzt vorliegenden Fassung zu.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alfred Hartenbach [SPD]: Das ist ja immerhin etwas!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421306300
Als letz-
ter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt der
Kollege Dirk Manzewski von der SPD-Fraktion das Wort.


Dirk Manzewski (SPD):
Rede ID: ID1421306400
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Schon bei der Schaffung des Urheber-
rechtsgesetzes im Jahre 1965 – dies ist schon öfters hier
angesprochen worden – wurde auf die dringende Not-
wendigkeit eines ergänzenden Urhebervertragsgesetzes
hingewiesen. Seit dieser Zeit, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, haben die jeweiligen Bundesregierungen wieder-
holt ein solches Gesetzgebungsvorhaben nachdrücklich
befürwortet. Leider ist es aber bislang weder zur Neuge-
staltung noch zu einer Ergänzung des Urheberrechts ge-
kommen. Umso erfreuter bin ich natürlich, dass es wieder
einmal die jetzige Bundesregierung gewesen ist, die den
Anstoß zum vorliegenden Gesetzesvorhaben gegeben und
damit einen weiteren Schritt zur Beseitigung des Re-
formstaus im Bereich der Rechtspolitik getan hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Norbert Lammert [CDU/ CSU]: Loben Sie sich nicht zu viel!)


– Kollege Dr. Lammert, das können Sie nun nicht weg-
diskutieren, soviel Sie auch wollen: Es ist endlich nicht
nur geredet, sondern zum Wohl insbesondere der Urheber
auch gehandelt worden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Kollegen Röttgen und Funke haben in ihren Reden
den Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens kritisiert und
ich mag das so nicht stehen lassen.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Na! – Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Sie sind zufrieden! – Ronald Pofalla [CDU/CSU]: Nicht einmal das!)


Kolleginnen und Kollegen, mir ist in dieser Legislaturpe-
riode im Bereich der Rechtspolitik kein Gesetzgebungs-
verfahren bekannt, bei dem so häufig und so intensiv ins-
besondere mit den betroffenen Verbänden diskutiert
worden ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS])


Und wer etwas anderes behauptet, sagt hier nicht die
Wahrheit.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Sie sind doch kein Regierungssprecher, sondern Parlamentarier!)


Und Herr Kollege Röttgen, wenn Sie bemängeln – auch
das haben Sie ja insbesondere im Rechtsausschuss getan –,
dass der heute zur Entscheidung stehende Wortlaut der
Vorlage kaum noch mit dem so genannten Professoren-
entwurf übereinstimmt, dann gebe ich Ihnen sogar Recht.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Gesetzentwurf!)





Dr. Norbert Lammert

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(C)



(D)



(A)



(B)


Nur, meine Damen und Herren, das war auch nie beab-
sichtigt. Genau deshalb wurde er ja auch als „Professoren-
entwurf“ bezeichnet und eben nicht als Gesetzentwurf.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Darum haben Sie auch immer den Gesetzentwurf als Vergleich genommen!)


– Herr Kollege Röttgen, was Sie der Justizministerin im
Grunde genommen vorwerfen,


(Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: Er weiß es nicht besser!)


ist nichts anderes, als dass sie im Vorfeld eines Gesetzge-
bungsverfahrens fünf anerkannte Rechtsexperten damit
beauftragt hat, ihre Vorstellungen von einem möglichen
Urhebervertragsgesetz zu Papier zu bringen.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Sie haben mir nicht zugehört! – Zuruf von der CDU/CSU: Haben Sie es akustisch oder intellektuell nicht verstanden?)


Damit hat sie bereits im Vorfeld des Gesetzgebungsver-
fahrens eine vernünftige Diskussionsgrundlage geschaf-
fen. Wenn Sie das tatsächlich kritisieren wollen, kann ich
persönlich damit prima leben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich würde mir wünschen, dass alle Gesetzgebungsverfah-
ren so vorbildlich vorbereitet werden könnten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ronald Pofalla [CDU/CSU]: So chaotisch laufen!)


– Dazu komme ich gleich auch noch.
Unter anderem im Rechtsausschuss ist von Ihnen

bemängelt worden, man habe die Sachverständigenan-
hörung durchgeführt, obwohl intern bereits Gesetzesän-
derungsvorschläge diskutiert worden seien. Das ist doch
wirklich nichts Neues.


(Ronald Pofalla [CDU/CSU]: So läuft es bei der Regierung häufiger!)


Es dient doch nur dem Verfahren, wenn ein Ministerium,
eine oder zwei Fraktionen sich ständig darüber Gedanken
machen, wie man ein Gesetz weiter verbessern kann und
in welchen Bereichen man etwaigen Kritikern entgegen-
kommen kann. Deswegen kann doch nicht jedesmal ein
Gesetzesverfahren unterbrochen werden. Abwarten hätte
Stillstand bedeutet. Den hat es im Urhebervertragsrecht
nun wirklich lange genug gegeben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS])


Kollege Röttgen, Sie haben außerdem kritisiert, dass es
im Verfahren so viele Änderungen gegeben habe, dass
man – ich gebe das sinngemäß wieder – zuletzt den
Überblick verloren habe. Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, ich habe den Überblick zu keinem Zeitpunkt verlo-

ren. Wie das bei Ihnen gewesen ist, mag ich weder beur-
teilen noch bewerten.


(Beifall bei der SPD)

Richtig ist – da gebe ich Ihnen natürlich Recht –, dass

es im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zahlreiche Än-
derungen gegeben hat. Diese Änderungen waren im We-
sentlichen aber nur marginal und hatten sprachliche oder
geringfügige materielle Verbesserungen zum Inhalt


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das glauben Sie ja selber nicht! –Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das geht selbst der Ministerin zu weit!)


und kamen übrigens zum Teil durch die Anregungen von
Ihnen oder von betroffenen Verbänden zustande.

Wirklich entscheidende Neuerungen zum ursprüngli-
chen Gesetzentwurf hat es für mich nur an zwei Stellen
gegeben: Zum einen haben wir den bereits bestehenden
Bestseller-Paragraphen modifiziert ins Gesetz aufgenom-
men. Zum anderen – das ist schon angesprochen worden –
stellen wir es den Parteien nun frei, den Einigungsvor-
schlag der Schlichtungsstelle für eine gemeinsame Vergü-
tungsregel anzunehmen oder nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn Sie sich das Gesetzgebungsverfahren von Anfang

an genau vergegenwärtigen, dann werden Sie zugeben
müssen, dass wir damit genau die entscheidenden Kri-
tikpunkte aufgegriffen haben. Insbesondere die Kritik der
Verwertermuss eigentlich – auch das ist schon angespro-
chen worden – völlig in sich zusammenbrechen. Eigent-
lich kritisieren Sie, Kollege Röttgen, damit, dass wir nicht
so borniert sind, uns Vorschlägen, die einigermaßen ver-
nünftig sind, zu verschließen. Wir werden im Grunde ge-
nommen also dafür kritisiert, Kritik ernst genommen zu
haben. Und auch damit kann ich persönlich leben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Persönlich hätte ich es viel schlimmer gefunden, wenn
man irgendwelche Gesetze durchpeitscht, ohne auf die
Anregungen der betroffenen Kreise in irgendeiner Weise
Rücksicht zu nehmen. Bei solch einem Verhalten wäre
Ihre Kritik tatsächlich berechtigt gewesen, hier, an dieser
Stelle, jedenfalls nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich stimme mit Ihnen auch darin nicht überein, dass wir

uns letztendlich nur dem Druck von außen gebeugt haben,
Es ist ja schon angesprochen worden: Das von uns ge-
wünschte Ergebnis haben wir weitestgehend, wenn auch
mit Abstrichen, erreicht.

Die Kulturwirtschaft hat in den letzten Jahren nicht
nur aufgrund des digitalen Zeitalters immer mehr Bedeu-
tung erlangt. Insbesondere die Medienunternehmen ha-
ben sich zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor ent-
wickelt. Wir als SPD haben es von jeher als gerecht und
billig empfunden, wenn die Urheber entsprechend ihrer
Leistung an deren finanzieller Verwertung gerecht parti-
zipieren. Ziel des Gesetzentwurfes war es deshalb, Ur-
heber und ausübende Künstler angemessen an der wirt-
schaftlichen Nutzung ihrer Arbeit zu beteiligen. Genau




Dirk Manzewski
21128


(C)



(D)



(A)



(B)


das haben wir in § 32 des Entwurfs festgeschrieben. Le-
sen Sie das bitte nach.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zudem sollen, um den Urhebern bei der Durchsetzung
ihrer Ansprüche den Weg durch die Instanzen zu erleich-
tern oder ihn sogar zu vermeiden, so genannte Vergü-
tungsregeln aufgestellt werden, um so als Vergleichs-
maßstab einer angemessenen Vergütung zu dienen. Hier
hat sich im Grunde genommen nicht viel geändert. Ich
gebe Ihnen Recht, dass die Entscheidung der Schlich-
tungsstelle für die Parteien nicht mehr verbindlich ist; das
heißt, die Verwerter brauchen sie nicht annehmen. Aber
das Interessante ist: Sie können sich deshalb dem Verfah-
ren nicht mehr entziehen. Am Ende eines jeden Schlich-
tungsverfahrens steht also zumindest die Entscheidung
über eine angemessene Vergütung der Tätigkeit im Raum.
Diese Entscheidung wird natürlich nicht folgenlos blei-
ben. Die Parteien werden hierdurch den Maßstab der an-
gemessenen Vergütung einschätzen können. Ein Gericht
wird dies im Streitfall sicherlich berücksichtigen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte langsam zum Schluss kommen. Ich habe
im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens sowohl von der
CDU/CSU als auch von der FDP immer wieder gehört,
dass man die Anliegen der Urheber teile. Von der Union
hörte man schon frühzeitig, dass man insoweit allerdings
nur punktuellen Handlungsbedarf sehe. Herr Kollege
Röttgen, mich hätte es sehr interssiert, nur ein einziges
Mal zu hören, wie Ihre Vorschläge zur Lösung der zuge-
standenen Probleme aussehen. Leider habe ich dazu nie
etwas gehört, selbst heute nicht.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Sie sind in der Regierung! Sie müssen handeln!)


Sie haben immer nur kritisiert. In der Rechtspolitik ist es
also so wie in allen anderen Bereichen auch: Es wird nur
rumgemäkelt, aber nicht konstruktiv dargelegt, wie man
es besser machen könnte. Auf Sie bezogen, Herr Kollege
Röttgen:


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Regieren Sie! Sie haben die Mehrheit!)


Offensichtlich hat sich der Kanzlerkandidatenvirus auf
Sie übertragen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie geben nicht nach!)


Anders kann ich Ihre Rede heute überhaupt nicht nach-
vollziehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421306500
Herr Kol-
lege, kommen Sie bitte zum Schluss.


Dirk Manzewski (SPD):
Rede ID: ID1421306600
Liebe Kolleginnen und Kol-
legen, das alleine reicht nicht aus. Der Gesetzentwurf ist

schlüssig und wird sein angestrebtes Ziel erreichen. Aus
diesem Grunde wird er von uns unterstützt.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Eine tolle Rede!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421306700
Ich
schließe die Aussprache.

Ich nehme eine persönliche Erklärung des Kollegen
Hans-Joachim Otto nach § 31 der Geschäftsordnung zu
Protokoll.1)

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Stärkung
der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden
Künstlern, Drucksache 14/7564. Der Rechtsausschuss
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 14/8058, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Wer stimmt für den Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen,
der PDS-Fraktion, eines Teils der CDU/CSU-Fraktion
und der Mehrheit der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen
aus der CDU/CSU-Fraktion und einer Gegenstimme aus
der FDP-Fraktion angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS])


Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-
che 14/8079. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Entschließungsantrag ist bei Zustimmung der PDS-Frak-
tion mit den Stimmen aller anderen Fraktionen abgelehnt.

Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu dem
Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und des Bünd-
nisses 90/Die Grünen zur Stärkung der vertraglichen
Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern auf
Drucksache 14/6433. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 14/8058, den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären.
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Dann ist die Beschlussempfehlung einstimmig an-
genommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Kultur und Medien




Dirk Manzewski

21129


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 4


(23. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

Dr. Norbert Lammert, Bernd Neumann (Bremen),
Renate Blank, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Jüdisches Museum, Topographie des Terrors,
Mahnmal für die ermordeten Juden Europas
– Drucksachen 14/4249, 14/7451 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Eckhardt Barthel (Berlin)

Dr. Norbert Lammert
Dr. Antje Vollmer
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)

Dr. Heinrich Fink

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Günter Nooke von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.


Günter Nooke (CDU):
Rede ID: ID1421306800
Herr Präsident! Sehr ge-
ehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Ich bedauere außerordentlich, dass unser Antrag im
federführenden Ausschuss für Kultur und Medien mehr-
heitlich abgelehnt wurde. Ich tue das umso mehr, als nach
der Beschlussempfehlung des Ausschusses „über die
Gleichwertigkeit der drei Institutionen“, wie sie genannt
wurden, „grundsätzliche Einigkeit zwischen den Fraktio-
nen“ besteht. Die dann folgende Begründung ist aller-
dings sehr dürftig. Als Argument wird angeführt, man
würde Gefahr laufen, „den Systembruch der Finanzie-
rungsübernahme von Gedenkstätten durch den Bund ...
auszuweiten“. Abgesehen davon, dass ein solcher postu-
lierter Systembruch schon mit der vollständigen Über-
nahme der Kosten für das Jüdische Museum seitens des
Bundes erfolgt wäre, wurde mit dieser Entscheidung eine
Chance vertan.

Denn was die herausragenden Merkmale der drei Orte
sind, ist gar nicht deutlich geworden. Sie liegen nämlich
nur wenige hundert Meter voneinander entfernt und sind
sowohl authentische Orte – wie die Topographie des
Terrors – als auchOrte der Dokumentation und des Ge-
denkens. Mein Kollege Norbert Lammert hatte bei der
Einbringung des Antrags, auf den Tag genau heute vor ei-
nem Jahr, gesagt, die drei Orte seien „wie auf einer Per-
lenschnur aufgereiht“. Warum brauchen die drei Orte, die
in einem nicht zu leugnenden inhaltlichen Zusammen-
hang stehen, jeweils ähnliche Vortragsräume, Ausstellun-
gen, Dokumentationen und Lesesäle? Das ist jedenfalls
unter diesem Aspekt nicht nachvollziehbar.

Wenn auf der einen Seite das Jüdische Museum und
das Denkmal für die ermordeten Juden Europas als Stät-
ten nationalen Gedenkens gesehen werden – was ja nicht
zu bezweifeln ist – und damit die Vollfinanzierung seitens
des Bundes begründet wird, dann leuchtet eine entspre-
chende Ablehnung bei der Topographie des Terrors nicht
ein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Was auf dem Gelände der Gestapo und des Reichssicher-
heitshauptamtes passiert ist, ist keine lokale Berliner Ge-
schichte, sondern Kapitel unserer Nationalgeschichte.

Die Betonung unseres Antrages liegt aber nicht darauf,
für eine Institution – in diesem Falle also die Topogra-
phie des Terrors – eine vollständige Finanzierung durch
den Bund zu erreichen. Nein, es geht um eine Gesamt-
konzeption für diese offensichtlich in einem inhaltlichen
Zusammenhang stehenden Orte des Gedenkens. Dieser
Vorschlag ist nicht nur gut begründet, sondern auch – das
will ich gar nicht verschweigen – im Sinne der Finanzier-
barkeit höchst vernünftig. Dass eine Finanzierung ver-
nünftig und für die Bevölkerung nachvollziehbar sein
muss, das dürfte außer Zweifel stehen.

Die immer wieder aufflackernden Diskussionen über
die Kosten, beispielsweise beim Denkmal für die er-
mordeten Juden Europas, wie wir sie gerade vor eini-
gen Tagen erlebt haben, sind ein Beleg dafür. Übrigens bin
ich in diesem Zusammenhang – dies betone ich, weil ich
mich manchmal auch zu anderen Äußerungen veranlasst
sehe – dem Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse
dankbar, dass er auf die Vorschläge, die zu einer weiteren
Kostenerhöhung geführt hätten, deutlich reagiert hat.


(Beifall des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS])

Ich glaube, das ist eine gute Grundlage für unsere weitere
Arbeit im Kuratorium.

Aber unsere Forderung nach einer Gesamtkonzeption
ist auch eine Forderung nach Kosteneffizienz und Ein-
sparungen an der Stelle, an der es dem Gedenken in der
Sache keinen Abbruch täte. In keinem Falle sollten die-
jenigen, die auch im Zusammenhang mit Gedenkstätten
für die Opfer des Nationalsozialismus dafür plädieren, die
Finanzierbarkeiten im Auge zu behalten, stigmatisiert
werden. Es wäre aus meiner Sicht außerordentlich zu be-
grüßen, wenn in diesem Hause darüber ebenfalls Einig-
keit herrschte. Über das Gedenken an die Zeit des Natio-
nalsozialismus und die Opfer der NS-Diktatur darf zum
Beispiel nicht außerhalb der Budgetverantwortung dieses
Hauses diskutiert werden.

Die vollständige Finanzierung des Jüdischen Museums
durch den Bund hatte die Fraktion des Bündnisses 90/Die
Grünen im Ausschuss damit begründet, es handele sich
nicht um eine historische Stätte und der finanzielle Auf-
wand sei groß. Letzteres ist zweifellos richtig, gleichwohl
als Begründung für die Ablehnung unseres Antrages in
keiner Weise stringent. Das würde, salopp formuliert, be-
deuten: Alles, was teuer ist, bezahlt der Bund und das an-
dere bezahlen die Länder.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Ja, so ist es aber!)


Teuer wird auch die Topographie des Terrors. Da brau-
chen Sie nur einmal Herrn Rürup zu fragen. Er hat übri-
gens gerade an die Mitglieder des Kuratoriums der Stif-
tung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
geschrieben, vor Überschneidungen gewarnt und darauf
hingewiesen, dass quasi ein neues Museum ausgestaltet
werde, das eigentlich nur als Ort der Information gedacht




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
21130


(C)



(D)



(A)



(B)


gewesen und sogar von vielen in diesem Hause als nicht
notwendig angesehen worden sei.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Darüber wird noch zu reden sein!)


– Darüber wird zu reden sein. – Das würde für mich in die-
sem Zusammenhang zu einer Gesamtkonzeption gehören.

Genauso gehört vielleicht zu einer Gesamtkonzeption,
dass wir uns noch einmal bewusst machen, was die jetzige
Widmung beim Denkmal für die ermordeten Juden Euro-
pas, die hier ebenfalls umstritten war, bedeutet, wenn wir
jetzt anderen Opfergruppen nach und nach ohne Gesamt-
konzeption, ohne Wissen, was da eigentlich gebaut wer-
den soll, noch andere Denkmale und Mahnmale verspre-
chen oder versprechen müssen. Eine Diskussion muss
auch darüber geführt werden, ob vielleicht sogar die Wid-
mung für dieses Denkmal noch einmal zu überdenken ist.

Wenn wir über Orte nationalen Gedenkens wie das
Jüdische Museum in Berlin sprechen, geht es mir aber
auch um zwei, drei andere Dinge. Wenn wir hier schon die
Kosten übernehmen, dann sollten wir uns auch dafür
interessieren.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Also doch die Kosten übernehmen!)


– Ich war beim Jüdischen Museum.

(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Ach so!)

Ich bin jetzt beim inhaltlichen Aspekt. Ich bin der Mei-
nung, dass wir, wenn wir schon alles bezahlen, in diesem
Hause auch über die Inhalte sprechen dürfen, Herr Otto.

Die öffentliche Debatte über Konzeptionen ist gar
nicht so unwichtig. Als ich mir das Jüdische Museum
nach der Eröffnung angesehen habe, ist mir aufgefallen,
dass sich die Darstellung jüdischen Lebens in Berlin und
Deutschland – das ist ja der Anspruch der Ausstellung und
des gesamten Museums – in hohem Maße auf die Präsen-
tation der bekannten und bedeutenden deutschen Juden
konzentriert, abgesehen davon, dass Rosa Luxemburg
und Karl Marx nicht vorkommen.

Auffallend wenig, eigentlich fast gar nichts sieht man
von der großen Masse der so genannten ärmeren Juden,
die beispielsweise im Scheunenviertel hier in Berlin leb-
ten. Das finde ich bedauerlich, zumal so einer der interes-
santesten Aspekte jüdischen Lebens ausgespart bleibt,
übrigens auch einer der interessantesten Aspekte jüdi-
schen Lebens in dieser Stadt, nämlich die Begegnung von
Ost und West innerhalb der jüdischen Gemeinde, die ei-
nerseits in der Oranienburger Straße wieder stark wächst
und althergebracht in der Fasanenstraße ihren Sitz hat.
Auch das wäre eine spannende Debatte.


(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das jetzt mit der Topographie zu tun?)


Eine Beschäftigung hiermit wird meines Erachtens viel-
leicht aus Angst – ich weiß es nicht – davor, dass uns das
schaden könnte, vermieden. Ich fände es gut, wenn wir in
angemessener Form darüber debattieren könnten. Ohne

diesen Aspekt ist übrigens die Dimension des Kultur-
bruchs, die der Holocaust ja zweifellos für das gesamte jü-
dische Leben in Deutschland darstellt, nicht abzuschät-
zen. Bei einem Projekt von nationalgeschichtlicher
Dimension, wie eben dem Jüdischen Museum, würde ich
mir eine öffentlichere und vielleicht auch kritischere Dis-
kussion wünschen.

Ich würde mir auch wünschen, dass dasselbe Bewusst-
sein, das hier bei unseren Gesprächen über Gedenkstätten
von nationalgeschichtlichem Rang zum Ausdruck
kommt, auch bezüglich der Gedenkstätten zur Erinne-
rung an die zweite deutsche Diktatur vorherrschte. Un-
sere Fraktion hat ja noch einen weiteren Antrag, nämlich
über Berliner Gedenkstätten an die SED-Diktatur mit na-
tionalem Rang zu diskutieren, in den parlamentarischen
Prozess eingebracht. Ich hielte es jedenfalls für angemes-
sen, wenn wir bei Diskussionen über die Finanzierung
dieser Gedenkstätten zu ähnlich prinzipieller Überein-
stimmung kämen wie in Bezug auf die Bedeutung dieser
Orte. Natürlich wäre es auch angemessen, wenn diese Ge-
denkstätten so ausgestattet würden, dass sie ihre Arbeit
perspektivisch und verlässlich planen könnten. Dabei
denke ich nicht an die jährlichen Betriebskostenzuschüsse
– es sind wohl 24 Millionen DM –, die für das Jüdische
Museum gezahlt werden. Es geht um ganz andere Di-
mensionen, nämlich darum, dass auch die Arbeit dieser
Gedenkstätten finanziert werden kann.

Ich halte es jedenfalls für alarmierend, wenn, wie vor
einigen Tagen in einer Studie zu lesen war, immer selte-
ner DDR-Geschichte an deutschen Universitäten gelehrt
wird. Es gibt bereits Bundesländer, in denen dieses Ka-
pitel nationaler Geschichte überhaupt nicht mehr vor-
kommt. Umso mehr müssen wir uns in Bezug auf die
zweite deutsche Diktatur, die kommunistische Gewalt-
herrschaft, um unsere Nationalgeschichte kümmern. Da-
rüber ist im Zusammenhang mit dem anderen Antrag noch
ausführlicher zu reden.

Klar muss sein, dass Erinnerungskultur in Deutsch-
land nicht so aussehen darf, dass für die nationalsozialis-
tische Gewaltherrschaft der Bund zuständig ist und Geld
dabei eine untergeordnete Rolle spielt, dass sich um die
sozialistische und kommunistische Gewaltherrschaft aber
die Länder kümmern sollen, wenn sie dann überhaupt
wollen, und nicht einmal die nötigsten Geldmittel bereit-
gestellt werden.


(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch in sich widersprüchlich! Sie wollten doch beides trennen!)


Diese Gesamtkonzeption, Frau Vollmer, verfolgen wir je-
denfalls mit unserem Antrag nicht, auch wenn ich mich
manchmal des Eindrucks nicht erwehren kann, als ob die
Koalition und die Bundesregierung gerade diesen An-
schein erwecken wollen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421306900
Das Wort
hat jetzt der Staatsminister Julian Nida-Rümelin.




Günter Nooke

21131


(C)



(D)



(A)



(B)


D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421307000
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen
und Herren! Wir haben uns in der Einbringungsdebatte ja
schon relativ ausführlich über diese Thematik ausge-
tauscht. Deswegen möchte ich mich heute hier recht kurz
fassen und meine Rede auf wenige Bemerkungen be-
schränken.

Die erste Bemerkung ist die, dass wir, wie ich denke,
nicht das große Ausmaß von grundsätzlicher kulturpoliti-
scher Gemeinsamkeit, das nach meinem Eindruck in die-
sem Hause hinsichtlich des sensiblen Themas der Ge-
denkstättenarbeit und der Erinnerungskultur besteht,
verdecken sollten. Ich will versuchen, zwei Aspekte die-
ser Gemeinsamkeit zu skizzieren.

Der erste Aspekt – ich habe das bei der Eröffnung der
Holocaust-Ausstellung ausführlicher dargestellt – ist,
dass die Auseinandersetzungen mit dem düstersten Kapi-
tel der deutschen Geschichte ganz entgegen dem, was
noch Mitte der 90er-Jahre weithin erwartet wurde, insbe-
sondere in den Feuilletons der großen Tageszeitungen,
50 Jahre nach Kriegsende noch nicht zu einem Abschluss
gekommen sind. Im Gegenteil: Gerade in den vergange-
nen Jahren hat die Intensität dieser Auseinandersetzung
ganz wesentlich zugenommen und nach meinem Ein-
druck auch die Offenheit der jüngeren Generation, sich
damit auseinander zu setzen. Das ist erfreulich. Da kön-
nen wir uns ein gutes Zeugnis für die kulturelle Entwick-
lung in Deutschland ausstellen.

Jetzt geht es um die spezifische Frage der Verantwor-
tungsteilung. Ich bin der Auffassung, dass das Gedenk-
stättenkonzept, das ja ausführlich diskutiert wurde und
sehr wohl begründet ist, eine gemeinsame Verantwortung
von Kommunen, Ländern und Bund vorsieht, wobei der
Bund diejenigen Einrichtungen, die zweifellos von natio-
nalem Rang und nationaler Bedeutung sind, bis zur Hälfte
mit fördern kann. Ich persönlich bin der festen Überzeu-
gung, dass es ein Irrweg in der Debatte um die Systemati-
sierung der Kulturaufgaben von Bund und Ländern wäre,
wenn dieser Bereich ganz dem Bund zugeschrieben würde,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


weil damit die nahe an der Bevölkerung orientierte Arbeit
ins Hintertreffen geriete. Wir brauchen die Kommunen
und wir brauchen die Länder in der Verantwortung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Norbert Lammert [CDU/ CSU]: Das wäre plausibel, wenn es überall so gehandhabt würde!)


– Genau. Jetzt geht es um eine in meinen Augen pragma-
tisch zu lösende Frage, spezifisch in Berlin, weil es dort
zwei Einrichtungen gibt, die der Bund in seine alleinige
Verantwortung übernommen hat: ein großes internatio-
nales Museum, das Jüdische Museum für 2 000 Jahre
deutsch-jüdischer Geschichte, und das Mahnmal.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Und weil es andere nationale Gedenkstätten gibt, zum Beispiel aus der SED-Dikaturzeit!)


– Es gibt noch weitere. Es gibt zum Beispiel das Haus der
Wannsee-Konferenz, das man auch mit einbeziehen
kann.

Nun gebe ich zu, dass für beides Argumente sprechen.
Es sprechen Argumente dafür, diese Einrichtungen in ei-
ner Hand zu belassen, und es gibt Argumente dafür, die
Topographie des Terrors als eine Gedenkstätte in das
allgemeine Gedenkstättenkonzept zu übernehmen. Für
beides gibt es pragmatische Argumente. Falsch ist aller-
dings die Begründung, dass nur dann eine Kooperation
möglich ist, wenn der Bund diese Einrichtungen allein
trägt. Wenn das so wäre, könnten wir das ganze Gedenk-
stättenkonzept vergessen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Richtig!)


Das Konzept setzt ja auf die Kooperation von Kommu-
nen, Ländern und dem Bund.

Mein Plädoyer ist, dass wir die Verantwortung über-
nehmen, die der Bund durch Kulturpolitikerinnen und
Kulturpolitiker der Fraktionen, auch durch mich, sehr
deutlich formuliert hat, nämlich dass wir uns bei der Topo-
graphie des Terrors hälftig beteiligen, wenn die Kosten
nicht über ein bestimmtes Niveau hinausgehen. 76 Milli-
onen DM hatte ich abgestimmt, auch mit der Berliner
Seite, und als Obergrenze genannt. Dafür wurde ich viel
kritisiert. Es wurde gefragt: Warum muss man nun gerade
da einen finanzpolitischen Rigorismus exekutieren? Ich
bin der Meinung, es war gut und für die Debatte offenbar
auch hilfreich, dass klar war: Wir müssen uns irgendwann
über eine Obergrenze verständigen. Eine Prüfung durch
die Bundesbauverwaltung hat ergeben, dass das in diesem
Kostenrahmen geht.

Wenn im Jahr 2002 vonseiten des Bundes Mittel zur
Verfügung gestellt werden sollen, geht das nur außerplan-
mäßig. Dafür müssen wir natürlich auch noch bei den
Haushaltspolitikern werben. Ich denke, dass das Land
Berlin ebenfalls in seiner Verantwortung für diese Ein-
richtung bleibt. Das war die Basis der bisherigen Bera-
tungen. Deswegen plädiere ich dafür, bei dem zu bleiben
und insofern der Beschlussempfehlung des Kulturaus-
schusses zu folgen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421307100
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Dr. Antje Vollmer von Bündnis 90/
Die Grünen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421307200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn
ich an die Diskussion um das Mahnmal für die ermorde-
ten Juden Europas und insbesondere an die Rolle denke,
die der damalige CDU-Bürgermeister Diepgen dabei ge-
spielt hat, wundere ich mich darüber, dass sich die CDU






(C)



(D)



(A)



(B)


jetzt so vehement für die Beteiligung des Bundes am NS-
Dokumentationszentrum einsetzt.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Das ist nicht der einzige Grund unseres Antrags!)


Dazu hatten Sie ganz offensichtlich schon einmal eine an-
dere Haltung. Damals mussten wir dem Berliner Senat
seine Zustimmung mit aller Kraft abringen


(Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Aber wir waren hier, Frau Vollmer!)


und insbesondere immer wieder gegen Widerstand des
damaligen CDU-Bürgermeisters kämpfen.

Wir sind ganz Ihrer Meinung, dass der Bundestag an
der Fertigstellung aller drei Projekte, also des Jüdischen
Museums, das nun fertig ist, der Topographie des Terrors
und des Mahnmals für die ermordeten Juden Europas,
worüber es immer noch heftige Diskussionen im Stif-
tungsrat gibt, ein ganz besonders großes Interesse hat. Wir
sind auch daran interessiert, dass diese Projekte zügig und
kostengünstig vorangetrieben werden. Das ist alles in un-
serem Sinne.

Jetzt aber fordert die CDU, dass wir die beiden Pro-
jekte, die der Bund bereits fördert, um ein drittes erwei-
tern sollen, nämlich um die Topographie des Terrors.
Das heißt, dass wir allein die Kosten übernehmen sollen.

Sie verschweigen dabei, dass es gerade unser Verdienst
war und auch nicht geringe Mühe gekostet und nicht we-
niger Diskussionen mit dem Finanzminister insbesondere
mit Blick auf Sparhaushalte bedurft hat, um alle Gedenk-
stätten endlich mit der hälftigen Bundesfinanzierung auf
eine verlässliche finanzielle Basis bundesweit zu stellen.
Der Staatsminister hat schon gesagt, dass es für die hälf-
tige Finanzierung gute Gründe gibt. Da alle Verantwor-
tung tragen, wollen wir, dass sich die Länder und Kom-
munen in gleicher Weise wie der Bund beteiligen und für
ihre Erinnerungsstätten verantwortlich fühlen. Ohne diese
Beteiligung würden die Erinnerungsstätten faktisch und
psychologisch abgeschoben. Sie wären dann einzig Bun-
dessache.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die NS-Verbrechen waren aber nicht nur Staatsverbrechen,
sondern waren auch Verbrechen der ganzen Bevölkerung
und der Kommunen. Deshalb ist die hälftige Finanzierung
genau richtig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie verlangen nun von uns, dass wir innerhalb dieses
Konzepts, das wir durchgesetzt haben und das zu unseren
parlamentarischen Verdiensten gehört, einen System-
bruch vornehmen und die Topographie des Terrors, die
wie die anderen Erinnerungsstätten eine historische Erin-
nerungsstätte ist, herausnehmen.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss)

Welche Folge würde das haben? In den nächsten Sit-

zungen würden wir von Ihnen den Antrag bekommen,

auch alle anderen historischen Erinnerungsstätten, wie
etwa Buchenwald oder Bergen-Belsen, zu übernehmen,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP])


weil wir bereits an einer Stelle den Systembruch, auch his-
torische Erinnerungsstätten hälftig zu finanzieren, began-
gen hätten. Das war der Grund dafür, dass wir gesagt ha-
ben: Mit dem Holocaust-Mahnmal und dem Jüdischen
Museum ist es etwas anderes, weil es sich hierbei nicht
wie bei der Topographie des Terrors um historische Erin-
nerungsstätten handelt.

Natürlich besteht die Notwendigkeit zur konzeptionel-
len Zusammenarbeit, vor allem weil die Einrichtungen
alle räumlich benachbart sind. Dies bezieht sich aber auf
die Aufforderung, miteinander zu reden. Genau so ist es
gewesen. Herr Nachama war im Stiftungsrat.

Wenn ich mich recht erinnere, gab es damals genau
darüber Diskussionen, ob wir diese Vertreter der anderen
Institutionen mit hineinnehmen sollen. Auch damals ha-
ben wir gesagt: Sie gehören wegen der konzeptionellen
Nähe zusammen; aber auf der finanziellen Seite und we-
gen der Notwendigkeit, die Länder und Kommunen an der
Finanzierung zu beteiligen, muss man das trennen.

Bei diesem guten Grundsatz sollten wir bleiben. Wir
sollten auch weiterhin sagen: Es war eines der Gütezei-
chen dieser Legislaturperiode – denken Sie auch an die
Zwangsarbeiterregelung –, dass diese Regierung mit ei-
nem unglaublichen Schwergewicht gerade diese Erinne-
rungsarbeit geleistet hat und sie auch in der Zukunft ret-
ten und absichern will.

Ihr Antrag, in dem Sie das leere Versprechen abgeben,
dass Sie noch viel mehr tun würden, tut nichts zur Sache.
Wir werden so weitermachen und dies auch für die Zu-
kunft absichern. Das ist außerordentlich wichtig. Es ist ein
Stück der Identität dieses Landes. Dies gilt ebenso für das
Versprechen, dass es immer Teil unserer Identität bleiben
wird.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421307300
Für die Fraktion der
FDP spricht jetzt der Kollege Hans-Joachim Otto.


Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1421307400
Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Auch wir Li-
beralen befürworten natürlich die zügige Fertigstellung
des Projektes Topographie des Terrors auf dem Prinz-
Albrecht-Gelände. Auch wir hätten uns eine mit dem
Land Berlin abgestimmte Gesamtkonzeption der drei an
einer Perlenschnur aufgereihten Gedenkstätten ge-
wünscht.

Sehr geehrter Kollege Nooke, dennoch können wir
Ihrem Antrag nicht zustimmen, weil wir ihn spätestens
seit der Unterzeichnung des Hauptstadtkulturvertrages




Dr. Antje Vollmer

21133


(C)



(D)



(A)



(B)


für überholt und seit dem 20. Dezember vergangenen Jah-
res sogar für kontraproduktiv halten.


(Beifall der Abg. Cornelia Pieper [FDP] – Günter Nooke [CDU/CSU]: Halten Sie denn die Begründung der Beschlussempfehlung für ausreichend?)


– Dazu komme ich jetzt.
Erstens. Ihr Antrag ist deshalb überholt, weil er, auch

wenn Sie, Herr Nooke, das eben bestritten haben,

(Günter Nooke [CDU/CSU]: „Nicht nur“, habe ich gesagt!)

erklärtermaßen – ich erinnere mich noch an die Worte von
Herrn Dr. Lammert bei der Einbringung des Antrages; ich
habe sie nachgelesen – darauf abzielte, im damals noch
nicht unterzeichneten Hauptstadtkulturvertrag die Berli-
ner Festspiele durch die Topographie des Terrors zu erset-
zen bzw. dort jedenfalls eine neue Regelung vorzusehen.
Dafür hätte es übrigens gute Gründe gegeben; darin sind
wir uns einig.

Zwischenzeitlich sind die Dinge aber darüber hinweg-
gegangen. Der Hauptstadtkulturvertrag wurde inzwischen
unterzeichnet. Man darf darauf hinweisen, dass dies auf
Berliner Seite auch durch die CDU erfolgt ist.

In diesem Hauptstadtkulturvertrag ist die Topographie
des Terrors ausdrücklich nicht in die alleinige Träger-
schaft des Bundes übernommen worden. Ich erwarte vom
Berliner Senat, dass er jetzt endlich einmal wenigstens
eine Vereinbarung zur Kulturfinanzierung einhält und
nicht schon wieder nach dem Bund ruft,


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


der sich ohnehin, wie wir wissen, schon mit 50 Prozent an
den Kosten der Topographie des Terrors beteiligt.


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Oh je! Nun übertreiben Sie aber etwas!)


– Lieber Herr Barthel, der Berliner kommt anschließend.
Zweitens. Seit dem 20. Dezember 2001 ist Ihr Antrag,

Herr Nooke, aber nicht nur überholt, sondern nach unserer
Auffassung sogar kontraproduktiv. An diesem Tage haben
nämlich die Ministerpräsidenten der Länder den Ausstieg
aus der Finanzierung der Stiftung Preußischer Kultur-
besitz angekündigt. Wir dürfen es jetzt nicht auch noch ho-
norieren, dass sich die Ministerpräsidenten ihrer Mitver-
antwortung für das Erbe Preußens entziehen wollen;


(Beifall der Abg. Cornelia Pieper [FDP], des Abg. Horst Kubatschka [SPD] und der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


denn das, meine Damen und Herren, geht nicht zusammen.
Es geht nicht, für sich die Kulturhoheit zu beanspruchen
und gleichzeitig vom Bund das Geld zu verlangen.

Herr Minister Nida-Rümelin, wir brauchen die gerade
vor zwei Tagen beschworene Systematisierung der Kul-
tur- und Gedenkstättenförderung. Zur Vorbereitung der
jetzt anstehenden Gespräche mit den Ländern schlage ich

die Bildung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe des Bun-
destages und der Bundesregierung vor, die umgehend eine
möglichst fraktionsübergreifende Beratungsgrundlage für
diese Gespräche erarbeiten soll.

Bis dahin darf die Verhandlungsposition des Bundes
nicht durch weitere einseitige Finanzierungszusagen ge-
schwächt werden, zumal der Bund schon jetzt, wie
Michael Naumann sagte, schlappe 500 Millionen DM,
also praktisch die Hälfte seiner gesamten Kulturförder-
mittel, allein in die Bundeshauptstadt fließen lässt. Ganz
im Sinne des Föderalismus erwarten wir von allen Bun-
desländern, also auch, lieber Herr Barthel, von Berlin,
dass sie ihre Verantwortung für die Kulturförderung stär-
ker wahrnehmen.


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Das ist doch eine Milchmädchenrechnung!)


Hierzu gehört eben auch die Verantwortung für die Fer-
tigstellung der Topographie des Terrors.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421307500
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Dr. Heinrich Fink.


Dr. Heinrich Fink (PDS):
Rede ID: ID1421307600
Sehr verehrte Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesen Tagen
gedenken wir erneut der Opfer des Nationalsozialismus.
Damit wird dieses Thema wahrscheinlich unmittelbar in
Verbindung gebracht und deshalb ist es auf die Tagesord-
nung gesetzt worden.

Nicht selten hatten wir in der Vergangenheit diesbe-
züglich einen beschämenden Widerspruch zu beklagen:
Wir hörten hier – dem Anlass gemäß – würdige Gedenk-
reden; gleichzeitig leisteten die Regierenden dieser Stadt
ein makabres Verzögerungs- und Verweigerungsritual ge-
genüber den heute in Rede stehenden Gedenkstätten. Hier
muss ich Frau Vollmer wirklich Recht geben.

Aber seit der ersten Lesung dieses Antrages genau
heute vor einem Jahr hat sich manches zum Positiven ent-
wickelt. Das Jüdische Museum ist inzwischen eröffnet,
der Bau des Denkmals für die ermordeten Juden Europas
vollzogen. Endlich scheint auch die Dokumentations-
stätte Topographie des Terrors auf gutem Wege zu sein.

Die Topographie des Terrors ist für mich eine Gedenk-
stätte sui generis. Sie ist auch durch den einmaligen poli-
tischen Hintergrund und vor allen Dingen durch die Ar-
chitektur, man kann auch sagen, durch das Kunstwerk von
Zumthor gegenüber allen anderen Gedenkstätten heraus-
gehoben. Von daher ist es sehr gut, dass der Baustopp in
dieser Woche aufgehoben wurde. Zwar steht die formale
Zustimmung des Berliner Abgeordnetenhauses noch aus,
doch sind politische Ungereimtheiten in Sachen antifa-
schistischer Gedenkstätten von Berlin eigentlich nicht
mehr zu erwarten.

Zu vielen der diesbezüglichen Streitereien um Finanzen
und Konzeptionen hätte es nicht kommen dürfen und wäre




Hans-Joachim Otto (Frankfurt)

21134


(C)



(D)



(A)



(B)


es auch gar nicht gekommen, wenn die drei Gedenkstätten
– hier begrüße ich namens meiner Fraktion die Intention
der Antragsteller – von Anfang an als Trias, als Dreierein-
heit betrachtet worden wären: sowohl räumlich als auch
gedanklich. Folglich wären sie dann einheitlich vom Bund
konzipiert, errichtet und auch finanziert worden.

Die Antragsteller sagen sinngemäß: Es gibt keinen
überzeugenden Grund, dass der Bund einerseits Errich-
tung und künftigen Unterhalt von Mahnmal und Jüdi-
schem Museum sichert, dies aber andererseits für die To-
pographie des Terrors offen lässt. Dieser Logik folge ich
und vermute, dass sich ihr auch die Vertreter der Regie-
rungskoalition kaum verschließen können. Selbst wenn
jetzt und hier eine Mehrheit der ablehnenden Beschluss-
empfehlung folgt, weil die Regierungsseite, obwohl es
nach der Gedenkstättenkonzeption nicht logisch ist,
meint, einen Oppositionsantrag aus Prinzip ablehnen zu
müssen, so habe ich weder SPD noch Grüne als erklärte
oder unerklärte Gegner dieser Berliner Gedenkstätten
wahrzunehmen. Ganz im Gegenteil: Ich hoffe und er-
warte, dass Wege gefunden werden, die Zukunft dieser
drei Gedenkstätten zu sichern.

Es geht bei dem Mahnmal um die ermordeten Juden in
Europa, beim Jüdischen Museum und der Topographie
des Terrors um Erinnerung, Mahnung und Gedenken.
Diese drei Topoi mitten in Berlin, auch in geographischer
Richtung zusammengefasst, Topoi einer Weitergabe der
Geschichte an die nachfolgende Generation sollten wir
von diesem Parlament aus auch ökonomisch sichern.


(Hans-Joachim Otto [Frankfur] [FDP]: Neue Koalition: mit der PDS!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421307700
Letzter Redner in die-
ser Debatte ist der Kollege Eckhardt Barthel für die SPD-
Fraktion.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Herr Barthel, erklären Sie, warum es mit einem PDS-Kultursenator besser geht!)



Eckhardt Barthel (SPD):
Rede ID: ID1421307800
Meine Damen und
Herren! Herr Nooke, ich habe mir immer vorgenommen,
nur zum Thema der Tagesordnung zu reden. Ich werde in
diesem Zusammenhang nicht wie Sie über die Konzep-
tion des Jüdischen Museums und darüber, was mir daran
gefällt oder nicht gefällt, reden.


(Zustimmung bei der SPD)

Was ist der Kern unseres Themas? Das lässt sich auf

eine wichtige Frage reduzieren: Soll die Topographie des
Terrors vom Bund – –


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Übernommen werden: ja oder nein?)


– Ich bedanke mich. Genau das ist der Punkt. Insofern
passt vieles, was hier bereits besprochen wurde, nicht zum
Thema.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Nein, über die Gesamtkonzeption kann man reden!)


Aber jeder redet so, wie er kann.

Weil das nun wirklich ein ernstes Thema ist, mit dem
wir uns schon intensiv befasst haben, ist es durchaus
wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen, dass es in die-
sem Haus über die Bewertung der Bedeutung aller drei
Stätten absolut keine Differenzen gibt. Es scheint mir
wichtig zu sein, dass wir hier keine Hierarchie der einzel-
nen Stätten aufbauen, sondern dass wir die Bedeutung
aller Institutionen, Museen und auch der Gedenkstätten
sehen. Man darf nicht sagen: Das eine ist wichtiger als das
andere.


(Beifall des Abg. Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP])


Jetzt sage ich noch einmal: Gerade die Topographie des
Terrors hat in der Tat insofern eine Eigenart, als es hier um
den Ort der Täter geht. Ich glaube, das unterstreicht schon
die Bedeutung und unsere Verpflichtung, sie zu gestalten.

Bei der Forderung der Einbeziehung der Topographie
des Terrors in die Bundesfinanzierung erfolgt häufig der
Hinweis, dass sie in der räumlichen Nähe der beiden an-
deren Stätten liegt. Diese räumliche Nähe ist nicht zu be-
streiten. Ich würde das übrigens sogar noch ergänzen. Es
ist nicht nur die räumliche Nähe der drei Institutionen,


(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, es gibt noch mehr!)


sondern zum Beispiel auch die Nähe des Mahnmals zum
Bereich der Politik, dieses Parlaments, oder die Nähe der
Topographie des Terrors zum Potsdamer Platz als dem Ort
des Kommerzes. Ich halte auch dieses Beziehungsge-
flecht zu anderen Orten durchaus für wichtig.

Die Gleichwertigkeit ist bereits dargestellt worden.
Zwingt diese aber auch zur gleichartigen Finanzierung?
Ich möchte auch daran erinnern, dass es nur deshalb zur
Übernahme des Mahnmals für die ermordeten Juden Eu-
ropas durch den Bund gekommen ist, weil eine andere Fi-
nanzierung der Errichtung nicht möglich war. Wenn wir
ehrlich sind, haben wir es dadurch bekommen. Insofern
hat es auch hier ursprünglich einen anderen Vorlauf gege-
ben.

Es ist vielleicht müßig, noch einmal an das zu erinnern,
was bereits gesagt wurde, nämlich dass es in der Tat hier-
bei Systemunterschiede gibt. Wir haben eine Gedenkstät-
tenkonzeption, die akzeptiert wird und viel Unterstützung
gefunden hat. Das ist auch ein Ergebnis unserer Arbeit in
dieser Legislaturperiode. Das möchte ich nicht vergessen
wissen. Dies haben wir geschafft.

Warum – das frage ich ganz simpel – sollen wir zwar
die Topographie des Terrors aus dieser Konzeption he-
rausnehmen, aber beispielsweise – um nur in Berlin zu
bleiben – die Wannsee-Villa darin belassen? Dies müsste
mir einmal jemand erklären. Das kann nicht allein mit
dem Argument der Perlenschnur oder der räumlichen
Nähe erklärt werden, sondern es muss inhaltlich begrün-
det werden. Dann würde das Ergebnis erzielt, das Herr
Otto – für meine Begriffe nicht sehr fein – immer wieder
darstellt: Alles geht wieder nach Berlin.

Wenn man eine Unterstützung des Landes Berlin durch
die Übernahme durch den Bund erreichen möchte,
möchte ich mich an dieser Diskussion nicht beteiligen.




Dr. Heinrich Fink

21135


(C)



(D)



(A)



(B)


Dass ich sie möchte, ist klar, aber ich möchte gern, dass
sie systematisch und nachvollziehbar ist, weil sie sonst
keine Unterstützung findet. Dies wäre der falsche Ansatz,
weil wir dann aus der Systematik herausfallen würden,
unabhängig von der bereits erwähnten Frage, was ein au-
thentischer Ort ist. Bei den beiden anderen handelt es sich
nicht um authentische Orte, aber die Topographie des Ter-
rors ist ebenso wie die Wannsee-Villa ein authentischer
Ort.

Es gibt noch mehrere Bereiche. In der Frage, was mit
der zweiten Diktatur ist, gebe ich Ihnen Recht, Herr
Nooke. Dies ist richtig. Deshalb werden wir den vorlie-
genden Antrag ablehnen, wie wir es schon in der ersten
Begründung dazu angekündigt haben.

Lassen Sie mich zum Schluss noch eine Bemerkung
zur Finanzierung der Topographie des Terrors machen.
Ich möchte mich lobend dazu äußern, dass der Staatsmi-
nister für Kultur in den Verhandlungen mit Berlin eine
Regelung gefunden hat, nach der sich der Bund zwar mit
der Hälfte der Kosten beteiligt, aber nur, wenn die getrof-
fenen Vereinbarungen auch eingehalten werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich halte diese Regelung für gut. Die in dem Antrag for-
mulierten Befürchtungen, die Kosten würden sich nach
oben entwickeln,


(Zuruf der Abg. Antje Vollmer [BÜNDNISNIS 90/DIE GRÜNEN])


diese auch von Ihnen, Herr Lammert, formulierte Besorg-
nis, hat Ihnen Herr Nida-Rümelin sicherlich genommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421307900
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf
Drucksache 14/7451 zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Jüdisches Museum, Topogra-
phie des Terrors, Mahnmal für die ermordeten Juden Eu-
ropas“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck-
sache 14/4249 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen
der Fraktionen der CDU/CSU und der PDS angenommen.

Ich rufe die Zusatzpunkte 9 und 10 auf:
ZP 9 Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-

regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
für die Erhaltung, die Modernisierung und den Aus-

(Kraft-WärmeKopplungsgesetz)

– Drucksachen 14/7024, 14/7086 –

(Erste Beratung 193. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)


– Drucksache 14/8059 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Volker Jung (Düsseldorf)


ZP 10 Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Eva Bulling-Schröter, Rolf Kutzmutz,
Ursula Lötzer, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Sicherung und zum Ausbau der ge-

(KWKGesetz)

– Drucksache 14/2693 –

(Erste Beratung 91. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)

– Drucksache 14/8048 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Walter Hirche

Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Än-
derungsantrag der Fraktion der PDS vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Der erste Redner ist der Kollege Volker Jung für die
Fraktion der SDP.


Volker Jung (SPD):
Rede ID: ID1421308000
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Ge-
setzentwurf lösen wir eine der wichtigsten energiepoliti-
schen Zusagen der rot-grünen Regierungskoalition ein,
im Rahmen unseres Klimaschutzprogramms durch Erhal-
tung, Modernisierung und Ausbau der Kraft-Wärme-
Kopplung einen wesentlichen Beitrag zur CO2-Reduzie-rung zu leisten.


(Zurufe von der SPD: Lauter! – Horst Kubatschka [SPD]: Jetzt schrei einmal richtig!)


– Das muss an der Technik liegen. Vielleicht lässt sich das
etwas nachsteuern.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421308100
Einen kleinen Mo-
ment, liege Kolleginnen und Kollegen! Dieses Problem
ist schon gestern aufgetaucht. An seiner Lösung wird ge-
arbeitet. Aber im Moment kann man nichts machen, denn
die Anlage ist schon auf Maximum eingestellt. Es tut mir
Leid. Die Kolleginnen und Kollegen sollten sich deshalb
so gut wie möglich disziplinieren und die Rednerinnen
und Redner sollten so laut wie möglich reden.


Volker Jung (SPD):
Rede ID: ID1421308200
Schönen Dank,
Frau Präsidentin.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf flankieren wir
die Selbstverpflichtung der deutschen Industrie, insbe-
sondere der Elektrizitätswirtschaft, in der sie sich auf den
Zubau von den KWK-Anlagen festgelegt hat, die sich
auch unter den derzeitigen Marktbedingungen rechnen.




Eckhardt Barthel (Berlin)

21136


(C)



(D)



(A)



(B)


Das sind die Anlagen, die rund um die Uhr Strom und
Wärme erzeugen. Im Konsens und mit Unterstützung des
Gesetzgebers sollen allerdings die KWK-Anlagen, die
unter den gegebenen Marktbedingungen nicht wirtschaft-
lich arbeiten können, in ihrem Bestand geschützt und mo-
dernisiert werden. Das sind vor allen Dingen die Anlagen,
die in der Fernwärmeversorgung eingesetzt werden.

Über Sinn und Bedeutung des Klimaschutzes gibt es
zwischen der Wirtschaft und der Politik keinen Zweifel.
Einen solchen kann es nach den jüngsten Dokumenten der
Energie-Enquete des Bundestages und des Nachhaltig-
keitsrates der Bundesregierung auch nicht mehr geben.
Wir wollen unter den veränderten Bedingungen der Libe-
ralisierung des Energieversorgungsmarktes die Fort-
schritte im Klimaschutz mit Investitionsimpulsen für
Wachstum und Beschäftigung in unserem Land verbin-
den. Nicht Substanzverzehr durch Preiskämpfe und Kon-
zentrationswellen, sondern technische Innovation und
Modernisierung sind unsere Devise.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb setzen wir klare Investitionssignale für einen mo-
dernen Kraftwerkspark, für eine dezentrale Energieerzeu-
gung sowie für heimische Wertschöpfung und Beschäfti-
gung. Dieser Markteingriff hat sich als notwendig
erwiesen, weil der Wettbewerb auf dem Strommarkt, ins-
besondere der starke Preisverfall, kontraproduktive Er-
gebnisse für den Klimaschutz zeitigt: Billiger Strom
zwingt dazu, KWK-Anlagen stillzulegen und den Wär-
mebedarf von Haushalten und Industrie durch zusätzliche
Verbrennungsprozesse zu decken.

Strom kann uns nach der Liberalisierung allerdings
auch teuer zu stehen kommen. Dass die Preise nämlich
auch kräftig steigen können, zeigten die jüngsten Aus-
schläge an der Leipziger Strombörse, wo die Presse im
Dezember des vergangenen Jahres in der Spitze fast
1 000 Euro pro Megawattstunde betrugen. Das ist das
Zwanzigfache des normalen Preises. Ähnlich wie bei dem
unseligen kalifornischen Beispiel werden die Ursachen
dafür im spekulativen Marktgebaren großer Stromanbie-
ter gesehen. Wir werden uns diesen Vorgang noch sehr ge-
nau ansehen müssen.

Mittlerweile sind auch auf der Großhandelsstufe die
Strompreise wieder gestiegen. Das ist ein eindeutiges Si-
gnal für Knappheit. Die großen Energieversorger fahren
ihre Kapazitäten zurück. Mittel- und langfristig sollen
höhere Preise im Markt durchgesetzt werden. Investitio-
nen Dritter werden dabei leicht als störend empfunden.
Wenn wir dieser Entwicklung tatenlos zusehen würden,
dann wären auch bei uns kalifornische Verhältnisse nicht
mehr ganz auszuschließen; denn dort gab es keine An-
reize, sondern nur Hindernisse für Neuinvestitionen. Die
Substanz wurde verzehrt und nicht gemehrt. So weit dür-
fen wir es bei uns nicht kommen lassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Walter Hirche [FDP]: Dann müssen Sie eine echte Liberalisierung machen!)


Wir haben aber den Markteingriff auf das unverzicht-
bare Maß reduziert. In einem langen und mühevollen Pro-

zess sind die wichtigsten Parameter dieses Eingriffs zwi-
schen Energiewirtschaft und Politik vereinbart worden.
Dass am Ende einige Wünsche offen geblieben sind – das
gilt im Übrigen für beide Seiten –, kann bei solchen Pro-
zessen nicht überraschen. Es liegt in der Natur von Kom-
promissen, dass zugunsten des gemeinsam Erreichbaren
Zugeständnisse gemacht werden müssen. Es liegt in der
Natur von Gesetzen, dass sie das gemeinsam Erreichbare
festhalten und im Interesse der Allgemeinheit regeln.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Zu dem Gesetzentwurf selbst haben wir nach der Stel-

lungnahme des Bundesrates und vor allem nach der Sach-
verständigenanhörung des Wirtschaftsausschusses eine
Reihe von Änderungsvorschlägen gemacht, die das Ge-
setz praxistauglich und wirksamer machen sollen. Zu den
wesentlichen Punkten gehören: die Aufnahme der CO2-Minderungsziele von 10 Millionen Tonnen bis zum Jahre
2005 und von mindestens 20 Millionen Tonnen bis zum
Jahre 2010 sowie das Vorziehen der Zwischenüberprü-
fung auf das Jahr 2004, um rechtzeitig zum Stichtag 2005
die Wirksamkeit des Gesetzes überprüfen und gegebe-
nenfalls die erforderlichen Maßnahmen für eine zusätzli-
che Förderung der KWK ergreifen zu können, damit das
Minderungsziel im Jahre 2010 erreicht werden kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Weitere Punkte sind: die Anhebung der Fördersätze
für modernisierte Anlagen – das ist der eigentliche Kern-
punkt der Änderungsvorschläge – im Zeitkorridor bis 2010,
um bei den langen Vorlaufzeiten von drei bis vier Jahren
auch tatsächlich das notwendige Investitionsvolumen zu
mobilisieren, sowie eine Verbesserung der Förderung klei-
ner KWK-Anlagen, die bereits heute die Energieeffizienz
von Brennstoffzellenanlagen übertreffen. Daneben muss
es eine Präzisierung der Kostenwälzung geben, mit der
wir sicherstellen, dass sowohl die Privathaushalte als auch
die stromintensiven Industriekunden, die in einem inter-
nationalen Standortwettbewerb stehen, nicht über Gebühr
belastet werden. In diesem Zusammenhang haben wir auch
die besondere Situation des schienengebundenen Verkehrs
berücksichtigt, da wir diesen umweltfreundlichen Verkehrs-
träger unterstützen und nicht belasten wollen.

Insgesamt möchte ich feststellen: Der Gesetzgeber hat
seine Hausaufgaben gemacht. Jetzt erwarten wir, dass die
Wirtschaft ihren Teil der Vereinbarung einlöst. Sie ist auf-
gefordert, die Vereinbarung nun endgültig zu unterzeich-
nen und umzusetzen, was sie der Bundesregierung fest zu-
gesagt hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Spätestens zur gesetzlich fixierten Zwischenüberprü-
fung im Jahr 2004 wird Kassensturz gemacht. Dann wird
sich zeigen, was diese neuartige Kombination aus Selbst-
verpflichtung und gesetzlicher Förderung wert ist.

Ich möchte diese Gelegenheit auch dazu nutzen, darauf
hinzuweisen, dass dieses KWK-Gesetz in einer guten und
langen Tradition der deutschen Energiepolitik steht. Es
waren die von uns geführten Bundesregierungen, die aus




Volker Jung (Düsseldorf)


21137


(C)



(D)



(A)



(B)


den beiden Ölpreiskrisen in den 70er-Jahren die richtige
Schlussfolgerung gezogen haben, dass Versorgungs-
sicherheit und Verbraucherschutzweder den internatio-
nalen Erdölkartellen noch den multinationalen Konzernen
überlassen werden dürfen.

Wir haben damals große Anstrengungen zur Verbes-
serung der Energieeffizienz unternommen, zu denen
insbesondere auch der Fernwärmeausbau und die Kraft-
Wärme-Kopplung zählten. Bundes- und Landesprogram-
me wurden aufgelegt und Fernwärmevorranggebiete aus-
gewiesen. Das sind die Grundlagen und Traditionen der
Kraft-Wärme-Kopplung in der öffentlichen Versorgung.
Hier haben Politik und kommunale Wirtschaft gemeinsam
einen ganz erheblichen Beitrag zur Versorgungssicherheit
und zum Umweltschutz geleistet.

Auch angesichts der stürmischen Übernahmen und Fu-
sionen auf dem deutschen Energiemarkt gilt es, die ord-
nungs- und industriepolitische Balance zu halten. Es ist
sicher nicht falsch – wie gesagt worden ist –, dass auf den
internationalen Energiemärkten auch deutsche Unterneh-
men als Global Player auftreten sollen. Die Alternative
hierzu wäre das Modell von Energie Baden-Württemberg,
nämlich der Ausverkauf an ausländische Staatsmonopole –
in diesem Fall an die Electricité de France.

Dabei sollte aber auch nicht aus den Augen verloren
werden, dass unsere mittelständischen und pluralistischen
Versorgungsstrukturen einen eigenen Wert besitzen, der
sich nicht in Börsenkursen ausdrücken lässt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dieser Wert liegt in ihrem Beitrag zu einem funktionie-
renden Wettbewerb. Denn Wettbewerb setzt Wettbewer-
ber auch auf der Erzeugungsstufe voraus, die mehr anzu-
bieten haben als den Weiterverkauf des bezogenen
Stroms. Die jüngsten Preisbewegungen sind ein schla-
gender Beweis dafür.

Schließlich setzt ein funktionierender Markt bei Strom
und Gas stabile Leitungsnetze voraus, die bei uns noch
nicht in Mitleidenschaft gezogen sind. Netze müssen bis
in den letzten Winkel der Republik die gleichen Qua-
litätsstandards und technischen Ansprüche erfüllen. An-
bieter und Kunden müssen gleichermaßen zu transparen-
ten Bedingungen und fairen Preisen bedient werden,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


jedenfalls dann, wenn unter Wettbewerb mehr verstanden
werden soll als nur der Preiskampf um lukrative Sonder-
vertragskunden in Ballungsgebieten, vor allem dann,
wenn die nach wie vor geltende Versorgungsgarantie für
Tarifkunden nicht unter die Räder kommen soll.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich halte die Frage, ob der viel bemühte Shareholder-
value das alleinige oder zentrale Kriterium in unserer
Energieversorgung werden soll, deshalb für in höchstem
Maße erörterungsbedürftig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist nicht mehr zu übersehen, dass die Investitionen in
die Netze seit der Liberalisierung bedenklich abnehmen
und die Erzeugungskapazitäten erheblich zurückgefahren
werden. Der Shareholdervalue wird mit empfindlichen
Einbußen nicht nur bei der Beschäftigung, sondern auch
bei der Substanz der Anlagen und der Versorgungssicher-
heit erkauft.


(Beifall bei der SPD)

Ich frage mich, ob in der Energiewirtschaft Konzerne

das Leitbild sein sollen, denen bei Konjunkturschwierig-
keiten selten mehr einfällt als Massenentlassungen und
deren internationale Steuerplanung dazu führt, dass zwar
munter Dividenden, jedoch nur spärlich Steuern fließen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bin deshalb davon überzeugt: Dieses Gesetz ist ein
Stück aktiver Standort- und Energiestrukturpolitik für
eine effiziente, verbrauchernahe und umweltverträgliche
Energieversorgung. Das sind die wichtigsten Elemente
unserer Energiepolitik und dafür werden wir uns weiter
einsetzen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421308300
Das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion hat der Herr Kollege Hartmut
Schauerte.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1421308400
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir sind am
Endpunkt einer unglaublich hektischen, unglaublich
schlecht koordinierten und verzettelten Beratung ange-
kommen.


(Lachen bei der SPD – Horst Kubatschka [SPD]: Das haben Sie bei der CDU/CSU als Redebaustein! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Reden Sie jetzt über Ihre internen Prozesse oder worüber?)


Vielleicht ist es gerade deswegen wichtig, auch vonseiten
der CDU/CSU noch einmal einige Grundsätze deutlich zu
machen, bevor wir in die Bewertung einsteigen.

Wir sind uneingeschränkt für eine effiziente, intelli-
gente und wirkungsvolle CO2-Reduzierung; schließ-lich haben wir an den Entscheidungen auch auf interna-
tionaler Ebene von Anfang an maßgeblichen Anteil
gehabt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir sind der Meinung, dass Kraft-Wärme-Kopplung ein
vernünftiger Beitrag dazu sein kann. Wissenschaftlich
kann man sich lediglich noch darüber unterhalten, wie
viel drin ist; sie ist aber ein wichtiger Beitrag. Das muss
wärmegeführt sein und dann ist das sinnvoll. Wir haben
nur den Eindruck, dass dieses Gesetz die Chancen, die
darin liegen, nicht nutzt und das, was betrieben wird, er-
heblich verteuert, was die Effizienz verringert.




Volker Jung (Düsseldorf)

21138


(C)



(D)



(A)



(B)


Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu dem damit
ja dann hoffentlich beerdigten unglücklichen Vorschalt-
gesetz machen. Ein so unglückliches Gesetz


(Monika Ganseforth [SPD]: Aber wirkungsvoll!)


haben wir im Deutschen Bundestag wohl lange nicht
mehr gehabt. Es wird höchste Zeit, dass es beseitigt wird.
Es war von Anfang an verfassungswidrig. Es war nicht
zielführend. Es war eine Vergeudung von Steuermitteln.


(Walter Hirche [FDP]: Aber eine gelungene Abzockerei!)


– Aber eine gelungene Abzockerei. – Wir stellen jetzt fest,
dass 55 Prozent der Milliarden, die ausgegeben worden
sind, an drei große kommunale Unternehmen gegangen
sind. Allein die BEWAG hat 255 Millionen bekommen.
Eine Lizenz zum Gelddrucken!


(Monika Ganseforth [SPD]: Wer hat Ihnen das aufgeschrieben? Viele Stadtwerke haben davon profitiert!)


Das Geld ist ausgegeben worden, ohne dass etwas Ver-
nünftiges damit gemacht worden ist.


(Widerspruch bei der SPD)

Das war ein erbarmungsloser Griff in die Taschen der
Steuerzahler zugunsten einiger weniger, die unter dem be-
sonderen Schutz der sozialdemokratischen Stadtwerke-
fraktion gestanden haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Genau da ist das gelandet.

(Monika Ganseforth [SPD]: Natürlich ist es bei den Stadtwerken gelandet! Da sollte es auch hin! Das war der Sinn der Sache!)


Eigentlich ist das, was Sie mit dem Gesetz gemacht ha-
ben, schadenersatzpflichtig.

Bei dieser Art von Gesetzgebung müssen wir Sie fra-
gen, wie weit Sie die Klientelpolitik noch treiben wollen.


(Walter Hirche [FDP]: So ist es!)

Der Gesetzgeber erklärt, es gebe ein Problem, um das sich
andere kümmern sollten, er selber habe keine Meinung.
Ist das Gesetz dann verabschiedet, wird der Minister sa-
gen, dass er von dem ganzen Thema nie etwas gehalten
habe; er sei schon mit dem Vorschaltgesetz nicht einver-
standen gewesen und sei auch mit diesem Gesetz nicht zu-
frieden. Da aber das Parlament die Rechtsvorschriften mit
Dritten auskungele, solle es auch zusehen, was daraus
wird. Am Ende wird jeder die Vaterschaft für dieses Ge-
setz ablehnen, wenn es in der Wirklichkeit gescheitert sein
wird.


(Zuruf der Abg. Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Auch die Mutterschaft wird dann abgelehnt werden,
Frau Hustedt.

Diese eigenartige Form der Gesetzgebung ist aber nor-
mal, wenn man alle Ziele gleichzeitig verfolgen will: Man
will CO2 einsparen, man will die Technologie fördern,man will die Arbeitsplätze schützen. Aber da geht es
schon los: welche Arbeitsplätze? Die in den neuen Tech-
nologien, die in den alten Strukturen oder diejenigen, die
entstehen könnten, wenn unsere Energiepolitik für güns-
tige Energiekosten in Deutschland sorgte? Bei dieser In-
teressenverflechtung streitet der eine Arbeitsplatz gegen
den anderen. Dasselbe gilt für die Besitzstandswahrung:
Welche Besitzstände wollen Sie wahren, die der Anbieter
der alten Technologien oder die der Anbieter neuer Tech-
nologien?


(Monika Ganseforth [SPD]: Sie machen sich das aber sehr einfach!)


– Nein, nein.

(Walter Hirche [FDP]: Warum hat denn der Minister das Vorschaltgesetz „Pennerprämie“ genannt?)


– Das ist ein schöner Begriff. Der Wirtschaftsminister hat
das Vorschaltgesetz „Pennerprämie“ genannt.


(Monika Ganseforth [SPD]: Das Niveau wird immer besser! – Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das sind doch keine Argumente mehr!)


– Das ist die Beschreibung des Ergebnisses Ihrer Politik.
Das tut weh, Frau Hustedt.


(Beifall des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU] und des Abg. Walter Hirche [FDP] – Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut, dass wir den Wirtschaftsminister haben, sonst hätten Sie ja keine Argumente!)


Es kam uns teuer zu stehen und ist vor allem nicht ziel-
führend gewesen.

Wir haben festzustellen, dass wir in der Energiepolitik
mittlerweile an Grenzen stoßen, wenn es um die Frage
geht, wie sehr sich die Energiepreise steuerlich noch er-
höhen lassen. Der Staat ist beim Benzin mit 70 Prozent da-
bei,


(Monika Ganseforth [SPD]: Sie haben das nicht begriffen!)


beim Strom mit 40 Prozent. Ich erkläre hier, dass die per-
manente Verteuerung von Energie in Deutschland zu
schwerem Schaden bei Beschäftigung und Wachstum
führt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir können Sie nur auffordern, diesen Weg nicht weiter
zu beschreiten; denn damit belasten Sie die deutsche Pro-
duktion und den deutschen Export und begünstigen den
internationalen Wettbewerb gegen uns. Die immer höher
werdenden Energiepreise stellen eine gefährliche Ent-
wicklung dar.

Nach wie vor gibt es eine Privilegierung öffentlicher
Betreiber, die nicht in Ordnung ist. Auch ist eine Bemes-
sungskategorie eingeführt worden, die nicht passt. Bei




Hartmut Schauerte

21139


(C)



(D)



(A)



(B)


Ausnahmen stellen Sie im Hinblick auf Großunterneh-
men auf den Umsatz ab. Alle Fachleute haben Ihnen ge-
sagt, dass das keinen Sinn mache. Man kann einen riesi-
gen Umsatz haben, wenn man sehr viel einkauft. Daher
legt man in solchen Fällen die Bruttowertschöpfung zu-
grunde.

Des Weiteren ist festzustellen, dass all das, was Sie so
hektisch verändern wollen, am Ende nicht passt. Der
Bundesrat hat Ihnen deswegen ja gerade eine Ohrfeige
verpasst und eine Verkürzung der Fristen nicht bewilligt.
Das Gesetz wird also nicht zum geplanten Zeitpunkt in
Kraft treten können. Damit dürften auch Termine für In-
vestitionen durcheinander geraten. Sie können es einfach
nicht.

Welche neuen Technologien wollen Sie fördern? Vor
der Brennstoffzelle zucken Sie immer ein bisschen
zurück. Eine wirkliche Priorisierung von modernen Tech-
nologien vermeiden Sie, indem Sie ihnen sofort alte
Technologien an die Seite stellen. Bei diesen Fragen sind
Sie nur noch lobbygesteuert.


(Beifall des Abg. Walter Hirche [FDP] – Horst Kubatschka [SPD]: Da klatscht die Oberlobby! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch völliger Unsinn!)


Wer Recht bekommt, hängt davon ab, welcher Produzent
und welcher Verband als Letzter mit Ihnen geredet hat.
Versuchen Sie doch bitte, wieder ordnungspolitisch ein-
wandfrei an solche Fragen heranzugehen.

Marktorientierte Regelungen werden durch staatliche
Regulierungen ersetzt. Wie oft wollen Sie denn den
Minister mittels Verordnungen in den Prozess eingreifen
lassen? Wie wollen Sie denn die von Ihnen immer wieder
beschworene Investitionssicherheit herstellen? Sie dro-
hen stündlich mit Veränderungen auf dem Verordnungs-
wege und sprechen die Ermächtigung aus, je nach Kon-
junkturverlauf permanent in langfristig angelegte
Investitions- und Energiestrukturentscheidungen einzu-
greifen. Das ist eine unerträgliche Situation.

Wir können einem solchen Gesetz nicht zustimmen.
Zu unseren Grundsätzen habe ich bereits etwas gesagt.
Kehren wir zurück zu ehrlichen Finanzierungen! Wenn
wir technologische Veränderungen wollen, sind Haus-
haltslösungen das richtige Wort und nicht der Weg über
Preisgestaltungen. Diese verschönern zwar Ihre Statistik,
weil der Staatsanteil nicht steigt – die Lösung erfolgt näm-
lich über den Preis –, es hätte aber eine Finanzierung über
den Haushalt stattfinden müssen. Das ist einer unserer
gravierenden Vorwürfe gegen diesen falsch gestrickten
Ansatz, den Sie wieder einmal vorbringen.

Wir befürchten, dass mit diesem Gesetz die ökologi-
schen Ziele nicht erreicht werden, dass es ökonomisch
sehr teuer ist und mit ihm Fehlsteuerungen organisiert
werden, über die wir uns eines Tages verwundert die Au-
gen reiben werden.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Und für den Osten schädlich! – Gegenruf des Abg. Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Der hat besonders viel Ahnung von Energiepolitik!)


Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421308500
Jetzt spricht die Kol-
legin Michaele Hustedt für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421308600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Schauerte, wenn etwas nicht hektisch war, dann war das
dieser Gesetzgebungsprozess. Wir haben Monate, fast
Jahre diskutiert, und zwar in einem öffentlichen Prozess in
aller Breite und Tiefe mit den gesellschaftlichen Gruppen.
Auch Sie hätten sich jederzeit einklinken können. Deshalb
kann ich nur sagen: Hektisch war es nun wirklich nicht.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Die wollen ihre Vorurteile pflegen!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421308700
Frau Kollegin
Hustedt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Schauerte?


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421308800

Ich weiß, jetzt kommt die Frage nach der Endphase und
der Tischvorlage. Stellen Sie Ihre Frage, sonst geht das
von meiner Redezeit ab!


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1421308900
Können Sie mir
zustimmen, dass man unter Hektik nicht unbedingt die
Kürze oder Länge der Zeit verstehen muss? Kann man
nicht unter Hektik auch ein ewiges, unerträgliches Hin
und Her verstehen?


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421309000

Es war ein schwieriger Diskussionsprozess; das habe ich
ja auch gesagt. Das hatte damit zu tun, dass es starke ge-
sellschaftliche Kräfte gab, die dagegen waren. Es gab aber
auch genauso starke Kräfte, die dafür waren. Dann ist es
ein normaler gesellschaftlicher Prozess – er hat sehr viel
mit Demokratie zu tun –,


(Walter Hirche [FDP]: Oh!)

dass man sich auf die Suche nach Kompromissen begibt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das, was uns hier vorliegt, ist ein echter, ein fairer Kom-
promiss. Es ist eine ausgewogene Mischung. Wir betrei-
ben hier Klimaschutz, berücksichtigen aber auch andere
Denkweisen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Weil die Debatte so lang und intensiv war, möchte ich
am Anfang der SPD-Fraktion ganz ausdrücklich für die ge-
meinsame Arbeit danken, die wir geleistet haben. Daneben
möchte ich der Gewerkschaft Verdi, die sich besonders für
zukunftsfähige Arbeitsplätze engagiert hat, danken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)





Hartmut Schauerte
21140


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich bin froh, Herr Schauerte, dass Sie zumindest sagen,
dass die Förderung von KWK etwas Sinnvolles ist. Die
FDP ist gegen alles, gegen erneuerbare Energien, gegen
den Klimaschutz usw.


(Detlef Parr [FDP]: Das stimmt überhaupt nicht! Wir haben gute Argumente!)


In den alten Enquete-Kommissionen wurde berechtigter-
weise gesagt: KWK ist notwendig. Auch im Klima-
schutzprogramm von Frau Merkel war die Förderung der
Kraft-Wärme-Kopplung enthalten. Die EU-Kommission
sagt: Die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung ist ne-
ben der Förderung der erneuerbaren Energien etwas ab-
solut Sinnvolles, das für den Klimaschutz substanziell
wichtig ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn Strom erzeugt wird, entsteht Wärme. Es geht da-
rum, diese Wärme sinnvoll, zum Beispiel zum Heizen von
Wohnungen, einzusetzen. Das ist effiziente Ausnutzung.
Wenn man schon fossile Energieträger einsetzt, dürfen sie
nicht verschwendet werden.

Nun kann man in der Tat über das Modell streiten. Aber
ich frage: Wer hat das Zertifikatsmodell verhindert? Das
wäre ein noch wesentlich marktgängigeres Modell gewe-
sen, bei dem sich derjenige, der den KWK-Strom am bil-
ligsten anbietet, mit hohen Marktanteilen durchgesetzt
hätte. Ich habe damals, als die Industrie – Eon und andere
Stromkonzerne – gegen das Zertifikatsmodell massiv mo-
bil gemacht hat, durchaus vermisst, Herr Schauerte und
Herr Hirche, dass Sie sich auf unsere Seite gestellt und für
den Zertifikatshandel stark gemacht hätten. Das haben Sie
nicht getan. Sie haben auch jetzt wieder kein Instrument
genannt, mit dem Sie die KWK fördern wollen.

Ich glaube, das Bonusmodell ist nicht das schlechteste.
Sie haben beim Stromeinspeisungsgesetz ein ähnliches
Modell für die Förderung der erneuerbaren Energien ge-
wählt, also kann das Instrument nicht so des Teufels sein,
wie Sie es hier darstellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ihren Vorwurf der Klientelpolitik weise ich massiv
zurück. Es geht bei diesem Gesetz um ökologische Mo-
dernisierung und um sonst gar nichts.


(Walter Hirche [FDP]: Schön wäre es!)

Wenn wir uns einer Lobby verpflichtet fühlen sollten,
dann sollten das unsere Kinder und Kindeskinder sein, de-
ren Lebensgrundlage wir bewahren wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Leider ist das nicht wahr!)


Wir müssen das Wärmepotenzial veralteter Fernwär-
meanlagen – es besteht die Gefahr, dass an ihrer Stelle
Heizwerke entstehen –, die sowieso früher oder später
vom Netz gehen müssen, nutzen, um damit Strom zu er-
zeugen. Wir wollen diese Anlagen durch modernste Anla-
gen ersetzen. Ein sinnvoller Vergleichsmaßstab ist dabei

natürlich ein neues Erdgas-GED-Kraftwerk. Das Mindest-
investitionsvolumen für ein solches Kraftwerk liegt bei
25 Millionen Euro bzw. 50 Millionen DM. Das heißt, wir
erreichen in den nächsten Jahren ein Investitionsvolumen
von 4 bis 5 Milliarden DM.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Ist Ihnen schon einmal klar geworden, dass das alles nur in den Westländern stattfindet? Im Osten ist alles fertig gebaut!)


Angesichts einer derzeit eher langsamen Wirtschaftsent-
wicklung lässt sich das durchaus sehen.

Ein weiterer wichtiger Bestandteil ist die Förderung
der Kraft-Wärme-Kopplung bis 50 kW – diese Erhöhung
ist etwas Besonderes – und bis 2 MW. Aber auch die
Brennstoffzelle spielt eine Rolle. Herr Schauerte, ich ver-
stehe Sie nicht: Wir haben dafür gesorgt, dass in der For-
schung ein Schwerpunkt auf die Förderung der Brenn-
stoffzelle gelegt wird. Die Brennstoffzelle soll mit 5 Cent
pro Kilowattstunde explizit gefördert werden. Ich erhoffe
mir, dass Deutschland als erstes Land in diese neue, mo-
derne Technologie investiert, damit – ähnlich wie bei den
erneuerbaren Energien – Deutschland zum Schaufenster
für die Welt wird und in Deutschland eine Branche mit zu-
kunftsfähigen Arbeitsplätzen aufgebaut wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Eigenstromerzeugung der Industrie ist kein Teil
des Gesetzes. Die Industrie selbst hat gesagt: Wir werden
die notwendigen Investitionen tätigen; wir brauchen dafür
keinen Zuschuss. Herr Schauerte, Herr Hirche, die Indus-
trie sagt: Die Investitionen rechnen sich, auch ohne dass
man uns einen Zuschuss gibt. Möchten Sie vor diesem
Hintergrund der Industrie trotzdem Zuschüsse gewähren?
Es ist vielmehr besser, die Industrie erst einmal allein ma-
chen zu lassen.


(Walter Hirche [FDP]: Das haben Sie eben nicht gesagt!)


Es kann gut sein, dass sich in den nächsten Jahren mo-
derne Anlagen in der Industrie aufgrund des Atomaus-
stiegs und normaler Alterungsprozesse – Neuinvestition
steht gegen Neuinvestition – rechnen. Wir werden in ei-
nem Monitoring überprüfen, ob das stattfindet oder nicht.
Wenn das nicht der Fall ist, dann werden wir in der Tat
nachbessern müssen und der Industrie einen zusätzlichen
Anreiz schaffen, in diese Anlagen zu investieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich möchte eine letzte Bemerkung zu den Kosten und
zu den Belastungen machen. Die Kosten sind deutlich ge-
ringer, als im Vorschaltgesetz kalkuliert. Durch unseren
Vorschlag werden die Kosten also verringert. Durch das
Erneuerbare-Energien-Gesetz und das Kraft-Wärme-
Kopplungsgesetz kommt auf den Bürger eine Belastung
in Höhe von insgesamt ungefähr 0,2 Cent pro Kilowatt-
stunde zu.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Na prima!)





Michaele Hustedt

21141


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich frage Sie wirklich: Sind uns diese 0,2 Cent die Zu-
kunft unserer Kinder nicht wert? Man bedenke, dass wir
eine Zukunftsbranche aufbauen können, die tatsächlich
zukunftsfähige Arbeitsplätze schafft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Günter Nooke [CDU/CSU]: Frau Hustedt, sagen Sie doch wenigstens, dass das Geld ist, das im Osten investiert werden soll!)


Wenn Sie in diesem Zusammenhang noch die Öko-
steuer dazurechnen – sie hat einen viel größeren Anteil –,
dann kann ich Sie nur an Herrn Stoiber verweisen. Herr
Stoiber ist ziemlich schnell zurückgerudert, nachdem er
angekündigt hatte, die Ökosteuer zurückzunehmen.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Das ist ein anderes Thema! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Natürlich nehmen wir sie zurück! – Walter Hirche [FDP]: Er hat Angst vor der Rentenreform!)


Warum? – Weil er genau weiß, dass er dann die Renten-
versicherungsbeiträge anheben müsste. Das will er nicht.
Schauen Sie also auf Herrn Stoiber! Herr Stoiber hat deut-
lich gesagt, dass auch er die Ökosteuer beibehalten will.
Nur, weitere Schritte will er nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dieses Gesetz ist glasklar ein ökologisches Gesetz. Es
dient der Förderung der erneuerbaren Energien und – zu-
sammen mit der Energieeinsparverordnung – der Energie-
einsparung durch Altbausanierung. Die rot-grüne Koali-
tion hat damit insgesamt eine Energiewende eingeleitet,
die uns auf dem Weg zu einer zukunftsfähigen Energie-
wirtschaft wirklich ein Stückchen vorangebracht hat. Da-
rauf können wir zusammen stolz sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Manfred Grund [CDU/CSU]: Die Erde ist eine Scheibe! – Walter Hirche [FDP]: Donnerwetter!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421309100
Nächster Redner ist
der Kollege Walter Hirche für die FDP-Fraktion.


Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1421309200
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Wir hatten in dieser Woche schon mehr-
fach die Möglichkeit, über das Demokratieverständnis in
diesem Hause zu reden. Ich darf festhalten: Die Mitglie-
der des Wirtschaftsausschusses haben am Mittwoch die-
ser Woche zu Beginn der Sitzung eine Tischvorlage be-
kommen. Kollege Jung hat, in durchaus freundlichen
Worten – das will ich unterstreichen –, gesagt, dass das die
Vorstellungen der Koalition seien, über die sie schon aus-
giebig diskutiert hätten; sie sähen sich außerstande, in die-
ser Sitzung noch etwas zu ändern, obwohl die Vorstellun-
gen, die von der FDP und der PDS vorgelegt worden
seien, durchaus bedenkenswert seien. Weiter hat er er-
klärt, dass es nun einmal die Natur eines Kompromisses
sei, dass man nicht alles aufnehmen könne; dem stimme
ich noch zu. Aber einen so genannten gesellschaftlichen
Prozess, wie ihn Frau Hustedt beschrieben hat, außerhalb
des Parlaments und an einem Teil des Parlaments vorbei

ablaufen zu lassen ruiniert die Grundlagen der Zusam-
menarbeit zwischen den Fraktionen, ganz gleich, wer in
der Regierung und wer in der Opposition ist.


(Beifall bei der FDP und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich habe deshalb die dringende Bitte: Sie haben doch
sowieso die Mehrheit und können Ihre Vorstellungen
durchsetzen. Aber beachten Sie doch wenigstens im Ver-
fahren, dass die anderen Fraktionen das gleiche Recht ha-
ben wie die Interessenverbände, in diesen Dialog einbe-
zogen zu werden. Das ist die Grundlage von Demokratie.


(Beifall bei der FDP)

Eine zweite Bemerkung. Frau Hustedt, ich denke, dass

ganze Haus ist sich darin einig, dass Ziele, wie sie zum
Beispiel der Ministerrat der Europäischen Union be-
schlossen hat – ich nenne hier zum Beispiel die Verdopp-
lung des Anteils der erneuerbaren Energien oder die Aus-
weitung des Anteils der Kraft-Wärme-Kopplung –, in
bestimmten Zeiträumen verwirklicht und unterstützt wer-
den müssen. Es besteht aber keine Einigkeit darüber, dass
die Ziele mit dem ökonomischsten der zur Verfügung ste-
henden Mittel erreicht werden müssen. Es muss für unsere
Volkswirtschaft so preiswert wie möglich sein. Der Weg,
wie Sie das regeln – ob über Steuern oder Abgaben – be-
lastet die Volkswirtschaft und steht in direktem Zusam-
menhang mit der Zahl der Arbeitslosen, die wir im Au-
genblick in Deutschland haben.


(Beifall bei der FDP)

Deswegen sind wir der Meinung, dass es richtig ist – ich

spreche für die KWK –, darüber nachzudenken, mit wel-
cher Maßnahme man eine Tonne CO2 zu den geringst-möglichen Kosten vermeiden kann. Wenn das Klimaziel
an oberster Stelle steht, dann darf ich nicht danach fragen,
wie ich das Geld an die Kommunen geben kann, sondern
muss danach fragen, wer in unserer Volkswirtschaft dies
mit KWK zu den geringsten Belastungskosten am
schnellsten verwirklichen kann.

Genau diese Gruppe der KWK-Verwender, die Indus-
trie, schließen Sie aus. Sie akzeptieren zwar, dass dort bil-
liger produziert wird, sagen aber einfach, dass diese Pro-
duzenten, weil sie das billiger machen, kein Geld vom
Staat brauchen. Sie geben bewusst Geld an eine Stelle, wo
es unrentabler verwendet wird und wo es die Volkswirt-
schaft insgesamt mehr kostet.

Hierzu möchte ich noch einen weiteren Punkt ansprechen.
Ich greife ihn auf, weil Kollege Nooke hier angegriffen wor-
den ist, er sei auf Ostdeutschland fixiert. Frau Kollegin
Pieper aus Sachsen-Anhalt sitzt hier im Raum; deswegen
kann ich konkret darauf eingehen. Es geht um Leuna. Wir ha-
ben einen Antrag eingebracht, dass die Industrieparks in
Ostdeutschland, die man mit den allgemeinen öffentlichen
Netzen in Westdeutschland vergleichen kann, die Strom er-
zeugen und KWK-Anlagen betreiben, die aus der unter-
schiedlichen Wirtschaftssituation in Ostdeutschland heraus
entstanden sind, in die Förderung einbezogen werden. Das
hat man verweigert. Das ist ein Schlag gegen den wirt-
schaftlichen Aufbau von Ostdeutschland.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)





Michaele Hustedt
21142


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich kann es – das muss ich zugeben – nicht mehr hören,
wenn am Mittwoch dieser Woche Bundestagspräsident
Thierse sagt, wirtschaftlich müssten die Weichen im
Osten neu gestellt werden.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Richtig!)

Wir aber kriegen hier ein Gesetz nach dem anderen vor-
gelegt, in dem die SPD und die Grünen die Möglichkei-
ten, Ostdeutschland zu fördern, ausschlagen, ja Ost-
deutschland sogar im Stich lassen. Das finde ich, auch
abseits der klimapolitischen Diskussion, nicht in Ord-
nung. Wer Leuna hängen lässt, der handelt falsch.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie blasen sich hier in einer Weise auf, die wirklich unangemessen ist!)


Ich darf Ihnen ausdrücklich sagen: Wenn bei Ihnen das
Interesse für das Klima an oberster Stelle stünde, dann
würden Sie – ich wiederhole das – nicht die Frage nach
Industrie oder Kommunen stellen, sondern würden die-
jenigen fördern, die mit dem geringstmöglichen Einsatz
das beste Ergebnis erreichen. Deswegen ist das, was Sie
hier konstruieren, falsch. Es ist ein reines Subventionsge-
setz in eine Richtung. Das ist nicht in Ordnung. Das ist ein
Gesetz mit einer erheblichen Schwäche.

Ich glaube nicht, dass es richtig war – Herr Jung hat be-
gründet, warum das so gemacht worden ist –, im Laufe der
Beratungen außerhalb des Ausschusses die Vergütungen
pro Kilowattstunde einfach zu erhöhen, nur – das haben
Sie eingeräumt – weil der Topf, den man dafür bereitge-
stellt hat, in der Zeit, die zur Verfügung steht, sonst nicht
geleert werden könnte.


(Monika Ganseforth [SPD]: Unsinn!)

Sie hätten nur industrielle Anlagen mit hineinnehmen
müssen. Dann wären die Klimaziele übererfüllt worden.

Ich füge noch etwas hinzu. Ich bin im Gegensatz zu
dem, was Frau Hustedt gesagt hat – sie weiß das ganz ge-
nau –, der Meinung, dass wir mit diesem Gesetz auch die
Möglichkeit der Förderung des Neubaus von KWK-An-
lagen in bescheidenem Umfang hätten eröffnen können,
ohne dass der Deckel vom Topf geflogen wäre. Wir haben
auch diesen Antrag in den Wirtschaftsausschuss einge-
bracht. Auch dieser Antrag auf Förderung neuer Anlagen
zur KWK ist vom Tisch gewischt worden. Das ist ein wei-
terer Beweis dafür, dass es in diesem Zusammenhang kein
Interesse an Klimapolitik und Ökologie gegeben hat.
Vielmehr hat man sich an kommunalen Interessen ausge-
richtet.

In gewisser Hinsicht kann ich das sogar verstehen. Wir
haben heute Morgen eine Debatte über die katastrophale
Finanzlage der Kommunen gehabt. Diese ist unbestrit-
ten.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Aber dann muss man nach Möglichkeiten suchen, die Fi-
nanzausstattung der Kommunen vom System her zu ver-
ändern und nicht mit Gesetzen, die eigentlich dem Klima
und der besseren Nutzung der KWK in Deutschland die-
nen sollten. Es ist unbestritten, dass wir das wollen. Sie

machen es aber mit den falschen Instrumenten unter Ver-
geudung von Steuergeldern, statt das optimal auszurich-
ten und an die Arbeitsplätze und die Volkswirtschaft zu
denken.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421309300
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Rolf Kutzmutz.


Rolf Kutzmutz (PDS):
Rede ID: ID1421309400
Verehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann eine Sache
sehr unterschiedlich sehen. Als Frau Hustedt und Herr
Jung sagten, sie hätten mit diesem Gesetz die Energie-
wende eingeleitet, war mir eher so, als hätten wir sie zu
Grabe getragen.

Für mich ist schon bemerkenswert, dass bei der Bera-
tung über einen Gesetzentwurf der Bundesregierung kein
Redner der Bundesregierung hier etwas dazu sagt. In ande-
ren Fällen liegen wortgleiche Gesetzentwürfe vor. Heute ist
das nicht so; heute sprechen nur die Parlamentarier.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Die müssen sich auf der Regierungsbank erst einmal einlesen!)


Noch etwas ist für mich bemerkenswert. Nur weil Herr
Kollege Hirche darauf verwiesen hat, dass FDP und PDS
Vorschläge unterbreitet haben, wurde sofort durch den
Raum gerufen: neue Koalition! Ich denke, der größte Feh-
ler, den wir machen, ist, dass wir den Absender betrach-
ten, der etwas vorschlägt,


(Walter Hirche [FDP]: So ist es!)

und nicht die Wirkung, die man erreichen könnte, wenn
man sich mit dem Inhalt auseinander setzen würde.


(Beifall bei der PDS und der FDP sowie des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU])


Ich will ganz kurz etwas zu den Entstehungszeiträu-
men sagen. Nach dem Regierungswechsel passierte fak-
tisch nichts, bis Zehntausende Stadtwerker auf die Straßen
gingen, weil sie Angst um ihre Arbeitsplätze hatten. Dann
wurde ganz schnell ein Schutzgesetz für einen wichtigen,
aber kleinen Teil des KWK-Sektors verabschiedet. Das
war strukturpolitisch durchaus ehrenwert, aber umwelt-
politisch fatal. Weil Sie aber damals schon die Korrektur
dieses Mangels im Gesetzentwurf verankerten, stimmten
wir zu. Tatsächlich fand sich für ein Jahr – bis hin zu ver-
bindlichen Kabinettsbeschlüssen – das richtungsweisende
Konzept eines Zertifikatshandelsmodells auf der Grund-
lage einer langsam steigenden Quote auf der politischen
Agenda.

Dieses Konzept werden Sie allerdings heute mit der
Ablehnung des PDS-Gesetzentwurfes beerdigen. Inso-
fern stimmt es auch nicht, wenn auf dem Deckblatt des
Gesetztentwurfs steht: „Alternativen: Keine“. Es hat
schon welche gegeben; aber wir haben uns nicht darüber
verständigen können. Dieses Konzept wäre nicht nur un-
gleich wettbewerbskonformer und auch für die Stromver-
braucher preiswerter als die jetzt fixierte starre Bonusre-
gelung; vor allem würde Deutschland mit ihr Vorreiter in




Walter Hirche

21143


(C)



(D)



(A)



(B)


der EU werden und könnte dort die Ausgestaltung des so
genannten „emission trading“ zur Umsetzung des Kioto-
Vertrages offensiv betreiben.

Dieser Emissionshandel auf Zertifikatsbasis kommt.
Aber in welcher Form er kommt, kann von Berlin aus nur
ungleich schwerer beeinflusst werden, weil wir keine Re-
ferenzen vorzuweisen haben. Dass dies so ist – damit
komme ich wieder auf den Lauf der Dinge zurück –, ha-
ben wir einem gegenüber Regierungs- und Parlamentsbe-
schlüssen aufmüpfigen Wirtschaftsminister und einem
einknickenden Umweltminister zu verdanken.

Im letzten Jahr haben Sie nun an einem nicht nur aus
meiner Sicht schwerfälligen, bürokratischen Modell ge-
bastelt, bei dem nicht Umweltentlastung und der Zuwachs
an zukunftsfähigen Arbeitsplätzen im Mittelpunkt stehen,
sondern allein die Wünsche und Profitvorstellungen von
vier Strommonopolisten und einem Stadtwerkekartell. Ich
gestehe Kollegin Hustedt und Kollegen Jung zu – das will
ich hier ausdrücklich sagen; man konnte in der Öffent-
lichkeit verfolgen, dass es in der Auseinandersetzung
Schwierigkeiten gegeben hat, die wir auch nicht kleinre-
den wollen –, dass sie mit ihren Änderungen die ärgsten
Auswüchse des KWK-Verhinderungsgesetzentwurfes aus
dem Hause Müller abgeschnitten haben. Deshalb ist unser
heutiger Änderungsantrag auch nicht mehr der gleiche
wie der vom Mittwoch. Wir reagieren sehr wohl auf Ihre
Vorschläge.

Es geht im Grundsatz – das erkennen wir an – auch um
Emissionenreduktion. Spätestens ab 2006 wird der Weg
wieder frei für andere gesetzliche Instrumente, wenn sie
dann erforderlich sein sollten. Das befürchten wir; denn
nach wie vor verzichten Sie mit Ihrem Gesetz weitgehend
auf die Erschließung neuer KWK-Potenziale, Sie gefähr-
den sogar den Erhalt bestehender industrieller Anlagen.
Herr Kollege Hirche hat darauf Bezug genommen. In un-
serem Antrag steht, dass man sie unterstützen sollte.

Aber es gibt noch eine Neuheit, die ich ansprechen
möchte. Ich meine § 12 des Gesetzes, nach dem das Ge-
setz von Ministerien – ich zitiere – „unter Mitwirkung von
Verbänden der deutschen Wirtschaft und Energiewirt-
schaft“ überprüft wird. Ich glaube, es ist einmalig, dass
wir schon im Gesetzestext – nicht in der Begründung –
festlegen, dass Verbände und Wirtschaft an der Überprü-
fung des Gesetzes beteiligt sind. Kollege Nooke ist schon
weg. Er weiß Bescheid über die „führende Rolle“; ich
auch.


(Heiterkeit des Abg. Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU])


Aber dass das so unverblümt in ein Gesetz hineinge-
schrieben wird, halte ich für eine Novität.


(Beifall bei der PDS – Walter Hirche [FDP]: Ganz schlimme Kiste, dass die Politik sich selber abmeldet!)


Abschließend möchte ich sagen: Sie mögen mit dieser
Änderung vielleicht ehrlicherweise öffentlich machen,
wie dieses Gesetz entstanden ist, aber diese vorsätzliche
Aushöhlung der parlamentarischen Demokratie kann man
so nicht durchgehen lassen. Wir bieten mit unserem aus-

führlichen Änderungsantrag eine Chance, das anders zu
machen, auch wenn dadurch vielleicht nur eine zweitbes-
te Lösung herbeigeführt wird. Das von Ihnen bisher Be-
triebene können wir aber auf keinen Fall unterstützen.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421309500
Das Wort hat die Kol-
legin Monika Ganseforth für die SPD-Fraktion.


Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1421309600
Frau Präsidentin! Liebe
Kollegen und Kolleginnen! Ich bin eine überzeugte An-
hängerin der Demokratie. Die heutige Debatte zeigt, wie
wichtig es ist, dass aus einer Regierung eine Opposition
und aus einer Opposition eine Regierung wird, damit man
einmal die andere Seite kennen lernt.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Das darf nur nicht zu oft wechseln!)


Was ich heute von der rechten Seite, also denen, die
vorher die Regierung gestellt haben, an Verfahrenskritik
gehört habe, fand ich richtig gut; denn wir haben lange ge-
nug unter der Arroganz gelitten, mit der Sie vorgegangen
sind. Es gibt natürlich Prozesse, die man durchlaufen
muss und die wir jetzt kennen lernen. Wir wissen nun,
dass manches nicht so idealtypisch läuft, wie es laufen
sollte. Die Demokratie gibt den Wählerinnen und
Wählern die Möglichkeit, diese beiden Rollen zu verge-
ben. Ich hoffe, dass Sie noch sehr lange in Ihrer jetzigen
Rolle sind, in der Sie sich über unsere Verfahrensschritte
beschweren können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Walter Hirche [FDP]: Der Wechsel ist so schön, den wollen wir bald wieder haben! – Gegenruf des Abg. Horst Kubatschka [SPD]: Jetzt haben wir uns gerade an Ihr Gejammere gewöhnt, jetzt bleiben wir dabei!)


Wir haben gestern in diesem Hause über fünf Anträge
zur Klimapolitik debattiert. Dabei ging es um die Rati-
fizierung des Kioto-Protokolls. Eine Forderung des
ganzen Hauses war, dass die Einhaltung des nationalen
Klimaschutzzieles gelingt. Dabei bestand großes Einver-
nehmen, wie es schon Tradition hatte, als wir noch in der
Opposition waren. Bei der Klimapolitik waren wir uns
immer einig.

Deutschland steht in der Pflicht, die CO2-Emissionenbis zum Jahr 2005 um 25 Prozent, bezogen auf das
Jahr 1990, zu reduzieren. Das hat der damalige Bundes-
kanzler Helmut Kohl im Jahr 1992 auf der Rio-Konferenz
vor der Weltöffentlichkeit versprochen und in Berlin wie-
derholt. Als wir an die Regierung kamen, haben wir fest-
gestellt, dass wir, wenn wir so weitermachen, wie Sie es
vorbereitet haben, das Ziel grandios verfehlen. Es muss
also noch viel getan werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In diesem Zusammenhang verabschieden wir heute ein
weiteres Kernstück der Klimapolitik zur Erreichung die-




Rolf Kutzmutz
21144


(C)



(D)



(A)



(B)


ses anspruchsvollen Reduktionszieles, nämlich das
KWK-Gesetz. Dabei geht es nicht um Klientelpolitik, son-
dern darum, das zugesagte Klimaschutzziel zu erreichen.
Klimaschutz kann ohne Kraft-Wärme-Kopplung nicht er-
folgreich sein. Normalerweise werden bei der Stromer-
zeugung deutlich weniger als 50 Prozent der eingesetzten
Primärenergie genutzt. Wenn man die Wärme aber aus-
koppelt und nutzt, kann man den Wirkungsgrad ungefähr
verdoppeln. Man kann also eine wesentlich größere Effi-
zienz und damit eine CO2-Reduktion erreichen.

Um einem Vorurteil abzuhelfen, will ich noch einmal
sagen: Kraft-Wärme-Kopplung muss nicht auf dem Ener-
gieträger Gas basieren, Wärme kann auch aus Kohle-
kraftwerken ausgekoppelt werden. So haben wir in mei-
ner Heimatstadt Hannover ein Steinkohlekraftwerk mit
einer Kraft-Wärme-Kopplungsanlage, was damals gegen
den massiven Widerstand der zentralen Energieanbieter
durchgesetzt worden ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Kraft-Wärme-Kopplung muss also nicht unbedingt auf
dem Energieträger Gas basieren; eine mit Gas betriebene
Anlage ist natürlich effizienter, aber im Prinzip handelt es
sich um eine Verbesserung des Wirkungsgrades durch
eine bessere Ausnutzung der eingesetzten Energie.

Auf jeden Fall verlangen aber Kraft-Wärme-Kopp-
lungsanlagen eine räumliche Nähe zu den Wärmeabneh-
mern. Insofern handelt es sich um eine dezentrale Ener-
gieversorgung, die auf einer anspruchsvollen Technik
basiert und Arbeitsplätze vor Ort schafft. Damit steht
diese Energieform natürlich in Konkurrenz zu importier-
tem oder in Großkraftwerken erzeugtem Strom. Natürlich
gibt es Grenzen für diese Technik, weil der Wärmebedarf
begrenzt ist. Bei uns kommen etwa 12 Prozent des Stroms
aus Anlagen mit Wärmeauskopplung. Daran, dass es in
anderen Ländern, zum Beispiel in Finnland, Dänemark,
Österreich oder auch in Holland eine deutlich höhere Aus-
nutzung, nämlich das Zwei- oder Dreifache unserer Aus-
nutzung gibt, sieht man, dass wir noch lange nicht an der
Grenze sind


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Nicht an der Grenze, aber am Ende!)


und dass Kraft-Wärme-Kopplung wesentlich stärker ge-
nutzt werden könnte, auch um Klimaschutzziele zu erfül-
len.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Leider sieht die Realität unter den Bedingungen des
liberalisierten Strommarktes anders aus: Vorübergehend
sind die Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen unökonomisch
geworden. Bei einem Neubau sind Kraft-Wärme-Kopp-
lungsanlagen durchaus genauso ökonomisch wie andere
Anlagen; zurzeit aber, da Strom nur noch zu kurzfristigen
Grenzkosten angeboten wird, besteht ein enormer Druck
auf Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen. Wir haben mit dem
Kraft-Wärme-Kopplungs-Vorschaltgesetz versucht, dem
vorzubeugen. Es ist allerdings richtig, dass der Zubau sta-
gniert und Anlagen bereits stillgelegt wurden. Dabei sind
diese durchaus ökonomisch. Es geht darum, die Zeit zu

überbrücken, bis die Energiepreise wieder ein realisti-
sches Niveau erreicht haben und nicht nur die Grenzkos-
ten abdecken.

Aus Klimaschutzgründen, aber auch wegen der
Arbeitsplätze, die mit dieser Technologie verbunden sind,
müssen wir dafür sorgen, dass beim Abbau der Überka-
pazitäten die Kraft-Wärme-Kopplung nicht unter die Rä-
der kommt. Darum geht es; das haben aber auf der rech-
ten Seite des Hauses viele nicht begriffen. Es geht nicht
um Steuermittel, mit denen irgendwo subventioniert wird,
sondern darum, die Zeit zu überbrücken, bis der Ver-
drängungswettbewerb auf dem Strommarkt ausgestan-
den ist. Deswegen haben wir eine degressive und zeitlich
begrenzte Förderung für modernisierte und für beste-
hende effiziente Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen vorge-
sehen. Das ist ein neues Instrument; Sie haben nie mit de-
gressiven Zuwendungen gearbeitet. Ich verstehe nicht,
wie Herr Hirche oder Herr Schauerte von Steuersubven-
tion sprechen können. Hier werden keine Steuergelder
eingesetzt. Das würde Europa auch nicht akzeptieren; das
wäre nicht zulässig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN –Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/ CSU]: Wohl doch, indirekt! – Walter Hirche [FDP]: Von Subventionen habe ich gesprochen, nicht von Steuern!)


– Sie haben von Steuern gesprochen; darüber habe ich
mich auch gewundert.


(Walter Hirche [FDP]: Das verwechseln Sie mit der Ökosteuer!)


Wir wollen aber nicht nur den Bestand schützen, son-
dern auch den Zubau kleiner, dezentraler Kraft-Wärme-
Kopplungsanlagen mit weniger als 50 kW elektrischer
Leistung fördern. Kleine Blockheizkraftwerke, die bis
zum 31. Dezember 2005 in Dauerbetrieb genommen wer-
den, werden in den ersten zehn Jahren pro eingespeister
Kilowattstunde einen Zuschlag von 5,11 Cent bekommen.
Das ermöglicht diesen Anlagen den Durchbruch auf dem
Markt. Dabei darf man nicht vergessen, dass die kleinen
BHKWs überwiegend den Strom selber nutzen: Aber der
überschüssige Strom, der eingespeist wird, wird über zehn
Jahre mit 5,11 Cent unterstützt. Ich hoffe, dass daraufhin
nun der Durchbruch gelingt und in vielen Kellern von
Mehrfamilienhäusern und anderen Objekten kleine
Blockheizkraftwerke installiert werden. Diese sichern
Arbeitsplätze und erzeugen effiziente Energie. Außerdem
ist die Weiterentwicklung dieser Technologie für den
Standort Deutschland ganz wichtig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie werden wahrscheinlich mit unserem Gesetz so um-
gehen, wie wir es von Ihrer Seite gewöhnt sind: Sie be-
haupten, Sie wollten eine nachhaltige Versorgung und
Klimaschutz, aber immer, wenn es konkret wird, finden
Sie durchsichtige Argumente und sind mit den Maßnah-
men nicht einverstanden.

Natürlich sind Wünsche offen geblieben. Natürlich
könnte man das eine oder andere auch anders machen.




Monika Ganseforth

21145


(C)



(D)



(A)



(B)


Aber kein Gesetz ist vollkommen, auch dieses nicht. Und
das dient Ihnen als Vorwand, es abzulehnen.


(Beifall bei der SPD)

Das war beim Erneuerbare-Energien-Gesetz so, das war
bei der Ökosteuer so, das war bei der Energieeinsparver-
ordnung so, das war beim KWK-Vorschaltgesetz so und
das wird auch beim Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz, das
wir heute verabschieden, so sein. Sagen Sie doch nicht,
wenn wir das eine oder andere noch annähmen oder än-
derten, würden Sie zustimmen. Sie wollen gar nicht zu-
stimmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Walter Hirche [FDP]: Machen Sie es doch, dann werden Sie es sehen!)


Die Menschen haben es satt, dass Sie nur kritisieren, dass
Sie aber niemals sagen, was Sie wollen,


(Walter Hirche [FDP]: Doch! Wir haben das sehr konkret im Wirtschaftsausschuss auf den Tisch gelegt!)


wie Sie eine nachhaltige Energiepolitik gestalten wollen,
wie Ihre Klimaschutzstrategie aussieht. Das sagen Sie
nicht, Sie kritisieren nur.

Wir können uns jedenfalls mit unseren Maßnahmen
zum Klimaschutz sehen lassen. Heute gehen wir einen
weiteren wichtigen Schritt in die richtige Richtung.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Walter Hirche [FDP]: Sie waren doch gar nicht im Wirtschaftsausschuss! Sie kennen die Anträge gar nicht! – Gegenruf der Abg. Monika Ganseforth [SPD]: Aber im Umweltausschuss!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421309700
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Kurt-Dieter Grill für die
CDU/CSU-Fraktion.


Kurt-Dieter Grill (CDU):
Rede ID: ID1421309800
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will gleich
sagen: Der Kollege Walter Hirche hat zwar von Steuer-
subventionen gesprochen, aber er hat die Verbraucher ge-
meint. Wir haben begriffen, Frau Kollegin Ganseforth,
dass Sie wirklich keine Steuern einsetzen, sondern dass
Sie den Verbraucher mit zusätzlichen Abgaben belasten.
Damit ist das Ganze richtig gestellt.

Das Zweite ist eine Bemerkung zum Thema Demo-
kratie. Sie haben uns das Ganze am Mittwoch um
8.43 Uhr vorgelegt und in den Ausschüssen erklärt, das sei
wegen des Zieles zu vertreten.


(Ulrike Mehl [SPD]: „Das Ganze“ ist falsch! Das wissen Sie, Herr Grill!)


Am gleichen Tag hat der Bundesrat mit den Stimmen der
SPD-regierten Länder wegen der vollkommen überhaste-
ten Beratung der Vorlagen die Fristverkürzung auf den
1. Februar verweigert. Nun wird das Gesetz doch später

fertig. Der Bundesrat hat uns in unserer Kritik am Verfah-
ren, die wir am Mittwoch vorgebracht haben, eigentlich
bestätigt.

Die Kollegin Hustedt hat hier vorgetragen, wir wollten
keine Förderung. Ich glaube, wir müssen uns einmal da-
rüber unterhalten, dass die Frage der Förderung das eine ist.
Was wir hier massiv kritisieren, ist – das ist das andere – der
Weg, den Sie eingeschlagen haben, ist die Art und Weise,
die Sie gewählt haben. Ich sage Ihnen, da Sie gestern hier
so großartig über den Zertifikatshandel gesprochen haben:
Der von Ihnen eingeschlagene Weg führt zur Blockade des
Zertifikatshandels, weil Sie das Gesetz so langfristig ange-
legt haben, dass der Zertifikatshandel nicht noch oben drauf
passt. Damit schaffen Sie mittel- und langfristig ein Pro-
blem.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Kollege Jung hat eine Reihe von Dingen vorgetra-

gen, von denen ich nur zwei aufgreifen will. Sie haben ge-
sagt: Die Erzeugungskapazitäten gehen zurück. – Das hat
mit dieser Frage überhaupt nichts zu tun.


(Volker Jung [Düsseldorf] [SPD]: Massiv!)

Das alles hat auch überhaupt nichts mit Versorgungssi-
cherheit zu tun. Sie waren doch diejenigen, die die Mo-
nopolstrukturen mit ihren Überkapazitäten kritisiert ha-
ben. Jetzt wird abgebaut und das ist auch wieder falsch.
Was ist denn richtig?

Sie haben weiter von Ballungsgebieten und ländlichen
Räumen gesprochen. Auch diese Begriffe passen auf die-
ses Gesetz überhaupt nicht. Ich komme auf einen Punkt in
diesem Zusammenhang zurück.

Der Gesetzentwurf, den Sie heute vorlegen, stimmt
mit den Grundsätzen der Energiepolitik, die die Bundes-
regierung in ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage
dargelegt hat, auch nicht im Ansatz überein. Die Bundes-
regierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen se-
hen, so denke ich, die Marktwirtschaft als Grundprinzip
des Wettbewerbs bei Strom und Gas. Investitionslenkung
durch den Staat passt nicht für eine Energiewirtschaft, die
sich unter europäischen Wettbewerbsbedingungen be-
währen muss.

Staatsferne und langfristig Subventionsfreiheit der
Energiewirtschaft in Deutschland sind die Ziele, die von
der Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große An-
frage der CDU/CSU postuliert worden sind. Sie entfernen
sich mit jedem Gesetz, das Sie zur Energiewirtschaft vor-
legen, von genau diesen Zielen, weil Sie im Prinzip an die
Stelle der Monopole eine staatsinterventionistische Poli-
tik setzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich denke, dass das für das KWK-Gesetz an vielen Stel-
len beweisbar ist. Ich möchte dazu einige Bemerkungen
machen.

Ich muss aber noch eines vorweg sagen: Herr Kollege
Kutzmutz, haben Sie hier auf 10 000 von Stadtwerkern
oder Stadtwerken hingewiesen?


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Stadtwerkern!)





Monika Ganseforth
21146


(C)



(D)



(A)



(B)


– Ah ja. – Diesbezüglich möchte ich erstens darauf hin-
weisen, dass es in Deutschland etwa 950 Stadtwerke gibt,
von denen aber nur etwa 50 eine erkleckliche Eigener-
zeugungskapazität aufweisen. Insofern, Herr Kollege
Jung, reden wir hier über ein Subventionsgesetz für einen
Teil der Kommunen. Der übrige Teil – wie ich das aus
meinem Land kenne – schreibt Stromeinkäufe aus, um
möglichst niedrige Preise zu haben. Das sind Kommunen,
die nicht in einem Ballungsgebiet, sondern im ländlichen
Raum liegen. Diese müssen genau das bezahlen, was Sie
in das Gesetz hineinschreiben. Bei der Einbringung des
Gesetzes haben Sie selber gesagt: Wir schonen den einen
Teil der Wirtschaft und verteilen die Kosten auf die ande-
ren. – Diese „anderen“ sind aber eben die Kommunen, die
keine Eigenerzeugung haben und daher von Ihrem Gesetz
nicht profitieren können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Walter Hirche [FDP]: Genau so ist es! Eine weitere Belastung des flachen Landes!)


Zweitens. Der KWK-Anteil liegt im Osten bei 30 Pro-
zent und im Westen bei 6 Prozent. Sie lassen diese 30 Pro-
zent im Osten aus, denn diese werden von Ihrem Gesetz
nicht erfasst, da sie allesamt nach 1990 neu gebaut wor-
den sind. Der Osten finanziert also den Westen. Das beste
Beispiel dafür ist Infra-Leuna. Sie sollten sich schämen,
dass Sie ein solches Gesetz auf den Weg bringen!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Man kann nicht nur die Kraft-Wärme-Kopplung sehen,

sondern muss auch den Zusammenhang zwischen Öko-
steuer, Stromsteuer, KWK und EEG sehen. In der wirt-
schaftspolitischen Debatte beklagen Sie sich über den
Schwund an Kaufkraft. Gleichzeitig stehen Sie in der
Nähe der Gewerkschaften mit hohen Lohnforderungen.
Aber an dieser Stelle sorgen Sie – wenn man alles zusam-
mennimmt – in einer extremen Art und Weise für die Ab-
schöpfung von Kaufkraft, was Sie auf der anderen Seite
als wesentliche Ursache für die zurzeit schlechte wirt-
schaftliche Situation beklagen. Sie selber schöpfen Kauf-
kraft ab und nutzen den Verbraucher aus.

Einige Bemerkungen zu dem, was Frau Hustedt vorhin
über die Industrie gesagt hat: Ich habe eine Reihe von
Gesprächen geführt. Es waren sicherlich andere Ge-
spräche als die, die Sie geführt haben. Angesichts dessen,
was mir die Industrieunternehmen zum KWK-Gesetz ge-
sagt haben, ist die Klage nichts anderes gewesen als das,
was Sie als Begründung für Ihr kommunalorientiertes Ge-
setz vorlegen. Anlagen sind stillgelegt worden. Das wis-
sen Sie doch auch. Ignorieren Sie dies doch nicht.


(Monika Ganseforth [SPD]: Das habe ich gesagt!)


In der Industrie sind KWK-Anlagen stillgelegt worden
und Sie haben dafür keinen Finger gerührt, weil Sie wuss-
ten, dass das Ganze dann wirklich nicht mehr bezahlbar
wäre und die strukturelle Schwäche Ihres Gesetzentwur-
fes mehr als deutlich werden würde.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ein weiterer Punkt ist die Tatsache, dass Sie über For-

schung, Technik und Innovation reden. 50-kW-Anlagen

können Sie demnächst bei OBI kaufen. Das ist doch
nichts Neues. Im Grunde genommen machen Sie mit der
Förderung dieser 50-kW-Anlagen die Brennstoffzellen-
entwicklung kaputt.


(Walter Hirche [FDP]: Richtig!)

Das ist ein Widerspruch in Ihrem Gesetzentwurf. Es gibt
aber noch mehr.


(Walter Hirche [FDP]: Das werden sich die Grünen anrechnen lassen müssen, dass die neuere Technik durch eine bestehende kaputt gemacht wird!)


– Ja, so ist das, wenn man grüne Politik macht.
Ich sage noch einmal: Mit dem Vorschaltgesetz haben

Sie 1 bis 2 Millionen Tonnen CO2 mehr produziert. Siewerden Ihre Ziele hinsichtlich der Verringerung der CO2-Emissionen vielleicht durch die Stilllegung von Kern-
kraftwerken erreichen, welches bisher Ihre einzige Tat im
Hinblick auf eine emissionsarme Stromproduktion ist.


(Walter Hirche [FDP]: Noch nicht einmal!)

Wenn ich alles zusammennehme, die Ausnahmerege-

lung und die Verbürokratisierung von Energiepolitik, die
mit diesem Gesetz einhergehen, kann ich nur sagen: Ich
halte den nordrhein-westfälischen Bauminister Vesper
von den Grünen für ein besonderes Schmankerl. Dieser
hat es nämlich unter Hinweis auf die nicht verantwortbare
Strompreiserhöhung durch EEG und KWK abgelehnt,
diese Strompreiserhöhung zu bezahlen, weil es das Land
Nordrhein-Westfalen viel zu teuer kommt. Recht hat der
Junge. Er leidet unter Ihrer Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421309900
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich dem Kollegen Volker Jung das Wort.


Volker Jung (SPD):
Rede ID: ID1421310000
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Von den Rednern der Opposi-
tion ist viel Falsches gesagt worden. Das kann ich jetzt
nicht mehr aufarbeiten. Mindestens einen Vorwurf darf
man aber nicht hier im Raum stehen lassen, nämlich den,
dass wir die Kraft-Wärme-Kopplung in den neuen Bun-
desländern diskriminieren und die Anlagen dort, wie es
Herr Grill eben zum Ausdruck gebracht hat, im Regen ste-
hen lassen.


(Walter Hirche [FDP]: Es ist aber so!)

Wir differenzieren zwischen den Anlagentypen. Einer-

seits gibt es Anlagen, die vor 1990 gebaut worden sind
– diese befinden sich in erster Linie im Westen und erhal-
ten eine Förderung bis zum Jahre 2004 –, und andererseits
solche, die sich in den neuen Bundesländern befinden. An
denen ist im Übrigen momentan nichts zu modernisieren,
weil sie auf dem neuesten Stand sind. Diese werden bis
zum Jahre 2009, und zwar mit vergleichbaren Sätzen, ge-
fördert. Das heißt, wir haben genau diesen Punkt im Au-
genmerk. Wir finden dort eine saubere Lösung, die auch
alle Betreiber begrüßen. Insofern muss das hier Gesagte
aus der Welt geräumt werden.




Kurt-Dieter Grill

21147


(C)



(D)



(A)



(B)


Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Walter Hirche [FDP]: Die werden im Stich gelassen, das ist die Wahrheit!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421310100
Zur Erwiderung, Herr
Kollege Grill, bitte.


Kurt-Dieter Grill (CDU):
Rede ID: ID1421310200
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Jung, ich bleibe
bei meiner Auffassung und meiner Analyse dieses Ge-
setzentwurfes.


(Ulrich Kelber [SPD]: Bewusste Fehlinterpretation! – Zurufe von der SPD: Analyse?)


– Dass Ihnen das nicht passt, kann ja sein. Sie werden mir
aber nicht verbieten können, eine eigene Analyse vorzu-
nehmen.

Wenn Sie sich heute nicht für das schämen, was Sie bei
Infra-Leuna getan haben, tun Sie mir schlicht und einfach
Leid. Sie haben in dieser Frage gegen den Osten gehan-
delt. Ende der Durchsage!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Walter Hirche [FDP]: Herr Jung weiß das, er hat es im Ausschuss auch indirekt eingeräumt!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421310300
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Kraft-Wärme-
Kopplungsgesetzes in der Ausschussfassung, Drucksa-
chen 14/7024, 14/7086 und 14/8059. Dazu liegt ein
Änderungsantrag der Fraktion der PDS vor, über den wir
zuerst abstimmen werden. Wer stimmt für den Ände-
rungsantrag der PDS auf Drucksache 14/8080? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag
ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die
Stimmen von CDU/CSU-Fraktion, FDP-Fraktion und
PDS-Fraktion angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit gegen die Stimmen von CDU/CSU-Fraktion,
FDP-Fraktion und PDS-Fraktion angenommen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetz-
entwurf der Fraktion der PDS zur Sicherung und zum
Ausbau der gekoppelten Strom- und Wärmeerzeugung,
Drucksache 14/2693. Der Ausschuss für Wirtschaft und
Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 14/8048, den Gesetzentwurf abzulehnen.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera-
tung gegen die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt. Da-
mit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die dritte
Beratung.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Katherina
Reiche, Dr. Maria Böhmer, Horst Seehofer, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Anwendung von Gentests in Medizin und Ver-
sicherungen
– Drucksache 14/6640 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist die Kol-
legin Katherina Reiche für die CDU/CSU-Fraktion. – Ich
bitte alle Kolleginnen und Kollegen, die den Saal jetzt
verlassen müssen, dies relativ schnell zu tun, damit die
erste Rednerin die entsprechende Aufmerksamkeit erhal-
ten kann.


Katherina Reiche (CDU):
Rede ID: ID1421310400
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu den Herausforde-
rungen, vor die uns die moderne Biomedizin stellt, gehört
auch der Umgang mit genetischen Daten.

Die Erforschung des menschlichen Genoms hat in den
letzten Jahren beeindruckende Fortschritte gemacht. Die
Entschlüsselung des menschlichen Erbguts und die da-
raus resultierende Entwicklung von Gentests können zu
beachtlichen Fortschritten im Bereich der Diagnose, der
Prävention und der Therapie genetisch bedingter Krank-
heiten führen. Schon heute lassen sich Krankheiten vor
dem Auftreten klinischer Symptome sowie entsprechende
Veranlagungen feststellen. Diese Besonderheit geneti-
scher Untersuchungen eröffnet im Vergleich zu anderen
Analysen die Möglichkeit der präsymptomatischen Medi-
zin.

Während nach einer Studie des Instituts „Hamburger
Forschungsschwerpunkt“ 1996 bundesweit 150 000 Ana-
lysen auf biochemischer Basis vorgenommen wurden,
waren es zwei Jahre später bereits 300 000. Immer mehr
Testangebote kommen auf den Markt. Bald wird der Gen-
chip Realität sein.

Bei diesen verschiedenen Testmöglichkeiten unter-
scheiden wir diagnostische und prädiktive Gentests. Wäh-
rend die Untersuchung mittels eines diagnostischen Gen-
tests der Bestätigung einer bestehenden Diagnose dient,
verstehen wir unter einem prädiktiven Test eine vorhersa-
gende Untersuchung auf das Vorliegen einer Erbgut-
veränderung. Das heißt, bei einem prädiktiven Gentest
wird ein Gesunder darauf untersucht, ob er die Veran-




Volker Jung (Düsseldorf)

21148


(C)



(D)



(A)



(B)


lagung für eine bestimmte Erkrankung trägt und mit wel-
cher Wahrscheinlichkeit er erkranken könnte.

Unser Antrag bezieht sich im Folgenden auf die Pro-
blematik der prädiktiven Tests. Wir zweifeln in keiner
Weise die neue Qualitätsstufe der modernen medizini-
schen Analysetechnik mittels diagnostischer Tests an.
Prädiktive Tests sind jedoch von zwei Seiten zu betrach-
ten. Sie bringen auf der einen Seite eine Fülle neuer Dia-
gnosemöglichkeiten. Diese führen zu einem genaueren
Verständnis und damit zu einer genaueren Kenntnis von
Krankheit und Fehlentwicklung. Sie ermöglichen eine
Verbesserung von Krankheitsprävention im Sinne einer
Verhütung oder Verzögerung des Krankheitsausbruchs.

Selbst bei Erberkrankungen oder Entwicklungsstö-
rungen, deren Auftreten durch vorbeugende medizinische
Behandlung nicht verhindert werden kann, bzw. für sol-
che, die nicht behebbar sind und für die es noch keine The-
rapien gibt, eröffnet eine verbesserte prädiktive gene-
tische Diagnostik betroffenen Personen bzw. Familien die
Möglichkeit, bei Ausschluss oder bei Nachweis einer
schwerwiegenden Störung Entscheidungen über die zu-
künftige Lebens- und Familienplanung zu treffen. Zudem
wird es mithilfe von prädiktiven Gentests möglich sein,
die Medikamentenverträglichkeit zu verbessern. An die-
ser Stelle sei daran erinnert, dass wir uns als CDU/CSU-
Fraktion auch mit dem Thema Pharmakogenetik bereits
auseinander gesetzt haben.

Aber genetische Untersuchungen werfen auf der ande-
ren Seite gewichtige soziale und ethische Fragen auf. Das
Wissen um seine gesundheitliche Zukunft kann einen
Menschen stark belasten. Es ist schwer, mit einer nega-
tiven Diagnose umzugehen, wenn man die medizinische
Tragweite nicht überblickt. Dies gilt insbesondere dann,
wenn man das Testergebnis nicht einschätzen kann und
qualifizierte ärztliche und psychologische Betreuung nicht
in Anspruch genommen wird. Es ist zwar schon heute
möglich, Gentests über das Internet zu beziehen. Jedoch
hilft der Test als solcher nicht im Umgang mit der Aus-
wertung der Ergebnisse, die es dann zu analysieren gilt.

Genetische Untersuchungen bergen auch die Gefahr ei-
ner zunehmenden Abtreibung von Föten infolge der Fest-
stellung von genetischen Anomalien mittels pränataler Dia-
gnostik. In der Arbeitswelt betreffen die Vorbehalte
insbesondere die Gefahr der Aushöhlung des objektiven Ar-
beitschutzes und die Gefahren einer Arbeitnehmerselektion
bzw. -diskriminierung. So fragte beispielsweise ein Vertre-
ter der ÖTV 1997 etwas provokant, ob es durch genetische
Untersuchungen bald dazu kommen werde, olympiareife
Belegschaften zusammenzustellen. Auch in der Versiche-
rungswirtschaft stellt sich die Frage, ob Versicherungsinte-
ressenten bei Vorlage eines Gentests noch in den Genuss ei-
ner normalen Versicherungsprämie kommen werden.

Wir als CDU/CSU-Fraktion wollen, dass niemand we-
gen seiner genetischen Disposition Nachteile beim Ab-
schluss von Versicherungen erfahren muss.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir möchten vielmehr sicherstellen, dass die Möglich-
keiten der Gentechnik dem Einzelnen zugute kommen, je-
doch nicht durch Dritte zu seinem Nachteil missbraucht

werden. Hierbei bedarf es der Orientierung am „informed
consent“, das heißt dem Recht eines jeden Einzelnen auf
informationelle Selbstbestimmung, der Respektierung des
Gleichheitsgrundsatzes, der Vertraulichkeit, der Schwei-
gepflicht, der Freiwilligkeit und einer umfassenden Auf-
klärung der Probanden durch qualifizierte Fachärzte.

Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat die Ach-
tung der Würde und des Gefühls derjenigen Menschen
Priorität, die von einer genetisch bedingten Erkrankung
oder Disposition betroffen sind. Das Parlament ist deshalb
aufgerufen, beim Umgang mit Gendaten Leitplanken zu
setzen und die Entwicklung in gewünschte Bahnen zu len-
ken. Der Deutsche Bundestag als Gesetzgebungsorgan
ist auch in dieser Frage aufgefordert, alle Entscheidungen
zur Bio- und Gentechnik selbst zu treffen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Im Gegensatz zu Deutschland existieren bereits in vie-

len europäischen Ländern spezifische Regelungen zur
Anwendung von Gentests. Ich erinnere hier an unsere
österreichischen Nachbarn. Dennoch muss man konsta-
tieren, dass es in Europa keinen einheitlichen Umgang
mit Gendaten gibt. Frankreich, Belgien, Österreich,
Luxemburg und Norwegen haben die Nutzung von Gen-
daten zu Versicherungszwecken verboten. Das Parlament
in Großbritannien hat jedoch erlaubt, den Test zur Fest-
stellung der tödlichen Krankheit Chorea Huntington an-
zuerkennen und von Patienten einen entsprechenden Test
zu verlangen. Mittlerweile gibt es im Inselstaat Anträge
auf die Anerkennung weiterer Gentests, die zugelassen
werden sollen.

Seit Jahren wird auch hier darüber diskutiert, mög-
licherweise relevante genetische Informationen für die
Abschätzung und Minimierung von Risiken zu verwen-
den. Die CDU/CSU-Fraktion legt Ihnen deshalb heute als
erste Fraktion in diesem Hause einen Antrag zur Anwen-
dung von Gentests in Medizin und Versicherungen vor,
der einen Leitfaden für weitere gesetzliche Regelungen
bilden soll. Es reicht nicht aus, zu sagen, dass man den
gläsernen Menschen verhindern will, sondern es ist jetzt
notwendig, rechtliche Schritte einzuleiten.


(Beifall bei der PDS)

Ohne Sie provozieren zu wollen, möchte ich Sie, meine

sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen der Koalitions-
fraktionen, daran erinnern, dass Sie laut Ihrer Koalitions-
vereinbarung aus dem Jahr 1998 die Bürgerinnen und
Bürger vor einer möglichen Diskriminierung schützen
wollen. Das ist völlig richtig und das unterstützen wir
auch. In der Koalitionsvereinbarung heißt es:

Wir werden den Schutz der Bürgerinnen und Bürger
vor genetischer Diskriminierung insbesondere im
Bereich der Kranken- und Lebensversicherung ge-
währleisten.

Dann mal los.

(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Da sind wir mal gespannt!)

Schon die 62. Datenschutzkonferenz des Bundes und

der Länder im Oktober vergangenen Jahres forderte den




Katherina Reiche

21149


(C)



(D)



(A)



(B)


Deutschen Bundestag auf, genetische Untersuchungen am
Menschen gesetzlich zu regeln. Wir sind dieser Aufforde-
rung nachgekommen und haben in unserem Antrag einen
umfangreichen Maßnahmenkatalog zum Schutz vor Miss-
brauch von Gendaten aufgestellt. Damit möchten wir si-
cherstellen, dass humangenetische Untersuchungen weder
unmittelbar noch mittelbar erzwungen werden dürfen.

Das Recht auf Nichtwissen von genetischen Daten
schließt ein, dass weder Krankenversicherungen noch Le-
bensversicherungen vor dem Abschluss sowie während
der Dauer eines Vertrages die Durchführung eines Gen-
tests verlangen oder verwerten dürfen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Angela Marquardt [PDS])


Jedem Menschen muss es freigestellt bleiben, ob und
welchen Tests er sich unterzieht. Ebenso muss die Gefahr
ausgeschlossen werden, dass Nutzer aus Angst vor einer
möglichen Diskriminierung auf die Durchführung eines
vom Arzt veranlassten medizinisch indizierten Gentests
verzichten bzw. einen solchen anonym und ohne ärztliche
Beratung vornehmen.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal
unterstreichen, dass Gentests und die entsprechende Be-
ratung in die Hand von Fachärzten gehören und nur
durch sie bzw. von entsprechend zugelassenen und quali-
fizierten Stellen durchgeführt werden dürfen.


(Zuruf von der FDP: Sehr richtig!)

Mittlerweile werden von den genetischen Laboren in
Deutschland circa 200 bis 300 Gentests angeboten. Dem
stehen allerdings nur 160 ausgebildete Fachärzte ge-
genüber. Die Deutsche Gesellschaft für Humangenetik
geht von einem bundesweiten Bedarf von mittelfristig
400 Fachärzten aus.

Wir wollen auch, dass prädiktive Gentests im Rahmen
von medizinischen Eignungsuntersuchungen weder vor
dem Abschluss eines Arbeitsvertrages noch während der
Dauer eines bestehenden Arbeitsverhältnisses verlangt,
angenommen oder in irgendeiner Form verwertet werden
dürfen. Eine Ausnahme könnte für die Fälle gelten, in de-
nen mithilfe von prädiktiven Tests der Ausbruch einer
Krankheit prognostiziert wird, durch die der Arbeitneh-
mer schlagartig funktionsunfähig wird und der plötzliche
Ausfall am vorgesehenen Arbeitsplatz eine Gefährdung
Dritter bedeuten würde. Grundsätzlich sind jedoch Rege-
lungen notwendig, die die Freiwilligkeit und Vertraulich-
keit von Gentests garantieren und dem Schutz der Arbeit-
nehmer dienen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Unser Antrag berücksichtigt zudem die Forderung des

Bundesbeauftragten für den Datenschutz, Joachim Jacob,
unerlaubte Gentests unter Strafe zu stellen. Die Bundes-
regierung ist nun aufgefordert, auf der Grundlage dieser
Eckpunkte einen entsprechenden Gesetzentwurf in den
Deutschen Bundestag einzubringen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der FDP und der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421310500
Der nächste Redner ist
der Kollege Dr. Wolfgang Wodarg für die SPD-Fraktion.


Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Rede ID: ID1421310600
Frau Präsidentin! Sehr
verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist schön, dass
sich die CDU/CSU-Fraktion Gedanken gemacht hat und
ein Papier in den Deutschen Bundestag einbringt, in dem
sie uns ihre Vorstellungen darlegt.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Nicht so hochnäsig, Herr Kollege!)


Aber die CDU/CSU-Fraktion ist nicht die erste Frak-
tion, die sich Gedanken macht, Frau Reiche.


(Detlef Parr [FDP]: Das hat sie nicht gesagt!)

Das ganze Haus hat sich bereits zu diesem Thema Ge-

danken gemacht. Sie wissen, dass es eine Enquete-Kom-
mission gibt, in der alle Fraktionen mitarbeiten, und dass
das Thema des Schutzes von genetischen Daten eines der
wichtigsten Themen ist, das in der Kommission behandelt
wird. Die Enquete-Kommission hat kürzlich ihren Teil-
bericht zu diesem Thema beschlossen. Er wird noch vor
der Sommerpause hier debattiert werden. Er liegt derzeit
als Material vor und ich habe mit Freude festgestellt, dass
Sie diesen Bericht als Steinbruch für Ihre Vorlage benutzt
haben. Darin gibt es wenig Widersprüche. Allerdings ha-
ben Sie die einzelnen Punkte und Ergebnisse bisher un-
vollständig eingearbeitet. Das kann man noch besser ma-
chen. Das wollen wir auch.


(Beifall bei der SPD – Detlef Parr [FDP]: Das haben Sie 1998 auch in anderen Bereichen versprochen! Und wo sind wir heute?)


Ich finde es schön, dass wir vom ganzen Hause
Rückenwind bekommen; denn wir müssen ein Gentest-
gesetz auf den Weg bringen. Wir sollten uns bemühen,
zumindest die Dinge, die wir noch schaffen können, in
Angriff zu nehmen. Die Themen „Gendaten“ und „Schutz
von Gendaten“ sind sehr umfangreich. Heute diskutieren
wir nur über einen Teilbereich, nämlich den der medi-
zinischen Daten. Schon hier gibt es unterschiedliche
Anwendungsbereiche. Im Bereich der Reproduktionsme-
dizin müssen die offenen Fragen der Präimplantationsdia-
gnostik – das haben wir neulich in der Anhörung schon
getan – mit den Fragen der Gentests verknüpft werden.
Sie wissen genauso gut wie ich, dass es inzwischen Gen-
tests gibt, mit deren Hilfe sich im Rahmen eines einzigen
Laboreinsatzes viele Tausend genetische Unterschiede
beim Menschen feststellen lassen. Wir haben auf Island
eine Halle voll mit Maschinen gesehen, mit denen ver-
sucht wird, das Genom der Isländer zu analysieren. Mit ei-
nem Mikrochip können 6 000 bis 8 000 unterschiedliche
Merkmale automatisiert ausgewertet werden. Solche
Tests kann man natürlich auch bei Embryonen durch-
führen, bevor sie eingepflanzt werden. Das zeigt die
Brisanz dieses Themas.

Was sind eigentlich genetische Daten? Genetische
Daten sind Aussagen über körperliche Unterschiede von
Menschen. Damit ist eine neue Nacktheit entdeckt wor-
den; denn die genetischen Daten liefern viel tiefer ge-
hende Aussagen über einen Menschen als zum Beispiel




Katherina Reiche
21150


(C)



(D)



(A)



(B)


ein Foto. Bedenken Sie, wie hoch schon – und zwar zu
Recht – die rechtlichen Hürden für die Veröffentlichung
von Fotos sind und wie sehr das Recht am eigenen Foto
geschützt ist! Die genetischen Daten sind noch viel schüt-
zenswerter, weil es sich um intime Daten handelt, die
nicht nur für die Person, die genetisch untersucht worden
ist, wichtig sind. Vielmehr lassen diese Daten auch eine
Beurteilung der Eltern und der Kinder dieser Person zu;
denn diese Daten sind vererbbar. Daher sind genetische
Daten besonders schützenswert. All das müssen wir bei
einer gesetzlichen Regelung berücksichtigen.

Es stellen sich in diesem Zusammenhang aber fol-
gende Fragen: Muss eine gesetzliche Regelung den
medizinischen Bereich, die Humangenetik bzw. die Neo-
natologie, umfassen oder reicht eine entsprechende
Regelung für den Versicherungs- und Arbeitsbereich?
Sie sehen, wie vielfältig die Fragen sind. Das Ressort
Arbeit und Soziales, in dessen Zuständigkeitsbereich der
Arbeitsschutz fällt, muss die im Zusammenhang mit der
Gentechnik erworbenen Kenntnisse in die bestehenden
Regelungen einarbeiten. Das ist ein eigenes großes Ar-
beitsgebiet.

Im Bereich der medizinischen Diagnostik muss bei der
Marktzulassung von Tests darauf geachtet werden, dass
die Kriterien, die es bereits für bestehende medizinische
Tests gibt, entsprechend angepasst werden. Wir brauchen
Gremien, die entscheiden, ob es sich um einen rezept-
pflichtigen Test, der nur vom Arzt durchgeführt werden
darf, oder ob es sich um einen Test handelt, der nur von
ganz speziellen und auf ihre Qualifikation hin geprüften
Instituten in Einzelfällen durchgeführt werden darf, unter
welchen Bedingungen Tests durchgeführt werden dürfen
und welche Beratungsmaßnahmen getroffen werden müs-
sen. Es müssen also allein im medizinischen Bereich sehr
viele Abgrenzungen vorgenommen werden.

Wir haben schon oft über die Bedeutung von gene-
tischen Daten im Zusammenhang mit der inneren Si-
cherheit diskutiert. Auch hier geht die Entwicklung wei-
ter. Möglicherweise muss gesetzlich nachgebessert
werden, um den Schutz der genetischen Daten sicherzu-
stellen.

Mein kleiner Aufriss ist nicht vollständig. Der Bericht
der Enquete-Kommission ist vollständig und bietet eine
gute Übersicht. Wenn der Bericht diesem Hause vorliegt,
werden wir über das Thema der genetischen Daten und
ihres Schutzes erneut debattieren. Ich denke, dass sich das
ganze Haus der Problematik und seiner Verantwortung
bewusst ist.

Wir werden noch in diesem Jahr versuchen – das kann
ich zumindest für meine Fraktion versprechen; es gibt
aber auch entsprechende Signale aus der Regierung –,
Vorarbeiten im Bereich des BMG – es hat bereits einen
Gesetzentwurf vorgelegt – und des Justizministeriums
– hier geht es vor allen Dingen um das Versicherungswe-
sen – zu leisten, die in einen Gesetzentwurf münden wer-
den. Ob ein solcher Gesetzentwurf noch in diesem Jahr
vorgelegt werden kann, hängt davon ab, wie schnell wir
das Ganze gemeinsam über die parlamentarischen Hürden
bringen.

Ich bedanke mich jedenfalls bei allen Fraktionen für
die Wachsamkeit und für den Kooperationswillen, der
deutlich zu erkennen ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421310700
Für die FDP-Fraktion
spricht der Kollege Detlef Parr.


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1421310800
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Ich möchte zunächst einmal meiner Freude
Ausdruck geben, dass ich vor einem rein weiblichen Prä-
sidium reden darf. Ich denke, das ist ein gutes Zeichen für
die Art und Weise, wie wir hier im Parlament miteinander
umgehen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421310900
Solange wir hier oben
keine Gentests über uns ergehen lassen müssen, ist das in
Ordnung.


(Heiterkeit)



Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1421311000
Wir sind uns einig, Frau Präsiden-
tin, dass wir an dieser Stelle enge Grenzen ziehen wollen.

Nach dem 11. September ist vieles in unserem Land
anders geworden. Auch der Datenschutz ist in eine
Schieflage geraten. In seinen Sicherheitspaketen hat
Innenminister Schily vom Schutz persönlicher Daten in
manchem Bereich mehr preisgegeben, als uns lieb war.
Datenschutz darf aber nicht zur Verfügungsmasse aktuel-
ler politischer Tagesereignisse werden, welche Dimensio-
nen sie auch haben mögen.


(Zuruf des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Das gilt für die uns geläufigen Datenerhebungen, Herr
Tauss. Das gilt aber noch viel mehr für genetische Daten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS)


Sie müssen mit noch größerer Sensibilität behandelt wer-
den. In diesem Punkt sind wir uns alle einig.

Deshalb ist es richtig, dass wir uns heute auf der
Grundlage des CDU/CSU-Antrages mit diesem Zu-
kunftsthema befassen. Das individuelle genetische Profil,
das zum Beispiel durch DNA-Chips entwickelt werden
kann, kann zu einem persönlichen Schicksal werden. Kol-
lege Wodarg hat schon auf die Familienbezüge und auf die
Probleme hingewiesen, die daraus entstehen können.

Wir müssen also die Frage beantworten, wie wir Stig-
matisierung, unter Umständen sogar Diskriminierung,
aufgrund bestimmter individueller genetischer Risiken
vermeiden können und wie wir auf der anderen Seite dafür
sorgen können, die Pharmakogenomik und individuelle
genetische Diagnostik zu einem Konzept neuartiger, auf
das persönliche Profil des Patienten zugeschnittener, ver-
besserter Arzneimitteltherapie zu verbinden. Ob dazu ein
Gentechnikgesetz, wie von der Union gefordert, der rich-
tige Lösungsweg ist, möchte ich heute nicht abschließend




Dr. Wolfgang Wodarg

21151


(C)



(D)



(A)



(B)


bewerten. Zudem stellt sich die Frage, wie tief greifend es
sein müsste. Die Enquete-Kommission „Chancen und Ri-
siken der Gentechnik“ hatte vor einigen Jahren davon
noch Abstand genommen. Zahlreiche von Bundesregie-
rung und Landesregierungen eingesetzte Kommissionen
haben die Herstellung von Rahmenbedingungen zur Ge-
währleistung individueller, informierter und autonomer
Entscheidungen für oder gegen die Durchführung geneti-
scher Diagnostik betont.

Für die FDP ist vor allem eines wichtig – das kommt
im vorliegenden Antrag nicht so deutlich zum Ausdruck,
wie wir das für wünschenswert halten, Frau Kollegin
Reiche –: Für die Durchführung jeder Art von Gentests
muss die Beratung unabdingbare Voraussetzung sein.
Ergebnisse solcher Gentests können, wie vorher schon
einmal betont, schicksalhaft sein. Deswegen muss jeder
Bürger vor der Einwilligung über die möglichen Implika-
tionen und gegebenenfalls schwierigen Situtationen nach
einem Gentest gründlich aufgeklärt sein.


(Beifall bei der FDP)

Das Recht auf Nichtwissen ist ein hohes Gut, das wir

nicht antasten dürfen. Deshalb begrüßen wir auch die
Selbstverpflichtung der Versicherungswirtschaft, zu-
nächst bis zum Jahr 2006 die Finger von jeglicher Art von
Gentests zu lassen. Das ist ein gutes Beispiel; die Arbeit-
geber sollten diesem Beispiel folgen. Dann haben wir ge-
nug Zeit, die rasante Entwicklung der Gentechnik in Ruhe
zu verfolgen und einzuschätzen. Ob ein Gentechnikgesetz
nach dem Muster Österreichs oder der Schweiz erarbeitet
werden soll, wird sich dann noch zeigen.

Dieser Gesetzentwurf muss sicher viele Elemente aus
Ihrem vorliegenden Antrag enthalten, Frau Kollegin
Reiche. Für die FDP sollen – noch einmal zusammenge-
fasst – unter anderem folgende Prinzipien neben der
herausragenden Bedeutung der Beratung zur Geltung
kommen: Die Nutzung von Gendiagnostik sollte auf me-
dizinische Zwecke beschränkt sein. Auf jeden Fall sollte
der Arztvorbehalt bzw. eine fachärztliche Qualifikation
gewährleistet sein. Aus dem Selbstbestimmungsrecht er-
gibt sich, dass die Weitergabe der Daten nur mit aus-
drücklicher Zustimmung des Einzelnen erfolgen darf.
Außerdem muss die Qualitätssicherung von Beratung und
Diagnose durch staatliche Zulassung der Einrichtungen
sichergestellt sein.

Lassen Sie mich noch eine letzte Bemerkung machen,
was die Diskussion der ethischen Fragen betrifft, die wir
in der nächsten Woche in diesem Hause debattieren. Ich
halte es für nicht in Ordnung, dass in verschiedenen Gre-
mien die gleichen Fragen diskutiert werden. Außerhalb
des Parlamentes geschieht dies im Nationalen Ethikrat,
der vom Bundeskanzler einberufen worden ist. Wir als
Deutscher Bundestag sollten darauf achten, dass die ethi-
schen Fragen, die die Bevölkerung betreffen, hier im
Bundestag diskutiert, beraten und entschieden werden
und dass keine Nebengremien wie der Nationale Ethikrat
die Diskussion bestimmen, die wir im Parlament anders
führen würden.

Danke.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421311100
Das Wort hat die Kol-
legin Monika Knoche für die Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen.


Monika Knoche (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1421311200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen!
Herr Kollege Parr, ich will nicht sagen, dass sich mein
Beitrag nun erübrigt hat – wahrlich nicht –, aber in der Tat
gehe ich mit Ihren Ausführungen im Wesentlichen kon-
form.

Die Tatsache, dass es neue diagnostische Möglichkei-
ten gibt, die die genetische Beschaffenheit eines Men-
schen entschlüsseln, bedeutet nicht, dass wir in der Bun-
desrepublik Deutschland gänzlich neue gesetzliche
Rahmensetzungen brauchen, um den Schutz vor Diskri-
minierung und um eine sachgerechte medizinische An-
wendung zu gewährleisten. Dennoch bin ich der Auffas-
sung, dass es richtig und wichtig ist, uns im Parlament
intensiv damit zu befassen, insbesondere deshalb, um der
Bevölkerung die Sicherheit zu geben, dass wir alles tun,
um Missbrauchspotenziale zu vermeiden.

Welche Kriterien sind dafür wichtig? Am meisten be-
schäftigt die Menschen die Sorge, dass das Wissen, das im
Rahmen der medizinischen Diagnostik erworben wird, an
Versicherungen oder Arbeitgeber weitergegeben werden
könnte und sie aufgrund dieses Wissens dann Diskrimi-
nierungen ausgesetzt sind. Wenn wir als Gesetzgeber uns
in der Frage des Regelungsbedarfs orientieren, dann kom-
men wir zu der Tatsache, dass das Diskriminierungsverbot
im Grundgesetz steht. Es ist also sehr wichtig, dass wir
auf Folgendes hinweisen: Selbst genetisch bedingte Be-
hinderungen dürfen im Versicherungsrecht kein Kriterium
sein, das zu Benachteiligungen führt. Das ist grundlegend.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)


Das sind Orientierungen, die den Arbeitgebern bekannt
sind. Ich als Frau möchte betonen: Wir haben eine gute
Rechtssicherheit erreicht in der Hinsicht, dass von Ar-
beitgebern die Überprüfung der Frage, ob eine Schwan-
gerschaft vorliegt, nicht verlangt werden darf. Nicht an-
ders sollte es sich mit Gentests verhalten. Es gilt also, das
neue Problem in den hochrangigen Schutz einzureihen,
den wir in vergleichbaren Fragen schon haben. Man muss
nicht immer alles neu machen; unter Umständen muss
man es allerdings vervollkommnen.

Sehr wichtig ist – das wird oft vergessen –, dass die
gesetzliche Krankenversicherung für die Patienten den
maximalen Schutz bietet, den ein Versicherungssystem
überhaupt geben kann, weil es völlig irrelevant ist, welche
genetisch bedingte oder nach prädiktiven Tests zu erwar-
tende Erkrankung eintritt. Durch das Sachleistungsprin-
zip und den Ausschluss von Versicherungspolicen als
Grundlage der Versicherung ist eine Diskriminierung in-
nerhalb der GKV für die Versicherungsgeber nicht nur fi-
nanziell völlig unattraktiv; sie ist auch von der Sache her
nicht möglich. Daher ist dort, wo 90 Prozent der Bevöl-
kerung versichert sind, der größte Schutz vorhanden.


(Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Zum Glück ist das noch so!)





Detlef Parr
21152


(C)



(D)



(A)



(B)


An diesem Schutzniveau müssen sich auch die privaten
Krankenversicherungsträger orientieren, um keine Be-
nachteiligung von privat Versicherten zu realisieren.

Bei der privaten Versicherungswirtschaft – sie hat
sich einer Selbstverpflichtung unterworfen; das würde ich
niemals als Freikauf von nötig werdenden Gesetzen be-
trachten –


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


erstaunt mich – das ist eigentlich mehr ein logisches, ein
intellektuelles Problem –, dass man überhaupt auf die Idee
kommt, es könnte sinnvoll sein, durch ein Screening oder
durch die Offenbarung der genetischen Disposition eines
Menschen Kenntnisse zu erlangen. Die Tatsache, dass
Menschen um ihre genetische Disposition wissen, ändert
ja nichts daran, dass die Krankheit eintritt; sie träte auch
ein, wenn sie nicht um diese Disposition wüssten. An dem
Versicherungsumfang und dem Eintritt des Versiche-
rungsfalls ändert sich also nichts. Was ist nun das ökono-
mische Interesse privater Versicherungsträger, wenn sie
doch Diskriminierung und Benachteiligung von gene-
tischer Andersartigkeit ausschließen wollen? Wie wollen
sie die Versicherungspolice anders berechnen, ohne dis-
kriminierend zu sein?


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Die Tatsache, dass Menschen genetisch verschieden sind
und dass irgendwann eine Krankheit eintritt, ändert sich
doch nicht dadurch, dass man die genetische Disposition
kennt. Interessant ist das Wissen dann, wenn nach solchen
prädiktiven Tests für die betreffende Person Primär- oder
Sekundärprävention im Hinblick auf den Eintritt der
Krankheit hilfreich ist.

Gerade dies verweist darauf, dass wir Gentests aus-
schließlich im Rahmen des ärztlichen Behandlungsauf-
trages zulassen dürfen. Nur dort ist die Verschwiegenheit
gewahrt, nur dort kann der „informed consent“ überhaupt
hergestellt werden und nur dort ist ein Regelwerk vorhan-
den, um die iatrogenen Schäden zu begrenzen und zu ver-
meiden, die durch eine unsachgerechte Diagnostik bei der
Patientin bzw. beim Patienten ausgelöst werden.

Niemals dürfen Gentests frei verkäufliche Waren sein.
Niemals darf man Gentests zu einem weiteren Markt-
segment im ärztlichen Sektor machen. Denn aussagekräf-
tige Gentests offenbaren nicht nur die genetische Dispo-
sition der getesteten Person, sondern greifen zugleich tief
in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung
der genetisch Verwandten ein. Wegen dieses Selbstbe-
stimmungsrechtes kommt es gerade bei der Gendia-
gnostik unausweichlich zu einem Grundrechtekonflikt
unter genetisch verwandten Menschen. Ihr Recht auf Wis-
sen müssen wir als Gesetzgeber genauso wahren wie ihr
Recht auf Nichtwissen.

Dies alles – damit möchte ich schließen – lässt sich
nach meinem Dafürhalten im bestehenden Regelwerk des
Gesundheitswesens am besten sachgerecht unterbringen.
Daher bin ich sehr daran interessiert, dass wir in dieser
Legislaturperiode mithilfe der Enquete-Kommission zu
einem Gesetzgebungsverfahren kommen. Verfolgt man

die von mir eben verfolgte Intention, dürften bei der
Schaffung neuer rechtlicher Vorschriften die Probleme im
Arbeits- und Versicherungsrecht eher als die Probleme im
medizinischen Bereich vernachlässigt werden können.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Detlef Parr [FDP])



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421311300
Die letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Angela Marquardt für die
PDS-Fraktion.


Angela Marquardt (PDS):
Rede ID: ID1421311400
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Kurz nach der Bekanntgabe der so
genannten Humangenomentschlüsselung im Sommer
2000 überschlugen sich die Presseerklärungen und es
hieß, Rot-Grün werde Gentests von Versicherungen ver-
bieten. Auch Frau Ministerin Bulmahn ließ sich damals
mit dem Satz zitieren, die Politik könne nicht zulassen,
dass Menschen aufgrund von Erbanlagen benachteiligt
würden.

Ich habe jetzt zur Kenntnis genommen, dass es vor der
Sommerpause hierzu eine Vorlage bzw. Diskussionen ge-
ben soll. Bisher ist aber nichts passiert, obwohl es Dis-
kussionsgrundlagen aus dem Büro für Technikfolgenab-
schätzung gibt und der Ethikbeirat ebenso wie die
Enquete-Kommission hierfür Diskussionsgrundlagen ge-
liefert haben. Insofern halte ich den Vorstoß der
CDU/CSU und auch das Anliegen des vorliegenden An-
trags für richtig.

Ich teile die Auffassung, dass Gentests grundsätzlich
an die Zustimmung des Betroffenen zu binden seien und
dass deren Einsatz sowie die Verwendung ihrer Ergeb-
nisse in bestimmten Bereichen auszuschließen seien. Wer
die Diskriminierung von Menschen verhindern will, darf
keine Lücken lassen.


(Beifall bei der PDS)

Daher bin ich der Überzeugung, dass in der Arbeitswelt
und bei Versicherungen Gentests umfassend verboten
werden müssen. Eine Selbstverpflichtung halte ich in die-
sem Bereich für nicht ausreichend. Hierauf hat Frau
Knoche zu Recht hingewiesen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


So richtig der Grundsatz ist, dass es eine freiwillige Zu-
stimmung zu Gentests geben muss, wird dies allein die
flächendeckende Ausbreitung von Gentests nicht verhin-
dern. Letztlich wird dadurch auch keine Diskriminierung
verhindert. Zu erinnern ist hier an die Durchsetzung der
pränatalen Diagnostik seit den 70er-Jahren. Auch sie war
freiwillig, stellte eine Sonderleistung dar und war anfangs
auf so genannte Risikofrauen beschränkt. Heute ist sie im
Grunde genommen eine Regelleistung geworden: ein na-
hezu flächendeckendes Screening mit einer strukturell eu-
genischen Folgewirkung. Dennoch erklärt die Humange-
netik, sie habe damit nichts zu tun, und macht die




Monika Knoche

21153


(C)



(D)



(A)



(B)


individuellen Wünsche von Frauen oder Paaren verant-
wortlich.

Der Humangenetik die Hoheit über Beratung und
Durchführung genetischer Tests zu überlassen ist falsch.
Nach meinem Dafürhalten müsste ein wirklich unabhän-
giges Beratungsnetz aufgebaut werden; denn es bleibt
das grundlegende Problem der medizinischen Genetik,
dass sie sich ihre eigene Nachfrage schafft.

Durch die so genannte Entdeckung immer neuer Gen-
korrelationen mit bestimmten Erkrankungen oder Behin-
derungen gelten immer mehr Menschen als Risikoperso-
nen. Dies wird einen Andrang auf Gentests auslösen. Es
gibt unzählige Gene, die gerade mit Krebserkrankungen
in Verbindung gebracht werden. Hier, glaube ich, offen-
baren sich auch die Gefahren derChip-Technologie: Sie
wird nicht nur zu einer Datenflut führen, sondern auch das
Aufspüren kleinster Auffälligkeiten begünstigen. Damit
werden unzählige neue Risikogruppen geschaffen und das
sollte nicht unser Anliegen sein.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Um eine sinnvolle Diskussion zum Thema Gentests zu
führen, muss es erstens einen Stopp der massiven Förde-
rung der Entwicklung von Gendiagnostik über den Haus-
halt des BMBF geben und sollten wir zweitens ein Mora-
torium für Gentests durchsetzen; denn nur so kann man in
meinen Augen die unkontrollierte Dynamik des Diagnos-
tikmarktes anhalten.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421311500
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/6640 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ursula
Burchardt, Petra Bierwirth, Hubertus Heil, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Winfried Hermann, Franziska
Eichstädt-Bohlig, Hans-Josef Fell, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Nachhaltige Wasserwirtschaft in Deutschland
– Drucksache 14/7177 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Die Kolleginnen und Kollegen Ulla Burchardt,
Marlene Rupprecht, Max Straubinger, Winfried
Hermann, Walter Hirche sowie Eva Bulling-Schröter ha-
ben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) – Ich höre Zu-
stimmung im ganzen Saal.

Deshalb kommen wir gleich zur Überweisung. Inter-
fraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Druck-
sache 14/7177 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. – Auch hierzu gibt es keinen
Widerspruch im Saal. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.

Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 23:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen (15. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Birgit Homburger, Horst Friedrich

(Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, weiterer

Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Übergangsregelung für das neue Führerschein-
recht
– Drucksachen 14/2370, 14/5558 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Rita Streb-Hesse

Die Kolleginnen und Kollegen Rita Streb-Hesse,
Wolfgang Börnsen, Helmut Wilhelm, Horst Friedrich so-
wie Winfried Wolf haben ihre Reden ebenfalls zu Proto-
koll gegeben.2) – Auch hier stelle ich Freude im gesamten
Haus fest.

Wir kommen deshalb jetzt zur Abstimmung über die
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen auf Drucksache 14/5558 zum An-
trag der Fraktion der FDPmit dem Titel „Übergangsrege-
lung für das neue Führerscheinrecht“. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/2370 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist gegen die Stimmen von CDU/CSU, FDP und PDS an-
genommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Gehrcke, Heidi Lippmann, Carsten Hübner, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak
– Drucksachen 14/4709, 14/5716 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Christoph Moosbauer
Karl Lamers
Rita Grießhaber
Ulrich Irmer
Wolfgang Gehrcke




Angela Marquardt
21154


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 5
2) Anlage 6

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion der PDS fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Die Aussprache ist eröffnet. Ich erteile dem Kollegen
Wolfgang Gehrcke für die PDS-Fraktion das Wort.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421311600
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich kann den Unmut darüber
verstehen, am Freitag noch Debatten führen zu müssen,
aber ich bitte zu akzeptieren, dass es immer die kleinen
Fraktionen trifft, wenn die Reden am Nachmittag zu Pro-
tokoll gegeben werden. Aber ich halte es nicht für den
Sinn parlamentarischer Debatten, wenn sich der Umgang
miteinander auf das Austauschen schriftlicher Noten be-
schränkt,


(Beifall bei der PDS)

und deswegen rede ich zu diesem Punkt. Ich wusste, dass
die meisten Reden zu Protokoll gegeben werden, aber ich
meine, zu Fragen der Demokratie muss man mindestens
einen Satz sagen.

Wir sollten uns darüber klar werden, dass man die
Frage der Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak
natürlich unter Berücksichtigung der Umfeldbedingun-
gen debattieren muss: die Explosion von Gewalt und Ge-
gengewalt im Nahen Osten, die brüchige Grenze zwi-
schen Bürgerkrieg und Krieg, die beständige Drohung der
USA, möglicherweise eine Militäraktion, einen Krieg ge-
gen den Irak zu führen. Heute war erneut in der Presse zu
lesen, dass sich Präsident Bush einen Krieg gegen den
Irak als eine mögliche Option offen hält. Das muss man
vor dem Hintergrund der Massierung von Truppen in der
Region – dazu gehört auch die Stationierung deutscher
ABC-Spürpanzer in Kuwait – sehen. All das macht die
Region zu einem Pulverfass. Gerade deshalb muss man
jetzt über Deeskalation, Stabilität und Humanität reden.
Humanität bleibt unser Anliegen.


(Beifall bei der PDS)

Ich möchte uns die eigentlichen Ziele der Sanktionen

in Erinnerung rufen – auch wenn ich sie nie geteilt und im-
mer für falsch gehalten habe, glaube ich, dass es gut ist,
sich an diesen Zielen zu messen –: Durch die Sanktionen
sollte verhindert werden, dass der Irak erneut eine mi-
litärische Stärke erreicht; es sollte verhindert werden, dass
er andere bedrohen kann; es sollte verhindert werden, dass
er Zugang zu Massenvernichtungswaffen bekommt; es
sollte erreicht werden, dass die kuwaitischen Gefangenen
– die 600 Verschleppten – freigelassen werden und dass
der Irak akzeptiert, dass die Souveränität Kuwaits nicht
infrage gestellt werden darf.

Indirekt – das war aber nie Gegenstand der Resolution –
haben viele gehofft – auch ich habe diese Hoffnung –,
dass die blutige Unterdrückung des irakischen Volkes
durch Saddam Hussein beendet werden kann und dass
dort ein Machtwechsel möglich wird. Deswegen meine
Feststellung: Die Sanktionen haben genau diese Ziele
nicht erreicht. Im Gegenteil: Sie waren kontraproduktiv.


(Beifall bei der PDS)


Man kann heute feststellen – das behauptet jeder –,
dass der Irak militärisch nicht schwächer geworden ist.
Ich frage mich immer wieder – diese Fragen werden wir
beantworten müssen –: Warum greifen alle Sanktionen
gegen die zivile Bevölkerung? Warum ist es nicht mög-
lich, den Zustrom von Waffen in solche Länder endgültig
zu unterbinden?


(Beifall bei der PDS)

Wer hat ein Interesse daran, mit solchen Ländern Waffen-
handel zu betreiben?

Der Einfluss des Hussein-Regimes ist durch die Sank-
tionen nicht kleiner geworden, durch die Nahostauseinan-
dersetzung erst recht nicht. Man kann sagen, dass Saddam
Hussein – auch in den arabischen Ländern – noch nie so
viel Einfluss wie heute hatte.

Die Inspekteure der Vereinten Nationen sind noch
nicht einmal ins Land gekommen, um zu überprüfen, ob
Massenvernichtungswaffen vorhanden sind oder produ-
ziert wurden. Dazu möchte ich anmerken, dass es nicht
gerade hilfreich ist, dass die USA diese Situation zum An-
lass nimmt, um einen möglichen Krieg zu führen, sich
aber gleichzeitig bei der Auseinandersetzung über das Zu-
satzprotokoll der Biowaffenkonvention weigert, interna-
tionale Inspekteure ins eigene Land zu lassen. Das ist
doch nicht glaubwürdig. Auch das haben wir den USA zu
sagen.


(Beifall bei der PDS)

Da wir gerade beim Thema Glaubwürdigkeit sind,

möchte ich anmerken, dass mir einmal jemand erklären
sollte, warum die USA gerade in diesen Tagen die finan-
zielle Unterstützung für die irakische Opposition einge-
stellt haben. Wenn man einen nicht militärischen Macht-
wechsel anstrebt, passt das doch nicht zusammen.

Alles in allem hat unter den Sanktionen nur die zivile
Bevölkerung im Irak gelitten: 500 000 bis 600 000 Kin-
der sind an den Folgen des Embargos gestorben; die Ar-
beitslosigkeit beträgt mittlerweile 60 bis 75 Prozent; die
Einkommen sind um zwei Drittel zurückgegangen; das
Bildungswesen ist fast zusammengebrochen. Deswegen
lauten unsere Forderungen: Alle nicht militärischen
Sanktionen – die Sanktionen gegen das Militär möchte ich
sogar verstärkt wissen – müssen aufgehoben werden; die
tatsächlich demokratische Opposition im Irak muss un-
terstützt werden; politischer Druck muss entwickelt wer-
den; die deutschen Panzer dürfen jetzt nicht in Kuwait
stationiert werden. Eine solche Stationierung kann inter-
national nur als ein Einverständnis mit einem möglichen
Krieg gegen den Irak verstanden werden, in den wir uns
nicht hineinziehen lassen dürfen. Wir müssen vielmehr
heraus. Es müssen sofort Korrekturen vorgenommen
werden.


(Beifall bei der PDS)

Deshalb lautet meine Bitte und Forderung an die Bun-

desregierung, endlich verbindlich zu erklären, dass man
sich nicht an militärischen Aktionen, an einem Krieg der
USAgegen den Irak beteiligen wird. Ich möchte, dass das
hier verbindlich erklärt wird, damit die USA das zur
Kenntnis nehmen.




Vizepräsidentin Petra Bläss

21155


(C)



(D)



(A)



(B)


Auch wenn jetzt Freitagnachmittag ist: Ihnen das vor-
zutragen war es mir wert. Das ist die Begründung zu un-
serem Antrag.

Herzlichen Dank, dass Sie es sich zumindest angehört
haben.


(Beifall bei der PDS)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421311700
Da die Kollegen

Christoph Moosbauer, Joachim Hörster, Rita Grießhaber
und Ulrich Irmer ihre Reden zu Protokoll gegeben haben,
schließe ich die Aussprache.1)

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksa-
che 14/5716 zu dem Antrag der Fraktion der PDS zur Auf-
hebung der Sanktionen gegen den Irak. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/4709 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.

Ich rufe Zusatzpunkt 11 auf, der zugleich der letzte Ta-
gesordnungspunkt der heutigen Debatte ist:

Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der PDS
Haltung der Bundesregierung zu aktuellen
Veröffentlichungen über einen Einsatz eines
V-Mannes im NPD-Vorstand

Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist die Kol-
legin Ulla Jelpke für die PDS-Fraktion.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1421311800
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Wir diskutieren heute über einen der größten
Skandale in der Geschichte der Republik.


(Zuruf von der SPD: Ach was!)

Die PDS hat diese Aktuelle Stunde beantragt, Herr Schily,
damit Sie diesen Skandal restlos aufklären und alle Kar-
ten auf den Tisch legen.

Dem Verfassungsgericht in Karlsruhe ist im Verbots-
verfahren gegen die NPD verschmutztes Material vorge-
legt worden. Einer der 14 geladenen Zeugen, der in der
Anklageschrift an vielen Stellen mit agressiven antisemi-
tischen Äußerungen zitiert wird, ist als Spitzel des Ver-
fassungsschutzes enttarnt.

Der innen- und außenpolitische Schaden, der entstan-
den ist, ist enorm. Das Verbotsverfahren wird politisch
und juristisch zurückgeworfen. Die Neonazis frohlocken
und feiern. Alle Gegner des NPD-Verbots fühlen sich, wie
man schon jetzt den Medien entnehmen kann, ermutigt.
Sie glauben, dass ein NPD-Verbot nun gar nicht mehr ge-
fordert wird. Die Opfer der Neonazis, Flüchtlinge, Mi-
granten, Antifaschisten und Antirassisten, sind vor den
Kopf geschlagen.

Statt schnellstens für Aufklärung zu sorgen, sorgen die
Innenminister Schily, Beckstein und Behrens für Schlag-

zeilen, wer der eigentlich Schuldige ist. Es kann doch
überhaupt keine Frage sein: Natürlich trägt Innenminister
Schily als oberster „Schirmherr“ die Hauptverantwortung
für den entstandenen Schaden.


(Beifall bei der PDS)

Das entlastet die Innenminister Beckstein und Behrens
allerdings nicht. Auch sie hängen mit drin.

Allein die Tatsache, dass der V-Mann Frenz 36 Jahre
lang nicht nur für den Verfassungsschutz in NRW gespit-
zelt hat, sondern die NPD von Anfang an faktisch mit auf-
gebaut hat, ist unglaublich.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Dass V-Leute des Verfassungsschutzes in der NPD mit-
mischen, ja sogar in deren Bundesvorstand sitzen,
während dieselbe Partei eine Unzahl von Gewalttaten ge-
gen Flüchtlinge, Migranten und andere Menschen plant,
propagiert und durchführt, ohne dass die Sicherheits-
behörden das verhindert haben, ist ungeheuerlich.

Dass man jetzt dem Gericht in Karlsruhe einfach mit-
teilt, dieser Mann sei 1995 „abgeschaltet“ worden, wie
von einigen vorgeschlagen wird, löst das Problem unseres
Erachtens nicht. Es sind doch ganz andere, grundsätzliche
Fragen aufgeworfen worden, die geklärt werden müssen.
Wolfgang Frenz hat nicht nur den VS informiert, er hat als
Ziehkind des Verfassungsschutzes die NPD mit begrün-
det, sie über Jahrzehnte hinweg maßgeblich mit aufge-
baut. Nach Brandenburg und Thüringen steht damit erneut
der von uns schon immer kritisierte V-Leute-Einsatz im
Bereich des Rechtsextremismus zur Debatte.

Die Ausführungen zum agressiven Antisemitismus der
NPD in den Verbotsanträgen von Bundestag, Bundesrat
und Bundesregierung beziehen sich maßgeblich auf die
Aussagen von Wolfgang Frenz und Horst Mahler. Deren
Ausführungen sind für die Anklage derart wichtig, dass
man jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergehen
kann. Natürlich ist der Vorwurf des agressiven Antisemi-
tismus der NPD auch ohne die Zitate von Herrn Frenz
vollauf berechtigt und begründet;


(Sebastian Edathy [SPD]: Wohl wahr!)

aber die Anklageschriften müssen jetzt grundlegend über-
prüft und überarbeitet werden, vor allen Dingen dahin ge-
hend, ob sich weitere V-Leute hinter den Zeugen verber-
gen.

Die Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern
sowie die Innenminister, die diesen unglaublichen Vor-
gang zu verantworten haben, über den wir hier diskutie-
ren, haben den Rechtsextremismus seit Jahren bagatelli-
siert. Es ist kein Wunder, dass jetzt in der Öffentlichkeit
darüber spekuliert wird, wie hoch die Zahl der V-Leute in-
nerhalb der NPD wohl sein mag. Diese Fragen sind, wie
gesagt, vollauf berechtigt. Die Zeitung „Die Welt“ hat das
gestern mit einer Karikatur auf den Punkt gebracht. Darin
werden Schröder und Schily vom Karlsruher Gericht per
Telefon gefragt, wer denn nun eigentlich verboten werden
solle: die NPD oder der Verfassungsschutz?


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Und die PDS vielleicht!)





Wolfgang Gehrcke
21156


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 7

Die Innenminister und der Verfassungsschutzleiter be-
teuern, es gebe keine weiteren Spitzel auf der Liste der
nach Karlsruhe geladenen Zeugen. Wir wissen aber, dass
seit Jahren viele Spitzel vom Verfassungsschutz in die
NPD eingeschleust wurden. Das muss genauestens auf
den Tisch. Das Gericht in Karlsruhe, wir selbst, aber vor
allem die Öffentlichkeit haben ein Recht darauf, dass die-
ser Skandal von Innenminister Schily, aber auch von den
Länderinnenministern restlos aufgeklärt wird.

Wir sind nicht bereit, jetzt irgendwelche Schnell-
schüsse mitzumachen. Schon gar nicht sind wir bereit,
vorschnell irgendwelche Entschuldigungen und Beschö-
nigungen hinzunehmen. Es gibt mehrere Vorschläge, die
im Raum stehen, zum Beispiel den Einsatz eines Sonder-
ermittlers bzw. die Einsetzung eines parlamentarischen
Untersuchungsausschusses. Wir in der PDS-Fraktion
werden alle Möglichkeiten unterstützen, die Aufklärung
bringen und vor allen Dingen dienlich sind, um das Ver-
bot der NPD weiter zu betreiben. Denn die NPD ist eine
antisemitische, aggressive, hetzerische, gewalttätige, ver-
fassungsfeindliche Partei, die verboten gehört.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421311900
Frau Kollegin Jelpke,
jetzt muss ich Sie an die Redezeit erinnern.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1421312000
Ich komme zu meinem letzten
Satz. – Das sind wir den über 100 Opfern, die durch rechte
Gewalt ums Leben gekommen sind, den Opfern von
Mölln, Solingen, Rostock und Hoyerswerda, den vielen
Verletzten und insbesondere natürlich auch der Öffent-
lichkeit in Deutschland und international schuldig.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421312100
Es spricht der Kollege
Michael Bürsch für die SPD-Fraktion.


Dr. Michael Bürsch (SPD):
Rede ID: ID1421312200
Frau Präsidentin! Sehr
geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es sind noch 239 Tage
bis zur Bundestagswahl. Da neigt die politische Rhetorik
zur Dramatisierung und zur Skandalisierung. Insofern
verstehe ich das, was die Kollegin eben vorgetragen hat.
Als Norddeutscher habe ich eine etwas ruhigere Gangart
und auch eine etwas sachlichere Herangehensweise ge-
lernt. Vor allem möchte ich als Berichterstatter für das
NPD-Verbot zum Kern zurückführen, worüber heute de-
battiert wird und was unser gemeinsames wichtigstes Ziel
ist: nämlich dass es zu einem NPD-Verbotsverfahren
kommt und dass diese Partei so schnell wie möglich ver-
boten wird.


(Beifall bei der SPD)

Dies muss im Kern unserer Bemühungen stehen. Darüber
sollten wir, nachdem der Pulverdampf der letzten zwei
Tage etwas verflogen ist, in ruhigerer Art reden.

Als Berichterstatter will ich drei Bemerkungen ma-
chen, die mit dem Verfahrensstand zu tun haben.

Punkt eins. Es ist von Kommunikationsdefiziten und
-lücken zwischen Berlin und Karlsruhe die Rede gewe-
sen. Die Schuld ist – aus meiner Sicht ziemlich einseitig –
an Berlin gegeben worden, an einen Beamten, der telefo-
niert hat. Ich habe das Ganze einmal zurückverfolgt und
die Vermerke dazu aus Karlsruhe, die inzwischen vorlie-
gen, gelesen. Ich sage in aller Zurückhaltung und Be-
scheidenheit ohne jede Gerichtsschelte: Da gab es auf
zwei Seiten ein Kommunikationsdefizit oder eine unge-
wöhnliche Kommunikation; denn auch von der anderen
Seite ist zum Telefon gegriffen worden, wo der schriftli-
che Verkehr nahe gelegen hätte.

Das Verfassungsgericht hat nunmehr am 23. Januar
schriftlich dazu aufgefordert, zu dem ganzen Vorgang
Stellung zu nehmen. Das heißt, wir sind jetzt im ordentli-
chen Verfahren. Nunmehr geht das seinen geregelten
Gang.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Oje!)


Ich als Jurist kann nur in aller Zurückhaltung feststellen:
Das Gericht hat den zweiten Schritt vor dem ersten
gemacht. Es hat nämlich Termine zur mündlichen Ver-
handlung ausgesetzt und erst nachher beschlossen, den
Sachverhalt in der üblichen und ordentlichen Form auf-
zuklären. Das möge jeder beurteilen, wie er will. Es ist
aber vielleicht der Wahrheitsfindung dienlich, zu wissen,
wie der Hergang war.

Punkt zwei. Die Anträge aller drei Verfassungsorgane
– liebe Kolleginnen und Kollegen, aller drei! – stützen sich
durchgängig auf Material, das mit der Eigenschaft eines
Herrn Frenz als V-Mann nichts, absolut nichts zu tun hat.
Es wird lediglich auf Schriften dieses Herrn Frenz Bezug
genommen. Keiner der drei Antragsteller hat Herrn Frenz
als Zeugen oder als Auskunftsperson benannt. Das war
eine zulässige, aber alleinige Entscheidung des Bundes-
verfassungsgerichts. Alle Fragen, die mit V-Leuten und
mit diesem Verfahren zu tun haben, werden jetzt – das sage
ich Ihnen zu – in aller Ruhe und aller Vertrauenswürdig-
keit zwischen den drei Antragstellern, den Prozess-
bevollmächtigten und dem Gericht erörtert. So wird es zu
Lösungen kommen, die dem Verfahren dienen.

Punkt drei. Für den Bundestag stelle ich fest: Unsere
Antragsschrift, die Sie, wie ich annehme, alle gelesen ha-
ben, stützt sich entscheidend darauf, dass es eine Wesens-
verwandschaft der NPD zur NSDAP gibt, und zwar in
Programmatik, Strategie, Rhetorik, Traditionspflege und
anderen Elementen. Der Beweis dafür ist im Prinzip gerade
in unserer Antragsschrift durch öffentlich zugängliche
Quellen und Belege geführt worden. An der Stichhaltigkeit
der Argumentation, dass diese Partei verfassungswidrig
ist, hat sich nichts geändert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das werden alle drei Antragsteller durch ihre Prozessbe-
vollmächtigten in den nächsten drei Tagen durch eine
Stellungnahme, wie sie das Gericht jetzt angefordert hat,
auf dem dafür vorgesehenen schriftlichen Wege kommu-
nizieren. Das geht jetzt seinen ordentlichen Gang.




Ulla Jelpke

21157


(C)



(D)



(A)



(B)


In diesem Sinne hoffe ich auf Versachlichung und da-
rauf, dass auch die Diskussion im Bundestag über das
NPD-Verbot jetzt in geordneten Bahnen verläuft. Wir alle
müssen Interesse daran haben, dass das Verfahren gegen
die NPD beginnt – und zwar bald –, und dass es zum Ver-
bot dieser rechtsextremistischen, gewaltbereiten Partei
führt.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421312300
Das Wort hat der Kol-
lege Erwin Marschewski für die Fraktion der CDU/CSU.


Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1421312400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Ich beginne mit einem Zitat des Deutschen Richter-
bundes:

Mit Gerichten spielt man nicht. Es ist der fatale Ein-
druck entstanden, dass die Exekutive

– also das Bundesinnenministerium –
versucht hat, mit Tricks, mit unlauteren Mitteln, mit
Halbwahrheiten, mit Verschweigen entscheidender
Tatsachen das höchste deutsche Gericht ... zu mani-
pulieren.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Oh!)

– Ich zitiere nur, Herr Kollege.

Es ist nicht Aufgabe des DRB, Konsequenzen zu for-
dern oder zu bewerten, wer für diese „Schlamperei“
politisch verantwortlich ist.

Der Richterbund hat Recht: Dies ist eine ungeheure
Schlamperei,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Der vornehme Richterbund!)


und das in einem Verbotsverfahren, das einmalig ist, weil
der Bundestag, die Bundesregierung und der Bundesrat,
drei Verfassungsorgane, es gemeinsam betreiben. Die
NPD muss verboten werden, weil sie die freiheitlich-de-
mokratische Grundordnung abschaffen will, weil sie ras-
sistisch ist, in jeder Hinsicht unappetitlich. Deswegen darf
der Verbotsantrag nicht scheitern,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


weil dies sonst den Extremisten nützt und uns Demokra-
ten schadet.

Uns schadet auch, was Sie zu verantworten haben, Herr
Bundesinnenminister: Warum ist das Bundesverfassungs-
gericht nicht informiert worden, obwohl die Karlsruher
Richter sich mit Ihrem Ministerium in Verbindung gesetzt
haben? Ihre Antwort im Innenausschuss war eine Ge-
richtsschelte; Ihnen sei kein rechtliches Gehört gewährt
worden. Das ist objektiv falsch.

Ein Weiteres war unrichtig, Herr Minister: Erst als es
eng wurde, gestanden Sie ein, dass der Kreis der Infor-
manten aus mehreren Personen bestand, vor allem aus
Ihrem Intimus, Herrn Staatssekretär Claus Henning
Schapper. Sie haben erklärt, Sie hätten ihm eine Rüge er-
teilt. Eine bloße Rüge, Herr Minister, für die größte Bla-
mage, wie der „Tagesspiegel“ schreibt, für diese schal-
lende Ohrfeige?

Ich zitiere Michael Möller:
Wieder einmal verschlimmert ein Politiker einen an
sich schon gravierenden Fall durch sein eigenes Kri-
senmanagement, versucht, sich mit Tarnen und Täu-
schen aus der Affäre zu ziehen. Das offenbart ein er-
schreckend laxes Verhältnis des Juristen und
Innenministers Otto Schily gegenüber dem höchsten
deutschen Gericht ausgerechnet in einem Verfahren,
bei dem die Fundamente der Verfassung ohnehin auf
eine harte Probe gestellt werden.

Ich wiederhole meine Bewertung im Innenausschuss,
Herr Minister: Diese Rügen reichen nicht aus. Sie, Herr
Bundesinnenminister, tragen die volle Verantwortung für
das, was in Ihrem Hause passiert ist. Wer die volle Ver-
antwortung trägt, der muss andere Konsequenzen ziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Eines ist doch eigenartig:

Alle wussten es, Herr Bundesinnenminister, nur Sie nicht.

(Hartmut Büttner [Schönebeck] [CDU/CSU]: Fünf Tage angeblich nicht!)

– Fünf Tage nicht!

Ich zitiere zum Schluss wieder Michael Möller:
Es ist fast schon tragisch, dass ein so geradliniger
Mann wie Otto Schily, der als Innenminister den
Rechtsstaat zu verkörpern schien, sich am Ende sei-
ner politischen Laufbahn


(Rüdiger Veit [SPD]: Wunschdenken!)

– ich zitiere, meine Damen und Herren, Herrn Möller –


(Jörg Tauss [SPD]: Mal etwas Eigenes! – Rüdiger Veit [SPD]: Die Hälfte der Rede ist Zitat, Herr Kollege!)

auf eine derart unwürdige Weise verbiegen muss – in
wessen Interesse auch immer. Er rettet damit nichts.
Er macht die Sache nur noch schlimmer.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition,

sage ich als langjähriger Parlamentarier und alter Kämp-
fer – gerade weil Sie, anstatt ernsthaft zu sein, so hämisch
dazwischenrufen: Ich bin nun wirklich nicht froh über die
entstandene Situation. Wir alle sollten darüber nicht froh
sein. Meine Fraktion ist dies jedenfalls nicht.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Sebastian Edathy [SPD]: Bewahren Sie dann auch die Verhältnismäßigkeit!)





Dr. Michael Bürsch
21158


(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421312500
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Cem
Özdemir.


Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421312600
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kein Zweifel, der
Anlass der heutigen Debatte ist außerordentlich unerfreu-
lich und ärgerlich. Es kann aber auch kein Zweifel darüber
bestehen, dass dem Innenminister keinerlei Versäumnis
vorzuwerfen ist. Er hat im Ausschuss stundenlang Aus-
kunft gegeben und anschließend vor der Bundespresse-
konferenz alle Fragen beantwortet, die im Zusammen-
hang mit diesem Ereignis gestellt worden sind. Ich bin mir
sicher, er wird auch weiterhin für Auskünfte im Innenaus-
schuss zur Verfügung stehen, wenn dieses gewünscht
wird, und auch konstruktiv mit dem parlamentarischen
Kontrollgremium, dem Deutschen Bundestag, zusam-
menarbeiten. Deshalb kann ich für meine Fraktion sagen,
dass diesem Innenminister im Zusammenhang mit diesem
Ereignis keine Vorwürfe zu machen sind.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der PDS)

Meine Damen und Herren, wir sollten jetzt den Blick

nach vorne richten und uns gemeinsam daran erinnern,
was eigentlich unsere Aufgabe ist. Die Aufgabe aller
Fraktionen – ich sage das bewusst – muss jetzt sein, denn
der Deutsche Bundestag ist Verfahrensbeteiligter, alles
dazu beizutragen, dass das Verfahren selbst nicht beschä-
digt wird.


(Zuruf von der CDU/CSU: Und das Parlament nicht!)


Wir müssen dafür sorgen, dass dieses Verfahren erfolg-
reich zu Ende geführt wird. Dafür tragen wir alle mitei-
nander Verantwortung im Sinne dieser Gesellschaft und
dieser Demokratie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch daran erinnern,
was der Anlass für dieses Verbotsverfahren war, das hier
mit großer Mehrheit angestrengt wurde. Ich weiß, dass die
FDP damals aus demokratietheoretischen Erwägungen
dagegen war.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Aufgrund der Befürchtung, dass das nicht sorgfältig vorbereitet worden war!)


Sie war seinerzeit ja nicht deshalb dagegen, weil sie der
Meinung gewesen wäre, dass die NPD nicht gefährlich
sei, sondern deswegen, weil sie der Meinung war, dass ein
Verbot nicht das adäquate Mittel sei. Trotzdem glaube ich,
dass auch die FDP mit uns gemeinsam in der Verantwor-
tung steht und überlegen wird, wie wir dafür sorgen kön-
nen, dass die NPD nachher nicht als feixender Sieger aus
dieser Sache hervorgeht.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das fragen Sie einmal Schily!)


Ich will hier auch noch einmal ganz klar sagen: National-
sozialismus ist keine Gesinnung, sondern ein Verbrechen

und muss so behandelt werden. Darum war es richtig, dass
wir dieses Verbotsverfahren angestrengt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich wundere mich schon ein wenig darüber, geschätzte
Kollegin Pau, dass Sie in einer Presseerklärung, die von
dpa zitiert wird, etwas zugespitzt formuliert gesagt haben,
dass die NPD erst durch den Einsatz von Verbindungsleu-
ten, so genannten V-Leuten, hochgezüchtet worden ist.
Ich zitiere:

Man baut erst einen auf, der an der Gründung der
NPD beteiligt war und viele Jahre ihre Strukturen
und Inhalte mitgeprägt hat, und will ihn dann als
Kronzeugen aufrufen. Das heißt, man will das Feuer
mit Benzin löschen.

Ich kann mich über die Äußerung, über diesen Vorwurf
nur wundern. Das ist nicht nur unsinnig, Frau Kollegin,
sondern auch falsch:

Erstens. Dieser Zeuge, der hier herangezogen wurde,

(Petra Pau [PDS]: Über 20 Jahre!)


hat – das belegt ein Blick auf den Kalender – das Buch,
das in dem Verbotsantrag zitiert wird, erst drei Jahre nach
Beendigung der Zusammenarbeit mit dem Landesamt für
Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen geschrieben.


(Petra Pau [PDS]: Was hat er 20 Jahre vorher gemacht?)


Man kann also auch mit viel Fantasie dieses Buch, dieses
schlimme Machwerk, nun wirklich nicht dem Landesamt
für Verfassungsschutz in die Schuhe schieben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der PDS)


Zweitens. Die Kritik ist in dieser Form auch deshalb är-
gerlich, weil Sie, ohne es zu wollen, sich quasi auf der
Bank des Verteidigers Mahler wiederfinden – dort, wo
niemand aus diesem Haus hingehört. Wir sollten, glaube
ich, alle miteinander aufpassen, dass wir nicht das Ge-
schäft von Herrn Mahler erledigen. Das ist nicht die Auf-
gabe von uns Parlamentariern.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das sagen Sie einmal Herrn Schily!)


Drittens möchte ich bei dieser Gelegenheit auch einmal
erklären, was überhaupt ein V-Mann ist. Ich habe das Ge-
fühl, dass völlig aus dem Blickwinkel geraten ist, was ein
V-Mann ist. Ein V-Mann ist eben nicht ein Agent provo-
cateur, ein V-Mann ist nicht ein Beamter des deutschen
Staates, weder eines Landes noch des Bundes. Das weiß
die PDS vielleicht nicht.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Die PDS weiß das schon! – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Doch, die muss es wissen!)


– Stimmt, Sie haben Recht, eigentlich müssten sie es wis-
sen. Ich korrigiere mich. Das ist wichtig für das Protokoll.






(C)



(D)



(A)



(B)


Ein V-Mann ist jemand, der aus der Organisation
kommt und der dann angezapft wird. In diesem Fall
wurde, Gott sei Dank, abgeschaltet, weil man gesehen hat,
was das für einer ist. Dieser V-Mann bestätigt ja durch
seine eigenen Angaben, dass er das Geld für seine Orga-
nisation benutzt hat, was er für einer ist. Man kann also
wirklich nicht sagen, dass er in irgendeiner Weise ein Pro-
dukt des Staates gewesen ist.

Aber eines müssen wir nach diesem Zwischenfall mit
Sicherheit tun: Ich glaube, dass die Richtlinien zum Ein-
satz von V-Leuten auf den Prüfstand gehören. Einer der
wichtigsten Grundsätze im Einsatz von V-Leuten – das
weiß jeder, der sich fünf Minuten mit Verfassungsschutz
beschäftigt hat – ist: V-Leute dürfen nie in Führungsposi-
tionen oder gar in Vorständen von Organisationen sein.
Gegen diesen Grundsatz wurde hier verstoßen. Darum
muss der ganze Bereich auf den Prüfstand.

Für meine Fraktion will ich noch einmal deutlich ma-
chen, meine Damen und Herren: Der Verbotsantrag ist gut
begründet. Er ist nach wie vor gerechtfertigt. Diese Partei
ist wesensgleich mit der NSDAP. Sie ist antisemitisch, sie
ist rassistisch, sie ist menschenverachtend.


(Beifall bei der SPD)

Sie hat im demokratischen Spektrum keinen Platz.

Lassen Sie mich zum Schluss, weil meine Redezeit ab-
gelaufen ist, noch einmal darauf hinweisen: Wir müssen
uns, wenn sich die Situation beruhigt hat – bei anderer Ge-
legenheit, das betone ich –, zusammensetzen und ge-
meinsam überlegen: Was heißt das für die Geheimdiens-
te? Wie können wir die begonnene Kontrolle der
Geheimdienste, die in dieser Legislaturperiode ja besser
geworden ist, noch weiter verbessern?

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421312700
Jetzt spricht Herr Kol-
lege Dr. Edzard Schmidt-Jortzig für die Fraktion der FDP.


Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (FDP):
Rede ID: ID1421312800
Frau Präsiden-
tin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der
Komplex, über den wir heute unsere Aktuelle Stunde ver-
anstalten, hat weiß Gott ganz unterschiedliche Facetten.
Ich will nur einige aufzählen, wobei gleich die erste Frage
„Was wusste wann der Minister?“ fast schon zur Neben-
sache geworden ist.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Genau!)

Das Übrige ist von Bedeutung. Was ist im

Bundesministerium des Innern in Bezug auf die einschlä-
gigen Informationen alles schief gelaufen? Welche ver-
fassungsprozessualen Fehleinschätzungen sind auf den
zuständigen Fachebenen vorgekommen? Ist das Vertrau-
ensverhältnis zwischen den obersten Verfassungsorganen,
also Bundesverfassungsgericht einerseits und Bundesre-
gierung, Bundestag und Bundesrat als Antragsteller ande-
rerseits, beschädigt worden? Welchen Schaden, welche
Erfolgsbeeinträchtigung hat das konkrete Parteiverbots-

verfahren genommen? Was bedeutet das Geschehen für
den Kampf gegen den organisierten Rechtsextremismus,
welche Windfall Profits also hat man der NPD beschert?
Wie weit darf die nachrichtendienstliche Infiltrierung ver-
fassungsfeindlicher Organisationen gehen, das heißt, wo
verläuft die Grenze zwischen gebotener Nutzung von Ab-
wehrmöglichkeiten und inakzeptabler sachlicher Einbin-
dung oder Mitwirkung?

Wegen der Kürze der Zeit kann ich nur einen Quer-
schnitt verschiedener Aspekte versuchen. Wir werden uns
ja in der Tat noch länger damit beschäftigen. Meine Wit-
terung sagt mir ohnehin: Die Dramatisierung hat noch
nicht ihr Ende gefunden.


(Sebastian Edathy [SPD]: Dramatisierung ist ein guter Begriff! Da wird etwas dramatisiert!)


Ich will – mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin – mit
einem Zitat anfangen:

Der Deutsche Bundestag bedauert, dass die Bundes-
regierung das bisherige Verfahren in einer der Be-
deutung der Sache nicht angemessenen Art und
Weise betrieben hat. Statt wie ursprünglich angekün-
digt zunächst sorgfältig die von den Verfassungs-
schutzbehörden des Bundes und der Länder zusam-
mengetragenen Informationen auszuwerten und
anschließend eine rechtliche und politische Beurtei-
lung abzugeben, hat sich die Bundesregierung ohne
Not frühzeitig öffentlich auf ein Verbotsverfahren
festgelegt.
Ebenso hält es der Deutsche Bundestag für einen un-
angemessenen Umgang zwischen Verfassungsorga-
nen, den Eindruck zu erwecken, als ließe sich das
Bundesverfassungsgericht von der Zahl der Antrag-
steller statt ausschließlich von der Substanz des Ver-
botsantrages beeindrucken.

Wenn irgendetwas in diesem Verfahren schief geht,
wäre die entsprechende Medienwirkung, so heißt es wei-
ter,

für die NPD eine erhebliche Propaganda, was sich
jetzt bereits ansatzweise zeigt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, diese Passagen stammen

aus dem Antrag der FDP-Fraktion vom 6. Dezember
2000, mit dem wir begründet haben, warum wir diese
Form des Parteiverbotsantrages nicht unterstützen kön-
nen. Leider hat sich unsere Skepsis vollauf bestätigt.

Zwei Zwischenfeststellungen kann man meines Erach-
tens schon jetzt treffen: Erstens. Die Bekämpfung des or-
ganisierten wie vor allem des gesellschaftlich-strukturell
bei uns vorhandenen Rechtsextremismus ist eine zu ernste
Sache, als dass sie zum Gegenstand eines routinemäßigen
oder symbolpolitischen Aktionismus gemacht werden darf.


(Beifall bei der FDP, der SPD und der CDU/CSU)


Zweitens. Das hochsensible Instrument eines Partei-
verbotsverfahrens mit all seinen verfassungsrechtlichen,
verfassungspolitischen und konkret innenpolitischen




Cem Özdemir
21160


(C)



(D)



(A)



(B)


– auch hier sind etliche Folgen zu bedenken – Untiefen
darf nur ganz vorsichtig, sehr ernsthaft und in vollem Be-
wusstsein aller Konsequenzen in Anspruch genommen
werden.

Die Bundesregierung hat es nach Auffassung der FDP
offensichtlich an dieser Sorgfalt mangeln lassen.


(Beifall bei der FDPund der CDU/CSU – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Das ist der Punkt!)


Das schwierige Verfahren wurde seitens des betreuenden
Ministeriums zu leichthändig betrieben. Die notwendige
Involvierung der Nachrichtendienste in das Geschehen
wurde nicht kritisch genug behandelt und gesteuert und
das empfindliche konstitutionelle Vertrauensverhältnis
zwischen den Verfassungsorganen hat nur unzureichende
Beachtung gefunden. Das ist noch sanft ausgedrückt,
denn was jetzt als Kritik aus der Bundesregierung an dem
Bundesverfassungsgericht geübt wird, ist in der Sache,
aber auch im Stil völlig unangemessen.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der PDS)


Ein Übergehen zur Tagesordnung kann jedenfalls noch
nicht erfolgen. Hier wird noch intensiv nachzuarbeiten
sein, insbesondere wenn sich die Dinge noch dramatisie-
ren sollten. Wie wir der entsprechenden Presseerklärung
des Vorsitzenden gestern entnehmen können, hat das Par-
lamentarische Kontrollgremium nicht die erforderliche
Zweidrittelmehrheit zustande gebracht, um einen Sonder-
ermittler – richtig hätte man sagen müssen: nachrichten-
dienstlichen Gutachter – einzusetzen. Daher ist zu überle-
gen, ob nicht das Parlament oder die Regierung einen
solchen Sonderbeauftragten einsetzt. Man könnte an eine
parlamentarische Debatte – Sondersitzung – denken, bei
der auch die betreffenden Landesinnenminister hier Rede
und Antwort stehen. Man kann natürlich auch über einen
Untersuchungsausschuss nachdenken. Ich hoffe, wir wer-
den nicht zu diesem schlimmsten und härtesten Mittel
greifen müssen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421312900
Nächster Redner ist
der Kollege Sebastian Edathy für die SPD-Fraktion.


Sebastian Edathy (SPD):
Rede ID: ID1421313000
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, der ansons-
ten von mir als sachlicher Kollege sehr geschätzte Parla-
mentarier Schmidt-Jortzig hat zu Recht davon gesprochen,
dass hier ein Vorgang dramatisiert wird. Ich plädiere deshalb
an dieser Stelle dafür, bei der Diskussion über den gegen-
wärtigen Stand des NPD-Verbotsverfahrens die Verhältnis-
mäßigkeit im Auge zu haben und sich klarzumachen, dass
wir uns jetzt nicht über Gebühr mit einem Neben-, einem
Randaspekt eines Themas zu beschäftigen haben, das uns
alle als Demokraten umtreiben muss.

Ich möchte dafür plädieren, dass wir das gemeinsame
Ziel, ein NPD-Verbot zu erreichen, als Bestandteil einer

Gesamtstrategie zur Bekämpfung von Rechtsextremis-
mus nicht aus den Augen verlieren und auch – das richtet
sich insbesondere an die Kolleginnen und Kollegen von
der Opposition – nicht der Versuchung unterliegen, mög-
licherweise aus parteitaktischen Gründen dieses für un-
sere Demokratie wichtige Vorhaben unnötig klein zu re-
den oder sogar in Misskredit zu bringen.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das macht ihr am besten selber!)


Das Verbot der NPD, wenn es denn erreicht wird, ist
kein leichtes Unterfangen. In Art. 21 Abs. 2 GG ist klar
geregelt: Über die Verfassungswidrigkeit und damit über
das Verbot einer Partei entscheidet in der parlamenta-
rischen Demokratie der Bundesrepublik das Bundesver-
fassungsgericht.

Deswegen haben wir im letzten Jahr auch nicht eine
Debatte gehabt, in der wir leichtfertig entschieden haben:
Wir sind der Überzeugung, die NPD gehört verboten, weil
die Beweislast, die Fülle des Materials, das uns vorliegt,
überwältigend ist. Insofern empfinde ich es als sehr är-
gerlich, dass sozusagen ein kleines Element in der Be-
weiskette, das die Beweisfolge und die Fülle des Mate-
rials, das wir haben, überhaupt nicht infrage stellt, jetzt
Gegenstand einer Debatte ist, in der sich die NPD von der
Sache her völlig zu Unrecht den Anschein gibt, sie sei un-
gerecht behandelt worden. Das ist das Ärgerlichste am ge-
samten Vorgang.


(Beifall des Abg. Rüdiger Veit [SPD] – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das müsst ihr Schily sagen!)


In der Tat ist Kritik zu äußern. Diese Kritik ist im In-
nenausschuss auch geäußert worden. Es wurde darauf
hingewiesen, dass es einen Fehler gegeben hat. Gleich-
zeitig ist klar, dass ein persönliches Versagen des Minis-
ters nicht vorliegt. Was also spricht dagegen, das zu ak-
zeptieren und hinzunehmen, anstatt hier Scheindebatten
zu führen?


(Beifall bei der SPD – Hartmut Büttner [Schönebeck] [CDU/CSU]: Wie ist es denn mit der Struktur im Hause?)


Ich glaube, dass wir uns darauf verständigen sollten, in
der Debatte sachbezogen zu diskutieren. Bei einigen Red-
nern der Debatte habe ich den Eindruck bekommen, dass
es weniger um die Sache als vielmehr darum geht, einen
sehr erfolgreichen Minister in Misskredit zu bringen. Ich
kann Ihnen versichern, dass der Bundesinnenminister
nicht nur den Rückhalt und die Zustimmung der Koali-
tionsfraktionen, sondern auch, und zwar völlig zu Recht,
eine breite Anerkennung in der deutschen Bevölkerung
genießt.


(Beifall bei der SPD)

Das werden Sie auch nicht dadurch in Abrede stellen kön-
nen, indem Sie darauf hinweisen, dass hier ein Verfah-
rensfehler gemacht worden ist.

Einen Aspekt will ich noch besonders betonen, weil ich
glaube, dass in der Debatte einiges vermengt wird; das
richtet sich in einem besonders starken Maße an die PDS,




Dr. Edzard Schmidt-Jortzig

21161


(C)



(D)



(A)



(B)


es richtet sich aber auch an andere, die in der öffentlichen
Diskussion das Wort ergriffen haben. Man muss in einer
Demokratie, die sich dazu bekennt, die Feinde der Demo-
kratie bekämpfen zu dürfen, doch selbstverständlich dazu
in der Lage sein, sich Informationen über Bestrebungen,
die verfassungsfeindlich sind, zu verschaffen.

Dafür gibt es zum Beispiel das Bundesverfassungs-
schutzgesetz und analoge Regelungen in den Ländern, in
denen es heißt, dass auch V-Leute eingesetzt werden kön-
nen, um an Informationen zu gelangen. Dies muss natür-
lich unter der Auflage geschehen, dass sie nicht selbst
– gewissermaßen im Auftrag des Staates – aktiv werden
dürfen. Es darf also nur das Wissen dieser Leute abge-
schöpft werden.

In dem konkreten Fall muss man sich vor Augen hal-
ten, dass sich das Landesamt für Verfassungsschutz von
Nordrhein-Westfalen in diesem Sinne vorbildlich und
richtig verhielt, indem es, nachdem es gemerkt hat, dass
Herr Frenz eine problematische Entwicklung einnahm,
nach 1995 nicht weiter auf seine Informationsdienste
zurückgegriffen hat. Die Äußerungen von Herrn Frenz je-
doch, die als Beweise in das Verfahren und in die An-
tragsschriften für ein NPD-Verbot eingeführt wurden,
stammen aus dem Jahre 1998.


(Petra Pau [PDS]: Das hat er doch vorher auch schon gemacht!)


Wenn man in die Details geht, stellt sich in der Sache
heraus, dass hier unverhältnismäßig diskutiert wird. Sie
können sicher sein, dass wir die Fragen, die noch
im Raum stehen oder sich noch ergeben sollten, im In-
nenausschuss klären. Wir sollten dann wieder darauf
zurückkommen, uns über das Thema Bekämpfung des
Rechtsextremismus Gedanken zu machen, anstatt Klein-
kariertheit zur Schau zu stellen.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Eckart von Klaeden [CDU/ CSU]: Wer hat das denn getan?)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421313100
Jetzt spricht der Kol-
lege Thomas Strobl für die CDU/CSU-Fraktion.


Thomas Strobl (CDU):
Rede ID: ID1421313200
Frau Präsi-
dentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben
aus den skandalösen Vorgängen der letzten Tage einiges
lernen müssen. Es gibt einen großen Unterschied zwi-
schen dem Bundesinnenministerium und dem Bundes-
minister des Innern.

Wenn das Bundesinnenministerium in einem Verfah-
ren vor dem Bundesverfassungsgericht über V-Mann-Ak-
tivitäten informiert wird, dann heißt das noch lange nicht,
dass auch der Bundesinnenminister informiert ist. Wenn
das Bundesverfassungsgericht das Bundesinnenministe-
rium in einem bedeutenden Verfahren um eine Stellung-
nahme bittet,


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Es wurde telefoniert!)


dann heißt das noch lange nicht, dass auch der Bundes-
innenminister um eine solche Stellungnahme gebeten
worden ist, und gibt ihm das Recht gegenüber dem Bun-
desverfassungsgericht Verletzung des rechtlichen Gehörs
geltend zu machen.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Ein rein privater Vorgang!)


Wenn der Bundesinnenminister definitiv ausschließt,
dass weitere V-Leute in diesem Verfahren vor dem Bun-
desverfassungsgericht eine Rolle spielen könnten, dann
heißt das noch lange nicht, dass nicht zeitgleich ein Spre-
cher des Bundesinnenministeriums erklären kann, man
könne dieses gerade nicht ausschließen; auch weitere
V-Leute könnten beteiligt sein.

So arbeitet ein ordentlich geführtes Ministerium nicht.
Das könnte ein organisiertes Chaos sein. Das ist es aber
im Bundesinnenministerium nicht, sondern hier agiert ein
Feldherr ohne Truppen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Schuld, Herr Bundesinnenminister, liegt natürlich

immer bei den anderen. Erst ist es ein Abteilungsleiter,
dann sind es zwei Abteilungsleiter, danach ein Staats-
sekretär der SPD. Schuld sind natürlich auch die Lan-
desinnenminister, besonders der aus Bayern. Schuld sind
die Verfassungsschützer, das Bundesverfassungsgericht,
die Opposition und die Presse. Das ist doch alles absurd.
Das ist ebenso absurd wie die Forderung – die insbeson-
dere aus den Reihen der Grünen kommt – nach einer Re-
form des Verfassungsschutzes.

Damit das ganz klar ist: Nicht beim Verfassungsschutz
ist der Fehler passiert.


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Darin stimme ich Ihnen ausdrücklich zu, Herr Strobl!)


Das Bundesinnenministerium weiß seit dem Sommer des
vergangenen Jahres Bescheid. Also ist doch der Fehler
einzig und allein im Bundesinnenministerium passiert.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Insofern brauchen wir keine Reform beim Verfassungs-
schutz, sondern wir brauchen eine Reform im Bundes-
innenministerium, und zwar eine Reform ganz an der
Spitze, sozusagen eine Spitzenreform im Bundesinnen-
ministerium.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es reicht, Herr Bundesinnenminister, was an Schaden

angerichtet worden ist. Dieser Schaden ist ein schwer-
wiegender. Sie haben es zu verantworten, dass ein bedeu-
tendes Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, in
dem auch der Deutsche Bundestag Antragsteller ist, im
Prinzip auf ein Jahr – das ist das Mindeste, was man sa-
gen muss – durch Schlamperei in Ihrem Ministerium un-
möglich geworden ist. Der Kollege Schmidt-Jortzig hat
zu Recht den politischen Schaden angesprochen. Wenn
heute in verschiedenen Zeitungen zu lesen ist „Die NPD
ist in Siegeslaune“, dann darf das niemanden in diesem
Hause froh stimmen. Auch dafür tragen Sie, Herr Bun-
desinnenminister, die politische Verantwortung.




Sebastian Edathy
21162


(C)



(D)



(A)



(B)


Ein schlimmer Schaden ist – das muss man leider sa-
gen – zwischen Verfassungsorganen angerichtet worden.
Es handelt sich nicht um einen x-beliebigen Strafprozess,
wo Otto Schily als Rechtsanwalt auftritt, sondern es geht
um ein Verfahren, an dem Verfassungsorgane beteiligt
sind. Zwischen diesen Verfassungsorganen haben Sie ei-
nen Vertrauensschaden angerichtet, der schlimm ist. Das
ist nicht durch den Vorgang als solchen, sondern durch Ihr
Verhalten in den letzten Tagen eingetreten.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der PDS)


Im Übrigen waren es nicht wir, die CDU/CSU, die
noch vor der Innenausschusssitzung, bevor die Fakten
überhaupt auf dem Tisch lagen, von einem Skandal gere-
det haben. Herr Kollege Edathy, so viel möchte ich Ihnen
zum Thema Dramatik sagen. Nicht wir waren es, die ge-
fordert haben, dass Köpfe rollen müssten. Das waren Kol-
legen aus den Reihen der Grünen. Auch haben nicht wir
das Wort vom „wilden Erstaunen“ in die Welt gesetzt. Das
war eine Parlamentarische Staatssekretärin des Bundes-
innenministeriums. Seither habe ich sie nicht mehr gese-
hen.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Wildes Erstaunen!)


– Kollege Marschewski, vielleicht können Sie mir gele-
gentlich erklären, was „wildes Erstaunen“ ist. Der Bundes-
innenminister war dazu bisher nicht in der Lage.

Nein, es gibt keinen Grund, unnötig dramatisch zu wer-
den. Aber ich glaube, jeder hier spürt: Es droht weiterer
Schaden. Im Augenblick läuft über die Agenturen und in
den Medien die Meldung, es seien weitere V-Leute im
Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht betroffen
und beteiligt. Man kann spüren, dass die ganze Ge-
schichte eine noch ungünstigere Wendung nehmen wird.

Ich möchte Ihnen sagen, Herr Bundesinnenminister:
Reden Sie nicht nur von politischer Verantwortung, son-
dern nehmen Sie diese auch wahr. Ziehen Sie die not-
wendigen politischen Konsequenzen, um weiteren Scha-
den abzuwenden.

Besten Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP und der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421313300
Es spricht jetzt die
Kollegin Annelie Buntenbach für die Fraktion von Bünd-
nis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

ren! Bei der Erarbeitung der NPD-Verbotsanträge ist ein
gravierender Fehler gemacht worden. Das steht ganz
außer Frage. Mit diesem Fehler ist aber – das will ich nach
der Diskussion der letzten Tage noch einmal ganz eindeu-
tig klarstellen – das eigentliche Anliegen, um das es geht,
keineswegs hinfällig geworden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Der Verbotsantrag enthält einige Zitate aus den Schrif-
ten eines ehemaligen V-Manns des Verfassungsschutzes.
Aber selbst wenn wir diese Zitate nicht zugrunde legen,
enthält die Begründung mehr als genug stichhaltige Ar-
gumente, mit denen die neonazistische Weltanschauung
der NPD und ihre aggressiv-kämpferische Vorgehens-
weise belegt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Diese Partei nutzt seit Jahren die Privilegien und den
Schutz des Parteiengesetzes für eine intensive Förderung
der und die Zusammenarbeit mit der militanten Neonazi-
Szene. Viele Aktivisten der in den 90er-Jahren verbotenen
Organisationen haben dort ein neues Betätigungsfeld ge-
funden. Dem können wir nicht tatenlos zusehen.


(Beifall des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Mit dem NPD-Verbot allein sind die Probleme rechts-
extremer Propaganda und Gewalt sicherlich nicht zu lö-
sen.


(Dr. Edzard Schmidt-Jortzig [FDP]: Sehr richtig!)


Dazu muss weit mehr unternommen werden, vor allem im
zivilen Bereich. Die Maßnahmen, die Regierung und
Bundestag ergriffen haben – zum Beispiel das Civitas-
Programm, die Akzentsetzung in der politischen Bildung
oder das Bündnis für Demokratie und Toleranz –, sind
erste und erfolgreiche Schritte in die richtige Richtung.
Die NPD-Verbotsanträge von Bundesregierung, Bundes-
tag und Bundesrat sind also nur eine Maßnahme unter an-
deren; aber sie sind eine notwendige Maßnahme.

Der Bundesinnenminister hat am Mittwoch die in sei-
nem Hause begangenen Fehler in dankenswerter Offen-
heit eingestanden. Er hat sie bedauert und die von ihm ge-
zogenen Konsequenzen dargestellt. Dazu gehört eine
erneute Überprüfung der Belege und der Beweise des Ver-
botsantrags. Das ist aktuell das Wichtigste; denn unser
aller Anliegen ist doch wohl, das Verfahren wieder in
Gang zu setzen und den möglichen Schaden in der Ausei-
nandersetzung mit dem Rechtsextremismus zu begren-
zen. Darum geht es doch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Aber nicht so dilettantisch, wie Sie es gemacht haben!)


Dass die Aussagen eines ehemaligen V-Mannes eines
Verfassungsschutzamtes als Beleg angegeben sind, ist ein
gravierender Fehler. Aber er kann doch die Gesamtargu-
mentation nicht diskreditieren.


(Beifall des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Neben menschlichem Versagen tritt hierbei aber auch
ein strukturelles Problem zutage, das einer Lösung bedarf.
Das sehe ich anders, als Herr Strobl es eben dargestellt
hat. Auch weil ein strukturelles Problem besteht, würden
etwaige Rücktritte oder Entlassungen einzelner Beteilig-
ter nicht weiterführen. Das Problem besteht doch darin:




Thomas Strobl (Heilbronn)


21163


(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn wir die Verteidigung der Demokratie gegen den
Rechtsextremismus einem Geheimdienst überlassen, so ist
zu sagen, dass er als „Geheim-Dienst“ eben nicht die Trans-
parenz und Offenheit hat und haben kann, die einer solchen
demokratischen Auseinandersetzung angemessen wäre.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wollen Sie die immer noch abschaffen? Dann haben Sie gar nichts gelernt!)


– Jetzt hören Sie mir doch erst einmal zu.
Wir brauchen eine demokratische Auseinandersetzung,

die offen und transparent erfolgt.

(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Es gibt ein parlamentarisches Kontrollgremium! Die sind so offen wie nur irgendwas!)


Der Öffentlichkeit, der Wissenschaft und den Experten
liegen unglaublich viele Informationen und Argumente
gegen die NPD, in Bezug auf die Verfassungsmäßigkeit
der NPD und den Rechtsextremismus vor. Diese müssen
wir nutzen und uns in der demokratischen gesellschaft-
lichen Auseinandersetzung nutzbar machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS)


Der aktuelle Fall ist nicht der erste V-Mann-Skandal,
sondern ein Glied in einer langen Kette. Wie schon in vor-
herigen Fällen besteht der Verdacht, dass mit dieser Er-
mittlungsmethode eine neonazistische Organisation mit-
finanziert worden ist. Ich erinnere an die Thüringer
V-Mann-Skandale, bei denen der begründete Verdacht be-
stand, dass Organisationen über V-Leute gesteuert wur-
den, und an Fälle, in denen V-Leute in Straftaten ver-
wickelt worden sind.

Im NPD-Verbotsverfahren ist nun eine öffentlich zu-
gängliche Quelle – nämlich eine Buchpublikation, die je-
dem zugänglich ist – diskreditiert worden, nur weil sie von
einem ehemaligen V-Mann stammt. Hier muss die Frage
erlaubt sein, inwieweit solche Vorgehensweisen der De-
mokratie nutzen oder ihr auch Schaden zufügen können.

Verschiedene Institutionen und Fachleute fordern des-
halb seit langem, die Auseinandersetzung mit dem
Rechtsextremismus einer transparenten und öffentlichen
Stelle zu übertragen. Dort könnten unter Beteiligung von
Wissenschaft und Fachleuten Ergebnisse und Analysen
zusammengeführt, die Öffentlichkeit informiert und auch
Strategien erarbeitet werden. Ich meine, dass die Verteidi-
gung einer starken und selbstbewussten Demokratie nicht
im Geheimen stattfinden darf, sondern sie muss offen und
öffentlich erfolgen. Probleme, wie wir Sie heute bespre-
chen müssen, könnten so vermieden werden.

Das sind Fragen, mit denen wir uns in Konsequenz aus
den gemachten Fehlern befassen sollten. Die Skandale um
V-Leute und Verfassungsschutzämter betreffen nicht nur
die jetzige Bundesregierung, sondern etliche Landesämter
und auch die Vorgängerregierung. Zum parteipolitischen
Streit – das sage ich deutlich – eignet sich dieses Thema
nicht. Wir brauchen sachliche Antworten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421313400
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Petra Pau.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421313500
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Es ist Zeit, Bilanz zu ziehen.


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Noch nicht!)

Dem Aufstand der Anständigen folgte das Versagen der

Zuständigen. Dabei denke ich auch an alle, die sich täg-
lich vor Ort gegen den Rechtsextremismus engagieren.
Egal ob es um Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und
Lehrer, Kirchenleute, die Fernsehfrau, Antifaschisten
oder Asyl Suchende geht – sie alle trifft der Hohn der NPD
besonders und dafür tragen Sie, Herr Minister, die Ver-
antwortung.


(Beifall bei der PDS)

Auslöser der aktuellen Kontroverse sind Ungereimt-

heiten im Zusammenhang mit einem V-Mann aus Nord-
rhein-Westfalen. Ob es wirklich nur um einen geht, wie
vom Bundesinnenminister zumindest noch Mitte der Wo-
che behauptet wurde, oder ob noch andere im Spiel sind,
gehört zu den ungeklärten Fragen. Ich möchte Ihnen, Herr
Innenminister, weiterhelfen, indem ich Sie an Folgendes
erinnere: Im Frühjahr 2001 hat die PDS-Fraktion eine
Kleine Anfrage gestellt. Wir wollten damals wissen, ob
der Antrag auf Verbot der NPD dadurch gefährdet sein
könne, dass V-Leute als Zeugen herangezogen worden
sind. Sie haben empört geantwortet, es sei nicht Angele-
genheit der Bundesregierung, die Arbeit der Landesämter
für Verfassungsschutz zu bewerten. Wir hatten für diese
Frage ganz triftige Gründe; denn damals war gerade ein
V-Mann in Thüringen aufgeflogen, der ebenfalls im Dop-
peldienst stand: Er war stellvertretender Landesvorsitzen-
der der NPD und arbeitete für das Landesamt für Verfas-
sungsschutz.

Davor – Sie erinnern sich sicherlich – gab es in Bran-
denburg den Fall „Piato“. Auch er war NPD-Mitglied und
V-Mann. „Erkenntnisse aus dieser Quelle“ – gemeint ist
Piato –„ sind in den NPD-Verbotsantrag der Bundesregie-
rung eingeflossen.“ Dieser Satz stammt nicht von mir. Er
ist auch keine Vermutung. Ich habe den Ministerpräsiden-
ten des Landes Brandenburg zitiert, der dies am 15. No-
vember 2000 zu Protokoll gab. Herr Minister, Sie hätten
also die Arbeit der Landesämter für Verfassungsschutz
überhaupt nicht bewerten müssen. Es hätte gereicht, wenn
Sie zur Kenntnis genommen hätten, was Ministerpräsi-
dent Stolpe gesagt hat.

Vor diesem Hintergrund frage ich Sie erneut und ganz
direkt: Können Sie ausschließen, dass Aussagen folgen-
der Personen in den Verbotsantrag eingeflossen sind: Tino
Brandt aus Thüringen, Michael G. aus Mecklenburg-Vor-
pommern, Michael Meier aus Mecklenburg-Vorpommern
und Erwin Kemna aus Nordrhein-Westfalen?


(Zuruf von der PDS: Und viele andere! – Gegenruf des Abg. Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das ist ein ungenauer Name! Den kann man schlecht identifizieren!)


Können Sie, Herr Minister, nachvollziehen, dass vor die-
sem Hintergrund meine Fraktion ein ernstes Problem hat,




Annelie Buntenbach
21164


(C)



(D)



(A)



(B)


und zwar nicht mit Ihnen – das könnten wir beide sicher-
lich verschmerzen –, sondern als Mitantragsteller beim
NPD-Verbot?

Eine nun offen liegende Schwachstelle ist übrigens für
alle Antragsteller, egal welcher Fraktion sie angehören:
Wir sind in der V-Mann-Frage auf Ihre Auskünfte ange-
wiesen. Aber die Aussagen, die Sie machen, sind frag-
würdig, arrogant – zu dem Ergebnis komme ich, wenn ich
mir das, was in dieser Woche abgelaufen ist, vor Augen
führe – und in der Summe wahrscheinlich noch immer
falsch, also noch nicht vertrauenswürdig.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das ist zu befürchten!)


Die Lösung kann nicht eine Auskunftssperre sein, die Sie
– das habe ich vorhin einer Tickermeldung entnommen –
über Ihr Ministerium verhängt haben. Ich fordere Sie im
Namen meiner Fraktion auf, das Parlament endlich ernst
zu nehmen und zur Sache Stellung zu nehmen.

In diesem Zusammenhang empfehle ich Ihnen, Herr
Minister, auch einmal Ihre Wortwahl zu überprüfen. Ich
habe in dieser Woche von Ihnen oft gehört: „Ich habe
mein Haus befragt“, „Ich habe mein Haus gerügt“ und
„Ich habe mein Haus überprüft“. Sie sind nicht als Haus-
meister, sondern als Minister bestellt.


(Beifall bei der PDS)

Zum Schluss möchte ich noch auf einen Punkt eingehen,

der ebenfalls eine Rolle spielt. Kollege Özdemir, ich stelle
tatsächlich das Instrument V-Mann generell infrage. Denn
nach allen Erfahrungen – die gibt es reichlich – bleibt unter
dem Strich festzuhalten: V-Leute sind nicht nur gekaufte
Zeugen, sondern zugleich auch bezahlte Täter.


(Beifall bei der PDS)

Vor diesem Hintergrund ist es schizophren, Kollege
Marschewski, dass Sie sich in den Beratungen des Innen-
ausschusses und sonst wo über die jetzige Affäre empört
aufplustern, während Ihre Kollegen in dieser Woche im
Rechtsausschuss mehr Kompetenzen für V-Leute fordern.

Mich hat ein wenig verwundert – ein persönliches
Wort, Kollege Özdemir; vielleicht können Sie das auch
dem Kollegen Werner Schulz mitteilen, dessen Rede ich
gestern hörte –, dass ausgerechnet Vertreter der ehemali-
gen Bürgerrechtspartei Bündnis 90/Die Grünen jetzt auf
einmal beginnen, das Instrument V-Mann zum Allheil-
mittel für den Schutz der Bürgerrechte hochzureden.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421313600
Nächster Redner in
der Debatte ist der Kollege Rüdiger Veit für die SPD-
Fraktion.


Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1421313700
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich ein wenig
mit den Beiträgen meiner Vorredner auseinander setzen.


(Jörg Tauss [SPD]: Lohnt sich nicht!)


Kollege Schmidt-Jortzig, Sie haben zu Beginn der De-
batte zu Recht gesagt, man solle den jetzigen Vorgang
nicht zum Anlass nehmen, die Dinge zu dramatisieren. Ich
wäre noch glücklicher gewesen, wenn Sie zum Ende Ih-
res Beitrages nicht gesagt hätten, dass sich ein Unter-
suchungsausschuss oder ein Sonderbeauftragter dieses
Vorgangs womöglich annehmen müsse,


(Dr. Edzard Schmidt-Jortzig [FDP]: Warten Sie mal ab!)


eines Vorgangs, den wir im Grunde schon jetzt vollstän-
dig überblicken und bewerten können.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Da wäre ich aber vorsichtig!)


Frau Jelpke spricht davon, es handele sich dabei um ei-
nen der größten Skandale in der Geschichte der Bundes-
republik. Herr Marschewski trägt unter Bezugnahme auf
Zitate hier vor, der Bundesinnenminister sei im Begriff
gewesen, die Situation zu verschlimmern; er habe getarnt
und getäuscht. Mit Krokodilstränen in den Augen spricht
er von einer fast tragischen Situation für diesen guten In-
nenminister – Sie wollten wohl damit sagen, dass er das
auch in den Augen der CDU ist – und er spricht davon,
dass er nicht froh über diese Entwicklung sei. Herr Strobl
spricht davon, das sei Chaos, persönliche Schuld und ein
Fehler des Bundesinnenministers; man brauche eine Re-
form an der Spitze des Hauses. Frau Pau spricht schließ-
lich davon, Herr Schily persönlich trage am Ende die Ver-
antwortung für den Hohn der NPD. Angesichts dieser
Äußerungen muss ich sagen, dass das unangemessene
Übertreibungen sind,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


sodass wir uns nicht wundern dürfen, dass die Bevölke-
rung draußen eigentlich gar nicht weiß, über was wir hier
reden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Woher wissen Sie das?)


Der Sachverhalt, um dem es geht, findet sich in dem
Aktenvermerk des Berichterstatters des Bundesverfas-
sungsgerichtes, Herrn Richter Jentsch – übrigens war er
einmal CDU-Oberbürgermeister in Wiesbaden und Jus-
tizminister in Thüringen –, am Schluss:

Ich habe Herrn Sch.
– gemeint ist Herr Ministerialdirektor Dr. Schnapauff –

heute empfohlen, diese Information
– also die Information über das Vorlegen einer entspre-
chenden Aussagegenehmigung –

zu den Gerichtsakten anzuzeigen.
Einige von uns sind ja einmal als Juristen tätig gewe-

sen und wissen, was das heißt. Wenn ein Richter eine
Empfehlung ausspricht, dann heißt das nicht unbedingt,
dass – –


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Dann geht das rote Licht an!)





Petra Pau

21165


(C)



(D)



(A)



(B)


– Nein, natürlich nicht das rote Licht, Herr Strobl. Bei Ih-
nen passiert das schon gar nicht.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Bei Ihnen ist die Funzel schon aus! Das ist klar!)


Wenn man eine Empfehlung bekommt, dann kann man
kaum damit rechnen – das ist möglicherweise keine unan-
gemessene Reaktion gewesen –, dass das Bundesverfas-
sungsgericht sofort und ohne noch einmal nachzufragen –
erst recht, ohne bei den drei anderen Prozessbevollmäch-
tigten nachzufragen – die Termine aufhebt.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Herr Veit, Sie empfehlen sich für höchste Ämter in dieser Republik!)


Das ist schon ein überraschender Umgang mit dem
Grundsatz des rechtlichen Gehörs.


(Beifall bei der SPD)

Ich komme zu dem Telefongespräch vom Mittwoch

letzter Woche. Beide kennen sich, wie gesagt wird, aus
Studienzeiten. Sie führen ein privat-dienstliches Ge-
spräch. Mir hat noch keiner erklärt, was das bedeutet. Ich
habe nichts dagegen, wenn sich Studienfreunde privat un-
terhalten. Ich habe auch nichts dagegen, wenn sie dienst-
liche Dinge besprechen. Wie muss dieses privat-dienst-
liche Gespräch aus der Sicht des Gesprächspartners aus
dem Innenministerium zu verstehen sein, wenn das in ei-
ner derart verbindlichen Form geschieht?


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Jetzt ist das Verfassungsgericht schuld!)


Man würde wohl kaum vermuten, dass das Verfassungsge-
richt die Termine sofort aufhebt und erst einen Tag später
das macht, was richtigerweise hätte sofort geschehen müs-
sen, nämlich die Prozessbevollmächtigten von allen drei
Antragstellern um eine schriftliche Darstellung zu bitten.

Meine Damen und Herren, noch einmal: Der Schaden
ist innenpolitisch wie außenpolitisch groß. Das beklagen
wir alle. Gelernte Juristen – ich spreche da Herrn Strobl
und Herrn Marschewski an – sollten sehr wohl wissen,
dass im Bereich des Zivilrechts und des Strafrechts in Be-
zug auf die Beurteilung der persönlichen Verantwortung
nicht der Schaden der Maßstab ist, sondern die Frage, wer
den Schaden verursacht und verschuldet hat.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wo kommt denn der große Schaden her?)


Vor diesem Hintergrund sehe ich nicht, an welcher Stelle
der Innenminister selbst auch nur im Geringsten eine un-
mittelbare Mitverantwortung für diesen Schaden trägt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Eckart von Klaeden [CDU/ CSU]: Wer so verteidigt, der klagt an!)


Sie verhalten sich als Juristen so, als wären wir im Be-
reich des Straßenverkehrsrechts. Dort gibt es die Gefähr-
dungshaftung und die Halterhaftung. Ein Minister – egal,
welcher Couleur – kann doch nicht für seine Staats-
sekretäre und für andere Beamte 24 Stunden am Tag per-
sönliche Verantwortung dafür tragen, was sie tun oder un-
terlassen. Dann bräuchte er diese Spitzenbeamten nicht.

Ich weise daher noch einmal ausdrücklich zurück, dass
hier eine persönliche oder auch nur eine politische Ver-
antwortung vorliegt, der die Spitze des BMI nicht gerecht
geworden ist.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wer ist denn verantwortlich? – Gegenruf des Abg. Dr. Michael Bürsch [SPD]: Die Umstände!)


Dementsprechend sollten wir uns alle einmal überlegen,
ob der angerichtete Schaden durch die Art und Weise, wie
wir damit auch hier im Parlament umgehen, nicht noch
einmal ganz erheblich vergrößert wird. Bevor Sie hier
weiter skandalisieren oder dramatisieren, überlegen Sie
sich bitte alle – da wäre ich Ihnen sehr verbunden –, wem
Sie in Wahrheit damit schaden und wem Sie in Wahrheit
damit nützen.


(Beifall bei der SPD – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: „Die Gesellschaft ist schuld“, würde ich vorschlagen!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421313800
Jetzt spricht der Herr
Kollege Wolfgang Zeitlmann, CDU/CSU-Fraktion.


Wolfgang Zeitlmann (CSU):
Rede ID: ID1421313900
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Schaden
– da gibt es überhaupt keine Diskussion – ist wirklich
groß.

Herr Kollege Veit, Sie haben offensichtlich lange nicht
mehr im anwaltlichen Bereich gearbeitet; sonst hätten Sie
die Differenzierung, die Sie hier versucht haben, nicht
vorgenommen.

Frau Kollegin Jelpke, es ist keine Krise der Verfas-
sungsschützer und der V-Leute – der Herr Kollege Strobl
hat es mit Recht gesagt –, sondern es ist eine politische
Krise und sonst gar nichts. Wir können den Verfassungs-
schutz abschaffen, wenn Sie die Arbeit der V-Leute quasi
auf Dauer so beschränken, wie das hier etwa von der Frau
Buntenbach formuliert worden ist. Es kann doch gar nicht
anders sein: Ein freier Staat braucht Informationen aus
dem Bereich des Extremismus;


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


wenn er sie braucht, dann muss er natürlich auch handeln.
Eines lasse ich Ihnen nicht durchgehen, Herr Kollege

Bürsch. Sie haben hier davon gesprochen, ein Beamter
habe Fehler gemacht.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Darauf kommt es in der Tat an!)


Da kann man ja nur hüsteln. Das war auch der Eindruck,
den uns der Minister im Innenausschuss eingangs vermit-
teln wollte.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Ich bin da ganz vorsichtig; ich werde erst das Protokoll le-
sen.




Rüdiger Veit
21166


(C)



(D)



(A)



(B)


Das musste er dann revidieren. Der Beamte, von dem
die Rede war und der scharf gerügt worden war,


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Der hat telefoniert!)


hat das gemacht, was jeder normale Beamte macht. Er ist
zum Staatssekretär gegangen und hat das vorgetragen. Da
kann man dem Beamten überhaupt nichts mehr vorwer-
fen; denn die weiteren Verhandlungen liegen dann beim
Staatssekretär.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aber privat-dienstliche Gespräche führen! – Dr. Michael Bürsch [SPD]: So einfach kann man das nicht ablagern! Das lässt das Beamtenrecht nicht zu!)


– Wir kommen gleich noch darauf zu sprechen.
Anschließend wird unter drei Verfassungsorganen oder

deren Vertretern – Bundesregierung, Bundesrat und Bun-
destag – verhandelt. Pikanterweise, Herr Bürsch, haben
Sie als Berichterstatter und habe auch ich nichts von die-
sem Sonntagsgespräch der Prozessvertreter erfahren. Das
ist – ich merke das nur an – eine weitere Besonderheit die-
ser Geschichte.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Das ist schon ein Ding aus dem Tollhaus!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421314000
Anschließend, am 19./20.,
werden die Verfassungsorgane gemeinsam beraten – ich
will jetzt keinen Vergleich wagen –, wie sie weiter vor-
gehen. Diesen drei Verfassungsorganen wird die Infor-
mation vorenthalten, dass es eine Anforderung des Ge-
richts, wenn auch nur telefonisch, und ein Gespräch gab.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das ist ein Nullum!)


Das ist ein Umgang miteinander, wie wir ihn zuletzt beim
Spiel auf dem Schulhof gehabt haben:


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Auf beiden Seiten, Herr Kollege!)


Wir foppen und führen die anderen hinters Licht.
Der Anwalt schreibt dann, es sei – gegen sein Votum –

entschieden worden, dies dem Bundesverfassungsgericht
nicht mitzuteilen und die Information erst in der Verhand-
lung zu geben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

Ich kann mich wirklich nur noch wundern. Da wird ge-

handelt, als habe man es mit irgendwelchen nachgeord-
neten Behörden zu tun, die so einen gottverdammten
Murks liefern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD)


– Entschuldigen Sie! Es ist doch absoluter Murks, wenn
gesagt wird: Die lassen wir jetzt ein bisschen doof. Das
war der 19./20.! Diskutieren Sie einmal Samstag/Sonn-
tag! Ich weiß ja nicht, wie lange; das alles müssen wir
noch klären. Samstag/Sonntag wird also diskutiert und

beschlossen: Wir halten auch das Bundesverfassungs-
gericht ein bisschen tumb, zumindest was den Schrift-
verkehr angeht; das können wir dann immer noch münd-
lich vortragen.

Meine Damen und Herren, es kommt noch eines hinzu.
Ich sitze vier Stunden im Innenausschuss. Anschließend
gehe ich in mein Büro, schalte den Fernseher an und sehe
den bewundernswerten Innenminister, wie er aus sich he-
rauspresst, dass er jetzt etwas Neues weiß. Er sagt, er
wisse neuerdings, dass das seinem Haus schon viel früher
bekannt gewesen sei; da habe einer etwas in den Panzer-
schrank eingesperrt. Ich weiß es nur aus dem Fernsehen,
nicht als Mitglied aus dem Innenausschuss. Eine weitere
Pikanterie, über die ich mich nur wundern kann!

Auch das Wissen um das An-der-Nase-Herumführen
der anderen Verfassungsorgane habe ich nicht als Mit-
glied dieses Parlaments in einem Ausschuss erlangt. Dass
wir die meisten Dinge der Presse entnehmen müssen, ist
auch pikant.

Herr Innenminister, jetzt reicht es wirklich. Lassen Sie
also, wie man im Volksmund so schön sagt, die Hose he-
runter


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Aber nicht im Bundestag!)


– bitte nicht im Plenum – und sagen Sie endlich, was ge-
schehen ist, damit wir beurteilen können, wo Fehler ge-
macht wurden. Aber kommen Sie uns nicht damit, dass
Sie kleine Beamte kritisieren und über V-Leute disku-
tieren, während in Wirklichkeit vermutlich der Staats-
sekretär die Schräubchen gedreht hat.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP– Dr. Michael Bürsch [SPD]: Der Staatssekretär hat keine Schräubchen gedreht! Was soll das denn? Das ist eine Unterstellung, Herr Kollege, eine strafrechtlich relevante Unterstellung! – Lachen bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421314100
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Dieter Wiefelspütz.


Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Rede ID: ID1421314200
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! In der Sache NPD waren wir
hier im Hause vor gar nicht so langer Zeit weitgehend ei-
ner Meinung.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Was die NPD angeht, sind wir weiterhin einer Meinung! – Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Aber wir wollten es nicht so schlampig gemacht haben, wie es da gemacht worden ist!)


Wir waren gemeinsam der Auffassung, dass die NPD eine
Partei ist, die aggressiv verfassungsfeindlich agiert und
nach unserer Überzeugung vom Bundesverfassungs-
gericht verboten werden sollte.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Dabei bleiben wir!)





Wolfgang Zeitlmann

21167


(C)



(D)



(A)



(B)


Eine Partei, die FDP, war aus zu respektierenden Grün-
den der Auffassung, dass die Auseinandersetzung aus-
schließlich politisch zu führen ist. Wenn ich es richtig in
Erinnerung habe, waren Sie, Herr Schmidt-Jortzig, per-
sönlich wiederum anderer Auffassung.


(Dr. Edzard Schmidt-Jortzig [FDP]: Nein, nein, da sind Sie völlig falsch informiert!)


– Dann nehme ich das zurück; ich hatte das falsch in
Erinnerung. Jedenfalls respektiere ich die Auffassung
der FDP. Wir sind auch für die politische Ausei-
nandersetzung, Herr Schmidt-Jortzig. Das ist ja kein Ent-
weder-oder, sondern eher ein Sowohl-als-auch. Wir wol-
len aber, dass diese Partei, wenn es das Bundesverfas-
sungsgericht für richtig hält, verboten wird.

Wir sind der Überzeugung, dass das Beweismaterial
erdrückend ist und dass es insofern auf diesen Herrn Frenz
nicht ankommt. Auf diese drei, vier Zitate kommt es wirk-
lich nicht an.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Außer es kommen noch ein paar Frenze! Das wissen Sie ja noch nicht!)


– Ich halte das, was Sie gesagt haben, Herr Zeitlmann, für
eine Selbstverständlichkeit und unterstreiche das. Hier
stimme ich Herrn Özdemir und anderen ausdrücklich
nicht zu. Ich habe dem Bundesamt für Verfassungsschutz
und den Landesämtern für Verfassungsschutz keinen Vor-
wurf zu machen. Deren Mitarbeiter haben unsere Aner-
kennung und unseren Respekt verdient; denn sie machen
eine ordentliche Arbeit.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Ich habe bislang keinen Fehler erkennen können.
Ich sage ein Weiteres, Herr Zeitlmann: Sie haben

Recht: Wir brauchen Informanten in diesen Organisa-
tionen. In manchen Organisationen haben wir leider über-
haupt keine oder zu wenige. Hätten wir im Umfeld von
Herrn Atta einen Informanten gehabt, hätten wir mög-
licherweise tausendfachen Mord verhindern können.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Oder bei der PDS: Da hättet ihr keine Koalition gemacht!)


– Herr Zeitlmann und Herr Strobl, wir haben als Verfas-
sungsorgan Bundestag gemeinsam diesen Antrag gestellt.
Wenn Schaden entstanden ist, ist das Ihr Schaden genauso
wie mein Schaden; es ist unser aller Schaden. Deswegen
haben wir heute hier auch eine gemeinsame Verantwor-
tung. Fehler müssen markiert werden, Verantwortung
muss übernommen werden. Es sind scharfe Rügen ausge-
sprochen worden. Herr Strobl, Sie haben Konsequenzen
verlangt, aber nicht gesagt, welche.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Wir wollen erst mal aufklären!)


Der Bundesinnenminister hat die Verantwortung über-
nommen. Wir werden am kommenden Mittwoch im In-
nenausschuss mit dem Bundesinnenminister die Diskus-
sion fortsetzen. Selbstverständlich haben wir alle einen

Anspruch darauf, zu erfahren, was Sache ist. Aber ich
möchte bitte keinen Aktionismus, keine hektischen,
gleichsam irrationalen Debatten über einen Nebenpunkt.
Herr Frenz ist ein Nebenpunkt. Der Hauptpunkt ist die
verbotswürdige NPD.


(Beifall bei der SPD)

Hier darf man sich doch von der Sache nicht ablenken
lassen.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Das hättet ihr gern!)


Herr Schmidt-Jortzig, bei allem Respekt: Ich bin nicht
Mitglied des parlamentarischen Kontrollgremiums. Ich
rate nicht zu einem Sonderermittler, sondern dazu, dass
wir als Abgeordnete unsere Verantwortung wahrnehmen.
Ich lasse mir zuarbeiten; aber meine Entscheidungen
treffe ich selber.

Herr Ströbele, Herr Marschewski, machen Sie bitte
Ihre Arbeit im parlamenarischen Kontrollgremium, wie
wir es im Innenausschuss auch tun!


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tag und Nacht!)


Ich habe großes Vertrauen in Ihr Engagement.

(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Wollen Sie einen Untersuchungsausschuss, Herr Wiefelspütz?)


– Reden Sie doch nicht wild durch die Gegend, Herr
Zeitlmann! Stellen Sie den Antrag! Ihre Fraktion hat das
Recht, das zu tun. Spitzen Sie nicht nur den Mund, son-
dern pfeifen Sie! Das ist ein Punkt, der mich ausgespro-
chen ärgerlich macht.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Am Mittwoch haben wir wieder Sitzung! Da geht es weiter!)


Wir haben eine gemeinsame Verantwortung. Aber
jetzt, da ein Fehler entstanden ist, der zugegebenermaßen
zum Teil groteske Elemente hat – die privat-dienstlichen
Gespräche sind sehr seltsam –,


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Das sagen wir ja!)


bricht der Konsens auseinander und es wird wieder Par-
teipolitik gemacht.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Nein! Nein!)


Das ist zu kleine Münze, Herr Zeitlmann. Das ist ein biss-
chen billig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wie immer bei denen!)


Aufklärung muss sein, das Verfahren muss auf die Spur
zurück.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wer hat es aus der Spur gebracht?)





DieterWiefelspütz
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(C)



(D)



(A)



(B)


Wir machen uns doch lächerlich, wenn wir über einen
Fehler nicht einen Tag, nicht zwei Tage, sondern 24 Tage
hintereinander reden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Bevölkerung erwartet von uns nicht, dass wir eine Sa-
che zerreden.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Was schreien Sie so? Wer schreit, hat Unrecht!)


Wir stehen vor der Aufgabe, die Angelegenheit zurück
auf die Schiene zu bringen, und zwar so bald wie möglich.
Wir sollten uns nicht mit uns selber beschäftigen, sondern
mit der Sache. Das heißt, wir müssen uns alle zusammen-
setzen, auch mit denjenigen, die damals gegen das Ver-
fahren waren – Sie, Herr Schmidt-Jortzig, waren immer
dabei –, und schauen, dass das Gericht anständig informiert
und verlorene Zeit wieder aufgeholt wird. Das ist der Weg
der Vernunft. Sie haben Gelegenheit, sich einzubringen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist ein bisschen wie: Haltet den Dieb!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421314300
Letzter Redner in der
Aktuellen Stunde ist Bundesinnenminister Otto Schily.


Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1421314400
Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Es ist sehr zu
bedauern, dass im NPD-Verbotsverfahren durch die Auf-
hebung der Termine zur mündlichen Verhandlung eine
Verfahrenssituation entstanden ist, die möglicherweise zu
erheblichen Verzögerungen führen kann. Zu bedauern ist
ebenso, dass zu dieser Verfahrenssituation Fehler in mei-
nem Haus beigetragen haben.

Die Verstimmung, die im Bundesverfassungsgericht
eingetreten ist, ist verständlich. Ich wiederhole daher an
dieser Stelle ausdrücklich, dass ich das Bundesverfas-
sungsgericht um Entschuldigung bitte, weil der Bitte um
eine schriftliche Stellungnahme zu dem Sachverhalt, den
ein Abteilungsleiter meines Hauses telefonisch einem
Mitglied des Senats des Bundesverfassungsgerichts mit-
geteilt hatte, nicht entsprochen wurde, auch wenn es nur
eine Empfehlung war.

In der Zwischenzeit hat sich die Präsidentin des Bun-
desverfassungsgerichts an die Verfahrensbevollmächtig-
ten der Antragsteller gewandt und die Bitte erneuert, zu
den zwischen dem Herrn Bundesverfassungsrichter
Jentsch und einem Abteilungsleiter meines Hauses ge-
führten Telefongesprächen Stellung zu nehmen. Diese
Stellungnahme wird dem Bundesverfassungsgericht in
den nächsten Tagen eingereicht werden.

Der Sachverhalt, der Gegenstand der Telefongespräche
eines Abteilungsleiters meines Hauses mit Herrn Bundes-
verfassungsrichter Jentsch war, ist der folgende: In den
Antragsbegründungen der Antragsteller, auch der Bun-
desregierung – ich verantworte die Antragsbegründung
der Bundesregierung –, wird unter anderem auf Auslas-

sungen eines NPD-Mitglieds verwiesen, die in einem von
diesem verfassten und im Jahre 1998 veröffentlichten
Buch enthalten sind.

Diese Person war in früheren Jahren Informant – ich be-
tone: nicht Mitarbeiter – des Landesamtes für Verfassungs-
schutz in Nordrhein-Westfalen. Diese Informationsverbin-
dung wurde jedoch bereits im Jahre 1995 abgebrochen. Die
Gründe dafür ergeben sich aus der Stellungnahme des In-
nenministeriums in Nordrhein-Westfalen.

Die Quelleneigenschaft der betreffenden Person ist den
Prozessbevollmächtigten der Antragsteller leider erst am
vergangenen Wochenende bekannt gegeben worden. Un-
verständlicherweise ist auch den Prozessbevollmächtigten
und den Vertretern der Antragsteller in der Wochenendsit-
zung nicht mitgeteilt worden, dass ein Abteilungsleiter
meines Hauses die Quelleneigenschaft der betreffenden
Person Herrn Bundesverfassungsrichter Jentsch in einem
Telefongespräch offen gelegt hat. Er hat das übrigens aus
eigenem Antrieb getan, ohne vorher meinen Staatssekre-
tär zu befragen.

Ebenso wenig sind bedauerlicherweise die Prozessbe-
vollmächtigten und die Vertreter der Antragsteller in der
Wochenendsitzung darüber informiert worden, dass das
Bundesverfassungsgericht eine schriftliche Stellungnah-
me zu dem Sachverhalt angefordert hat.

Leider bin auch ich über den gesamten Sachverhalt erst
am vergangenen Dienstag zusammen mit der Mitteilung
über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
über die Terminaufhebung unterrichtet worden.


(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Wie haben Sie denn Ihr Haus organisiert?)


Auch Herr Beckstein hat von diesem Sachverhalt erst am
Dienstag erfahren.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Jetzt kommt die Beckstein-Nummer wieder!)


Ich habe daraufhin veranlasst, dass sämtliche Gesche-
hensabläufe sorgfältig aufgearbeitet werden. Ich habe
diesen Auftrag einem hochrangigen Mitarbeiter meines
Hauses übertragen.


(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Das hätte nur schon vorher passieren müssen!)


Die Beweistauglichkeit der Auslassungen des NPD-
Mitglieds Frenz in dem in den Antragsschriften zitierten
Buch, das zum Beweis der Verfassungsfeindlichkeit der
NPD herangezogen worden ist, wird nicht dadurch in-
frage gestellt, dass Frenz früher als Informant des nord-
rhein-westfälischen Verfassungsschutzes gedient hat.


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Sehr richtig!)

Abgesehen davon, dass die Informationsverbindung zu

Frenz schon vor Jahren beendet worden ist, sind seine
Auslassungen ausschließlich von ihm selbst zu verant-
worten. Er war nicht Mitarbeiter des Verfassungsschutzes.
Er ist vom Verfassungsschutz auch nicht in irgendeiner
Weise dahin gehend beeinflusst worden, entsprechende
Äußerungen zu machen. Lediglich für die Beurteilung
seiner Glaubwürdigkeit mag es Bedeutung haben, ob er zu




DieterWiefelspütz

21169


(C)



(D)



(A)



(B)


einem früheren Zeitpunkt dem nordrhein-westfälischen
Verfassungsschutz Informationen geliefert hat.

Im Übrigen ist nach meiner Kenntnis allein der Verfas-
sungsschutz in Nordrhein-Westfalen befugt, die frühere
Quelleneigenschaft des NPD-Mitglieds Frenz offen zu le-
gen. In diesem Sinne hat sich Staatssekretär Schapper an
den nordrhein-westfälischen Staatssekretär Riotte ge-
wandt, nachdem ihm das Telefongespräch zwischen dem
Abteilungsleiter und Herrn Jentsch bekannt geworden ist.

Außerdem haben eine Reihe von Verfahrensbeteiligten
die Auffassung vertreten, dass eine Offenlegung der Quel-
leneigenschaft nicht erforderlich sei, weil seine Infor-
mantentätigkeit im Jahre 1995 abgebrochen worden sei.
Diese Auffassung hat sich eine Reihe von Vertretern zu
Eigen gemacht. Wer da von Manipulation spricht, der
müsste diejenigen tadeln, die gesagt haben, eine Offenle-
gung dieser Quelle sei nicht erforderlich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Lassen Sie mich einige grundsätzliche Bemerkungen
anschließen, die sich durchaus mit einigen Ausführungen
von Herrn Kollegen Wiefelspütz, aber auch mit solchen
aus der Opposition in Übereinstimmung befinden. Es be-
darf der scharfen Unterscheidung zwischen Mitarbeitern
des Verfassungsschutzes, die unter bestimmten Umstän-
den eine Erkundungsaufgabe übernehmen, auf der einen
Seite und Informanten, die nicht Mitarbeiter des Verfas-
sungsschutzes sind, auf der anderen Seite.

Wenn sich Mitglieder einer verfassungsfeindlichen
Partei öffentlich in einer Weise äußern, die die verfas-
sungsfeindliche Haltung der Gesamtpartei belegt, sind
diese Äußerungen nicht schon deshalb irrelevant, weil sie
aus unterschiedlichen Motivationen Informationen an den
Verfassungsschutz weitergeben. Nur dann, wenn die ent-
sprechenden Äußerungen vom Verfassungsschutz gesteu-
ert oder in sonstiger Weise beeinflusst worden sind, schei-
den sie als Beweismittel aus.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Ein schmaler Grat!)


Es sollte gemeinsame Überzeugung bleiben, dass die Ver-
fassungsschutzämter des Bundes und der Länder für ihre
Arbeit auf ergiebige Informationsquellen angewiesen
sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wer das bezweifelt, erweist der Sicherheit in unserem
Staat einen Bärendienst.

Solche Informationsverbindungen herzustellen und
Quellen zu erschließen ist eine außergewöhnlich schwie-
rige, zum Teil auch gefahrvolle Aufgabe. Dass sich die
Beamtinnen und Beamten des Verfassungsschutzes dieser
schwierigen und zum Teil gefahrvollen Aufgabe anneh-
men, verdient keine hämische Kritik, sondern unser aller
Achtung und Anerkennung.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Erschließung und Nutzung von Quellen seitens des
Verfassungsschutzes ist nur möglich, wenn das der abso-
luten Geheimhaltung unterliegt. Würde dieser Grundsatz

infrage gestellt, würde die gesamte Arbeit des Verfas-
sungsschutzes infrage gestellt.

Aus diesem Grunde ist seitens der Innenminister des
Bundes und der Länder stets hervorgehoben worden, dass
beim Umgang mit den Quellen mit äußerster Sorgfalt vor-
gegangen und bei der Abfassung der Antragschriften
Konflikte vermieden werden müssen. Deshalb habe ich
die Liste der Personen, die vom Bundesverfassungsge-
richt zur mündlichen Verhandlung geladen wurden,
nochmals überprüfen lassen. Leider ist die Geheimhal-
tung der Quellen immer mit dem nahezu unvermeidbaren
Risiko verbunden, dass die Quellen durch den Informan-
ten selbst oder durch Dritte offen gelegt werden können.

Fehler, die in meinem Hause gemacht wurden und für
die ich die Verantwortung trage, beschönige ich nicht.
Doch betone ich, dass der Abteilungsleiter, der für die Te-
lefonate mit dem Bundesverfassungsgericht verantwort-
lich zeichnet, eine integre Persönlichkeit ist, die in redli-
cher Absicht gehandelt hat. Vorzuwerfen ist ihm jedoch,
dass er nicht alle Beteiligten informiert und auch das Bun-
desverfassungsgericht nicht über den vollständigen Sach-
verhalt aufgeklärt hat. Dafür hat er sich ausdrücklich ent-
schuldigt. Ich habe die Entschuldigung angenommen.
Von weiteren personellen Konsequenzen habe ich abge-
sehen, weil es sich um einen langjährigen führenden Mit-
arbeiter meines Hauses handelt, der sich um das Wohl un-
seres Landes, gerade in der Innenpolitik, große Verdienste
erworben hat. Gleiches gilt für andere Mitarbeiter meines
Hauses, denen ebenfalls Fehler unterlaufen sind.


(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Was ist mit dem anderen Abteilungsleiter?)


Der Abteilungsleiter hat zu verantworten, dass der
Sachverhalt auf einem ungewöhnlichen Kommunikations-
weg offen gelegt wurde. Aber wo liegt Ihr Vorwurf? Liegt
der Vorwurf darin, dass Ihrer Meinung nach der Weg der
Offenlegung nicht richtig war, oder darin, dass nicht offen
gelegt worden ist? Wenn Sie vorwerfen, dass nicht offen
gelegt wurde, dann müssen Sie alle tadeln, die der Mei-
nung waren, dass eine Offenlegung unterbleiben oder erst
in mündlicher Form während der Verhandlung stattfinden
sollte. Wie es ausgesehen hätte, wenn dieser Sachverhalt
in der mündlichen Verhandlung bekannt geworden worden
wäre, kann sich jeder in seiner Phantasie ausmalen.

Die Fehler, die zu beklagen sind, werden nach meiner
festen Überzeugung nicht dazu führen, dass das Verbots-
verfahren scheitert. Die Aussagen des NPD-Mitglieds
Frenz in seinem Buch haben für die Beweisführung nur
eine untergeordnete Bedeutung; sie sind keine tragende
Wand in der Architektur der Antragsbegründung.

Ich habe in den letzten Tagen eine Reihe von Anklagen
vernommen, die gegen mein Haus und mich persönlich
gerichtet waren. Sie stammen sicherlich ausnahmslos von
Personen, die in ihrem Leben noch nie einen Fehler be-
gangen haben oder in deren Verantwortungsbereich noch
nie ein Fehler vorgekommen ist.


(Zurufe von der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [PDS]: So eine Arroganz! Kommen Sie doch von Ihrem hohen Ross herunter!)





Bundesminister Otto Schily
21170


(C)



(D)



(A)



(B)


Bei aller gebotenen Kritik an den Fehlern sollten die
Proportionen nicht aus den Augen verloren werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bei der NPD handelt es sich um eine eindeutig antisemi-
tische, antidemokratische und verfassungsfeindliche Par-
tei. Dafür gibt es eine überreichliche Zahl von Belegen,
nicht zuletzt in Zusammenhang mit den Ereignissen am
11. September des vergangenen Jahres. Wer um eines ver-
meintlichen politischen Vorteils willen die Aufmerksam-
keit der Öffentlichkeit von dem verfassungsfeindlichen
Treiben der NPD auf die Sachverhalte verlagert, die heute
im Wesentlichen Gegenstand der Aktuellen Stunde sind,
muss sich fragen, ob das der gesamtpolitischen Verant-
wortung entspricht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Roland Claus [PDS]: Wer macht das denn hier? – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Ich habe langsam den Eindruck, schuld ist die CDU/CSU!)


Es ist die Aufgabe aller demokratischen Kräfte in die-
sem Land, auch Ihre, Herr Marschewski, dem verfas-
sungsfeindlichen Treiben der NPD ein Ende zu machen


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


und das Verbotsverfahren zu einem erfolgreichen Ab-
schluss zu bringen. Ich für meine Person bin entschlossen,
dazu meinen Beitrag zu leisten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421314500
Die Aktuelle Stunde
ist beendet.

Wir sind damit am Schluss unserer Tagesordnung an-
gekommen.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, 30. Januar 2002, 13 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.