Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich
einigen Kolleginnen und Kollegen, die in der Weih-
nachtspause einen runden Geburtstag begingen, gratulie-
ren. Der Kollege Dr. Klaus Kinkel und die Kollegin
Regina Schmidt-Zadel feierten ihren 65. Geburtstag, die
Kollegin Anke Hartnagel sowie die Kollegen Klaus-
Jürgen Hedrich und Bernd Neumann jeweils ihren
60. Geburtstag. Im Namen des Hauses spreche ich den
genannten Kolleginnen und Kollegen herzliche Glück-
wünsche aus.
Die Fraktion der PDS teilt mit, dass die Kollegin
Dr. Heidi Knake-Werner aus dem Gemeinsamen Aus-
schuss nach Art. 53 a des Grundgesetzes als stellvertre-
tendes Mitglied und aus dem Wahlprüfungsausschuss
gemäß § 3 Abs. 2 des Wahlprüfungsgesetzes als beraten-
des Mitglied ausscheidet. Nachfolger im Gemeinsamen
Ausschuss soll der Kollege Rolf Kutzmutz und Nach-
folgerin im Wahlprüfungsausschuss soll die Kollegin
Dr. Evelyn Kenzler werden. Sind Sie damit einverstan-
den? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so be-
schlossen und dann sind der Kollege Rolf Kutzmutz als
stellvertretendes Mitglied im Gemeinsamen Ausschuss
sowie die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler als beratendes
Mitglied im Wahlprüfungsausschuss bestimmt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um weitere Punkte, die Ihnen in einer Zu-
satzpunktliste vorliegen, zu erweitern:
2. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
gemäß Anlage 5 Nr. 1 Buchstabe b GO-BT zu den Antworten
der Bundesregierung auf die Dringlichkeitsfragen auf
Drucksache 14/8023 zu den Äußerungen des tschechischen
Ministerpräsidenten Milos Zeman
3. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Haltung
der Bundesregierung zu verschiedenen Aussagen derUnion
in der Haushalts- und Steuerpolitik
4. Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Das Kioto-Protokoll rati-
fizieren und zum Weltgipfel 2002 in Johannesburg in Kraft
setzen – Drucksache 14/8026 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek,
Dr. Christian Ruck, Cajus Caesar, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU: Kioto – Bonn – Marrakesch, ein
wichtigerSchritt fürdie internationale Klimapolitik – Druck-
sache 14/8028 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
6. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel,
Dr. Ditmar Staffelt, Dr. Axel Berg, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Werner Schulz
, Hans-Josef Fell, Andrea Fischer (Berlin), weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN: Nationales Luftfahrtforschungsprogramm fort-
setzen – Drucksache 14/8027 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Finanzausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
7. Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU,
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP: Nutzung
satellitengestützter Erdbeobachtungsinformationen – Druck-
sache 14/8034 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
20911
212. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Beginn: 9.00 Uhr
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
8. Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Reform der Gemeinde-
finanzen – Drucksache 14/8025 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Innenausschuss
9. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes für die Erhaltung, die Mo-
dernisierung und den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung
– Drucksachen 14/7024,
14/7086 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirt-
schaft und Technologie – Drucksache 14/8059 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Volker Jung
10. Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Eva
Bulling-Schröter, Rolf Kutzmutz, Ursula Lötzer, weiteren Ab-
geordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Sicherung und zum Ausbau der gekoppelten
Strom- und Wärmeerzeugung – Drucksache
14/2693 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirt-
schaft und Technologie – Drucksache 14/8048 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Walter Hirche
11. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der PDS: Haltung
der Bundesregierung zu aktuellen Veröffentlichungen über
einen Einsatz eines V-Mannes im NPD-Vorstand
Des Weiteren wurde vereinbart, die zweite und dritte
Beratung des Gesetzentwurfs zur Umsetzung der Richt-
linie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Er-
findungen – Tagesordnungspunkt 20 – abzusetzen.
Außerdem mache ich darauf aufmerksam, dass der un-
ter Tagesordnungspunkt 15 aufgeführte Koalitionsantrag
zur Nutzung satellitengestützter Erdbeobachtungsinfor-
mationen durch einen gemeinsamen Antrag der Fraktio-
nen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grü-
nen und der FDP – Drucksache 14/8034 – ersetzt wurde
und als Zusatzpunkt 7 aufgerufen wird.
Schließlich mache ich auf nachträgliche Ausschuss-
überweisungen im Anhang zur Zusatzliste aufmerksam:
Der in der 208. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich
dem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
zur Mitberatung überwiesen werden.
Gesetzentwurf der Bundesregierung zurNeurege-
lung des Waffenrechts
– Drucksache 14/7758 –
überwiesen:
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Tourismus
Der in der 209. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem
Sportausschuss zur Mitberatung überwiesen werden.
Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus Kinkel, Carl-
Ludwig Thiele, Hildebrecht Braun ,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP:
Umsatzbesteuerung von Sportanlagen wirt-
schaftsfreundlich gestalten
– Drucksache 14/7813 –
überwiesen:
Finanzausschuss
Innenausschuss
Sportausschuss
Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen wir
einen Geschäftsordnungsantrag behandeln. Die Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen haben
fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung um die
Beratung ihres Antrags mit dem Titel „Vorhaben
zukünftiges Transportflugzeug A400M“ zu erweitern
und diesen Antrag mit einer Debattendauer von einer hal-
ben Stunde im Anschluss an Tagesordnungspunkt 11 zu
beraten.
Das Wort zu diesem Geschäftsordnungsantrag hat der
Herr Kollege Wilhelm Schmidt, SPD-Fraktion.
Herr Präsident!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Dass wir die heutigen Plenarberatun-gen mit einer Geschäftsordnungsdebatte beginnen müs-sen, ist ebenso überflüssig wie unverständlich. Wir habenuns unter den Geschäftsführern vergeblich bemüht, zu ei-ner Einigung darüber zu kommen, dass der Antrag „Vor-haben zukünftiges Transportflugzeug A400M“ hier de-battiert wird. Das ist deswegen unverständlich, weil auchin den Reihen der Opposition offensichtlich Einverständ-nis darüber besteht, dass ein solches Flugzeug beschafftwerden soll und dass die Grundlagen dafür im parlamen-tarischen Verfahren hergestellt werden sollen. Nun bietenwir Ihnen dieses an und Sie lehnen das ab. Irgendwokommt man da nicht mehr so ganz mit.Sie haben selbst erklärt – das erhöht das Unverständnisgegenüber dem Verhalten der Opposition und insbeson-dere der CDU/CSU –, dass Sie zu dem von uns ein-gebrachten Antrag Änderungsanträge einbringen werden.Warum wollen Sie dann hier keine Debatte zulassen underzwingen eine Geschäftsordnungsauseinandersetzung?Ich denke schon, dass Sie da sehr unkoordiniert undwidersprüchlich handeln.Wir werden unseren Antrag, den der Herr Präsidentschon vorgestellt hat, aufrechterhalten. Wir wollen heuteNachmittag diese Debatte führen, um die Grundlagen fürdie Airbus-Beschaffung zu legen. Wir bitten Sie um IhreZustimmung; vielleicht kommen Sie ja im Laufe des Ta-ges doch noch zu einer entsprechenden Haltung.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Präsident Wolfgang Thierse20912
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Hans-Peter Repnik, CDU/CSU-Fraktion.
Hans-Peter Repnik (von der CDU/CSU
mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine sehr verehr-
ten Damen und Herren! Was vom Herrn Kollegen
Schmidt so harmlos vorgetragen wird und sich so harm-
los anhört, ist ein weiteres dreistes Kapitel aus dem Toll-
haus verfehlter rot-grüner Regierungspolitik.
Einmal mehr wird der Versuch unternommen zu tricksen,
zu täuschen und Ressortstreitigkeiten innerhalb der Bun-
desregierung zu überdecken.
Um es vorweg zu sagen: Wir, die CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion, widersprechen der Aufsetzung. Wir be-
grüßen als Fraktion ganz eindeutig die grundsätzliche
Bereitschaft der Bundesregierung, in dieser Frage, die
Lufttransportflotte zu modernisieren, endlich zu handeln.
Die geplante Beschaffung des neuen Transporters
kostet Geld, wie wir wissen. Es kostet das Geld des Steu-
erzahlers. Dafür gibt es ja seit Jahrzehnten ein eingefah-
renes Regelwerk, das einzuhalten ist. Der von Verteidi-
gungsminister Scharping am 18. Dezember letzten Jahres
unter Parlamentsvorbehalt unterzeichnete Vertrag über
die Beschaffung von 73 Maschinen des Typs A400M ist
so lange schwebend unwirksam, bis wir, die Abgeord-
neten des Deutschen Bundestages, die entsprechenden Fi-
nanzmittel im Bundeshaushalt 2002 bereitgestellt haben.
Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis möchte ich gerne
aus einem Brief zitieren, den Sie meinem Fraktionsvor-
sitzenden Friedrich Merz am 28. Dezember 2001 zukom-
men ließen, in dem Sie auf sein Schreiben antworteten.
Der Präsident trägt in diesem Brief vor – ich darf ihn zi-
tieren:
Nach den mir vorliegenden Informationen gehe ich
allerdings davon aus, dass Rechte des Parlaments,
insbesondere seine Budgethoheit nicht berührt sind,
da die Verträge gerade unter dem Vorbehalt der Zu-
stimmung des Parlaments unterzeichnet wurden und
deshalb erst rechtswirksam werden können, wenn
der Bundestag sie billigt und die entsprechenden
haushaltsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen
sind.
Nichts anderes, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ha-
ben wir seitens der CDU/CSU-Fraktion vor.
Mit dem Antrag, den die SPD heute auf die Tagesord-
nung zwingen und abstimmen lassen will, ist genau diese
haushaltsrechtliche Situation nicht gegeben. Von daher
sind wir der Überzeugung, dass wir anders prozedieren
sollen.
Man muss nicht unbedingt Jurist sein, um den Straftat-
bestand zu erahnen, der erfüllt wird, wenn man durch Vor-
täuschung falscher Tatsachen beim Vertragspartner mög-
liche finanzielle Verpflichtungen auslöst. Auch dies darf
ich vielleicht am Rande erwähnen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
– Herr Kollege Struck, Sie kokettieren immer damit, dass
Sie sich in Haushalts- und Finanzfragen auskennen. Die-
jenigen, die sich mit dem Haushaltsrecht auskennen, wis-
sen, dass nur im Wege eines Nachtragshaushaltes der
Parlamentsvorbehalt gegenüber dem vom Verteidigungs-
minister unterzeichneten Beschaffungsvertrag beseitigt
werden kann.
Ich füge hinzu, um unsere grundsätzliche Bereitschaft
zu diesem Vorhaben noch einmal zu dokumentieren:
Wir haben in den Haushaltsberatungen des vergangenen
Herbstes gerade hierzu Anträge gestellt. Diese Anträge
sind von der Koalitionsmehrheit abgelehnt worden. Wir
haben auch in den Gesprächen in der letzen Woche – Herr
Kollege Schmidt, auch in unseren bilateralen Gesprächen –
konkret angeboten, sehr schnell einen Nachtragshaushalt
zu verabschieden, weil wir der Meinung sind: Die Bun-
deswehr hat es verdient, dass diese Beschaffungsmaßnah-
men vorgenommen werden, und unsere ausländischen
Vertragspartner müssen Rechtssicherheit in dieser Frage
bekommen. Das geht aber nicht ohne einen Nachtrags-
haushalt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind der
Überzeugung, dass wir dieses Verfahren heilen können,
und zwar auf ordentlichem Weg mit einem Nachtrags-
haushalt. Der Antrag, den die Koalition einbringt und
heute verabschieden lassen will, heilt diesen Mangel je-
doch nicht. Er stellt weder für die Bundeswehr noch für
unsere ausländischen Vertragspartner Rechtssicherheit
her. Deshalb finden wir, dass dieser Antrag heute nicht auf
die Tagesordnung gehört,
weil wir damit einen Nachtragshaushalt beschließen. Ich
bitte daher das Hohe Haus, unserem Antrag, der Aufset-
zung zu widersprechen, zuzustimmen.
Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wortder Kollegin Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/DieGrünen.
bisher habe ich die Position der Union so verstanden,dass sie das Airbus-Projekt will. Wenn Sie jetzt davonreden, wir würden mit diesem Antrag falsche Tatsachen
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002 20913
vorspiegeln, dann frage ich Sie ganz klar, ob Sie Ihre Zu-stimmung wieder zurücknehmen oder infrage stellen.
Von Tricksen und Täuschen kann überhaupt nicht dieRede sein. Es ist richtig, dass wir einen Parlamentsvorbe-halt wollen. Wir werden diesem Parlamentsvorbehalt mitdem Beschluss, den wir heute selbstverständlich fassenwerden, auch gerecht.Es ist richtig, dass wir ein haushaltsrechtlich einwand-freies Verfahren brauchen. Diesem haushaltsrechtlich ein-wandfreien Verfahren werden wir mit dem Beschluss, denwir heute fassen werden, gerecht. Wir werden nämlich ei-nen Teil des Geldes jetzt und den zweiten Teil des Geldesim Haushalt 2003 darstellen. Richtig ist übrigens auch,dass wir eine hohe Verbindlichkeit unseren Partnern ge-genüber brauchen. Auch das werden wir mit dem Antragheute deutlich machen, es sei denn, die Union will ihreZustimmung zu dem Projekt, die sie signalisiert hat,zurücknehmen.Ich glaube, dass wir ganz klar und einwandfrei, ohneTricksen und Täuschen heute über diesen Antrag beratenkönnen. Ich kann Sie nur auffordern, ihn entsprechend zuunterstützen und nicht vor dem Hintergrund von Wahl-kampftrara zu versuchen, das Projekt zu verhindern. Sietun sich und dem Projekt damit keinen Gefallen
und Sie tun der europäischen Verteidigungspolitik keinenGefallen.
Sie tun vor allen Dingen dem Parlament keinen Gefallen,wenn Sie hier falsche Tatsachen vorspiegeln, HerrRepnik.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Jürgen Koppelin, FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Vor sieben Wochen stand derBundesfinanzminister an diesem Pult und erklärte, das seidie letzte Haushaltsdebatte in dieser Legislaturperiode.Wie wir sehen, hat nicht einmal das gestimmt.Mit dem Antrag, den die Koalition heute auf die Ta-gesordnung setzen will, eröffnet sie die Debatte um denBundeshaushalt 2002 neu. Es zeigt sich bereits nach sie-ben Wochen: Ihr Haushalt ist mehr Schein als Sein.
Gegen den Rat der Opposition, gegen unsere Anträgehaben Sie sich dazu entschlossen, Mittel für die Beschaf-fung von 45 Flugzeugen im Bundeshaushalt einzustellen.Am Parlament vorbei hat der Bundesverteidigungsmi-nister wenige Tage später einen Vertrag über 73 Flug-zeuge unterzeichnet. Er hat das getan, obwohl er wusste,dass ihm dafür nicht die finanziellen Mittel zur Verfügungstehen. Er hat es getan, obwohl ihm die Abgeordneten derrot-grünen Koalition im Haushaltsausschuss deutlich ge-macht haben, dass er das Geld nur für 45 Flugzeuge be-kommt und keine Mark mehr erhält. Die Konsequenz da-raus war natürlich die Ablehnung aller Anträge derOpposition durch die Koalition.Man darf hier festhalten: Der Bundeshaushalt ist einGesetz. In namentlicher Abstimmung haben der Bundes-kanzler und der Bundesverteidigungsminister diesemHaushalt zugestimmt, in dem steht: 45 Flugzeuge undkein Stück mehr. Das müssen wir festhalten. Das war vorsieben Wochen.Woher hat der Verteidigungsminister sich nun dasRecht genommen, für 73 Flugzeuge zu unterschreiben?Von solider Regierungsarbeit kann da ja wohl nicht dieRede sein.Heute wollen Sie mit Ihrem Antrag Ihre falsche Ent-scheidung von vor sieben Wochen korrigieren, und das,liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, ohne eineBeratung des Haushaltsausschusses, in einem Schnell-verfahren quasi am Parlament vorbei.
– Entschuldigung, darauf komme ich gleich, KollegeSchlauch.Sie begehen einen eindeutigen Verstoß gegen Art. 110 desGrundgesetzes.
Ein von der FDP in Auftrag gegebenes Gutachten desWissenschaftlichen Dienstes und die Stellungnahme desBundesrechnungshofs, die wir vor zwei Tagen bekommenhaben, sagen deutlich: Sie können nur durch einen Nach-tragshaushalt heilen; nur mit einem Nachtragshaushaltkann die Unterschrift des Verteidigungsministers Gültig-keit erlangen.
Da Sie in der Koalition anscheinend Probleme mit demArt. 110 des Grundgesetzes haben, darf ich Ihnen mit Er-laubnis des Präsidenten den Kommentar dazu vorlesen:Soweit die Exekutive über die betreffendePlanungsperiode hinaus Verpflichtungen eingehenwill, zum Beispiel durch Verträge oder Bewilli-gungsbescheide für längerfristige Vorhaben, diezwangsläufig zu kassenmäßigen Ausgaben in späte-ren Haushaltsjahren führen, braucht sie dafür so ge-nannte Verpflichtungsermächtigungen. Andernfallskönnte die Exekutive durch rechtlich bindende Vor-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Katrin Göring-Eckardt20914
verfügungen das Budgetrecht des Parlaments aus-höhlen.
Würden wir heute Ihrem Antrag zustimmen und ihn aufdie Tagesordnung setzen, so wie Sie das wollen, würdenwir das Budgetrecht des nächsten Parlaments aushöhlen.Absichtserklärungen für eine künftige Bundesregierung,liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, die Siehier beschließen wollen, können Sie aber auch nicht ab-geben; denn die nächste Bundesregierung wird ja nichtvon Rot-Grün gestellt.
Warum Sie keinen Nachtragshaushalt vorlegen, daswissen wir. Der Bundesfinanzminister müsste dann näm-lich auch zur Konjunktur, zum Arbeitsmarkt und zur mit-telfristigen Finanzplanung Stellung nehmen. Diese Bilanzwürde für Sie katastrophal und furchtbar aussehen.Der Antrag, den Sie heute auf die Tagesordnung setzenwollen, klärt nichts und lässt alle haushaltsrechtlichenFragen unbeantwortet. Die Unterschrift des Bundesver-teidigungsministers ist haushaltsrechtlich nicht abgesi-chert, ist ein Verstoß gegen das Haushaltsrecht.Man merkt, dass Sie ein schlechtes Gewissen haben.Sie wollen diesen Antrag heute auf die Tagesordnung set-zen lassen und etwa um 22 Uhr, also zu später Stunde,wenn die Journalisten nach Hause gegangen und die Ka-meras abgeschaltet sind, beraten lassen. Warum scheut IhrAntrag eigentlich das Tageslicht?
Wir werden Ihrem Ansinnen, diesen Antrag heute aufdie Tagesordnung zu setzen, nicht zustimmen. Sie könnenvon der Fraktion der Freien Demokraten nicht erwarten,dass sie sich an einem Rechtsbruch beteiligt.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Rolf Kutzmutz, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Es scheint sinnvoll und überzeugend zu sein,
dass ein Antrag auf die Tagesordnung gesetzt wird, um
eine parlamentarische Befassung mit dem Militärairbus
A400M zu erreichen. Schließlich ist in den letzten Tagen
sehr viel darüber diskutiert worden. Immer wieder und
quer durch alle Parteien wird darauf verwiesen, dass mit
der Unterschrift gegen das Parlamentsrecht verstoßen
worden ist und dass das Parlament außen vor gelassen
wird.
Es scheint aber nur sinnvoll zu sein; denn mit dem An-
trag, der heute auf die Tagesordnung gesetzt werden soll
– unabhängig von der Zeit; Herr Koppelin hat gesagt, er
werde dann um 21 oder 22 Uhr – mit einer Debattenzeit
von gerade einmal 30 Minuten beraten –, wird das nicht
geheilt. Dagegen spricht auch nicht die Geschäftsord-
nung. Ich meine, es geht um eine Größenordnung, bei der
es erforderlich ist, dass wir im Parlament sehr ausführlich
diskutieren und keine Vorabzustimmung geben sollten.
Ich halte eine Debatte zu dieser Zeit und in diesem Um-
fang für eine Farce.
Schließlich soll mit diesem Antrag die Absicht der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
begründet werden, über die Finanzierung weiterer 33 Mi-
litärairbusse mit einem Volumen von mehr als 3,5 Milli-
arden Euro mit dem Bundeshaushalt 2003 zu entscheiden.
Damit wäre der Parlamentsvorbehalt nach Ihrer Auffas-
sung aufgehoben. Würden wir der Aufsetzung zustimmen
und würde damit eine Mehrheit diesem Antrag die Zu-
stimmung geben, wäre das Budgetrecht des Parlaments
ausgehöhlt und – das wurde hier schon gesagt – das
Grundgesetz, besonders Art. 110, verletzt.
Wenn Sie wollen, dass die Bundeswehr mit 73 Mi-
litärairbussen ausgestattet wird – wir wollen das nicht –,
dann können Sie den Parlamentsvorbehalt nach gelten-
dem Recht mit einem Nachtragshaushalt 2002, über den
im Haushaltsausschuss des Bundestages und im Plenum
gründlich diskutiert werden muss, auflösen. Mit der heu-
tigen Aufsetzung des Antrags würde dieses verfassungs-
und budgetrechtlich vorgesehene Prozedere umgangen.
Dem können wir nicht zustimmen; deshalb stimmen wir
auch Ihrem Antrag nicht zu.
Danke schön.
Wir kommen zur Ab-stimmung. Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag derFraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen? –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Aufsetzungs-antrag ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/DieGrünen angenommen. Damit wird der Antrag mit dem Ti-tel „Vorhaben zukünftiges Transportflugzeug A400M“heute nach Tagesordnungspunkt 11 beraten.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c auf:a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierungBericht der Bundesregierung zur auswärtigenKulturpolitik 2000– Drucksache 14/6825 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Kultur und Medien
Auswärtiger AusschussSportausschussAusschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-zungAusschuss für TourismusAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionb) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Dr. Helmut Haussmann, Ina Albowitz, Hildebrecht
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Jürgen Koppelin20915
Braun , weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDP„Public Private Partnership“ in der auswärti-gen Kulturpolitik– Drucksachen 14/5963, 14/7253 –Berichterstattung:Abgeordnete Monika GriefahnRuprecht PolenzRita GrießhaberUlrich IrmerWolfgang Gehrckec) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Kultur und Medien
zu dem Antrag der Abgeordneten
Monika Griefahn, Eckhardt Barthel, Hans-WernerBertl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion derSPD sowie der Abgeordneten Rita Grießhaber,Dr. Antje Vollmer, Kerstin Müller , RezzoSchlauch und der Fraktion des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNENAuswärtige Kulturpolitik für das 21. Jahrhun-dert– Drucksachen 14/5799, 14/7380 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Norbert LammertRita GrießhaberHans-Joachim Otto
Dr. Heinrich FinkNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für dieAussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort derKollegin Monika Griefahn, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Wie man so schön sieht:
Eine vollkommene Menschheit wird es natürlich nie
geben.
– Tja, das ist so.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich bitte diejenigen, die den Saal verlassen
wollen, das möglichst umgehend zu tun, damit sich die
Rednerin Gehör verschaffen kann.
Es ist schön, dass Sie alle dasind.Eine vollkommene Menschheit wird es natürlich niegeben. Was wir erreichen können, ist, dass immermehr Menschen zum Gespräch bereit werden, dasssie sich toleranter und friedlicher verhalten. Dadurchwerden die zerstörerischen Kräfte zurückgedrängt.Das allein wäre schon ein Fortschritt.Diese Worte des Dalai-Lama zeigen eindrücklich, worumes in der auswärtigen Kulturpolitik noch mehr denn je ge-hen muss.„Rohstoff des Friedens ist Verständigung“, hat unsHilmar Hoffmann in seiner Abschiedsrede am18. Januar 2002 ins Stammbuch geschrieben. Seit den Er-eignissen vom 11. September 2001 bekommt unsere Dis-kussion um den Dialog der Kulturen eine neue Dimen-sion. Wir haben uns im letzten Jahr intensiv damitbeschäftigt; jetzt wird es noch aktueller. Heute wird einFriedensgebet der Weltreligionen in einem Sonderzugvon Rom nach Assisi stattfinden. Dort wird eine Verstän-digung der Religionen – dort sind die Sikhs, die Katholi-ken, die Juden und die Moslems alle zusammen – ange-strebt. Das ist ein gutes Signal.
Gestern Abend hat im Goethe-Institut in Berlin ein an-deres Projekt begonnen: die Kulturkarawane Qafilatas-Salam,mit der 800 Künstler aus diversen Ländern ver-suchen, gemeinsam Projekte zu erarbeiten, um in eineninterkulturellen Dialog zu kommen. Auch das ist ein Pro-jekt, mit dem man versucht, die Verständigung zwischenden Kulturen und Religionen voranzubringen. Das ge-schieht mit Unterstützung unserer Goethe-Institute.Wenn wir uns die Taten vom 11. September anschauen,fragen wir uns: Haben wir eine Chance, solche Anschlägein Zukunft auch durch Dialoge und eine entsprechendeAusrichtung der Politik zu verhindern? Ich formulieredies bewusst als Frage.Der Dalai-Lama hat sicherlich Recht, wenn er sagt,dass Gespräche die Grundlage für ein friedliches Mitei-nander sind. Aber wen können wir, wen kann die auswär-tige Kulturpolitik damit erreichen? Wie kann der Dialogder Kulturen – letztes Jahr wurde von der UN immerhindas Jahr des Dialogs der Kulturen ausgerufen – im Ein-zelfall ausgestaltet werden? Was kann er tatsächlich be-wirken?Wir diskutieren über diese Fragen und die Neuausrich-tung der auswärtigen Kulturpolitik. Seit den Geschehnis-sen im September führen wir wieder die Debatte über dieFrage, ob es einen Kampf der Kulturen gibt. Huntingtonhat Konjunktur. Das geht meiner Meinung nach in diefalsche Richtung. Der Bundeskanzler hat von einem„Kampf um die Kulturen“ gesprochen. Das ist der richtigeAnsatz.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Präsident Wolfgang Thierse20916
Auch wenn ich in diesem Zusammenhang wenigervom Kämpfen sprechen möchte, so ist doch klar, was da-mit gemeint ist: Wir sollten uns darum bemühen, in deninternationalen Beziehungen Strukturen zu schaffen undzu fördern, die dazu geeignet sind, dass sich Menschenbegegnen und in einen Austausch über Vorstellungen,Werte und Ideen treten können.„Das kommunikative Kapital ist ein verderblich Gut“,sagte Hoffmann am letzten Freitag. Wir sind jetzt mehrdenn je gefordert, dieses „kommunikative Kapital“ zu sta-bilisieren und zu akkumulieren, damit es nicht verlorengeht. Es ist ein integraler Bestandteil der Außenpolitikund hat ein enormes Potenzial, um einen wirklichen Dia-log der Kulturen im Sinne der gegenseitigen Verständi-gung, um Toleranz und vor allem um Konfliktpräventionzu ermöglichen. Die Herstellung und Gewährleistung derSicherheit nach innen und außen ist nicht allein eine An-gelegenheit der Polizei bzw. der Militärkräfte. Es ist ebennicht die Ultima Ratio, sondern die „Prima Ratio“, wieHilmar Hoffmann meinte.Wir sind der Auffassung, dass die Sicherheit inDeutschland und in anderen Ländern nur dann nachhaltigzu gewährleisten ist, wenn wir zusätzliche Maßnahmendurchführen. Unser Außenminister ist hier sehr aktiv. Dashaben wir bei der Konferenz auf dem Petersberg und beiden Maßnahmen, die jetzt in Afghanistan anlaufen, gese-hen. Dabei spielen das zivile Element, also die Stützungder zivilen Gesellschaft, der Dialog zwischen den Kultu-ren und die Möglichkeit der Begegnung von Menscheneine zentrale Rolle.
Diese Bemühungen möchte ich an einigen Beispielendeutlich machen. Als Projekte, die wir in Afghanistan fürdie friedliche Entwicklung voranbringen, sind zum Bei-spiel der Wiederaufbau des Goethe-Institutes, der Wie-deraufbau der deutschen Schule in Kabul sowie die Stär-kung der Möglichkeit, dass Frauen überall aktiv werden,zu nennen. Gerade der letzte Punkt ist ein ganz zentralesElement für den Dialog; denn Frauen in der Gesellschafthaben eine wichtige Funktion: Sie bringen eine andereKultur in die Debatte. Diese Projekte werden im Momentmit 8,5 Millionen Euro unterstützt. Ich denke, das ist einguter Anfang.
Damit nicht genug. Wir haben im letzten Jahr den Dia-log der Kulturen bei der ersten Debatte zu unserem Antragdiskutiert. Wir haben darüber gesprochen, dass zum Bei-spiel das Goethe-Institut Inter Nationes wichtige Pro-jekte voranbringt und wichtige Schritte geht. Die Präsenzvor Ort in aller Welt ist ein ganz zentraler Punkt. DasGoethe-Institut Inter Nationes hat sofort nach den Ereig-nissen am 11. September reagiert, hat zusätzliche Projektevorgelegt und hat auf die Bedeutung der Präsenz hinge-wiesen, um die Möglichkeit zum direkten Austausch zugewährleisten.In den Projektbeschreibungen wird sehr deutlich, dass,auch wenn der aktuelle Auslöser der Entwicklung die Ta-ten islamistischer Terroristen waren, nicht der Blick dafürverloren gehen darf, dass weder Methoden noch Ziele desTerrors einer Religion zuzuordnen sind. Ich glaube, das istdie zentrale Frage, mit der wir uns auseinander setzenmüssen.
Ich möchte nur ein Beispiel nennen: In Sri Lanka gibtes Selbstmordattentäter, die gegen buddhistische Sym-bole angehen und aktiv werden, ohne dass man das mitdem Islam in Verbindung bringen könnte. Wir brauchenalso insgesamt den kritischen Dialog und brauchen einZugehen der verschiedenen Kulturen und der verschiede-nen Wurzeln aufeinander.Wir haben jetzt Projekte, die auf Länder zugeschnittensind, die zum großen Teil durch den Islam geprägt sind.Wir dürfen uns aber nicht nur auf die arabische Welt kon-zentrieren. Alleine in Indien gibt es 150 Millionen Mus-lime. Das ist immer wieder ein Grund für Auseinander-setzungen. Wir haben stets unterschätzt, wie groß dieAuseinandersetzungen in den Ländern sind, wo viele Re-ligionen, viele Kulturen miteinander leben. Wir sehen eszurzeit an den Anschlägen in Kalkutta.Die Programme, die gerade das Goethe-Institut InterNationes vorschlägt, gehen von den Grundsätzen aus,dass der Dialog zwischen den Individuen notwendig istund ermöglicht werden soll, dass als Zielgruppe die auf-geklärten Eliten in der Zivilgesellschaft erreicht werdenmüssen und dass man besonders auf die NGOs, das heißtdie Nichtregierungsorganisationen, zugehen muss, damitsich Menschen dort treffen können. Wie wichtig das ist,haben wir im Iran gesehen: Im dortigen Goethe-Instituthaben sich, solange es noch existierte, Schriftsteller undIntellektuelle getroffen und somit die Demokratieentwick-lung sowie den Reformprozess untereinander weiterge-führt. Das ist uns bei einer Anhörung zur auswärtigenKulturpolitik sehr deutlich geworden. Das ist der Weg, umauch zu einer zivilgesellschaftlichen Entwicklung in die-sen Ländern zu kommen.
Dialog der Kulturen heißt aber nicht nur, mit Goethe-Instituten in den Ländern präsent zu sein, sondern auch,diverse andere Aktivitäten,wie sie in unserem Antrag be-schrieben sind, zu unternehmen. Wir haben im Jahr 2002für eine Verstetigung der Stipendienprogramme durch Be-reitstellung von 10,5 Millionen Euro gesorgt. Wir habendie Zukunft der Schulen gesichert; es wurde ja darüberdiskutiert, ob wir eigentlich noch so viele deutscheSchulen im Ausland brauchen. Wir haben zusätzlicheMittel – 40 Millionen DM bzw. etwas mehr als 20 Milli-onen Euro – der Deutschen Welle zur Verfügung gestellt,damit gemeinsam mit ARD und ZDF ein neuer Auslands-kanal auf den Weg gebracht werden kann. Wir haben auchSchritte unternommen, damit hier vor Ort ein stärkererAustausch stattfinden kann, zum Beispiel im Haus derKulturen der Welt, das zusätzlich dafür 5 Millionen DMbekommen hat – das sind etwas mehr als 2,5 Millionen
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Euro, ich erspare uns jetzt die Umrechnung. Wir habenauch eine Lösung der Probleme, die sich bei den Goethe-Instituten ergeben haben – ich erinnere an die Frage, obdie Fusionsrendite kommt –, angegangen. Wir brauchenjetzt alles Geld für die neuen Programme und für die Um-setzung der Eckpunkte, die ich eben dargestellt habe.
Die Schaffung von Orten der Begegnung und der Ein-satz neuer Medien sind zentrale Anliegen. Wir wollenunsere Internetportale ausweiten. Es gibt jetzt zum Bei-spiel ein Deutschlandportal, bei dem Goethe-Institute,DAAD, die Deutsche Welle und unser Bundespresseamtzusammenarbeiten und Informationen über Deutschlandsowie Sprachkurse anbieten, aber auch die Möglichkeitzur Begegnung bieten. Mehr und mehr werden auch jungeLeute das Internet als Medium nutzen, um sich zu treffen.Wie wichtig dieses wiederum für Frauen ist, habe ich per-sönlich bei einem Besuch im Iran gesehen, wo hauptsäch-lich Frauen die Internetcafés besuchten. Das Internet istdas Tor zur Welt. Indem wir dieses ausbauen und Me-dienkompetenz fördern, können wir auch etwas für denAustausch und für das gegenseitige Verständnis tun.
Es geht aber nicht nur um die Schaffung umfassenderDialogstrukturen, sondern auch darum, dass die „Zwei-bahnstraße“, die durch das AKP-2000-Programm desAuswärtigen Amtes und des Parlaments beschrittenwurde, weiter ausgebaut wird. Dazu müssen alle Mittler,die wir haben, nämlich der Deutsche Akademische Aus-tauschdienst, das Institut für Auslandsfragen, unsereSchulen und die Humboldt-Stiftung einbezogen werden,aber auch viele Einzelne, zum Beispiel Vertreter der Wirt-schaft. Ich appelliere hier noch einmal an diese. Die deut-sche Wirtschaft erzählt uns ja immer wieder, dass es sehrwichtig ist, dass Deutschland nicht nur in Form von Bot-schaften und Konsulaten vor Ort vertreten ist, sondernauch in Form von Kultureinrichtungen. Diese Zusam-menarbeit muss verstärkt werden. Ich hoffe, dass sichauch die Wirtschaft weiter engagiert – Hilmar Hoffmannhat die Wirtschaft ja schon sehr engagiert angesprochen –,vor Ort für beständige Kulturarbeit sorgt und sie noch ver-stärkt; denn für die Wirtschaft sind die Orte der Begeg-nung extrem wichtig, für sie ist es wichtig, dass ihre Mit-arbeiter Deutsch lernen, damit eine Brücke nachDeutschland geschlagen wird. Mit unseren Stipendien-programmen werden wir auch umgekehrt hier Mitarbeiterausbilden, damit die Bindung an Deutschland noch engerwird. Das liegt im allseitigen Interesse, es fördert sowohlden Dialog der Kulturen als auch die wirtschaftliche Ent-wicklung.
Public Private Partnership, wie im Antrag der FDPdargestellt, wollen wir so nicht. Wir wollen nicht, dass dieWirtschaft die Aufgaben der Politik übernimmt und sozu-sagen nach Gutdünken entscheiden kann, welche der Pro-jekte gemacht werden und welche nicht. Ich glaube, dassder Dialog der Kulturen eine staatliche Aufgabe bleibenmuss. Wir sind in der Verantwortung und wir nehmendiese Verantwortung wahr und haben dementsprechendMittel zur Verfügung gestellt. Ich hoffe, dass diese Auf-gabe weiterhin vom ganzen Haus unterstützt wird. In un-seren Debatten im Kulturausschuss zum Beispiel wurdeimmer sehr deutlich, dass das eine gemeinsame Aufgabeist.
Ein wichtiger Punkt ist die Zusammenarbeit der euro-päischen Staaten. Seit 1. Januar 2002 gibt es bei uns denEuro. Wenn man in ein anderes Land der EuropäischenUnion fährt, muss man nicht mehr die mühsameUmtauscharbeit leisten. Die Menschen in den Ländern,die den Euro eingeführt haben, nehmen ihn positiv an.Aber das darf nicht der letzte Schritt sein. Wir brauchenauch ein Stück mehr gemeinsame europäische auswärtigeKulturpolitik.Dies haben wir in unserem Antrag formuliert. Wir ha-ben das auch mit unseren Partnern in Frankreich, Eng-land, Italien, Österreich und anderen Ländern diskutiertund der Prozess kommt langsam in Gang. Es ist einschwerfälliger Prozess, aber es gibt inzwischen deutsch-französische Lesesäle und es gibt sogar deutsch-polni-sche Kooperationen. Gestern sagte mir der Leiter desGoethe-Institutes in Berlin, es wäre doch schön, wenndas polnische Kulturinstitut in den vierten Stock desGoethe-Institutes ziehen würde, denn das würde eineenge Kooperation bedeuten und wäre ein Signal für daserweiterte Europa.
Wenn wir als Europäer zusammenarbeiten, heißt dasaber nicht gleichzeitig, dass die deutsche Identität verlo-ren gehen soll. Auch die Vermittlung der deutschen Spra-che als Wurzel, als Teil der Kultur ist ein ganz wichtigerPunkt. Wir werden uns mit der deutschen Sprache auf-grund der entsprechenden Großen Anfrage heute Mittagnoch stärker beschäftigen. Insofern brauche ich daraufjetzt nicht intensiver einzugehen.Die auswärtige Kulturpolitik ist, wenn sie europäischagiert, nicht nur Kulturpolitik, sondern auch Wirtschafts-politik und Sozialpolitik. Deshalb glaube ich, dass es sehrwichtig und sinnvoll ist, dass die Gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik, die GASP, noch stärker um denFaktor Kultur erweitert wird, als das bisher der Fall ist,und dass dieses Thema bei den Debatten bei der WTOoder auch anderen Organisationen eine stärkere Rollespielt. Ich trete ebenso entschieden dafür ein, dass der Be-reich der Kultur zum Beispiel auch bei dem Gipfel in Jo-hannesburg im September, „Rio plus zehn“, stärker einbe-zogen wird; denn die Kultur bietet einen Hintergrund fürdie Umweltzerstörung, die wir haben. Die Umweltzer-störung hängt zu einem großen Teil mit unserem linearenKulturdenken zusammen. Deswegen ist es wichtig, dasswir uns in dem Viereck Soziales, Ökologisches, Wirt-
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schaftliches und Kulturelles bewegen, um tatsächlich zueiner nachhaltigen Entwicklung zu kommen.
Gott sei Dank ist vieles, was wir in unserem Antrag for-muliert haben, schon auf den Weg gebracht worden. DieBudgetierungen werden in den Instituten nach und nacheingeführt. Der Austausch von Mitarbeitern zwischen denverschiedenen Instituten, Botschaften und auch der Wirt-schaft wird in Angriff genommen. Die Situation der Stu-dierenden ist verbessert worden; sie können nach ihremStudium hier bleiben. Ein ganz wichtiger Punkt unseresAntrages war auch eine andere Besteuerung ausländischerKünstler in Deutschland. Hier hat es entschiedene Ver-besserungen gegeben; denn es war ein Rückgang vonKünstlern, die zum Austausch mit deutschen Institutionenbeigetragen haben, um 30 Prozent zu verzeichnen.
Kollegin Griefahn,
Sie müssen zum Ende kommen, Sie haben Ihre Redezeit
überschritten.
Ich habe später angefangen,
weil hier eine solche Unruhe war. Ich habe auf die Uhr ge-
schaut.
Nicht verhandeln!
Ich bin sofort fertig.
Ich freue mich, dass wir heute hier diese Debatte ha-
ben. Ich freue mich auch auf die Redebeiträge der ande-
ren Kollegen; sie werden sicherlich das eine oder andere
zu ergänzen haben. Ich bin froh, dass wir den Weg einge-
schlagen haben, den Dialog der Kulturen auch finanziell
zu unterstützen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Ich
möchte an dieser Stelle auch dem Bundesaußenminister
danken, dass er in den letzten Verhandlungen immer die-
ses Element des Dialogs der Kulturen und der Konflikt-
prävention in den Mittelpunkt gestellt hat.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Norbert Lammert, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Griefahn hat zumSchluss ihrer Rede zu Recht vermutet, dass die folgendenRedner das eine oder andere zu ergänzen haben werden.Das will ich für meine Fraktion gerne tun.Vor gut zwei Jahren hat der Außenminister die Neu-konzeption der auswärtigen Kulturpolitik, „Konzeption2000“, vorgelegt. Sie war nicht sonderlich aufregend,aber anspruchsvoll, und über die Grundsätze dieser aus-wärtigen Kulturpolitik gibt es im Deutschen Bundestagund nach meinem Eindruck auch darüber hinaus keinenStreit.
Seitdem hat es zwei auffällige, weil nicht unbedingt zuerwartende Entwicklungen gegeben. Zum einen ist dieVerkündung dieser Neukonzeption zum Ausgangspunktfür regelmäßige Kürzungen in der Mittelausstattung derauswärtigen Kulturpolitik geworden
und zum anderen legt uns inzwischen die Koalition, dieFraktionen von SPD und Grünen, einen Antrag vor, indem die Bundesregierung aufgefordert wird, entspre-chend der eigenen Konzeption doch auch tätig zu werden.Offenbar besteht auch in den eigenen Reihen der Ein-druck, dass den Ankündigungen des Außenministers nunTaten folgen müssen. Die erfreuliche Übereinstimmungin den Grundsätzen der auswärtigen Kulturpolitik drohtfolgenlos zu bleiben.Nichts macht die tränentreibende Diskrepanz zwischenden hohen Ansprüchen und den bescheidenen Möglich-keiten der auswärtigen Kulturpolitik einer rot-grünen Ko-alition deutlicher als die Entwicklung der Haushalts-ansätze. Sie haben – ich beginne bewusst vor der ZeitIhrer Regierungsverantwortung – im Jahre 1997 sehrüberschaubare 0,26 Prozent am Bundeshaushalt betragen,1998 0,25 Prozent. Dann kam der Regierungswechsel undder vermeintlich große Aufbruch in eine große Zukunftmit dem ganz neuen Stellenwert für die auswärtige Kul-turpolitik und prompt betrug der Anteil der Ausgaben fürauswärtige Kulturpolitik im Haushaltsjahr 1999 0,24 Pro-zent, im Haushaltsjahr 2000 0,23 Prozent. Diesen Haus-haltsansatz hat man im vergangenen Jahr tapfer verteidigt,um ihn nun für den gerade beschlossenen Haushalt desJahres 2002 auf 0,22 Prozent abzusenken.
Das ist das Ergebnis der Ankündigungen und das sind dienachprüfbaren Konsequenzen, die sich daraus ergebenhaben.Dabei muss man im Übrigen wissen, dass mit demneuen Haushaltsjahr nicht nur der Tiefststand in der Mit-telausstattung der auswärtigen Kulturpolitik seit zehnJahren noch einmal unterboten worden ist,
sondern dass dies bei steigendem Gesamtetat des Einzel-plans Auswärtiges Amt geschieht, folglich die viel ge-rühmte dritte Säule der auswärtigen Politik nicht immerstabiler, sondern immer brüchiger zu werden droht.
Ihr Anteil an den Gesamtausgaben des Auswärtigen Am-tes sinkt kontinuierlich in Richtung 25 Prozent. Ein über-proportionales Minus im Kulturhaushalt des AuswärtigenAmtes macht eben nicht glaubhaft, was der Außenminis-ter postuliert hat, dass nämlich der auswärtigen Kulturpo-
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litik im Kontext unserer Außenpolitik ein besonderer Stel-lenwert zukomme. Anspruch und Wirklichkeit klaffenweit auseinander.Herr Außenminister, Sie haben im Mai vergangenenJahres gesagt – ich zitiere Sie –:Die Kürzungen der vergangenen zwei Jahre stehendurchaus im Widerspruch zum formulierten Ziel ei-ner aktiveren auswärtigen Kulturpolitik.Das war ehrlich; ich habe das so auch verstanden und ge-würdigt. Aber ich hatte damals noch den offenkundigallzu fröhlichen Optimismus, das sei auch als Ankündi-gung beabsichtigter Besserung zu verstehen. Davon kannnun leider überhaupt keine Rede sein. Im Bericht desAußenministers heißt es lapidar:Es ist mit weiteren Mittelkürzungen zu rechnen.Zum Beispiel geschieht dies bei den Auslandsschulen.Sie sind unbestritten ganz besonders wichtige Instru-mente der auswärtigen Kulturpolitik, weil sie dauerhafteBindungen an die Sprache und an die Kultur unserer Ge-sellschaft ermöglichen.
Massive Einsparungen in zweistelliger Millionenhöhekann dieses Netz des kulturellen Dialogs nicht verkraften,schon gar nicht, wenn sie Jahr für Jahr in der gleichenRichtung erfolgen.Tatsächlich werden die Mittel für die Auslandsschulennach der mittelfristigen Finanzplanung im Jahre 2003 un-ter Berücksichtigung nicht ausgeglichener Preissteigerun-gen und der Problematik der Wechselkurse effektiv mehrals ein Drittel unter den Ansätzen des Jahres 1998 liegen.
Eigentlich kann man damit die Debatte abschließen, weiles keinen Sinn ergibt, pausenlos Prinzipien zu verkünden,wenn es sich im konkreten politischen Handeln in einer soerbärmlichen Weise niederschlägt, wie das hier der Fallist. Der Kollege Koschyk wird das im Einzelnen nachherin seinem Beitrag mit Blick auf die Auslandsschulen nochergänzen.
Ich nehme die Deutsche Welle hinzu – sie gehört indiesen Zusammenhang –, für die allerdings der Außenmi-nister – das sage ich der guten Ordnung halber – keine per-sönliche Verantwortung trägt. Die Verantwortung dafürliegt im Kanzleramt. Aber dass die Deutsche Welle aufihre Weise ein genauso zentrales Instrument deutscherauswärtiger Kulturpolitik ist, daran besteht unter uns al-len kein Zweifel. Da man der Bundesregierung fast alles,aber nicht ihre Konsequenz auch bei falschen Entschei-dungen absprechen kann, machen wir hier präzise diegleiche Beobachtung: Kürzung über 40 Millionen Euro,das heißt knapp 80 Millionen DM, bei gleichzeitigerAnkündigung neuer Aktivitäten. Das Auslandsfernsehenwird zusätzlich gemacht bei gleichzeitiger Kürzung derMittel. Auch hier findet genau die gleiche Operation statt:Man setzt Ankündigungen in die Welt, lässt diejenigen,die sie realisieren sollen, hilflos in der Landschaft stehenund beklagt sich am Ende darüber, dass man trotz bester,ausdrücklich angekündigter Ziele leider nicht annäherndso weit gekommen sei, wie man sich das vorgenommenhatte.
Nächstes Beispiel: Goethe-Institut Inter Nationes.Wir haben eine schwierige, aber einvernehmliche Opera-tion hinter uns gebracht, um durch Zusammenschluss die-ser beiden Institutionen unnötige Personal- und Verwal-tungsausgaben einzusparen, damit die Projektförderunggestärkt werden kann. Schon im allerersten Jahr solltenach den Absichten dieser Bundesregierung die feierlichversprochene Fusionsrendite zur Stärkung der Förderungder Projekte einkassiert werden. Verehrter Herr Außenmi-nister, wir erinnern uns beide lebhaft an die peinlicheSzene im Deutschen Bundestag, als wir buchstäblich inallerletzter Minute sichergestellt haben, dass das Schur-kenstück noch vermieden werden konnte, das fast verhin-dert hätte, dass eine ausdrücklich zugesagte Stärkung derMittel durch den Zusammenschluss dieser beiden Institu-tionen auch wirklich der Aufgabenerfüllung dieser Insti-tutionen zugute kommt.
Hilmar Hoffmann, der Präsident des Goethe-Instituts,hat in diesen Tagen zum Abschluss seiner neunjährigenAmtszeit erklärt: Erst lobt uns die Politik über den grünenKlee, dann streicht sie uns die Mittel. – Dies ist eineebenso bittere wie leider zutreffende Beschreibung derSituation.
Herr Außenminister, Sie haben ihm vor wenigen Tagenanläßlich seines Ausscheidens aus diesem Amt das GroßeBundesverdienstkreuz mit Stern verliehen. Es kann keinZweifel daran bestehen, dass er das verdient. Ich habeaber auch keinen Zweifel daran, es wäre ihm lieber ge-wesen, dass diese Auszeichnung nicht die Kompensationfür eine nicht vorhandene Unterstützung gewesen wäre.
Ihm wäre es sicher lieber gewesen, wenn er während sei-ner Amtszeit die Unterstützung der Bundesregierung ge-habt hätte, auf die er einen Anspruch hatte.
Ich nutze die Gelegenheit gerne, Hilmar Hoffmann fürmeine Fraktion unseren großen Respekt für seine Arbeitzu zollen.
Er war nicht nur ein glänzender Repräsentant dieses In-stituts und der deutschen auswärtigen Kulturpolitik. Er
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war auch ein engagierter und durchsetzungsstarker Ver-treter unserer – insoweit – gemeinsamen Interessen. Ichverbinde meine Gratulation an die neue Präsidentin JuttaLimbach mit der Hoffnung, dass es ihr gelingt, genaudiese Rolle fortzusetzen.Nun ist ein neuer Geldsegen versprochen worden. Ersoll sich aus dem Antiterrorpaket der Bundesregierungergeben und den Dialog der Kulturen befördern. Mehrnoch: Er soll zur Konfliktprävention beitragen. Die Hoff-nung, dass auswärtige Kulturpolitik einen Beitrag zurfriedlichen Konfliktlösung leisten könne, ist nicht vorn-herein abwegig. Es muss aber auch die Frage beantwortetwerden, nicht nur ob, sondern auch wie sie es denn leis-ten will und welche Rolle in diesem ZusammenhangKunst und Kultur tatsächlich wahrnehmen sollen.Von der politischen Instrumentalisierung von Kunstund Kultur haben wir uns in jahrelangen Diskussionenverabschiedet. Wir müssen sehr darauf achten, dass sienicht durch die Hintertür wieder eingeführt wird. NeueKonzeptionen, die in diesem Zusammenhang wohlfeil zudiskutieren sind, Herr Außenminister, sind ganz gewissgut gemeint, aber nicht immer gut durchdacht. Manchesentspringt vielleicht auch einem naiven Verständnis so-wohl von Außenpolitik als auch von Kunst oder einemMangel an Nachdenken, vielleicht auch an beidem.
Eines jedenfalls werden wir Ihnen nicht durchgehenlassen, nämlich den Versuch, von dem beschriebenen Di-lemma der deutschen auswärtigen Politik dadurch abzu-lenken, dass eine neue Sinnsuche als der Ausweg aus demDilemma ausgegeben wird. So einfach kann es nicht ge-hen. Es muss schon das, was man als Ziel oder als Sinnder Politik formuliert, mit dafür geeigneten Mitteln unter-legt werden. Die Anstrengung kann sich – wenn Sie es sowollen – nicht im Theoretischen abspielen, sondern siemuss praktische Folgen haben, und zwar in einer ganz an-deren Weise, als das in der Vergangenheit der Fall gewe-sen ist.Die Vereinten Nationen haben bereits 1998 das ge-rade zu Ende gegangene Jahr 2001 zum „Jahr des Dialogsder Kulturen“ mit der Maßgabe an die Mitgliedstaaten er-klärt, „geeignete kulturelle, pädagogische und sozialeProgramme zu planen und durchzuführen, um das Kon-zept des Dialogs zwischen den Kulturen zu befördern.“Daran wollen wir uns alle nach Kräften beteiligen. Diessetzt voraus, dass wir uns dazu auch in die Lage versetzen.An Lautstärke mangelt es der deutschen auswärtigenKulturpolitik nicht. Es mangelt ihr an Ernsthaftigkeit, anGestaltungswillen.
Sie ist nicht sprachlos, aber sie ist zunehmend mittellos.Deswegen droht sie folgenlos zu werden.Frau Kollegin Griefahn, Sie haben zu Beginn IhrerRede gesagt, eine vollkommene Menschheit werde es niegeben. Das ist wohl wahr. Seit dem Verlauf dieser Legis-laturperiode wissen wir noch genauer als früher, dass esoffenkundig auch keine vollkommene Regierung gibt.
Ich erteile der Kolle-
gin Rita Grießhaber, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim Themaauswärtige Kulturpolitik hat sich wieder einmal gezeigt– auch beim Kollegen Lammert –, dass hier über dieGrundsätze ein sehr hoher Konsens besteht. Natürlich,Herr Kollege, sehen auch wir, dass die Sparvorgaben in-zwischen die Schmerzgrenze erreicht haben. Nur ist hiernicht der Ort, darüber zu streiten, wieso wir diesen engenHaushalt haben und welche Schulden Sie zurückgelassenhaben.
Weinen und Wehklagen hilft überhaupt nicht weiter.Bei aller Sorge um die Finanzierung lohnt es sich viel-mehr, sich die positiven Veränderungen genauer anzu-schauen. Ob Briten, Franzosen oder die USA: Alle habenEinschnitte und Strukturveränderungen in ihrer auswärti-gen Kulturpolitik vorgenommen. Die Bundesregierunghat mit ihrem „Konzept 2000“ die Weichen gestellt, ummit weniger Mitteln – nicht nur bei den Mittlerorganisa-tionen, sondern auch im eigenen Hause – durch höhere Ef-fizienz mehr zu erreichen.Die Zusammenarbeit mit den europäischen Part-nern – die Kollegin Griefahn hat darauf hingewiesen –wird verstärkt und ist kontinuierlich besser geworden.Zum Beispiel sind der Ausbau der Eurocampus-Schulenvon Frankreich und Deutschland in Shanghai oder dasgemeinsame Kulturzentrum vom Goethe-Institut und demBritish Council in der Ukraine nicht nur Ausdruck spar-sameren Wirtschaftens, sondern auch sehr gute Beispielefür die zurecht geforderte verstärkte europäische Koope-ration.
Die Aufgaben der auswärtigen Kultur- und Bildungs-politik haben sich stark verändert. Spätestens der 11. Sep-tember 2001 hat gezeigt, dass die Herausforderungennicht weniger, sondern mehr geworden sind. Wenn heutedas Goethe-Institut überlegt, die Schließungen von Insti-tuten in Brennpunkten wie Sudan und Pakistan – dagehört auch zur Wahrheit, dass sie 1996 und 1997 ge-schlossen wurden, als nicht Herr Fischer Außenministerwar –
wieder rückgängig zu machen, wenn wir dann nochberücksichtigen, dass wir heute wieder an Orte, an denenInstitute aufgrund der politischen Situation geschlossen
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Dr. Norbert Lammert20921
werden mussten, wie in Iran und Afghanistan, zurückkeh-ren können, wird deutlich, dass wir dafür in Zukunft auchmehr Mittel brauchen.
Dass dafür auch eine stärkere Kooperation mit der Wirt-schaft notwendig ist, wissen wir. Da muss uns die FDPnicht zum Jagen tragen. Das wissen Sie sehr gut, HerrIrmer. Überall, wo öffentliche und private Hand zusam-menarbeiten können, tun sie es schon längst. Schauen Siedoch einmal zum Goethe-Institut nach London. Für dieEröffnung dieses Instituts gab es hervorragende Sponsoren.Der 11. September hat jedem klar gemacht, dass mannicht nur global Coca-Cola trinken und im Internet surfenkann, sondern dass auch der Terrorismus global agiert.Der technische Fortschritt und die modernen Kommu-nikationsmittel werben nicht nur für das Gute und Schöne,sie werden eben auch von den Gewalttätern benutzt.Umso mehr müssen wir alles tun, damit Dialogfähigkeitund interkulturelle Kompetenz zunehmen.
Dabei haben wir überhaupt keine überzogenen Erwartun-gen an Kunst und Kultur. Auswärtige Kultur- und Bil-dungspolitik ist nur ein Element zur Konfliktprävention,aber ein wichtiges. Es wäre mehr als töricht, diese Chan-cen nicht zu nutzen. Nicht umsonst wurde deshalb aus denMitteln des Antiterrorpakets das Sonderprogramm „Dia-log mit der islamisch geprägten Welt“ aufgelegt.Meine Damen und Herren, dieser Dialog ist das lei-tende Prinzip der auswärtigen Kulturpolitik. Im Dialogzwischen den Kulturen und Religionen wollen wir eineVerständigung auf gemeinsame ethische Grundlagen er-zielen. Dialog heißt eben auch, unseren eigenen kulturel-len Erfahrungshorizont für neues Denken zu öffnen.„Zweibahnstraße“ ist nicht nur ein gelungenes Bild ausdem Auswärtigen Amt für den Austausch zwischen denLändern, „Zweibahnstraße“ soll ebenso verdeutlichen,dass wir uns auch im Innern um Integration aller hier le-benden Bevölkerungsgruppen kümmern müssen, umnach außen glaubwürdig zu sein.
„Zweibahnstraße“ heißt nicht nur, dass ein Künstler wieHeinz Mack seine Arbeiten unter dem Titel „Wahlver-wandtschaften“ in Teheran ausstellt, sondern auch, dass inDeutschland durch das „Theater an der Ruhr“ in Mühlheimdas erste iranische Theaterfestival außerhalb Irans auf dieBeine gestellt wurde. Einen herzlichen Dank an Ciulli!
Meine Damen und Herren, nicht nur die Wortführer despolitischen Feuilletons, der Politik und der Kirchen sollendas Monopol zum interreligiösen Dialog haben. Predigtensind wichtig, Fachgespräche und Expertenrunden ebenso.Diese Aufgabe darf aber nicht nur auf Fachebenen be-schränkt bleiben. Manchem hilft der Rat von ProfessorSteinbach, dem Leiter des Orientinstituts. Er empfiehlt alldenjenigen, die sich mit dem Islam auseinander setzenwollen, einfach selbst in eine Moschee zu gehen, um soganz anschaulich den praktizierten Islam wahrzunehmen.Im Übrigen war die Literatur über den Islam nach dem11. September in den deutschen Buchhandlungen so gutwie ausverkauft. Das ist ein gutes Zeichen. Es ist ein Zei-chen dafür, dass es bei uns Nachholbedarf und Wissens-durst gibt, und es ist ein gutes Zeichen deshalb, weil nichtmit dem Rückzug auf Vertrautes und Traditionelles, aufAbgrenzung oder Aggression gegen das Fremde reagiertwurde, sondern mit Interesse am Anderen.
International ist der Dialog wichtig, um die Spaltung inwestliche und muslimische Welten zu verhindern. Es wirddarauf ankommen, dass die islamischen Gesellschaftenselbst den Dialog darüber führen, die Religion im Namendes Terrorismus nicht zu missbrauchen. Der Islam hat imGegensatz zum Westen weder Aufklärung noch Säkulari-sation hinter sich. Die christlich-westliche Welt hat sichüber Jahrhunderte zum Teil sehr selbstquälerisch undschmerzhaft mit den Grundlagen der eigenen Religion aus-einander gesetzt. Diese Tradition fehlt im Islam. Konzeptevon Rechtsstaatlichkeit, Pluralismus und politischer Parti-zipation existieren aber auch – allerdings auf der Grundlageund damit mit der Einschränkung der Scharia – innerhalbdes islamischen Denkens. Das heißt dann leider auch, dasses keine Gleichheit von Mann und Frau, keine Gleichheitzwischen Muslimen und Nichtmuslimen und dass es Stra-fen gibt, die Europa glücklicherweise nicht mehr kennt.Gerade die Moderne lebt in hohem Maße von der Frei-heit und Gleichheit der Individuen. Fortschritt brauchtkritische Menschen, die ihre Kreativität in Freiheit entfal-ten können. Von dieser Erfahrung kann sich in derglobalisierten Welt auf Dauer kein Land und keine Reli-gion abschotten. Gerade dies schürt auch die Angst vorder Globalisierung und vor dem Verlust der eigenen Be-sonderheit. Das macht den Dialog nicht leichter.Deswegen sind Begegnung und Austausch so wichtig;denn über Kennen- und Verstehen-Lernen wird Vertrau-ensbildung möglich. Deshalb wurden in diesem Sonder-programm die Mittel für Wissenschaftleraustausch undStipendien um 10 Millionen Euro erhöht.
Wenn wir uns um kulturelle Verständigung bemühen,geht es auch um Glaubwürdigkeit. Zum Beispiel sindwir im Kampf gegen den Terrorismus nur dann glaub-würdig, wenn wir unseren eigenen freiheitlichen Wertenund Grundsätzen treu bleiben. Wenn wir Gewalt aus deninternationalen Beziehungen bannen wollen, muss sichder Westen selber an rechtsstaatliche Normen halten. Dasmuss auch für die Haftbedingungen von al-Qaida-Kämp-fern auf Guantanamo gelten.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Rita Grießhaber20922
Wer selber nicht die Genfer Konvention einhält, wirktin der Kritik an massiven Menschenrechtsverletzungenhohl. Auch al-Qaida-Kämpfer haben das Recht auf men-schenwürdige Behandlung. Ich bin davon überzeugt, dassmehr als alle Worte das eigene Handeln beispielgebendist. Durch Unrecht schädigen wir nicht nur unsere eigenenWerte, sondern wir verstärken darüber hinaus auch dasGefühl der permanenten Demütigung der islamischenWelt gegenüber dem Westen.Deshalb unterstützen wir die Bundesregierung und dieinternationale Gemeinschaft in den Bemühungen, von deramerikanischen Regierung zu verlangen, dass die Gefan-genen wie Kriegsgefangene behandelt werden. Dann sindihnen Achtung der Person und rechtsstaatliche Garantiensicher.
Bei der größten Mittlerorganisation der auswärtigenKultur- und Bildungspolitik, beim Goethe-Institut InterNationes, haben sich viele Veränderungen ergeben, zu-letzt der Wechsel an der Spitze. Ich möchte an dieserStelle Hilmar Hoffmann für sein großes und unermüd-liches Engagement nochmals ganz herzlich danken.
Aufs Allerherzlichste möchte ich die neue Präsidentin,Frau Jutta Limbach, willkommen heißen. Sie stellt sich ei-ner enormen Herausforderung. Wir wollen sie mit allerNachhaltigkeit unterstützen.Ich danke Ihnen.
Ich erteile dem Kolle-
gen Ulrich Irmer, FDP-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Frau KolleginGrießhaber, Sie haben wie so oft eine wunderschöne Redegehalten. Aber bei mir kommt immer ein zweifelhaftesGefühl auf, wenn ich Ihnen zuhöre, weil die Diskrepanzzwischen Anspruch und Wirklichkeit gerade an Ihren Re-den so unerhört deutlich wird.Was haben Sie gesagt? Die gefangenen al-Qaida-Kämpfer auf Guantanamo müssen menschlicher behan-delt werden. Das haben wir Anfang der Woche längst ver-langt. Ihre Regierung war etwas zögerlich, die Zuständeanzuprangern. Dann haben wir es angemahnt. Jetzt habenauch Sie etwas getan. Schön, ich bin mit Ihnen vollkom-men einverstanden.Sie haben von der Notwendigkeit gesprochen, denDialog der Kulturen zu führen. Ich bin mit Ihnen voll-kommen einverstanden. Ich erinnere nur daran, dass Sievor etwa vier Jahren den Vorschlag des damaligenBundesaußenministers Klaus Kinkel im Deutschen Bun-destag torpediert haben, eine Europa-Islam-Konferenzeinzuberufen. Das waren damals Sie.Dann haben Sie mir eben gesagt, ich bräuchte Ihnenkeine Lehren über die private Finanzierung und die Er-schließung von privaten Mitteln für die auswärtige Kul-turpolitik zu erteilen. Das sind doch alles nur Worte. Un-seren Antrag lehnen Sie ab. Ich räume ein, dass der Titelunseres Antrags, Public Private Partnership, nicht sehrschön ist. Wir sind dem zum Opfer gefallen, was ich sonstals Anglizismusseuche immer bekämpfe. Aber was alsSubstanz in ihm steht, ist vollkommen richtig.Sie scheuen davor zurück, einen Schritt zu gehen, näm-lich die auswärtige Kulturpolitik aus dem Staatsmonopolzu befreien und in dem Rahmen, den der Staat natürlichbereitstellen muss, grundlegend auf Privatinitiative undIndividualität zu setzen. Wenn solche Vorschläge kom-men, haben Sie noch immer schreckliche Bauchschmer-zen.
Für Sie ist die Verbindung von Kultur und Kommerznoch immer so etwas wie Pfui.
– Spenden sammeln ist schön, aber machen Sie das ein-mal systematisch.
Folgen Sie den Vorschlägen, die wir in unserem Antragdargelegt haben! Denn an einem kommen Sie nicht vor-bei: So sehr Sie auch die Wichtigkeit der auswärtigen Kul-turpolitik betonen – darin stimmen wir vollkommen über-ein –, wenn es an die Finanzierung geht – das hat derKollege Lammert soeben in eindrucksvollen Zahlennachgewiesen –, dann geht es bei Ihnen wirklich bergab.Diesen Widerspruch müssen Sie irgendwie lösen.Wie wollen Sie all das, was Sie vorhaben und was Sieauch in Ihren Antrag an neuen Initiativen hinein-geschrieben haben, finanzieren? Die öffentlichen Mittelreichen nicht aus. Wir alle leiden unter einem fürchter-lichen Sparzwang. Aber wir dürfen diese Ansätze nichtkaputtsparen. Deshalb müssen Sie Vorschläge machenund unsere Vorschläge, wie Sie zusätzliche Finanzie-rungsmöglichkeiten erschließen können, aufgreifen, stattsie abzulehnen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich die Gele-genheit wahrnehmen, noch etwas Grundsätzlicheres zusagen. Nach dem 11. September ist immer wieder betontworden – und zwar auch mit Recht –, dass die Auseinan-dersetzungen über den Terrorismus schon gar nicht alleinmit militärischen Mitteln, aber auch nicht nur mit poli-tischen und wirtschaftlichen Mitteln geführt werden kön-nen, sondern dass wir durchaus auch die kulturelle Ausei-nandersetzung suchen müssen, und zwar nicht im Sinneeines Kampfes der Kulturen, sondern eines Dialoges derKulturen.
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Rita Grießhaber20923
Ich komme mehr und mehr zu der Überzeugung, dassBazon Brock Recht hat mit der Aussage, Kultur als solchesei aggressiv und bedürfe der Bändigung durch Zivilisa-tion. Mit Kultur sind dabei natürlich nicht Mozart oderShakespeare gemeint, sondern damit ist ein Ansatz zumLeben bzw. eine Weltanschauung gemeint, die die Ten-denz hat, anderen die eigenen Vorstellungen aufzuzwin-gen – auch gegen ihren Willen. Wir haben das in den letz-ten Jahren in erschreckender Weise erlebt: Nationalismenund ethnische Überhebungen, die andere ausgrenzen.Auch wir Deutsche sind nicht frei davon; ich erinnere da-bei an den Spruch „Am deutschen Wesen soll die Welt ge-nesen“. Das ist ja noch nicht so lange her.Das heißt, Kulturen haben die Tendenz, sich aggressivgegen mitbewerbende Kulturen zu wenden. Hier muss dieBändigung durch Zivilisation erfolgen. Bei uns ge-schieht das innerstaatlich durch das Grundgesetz und in-ternational durch die Charta der Vereinten Nationen. Wirsehen, wie schwierig das schon innerstaatlich ist. Die Ent-scheidung des Bundesverfassungsgerichts in der vergan-genen Woche über die Durchführung ritueller Schlach-tungen, die auf religiöse Motive anderer zurückgehen, hathier große Irritationen hervorgerufen. Wir müssen uns da-rüber klar sein, dass sich alle an ein Grundregelwerk, dasbei uns durch das Grundgesetz geschaffen wird, haltenmüssen. Wir müssen es bei allem Respekt vor kulturellerEntfaltung und Vielfalt achten, dass wir ein zivilisato-risches Regelwerk haben, das für alle verbindlich seinmuss – innerstaatlich die Verfassung, international dieCharta der Vereinten Nationen.
Sonst wird es nämlich nicht zu einem friedlichen Mit-einander kommen können. Dabei muss sich jede Kulturselbst bändigen und selbst zähmen. Das ist, wenn man sowill, der alte Widerspruch zwischen Thomas und HeinrichMann, der Kampf zwischen Kultur und Zivilisation. Aberin diesem Sinne verstanden muss die Zivilisation den Siegüber die Kultur davontragen.Was zeigen wir Deutschen über die Kultur im Ausland,wenn wir von deutscher auswärtiger Kulturpolitik reden?Wir sollten in erster Linie zeigen, dass unsere auswärtigeKulturpolitik in die europäische Kulturpolitik eingebet-tet ist, wenn auch nicht von den Zuständigkeiten her.Natürlich haben wir im Sinne der Subsidiarität als Deut-sche eine eigene Verantwortlichkeit und Zuständigkeithierfür. Wir sollten aber nach außen deutlich machen, dasswir diesen regionalen Zusammenschluss, auch diesesMiteinander von europäischen Kulturen suchen und an-streben und dabei schon sehr weit fortgeschritten sind.Das ist ein Exportartikel ersten Ranges, der in anderenWeltregionen mit großer Aufmerksamkeit betrachtetwird.Pluralismus, Gewaltenteilung und der Einsatz für Men-schenrechte sind unsere Exportartikel. Wir sollten Wertdarauf legen, diese im Ausland vorzuzeigen. Das solltenwir im europäischen Sinne nicht verstecken.Ich danke Ihnen.
Ich erteile dem Kolle-
gen Heinrich Fink von der PDS-Fraktion das Wort.
Sehr verehrter Herr Präsi-dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit ihrem Antragschlagen die Koalitionsfraktionen vor, dass sich der Bun-destag die Position zu Eigen machen solle, die das Aus-wärtige Amt in seiner Konzeption 2000 zur auswärtigenKulturpolitik niedergelegt hat.Als diese Konzeption im Sommer 2000 erstmals vor-gelegt wurde, hat die PDS-Fraktion sie als grundlegendeOrientierung unterstützt. Dass wir auch diesem Antrag zu-stimmen, bezieht sich vor allem auf die Anerkennung derZiele, an denen die auswärtige Kulturpolitik ausgerichtetwerden soll, wie Sicherung des Friedens, Konfliktverhü-tung, Verwirklichung der Menschenrechte, partnerschaft-liche Zusammenarbeit und Dialog der Kulturen. Dabei istuns klar, dass weder die Konzeption 2000 noch der heutevorliegende Antrag eine Gewähr dafür bieten, dass diesebegrüßenswerten Prinzipien und Ziele auch zu verbind-lichen Handlungsmaximen der Bundesregierung gemachtwerden. Ich sage ausdrücklich: der Bundesregierung undnicht nur des Auswärtigen Amtes; denn die auswärtigeKulturpolitik muss Bestätigung und Unterstützung durchdie Aktivitäten der Bundesregierung auch auf anderen Po-litikfeldern erfahren.
Andernfalls erfährt die auswärtige Kulturpolitik in deraußenpolitischen und in der innenpolitischen Öffentlich-keit Regierungspolitik als Widerspruch zu ihren aus-drücklich vom Bundestag bestätigten Zielen.Als Außenminister Fischer die Konzeption 2000 vor-gelegt hat, ist er ausdrücklich davon ausgegangen, dassdie Umsetzung eine bessere finanzielle Ausstattung ver-langt. Leider sind in der Zwischenzeit die Mittel deutlichgekürzt worden. Sparen – ja. Aber hier? Wer an Kulturund Bildung spart, spart an der falschen Stelle.
An dieser Stelle sei Hilmar Hoffmann, dem langjähri-gen Präsidenten des Goethe-Instituts Inter Nationes, auchvon meiner Fraktion gedankt.
Wenn ich einen Titel zu vergeben hätte, dann würde ichHilmar Hoffmann den Titel des Präzeptors des Dialogsverleihen.
– Das sollten wir tun. – Er hat sehr deutlich darauf hinge-wiesen, dass Terrorismusbekämpfung mit militärischenMitteln als Ultima Ratio nur vorübergehend abschreckt.Die Wurzeln des Terrorismus stecken in der kränkendenAussichtslosigkeit psychosozialer Bedingungen ohne ge-sicherte Gegenwart und ohne Hoffnung auf Zukunft.Wenn Beteiligung an Terror als Lebenssinn angebotenwird, wie es im Nationalsozialismus nach dem Ersten
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Ulrich Irmer20924
Weltkrieg tragisch funktionierte, muss eine lebenswerte,demokratische Alternative kulturell vermittelt werden.
Darum muss eine Antiterrorallianz zugleich auf diePrima Ratio der Kultur setzen. Längst vorhandene Analy-sen zum Beispiel des verdrängten religiösen Fundamenta-lismus und die Dimensionen, wie Hoffmann es nennt, derfürchterlichen Privatisierung des Terrorismus müssennicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auch ausge-wertet bzw. analysiert werden. Die Prima Ratio brauchteine Großinvestition in Verständigungsverhältnisse, vorallem zur Durchsetzung der Menschenrechte. Aber dieprekäre Lage, die sich aus konzeptionellen Defiziten in Sa-chen Terrorismusbekämpfung ergibt, dauert leider an. Ichbeziehe mich noch einmal auf Hoffmann: Obwohl er denMilitäreinsatz in der Hauptstadt Afghanistans unterstützt,fragt er – das kann ich nur wiederholen –, ob 1 200 deut-sche Soldaten, deren Einsatz in Afghanistans Hauptstadt500 Millionen Euro kosten wird, in einem vernünftigenVerhältnis zu 128 Goethe-Instituten in 76 Ländern stehen,die jährlich 200 Millionen Euro kosten. Dieses Verhältnismuss immer wieder deutlich gemacht werden.
Weil meine Fraktion für die Unterstützung vonVerständigungsverhältnissen eintritt, befürchten wir, dassdas Einwanderungsgesetz, über das zurzeit ebenfallsdiskutiert wird, den Zielen unserer auswärtigen Kulturpo-litik direkt widerspricht; denn es fördert nicht die Begeg-nung gleichberechtigter Kulturen, sondern fordert nahezuAssimilationsbereitschaft als Preis für Einwanderung.Wir sind für Integration, nicht für Assimilation.
Hier sollten wir aus der deutschen Geschichte lernen. DieJuden kamen in die deutsche bürgerliche Gesellschaftdurch die Taufe. Wir meinen, die Beherrschung derdeutschen Sprache muss keine Bedingung für Integrationsein. Leider sind hohe Arbeitslosenzahlen und wachsendeAngst der deutschen Bevölkerung vor sozialem Abstiegkeine guten Voraussetzungen, um Deutschland als Ein-wanderungsland zu öffnen. Wir halten es daher für sehrwichtig, dass die Konzeption der auswärtigen Kulturpoli-tik auch im Inland ausführlich bekannt gemacht wird,damit es nicht zu populistischen Überschriften, wie mansie immer wieder liest, nämlich „Es ist doch raus-geschmissenes Geld; verwendet es doch für die Schaffungvon Arbeitsplätzen im Inland“, kommt. Wir müssen bei-des tun.Der Vorschlag der FDP, Kulturkostenträger in derdeutschen Wirtschaft im Ausland zu gewinnen und dem-entsprechend Kultureinrichtungen und Projekte zu priva-tisieren, ist meines Erachtens eine Preisgabe des vorlie-genden Konzepts. Das darf nicht mit den Interessen derjeweiligen Unternehmen vor Ort oder mit Exportinteres-sen in Deutschland verknüpft werden. Es geht nicht umKulturexport, sondern um einen mühsamen kulturellenDialog im Ausland. Dieser soll Erfahrungen und gegen-seitiges Verständnis auch im Umgang mit Konflikten undUnvereinbarkeiten bringen. Es geht um neue Erkennt-nisse und nicht um Export.Abhängigkeit von Firmen schafft offen oder verdeckteine Geber-/Nehmer-Mentalität. Das darf in der Kulturnicht sein. Damit wäre die Erfahrung, dass Kulturengleichberechtigt sind, auch wenn die wirtschaftlichen undsozialen sowie die politischen Verhältnisse der Völker ei-nander diametral entgegengesetzt sind, schwer oder garnicht mehr zu machen.Kolleginnen und Kollegen, auswärtige Kulturpolitikmuss Prima Ratio sein und darf nicht Ultima Ratio sein.Vielen Dank.
Ich erteile dem Kolle-
gen Gert Weisskirchen, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsi-dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! HilmarHoffmannhat dem Goethe-Institut neun Jahre lang als Präsident ge-dient. Er hat, glaube ich, das Lob des ganzen Hauses ver-dient, weil er wie kaum ein anderer als Repräsentant derdeutschen Kultur nicht nur in Deutschland, sondern auchgegenüber der Außenwelt erkennbar geworden ist, ein Li-beraler, einer, der zugleich aber auch weiß, dass sozialeGerechtigkeit und Liberalität zusammengehören und– das ist für ihn wohl das Wichtigste überhaupt – dass dieKonflikte in dieser Welt nur bewältigt werden können,wenn die Menschen einander verstehen. Wir alle, glaubeich, sagen Hilmar Hoffmann für diese neun Jahre Arbeitals Präsident einen ganz herzlichen Dank.
Ich darf gleich hinzufügen: Das gilt genauso auch fürden bisherigen Vizepräsidenten des Goethe-Instituts InterNationes – so muss man jetzt ja sagen –, Herrn PeterWapnewski, der noch länger als Hilmar Hoffmann
als eine Schlüsselpersönlichkeit für das Goethe-Institut,für die deutsche Kultur und ganz besonders – auch imSinne von Goethe – für die deutsche Literatur als Welt-literatur gearbeitet hat.Wer das am letzten Freitag in München erlebt hat, derkann sich nur darüber freuen, dass diese beiden großenRepräsentanten der deutschen Kultur so lange Zeit für dieLiteratur und für die Kultur gearbeitet haben. Sie werden– da sind wir ganz sicher – diese Fähigkeiten und dieKreativität, die sie in den kulturellen Dialog eingebrachthaben, an einer anderen Stelle genauso einbringen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, diese De-batte zeigt, dass der Konsens im Hause, jedenfalls unterdenjenigen, die für die auswärtige Kulturpolitik streiten,groß ist. Es ist natürlich verständlich, dass Sie, lieber Kol-lege Lammert, als Oppositionssprecher die kritischenPunkte angeführt haben. Die Kollegin Grießhaber hataber schon darauf hingewiesen, dass die Bundesregierunggerade bei den letzten Bemühungen um das Antiterrorpa-ket deutlich gemacht hat, dass manche Defizite, die auf-getreten sind, wieder ausgeglichen werden. Man kannder Bundesregierung nicht vorwerfen, die auswärtige
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Dr. Heinrich Fink20925
Kulturpolitik spiele bei ihr keine Rolle. Ich bin dankbardafür, dass der Außenminister das auch mit seinem Kon-zeptpapier, das heute zur Debatte steht, noch einmal sehrdeutlich gemacht hat. Unsere Leistungen, die wir auch ge-meinsam, lieber Kollege Lammert, für die auswärtigeKulturpolitik erbringen, sollten wir nicht durch kleinlicheReden zerreden.
Ich möchte einen Punkt aufgreifen, den Sie angespro-chen haben, lieber Kollege Lammert; denn ich glaube,dass wir diesem Grundgedanken etwas näher kommenmüssen. Kollege Irmer hat dies auch angesprochen.Natürlich stehen wir alle in der Gefahr, dass, wenn aus-wärtige Kulturpolitik in bestimmten Kontexten zu sehenist – das kann ja in der Politik auch gar nicht anders sein –,dies nahe an dem Gedanken einer Instrumentalisierungliegt. Ich bin Ihnen dankbar, lieber Kollege Lammert, dassSie darauf hingewiesen haben.Herr Irmer hat den Gedanken insofern ergänzt, alsnatürlich auch Kulturverhältnisse selbst Gewaltverhält-nisse sein können. Ich sage ausdrücklich: sein können. Ichmöchte nicht unbedingt Bazon Brock folgen, der sichmanchmal in Debatten vergaloppiert. Entschuldigung,wenn ich das so sage, lieber Kollege Irmer.
Natürlich ist diese Erkenntnis gar nichts Neues. WennSie das bei Herder nachlesen oder bei dem englischenKultursoziologen Ernest Gellner, dann werden Sie erken-nen, dass natürlich auch in kulturellen Ansprüchen so et-was wie Expansion steckt. Aber gerade weil dies so ist,kommt es doch darauf an, dass man in eben jenen Prozess,den man ja gerade in solchen Kulturen erkennt, die in sichselber nicht reflexiv sind – das ist das Problem – die Re-flexivität durch Aufklärung einbringt. Gerade solchenKulturen, die diesen Sprung durch die Aufklärung nochnicht geschafft haben, das Durcharbeiten jener Gewalt-verhältnisse, die getrennt werden müssen, zu ermöglichenist die große Leistung der Aufklärung in der Moderne. Wirmüssen mithelfen, dass genau diese Kulturen den Prozessder Aufklärung vollziehen und zum Beispiel damit begin-nen, die Gewaltverhältnisse zu teilen. Ist es nicht das Pro-blem des islamistischen Fundamentalismus, dass er jeneGewaltverhältnisse bislang nicht geteilt hat? Denn da, woReligion und Staat, Kultur und Gesellschaft zusammen-fallen, tritt dieses Problem der Gewaltverhältnisse auf.Unsere Leistungsfähigkeit in der auswärtigen Kulturpo-litik sehe ich darin, diesen Dialog zu nutzen, damit andereKulturen, die diesen schwierigen Prozess nicht durchgear-beitet haben, in den Stand versetzt werden, dies selbst zuleisten; dieses müssen sie allerdings dann auch selbst tun.
Diese Leistung kann nur von innen, aus den Kulturenselbst kommen. Das ist die Fähigkeit der auswärtigen Kul-turpolitik: Wir können allen Kulturen, die zu Gewalt undExpansion neigen, die bestrebt sind, sich auszuweiten, beidiesem Prozess der Teilung der Gewaltverhältnisse helfen.Lieber Kollege Fink, dazu gehört auch die Sprache alsVerständigungsmittel jener, die in einer Gesellschaft zu-sammen leben. Ich kann mir nicht vorstellen – als Theo-loge wissen Sie das – dass man die Bibel zur Grundlageder Theologie machen kann, wenn man sie nicht versteht.Das heißt: Die Verständigungsverhältnisse, von denen Siesprechen und auf die Jürgen Habermas zu Recht hinge-wiesen hat, sind erst möglich, wenn man sich verstehenlernt. Sprache ist eben jenes Mittel der Verständigung, indas Gewaltverhältnisse nicht eindringen dürfen. In die-sem Punkt gebe ich Ihnen also Recht: Integration kann nurbedeuten, dass diese Gewaltverhältnisse abgebaut wer-den. Assimilation ist das schwierigste und härteste Ge-waltverhältnis. Deswegen sind wir ja auch nicht für kul-turelle Assimilation, sondern für kulturelle Integration.Daran hat diese Bundesregierung einen großen Anteil.
Lieber Kollege Lammert, ich drehe Ihren Vorwurf ein-mal um: Wenn Sie das, was Sie gesagt haben, wirklichernst meinen, dann müssen Sie zum Beispiel auch in demWahlkampf, der uns jetzt bis zum 22. September bevor-steht, darauf achten, dass es keine Töne gibt, die die Über-legungen der deutschen Rechten, Assimilation in den Vor-dergrund zu rücken und Integration zurückzustellen, alsGefahren noch drastischer darstellen, als sie in manchengesellschaftlichen Verhältnissen in der BundesrepublikDeutschland vorhanden sind. Bitte helfen Sie dabei mit!
Verständigungsverhältnisse sind Kultur, sagt JürgenHabermas. In der Tat: Die überragende Aufgabe von Po-litik ist es, Gewaltpotenziale zu verarbeiten, sie einzu-dämmen und, wenn es geht, in einer Welt, in der Interes-sen einander feindlich gegenüberstehen und sich Kulturenihres jeweiligen Rechts auf Existenz wechselseitig zu be-rauben trachten, stillzulegen. Das ist auch tatsächlich inKulturverhältnissen begründet.Ich bin sicher, genau das tut die Bundesregierung. Sietut das mit dem, was sie konzeptionell vorlegt und prak-tisch vor Ort leistet. Wir müssen gemeinsam versuchen,die kulturellen Konflikte auf das zurückzuführen, was siein der Regel sind: In kulturellen Konflikten instrumenta-lisieren Demagogen, Fundamentalisten und Fanatiker diekulturellen Bedürfnisse und die religiösen Gefühle derMenschen, um Macht zu erwerben. Wenn auswärtige Kul-turpolitik einen Beitrag dazu leistet, dass dieser Konfliktdurchdrungen und erkannt wird und die richtigen Mittel,nämlich die Mittel des Dialogs, eingesetzt werden, umdie Gewaltverhältnisse zu bändigen und zu beenden, dannist die auswärtige Kulturpolitik Prima Ratio der Politik,wie Hilmar Hoffmann es gesagt hat. Ich bin sicher: DieBundesregierung arbeitet genau an diesem Konzept wei-ter. Ich wünsche der auswärtigen Kulturpolitik, HerrDr. Spiegel, alles Gute in den nächsten Jahren.
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Gert Weisskirchen
20926
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Ruprecht Polenz, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Norbert Lammert hat vorhinin seiner Rede auf die Ankündigung der Bundesregierunghingewiesen, als Beitrag zur Konfliktprävention zusätzli-che Mittel aus dem Antiterrorpaket für den Dialog derKulturen bereitzustellen. Bis heute ist leider unklar, wiediese Mittel verwendet werden sollen und welcher Betragüberhaupt aus dem Antiterrorpaket für Kulturpolitik zurVerfügung gestellt werden soll.Ich möchte den Fragen nachgehen, was auswärtigeKulturpolitik überhaupt leisten kann und sollte und wel-che Mittel und Wege besonders erfolgversprechend sind.Die Voraussetzung zur Beantwortung dieser Fragen ist na-türlich eine Analyse der Lage, die hier aus Zeitgründennur skizzenhaft möglich ist.Das Datum 11. September des vergangenen Jahres ver-bindet sich für uns alle mit der Sorge vor einem Clash ofCivilizations, vor einem Zusammenprall der Kulturen.Trotz der offiziellen Verurteilung der Anschläge durch dieRegierungen der Staaten im Nahen und Mittleren Ostenmüssen wir doch zur Kenntnis nehmen, dass es in der Be-völkerung dieser Länder durchaus zwiespältige Gefühlegab: Mitleid mit den Opfern und Mitgefühl mit den An-gehörigen auf der einen Seite, aber gleichzeitig auf der an-deren Seite eine Haltung nach dem Motto „Es geschiehtden Amerikanern ganz recht“ bis hin zur unverhohlenenFreude über die Anschläge und Sympathie mit den Terro-risten. Das zeigen unter anderem auch die Bin-Laden-T-Shirts, die in vielen dieser Länder ein Renner waren.Außerdem gab es abstruse Verschwörungstheorien vonangeblichen Warnungen an die jüdischen Mitarbeiter imWorld Trade Center, am 11. September nicht zur Arbeit zugehen und damit verbunden das Gerücht, es sei ein Belegdafür gefunden, dass in Wahrheit der israelische Geheim-dienst Mossad hinter den Anschlägen stehe.Ein Grund für dieses problematische Meinungsklimaist sicherlich die Kritik an der amerikanischen Politik imNahen Osten. Man wirft den Amerikanern eine einseitigeUnterstützung Israels und doppelte Standards bei derDurchsetzung von UN-Resolutionen oder bei der Anmah-nung von Menschenrechtstandards vor. Vor allem abergibt es das tief sitzende Gefühl, die eigene Identität werdedurch den Westen, insbesondere durch die USA, bedroht.Ein weiterer Grund ist die kulturelle Identität, ist die Tat-sache, dass die eigenen Werte, die Familie dort viel stär-ker als bei uns religiös geprägt sind. Man fühlt sich be-vormundet und nicht selten gedemütigt.Auch hier gibt es eine zwiespältige Haltung: Einerseitswird die westliche Kultur als dekadent empfunden, zer-setzend für die eigenen Werte, wie zum Beispiel denfamiliären Zusammenhalt; andererseits gibt es eine Be-wunderung für die technische, medizinische oder wirt-schaftliche Leistungsfähigkeit des Westens, verbundenwiederum mit einem Gefühl der Unterlegenheit und mitder Frage, wie es wohl dazu kommen konnte, dass dienoch im Mittelalter auf vielen Gebieten der Wissen-schaft –Medizin, Astronomie und Mathematik – führendeislamische Welt so weit zurückfallen konnte.Diese kulturellen Spannungen bestehen nicht nur ge-genüber den USA, sondern auch zwischen den isla-mischen, insbesondere den arabisch-islamischen Ländernund dem Westen insgesamt, also auch gegenüber uns. Wirhaben ein Interesse daran, diese Spannungen abzubauen.Aber durch die Globalisierung werden diese kulturellenSpannungen eher verschärft. Die Ungleichzeitigkeiten inder Entwicklung nehmen zu. Die Schere zwischen denislamischen Ländern und dem Westen geht weiter auf.Globalisierung heißt ja Beschleunigung wirtschaftlicherEntwicklungen durch den weltweiten Wettbewerb. Wirsehen schon an den Anpassungsprozessen bei uns und anden Problemen damit, wie schwierig das ist. Viel größersind diese Schwierigkeiten für die Länder des Nahen unddes Mittleren Ostens mit ihren autoritären Regimen, ihrenClanstrukturen und ihrer Mentalität: „Der Sieger be-kommt alles“, was den demokratischen Wandel hindert.Wir müssen uns bei diesem Dialog der Kulturen auchdie Frage stellen: Wie beeinflusst der Islam die Anpas-sungsfähigkeit dieser Länder an die Globalisierung? Mankennt keine Trennung von Religion und Politik, von Staatund Religion, wie wir das tun. Der Islam ist eine „Buch-religion“; es stellt sich dann auch die politisch wichtigeFrage: Wie wird der Koran ausgelegt, aus heutiger Sichtoder unverändert buchstabengetreu wie vor über tausendJahren?Wenn wir die kulturellen Spannungen abbauen wollen,die sich leicht zu schwerwiegenden Konflikten mit mög-licherweise unabsehbaren Folgen ausweiten, wie uns dieEreignisse des 11. September vor Augen geführt haben,dann ist dieser Dialog der Kulturen richtig – auch ohnewirkliche Alternative – und er ist vor allem dringlich. Des-halb ist es um so enttäuschender, dass die Regierung bisheute kein schlüssiges Konzept dafür erkennen lässt. Stattneuer Prioritäten ist es nur ein eher betuliches „Weiter wiebisher!“ Die Politik der ruhigen Hand hat offensichtlichauch hier ihren Niederschlag gefunden. Es gibt keineneuen Ideen und Impulse, obwohl die Anschläge des11. September inzwischen fünf Monate her sind.Wir dürfen dem Terrorismus nicht nur mit militäri-schen Mitteln begegnen, wir müssen dem Terrorismusauch mit intellektuellen Mitteln entgegentreten.
Ich hätte nicht gedacht, dass man eine rot-grüne Bundes-regierung daran erinnern muss.
Wichtig für einen Dialog der Kulturen sind Informa-tionen über „den Anderen“. Hier gibt es einen Mangelsicherlich auch bei uns. Aber in vielen Ländern des Nahenund Mittleren Ostens besteht ein Zerrbild des Westens,wie man anhand von vielen Zeitungskommentaren nachdem 11. September sehen konnte. Wir müssen also vor al-len Dingen eigene Informationen anbieten und Informa-tionen aus den islamischen Ländern aufnehmen. Da istdas Gespräch zwischen Eliten und Experten wichtig, aber
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nicht ausreichend. Wir müssen Informationen für einemöglichst große Zahl von Menschen bereitstellen, wirmüssen die Massenmedien nutzen, das Radio und insbe-sondere das Fernsehen, vor allem auch angesichts dergroßen Zahl von Analphabeten, die es im Nahen Ostennoch immer gibt.Deshalb ist der am vergangenen Wochenende be-schlossene Kooperationsvertrag zwischen ZDF undal-Dschasira so sehr zu begrüßen. Das ZDF verdientgroße Anerkennung dafür, dass es ihm als erstem westli-chen Sender gelungen ist, mit al-Dschasira zusammenzu-arbeiten, mit Nachrichtenaustausch, Hospitation vonJournalisten und gemeinsamen Produktionen.Ich frage: Was hat die Bundesregierung bisher getan,um auch der Deutschen Welle ein stärkeres Engagementfür diese Region zu ermöglichen? – Nichts. Im Gegenteil,die Mittelkürzungen wurden nicht rückgängig gemacht.Deshalb war es der Deutschen Welle nach dem 11. Sep-tember auch nur in geringem Maße möglich, ihre Pro-gramme in der Region auszuweiten: in den afghanischenLandessprachen Paschtu und Dari um täglich 30 Minutenauf 110 Minuten, also nicht einmal zwei Stunden täglich,in Urdu nach Pakistan von 45 auf 75Minuten. In Arabischsendet die Deutsche Welle lediglich zweieinhalb Stundenund nur über Kurzwelle. Zum Vergleich: Die BBCerreicht mit ihrem 18 Stunden dauernden Rundfunkange-bot in Arabisch täglich Millionen von Hörern, da es überdie im Nahen Osten beliebtere Mittelwelle ausgestrahltwird.
Hier ist die Forderung zu erheben, dass die Kürzungenbei der Deutschen Welle rückgängig gemacht werden, da-mit die Deutsche Welle ihre Programme für die isla-mischen Länder in den Landessprachen ausbauen kann,insbesondere in Arabisch, und zwar im Hörfunk und imFernsehen.
Angesichts der Kosten für Deutsche Welle-TV undknappen Kassen muss natürlich auch über andere Wegenachgedacht werden. Der Bund sollte deshalb wieder dieProduktion von Sendungen unterstützen, die den Anstal-ten dieser Länder zur Ausstrahlung gegen eine geringeGebühr angeboten werden, also das so genannte Rebroad-casting. Unter der Trans-Tel GmbH gab es von Ende der70er-Jahre bis 1998 eine Gemeinschaftsproduktion vonDeutscher Welle, ARD, ZDF, Auswärtigem Amt und Pres-seamt der Bundesregierung. Der Vorteil war: Die Aus-strahlung erfolgte nicht durch den „fremden“ oder „aus-ländischen“ Sender, sondern durch den heimischenSender, und zwar vergleichsweise kostengünstig.Die Bundesregierung sollte sich auch für ein gemeinsa-mes europäisches Programm der Auslandsrundfunk-anstalten einsetzen. Ich denke an ein gemeinsames Pro-gramm von Brüssel, gemacht insbesondere von BBC, denfranzösischen Sendern TV 5 und Radio France Internatio-nale, der Deutschen Welle und Radio Netherlands. Daswird sicherlich nicht einfach sein, weil der MarktführerBBC sagt: „Ich kann das alles auch alleine ganz gut“, unddie Franzosen überwiegend ein Interesse an frankopho-nen Ländern auf der Welt haben. Trotzdem: Es gibt dasProjekt Radio Europa mit einem immerhin halbstündigenHörfunkprogramm.Es geht natürlich nicht darum, dass Europa mit einerStimme spricht. Das wäre geradezu widersinnig, da Eu-ropa vor allem kulturell durch seine Vielfalt gekennzeich-net ist. Aber es wäre schon eine gemeinsame Anstrengungwert, sich neben CNN in der Welt Gehör zu verschaffen,als europäischer Beitrag zur weltweiten Informations-und Meinungsvielfalt, als Forum für einen Dialog derKulturen, der sehr viele Menschen erreicht. Dazu ist es al-lerdings erforderlich, dass die Bundesregierung – viel-leicht können Sie dazu gleich etwas sagen, Herr Minis-ter – den Worten Taten folgen lässt.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort
dem Bundesminister Joseph Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man derOpposition, vor allen Dingen ihrem Hauptredner, dem ge-schätzten Kollegen Norbert Lammert, zuhört, dannkönnte der Eindruck vermittelt werden, dass wir beim Re-gierungswechsel 1998 eine blühende, finanziell hervorra-gend ausgestattete, vorwärts strebende auswärtige Kul-turpolitik vorgefunden hätten
und dass in den vergangenen drei Jahren, in denen Haus-halte verabschiedet wurden, ein Abbau stattgefundenhabe. Das ist natürlich mitnichten der Fall. Selbstver-ständlich, Kollege Lammert – das wissen auch Sie nur zugut –, bringt uns eine sektorale Betrachtung der Finanz-situation, die sich nur auf die auswärtige Kulturpolitikbezieht, überhaupt nicht weiter;
vielmehr ist völlig klar: Wir stehen unter dem Druck, dieöffentlichen Haushalte, die wir vorgefunden haben, zukonsolidieren. Sie darauf hinzuweisen kann ich Ihnennicht ersparen, auch wenn Sie gleich wieder „ah!“ und„oh!“ schreien.
– Das ist keine „alte Arie“. Sie haben es doch gerade inder Steuerpolitik erlebt, als Sie plötzlich klar machenmussten, wie Sie finanzieren wollen.
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Ruprecht Polenz20928
Da hatten oppositionelle Sprüche ein Ende und Ihr Kan-didat war innerhalb von zwei Tagen von einem strahlen-den Bewerber zu einem in seinen eigenen Widersprüchenverfangenen Laokoon geworden.
Das wissen Sie nur zu gut.Ich habe es immer wieder gesagt: Wir stehen unterKonsolidierungsdruck. Insofern haben Sie hier eine haus-hälterische Debatte geführt – vom Standpunkt der Oppo-sition her betrachtet, verstehe ich das –; aber entgegendem, was Haushaltsdebatten mit sich bringen, nämlichHaushaltsklarheit und Haushaltswahrheit durchaus auchin der Kontroverse herauszuarbeiten, sind Sie natürlich je-den seriösen Finanzierungsvorschlag schuldig geblieben.
Daher haben Sie hier nicht zu Haushaltswahrheit undHaushaltsklarheit, sondern eher zur Vernebelung beige-tragen. Das ist der entscheidende Punkt.
Ich gebe offen zu – diese Erkenntnis hatte man übri-gens auch schon in der Schlussphase der Vorgängerregie-rung –, dass es einen Konsolidierungsbedarf gab. Die Per-sonalkosten machen, bedingt durch die Struktur desAuswärtigen Amtes, einen sehr hohen Anteil der Kostenim auswärtigen Dienst aus; daran hat sich nichts geändert.Wir hatten schon erhebliche Kürzungen zu verkraften. Somussten wir 19 Auslandsvertretungen schließen, von de-nen ich so manche gerne offen gehalten hätte, und muss-ten bereits bei Mitteln für Programme, vor allem bei frei-willigen Leistungen für die Vereinten Nationen undÄhnlichem, kürzen, um unseren Konsolidierungsbeitragzu leisten. Dabei hat mir, das muss ich Ihnen sagen, dasHerz geblutet.
Natürlich sind wir auch in der auswärtigen Kulturpolitik,dies unter anderem, weil das der größte Programmmittel-ansatz ist, an einer entsprechenden Kürzung nicht vorbei-gekommen. Das ist die Lage.
Ein großes Problem hatten wir zum Beispiel bei denAuslandsschulen.Am Anfang haben wir von Kürzungenbei den Auslandsschulen, so weit es ging, abgesehen.Aber aufgrund des anhaltenden Konsolidierungsbedarfsund -drucks konnten wir sie auf Dauer, wie Sie wissen, da-von nicht ausnehmen.Ich möchte aber nicht nur eine quantitative Betrach-tung anstellen. Sie wissen doch ganz genau, dass wirgleichzeitig einen erheblichen Bedarf an Strukturrefor-men haben. Ich möchte Ihnen gar nicht Ihre alten Redenhierzu vorlesen. Das Geld, das ausgegeben wird, wirddoch nicht nur effizient für Programme ausgegeben; diePersonalkostenstruktur ist durchaus so, dass man nichteinfach sagen kann: Das finanzieren wir alles munter wei-ter.
Kollege Polenz hat gerade einen Punkt, der in diesemZusammenhang wichtig ist, angeführt. Kollege Polenz,ich möchte hier nicht in die Debatte um die Auslandssen-der einsteigen. Aber eines ist doch klar: BBC Internatio-nal ist aus verschiedenen Gründen, wie zum Beispiel his-torischen Gründen, eine Klasse für sich; auf diese Gründemöchte ich aber nicht im Einzelnen eingehen und sie be-werten. Ich kann Ihnen das nur aus Sicht von jemandemsagen, der das Ganze häufig aus dem Ausland betrachtet:Sie spielen natürlich eine Rolle. Wir haben hier struktu-rellen Anpassungsbedarf. Das ist von den Kulturmittlernnicht bestritten worden, auch vom Goethe-Institut InterNationes nicht. Wenn wir diese Debatte also zielgerichtetführen wollen, dann müssen wir sie auch inhaltlich führenund müssen sie vor allen Dingen daran orientieren, waswir leisten können, dürfen also nicht nur eine quantitativeBewertung vornehmen. Nichtsdestotrotz werde ich michaber in Zukunft dafür einsetzen, dass wir hier, sobald derKonsolidierungsdruck nachlässt, Aufwüchse zu verzeich-nen haben werden.
– Ausgerechnet Sie, Herr Merz – ein ganz großer Kultur-politiker! – der Sie permanent verkünden, Sie wollten dieSteuern senken und die Verschuldung abbauen, wollen inder auswärtigen Kulturpolitik neue Schwerpunkte setzen?Angesichts all Ihrer unseriösen Versprechungen mussman meiner Ansicht nach schon fest im Glauben in derCDU/CSU verwurzelt sein, um Ihnen das zu glauben. Je-mand, der nicht in der CDU ist, wird Ihnen das nicht ab-nehmen.
– Das ist der Oppositionsführer: Er meint, ich könne dasWort „Kultur“ noch nicht einmal fehlerfrei schreiben. Dasist Ihr Niveau!
– Sie scheinen ein persönliches Problem mit mir zu haben.Ich habe kein persönliches Problem mit Ihnen. Ich kannIhnen nur sagen: Das ist ein Niveau, das der auswärtigenKulturpolitik nicht angemessen ist.
Ich könnte, wenn ich mich auf Ihr Niveau begäbe, fragen,ob eine gewisse Wahlkampfparole der CDU in NRW mit
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Bundesminister Joseph Fischer20929
den Zielen vereinbar war, für die Kollege Lammert hierunter anderem gestanden hat. Ich behaupte: nein.
Ich komme zurück zur Sache. Der Begriff „Dialog derKulturen“ wird in Zukunft von zentraler Bedeutung sein.Allerdings werden wir ihn sehr sorgfältig definieren müs-sen. Es freut mich zwar, dass die Opposition unser Kon-zept unterstützt. Aber ich gehöre nicht zu denjenigen, diemeinen, dass wir die auswärtige Kulturpolitik instrumen-tell einsetzen dürfen. Kultur hat einen Wert an sich.
Wenn wir von „unserer Kultur“ sprechen, so sprechen wirvon einer durch die Gedanken der Aufklärung geprägtenKultur, von einer Kultur, die immer auch den Stachel desSubversiven in sich trägt, die, wie gesagt, auf Grundwer-ten der Aufklärung wie der Menschenrechte und der Ach-tung der menschlichen Würde gründet. Das ist ein ganzentscheidender Punkt. Auch die Herrschaft des Rechtsgehört ganz elementar zu unserer Kultur.Ich bitte Sie, noch einmal darüber nachzudenken, Kol-lege Irmer, was Sie zu der Trennung von Kultur undZivilisation gesagt haben. Ich weiß nicht, ob man in den„Betrachtungen eines Unpolitischen“ von Thomas Mann,die damals die Grundlage für diese Frage waren, eine Tra-dition erkennen kann; jedenfalls hat das in Deutschlandeine Entwicklung begleitet, die ich sehr zurückhaltend alsäußerst unglücklich bezeichnen möchte.
Ich glaube vielmehr, dass im Zusammenhang mit derWestbindung und der Durchsetzung der Demokratie alskulturell-politischer Form in Deutschland nach 1945 auchdiese geistige Tradition überwunden wurde und auch imKulturbegriff eine Verwestlichung stattgefunden hat. Sozumindest würde ich es interpretieren.
In diesem Zusammenhang kommt es ganz entschei-dend darauf an, dass wir diesen Dialog der Kulturen nichtals Austausch von Freundlichkeiten begreifen, sondernals entscheidenden Punkt. Das haben wir ja auch von An-fang an so gemacht, Kollege Polenz. Schauen Sie sich nureinmal an, was die Bundesregierung nicht nur politisch,sondern ganz unmittelbar in Kabul getan hat: Wir habenden Schwerpunkt auf das Winterschulprogramm gelegt;wir waren mit die Ersten, die mit den bescheidenen vor-handenen Mitteln sehr viel bewirkt haben.
Wir haben von Anfang an den Schwerpunkt darauf gelegt,den Frauen und Mädchen eine Bildungsperspektive undkulturelle Möglichkeiten zu eröffnen.
Dasselbe gilt für die Einrichtung des Goethe-Instituts inSarajevo. Damit haben wir eine ganz wichtige Entschei-dung getroffen. So gehören zu unserer aktiveren Iranpoli-tik auch kulturelle Verbindungen: die sehr erfolgreicheReise deutscher Schriftsteller in den Iran anlässlich derGedenkveranstaltungen für den großartigen iranischenLyriker Hafis sowie die Reisen verschiedener Theater inden Iran. All das sind, wie ich finde, ganz wichtige Initia-tiven. Sie können aber auch die sehr erfolgreiche Reisevon Jürgen Habermas in die Volksrepublik China nehmen.All das gehört dazu.
Insofern haben Sie mit mir kein Problem, was die Zu-sammenarbeit zwischen privaten Unternehmen und deröffentlichen Hand – das ist die deutsche Übersetzung vonPublic Private Partnership – angeht.
Ich hoffe, ich kann es richtig schreiben, aber bitte.
– Nein, von Ihnen lasse ich mich nicht aus der Bahn brin-gen. Keine Sorge!Bei den entsprechenden Präsentationen der deutschenKultur in Indien durch die Bundesrepublik Deutschlandhaben wir sehr gut zusammengearbeitet. Insofern gibt esauch hier keine Kontroverse. Ich möchte aber weder einepolitische noch eine kommerzielle Instrumentalisierung.
Darin sind wir uns doch einig. Ansonsten sind alle Mög-lichkeiten der Zusammenarbeit gegeben. So hat ja auchdiese Koalition entsprechende Initiativen beim Stiftungs-recht auf den Weg gebracht. Das darf man nicht verges-sen.
Diese Auseinandersetzung können wir uns also ersparen.Meine Damen und Herren, der 11. September hat klargemacht, dass der Kulturdialog nicht als ein Dialog derfreundlichen Worte missinterpretiert werden darf, son-dern ein kritisches Aufeinanderzugehen unterschiedlicherKulturen – auf den eigenen Grundwerten gründend, wozuessenziell die Menschenrechte gehören – beinhaltet. Wirwurden am Anfang oft belächelt, als wir das Konzept ei-ner präventiven Außenpolitik vertreten haben. Oft wurdendiejenigen als Moralisten oder Idealisten bzw. als kurz-sichtig handelnd bezeichnet, die Fragen der Menschen-rechte und auch des kulturellen Dialogs, die so genanntenweichen Fragen, in den Vordergrund der Außenpolitik ge-stellt haben. Der 11. September hat klar gemacht, dass dasdie eigentlichen harten Fragen in der Welt des 21. Jahr-hunderts sind.Deswegen werden wir alle Anstrengungen auf eineverstärkte Zusammenarbeit und einen besseren Aus-tausch, auch und gerade den Studentenaustausch, rich-
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ten. Es wird wichtig sein, wie uns junge Menschen aus an-deren Ländern dabei erfahren. Dieser innenpolitische Teilist ein integraler Bestandteil der auswärtigen Kulturpoli-tik.
Dazu gehört natürlich auch eine verbesserte Ausstat-tung der Kulturmittler. Wir treten bei der Mittelverteilungin eine neue Entscheidungsphase ein. Wir werden mit denknappen Mitteln, die wir haben – das habe ich am BeispielKabul, aber auch an anderen Beispielen klar zu machenversucht –, die richtigen Schwerpunkte setzen und sie er-folgreich umsetzen. Ich möchte allen Mitarbeiterinnenund Mitarbeitern, die für die Umsetzung verantwortlichsind, danken.Wir werden uns darüber hinaus weiter dafür engagie-ren, Aufwüchse in den entsprechenden Haushalten zu er-reichen.
Gleichzeitig wird aber der Anpassungsbedarf bei denStrukturreformen realisiert werden müssen. Dafür werdeich ebenfalls ganz dickschädelig Sorge tragen.
Herr Minister, Sie
müssen zum Ende kommen.
Ich komme zum Schluss. – Lassen Sie mich abschließend
für die Unterstützung aus dem zuständigen Ausschuss
danken. Ganz besonders möchte ich Hilmar Hoffmann,
dem ausscheidenden Präsidenten des Goethe-Instituts,
und seinem Vizepräsidenten für die sehr gute Zusammen-
arbeit danken. Hilmar Hoffmann hat von der Bun-
desrepublik Deutschland einen Orden bekommen für die
Leistung, die er gebracht hat, und zwar nicht nur als Prä-
sident des Goethe-Instituts. Ich kenne ihn seit vielen Jahr-
zehnten und weiß, dass er auch in kommunaler Verant-
wortung Großartiges geleistet hat.
Ich möchte von dieser Stelle aber auch der künftigen
Präsidentin des Goethe-Instituts Inter Nationes, Jutta
Limbach, alles Gute wünschen. Ich freue mich auf die Zu-
sammenarbeit.
Recht herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort
Kollegen Hans-Joachim Otto, FDP-Fraktion.
Herr Präsi-dent! Meine Damen und Herren! Es ist sicherlich nicht dieAufgabe dieses Parlaments, sich bei der auswärtigen Kul-turpolitik nur wechselseitig auf die Schulter zu klopfenund zu sagen, dass wir in den Zielen übereinstimmen. Esist wohl wahr, dass wir in den Zielen übereinstimmen. Ichmöchte ebenfalls darauf hinweisen, dass Mitglieder derRegierungs- und der Oppositionsfraktionen im Auslandimmer sehr stark mit einer Stimme sprechen. Das darfauch nicht verloren gehen.Aber, lieber Herr Fischer, zur Tränen treibenden Rea-lität der auswärtigen Kulturpolitik muss man schon nochein paar kurze Worte verlieren: Erstens. Sie sagten, eshabe seit Antritt der Regierung Schröder/Fischer keinenAbbau gegeben.
Ganz nüchtern muss man feststellen – daran lässt sichnicht vorbeireden; ich habe mir die Zahlen eben noch ein-mal angeschaut –: Der Kulturhaushalt des AuswärtigenAmtes ist von 1998 bis 2001 schlicht von 1,154 Milliar-den DM auf 1,126 Milliarden DM heruntergegangen. Dasbedeutet, wenn man auch noch die Wechselkurs- undPreisveränderungen berücksichtigt, durchaus einen Ab-bau. Das ist die harte Realität. Im Haushalt der DeutschenWelle, die, wie wir wissen, nicht bei Fischer ressortiert,hat es sogar einen Abbau um 130 Millionen DM gegeben.Das ist die Tränen treibende Realität der auswärtigen Kul-turpolitik.Zweitens. Lieber Herr Fischer, es gibt unbestritten – dawerden Sie mit der FDP wenig Probleme haben – einenKonsolidierungsbedarf. Wir sind die Allerletzten, die be-streiten würden, dass die Verschuldung nicht in die Höhegetrieben werden darf; das ginge zulasten der kommen-den Generationen. Aber – darüber werden wir zu redenhaben – die Prioritätensetzung ist entscheidend. Der Kul-turhaushalt des Auswärtigen Amtes ist in der Ära Fischervon 0,25 Prozent – es waren sogar schon 0,28 Prozent –auf 0,22 Prozent des Gesamthaushaltes heruntergefahrenworden.
Auch das ist eine harte Realität. Die Mittel für die Deut-sche Welle sind um 130 Millionen DM gekürzt wordenund gleichzeitig – das ist Ihre Prioritätensetzung – ist derEtat des Presse- und Informationsamtes der Bundesregie-rung dramatisch angestiegen, damit in deutschen Zeitun-gen schöne Anzeigen für die deutschen Wähler geschaltetwerden können. Dieses Geld fehlt, um eine vernünftigeauswärtige Kulturpolitik betreiben zu können.
Ich möchte noch ein Wort über die Prioritätensetzungverlieren. Es ist schon komisch: Es gibt jetzt die Überle-gung, Serien wie „Kommissar Rex“, „Forsthaus Fal-kenau“ und „Klinik unter Palmen“ über den deutschenAuslandssender zu verbreiten. Dafür sind spontan 50Mil-lionen DM zusätzlich vorhanden. Diese 50Millionen feh-len natürlich letztlich im Kulturetat, die fehlen für an-spruchsvolle Programme.Liebe Freunde von SPD und Grünen, bei diesen50 Millionen DM, die jetzt für den deutschen Auslands-kanal, für das Kooperationsprogramm von ARD und ZDF,eingesetzt werden, muss ich mich doch fragen: Welche
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Prioritäten werden hier gesetzt? „Kommissar Rex“ mag jaganz hübsch sein, aber ist das die anzustrebende auswär-tige Kulturpolitik, Herr Fischer? Ich glaube, das ist nichtunser Ziel.Jetzt möchte ich noch etwas zu den Inhalten sagen; dasist immer noch das Wichtigste. Herr Fischer, Sie habengesagt, die auswärtige Kulturpolitik dürfe nicht instru-mentell eingesetzt werden. Sie meinen damit wahrschein-lich: nicht unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ichmöchte Ihnen sagen – wahrscheinlich sind wir gar nichtweit auseinander –: Sie muss durchaus instrumentell ein-gesetzt werden, und zwar zur Konfliktverhütung, zurDurchsetzung des Rechtes, zur Durchsetzung von demo-kratischen Prinzipien.Insofern möchte ich Herrn Fischer – das wird Sie jetztüberraschen – loben: Er erklärt jedenfalls immer wieder,dass das kein unverbindliches Kaffeekränzchen ist, dassder Dialog der Kulturen nicht zu einer Relativierung vonMenschenrechten führen darf. Da bin ich voll bei Ihnenund da unterstütze ich Sie auch.Nur gibt es auch in diesem Bereich Realitäten, die ei-nen etwas nachdenklich machen. – Ich wollte jetzt etwaszu Herrn Nida-Rümelin sagen; aber er ist leider nichtmehr da.
– Ah, richtig. – Herr Nida-Rümelin, Sie waren gerade inMoskau. Man wirft Ihnen vor, Sie seien als Kulturstaats-minister in Moskau gewesen und hätten kein Wort dazugesagt, dass das einzige kremlfreie FernsehprogrammTW-6 zu dieser Zeit schließen musste. Ich war nicht da-bei. Vielleicht äußern Sie sich noch einmal dazu. Ich hätteeine Äußerung Ihrerseits jedenfalls für notwendig emp-funden. Ich weiß nicht, was Herr Fischer dazu sagt; ichwill ihn auch gar nicht um eine Antwort bitten. Wenn Sieals Kulturstaatsminister in Moskau sind und ein solcherSender geschlossen werden muss, dann wäre auch einWort Ihrerseits dazu gegenüber Ihren Gesprächspartnernnotwendig gewesen.
Herr Fischer, eines noch zur Durchsetzung der Men-schenrechte, zu einem Thema, bei dem ich im Prinzip beiIhnen bin: Wenn Sie sich die Situation der beidenchinesischen Staaten einmal anschauen, so stellen Siefest, dass es zum einen Begeisterung für Rotchina gibt– das ist ganz klar, denn das Land hat wegen seiner großenBevölkerung wirtschaftlich große Bedeutung – und zumanderen das verhältnismäßig kleine Taiwan, das immerhinauf dem Weg zur Demokratie schon sehr weit fortge-schritten ist und wo es einen Regierungswechsel gegebenhat, fast untergeht. Was tun wir Deutschen eigentlich, umden Demokratisierungsprozess in Rotchina zu fördern?Wir laufen den Rotchinesen nach und benachteiligen Tai-wan. Das ist keine auswärtige Kulturpolitik, wie ich siemeine.
Als Letztes möchte ich noch etwas zum Dialog mitdem Islam sagen. Wir müssen den Dialog führen, umauch Demokratisierungsprozesse – Herr Weisskirchen hatvorhin sehr engagiert darauf hingewiesen – in Gang zusetzen. Lieber Herr Herr Weisskirchen, ich weiß gar nicht,ob wir uns da uneinig sind. Der Dialog mit dem Islammuss in gleicher Weise geführt werden, wie Herr Fischeres eben auch angesprochen hat. Wir müssen auf Demo-kratiedefizite hinweisen. Das ist kein unverbindlichesKaffeekränzchen. Der Islam insgesamt hat Demokratie-defizite aufzuweisen, die zu benennen wir uns in der aus-wärtigen Kulturpolitik nicht scheuen dürfen. Es geht hiernicht nur um die Diskriminierung der Frau, es geht auchum Gewaltenteilung, um Fragen der Gewissensfreiheit,der Glaubensfreiheit usw.Deswegen, lange Rede, kurzer Sinn – Herr Präsident,ich komme zum Ende, Sie müssen mich nicht ermah-nen –: Es ist in der Tat so, dass es im Bereich der auswär-tigen Kulturpolitik Übereinstimmungen über alle Fraktio-nen dieses Hauses hinweg gibt. Jetzt ist es an denRegierungsfraktionen, diese Übereinstimmung, diesenKonsens auch in die Tat umzusetzen. Gerade in der aus-wärtigen Kulturpolitik gibt es das Angebot zur Zusam-menarbeit. Wenn es aber um die Haushaltsberatungen undum einzelne Anträge geht, vermisse ich die Zusammenar-beit manchmal. Ich mache Ihnen das Angebot, verbundenmit dem ausdrücklichen Lob für die klaren Worte zumDialog der Kulturen und zur Priorität und Nichtrelavitier-barkeit der Menschenrechte: Machen Sie im Bereich derauswärtigen Kulturpolitik mehr Gebrauch von Zusam-menarbeit. Einiges hat uns nicht gefallen, aber ich möchtehier noch einmal betonen: Im Grundsatz gibt es Überein-stimmung in diesem Bereich.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort
der Kollegin Elke Leonhard, SPD-Fraktion.
Herr Kollege Otto, ich war2001 und 2002 die Hauptberichterstatterin im Haushalts-ausschuss für die auswärtige Kulturpolitik. Wir haben mitder FDP in Person von Herrn Hoyer, mit der CDU/CSUwie mit allen anderen Fraktionen einvernehmlich gehan-delt. Sie hätten also frühzeitiger in aller Klarheit Ihre For-derungen aufstellen müssen, damit wir darüber rechtzei-tig hätten diskutieren können. Man kann aber jetzt nichtscheinheilig „auspacken“ wollen. So geht es nicht.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen undKollegen! Wir diskutieren heute den Bericht der Bundes-regierung zur auswärtigen Kulturpolitik 2000, des Weite-ren den Antrag der SPD-Fraktion und der Fraktion desBündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „ AuswärtigeKulturpolitik für das 21. Jahrhundert“ sowie den Antrag
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Hans-Joachim Otto
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der FDP – so schlecht ist das gar nicht – über Public Pri-vate Partnership.Lassen Sie mich einige Bemerkungen zu den Schwer-punkten der auswärtigen Kulturpolitik machen. So wiewir in den vergangenen zwei Jahren – ich betone das –durch eine Mittelaufstockung und durch Verstetigung dieSchwerpunktsetzung bei der Vergabe von Stipendien undbei der Internationalisierung der Hochschulen als Wei-chenstellung verstanden haben, so wird die nächsteSchwerpunktsetzung die Konzentration auf die qualita-tive Verbesserung des Auslandsschulwesens sein müs-sen. Trotz Haushaltskonsolidierung muss es gelingen, dieAuslandsschulen so zu stärken, dass sie innovativ undkonkurrenzfähig bleiben und die Herausforderungen ei-ner globalisierten Welt nutzen, deutschen wie einheimi-schen Kindern eine zukunftssichere Ausbildung anzubie-ten.
Der Ausbau des Begegnungscharakters und der Aus-bau von Euro-Campus-Schulen sollte forciert vorange-bracht werden. Lassen Sie mich stellvertretend für die119 Schulen mit insgesamt 70 000 Schülern, die 48 Be-gegnungsschulen und 44 deutschsprachigen Schulen so-wie 27 landessprachlichen Schulen die Amani-Ober-realschule in Kabul erwähnen. Wir sind sicher, dass nochim Laufe des Frühjahrs die Amani-Oberrealschule wiedereröffnet wird. Mit großer Intensität wird an dieser Wie-dereröffnung gearbeitet. Ich bin sicher, dass nach jahre-langem Terror, Unterdrückung, Knechtung und Verfol-gung nichts so wichtig ist wie der Aufbau von Vertrauen.Vielleicht können wir dazu beitragen, Vertrauen zu bildenund damit Brücken zu bauen.
Es war eine schlichte Geste, als der Außenminister aufdem Petersberg die Wiedereröffnung der Amani-Ober-realschule und der Mädchenschule ankündigte. Die Bildervon der Wiedereröffnung der Mädchenschule in der ver-gangenen Woche werden bei uns allen noch lange haftenbleiben.
Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass Sie,Herr Kollege Lammert, Prozentzahlen genannt haben. Ichmuss aber dazu sagen, dass die absoluten Zahlen wichtigsind. In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, dasswir die Mittel für die Stipendien um 21 Millionen DMaufgestockt haben – wir haben sogar eine Verstetigung er-reicht – und dass wir bei den Mitteln für die Auslands-schulen 2,5 Millionen Euro dazugelegt haben.
Frau Kol-
legin Leonhard, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Lammert?
Nein, ich möchte mit mei-
ner Rede fortfahren, obwohl er schön aufgestanden ist.
Herr Kol-
lege Lammert, ich bedauere, dass die Zwischenfrage nicht
zugelassen wird.
Mit dem KollegenLammert habe ich mich oft über diesen Punkt auseinan-der gesetzt. Ich habe dabei stets betont: Wenn Sie Ände-rungen haben wollen, dann bringen Sie diese in die Haus-haltsberatungen ein!
Ich könnte Ihnen die mir vorliegende Liste vorlesen.Während Ihrer Regierungszeit wurden beispielsweise42 Goethe-Institute geschlossen.
Seit 1999 gab es aber keine Schließungen mehr. Ich kannIhre Vorwürfe nicht mehr hören. Ich habe gar nicht dieZeit, um Ihnen die passende Antwort zu geben, die Sieverdienen.
Es ist mir aber auch ein großes Bedürfnis, aus diesemHohen Hause eine Grußadresse an Hilmar Hoffmann, mitdem ich jahrelang zusammengearbeitet habe, zu richten.Er wurde am vergangenen Freitag zusammen mit Profes-sor Wapnewski von unserem BundespräsidentenJohannes Rau verabschiedet. Beide, Präsident und Vize-präsident, zählen zu den großen Botschaftern der Bun-desrepublik. Die auswärtige Kulturpolitik wäre ohne sienicht so erfolgreich gewesen. Hilmar Hoffmann und PeterWapnewski werden auf jeden Fall der auswärtigen Kul-turpolitik fehlen. Respekt und Dank von dieser Stelle.
Gleichzeitig wünschen wir Frau Professor Limbach,Volker Doppelfeld und Klaus-Dieter Lehmann die nötigeEnergie und Überzeugungskraft zur Fortsetzung der be-deutenden Arbeit.
Der scheidende Präsident des Goethe-Instituts, Profes-sor Hoffmann, formulierte treffend:Die deutsche Außenpolitik zeigt mit Joschka Fischerein neues Gesicht. Zum ersten Mal seit 100 Jahrenleisten wir uns einen eigenständigen Beitrag zu einerWeltfriedenspolitik, die auf einer den Menschen-rechten verpflichteten strategischen Planung basiert.
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Dr. Elke Leonhard20933
Kritisch fügte er allerdings hinzu:Was ganz offensichtlich bisher nicht gelungen ist, istder Eintritt in die neue, dritte Phase der Außenpoli-tik.Hoffmann ergänzte diese Ausführungen mit den er-klärenden Worten:Früher in Bonn, heute in Berlin gilt der Begriff vonden drei Säulen der Außenpolitik als Standard. Die-sen Dreiklang bildet neben Politik als erster Säuleund Wirtschaft als zweiter Säule schließlich die aus-wärtige Kulturpolitik als drittes Fundament unsererAußenpolitik.Nun spiegelt sich in diesem Säulenmodell exakt dieoben skizzierte dreiphasige Entwicklung der außenpoliti-schen Paradigmen der Nachkriegszeit. Wenn es stimmt– so Hoffmann –, dass wir längst in eine neue, von Kulturund Information, Bildung und Medien geprägte Ära derinternationalen Politik eingetreten sind, dann hat diese Er-kenntnis nicht weniger zur Konsequenz als eine Umkehrder bisherigen Rangordnung. Er fordert die neue Äradeutscher Außenpolitik, deren Umrisse immer deutlichererkennbar werden, als eine Ära, die im Kern auf den Aus-bau der internationalen kulturellen Verständigungsver-hältnisse der Zukunft zielt. Er verlangt nicht weniger, alsder auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik oberstePriorität zu gewähren und damit die dritte Säule zur ers-ten zu machen.Hoffmann bemühte Sigmund Freud, der schon wusste,dass alles, was die Kulturentwicklung fördert, gegen denKrieg arbeitet. Man kann zustimmen. Aber wie hauch-dünn die Kultur- und Zivilisationsschicht sein kann, ha-ben Freuds Schüler und die Frankfurter Schule treffendanalysiert.Lassen Sie mich noch einmal anmerken: Eine Hierar-chie innerhalb der Dreisäulenpolitik der Außenpolitikhalte ich für unangemessen. Außerdem würde – den Wor-ten Hoffmanns folgend – die auswärtige Kulturpolitik so-fort wieder zum Auswärtigen Ausschuss und dort nicht ineinen Unterausschuss, sondern in den Hauptausschussverlagert. Ob wir dies wollen, ist eine andere Frage undwird an anderer Stelle diskutiert werden.Ich sehe nur die Konsequenz, dass es bei der klassi-schen Diplomatie ebenso wie bei der Außenwirtschaftund der auswärtigen Kulturpolitik als den drei Säulen derAußenpolitik bleiben wird und danke Ihnen.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Hartmut Koschyk von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Außenminister hatvorhin in seinem Redebeitrag mit Blick auf dieCDU/CSU-Fraktion angemahnt, dass wir Antworten da-rauf geben sollten, wo wir andere Schwerpunkte in derauswärtigen Kulturpolitik setzen und vor allem wie wirsie finanzieren wollten.Die Frau Kollegin Leonhard hat gerade in ihrem Re-debeitrag den schönen Satz gesagt: Wenn Sie Änderungs-wünsche für den Haushalt haben, dann bringen Sie siedoch ein. – Liebe Frau Kollegin Leonhard, wir hatten imKulturausschuss des Deutschen Bundestages eine sehrsubstanzielle Debatte über den Haushaltsansatz für dieauswärtige Kulturpolitik für das Jahr 2002. Das Aus-wärtige Amt hat die gutachterliche Befassung des Kultur-ausschusses des Deutschen Bundestages mit dem Haus-haltsansatz für die auswärtige Kulturpolitik so ernstgenommen, dass weder der Herr Außenminister noch ir-gendeiner der Staatssekretäre noch der Abteilungsleiter– Frau Kollegin Griefahn, Sie erinnern sich – in der Aus-schusssitzung zugegen waren, sondern eine Referatsleite-rin.
Frau Kollegin Leonhard, wir haben sehr wohl zahlrei-che Anträge – auch Verbesserungs- und Gegenfinanzie-rungsvorschläge haben wir dargelegt – im Hinblick aufden Haushalt für die auswärtige Kulturpolitik für dasJahr 2002 eingebracht.
Das Problem war: Die Mehrheitsfraktionen von SPD undGrünen haben sie abgelehnt.
Ich möchte noch einmal zu einem Kernbereich der aus-wärtigen Kulturpolitik zurückkommen. Herr Bundes-minister, natürlich ist es in Zeiten knapper Haushaltskas-sen schwierig, in einem Bereich, der nicht immer eineLobby in der Gesamtregierung hat, Kürzungen zu verhin-dern. Man muss sich dann aber auf Prioritäten konzentrie-ren. Wir werfen Ihnen vor, dass Sie ständig – auch in derauswärtigen Kulturpolitik – neue Aufgaben angehen unddas mit großen Worten beschreiben, wichtige Kernaufga-ben in der auswärtigen Kulturpolitik aber vernachlässi-gen.
Ich möchte dies an einem Bereich, nämlich dem derAuslandsschulen, deutlich machen; es ist auch ein wenigdurch die heutige Debatte deutlich geworden. Wenn ichmir den Bericht des Auswärtigen Amtes zur auswärtigenKulturpolitik für das Jahr 2000 ansehe, dann erkenne ich,dass dort sehr euphemistisch beschrieben wird, wie sichdie Kürzungspolitik bei den Auslandsschulen auswirkt.Dort heißt es nämlich:Nach sorgfältiger Einzelprüfung wird die Förderungden Sparbeschlüssen angepasst, wobei die Schulenmöglichst wenig beeinträchtigt werden sollen. Qua-lität und Substanz der Ausbildung sind gewahrt ...Herr Minister, das stimmt eben nicht. Ich werde dies aneinigen Beispielen deutlich machen.
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Dr. Elke Leonhard20934
Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungsko-alition, auch in Ihrem Antrag über eine auswärtige Kultur-politik für das 21. Jahrhundert – man muss sich das einmalauf der Zunge zergehen lassen – findet das Auslands-schulwesen nur eine marginale, lapidare Erwähnung invier Sätzen.
– Wenn man sich Ihren Antrag einmal anschaut, siehtman, dass es sich um eine lapidare, marginale Erwähnunghandelt. Ich muss Ihnen sagen: Dass Ihnen nicht mehrdazu einfällt, als dass mit anderen europäischen Ländernund anderen Trägern mehr zusammengearbeitet werdenmuss, um Auslandsschulen zunehmend zu Euro-Campus-Schulen zu entwickeln, zeigt, wie konzeptionslos Sie indiesem Bereich sind.Ich meine, wir müssen deutlich machen, dass das deut-sche Auslandsschulwesen eines der wichtigsten Instru-mente nicht nur der deutschen Bildungspolitik, sondernauch der auswärtigen Kulturpolitik ist. Es dient neben denKulturbeziehungen auch der Förderung der deutschenAußenwirtschaft, dem Dialog der Kulturen und auch derVerbesserung unserer bilateralen Beziehungen. Über100 000 ausländische Jugendliche erhalten an den deut-schen Schulen im Ausland eine qualifizierte Schulausbil-dung. Dies lässt Hunderttausende Jugendliche weltweitzu einer einzigartigen Brücke zwischen Deutschland undden Kulturen der Welt werden.Es geht aber – auch das muss eine Kernaufgabe deut-scher auswärtiger Kulturpolitik bleiben – um die Schul-versorgung von zigtausend Kindern deutscher Staatsbür-ger, die zeitweilig für deutsche Unternehmen, sonstigedeutsche Einrichtungen oder Auslandseinrichtungen imAusland tätig sind. Wir haben eine Fürsorgepflicht für dieschulische Wiedereingliederung der Kinder deutscherStaatsbürger, die sich zeitweise im Ausland aufhalten,wenn sie nach Deutschland zurückkehren.Lassen Sie mich gerade auch im Hinblick auf dieAußenwirtschaft und die Globalisierung der Weltwirt-schaft sagen: Wenn Sie sich heute mit Vertretern deut-scher Unternehmen unterhalten, dann merken Sie, dassjunge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit operie-render deutscher Unternehmen nur dann bereit sind, mitihren Familien ins Ausland zu gehen, wenn dort auch ent-sprechend qualifizierte deutsche Auslandsschulen vorge-halten werden.
Ich komme jetzt zu den Kürzungen der rot-grünenBundesregierung. Allein im Haushaltsbereich 2000/2001betrugen die Kürzungen für die deutschen Auslandsschu-len 10,84 Millionen Euro. In der gesamten bisherigen Le-gislaturperiode betrugen sie 20,5 Millionen Euro.Was diese Kürzungen bedeuten, Herr Außenminister,das können Sie erleben, wenn Sie eine deutsche Aus-landsschule besuchen. Ich habe in den letzten Jahrenmehrere deutsche Auslandsschulen besucht. Dort heißt es,dass es zunehmend Probleme gibt, eine ausreichende An-zahl qualifizierter Auslandslehrkräfte in den Schulen zubekommen. In deutschen Schulen muss aufgrund derKürzungen die Zahl qualifizierter Auslandslehrer zurück-geführt werden. Es droht eine Statusverschlechterung derSchulen; denn wenn es eine immer geringere Anzahl vonLehrern an den Schulen gibt, kann dadurch die Möglich-keit, an der Schule die Reifeprüfung abzuhalten, gefähr-det werden.Wenn Sie sich mit den deutschen Außenhandelskam-mern und den Verantwortlichen deutscher Unternehmenvor Ort unterhalten, dann sagen diese schon sehr klar, dassdie Gefahr besteht, es könne zu einem Renommeeverlustdeutscher Auslandsschulen gegenüber anderen internatio-nalen Schulen vor Ort kommen. Wir müssen sehen, dassdie Kürzungen zunehmend zu einem Qualitätsverlust undeinem Imageverlust führen. Deshalb, Herr Bundesaußen-minister, schlagen die deutsche Wirtschaft und vor allemauch die deutschen Außenhandelskammern in einem niegekannten Ausmaß Alarm.Ich bin dem Deutschen Industrie- und Handelskam-mertag und den deutschen Außenhandelskammern sehrdankbar, dass sie sich dieses Themas annehmen. HerrMinister, die deutsche Wirtschaft nimmt sich diesesThemas nicht in der Art und Weise an, dass sie nur dieHand aufhält und sagt: Wir wollen mehr Geld. – Vielmehrwar es für mich sehr interessant, zu erfahren, wie sehr sichdie deutsche Wirtschaft vor Ort für deutsche Auslands-schulen engagiert: Grundstücke werden gekauft und In-vestitionen zur Verfügung gestellt, um die Schulausstat-tung zu verbessern, zum Beispiel für Turnhallen undMusikräume.Wenn man sich ansieht, wie der Schultitel des Auswär-tigen Amtes seit 1998 bis heute insgesamt zurückgegan-gen ist – 1998 betrug er 193 Millionen Euro, in diesemJahr 172 Millionen Euro; in der mittelfristigen Finanzpla-nung bis 2004 soll der Schultitel auf 169 Millionen Euroweiter zurückgeführt werden –, dann wird deutlich – derKollege Dr. Lammert hat darauf hingewiesen –, dass dies,wenn man Wechselkursschwankungen und die Teue-rungsrate in vielen Ländern dieser Welt berücksichtigt,eine Absenkung um 30 bis 40 Prozent bedeutet.Jetzt muss man nicht nur die warnenden Stimmen derdeutschen Wirtschaft hören. Jetzt muss man auch die war-nenden Stimmen von wichtigen Partnern im Auslands-schulwesen in den jeweiligen Gastländern vernehmen,die, wenn man in diesen Ländern ist, einem klar sagen,dass Deutschland mit seinem weltweiten kulturellen An-sehen Gefahr läuft und dass immer weniger Eliten in Län-dern mit deutschen Auslandsschulen ein Interesse daranhaben, auf diese Schulen zu gehen, weil andere Schulenqualitativ besser sind.Das hat auch Auswirkungen auf unser gemeinsamesZiel, Herr Bundesaußenminister, die Stärkung des Hoch-schulstandorts Deutschland. Wir beklagen den Rück-gang von Studierenden aus dem Ausland an deutschenHochschulen. Wenn Sie mit Vertretern der Hochschulrek-torenkonferenz und Vertretern deutscher Hochschulensprechen, dann sagen diese sehr deutlich: Wenn es auf-grund der Qualitätseinbußen für immer weniger Eliten imAusland interessant ist, auf eine deutsche Auslandsschule
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Hartmut Koschyk20935
zu gehen, sodass dort erste Prägungen im Hinblick auf diedeutsche Sprache und die deutsche Kultur nicht erfolgen,dann wird es auch immer weniger interessant, auf einedeutsche Hochschule zu gehen.Deshalb müssen wir gerade auch bei diesem zentralenBereich der auswärtigen Kulturpolitik sagen, dass wederder Bericht, den die Bundesregierung für das Jahr 2000vorgelegt hat, noch der Koalitionsantrag irgendeine um-fassende Konzeption für die Zukunft des Auslandsschul-wesens erkennen lassen. Drei Jahre rot-grüne Regie-rungszeit haben zu einer groben Vernachlässigung derpolitischen Aufmerksamkeit und auch der finanziellenFörderung für das deutsche Auslandsschulwesen geführt.Die deutsche Wirtschaft vor Ort, die an den Auslands-schulen tätigen Lehrer, aber auch die in den Schulen en-gagierten Unternehmen und die Elternschaft sind alleüber diese Vernachlässigung tief enttäuscht. Deshalb sageich für diesen zentralen Bereich der deutschen auswärti-gen Kulturpolitik: Auch hier wird im Herbst dieses Jahresein Politikwechsel notwendig sein, damit auch das deut-sche Auslandsschulwesen als ein Kernbereich auswärti-ger Kulturpolitik in Deutschland wieder den Stellenwertbekommt – Herr Minister, das können wir sehr selbstbe-wusst sagen –, den es in 16 Jahren Regierungsverantwor-tung der Union gemeinsam mit der FDP immer gehabthat.
Wenn Sie vor Ort mit Verantwortlichen der deutschenWirtschaft und der deutschen Auslandsschulen sprechen,dann wird das anerkannt. Das haben Sie stark vernachläs-sigt. Auch hier braucht die deutsche auswärtige Kulturpo-litik dringend den Wechsel.Herzlichen Dank.
Ichschließe die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufDrucksache 14/6825 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksa-che 14/7253 zu dem Antrag der Fraktion der FDPmit demTitel „‚Public Private Partnership‘ in der auswärtigenKulturpolitik“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag aufDrucksache 14/5963 abzulehnen. Wer stimmt für dieseBeschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmender Koalitionsfraktionen und der Fraktion der PDS gegendie Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDPangenommen.Wir kommen zu der Abstimmung über die Beschluss-empfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien aufDrucksache 14/7380 zu dem Antrag der Fraktionen derSPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel„Auswärtige Kulturpolitik für das 21. Jahrhundert“. DerAusschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/5799anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – DieBeschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-onsfraktionen und der Fraktion der PDS gegen die Stim-men der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP ange-nommen.Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 4 a bis c auf:4. a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
zu dem Antrag der Abgeordneten
Birgit Schnieber-Jastram, Karl-Josef Laumann,Gunnar Uldall, weiterer Abgeordneter und derFraktion der CDU/CSUFürmehrWettbewerb und Subsidiarität in densozialen Sicherungssystemen – durch Neuorga-nisation der aktiven Arbeitsmarktpolitik dieLangzeitarbeitslosigkeit in Deutschland senken– Drucksachen 14/5552, 14/7523 –Berichterstattung:Abgeordnete Andrea Nahlesb) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-neten Dr. Heinrich L. Kolb, Hildebrecht Braun
, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der FDP eingebrachten Ent-wurfs eines Gesetzes zur Sicherung betrieb-licher Bündnisse für Arbeit– Drucksache 14/6548 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Arbeit und Sozialordnung
– Drucksache 14/7362 –Berichterstattung:Abgeordneter Klaus Brandnerc) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Arbeit und Sozial-ordnung zu dem Antrag der Abge-ordneten Birgit Schnieber-Jastram, Karl-JosefLaumann, Brigitte Baumeister, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion der CDU/CSUIm Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wett-bewerbsfähigkeit bei wichtigen Fragen des Ar-beitsmarktes endlich handeln– Drucksachen 14/5758, 14/7362 –Berichterstattung:Abgeordneter Klaus BrandnerÜber den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP zur Si-cherung betrieblicher Bündnisse für Arbeit werden wirspäter namentlich abstimmen.
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Hartmut Koschyk20936
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für dieAussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat derKollege Klaus Brandner von der SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident!Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In der erhitztenDebatte über den Arbeitsmarkt ist neben einem klarenKopf auch ein gutes Gedächtnis hilfreich. Vor genau vierJahren – im Januar 1998 – hatten wir in der Bundesrepu-blik Deutschland einen bis dahin noch nie erreichtenStand von exakt 4,82 Millionen arbeitslosen Frauen undMännern. Vier Jahre später ist die aktuelle Arbeits-marktlage ohne Frage unbefriedigend: Knapp 4 Milli-onen Arbeitslose im Dezember und voraussichtlich mehrals 4 Millionen Arbeitslose im Januar – das kann nicht zu-frieden stellen, um das klar zu sagen.
Klar ist aber auch, dass wir in der Zwischenbilanz in ei-ner Größenordnung von einer halben Million weniger Ar-beitslosen als 1998 besser dastehen, als es viele in der Öf-fentlichkeit wahrhaben wollen –
und dies, obwohl sich mehr Menschen am Erwerbslebenbeteiligen, also keine demographische Entlastung stattge-funden hat.Hinzu kommt noch, dass wir – die neue Bundesregie-rung und die sie tragenden Fraktionen – nicht mit statisti-schen Tricks und mit Wahlkampf-ABM gearbeitet haben.
Wir haben auch nicht die Datenlage geschönt. Insofernmuss das Ergebnis positiver dargestellt werden, als esmanche zurzeit gewürdigt wissen wollen.
Sie haben natürlich dadurch, dass Sie die Wahlkampf-ABM erfunden haben, das Arbeitsmarktmittel ABM dis-kreditiert. Das ist doch völlig klar. Wenn Sie es jetzt zu-gunsten von Kombilöhnen abschaffen wollen, zeigt dasnur, dass Sie ein sinnvolles Instrument für bestimmte Pro-blemlagen in Misskredit gebracht und nicht dafür gesorgthaben, den Menschen, die diese Unterstützung brauchen,tatsächlich Hilfe zu geben.
Hinzu kommt schließlich, dass seit 1998 fast 1,2 Mil-lionen neue Jobs entstanden sind. Das kann sich, so meineich, sehen lassen. Darüber kann die Aufgeregtheit über diederzeitig schwierige Konjunkturphase auch nicht hin-wegtäuschen. Wir hatten zwar – das hatte ich schon an-gesprochen – mehr erwartet. Aber wir stehen nicht mitleeren Händen da. 1,2 Millionen Jobs bedeuten Zukunft,Hoffnung und Perspektive für 1,2 Millionen Menschen indiesem Land. Es gibt keinen Grund, dieses Ergebnis un-serer Politik kleinzureden.
Dass Sie, insbesondere die Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, vor diesem Hintergrund, so steht es inIhrem Antrag, eine grundlegende Reform der aktiven Ar-beitsmarktpolitik zur Senkung der Arbeitslosigkeit for-dern, ist schon ein bisschen grotesk; denn Sie selbst habenerst 1998, wie Sie gesagt haben, eine grundlegendeArbeitsmarktreform durchgeführt, deren Wirkungenwir im Laufe der Jahre organisatorisch anpassen musstenund für die wir Mittel zur Verfügung stellen mussten. Wirdagegen haben konkrete Erfolge bei der Bekämpfung derproblematischen strukturellen Arbeitslosigkeit erzielt, dieSie in der Tat nicht erzielen konnten.Sie gehen in ihrem Antrag in diesem Zusammenhangvon falschen Annahmen aus. Sie fordern den Abbau derLangzeitarbeitslosigkeit. Das ist zwar richtig. Aber rich-tig ist auch, dass seit 1998 die Langzeitarbeitslosigkeit um15 Prozent zurückgegangen ist. Wir haben die verkruste-ten Strukturen aufgebrochen. Wir haben die Ärmel hoch-gekrempelt und haben die Arbeitslosigkeit in den Pro-blembereichen trotz zurzeit allgemein steigenderArbeitslosigkeit zurückgeführt.
Damit nicht genug! Wir haben die Jugendarbeitslosig-keit, die Arbeitslosigkeit älterer Arbeitnehmer und die Ar-beitslosigkeit schwerbehinderter Menschen bekämpft,und zwar erfolgreich. Nehmen Sie das doch einmal zurKenntnis! Seien Sie doch nicht neidisch auf diese Erfolge!
Ein Erfolg ist auch, dass die Dauer der durchschnitt-lichen Arbeitslosigkeit zurückgeht. Im vergangenen Jahrkonnte sie um eine Woche auf durchschnittlich 34 Wo-chen im Jahr reduziert werden. Das entlastet im Übrigendie Bundesanstalt für Arbeit um über 1 Milliarde Euro.Auch das ist ein besonderer Beitrag, damit mehr Mittel füreine aktive Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung stehen.Entscheidend bei der arbeitsmarktpolitischen Debatteist aber, dass die geforderte Reform der aktiven Arbeits-marktpolitik seit dem 1. Januar dieses Jahres in Kraft ist.Mit dem Job-Aqtiv-Gesetz haben wir die Instrumenteder Arbeitsmarktförderung gründlich reformiert. Dabeigeht es insbesondere darum, dass das Risiko von Lang-zeitarbeitslosigkeit bereits im Vorfeld erkannt und – aufden Einzelfall passgenau zugeschnitten – gegengesteuertwird. Mit dem Job-Aqtiv-Gesetz wird die größte Vermitt-lungsoffensive in der Geschichte der BundesrepublikDeutschland gestartet. Insgesamt sind 3000 neue Vermittler
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms20937
tätig. Sie bemühen sich zusammen mit den Arbeitslosen,Wege zurück in die Erwerbsarbeit zu finden. IndividuelleEingliederungsvereinbarungen halten die verschiedenenSchritte verbindlich für beide Seiten fest. Eine aktive För-dermaßnahme kann, sofern sie erforderlich ist, neuer-dings ohne entsprechende Wartezeit erfolgen. Die Ar-beitsmarktmittel können also sofort greifen. Wir habenein breites Instrumentarium an Maßnahmen geschaffen,das die Schwerpunkte insbesondere im Bereich der Qua-lifizierung setzt und es ermöglicht, Maßnahmen im Be-reich der Teilzeitarbeit oder in Form der Jobrotationdurchzuführen.Zum vorbeugenden Charakter unserer Arbeitsmarkt-politik gehört auch, dass Beschäftigte bereits in den Be-trieben qualifiziert werden können, wenn sie in besonde-rem Maße von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Das betrifftgeringer qualifizierte und ältere Arbeitnehmer. Anstattden Katastrophenmeldungen über Personalabbau einenoch größere Verbreitung zu verschaffen, sollten wir unslieber gemeinsam für die Beseitigung der Qualifizie-rungsmängel innerhalb des Arbeitsmarktes einsetzen unddafür sorgen, dass die Maßnahmen, die eingeleitet wordensind, nun auch greifen, damit den von Arbeitslosigkeit be-drohten Menschen und den Menschen, die schon arbeits-los sind, endlich Hilfe gegeben wird.
Altersarbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeitsind oft zwei Seiten derselben Medaille. Rund die Hälfteder Arbeitslosen ist älter als 50 Jahre. Aus meiner Sicht istes ein Skandal, dass 60 Prozent der Betriebe keine älterenArbeitnehmer ab 50 Jahre mehr beschäftigen. Viele Ar-beitgeber müssen endlich realisieren, dass sie nicht nurolympiareife Mannschaften brauchen, sondern auch dieErfahrung und das Know-how der Älteren. Job Aqtiv er-möglicht gerade mit Lohnkostenzuschüssen für Ältereinsbesondere auch den kleinen und mittleren Betrieben,den Wiedereinstieg solcher Personen zu organisieren.
Ihre Sorgen um das Wohl der älteren Arbeitnehmer,meine Damen und Herren von der Opposition, klängenaus meiner Sicht wahrlich glaubwürdiger, wenn Sie mit-helfen würden, deutlich zu machen, dass gegen den über-triebenen Jugendwahn dieser Gesellschaft gemeinsam ge-sellschaftlich Front gemacht werden muss,
und wenn Sie die Arbeitgeber auffordern würden, ihre so-zialpolitische Verantwortung wahrzunehmen und älterenMenschen wieder eine größere Chance zu geben.
Die Arbeitsmarktinstrumente sollten auch für spezielleProblemlagen herangezogen werden können. Ein neuerVorschlag ist die Beschäftigungsbrücke für junge Men-schen.Wir brauchen eine solidarische Aktion. Im Gegen-satz zu den früheren Entlastungsmaßnahmen wird ein ak-tiver Lösungsweg vorgeschlagen, der direkt zurNeueinstellung von Jugendlichen führt. Die SPD-Frak-tion unterstützt daher grundsätzlich die Initiative der IGMetall, dass Betriebe im Vorgriff auf später ausschei-dende Arbeitnehmer arbeitslose Jugendliche unbefristeteinstellen und gegebenenfalls weiterqualifizieren sollten.Sie sollten dafür, dass sie dieses Engagement zeigen,möglichst einen pauschalierten Lohnkostenzuschuss er-halten. Diese Maßnahmen wären strikt bis zum Jahr 2006zu befristen, weil sich dann der Geburtenrückgang infolgeder deutschen Einheit schlagartig bemerkbar macht undim Land eher Fachkräftemangel droht. Im Prinzip bietetdas Job-Aqtiv-Gesetz schon solche Möglichkeiten. Eskommt jetzt darauf an, sie passgenau zuzuschneiden. Daswäre ein konkretes Thema für das Gespräch zum Bündnisfür Arbeit. Darüber könnte trefflich diskutiert werden undes könnte an Lösungen gearbeitet werden.Darüber hinaus wäre eine Einstiegsteilzeit für Berufs-anfänger sinnvoll. Ähnlich wie bei der Altersteilzeitkönnten das Einkommen und die Sozialversicherungsan-sprüche aufgestockt werden. So würde auch Teilzeit at-traktiv.
Besonders wirksam wäre eine Verkopplung mit einerechten Altersteilzeit. Wenn nämlich ein junger Menschschon vor dem eigentlichen Personalbedarf eingestelltwürde, könnte der Ältere sein Erfahrungswissen direkt anden Jüngeren weitergeben. So entstünde im weiterenSinne eine Jobrotation mit vorgeschalteter Überlappungder Beschäftigung. In diesem Zusammenhang sollte dannauch eine ebenfalls befristete Erweiterung der Alters-teilzeit auf einen längeren Zeitraum kein Tabu sein. Dannkönnten bereits 55-Jährige in Teilzeit gehen und mithel-fen, die Beschäftigtenstruktur in den Betrieben frühzeitigzu verbessern. Das würde vor allem der recht großenGruppe der Betriebe in den neuen Ländern helfen, die ausder Zeit der Planwirtschaft überlebt haben.Das Wichtigste aber bleibt die Beschäftigungsbrückefür junge Menschen. Sie muss in der Region eine Per-spektive haben. Im Wesentlichen betrifft dieser Vorschlagden Osten Deutschlands, aber auch in einigen westdeut-schen Regionen mit Strukturproblemen sollte davon pro-fitiert werden. Auch dort sollte das genutzt werden.Ich komme zum Schluss. – Mit dem Job-Aqtiv-Gesetzstehen jedenfalls die Hebel zur Beschäftigungssicherungund zur Schaffung neuer Jobs bereit. Es kommt jetzt da-rauf an, dass die Hebel offensiv genutzt werden. Je größerdie Gemeinsamkeit dabei ist, umso erfolgreicher werdenwir die Arbeitslosigkeit in diesem Land bekämpfen.
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Klaus Brandner20938
Als
nächster Redner hat der Kollege Karl-Josef Laumann von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Sehr geehrterHerr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die zu-letzt veröffentlichte Arbeitslosenzahl in Deutschland,nämlich 3,963 Millionen Arbeitslose – man kann also sa-gen: Sie haben die 4-Millionen-Grenze nach drei JahrenRot-Grün erreicht –, hat natürlich zu einer heftigen De-batte über die Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpo-litik in Deutschland geführt und das ist auch richtig so.Für die Debatte heute ist es wichtig, dass wir unszunächst einmal über ein paar Zahlen klar werden. Wir ha-ben eine Zunahme der Kurzarbeit, Herr KollegeBrandner, um 150 Prozent.
Es arbeiten in Deutschland zurzeit 175 000 Menschenkurz. Das ist ein klares Zeichen, das wissen Sie aus IhrerPraxis als Gewerkschaftssekretär auch. In vielen Betrie-ben ist, wenn die Auftragslage schlecht ist, als erste Not-hilfe die Kurzarbeit dran; und wenn sich die Dinge in dennächsten Wochen nicht entwickeln, dann steht auch Per-sonalabbau auf der Tagesordnung.Dann gibt es einen Punkt, der sollte uns alle nachdenk-lich machen: Die Jugendarbeitslosigkeit hat um10,7 Prozent zugenommen! Nach drei Jahren Rot-Grün undtrotz JUMP-Programm sind in diesem Land 450 000 Men-schen unter 25 Jahren arbeitslos!
Das ist nun wirklich ein Skandal.
Sie müssen sich daher fragen, ob Sie mit Ihrem milliar-denschweren JUMP-Programm, das Sie im 98er Wahl-kampf nahezu wie eine Monstranz vor sich her getragenhaben – Sie haben hier im Bundestag über drei Jahre langnur dieses JUMP-Programm als Arbeitsmarktinstrumentdargestellt, haben kein anderes erfunden und kein anderesumstrukturiert –, nicht auch noch in dem Bereich ge-scheitert sind, weil die Zahlen nun einmal so sind, wie ichsie Ihnen gerade eben vorgetragen habe.Die Arbeitslosigkeit der Ausländer, die hier inDeutschland leben, ist um 8,5 Prozent gestiegen.
Ich sage Ihnen allen Ernstes: Ob die politische Klasse indiesem Lande noch ernst genommen wird angesichts die-ser Arbeitsmarktzahlen, wenn rüber kommt, dass wir auchnoch arbeitsmarktbedingte Zuwanderung zum jetzigenZeitpunkt brauchen, das sollten sich diejenigen, die diesesGeschäft betreiben, auch einmal in aller Ruhe überlegen.Dann schauen Sie sich einmal die Statistiken aus Nürn-berg an – dies ist aber eine Entwicklung, die schon überviele Jahre geht –: Mittlerweile sind zwei Drittel unsererArbeitslosen Arbeiter, mit einer steigenden Tendenz ei-ner Männerarbeitslosigkeit unter den Arbeitern. Und daswird immer schlimmer und immer mehr. Dies liegt daran,dass uns im produktiven Bereich die Arbeitsplätze weg-brechen. Die Leute, die mit der Hand ihr Geld verdienenmüssen, weil sich auch von der Mentalität her nicht jederfür einem Computer- oder Hightecharbeitsplatz eignet,haben es immer schwerer, in Deutschland Arbeit und Be-schäftigung zu finden. Das wiederum liegt daran, dass wirDeutschen es in unserem Lande nicht geschafft haben,Arbeitsplätze, die im Fertigungsbereich durch höhereProduktivität weggefallen sind, aber auch durch Auslage-rung ins Ausland, weil sie hier nicht mehr marktfähig wa-ren, dadurch zu ersetzen, dass für die Menschen in neuenArbeitsbereichen, zum Beispiel im personennahenDienstleistungssektor, neue Arbeitsplätze erschlossenwerden. Das ist nach meiner Meinung unser großes struk-turelles Problem am Arbeitsmarkt.
Deswegen ist unsere Forderung schon seit Jahren – wirhaben sie ja noch im letzten Jahr der Tätigkeit von NorbertBlüm im Arbeitsministerium konzeptionell entwickelt –,dass uns etwas einfallen muss, damit Arbeit, die zunächsteinmal niedrige Stundenlöhne in den personennahenDienstleistungsbereichen aufweist, auf der Abgaben-seite so behandelt wird, dass es für die Menschen mitBlick auf die Nettolöhne gegenüber Arbeitslosen- und So-zialhilfe interessanter ist, solche Tätigkeiten zu überneh-men.
Wenn Sie jetzt nach drei Jahren, in denen Sie sich indieser Frage gar nicht bewegen wollten,
auf einmal kommen und sagen, jetzt machen wir dasMainzer Modell – das in ganz Rheinland-Pfalz bis jetztnur 800 Leuten geholfen hat –, und behaupten, dass dasjetzt die Wunderwaffe gegen diese Arbeitsmarktentwick-lung sein soll, kann ich Ihnen nur sagen, dass dies nichtdie Reformen sind, die wir brauchen.
Auf dem Weg zu dieser Debatte im Deutschen Bun-destag wurde mir heute ein Flugblatt von einer Initiative„Neue soziale Marktwirtschaft“ überreicht. Diese Leutemahnen an: Mehr als 4 Millionen Arbeitslose warten aufReformen. – Herr Bundesminister Riester, am Ende mei-ner Rede möchte ich Ihnen gern die Wartenummer4 130 963 überreichen, damit Sie daran denken, dass dieMenschen darauf setzen, dass wir hier Reformen machen,die sie in Arbeit bringen. Wenn Sie da nichts tun, könntedas auch Ihre persönliche Wartenummer nach dem22. September sein.
Ich komme jetzt auf die heute vorliegenden Anträge zusprechen. Wir haben einen Antrag eingebracht, der besagtdass wir bei den Arbeitsmarktmaßnahmen grundsätzlichAusschreibungen, Markt und Wettbewerb wollen.Herr Bundesminister Riester, nach den Erfahrungen, die
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Sie im letzten halben Jahr mit EQUAL gemacht haben,müssten Sie jetzt der glühendste Verfechter unseres An-trags sein. Deswegen hege ich nach der Debatte und denvielen Sitzungen, die dazu stattgefunden haben, die großeHoffnung, dass auch die Mehrheitsfraktionen wissen,dass an einem Wettbewerb der verschiedenen Träger inder Arbeitsmarktpolitik, wie wir ihn schon im Antrag vomMärz 2001 gefordert haben, kein Weg vorbeigeht, weil erdie einzige Möglichkeit ist, zu verhindern, dass sich Kun-gelstrukturen zwischen denjenigen, die das Geld verge-ben, und denjenigen, die die Maßnahmen umsetzen, ent-wickeln. Hier ist der Wettbewerb die beste Lösung; er istbesser als all Ihre Kontrollmöglichkeiten, die Sie in IhremHaus zusätzlich einbauen.
Zum Schluss möchte ich noch etwas zum Gesetzent-wurf der FDP sagen. Er geht aus meiner und aus der Sichtmeiner Fraktion in die richtige Richtung.
Denn betriebliche Bündnisse für Arbeit sind gerade inZeiten des wirtschaftlichen Abschwungs ein wichtiges In-strument zur Sicherung von Arbeitsplätzen. Wir alsCDU/CSU-Fraktion haben zu diesem Thema im Zusam-menhang mit der Debatte, die wir über das Betriebsver-fassungsgesetz geführt haben, einen Antrag in den Deut-schen Bundestag eingebracht.
Ich möchte aber auch auf ein paar Unterschiede bei denAnsatzpunkten hinweisen: Erstens. Wir halten es für er-forderlich, dass betriebliche Bündnisse für Arbeit nichtnur zur Beschäftigungssicherung, wie Sie es in den Antraggeschrieben haben, sondern auch zum Beschäftigungs-aufbau vom Günstigskeitsprinzip her möglich sein müs-sen.
Zweitens. Aus unserer Sicht muss zur Sicherung derTarifautonomie – das ist sicherlich ein weitreichenderPunkt –
den Tarifvertragsparteien ein zeitlich befristetes Vetorechteingeräumt werden. Hier unterscheiden sich unsere Vor-stellungen voneinander.
Drittens. Sie haben in Ihren Antrag geschrieben, dassder Betriebsrat oder 75 Prozent der Belegschaft dem zu-stimmen müssen. Wir sind nicht für die Oder-Lösung,sondern sagen, dass Betriebsrat und 75 Prozent der Be-legschaft zustimmen müssen – wir wollen ein breitesQuorum in der Belegschaft –, weil das diejenigen, die dasGünstigkeitsprinzip wollen, dahin bringt, den einzelnenArbeitnehmern auch plausibel zu erklären, warum das fürdie Firma und die Sicherung der Arbeitsplätze notwendigist.Da die Unterschiede nicht so groß sind, dass eine Ab-lehnung gerechtfertigt wäre, werden wir als CDU/CSU-Fraktion heute in der namentlichen Abstimmung dem An-trag zustimmen.
Liebe Kollegen von der FDP, über die Unterschiede müs-sen wir uns dann, wenn wir daraus ein Gesetz machen, inder Gesetzgebungsarbeit unterhalten.
Ich denke, dass solche Reformen notwendig sind, umden Arbeitsmarkt in Deutschland wieder anspringen zulassen. Rot-Grün wäre gut beraten – die Grünen sind garnicht das Problem, sondern eher die SPD –, wenn essich solchen Veränderungen ohne ideologische Vorbe-halte stellen und überlegen würde, ob sie nicht doch zumehr Beschäftigung für die Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer in Deutschland führen könnten. Aber einePartei, in deren Programm immer noch steht, dass Zeit-arbeit verboten werden muss, und die in der Arbeits-marktpolitik nichts verändert, sondern viele Regeln inder Arbeitsmarktpolitik mittlerweile zur Brauchtums-pflege erklärt,
ist wirklich nicht in der Lage, die notwendigen Reformendurchzuführen.Schönen Dank.
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Dr. Thea
Dückert, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht,ob viele das wissen, aber am Nordpol zum Beispiel gibtes keine Pinguine. Ich sage das hier, weil viele meinen, amArbeitsmarkt gebe es Wunderwaffen. Die gibt es ebenauch nicht.
Was es am Arbeitsmarkt gibt, ist genauso eine Geogra-phie, auf die man sich einstellen muss. Die Schlussfol-gerung, die man daraus ziehen muss, ist, dass es eineganze Reihe von Maßnahmen gibt, die auf den Arbeits-markt zielen, ein Bündel von Maßnahmen und nicht nureine.
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Karl-Josef Laumann20940
Wenn wir uns die Situation der letzten Jahre ansehen,ist gewiss richtig, dass wir eine ganze Reihe von Be-schäftigung schaffenden Strukturreformen bereits ein-geleitet haben, dass wir die Rahmenbedingungen am Ar-beitsmarkt verbessert haben. Das kann man auch ander Entwicklung der Beschäftigungszahlen sehen. DieSteuerreform, die Rentenreform und vor allem auch derHaushaltskurs der Konsolidierung haben Rahmenbedin-gungen verändert und dazu geführt, dass wir beispiels-weise mit dem Einstieg in die erneuerbaren Energien auchBeschäftigungseffekte erzielt haben und im Bereich derUmwelttechnologien heute gleich viel oder mehr Be-schäftigte haben als in der Automobilindustrie.
Das alles, meine Damen und Herren, sind Entwicklun-gen, die begonnen haben und die wir weiterführen müs-sen. Richtig ist auch, dass wir in dem engen Bereich derArbeitsmarktpolitik zum Beispiel mit dem neuen Job-Aqtiv-Gesetz einen Paradigmenwechsel begonnen habenund mit dem Prinzip „Fördern und Fordern“ viel ernst-hafter umgehen können, indem wir Eingliederungsplänemöglich machen. Maßgeschneiderte Vermittlung und so-fortige Qualifizierung, neue Instrumente in der Arbeits-marktpolitik, auch mehr Konkurrenz übrigens durchVermittlung durch Dritte, das alles sind Elemente, die indiesem Jahr mit ziemlich großer Sicherheit zur Senkungder durchschnittlichen Dauer der Arbeitslosigkeit führenwerden.
Aber – das sage ich auch – wir können und dürfen dieSituation am Arbeitsmarkt nicht schönreden.
Die Arbeitsmarktsituation hat sich verbessert, weil wir zu-sätzliche Beschäftigung haben. Aber die Arbeitslosigkeitist zu hoch, da beißt die Maus keinen Faden ab.
Besondere Probleme bestehen im Osten. In vielen Be-reichen herrscht Facharbeitermangel, aber gleichzeitig isteine hohe Arbeitslosigkeit beispielsweise bei gering Qua-lifizierten zu verzeichnen. Die durchschnittliche Dauerder Arbeitslosigkeit ist hoch. Ältere und vor allem auchFrauen sind stark von Arbeitslosigkeit betroffen. Das hatviele Ursachen. Das hat konjunkturelle Ursachen, das hatweltwirtschaftliche Ursachen,
es hat auch Ursachen in den verhärteten Strukturen amArbeitsmarkt.
Das ist der Grund, aus dem wir die Strukturreformenfortsetzen werden.Ich meine, wir sollten dabei vom Ausland lernen. DaSie die ganze Zeit so schön dazwischenrufen:
Sie haben ein ganzes Jahrzehnt, die 90er-Jahre, inDeutschland die Strukturreformen am Arbeitsmarkt ver-schlafen.
Das Ausland, zum Beispiel die Niederlande oderDänemark, hat uns auf diesem Gebiet einiges vorge-macht. Natürlich brauchen wir bei der veränderten Ar-beitsmarktstruktur und bei den veränderten Anforderun-gen an die Beschäftigten eine Entwicklung, die mehr Fle-xibilität, mehr Beweglichkeit am Arbeitsmarkt zulässt.Aber wenn wir mehr Flexibilität herstellen wollen undmüssen, dürfen wir auf dem sozialpolitischen Auge derArbeitsmarktpolitik nicht blind sein. Wer Flexibilisierungwill, muss auch für soziale Verantwortung und sozialeSicherheit sorgen. Das ist der Grund, aus dem wir unszum Beispiel anders als Herr Koch heute an unseren eu-ropäischen Nachbarn orientieren wollen, an Dänemark,an den Niederlanden: weil dort Konzepte umgesetzt wor-den sind, die nicht zum Working poor führen wie bei derOrientierung an den USA.
Was wir heute von der Opposition vorgelegt bekom-men haben, ist nun wirklich
Lichtjahre entfernt von irgendwelchen Konzeptionen ge-schlossener Art,
die mit diesen strukturellen Problemen der Arbeitslosig-keit umgehen können.
Was schlagen Sie vor? Die FDP schlägt vor, das Güns-tigkeitsprinzip abzuschaffen.
Im Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion schlägtsie, weil ihr vielleicht schon aufgegangen ist, dass dies al-lein keine Wunderwaffe sein kann, weiterhin vor: alteRegelung des 630-Mark-Gesetzes, alte Regelung desKündigungsschutzes, alte Regelung der Meldepflichtenund das Vorziehen der Steuerreform. All dies schlagen Siehier vor.
Das sind alte Rezepte, mit denen Sie schon in den 90er-Jahren gescheitert sind. Ich erkenne daran nichts Neues.
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Dr. Thea Dückert20941
Was daran neu sein soll, das müssen Sie einmal erläutern.Gleichzeitig schlagen Sie wieder den Marsch in die Schul-denfalle vor, die Sie uns hinterlassen haben. Das, was Sieuns vorschlagen, führt entweder zur Verschuldung oder
zur Erhöhung der Mehrwertsteuer oder – Herr Kolb, dasschlagen Sie immer wieder gerne vor – zum Abbau von So-zialleistungen. In einer Gesellschaft, die mehr Flexibilitätund Sicherheit herstellen muss, wird daraus kein Schuh.
Wenn ich mir die Vorschläge der CDU anschaue, stelleich fest – Herr Laumann hat das gerade sehr schön ver-schleiert, weil er nur einen Punkt herausgenommen hat –,dass sie letzten Endes ein Fanbrief für das Job-Aqtiv-Ge-setz sind. Sie schlagen doch nichts anderes vor als zumBeispiel eine direktere Vermittlung oder die Einschaltungvon Dritten und damit das, was wir in der BundesrepublikDeutschland seit dem 1. Januar dieses Jahres umgesetzthaben.
– Ja, sie haben abgekupfert. Das ist wahr.Sie schlagen die Abschaffung der ABM vor. SchauenSie sich doch einmal die ostdeutschen Länder an! Sie wis-sen ganz genau, dass es dort Situationen gibt, in denenman keinen Kahlschlag vornehmen kann, weil es dortLeute gibt, die keine Alternative haben.In Ihrem zweiten Antrag schlagen Sie vor, den Kanzlerzur Gouvernante des Bündnisses für Arbeit zu erklären,damit es dann allen im Bündnis fürArbeit gut geht. Dassheute hier ein solcher Antrag in der Auseinandersetzungum das Bündnis für Arbeit vorliegt, ist ein riesengroßesArmutszeugnis. Morgen tagt das Bündnis für Arbeit.
Von Ihnen hätte ich gern einmal gehört, wie wir aus die-ser Situation mithilfe des Bündnisses für Arbeit heraus-kommen.
Ich sage Ihnen eines: Ich hoffe, dass morgen beide Ta-rifparteien in der Lage sind, aus ihren Schützengräbenherauszukommen und tabufrei zu diskutieren. Wir brau-chen für die Zukunft des Arbeitsmarktes eine tabufreieDiskussion.
Natürlich brauchen wir eine Diskussion über den Abbauvon Überstunden;
aber wir brauchen auch Handlungen, in denen das Bünd-nis für Arbeit das bestätigt, was es einmal versprochenhat,
nämlich eine beschäftigungsorientierte Tarifpolitik, einePolitik, die sich auch an den Produktivitätsentwicklungenorientiert, die zu mehr Beschäftigung und übrigens auchzu mehr Qualifizierung führt.
Die FDP fordert mehr Bündnisse für Arbeit in den Be-trieben. Ich wünsche mir, dass das Bündnis für Arbeitmorgen den Mut aufbringt, positive Beispiele, Best-Prac-tice-Beispiele wie das von VW, endlich als Orientie-rungsmaßstab zu nehmen, die dann auch in anderen Be-trieben Anwendung finden. Das sind kluge Bündnisse fürArbeit, die mit den heutigen gesetzlichen Rahmenbedin-gungen machbar sind:
Verbindung von Qualifizierung von Arbeitslosen, an derProduktion orientierter Lohnfindung und Beschäftigungs-sicherheit.Anders als andere bin ich der Ansicht, dass das Bünd-nis für Arbeit morgen auch über die Vorschläge, die dieBenchmarkinggruppe des Bündnisses für Arbeit selbstgemacht hat, debattieren sollte.
Ihren Vorschlägen kann ich nichts entnehmen. Deshalbmuss man Zeitung lesen oder Radio hören, um zu erfah-ren, was die CDU will. Man hört Widersprüchliches.
– Ja, man hört einen gemischten Chor. Herr Koch, als Ein-zelsänger,
legt das wieder neu auf, was er schon im Sommer gefor-dert hat: das Wisconsin-Modell. Jede Medaille hat zweiSeiten. Ich finde, Sie sollten beide Seiten offen und ehr-lich diskutieren. Zum einen ermöglicht dieses Modell si-cherlich die Betreuung der Arbeitslosen aus einer Handwie auch eine bessere und schnellere Eingliederung. Aberdas sind Elemente, die wir auch im Job-Aqtiv-Gesetz an-gehen. Diese Vorschläge haben aber auch eine andere,eine unsoziale Seite; das wird überhaupt nicht diskutiert.Das Wisconsin-Modell hat nämlich auch zum Inhalt, dassdenjenigen die soziale Sicherung gestrichen wird, die ir-gendwann aus dem Arbeitsmarkt wieder herauszufallen
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Dr. Thea Dückert20942
drohen. Die Struktur dieser Modelle weist also jeweilszwei Seiten, auch eine unsoziale, auf. Sie sind deshalbkeine Lösung.
Sehen wir uns einmal an, wie sich Herr Koch die Fi-nanzierung vorstellt. Er schlägt vor, zur Finanzierung30 Prozent der Mittel der aktiven Arbeitsmarktpolitik zunehmen, um sie zum Beispiel für die Vermittlungszentrenzu verwenden. Ich sage Ihnen, was das für Hessen bedeu-tet: Es würde ein Drittel der Mittel fehlen, die dort heutefür aktive Arbeitsmarktpolitik aufgewendet werden.Heute befinden sich 150 000 Menschen in solchen Maß-nahmen, die auf den ersten Arbeitsmarkt zielen. Ein Drit-tel dieser Menschen würde, wenn Kochs Vorschlag durch-gesetzt wird, diese Maßnahmen nicht mehr bekommen.Ich denke, wir sollten uns Gedanken darüber machen, wiewir die Leute in den ersten Arbeitsmarkt bringen, undsollten diese Modelle, die er vorschlägt, nicht unterstüt-zen.
Das sind Schnellschüsse. Was wir am Arbeitsmarktaber benötigen, sind sorgfältige Strukturreformen.
So brauchen wir die Zusammenführung der Sozial- undder Arbeitslosenhilfe. Wir schlagen hier die bedarfs-orientierte Grundsicherung vor.
– Ich sage Ihnen, Frau Schwaetzer, warum das nicht aufeinmal zu machen ist.
Zu Kochs Modell ist Folgendes zu sagen: Es ist deshalbnicht über das Knie zu brechen – so, wie Sie das wollen,ist das verantwortungslos –, weil dazu auch eine Gemein-definanzreform gehört. Wir wollen Strukturen eben nichtauf Kosten der Kommunen verändern. So etwas mussvorbereitet werden. So etwas muss seriös angegangenwerden.
Meine Damen und Herren, das ist einer der Punkte, diezu einer vernünftigen, langfristig angelegten Struktur-reform gehören. Darüber hinaus gehören dazu natürlichauch der Ausbau einer Kindergrundsicherung – wir wol-len nicht, dass Leute in die Sozialhilfe fallen, nur weil sieKinder bekommen – und die Verbesserung der Situationder Familien, vor allen Dingen mit Blick auf die Kin-derbetreuung. Wir brauchen eine Ausweitung der Kin-derbetreuung, damit nicht nur diejenigen, die in denGenuss des kochschen Modells kommen, in den Arbeits-markt gelangen, sondern auch andere hierzu die Chancehaben.
Wir brauchen eine Bildungsreform, weil lebenslangesLernen immer wichtiger wird. Wir brauchen eine Ge-sundheitsreform.
Das alles brauchen wir, wir brauchen Strukturreformen,um das Konzept der Haushaltskonsolidierung weiter ab-zustützen.
Wir brauchen, last but not least, die Fortführung der öko-logischen Modernisierung. Dazu haben wir länger Zeit alsdie von Ihnen gerade angesprochenen sechs Monate.
Gerade in diesen Bereichen haben wir in den vergangenendrei Jahren,
was die ökologische Modernisierung angeht, sehr vielvorzuweisen.Das sind die langfristigen Orientierungen. Wir brau-chen – das sagte ich eingangs – auch kurz- und mittelfris-tig Brücken in den ersten Arbeitsmarkt. Das heißt, dasswir Elemente, die Barrieren am Arbeitsmarkt darstellen,wie beispielsweise hohe Lohnnebenkosten, abbauenmüssen.
Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass es Sinn macht,mit Subventionierungen im niedrigen Lohnbereich dieBarrieren im Arbeitsmarkt abzubauen. Hierzu führen wireine harte Debatte; das wissen wir alle. Die IG-Metall hatgestern wieder gesagt, dass es sich nicht lohnen würde,dass 18 Milliarden Euro für ein Investitionsprogramm be-reitgestellt werden, um 500 000 Arbeitsplätze zu schaffen.Ich finde, diese Diskussion sollte anders geführt werden.
Frau Kol-
legin Dückert, entschuldigen Sie, dass ich Sie unter-
breche. Erlauben Sie zwei Zwischenfragen, einmal vom
Kollegen Schemken und einmal vom Kollegen Niebel?
Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Frau Dückert, ich habe nur
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Dr. Thea Dückert20943
eine kurze Frage. Sie haben einen bunten Strauß vonWünschen angemeldet, die man alle umsetzen müsste.Können Sie uns kurz erklären, wie viel Zeit Sie dazu brau-chen?
Die Reformen, Herr Kollege, die ich eben genannt habe,
zum Beispiel die Zusammenlegung von Sozial- und Ar-
beitslosenhilfe in einem Konzept der Grundsicherung,
sind langfristig ausgelegt und können nicht übers Knie ge-
brochen werden. Dazu werden wir die nächste Legisla-
turperiode brauchen. Ökologische Strukturreformen sind
längst angelaufen – ich habe vorhin die Zahlen genannt –
und werden die nächsten Jahre fortgesetzt; das ist völlig
klar. Auch eine Bildungsreform braucht ihre Zeit. Das
heißt, für diese Strukturreformen werden wir längere Zeit
brauchen. Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten in den
16 Jahren, die Sie Zeit hatten, nur eines dieser Reform-
projekte angegangen.
Herr Kol-
lege Niebel.
Frau Dückert, kennen Sie den Ar-
tikel in der „FAZ“ vom 18. Januar 2002, in dem Ihr Frak-
tionskollege Metzger unter anderem bemängelt, dass es
zu wenig Anreize für die Arbeitsaufnahme gebe, dass die
Bezugsdauer von Arbeitslosengeld zu lang sei, dass das
Abweichen von Tarifverträgen zur Sicherung von Be-
schäftigung dringend umgesetzt werden müsse, dass die
arbeitsmarktpolitische Situation ordnungspolitisch ver-
fehlt sei, dass die Absenkung des Schwellenwertes beim
Kündigungsschutz ein Fehler gewesen sei, dass das Teil-
zeitpflichtgesetz die Einstellung von Frauen verhindere
und dass die Neuregelung bei den 630-Mark-Jobs im End-
effekt das letzte bisschen Flexibilität auf dem Arbeits-
markt beseitigt habe? Falls Sie diesen Artikel kennen soll-
ten, möchte ich Sie fragen, wie Sie es bewerten, dass der
Kollege Metzger, der ja haushaltspolitischer Sprecher Ih-
rer Bundestagsfraktion ist, der rot-grünen Arbeitsmarkt-
politik eine schallende Ohrfeige gibt und feststellt, dass
Sie komplett gescheitert sind.
Herr Kollege Niebel, ich kenne sowohl den Artikel wie
auch das Konzept, das dahinter steht und ja letzte Woche
vorgelegt worden ist. Das Konzept ist ein finanzpoliti-
sches Konzept, in dem deutlich gemacht wird,
dass wir die Konsolidierung des Haushaltes ohne Struk-
turreformen auf dem Arbeitsmarkt nicht hinbekommen
werden.
Ansonsten sind in diesem Konzept auch die Elemente ent-
halten, die ich vorhin genannt habe: Zusammenlegung
von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, stärker fördern und for-
dern. In dem Artikel, den Sie zitiert haben, sind auch an-
dere Elemente enthalten, die in dem Konzept so gar nicht
ausgeführt sind. Wir verfolgen hier aber die Strategie, die
ich vorgetragen habe. Insofern ziehen wir auch alle an ei-
nem Strang.
Ich komme jetzt – Herr Niebel, Sie können sich wieder
setzen – zum Schluss.
Unsere Antworten auf die Frage, die Herr Niebel eben
vorgetragen hat, und auf die Einwendungen, die die
IG Metall zu dem von uns vorgeschlagenen Konzept, mit
dem wir kleine Einkommen fördern wollen, sind deutlich
geworden. Ich meine, man sollte über diese Dinge nicht in
Form von Gegensätzen diskutieren. Wir haben die Lauf-
zeit des Zukunftsinvestitionsprogramms verlängert, weil
wir natürlich im Bereich Schule und in anderen Bereichen
Investitionen brauchen. Das ist doch völlig klar. Ich glaube
aber, dass wir mit einer klaren Strategie, mit der die Lohn-
nebenkosten abgesenkt und durch Einstiegsgelder für
Langzeitarbeitslose Brücken in den Arbeitsmarkt gebaut
werden, und ähnlichen Elementen heute aktuell Politik
machen können. Beides ergänzt sich: Wir brauchen
Brücken in den Arbeitsmarkt und Strukturreformen. Erst
dann wird daraus ein Konzept.
Ich erteile
jetzt das Wort dem Kollegen Dr. Heinrich Kolb von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Angesichts dessen, was derKollege Brandner und die Kollegin Dückert hier vorge-bracht haben, kann man sich nur wundern. Seit der letztenregulären Sitzung des Bundestages vor Weihnachten sindeine Reihe weiterer schlechter Nachrichten eingegangen:Die Zahl der Arbeitslosen wird sich nach Einschätzungder Bundesregierung in diesem Winter auf 4,3 Millionenerhöhen und die Prognose für das Wirtschaftswachstumist wenige Wochen nach Verabschiedung des Haushaltesum die Hälfte auf jetzt nur noch 0,7 Prozent für das lau-fende Jahr zurückgenommen worden. Sie aber stellen sichhier hin und nehmen Konzepte der Opposition auseinan-der, anstatt selbst Vorschläge zu bringen, wie Sie mit die-ser Situation umgehen wollen.
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Heinz Schemken20944
Ich kann Ihnen, Herr Kollege Brandner, nur mehr Auf-merksamkeit empfehlen: Sie müssen offensichtlich beimUmzug in Ihr neues Büro die Kurve mit der Entwicklungder Arbeitslosigkeit verkehrt herum aufgehängt haben.
Die Arbeitslosigkeit steigt seit einiger Zeit; auch Sie soll-ten das zur Kenntnis nehmen.
Dieser Anstieg der Arbeitslosigkeit kommt übrigensnicht überraschend. Ich habe schon in meinem Beitrag zurersten Lesung des Gesetzentwurfes der FDP, der heute be-raten wird, darauf hingewiesen, dass es zu dieser Ent-wicklung kommen kann, wenn nicht gehandelt wird. AberSie haben das damals nicht ernst genommen. Ich hoffenur, dass Sie heute für unsere Argumente offener sind undunserem Vorschlag zustimmen.
– Nein, das ist kein Schnee von gestern, das ist topaktuell,Herr Dreßen.Ich weise noch einmal darauf hin: Sie haben im Mo-ment noch – das geht nicht mehr lang –
die Mehrheit in diesem Hause. Von Ihrer Regierung wirderwartet, dass sie handelt. Aber bei Ihnen ist das Motto an-gesagt: ohne Moos nichts los. Sie treten auf der Stelle. Siebeweihräuchern sich selbst. Die Grünen feiern eine Ent-bürokratisierung der 630-Mark-Verträge
und übersehen dabei ganz, dass Rot-Grün selbst die Büro-kratisierung der Beschäftigungsverhältnisse herbeige-führt hat.
Da kann man sich doch nur an den Kopf greifen!Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün,Sie haben erstens nicht den Überblick und zweitens nichtden Mut für die nötigen Entscheidungen. Wichtige Refor-men – die zögerliche Kollegin Dückert hat es hier geradenoch einmal deutlich gemacht; besser kann man es garnicht beschreiben – wie die Zusammenlegung von Ar-beitslosen- und Sozialhilfe werden auf die Zeit nach derBundestagswahl vertragt.
In der rot-grünen Koalition geht es drunter und drüber. Siehaben aus den gesetzgeberischen Pleiten der letzten drei-einhalb Jahre offensichtlich überhaupt nichts gelernt.
Sie reden, streiten und einigen sich dann über ein so ge-nanntes Tariftreuegesetz und erkennen überhaupt nicht,dass Sie mit diesem Gesetz, das morgen verabschiedetwerden soll, dazu beitragen, die ostdeutsche Bauwirt-schaft regelrecht platt zu machen.
Aber genau diese Politik haben die Menschen in unseremLande satt, und zwar Arbeitnehmer wie Unternehmergleichermaßen.Das Schlimme ist, dass der Mittelstand unter dieseraktuellen Situation besonders leidet. Schon im letztenJahr ist die Zahl der Firmenpleiten auf rund 33 000 – unddamit um 12,5 Prozent – angestiegen
– solche Zahlen hatten wir nicht, Herr Brandner – und essteht zu erwarten, dass wir in diesem Jahr einen neuendramatischen Anstieg erleben werden.
Dabei ist sicher: Solange Rot-Grün regiert, kann derMittelstand in unserem Lande keine Hilfe erwarten.
Die Sympathie und auch die Unterstützung des Kanzlersgehören offensichtlich den Großunternehmen. NachHolzmann darf jetzt Waggonbau Ammendorf auf Unter-stützung des Kanzlers hoffen. Der Mittelstand wird mitseinen Problemen regelrecht allein gelassen. Das ist auchkein Wunder; denn der zuständige Arbeitsminister, HerrRiester, ist, anstatt neue Konzepte zu erarbeiten, vollaufmit der Bewältigung der Vergabeaffäre bei dem EU-Pro-gramm EQUAL beschäftigt. Vier Stunden lang musstengestern Herr Riester, drei seiner Staatssekretäre und meh-rere Abteilungsleiter in der gemeinsamen Sitzung vonHaushaltsausschuss und Arbeitsausschuss Rede und Ant-wort stehen, wie es damals bei der Vergabe zugegangenist.
– Nein, die Antwort ist beileibe noch nicht befriedigend.Die Untersuchung werden wir – ich bedaure das, aber esist so – noch fortsetzen müssen.Zurück zur aktuellen Lage.
– Ich will gleich etwas zum Inhalt sagen, Herr Brandner. –Es kann doch wirklich keinen Zweifel mehr geben, dasswir uns in der Rezession befinden. Das kann man zwarnoch nicht in allen Details aus den Statistiken ablesen.Aber wer wie ich als Unternehmer mit Kollegen oder alsVorsitzender der Bundesvereinigung Liberaler Mittel-
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Dr. Heinrich L. Kolb20945
stand tagtäglich mit mittelständischen Unternehmern imGespräch ist,
bekommt ein klares Bild davon, wie die Situation im Mo-ment vom Mittelstand wahrgenommen wird. Dieses Bildsieht so aus: Die Auftragsbücher vieler Unternehmen fül-len sich nicht mehr, die finanziellen Eigenmittel der klei-nen und mittleren Unternehmen schmelzen wie Schnee inder Sonne, die Bankvorstände – übrigens nicht nur derGroßbanken, sondern zunehmend auch der genossen-schaftlichen Institute und der Sparkassen – sind bei derVergabe von Krediten zögerlich und zurückhaltend, dieBeiträge zur Sozialversicherung steigen und belasten dieUnternehmen, ebenso die Kostensteigerungen. Letzteresind nicht unwesentlich ein Ergebnis Ihrer Politik. Dasheißt, vielen Mittelständlern geht in diesen Tagen undWochen die Luft aus.In dieser Situation, Herr Thönnes, plant nach der jüngs-ten Umfrage jeder zweite Mittelständler in DeutschlandEntlassungen. Ich frage Sie: Wissen Sie eigentlich, wasdas bedeutet? Wir haben über 3 Millionen mittelständi-sche Unternehmen in unserem Lande. Selbst wenn jedersechste Unternehmer im Mittelstand nur einen Arbeitneh-mer entlassen würde, wären 500 000 Stellen in Deutsch-land akut bedroht, wenn sich die Politik nicht grundlegendändert.
Ich will nicht schon wieder Kassandra spielen, aber wirmüssen damit rechnen, Herr Brandner, dass die Ar-beitslosigkeit in diesem Winter noch über die Grenzevon 4,3 Millionen hinaus ansteigen wird, wenn wir hiernicht auch gemeinsam – das biete ich an – reagieren.Aber als ob es die Probleme, die ich hier beschriebenhabe, nicht gäbe, präsentiert die IG Metall Lohnforderun-gen von 6,5 Prozent mit Signalwirkung auch für andereBranchen. Im vom Kanzler für diesen Freitag geladenenBündnis für Arbeit – bei dem man sich zunehmend fra-gen muss, ob es diesen Namen eigentlich verdient; es istnämlich ein Bündnis für Arbeitslosigkeit, weil es eher zurStabilisierung der Lage am Arbeitsmarkt beigetragen hat –
weigern sich die Gewerkschaften, das Thema Tarifpoli-tik überhaupt auf die Tagesordnung zu setzen.
Die Gefahr ist groß, dass es in der anstehenden Tarif-runde zu Abschlüssen kommt, die die Unternehmen über-fordern werden. Deswegen und weil es einen Unterschiedmacht, ob man 15 oder 20 Prozent oder wie im Mittel-stand 50 Prozent Lohnkostenquote hat, ist die Verab-schiedung unseres Gesetzentwurfs umso dringlicher, weilganz klar ist, dass sich die Frage, ob Flächentarifverträgenoch zeitgemäß sind, in wenigen Wochen noch viel inten-siver stellen wird, als es in der Vergangenheit der Fall ge-wesen ist.
Umgekehrt ausgedrückt: Betriebliche Bündnisse für Ar-beit, wenn wir sie denn ermöglichen, werden eine zentraleSchlüsselrolle spielen, wenn es darum geht, Entlassungenzu vermeiden.
Ich will Ihnen unseren Gesetzentwurf noch einmal er-läutern. Die Notwendigkeit dieses Entwurfs, HerrBrandner, liegt übrigens offen erkennbar auf dem Tisch.Der Sachverständigenrat – Ihr Sachverständigenrat – hatdas in seinem jüngsten Gutachten – lesen Sie es nach,Randnummern 413 ff. – noch einmal sehr deutlich gesagt,und zwar nicht nur, um verkrustete Strukturen am Ar-beitsmarkt aufzubrechen, sondern auch, um dem einzel-nen Arbeitnehmer die Möglichkeit einzuräumen, selbst zuentscheiden, ob er oder sie für einen sicheren Arbeitsplatzauf verbriefte Rechte eines Tarifvertrages vorübergehendverzichten will.
Ich will hier noch einmal deutlich sagen: Wir als Libe-rale wollen keine Abschaffung der Tarifautonomie. Wirbekennen uns zur Tarifautonomie. Aber Beispiele wieVW, Holzmann oder Viessmann zeigen, dass wir drin-gend flexible Strukturen im Tarifrecht brauchen.
Bei den großen Unternehmen wie VW oder Holzmann,Frau Rennebach, machen die Gewerkschaften, auch wennsie sich zieren und drehen und wenden, schlussendlich jadoch mit.
Uns Liberalen geht es auch um die 3 Millionen mittel-ständischen Betriebe,
in denen es eine gut funktionierende echte Partnerschaftzwischen Unternehmer und Arbeitnehmer gibt. Die meis-ten dieser Unternehmen dürfen eben nicht auf die Zustim-mung der Gewerkschaften zur Abweichung vom Tarifver-trag rechnen. Aber auch diese Unternehmen haben einenAnspruch auf ein Ventil in Form einer gesetzlichen Rege-lung der Günstigkeit, um eine Bedrohung der Existenz desUnternehmens und auch den Verlust der Arbeitsplätze ab-wenden zu können. Wir meinen, es ist unverantwortlich,dem mündigen Bürger, dem mündigen Arbeitnehmer in
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Dr. Heinrich L. Kolb20946
unserem Lande das Recht abzusprechen, zur Sicherungdes eigenen Arbeitsplatzes beizutragen.
Ich will zum Schluss noch eines sagen: Wir haben einenamentliche Abstimmung zur Beschlussempfehlung überunseren Gesetzentwurf verlangt; das ist richtig.
Ich freue mich, dass die Kollegen von der Union mittler-weile Zustimmung signalisiert haben. Das war bei denAusschussberatungen nicht immer klar erkennbar. ImAusschuss für Arbeit und Soziales haben sie sich enthal-ten, im Wirtschaftsausschuss dafür und in anderen Aus-schüssen dagegen gestimmt.
Sie sind schlussendlich auf der Ziellinie auf unseren Kurseingeschwenkt. Das begrüße ich.
Jetzt fordere ich auch noch die Kollegen von den Grü-nen auf, mit ins Boot zu kommen. Dann haben wir näm-lich in diesem Haus eine Mehrheit.
Frau Wolf, ich schaue Sie an, auch Herrn Metzger undFrau Scheel. Ich erinnere mich noch daran, dass Ihr Frak-tionsvorsitzender Herr Schlauch vor einem Jahr spekta-kulär ebenden Vorschlag gemacht hat, den wir heute zurAbstimmung stellen. Jetzt bin ich mal gespannt, wie Siesich in der anschließenden Abstimmung verhalten wer-den.
Ich kann nur sagen: Es ist Zeit für mehr Flexibilitätauch im Tarifrecht. Ich bitte Sie um Zustimmung zu un-serem Antrag.
Das Worthat jetzt die Kollegin Dr. Heidi Knake-Werner von derPDS-Fraktion.Dr. Heidi Knake-Werner (von der PDS mitBeifall begrüßt): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Die bisherige Debatte zeigt mir eines: Die Lageist dramatisch schlecht und es gibt überhaupt nichts zu be-schönigen. Aber Patentrezepte zum Abbau der Massen-arbeitslosigkeit haben wir alle noch nicht gefunden; siegibt es wahrscheinlich nicht. Ich befürchte auch, dassnoch nicht alle möglichen Alternativen – zum Beispieldie, die von der PDS vorgeschlagen worden sind – ernst-haft geprüft worden sind. Das finde ich schade.
Ich will mich heute vor allen Dingen zum Bündnis fürArbeit und dessen Chancen äußern, weil dieses Bündnisvon der Bundesregierung selber in den Rang eines derwichtigsten Instrumente der Beschäftigungspolitik erho-ben worden ist. Bei aller Kritik an den bisherigen Ergeb-nissen des Bündnisses für Arbeit bin ich nach wie vor vonder Grundidee des Dialogs mit den Tarifvertragsparteienüberzeugt. Die soziale und ökonomische Kompetenz vonGewerkschaften und Arbeitgebern ist in dieser Frage un-verzichtbar. Nach unseren Vorstellungen hätten auch diebetroffenen Arbeitslosen bzw. ihre Vertretungen mit anden Tisch gehört.
Solche Konsensrunden sind notwendig, zukunftsorien-tiert und tragen auch dazu bei, ein Stück mehr Demokra-tie zu wagen. Ich befürchte allerdings – das meine ichwirklich ernst –, dass die Chancen vertan sind. Wenn ichmir das unsägliche öffentliche Gezerre heute und in denletzten Tagen vor den für morgen angekündigten Bünd-nisgesprächen ansehe, dann fürchte ich, dass Bundes-kanzler Schröder mit dem Bündnis für Arbeit scheiternwird.
Der angestrebte Dialog wurde von Beginn an von denArbeitgebern dominiert, zunehmend für Erpressungsver-suche missbraucht und dazu genutzt, sich in Tariffrageneinzumischen, was ich immer schon für falsch hielt.Heute dient der Dialog dazu, sich schon einmal für denWahlkampf warm zu laufen. Auch das ist dem Ernst derLage kein bisschen angemessen.
Dass Tarifpolitik Gegenstand der Bündnisgesprächesein sollte, hat selbst die CDU/CSU in ihrem Antrag kri-tisiert, der ansonsten, wie ich finde, ziemlich dünn und imÜbrigen längst überholt ist. Zu dieser Feststellung kommtman, wenn man sich die Äußerungen führender Unions-politiker heute anhört. Auch was die CDU/CSU ansonstenzur Bekämpfung der Massen- und Langzeitarbeits-losigkeit anzubieten hat, ist weder originell noch ziel-führend. Mehr Arbeitsplätze entstehen dadurch nicht.Sie glauben doch nicht im Ernst, dass 4 Millionen ar-beitslose Frauen und Männer mehr Chancen auf demArbeitsmarkt haben werden, wenn die von Ihnen vorge-schlagenen administrativen Maßnahmen für eine effek-tive Arbeitsmarktpolitik umgesetzt werden. Die Massen-arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik ist kein Ver-mittlungsproblem. Wenn in den Bundesländern durch-schnittlich 22 Arbeitslose einer offenen Stelle gegenüber-stehen, dann zeigt diese Tatsache vor allen Dingen eines:Wir haben kein Vermittlungsproblem, sondern ein Ar-beitsplatzproblem.
Dieses Arbeitsplatzproblem werden wir auch nicht mitMaßnahmen im Bereich des Niedriglohnsektors lösen
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Dr. Heinrich L. Kolb20947
können, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koali-tion.Weil wir gerade bei den nicht ganz so hilfreichen Vor-schlägen sind, will ich ein kurzes Wort zur FDP sagen.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, über IhrePhobie gegenüber dem bestehenden Tarifsystem und überIhre Absicht, die Gewerkschaften zu schwächen, habenwir uns hier schon häufig gestritten.
Ich habe wirklich nichts gegen betriebliche Bündnissefür Arbeit.
Ich habe sie immer mit großem Interesse verfolgt. Aber ei-nes sage ich Ihnen sehr deutlich: Wenn Sie dabei denFlächentarifvertrag beseitigen und das Günstigkeitsprin-zip aushebeln wollen,
dann öffnen Sie die Büchse der Pandora. Sie holen dannnicht nur die Tarifpolitik, sondern auch die Arbeitskämpfein die einzelnen Betriebe. Ob das Ihrer Klientel Recht ist,das wage ich nun wirklich zu bezweifeln.
Ich glaube nach wie vor, dass das Bündnis für Arbeitbei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hätte erfolgreichsein können, wenn der Bundeskanzler nicht vorrangig alsModerator, sondern mit Konzept agiert hätte. Weil das ge-fehlt hat, konnten die Arbeitgeber die Gewerkschaften sohäufig über den Tisch ziehen, so etwa bei der Tarifrunde2000, auf der das erste Mal eine moderate Tarifpolitik ver-abredet wurde – angeblich für mehr Beschäftigung in die-sem Land.Was ist dabei herausgekommen? Es baute sich vor al-len Dingen das Gewinn- und Vermögenseinkommen auf.Das aber ist für die Arbeitslosen zu wenig. Im Ergebnishaben sich nicht nur die Arbeitseinkommen schwächerals in den anderen europäischen Ländern entwickelt.Deutschland trägt die rote Laterne auch bei den Mas-seneinkommen, bei den öffentlichen Investitionen undfolglich natürlich auch beim Abbau der Arbeitslosigkeit.Das ist die Negativbilanz des Bündnisses für Arbeit bis-her, und dies trotz aller Vorleistungen, die Sie vor allenDingen gegenüber den großen Unternehmen erbracht ha-ben. Ich sage nur: Steuerreform, Abbau der Lohnneben-kosten. Aber bei den Arbeitsplätzen ist diesbezüglichFehlanzeige.
– Das habe ich gesagt.Jetzt, wo die Pipeline leer ist – wie Klaus Zwickel soschön sagte –, werden die Gewerkschaften mit provozie-renden Forderungen nach Lohnleitlinien und Ähnlichemüberzogen und der Konsens wird im Grunde schon imVorfeld zur Disposition gestellt und verhöhnt.Die Bundesregierung hat leider nicht den Mut gehabt– das kritisiere ich auch –, im Bündnis für Arbeit das Ge-wicht der Gewerkschaften und ihrer Mitglieder in dieWaagschale zu werfen. Sie haben leider versäumt, mit ih-nen gemeinsam den Unternehmen zum Beispiel beschäf-tigungswirksame Arbeitszeitmodelle abzuringen und end-lich verpflichtende Regelungen zum Überstundenabbaudurchzusetzen, wie wir es Ihnen mehrfach vorgeschlagenund in vielen Konzepten hier in den Bundestag einge-bracht haben.
Ich weiß, dass mir jetzt einige von Ihnen zurufen– manche laut, manche weniger laut –: Das spricht sich inder Opposition alles gut.
– Sie können ruhig zuhören, dann werden Sie schon mer-ken, dass ich Ihren Gedanken verstanden habe.Ich bin mir sehr wohl dessen bewusst, dass sich vielemeiner Ideen und Konzepte, die ich hier gerne einge-bracht habe, nun ein Stück weit in der Praxis bewährenund dort Bestand haben müssen. Hier wird es mancheErnüchterung geben. Dessen bin ich mir bewusst. Da ma-che ich mir keine Illusionen.
– Ich höre das Stichwort Berlin; dazu rede ich gerade. –Der Unterschied besteht nur darin – deshalb wage ichauch heute diese Kritik –, dass die Ausgangsbedingungenauf Bundesebene andere sind. Die Regierung hier kannüber ihre Einnahmesituation selber entscheiden – hierwerfe ich Ihnen große Versäumnisse vor – und für andereUmverteilungsprozesse die Weichen stellen.Wo ich zukünftig für Politik verantwortlich sein werde,herrscht Pleite und Mangel. Dies wurde aber nicht von unsverursacht. In Berlin haben wir nichts zu verteilen, nichtnach oben und leider auch nur ganz in Maßen nach unten.
– Über Gehälter würde ich dann, wenn ich auf Ihrem Platzsäße, wirklich nicht reden. Das muss ich einmal deutlichsagen.
Dies soll mein letzter Gedanke sein: Es gibt in der Po-litik auch Kräfte und Reserven, die in keinen Haushalteinzustellen sind, sondern in den Herzen und Köpfen derMenschen schlummern. Sie zu gewinnen und über ge-
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Dr. Heidi Knake-Werner20948
meinsame Lösungen für die Zukunft zu knobeln ist eineunabdingbare Notwendigkeit und mir jedenfalls ein wich-tiges Anliegen.
Kommen
Sie bitte zum Schluss.
Mit Ihnen, liebe
Kolleginnen und Kollegen, auch zukünftig – möglicher-
weise auf unterschiedlichen Bänken – im streitbaren und
kollegialen Dialog zu bleiben wird mir Freude machen.
Vielen Dank.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Adolf Ostertag von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Wenn ich mir die vorlie-genden Anträge und den Gesetzentwurf, die uns CDU/CSU und FDP auf den Tisch gelegt haben, anschaue
und die bisherigen Redebeiträge Revue passieren lasse,muss ich schon feststellen, dass es erschreckend ist, unterwelchen Wahrnehmungsstörungen Union und FDP inzwi-schen leiden
und wie weit dieser kollektive Gedächtnisschwund indreieinhalb Jahren Opposition fortgeschritten ist.
Ich möchte das auch gerne begründen. Erstens. Offen-sichtlich haben Sie vergessen, mit welcher erschrecken-den Arbeitsmarktbilanz Sie von den Wählerinnen undWählern in die Opposition geschickt wurden. Das solltenSie sich aber immer wieder vor Augen führen. Ich nennenur zwei Zahlen: Im Dezember 1997 hatten wir eineArbeitslosenquote von 13,1 Prozent oder 4,5 MillionenArbeitslose.
Im Dezember vergangenen Jahres, also 2001, hatten wireine Arbeitslosenquote von 10,6 Prozent oder insgesamt3,9 Millionen Arbeitslose.
Das sind 600 000 weniger.Wenn es in den nächsten Monaten mehr werden, müs-sen Sie auch das, was am 11. September passiert ist – daswollten wir alle nicht –, bedenken.
Auch vorher hatte sich die Weltkonjunktur natürlichschon abgekühlt.
– Ihr Protest zeigt, wie wenig Einsicht Sie in solche wirt-schaftlichen Entwicklungen haben. Offensichtlich habenSie das nicht begriffen.
Die Bilanz Ihrer 16-jährigen Regierungszeit zeigt dochan zwei Aspekten sehr deutlich,
dass Sie sich einen solchen Gedächtnisverlust vorwerfenlassen müssen. Wir haben an der Staatsverschuldung, diedie Politik inzwischen fast handlungsunfähig werdenlässt, und an einer Massenarbeitslosigkeit, die sich lang-fristig – über diese 16 Jahre – aufgebaut hat, zu knab-bern.Zweitens. Sie legen uns heute Anträge vor, in denen dieNeuorganisation der Arbeitsmarktpolitik verlangt
und erneut nach Deregulierung geschrien wird. WozuIhre Vorstellungen von aktiver Arbeitsmarktpolitik in derVergangenheit geführt haben, konnten wir uns in der Ver-gangenheit ja überzeugen. Ihre Deregulierungsorgien derletzten Jahre betrafen ausschließlich die Arbeitnehmerin-nen und Arbeitnehmer: Aushöhlung des Kündigungs-schutzes, Rückführung der Lohnfortzahlung im Krank-heitsfall, Abschaffung des Schlechtwettergeldes fürBauarbeiter usw. usf. – die Liste können wir wirklich übermehrere Seiten fortsetzen.
Was hat das für die Arbeitsmarktsituation, für die Be-schäftigung gebracht? Nichts außer Massenarbeitslosig-keit und einen Scherbenhaufen in den Bereichen, in denenSie dereguliert haben.Jetzt kommen Sie wieder mit den alten, gescheitertenKonzepten und den gleichen Worthülsen der Vergangen-heit. Die Beiträge von Herrn Laumann und Herrn Kolbhaben gezeigt, dass Sie keine neuen Konzepte haben, son-dern dass Sie an dem festhalten, was Sie in Ihrer Regie-rungszeit vermasselt haben. Ich kann Ihnen versichern,
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Dr. Heidi Knake-Werner20949
dass die Koalitionsfraktionen diese rückwärts gewandtenVorstellungen ablehnen werden.
Meine Damen und Herren, die Wirklichkeit hatte Sieschon während der 16-jährigen Regierungszeit überholt.Auch in den letzten dreieinhalb Jahren Opposition habenSie die Kurve nicht bekommen. Trotzdem sind Sie immernoch bei diesen alten Deregulierungsvorschlägen und die-ser alten Deregulierungsleier.Ich glaube, die rot-grüne Koalition hat richtig gehan-delt.
In diesen dreieinhalb Jahren haben wir einen Teil dieserErblast abgebaut. 430 000 Arbeitslose weniger – einRückgang von rund 10 Prozent – stehen auf der Positiv-seite.
Wir haben immer wieder betont, dass das natürlich zu we-nig ist. Es ist aber ein ordentlicher Schritt. 1,2 Millionenneue Arbeitsplätze sind entstanden; das ist ein ordentli-cher Sprung. Das muss man im Vergleich zu den ZahlenIhrer Regierungszeit, die viel länger war, sehen.
Im Einzelnen: Wir sind bei unserer aktiven Arbeits-marktpolitik eben nicht mit der Gießkanne über dasLand gezogen, sondern wir haben spezielle Angebote undModelle für besondere Personengruppen entwickelt. Dashat sich ausgezahlt. Von 1998 bis 2001 ist die Arbeitslo-sigkeit bei den älteren Arbeitnehmern – ab 55 Jahre – umein Viertel, also um 25 Prozent zurückgegangen. DieLangzeitarbeitslosigkeit ist um 15 Prozent zurückgegan-gen, die Jugendarbeitslosigkeit um 6 Prozent. HerrLaumann, trotz des Anstiegs im letzten Jahr ist sie in die-sen drei Jahren um insgesamt 6 Prozent zurückgegangen.Mit JUMPhaben immerhin über 330 000 Jugendliche indiesem Land neue Perspektiven bekommen. Wer sich dortumschaut, wo die Projekte laufen, der weiß, dass es bei denjungen Leuten einen Motivationsschub gegeben hat. Genaudas brauchen wir. Das sollten wir nicht klein reden, sonderndas sollten wir offensiv nach außen vertreten.
Die Zahl der schwerbehinderten Arbeitslosen ist um12 Prozent zurückgegangen. Das Programm „50 000 neueJobs für Schwerbehinderte“ greift. Das ist erfreulich.Auch hier sollten wir gemeinsam eine offensive Vertre-tung nach außen zustande bringen.Das sind positive Zahlen. Ich glaube, die aktive Ar-beitsmarktpolitik der rot-grünen Koalition, die in eingesamtes und nachhaltiges Politikkonzept aus Sozial-,Wirtschafts-, Steuer-, Finanz- und Haushaltspolitik einge-bettet ist, liegt richtig. Wir haben die Flexibilisierung derArbeitszeit durch die Förderung von Teilzeitarbeit und be-fristeten Beschäftigungsverhältnissen unterstützt. Un-ternehmen und Arbeitnehmer haben ein wirklich wichti-ges Instrument zur Ausgestaltung der Arbeitszeit in dieHand bekommen.Auch zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist da-mit etwas getan worden. Das sollte man nicht vergessen.
Die Arbeitsförderung wurde modernisiert. Zunächst ha-ben wir – erinnern Sie sich daran – mit einem Vorschalt-gesetz die bürokratischen Hemmnisse abgebaut, die Siewährend Ihrer 16 Jahre Regierungszeit geschaffen haben.
Dann haben wir mit unserem Job-Aqtiv-Gesetz einenwichtigen Schritt gemacht, der die Effizienz und Zielge-nauigkeit der Arbeitsmarktpolitik vor Ort steigern wird.Fragen Sie einmal in den Arbeitsämtern in Ihren Wahl-kreisen nach. In meinem Arbeitsamtbezirk stehen neunVermittler mehr zur Verfügung, die in den Betrieben mitden Beschäftigten und den Arbeitgebern, aber auch mitden Arbeitslosen reden können. Das sind ganz konkreteAuswirkungen dieses Job-Aqtiv-Gesetzes vor Ort. Viel-leicht überprüfen Sie einmal die Situation bei sich selber.Wir werden so frühzeitig die betriebsnahe Qualifizie-rung voranbringen. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt.Wir werden die individuelle Vermittlung vorantreiben.Das Prinzip „Fördern und fordern“ wird in diesem ganz-heitlichen Prozess der Arbeitsvermittlung letztendlichEinzug halten.Außerdem – auch das sei noch gesagt – unterstützenwir den Beschäftigungsmotor Mittelstand. Herr Kolb, Siehaben das Thema angesprochen.
Im Zuge der Steuerreform werden in den nächsten Jahrennoch einmal 15 Milliarden Euro zur Unterstützung desMittelstandes zur Verfügung gestellt, weil wir wissen,dass in erster Linie dort Beschäftigung geschaffen wird.
Wir haben einen Schwerpunkt auf Ostdeutschland ge-legt. Mit der Fortsetzung des Solidarpaktes werden wir inden nächsten 15 Jahren insgesamt 156 Milliarden Euro inden neuen Ländern investieren. Ich glaube, das ist insbe-sondere für die Infrastruktur wichtig, die dort aufzubauenist.
Lassen Sie mich auch etwas zur besonderen Bedeutungdes Bündnisses für Arbeit sagen. Dieser Regierung istletztlich gelungen, was Kohl, Blüm und Ihre Fraktion tor-pediert haben.
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Adolf Ostertag20950
Diese Regierung sitzt morgen wieder mit Gewerkschaftenund Arbeitgebern an einem Tisch, um gemeinsam Lö-sungswege zu finden.
Es ist erfreulich, dass die Union nach dem vorliegen-den Antrag das Bündnis inzwischen als wichtiges Forumerkannt hat. Das sehen wir als einen wichtigen Schritt an.Allerdings sind die Anforderungen, die Sie in diesem An-trag aufgeschrieben haben – ich glaube, es sind insgesamtsieben –, in der Tat realitätsfern.Die Bundesregierung hat ihre Hausaufgaben im Bünd-nis gemacht. Immer wenn wir diese Erfolge in Gesetzegegossen haben, haben Sie übrigens dagegen gestimmt.Das kann man anhand einiger Punkte aufzählen.
Jetzt ist es vor allem an den übrigen Bündnispartnern, dieVereinbarungen umzusetzen und den Abbau der Arbeits-losigkeit weiter aktiv und offensiv voranzutreiben,
zum Beispiel den Abbau von 1,8 Milliarden Überstun-den, die in dieser Republik jährlich anfallen. Es entstehenHunderttausende von Arbeitsplätzen, wenn wir nur dieHälfte der Überstunden abbauen. Hier sind besonders dieArbeitgeber und natürlich auch die Betriebsräte und dieGewerkschaften gefordert, aktiv zu werden.Wir brauchen auf der Grundlage unseres Gesetzesmehr Teilzeitbeschäftigung. Wir müssen flexible Modellezur Arbeitszeitverkürzung bei der Wochen-, Jahres- undLebensarbeitszeit entwickeln. Der Gesetzgeber hat dazudie Rahmenbedingungen geschaffen.Das Fazit: Wir alle wissen, dass Arbeitsmarktpolitik al-lein keine Arbeitsplätze schafft. Sie schafft nur die Rah-menbedingungen. Diese Rahmenbedingungen sind in un-serer Regierungszeit viel besser geworden. Jetzt kommtes darauf an, dass die Akteure auf dem Arbeitsmarkt diegebotenen Chancen ergreifen. Hierbei sind natürlich ins-besondere die Betriebe gefordert. In den Betrieben müs-sen bestehende Arbeitsplätze gesichert und neue geschaf-fen werden. Hier gilt es, Kreativität zu fördern undvoranzubringen. Es gibt viele einzelne Beispiele. Ebenist schon dazwischengerufen worden: Bei drohendenVerlusten von Arbeitsplätzen in großen Betrieben, in Ver-waltungen, bei Banken und Versicherungen sollen sichdie Herrschaften in den Vorständen, die jährlich ein Milli-oneneinkommen erzielen, etwas einfallen lassen, zumBeispiel das, was sich schon vor Jahren der Vorstand beiVW hat einfallen lassen oder auch was in vielen kleinenbetrieblichen Bündnissen geschaffen worden ist,
nämlich kreative Lösungen, um nicht Hire-and-fire-Poli-tik zu betreiben, sondern Arbeitsplätze zu sichern und zuschaffen. Das ist das Gebot der Stunde. Dann kommen wiraus dieser Beschäftigungssituation heraus und werdenviel bessere Zahlen bekommen.Vielen Dank.
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Claudia Nolte von der CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Wenn wir im Bundestag überdie Arbeitsmarktsituation sprechen, kommen wir nichtumhin, auch die besondere Situation in den neuen Bun-desländern zu betrachten.
Denn die schwierige wirtschaftliche Lage zeichnet sichdort in einem viel stärkeren Maße ab.Wir wissen alle, dass die Angleichung der Lebensver-hältnisse nicht in dem Tempo vonstatten gegangen ist, wiewir alle gehofft haben. Ich mache der Bundesregierungnicht den Vorwurf, dass die Lohnangleichung zwischenOst und West noch nicht stattgefunden hat. Aber manmuss dieser Bundesregierung vorwerfen, dass die Scherezwischen Ost und West wieder größer wird. Das ist deut-lich anders als früher bei uns, lieber Herr Ostertag.
Wir haben insgesamt steigende Arbeitslosenzahlen,geringere Beschäftigungszahlen und ein geringes Wirt-schaftswachstum. Aber dadurch, dass sich diese Entwick-lung in den neuen Ländern viel schärfer abzeichnet,kommt es nicht zu einer Angleichung, sondern zu einemweiteren Auseinanderdriften der Lebensverhältnisse.Wenn man die vielen Beschäftigten in ABM, SAM, Um-schulungen,
und im Vorruhestand dazuzählen würde, dann würde dasBild noch viel gravierender ausfallen.Als der Bundestagspräsident, Herr Thierse, vor einemJahr die These vertrat, Ostdeutschland stehe wirtschaft-lich auf der Kippe, sind Sie von der SPD nervös gewor-den, haben versucht zu relativieren und hätten ihm amliebsten parteischädigendes Verhalten vorgeworfen. Aberes hat nicht dazu geführt, dass Sie etwas dagegen tun.
Selbst Herr Thierse muss konstatieren, seine vor einemJahr angeregte Diskussion zur Lage in Ostdeutschland seibei der Aufrechnung von Licht und Schatten stehenge-blieben, während die Wiederbelebung des Aufbaus Ostnicht erfolgt sei. Dies erklärte er am Dienstag vor der
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Adolf Ostertag20951
Industrie- und Handelskammer Schwerin. So war jeden-falls gestern im „Tagesspiegel“ zu lesen. Der Aufholpro-zess im Osten stagniert; er findet nicht mehr statt.Diese Entwicklung hat neben anderen Effekten vor al-lem den Effekt, dass Menschen den neuen Bundesländernzunehmend den Rücken kehren. Das ist eine in meinenAugen sehr gefährliche Spirale, die nach unten führt unddie man auch nicht ohne weiteres umkehren kann. Dennwir wissen alle, dass gerade die jungen Menschen, diemobil sind und dorthin gehen, wo sie für sich Zukunfts-chancen erwarten, uns den Rücken kehren, weil es für siekeine lohnende Arbeit gibt.Es ist generell gut, wenn junge Menschen flexibel sind,woanders hingehen, andere Länder kennenlernen und Er-fahrungen machen. Es wäre dann kein Problem, wennwiederum andere in die neuen Länder kämen, um dort ihrespeziellen neuen Erfahrungen zu machen, und somit einausgeglichener Saldo der Wanderungsbewegung entste-hen würde. Dies ist aber nicht der Fall, sondern uns feh-len diese junge Menschen und das macht sich schon jetztin einer veränderten Sozialstruktur bemerkbar, indemsich der Anteil der Bevölkerung in den neuen Bundeslän-dern, der sich aus Rentnern, Sozialhilfeempfängern undArbeitslosenhilfeempfängern zusammensetzt, gegenüberden Menschen, die produktiv tätig sind, prozentual deut-lich erhöht. Das stellt natürlich auch die Kommunen, dieschließlich eine gewisse Infrastruktur vorhalten müssen,vor erhebliche Schwierigkeiten. Das führt zudem zu derkonträren Situation, dass es trotz einer hohen Arbeitslo-sigkeit teilweise einen Fachkräftemangel gibt.Am schlimmsten ist die Situation für die älteren Ar-beitssuchenden, die schon viele Jahre arbeitslos sind undinzwischen Arbeitlosenhilfe beziehen. In dieser Situationkommt die Sozialdemokratie auf die Idee, die Zuschüssezur Rentenversicherung bei Arbeitslosenhilfeempfängernso gravierend zu senken, dass sich das gerade bei denMenschen im Osten erheblich bemerkbar machen wird.Dadurch wird sich die Einkommenssituation in den neuenBundesländern von der im Westen auf Dauer erheblichunterscheiden. Sie manifestieren dies. Dafür sind Sie ver-antwortlich.Es ist sicherlich richtig, dass die Politik nicht alles rich-ten kann. Aber es wäre falsch zu sagen, sie könne nichtsrichten. Wir, die Abgeordneten aus Thüringen, haben inder Debatte über die Frage „Kippt der Osten?“ sehr deut-lich darauf hingewiesen, dass die Situation in den neuenBundesländern differenziert zu betrachten ist. Schaut mansich die Arbeitslosenquoten und die wirtschaftliche Ent-wicklung in den einzelnen neuen Bundesländern genauan, dann stellt man fest, dass Thüringen und Sachsensehr viel besser dastehen als Mecklenburg-Vorpommernund Sachsen-Anhalt.
Das hat damit zu tun, dass in Thüringen und Sachsen jah-relang andere Prioritäten gesetzt worden sind, nämlich fürmehr Investitionen und für weniger Konsum.
Es ist kein Zufall, dass Thüringen und Sachsen CDU-re-gierte Länder sind. Anderswo macht man rote Experi-mente.
Nun ist auch die Bundesregierung gefordert, entspre-chende Prioritäten zu setzen. Wir erwarten, dass mehr inden neuen Bundesländern investiert wird und dass Inves-titionsvorhaben vorgezogen werden, und zwar gerade imBereich der Verkehrsinfrastruktur, weil Straßen undSchienen die Lebensadern der Regionen sind.Natürlich kann auch die aktive Arbeitsmarktpolitikihren Beitrag leisten. Ich habe nie verstanden, warum Siedas arbeitsmarktpolitische Instrument, das am erfolg-reichsten war, nämlich die Lohnkostenzuschüsse für ost-deutsche Betriebe, so beschränkt haben. Mit keinem an-deren arbeitsmarktpolitischen Instrument sind so vieleÜbergänge in den ersten Arbeitsmarkt erreicht worden.Deshalb finde ich es wichtig, dass wir dieses Instrumen-tarium wieder mehr in den Vordergrund stellen.
Für den Aufbau Ost reicht es nicht, im Kanzleramt ei-nen Beauftragten zu haben, dessen Namen im Osten kaumjemand kennt. Es reicht erst recht nicht, den Aufbau Ostzur Chefsache zu erklären, wenn man einen Chef hat, demder Aufbau Ost ziemlich egal ist und für den er keine Her-zenssache ist.
Das merken die Menschen. Ein kurzer Sommertrip durchdie neuen Bundesländer und der Besuch von Cousinensind nicht das, was wir brauchen. Wenn das Bündnis fürArbeit einen Sinn haben soll – Sie suchen ja noch nach ei-ner Tagesordnung –, dann müssen Sie das Thema „Auf-bau Ost“ endlich mit auf die Tagesordnung der Bündnis-gespräche setzen.
Das Worthat jetzt der Bundesminister Walter Riester.Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-zialordnung: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Da-men und Herren! Bevor ich mit meiner Rede beginne,möchte ich von dieser Stelle aus jemandem herzliche Ge-nesungswünsche übermitteln, der sich an der heutigenDebatte sicherlich engagiert beteiligt hätte, wenn er nichtim Krankenhaus liegen würde, nämlich Horst Seehofer.Wir freuen uns, wenn er wieder unter uns ist und sich wie-der aktiv an den Debatten beteiligen kann.
Herr Laumann, Sie haben mir vorhin ein Kärtchen ge-geben, auf dem steht: 4 Millionen Arbeitslose im Januar.Stellen Sie sich einmal vor, auch ich hätte Ihnen im letz-ten Januar Ihrer Regierungszeit ein Kärtchen gegeben.Auf dem hätte dann die Zahl 4 823 000 stehen müssen.
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Claudia Nolte20952
Der große Unterschied zwischen diesen beiden Zahlenlässt sich nur durch unsere aktive Politik für mehr Arbeits-plätze erklären, mit der wir 1,1 Millionen neue Jobs ge-schaffen haben.
Wir haben die Arbeitslosigkeit massiv abgebaut. Wir ha-ben bei den Gruppen angesetzt, die auf dem Arbeitsmarktalleine nur wenige Chancen haben. Das sind junge Men-schen, zum Beispiel Schulabgänger ohne Hauptschul-abschluss. 370 000 junge Menschen haben an dem Son-derprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeitteilgenommen. Davon haben 275 000 einen Arbeits-, Aus-bildungs- oder Weiterbildungsplatz gefunden.
Herr Bun-desminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-zialordnung: Nein, ich möchte die Arbeitsmarktpolitik derBundesregierung im Zusammenhang darstellen.
Der nächste Punkt betrifft den Abbau der Arbeitslosig-keit von schwerbehinderten Menschen. Gemeinsam mitder Wirtschaft, den Gewerkschaften und den Behinder-tenverbänden haben wir uns das Ziel gesetzt, die Zahl derarbeitslosen Schwerbehinderten um 25 Prozent zu sen-ken. Zwischenzeitlich haben wir eine Senkung um 15 Pro-zent erreicht. Das ist eine Sache, die mich sehr freut.
Die Langzeitarbeitslosigkeit ist die Verfestigung, dieam schwersten abzubauen ist. 240 000 Langzeitarbeits-lose weniger als im Jahr 1998 – das ist aktive Arbeits-marktpolitik!
Die 4 Millionen, Herr Laumann, treiben uns natürlichan. Da müssen wir weiter aktiv bleiben.
Genau deswegen setzen wir mit der größten Vermitt-lungsoffensive ein, die jemals in deutschen Arbeitsämternangegangen worden ist.
Das Job-Aqtiv-Gesetz regelt nicht nur die Vermittlunginhaltlich neu, indem jedem sofort eine Vereinbarung ange-boten wird, in der die Förderung, aber auch die Forderungenan den Einzelnen festgelegt werden. Wir organisieren auchdie personelle Unterstützung für die Vermittlungsoffensive:Es gibt zusätzlich insgesamt 3 000 Vermittler, 2 000 in denArbeitsämtern und 1 000 außerhalb der Arbeitsämter. Dasist Job Aqtiv!Der Gesetzgeber ist massiv voranmarschiert. Die Ar-beitsämter qualifizieren ihre Vermittler seit Oktober. Diestehen sozusagen Gewehr bei Fuß.
Es gibt noch einen weiteren Aspekt. Durchschnittlichwerden monatlich 300 000 offene Stellen gemeldet. Dassind etwa 3,6 Millionen offene Stellen im Jahr. Im Mo-ment – so sagen die Wirtschaft und das Handwerk – gibtes zwischen 1,5 Millionen und 1,7 Millionen offene Stel-len. Wenn diese den Arbeitsämtern gemeldet würden – ichweiß, das funktioniert nicht mit 1 Million offener Stellen –,wenn mehrere Monate lang statt 300000 Arbeitsplätze600000 gemeldet würden, dann wäre das eine Vermitt-lungsoffensive, die wirklich zum Abbau der Arbeitslosig-keit führen würde. Dort setzen wir an.
Das wäre eine Möglichkeit im Rahmen des Bündnissesfür Arbeit, die keine Mark kosten,
aber Beiträge von allen Seiten erfordern würde: die Ver-mittlungsoffensive des Gesetzgebers, aber auch die Mel-dung der offenen Stellen. Dort müssen wir ansetzen unddort werden wir ansetzen. Wir werden die Arbeitslosigkeitdamit Schritt für Schritt weiter abbauen.
– Wenn die Diskussion beendet würde, könnte ich fort-fahren.Meine Damen und Herren, ich habe mir heute die Vor-schläge des Ministerpräsidenten von Hessen, Herrn Koch,angehört. Er hat Vorschläge zur Sozial- und Arbeitslosen-hilfe eingebracht, die er gern umsetzen möchte. Ich sageIhnen: Die Richtung halte ich für richtig – eindeutig.
Ich bin froh darüber, dass Herr Koch ein Stück weit in derWirklichkeit angelangt ist. Was er vorschlägt, bezieht sichnicht auf Wisconsin; was er vorschlägt, wird größtenteils
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Bundesminister Walter Riester20953
bereits praktiziert: beispielsweise im Main-Kinzig-Kreis,in Marburg, aber vor allem auch im Job-Aqtiv-Gesetz.
Ich hätte mich gefreut, wenn Hessen dieser Initiative imBundesrat zugestimmt hätte.
Es gibt aber auch einige Punkte, die ich nicht teile – daswill ich Herrn Koch überhaupt nicht vorwerfen; darübermuss man diskutieren –, beispielsweise in Bezug auf dieFinanzierung. Ich teile es nicht, wenn der Herr Koch sagt:Sanktionsmöglichkeiten können sich doch nicht auf dieSozialhilfe beschränken. Wenn er damit darauf abzielt,das Wohngeld oder das Kindergeld zu streichen, dannkann ich dazu nur sagen: Ich halte das für falsch. Das kanner auch gar nicht.Fernab jeder Wahlkampfrhetorik sage ich: Ich würdemich freuen, wenn mehr wirklich offensive Vorschlägeunterbreitet würden, bei denen die Grundrichtung stimmt.Über die Einzelpunkte, die dann ebenfalls wichtig sind,müsste man sprechen.Wir wollen die Verzahnung von Arbeitslosenhilfeund Sozialhilfe.
– Entschuldigen Sie! Wir machen dies nicht nur in 30 Ar-beitsämtern. 100 Arbeitsämter haben zwischenzeitlichKooperationsvereinbarungen mit Sozialämtern geschlos-sen. 60 Prozent der Arbeitsämter gehen aktiv an diese Ar-beit heran.
Wenn Sie sagen, Sie wollen das, dann sprechen Siebitte schön mal mit Ihrer Kollegin Nolte, die sich geradedarüber empört hat, dass wir bei den Arbeitslosenhilfe-empfängern die Zuschüsse zur Rentenversicherung ge-senkt haben.
Und gleichzeitig erklären Sie, Sie wollen die Arbeits-losenhilfe ganz streichen bis hin zur Ausgabe von Le-bensmittelkarten! Wissen Sie, was das heißt?
Dies würde im Zweifelsfall bedeuten, dass die gesamtenBeiträge zur Rentenversicherung wegfallen. Das mussman wissen.
Frau Nolte, in dieser Frage kann man sich nicht schlankmachen, da werden Sie gefordert sein, da muss Butter beidie Fische! Das muss man als Oppositionspartei dann aus-halten. Man kann sich nicht hierher stellen und sagen: Daswirft man uns vor. – Das betrifft nicht nur die Haushalts-konsolidierung.Wenn wir eine Verzahnung von Arbeits-losenhilfe und Sozialhilfe wollen, dann müssen wir dieseBereiche auch gemeinsam angehen. Wenn Sie das wollen,sind Sie herzlich eingeladen. Aber wegtauchen, das gehtin dieser Frage nicht.Dieses Problem wird von uns angegangen. Die Lösungwird von uns nicht nur vorbereitet, sondern sie wird in30 Arbeitsämtern schon praktiziert, wo sich der Bürgerbei einer einzigen Anlaufstelle mit dem Leistungsangebotsowohl des Sozialamtes als auch des Arbeitsamtes Hilfeverschaffen kann, um möglichst schnell in Arbeit zu kom-men. Alle Konzepte, für die ich Verantwortung trage, wer-den sich danach ausrichten, ob sie geeignet sind, Leis-tungsempfänger in den Arbeitsmarkt zu bringen.Auch das ist ein Punkt, bei dem ich Zweifel habe, dasssich das, was Herr Koch heute gesagt hat, einlösen lässt.
Er sagt: Wir werden jedem Arbeitslosenhilfeempfängerund jedem Sozialhilfeempfänger ein Arbeitsangebot ma-chen. – Dies würde im Zweifelsfall ein riesiges Aufblähendes öffentlich geförderten zweiten Arbeitsmarktes be-deuten. Darüber muss man sprechen. Er wird nicht auto-matisch die Angebote im ersten Arbeitsmarkt haben. Des-wegen würde ich eine solche Parole nicht herausgeben.Unser Ziel muss es sein, Leistungsempfänger in Arbeit zubringen. Daran haben wir mit der Schaffung von 1 MillionArbeitsplätzen und mit der Verringerung der Arbeitslo-senzahl um über 400 000 erfolgreich gearbeitet. DiesenProzess werden wir unbeirrt mit Tempo weiterführen.Alle werden dabei mithelfen müssen.
Zu einer
Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Dirk
Niebel von der FDP-Fraktion.
Herr Minister Riester, Sie habenleider keine Zwischenfrage zugelassen. Deswegen wähleich das Instrument der Kurzintervention.Sie haben gegenüber dem Deutschen Bundestag denEindruck vermittelt, dass die Oppositionsanträge – hier be-ziehe ich mich jetzt auf den vorliegenden Antrag der FDP-Bundestagsfraktion zur Zusammenlegung von Arbeitslo-senhilfe und Sozialhilfe – zu einer vermehrten Altersarmutführen würden. Das ist falsch, das ist definitiv unrichtig.Sie wissen, dass Sie hiermit dem Deutschen Bundestagnicht die Wahrheit gesagt haben. In unserem Konzept zurZusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfeist explizit vorgesehen, dass die rentenrechtlichen Rege-lungen der Arbeitslosenhilfe auf die Sozialhilfe übertragen
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Bundesminister Walter Riester20954
werden. Das ist eine definitive Verbesserung der Altersab-sicherung der zukünftigen Hilfeempfänger.
Sie sollten hier keinen Popanz aufbauen, der im End-effekt verhindert, dass zwei steuerfinanzierte, bedürftig-keitsabhängige Sozialtransferleistungen, die alleine durchdie Doppelverwaltung 4 Milliarden Euro im Jahr ver-schlingen, zusammengeführt werden. Hier müssen wirendlich die Schritte gehen, die Ihre Kollegen aus Rhein-land-Pfalz, Herr Gerster, und aus Nordrhein-Westfalen,Herr Schartau, auch öffentlich fordern.Sie regieren seit drei Jahren und bewegen sich in die-ser Sache nicht. Stattdessen machen Sie alle möglichennetten Vorschläge, wie Sie die Statistiken verändern kön-nen. Das ist nicht zielführend. Sie müssen Vorschläge ma-chen, wie man Arbeitsplätze zur Verfügung stellt. Hiermüssen Sie ideologiefrei herangehen. Ihre Regierung hatzu Beginn dieses Jahres die steuerliche Absetzbarkeit beiden sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen in pri-vaten Haushalten gestrichen. Ich frage Sie jetzt offen undehrlich: Worin besteht der Unterschied zwischen einer so-zialversicherungspflichtigen Beschäftigung in einemHaushalt, in einem Handwerksbetrieb oder in einem In-dustrieunternehmen? Hier gehen Sie ideologieverbrämtan die Sache heran, statt Arbeitslosigkeit abzubauen.
Herr
Minister, bitte.
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Herr Abgeordneter Niebel, ich bin Ihnen
sehr dankbar, dass Sie, statt laufend dazwischenzurufen,
eine Kurzintervention machen. Das finde ich sehr gut. Ihr
kann man nämlich folgen.
Erstens. Wenn die rentenrechtlichen Regelungen der
Arbeitslosenhilfe auf die Sozialhilfe übertragen werden,
müssen die Kommunen etwa 5,3 Milliarden zusätzliche
Mittel in die Rentenversicherung einzahlen.
– Wenn Sie das wissen, dann sagen Sie das auch den Kom-
munen. Wenn Sie aber der Meinung sind, das solle der
Bund bezahlen – so habe ich es jetzt gehört –, dann sagen
Sie gleichzeitig dazu, dass diese Mittel eine Verschuldung
in Höhe von 5,3 Milliarden auslösen. Wenn Sie das der
Öffentlichkeit nicht sagen, dann belügen Sie die Öffent-
lichkeit. Diesen Vorwurf muss ich Ihnen machen.
Zweitens. Sie haben die sozialversicherungspflich-
tigen Arbeitsverhältnisse angesprochen. Dazu kann ich
Ihnen gern Auskunft geben. Deren Zahl ist in drei Jahren
um 700 000 gestiegen. Das ist die Wahrheit.
Wenn Sie noch einmal intervenieren wollen, können
Sie das gern machen. Ich lade Sie herzlich dazu ein.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Johannes Singhammer, CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsi-dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bun-desminister, nach dreieinhalb Jahren rot-grüner Regie-rung sieht die Bilanz nicht nur ernüchternd aus, sonderndie Menschen in unserem Land haben das Vertrauen in dieRegierung verloren.
Der Bundeskanzler, Ihr Chef, hat beispielsweise vorzwei Jahren, am Tag der Arbeit, versprochen, die Arbeits-losenzahlen auf deutlich unter 3,5 Millionen zu senken.Vor wenigen Tagen hat Ihr Staatssekretär Andres erklärt,man rechne mit 4,3 Millionen Arbeitslosen. Damit hat dierot-grüne Bundesregierung ihr wichtigstes Ziel nicht er-reicht, ihr wichtigstes Versprechen nicht eingelöst. EineBesserung ist nicht in Sicht: Rot-Grün muss weg!
In den dreieinhalb Jahren Ihrer Regierungszeit habenSie im Akkordtempo, sozusagen am Fließband, Ankündi-gungen – so wie jetzt gerade wieder – feierlich zelebriert,um sie später schamhaft zurückzunehmen. Viele erinnernsich noch daran, dass den Rentnern von diesem Bundes-kanzler am 17. Februar 1999 versprochen wurde: Ichstehe dafür, dass die Renten auch in Zukunft so steigenwie die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer. – EinigeWochen später hat er sich in der Sendung von FrauChristiansen entschuldigt und gesagt: Wenn ich könnte,würde ich mich bei jedem Einzelnen entschuldigen.Tatsache ist, dass das soziale Gleichgewicht verlorengegangen ist. Im Jahre 2002 werden den Menschen inDeutschland Beiträge für eine private Rente abgezogen,welche Gutverdienende mehr fördert als diejenigen miteinem kleinen Geldbeutel.
Wir werden nicht alles anders machen, aber vielesbesser– das hat der Bundeskanzler versprochen.
Heute trägt Deutschland die rote Laterne in der Europä-ischen Union, während es in den Jahren davor immer dieLokomotive war und die anderen mitgezogen hat.
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Dirk Niebel20955
Deutschland ist Schlusslicht bei den Wachstumsraten undden Innovationen. Wir verlieren Weltmarktanteile und esdroht der Abstieg von der Eliteliga in die zweite Liga derWirtschaftsnationen.Mit einer Postkarte – wir erinnern uns noch gut daran –haben Sie vor der Bundestagswahl mit zehn Versprechun-gen geworben. Eine davon hieß: Arbeitslosigkeit bekämp-fen.
Stattdessen explodieren die Arbeitslosenzahlen.
Auch wenn Sie die 58-Jährigen aus der Statistik he-rausnehmen, werden Sie trotz dieser Kosmetik nicht er-reichen, dass sich die Menschen mit ihrer Erfahrung – siehaben etwas einzubringen – nicht weiterhin ausgegrenztfühlen.
Das wird Ihre ganze Statistikklitterei nicht erreichenkönnen.Ich halte Ihnen einmal ein Spiegelbild dessen vor, wasSie alles versprochen haben. In der rot-grünen Koali-tionsvereinbarung steht: Wir werden die Sozialversiche-rungsbeiträge durch die Einnahmen aus der ökolo-gischen Steuerreform auf unter 40 Prozent senken. Indiesem Jahr haben wir 41,3 Prozent!
Die Krankenversicherungsbeiträge werden auf einenneuen Höchststand von über 14 Prozent ansteigen.
Damit wird den Arbeitnehmern mehr Geld aus der Taschegezogen als jemals zuvor.
Die Liste wird noch länger. Die Beiträge zur Arbeitslo-senversicherung wollten Sie im Jahr 2002 um 0,5 Prozentauf 6 Prozent absenken. Das Gegenteil ist der Fall: DieBundesanstalt für Arbeit benötigt mehr Geld als vorgese-hen.Der Katalog der Firmen, die im großen Stil entlassenwollen – neben dem, was im Mittelstand an dramatischerEntwicklung droht –, liest sich wie ein Horrorszenario:Henkel-Gruppe minus 3 000, Infineon minus 5 000,Hypo-Vereinsbank minus 9 000, Siemens minus 17 000,Commerzbank minus 3 400, Deutsche Bank minus 7 100,Dresdner Bank minus 5 500. Und ein Ende ist nicht inSicht.Das Bündnis fürArbeit, das Sie hier immer wieder er-wähnt haben, ist nicht deshalb, weil die Tarifparteien, Ar-beitgeber und Arbeitnehmer, nicht zueinander gefundenhaben, kurz vor dem Aus. Es ist deshalb vor dem Aus, weilSie eine Politik betrieben haben, die aus dem Bündnis einZerwürfnis gemacht hat.
Der Bundeskanzler hat noch vor wenigen Wochen sichselbst eine ruhige Hand verordnet und den Menschen diedramatische Entwicklung verschwiegen.
Tatsache ist, dass die Entwicklung dramatisch verlaufenist und dass jetzt unkoordiniert und mit allem anderen alsmit ruhiger Hand, eher mit heißer Nadel genäht, eine Viel-falt von Maßnahmen eingeleitet worden sind, die aber inihrer geringen Beständigkeit und geringen Abgestimmt-heit nicht den erwarteten Erfolg bringen werden.Deshalb sage ich Ihnen: Was Sie machen müssen, isteine Generalrevision der Arbeitsmarktordnung. Im Ein-zelnen heißt das: Alle die Fehler, die Sie gemacht haben– die Fehler beim 630-Mark-Gesetz, beim Gesetz zurScheinselbstständigkeit, beim Teilzeitgesetz – müssen Siekorrigieren. Nur dann kommen wir wieder auf das rich-tige Gleis.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie setzenIhren verhängnisvollen Kurs sogar noch fort: Mit einemZuwanderungsgesetz soll eine noch nicht überschaubareZahl neuer Arbeitskräfte ins Land geholt werden, obwohlwir über 4 Millionen Arbeitslose haben. Mit dem Zuwan-derungsgesetz wächst auch das Risiko einer noch größe-ren Strapazierung unserer Sozialsysteme, obwohl sie jetztschon überdehnt sind.
Deshalb sage ich Ihnen hier: Uns sind die deutschen Ar-beitslosen wichtiger als Utopien über Multikulti.
Mit der Erweiterung der Europäischen Union nachOsten wird ohnehin der Wirtschaft ein großes Potenzial anArbeitskräften zur Verfügung stehen. Geschätzt wird,dass nach dem Beitritt über 3 Millionen Menschen ausden Beitrittsländern in die bisherigen EU-Staaten und be-vorzugt nach Deutschland kommen werden, um Arbeit zufinden. Auch deshalb brauchen wir das von Ihnen gefor-derte Zuwanderungsgesetz nicht.
Der Bundeskanzler hat immer wieder darauf verwie-sen, als die Daten noch besser waren – und sie waren vorzwei Jahren noch besser –:Der Aufschwung, den wir jetzt haben, ist mein Auf-schwung.
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Johannes Singhammer20956
Deshalb sage ich an dieser Stelle: Der Abschwung, denwir jetzt leider haben, ist Ihr Abschwung und der Ihrer Re-gierung.
Sie sind nicht in der Lage – das hat diese Debatte heute ge-zeigt –, wirklich durchgreifende Reformen anzupacken.Dafür fehlen Ihnen die Ideen, der Mut und die Kraft. Es istZeit für eine neue Regierung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort für die SPD-
Fraktion hat die Kollegin Andrea Nahles.
Frau Präsidentin! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen vonder Opposition, Ihre arbeitsmarktpolitischen Vorschläge,die Sie heute hier vorgetragen haben, sind doch olle Ka-mellen von Fastnacht von vor vier Jahren.
Ich sage Ihnen: So jeck sind nicht einmal wir Rheinlän-der, dass wir darauf hereinfallen.Was schlagen Sie denn hier vor? Sie schlagen vor, die630-Mark-Regelung zurückzunehmen. Wollen Sie wirk-lich wieder Billigjobs en masse statt sozialversicherungs-pflichtige Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigungen? WollenSie das?
Sie schlagen vor, den Umfang der Mitbestimmung indiesem Land wieder abzubauen und die Tarifverträge zuunterhöhlen, Herr Kolb.
Das schafft keinen einzigen Arbeitsplatz. Das schafft nurerneut ein Klima, das sich durch Heuern und Feuern aus-zeichnet. Das haben die Menschen wirklich nicht ver-dient.
Herr Kolb, Ihre Deregulierungspolitik hat nichts als Spe-sen gebracht. Die Spesen haben immer nur die Arbeitneh-mer bezahlt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Herr Laumann hat von einer vollen Wundertüte ge-sprochen. Die Wundertüte ist aber leider leer. Er hat nichtsanderes vorgeschlagen, als den Niedriglohnbereich aus-zubauen und zu subventionieren. Um das zu tun, will erden Umfang der aktiven Arbeitsmarktpolitik verringern.Das ist – das wissen Sie auch – völlig unverantwortlich;deswegen werden wir diesem Vorschlag nicht folgen.
Ich muss mich allerdings ernsthaft fragen, ob es sichüberhaupt lohnt, sich mit Ihren arbeitsmarktpolitischenVorschlägen zu beschäftigen.
Wenn sie nämlich so wie Ihre finanz- und steuerpoliti-schen Vorschläge gehandelt werden, dann muss man sichallerdings über die Halbwertszeit Gedanken machen: DieÖkosteuer sollte abgeschafft werden, dann doch wiedernicht und dann doch wieder; die Neuverschuldung woll-ten Sie ausweiten, dann doch wieder nicht; die Steuerre-form sollte vorgezogen werden, dann doch wieder nicht –vorwärts, rückwärts, seitwärts, stopp. Das mag vielleichtfür einen Tanzkurs gut sein; zur Bekämpfung der Mas-senarbeitslosigkeit taugt das aber leider nicht.
Die Arbeitsmarktpolitik dieser Bundesregierung hatnicht erst mit der Nominierung Ihres Kanzlerkandidatenbegonnen. Wir haben dafür gesorgt, dass seit dem 1. Ja-nuar das Job-Aqtiv-Gesetz in Kraft gesetzt ist; wir haben3 000 zusätzliche Mitarbeiter in den Arbeitsämtern in dieLage versetzt, Vermittlungen vorzunehmen.
Entscheidend ist: Es wird nicht mehr gewartet, bis dieLeute arbeitslos sind, und dann sechs Monate abgewartet.Wir haben alle Wartezeiten gestrichen: Jeder, der jetzt ar-beitslos wird, hat sofort ein Angebot für Qualifizierungund für Arbeit. Das ist ein Riesenschritt nach vorne.
Die Vermittlung in Arbeit scheitert oft nicht daran, dasszu viel Lohn gezahlt werden muss; vielmehr scheitert siean der falschen oder zu geringen Qualifizierung. Auf diedamit verbundenen Fragen geben Sie keine Antwort. Wirhingegen haben mit dem Job-Aqtiv-Gesetz die Qualifi-zierungsmöglichkeiten für geringer Qualifizierte und fürUngelernte so verbessert, dass auch Kleinbetriebe – nichtdie großen Betriebe, die das vielleicht selbst finanzierenkönnen – in die Lage versetzt werden, ihre Mitarbeiterweiterzubilden, sie damit in Beschäftigung zu halten oderArbeitslose in Beschäftigung zu bringen.
– So fördern wir auch den Mittelstand, ganz genau.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Johannes Singhammer20957
Herr Singhammer, Sie haben von der roten Laternebeim Wachstum gesprochen. Tatsächlich hatten wir dierote Laterne: 1983 – vorletzter Platz, 1984 – vorletzterPlatz, 1985 – letzter Platz, 1986 – letzter Platz. Es wirdjetzt wirklich langweilig. Damit wir uns hier nicht weiterüber das Wachstum und die rote Laterne streiten müssen,schauen Sie sich doch bitte Ihre eigene Regierungsbilanzan. Das kann Ihnen nur helfen, damit Sie hier nicht so auf-treten, wie Sie es getan haben.Darüber hinaus hat die Jugendarbeitslosigkeit – FrauNolte hat darauf hingewiesen – in Ostdeutschland im letz-ten Jahr um 6,3 Prozent abgenommen. Ich glaube, daskönnen wir ganz direkt auf unsere Initiative, auf dasJUMP-Programm, zurückführen.
Ich will ganz deutlich sagen: Wir geben uns damit nichtzufrieden. Wir haben bei der Jugendarbeitslosigkeit an derzweiten Schwelle Probleme. Deswegen werden wir auchan dieser Stelle etwas tun. Wir werden Beschäftigungs-brücken für junge Leute auflegen. Wir machen JUMP. Wirmachen das gut. Wir machen noch mehr. Wir machen inden nächsten Monaten JUMP plus.
Als Letztes will ich auf das Bündnis fürArbeit einge-hen. Herr Kolb: Schuster, bleib bei deinem Leisten!
Ich will Ihnen wirklich herzlich davon abraten, sich in dieTarifverhandlungen einzumischen.
Aber eines steht fest: Das Bündnis für Arbeit hat von derArbeitsmarktpolitik die Rahmenbedingungen bekom-men, die es braucht: bei der Teilzeitbeschäftigung und beider Aktivierung und Vermittlung, bei der Qualifizierungmit Jobrotation. Es geht jetzt darum, dass unsere Initiati-ven in den Betrieben tatsächlich umgesetzt werden. Dazufordere ich alle auf.
Es kann nämlich nicht sein, dass die Probleme allein vorder Tür der Arbeitsmarktpolitik abgestellt werden. Viel-mehr brauchen wir die Tarifparteien. Deswegen brauchenwir auch den Dialog mit den Tarifparteien.
Deshalb wird es eine erfolgreiche Bündnis-für-Arbeit-Runde werden.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzter Redner in die-
ser Debatte ist der Kollege Wolfgang Meckelburg für die
CDU/CSU-Fraktion. – Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich bitte Sie alle, auch dem letzten Redner noch zu-
zuhören. Das ist auch ein Akt der Höflichkeit.
Frau Präsiden-tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als letzterRedner in dieser Debatte will ich mit dem anfangen, wasHerr Brandner als erster Redner von der SPD gesagt hat.– Sie haben gesagt, Sie hätten die Ärmel hochgekrempelt.Normalerweise krempelt man die Ärmel hoch, um etwaszu tun. Bei Ihnen habe ich allenfalls die Vermutung, dassSie die ruhige Hand noch in Gips legen wollen. Ansonstenist bei Ihnen nicht viel Aktivität zu sehen.
Meine Damen und Herren, die K-Frage in der Unionist geklärt. Aber das K-Problem der SPD wird bleiben. Esist dieser Bundeskanzler, der viel versprochen und weniggehalten hat. Daran werden wir ihn in diesem Jahr mes-sen.
Die Ergebnisse der Regierung Schröder sind negativ,nicht nur, was den Arbeitsmarkt angeht. Deutschland ins-gesamt hat sich verändert. Wie sieht nun das geschröderteDeutschland im Wahljahr 2002 aus?
Beim Wirtschaftswachstum letzter Platz in Europa.Sie selber haben vom Anfang bis zum Ende letzten Jahresständig die Zahlen zurücknehmen müssen. Das hat mitdem 11. September, den Sie ständig anführen, nichts zutun. Es war Anfang des Jahres, also in der Phase, als wirunsere Anträge stellten, erkennbar, dass die wirtschaftli-che Lage schwieriger würde. Damals hätten Sie handelnmüssen. Sie haben nicht einmal das Job-Aqtiv-Gesetz – esist vom Namen her interessant, aber vom Inhalt her nichtso groß –, das Sie über zwei Jahre angekündigt hatten,rechtzeitig auf den Weg gebracht. Da reicht die ruhigeHand des Kanzlers nicht. „Abwarten und Tee trinken“hilft nicht. Wir brauchen Wachstum in diesem Land.Wachstum ist die Nummer eins. Die Prognosen für diesesJahr liegen mit 0,6 oder 0,7 Prozent weit unter dem, waswir brauchen, damit Wachstum auf dem Arbeitsmarktwirksam wird. Das zu sagen ist wichtig, weil Arbeits-marktpolitik eine Hilfe ist, aber die Arbeitsplätze entste-hen in der Wirtschaft. Wir brauchen Wirtschaftswachstum
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Andrea Nahles20958
in diesem Land. Das ist von der jetzigen Regierung nichtmehr zu erwarten.
Meine Damen und Herren, die Arbeitslosigkeit zu Be-ginn des Jahres 2002 ist mit 4,3 Millionen weit entferntvon dem, was dieser Bundeskanzler und diese Bundesre-gierung uns versprochen haben. Versprochen waren3,5 Millionen. Sie haben auch diese Zahl im Dezemberbei den Haushaltsberatungen selber korrigiert und erwar-ten jetzt 3,9 bis 4,0 Millionen Arbeitslose. Nicht dass Sieden Eindruck haben, dass wir uns darüber eventuellfreuen könnten! Wir haben Vorschläge gemacht, die ab-gelehnt wurden. Als Opposition muss man es deutlich sa-gen: Sie haben mit Ihrer Arbeitsmarktpolitik versagt.
4,3 Millionen Arbeitslose sind nach dem Versprechen desKanzlers, sich jederzeit an der Zahl der Arbeitslosen mes-sen zu lassen, viel zu viele. Er wird mit dieser Zahl schei-tern.
Ich will ein Wort zu der Behauptung sagen, es seien1,2 Millionen Arbeitsplätze geschaffen worden; dieseZahl wird hier ja dauernd präsentiert. Ich frage mich, wieSie eigentlich auf diese Zahl kommen. Sie gehen einfachher und vergleichen Statistiken. Schauen Sie doch bitteeinmal in den Abschnitt des Sachverständigengutachtenshinein, in dem beschrieben wird, was passiert ist: Dergrößte Teil dieser 1,2 Millionen Arbeitsplätze wurde nichtneu geschaffen, sondern umfasst die 630-Mark-Jobs, de-ren Zahl früher geschätzt wurde und jetzt aufgrund derneuen Politik ermittelt werden kann. Auf dem Arbeits-markt ist nichts passiert.
Wenn es noch eines letzten Beweises bedurft hätte,dann gibt es ihn jetzt: Schauen Sie doch nach, was imGutachten des Sachverständigenrates festgestellt wird.
Den Maßstab, an dem man erkennen kann, ob mehrArbeitsplätze entstanden sind, bildet die Zahl der Stun-den, die in diesem Land insgesamt gearbeitet wird. DieStundenzahl stagnierte im vorletzten Jahr und ist im letz-ten Jahr um 1 Prozent zurückgegangen. Das heißt, hier istnicht wirklich neue Arbeit entstanden. Hören Sie deswe-gen auf, so zu tun, als seien wirklich Arbeitsplätze ge-schaffen worden.
Zu den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen: Siesagen, dass mit den 45 Milliarden DM, die Sie jedes Jahrausgeben, die Arbeitsmarktpolitik verstetigt werde. Al-lenfalls im Hinblick auf die Summe der Belastungen derSteuerzahler und der Ausgaben handelt es sich um eineVerstetigung, aber es kommt davon keine Bewegung inden Arbeitsmarkt; dort entsteht nichts Neues. Wir könn-ten Arbeitsplätze im ersten Arbeitsmarkt fördern, statt siekünstlich auf dem zweiten oder dritten Arbeitsmarkt zuschaffen.Für das JUMP-Programm für Jugendliche werdenjährlich 2 Milliarden DM ausgegeben. Das Ergebnis ist,dass die Jugendarbeitslosigkeit im letzten Jahr um 11 Pro-zent gestiegen ist. Diesen Punkt muss man Ihnen vorhal-ten. Wenn man schon so viel Geld ausgibt, aber nichts er-reicht, ist es höchste Zeit zum Umdenken. Sie haben nochacht Monate Zeit, dann ist nämlich Schluss mit dieser Po-litik.
Das Job-Aqtiv-Gesetz ist vom Namen her sehr krea-tiv, aber inhaltlich wird nur versucht, im Bereich der Ver-mittlung – eigentlich eine Kernaufgabe der Arbeitsämter –zu Verbesserungen zu kommen.
Am meisten, Herr Brandner, hat mich gewundert, dassSie das heiß bekämpfte SGB-III-Änderungsgesetz, daswir gegen Ihre Stimmen durchgebracht haben, jetzt alsAusgangspunkt nehmen. Hätten Sie 1997 und 1998 denMut gehabt, mehr Reformschritte mit uns gemeinsam zugehen, dann hätten wir gemeinsam eine Menge inDeutschland bewegen können.
Beispielhafte Stichwörter nur zu dem, was sich ändernmuss: Im Niedriglohnbereich – der Kollege Karl-JosefLaumann hat darauf hingewiesen – gibt es eine Menge anMöglichkeiten. Wir brauchen eine Steuerpolitik, die end-lich einmal den Mittelstand erreicht. Der Mittelstand istder Motor beim Schaffen von Arbeitsplätzen.
Wir brauchen betriebliche Bündnisse.
Meine Damen und Herren, die Politik der ruhigenHand und der zappelnden Füße – zurzeit sind Sie ja einwenig unruhig geworden – reicht nicht aus. Handeln istangesagt. Sie haben Chancen verpasst – ich sage das zuBeginn dieses Wahljahres, in dem uns in den Debatten dieArbeitsmarktpolitik das ganze Jahr über beschäftigenwird. Sie werden mit dem, was Sie vorhaben, keinegroßen Verbesserungen erreichen.Ich will eines zum Schluss sagen: Herr Schröder bzw.Bundeskanzler Schröder, das K-Problem der SPD,
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Wolfgang Meckelburg20959
wird keine noch so gering ausfallende positive Meldungvergehen lassen, um von Verbesserung zu reden. Er wirdam Ende vor die Wähler treten und sagen: Bitte gebt mirnoch vier Jahre. Er tritt nicht als der Stürmer und Drängerdes Jahres 1998 auf, sondern als Bittsteller. Wir werdenihm sagen: Du hast deine Chancen verpasst. – Wir habendas richtige Signal gesetzt, die Menschen vertrauen uns.Wir haben den Mut, Reformen anzupacken, damit es inunserem Land endlich wieder besser wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-sprache.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-ses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksache 14/7523zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel„Für mehr Wettbewerb und Subsidiarität in den sozialen Si-cherungssystemen – durch Neuorganisation der aktiven Ar-beitsmarktpolitik die Langzeitarbeitslosigkeit in Deutsch-land senken“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag aufDrucksache 14/5552 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – DieBeschlussempfehlung ist gegen die Stimmen derCDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung der FDP-Fraktion an-genommen.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetz-entwurf der Fraktion der FDP zur Sicherung betrieblicherBündnisse für Arbeit auf Drucksache 14/6548. Der Aus-schuss für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt unter Nr. 1seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/7362, denGesetzentwurf abzulehnen. Die Fraktion der FDP verlangtnamentliche Abstimmung. Namentlich abgestimmt wird– das sage ich, weil es Unstimmigkeiten gab – über denGesetzentwurf, nicht über die Beschlussempfehlung.Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, dievorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen be-setzt? – Noch nicht, hier vorne fehlen noch Schriftführe-rinnen und Schriftführer. Könnte ich bitte ein Signalbekommen, wenn Schriftführerinnen und Schriftführerhier vorne sind? – Das ist jetzt der Fall. Dann ist die Ab-stimmung über den Gesetzentwurf der FDP eröffnet.Ich möchte darauf verweisen, dass im Anschluss an dienamentliche Abstimmung noch einige weitere Abstim-mungen stattfinden werden.Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme noch nicht abgegeben hat? – Auf der einen Seiteist die Abstimmung noch im Gange. – Ich frage ein zwei-tes Mal, ob die Abstimmung beendet werden kann.Könnte ich bitte ein Signal von den Schriftführerinnenund Schriftführern bekommen? – Ich glaube, wir könnendie Abstimmung schließen. Ich bitte die Schriftführerin-nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnenspäter bekannt gegeben.1)Wir setzen jetzt die anderen Abstimmungen fort. Dazubitte ich Sie herzlichst und inniglichst, die Plätze wiedereinzunehmen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen fortfah-ren. Ich bitte Sie nochmals darum, die entsprechendenSitzgelegenheiten wieder einzunehmen.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-fehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnungauf Drucksache 14/7362 zu dem Antrag der Fraktion derCDU/CSU mit dem Titel „Im Bündnis für Arbeit, Ausbil-dung und Wettbewerbsfähigkeit bei wichtigen Fragen desArbeitsmarktes endlich handeln“. Der Ausschuss emp-fiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung, den Antragauf Drucksache 14/5758 abzulehnen. Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun-gen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmenvon CDU/CSU- und FDP-Fraktion bei Enthaltung derPDS angenommen.Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 lauf:25. Überweisungen im vereinfachten Verfahrena) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlän-gerung von Übergangsregelungen im Bundes-sozialhilfegesetz– Drucksache 14/8010 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
FinanzausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugendb) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiterenFortentwicklung des Finanzplatzes Deutschland
– Drucksache 14/8017 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und Technologiec) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neurege-
– Drucksache 14/8007 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
InnenausschussRechtsausschussd) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zurEuropäischen Charta der Regional- oder Min-derheitensprachen des Europarates vom 5. No-vember 1992– Drucksache 14/7545 –
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Wolfgang Meckelburg20960
1) Ergebnis Seite 20963 DÜberweisungsvorschlag:Innenausschuss
Ausschuss für Kultur und Mediene) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-rung der Strafprozessordnung– Drucksache 14/7562 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Innenausschussf) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Steuerungund Begrenzung der Zuwanderung und zur Rege-lung des Aufenthalts und der Integration von Uni-
– Drucksachen 14/7987, 14/8046 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Auswärtiger AusschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Arbeit und SozialordnungAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für Menschenrechte und humanitäre HilfeAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionAusschuss für Kultur und MedienHaushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GOg) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-rung des Bundesversorgungsgesetzes– Drucksache 14/8008 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
InnenausschussVerteidigungsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugendh) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-rung des Agrarstatistikgesetzes und des Geset-zes zur Durchführung der GemeinsamenMarktorganisationen– Drucksache 14/8012 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-schaft
Innenausschussi) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu demStockholmer Übereinkommen vom 23. Mai2001 über persistente organische Schadstoffe
und dem Protokoll
vom 24. Juni 1998 zu dem Übereinkommen von1979 über weiträumige grenzüberschreitendeLuftverunreinigung betreffend persistente or-ganische Schadstoffe
– Drucksachen 14/7757, 14/8014 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Gesundheitj) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Sta-bilisierungs- und Assoziierungsabkommen zwi-schen den Europäischen Gemeinschaften undihren Mitgliedstaaten einerseits und der ehe-maligen jugoslawischen Republik Mazedonienandererseits– Drucksache 14/7766 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionk) Beratung des Antrags der Abgeordneten ChristineOstrowski, Gerhard Jüttemann, Rolf Kutzmutz,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDSVollzug des Programms „Stadtumbau Ost – fürlebenswerte Städte und attraktives Wohnen“– Drucksache 14/7794 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesenl) Beratung des Antrags der Abgeordneten ChristineOstrowski, Dr. Klaus Grehn, Uwe Hiksch, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der PDSÄnderung des Straßenverkehrsgesetzes– Drucksache 14/7992 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenInterfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen andie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuüberweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derFall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich unternehme jetzt einen dritten Versuch, alle Kolle-gen und Kolleginnen herzlichst einzuladen, die Stehplätzezu verlassen und die entsprechenden Sitzplätze in denReihen der Fraktionen einzunehmen. Sonst haben wirkeine Übersicht über das Abstimmungsverhalten.Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 a und 26 b auf. Es han-delt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denenkeine Aussprache vorgesehen ist.Wir kommen zunächst zu Tagesordnungspunkt 26 a:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zuder am 3. Dezember 1999 in Peking beschlosse-nen Änderung des Montrealer Protokolls vom16. September 1987 über Stoffe, die zu einemAbbau der Ozonschicht führen, und zu weite-ren Anpassungen des Protokolls– Drucksache 14/7045 –
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Vizepräsidentin Petra Bläss20961
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit
– Drucksache 14/7715 –Berichterstattung:Abgeordnete Rainer Brinkmann
Dr. Peter PaziorekDr. Reinhard LoskeBirgit HomburgerEva Bulling-SchröterWir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-desregierung eingebrachten Gesetzentwurf auf Drucksa-che 14/7045 zu der in Peking beschlossenen Änderungdes Montrealer Protokolls über Stoffe, die zu einem Ab-bau der Ozonschicht führen, und zu weiteren Anpassun-gen des Protokolls.Bevor wir dazu kommen, bitte ich ausdrücklich auchdie Vertreter der Regierungsbank, die Gespräche draußenfortzusetzen. Ich glaube, das hat auch etwas mit der Ach-tung oder Missachtung gegenüber dem Parlament zu tun.
Liebe Ministerinnen und Minister, Staatssekretärinnenund Staatssekretäre, ich bitte Sie wirklich, die notwendi-gen Gespräche draußen fortzuführen.Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-cherheit empfiehlt auf Drucksache 14/7715, den Gesetz-entwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Werstimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf istdamit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurfist mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen.Tagesordnungspunkt 26 b:Zweite Beratung und Schlussabstimmung des vonder Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-nes Gesetzes zu dem Abkommen vom 15. Juni2000 zwischen der Regierung der Bundesrepu-blik Deutschland und der Regierung der Repu-blik Singapur über die Seeschifffahrt– Drucksache 14/6523 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
– Drucksache 14/7836 –Berichterstattung:Abgeordneter Hans-Michael GoldmannDer Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesenempfiehlt auf Drucksache 14/7836, den Gesetzentwurfanzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurfzustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dage-gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist einstim-mig angenommen.Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktion der SPDHaltung der Bundesregierung zu verschie-denen Aussagen der Union in der Haushalts-und SteuerpolitikIch eröffne die Aussprache. Bevor ich den ersten Red-ner in der Debatte aufrufe, bitte ich erneut die entspre-chenden Kollegen von der CDU/CSU, den Saal zu ver-lassen und draußen weiterzudiskutieren.
Vielleicht könnte der amtierende Parlamentarische Ge-schäftsführer der CDU/CSU-Fraktion einmal seines Am-tes walten, damit wir mit der Debatte beginnen können.
Jetzt hat der Kollege Joachim Poß für die SPD-Frak-tion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehrgeehrten Damen und Herren! Alle Äußerungen vonführenden CDU- und CSU-Mitgliedern zur Steuer- undFinanzpolitik in den letzten Tagen sind ein deutlicher Be-leg dafür, dass die Union immer noch ohne steuer- und fi-nanzpolitische Konzeption dasteht.
Was das bedeutet, konnte man auch gestern Abend inder Fernsehsendung „Was nun, Herr Stoiber?“ verfolgen:Der bayerische Ministerpräsident hat sich trotz konkreterFragen auf nichts mehr festlegen lassen.
Stoiber zeigte sich absolut hilflos bei Nachfragen zu kon-kreten Maßnahmen und Schritten. Wo ist also, so frageich, die hochgelobte Kompetenz des CSU- und CDU-Kanzlerkandidaten gerade in der Wirtschafts- und Fi-nanzpolitik? Das hätte Frau Merkel auch noch gekonnt.
Es ist offensichtlich: Herr Stoiber rudert zurück. Eswird vermutlich nur noch wenige Tage dauern, bis HerrStoiber auch die letzte Stufe der Ökosteuer in 2003 ak-zeptieren wird.
Die gesamte Union wird nun mit Festlegungen wartenmüssen, bis der Kandidat endlich die offensichtlich feh-
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Vizepräsidentin Petra Bläss20962
lende Übersicht gewonnen hat. Bis dahin wird die Öf-fentlichkeit mit allgemeinen Zielbeschreibungen und un-wahren Behauptungen abgespeist.So behauptete Stoiber zum Beispiel entgegen den Fest-stellungen des Sachverständigenrates und anderer In-stitute, dass die Steuerreform nicht zur Belebung der Kon-junktur beigetragen habe. Dabei ist klar: Der wirtschaft-liche Abschwung wäre ohne unsere Steuerreform wesent-lich stärker gewesen.
Die Beschreibung der steuerpolitischen Forderungender Union der vergangenen Tage als Chaos ist noch be-schönigend.
Frei nach Rainer Barzel für die Älteren: Bei diesemDurcheinander von Meinungen und Forderungen, vonAbsichten und Plänen blickt in der Union keiner mehrdurch, von der Öffentlichkeit ganz zu schweigen.Was war in den letzten Tagen und Wochen nicht alleszu hören? Noch kurz vor den letzten Haushaltsberatungenwollte die Union die zweite und dritte Stufe unseresSteuersenkungsgesetzes von 2003 bzw. von 2005 auf2002 vorziehen. Viele Warnungen – zuletzt von der Deut-schen Bundesbank –, ein Vorziehen könnten Bund, Län-der und Kommunen – ich betone: Kommunen – finanziellnicht verkraften, wurden ignoriert. Damals war es derbayerische Ministerpräsident, der der Parteivorsitzendender CDU vor laufenden Fernsehkameras klar machte, einVorziehen der Steuerreform sei nicht finanzierbar.Vor einer Woche, nachdem er die K-Frage für sich ent-schieden hatte, wollte Stoiber das Vorziehen der drittenStufe der Steuerreform auf 2003 nicht ausschließen. Weiler aber seine Äußerung gegenüber Frau Merkel noch nichtvergessen hatte, hieß es nun, dass die Steuern nur für mit-telständische Unternehmen schneller gesenkt werdensollten.Herr Stoiber wie auch Herr Merz sollten sich auch hiergut überlegen, was sie sagen, und sich einmal den Inhalt derdritten Stufe des Steuersenkungsgesetzes ansehen. Dortsind nämlich ausschließlich weitere Tarifentlastungen beider Einkommensteuer vorgesehen. Der Einkommensteuerunterliegen die kleinen und mittleren Personenunterneh-men aber nicht als solche. Steuerpflichtig sind allein derenInhaber als natürliche Personen. Diesen wird der jeweiligeUnternehmensgewinn als so genannte Einkünfte aus Ge-werbebetrieb anteilig zugerechnet. Eine Regelung, die dieEinkünfte aus Gewerbebetrieb gegenüber den übrigen Ein-kunftsarten, zum Beispiel dem Arbeitnehmereinkommen,durch einen besonders ermäßigten Steuertarif begünstigt,ist aber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungs-gerichts eindeutig unzulässig. Es gab hier also Forderungenvon Herrn Merz und anderen nach einer eindeutig verfas-sungswidrigen Regelung. So weit ist es mit der Kompetenzdieser Vertreter gekommen!
Damit wird noch einmal klar: Es gibt keine Benach-teiligung des Mittelstandes. Alle tariflichen Vergüns-tigungen, die bisher von der Koalition beschlossen wor-den sind, wirken natürlich auch für mittelständischeUnternehmer. Hinzu kommt etwas Entscheidendes – daswird von Ihnen immer verschwiegen –: Die Koalition hatdie Gewerbesteuerbelastung für Personenunternehmenfaktisch abgeschafft, denn sie kann auf die Einkommen-steuerschuld pauschal angerechnet werden.
Das ist wirklich mittelstandsfreundliche Politik, eine Po-litik, die die Union in ihrer langen Regierungszeit nichtzustande gebracht hat.Ich will jetzt gar nicht von Ihrer Forderung nach mehrNeuverschuldung, nach mehr Staatsverschuldung reden.Das werden noch andere tun. Sie haben also überhauptnichts aus den Fehlern gelernt. Sie haben überhaupt nichtsaus der miserablen Bilanz gelernt, die Sie uns 1998 hin-terlassen haben.
Einer solchen Truppe mit Herrn Stoiber an der Spitzekann man vieles überlassen, aber nicht das Gemeinwesender Bundesrepublik Deutschland.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bevor ich der nächstenRednerin das Wort erteile, gebe ich das von den Schrift-führerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis dernamentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf derFraktion der FDP zur Sicherung betrieblicher Bündnissefür Arbeit – es handelt sich um die Drucksachen 14/6548und 14/7362 – bekannt: Abgegebene Stimmen 576. Mit Jahaben gestimmt 244, mit Nein haben gestimmt 332, Ent-haltungen keine. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera-tung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsord-nung die dritte Beratung.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Joachim Poß20963
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 575;davonja: 245nein: 330JaSPDReinhold Strobl
CDU/CSUIlse AignerPeter AltmaierDietrich AustermannNorbert BarthleDr. Wolf BauerGünter BaumannBrigitte BaumeisterMeinrad BelleDr. Sabine Bergmann-PohlOtto Bernhardt
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Vizepräsidentin Petra Bläss20964
Hans-Dirk BierlingDr. Joseph-Theodor BlankRenate BlankDr. Heribert BlensPeter BleserAntje BlumenthalDr. Maria BöhmerSylvia BonitzJochen BorchertWolfgang Börnsen
Wolfgang BosbachDr. Wolfgang BötschKlaus BrähmigDr. Ralf BrauksiepePaul BreuerMonika BrudlewskyGeorg BrunnhuberHartmut Büttner
Cajus CaesarManfred Carstens
Leo DautzenbergWolfgang DehnelHubert DeittertAlbert DeßRenate DiemersThomas DörflingerDr. Hansjürgen DossMarie-Luise DöttMaria EichhornRainer EppelmannAnke Eymer
Ilse FalkDr. Hans Georg FaustAlbrecht FeibelUlf FinkIngrid FischbachDirk Fischer
Axel E. Fischer
Klaus FranckeHerbert FrankenhauserDr. Hans-Peter Friedrich
Erich G. FritzJochen-Konrad FrommeHans-Joachim FuchtelDr. Jürgen GehbNorbert GeisDr. Heiner GeißlerGeorg GirischMichael GlosDr. Reinhard GöhnerPeter GötzDr. Wolfgang GötzerKurt-Dieter GrillManfred GrundCarl-Detlev Freiherr vonHammersteinGottfried Haschke
Gerda HasselfeldtNorbert Hauser
Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen HedrichHelmut HeiderichUrsula HeinenManfred HeiseSiegfried HeliasHans Jochen HenkeErnst HinskenPeter HintzeKlaus HofbauerMartin HohmannJosef HollerithJoachim HörsterHubert HüppeSusanne JaffkeGeorg JanovskyDr.-Ing. Rainer JorkDr. Harald KahlBartholomäus KalbSteffen KampeterDr.-Ing. Dietmar KansyIrmgard KarwatzkiEckart von KlaedenUlrich KlinkertEva-Maria KorsHartmut KoschykThomas KossendeyRudolf KrausDr. Martina KrogmannDr. Hermann KuesWerner KuhnKarl LamersDr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert LammertHelmut LampDr. Paul LaufsKarl-Josef LaumannVera LengsfeldWerner LensingPeter LetzgusUrsula LietzWalter Link
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred LischewskiWolfgang Lohmann
Julius LouvenDr. Michael LutherErich Maaß
Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer
Wolfgang MeckelburgDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelFriedrich MerzHans MichelbachDr. Gerd MüllerElmar Müller
Bernd Neumann
Claudia NolteGünter NookeFranz ObermeierFriedhelm OstEduard OswaldNorbert Otto
Dr. Peter PaziorekAnton PfeiferDr. Friedbert PflügerBeatrix PhilippRonald PofallaMarlies PretzlaffDr. Bernd ProtznerThomas RachelHans RaidelDr. Peter RamsauerHelmut RauberPeter RauenChrista Reichard
Katherina ReicheErika ReinhardtHans-Peter RepnikKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberFranz RomerHannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm RonsöhrDr. Klaus RoseKurt J. RossmanithAdolf Roth
Dr. Norbert RöttgenDr. Christian RuckVolker RüheAnita SchäferDr. Wolfgang SchäubleHartmut SchauerteHeinz SchemkenKarl-Heinz ScherhagDr. Gerhard ScheuNorbert SchindlerChristian Schmidt
Andreas Schmidt
Dr. Rupert ScholzReinhard Freiherr vonSchorlemerGerhard SchulzDiethard Schütze
Clemens SchwalbeWilhelm Josef SebastianHeinz SeiffertDr. h. c. Rudolf SeitersWerner SiemannJohannes SinghammerBärbel SothmannMargarete SpäteWolfgang SteigerErika SteinbachDr. Wolfgang Freiherr vonStettenAndreas StormDorothea Störr-RitterMax StraubingerThomas Strobl
Michael StübgenDr. Rita SüssmuthEdeltraut TöpferDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzAngelika VolquartzAndrea VoßhoffDr. Theodor WaigelPeter Weiß
Annette Widmann-MauzHeinz Wiese
Hans-Otto Wilhelm
Klaus-Peter WillschBernd WilzMatthias WissmannWerner WittlichDagmar WöhrlAribert WolfElke WülfingPeter Kurt WürzbachWolfgang ZeitlmannWolfgang ZöllerFDPIna AlbowitzRainer BrüderleErnst BurgbacherJörg van EssenGisela FrickPaul K. FriedhoffHorst Friedrich
Rainer FunkeJoachim Günther
Klaus HauptUlrich HeinrichWalter HircheBirgit HomburgerDr. Werner HoyerDr. Klaus KinkelDr. Heinrich L. KolbGudrun KoppJürgen KoppelinIna LenkeSabine Leutheusser-SchnarrenbergerDirk NiebelGünther Friedrich NoltingHans-Joachim Otto
Detlef ParrCornelia PieperDr. Günter RexrodtDr. Edzard Schmidt-JortzigGerhard SchüßlerDr. Irmgard SchwaetzerMarita SehnDr. Hermann Otto SolmsDr. Max StadlerCarl-Ludwig ThieleDr. Dieter ThomaeDr. Guido WesterwelleNeinSPDBrigitte AdlerGerd AndresIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHermann BachmaierErnst BahrDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsEckhardt Barthel
Klaus Barthel
Ingrid Becker-InglauDr. Axel BergHans-Werner BertlFriedhelm Julius BeucherLothar Binding
Kurt BodewigKlaus Brandner
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Vizepräsidentin Petra Bläss20965
Bernhard Brinkmann
Hans-Günter BruckmannEdelgard BulmahnUrsula BurchardtDr. Michael BürschHans Martin BuryMarion Caspers-MerkWolf-Michael CatenhusenDr. Peter DanckertChristel DeichmannKarl DillerPeter DreßenDetlef DzembritzkiDieter DzewasDr. Peter EckardtSebastian EdathyLudwig EichMarga ElserPeter EndersGernot ErlerPetra ErnstbergerAnnette FaßeLothar Fischer
Gabriele FograscherIris FollakNorbert FormanskiRainer FornahlHans ForsterDagmar FreitagLilo Friedrich
Harald FrieseAnke Fuchs
Arne FuhrmannMonika GanseforthKonrad GilgesIris GleickeGünter GloserUwe GöllnerGünter Graf
Angelika Graf
Dieter GrasedieckMonika GriefahnKerstin GrieseAchim GroßmannWolfgang GrotthausKarl-Hermann Haack
Hans-Joachim HackerKlaus HagemannManfred HampelAlfred HartenbachAnke HartnagelKlaus HasenfratzNina HauerHubertus HeilReinhold HemkerFrank HempelRolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogMonika HeubaumReinhold Hiller
Stephan HilsbergGerd HöferJelena Hoffmann
Walter Hoffmann
Iris Hoffmann
Frank Hofmann
Ingrid HolzhüterEike HovermannChristel HummeLothar IbrüggerBrunhilde IrberGabriele IwersenJann-Peter JanssenIlse JanzDr. Uwe JensVolker Jung
Johannes KahrsUlrich KasparickSabine KaspereitSusanne KastnerUlrich KelberHans-Peter KemperKlaus KirschnerSiegrun KlemmerHans-Ulrich KloseFritz Rudolf KörperKarin KortmannAnette KrammeNicolette KresslVolker KröningAngelika Krüger-LeißnerHorst KubatschkaErnst KüchlerHelga Kühn-MengelUte KumpfKonrad KunickWerner LabschChristine LambrechtBrigitte LangeChristian Lange
Detlev von LarcherChristine LehderWaltraud LehnKlaus LennartzDr. Elke LeonhardEckhart LeweringGötz-Peter Lohmann
Gabriele Lösekrug-MöllerErika LotzDieter Maaß
Winfried ManteDirk ManzewskiTobias MarholdLothar MarkUlrike MascherChristoph MatschieHeide MattischeckMarkus MeckelUlrike MehlUlrike MertenAngelika MertensDr. Jürgen Meyer
Ursula MoggChristoph MoosbauerSiegmar MosdorfMichael Müller
Jutta Müller
Christian Müller
Franz MünteferingAndrea NahlesVolker Neumann
Dr. Edith NiehuisDr. Rolf NieseDietmar NietanGünter OesinghausEckhard OhlManfred OpelHolger OrtelAdolf OstertagAlbrecht PapenrothDr. Martin PfaffGeorg PfannensteinJohannes PflugDr. Eckhart PickJoachim PoßKarin Rehbock-ZureichDr. Carola ReimannMargot von RenesseRenate RennebachBernd ReuterDr. Edelbert RichterChristel Riemann-HanewinckelReinhold RobbeRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Birgit Roth
Gerhard RübenkönigMarlene RupprechtThomas SauerDr. Hansjörg SchäferGudrun Schaich-WalchRudolf ScharpingBernd ScheelenSiegfried SchefflerHorst SchildOtto SchilyDieter Schloten
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Dr. Frank Schmidt
Regina Schmidt-ZadelHeinz Schmitt
Carsten SchneiderDr. Emil SchnellWalter SchölerKarsten SchönfeldFritz SchösserOttmar SchreinerGerhard SchröderGisela SchröterVolkmar Schultz
Ewald SchurerRolf SchwanitzBodo SeidenthalDr. Sigrid Skarpelis-SperkDr. Cornelie Sonntag-WolgastWieland SorgeWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerDr. Ditmar StaffeltAntje-Marie SteenLudwig StieglerRolf StöckelRita Streb-HesseDr. Peter StruckJoachim StünkerJoachim TappeJörg TaussJella TeuchnerDr. Gerald ThalheimWolfgang ThierseFranz ThönnesAdelheid TröscherHans-Eberhard UrbaniakSimone ViolkaUte Vogt
Hans Georg WagnerHedi WegenerDr. Konstanze WegnerWolfgang WeiermannReinhard Weis
Matthias WeisheitGunter WeißgerberDr. Ernst Ulrich vonWeizsäckerJochen WeltDr. Rainer WendHildegard WesterLydia WestrichInge Wettig-DanielmeierDr. Margrit WetzelJürgen Wieczorek
Helmut Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-ZeulDieter WiefelspützHeino Wiese
Brigitte Wimmer
Engelbert WistubaBarbara WittigDr. Wolfgang WodargVerena WohllebenHanna Wolf
Waltraud Wolff
Heidemarie WrightUta ZapfDr. Christoph ZöpelPeter ZumkleyBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENGila Altmann
Marieluise Beck
Volker Beck
Angelika BeerGrietje BettinAnnelie BuntenbachEkin DeligözDr. Thea DückertFranziska Eichstädt-BohligHans-Josef FellJoseph Fischer
Katrin Göring-EckardtRita GrießhaberGerald HäfnerWinfried HermannAntje HermenauUlrike HöfkenMichaele HustedtMonika KnocheNun erteile ich der Kollegin Gerda Hasselfeldt,CDU/CSU, das Wort.Gerda Hasselfeldt (von der CDU/CSUmit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Wir hatten noch nie eine solch chaotische Steuer-politik wie in dieser Legislaturperiode.
Sie war von ständigen Nachbesserungen und Korrekturengeprägt, von Versprechen, die nicht eingehalten wurden,wie beispielsweise bei den Arbeitnehmerabfindungen,von halbherzigen Korrekturen, die dann wieder zu zu-sätzlichen Unsicherheiten und Verkomplizierungen ge-führt haben. Dies gilt beispielsweise für den Mitunter-nehmererlass.Sie haben das Allerwichtigste in der Steuerpolitik,nämlich Planbarkeit, Verlässlichkeit und Solidität, sträf-lichst vernachlässigt, ja sogar mit Füßen getreten.
Sie haben eine Steuerpolitik nach Gutsherrenart gemacht.Sie haben die Kapitalgesellschaften sofort auf einenSchlag deutlich entlastet, für eine Entlastung bei den Per-sonenunternehmen dann aber kein Geld mehr gehabt unddiese im Regen stehen lassen. Dabei wäre eine Entlastungfür alle geboten gewesen, für die Kapitalgesellschaftenund die Personenunternehmen.
Statt Wachstumsimpulse anzuregen, statt auf Sparenund Konsolidieren zu setzen, haben Sie zum Mittel derSteuererhöhungen gegriffen, was wir jetzt alle Anfang desJahres 2002 schmerzlich spüren. Die Auswirkungen sindsichtbar: monatlich sinkende Wachstumsraten, monatlichsteigende Arbeitslosenzahlen und eine ständig steigendeZahl der Insolvenzen. Sie stehen heute vor dem Scher-benhaufen Ihrer eigenen Politik. Davon brauchen Sienicht abzulenken.
Wir haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass Kapi-talgesellschaften und Personenunternehmen zeitgleichund gleichmäßig entlastet werden müssen. Man kannnicht auf der einen Seite die Bemessungsgrundlage füralle verbreitern, aber auf der anderen Seite die Entlastungfür die Personenunternehmen auf den Sankt Nimmer-leinstag verschieben, wie Sie das gemacht haben.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Vizepräsidentin Petra Bläss20966
Dr. Angelika Köster-LoßackSteffi LemkeDr. Reinhard LoskeOswald MetzgerKerstin Müller
Winfried NachtweiChrista NickelsCem ÖzdemirSimone ProbstChristine ScheelIrmingard Schewe-GerigkRezzo SchlauchAlbert Schmidt
Werner Schulz
Christian SterzingHans-Christian StröbeleJürgen TrittinDr. Antje VollmerDr. Ludger VolmerSylvia VoßHelmut Wilhelm
Margareta Wolf
PDSDr. Dietmar BartschPetra BlässMaritta BöttcherEva Bulling-SchröterHeidemarie EhlertDr. Heinrich FinkDr. Ruth FuchsWolfgang GehrckeDr. Klaus GrehnDr. Barbara HöllCarsten HübnerUlla JelpkeSabine JüngerGerhard JüttemannDr. Evelyn KenzlerDr. Heidi Knake-WernerRolf KutzmutzUrsula LötzerDr. Christa LuftHeidemarie LüthPia MaierAngela MarquardtKersten NaumannRosel NeuhäuserChristine OstrowskiPetra PauDr. Uwe-Jens RösselChristina SchenkDr. Ilja SeifertDr. Winfried WolfEntschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen desEuroparates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPUAbgeordnete(r)Behrendt, Wolfgang* Bindig, Rudolf* Bühler , Klaus* Hornung, Siegfried* Jäger, Renate*SPD SPD CDU/CSU CDU/CSU SPDLintner, Eduard* Dr. Lippelt, Helmut* Lörcher, Christa* Dr. Lucyga, Christine* Michels, Meinolf*CDU/CSU BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fraktionslos SPD CDU/CSUMüller , Manfred* Neumann (Gotha), Gerhard* Onur, Leyla* Palis, Kurt* Zierer, Benno*PDS SPD SPD SPD CDU/CSU* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des EuroparatesDeshalb haben wir in diesem und im vergangenen Jahr ge-fordert, die Entlastungen, die Sie erst für das Jahr 2005vorgesehen haben, vorzuziehen. Wenn Sie diesen Forde-rungen nachgegeben hätten, wenn Sie gemeinsam mit unseine zeitgleiche Entlastung der Personenunternehmenvorgenommen hätten, gäbe es heute nicht diese Wachs-tumseinbrüche, sondern einen größeren steuerpolitischenSpielraum im Haushalt.
Durch Ihr eigenes Verhalten haben Sie selbst die Spiel-räume für Gestaltungen im Haushalt eingeschränkt.
Was kommt nach der Bundestagswahl?
– So ist es. Es ist notwendig, den Karren wieder aus demDreck zu ziehen.
Für die Steuerpolitik bedeutet das:Erstens. Wir müssen endlich wieder für Planbarkeitund Verlässlichkeit sorgen.Zweitens. Das Steuersystem muss einfacher, transparen-ter und nachvollziehbar gemacht werden. Es darf nicht nurdarüber geredet, sondern es muss durchgeführt werden.Das Gegenteil haben Sie in Ihrer Steuerpolitik gemacht.
Drittens. Die Misstrauensnormen, die Sie besonders inden letzten zwei Jahren zusätzlich eingeführt haben, müs-sen wieder aus dem Steuerrecht verschwinden.
Ich spreche beispielsweise von den Behaltefristen beimMitunternehmererlass und bei der Realteilung, von derunangekündigten Nachschau beim Umsatzsteuerbetrug.Meine Damen und Herren, all das ist von tiefem Miss-trauen Ihrerseits gegenüber den Unternehmen geprägt.Diese Misstrauensnormen müssen wieder weg.
Viertens. Die Personenunternehmen müssen deutlichfrüher, als Sie es vorgesehen haben, entlastet werden. Dieskann durch niedrigere Steuersätze und/oder Änderungenam Tarif geschehen. Dass eine deutlich frühere Entlastungnotwendig ist, ist unter den Sachverständigen und auch inunseren Kreisen unbestritten. Das haben wir immer wie-der deutlich zum Ausdruck gebracht.
Fünftens. Notwendig ist eine endlich grundlegendeReform der Gemeindefinanzen. Sie haben dies auf dielange Bank geschoben. Anfang der Legislaturperiode ha-ben Sie es noch versprochen, danach haben Sie es ver-schlafen.
Sechstens. Es sind sowohl eine deutliche Absage anweitere Erhöhungen der Erbschaftsteuer als auch eine Ab-sage an die Vermögensteuer notwendig.
Angesichts dessen, was aus Ihren Reihen dazu immerwieder verlautbart wird, ist diese Forderung zwingendnotwendig.Siebtens. Eine Korrektur der Missgeburt Ökosteuer isterforderlich. Das haben wir von Anfang an zum Ausdruckgebracht. Das Erste, was wir machen, wird sein, auf dieletzte Stufe zu verzichten.
Nicht alles kostet Geld. Die Spielräume, die Sie selbstverengt haben, müssen wieder verbreitert werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin
Hasselfeldt, ich muss Sie an die Redezeit erinnern.
Deshalb muss das
Problem an der Wurzel angepackt werden. Das kann nur
mit einer grundsätzlichen Kehrtwende in der Wirtschafts-,
der Finanz-, der Arbeitsmarkt- und der Sozialpolitik ge-
schehen.
Meine Damen und Herren, es wird nicht einfach sein, den
Karren wieder aus dem Dreck zu ziehen. Wir werden es
aber schon schaffen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin
Christine Scheel.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! FrauHasselfeldt, es ist schon klasse, was Sie hier dargebotenhaben.
Sie werfen uns vor, keine Planbarkeit und Verlässlichkeitzu bieten. Wenn ich mir dies anhöre und es aufgreife, kannich nur sagen: Wenn man Wunderkerzen abbrennt – Siehaben es ab und zu einmal getan, indem Sie Forderungenerhoben haben, die schlichtweg nicht durchführbar sind –,
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Gerda Hasselfeldt20967
bleibt ein verkohlter Stecken übrig. Der schaut nichtbesonders gut aus. Das ist genau die Wirkung, die Sie mitIhren Aussagen der letzten Tage, und zwar in ihrer ge-samten Vielfältigkeit, erreicht haben.Wenn man sich eine kleine Auswahl der Überschriftenaus den Zeitungen dieser Woche anschaut, sieht man dasChaos präsentiert.
Es gibt ein 40-40-40-Programm; das hat Herr Stoibernoch kundgetan. Demnach soll der Spitzensteuersatz bei40 Prozent liegen – das will er sofort erreichen. Auch derSozialversicherungsbeitrag soll 40 Prozent betragen undebenso der insgesamt vom Staat zu leistende Anteil. Dassdies nicht finanzierbar ist, hat er mittlerweile eingesehenund in verschiedenen Talkrunden auch kundgetan. So ka-men dann auch Überschriften wie „Die Entzauberung desKandidaten“ und „Verwirrung um Steuerpläne der Union“zustande. Das „Handelsblatt“ hat dies mit der Überschriftkommentiert: „Zahlenrausch“. Auch kam die Überschriftzustande: „Union tritt für höhere Neuverschuldung ein“.Die letzten Überschriften dazu sind: „Stoiber vermeidetFestlegung im Steuerstreit“ und „Wenn der Spielführerpatzt“.Das sind Überschriften, die die gesamte Situation sehrtreffend beschreiben. Zwar haben Sie jetzt die K-Fragepersonell entschieden. Aber es gibt keine programmati-sche Klarheit und Geschlossenheit in dieser Union.
Das dokumentiert sich Tag für Tag. Fast stündlich gibt esneue Vorschläge. Ich muss sagen: Sie sind mittlerweileeine schlecht organisierte Chaostruppe.Es bleibt das Geheimnis der CDU/CSU – das hat FrauHasselfeldt wunderbar dargeboten –, wie man es möglichmachen soll, eine einzelne Gruppe, wie es jetzt vorge-schlagen wurde, im Einkommensteuerrecht zu privilegie-ren.
Es ist inzwischen klar geworden, dass das verfassungs-widrig ist. Mit einer solchen Privilegierung gelingt esnicht, einen verfassungsgerechten Gesetzentwurf vorzu-legen. Das kann ich Ihnen schon heute sagen.
Zum Zweiten bleibt es Ihr Geheimnis, wie es gelingensoll, eine Stufe der Steuerreform von 2005 auf 2002 vor-zuziehen, ohne gegen die Maastricht-Kriterien und dieObergrenze der Verschuldung – wir haben uns verpflich-tet, diese einzuhalten – zu verstoßen.
Das ist genau die Politik, die wir nicht mehr machen wol-len. Wir haben 1998 eine Kehrtwende gemacht: Wir wol-len weg von dem Schuldenstaat. Sie wollen uns wiederauf den Weg in eine höhere Neuverschuldung zurück-führen. Das ist die Wahrheit, die Sie hier zur Kenntnisnehmen müssen.
Was auch nicht geht, ist das Hü und Hott, das Sie in densteuerpolitischen und finanzpolitischen Fragen vorführen.Sie haben gleichzeitig ein Sammelsurium an Forderungenzusammengestellt, die Fragen der Haushaltskonsolidie-rung, der Haushaltsgestaltung und der Verschuldungskri-terien völlig außer Acht lassen.Herr Austermann und andere fordern, für Bildung undForschung über 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktesauszugeben. Das klingt gut,
bedeutet aber in der Konsequenz, dass der Bildungs- undForschungsetat ungefähr verfünffacht werden soll. Siewollen, dass die Bundeswehr mit mehreren MilliardenEuro besser ausgestattet wird. Sie wollen trotz einesguten, gemeinsam verhandelten Solidarpaktes, der überJahre trägt, für die neuen Bundesländer mehr tun. Das sagtHerr Stoiber.
Das sagt aber auch Herr Generalsekretär Thomas Goppel.Er schwärmt von einem 20-Milliarden-Euro-Programm.Dazu kann ich nur sagen: Die familienpolitischen Leis-tungen, die Sie den Kommunen versprechen, Ihre Forde-rungen, die die Ausgabenpolitik des Haushalts betreffenund die Steuersenkungen, die Sie hier formulieren, führenin eine Verschuldung, die nicht nur aufgrund der EU-Kri-terien nicht haltbar ist, die wir einzuhalten haben, sonderndies alles zeigt, dass Sie finanzpolitisch völlig durchge-dreht sind.
Das sind die Vorschläge, die Sie uns von Tag zu Tagund von Stunde zu Stunde klarer darbieten. FrauHasselfeldt, Weihnachten ist vorbei.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Scheel,auch Ihre Redezeit ist vorbei.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Christine Scheel20968
Danke schön. – Wir sollten gegenüber den Wählerinnen
und Wählern ehrlich sein. Zur Ehrlichkeit gehört auch,
dass man sagt, was man will. Aber dazu kann man von Ih-
nen derzeit leider nichts erfahren.
Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner für
die FDP-Fraktion ist unser Kollege Carl-Ludwig Thiele.
Meine sehr verehrtenKolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Scheel, ichweiß nicht, wie jemand, der in vier Jahren rot-grüner Re-gierungsverantwortung nur für den Bund fast 200 Milli-arden DM Neuverschuldung zu verantworten hat, dieFrechheit haben kann, vor das Plenum zu treten und zu sa-gen, das sei Konsolidierungspolitik. Das ist alles andere,aber keine Konsolidierungspolitik.
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, die finanz-und steuerpolitischen Vorschläge, die in den letzten Tagenaus der Union zu hören waren, können nur als verwirrendund chaotisch bezeichnet werden. Man reibt sich die Au-gen: Die Union hat sich endlich auf einen Kanzlerkandi-daten geeinigt. Mit welchem Programm in der Steuer- undFinanzpolitik die Union antreten will, bleibt allerdingsvöllig schleierhaft. Deshalb frage ich für die FDP-Frak-tion die Union: Was wollen Sie eigentlich?
Wollen Sie die Steuerreform ganz vorziehen oder nur einbisschen, die Neuverschuldung ausweiten oder gesetzlichverbieten – wie es Christian Wulff forderte –, die Maas-tricht-Kriterien einhalten oder überschreiten,
die Ökosteuer absetzen, aussetzen oder beibehalten?Herrn Stoiber scheint es wie Kolumbus zu gehen: Er weißnicht, wo er ist. Er hat nur vage Vorstellungen davon, waser sucht, aber unendlich viel Gottvertrauen.
Das löst aber nicht die Probleme. Die Union hat mit HerrnStoiber einen Steuermann, aber noch kein Steuerkonzept.Wer aber hier in Berlin die nächste Regierung stellen will,der muss wissen, was ist, und sagen, was er will.Was mich bei dieser Diskussion wirklich verrückt ge-macht hat, ist, dass Rot-Grün zwar politisch gescheitertist, dies aber heute nicht das Thema ist. Deshalb erkläreich für die FDP: Das Scheitern rot-grüner Politik muss indieser Diskussion wieder zum Thema werden.
Es muss wieder zum Thema werden, dass unter Rot-Gründie Lohnnebenkosten steigen, dass die Arbeitslosigkeitsteigt, dass wir in Deutschland beim Wachstum Schluss-licht in Europa sind und dass die Staats- und Steuerquoteauf neue Höchststände steigt. Denn allen Konsolidie-rungsbemühungen des Bundesfinanzministers zum Trotzist die Neuverschuldung in den vier Jahren rot-grüner Re-gierung um fast 200 Milliarden DM gestiegen. Dies istleider kein Zufall, sondern die Folge einer gescheitertenPolitik.Die von Schröder im Wahlkampf umworbene Ziel-gruppe der Neuen Mitte wurde von Rot-Grün zur Ziel-scheibe ihrer Politik gemacht.
Der Mittelstand wurde durch steigende Steuerlasten undBürokratie stranguliert. Ich nenne nur ein Beispiel: Durchdie rein fiskalisch an Mehreinnahmen orientierte Politikder Gegenfinanzierung wurden die Abschreibungsbedin-gungen verschlechtert und wurde sich an Mehreinnahmenreich gerechnet. Daraufhin passierte genau das, was dieFDP vorausgesagt hat: Die Investitionen blieben aus. Da-mit gibt es weniger Wachstum und Arbeitsplätze. Das istgenau die Politik, die wir nicht wollen. Wir wollen nichtmehr Staat, sondern weniger.
Das Problem hinsichtlich der Bundestagswahl bestehtdarin, dass die Union ohne Kurs und Konzept ist und Rot-Grün nur eine defensive Politik und Argumentation be-treibt. Sie verteidigen nur das Beschlossene und habenkeine Visionen mehr, wie es nach der Bundestagswahl inunserem Land weitergehen soll.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, schon jetztbrauchen wir keine ruhige Hand eines Kanzlers, sonderneine tatkräftige Hand.
Wir brauchen Visionen und klare Konzepte, mit denen dieZukunft unseres Landes errungen wird. Die Konzepte derFDP liegen auf dem Tisch. Wir wollen ein niedriges, ein-faches und gerechtes Steuersystem mit Steuersätzen inHöhe von 15, 25 und 35 Prozent.
Die Ökosteuer als angebliches Kernstück grüner Steu-erpolitik,
wie Frau Scheel und Herr Metzger es öffentlich immerglauben machen, ist gnadenlos gescheitert. Deshalb kanndieses Modell auch nicht so bleiben, wie es ist. Der naivepolitische Glaube der Grünen, die Rentenreform rückgän-gig zu machen – durch massive Steuererhöhungen als
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002 20969
Ökosteuer getarnt soll mehr Geld in die Rentenversiche-rung fließen und dadurch sollen die Beiträge sinken –,geht nicht auf. Was geschieht wirklich? Der Rentenversi-cherungsbeitrag wird trotz der weiteren Ökosteuerer-höhung zum 1. Januar dieses Jahres um etwa 6 MilliardenDM um 0,3 Prozent auf 19,4 Prozent steigen. Um das zuverhindern, tricksen Sie und greifen in die Schwankungs-reserve.
Der Etat von Herrn Riester explodiert. Der Zuschuss andie Rentenversicherung steigt im Zeitraum 1999 bis 2003um fast 30 Prozent. Der dickste Etatbrocken steigt underdrückt die Zukunftsfähigkeit in der Gestaltung unseresEtats. Das alles ist Folge einer verfehlten Renten- undÖkosteuerpolitik von Rot-Grün.
Deshalb bleibt festzuhalten: Rot-Grün ist am Ende.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ob sich der deutscheTanker rechts- oder linksherum im Kreise dreht – sokommt er nicht vom Fleck. Ob der nächste KapitänSchröder oder Stoiber heißt, ändert nichts am falschenKurs der Politik. Erst wenn die FDP das Steuer über-nimmt, kann es zu einem Wechsel in der deutschen Poli-tik kommen,
hin zu mehr Freiheit und Selbstverantwortung, wenigerStaat und Bürokratie, weniger Steuern und damit zu mehrWachstum und Arbeitsplätzen. Dafür treten wir im Ple-num und in der Bundestagswahl ein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Thiele,
ich muss jetzt leider Ihre Rede abbrechen.
Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Dr. Christa Luft.
Frau Präsidentin! VerehrteKolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Thiele, das Pro-blem, das die FDP offenbar hat, nämlich die Union aufFDP-Kurs zu bringen, damit es zu einer neuen Koalitionkommen kann, haben wir nicht.
Das, was in den letzten Tagen aus Unionskreisen zurHaushalts- und Steuerpolitik zu hören war, ist wohl keinabsichtsvolles Spiel mit verteilten Rollen. Das ist eherAusdruck dafür, dass niemand in der Union die Zügel festin der Hand hat. Das, was der eine sagt, relativiert derNächste und der Dritte dementiert es. Von einem tragfähi-gen, konsistenten finanzpolitischen Konzept kann keineRede sein, und das bei einem Thema, bei dem die Unionzuallererst Kompetenz beansprucht. Vollmundige Ankün-digungen eines programmatischen Vorlaufs für dienächste Legislaturperiode platzen wie eine Seifenblase.Wie, Frau Kollegin Hasselfeldt, würde wohl der Praxis-test ausfallen?Erinnern wir uns an die Beratungen zum Haushalt2002! Bis in die Schlussrunde hinein haben Unionsver-treter lautstark gefordert, die Neuverschuldung stärker zusenken, als es die rot-grüne Koalition vorgesehen hatte.Schon zwei Monate später ist davon keine Rede mehr. Of-fenbar hat man Angst vor der eigenen Courage. Jetzt se-hen die einen einen Spielraum von 6 Milliarden bis 7 Mil-liarden Euro, bevor die von Brüssel vorgegebene Grenzeder Verschuldung erreicht ist. Gleichzeitig wollen andere,wie Herr Wulff aus Niedersachsen, die Aufnahme neuerSchulden im Grundgesetz ausschließen. Herrn Merzschwebt ein nationaler Stabilitätspakt zur Schuldenver-minderung vor. Das gleicht in der Tat einem Gemischt-warenladen.
Für meine Fraktion lehne ich abermals ein schulden-finanziertes Vorziehen der nächsten Stufe der Steuer-reform ab. Wir können uns nur vorstellen, den Spielraum,den es bei der Neuverschuldung noch gibt, bevor die vor-gegebene Grenze erreicht wird, zu nutzen, wenn Investi-tionsprogramme, die vor allem auf kommunaler Ebeneschnell wirken, aufgelegt und die Mittel für das Pro-gramm „Stadtumbau Ost“ aufgestockt werden sollen. NurInvestitionen bringen nachweislich konjunkturelle Wir-kungen und damit Beschäftigungseffekte.
Herr Thiele, niemand kann beschwören, dass ähnlicheEffekte durch eine schnelle Senkung der Steuern erzieltwerden können. Die Praxis der letzten Jahre beweist je-denfalls das Gegenteil. Auch Rot-Grün muss dies zurKenntnis nehmen. Rot-Grün ist nämlich durch eine Reihevon Schritten, die mit der Steuerreform gemacht wordensind, zum Beispiel durch Steuergeschenke vor allen Din-gen an Kapitalgesellschaften und durch den Verzicht aufWiedererhebung der Vermögensteuer – das macht es denLändern bei ihrer derzeitigen Haushaltslage unmöglich,sich an vom Bund aufgelegten Förderprogrammen zu be-teiligen –, in die Schuldenfalle getappt.
Das sind nur zwei Beispiele dafür, wie man die Schuldenhätte senken können, wenn man andere Schritte unter-nommen hätte.In der heutigen Ausgabe des „Handelsblattes“ kannman lesen – das setzt dem Ganzen die Krone auf –, dassder Finanzminister freiwillig und am Gesetzgeber vorbeijährlich auf 450 Millionen Euro Umsatzsteuer verzichtet,um die Börsenfähigkeit der Deutschen Post AG herzu-stellen. Er will offenbar die Einmaleinnahmen aus demVerkauf der Postaktien in seinen Haushalt einstellen. Das
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Carl-Ludwig Thiele20970
hat mit konsistenter Haushaltspolitik nichts zu tun undwird gewiss noch ein Nachspiel haben.Wenn die Union über die Steuerreform neu verhandelnwill, dann darf es nicht um das Vorziehen der nächstenStufe der Steuerreform gehen. Dann muss es vielmehr umdie gewinnabhängige Gestaltung des Körperschaftsteuer-satzes, die Rücknahme der Steuerfreiheit für Veräuße-rungsgewinne von Kapitalgesellschaften und die Ge-währung eines niedrigeren Mehrwertsteuersatzes fürUnternehmen gehen, die arbeitsintensive Dienstleistun-gen, zum Beispiel Reparaturen, anbieten. Der französi-sche Finanzminister Fabius hat gestern im Haushaltsaus-schuss noch einmal bestätigt, welche Arbeitsplatzwirkungdas in Frankreich gehabt hat. Auch das sollte die Bundes-republik Deutschland nachmachen.
Wir fordern auch die Gewährung von Steuerfreiheit fürExistenzgründer in den ersten drei Jahren,
und zwar auch dann, wenn sie schon Gewinn erzielen.Das stärkte ihre Eigenkapitalbasis.Mit solchen Maßnahmen, die natürlich ergänzt werdenkönnen, würden wir es schaffen, Beschäftigung anzurei-zen und neue Steuereinnahmen in den Steuersack der öf-fentlichen Haushalte zu bekommen. Auf diese Weise wür-den wir die allgemeine Wohlfahrt insgesamt verbessernkönnen.Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt spricht die Parla-
mentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks.
D
Frau Präsidentin! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Es ist kaum zwei Wo-chen her, da trat Frau Kollegin Merkel ihren Gang nachCanossa an; nur liegt Canossa jetzt nicht mehr in Ober-italien, sondern in Oberbayern und heißt Wolfratshausen.Zurück in Magdeburg, war die K-Frage gelöst. Damithatte die Union die interessanteste Frage, die sie der deut-schen Bevölkerung in diesem Jahr überhaupt anzubietenhatte, geklärt. Sie hat einen Kandidaten.Zugleich aber tat sich eine neue K-Frage auf, nämlichdie Frage nach der Kompetenz, und die scheint auf Dauerunlösbar zu sein.
Eine bekannte und nicht gerade linke deutsche Tageszei-tung – es war die „Welt“ – hat noch ganz milde getitelt:„Finanzpolitisches Durcheinander in der Union“. Das istwirklich milde ausgedrückt.
Die unterschiedlichsten Forderungen stehen im Raum;nur eines ist ganz sicher: Sie kosten Geld, Geld, Geld undlösen die wirtschaftlichen Probleme nicht.Herr Stoiber bastelt derzeit an seinem „Kompetenz-team“. Die Zerstrittenheit der Union und die Absurditätder Vorschläge zeigen aber vor allem eines:
Hier gibt es keine Kompetenz und kein Team, sondern nureinen zerstrittenen Haufen – es sei denn, bei der Uniongeht es um die Kompetenz beim Schuldenmachen. Dakönnte sie allerdings auf die stolze Leistungsbilanz derÄra Kohl zurückgreifen und wieder da anknüpfen, wo sievor drei Jahren aufgehört hat.
Nehmen wir die Aussetzung der nächsten Stufe derÖkosteuer! Das bedeutete einen Einnahmeausfall in Höhevon 3 Milliarden Euro, hinterließe eine offene Frage fürdie Senkung und Stabilisierung der Rentenversicherungs-beiträge und wäre natürlich auch ein Rückschlag für dieÖkologie. Diejenigen, die sich für die Aussetzung dernächsten Stufe der Ökosteuer stark machen, sollten ehrli-cherweise wenigstens sagen, ob sie die Rentenversiche-rungsbeiträge erhöhen wollen oder ob sie auch das wiedermit neuen Schulden regeln wollen.
Reden Sie sich also nicht heraus, sondern geben Sie eineklare Antwort auf diese Frage!Dabei ist schon interessant, dass die Union von derForderung nach der Abschaffung der Ökosteuer inzwi-schen abgerückt ist. Vielen ist die Fundamentaloppositionder CSU gegen diese Steuer noch in guter Erinnerung.Betrachten wir das angekündigte Sofortprogramm fürdie neuen Länder! Die Bundesregierung misst dem AufbauOst weiterhin hohe Priorität zu. Ein erheblicher Teil der Fi-nanzhilfen und steuerlichen Vergünstigungen kommt da-her einer zielgerichteten Förderung von Branchen undRegionen in den neuen Ländern zugute. Das ist schonheute der Fall und das wird natürlich auch nicht geändert.
Deshalb haben wir die Förderung für die neuen Ländermit dem Solidarpakt II auch auf eine solide und nachhal-tige Basis bis zum Jahr 2020 gestellt. Eine solche Lang-fristpolitik wäre Ihnen niemals eingefallen.
Das schafft Sicherheit für die Investoren und daraufkommt es an.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Dr. Christa Luft20971
Ich bin bei den Verhandlungen die ganze Zeit über da-bei gewesen. Die waren nicht vergnügungssteuerpflich-tig. Ich kann mich nicht erinnern, dass die BayerischeStaatsregierung besonders spendabel gewesen wäre, wasdie Unterstützung der finanzschwachen Länder angeht;im Gegenteil. Der Bund hat die Hauptlast zu tragen.
Kaum hat Herr Stoiber eine neue Funktion, die desKandidaten – die wird er natürlich auch behalten –, ersinnter immer neue Programme.
Einfach so wird vonseiten des Herrn Kandidaten eine Er-höhung der Mittel für die neuen Länder um rund 20 Mil-liarden Euro ins Gespräch gebracht und natürlich gibt eskein Konzept zur Finanzierung. Bleiben also wieder nurneue Schulden.Damit sind wir auch schon beim erstaunlichsten Punktder derzeitigen Entwicklung angelangt: Dieselbe Union,deren ehemaliger Finanzminister Waigel sich in Brüsselfür den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt nunwirklich stark gemacht hat, fordert nun eine Erhöhung derVerschuldung. Sie will den Konsolidierungskurs verlas-sen, der für Vertrauensbildung auf nationaler wie auf in-ternationaler Ebene sorgt, der die öffentlichen Finanzenseit 1998 vom Kopf wieder auf die Füße stellt und der vorallem auch einen wichtigen Beitrag zur Stabilität unserergemeinsamen europäischen Währung, des Euro, leistet.Dafür ist uns der Euro zu wichtig. Der Umgang der Op-position mit den Maastricht-Kriterien und dem Stabilitäts-und Wachstumspakt ist derzeit geradezu zynisch.
Dies zeugt von Unkenntnis oder Ignoranz gegenüberden Vereinbarungen auf europäischer Ebene. Ziel ist einausgeglichener Staatshaushalt und letztlich die Erzielungvon Überschüssen und damit die Rückgewinnung wirkli-chen Handlungsspielraumes. Ich weiß, dass wir davonnoch weit entfernt sind, aber wir sind jedenfalls auf demWeg dahin; Sie wollen ihn sofort wieder verlassen.
Wer Defizite zurückführen oder Abgaben senken will, dermuss vor diesem Hintergrund sagen, wo er denn Ausga-ben zurückführen, und nicht, wo er sie erhöhen möchte.Wer das nicht tut, der knüpft an das Weiterwursteln derVergangenheit bis 1998 an, mit all seinen bekannten Fol-gen für Staatsverschuldung und Generationenungerech-tigkeit, so muss man ja in Ihrem Falle sagen; es ist übri-gens vor allem die alte Garde der CDU/CSU, die immernoch nicht einsehen will, dass dieses Konzept auf derganzen Linie gescheitert ist.Was will die Union nun wirklich? Wir wissen es nicht.Die Meldungen über immer neue Richtungsentscheidun-gen zur Steuer- und Haushaltspolitik der Union wechselnderzeit ja geradezu minütlich. Ich habe mir ein paar Über-schriften allein von dieser Woche aufgeschrieben. Ich be-ginne mit dem 20. Januar; da hatte der Kandidat immer-hin schon neun Tage lang die Möglichkeit, sich auf dieKandidatenrolle einzustellen: „CDU will Staatsschuldenverbieten“, so Herr Wulff aus Niedersachsen, der ja im-mer zu allem etwas zu sagen hat. – „Merkel will Steuer-reform um zwei Jahre vorziehen“, im Gegensatz zu Kanz-lerkandidat Stoiber. – „Union liebäugelt mit höhererVerschuldung, Forderungen zur Steuerreform bleibenaber widersprüchlich“. Wir sind beim 22. Januar ange-langt: „Stoiber sieht nun doch keinen Spielraum fürhöhere Schulden“. Zugleich erklärt er aber, er sehe keinenGrund, die von dieser Regierung verabschiedete Steuer-reform vorzuziehen. Das ist die Äußerung von gesternAbend aus der Sendung „Was nun, Herr Stoiber?“. Zurselben Zeit erklärt Herr Merz bei einem CDU-Empfang inBremen: Zur Entlastung des Mittelstandes werde dieUnion alle Teile der Steuerreform vorziehen, die eigent-lich für 2005 geplant seien. – Das Problem ist, so ein Kan-didat kann nicht allgegenwärtig sein. Herr Genscherkonnte ja bekanntlich in zwei Flugzeugen gleichzeitig sit-zen, aber Herr Stoiber kann nicht zeitgleich in allen Lan-deshauptstädten sein und zugleich die Rolle eines jedenCDU-Politikers übernehmen. Dieses Problem werden Sieauch bis zum Wahltag nicht gelöst bekommen.
Was getan werden muss, hat die Bundesregierung ge-tan: Wir setzen eine umfassende Steuerreform um und wirführen die Entlastung der Familien fort. Durch diese spür-baren Entlastungen werden der Konsum und die Spar-fähigkeit der privaten Haushalte angeregt. Die fort-währende Entlastung von Unternehmen ist ein starkerImpuls für die Investitionstätigkeit und trägt so zur Schaf-fung von Arbeitsplätzen bei. Wir behalten das Ziel desUmweltschutzes im Auge und stärken Zukunftsbereichewie Bildung und Forschung. Die Bundesregierung ver-bindet eine wachstums- und stabilitätsorientierte gesamt-wirtschaftliche Politik mit nachhaltigen Reformen.Dies entspricht auch den Anforderungen der europä-ischen „Grundzüge der Wirtschaftspolitik“. Wir befindenuns damit im Einklang. Das, was Sie ankündigen, ist mitder europäischen Politik nicht vereinbar.
Die Finanzpolitik der Bundesregierung trägt den gegen-wärtigen konjunkturellen Unwägbarkeiten Rechnung,ohne das Ziel der mittelfristigen Konsolidierung aus demAuge zu verlieren. Deutschland ist, wie Sie wissen, starkexportabhängig. Wir sind mit den USA eng verzahnt.Weltwirtschaftliche Abkühlungen schlagen in Deutsch-land, auch im EU-weiten Vergleich stärker zu Buche alsin anderen Staaten. Dies hat uns zuletzt noch auch derSachverständigenrat so bestätigt.Gerade weil dies so ist, braucht Deutschland keine An-kurbelung der Schuldenspirale, sondern eine zuverlässigeFinanzpolitik, die spürbare Entlastungen für privateHaushalte und Wirtschaft mit fortgesetzten Konsolidie-rungsanstrengungen verbindet. Wir wollen kein konjunk-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks20972
turelles Strohfeuer, sondern eine Politik, die unsere Wett-bewerbsfähigkeit nachhaltig stärkt.
Was die Opposition derzeit anbietet, ist dagegen einebunte Mischung falscher Rezepte von gestern.Abschließend darf ich vielleicht noch auf die entspre-chende Bewertung durch das „Handelsblatt“ eingehen.Das „Handelsblatt“ sieht die gesamte Union und auchihren Kandidaten „im Zahlenrausch“. Nicht nur, dass diesnatürlich dem asketischen Image des Kandidaten wider-spricht: Leute, die im Rausch sind, haben keinen klarenKopf – und das merkt man Ihnen auch an!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Kol-
lege Dietrich Austermann für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsiden-tin! Meine Damen und Herren! Als es Anfang der Wochehieß, die SPD möchte zu dem genannten Thema eine Ak-tuelle Stunde machen, habe ich gesagt: Sehr schön, danke!Denn wenn man sich vor Augen führt, was Sie uns vor-werfen und in welcher Situation Sie sich befinden, wirdziemlich deutlich, dass es an der Zeit ist, dass Sie vomWähler dahin geschickt werden, wo Sie hingehören.
Sie haben als Beispiele Zitate von der Union aus denletzten Tagen herangezogen, ich wende mich Ihren Minis-tern zu: Die Säule Schily bröckelt. Herr Riester ist weni-ger eine Säule, er ist eher ein Poller; ihm wurde diese Wo-che im Ausschuss die Frage gestellt, ob durch seintölpelhaftes Verhalten eine Milliarde EU-Arbeitsmarkt-mittel an Deutschland vorbeigehen. Fest steht schon, dassein Schaden in Millionenhöhe entsteht.Die zweite Säule, Eichel, bröckelt. Dass Sie, FrauHendricks, die Wörter Schuldenabbau, Stabilität und So-lidität überhaupt noch in den Mund nehmen, ist geradezulachhaft.
Ich rechne Ihnen das einmal vor: Trotz der 100Milliardenaus dem Verkauf der UMTS-Lizenzen und trotz der ins-gesamt 160Milliarden aus den Privatisierungen haben Sie180 Milliarden neue Schulden gemacht.Stichwort Stabilität: Die EU-Kommission ist dabei, Ih-nen einen blauen Brief zu schreiben.
Ein blauer Brief bedeutet doch grundsätzlich, wenn ichdas von manchen Kollegen aus der Schule noch richtigweiß: Versetzung gefährdet.
Es ist in der Tat so – das werden Sie am 22. Septemberfeststellen –, dass die Versetzung nicht nur gefährdet ist,sondern dass Sie durchfallen. Mit leichter Hand kann mandieses Land nicht regieren.Drei von vier gesamtwirtschaftlichen Zielen – Wachs-tum, Arbeitslosigkeit, Preisstabilität – werden eklatantverfehlt und belegen das Versagen der RegierungSchröder. Ich will das nur an einzelnen Punkten deutlichmachen:
Wir haben in diesem Jahr das niedrigste Wachstum seitacht Jahren. Die Inflationsrate ist mit 2,5 Prozent diehöchste seit sieben Jahren und im Moment sieht es so aus,als würde sie noch weiter steigen. Es gab eine Steuer-reform, die den normalen Bürger bestraft.
Die Familienentlastung, die Sie angesprochen haben,wird durch Inflationsrate, Ökosteuer, Versicherungsteuer,Stromsteuer und höhere Beiträge zur gesetzlichen Kran-kenversicherung usw. konterkariert. Die Steuerreformkommt beim Mittelstand nicht an, da dieser von der Sen-kung der Körperschaftsteuer nichts hat. Fast das gesamteVolumen der steuerlichen Entlastungen trifft nur einenganz bestimmten Kreis der Bevölkerung.
Meine Damen und Herren, Sie fragen, was wir als Ers-tes machen wollen. Wir werden sofort nach der Regie-rungsübernahme im Herbst dieses Jahres Maßnahmeneinleiten, die die hausgemachte rot-grüne Rezession be-enden.
Die wichtigste Maßnahme, die wir zu treffen haben, ist,dafür zu sorgen, dass die Wachstumsgrundlagen gestärktund die Verkrustungen des Arbeitsmarktes aufgebrochenwerden. Wir werden einen detaillierten Kassensturz ma-chen,
denn Sie haben offensichtlich die Übersicht über das, wastatsächlich da ist, verloren.Ich greife ein Beispiel auf, das von der Kollegin Luftangesprochen wurde – Sie haben nicht darauf reagiert; ichwill es daher noch einmal mit meinen Worten sagen –:Nach Medieninformationen sollen aus der Leitung IhresHauses Anweisungen gegeben worden sein, der Deut-schen Post AG in einem Bereich, in dem sie dem Wettbe-werb unterliegt, die Mehrwertsteuer zu erlassen. Dem Ge-samtstaat sollen dadurch Umsatzsteuern in Höhe von1,8 Milliarden entgangen sein.Für die Feststellung sei eine Weisung leitender Mitar-beiter aus Ihrem Hause an die zuständigen Finanzbehör-den des Sitzlandes maßgebend gewesen. Gleichzeitig sollein leitender Mitarbeiter dem Aufsichtsrat der Post
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks20973
angehören. Das Verhalten soll so gewählt worden sein,um in gewisser Weise auf den Börsengang der Post Ein-fluss zu nehmen.Fangen Sie bitte nicht an, uns vorzuwerfen, wir würdennicht solide arbeiten. Das, was Sie hinterlassen, ist ein fi-nanz-, haushalts- und steuerpolitischer Scherbenhaufen.Kein normaler Mensch wird nachvollziehen können, wes-halb die Großen keine Mehrwertsteuer zahlen, währendden Kleinen noch der letzte Prozentpunkt gepfändet wird.
Ich hätte es gern gesehen, wenn Sie zu dieser Frage Stel-lung genommen hätten.Ich habe gesagt: Wir werden alles tun, was der Staatdazu beitragen kann, um die Rezession zu beenden. Wirwerden einen Kassensturz vornehmen und Ihre verfehltenwirtschaftspolitischen Maßnahmen zurücknehmen. Wirwerden eine Verbesserung der Haushaltsstruktur her-beiführen. Es kann doch nicht sein, dass die Investitionenimmer weniger werden, der Konsum immer größer unddas Geld, was für Investitionen im Haushalt vorgesehenist, nicht einmal ausgegeben wird.
1,6Milliarden DM Investitionen der Bahn sind im letz-ten Jahr durch das Verhalten des Finanzministeriums un-terblieben. Haben Sie eine Vorstellung davon, was das fürdie Arbeitsplätze bedeutet?Lassen Sie mich den letzten Punkt nennen, die Steuer-reform. Die Steuerreform ist so gestrickt, dass im Jahr2005 die Steuerbelastung eines normalen Bürgers nichtniedriger sein wird als im Jahr 1998. Wenn man sich dasvor Augen hält, ist ziemlich klar, dass die Steuerreform sonicht fortgeführt werden kann. Der Schritt 2003 wird ausZeitgründen noch so in Kraft treten. Aber danach werdenwir eine Veränderung vornehmen, die einen einfachen,gerechteren, mittelstandsfreundlichen Steuertarif zumKern hat, damit wirklich wieder Wachstum angeschobenwird, der Bürger wieder mehr Geld in der Tasche hat unddie Betriebe wieder investieren.So einfach ist die Situation und daran lassen wir unsmessen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner ist
Kollege Oswald Metzger für die Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen.
Meine Damen und Herren! Die Diskussionen sind reich-lich grotesk. Wenn sich die Union hinstellt und zur Haus-haltspolitik redet, kommt bei mir jedes Mal die Erinne-rung hoch, dass wir als rot-grüne Koalition denSchwarzen ein Wesensmerkmal ihrer politischen Da-seinsberechtigung weggenommen haben. Sie haben ge-glaubt, das Anrecht auf Solidität in der Finanzpolitik ge-pachtet zu haben.
– Das hatten sie nicht. Das werde ich mit zwei Zahlen be-legen. Ich werde heute in der Aktuellen Stunde politischargumentieren, weil man in fünf Minuten Redezeit nichtumfassend Haushaltszahlen referieren kann. In den vierletzten Jahren Ihrer Regierungszeit wurden 141 Milliar-den Euro neue Schulden aufgenommen. Das entsprach ei-nem Zuwachs der Verschuldung des Bundes in Höhe von23 Prozent – gemessen am Stand der vorvorletzten Peri-ode. Wir dagegen haben, inklusive der Neuverschuldungaufgrund des Haushaltsgesetzes für dieses Jahres, nur39,1 Milliarden Euro an neuen Schulden aufgenommen;das entspricht 5 Prozent. In genau diesen Zahlen liegt dernackte Unterschied. Dieses Zahlenbeispiel zeigt die Kon-solidierung, die Solidität unserer Finanzpolitik.
– Nein, Herr Thiele, auch wenn Sie ständig behaupten, dasliege an den Erlösen aus der UMTS-Versteigerung, sowird dies durch Wiederholung nicht wahrer. Dass wir esgeschafft haben, dieses Geld, das dem Bereich des Ver-mögens der ehemals bundeseigenen Telekomunikations-unternehmen zugerechnet werden muss, tatsächlich in dieSchuldentilgung zu stecken und die sich daraus ergeben-den Zinsersparnisse für Investitionen in die Verkehrsin-frastruktur, für Bildung und in Forschung zu verwenden,zeigt, dass wir Sparen nicht als Selbstzweck verstehen,sondern dass wir den Kapitalstock unserer Volkswirt-schaft aufstocken wollen. Das ist eine Leistung, auf diewir auch im Wahljahr immer wieder hinweisen werden.Diese Leistung können Sie auch in objektiven Parameternmessen; das ist nicht nur Hofberichterstattung von Mit-gliedern der Regierungsfraktionen.Zu Herrn Stoiber muss man nur Folgendes sagen – Kol-legin Hendricks hat darauf hingewiesen –: Ein Kandidat,der immerhin Ministerpräsident ist, äußert sich in einerFernsehsendung am vergangenen Sonntag – bei FrauChristiansen; grottenschlechter Auftritt, vor allem inhalt-lich – und sagt nur ein paar Tage später, gestern, die Deut-schen hätten, was Maastricht angeht, noch Spielraum –und das, obwohl diesen Vertrag, diesen Pakt doch geradeder ehemalige CSU-Vorsitzende, mit dem er sich damalsum das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten gebalgthat, gegenüber Brüssel durchgesetzt hat. Das war dochgerade die europapolitische Sternstunde der RegierungKohl. Gerade dieser Kandidat, der aus der konservativenEcke kommt, sagt jetzt allen Ernstes, die Deutschen könn-ten noch mehr Verschuldung machen. Wochenlang ma-chen Merz, Austermann und andere hier Wind mit derDrohung, wir würden einen blauen Brief aus Brüssel be-kommen, und jetzt das! Die EU würde Stoiber angesichtsdieses konzeptionellen Ansatzes vom Platz stellen; dawürde nicht einmal ein blauer Brief reichen.
Ich als Finanzpolitiker bin, bei Gott, froh, dass wir inDeutschland endlich einmal Planungssicherheit für dieSteuerpflichtigen dergestalt haben, dass die Steuersätzeüber Jahre hinweg sinken. Von der kalten Progression – diessage ich den Mittelstandspolitikern in den Reihen der
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Dietrich Austermann20974
CDU/CSU und der FDP – haben Sie in der Vergangenheitdoch genauso profitiert. Ihre Länder machen doch die Ta-schen zu, wenn es darum geht, Entlastungen zu finanzieren,die tatsächlich bei den Bürgerinnen und Bürgern ankom-men.Kollege Rauen, denken Sie einmal daran: Ihre Steuer-konzeption von 1996 hätte dazu geführt, dass man bereitsab einem zu versteuernden Einkommen von 90 000 DMeinen Spitzensteuersatz von 39 Prozent gezahlt hätte. Daswaren die Petersberger Beschlüsse. Ab 2005 wird nun derSpitzensteuersatz ab einem zu versteuernden Einkommenvon 102 000 DM bei 42 Prozent liegen. Warum blasen Siesich bei dieser Differenz so auf? Es gibt überhaupt keinenGrund. Das ist einfach inkonsistent.
Sie predigen hier eine ordnungspolitische Konzeption, dieSie selbst nicht haben.Kollege Rauen und Herr Thiele, denken Sie bitte daran– Sie haben eben in Bezug auf die Ökosteuer von der lin-ken und rechten Tasche gesprochen –, dass die Lohnne-benkosten gesunken sind. Wahr bleibt, dass trotz des jet-zigen Anstiegs im Krankenversicherungsbereich derSozialversicherungsbeitrag im Wahljahr 2002 unter demStrich um 1,3 Punkte niedriger ist als bei unserer Regie-rungsübernahme.
Das ist so, meine Damen und Herren! Allein dieser Trend-wechsel ist ein positives Signal.
Außerdem haben wir Strukturreformen vorgenom-men. Wenn man 16 Jahre lang regiert hat, dann ist es psy-chologisch nachvollziehbar, dass man sich nach drei Jah-ren Opposition nach der Regierung zurücksehnt. Weraber 16 Jahre lang Reformen des Arbeitsmarkts, derKrankenversicherung, der Rente und in der Finanzpolitikunterlassen hat, wer in der Steuerpolitik erst in der End-phase dieser 16 Jahre überhaupt Reformschritte eingelei-tet hat, der braucht sich in einem Wahljahr nicht aufzu-blasen. Das ist ein Wolkenkuckucksheim, eine FataMorgana von Regierungsfähigkeit, die Sie und Ihrbayerischer Kandidat hier vorgaukeln wollen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner ist
der Kollege Hans Georg Wagner für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Herr Kollege Austermann, manchesin Ihrer Rede habe ich nicht verstanden. Sie bekommen ei-niges offensichtlich nicht mit oder begreifen es nicht. Estut mir manchmal Leid, dass wir uns immer mit Ihnen be-schäftigen müssen; aber Sie werden nun einmal von IhrerFraktion vor allem dazu ins Rennen geschickt, hierfalsche Behauptungen zu konkretisieren. Das, was Sieheute wieder vorgetragen haben, finde ich abenteuerlich.Auch Sie, Herr Thiele, haben wohl vergessen, dass derSchuldenstand bis 1998 – von Ihrer Regierung verursacht,von Ihnen mitgetragen – auf 1,5 Billionen DM mit jährli-chen Zinszahlungen von über 80 Milliarden DM ange-wachsen ist. Herr Thiele, ich weiß, dass Sie Kinder haben.Sie haben die Zukunft Ihrer eigenen drei Kinder
– fünf sogar! – aufs Spiel gesetzt, weil Sie mit dem Geld,das die vorherige Regierung mit Ihrer Zustimmung aus-gegeben hat, die Zukunftschancen und Entfaltungsmög-lichkeiten Ihrer Kinder eingeschränkt haben.
Sie haben bei Ihren Kindern Geld gepumpt, um das zu be-zahlen, was Sie politisch zu verantworten haben.
Herr Austermann, wider Wissen wird behauptet – dasist gestern ganz eindeutig gesagt worden –: Die rund 1 Mil-liarde, die das Haus Riester bekommt, wird Anfang Fe-bruar ausgezahlt. Das, was Sie erzählen, Herr Austermann,ist Unsinn, eine glatte Lüge! Das stimmt einfach nicht!
Herr Austermann, ich habe Sie gestern eingeladen, ei-ner weiteren gemeinsamen Sitzung mit dem Sozialaus-schuss zuzustimmen, bei der die beiden Vertreter ausBrüssel berichten werden, warum sie die Anträge derBundesregierung positiv bescheiden werden. In der Fe-bruarsitzung können sie das darstellen.
Sie sollten nicht alles verwechseln.Ich verweise auch auf das, was zu den neuen Länderngesagt worden ist: Wir haben gerade den Solidarpakt IImit 300 Milliarden DM, das sind 150 Milliarden Euro, fürdie nächsten Jahre beschlossen. Außerdem haben wir denneuen Ländern die Chance eingeräumt, über das Investi-tionsförderungsgesetz selbstständig zu verfügen.
Das sind jährlich 6,6 Milliarden DM. Wir haben den Län-dern die Möglichkeit gegeben, alle bürokratischenHemmnisse abzubauen und dafür zu sorgen, dass die In-vestitionen entsprechend eingesetzt werden können.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Oswald Metzger20975
Ich möchte noch kurz auf das eingehen, was der HerrKollege Metzger bezüglich Herrn Stoiber angedeutet hat.Als er am Sonntag von den 3 Prozent sprach, habe ich lautgelacht.
Er hätte doch vorher Theo Waigel – die beiden verstehensich doch gut; das hört man allgemein – einmal anrufensollen. Im Jahr 2003, dem Jahr, in dem Herr Stoiber theo-retisch zum ersten Mal über einen Haushalt entscheidenkönnte, wird – dies ist das Stabilitätsziel der rot-grünenBundesregierung – der infrage stehende Prozentsatz bei1 Prozent und nicht bei 3 Prozent liegen. Das bedeutet,dass der Spielraum bei 20 bis 30 Milliarden DM liegt –und nicht bei 6 Milliarden DM, von denen Herr Stoiberam Sonntag gesprochen hat. Das heißt: Er würde dieNeuverschuldung 2003 um 30 Milliarden DM erhöhen.Sie waren schon bis 1998 Meister im Schuldenmachen.Das ist die Position, die wir vertreten: Wir machen end-lich weniger Schulden in Deutschland. Bis zum Jahre2006 senken wir die Nettokreditaufnahme auf null.
Herr Kollege Austermann, Sie haben hier gesagt, dieInvestitionen seien gesunken. Ein Schaubild, das ich Ih-nen mitgebracht habe, soll Ihnen zeigen, dass das, was Siegesagt haben, schlicht und ergreifend falsch war. Denn imJahr 2002 sind – ausweislich des Haushaltsplans, den Sieoffenbar nicht kennen – 13,44 Milliarden DM für Investi-tionen vorgesehen. Sie hatten im Jahre 1998 in IhremHaushalt genau 9,49 Milliarden DM an Investitionen.Entweder können Sie nicht rechnen oder Sie wollen nichtrechnen. Von 9,5 auf 13,5 Milliarden DM ist es eine ganzklare Steigerung. Da kommen Sie und sagen, wir würdendie Infrastrukturmaßnahmen zurückschrauben oder Inves-titionen absenken. Was Sie erzählen, ist absoluterQuatsch. Sie sollten endlich dorthin zurückkehren, wovernünftige Politik anfängt. Aber dazu sind Sie offenbargar nicht mehr in der Lage.
Im Übrigen sollten Sie auch Ihren Kanzlerkandidaten
darüber aufklären, damit er nicht immer in die Falletappt. Jeder Journalist und jede Journalistin, der oder dieihn befragt, lässt ihn schlecht aussehen. Das war doch einblamabler Auftritt am vergangenen Sonntag bei FrauChristiansen. Wir könnten uns alle zurücklehnen und sa-gen: Weiter so, Herr Stoiber! Das wollen wir nicht. Wirwollen den bayerischen Ministerpräsidenten nicht in sei-nem Kampfesmut beeinträchtigen. Sinnlos ist es ohnehin.Aber vielleicht informieren Sie ihn trotzdem.Schon als Herr Austermann in Berlin als finanzpoliti-scher Berater von Herrn Steffel aufgetreten ist, habe ichgesagt, dass das nur schief gehen kann.
Das Ergebnis haben wir ja bei der Wahl zum Abgeordne-tenhaus gesehen. Jetzt macht Austermann auf Stoiber.Auch das kann nur schief gehen, weil gar kein Wissenüber die tatsächlichen Zusammenhänge vorhanden ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die CDU/CSU
spricht jetzt der Kollege Heinz Seiffert.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Herr Kollege Wagner, da können Sienoch so brüllen: Tatsache ist, dass Deutschland heute,nach drei Jahren rot-grüner Steuerpolitik, vor einemScherbenhaufen steht.
Mit dieser Aktion heute
wollen Sie nur davon ablenken, dass Rot-Grün in derHaushalts-, in der Finanz- und in der Steuerpolitik auf derganzen Linie versagt hat.
Sie haben 1998 bei den Menschen falsche Hoffnungengeweckt. Sie wollten vieles besser machen. Was sind dieFakten? Sie haben Deutschland in die Rezession geführt.Wir sind beim Wachstum Schlusslicht in Europa.
Die Arbeitslosigkeit ist beängstigend. Die Inflation istgut dreimal so hoch wie 1998. Die Firmenzusammen-brüche und Pleiten sind in Deutschland auf Rekordniveau.Die neuen Länder stehen auf der Kippe. Alle wirtschaftli-chen Kennzahlen belegen, dass diese rot-grüne Regierungbei ihrem wichtigsten Vorhaben gescheitert ist. Davonwollen Sie heute ablenken.Sie haben in gut drei Jahren ein Steuerchaos angerich-tet, das mitursächlich für diese schwierige Lage, in der wirheute sind, ist. Sie haben auch in der Steuerpolitik soziemlich alles falsch gemacht. Das Steuersystem ist nochkomplizierter geworden, als es schon war. Selbst Fach-leute blicken langsam nicht mehr durch. Das Steuerrechtist nicht gerechter, sondern nur noch bürokratischer undungerechter geworden. Sie haben mit Ihrem 630-Mark-Wirrwarr Hunderttausende ehrlicher Steuerbürger in dieSchwarzarbeit getrieben. Das ist die Tatsache.
Diese Regierung hat den Mittelstand und die Perso-nengesellschaften steuerlich belastet und dafür gesorgt,dass die Kapitalgesellschaften in Deutschland 2001 fastkeine Steuern mehr gezahlt haben. Sie haben mit zu ver-antworten, dass den Kommunen als den wichtigsten In-vestoren der öffentlichen Hand die Gewerbesteuer weg-gebrochen ist. Was Sie den Familien, erzwungen durch
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Hans Georg Wagner20976
das Bundesverfassungsgericht, mit der einen Hand gege-ben haben, kassieren Sie durch Ökosteuer, Tabak- undVersicherungsteuer wieder ab.
Jetzt wundern Sie sich, dass nach gut drei Jahren rot-grü-ner Steuerpolitik die Steuerlastquote 1 Prozent höher istals 1998.Meine Damen und Herren, bei den gut 40 Steuergeset-zen, die Sie teilweise im Schweinsgalopp durch die Aus-schüsse gejagt haben, haben Sie hochmütig auf den Sach-verstand der Opposition verzichtet.
Bei den Anhörungen haben Sie alle guten Ratschläge derSachverständigen und der Opposition in den Wind ge-schlagen. Folge davon war, dass ein Nachbesserungs- undReparaturgesetz das andere gejagt hat.
Nur bei der Erfindung von Gesetzesüberschriftenwaren Sie kreativ: Steuersenkungsgesetz – das 30 Milli-arden Belastung für die Wirtschaft gebracht hat, Steu-erbereinigungsgesetz, Steuersenkungsergänzungsgesetz,Steueränderungsgesetz, Unternehmensteuerreformfortfüh-rungsgesetz – ich könnte das fortführen. Das alles hättenSie den Steuerzahlern und den beratenden Berufen er-sparen können, wenn Sie mehr auf uns gehört hätten.
Jetzt, nachdem der Karren tief im Dreck steckt, fragen Sienach den haushalts- und steuerpolitischen Vorstellungender Union. Sie hätten früher auf uns hören sollen,
dann wäre dem Wirtschaftsstandort Deutschland und ins-besondere den 4 Millionen Arbeitslosen viel erspart ge-blieben. Die Regierung hat es verpennt, das Richtige zudem Zeitpunkt zu tun, als es noch möglich war.
Sie hätten die Kapitalgesellschaften und die Einkom-mensteuerzahler von Anfang an im Gleichschritt entlastensollen. Dann bräuchten Sie jetzt nicht zu fragen, wannwir endlich Ihre Versäumnisse ausbügeln und die Ein-kommensteuersätze senken. Sie hätten diese unsinnigeÖkosteuer, die von Anfang an nichts anderes als einAbkassiermodell war, überhaupt nicht einführen sollen.Dann bräuchten Sie heute nicht zu fragen, ob wir nurIhren letzten Erhöhungsraubzug zum 1. Januar 2003 ver-hindern oder gleich die ganze Ökosteuer abschaffen.
Hätten Sie das 630-Mark-Gesetz nicht so vermurkst undbürokratisch geregelt, dann müssten wir jetzt nicht wiederzur Pauschalbesteuerung zurückkehren.Hätte diese rot-grüne Regierung nicht nur von Haus-haltssanierung geredet und die Investitionen gekürzt, son-dern in guten Zeiten wirklich gespart und konsolidiert,dann gäbe es jetzt die finanziellen Spielräume, um das ei-gentlich Notwendige in unserem Land sofort zu machen.Rot-Grün hat in den gut drei Jahren Regierungszeit nichtsbesser, aber vieles schlechter und falsch gemacht. Sie sindfür die jetzige Lage verantwortlich.Sie haben noch acht Monate Zeit, aber da wird voraus-sichtlich nicht mehr viel passieren. Wenn Sie sich dann anIhren Leistungen messen lassen, werden Sie, meine Da-men und Herren, die Quittung bekommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt spricht die Kol-
legin Nicolette Kressl für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr ge-ehrte Damen und Herren! Lieber Herr Seiffert, gerade inden letzten fünf Tagen hat sich sehr deutlich gezeigt, wiegut wir daran getan haben, die Vorschläge der Oppositionnicht in unsere Gesetzgebungsvorhaben aufzunehmen.
Schauen wir einmal, was Herr Stoiber vorgeschlagen hat:Hätten wir davon irgendetwas in den letzten drei Jahrenübernommen, wäre das totale Chaos entstanden.
Ich fange einmal mit der Aussage von Herrn Stoiber amSonntag bei Frau Christiansen an, dass wir noch Spiel-raum in Höhe von mehreren Milliarden hätten. GesternAbend habe ich selber gehört, wie er sagte, wir habenüberhaupt keinen Spielraum mehr.
Heute Morgen habe ich im Radio gehört, die CSU wider-spreche Stoiber. Da habe ich mir gedacht: Was ist jetztlos? Im Kommentar hieß es weiter: Er widerspricht sichnämlich täglich selber. – Wenn Sie es nicht einmal hin-bekommen, dass Ihre steuerpolitischen Vorschläge übervier Tage lang konsistent bleiben, dann kann ich nur denSchluss ziehen: Wir haben gut daran getan, uns an unsereKonzepte zu halten.
Bleiben wir bei Ihren steuerpolitischen Vorschlägen derletzten Jahre – man hat es ja vorhin bei der FrauHasselfeldt wieder gemerkt –: Ein Wunsch nach dem an-deren wird aufgezählt. Dazu kann ich nur sagen: Ja mei, istdenn schon wieder Weihnachten? Es kann doch wohl nichtwahr sein, dass nicht an die Finanzierung gedacht wird, Sieaber eine Wunschliste nach der anderen erstellen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Sie verlangen ein Vorziehen der Steuerreform; sämtlicheSchlupflöcher, die wir geschlossen haben, wollten Sieüber Anträge im Finanzausschuss wieder öffnen. Wie solldamit, bitte schön, eine konsistente Politik betriebenwerden?Wir brauchen jetzt klare Rahmenbedingungen; dieGrundlinien müssen erkennbar sein. Das Problem istdoch, dass bei Ihnen nichts erkennbar und deutlich wird,weil jeden Tag etwas anderes kommt.
Wenn überhaupt etwas erkennbar wird, dann das, dass Sieoffensichtlich die Neuverschuldung erhöhen wollen – soein Zitat von Herrn Merz. Dann wird auch deutlich, dassoffensichtlich bis zum letzten Regierungstag von HerrnWaigel überhaupt nicht daran gedacht war,
bei der Neuverschuldung eine Kehrtwende einzuleiten,und dass es ein sozialdemokratischer Finanzminister war,der die Kehrtwende in dieser Sache geschafft hat.
Wenn ich jetzt höre, was Herr Merz vorschlägt, wirdmir deutlich, dass es auch ein sozialdemokratischer Fi-nanzminister sein wird, der Garant für die Kehrtwendeweg von der höheren Neuverschuldung bleiben wird.
Dann wollen wir uns einmal die verschiedenen Wün-sche anschauen. Die Ökosteuer sei, so sagen Sie – FrauHasselfeldt hat es noch gesagt –, eine Missgeburt.
Was habe ich noch gestern von Herrn Stoiber gehört?
Er will die Ökosteuer im europäischen Rahmen. Was solldann daran eine Missgeburt sein? Ich würde sagen, Siekehren jetzt um und versuchen mit uns, das für alle euro-päischen Staaten gemeinsam hinzubekommen.
Dann gibt es noch ein Wunschpaket, Frau Hasselfeldt,nämlich das Familiengeld. Die Forderung von 60 Milli-arden DM jährlich
finde ich wirklich toll. Vor allem sind sie deshalb so gutangelegt, weil der Großteil dieses Finanzvolumens zu denschon bisher sehr gut verdienenden Familien geht, weildiese nämlich kein Erziehungsgeld bekommen.
Das heißt, einen dicken Teil aus Ihrem fetten Wunsch-paket geben Sie auch noch an die völlig falsche Stelle. Dasist ökonomisch unvernünftig und außerdem sozial unge-recht. Aber Sie stellen sich hier hin und erzählen etwasvon konsequenter Steuerpolitik!
– Gerade wir haben über das Bundesverfassungsgerichts-urteil gesprochen. Sie lagen damals in Ihren Aussagen einbisschen daneben. An Ihrer Stelle wäre ich gerade bei die-sem Punkt sehr ruhig.
Ich kann Ihnen sagen: Wenn es so weitergeht, werdenwir unsere Vorschläge zur Steuerpolitik in aller Ruheweiter konsequent umsetzen können.
– Aber natürlich!
Denn eines ist in der Steuerpolitik wirklich nicht ange-sagt: Man darf weder herumstolpern noch herumstoibern.
Das ist nicht die verantwortliche Steuerpolitik, die unserLand braucht.Danke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt spricht der Kol-
lege Hans Jochen Henke für die CDU/CSU-Fraktion.
Meine Damen imPräsidium! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Es wird Ihnen nicht gelingen abzulenken. Wahltage sindZahltage. Es sind weniger als 250 Tage. Dann wird zu-sammengezählt, vor allem, Frau Kollegin Hendricks, wasmaßgeblich Ihr Haus zu verantworten hat; denn Sie ste-hen nicht nur für das Finanz-, sondern im eigentlichenSinne auch für das Wirtschaftsministerium. Ihr Haus wird
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Nicolette Kressl20978
in wenigen Tagen den Jahreswirtschaftsbericht vorlegen,in dem die wenig schöne, in Wahrheit beklemmendeWirklichkeit offenbart wird.Fakt ist, Ihr Konsolidierungsbeitrag nach vier Jahren– ich kann es nur noch einmal wiederholen und auf derZunge zergehen lassen – beträgt 100 Milliarden EuroMehrverschuldung.
Ihr reales Finanzierungsdefizit, Frau Hendricks, in die-sem Haushaltsjahr 2002 wird trotz UMTS- und Sonder-privatisierungserlösen nach wie vor 10 Prozent des Ge-samthaushalts betragen.
Die Rückführung der jährlichen Nettoneuverschul-dung, Frau Hendricks, ist in diesem Jahr außerordentlichbescheiden. Wir haben in diesem Jahr eine Nettoneuver-schuldung von fast 42 Milliarden DM. Die Rückführungbekommen Sie überhaupt nur hin, Herr Kollege Diller,mit einer historisch niedrigsten Investitionsrate
und einer einmaligen, unverantwortlich hohen expansi-ven Steuerrate und entsprechenden Steuerpolitik.
Trotz Ihrer so genannten Jahrhundertsteuerreform wer-den Sie dem Steuerzahler insgesamt 60 Milliarden DM,30 Milliarden Euro, mehr aus der Tasche genommen ha-ben. Allein in diesem Jahr – Sie hören es nicht gern, aberdie Leute auf der Zuschauertribüne sollen es hören – ha-ben Sie um 14 Milliarden Euro höhere Abgaben als imzurückliegenden Jahr zu verantworten.Ich fand es herrlich: Minister Eichel hat auf seinem Ge-burtstagsempfang im Willy-Brandt-Haus in der letztenWoche einen Wunsch geäußert. Er möchte gern imAmt erleben, Herr Wagner, dass er in einem Haushaltsjahrmehr einnimmt, als er ausgibt. Ich habe in dieser Fei-er – ich durfte dabei sein; ich war eingeladen und bin hin-gegangen – namhafte Vertreter öffentlicher Banken undden zuständigen Staatssekretär seines Hauses angespro-chen und Wetten darauf angeboten. Ich habe leider nie-manden gefunden, der bereit war, auf diese Wette einzu-gehen.
Es rächt sich, Frau Kollegin Hendricks, dass Sie daskonjunkturell einmalig günstige Zeitfenster in dieser Le-gislaturperiode nicht für mutige Reformschritte genutzthaben. So musste Ihnen der Sachverständigenrat vorwenigen Wochen bescheinigen, dass trotz historischniedriger Lohnabschlüsse und trotz der demographischenEntlastung in dieser Zeit die offene und verdeckte Ar-beitslosigkeit bereits im Herbst letzten Jahres 13 Prozentbetragen hat. Sie in Ihrem Ministerium haben den Ar-beitsmarkt entscheidend abgewürgt und Gründern, Inves-toren, den Arbeit suchenden Menschen und letztlich auchden Gewerkschaften einen Bärendienst erwiesen. DieEmpfehlungen der Tarifkommissionen in diesen Wochensprechen Bände.Heute steht in der Zeitung, dass trotz Massenarbeitslo-sigkeit in Deutschland so viel illegal gearbeitet wird wienie zuvor. Das Volumen der Schwarzarbeit – heute in der„Berliner Zeitung“ auf Seite 1 nachzulesen – wird in die-sem Jahr voraussichtlich 360 Milliarden Euro betragen.Das geht an der regulären Wirtschaft vorbei. Damit steigtder Anteil der Schattenwirtschaft, gemessen am offiziel-len Bruttoinlandsprodukt, von 16 auf 16,5 Prozent. DieSchattenwirtschaft nimmt allein in diesem Jahr um3,5 Prozent zu. In den meisten anderen europäischen Län-dern geht sie zurück.
Gleichzeitig sind die Unternehmensgründungen um 20 Pro-zent zurückgegangen, während die Zahl der Pleiten um18 Prozent höher ist. Wo wir 2002 landen werden, weißniemand genau. Hermann Lübke, ein Mittelständler ausWestfalen, sagte vor wenigen Tagen: Wenn die ruhigeHand des Kanzlers nur so beweglich wäre wie seine poli-tische Handlungs- und Wandlungsfähigkeit, dann ginge esdem Mittelstand besser. – Wie Recht der Mensch hat!Die Union hat mit ihrem Ziel, mit der Aussage desKandidaten Edmund Stoiber, in drei zentralen Bereichenin der mittel- und langfristigen Orientierung unter 40 Pro-zent zu kommen – bei der Staatsquote, bei den Lohn-nebenkosten und bei der Abgabenquote –, wichtige Mei-lensteine gesetzt.
Wir müssen diese Quoten nachvollziehbar, erkennbar undspürbar absenken.
Wir müssen in einen völlig verkrusteten, zubetoniertenArbeitsmarkt frische Luft hereinlassen.
–
Joachim Poß [SPD]: Das sind doch Sprech-blasen!)Verlassen Sie sich darauf: Wir werden rechtzeitig vor derWahl unser Konzept vorlegen und damit Ihre verhee-renden Ergebnisse korrigieren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner ist
der Kollege Ewald Schurer für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Werte Kol-leginnen und Kollegen! Herr Henke, Sie leben in einemirrealen Raum. Als Haushälter habe ich mich in den letz-ten dreieinhalb Jahren massiv darüber gewundert, dass dieCDU/CSU-Fraktion im Haushaltsausschuss in der Lage
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Hans Jochen Henke20979
war, munter in jedem Jahr Vorschläge für Mehrausgabenzwischen 20 und 30 Milliarden – schon auf Euro umge-rechnet – zu machen,
ohne einen einzigen dezidierten Vorschlag zu bringen, wieman das seriös und wirtschaftlich decken könnte. Das istIhre Politik.
Dieses Geholpere und Gestolpere werden Sie in dennächsten acht Monaten noch fortführen.
Dann werden Sie entlarvt werden. Ich sage Ihnen auch:Durch das, was Edmund Stoiber, mein bayerischer Lan-desvater, im Augenblick zum Besten gibt, wird er ein Stückweit entzaubert. Die Presse konstatiert ja bereits: Stoiberhat in den ersten zwei Wochen die wirtschaftliche Kompe-tenz verloren, für die er im Wesentlichen angetreten ist.
Das glaubt ihm niemand mehr.
An wirtschaftliche Kompetenz glaubt auch niemandmehr, wenn man sieht, mit welcher finanzpolitischenGeisterbahntruppe Sie seit drei Jahren im Finanz- undHaushaltsausschuss agieren. Ich sage „finanzpolitischeGeisterbahntruppe“, weil Sie Vorschläge ohne wirtschaft-liche Vernunft und ohne Sachverstand machen, die ausdem hohlen Bauch kommen. Das ist die Situation.Lassen Sie uns einmal den Fokus auf Bayern richten! InBayern hat sich Herr Stoiber in den letzten sechs bis siebenJahren durch eine Reihe von Finanzskandalen ausgezeich-net. Es muss den Bundesbürgerinnen und Bundesbürgernin Fleisch und Blut übergehen, dass Edmund Stoiber zumBeispiel für den Verlust von 1,3 Milliarden DM bei derBayerischen Landesbank im Jahre 2000 verantwortlich ist.
Auf diesen Skandal angesprochen, sagte er: Das ist nichtmein Thema. – Dass Edmund Stoiber zum Beispiel denDeutschen Orden, für den er die Voraussetzungen für diekörperschaftsrechtliche Anerkennung geschaffen hat, alsSozialkonzern nach Bayern verpflanzt hat und dafür Ver-antwortung trägt, dass dieser heute de facto pleite ist, isteine finanzpolitische Tatsache.
Es gibt weitere Skandale. Herr Stoiber konnte sich beidem LWS-Skandal nur ganz schlecht aus der Affäre zie-hen. Er musste nämlich eingestehen, dass er für das In-den-Sand-Setzen einer halben Milliarde DM eigentlichverantwortlich war.
Dafür musste der Buhmann Sauter entlassen werden.Überall in Bayern, wo Stoiber versucht, zu insistieren,und wo Stoiber die Finger drin hat, gehen die Projekte ausfinanzpolitischen Gründen schief.Jetzt kommt das Wichtigste. Stoiber hat in den letztensechs bis sieben Jahren in Bayern durch seine Politik er-reicht – das festzustellen ist für die Bundespolitik wichtig –,dass Bayern nur im SPD-regierten München wirtschaftlichstark ist. Meinen Gruß an den Münchner OB Christian Ude.
Dort werden 40 Prozent der Wertschöpfung in Bayern ge-schaffen. Aber die Gebiete in Bayern, in denen es Struk-turschwächen gibt, sind in den letzten Jahren unterEdmund Stoibers Führung schwächer geworden. Dienordbayerischen Regionen haben massive Probleme, mitder wirtschaftlichen Entwicklung Bayerns mitzuhalten.Wir haben in Bayern – vielleicht weiß es FrauHasselfeldt – eine einzige Altlast im Bereich der Stahl-werke, nämlich die Maxhütte in der Oberpfalz. Die CSU-Staatsregierung ist allein schon damit massiv überfordert,ein einziges Stahlwerk in Bayern nachhaltig zu sanieren.Das sind die Leistungen von Edmund Stoiber. Alles an-dere ist nur Getöse von Ihnen und ist sachlich nicht ge-rechtfertigt.
Ihr Problem ist, dass Sie sich in den nächsten sieben bisacht Monaten selbst Stück für Stück entlarven. Sie hattenkein Finanzkonzept und Sie haben kein Finanzkonzept.Sie verstehen die Grundlagen des volkswirtschaftlichenGleichgewichtes nicht.
Sie würden das volkswirtschaftliche Gleichgewicht nichtnur gefährden; Sie würden es mit ihren chaotischen Vor-schlägen sogar zerstören. Das sind die wesentlichenPunkte.Lassen Sie mich zusammenfassen. Die CSU kann mitGeld schlecht umgehen. Das ist die Lektion Nummer eins.Auch das ist wichtig für die Öffentlichkeit: Die ParteiCSU selbst ist pleite. Wer hat denn von Ihnen erzählt, dassSie ihre Immobilien in München verkaufen müssen? Eswar Ihr Generalsekretär Goppel, der sagte, dass Sie dieCSU-Parteizentrale in der Nymphenburger Straße inMünchen aufgeben müssen, weil die Schuldenlasten Siedrücken.
Die CSU finanziert seit Jahrzehnten Wahlkämpfe, indemsie Schulden macht.
Das ist keine Grundlage für das Aufstellen einer intelli-genten Konzeption für den Bundeshaushalt. Sie sind ja
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Ewald Schurer20980
nicht einmal in der Lage, Ihren eigenen Laden in Mün-chen seriös zu führen.
Ein weiterer Punkt ist, dass Sie konzeptionslos sindund dass Sie in Bayern noch eine ganze Reihe von Affärenam Hals haben, die durch Untersuchungsausschüsse desLandtages in den nächsten Monaten aufgearbeitet wer-den.Es bleibt folgendes Fazit: Bei dem Turmbau von Babelgab es ein Stimmengewirr, als man eine bestimmte Höheerreichte. Bei Ihnen gibt es ein Stimmengewirr, hervorge-rufen durch die von Ihnen selbst aufgerissenen Finanz-löcher, die zu dieser Staatsverschuldung geführt haben.Das ist eine Tatsache. Ich rate Ihnen dringend: MachenSie Ihre Hausaufgaben! Versuchen Sie erst einmal, inIhrem eigenen Laden die Fakten zu sondieren, bevor Siean die Öffentlichkeit gehen! Sie haben kein Konzept. Dasist die Botschaft.
Ich möchte zum Schluss noch konstatieren: Natürlichhaben wir im Augenblick eine wirtschaftlich schwierigeSituation. Sie gehen aber über folgende Tatsache hinweg:Wir haben heute de facto 1 Million mehr Arbeitsplätze inDeutschland.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schurer,
jetzt muss ich Sie doch bremsen, weil Sie zu einem Vor-
trag ausholen.
Wir haben 2001 450 000 we-
niger Arbeitslose im Vergleich zu 1998. Wir haben eine
geringere Jugendarbeitslosigkeit. Wir haben eine ganz
klare Begrenzung bei der Zunahme der Staatsverschul-
dung, einer Staatsverschuldung, für die Sie verantwortlich
sind. Ihre Zwischenrufe zeigen, dass Sie zwar laut sein
können, aber ohne Ideen sind.
Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzte Rednerin in der
Aktuellen Stunde ist die Kollegin Ingrid Arndt-Brauer.
Sehr geehrte Frau Präsi-dentin! Meine Damen und Herren! Es gibt einen großenUnterschied zwischen uns im Jahre 1998 sowie der CDUund CSU in diesem Wahljahr.
Wir hatten einen Kanzlerkandidaten relativ leicht gefun-den und wir hatten ein Konzept. Dieses Konzept habenwir auch umgesetzt. Dabei mussten wir leider auf denSachverstand der Opposition verzichten, weil er meistensnicht vorhanden war.
Um Ihnen das wieder in Erinnerung zu rufen, möchteich kurz erwähnen, was wir alles gemacht haben:
Wir haben zum Beispiel den Reformstau auf dem Ar-beitsmarkt aufgelöst. Wir haben das Bündnis für Arbeitwieder ins Leben gerufen. Wir haben Ausbildungs- undBeschäftigungsplätze hauptsächlich für Jugendliche ge-schaffen.
Wir haben Mittelstand, Handwerk und Existenzgrün-der gestärkt und besser gestellt. Wir haben neue Ausbil-dungsberufe geschaffen, die es vorher gar nicht gab. Wirhaben uns in diesem Bereich modern aufgestellt.
Wir haben Rabattgesetz und Zugabeverordnung aufge-hoben. – Entschuldigen Sie, wenn ich das so aufzähle,aber sonst reicht die Redezeit nicht. – Wir haben faire Be-dingungen auf dem Arbeitsmarkt geschaffen. Wir habenLohn- und Sozialdumping abgeschafft. Wir haben dieScheinselbstständigkeit abgeschafft. Wir haben die 630-Mark-Arbeitsverhältnisse vernünftig geregelt. Wir habenwieder eine aktive Arbeitsmarktpolitik gemacht.
Sie haben es selber schon erwähnt: Job Aqtiv war einvoller Erfolg. Wir bekommen von überall her positiveRückmeldungen.
Wir haben die Tarifautonomie und die Rechte der Arbeit-nehmer gestärkt. Wir haben vor allen Dingen im BereichAufbau Ost viel getan und werden hier auch weiterhin vieltun.
Hierbei hat Ihr Kandidat in der Vergangenheit ein paarProbleme gehabt, aber vielleicht wird sich das bei ihm biszum Wahltag ändern.Wir haben klare Maßstäbe – im Maßstäbegesetz, wiedas so schön heißt – gesetzt. Wir haben den Solidarpakt IIund den Länderfinanzausgleich geregelt. Wir haben auch– das ist uns ganz wichtig – den Marsch in die Verschul-dung gestoppt.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Ewald Schurer20981
Ich rechne immer gern unsere Zinsbelastung um. Alswir die Regierung übernommen haben, haben wir150 000 DM im Monat, nein, in der Sekunde, nein, in derMinute an Zinsen gezahlt.
– Ich habe so wenig Zeit und muss so viel erzählen. Ichrechne immer so: In drei Minuten zahlen wir so viel anZinsen, wie ein Einfamilienhaus im Münsterland kostet.Dies macht es immer für alle sehr fassbar.
Jetzt sind wir auf dem Weg, diese abzubauen. Das habenSie selbst gehört. Wir haben getilgt. Wir haben dieUMTS-Lizenzen gut verkauft und haben bei der Vertei-lung der Erlöse den richtigen Weg eingeschlagen.Wir haben die Lohnnebenkosten gesenkt, indem wirdie Ökosteuer eingeführt haben. Ökosteuer ist für Sie einReizthema.
Man hat immer den Eindruck, dass Ihre Stammwähler diegesamten Tankrechnungen gesammelt haben, weil sie ge-hofft haben, dass sie am Wahltag die gesamte Ökosteuerzurückbekommen.
Den Eindruck hatte man immer, wenn man Sie so in denletzten Monaten hier hat reden hören. Das wird leidernicht passieren. Das ist sehr schade für die Leute, aber ichdenke, inzwischen hat auch jeder verstanden, dass es einegute Maßnahme war und sie auch weiter durchgeführtwird.
Ich denke, dass es vielleicht irgendwann eine europäischeLösung geben wird. Dann sind wir alle am Ziel.
Wir haben den Einstieg hin zur steuerlichen Entlastungfür Arbeitnehmer in mehreren Stufen erfolgreich ge-schafft. Das wird noch fortgeführt. Wir werden sowohl denEingangs- wie auch den Spitzensteuersatz weiter senken.Wir haben die neue Entfernungspauschale eingeführt undwir schaffen mehr Steuergerechtigkeit: 70 Abschreibungs-möglichkeiten wurden gestrichen, Steuerschlupflöcherwurden gestopft. Das neue Stiftungsrecht wurde einge-führt und der Umsatzsteuerbetrug wird wirksam bekämpft.Des Weiteren haben wir ein modernes Unternehmen-steuerrecht für mehr Investitionen geschaffen. Auch daswird in diesem Jahr richtig greifen. Außerdem haben wir– was uns auch sehr wichtig war – den Ausstieg aus derAtomenergie eingeleitet und werden ihn fortführen.
Ich denke, die Bevölkerung steht voll dahinter. Eine anderePolitik wird es in dem Bereich gar nicht geben müssen.
Parallel dazu haben wir eine neue sichere und umwelt-freundliche Energieversorgung aufgebaut. Wir haben imBereich der alternativen Energien sehr viel Neues ange-regt und werden auf diese Weise irgendwann auch dieAtomenergie überflüssig machen.
– Nein, das ist einfach nur das, was wir versprochen undeingehalten haben. Dies wurde vorhin einmal gefordertund ich erfülle diese Forderung jetzt.
– Doch! Ich finde, das hat sehr viel mit dem Thema zu tun.Ich habe vorhin erzählt, dass wir ein Konzept hatten unddieses auch umgesetzt haben; ganz im Gegensatz zu Ih-nen.Teil dieses Konzepts war auch, dass wir in den BereichBildung und Forschung sehr viel hineingesteckt haben.Ich denke, auch hier sind wir auf einem guten und sinn-vollen Weg. Wir haben das BAföG reformiert.
Wir haben die Alterssicherung mit der kapitalgedecktenRiesterrente auf den richtigen Weg gebracht. Wir machenaußerdem eine konsequente Sozialpolitik. Reformen so-wohl des Behindertenrechts als auch des Heimgesetzes undder Künstlerversorgungsversicherung haben wir eingeleitet.
Mein Problem ist jetzt, dass wir 36 Punkte haben undich erst bei Punkt 21 bin.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, nein, die Rede-
zeit ist jetzt zu Ende, Frau Kollegin.
Ich werde es jetzt abkür-zen. – Ich wollte damit nur deutlich machen, dass wir einKonzept hatten und es umgesetzt haben. Wir haben etwasversprochen und es gehalten.
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Es gibt überhaupt keinen Grund, diese Regierung in ir-gendeiner Form zu ersetzen. Es gibt nichts, was man indieser Form besser machen könnte, als wir es getan haben.
Wir werden auf diesem Weg weitermachen.Ich bedanke mich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Aktuelle Stunde
ist jetzt aber beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c auf:
5. a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der
Juristenausbildung
– Drucksache 14/7176 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Deut-
schen Richtergesetzes und der Bundesrechtsan-
waltsordnung
– Drucksache 14/7463 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
c) Beratung des Berichts des Rechtsausschusses
gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäfts-
ordnung zu dem von den Abgeordneten Dr. Edzard
Schmidt-Jortzig, Rainer Funke, Jörg van Essen,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Reform
der Juristenausbildung
– Drucksachen 14/2666, 14/8038 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Joachim Stünker
Dr. Norbert Röttgen
Hans-Christian Ströbele
Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kol-
lege Joachim Stünker für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Am 30. Juni 2000 haben wirin diesem Hohen Hause den Gesetzentwurf der FDP zurReform der Juristenausbildung beraten. Ich habe in derdamaligen Debatte den Reformanstoß begrüßt, den Ent-wurf inhaltlich jedoch zurückgewiesen. Dieser Ansatz hatsich auch bis heute nicht verändert.Im Entwurf der FDP fehlt die zukünftige inhaltlicheGestaltung des Universitätsstudiums für Juristinnen undJuristen völlig und er sieht eine Abkehr von der Ausbil-dung zum Einheitsjuristen vor. Beides ist nicht akzepta-bel. Das hat sich auch in der fast zweijährigen Diskussiondurch die Fachöffentlichkeit sehr deutlich gezeigt. Ichdenke, dass dieser Entwurf in diesem Hohen Hause nichtweiter verfolgt werden wird.
Ich habe damals aber auch gesagt, dass die SPD-Frak-tion die Bemühungen der Justizministerkonferenz, zu einerendgültigen Einigung der Länder zur Reform der Juristen-ausbildung zu kommen, unterstützen und auch abwartenwollte. Ich habe hinzugefügt, dass auf der Grundlage ei-ner solchen Einigung ein zwischen Bund und Ländern ab-gestimmter Gesetzgebungsprozess erfolgen solle. Diesgilt auch heute noch. Ich denke, wir sind mit den heute inerster Lesung vorliegenden Entwürfen des Bundesratesund der Regierungskoalition zur Reform der Juristenaus-bildung endlich genau auf diesem von mir seinerzeit be-schriebenen Weg angekommen. Die Entwürfe sind in denwesentlichen Teilen kompatibel. Ich denke, wir werdendie noch bestehenden Differenzen im Verlauf des jetzt be-ginnenden Gesetzgebungsverfahrens mit beiderseitigemguten Willen – wir sind ja alle ins Gelingen verliebt – aus-räumen können.Ich denke, wir haben jetzt, nachdem wir, die wir alleJuristen sind, jahrzehntelang über Reformen der Juristen-ausbildung diskutiert und das geltende Recht am eigenenLeibe durchlitten und erfahren haben, die historischeChance, etwas Neues auf den Weg zu bringen. Diese soll-ten wir in diesem Hohen Hause gemeinsam ergreifen. Wiralle sind uns einig: Die Juristenausbildung muss refor-miert werden. Auch in der Zielbestimmung sind wir unsdahin gehend einig, dass die Ausbildung zum allseits ein-arbeitungsfähigen Juristen, der über juristische Urteils-kraft und soziale Kompetenz verfügt, im Vordergrund ste-hen muss.In sechseinhalb Minuten Redezeit kann ich unmöglichdas ganze Spektrum dieser beiden Entwürfe vorstellen. Ichmöchte mich daher kurz auf neun wesentliche Eckpunktebeschränken. In diesem Rahmen wird die Diskussion inden nächsten Wochen und Monaten auch verlaufen.Punkt eins betrifft das Studium und den Vorberei-tungsdienst.Wir halten an der Zweiteilung der juristischen
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Ingrid Arndt-Brauer20983
Ausbildung in Studium und berufspraktischen Vorberei-tungsdienst fest. Die universitäre Ausbildung qualifiziertnoch nicht für die Ausübung der reglementierten juristi-schen Berufe. Die praktische Ausbildung muss noch hin-zukommen.Der zweite Punkt – dies ist wichtig – betrifft die Stär-kung der internationalen Orientierung.Wir müssen dieinternationale Orientierung bereits im Studium verstärkenund die Kompatibilität der deutschen Juristenausbildungmit anderen europäischen Ausbildungsgängen verbes-sern. Deshalb sollten fremdsprachliche Pflichtveranstal-tungen in den Katalog der zu lehrenden Fächer an denUniversitäten aufgenommen werden. Möglich sind ent-weder fremdsprachliche rechtswissenschaftliche Veran-staltungen oder aber auch fachbezogene Sprachkurse.Auch Auslandssemester und die Anrechnung von im Aus-land erbrachten Studienleistungen bei der Zulassung zurersten Prüfung sind zukünftig zu ermöglichen.Das Dritte ist: Wir müssen die anwaltsorientierteAusbildung der Juristen verstärken. Das zieht sich durchbeide Entwürfe wie ein roter Faden. Dies muss bereits ander Universität erfolgen; es muss aber hinterher auch nochim Vorbereitungsdienst erfolgen.Der vierte wichtige Punkt ist die Frage der sozialenKompetenz. Ich denke, auch hier sind wir uns alle da-rüber einig, dass für die erfolgreiche Arbeit in juristischenBerufen nicht nur die Ergebnisse der Staatsexamina, son-dern in zunehmendem Maße auch nicht juristische Fähig-keiten von Bedeutung sind. Gefordert sind interdisziplinäreSchlüsselqualifikationen wie Verhandlungsmanagement,Gesprächsführung, Rhetorik, Streitschlichtung, Media-tion, Vernehmungslehre, Kommunikationsfähigkeit undTeamfähigkeit. Auch dies sollte bereits an den Univer-sitäten gelehrt werden.Für das Berufsbild der Richterinnen und Richter,denen nach Art. 92 des Grundgesetzes die rechtspre-chende Gewalt als sehr verantwortungsvolle Aufgabeübertragen ist, brauchen wir eine soziale Kompetenz, dieüber das von mir eben Genannte noch hinausgeht. Wirstreiten im Augenblick noch darüber, was der richtigeWeg dorthin ist. Lassen Sie uns auch hier den ge-meinsamen Weg zu dem als richtig erkannten Ziel fin-den.Das Fünfte ist die Übertragung der Wahlfachprü-fungen zum ersten Staatsexamen zukünftig auf die Uni-versitäten. Durch die Übertragung dieser Prüfungskom-petenz können die Universitäten in erheblich weiteremUmfang als bisher inhaltliche Schwerpunkte setzen, in ei-nen Qualitätswettbewerb unter den Fakultäten eintretenund den jungen Juristen die Möglichkeit eröffnen, einihren Neigungen entsprechendes Studium mit einem be-stimmten Schwerpunkt zu wählen. Darüber, wie dieserAnteil ausgestaltet werden soll, werden wir uns sicherlichverständigen können.Das Sechste ist: Ich hatte von der Verstärkung der an-waltlichen Ausbildung gesprochen, insbesondere im Vor-bereitungsdienst, dem Referendariat. Auch hier sind wiruns einig, dass die Ausbildungsdauer beim Rechtsanwaltzwingend verändert werden soll und auch verändert wer-den muss. Dazu, wie nun diese Ausbildungszeit tatsäch-lich bemessen sein soll, werden wir eine gemeinsame Lö-sung finden können.Daraus folgt natürlich siebtens, dass zukünftig die An-waltschaft stärker an der Ausbildung sowohl inhaltlich alsauch verfahrensmäßig und mit mehr Manpower beteiligtsein muss, als das heute oft der Fall ist.
Achtens: Durch diese Konzeption gewährleisten wirauch für die Zukunft die Durchlässigkeit zwischen deneinzelnen Sparten. Durch die Beibehaltung der Ausbil-dung zum Einheitsjuristen ist diese wünschenswerteDurchlässigkeit gesichert.Ich möchte aber neuntens hinzufügen – das ist für dieKoalitionsfraktionen ein ganz wesentliches Essential,das uns ein wenig von dem Bundesratsentwurf unter-scheidet –: Es darf im Ergebnis keine zweigeteilte Aus-bildung und vor allen Dingen keine unterschiedlichenZugangsvoraussetzungen in einem der reglementiertenjuristischen Berufe geben. Das ist für uns ein ganzwichtiger Punkt, den wir, wie ich meine, sehr gründlicherörtern müssen. Daran werden wir im Ergebnis fest-halten.Im Ergebnis dieses Schnelldurchlaufs – ich habe es inder kurzen Zeit, die mir zur Verfügung stand, fast ge-schafft – mag vielleicht der eine oder andere sagen: Dassind doch alles kleine Schritte. Wo ist die große Reform?Aber alle, die vom Fach sind und sich mit der Materie aus-kennen, werden dem zustimmen, was einer der Professo-ren, die uns positiv begleiten, geschrieben hat – das Zitatist also nicht von mir –: Diese kleinen Schritte können inder praktischen Umsetzung jedoch revolutionäre Wirkunghaben, sofern die Länder, die Fakultäten und die Studie-renden die dadurch neu gewonnenen Handlungsspiel-räume nutzen.Ich kann uns alle nur auffordern: Packen wir dieseChance beim Schopfe! Machen wir eine gemeinsameRegelung! Dann mögen die, die ausgebildet werden, dieseChance, die in eine gute Zukunft führt, auch nutzen.Schönen Dank.
Ich gebe
dem Kollegen Dr. Norbert Röttgen das Wort. Er spricht
für die Fraktion der CDU/CSU.
Herr Präsident!Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen undKollegen! Der Befund bei dem Thema Juristenausbildungist Konsens: Das Studium der Juristen und die beruflicheWirklichkeit passen schon seit langem nicht mehr zusam-men. Es sind nicht nur organisatorische Mängel, nicht nurdie zu lange Dauer der Ausbildung, sondern die gravie-rendsten Mängel liegen in den Inhalten des Studiums. Da-
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Joachim Stünker20984
rum muss auch die Reformdebatte im Wesentlichen umInhalte gehen.Wir behandeln heute in erster Lesung zwei Gesetzent-würfe, einen Gesetzentwurf des Bundesrats und einen derBundesregierung.
– Ja, der Koalitionsfraktionen. Das ist in Ordnung.Beide Entwürfe sind kein großer Wurf, Herr Stünker.
Es wird heute weder eine historische Stunde in der Re-form der Juristenausbildung eingeläutet – –
– Das Thema mag Sie so empören, dass Sie nicht zuhörenkönnen, aber ich schlage trotzdem vor, dass wir uns da-rüber unterhalten. Das müsste eigentlich möglich sein.
Jetzt haben
wir uns gerade auf eine ruhige Debatte eingestellt, aber es
wird doch noch lebhaft. – Bitte sehr.
Dabei habe ichnoch gar nicht mit den Provokationen begonnen, undschon sind Sie unruhig. Das stimmt mich nachdenklich.Es ist kein großer Wurf dabei, verehrte Kolleginnenund Kollegen von der SPD-Fraktion. Es ist keine histori-sche Stunde und es werden durch diesen Gesetzentwurf,den Ihre Koalition vorgelegt hat, auch keine Revolutioneneingeleitet, meine Damen und Herren.
Allerdings gibt es einen gravierenden Unterschied zwi-schen dem Entwurf des Bundesrates und dem von der Ko-alition vorgelegten Entwurf. Ich habe mit Freude festge-stellt, Herr Stünker, dass ein Bemühen Ihrer Redeoffensichtlich war, Ihren Gesetzentwurf mehr oder weni-ger schon mit der Einbringung abzuräumen,
indem Sie gesagt haben, wir kämen schon auf eine Linie.Denn es gibt einen Unterschied zwischen den beiden Ent-würfen. Das wissen Sie genau und das wissen auch dieVertreter des Bundesrates.Mit dem Entwurf der Koalition würde keines der fest-gestellten, unbestrittenen Probleme gelöst, aber es wür-den neue Probleme geschaffen.
Das wäre die Konsequenz des Entwurfs der Koalition,
während der Entwurf des Bundesrates in die richtigeRichtung geht, aber auch entscheidende Mängel aufweist,weil darin nichts über die Inhalte enthalten ist.Ich möchte begründen, warum Sie neue Problemeschaffen. Ein wesentlicher Grund für neue Probleme, dieSie schaffen werden, ist, dass Sie vorsehen, dass die uni-versitäre Wahlfachprüfung zu 50 Prozent ins Exameneinfließen soll. Die Universitäten aller Länder bzw. die ju-ristischen Fakultäten – auch der nordrhein-westfälischeJustizminister wird Ihnen sicherlich diese Mitteilung ma-chen können, wenn er an dieser Stelle dazu bereit ist – tei-len Ihnen unisono mit
– das ist übrigens wieder ein Beispiel Ihrer bewährten Pra-xisferne in der Rechtspolitik –,
dass die Universitäten nicht die personellen und die fi-nanziellen Ressourcen haben, um dies umzusetzen. Dasteilen sie Ihnen mit. Nehmen Sie das doch zur Kenntnis!Wenn Sie dennoch 50 Prozent der Wahlfachprüfung in dasExamen einfließen lassen wollen,
dann heißt das, dass Sie eine Lösung nur auf dem Papiervorschlagen. Denn diese Lösung kann nicht ausgestaltetwerden, weil die dafür erforderlichen Ressourcen fehlen.
Es ist sozusagen ein Programm, von dem Sie wissen, dasses nicht umgesetzt werden kann.
Es fehlt auch übrigens jegliche inhaltliche Konzeption.
Sie haben ausgeführt, dass eine Wahlfachprüfung zu 50 Pro-zent einfließen soll. Die Wahlfachprüfung ist definiert; das
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Dr. Norbert Röttgen20985
Wahlfach ist ein ergänzender Teil des Studiums. Die Er-gänzung kann doch nicht 50 Prozent des Examens aus-machen. Das passt nicht zusammen.Sie sehen als Mindestanforderung eine schriftlichePrüfung vor.
Das kann nicht die Hälfte des Examens sein.
Was Sie mit diesem Vorschlag bewirken, ist eine Kombi-nation von Nachteilen, die im Grunde in die sozialdemo-kratische Bildungspolitik – ich nehme das gerne auf – hi-neinpasst. Sie nehmen einerseits dem Examen mit diesem50-Prozent-Vorschlag die Vergleichbarkeit und damit ei-nen Vorteil des Einheitsexamens,
ohne andererseits den Universitäten wirklichen Gestal-tungsspielraum einzuräumen. Das, was Sie vorschlagen,ist eine Kombination von Nachteilen.Auch der zweite Vorschlag, den Sie machen, ist völligabstrus und unverständlich. Alle stimmen in der Forde-rung überein, dass wir mehr Flexibilität und Eigengestal-tung, auch des Studenten und des Referendars, brauchen.
Sie aber schlagen vor, 21 Monate eines 24 Monate dau-ernden Referendariats in Pflichtstationen zu leisten. Siewollen 21 von 24 Monaten dem Referendar vorschreiben.Er soll nicht gestalten und im Hinblick auf seine spätereBerufswahl eigene Entscheidungen treffen und sich ei-genverantworlich qualifizieren, sondern Sie wissen staat-licherseits immer, was für den Einzelnen am besten ist.
Das ist Ihre Grundphilosophie, die bis in solche Gesetzehinein zum Ausdruck kommt. Mit Flexibilität und Indivi-dualität haben Sie schlichtweg nichts am Hut.
Der Bundesrat hat viel pragmatischere Vorschläge ge-macht. Sein Entwurf hat Mängel – ich komme noch da-rauf zu sprechen –, enthält aber vernünftige Schritte. EinAnteil des Wahlfachs von 25 Prozent an der Prüfung istein vernünftiger Vorschlag.
Die Universitäten sagen, dass sie das gerade so schaffenkönnen, und diesen Spielraum sollten wir Ihnen auch ein-räumen.Der Bundesrat schlägt in seinem Gesetzentwurf vor– das ist vernünftig –, das Referendariat in einen Pflicht-teil und in einen Wahlfachteil einzuteilen. Dem Referen-dar wird also die Chance gegeben, im Hinblick auf die Be-rufswahl selber zu entscheiden. Es ist eine vernünftigeLösung, das Referendariat je zur Hälfte in eine vorge-schriebene juristische Grundausbildung und in die Fächer,die der Eigenentscheidung des Referendars obliegen, ein-zuteilen.Ich gebe hinsichtlich der Gestaltung des Referendariatszu bedenken, Herr Minister Dieckmann, ob es richtig ist,die Voraussetzungen für die Zulassung als Rechtsan-walt so festzulegen, wie es im Gesetzentwurf des Bundes-rats vorgesehen ist. Danach soll derjenige, der sich um dieZulassung als Rechtsanwalt bewirbt, im Regelfall nach-weisen, dass er während seines Referendariats zwölf Mo-nate als Rechtsanwalt ausgebildet worden ist. Was bedeu-tet das? Das bedeutet, für die Zulassung als Rechtsanwaltgibt es strengere Hürden als für die Einstellung alsRichter. Das bedeutet weiterhin, dass derjenige, derRechtsanwalt wird, neben der neunmonatigen Grundaus-bildung zwölf Monate bei einem Anwalt arbeiten muss,dass er also 21 Monate von 24 Monaten im Grunde ge-nommen nicht über den Tellerrand der Rechtspflegebe-rufe hinausschaut.Ich sage als Rechtsanwalt: Es würde auch den Rechts-anwälten nicht schaden, wenn sie das Referendariat nut-zen würden, um einmal etwas anderes als Rechtspflege,als die Arbeit der Gerichte und der Rechtsanwälte, kennenzu lernen.
Warum muss man den angehenden Anwälten eigentlichihren Blick auf ihre spätere berufliche Tätigkeit so veren-gen? Sollten sie nicht auch einmal ein bisschen ihren Ho-rizont erweitern? Täte es nicht auch den Anwälten gut,nicht so festgelegt zu sein?
Mein Referendariat liegt vielleicht noch nicht so weitzurück wie das von anderen.
Deshalb sage ich Ihnen: Die Ausbildung in einem An-waltsbüro gilt nicht als die intensivste und qualifiziertes-te.
Nirgendwo gibt es so erhebliche Qualitätsunterschiedewie bei dieser Ausbildungsstation. Ich wage zu bezwei-feln, dass es richtig ist, den Ausbildungsschwerpunkt ge-rade hier zu setzen. Ich als Anwalt sage Ihnen, was ei-gentlich hinter dieser Schwerpunktsetzung steckt: Derjunge Anwalt braucht drei bis fünf Jahre, um in seinerKanzlei voll einsatzfähig zu sein. Ihr Vorschlag bedeutetim Grunde, dass den etablierten Anwälten ein Jahr Aus-bildungskosten erspart werden. Die Entscheidung, die Sie
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Dr. Norbert Röttgen20986
getroffen haben, ist also sehr berufspolitisch. Es ist nachmeiner Einschätzung keine Entscheidung für eine qualifi-ziertere Ausbildung der angehenden Anwälte. Vielmehrbegünstigt ihre Entscheidung die schon etablierten An-wälte, die junge Anwälte ausbilden; denn denen wird, wiegesagt, staatlicherseits ein Ausbildungsjahr finanziert.Das trägt nicht zu mehr Qualität in der Anwaltsausbildungbei. Darum bitte ich, noch einmal über diesen Punkt zudiskutieren.
– Ich komme jetzt zu den Punkten, über die nach unsererAuffassung geredet werden muss. Wir waren uns ja in derletzten Sitzung des Rechtsausschusses einig, dass dieSachverständigenanhörung sehr konstruktiv und sachlichwar. Wir bitten darum, dass die Rechtspolitiker den Dia-log mit denjenigen, die in der Ausbildung und in der Pra-xis tätig sind, fortsetzen.
– Ich komme zu den Themen, über die offen geredet wer-den muss.Erstens. Wir müssen – das ist das Wichtigste – über In-halte reden.
In den vorliegenden Gesetzentwürfen geht es nicht um In-halte. Aber wir brauchen eine Modernisierung der In-halte der juristischen Ausbildung. Das Ladenburger Ma-nifest gibt hierfür wesentliche Orientierungshilfe.
– Ich werde es noch konkretisieren. Selbst bei einem sol-chen Thema muss man doch zuhören können!Es ist nicht sinnvoll, dass jeder seine Wünsche im Hin-blick auf das, was noch zusätzlich gelernt und gelehrt wer-den soll, äußert. Das brauchen wir nicht. Wir brauchen inerster Linie – das wäre modern – eine Konzentration derInhalte. Wir können nicht immer nur draufpacken. Wirmüssen angesichts der Tatsache, dass es dauernd neue An-forderungen gibt, festlegen, was verzichtbar ist. Deshalbbin ich der Auffassung, dass Methodik wichtiger ist alsPauken. Die methodische Grundschulung der jungen Ju-risten kommt in der bisherigen Ausbildung zu kurz.
Wir müssen, wie gesagt, entscheiden, was verzichtbarist. Denn es kommt ja Neues hinzu: Internationalität isteine unverzichtbare Anforderung.
Wenn das hinzukommt, muss etwas anderes zurücktreten.Auch im Hinblick auf die spätere berufliche Tätigkeitplädieren wir dafür, dass das Wirtschaftsrecht einenhöheren Stellenwert in der Ausbildung bekommt. Natio-nales, europäisches und internationales Wirtschaftsrecht,Steuerrecht, das sind Ausbildungsinhalte, die in der spä-teren beruflichen Tätigkeit insbesondere derjenigen, dieAnwalt werden – das gilt aber auch für andere –, von ei-ner hohen Bedeutung sind, die aber im Studium heute kei-nen entsprechenden Platz haben. Das ist etwas, was imStudium unbedingt einen höheren Stellenwert haben mussals etablierte Fächer wie etwa – ich sage es hier als Pro-vokation – das Strafrecht, das in der anwaltlichen Praxisbei den meisten gar keine Rolle spielt.
Anderes, was erforderlich ist, muss gelernt werden.Ich komme zum Schluss. – Wir brauchen Maßnahmengegen das Massenstudium. Es macht doch keinen Sinn,die Leute zehn Jahre lang auszubilden und mitzuschlep-pen, wenn am Ende doch nichts daraus wird. Wir brau-chen also effektive Zwischenprüfungen. Es gilt, dieLeute möglichst frühzeitig, nicht nach zehn Jahren, son-dern vielleicht nach einem Jahr oder nach zwei Jahren, da-rauf hinzuweisen, dass das der falsche Weg ist; denn dannhaben junge Leute noch die Chance, sich zu verändern.
Mit Ausnahme der Rechtspflegeberufe treten wir für einberufsqualifizierendes erstes Examen ein; denn das istein Weg dahin. Wir müssen die Leute nicht in das Refe-rendariat zwingen. Viele wollen keinen Rechtspflegeberufausüben; dann brauchen sie auch kein Referendariat.
Wir plädieren also für ein berufsqualifizierendes erstesExamen.Mein letzter Satz: Wir bitten darum, dass der Entwurfdes Bundesrates Grundlage unserer Beratungen wird– das ist ein pragmatischer Entwurf –; über die Inhalte desStudiums muss aber noch dringend geredet werden unddann können wir zu einer guten Lösung kommen.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Für dieFraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht der Kol-lege Christian Ströbele.
gen! Ich dachte, das sei ein richtiges Konsensthema, beidem wir uns ganz gemütlich über den Einheitsjuristen un-terhalten,
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Dr. Norbert Röttgen20987
und dann so etwas, Herr Kollege Röttgen!
Das haben Sie doch gar nicht nötig!Bei mir sind die juristische Ausbildung und das Refe-rendariat schon ein bisschen länger her, aber ich weiß,dass seit Generationen, eigentlich von Anfang an, seit ei-nigen hundert Jahren, Kritik an der Juristenausbildungnicht nur vorhanden, sondern auch berechtigt ist. Wennich mich an das erinnere, was ich in der Universität ge-lernt habe und wo ich das juristische Handwerk eigentlichgelernt habe,
dann muss ich sagen: Die Universität hätte ich mir weit-gehend sparen können.
Da gibt es wesentliche Fehler und es gibt sie bis heute.Warum, Herr Kollege Röttgen, ist es noch heute so,dass 80 Prozent bis 90 Prozent derjenigen, die nachher Ju-risten sind, ihre Ausbildung nicht an der Universität, son-dern bei einem selbst finanzierten Repetitorium erhalten?Das muss einem doch zu denken geben! Da muss doch ir-gendetwas faul sein im Staate Dänemark oder in der Juris-tenausbildung.Heute sagen viele Juristen – ich gehöre auch dazu –:Meine eigentliche Ausbildung habe ich nicht an der Uni-versität, nicht einmal auf den Stationen des Referenda-riats, sondern dann erhalten, als ich nebenher gegen ge-ringe oder ohne Bezahlung beim Anwalt gearbeitet habe,wo man direkt ins volle Leben hineingeworfen wurde,
sich beim Amtsgericht bewähren musste, Rechtsproblemelösen musste, aber zügig, und zu Ergebnissen kommenmusste. Ich habe das da gelernt
und so geht es vielen, mit denen ich rede.Unter Berücksichtigung all dieser Erfahrungen habenwir uns darangemacht, einen Entwurf zu erarbeiten unddie Juristenausbildung neu zu regeln. Von daher sind vieleEinzelheiten, die Sie kritisiert haben, zu erklären.Wenn man in den Wahlfächern, die man an der Uni-versität macht, auch an der Universität geprüft wird, dannist es in Zukunft vielleicht anders als heute. Im Staats-examen werden in der Regel ja ganz andere Sachen ge-prüft, als in der Universität gelehrt werden oder als manjedenfalls an der Universität richtig lernen kann. In Zu-kunft sollen die Examina, die man an der Universitätmacht, nicht mehr ein privat finanziertes Repetitoriumvoraussetzen. Um dem den Boden zu entziehen, ist esrichtig und wichtig, Wahlfächer zu haben; denn – damitkomme ich zu dem, was Sie vorhin kritisiert haben – inden Wahlfächern kann man die Schwerpunkte für die spä-tere Berufsausübung zu setzen versuchen. Darüber, ob daszu einem so frühen Zeitpunkt immer schon richtig ist,kann man sicher diskutieren. Aber jedenfalls können dieStudenten es dann machen. Dann werden sie an der Uni-versität geprüft und damit haben sie die Hälfte ihres Exa-mens hinter sich, was voll eingesetzt und bewertet wird.Eines haben Sie vergessen: Gerade bei den Inhalten sa-gen wir heute – da haben sie völlig Recht –, dass europä-isches Recht, internationales Recht, Recht in Frank-reich, in England und vor allen Dingen in den USA einewichtige Rolle spielen müssen. Genauso wichtig mussaber sein, dass man sich überhaupt in diesen Sprachenunterhalten kann. Dazu sagen wir, in Zukunft soll sich einTeil der Wahlfächer, die auch anerkannt werden, die auchin der Universität geprüft werden, auf diesen Bereich be-ziehen: also Sprachausbildung, eine Ausbildung in ande-ren Rechtssystemen. Das kann natürlich immer nur einTeilbereich sein und es kann nur ein Einblick sein, aberdiese Ausbildung soll so hoch gewertet werden, dass sieein Teil der Prüfung ist. Sie soll anerkannt werden und da-mit auch einen Ansporn für die Studentinnen und Studen-ten bilden, sich in diesen Bereichen zu tummeln und zulernen, weil sie wissen, es wird im Examen auch geprüft.Die andere Hälfte soll eben die gesamtdeutsche Ge-rechtigkeit herstellen und sicherstellen, dass die Examinagleichwertig sind, weil das Staatsexamen bleiben soll unddamit vermieden werden kann, dass man nachher etwa fürden Vorbereitungsdienst und für den Referendardienst,wie das die FDP ja will, Examen einrichtet, um da über-haupt aufgenommen zu werden. Das kann nicht richtigsein und das soll nicht richtig sein. Es fehlt auch völligeine Erklärung dafür, wer denn nachher den Referendar-dienst in Ihrer Variante bezahlen soll. Sollen das die Refe-rendare selber sein, sollen das die Anwälte sein, bei denendie Referendare Ihrem Vorschlag und Ihrer Überzeugungnach tätig sind? Das führt zu Ungerechtigkeiten und Un-gleichheiten. Es führt dazu, dass wir im juristischen Berufeine Auswahl derjenigen bekommen, die sich mindestensden zweiten Teil leisten können, und derjenigen, die ihnsich nicht leisten können. Das darf nicht sein und das wol-len wir nicht.
Wir sagen, die Anwaltstation ist wichtig. Wir wolleneine Anwaltstation von mindestens einem Jahr haben, weilwir wissen, dass in diesem Bereich die Ausbildung desEinheitsjuristen am besten möglich ist, der dann sowohl imRichterberuf als auch im Anwaltberuf, aber auch in derWirtschaft als auch bei den Verbänden tätig werden kann.Wenn man nur beim Strafrichter sitzt, bekommt man si-cher die strafrichterliche Ausbildung, aber wenn man beimAnwalt ist, bekommt man in der Regel die breiteste Aus-bildung. Deswegen legen wir so großen Wert darauf.Letztendlich – das ist auch ein wesentlicher Fortschrittdieser Reform – sagen wir: Wer nachher Richter oderRichterin werden soll, soll vorher eine praktische Berufs-erfahrung haben. Wir wollen nicht, dass die Leute, ausdem Studium, aus der Referendarzeit kommend, direkt
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Hans-Christian Ströbele20988
und ohne Lebenserfahrung in einem juristischem Beruf,ohne in der voll verantwortlichen Ausübung eines juris-tischen Berufes zu stehen, über Sachverhalte und überMenschen richten. Vielmehr sollen sie möglichst einigeJahre vorher einen anderen juristischen Beruf ausgeübthaben, um dann die nötige Lebenserfahrung zu haben, diefür eine gerechte Ausübung des richterlichen Berufeserforderlich ist.Ich glaube, hier sind wichtige und richtige Ansätze.Wir haben gestern bei der Justizministerin noch eineganze Reihe von zusätzlichen, sehr praktischen Hinwei-sen bekommen. Ich schließe mich dem an. Der Jurist,auch der Rechtsanwalt, soll nicht nur rechtsberaten, son-der auch Recht gestalten. So habe ich auch immer meineBerufsausübung aufgefasst. Lassen Sie uns auf dem Wegweitermachen.
Berücksichtigen wir dabei durchaus auch das, was imEntwurf des Bundesrates steht. Da haben wir uns ja sehrstark angenähert. Berücksichtigen wir aber auch, was inder Anhörung gesagt worden ist. Dann können wir end-lich einen wesentlichen Schritt weiterkommen, damit dieJuristenausbildung in Zukunft den Juristen und die Juris-tin wirklich für den Beruf ausbildet, den sie nachher aus-üben sollen.
Vielen Dank.
Ich gebe das
Wort dem Kollegen Professor Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass wir heute ver-bindlich über eine Reform der Juristenausbildung beraten,ist eigentlich schon für sich genommen ein Ereignis.
Darauf ist bereits verschiedentlich hingewiesen worden.Ich will aber, bevor Sie zu heftig klatschen – das muss jafür einen Oppositionellen immer verdächtig sein – daraufhinweisen, dass die holde Regierung bzw. Koalition jarichtiggehend zur Jagd getragen werden musste.
Wenn die FDPnicht bereits vor zwei Jahren ihren Entwurfvorgelegt und „Feuer unterm Frack“ entfacht hätte, wärenwir wahrscheinlich heute noch nicht so weit, darüber ver-bindlich zu diskutieren.
– Sie, Herr Kollege Stünker, haben das freundlicherweiseauch gewürdigt.
Was nun die Koalition als Entwurf vorlegt und derBundesrat auf den Weg bringt, ist leider immer noch nichtder große Wurf. Reform scheint wieder einmal nur alsFaktum des Veränderns als solcher und nicht als inhalt-liche, sachbezogene Optimierung verstanden zu werden.Um es auf einen kurzen Nenner zu bringen: Die bisherübermäßige Justizlastigkeit wird nun gegen eine zu ein-seitige Anwaltslastigkeit ausgetauscht,
und die Not leidende Grundausbildung in Methodik, Kern-fächern und Systembeherrschung bleibt weiterhin Stief-kind, ja, erfährt sogar Ausdünnung und Abstriche. Dasmuss man deutlich sehen.Jetzt will ich mich aber – das ist auch die eigentlicheAufgabe des FDP-Redners – dem guten Entwurf, nämlichdem FDP-Entwurf, widmen.
Der FDP-Entwurf will entgegen Ihrem Konzept an dieWurzeln des Übels gehen. Sie haben manche Dinge be-schrieben, aber Ihre Therapie ist völlig unzureichend.Auch der FDP-Entwurf rückt der überkommenen Justiz-lastigkeit der Ausbildung zu Leibe, will aber die anderenHauptberufsfelder offen danebenstellen und zwischen ih-nen qualifikatorische Ebenbürtigkeit sowie weitgehendeDurchlässigkeit sicherstellen.Vor allem soll unter Beibehaltung der Zweistufigkeitdie erste Ausbildungsstufe, das Studium, qualitativ durch-pariert werden: Verringerung der ausufernden Überblicks-kenntnisse in den Sondergebieten gegen Vertiefung undIntensivierung der Einarbeit in den Grunddisziplinen, Sys-tembeherrschung statt Detaildilettantismus, Substanzju-rist statt PISA-Jurist.Das heißt: Das erste Examen gehört – insofern geheich, verehrte Kollegen aus der CDU, über das hinaus, wasdie Koalition vorlegt – in die Universität.
Es muss danach ein verlässliches Ranking zustande ge-bracht werden, damit auch Konkurrenz stattfindet. Denndas ist bei dem schwerfälligen Apparat der Universitätenund der Fakultäten das einzige, was dort Bewegungschafft. Das erste Examen soll bereits die volle Qualifika-tion als Jurist vermitteln.Danach, lieber Kollege Ströbele, kommt in die zweiteAusbildung, die dann nur noch eine Zusatzausbildung ist,weil man bereits Volljurist ist, nicht mehr automatisch je-der graduierte junge Jurist, sondern nur derjenige, welcher
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Hans-Christian Ströbele20989
sich für einen der staatlich garantierten Rechtsberufe ineinem qualitativen Auswahlverfahren qualifiziert hat.
– In der Tat, das steht auch so in unserem Entwurf. Natür-lich ist diese Zusatzausbildung staatlich finanziert. Sieargumentieren da auf der alten Schiene, so nach demMotto: Ihr wollt das alles auf die privaten Portemonnaiesverschieben. – Das geht an der Sache völlig vorbei. Hiersollen gleichberechtigt ein Justizvorbereitungsdienst, einAnwaltsvorbereitungsdienst und ein Verwaltungsvorbe-reitungsdienst eingerichtet werden, die jeweils mit einemzweiten Examen – jetzt Staatsexamen – abschließen.Es sei nach allem – man hat in der umfassenden De-batte nur ganz geringe Zeitbudgets, deswegen komme ichschon zum Schluss – der Koalition noch einmal sehr ge-raten, weniger auf Modeaspekte – Stichwort: sozialeKompetenz; keiner weiß, was das ist –
– nein, Sie können es mit Sicherheit nicht definieren odertragen Dinge vor, die jedenfalls nichts mit Juristerei zu tunhaben – und auf Einsparungseffekte zu achten als aufwirkliche substanzielle Verbesserungen.Wir müssen unsere jungen Juristen in ihrer europä-ischen Konkurrenzfähigkeit stärken und eine hohe Qua-lität der deutschen Rechtsdienstleistung sichern. Dasist unsere Verantwortung, nichts anderes.Besten Dank.
Für die
Fraktion der PDS spricht die Kollegin Sabine Jünger.
Herr Präsident! Meine Damenund Herren! Die Juristenausbildung in Deutschland stecktseit Jahren in einer Sackgasse. Ich meine, dass Ihnen al-len die Probleme bekannt sind. Meine Vorrednerinnen undVorredner haben darüber bereits gesprochen. Da meineRedezeit nur halb so lang ist wie die des KollegenStünker, möchte ich auf weitere Aufzählungen verzichtenund fasse kurz zusammen: Die Juristenausbildung ist anvielen Punkten eine Zumutung für die einzelnen Studen-tinnen und Studenten sowie Referendarinnen und Refe-rendare. Sie geht an den Anforderungen unserer Zeit undan den Anforderungen des Justizwesens deutlich vorbei.Es ist seit vielen Jahren klar, dass eigentlich nur einegrundlegende Reform die Misere beseitigen kann. Des-halb finde ich es umso enttäuschender, dass Bundesratund Regierungskoalition, wie ich gelesen habe, nun Ge-setzentwürfe vorlegen, die aus meiner Sicht bestenfallsals lau bezeichnet werden können. Ich frage mich zumBeispiel: Warum halten Sie bis zum zweiten Staats-examen am Bild des Einheitsjuristen fest?Die in den Gesetzentwürfen vorgesehene stärkere Aus-richtung der Ausbildung auf den Anwaltsberuf ist viel-leicht sinnvoll, aber sie ist meines Erachtens in dieserForm allein nicht mehr ausreichend. Eine flexiblereHandhabung ist in den Zeiten ausdifferenzierter gesell-schaftlicher Vorgänge nötig. Weshalb wollen wir geradeim Bereich der Justiz auf Spezialisierungen verzichten?Warum sollen sich Jurastudentinnen und -studenten nichtauf ihre künftigen Aufgaben vorbereiten?Kritisches Denken zu fördern und ein Bewusstsein fürgesellschaftliche Verantwortung zu entwickeln war bishernicht unbedingt Bestandteil der Lehre und wird es, wennes nach Ihren Gesetzentwürfen geht, leider auch zukünf-tig nicht sein.Nun fordert die Koalition als Zugangsvoraussetzungzum Richteramt Sozialkompetenz. Dagegen kann manerst einmal gar nichts haben.
Da bin ich ganz anderer Meinung als der KollegeSchmidt-Jortzig. Aber erwerben soll der Richternach-wuchs diese Kompetenz durch eine zweijährige Berufser-fahrung auf anderen juristischen Gebieten. Meine Damenund Herren, Sozialkompetenz ist immer gut und wichtig;das sage ich gern noch einmal. Allerdings – ich weiß, dassder Kollege Stünker das manchmal auch sagt, hier natür-lich nicht; deshalb sage ich es jetzt –: habe ich den Ein-druck, dass es einen gegenteiligen Effekt haben könnte.Welche fähige Juristin, welcher fähige Jurist wird nachzwei Jahren Berufserfahrung, wenn er vielleicht geradeden Einstieg in eine Kanzlei geschafft hat, die Aussichtauf eine gut bezahlte Karriere aufgeben, um in den Staats-dienst in seinem heutigen Zustand zu wechseln? Ich weißnicht, ob das die beste Variante ist.Immerhin – das muss man der SPD, dem Bündnis 90/Die Grünen und auch dem Bundesrat zugute halten – ha-ben Sie es vermieden, den Eindruck zu vermitteln – wiees die FDP getan hat –, dass das Ganze ausschließlich derKostenreduzierung dienen soll. Warum allerdings wollenBund und Länder keinen Abschluss nach dem Vorbild desBachelor einführen? Ich meine, das wäre ein Vorschlag.Seit Jahren schon ringen Vertreterinnen und Vertreterder Hochschulen, der Berufsverbände sowie Justizminis-terinnen und Justizminister um eine Reform der Juristen-ausbildung. Mit den nun vorliegenden Gesetzentwürfenwerden große Ansprüche erhoben: die Studienzeit verkür-zen, das Studium praxisgerechter machen und gleichzei-tig Absolventen haben, die alles können. Das ist alles gutund schön. Indem Regierung und Bundesrat allerdingsunhinterfragt am Einheitsjuristen festhalten und sich voreiner wirklichen Überarbeitung und Straffung der Ausbil-dung drücken, vergeben sie die Chance, die Juristenaus-bildung in Deutschland zu modernisieren und an denkomplexen Erfordernissen der heutigen Gesellschaft zuorientieren.Danke schön.
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Dr. Edzard Schmidt-Jortzig20990
Ich erteile
das Wort dem Justizminister von Nordrhein-Westfalen,
Jochen Dieckmann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ihnen vor-
liegende Gesetzentwurf des Bundesrates ist eine Gemein-
schaftsarbeit aller Länder. In einer Einigkeit, die wahr-
scheinlich selten geworden ist, ist es uns gelungen, einen
Gesetzentwurf zu präsentieren, der die Juristenausbildung
spürbar verbessert und es dank seiner hohen Flexibilität
möglich macht, diese Ausbildung rasch den sich weiter
wandelnden Erfordernissen im Rechtsleben und im Wirt-
schaftsleben anzupassen.
Er ist das Ergebnis einer langen und sehr intensiven
Diskussion, die bereits Gelegenheit gegeben hat, einiges
zu klären, Herr Röttgen. Da ist zum Beispiel das Be-
kenntnis zum Einheitsjuristen, da ist auch die klare Orien-
tierung am anwaltlichen, am rechtsberatenden, am rechts-
gestaltenden Tun. Ich glaube, in der Zielsetzung stimmen
alle Entwürfe überein: Wir wollen die Juristenausbildung
modernisieren. Der ganz große Wurf war nicht möglich;
aber wir tun einen großen Schritt nach vorne.
Nach dem Verständnis der Länder muss die Juristen-
ausbildung beides können: Sie muss den jungen Juristin-
nen und Juristen eine solide Grundausbildung in allen
großen Rechtsgebieten bieten; sie muss ihnen aber auch
Einblicke in die vielfältigen beruflichen Tätigkeiten eröff-
nen, die für sie später offen stehen. Eine moderne Ausbil-
dung verträgt deshalb kein starres Korsett; sie braucht
Freiräume und Entwicklungsmöglichkeiten. Diese wer-
den ihnen mit dem Länderentwurf eingeräumt.
Wir verkennen dabei nicht, dass die weit überwiegende
Mehrheit der Absolventinnen und Absolventen den An-
waltsberuf ergreift. Daraus haben wir zwei Konsequen-
zen gezogen.
Erstens. Die Juristenausbildung hat sich auf allen Stu-
fen der Ausbildung, das heißt vom ersten Tag des Studi-
ums an, verstärkt am Anwaltsberuf zu orientieren. Das ist
so gewollt. Es wäre zu kurz gegriffen, dies als anwaltliche
Orientierung zu verstehen. Damit sind auch die Tätigkeit
des Notars und alle rechtsgestaltenden bzw. rechtsbera-
tenden Tätigkeiten umfasst.
Zweitens. Gerade wegen der hohen Anwaltszahlen
müssen wir von Anfang an jedes Interesse fördern, einen
anderen juristischen Beruf als den des Anwalts zu ergrei-
fen. Bei mehr als 110 000 zugelassenen Anwältinnen und
Anwälten wäre es das falsche Signal, auch noch alle Re-
ferendarinnen und Referendare zwangsweise zu Anwäl-
tinnen und Anwälten auszubilden. Wir halten es auch
nicht für zukunftsweisend, all diejenigen, die Richterin-
nen und Richter werden wollen, zu zwingen, für mindes-
tens zwei Jahre im Anwaltsberuf tätig zu sein.
Damit ich nicht missverstanden werde: Wir alle sind
für die Stärkung der sozialen Kompetenz und haben da-
von auch eine klare Vorstellung. Hier ist nicht die Zeit, das
im Einzelnen darzulegen. Wir sind in der glücklichen
Lage, in großer Zahl Nachwuchskräfte einzustellen, die
bereits Berufserfahrung haben. Dies aber zwingend vor-
zuschreiben wirft viele Fragen auf, über die noch disku-
tiert werden muss. Es wird noch Gelegenheit geben, die
Gesetzentwürfe im Einzelnen zu diskutieren. Es wird
sicherlich möglich sein, dabei Verständigungen zu finden.
Die bislang geführte Diskussion ist dafür eine gute
Grundlage.
Ich möchte noch auf einen Punkt besonders eingehen.
Es handelt sich um die Frage, ob eine zwölfmonatige
Pflichtausbildung beim Anwalt für alle Referendarin-
nen und Referendare vorgesehen werden soll oder ob dies
nur gelten soll, wenn jemand zur Anwaltschaft zugelassen
werden will. Nach dem Länderentwurf muss jeder – aber
auch nur derjenige –, der zur Anwaltschaft zugelassen
werden will, mindestens zwölf Monate von einem Anwalt
ausgebildet worden sein. Diese Regelung verdient nach
unserer Auffassung den Vorzug.
Zum einen garantiert sie, dass jeder, der den anwalt-
lichen Beruf ergreifen will, mindestens ein Jahr lang von
einem Anwalt ausgebildet worden ist; zugleich sichert sie
das uns wichtige Höchstmaß an Flexibilität und Indivi-
dualität. Wer von Anfang an entschlossen ist, eine andere
Berufstätigkeit zu ergreifen – sei es in der öffentlichen
Verwaltung oder in der Europäischen Union –, der kann
dies nach dem Länderentwurf – aber auch nur nach dem
Länderentwurf – in gleichem Maße wie jemand tun, der
sich für den Anwaltsberuf interessiert. Die intensive Vor-
bereitung auf andere juristische Berufe erfordert zwangs-
läufig einen hinreichenden Freiraum in der Gestaltung der
Ausbildung. Das wird nicht möglich sein, wenn ein
ganzes Jahr beim Anwalt absolviert werden muss.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang nur kurz er-
wähnen, dass in dem Länderentwurf die Belastungen für
die Anwaltschaft, die mit dieser Ausbildung verbunden
sind, möglichst gering gehalten werden. Sie lässt – das ist
für die weitere Debatte ein wichtiger Punkt – auch ausrei-
chenden Spielraum für die in Zukunft noch zu treffenden
Länderregelungen. Ich glaube, wir sollten im Bundesge-
setz nicht zu viele Einzelheiten regeln, sondern es in be-
währter Weise den Landesgesetzgebern überlassen, die
Einzelheiten zu regeln.
Wir als Verantwortliche in Bund und Ländern stehen
ständig in der Pflicht, die Juristenausbildung an die verän-
derten Anforderungen unserer Lebenswirklichkeit anzu-
passen. Die Länder haben einen Gesetzentwurf vorgelegt,
der die Juristenausbildung den modernen Anforderungen
anpasst, der anwalts- bzw. beratungsorientiert und dyna-
misch, flexibel und europafreundlich ist. Er baut auf Ei-
geninitiative und Eigenverantwortung.
Die Chance, die Juristenausbildung auf diese Weise
spürbar zu verbessern, war nie größer als heute. Wir soll-
ten sie unbedingt noch in dieser Legislaturperiode nutzen.
Ich schließedie Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen aufden Drucksachen 14/7176 und 14/7463 an die in der
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Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. –Das Haus ist damit einverstanden. Dann sind die Über-weisungen so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:Beratung der Großen Anfrage der AbgeordnetenDr. Norbert Lammert, Bernd Neumann ,Renate Blank, weiterer Abgeordneter und derFraktion der CDU/CSUVerbreitung, Förderung und Vermittlung derdeutschen Sprache– Drucksachen 14/5835, 14/7250 –Da dieses Thema hohe Anforderungen an die nachfol-genden Redner stellt, bitte ich um Ihre besondere Auf-merksamkeit.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Sie sindeinverstanden. Dann ist es so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort für dieAntragstellerin der soeben eintreffenden Kollegin ErikaSteinbach.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren!Im Feuilleton der „FAZ“
– vom heutigen Tage – gibt es eine hochinteressante Ana-lyse zur Situation der deutschen Sprache im In- und Aus-land. Der Autor durchleuchtet darin als Sprachwissen-schaftler akribisch die Haltung der Bundesregierungaufgrund der Großen Anfrage der CDU/CSU-Bundes-tagsfraktion. Ich will es Ihnen und mir ersparen, daraus zuzitieren. Aber die Überschrift spricht wirklich Bände:„Deutschland zerstört seine Muttersprache“.
Das Beunruhigende daran ist, dass diese Bundesregie-rung das nicht einmal bemerkt. Denn der Antwortenkata-log, der heute zur Debatte steht, will suggerieren, dass beiuns in Deutschland, was unsere Muttersprache angeht, al-les in bester Ordnung ist. Die Antworten der Bundesregie-rung sind von tiefster Zufriedenheit durchdrungen. DerBundesregierung macht es keine Sorgen, dass das Interessean der deutschen Sprache weltweit abnimmt, auch in unse-ren europäischen Nachbarländern. Sie lässt keinen Hauchvon Erkenntnis durchschimmern über die deprimierendeSituation der deutschen Auslandsschulen und die schwieri-gen Balanceakte, die das Goethe-Institut Jahr für Jahr voll-ziehen muss, um die Qualität seiner Arbeit halbwegs zu si-chern. Die heile Welt, die der Antwortenkatalog derBundesregierung vorzeigt, ist ein potemkinsches Dorf.
– Das ist eine Kulisse, die als russischer Ort vorgezeigtwurde.
– Richtig. Sie haben Recht.Die überragende Bedeutung der englischen Spracheist weltweit unübersehbar. Dennoch wird das Erlernendes Deutschen in vielen Ländern mit der Erwartung bes-serer beruflicher Chancen verbunden. Das muss vonDeutschland aber ausreichend gefördert werden. Wirdürfen uns da nicht indolent hinsetzen und die Hände inden Schoß legen. Sprache spielt im Wirtschaftsleben undim Bereich der Wissenschaft international eine wichtigeRolle. Investitionen in die Sprachkompetenz sind auch fürUnternehmen wichtig für die Zukunft. Die Vermittlungder deutschen Sprache spielt für unser Land im Globa-lisierungsprozess und für Deutschlands Stellung in derWelt insgesamt eine wichtige Rolle. Das scheint man-chem gar nicht so recht bewusst geworden zu sein.Ein anderer Bereich ist existenziell wichtig, wenn mandie Bedeutung der Sprache nach außen tragen will.Sprachvermittlung hängt untrennbar mit der Wertigkeitder eigenen Sprache im Inneren dieses Landes zusammen.Hier hat uns die PISA-Studie – ich nehme an, damit gehtes uns allen, egal welcher Partei wir angehören, gleich –die Augen geöffnet. Mancher hat ja geahnt, wie drama-tisch es ist, aber hier haben wir einen Beleg dafür:Sprachpflege, Sprachfähigkeit und Sprachverständniswerden in deutschen Schulen, jetzt für alle offenbar undoffensichtlich, nur unzulänglich vermittelt; sie werden sovermittelt, dass wir im internationalen Vergleich ein wirk-lich trauriges Bild abgeben.
Ich hoffe sehr, dass der allgemeine Schock darüber keineEintagsfliege bleibt und sich in Lehrplänen und im Lehr-alltag am Ende fruchtbar niederschlägt. Damit zöge manimmerhin einen Gewinn aus den Ergebnissen dieser Studie.Dabei ist auch die Frage der Sprachintegration nachDeutschland zugewanderter Menschen nicht zu vernach-lässigen. Die babylonische Sprachverwirrung in nicht we-nigen Schulklassen hemmt das Verständnis untereinanderund verhindert eine gute deutsche Sprachausbildung allerSchüler, egal welcher Nationalität. Auch die Sprachfähig-keit und Sprachkompetenz der deutschen Schüler wirddadurch am Ende beeinträchtigt. Dass das keine einfacheAufgabe ist, wissen alle im Lande. Wir müssen aber dieseAufgabe bewältigen. Einen wesentlichen Anteil daran ha-ben die Bundesländer, aber auch die Bundesregierung undwir im Bundestag sind gefordert und dürfen die Augen da-vor nicht verschließen, denn wir müssen dieses Problembewältigen.Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort aber einesfast völlig übersehen, nämlich dass sich Menschen inDeutschland immer öfter in ihrer eigenen, deutschen Mut-tersprache nicht mehr ausreichend informieren können.Das ist mit der Feststellung, dass man Anglizismen hin-nehmen müsse, nicht abgetan. Fremdwörter haben wirimmer in unsere eigene Sprache eingebaut. Wir haben einmassives lateinisches Fundament, wir haben Vokabeln,die ihren Ursprung im Griechischen haben, wir habenviele französische Elemente in unserer Sprache.
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Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters20992
Anglizismen sind hinnehmbar, aber die Entwicklung istja dramatischer: Ein offener Blick ins Alltagsleben kannIhnen das auch plastisch deutlich machen. Wer sehen will,der kann es sehen, und wer hören will, der kann es auchhören.Jüngst drückte eine wirklich freundliche Verkäuferin ineinem großen Warenhaus den vorbeieilenden Kunden– einer davon war ich – eine eindrucksvolle Werbebro-schüre in die Hand. Darin wurden kosmetische Produkteangepriesen: Für die Herren … – nein, so stand das danicht drin, sondern: „for men – shaving foam bath soap“und „for women – soft cleansing emulsion, peach and ho-ney mask“ oder „eye make-up remover pads“. Ist das einEinzelfall? Nein, natürlich ist das beileibe kein Einzelfall,das ist Alltag hier im Lande. Tagtäglich begegnet uns das.Heute flatterte mir auf meinen Schreibtisch – es kommt javiel Werbung in unseren Abgeordnetenbüros an – einehochelegante Einladung zur Präsentation der „springsummer collection“ eines Modehauses auf den Tisch.
Ein Flugschein? Nein, das „passenger ticket and bag-gage check“ lässt sich für den, der des Englischen nichtmächtig ist, nur mithilfe eines Dolmetschers entschlüsselnund auch die Werbung auf der Flugscheinhülle preist eineUhrenmarke als „instruments for professionals“. Deutsch-sprachige Erläuterung dazu – absolute Fehlanzeige.Meine lieben Kollegen, einander verstehen zu können,dient dem friedlichen Miteinander, es dient der freund-schaftlichen Kontaktpflege, es dient auch der kritischenAuseinandersetzung. Aber dieses Verstehen beginntschon im eigenen Haus, im eigenen Land, in der eigenenMuttersprache. Denn am Anfang war wirklich das Wort.Man darf nicht Augen und Ohren davor verschließen, dassheute durch Werbung und mangelhafte deutsche Produkt-beschreibung Millionen von Menschen vom Dialog im ei-genen Heimatland ausgegrenzt sind, da dieser nicht mehrmuttersprachlich geführt wird. Sie werden zu sprachli-chen Analphabeten im eigenen Lande gemacht.
Wer kein Englisch gelernt hat, versteht das Hinweis-schild „fasten your seat belt“ in einem Taxi eben nicht undhat doppeltes Pech, wenn er auf einen Taxifahrer trifft, derwiederum kaum Deutsch versteht und spricht. Wenn tech-nische Alltagsgeräte wie Radio, Fernseher oder Videore-korder mit „On“ bzw. „Off“ ein- oder ausgeschaltet wer-den müssen, ist mancher Verbraucher nur noch mithilfeder Gebrauchsanweisung in der Lage, diese oder anderewichtige Tasten wie „Timer“, „Reverse“ usw. zu drückenund dabei zu wissen, was er damit auslöst – wobei diedeutschsprachige Anweisung nicht selten erst auf den hin-tersten Seiten unter ferner liefen zu finden ist.Es ist mehr als eine Zumutung, muss ich Ihnen sagen,wenn die ältere Dame beim Einkauf im Supermarkt dieDuftnote von Teelichtern erschnüffeln muss, weil sienicht weiß, dass Strawberry Erdbeere oder BlueberryBlaubeere heißt. Das ist eine Entwürdigung von Men-schen und das ist zutiefst unsozial.
So arrogante Bemerkungen wie „Die Enkelkinder könn-ten ja der Oma erläutern, was Sache ist“, erinnern mich fa-tal an die Aussage: Kinder, klärt eure Eltern auf.So findet tagtäglich soziale Ausgrenzung von Men-schen statt. Das Tragische ist: Viele von diesen Menschenwagen kaum zu sagen, dass sie einen Teil ihres Spra-chenalltags überhaupt nicht mehr verstehen. Zugewan-derte, die sich zunächst mühsam in der deutschen Sprachezurechtfinden müssen, werden so noch etwas mehr ausunserer Gesellschaft ausgegrenzt.Diese Entwicklung über Jahrzehnte drängt unzähligeMenschen im Lande in die Ecke. Sie können in Bezug aufdas Sprachverständnis nicht mehr mithalten. Zu Deutsch-lands Sprachenalltag muss man am Ende mit Shakespearesagen: „Sie sind auf einem großen Schmaus von Sprachengewesen und haben sich die Brocken gestohlen.“ Damitzerstört Deutschland tatsächlich seine Muttersprache. DerAutor in der „FAZ“ hatte Recht.
Für die
SPD-Fraktion spricht der Kollege Dr. Peter Eckardt.
Herr Präsident! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Ich werde mich mit demProblem der Anglizismen nicht auseinander setzen, weiles dann vielleicht Lacher wegen meiner Aussprache desEnglischen gäbe. Aber ich denke, der geschätzte Bamber-ger Sprachwissenschaftler Glück, der sich heute in der„FAZ“ – zeitgerecht für Sie, Herr Lammert – geäußert hat– in einem etwas holprigen Deutsch, vielleicht auch etwaszu langatmig –, will nicht bestreiten – das hat er mit sei-nem Aufsatz in der „FAZ“ auch nicht beabsichtigt –, dassdie deutsche Sprache nicht nur eine wichtige Kultur- undVerkehrssprache ist, die noch immer von weit mehr als100 Millionen Menschen in Europa und in der Welt ge-sprochen wird, sondern anerkanntermaßen auch einewichtige Wissenschaftssprache, die seit der Gründungdeutscher Universitäten neben Latein über Jahrhundertegelehrt und gelernt wurde und wird.Da ich mich nicht in der Lage sehe, etwas zu beschö-nigen, muss auch erwähnt werden: Ihre Bedeutung istweltweit zurückgegangen. Ich kann aber nicht erkennen,dass die jetzige Regierung in Berlin in irgendeiner FormSchuld daran trägt, und ich kann auch nicht erkennen,dass die Regierung alles schönredet, wie das im „FAZ“-Artikel behauptet wird. Die Überschrift „Deutschlandzerstört seine Muttersprache“ ist unangemessen. An denHochschulen – nicht nur in Deutschland, sondern auch invielen anderen Ländern – wird in unserer Sprache nichtnur gesprochen, sondern auch in deutscher Sprache ge-lehrt und es werden Forschungsergebnisse in deutscherSprache veröffentlicht. Die Tendenz ist trotz gegenteiligerMeinungsäußerungen teilweise steigend, erfreulicher-weise besonders in Osteuropa und Südostasien. Deutschist neben Russisch die auch in den Lehrveranstaltungender Hochschulen Europas von den Studierenden am meis-ten gesprochene und geschriebene Muttersprache.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Erika Steinbach20993
Es ist richtig, die Bedeutung der deutschen Sprache alsWissenschaftssprache ist zurückgegangen, von der Auf-klärung bis weit in das 20. Jahrhundert hinein ganz all-mählich. Mir hat noch niemand gesagt, welche Möglich-keiten es gibt, diesen Prozess aufzuhalten. KonnteHumboldt vor 180 Jahren noch unwidersprochen definie-ren: „Gebildet ist, wer Latein spricht“ – wobei er unter-stellte, dass natürlich auch Deutsch gesprochen wurde –,gilt heute die Definition: „Weltoffen ist, wer gut Englischspricht“ – natürlich unterstellt, dass man dann auch gutDeutsch sprechen kann.Der Rückgang des Deutschen beschleunigte sich erst– da hat Herr Glück Recht – mit dem Bedeutungsverlustder Wissenschaft in Deutschland während der 30er-Jahrein der Nazizeit und ist keine aktuelle Entwicklung, abereine Entwicklung, unter der wir noch heute leiden.Während Thomas Mann auch im Exil in deutscher Spra-che geschrieben hat, haben Wissenschaftler – im Wesent-lichen im naturwissenschaftlichen Bereich – und andereSchriftsteller während ihres Exils des Überlebens wegenoft die Sprache wechseln müssen, um überhaupt gehört zuwerden.Wenn ich aber aus der Großen Anfrage der CDU/CSUherauslese, dieser Prozess habe sich erst in den letztenJahren beschleunigt, so liegt diese Einschätzung nebender Realität. Wenn in dieser Anfrage intendiert wird, dasses politisch möglich sein könne, durch Sprachschutzge-setze, Quoten, Gerichtsurteile oder andere Restriktionendie deutsche Sprache zu retten, sie gar wieder zu einerWeltumgangssprache zu machen, dann ist dies eine wis-senschaftliche Fehleinschätzung. Am Bedeutungsverlustdes Französischen in der Welt und in Europa kann man ab-lesen, wie trotz der Schutzgesetze und Förderprogrammedieser Prozess nicht aufzuhalten war.Eine schnelle und über Grenzen hinweg geführte Kom-munikation, meist auf elektronischem Wege, zwingt heutegerade zu einer gemeinsamen Sprache der Kommunika-tion und lässt wenig Platz für andere als lateinische Buch-staben und wenig Raum für andere Sprachen als Eng-lisch.Wir als Deutsche werden akzeptieren müssen, dassin technischen und ingenieurwissenschaftlich gestütztenKommunikationen auch in der Zukunft ausschließlich inEnglisch gesprochen und geschrieben wird. Wir solltenuns bei unseren Bildungskonzepten darauf einstellen.Diese Entwicklung sollte auch nicht aufgehalten wer-den, garantiert sie doch eine länderübergreifende Zusam-menarbeit, die allen Ländern Chancen und Erfolge bringt.Unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sindnämlich auf Kommunikation, Kooperation und Austauschangewiesen, nicht die anderen auf uns. Mit mehreren Ge-setzen zur Förderung des Wettbewerbs und der Leis-tungsfähigkeit und finanziell gestützten Programmen hatdiese Regierung diesen wissenschaftlichen Austausch,der uns allen nützt, wieder in Schwung gebracht. Sie hatdamit mehr getan, als möglicherweise durch Gesetze, dieunsere Sprache schützen sollen, erreicht werden könnte.
Was sollten wir weiter tun, um die deutsche Sprache inder Wissenschaft zu fördern? Das Lehren und Lernen vonSprachen im Tandem und eine leistungsfähige Überset-zungskunst verbessern trotz der Allgegenwart von Eng-lisch nicht nur die Internationalität von Wissenschaft, son-dern nützen der deutschen Sprache und Wissenschaftgleichermaßen. Auf diese Aufgaben sollten wir uns bil-dungspolitisch konzentrieren. Dann können wir auch wei-terhin sicher sein, dass in den Geisteswissenschaften undin den literaturbezogenen Bereichen die Kommunikationin deutscher Sprache weltweit zukünftig nicht nur erhal-ten wird, sondern noch ausbaufähig ist.Voraussetzung für die Entwicklung ist die Förderungder deutschen Sprache im Ausland, dort, wo sie gepflegtwird, damit die Kenntnisse nicht über zwei Generationenabreißen, was das große Problem ist. Diese Kontinuität istin einigen Ländern Südamerikas und Asiens gefährdet. Esversteht sich wissenschaftspolitisch von selbst, dass dieFinanzmittel hierfür nie genügen können.Vor 150 Jahren wurden – so habe ich gelesen – nochviele Lehrveranstaltungen an berühmten europäischenUniversitäten vollständig in deutscher Sprache gehalten.Die Zeiten, als in Coimbra in Portugal, in Dorpat in Est-land und in Prag ausschließlich in deutscher Sprache ge-lehrt wurde und die Medizinstudenten Anatomie aus deut-schen Lehrbüchern lernten, sind natürlich längst vorbei.Man kann, ohne Prophet zu sein, sagen: Sie werden auchnicht wiederkommen. Aber zarte deutsche Sprachpflan-zen auch außerhalb der Germanistik blühen an den aus-ländischen Universitäten, die Lehrveranstaltungen indeutscher Sprache anbieten und in deutscher Sprache pu-blizieren.In dem von vielen für die Wissenschaft überschätztenInternet spielt die deutsche Sprache ebenfalls kein Schat-tendasein, was Sie gut beobachten können, wenn Sie sichdieses Mediums bedienen.Aber ich bin sicher, dass die deutsche Sprache auchzukünftig eine wichtige Rolle in der Wissenschaft spielenwird. Sie muss lediglich vor Politikern und Journalistengeschützt werden, die ihr oft arg mitspielen. Vielleicht istdie Reihenfolge eine andere als die, die ich gerade ge-nannt habe.Danke schön.
Für die
FDP-Fraktion spricht der Kollege Gerhard Schüßler.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Essen Sie gerne Äp-fel? Wenn ja und wenn Sie heute Mittag zufällig im Res-taurant gewesen sein sollten, haben Sie sich sicherlichüber die dort kostenlos dargebotenen Äpfel aus Südtirolgefreut. Wenn Sie sich einen solchen Apfel genauer ange-sehen haben, dann haben Sie auf jedem einen Aufkleberbemerkt, der wohl Aufschluss über den Namen der Ap-
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Dr. Peter Eckardt20994
felsorte geben soll. Wohlgemerkt: Der Apfel kommt ausSüdtirol. Er hat aber weder einen italienischen noch einendeutschen Namen, sondern er heißt „Pink Lady“.
Hier haben Sie exemplarisch das, worum es heute ei-gentlich geht. Im weltweiten Sprachenwettbewerb liegtdie englische Sprache ganz klar vorn. Diese Erkenntnisverdanken wir allerdings nicht der Großen Anfrage derCDU/CSU-Fraktion und deren Beantwortung durch dieBundesregierung. Mit dieser Erkenntnis schlagen sichKulturpolitiker und ganze Heerscharen von Sprachwis-senschaftlern seit geraumer Zeit herum. Doch die manch-mal künstliche, manchmal wissenschaftlich fundierte Er-regung über diesen Umstand ist zwar wohlfeil, geht abernach meiner Überzeugung in die falsche Richtung.Wenn wir im Wettbewerb der Sprachen stehen, solltenwir uns nicht über Anglizismen in der deutschen Sprache,über die auch ich mich zugegebenermaßen oft ärgere, undauch nicht über das so genannte „Denglisch“, wie mansarkastischerweise sagt, ereifern. Wir müssen uns viel-mehr fragen, welche Rolle die deutsche Sprache im In-und insbesondere im Ausland in Zukunft spielen soll undwie wir dieses Ziel erreichen wollen.
Zwei Dinge sollten uns bei dieser Diskussion von vorn-herein klar sein:Erstens. Die deutsche Sprache hatte nicht zuletzt we-gen der politischen Situation nach dem DreißigjährigenKrieg zu keinem Zeitpunkt seit dem 17. JahrhundertChancen, als Weltsprache mit dem Englischen oder demFranzösischen zu konkurrieren. Deshalb sollten wir auchheutzutage nicht versuchen, dem Englischen den erstenRang in der Riege der Sprachen der Welt streitig zu ma-chen.Zweitens. Für jeden Kulturstaat ist die eigene Sprachedie wesentliche Basis seines Selbstverständnisses. Hiersind erhebliche Versäumnisse von Schulen und in Son-derheit auch von Medien festzustellen.
Es kann schon grausam sein, die Sprache mancher Mode-ratoren im deutschen Fernsehen „genießen“ zu müssen.Die deutsche Sprache ist nämlich unmittelbar verbundenmit dem Ansehen Deutschlands in der Welt als Land derDichter und Denker, mit den hervorragenden Zeugnissendes 19. und 20. Jahrhunderts und mit den wissenschaft-lichen Höchstleistungen deutscher Universitäten um dieWende vom 19. zum 20. Jahrhundert.Erfreulich ist, dass seit der WiedervereinigungDeutschlands die bis zu diesem Zeitpunkt vorhandeneeher rückläufige Tendenz in Bezug auf die Verbreitungder deutschen Sprache in der Welt umgekehrt wurde. DiePosition der deutschen Sprache wurde seitdem nicht nurgefestigt, sondern auch ausgebaut. Insbesondere in denStaaten Mittelosteuropas bis hin nach Russland erfreutsich die deutsche Sprache, die dort einmal Lingua francawar, wieder großer Beliebtheit. Dass dies so ist, ist zumGroßteil das Verdienst des Goethe-Instituts – mittlerweileGoethe-Institut Inter Nationes –, das wirklich uner-müdlich an der Verbreitung unserer Muttersprache in die-sen Ländern arbeitet. Wenn Sie sehen, welche Aktivitätentrotz knapper werdender Mittel entfaltet worden sind,dann können Sie vor dieser Leistung nur den Hut ziehen.Aber nicht nur dort, wie es sich dem jüngsten Berichtdes Goethe-Instituts Inter Nationes entnehmen lässt, wirddie deutsche Sprache im Ausland gefördert. Die Men-schen unterschiedlichster Nationalität und Herkunft ler-nen Deutsch bei „Goethe“. Damit – das sei an dieser Stelleeinmal deutlich gesagt – erfüllen die Mitarbeiter desGoethe-Instituts Inter Nationes nicht nur ihre Pflicht, son-dern sie leisten im wahrsten Sinne des Wortes Dienst amVaterland.
Gerade für Deutschland ist es wichtig, dass andereMenschen unsere Sprache erlernen und dadurch Kennt-nisse über unser Land und seine Menschen erlangen. Bei-des ist Voraussetzung dafür, aktuelle Informationen überDeutschland aufzunehmen und richtig zu verwerten.
Dem gerade aus dem Amt verabschiedeten HilmarHoffmann und all seinen Mitarbeitern möchte ich in die-sem Zusammenhang auch im Namen der FDP-Bundes-tagsfraktion nochmals Dank und Anerkennung für dieseArbeit aussprechen.
Zum Schluss möchte ich auf die Debatte von heuteMorgen zur auswärtigen Kulturpolitik hinweisen. DieVerbreitung der deutschen Sprache im Ausland leidet un-ter Sparmaßnahmen bei den Mittlerorganisationen,liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen. ZuZeiten der Regierung Kohl haben wir noch ein Sonder-programm für die deutsche Sprache mit einem Volumenvon 40 Millionen DM aufgelegt. Davon ist heute keineRede mehr. Aber die diesbezüglichen Vorwürfe hat HerrHoffmann an die Adresse der Bundesregierung im Rah-men seiner Abschiedsrede in der vergangenen Woche inMünchen erneut vorgetragen. Die Vorwürfe waren ein-deutig. Nur scheint dies bei der Bundesregierung und denKolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen nicht ge-fruchtet zu haben. Für die deutsche Sprache im Auslandund das Ansehen Deutschlands in der Welt ist das außer-ordentlich bedauerlich.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle begegnentäglich vielen Menschen. Wir sprechen mit ihnen und hal-ten Reden in mehr oder weniger vollen Sälen. Wir als Ab-geordnete des Deutschen Bundestages sind in Sonderheitaufgerufen, einen sorgsamen Umgang mit unserer Spra-che zu pflegen und ihre Markierungen und manipulieren-den Verkleidungen zu enthüllen.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Gerhard Schüßler20995
Ich gebe
dem Staatsminister Dr. Ludger Volmer das Wort.
D
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Spra-chenpolitik bestimmt nicht die Schlagzeilen, sie ist abergewichtiger Teil einer auswärtigen Kultur- und Bildungs-politik, die – so unterstrich Bundespräsident Rau in seinerNeujahrsansprache vor dem Diplomatischen Corps –nicht weniger ist als „die beste zivile Krisenprävention“.Förderung von Mehrsprachigkeit ist Kernelement einersolchen Politik. Dies gilt besonders im europäischen Kon-text. Mehrsprachigkeit hilft, die europäische Integrationauf ein festes kulturelles Fundament zu stellen. Nur wennalle Sprachen in der EU geachtet werden, wird diese zurHeimat für die Bürgerinnen und Bürger.
Mit dem „Europäischen Jahr der Sprachen“ in 2001sollte bewusst gemacht werden, welch entscheidendeRolle Mehrsprachigkeit für Europas Zukunft spielt. Die-ses Ziel, engagiert unterstützt durch die Bundesregierung,wurde dank zahlreicher öffentlichkeitswirksamer Projek-te erreicht. Allein in Deutschland haben über 1 000 Ver-anstaltungen stattgefunden, von Sprachenfestivals bis zuKonferenzen, von Wettbewerben bis zu Theaterwochen.Förderung von Mehrsprachigkeit bedeutet zunächst,dass wir Deutschen mehr Sprachen lernen sollten. Wirkönnen nur dann glaubwürdig für die deutsche Spracheim Ausland werben, wenn wir selbst Fremdsprachen ler-nen. In allen Bundesländern beginnt der Fremdsprachen-unterricht mittlerweile bereits in der Grundschule. Dieserfrühe Beginn ist nicht nur pädagogisch sinnvoll, er ermög-licht es auch, eine zweite Fremdsprache auf breiter Basiseinzuführen. Heute haben wir erlebt, Frau Steinbach, wieSie sich um die Förderung der russischen Sprache – „po-temkinsche Dörfer“ – im Bundestag verdient gemacht ha-ben. Auch das ist zu begrüßen.Mehrsprachigkeit bedeutet auch, Fremdsprachen, na-mentlich Englisch, stärker an unseren Bildungseinrich-tungen zu etablieren. Englisch dominiert zusehends dieWissenschaft, auch wenn Deutsch insbesondere in denphilosophischen Fächern noch bevorzugt wird. Das In-ternet verstärkt die Dominanz des Englischen weiter, ohnedass dort allerdings das Deutsche verschwindet. DenWettbewerb um die besten Köpfe können wir also nur er-folgreich bestreiten, wenn wir jungen Menschen aus allerWelt die Chance geben, an unseren Schulen und Hoch-schulen auf Englisch zu studieren.
Im Rahmen des Programms „International ausgerich-tete Studiengänge“ fördert die Bundesregierung deshalbmit 35 Millionen Euro 52 Studiengänge, in denen ver-stärkt Englisch verwendet wird. So lässt sich Deutschlandals Wissenschaftsstandort attraktiv erhalten.
Dies kann umgekehrt aber auch erleichtert werden,wenn Schüler und Studenten die deutsche Sprache inihren Heimatländern erlernen. Gerade dann werden sieden Wunsch haben, ihre Kenntnisse an einer deutschenHochschule zu vertiefen. Eine wichtige Aufgabe ist alsodie Förderung der deutschen Sprache im Ausland. WoDeutsch gelehrt und gelernt wird, genießen wir einenSympathievorschuss, der sich in kulturellem Austausch,politischen Verhandlungen oder wissenschaftlichen Inves-titionen positiv auswirkt. Hier spielen übrigens auch alldie Deutschstämmigen, die die Sprache konservierenund weitergeben, eine wertvolle Rolle, auch wenn ihr ei-genes Deutschlandbild hier und da einer Modernisierungbedarf.Wir alle sind uns, wie ich meine, vollkommen darübereinig, welchen Stellenwert die Deutschförderung im Aus-land gerade im Zeitalter der Globalisierung hat. Deutschgehört nach wie vor zu den bedeutendsten und attraktivs-ten Sprachen. Etwa 91 Millionen Menschen sprechenDeutsch als Muttersprache. Schätzungen gehen von bis zu55 Millionen weltweit aus, die Deutsch als Zweitsprachegelernt haben. Ein Zentrum liegt in Mittel- und Osteuropaund in den GUS-Staaten. Hier steht Deutsch nach Eng-lisch an zweiter Stelle. Allein in Russland lernen knapp4 Millionen Schüler Deutsch.Es gibt aber auch gegenläufige Tendenzen: In wichti-gen Partnerstaaten, wie Frankreich und den Niederlanden,ist die Zahl der Deutschlernenden rückläufig oder nimmtdie Intensität des Unterrichts ab.Um Verbreitung, Pflege und Vermittlung der deutschenSprache auf dem immer wichtiger werdenden elektroni-schen Wege macht sich zum Beispiel auch die DeutscheWelle verdient. Sie präsentiert ein weltweites Fernseh-,Radio- und Internetangebot, das von der Bundesregierungin 2001 mit etwa 290 Millionen Euro finanziert wurde.
Deutsche Welle, ARD und ZDF haben gemeinsam undunterstützt durch die Bundesregierung einen weiterenwichtigen Schritt getan und präsentieren seit Beginn die-ses Jahres einen eigenständigen deutschen Kanalzunächst auf dem amerikanischen Markt, also ein Pro-gramm ausschließlich in deutscher Sprache.
Dies geschieht übrigens auf der Basis des Pay-TV; des-halb können die staatlichen Zuschüsse auch reduziertwerden.Die Bundesregierung hat im letzten Haushaltsjahr ihrelementares Interesse an der Förderung der deutschenSprache unter Beweis gestellt und über 240 Millio-nen Euro für entsprechende Programme ausgegeben.Mehr als 40 Prozent des Kulturhaushalts des AuswärtigenAmtes stehen damit in Verbindung. Zu nennen sind dieAusbildung von Deutschlehrern, die Entsendung vonLehrern und DAAD-Lektoren, die Sprachkurse an
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Goethe-Instituten und – besonders wichtig – die Förde-rung der deutschen Sprache in den mittel- und osteuro-päischen Ländern. Hauptzielgruppe sind die aktuellenund künftigen Führungsschichten in Politik und Gesell-schaft.Parallel dazu versucht das Auswärtige Amt, die Effi-zienz der Programme zu steigern. So versuchen wir ge-meinsam mit den Goethe-Instituten, die Anzahl defizitä-rer Sprachkurse dort abzubauen, wo ein vergleichbareskommerzielles Angebot besteht. Auch in diesem Zusam-menhang danke ich Hilmar Hoffmann für seine kritischeKooperation.Die Stellung der deutschen Sprache in den EU-Insti-tutionen wird zu Recht häufig thematisiert. Die Bundes-regierung legt großen Wert darauf, dass Deutsch als dieSprache mit der größten Zahl an Muttersprachlern in derEU – sie ist im Internet übrigens die am zweithäufigstenbenutzte europäische Sprache – in den Institutionen ange-messen berücksichtigt wird. Die Bundesregierung wendetsich mit Nachdruck gegen eine Veränderung des Spra-chenregimes in den verschiedenen EU-Gremien zu Un-gunsten der deutschen Sprache. Aufgrund eines gemein-samen Schreibens von Bundesminister Fischer undseinem französischen Kollegen Védrine an den Kommis-sionspräsidenten Prodi wurden Pläne verworfen, das imKollegium der Kommission geltende bewährte Dreispra-chenregime zu ändern.
Das Auswärtige Amt hat außerdem die Zahl derDeutschkurse für EU-Mitarbeiter und für mit EU-Fragenbefasste Beamte aus den Beitrittsländern deutlich ver-größert. Ich möchte mich in diesem Zusammenhang beiden Ländern für die hervorragende Kooperation auf alldiesen Gebieten ausdrücklich bedanken.
Meine Damen und Herren, Sprache ist lebendig, Spra-che wächst in der Bevölkerung, Sprache ist nicht regle-mentierbar. Von daher wäre es unsinnig, zu versuchen, siein ein starres Gesetzeskorsett zu packen.Dennoch weiß die Bundesregierung um die Wichtig-keit der Mehrsprachigkeit und der Förderung des Kultur-gutes deutsche Sprache für den weltweiten interkulturel-len Dialog, für die Globalisierung und die europäischeIntegration. Ich versichere Ihnen: Sie wird sie auch wei-terhin kraftvoll fördern.Ich danke Ihnen.
Ich erteile
der Kollegin Maritta Böttcher für die Fraktion der PDS
das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsi-dent! Meine Damen und Herren! Ich halte jegliche Pflegedes Fremdsprachenunterrichts, auch wenn er seine Divi-dende nicht in Euro und Cent ausweisen kann, für eine derwichtigsten Zukunftsinvestitionen.
Das Erlernen der Sprache des Fremden führt dazu, dasser dies nicht mehr ist. Das bestätigt durchaus die Intentionder Fragesteller – Verbesserung der Vermittlung der deut-schen Sprache im Ausland –, macht aber erst richtig Sinn,wenn auch wir es uns in gleicher Weise als selbstver-ständlich auferlegen, in mindestens einer Fremdsprachezur Konversation fähig zu sein.
Ein Mehr an Verständigung in der Welt hängt also nichtursächlich von einem Mehr an Verständnis des Deutschenin dieser ab. Es mag für Sprachforscher oder Soziologenvon Wert sein, zu ergründen, warum in den großen Indus-triestaaten das Interesse am Deutschlernen nachgelassenhat. Politischen Handlungsbedarf sehe ich deshalb nicht.Nicht richtig nachvollziehen kann ich das unter-schwellige Bedauern, Englisch als die Schlüsselsprachedes jüngsten Mediums Internet akzeptieren zu müssen.Dass das so ist, hat doch leicht erklärbare Gründe, die ab-solut nichts mit einer Herabsetzung der eigenen Spracheoder gar des Selbstwertgefühls zu tun haben. Folglich be-darf es auch keiner nationalen Anstrengung, dies etwa zu-gunsten des Deutschen zu verändern.Auch die Befürchtung, das Deutsche leide an Über-fremdung, etwa durch eine Inflation von Anglizismen,teile ich nicht, selbst wenn ich einer solch durch und durchsubjektiven Einschätzung folgen würde. Der Gebrauchvon Fremdwörtern im eigenen Vokabular steht doch je-dem frei. Sprache ist nun einmal – hier möchte ich aus-drücklich Herrn Ludger Volmer Recht geben – ein leben-diger Organismus, der sich ständig verändert und keinerArt von Sprachpolizei bedarf.Wenn ich etwas mit Sorge und Bedauern sehe, dann ineiner ganz anderen Richtung: Deutsche Sprache und Spra-che in Deutschland sind nicht das Gleiche. Zu Frage 59erklärt die Regierung:Bund und Länder gewährleisten durch die Über-nahme von konkreten Verpflichtungen den Schutzder Minderheitensprachen Dänisch, Ober- und Nie-dersorbisch, Nord- und Saterfriesisch ... sowie desRomanes ...Sie trägt damitin besonderem Maße zum Erhalt der Sprachenviel-falt in Europa bei.Wer sich erinnert, welches Tauziehen in den parlamenta-rischen Gremien erforderlich war, um beispielsweise dieohnehin nicht üppigen Mittel der Einrichtungen zurPflege des Sorbischen für ein weiteres Jahr zu sichern,wird dies gewiss differenzierter sehen.
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Staatsminister Dr. Ludger Volmer20997
Ich möchte noch einmal darauf zurückkommen,warum ich es für so wichtig halte, dass wir Deutschen imAusland die deutsche Sprache lehren. Wir sollten dabeiüber die zu vermittelnde Vokabel hinaus nach dem Textfragen, den wir in der Weise ins Ausland transportierensollten, dass er uns Freundschaft, Vertrauen und Zuwen-dung einbringt. Es ist nicht so, dass wir Deutschen dasnicht nötig hätten. So möge unsere Sprachvermittlung dennahen und fernen Nachbarn durchaus zu mehr als zursachgerechten Erstellung von Beipackzetteln und Ge-brauchsanweisungen nützlich sein, obzwar wir wissen,dass das Ausland gerade dieser deutschen Sprachförde-rung oft am dringlichsten bedarf.Nein, es sollte mehr sein. Wir sollten den Anspruch ha-ben, die Sprache von Goethe und Herder, von Mann undBrecht als die unsere zu deklarieren. Dies gilt gerade fürBrecht; denn so lange ist es noch nicht her, dass die Völ-ker erbleichten, wenn Deutsch gesprochen wurde. DieBundesregierung erinnert in ihrer Antwort auf Frage 6 da-ran, indem sie feststellt:Unbestritten ist, dass der Zweite Weltkrieg und derHolocaust einen erheblich negativen Einfluss – mitNachwirkungen bis in die heutige Zeit – auf die Wert-schätzung der deutschen Sprache in der Welt hat.Das ist nur zu wahr. Das hat zum Beispiel auch dazugeführt, dass uns die, gemessen am sonstigen Anspruch,recht bescheidenen Beiträge des Deutschen zum Wort-schatz anderer Sprachen in besonderer Weise ins Ge-dächtnis gebrannt sein sollten. So sprechen auch heutenoch Franzosen von „le blitzkrieg“, Russen sagen „La-ger“ und meinen ein ganz bestimmtes und das Wort „End-lösung“ bedarf in Israel keiner Übersetzung.Mögen die Worte, die andere Völker in diesem Jahr-hundert unserer Sprache entlehnen, gänzlich anderenCharakters sein.Vielen Dank.
Nun spricht
der Staatsminister im Kanzleramt, Professor Dr. Julian
Nida-Rümelin.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen
und Herren! In der Großen Anfrage ist unter Punkt 33 ge-
fragt worden:
Teilt die Bundesregierung die Aussage des ... Staats-
ministers ... Nida-Rümelin ..., das Deutsche sei als
Wissenschaftssprache „tot“, und den in diesem Zu-
sammenhang vom Staatsminister geäußerten Rat an
angehende Wissenschaftler, auf Englisch zu publi-
zieren?
Diese Frage enthält zwei Unterstellungen, die nach-
weislich – weil nämlich erfreulicherweise von dieser Ver-
anstaltung ein Tonbandprotokoll existiert – falsch sind.
Ich sage das deshalb, weil mir aufgefallen ist, dass die
zurückhaltende Antwort, die die Bundesregierung auf
diese Frage formuliert hatte, offenbar nicht ausgereicht
hat, um diese beiden Unterstellungen aus der Welt zu
schaffen. Wer heute in die Presse schaut, wird das be-
stätigt finden.
Ich habe erstens nicht gesagt, dass Deutsch als Wis-
senschaftssprache tot sei, sondern ich habe ausweislich
des Tonbandprotokolls auf dieser Veranstaltung gesagt
– das ist leider ein Faktum –, dass Deutsch als internatio-
nales Verständigungsmittel in der Wissenschaft ebenso
wie das Französische unterdessen bei rund 1 Prozent an-
gelangt sei und dass es unrealistisch sei, zu glauben, man
könne dies wieder grundlegend ändern.
Zweitens habe ich darauf hingewiesen, dass man sich
an der jüngeren Generation von Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern in Deutschland versündigen würde,
wenn man ihnen den Rat erteilen würde, nicht auch auf
Englisch zu publizieren, weil sie nur so ein internationa-
les Renommee aufbauen können.
Wir können über vieles streiten, sollten uns aber nicht
wechselseitig Aussagen unterstellen, die so nicht geäußert
worden sind.
Ich darf noch einen Satz hinzufügen. Als ich – von
1994 bis 1997 – Präsident der Gesellschaft für Analy-
tische Philosophie war, habe ich die Praxis geändert, dort
internationale Kongresse lediglich in englischer Spra-
che abzuhalten, und dafür gesorgt, dass diese Kongresse
zweisprachig, nämlich in deutscher und englischer Spra-
che, abgehalten werden.
Danke schön.
Nun erteile
ich dem Kollegen Norbert Lammert für die CDU/CSU-
Fraktion das Wort.
Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Erst mit der Sprachegeht die Welt auf“ – dieser wahrhaft erhellende Satz vonHans-Georg Gadamer findet sich weder im Text derGroßen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion noch in der Ant-wort der Bundesregierung.
Er markiert aber die Grundorientierung, die unserer An-frage zugrunde liegt. Denn das Europäische Jahr derSprachen, das für 2001 ausgerufen wurde, ist zwar ge-wissermaßen der äußere Anlass, selbstverständlich aberkein hinreichender Grund für diese Große Anfrage gewe-sen. Tatsächlich gibt es gute Gründe, gemeinsam über dieBedeutung und den Stellenwert der deutschen Sprachenachzudenken und dort, wo Defizite deutlich geworden
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Maritta Böttcher20998
sind, zu wirksamen Maßnahmen zu kommen. Denn beider Sprache reden wir über eine der wesentlichen, unauf-gebbaren Grundlagen des Gemeinwesens BundesrepublikDeutschland und ganz gewiss der Kultur unseres Landes.Es ist das erste wichtige Motiv gewesen, dies durch dieGroße Anfrage stärker in den Blickpunkt unserer Auf-merksamkeit zu rücken. Der zweite, eher handfeste Grundist das immer größer werdende Missverhältnis zwischender wachsenden Bedeutung Deutschlands sowohl poli-tisch als auch wirtschaftlich und dem zurückgehenden In-teresse an der deutschen Sprache.Damit an dieser Stelle keine Missverständnisse entste-hen: Die Erklärung, die Staatsminister Nida-Rümelin ge-rade abgegeben hat, nehme ich nicht nur mit Respekt zurKenntnis. Ich füge vielmehr hinzu: Ich habe an dem, waser gerade zur Erläuterung des Sachverhalts vorgetragenhat, nichts zu beanstanden. Das ist die nüchterne Be-schreibung der Lage.
Ich wünsche mir allerdings, dass das, was er an einemkleinen Beispiel aus seinem eigenen, früheren Verantwor-tungsbereich dargestellt hat, zu einer selbstverständliche-ren Übung deutscher Wissenschaftler und Politiker bei in-ternationalen Konferenzen würde, auf denen man nichtimmer die eigene Intelligenz durch den Nachweis nichtimmer glanzvoller englischer Sprachkenntnisse spazierenführen muss.Es gibt einen dritten Punkt, der eine intensive Beschäf-tigung mit der Verbreitung und der Situation der deutschenSprache mindestens rechtfertigt, wenn nicht sogar dring-lich macht. Das ist die Rolle der Sprache als Instrument derIntegration, ein, wie wir auch aus anderen thematischenZusammenhängen wissen, sehr aktuelles und prinzipiellesProblem, wenn es um das Zusammenleben von Deutschenund Nichtdeutschen in Deutschland geht.Schließlich gibt es auch Anlass, sich über die Entwick-lung der Sprache als Umgangssprache Gedanken, viel-leicht sogar Sorgen zu machen. Ich sage bewusst: derUmgangssprache und nicht etwa der deutschsprachigenLiteratur; denn es besteht wahrlich kein Anlass, sich imRahmen einer politischen Debatte über Letztere ausei-nander zu setzen.Aber es ist wahr – darauf hat insbesondere die KolleginSteinbach hingewiesen –: Gerade in der jüngeren Vergan-genheit nimmt die Neigung zu, vorhandene, hinreichendklare deutsche Begriffe insbesondere durch Anglizismenzu ersetzen. Das ist oft unnötig, ärgerlich und – gelegent-lich – schlicht albern, aber ganz gewiss nicht das zentraleProblem der deutschen Sprache. Es wird vermutlich keineMeinungsverschiedenheiten darüber geben, dass mandem am allerwenigsten mit gesetzlichen Mitteln abhelfenkann.
Wir sind dankbar, dass durch die Antwort der Bundes-regierung eine Reihe von Zahlen und Daten zur Situationder deutschen Sprache, ihrer Verbreitung und ihres Stel-lenwerts vorliegt, wenn auch nicht zu übersehen ist, dassneben den vorliegenden Zahlen manche andere nicht ver-fügbar sind, die im Hinblick auf eine vollständige Be-schreibung des Bildes sicherlich wünschenswert und viel-leicht sogar dringend geboten wären.In dem bereits mehrfach zitierten „FAZ“-Artikel wirdangesprochen, dass die Bundesregierung zwar die prinzi-pielle Beurteilung des Stellenwertes der deutschenSprache bestätigt, der in unserer Großen Anfrage deutlichwird, dass sie aber weit weniger erkennen lässt, ob sieüberhaupt und, wenn ja, an welcher Stelle Handlungsbe-darf erkennt.Es gibt eine gewisse Neigung – diese mag auch etwasmit der Rollenverteilung zu tun haben –, den einen oderanderen unerfreulichen Sachverhalt etwas schöner zu be-schreiben, als er sich darstellt. Ich mache noch einmal da-rauf aufmerksam: Die Möglichkeiten der Politik, hier ge-staltend einzugreifen, sind ganz gewiss begrenzt. Aberwer behauptet, dass es keine Möglichkeiten gebe, der un-terschätzt die Möglichkeiten, die uns zur Verfügung ste-hen. Wir müssen uns ganz gewiss gemeinsam bemühen,diese zu nutzen.
– Wir haben über einige Beispiele bereits heute Vormit-tag diskutiert. Wir könnten mehr für die Auslandsschu-len, die Sprachausbildung im Ausland und die Vermitt-lung der deutschsprachigen Literatur tun. Insofernschließt sich die jetzige Debatte nahtlos an die von heuteVormittag an.Das Fazit, das der in der Debatte mehrfach zitierteSprachwissenschaftler Helmut Glück in seinem Beitraggezogen hat, ist sicherlich bitter, und zwar nicht nur fürdie Bundesregierung – insofern nehme ich die Empfeh-lung, hier keine simple Schuldzuweisung vorzunehmen,gerne auf – aber zutreffend: Die Anfrage der CDU/CSU-Fraktion sei die Aufforderung zu einer systematischen,alle Bereiche erfassenden Bestandsaufnahme gewesen.Die Regierung habe diese Chance nicht genutzt. Sie redeschön, wo es Probleme gebe; sie harmonisiere, wo Kon-flikte offenbar seien, und sie zeichne das Bild einer weit-gehend heilen sprachpolitischen Welt.Wenn allerdings die Schlussfolgerung dieser Beurtei-lung mit einer für uns auf den ersten Blick sympathischenVerantwortlichkeit beim Außenminister endet, dann willich der guten Ordnung halber doch hinzufügen: Die Ver-antwortung ist breiter. Wir alle miteinander haben sie. Wirmüssen dieses Thema ernster nehmen, als wir es in derVergangenheit getan haben.
Die Schludrigkeit im Umgang mit der Sprache ist auch einIndiz für ein gewisses Maß an Gleichgültigkeit, das sichin den vergangenen Jahren vielleicht eingeschlichen hat.Wenn erst durch Sprache die Welt aufgeht, dann geht unsSprache an – mehr als jede andere unsere eigene.
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Dr. Norbert Lammert20999
Als letzter
Redner in dieser Debatte hat der Herr Kollege Eckhardt
Barthel für die SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Wir haben es mit einer GroßenAnfrage von 75 Fragen zu tun. Dies macht es schwer, aufalles einzugehen. Ich möchte dem Beispiel von FrauSteinbach folgen und mich auf die Frage „Gefahr/Nicht-gefahr, Problem/Nichtproblem der Anglizismen“ be-schränken – dies aus zwei Gründen, erstens, weil ichweiß, dass viele, die sich um die Pflege der deutschenSprache bemühen, ein großes Interesse daran haben, dassdieses Thema auch einmal im politischen Rahmen dis-kutiert wird, auch einmal eine Plattform im Parlamentfindet, und zweitens – das gestehe ich –, weil es mich auchpersönlich sehr interessiert. Es wäre noch schöner gewe-sen, wenn auch die Große Anfrage der SPD-Fraktion zumThema der deutschen Sprache
– Verzeihung, Frau Vollmer: und der Grünen –, die sichmehr auf diesen Bereich konzentriert und nicht so in dieBreite geht, schon heute hätte behandelt werden können.Sei es drum!Am Anfang möchte ich gern auf Ihren Beitrag einge-hen, Frau Steinbach. Sie haben viele Punkte angespro-chen, die gerade für dieses Thema wichtig sind. Sie wer-den erstaunt sein, dass wir da Parallelen haben. Uns trenntaber ein Grundunterschied, Frau Steinbach: Bei derPflege der Sprache sollte man nicht dramatisieren, wie Siees getan haben, sondern man sollte versuchen, für dieSprache zu sensibilisieren. Darin unterscheiden wir unswirklich sehr, sehr stark.
Deshalb scheint es mir sinnvoll zu sein, bei diesemThema am Anfang auch einmal darzustellen, worum esnicht geht. Ich habe das Gefühl, dass bei dieser Diskus-sion Einmalereignisse und Unschönheiten die eigentlicheProblematik, die politische Problematik, die dahintersteht, vernebeln.Ich will Ihnen einmal ein Beispiel nennen. Als wir denEuro eingeführt haben – erstaunlich konfliktarm, wie ichfinde –, wurde über die Medien – das war selbst Thema inden „Tagesthemen“ – parallel eine Diskussion darüber ge-führt, ob wir den Cent nun „Cent“ oder „Zent“ nennen.Das ist zwar kein Anglizismus, aber doch ein Fremdwort,das in unsere Sprache hineinkommt. Dazu haben vieleLeute gesagt: Mich interessiert nicht, wie man das aus-spricht, sondern wie viel ich davon in der Tasche habe. –Mit solchen Diskussionen wird die Problematik, dieich – wie Sie – bei dieser Frage sehe, vernebelt und dashalte ich gerade im Sinne der Sensibilisierung für dieSprache nicht für günstig.Deshalb in drei Punkten kurz, worum es nicht geht, umdann darauf zu sprechen zu kommen, weshalb ich diesesThema für politisch wichtig halte.Erstens. Es geht nicht darum, dass die deutsche Spra-che an sich in Gefahr ist. Ich teile die Aussage der Bun-desregierung: Der Schluss wäre falsch, „dass sich diedeutsche Sprache durch die häufige Verwendung vonAnglizismen zu einer anderen, nicht deutschen Spracheverändern würde“. Das ist sicherlich richtig. Damit willich allerdings nichts relativieren oder beschönigen. Manmuss nur wissen: Es geht nicht etwa um den Untergangder deutschen Sprache.Zweitens. Es geht auch nicht darum, dass wir keineFremdwörter mehr in unsere Sprache aufnehmen soll-ten. Zu Recht ist in der Antwort der Bundesregierung ge-sagt worden: Deutsch war nie eine „reine“ Sprache. Daswird auch so bleiben. Ich erinnere mich noch daran, dassmir in meiner Schulzeit der Begriff des Lehnwortes be-gegnet ist. Das habe ich behalten. Lehnwörter sind etwasganz Natürliches und Selbstverständliches. Wie armwären wir, wenn es diesen Einfluss nicht gäbe? Übrigens:Dass es nie eine „reine“ Sprache gab, kann man auchübertragen: Es gab auch nie ein „reines“ deutsches Volk.Der dritte Punkt liegt mir besonders am Herzen, weildas in der Diskussion häufig durcheinander gebrachtwird. Es geht auch nicht um eine Verdrängung des Eng-lischen als Sprache – ich werde gleich noch weiter daraufzu sprechen kommen –; das Gegenteil ist der Fall. Es gehtnicht um eine Position „anti Englisch“, sondern um sol-che Begriffe wie Denglisch oder Globisch, die sich he-rausgebildet haben.Meine Damen und Herren, was mir vor allem Sorge be-reitet, sind nicht einzelne Begriffe, sondern das Übermaßan unsinnigen Anglizismen und – das ist das für michWichtige – die möglichen politischen Folgen aus diesemProzess. Es geht mir nicht darum, ob etwas gefällt odernicht gefällt. Ich weiß – inzwischen hat man es ja beho-ben –, dass die schlichte Auskunft auf dem Bahnhof „Ser-vice Point“ oder so ähnlich hieß. Dazu sagen viele: Das istja idiotisch, das ist dumm. – Richtig. Aber dabei belassensie es. Die Frage ist, ob es, wenn daraus eine Tendenzwird, auf der Ebene des Dumm und Unschön bleibt. Dasist das Thema, das mich interessiert: Liegt darin ein Ge-fahrenpotenzial? Ich glaube, wenn wir keine Sensibilitätentwickeln, könnte diese Entwicklung zu einer Gefahrwerden. Insofern bin ich hier sehr zurückhaltend.Zusammengefasst: Es geht mir in dieser Debatte überdie deutsche Sprache nicht um Sprachästhetik; es geht mirvielmehr um die Identität und die Integrationsfähigkeit ei-ner Gesellschaft.
Das ist für mich das Hauptthema.Die Bundesregierung schreibt zu Recht – ich zitiere –:Die Vielfalt der Sprachen in Europa macht einen wesent-lichen Teil der europäischen Identität aus. Dies ist richtig.Die Sprache ist in dem jeweiligen Land ein Teil der Iden-tität der Menschen, die in diesem Land leben. Wovon ichjetzt spreche, ist übrigens keine auf das Deutsche be-grenzte Diskussion. Überall da, wo ich den Ausdruck„deutsche Sprache“ setze, könnte ich genauso gut „fran-zösisch“, „italienisch“, „türkisch“ oder etwas anderes set-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 200221000
zen. Es ist die Identitätsfrage, die sich national nicht be-grenzen lässt.Wir wissen, welche Bedeutung die Identitätsfrage auchund gerade im Rahmen der Globalisierung gewonnen hat.Ich möchte gerne, dass die Antwort auf die Identitätsfrageeine kulturelle Antwort ist, weil wir über die Kultur – dazugehört ganz wesentlich die Sprache – diese Frage in einempositiven Sinne beantworten. Ich erzähle gerne das Bei-spiel, dass ein kluger Mensch einmal zum Thema Identitätgesagt hat, er fühle sich eigentlich in allen Großstädtender Welt zu Hause: überall in den Hotels die gleiche Ar-chitektur, überall die gleiche Mode, die gleiche Musik,dieselben Filme. Nur, nach längerem Reisen frage er sich:Wo bin ich eigentlich?
Das heißt, Orientierungslosigkeit ist ein riesiges Problem.Man muss sich, so glaube ich, irgendwo zu Hause fühlenund muss sagen können: Hierauf gründet sich meine Iden-tität.Die Frage, ob unser Thema politisch ist, zeigt sich un-ter anderem an diesem Punkt. Wir erleben nämlich, dassdie Gefahr der Orientierungslosigkeit oder dass der Ver-lust an Orientierung durchaus politisch instrumentalisiertwerden kann. Es ist wohl kein Zufall, dass viele aus denvölkischen Gruppierungen das Thema Orientierungslo-sigkeit, Orientierungslosigkeit auch durch Sprache, be-nutzen, um ihr Süppchen zu kochen. Ich kann nur davorwarnen, dieses Thema diesen Leuten zu überlassen.
Deshalb sollten wir uns einschalten.Ich möchte hier allerdings eine Fußnote machen. Ichhabe es leider schon erlebt, dass Leute, die sich in diesemBereich engagieren – manchmal vielleicht sogar mit zustarkem missionarischem Eifer – auch in diese Ecke ge-schoben werden. Ich kann nur davor warnen, so vorzu-gehen.
So viel zur Frage der Identität.Noch etwas zur Frage der Integration: Sprache kannintegrieren und Sprache kann ausgrenzen. Bei vielen Be-griffen, die wir heute benutzen, sehe ich die Gefahr, dasssie zu Ausgrenzung führen könnten. Ich bin ganz vorsich-tig in der Formulierung. Ich weiß – vielleicht darf ich dasauch einmal sagen –, dass einige Menschen in den neuenBundesländern, in denen das Englische nicht so verbrei-tet ist, Schwierigkeiten haben, dieses oder jenes zu ver-stehen, besonders ältere Menschen oder auch solche, dienicht die Bildungschancen hatten, die vielleicht wir, diewir hier sitzen, gehabt haben. Dies kann man nicht aus-schließen. Nichts wäre schlimmer, als wenn wir über eineVernachlässigung der Sprache den Integrationskräftendieser Gesellschaft schaden würden.
Lassen Sie mich ein Beispiel nennen – ich bekommegleich Ärger, aber ich sage es trotzdem –: Eine ganz en-gagierte Frauenpolitikerin hat mir neulich gesagt, siekönne es inzwischen nicht mehr hören, dass man sie stän-dig frage, was Gender Mainstreaming heiße. Ich kann dasverstehen, aber ich meine auch: Vor ein so wichtigesThema eine Sprachbarriere zu setzen kann wohl nicht imInteresse des Gender Mainstreamings sein.
Schafft diese Barrieren weg, um den Zugang zu öffnen.
Kurz: Wer die Integrationskräfte in einer Gesellschaftstärken will – das ist unser aller Bestreben –, der sollte dieBedeutung der Sprache nicht vernachlässigen.Ein letzter Punkt – Frau Steinbach, Sie haben ihn weg-gelassen; ich weiß, dass er der schwierigste ist –: Was ma-chen wir jetzt? Es liegen bereits einige Vorschläge aufdem Tisch, so zum Beispiel zu einem Sprachgesetz. DerStaatsminister hat es bereits angesprochen, das kann keineAlternative für uns sein.
Ich möchte nicht, dass wir „Sprachzollgrenzen“ – ichmöchte das im übertragenen Sinn sagen – in unseren Län-dern haben. Es kann nicht sein, dass Institutionen prü-fen, wie der Einzelne spricht – ich weiß, dass ich vieleAnglizismen benutze – und anschließend möglicherweiseSanktionen – diese wären nötig, sonst machte das Gesetzkeinen Sinn – verhängen. Ich halte das für bedenklich undschließe es deshalb aus.Bezüglich der Bedeutung des Englischen in unseremSprachgebrauch meine ich: Je weiter sich die englischeSprache in unserem Land verbreitet und je mehr Menschenüber englische Sprachkenntnisse verfügen, desto geringerwird das Bedürfnis, sich durch die Benutzung englischerBegriffe hervorzutun, desto geringer wird möglicherweiseauch der Einfluss der Anglizismen auf unsere Sprache.Finnland soll uns Beispiel sein. Dort spricht man sehrgutes Englisch und man stellt fest, dass die Anglizismenkein solches Problem darstellen wie in anderen Ländern.Das Erlernen und die Verbreitung der englischen Sprachekönnten Instrumente im Kampf gegen die Flut der unsin-nigen Anglizismen – ich betone das – sein.Mit meiner letzten Bemerkung möchte ich mich aufunseren Bundespräsidenten berufen. Wir sollten – HerrLammert hat das angesprochen – auch das eigeneSprachverhalten überprüfen. Es könnte Vorbildcha-rakter haben. Was machen die Medien? Was machen dieWirtschaft und die Politik? Vielleicht könnte ihnen Vor-bildcharakter zukommen, wenn sie auf ihr Sprachver-halten achten würden. Es könnte sich eine Schneeball-wirkung entfalten, sodass ohne Reglementierung etwaspositiv verändert werden könnte.Johannes Rau, der sich in dieser Frage sehr engagiert,hat einmal gesagt: Ich bin nicht der Oberlehrer der Nation,
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Eckhardt Barthel
21001
aber ich will durch die Art meiner Reden Vorbild sein.Auch in diesem Punkt hat unser Bundespräsident Recht.Ich bedanke mich.
Zu einer
Kurzintervention gebe ich der Kollegin Erika Steinbach
das Wort.
Herr Kollege Barthel,
ich freue mich, dass wir die Problematik sehr ähnlich se-
hen. Ich glaube, wir brauchen kein neues Gesetz, und ein
Sprachenschutzgesetz ist mit Sicherheit nicht der richtige
Ansatz. Außerdem haben wir bereits ein Gesetz, das
die Problematik, die Sie und ich besonders hervorgehoben
haben, aufgreifen könnte. Das ist das Verbraucher-
schutzgesetz.
Im Verbraucherschutzgesetz ist im Grunde genommen
geregelt, dass Produkte in deutscher Sprache bezeichnet
werden müssen. Daneben regelt das Gesetz, dass die
Sprachbarrieren im alltäglichen Schriftverkehr weitge-
hend ausgeräumt werden. Darüber hinaus – davon bin ich
überzeugt – müssen wir gemeinsam ein Bewusstsein
dafür entwickeln, mit unserer Sprache anders umzugehen.
Das geht weit über die Anglizismen hinaus – 60 Prozent
der Bevölkerung unseres Landes sind der englischen
Sprache nicht mächtig –, denn es werden oft ganze Band-
wurmsätze in fremder Sprache verfasst.
Damitschließe ich die Aussprache.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 d auf:7. a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
– zu dem Antrag der Abgeordneten BrunhildeIrber, Dr. Eberhard Brecht, Annette Faße, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion der SPDsowie der Abgeordneten Sylvia Voß, Dr. TheaDückert, Winfried Hermann, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNENProgramm zur Stärkung des Tourismus
– zu dem Antrag der Abgeordneten KlausBrähmig, Ernst Hinsken, Anita Schäfer, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSUWettbewerbsfähigkeit der deutschen Tou-rismuswirtschaft stärken– Drucksachen 14/5315, 14/5313, 14/8021 –Berichterstattung:Abgeordnete Klaus BrähmigBrunhilde Irberb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Burgbacher, Cornelia Pieper, Hildebrecht Braun
, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der FDPNeue Kampagne „Deutschland besuchtDeutschland“ starten– Drucksachen 14/4153, 14/6846 –Berichterstattung:Abgeordneter Ernst Burgbacherc) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
– zu dem Bericht des Ausschusses für Bildung,Forschung und Technikfolgenabschätzung
gemäß § 56 a der Geschäfts-
ordnungTechnikfolgenabschätzunghier: „Entwicklung und Folgen des Touris-mus“– zu dem Bericht des Ausschusses für Bildung,Forschung und Technikfolgenabschätzung
gemäß § 56 a der Geschäfts-
ordnungTechnikfolgenabschätzunghier: „Entwicklung und Folgen des Touris-mus“Bericht zum Abschluss der Phase II– Drucksachen 13/9446, 14/272 Nr. 188, 14/1100,14/7751 –Berichterstattung:Abgeordnete Birgit Roth
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten WolfgangDehnel, Klaus Brähmig, Maria Eichhorn, weitererAbgeordneter und der Fraktion der CDU/CSUFortführung des Bundeswettbewerbs für fami-lienfreundliche Ferienangebote in Deutschland– Drucksache 14/7066 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Das Haus ist einverstanden. Dann istso beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst der Kol-legin Brunhilde Irber das Wort. Sie spricht für die Frak-tion der SPD.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Eckhardt Barthel
21002
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Gerade in diesem Moment kursiert
eine Meldung des Statistischen Bundesamtes zu den
Übernachtungszahlen in Deutschland aus dem letzten
Jahr. Die konkrete Erfassung der Übernachtungen
schließt bislang nur die Monate Januar bis November ein
und weist aus, dass die Zahl der Übernachtungen in
Deutschland um 0,3 Prozent gestiegen ist. Gleichzeitig
bewertet das Statistische Bundesamt das abgeschlossene
Jahr als insgesamt erfolgreich und prognostiziert eine
Steigerung der innerdeutschen Übernachtungszahlen von
1 Prozent. Das heißt, in der Bundesrepublik sind im ver-
gangenem Jahr ohne das Highlight EXPO etwa dieselben
Übernachtungszahlen verbucht worden wie im Jahr 2000
– ich sage es noch einmal –, ohne EXPO und die damit
verbundene besondere Aufmerksamkeit, die unserem
Lande und seinem Tourismus durch eine Vielzahl von
Werbemaßnahmen zuteil wurde.
Ich erwarte jetzt rauschenden Beifall in diesem Saal und
könnte mich danach zufrieden wieder hinsetzen.
Eine bessere Tourismuspolitik, Herr Vorsitzender,
kann objektiv niemand machen. Faktum ist: Wir haben im
Jahr 2000 die höchste Steigerungsrate in den Übernach-
tungszahlen seit Beginn der Statistik verzeichnen können
und konnten diese Übernachtungszahlen ohne das beson-
dere Event der EXPO auch im Jahr 2001 wieder erreichen.
Dann frage ich mich: Was hätte es eigentlich bringen
sollen, wenn wir der Forderung der Opposition gefolgt
wären und – ich zitiere Herrn Kollegen Brähmig – „einen
kräftigen Schluck aus der Pulle“ genommen und die Mar-
ketingmittel der Deutschen Zentrale für Tourismus ver-
doppelt hätten? Wir hätten diesen Staat weiter verschul-
det, aber unmöglich einen weiteren Rekord in den
Übernachtungszahlen erreichen können. Ich fordere da-
her die Opposition auf, endlich die Fakten anzuerkennen.
Die Bundesregierung hat mit der Finanz- und Wirt-
schaftspolitik Rahmenbedingungen geschaffen, die dem
Gastgewerbe einen Rekordbesuch und somit volle Häuser
bescheren.
Nach den Zahlen geht es der Branche hervorragend.
Die hohen Wachstumsraten zeigen, dass die Bevölkerung
ihre gestärkte Kaufkraft in hohem Maße – nach den gest-
rigen Zahlen wurden 53,5 Milliarden Euro ausgegeben,
die Prognose für das kommende Jahr lautet auf 55 Milli-
arden Euro – zu den Reisemittlern und in das Gastge-
werbe getragen hat. Es hätte ja auch sein können, dass die
Nachfrage nach neuen Autos, Büchern oder Schokorie-
geln überdurchschnittlich gestiegen wäre. Mit dieser Fest-
stellung will ich ein Lob an die Branche verbinden. Sie hat
eine hohe Attraktivität und konnte daher mehr Kaufkraft
ziehen als andere Branchen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ereignisse des
11. September können an dieser positiven Bilanz auch
nichts grundsätzlich ändern. Die Lufthansa und andere
Fluggesellschaften sind ins Trudeln gekommen; das ist
völlig richtig. Das heißt aber doch konkret, dass diese Un-
ternehmen trotz hervorragender Nachfragesteigerung mit
ihren Angeboten am Markt zu scharf kalkuliert haben.
Eine kleine Böe kann sie umwerfen.
Dies sind aber hausgemachte Probleme. Es ist unlauter,
diese Entwicklung und damit die Probleme einzelner Un-
ternehmen im Reise- und Gastgewerbe der Bundesregie-
rung anzulasten. Ich will auch deutlich festhalten, dass die
Forderung nach einer Absenkung der Mehrwertsteuer für
das Beherbergungsgewerbe luftleer im Raum hängt.
Wer solche Steigerungsraten in der Übernachtung verbu-
chen kann, sollte jetzt nicht behaupten, die Gäste liefen an
seinen Häusern vorbei und würden in die mit geringeren
Mehrwertsteuersätzen belasteten Häuser des Auslands ge-
hen.
Ich will hier gern auch den Hauptgeschäftsführer des
DEHOGA zitieren:
Die Talsohle der letzten Jahre scheint durchschritten.
Hotellerie und Gastronomie schauen zu großen Tei-
len wieder mit Optimismus in die Zukunft.
Das Zitat stammt aus der „Welt“ vom 31. Oktober
2001, einer Zeitung, die nicht gerade dafür bekannt ist,
dass sie sozialdemokratenfreundlich wäre. Für den
DEHOGA ist der Tourismus eine Jobmaschine. Auch
dies sagt der Hauptgeschäftsführer Herr Ehlers.
Wir haben an dem Erfolg der Branche kräftig mitge-
wirkt.
Keine Branche hat vergleichbare Hilfestellungen des
Staates wie das Gastgewerbe erhalten.
Frau Kolle-
gin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte zunächst eineAufzählung vornehmen. Dann hat der Kollege Brähmigdas Wort.
– Herr Hinsken, Sie wissen genau, dass ich das auch an-ders kann.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002 21003
Was haben wir getan, um die Stärkung der Brancheherbeizuführen? Wir hatten im letzten Jahr das Jahr desTourismus. Das internationale Jahr des Ökotourismus2002 mit dem Slogan „Lust auf Natur“ hat gerade begon-nen. Wir haben die Finanzmittel der DZT während unse-rer Regierungszeit trotz allgemeiner Sparmaßnahmen inallen anderen Ressorts von 37 Millionen DM auf 44 Mil-lionen DM angehoben.
Wir haben Modellprojekte zur Vermarktung der Natio-nalparke und zur Steigerung des Qualitätsmanagementsim Tourismus finanziert. Am 5. Februar wird Herr Wirt-schaftsminister Müller die Absolventen dieses Modell-projekts mit den Zeugnissen auszeichnen. Ein so genann-ter Weiterbildungspass ist in der Entwicklung.
Wir haben die Finanzierung der Einführung einer Dach-marke für den nachhaltigen Tourismus mit dem NamenVIABONO durchgeführt. Wir haben die Tourismusbran-che in die Fachgespräche des Bündnisses für Arbeit auf-genommen. Wir haben die 50-Tage-Regelung innerhalbder 630-Mark-Jobs durchgesetzt. Wir haben die Schau-steller – zuletzt durch die Befreiung von der LKW-Maut –wiederum gefördert.
Wir haben die Abschaffung der Doppellizenzen bei Bus-reisen für Jugendliche durchgesetzt. Außerdem haben wir100 Millionen Euro für den Ausbau von Radwegen ent-lang den Bundesstraßen bereitgestellt, was eine Steige-rung um 100 Prozent bedeutet.
Sie haben das alles nicht gemacht. Wir haben eine Fi-nanz- und Wirtschaftspolitik gemacht, die der Branchewirklich hilft.
Ich nenne nur die Stichworte Mittelstandsförderung, Ent-lastungseffekt in Höhe von 45 Milliarden, Steuerreformund Kaufkraftanhebung.
Sie und Ihr Ministerpräsident, der jetzt auch Kanzler-kandidat ist,
haben jeden Tag andere Vorschläge, ohne eine Finanzie-rung zu nennen. Ich bin neugierig, wie man das alles be-zahlen will.Heute beschließen wir das umfassende Tourismusför-derprogramm. Damit runden wir die erfolgreiche Bilanzab. Der Kern unseres Tourismusförderprogramms ist aufdie Verbesserung des angebotenen Produkts im Touris-mus gerichtet. Wir wollen die Menschen erreichen, die inder Tourismusbranche arbeiten, und ihre Situation undihre Qualifikation verbessern. Auf das Modellprojekthabe ich bereits hingewiesen. Es stimmt schon: Die reinenZahlen über die Steigerung der Anzahl der Übernachtun-gen sagen noch nichts über die Qualität und die Zufrie-denheit aus. Wir müssen in die Zukunft investieren. Dasbedeutet, wir müssen die Qualität der angebotenen Pro-dukte nachhaltig steigern.
Sie können feststellen, dass das Kirchturmdenken inder Vermarktung kleingliedriger Regionen etwas nachge-lassen hat. Insgesamt ist das Marketing auf einem gutenWeg; aber es gibt noch immer Verbesserungsmöglichkei-ten. Die Union hat einen 55-Punkte-Katalog zur Stärkungder Wettbewerbsfähigkeit der Tourismuswirtschaft vorge-legt.
Herr Brähmig, Sie müssen erklären,
wie man bei einem überdurchschnittlichen Wachstum derBranche nach weiterer staatlicher Hilfe rufen kann. Es istrichtig, dass die Beschäftigungssituation und die Ertrags-lage im Gastgewerbe nicht befriedigend sind. Was kannein Staat aber Besseres tun, als eine Wachstumspolitik zubetreiben? Genau das tun wir. Der Erfolg stellt sich ein.Die Prognose des DEHOGAhabe ich bereits zitiert, inder festgestellt wird, dass die Talsohle durchschritten ist.Dem Wachstum bei den Übernachtungszahlen wird eineGesundung der Branche folgen. In wenigen Jahren wer-den wir das ausbügeln, was Ihre Regierung in 16 Jahrenangerichtet hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,jetzt kommt es: Wenn Ihre Regierung Erfolge zu verzeich-nen gehabt hätte, müssten Sie keinen Katalog mit 55 Punk-ten der Versäumnisse Ihrer Regierungszeit vorlegen.
Ähnliches gilt auch für den Antrag der FDP zu einerKampagne „Deutschland besucht Deutschland“. LieberKollege Ernst Burgbacher, das tun die Deutschen immeröfter.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Brunhilde Irber21004
Die Statistik besagt, dass im letzten Jahr bis November91 Millionen mehrtägige Reisen unternommen wurden.Das ist 1 Prozent mehr als im Vorjahr, also dem Rekord-jahr, in dem wir die EXPO hatten. Was soll da noch einezusätzliche Kampagne, die unseren anderen Themen– dem Wassertourismus, dem Jugendtourismus – das Geldraubt?Zu unseren Freizeitparks. Wir alle haben die Klagenüber die Subventionen in Frankreich gehört. Sie beklagensie jeden Tag.Wir haben heute auch über den TAB-Bericht abzu-stimmen. Mit diesem außerordentlich aussagekräftigenBericht – an dieser Stelle einmal ein dickes Lob an dieMitarbeiter; sie haben gute Arbeit geleistet –
haben wir die Debatte um den nachhaltigen Tourismusvorangebracht. Unser Antrag zur Umsetzung der wichtigs-ten Erkenntnisse aus dem Bericht wird die Nachhaltigkeitins Zentrum unserer Politik führen.Des Antrags der Union zum familienfreundlichenReisen werden wir uns in nächster Zeit annehmen.Jetzt kommt auch noch der neue Kanzlerkandidat. Washat der Tourismus zu erwarten, wenn die Union regiert?
Das gepriesene Erfolgsmodell Bayern wird auf Deutsch-land ausgedehnt. Das heißt: runter mit der Tourismusför-derung! Der Freistaat hat die Marketingmittel in den letz-ten Jahren regelmäßig verringert.
Herr Adam hat den Auftrag, die öffentlichen Mittel stetigherunterzufahren. Herr Brähmig, die mittelfristige Fi-nanzplanung von Herrn Waigel wird für die DZT fröhli-che Urständ feiern.
Frau Schörcher wird ihren Laden dichtmachen können.Der ganze Erfolg mit dem besten Wachstum in der Ge-schichte wird dann zunichte gemacht.
Frau Kolle-
gin, Sie haben Ihre Redezeit weit überschritten.
Deshalb setzen wir unsere
Tourismuspolitik fort. Die Statistik gibt uns Recht: Un-
sere Tourismuspolitik hat Erfolg.
Zu einer
Kurzintervention gebe ich das Wort dem Kollegen
Brähmig.
Frau Kollegin Irber, zu-
allererst freut mich natürlich, dass Sie die Unionsfraktio-
nen und auch mich persönlich für die vielfältigen Initia-
tiven loben, die wir in den letzten Monaten und Jahren in
dieser Legislaturperiode gestartet haben.
Ich denke, sie waren ein Segen für die Tourismusbranche.
Zum Zweiten muss ich feststellen, dass aus Ihrem Vor-
trag der Anschein entstehen kann, dass in der Tourismus-
branche „Friede, Freude, Eierkuchen“ herrsche. Ich
glaube, das kann man so nicht im Raum stehen lassen. Wir
dürfen uns in der politischen Diskussion nicht von den ab-
soluten Zahlen beeindrucken lassen, die sicherlich so
sind, wie Sie sie dargestellt haben. Das entscheidende Kri-
terium der politischen Bewertung muss vielmehr in zu-
nehmendem Maße sein, was beim Unternehmer nach
Steuern im Portemonnaie übrig bleibt. Ich denke, die
Leute, die sich damit beschäftigen, sind sich einig, dass
die wirtschaftliche Situation, vor allem die Nettorendite,
noch nie so schlecht gewesen ist wie jetzt. Das hängt
natürlich in erster Linie damit zusammen – Frau Irber, das
wissen Sie genauso gut wie ich –, dass der Staat den Un-
ternehmern eine Vielzahl von Belastungen auferlegt hat,
die letztendlich zu steigender Arbeitslosigkeit führen, wie
wir sie vorfinden.
Einen letzten Gedanken möchte ich im Zusammen-
hang mit Ihrer Rede ansprechen. Wenn wir politisch einen
Beitrag dazu leisteten, dass jeder Unternehmer in der Tou-
rismusbranche Rahmenbedingungen vom Staat geschaf-
fen bekommt, die ihm ermöglichen, morgen eine weitere
Arbeitskraft einzustellen – ob das in den Reisebüros ist,
ob das in den Hotels ist, ob das bei den Reiseveranstaltern
ist –, dann hätten wir einen Beitrag dazu geleistet, die
Arbeitslosigkeit, die uns bedrückt und über die wir schon
heute Vormittag debattiert haben, abzubauen. In anderen
europäischen Ländern funktioniert dies relativ gut.
Vielen Dank.
Sie haben
das Recht zu einer Erwiderung. Sie haben das Wort.
Herr Brähmig, die Forderun-gen, die Sie der Regierung und der Politik stellen, sind wohl-feil. Aber wenn man zusammenrechnet, was Sie in den letz-ten dreieinhalb Jahren in jeder Sitzung an Forderungenfinanzieller Art gestellt haben, dann ergibt sich, dass wir denBundeshaushalt zu 30 Prozent nur für Tourismusförderung
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Brunhilde Irber21005
verwenden müssten. Das ist nicht möglich. Sie wollen unsweiter in die Verschuldung hineintreiben, nachdem Sieuns 1,5 Billionen DM Schulden hinterlassen haben. Jetzthaben Sie keine anderen Vorschläge, als nur neue Schul-den aufzuhäufen. Das geht nicht.
Es kann nicht sein, dass die Wirtschaft nur mit staatlichenSubventionen läuft. Das wissen Sie genauso gut wie wir.Dann könnte ja der Staat die Wirtschaft komplett über-nehmen. Das wollen Sie nicht und das will auch ich nicht.
Ich bitte Sie, einmal darüber nachzudenken, dass diestatistischen Ergebnisse, die sich in den Jahren 2000 und2001 aufgrund unserer Politik ergeben haben, die bestenseit dem Erheben dieser Statistik sind. Sie wurden bishernoch nicht übertroffen. Daraus ist auch abzuleiten, dassdie Unternehmen entsprechend Gewinne gemacht haben.Je mehr Masse es gibt, desto mehr bleibt ja am Ende auchübrig. Das ist eine ganz einfache Rechnung.
Ich würde mich freuen, wenn von Ihrer Seite endlicheinmal konstruktive Vorschläge und kluge Konzepte kä-men, die in Richtung Qualifikation und Qualitätssteige-rung gingen und mit denen wir der Branche nutzen kön-nen. Das gelingt nicht durch die stereotype Forderungnach mehr Geld. Wo führt das hin, wenn immer mehr Geldin die Wirtschaft hineingepumpt wird und ihr immerhöhere Subventionen gegeben werden, und wer soll dasbezahlen? Ich bin neugierig, wie Sie das machen würden,wenn Sie, wie Sie ja hoffen, an die Regierung kämen. Indiese Verlegenheit werden wir Sie aber nicht bringen.
Für die CDU/CSU
spricht jetzt der Kollege Ernst Hinsken.
Werte Frau Präsidentin!Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Irberhat eben konstruktive Vorschläge angemahnt. Ich emp-fehle ihr deshalb, gut aufzupassen, weil ich auch in dieserRede, wie schon in so vielen die ganze Zeit über, beab-sichtige, einige konstruktive Vorschläge einzubringen,damit Sie zu guter Letzt wissen, wie es weitergehen soll.
Jeder reist gerne und freut sich auf die schönsten Wo-chen des Jahres, den Urlaub. Nur wenige wissen, was sichüberhaupt ökonomisch dahinter verbirgt. Der Tourismusist der zweitgrößte Wirtschaftszweig in der Bundes-republik Deutschland. Das kann nicht oft genug gesagtwerden; selbst Frau Kastner scheint dies noch nicht gehörtzu haben, sonst würde sie nicht versuchen, es ins Lächer-liche zu ziehen.
Er umfasst 2,8 Millionen Arbeitsplätze, 8 Prozent Brutto-wertschöpfung, 280 Milliarden DM Umsatz und Ver-schiedenes andere mehr.Es ist natürlich schon interessant, dass gerade dieDresdner Bank in ihrer jüngsten Studie sagt, dass dieDeutschen „Reiseweltmeister“ bleiben. 53,5 MilliardenEuro wurden letztes Jahr ins Ausland getragen, nur19,2 Milliarden Euro flossen nach Deutschland. Auchwenn wir letztes Jahr einen kleinen Zuwachs von 0,3 Pro-zent auf 327 Millionen Übernachtungen hatten, KolleginIrber, so darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass vie-les im Argen liegt und wir alles tun müssen, um der Tou-rismuswirtschaft, der Leitökonomie der Zukunft – einBegriff, den Kollege Brähmig einmal geprägt hat –, dennotwendigen Schwung für die Zukunft zu geben.
Deshalb ist gerade die heutige Debatte über die Touris-musförderung besonders wichtig. Ich bedauere nur, dasssowohl die SPD als auch die Grünen in ihrem Antrag nichtauf die großen Probleme der Tourismuswirtschaft ein-gegangen sind. Sie, verehrte Frau Kollegin Irber, habenauch heute wieder versäumt, diese Probleme anzuspre-chen und eine Antwort darauf zu geben. Der Himmel überBerlin war zwar heute offen, aber für die Tourismuswirt-schaft ist er verschlossen und grau.
Die Branche steckt in einer ihrer schwersten Krisen. VonLob allein kann die Branche nicht leben. Es müssen Tatenfolgen, für die wir hier im Deutschen Bundestag verant-wortlich zeichnen müssen.
Meine Damen und Herren, der Deutsche Reisebüround Reiseveranstalter Verband sagte in den letzten Tagen:Die Lage der Reisewirtschaft ist ernst.
Der „Focus“ vom letzten Montag titelte: „Viel Platz imFlieger“. Nur ganz wenige wie die Preussag blicken hoff-nungsfroh in die Zukunft.
Diese Bundesregierung wollte nicht alles anders, abervieles besser machen. Was ist dabei herausgekommen?Selbst der erfolgsverwöhnten Sonnenscheinbranche hatRot-Grün Regenwolken beschert.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Brunhilde Irber21006
Nicht wegen des 11. Septembers, sondern wegen des ra-dikalen Wirtschaftsrückgangs haben wir in der Bundes-republik Deutschland auch auf dem Tourismussektor sehrgroße Probleme, die wir bewältigen müssen.
Viele Reiseveranstalter befürchten einen Umsatzrück-gang, Herr Kollege Kubatschka, von bis zu 20 Prozent.Das berührt mich. Bei Flugreisen wird sogar mit einemRückgang von 25 Prozent gerechnet. Aber Sie wollen dasnicht wahrhaben. Sehen Sie denn diese Probleme nicht?
Nur ausgesprochene Optimisten können hoffen, dass derGrund lediglich ist, dass 2002 ein Spätbucherjahr wird.Mehrere große Carrier, wie Sabena und Swissair, sind we-der am Himmel noch auf Erden bzw. auf den Flughäfennoch zu sehen.
Selbst die erfolgsverwöhnte Lufthansa musste im vergan-genen Jahr einen Rückgang ihrer Passagierzahlen um2,9 Prozent verzeichnen.
Im Dezember 2001 waren es sogar knapp 15 Prozent we-niger Reisende als im Dezember 2000. Hauptgründe fürdiese Krise sind eine kränkelnde Wirtschaft und eine ver-fehlte Tourismuspolitik dieser Bundesregierung.
Die jüngste Saisonumfrage des DIHK brachte auf denPunkt, wie die Stimmung wirklich ist, Frau KolleginIrber; sie ist anders, als Sie hier behauptet haben.
Die Geschäftserwartungen sind im Beherbergungssektorerstmals seit drei Jahren wieder in die Negativzone ge-rutscht.
Weiter heißt es, die Gastronomie korrigiere die Erwartun-gen in Bezug auf die Saison ebenfalls nach unten. So wol-len 14 Prozent der befragten Hotelbetriebe und 19 Prozentder Gaststätten die Zahl der Beschäftigten reduzieren. Diegroßen Reiseveranstalter kündigen einen umfangreichenAbbau um Tausende von Arbeitsplätzen an.
Aber es kommt noch schlimmer: Hotellerie und Gas-tronomie müssen ihre Preise erhöhen. Als Grund werdenKostensteigerungen durch steigende Sozialabgaben, Er-höhung der Ökosteuer und Mehrausgaben im Warenein-kauf genannt. Auch die Erhöhung der Versicherungsteuerdürfte nicht gerade zur Kostenentlastung beitragen. Vonden kleinen und mittleren Betrieben wollen, so der Deut-sche Industrie- und Handelskammertag, 41 Prozent derHoteliers und 36 Prozent der Gastronomen ihre Über-nachtungs- bzw. Verzehrpreise erhöhen.
Eines ist klar: Seit über drei Jahren macht die Bundes-regierung mit ihrer mittelstandsfeindlichen Arbeitsmarkt-und Steuerpolitik der Tourismusbranche in Deutschlanddas Leben schwer und jetzt bekommen wir die Rechnungdafür präsentiert.
Die Neuregelung des Gesetzes über die 630-DM-Jobs – jetzt 325-Euro-Jobs – ist beschäftigungs-, wirt-schafts- und sozialpolitisch verfehlt.
Ich meine auch darauf verweisen zu müssen, dass diebürokratische Belastung genauso negativ ist, für die beiden unmittelbar Betroffenen vor Ort kein Verständnis be-steht. Aber ich bin ehrlich genug, zu sagen, dass hierfürnicht nur Sie verantwortlich sind, sondern wir alle hier imParlament.
Die Reduzierung dieser Bürokratie wäre eine Entlastungfür die Wirtschaft insgesamt.In seinem Konjunkturbericht vom November letztenJahres beziffert der DEHOGA die Zahl der Kündigungeninfolge der Neuregelung auf 100 000. Das ist unglaublich.
Die rot-grüne Bundesregierung wollte eigentlich dieSchwarzarbeit eindämmen. Genau das Gegenteil ist ihrgelungen. Um am Markt bestehen zu können, driften vielein die Schattenwirtschaft. Mit der Schattenwirtschaft sindwir inzwischen weltweit mit an der Spitze. Es ist auch IhrVerschulden, dass wir so weit gekommen sind.
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage?
Ja, selbstverständlich.
Gerne.
Bitte sehr, Frau Kol-
legin.
Herr Hinsken, können Sie mirfolgenden Gegensatz erklären: Der DEHOGA hat bei derEinführung des 630-Mark-Gesetzes gesagt, dass in derGastronomie 40 000 Beschäftigte in solchen Arbeitsver-hältnissen seien. Sie sagen jetzt, man habe 100 000 gekün-digt. Wie passt das zusammen?
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Ernst Hinsken21007
Frau Kollegin Irber, das
passt insofern zusammen, als gerade im Hotel- und Gast-
stättenbereich weit über 80 000 Arbeitsplätze – nach neu-
esten Zahlen 100 000 Arbeitsplätze – vernichtet wurden
und man sich außerstande sieht, diese Arbeitsplätze wie-
der zu besetzen, weil gerade das 630-DM-Gesetz – jetzt
325-Euro-Gesetz – so bürokratisch belastet und ein sol-
cher Hemmschuh für die Hotellerie und Gastronomie ist.
Das aber sind Arbeitsplätze, die wir so dringend brauchen.
Meine Damen und Herren, im Gegensatz zu Deutsch-
land gewähren die meisten EU-Länder dem Hotel- und
Gaststättengewerbe sowie den Freizeitparks einen
ermäßigten Mehrwertsteuersatz. Daher haben insbe-
sondere die Gastwirte in grenznahen Regionen sowie die
dort ansässigen Tankstellen mit der Billigkonkurrenz jen-
seits der Grenze zu kämpfen.
– Das haben wir nicht gehabt.
Wenn ich in meiner ostbayerischen Heimat feststelle, dass
ich beim Tanken in Deutschland teilweise 40 bis 44 Pfen-
nig, jetzt 22 Cent, mehr bezahlen muss als in Österreich,
und wenn ich – mein Wahlkreis liegt an der tschechischen
Grenze – in der Bundesrepublik Deutschland 15 Cent
mehr bezahlen muss als in Tschechien,
dann ist das eine Wettbewerbsverzerrung. Dies kann nicht
ohne weiteres hingenommen werden und deshalb weg mit
der Ökosteuer, die wir Ihnen zu verdanken haben.
Meine Damen und Herren, Leistung muss sich lohnen;
daher setzen wir uns seit längerem für Erleichterungen bei
der Trinkgeldbesteuerung ein. Ich pflichte dem Kolle-
gen Burgbacher bei, der schon mehrmals die Forderung
erhoben hat, dass wir daran denken sollten, dies auf den
Prüfstand zu stellen.
Vor allen Dingen berührt mich – das möchte ich be-
sonders herausstellen –, dass bei den Reisebüros die Net-
togewinne in der Zwischenzeit bei nicht einmal 1,5 Pro-
zent liegen. Sie liegen zwischen 0,6 und 1,1 Prozent.
Gerade der Tourismus als besonders personalintensive
Branche bietet große Chancen bei der Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit. Allein für den Zeitraum bis 2010 wird
in der Europäischen Union ein Potenzial von 3,3 Milli-
onen zusätzlichen Arbeitsplätzen erwartet. Nur wenn wir
in der Bundesrepublik Deutschland richtig ansetzen, sind
wir mit circa 400 000 bis 450 000 zusätzlichen Arbeits-
plätzen dabei.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wir brauchen in
der Bundesrepublik Deutschland dringend ein höheres
Wirtschaftswachstum. Ein höheres Wirtschaftswachs-
tum bedeutet nämlich auch mehr Geld in der Tasche des
Bürgers, bedeutet mehr Urlaub. Wenn die Deutschen dann
auch noch bereit sind, ihren Zweit- und Dritturlaub nicht
im Ausland zu verbringen, sondern das Geld hier bei uns
in der Bundesrepublik Deutschland zu belassen, Herr
Kollege Feibel, dann haben wir die richtigen Akzente ge-
setzt, um der Tourismuswirtschaft einen neuen Schub zu
geben, um den Deutschen unser schönes Land schmack-
hafter zu machen und um die Arbeitsplätze zu schaffen,
die wir uns wünschen und die wir auch dringend brau-
chen.
In diesem Sinne herzlichen Dank für Ihre Aufmerk-
samkeit und vielen Dank an meine Kolleginnen und Kol-
legen,
die einen so hervorragenden Antrag, wie es auch der FDP-
Antrag ist, eingebracht haben. Bei Ihnen von Rot-Grün ist
noch ein bisschen Nachhilfeunterricht erforderlich; den
hoffe ich hiermit erteilt zu haben.
Danke schön.
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich das Wort der Kollegin Roth.
Sehr geehrter Herr Kol-
lege Hinsken, es ist schon frappierend, was Sie unserer
rot-grünen Bundesregierung alles zutrauen. Darf ich Sie
ganz kurz auf Folgendes hinweisen: Deutschland ist si-
cherlich eine der Exportnationen innerhalb der Europä-
ischen Union. Aufgrund dieser Exporttätigkeit sind wir in
erster Linie vom Weltmarktgeschehen abhängig, von den
Märkten in den USA, von den Märkten in Japan.
Die ganze Entwicklung als Schuld einer rot-grünen deut-
schen Bundesregierung darzustellen, Herr Hinsken, ist
doch Populismus. Dem können wir nicht zustimmen.
Danke schön.
Herr Kollege
Hinsken, wollen Sie darauf antworten? – Bitte sehr.
Verehrte Frau KolleginRoth, ich möchte mich für Ihre Kurzintervention bedan-ken, weil ich so die Möglichkeit habe, einige Dinge zu-rechtzurücken. Es ist nicht so, dass ich der Bundesregie-rung nicht einiges zutrauen würde. Aber trotzdem musste
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ich in meiner Rede feststellen, welche negativen Ent-wicklungen es in Deutschland auf dem Tourismussektorgibt.Wir hören als Opposition auf die Stimmen in der Be-völkerung
und wir wollen die notwendigen Maßnahmen ergreifen,damit sich die Tourismuswirtschaft wieder entfalten kannund weiter nach oben kommt.
Deshalb habe ich die Probleme angesprochen. Ich hoffe,dass bei Ihnen einiges hängen bleibt, damit wir der Sacheund nicht einer einzelnen Fraktion wegen eine Politik fürdie deutsche Tourismuswirtschaft machen, die sie drin-gend braucht und die sie von uns auch zu Recht erwartet.
– Ich bin bereit, auch darauf einzugehen.
Wir sollten aber da-
rauf achten, dass wir langsam zum nächsten Redner kom-
men können. Aber noch haben Sie das Wort. Bitte sehr,
Herr Kollege.
Was die weltwirtschaft-
liche Entwicklung anbelangt, ist leider festzustellen, dass
sie momentan nicht mehr so gut verläuft. Aber die wirt-
schaftliche Entwicklung, die wir in der Bundesrepublik
Deutschland zu verzeichnen haben, ist nicht allein auf die
schlechte Lage der Weltwirtschaft, sondern auf eine ver-
fehlte Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik Deutsch-
land zurückzuführen.
Sie haben die Jahre 1999 und 2000 verschlafen,
in denen die Möglichkeit bestanden hätte, zu korrigieren
und eine Grundlage für eine positive wirtschaftliche Ent-
wicklung in der Bundesrepublik Deutschland zu legen.
Jetzt hat die Kollegin
Sylvia Voß für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grü-
nen das Wort.
Sehr ge-ehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Lieber Herr Hinsken, Ihre Rede und Ihre Erwiderung aufdie Kurzintervention haben mich an die drei Affen erin-nert. Wenn man schon nichts sehen und hören will, dannsollte man auch nichts sagen.
Die zurückliegenden Monate waren – wir wissen,warum – wirklich nicht leicht für die Tourismusbranche.Man urlaubt im Moment lieber erdgebunden und im eige-nen Land. Eine insgesamt positive Entwicklung der Gäs-teübernachtungen in Deutschland war, wie Sie wissen, imJahre 2001 davon unabhängig zu verzeichnen.
Die deutsche Tourismusbranche erwartet diesen positi-ven Trend, der Sie eigentlich freuen sollte, auch für 2002.Der Campingtourismus wird in Deutschland immer be-liebter wie auch Flusskreuzfahrten. Der Wellnesstrend istungebrochen. Für mich ist das ein deutlicher Beweis nichtnur für den guten Ruf der Tourismusbranche, sondernauch dafür, dass sie hier etwas leistet.
Seit mehr als drei Jahren wird die Tourismuswirtschaft– man kann sagen: endlich – von einer zielstrebigen Ko-alition und von einer tatkräftigen Bundesregierung unter-stützt.
Heute beschließen wir nämlich ein Tourismusförderpro-gramm und damit weitere – wir haben auch vorher schonVerbesserungen auf den Weg gebracht – Verbesserungenfür einen erfolgreichen Tourismus in unserem Land.Ein Beispiel von vielen: Wir regen Betreiber von tou-ristischen Einrichtungen dazu an, ihre Anlage mit moder-ner Technologie auszustatten. Das ist ein ganz wichtigerBeitrag für den Umweltschutz und fördert gleichzeitigdas Investitionsklima und den Arbeitsmarkt. Die Bundes-regierung wird dafür Gelder in speziellen Förderpro-grammen bereitstellen. Auf eine für ihn sehr angenehmeund für die Umwelt nachhaltige Art und Weise leistet derGast seinen Beitrag, wenn er eine Urlaubseinrichtungbucht, die umweltschonend geführt wird, die Produkteaus der Region vermarktet und die auch ohne Auto er-reichbar ist. Mit der Einführung der UmweltdachmarkeViabono haben wir die Orientierung für den Kunden dies-bezüglich vereinfacht.
Deutschland kann auch in diesem Jahr beliebtestesReiseziel der Deutschen bleiben. Wenn Sie einmal einengenauen Blick in unseren Antrag werfen, werden Sie er-kennen, dass von uns die besten Voraussetzungen dafürgeschaffen wurden, dass sich daran so schnell nichts
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Ernst Hinsken21009
ändert. Im Gegenteil: Wir befördern auch den Incoming-Tourismus, an dem es bisher immer noch fehlt.
Es gibt in Deutschland auf engem Raum viel zuerleben, sodass man sich als Tourist hier faktisch nie lang-weilen kann. Zum Beispiel entdecken immer mehr Tou-risten die faszinierende Natur in deutschen Groß-schutzgebieten. Die maßgeblich von uns auf den Weggebrachte Image- und Marketingkampagne für Deutsch-lands Nationalparke kam deshalb genau zum richtigenZeitpunkt, ebenso wie der TAB-Bericht.
Die Qualitätsmarken – Nationalpark, Biosphärenreservatund Naturpark – sind nun einmal für ganze RegionenDeutschlands maßgebend, zum Beispiel für das Watten-meer oder auch für die mecklenburgische und branden-burgische Seenplatte.
Daraus ergeben sich große Chancen für Tourismus undNaturschutz.Im Internationalen Jahr des Ökotourismus – auch Sie,Herr Hinsken, sollen Lust auf Natur haben – haben einigeProminente unsere Richtung zum nachhaltigen Tourismusuntermauert. Herr Frangialli von der WTO und HerrTrittin haben anlässlich der Eröffnung des Reisepavillonsin Hannover entsprechende Reden gehalten.
Natürlich setzen diese touristischen Aktivitäten voraus,dass der Schutzstatus der Großschutzgebiete erhaltenbleibt. Durch eine geschickte Besucherlenkung muss derTourist von der Natur fasziniert und müssen zugleich ge-fährdende ökologische Belastungen ausgeschlossen wer-den. Die Kampagnen, die wir für die Großschutzgebietegestartet haben, sind aber nur ein Beispiel dafür, wie wirdie Tourismusentwicklung in Deutschland fördern.Wir nehmen uns weiterhin der Qualifizierung derBeschäftigten an. Dies ist etwas, was Sie nie zustande ge-bracht haben. Das bedeutet fachkundigeres und freundli-cheres Personal in Gaststätten und Hotels.Wir engagieren uns ebenfalls deutlich auf der Ebeneder Europäischen Union und führen endlich Veränderun-gen im Bereich der Mobilität durch, indem wir umwelt-schonende Verkehrsträger fördern. Wir verbinden Mobi-lität mit einem umweltverträglichen Konzept, wozu Sienie in der Lage waren.
– Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun beruhigt euchwieder! Wir wissen natürlich, dass bei der Opposition eingewisses Engagement für den Tourismus vorhanden ist.Ihr Antrag spiegelt das allerdings ungenügend wider. Eshilft überhaupt nicht weiter, planlos irgendetwas aufzu-schreiben und aneinander zu reihen, was einem allgemeinzum Tourismus einfällt. Die wenigen wirklich nennens-werten, sinnvollen und auch bezahlbaren Vorschläge derOpposition sind längst in unserem Programm berücksich-tigt. Sie müssten es nur einmal richtig lesen.Aus einem ganz anderen Grund wird die CDU/CSU inunseren Debatten über die Tourismuspolitik künftig etwasbesonnener debattieren müssen.
Früher konnte man fast die Uhr danach stellen – heute hates ein wenig länger gedauert, Herr Hinsken –: Spätestensnach zweieinhalb Minuten Redezeit – egal, bei welchemmöglichen oder unmöglichen Thema – würde die Forde-rung nach Rücknahme der Ökosteuer erhoben. DieseForderung wird die FDP von nun an allein unerhört er-schallen lassen.
Die „SOS-Tourismuspolitiker“ Brähmig und Hinskenmüssen nun zurückrudern, nachdem ihr Edmund „derKandidat“ Stoiber zu der Einsicht gelangt ist und erklärthat, dass eine Abschaffung der Ökosteuer, wie bisher voll-mundig von Ihnen gefordert und versprochen, nicht reali-sierbar ist.
So schnell kann man sich blamieren, wenn man unseriösPolitik macht.Sie wissen, dass die Ökosteuer den Faktor Arbeit ent-lastet, dass sie Arbeitsplätze sichert und zu umweltscho-nendem Verhalten motiviert, was schließlich auch derTourismusbranche, insbesondere dem Mittelstand, zugutekommt.
Frau Kollegin, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brähmig?
Ich bingleich fertig und er hat schon so viel geredet.
Wenn Sie es tatsächlich immer noch nicht glauben wol-len, fragen Sie doch Ihren Kollegen Stoiber selbst.
Weitsichtige umweltschützende Maßnahmen ziehensich wie ein roter Faden durch alle Schwerpunkte unseresTourismusförderprogramms, weil unser Programm aufNachhaltigkeit setzt. Wir berücksichtigen auch die finan-zielle Förderung von touristisch bedeutenden Projekten.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Sylvia Voß21010
Ich könnte noch mehr Punkte aufzählen, will aber nurnoch hervorheben, dass wir es waren, die die finanzielleAusstattung der Deutschen Zentrale für Tourismus end-lich verbessert haben.
In diesem Zusammenhang möchte ich den Mitarbei-tern der Deutschen Zentrale für Tourismus Dank sagen,denn sie leisten wirklich hervorragende Arbeit und gehenmit dem Geld, das wir ihnen gegeben haben, gut um.
In guten Händen ist auch die Tourismuspolitik. UnserTourismusförderprogramm macht dies deutlich. NehmenSie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, die-ses Programm doch einfach immer wieder zur Hand undfreuen Sie sich mit uns an all diesen Vorhaben,
die nach vielen Legislaturperioden des Stillstandes end-lich umgesetzt werden – zum Nutzen der Tourismuswirt-schaft, zum Vorteil der Touristen und zum Guten für dieNatur.Danke schön.
Für die FDP-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Ernst Burgbacher.
Frau Präsidentin! Meinesehr verehrten Damen und Herren! „Stoppt die Abzocker“schrieb gestern eine große Tageszeitung. Dann wurde natür-lich gleich auch noch pauschal gesagt, die Gastronomiehabe die Einführung des Euro zur Preiserhöhung genutzt.
An dieser Stelle will ich eines deutlich sagen: Es stimmtnicht. Die Gastronomie war daran beteiligt, dass die Euro-Einführung so glatt verlief. Wenn es ein paar Abzockergibt, dann sind es schwarze Schafe; die gibt es überall.
Frau Kollegin Irber, wenn Sie sagen, dass es stimmt,dann stimmt mich das sehr traurig. Ich danke der Gastro-nomie für die Leistung, die sie erbracht hat. Ich wehremich gegen solche pauschalen Urteile.
– Frau Kastner, ich weiß, dass Sie damit nicht gut lebenkönnen und dass Sie Ihre Vorurteile gerne pflegen. Daskennen wir alles.
Meine Damen und Herren, ich will gerne bei dem ein-steigen, was Kollegin Irber gesagt hat. Wir sollten uns viel-leicht einmal ein wenig ehrlicher über Zahlen unterhalten.
Jawohl, es ist richtig: Wir haben geringfügige Steigerun-gen bei den Übernachtungsraten. Wenn wir differenzie-ren, dann sehen wir, dass es im Städtetourismus sehr hoheSteigerungsraten gibt, in anderen Bereichen allerdingsnicht; dort gibt es einen Rückgang. Wir sehen auch, dasses zwar Steigerungsraten gibt, aber gleichzeitig einen Be-sorgnis erregenden Rückgang in der Ertragslage.
Das ist die eigentlich wesentliche Zahl. Sie verstehen dasaber nicht, weil Sie es nicht verstehen wollen. Das ist dasProblem.
Natürlich haben wir infolge des 11. September Pro-bleme; das ist doch überhaupt keine Frage.
Wir haben – auch das ist keine Frage – ebenso konjunk-turelle Probleme. Meine Damen und Herren, da Sie sichimmer mit der Steuerreform brüsten, nehmen Sie das, wasIhr Ministerium sagt, einmal zur Kenntnis: Wir habenzwar nur eine geringfügige, aber doch eine Erhöhung derSteuerlastquote in Deutschland. Das wirkt sich natürlichsehr stark auf die Nachfrage aus.Ich komme zu Ihren Äußerungen über die Weltwirt-schaft. Es ist richtig, dass wir von der Weltwirtschaft ab-hängen. Dafür, dass wir bei der Wachstumsrate an letzterStelle in der Europäischen Union liegen, trägt aber nichtdie Weltwirtschaft die Verantwortung. Das ist durch einevöllig verfehlte Wirtschafts-, Steuer- und Arbeitsmarkt-politik hausgemacht. Auch das muss hier gesagt werden.
Aus den Anträgen wird durchaus deutlich, dass wir eineMenge Gemeinsamkeiten haben, auch wenn Sie, FrauKastner, nur ununterbrochen dazwischenbellen können.
Ein paar Aussagen zur Sache wären viel schöner. Wir ha-ben – auch im Ausschuss – eine Menge Gemeinsamkeitenin der Tourismuspolitik. Das sollten wir hier klarstellen.Ich bedanke mich bei der Deutschen Zentrale fürTourismus und bei vielen anderen für die hervorragendeArbeit, die in Deutschland für den Tourismus geleistetwird. Es könnte aber einiges noch wesentlich besser
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Sylvia Voß21011
laufen. Liebe Kollegin Irber, wenn einiges politisch an-ders gelaufen wäre, könnten wir nicht nur diese Steige-rungsraten, sondern wesentlich höhere haben.Ich will einmal einige Beispiele nennen: Ich habeschon auf die Ertragslage und die Steuerlastquote hinge-wiesen. Sie können doch die Augen nicht davor ver-schließen, dass wir auf dem Arbeitsmarkt schwierigsteZustände haben und dass diese Branche händeringendnach Arbeitskräften sucht, sie aber nicht findet, weil Siedie Möglichkeiten dazu vernichtet haben. Wenn Sie sichdas neueste Gutachten des Industrie- und Handels-kammertages ansehen, dann lesen Sie – ich zitiere –:Die Kostensteigerungen durch steigende Sozialab-gaben, Erhöhung der Ökosteuer und Mehrausgabenim Wareneinkauf zwingen immer mehr Unterneh-men der Tourismuswirtschaft, Preiserhöhungen amMarkt durchzusetzen.Dann wird davon gesprochen, dass fehlende InvestitionenSorge bereiten. „Augen zu und durch“ kann wahrlichnicht die Devise sein. Wir müssen handeln, und zwar jetzt.Wir als FDP-Fraktion haben dazu eine ganze MengeVorschläge gemacht. Wir haben vorgeschlagen, den re-duzierten Mehrwertsteuersatz für die Hotellerie einzu-führen. Wir haben vorgeschlagen, die Trinkgeldbesteue-rung abzuschaffen. – Liebe Kollegen von der CDU/CSU,ich glaube, Sie springen jetzt. Das begrüße ich. Endlichspringen Sie. Ich erwarte, dass die Sprünge auch von an-deren kommen. – Wir haben eine ganze Menge Vor-schläge zur Deregulierung gemacht und wir haben heuteeinen Antrag vorgelegt. Jetzt muss ich sagen: Da hört beimir jegliches Verständnis dafür auf, dass Sie ihn aus par-teitaktischen Gründen ablehnen werden. Wir haben zumzehnjährigen Jubiläum der deutschen Einheit gefordert,eine große Kampagne zu starten: Deutschland besuchtDeutschland. Damit würden wir Mauern in den Köpfenein Stück einreißen und hätten einen wirtschaftlichen Vor-teil. Was macht die Regierung? – Der Antrag kommt vonder Opposition, also lehnt man ihn ab. Das finde ich völ-lig unverständlich.
Liebe Kollegin Irber, nehmen Sie bitte zur Kenntnis– Sie haben vorhin Zahlen dazu genannt –, dass derkleinste Teil der deutschen Bevölkerung jemals in denneuen Ländern war. Das müssen wir auch aus politischenGründen ändern. Deshalb sollten Sie hier zustimmen.Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen: LieberHerr Mosdorf, wir werden Sie als unseren zuständigenStaatssekretär leider bald verlieren. Das tut mir wirklichLeid;
denn Sie haben hier gute Arbeit geleistet.
Ich will aber auch sagen: Ich bemängele an dieserStelle, dass wir einen Wirtschaftsminister haben, der sichum Tourismus überhaupt nicht kümmert.
Er hat an dieser Stelle versprochen, einen reduziertenMehrwertsteuersatz einzuführen, und hat es nicht einge-halten. Er hat weder im Ausschuss noch im Plenum anTourismusdebatten teilgenommen. Er ist über Verspre-chen und Ankündigungen nicht hinausgekommen.
Deshalb hoffe ich, dass wir wenigstens wieder einenStaatssekretär bekommen, der sich auch auf diesem Feldbetätigt. Ich habe die noch größere Hoffnung, dass nachdem 22. September dieses Jahres wieder die FDP beimTourismus sagt, wohin die Reise geht. Dann wird auchhier einiges anders werden.Herzlichen Dank.
Es ist eine Debatte
mit vielen Zwischenrufen. Trotzdem gefällt mir das Wort
„bellen“ nicht so ganz. Ich glaube nicht, dass dies ein par-
lamentarischer Ausdruck ist, wenn ich mir die Bemerkung
erlauben darf. Das sehen Sie sicherlich ein, Herr Kollege.
Nun hat die Kollegin Rosel Neuhäuser für die PDS-
Fraktion das Wort.
Liebe Kolleginnen undKollegen! Es ist eine sehr hitzige Debatte.
Ich denke, dass das „Jahr des Tourismus“, das wir in2001 hatten, dazu beigetragen hat, dass sich in der Tou-rismusbranche einiges entwickelt hat. Sicherlich stimmtdie Einschätzung, dass es territorial sehr unterschiedlicheErgebnisse gibt, was auch in den Regionen sehr unter-schiedliche Wirkungen hatte. Es helfen nicht allein Vor-würfe, sondern man muss überlegen, wie man eine in-haltliche Debatte organisieren kann, statt auf eigenenStandpunkten zu beharren, um diesen Entwicklungspro-zess nach inhaltlichen Lösungen zu forcieren und damitder Branche insgesamt zu helfen.In vielen Gesprächen mit Vertretern aus der Touris-musbranche und Kommunalpolitikern wurde immer wie-der auf die Rolle und die Verantwortung des Tourismusfür die Wirtschaft und für die Beschäftigung hingewiesen.Es wurde darauf aufmerksam gemacht, dass das Poten-zial, welches der Tourismus bietet, nur dann voll genutztwerden kann, wenn die Bereitschaft zur Entwicklung vonKooperationen auf allen Ebenen – ich meine hier die eu-ropäische Ebene, die nationale Ebene, die regionale unddie lokale Ebene sowie auch die Kooperation zwischenöffentlichen und privatwirtschaftlichen Partnern – mög-lich wird.Wir alle wissen: Tourismus ist kein Selbstläufer. Er-folge in der Branche erzielen wir überall dort, wo durchZusammenarbeit eine Bündelung von Kräften erfolgt.Das bedeutet aber noch ein ganzes Stück gemeinsamerArbeit, da das gesamte touristische Potenzial auf den un-
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Ernst Burgbacher21012
terschiedlichsten Ebenen diesbezüglich noch lange nichterschlossen ist. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Bei-spielen.So kurios es auch klingen mag: Das heute zu be-schließende Tourismusförderungsprogramm bedarf ausdieser Situation heraus – ich meine den von der Bundes-regierung vorgelegten Antrag – Ergänzungen.
Begrüßenswert sind aus meiner Sicht die Abschnitte „Ent-bürokratisierung“ – das ist schon kritisiert worden –, „Fi-nanzielle Förderung“, „Umwelt“ sowie „EuropäischeUnion International“, aber auch das Kapitel zur Zusam-menarbeit von Bund und Ländern.Das heißt, wenn wir in der Debatte um das Touris-musförderungsprogramm über Rahmen- und Wettbe-werbsbedingungen reden, können wir eben nicht nur anbetriebswirtschaftliche Probleme – wie: höchste Qualitätder Produkte, gleiche Marktzugangsbedingungen allerUnternehmen oder umweltfreundliche Produkte – den-ken. Aus unserer Sicht geht es um mehr. Es muss auch umden Wettbewerb, die Schaffung und den Erhalt von Ar-beitsplätzen, um hohe soziale Standards und um Nachhal-tigkeit gehen.Das Problem der Ausbildung und die Übernahme inFeststellen beispielsweise – hier ist meines Erachtensnoch ein großer Nachholbedarf vorhanden – oder dieFrage des barrierefreien Reisens sprechen Sie in IhremAntrag an. Nur in dieser Koppelung sehe ich zukünftigeine Chance, in den unterschiedlichsten Regionen regio-nale Wirtschaftskreisläufe aufzubauen, die dazu führen,dass die Menschen sozial abgesichert werden können unddie Kaufkraft damit gestärkt wird.Ich bin fest davon überzeugt, dass der Beitrag des Tou-rismus zu Wachstum und Beschäftigung gerade jetzt eineweit größere Anerkennung auf allen politischen Ebenenbenötigt. Es müssen Aktivitäten auf der Tagesordnung ste-hen, die dazu beitragen, die Tourismuswirtschaft zu stär-ken, um Potenziale für weiteres Wachstum zu schaffen. DerAntrag der Koalitionsfraktionen bietet die Voraussetzun-gen, aber die Konkretisierung und vor allen Dingen die Un-terfütterung dieser Ansätze bleiben noch aus.Ich meine, es kann nicht allein darum gehen, die Hard-ware – um es einmal in der Computersprache auszu-drücken – bereitzustellen. Seinerzeit – damit spreche ichein Problem an, das damals die CDU/CSU-Fraktion unddie FDP-Fraktion in ihrer Regierungszeit entschieden ha-ben –, als es darum ging, GA-Fördermittel für die so ge-nannten Spaßbäder in den neuen Bundesländern auszu-weisen, existierte zwar die Hardware, aber für dieSoftware, also das Betreiben dieser Einrichtungen, warenkeine finanziellen Mittel mehr da. Ich meine, dieser An-satz ist nicht unbedingt ein Beispiel für die Entwicklungeiner nachhaltigen Tourismuspolitik.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch ei-nen Satz zu dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion sagen. Esgeht nicht allein darum, immer wieder neue Wettbewerbeauszuschreiben. Aus meiner Sicht ist es besser, in Rich-tung Förderprogramme – wie Aktionsprogramm für Kin-der- und Jugendreisen oder Programm für familien-freundlichere Angebote – aktiv zu werden.In diesem Zusammenhang möchte ich noch einenWunsch zum Abschluss äußern. Ich möchte es so formu-lieren: Schalten wir die Ampel für den Aktionsplan fürKinder- und Jugendreisen auf Grün, damit wir ihn soschnell wie möglich auf den Weg bringen.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der
Parlamentarische Staatssekretär Siegmar Mosdorf.
S
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss mich zunächstrecht herzlich bei dem Kollegen Burgbacher für die freund-lichen Anmerkungen und Bewertungen bedanken. Ich habeohnehin das Gefühl, dass man diese auch zurückgebenkann; denn der Tourismusausschuss hat eigentlich immerversucht, interfraktionell, über die Parteigrenzen hinweg,zusammenzuarbeiten und auch etwas voranzubringen.
– Ich meine, da kannst du auch mal klatschen, Ernst. Dasist nämlich richtig. Wir haben eine ganze Menge gemein-sam vorangebracht. Deshalb meine ich, dass die Differenzwesentlich kleiner ist, als es teilweise in den Debattenzum Vorschein kommt.Wir haben eine ganze Menge bewegt. Wir müssen, so-zusagen bilanzierend, festhalten: Die Tourismusbrancheist eine wichtige Wachstumsbranche, die viele noch nichtals solche erkannt haben. Wir müssen auch viele Kollegenin unserem Kreis, die nicht in unserem Ausschuss mit-arbeiten, darauf hinweisen, dass die Branche wirklich ak-tiv ist und dass darin eine Menge passiert.
Darin liegt eine Informationschance. Der Vorsitzendedes Ausschusses hat schon darauf hingewiesen, dass indieser Branche sehr viele Menschen beschäftigt sind– nämlich 3 Millionen –, dass ihr Anteil am Bruttosozial-produkt 8 Prozent beträgt, dass dort 280 Milliarden Um-satz erwirtschaftet werden und – was noch hinzukommt;das halte ich für besonders wichtig – dass die Branche110 000 Auszubildende beschäftigt. Ich meine, das ist einLob wert und ein Dankeschön an die Branche dafür, dasssie sich in der Ausbildung so engagiert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin sehr dafür,auch kritische Punkte anzusprechen. Denn nur wenn man
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Rosel Neuhäuser21013
kritische Punkte anspricht, kann man daraus lernen undetwas Neues entwickeln. Trotzdem können wir auch mitein bisschen Stolz auf die Zahlen schauen, die das Statis-tische Bundesamt heute veröffentlicht. Frau Irber hat be-reits darauf hingewiesen: In dem für uns schwierigen Jahr2001 – zum einen wegen des Vergleichs mit dem EXPO-Jahr, in dem wir wirklich außergewöhnliche Gästezahlenhatten, zum anderen wegen des 11. September; es ist vonmehreren Rednern darauf hingewiesen worden, was der11. September ausgelöst hat – werden wir mit 327 Milli-onen Übernachtungen die Zahl von 2000, einem Re-kordjahr, wahrscheinlich einstellen oder möglicherweisesogar leicht darüber liegen. Darüber können wir uns mitder Branche freuen.
Ich finde, wir sollten deutlich machen, dass das ein wich-tiger Schritt nach vorne ist. Wir sollten nicht dort schwarzmalen – Schwarz ist natürlich eine schöne Farbe –,
wo es eigentlich angebracht ist, die Dinge positiv darzu-stellen.Ich möchte jetzt eigentlich mehr auf die Entwick-lungen nach 1998 und weniger auf das eingehen, was vor1998 alles geschehen ist, zum Beispiel bei den Kur-städten.
– Nein, Ernst, die Kurstädte waren in einer sehr schwie-rigen Situation. Das wissen wir alle. Ich bin froh darüber,dass die Kurstädte wieder aufleben und dass sie sich iminternationalen Wettbewerb behaupten. Gerade in denGrenzgebieten ist die Konkurrenz sehr hart. Es ist daherwichtig, dass unsere Kurstädte wieder Tritt gefasst habenund positive Wachstumsraten aufweisen. Das ist ein ganzwichtiger Schritt nach vorne.
Ich möchte noch einen Punkt besonders hervorheben,der oft vergessen wird. Die Tatsache, dass es im Jahre2001 fast 62 Millionen Übernachtungen in den neuenBundesländern gab – sie haben im Vergleich zu 1999Wachstumsraten von bis zu 14 Prozent aufzuweisen –, istein Zeichen dafür, dass die deutsche Einheit auch im Tou-rismusbereich stattgefunden hat und dass die Juwelen inden neuen Bundesländern inzwischen auch von vielen ausden alten Bundesländern erkannt werden.
Deshalb habe ich überhaupt kein Problem mit dem Antragder FDP. Sie, Frau Irber, wahrscheinlich auch nicht. Wirhaben schon lange die Devise ausgegeben – die FDP hatsie in ihren Anträgen übernommen –: Deutsche, besuchtDeutschland! Fahrt nicht dreimal im Jahr nach Mallorca,macht lieber Urlaub zu Hause! Daraus können wir gerne,wie die FDP es will, eine Kampagne machen.
Gerade in der jetzigen Zeit sollten wir alles, was die ver-schiedenen Regionen Deutschlands zu bieten haben, aucherleben. Man muss nicht pausenlos irgendwohin fahren.Man kann auch zu Hause Urlaub machen. Das sollte mangerade mit Blick darauf tun, dass in diesem Jahr – dasletzte Jahr hatten wir mit vereinten Kräften zum Jahr desTourismus ausgerufen – die Nachhaltigkeit und der öko-logisch verträgliche Tourismus eine große Rolle spie-len. Dazu gehört vieles, über das wir im Ausschuss bera-ten haben, zum Beispiel die Frage, wie eine Renaissanceder Ferien auf dem Bauernhof auf hohem qualitativen Ni-veau eingeleitet werden kann. Andere Stichworte sind Na-turparks und Fahrradtourismus. Ich glaube, wir haben ge-meinsam eine Menge zustande gebracht. Wir können stolzdarauf sein, dass wir 2002 die Themen der Nachhaltigkeitund des ökologisch verträglichen Tourismus in den Vor-dergrund gestellt haben, lange bevor man internationalauf die Idee gekommen ist, diese Themen aufzugreifen.Die Situation in den Monaten nach dem 11. September– darüber haben wir hier schon gesprochen – war schwie-rig. Ich bin froh darüber, dass sich die Zahlen inzwischendeutlich verbessert haben, auch die der Fluggesellschaf-ten. Das haben mir Vertreter der Fluggesellschaften be-stätigt, mit denen ich in den letzten Monaten gesprochenhabe. Das ist auch ein positives Zeichen dafür, dass dieMenschen bereit sind, mit schwierigeren Umständen fer-tig zu werden. Die Bundesregierung hat dazu einen Bei-trag geleistet, indem sie für die Fluggesellschaften dieHaftungsübernahme temporär garantiert hat. Diese Ga-rantie ist in diesen Tagen bis Ende Februar verlängert wor-den, weil die Verhandlungen zwischen den Fluggesell-schaften und den Versicherungen noch andauern. Ichfinde, der Staat kann wirklich nicht alles machen. Esmacht auch keinen Sinn, dass der Staat alles macht. Aberes ist als ein gemeinsamer Erfolg zu bewerten, wenn dieBundesregierung in einer Krisensituation die Haftungs-übernahme garantiert, und zwar so lange, bis sich die Ver-sicherungen und die Fluggesellschaften geeinigt haben.
– Lieber Ernst Hinsken, ich glaube nicht, dass es ernsthaftIhre Meinung ist, der Staat müsse die Haftung sozusagenbis zum Sankt-Nimmerleins-Tag übernehmen. Das wäreeine Staatswirtschaft, die wir nicht wollen.
Wir haben uns wie folgt entschieden: Wir versuchen,die Haftung vonseiten des Staates sicherzustellen, so-lange sich der Versicherungspool nicht geeinigt hat, damitdie Airlines überhaupt fliegen können. Zu Recht sagtJürgen Weber: Wenn wir keine Sicherung haben, bleibendie Flugzeuge am Boden. Was das für eine Volkswirt-schaft wie die Bundesrepublik Deutschland hieße, wissenwir alle. Deshalb noch einmal der Appell auch an die Ver-sicherungswirtschaft, eine Einigung herbeizuführen.
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Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf21014
Ich bin übrigens der Auffassung, dass wir dringendeine internationale Einigung brauchen.
– Genau! Das muss man auch den amerikanischen Freun-den sagen. Es geht nicht an, dass wir in einer solchen Kri-sensituation mit Dumpingpreisen agieren oder mit beson-deren Subventionen helfen und damit im Grunde einenfairen Wettbewerb behindern.
Bei aller Solidarität: Wir brauchen ein „level playingfield“, ein gemeinsames Feld, auf dem unter Wettbe-werbsgesichtspunkten Fairness herrscht. Da wir das nochnicht haben, sind wir als Bundesregierung eingesprungenund haben alles dafür getan, damit die Haftpflichtver-sicherung auch bei Drittschäden aufrechterhalten ist unddie Wirtschaft weiter agieren kann. Die Wirtschaft aner-kennt das. Das ist ein positives Zeichen.Zum Schluss möchte ich noch Folgendes sagen: Füruns alle ist mehr denn je wichtig, dass wir Gäste ins Landholen. Die Deutschen geben sehr viel im Ausland aus.Wenn wir nur diese Bilanz, nur diesen Teil der Dienstleis-tungsbilanz sehen, dann erkennen wir: Wir müssen hierwirklich alle Anstrengungen unternehmen. Denn wirmüssen schon ganz schön viele Autos verkaufen, damitwir die Devisen, die wir bei all unseren Auslandsreisen imAusland ausgeben, wieder hereinbekommen. Also ist eswichtig, dass wir einen Schwerpunkt darauf setzen, Gästeeinzuladen, Gäste zu uns ins Land zu holen, ein offenes,ein liberales, ein tolerantes Land
– ja, auch ein sicheres Land; das ist ein wichtiger Punkt –und ein attraktives Land zu sein, und zwar nicht nur imklassischen Tourismus, sondern auch im kulturellen Be-reich.
Der Herr Kollege
Feibel möchte eine Zwischenfrage stellen. Wollen Sie die
zulassen?
S
Ich möchte das
erst zu Ende führen. Herr Kollege, Sie erhalten dann Ge-
legenheit zu fragen. Ich bitte da um Verständnis.
Wir müssen, glaube ich, einen ganz wichtigen Punkt
im Auge behalten. Wir sollten im Hochsegment, in der
qualitativen Tourismusförderung – dazu gehört Kultur; da
hat Deutschland sehr viel zu bieten: in der Musik, in der
Literatur – einen besonderen Schwerpunkt setzen. Da ha-
ben viele Regionen ihre eigenen Stärken. Das haben an-
dere Länder so nicht. Andere Länder haben Sonne, haben
Wasser, haben viele andere Dinge. Wir haben auf dem Ge-
biet der Kultur sehr viel zu bieten. Deshalb, so meine ich,
müssen wir in den nächsten Monaten gemeinsame An-
strengungen unternehmen, um den Tourismus weiter vo-
ranzubringen, indem wir auch eine kulturpolitische Di-
mension in die Tourismusdebatte hineintragen. Daran
möchte ich mich gerne beteiligen.
Vielen Dank.
Jetzt noch einmal die
Frage, ob Sie eine Frage des Kollegen Feibel beantworten
wollen.
S
Natürlich. Ich
wollte nur meine Zeit nicht überziehen; denn die Frau Prä-
sidentin ist sehr streng.
Bitte sehr, Herr
Feibel.
Herr Kollege, wenn ich
es richtig sehe, wird die Zeit für die Beantwortung von
Zwischenfragen nicht auf die Redezeit angerechnet.
Sie haben im Zusammenhang mit dem 11. September
die Fluggesellschaften angesprochen. In der Tourismus-
branche gibt es noch andere Notleidende in sehr großer
Zahl, denen der Rückgang nach dem 11. September sehr
stark zu schaffen macht. Angesichts dessen frage ich Sie:
Meinen Sie, dass 0,6 Prozent bis 0,8 Prozent Nettoum-
satzrendite in der Reisebranche – das heißt zu Deutsch:
Man muss 1 Million DM Umsatz machen, um am Ende
6 000 DM bis 8 000 DM übrig zu haben – reicht, um in
solch schwierigen Zeiten zu überleben? Wie soll denn
durch Ihre Wirtschaftspolitik eine Verbesserung erreicht
werden, sodass die Unternehmen mehr Kapital bilden
können, um eben auch in solch schwierigen Zeiten noch
überleben zu können?
S
Lieber Herr Kol-lege, ich darf Sie auf einen Rechenfehler aufmerksam ma-chen. Bei einer Umsatzrendite von 0,6 Prozent macht manbei 1 Million DM Umsatz nicht 6 000 DM, sondern60 000 DM Gewinn.
– Das ist eine ganz einfache Rechnung. Das ist nun malleider so.
– Es ist so!
Es ändert nichts daran, dass eine Umsatzrendite von0,6 Prozent zu wenig ist.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf21015
Gerade wenn man investieren will, braucht man eineordentliche Umsatzrendite, überhaupt keine Frage. Siewerden mir aber zugestehen, dass die Rendite natürlicheine Sache des Unternehmens, nicht des Staates ist. Wirtun etwas für bessere Rahmenbedingungen, zum Beispieldurch Steuersenkungen. Darüber haben wir ja gemeinsamoft gesprochen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir soerfolgreich sein können.Vielen Dank.
Zum Abschluss dieser
Runde hat nun das Wort der Kollege Wolfgang Dehnel
von der CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Ichglaube, im Namen des Hauses zu sprechen, wenn wir demParlamentarischen Staatssekretär Mosdorf für seine mög-licherweise letzte tourismuspolitische Rede hier im Hausedanken. Wir wünschen ihm persönlich alles Gute.Allerdings musste ich feststellen, dass keine der Red-nerinnen beziehungsweise der Redner überhaupt auf denfamilienpolitischen Aspekt des Tourismus eingegangenist. Deshalb fällt es mir als Familienpolitiker zu, diesesFeld zu bestreiten. Denn Familien in Deutschland – ichglaube, darin stimmen wir überein – sind eine attraktiveZielgruppe des Fremdenverkehrs. Die Familien verreisenim Urlaub häufiger als der Bundesdurchschnitt und um-fassen 43 Prozent der gesamten Bevölkerung. Wenn Fa-milien sich in ihrem Urlaub wohl gefühlt haben, kommensie wieder und können zu treuen Stammkunden werden,deren Kindern mit ihren eigenen Kindern wiederkommen.Es lohnt sich daher, im Fremdenverkehr die speziellenBedürfnisse von Familien zu beachten.
Familien brauchen Ferienangebote, die Kindern undEltern einen angenehmen und erholsamen Aufenthalt er-möglichen. Dies dient auch dem Ziel einer familien-freundlicheren Gesellschaft. Deshalb hat die CDU/CSU-geführte Bundesregierung 1986, 1990 und 1994 denBundeswettbewerb für familienfreundliche Ferienange-bote in Deutschland gestartet, durchgeführt und ausge-wertet. Die Resonanz in den Ferienorten war überwäl-tigend. Es gab bundesweit eine Fülle von guten Ideen fürfamilienfreundlichen Urlaub.An diesem Wettbewerb haben sich Gemeinden ge-meinsam mit ihren Hotels, Pensionen und Anbietern vonFerienwohnungen, von „Ferien auf dem Bauernhof“ oderauch von Campingplätzen beteiligt.Aber die Wettbewerbsbedingungen werden härter. InZukunft wird es nicht mehr ausreichen, diese Zielgruppenur halbherzig zu bedienen. Für die deutschen Anbietervon Familienferien wächst der Konkurrenzdruck. Bei im-mer schärfer kalkulierten Preisen der Pauschalreiseveran-stalter nimmt die Attraktivität ausländischer Reisezieleauch für Familien mit mehreren Kindern zu. Das belegteine Untersuchung „Urlaub und Reisen �95“. Dort heißtes – ich zitiere –:Von 1990 bis 1994 wuchs die Zahl deutscherReisender mit Kindern unter 14 Jahren von11,56 Millionen auf 13,58 Millionen. Im Vergleichzum Anteil der Inlandsreisen, der von 5,20 im Jahre1990 auf 4,93 Millionen sank, stieg der Anteil derAuslandsreisen mit Kindern unter 14 Jahren indiesem Zeitraum von 6,36 auf 8,65 Millionen.Sie sehen an dieser Tendenz: Hier müssen wir gegensteu-ern.
Ein weiterer Aspekt: Die europäischen Nachbarländerwie Dänemark und Österreich haben sich längst durchSchaffung von entsprechenden Angeboten als kompetenteZiele für den Familienurlaub profiliert. So überrascht esnicht, dass nach einer Untersuchung in der Zeitschrit „El-tern“ zum Thema Familienurlaub, durchgeführt schon imOktober 1993, Österreich als Ferienland von jungen Fa-milien die besten Noten erhielt. Daher sollten wir alsDeutsche endlich wieder Anstrengungen in dieser Rich-tung unternehmen, wie wir dies zu unserer Regierungszeitgetan haben.
– Darauf komme ich gleich noch zu sprechen.Die Wiederaufnahme dieses Bundeswettbewerbs istalso auch aus Gründen des verstärkten Wettbewerbs zwi-schen den europäischen Nachbarländern angebracht, jageradezu notwendig. Wenn wir unsere Gesellschaft künf-tig nicht framilienfreundlicher gestalten – dazu gehörenunzweifelhaft auch familienfreundliche Angebote imdeutschen Tourismus –, werden wir im internationalenWettbewerb zu den Verlierern gehören. Man kann nichtalles der ruhigen Hand überlassen; wir müssen uns mitfleißigen Händen dem Wettbewerb stellen.Ich gebe zu, dass unsere Fraktion den Wettbewerb auchfür 1998 geplant hatte; aber leider ist die Wahl nicht posi-tiv für uns ausgegangen. Rot-Grün wollte nicht alles an-ders, aber vieles besser machen.
Schon deshalb wäre dieser Wettbewerb in den vergange-nen drei Jahren angebracht gewesen.Es gibt aber noch einen anderen Grund dafür, warumwir den Antrag zu einem Wettbewerb gestellt haben: Esgab Forderungen und Rufe danach vor Ort. Wir waren vorOrt bei den kommunalen Tourismusvertretern. Dazu hatman unsere Kollegin Schäfer, unseren Kollegen Brähmig,unseren Kollegen Hinsken eingeladen. Wir waren in denWahlkreisen und haben uns vor Ort umgeschaut und ge-fragt: Was wollen die kommunalen Vertreter? Diese habenuns darin bestärkt, diesen Wettbewerb wieder einzu-führen; das wäre eine gute Sache.
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Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf21016
Überall, ob im Saarland oder in Rheinland-Pfalz, ob inSachsen oder Sachsen-Anhalt, ist der Wettbewerb auf einepositive Resonanz gestoßen. Die CDU/CSU-Fraktion unddie Bundesregierung unter Helmut Kohl haben Ihnen dieVorlagen geliefert. Fassen Sie sich ein Herz und springenSie über Ihren Schatten. Treten Sie damit ins offene Toreines neuen familienfreundlichen Ideenwettbewerbs zurAusgestaltung des Urlaubsumfelds und Ferienangebots.Seit dem letzten Wettbewerb sind sechs Jahre vergan-gen. Da ist es Zeit für eine Neuauflage. Meine Damen undHerren von der Koalition, glauben Sie wirklich, dass dieHaushaltslage als Verhinderungsgrund für diesen Wettbe-werb vorgeschoben werden muss, wo Sie doch selbst inder Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfragezum Familientourismus in Deutschland von einer gelun-genen Aktion zur Widerspiegelung der ganzen Vielfaltzahlreicher Ideen für den familienfreundlichen Urlaubsprechen?
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Neuhäuser?
Frau Neuhäuser, ja
bitte.
Bitte sehr, Frau Kol-
legin.
Herr Kollege Dehnel, Sie
haben in Ihrem Antrag gefordert,
den Bundeswettbewerb „Familienferien in Deutsch-
land“, der 1997/98 in vierter Auflage letztmalig aus-
getragen wurde, wieder einzuführen.
Können Sie mir sagen, wo dieser Wettbewerb aus Ihrer
Sicht mehr qualitative Angebote für Familien gebracht
hat? Außerdem möchte ich feststellen, dass ich seit Be-
ginn dieser Legislaturperiode vehement dafür streite, kin-
der-, jugend- und familienfreundliche Angebote im Tou-
rismusbereich zu schaffen.
Frau Kollegin
Neuhäuser, wir kennen uns aus zwei Ausschüssen, aus
dem Petitionsausschuss und aus dem Familienausschuss.
Wenn Sie meiner Rede richtig zugehört hätten, hätten Sie
auch gehört, dass wir 1998 den Antrag gestellt haben, den
Wettbewerb wieder durchzuführen. Auf meinem Platz
liegt ein dicker Katalog; darin enthalten sind die durchaus
positiven Meinungen der Bürgermeister, der Sprecher der
Tourismuswirtschaft, aber auch der Regionalpolitiker, die
sich alle eindeutig positiv zu diesem Wettbewerb geäußert
haben.
Ich habe Ihnen gesagt, dass gerade aus den Kommunen
der Ruf nach diesem Wettbewerb kam, weil er dort zu po-
sitiven Ergebnissen geführt hat. Es gab eine Fülle von
Ideen; wir selber konnten uns vor Ort von diesen Ideen
überzeugen. Wenn wir von diesen Ideen nicht so über-
zeugt gewesen wären, hätten wir den Antrag nicht einge-
bracht. Lassen Sie mich jetzt aber weiter ausführen, denn
ich glaube, Sie haben es verstanden.
Meine Damen und Herren, ich weiß, dass mit der Wie-
dereinführung des Wettbewerbs für familienfreundliche
Ferienangebote in Deutschland die Bundestagswahl in
diesem Jahr nicht entscheidend beeinflusst werden kann.
Aber Arroganz und Hochmut auch gegenüber unseren
guten und konstruktiven Vorschlägen, Ideen und Konzep-
ten kommen vor dem Fall am 22. September 2002.
Ich schließe die Aus-sprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-schusses für Tourismus auf Drucksache 14/8021. DerAusschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfeh-lung die Annahme des Antrags der Fraktionen der SPDund des Bündnisses 90/Die Grünen auf der Drucksache14/5315 mit dem Titel „Programm zur Stärkung des Tou-rismus in Deutschland“. Wer stimmt für diese Beschluss-empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Gegendie Stimmen von CDU/CSU und FDP ist die Beschluss-empfehlung angenommen.Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 2 seinerBeschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags derFraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/5313 mit demTitel „Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Tourismus-wirtschaft stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Ge-gen die Stimmen von CDU/CSU bei Enthaltung der FDPist die Beschlussempfehlung angenommen.Tagesordnungspunkt 7 b, Beschlussempfehlung desAusschusses für Tourismus auf Drucksache 14/6846 zudem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „NeueKampagne ‚Deutschland besucht Deutschland‘ starten“.Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache14/4153 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-fehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Gegen dieStimmen der FDP ist diese Beschlussempfehlung ange-nommen.Tagesordnungspunkt 7 c, Beschlussempfehlung desAusschusses für Tourismus auf Drucksache 14/7751 zuzwei gemäß § 56 a der Geschäftsordnung vorgelegten Be-richten zu Entwicklung und Folgen des Tourismus. DerAusschuss für Tourismus empfiehlt in Kenntnis der Be-richte auf Drucksachen 13/9446 und 14/1100, eine Ent-schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluss-empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sichder Stimme? – Gegen die Stimmen von FDP undCDU/CSU ist die Beschlussempfehlung angenommenworden.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufDrucksache 14/7066 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist dasso beschlossen.Ich rufe auf die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 c sowiedie Zusatzpunkte 4 und 5:
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Wolfgang Dehnel21017
8. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten BirgitHomburger, Marita Sehn, Ulrike Flach, weitererAbgeordneter und der Fraktion der FDPKioto-Mechanismen für die internationaleKlimapolitik Deutschlands nutzen– Drucksache 14/7073 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
RechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionb) Beratung des Antrags der Abgeordneten BirgitHomburger, Marita Sehn, Ulrike Flach, weitererAbgeordneter und der Fraktion der FDPKioto-Mechanismen für die nationale Klima-politik Deutschlands nutzen– Drucksache 14/7156 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
RechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionc) Beratung des Antrags der Abgeordneten BirgitHomburger, Marita Sehn, Ulrike Flach, weitererAbgeordneter und der Fraktion der FDPGesetz zur Ratifizierung des Kioto-Protokollsunverzüglich vorlegen– Drucksache 14/7450 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
RechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieZP 4 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD unddes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENDas Kioto-Protokoll ratifizieren und zum Welt-gipfel 2002 in Johannesburg in Kraft setzen– Drucksache 14/8026 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Auswärtiger AusschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. PeterPaziorek, Dr. Christian Ruck, Cajus Caesar, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSUKioto – Bonn – Marrakesch, ein wichtigerSchritt für die internationale Klimapolitik– Drucksache 14/8028 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Auswärtiger AusschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Das ist dann so be-schlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort derKollegin Monika Ganseforth für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute fünfAnträge zur nationalen und internationalen Klimapolitik.Insbesondere geht es darum, dass unser Parlament seinenBeitrag dazu leistet, dass das Kioto-Protokoll zum Welt-gipfel in Johannesburg im September dieses Jahres inKraft treten wird. Dazu muss es rechtzeitig ratifiziert wer-den. Die Bundesregierung hat den Prozess eingeleitet undwir werden – ich glaube, da kann ich für alle sprechen –diesen Gesetzentwurf der Regierung zügig behandeln, umdas Protokoll noch in Kraft setzen zu können.
– Es wäre schön gewesen, Beifall vom ganzen Haus zu er-halten; denn ich glaube, hierin sind wir uns einig.Es tritt erst in Kraft, wenn es 55 Staaten ratifiziert ha-ben und wenn mindestens 55 Prozent der Emissionen derIndustrieländer durch das Protokoll abgedeckt werden.Ob das gelingt, ist noch nicht sicher. Da muss noch eini-ges getan werden. Ich fordere uns alle auf, bei unserenKontakten mit Abgeordneten der entsprechenden Länder– das sind zum Beispiel Russland, Japan und Kanada –unseren Einfluss in diese Richtung geltend zu machen. Icherwarte aber auch, dass unsere Regierung bei den ent-sprechenden Kontakten versucht, diesen Prozess voran-zubringen.Zehn Jahre sind vergangen, seitdem 1992 in Rio dieStaatschefs der meisten Länder der Welt zusammenkamenund unter anderem die Klimarahmenkonvention ver-handelt und verabschiedet haben. Das Herzstück dieserKonvention ist Art. 2, in dem es heißt, dass die Konzen-tration von Treibhausgasen in derAtmosphäre stabili-siert werden soll. Es ist vereinbart worden, dass die Kon-zentration von treibhauswirksamen Spurengasen nichtweiter ansteigt und ein Niveau nicht überschreitet,
das in jeder Hinsicht keine gravierenden Auswirkungennach sich zieht.Das ist eine sehr anspruchsvolle Forderung, weil wirseit der Industrialisierung starke Steigerungen der Emis-sionen von Treibhausgasen zu verzeichnen haben. Je stär-ker die Emissionen sind, desto mehr langlebige treibhaus-wirksame Gase sammeln sich an. Wenn die Konzentrationkonstant bleiben soll, wenn es also zu keiner weiteren An-reicherung der Treibhausgase kommen soll, dann müssendie Emissionen drastisch reduziert werden, und zwar, wieuns die Wissenschaft sagt, auf etwa 50 Prozent der heuti-gen Emissionen.Die Industrieländer erzeugen ungefähr 80 Prozent derEmissionen, obwohl sie nur 20 Prozent der Bevölkerung
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Vizepräsidentin Anke Fuchs21018
stellen. Daher muss der Umfang der von uns erzeugtenTreibhausgase deutlich mehr reduziert werden, und zwarmöglichst schnell.
Das sind die Aussagen der Wissenschaft.Ich will nicht verhehlen, dass es Wissenschaftler gibt,die das anders sehen.
Es ist ganz normal, dass einige wenige abweichende Po-sitionen vertreten. Unser Planet befindet sich im Grundein einem Experiment. Wenn wir abwarten, bis wir sehen,wie es in 50 oder in 100 Jahren wird, dann müssten wirwomöglich erkennen, dass es zu spät ist. Das ist unver-antwortlich.
Es hat ungefähr zwei Jahre gedauert, bis die Klimarah-menkonvention in Kraft getreten ist. Es ging darum, sie inProtokolle umzusetzen. Jetzt, zehn Jahre später, liegt unsdas erste Protokoll vor. Dem ging ein mühsamer Prozessvoraus. Die Stationen auf dem Weg waren Kioto, DenHaag, Bonn und schließlich Marrakesch. Nun liegt dasProtokoll vor, mit dem die Ausfüllung dieses Prozessesbegonnen wird. Der Inhalt des Protokolls besagt bis jetztnur, dass die Emissionen konstant gehalten werden sollen.Wir sind also zu den drastischen Reduktionen, die nötigsind, noch gar nicht gekommen. Es ist nur ein ersterSchritt.Wenn wir wirklich das erreichen wollen, was nötig ist,dann müssen wir uns darüber klar sein, dass es grundle-gender Änderungen bedarf, die noch ausstehen. Das be-trifft die Grundlagen unseres Wirtschaftens und unse-rer Lebensweise. Um diese Ziele zu erreichen, müssenwir – geringe Mehrheiten reichen nicht aus – gemeinsamvorgehen. Ich appelliere an das ganze Haus, sich diesemProzess nicht zu verweigern.
In diesem Zusammenhang begrüße ich es, dass der An-trag der CDU/CSU wieder die Gemeinsamkeit in den Vor-dergrund stellt, die wir lange Zeit im Hinblick auf die Kli-mafrage gehabt haben. Als wir noch in der Oppositionwaren, war diese Gemeinsamkeit eigentlich eine Tradi-tion. Der Antrag ist erfreulich sachlich. Er hebt sich wohl-tuend von vielem ab, was wir in der Vergangenheit vonder CDU/CSU und von der FDP zur Energiepolitik undzur Klimapolitik gehört haben. Er ist nicht, wie üblich,mit spitzfindigen Beweisführungen und dem müßigenVersuch, uns Widersprüche in unserer Politik nachzuwei-sen, gespickt. Dieser Antrag enthält keine aus dem Zu-sammenhang gerissenen Zitate und keine Zitate aus pri-vaten Gesprächen oder nicht öffentlichen Sitzungen,keine Halbwahrheiten, keine Behauptungen, keine Unter-stellungen und kein Zitieren von abwesenden Kronzeu-gen, die sich nicht wehren können. Dergleichen waren wirnämlich in der Vergangenheit gewohnt.
– Nicht nur Herr Grill ist Hardliner. Bei der FDP ist dasähnlich: Neulich enthielt ein Antrag sogar Zitate aus ei-nem Obleutegespräch. – Dieser Antrag ist wirklich von ei-nem anderen Geist getragen als das, was wir in der letztenZeit gehört haben.Ich will einige Sätze aus dem Antrag zitieren, die ichwirklich wichtig finde und auf die wir uns einigen sollten:Die Welt hat keine Zeit mehr abzuwarten, bis dieletzte Gewissheit über das Ausmaß des Klimawan-dels besteht. Sie muss aus Gründen der Vorsorge un-verzüglich handeln. Je früher wir handeln, umso wir-kungsvoller beugen wir den Gefahren sozialer undwirtschaftlicher Verwerfungen vor.So ist es. Wenn diese Aussage Grundlage unserer ge-meinsamen Bemühungen zur Klimapolitik oder zur nach-haltigen Energiepolitik wäre, zum Beispiel in der Energie-Enquete-Kommission, dann wäre viel gewonnen. Wirbräuchten uns dann nur noch über die Instrumente, überden richtigen Weg zu streiten. Wir müssten in einen Wett-bewerb eintreten, wer das konsistente Energiekonzept hat,und nicht mehr immer nur hören, was wir alles falsch ma-chen. Vielmehr würden wir auch einmal von Ihnen hören,was Sie machen wollen, um diesem Ziel gerecht zu wer-den.
Richtig ist: Klimaschutz wird nur erfolgreich sein,wenn die wichtigsten Industrieländer, auch die USA, mit-machen. Er wird nur Erfolg haben, wenn auch die Ent-wicklungs- und Schwellenländer dabei sind. Dabei darf esnicht zu einer nachholenden Entwicklung kommen. DieIndustrieländer dürfen nicht ihre Fehlentwicklungen undihre nicht nachhaltige Lebensweise auf die Entwick-lungsländer übertragen. Vielmehr bedarf es neuer Struk-turen.Kernstück dieser Strukturen ist ein effizienter Umgangmit Energie.Wir nutzen Energie heute weltweit so, dass90 Prozent der eingesetzten Primärenergie verloren gehenund nur 10 Prozent für die Nutzung zur Verfügung stehen.Diese drastische Energieverschwendung muss beendetwerden und darf nicht noch auf die Entwicklungsländerübertragen werden.
Der zweite Punkt neben der Effizienz – wir behandelnmorgen das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz, das in dieseRichtung weist – sind die erneuerbaren Energien.Auchda muss weltweit der Durchbruch zu Solarenergie und an-deren erneuerbaren Energien geschafft werden. Wenn wirmit Vertretern von Entwicklungsländern sprechen, istwichtig, dass wir dies selber vormachen, dass wir zeigen,dass das geht, dass wir zeigen, dass sich das rechnet, und
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Monika Ganseforth21019
dass wir mit gutem Beispiel vorangehen. Es wäre schön,wenn man auch da gemeinsam an einem Strang ziehenwürde.
Erfreulich ist, dass im Kioto-Protokoll der Bau vonAtomkraftwerken als Klimaschutzmechanismus aus-drücklich ausgeschlossen worden ist. Auch das entsprichtder deutschen Atomausstiegspolitik unserer rot-grünenRegierung.Die Entwicklungsländer benötigen für ihren Weg zurNachhaltigkeit unsere Unterstützung im Know-how undsie benötigen Geld. Wir begrüßen daher, dass das Kioto-Protokoll eine 20-köpfige Expertengruppe zum Techno-logietransfer vorsieht. Wir begrüßen, dass es Gelder vonder EU, Norwegen, Neuseeland, der Schweiz, Israel undKanada gibt, die in einen Fonds fließen, der im Rahmender Umweltfazilität neu eingerichtet und verwaltet wird.Auch Deutschland hat Finanzbeiträge für Aktionspro-gramme zugesagt.In unserem Antrag, der heute vorliegt, fordern wir dieBundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass auchdie USA, die das Kioto-Protokoll ja nicht mittragen, aberauch Japan und Australien ausreichende Beiträge zur Un-terstützung der Entwicklungsländer in Richtung Klima-politik leisten.Das Kioto-Protokoll ist also ein erster Schritt auf demWeg zu einer nachhaltigen Entwicklung. Wir müssen wei-ter eine treibende Kraft in der Klimapolitik sein und un-sere Aussagen und Zusagen national und internationalglaubwürdig umsetzen.Deutschland hat sich vor zehn Jahren in Rio und inBerlin auf der ersten Konferenz nach Rio öffentlich ver-pflichtet – das war noch der Kanzler aus Ihren Reihen,Helmut Kohl –, die CO2-Emissionen als ersten Schritt biszum Jahr 2005 um 25 Prozent, bezogen auf 1990, zu re-duzieren. Nach dem Kioto-Protokoll und den EU-Lasten-verteilungen müssen wir bis zum Jahr 2008 bzw. 2012 dieEmission der fünf Treibhausgase um 21 Prozent, bezogenauf 1990, reduzieren. Tun wir alles, um diese Verpflich-tungen glaubwürdig umzusetzen!Schönen Dank.
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Peter Paziorek.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! Frau Ganseforth, ich stimmeIhnen ausdrücklich zu, dass es eine Aufgabe der deut-schen Umweltpolitik und der deutschen Politik an sich ist,eine gemeinsame Haltung dieses Hauses zum internatio-nalen Klimaschutz zu erarbeiten und gemeinsam bei deninternationalen Verhandlungen dafür zu sorgen, dass wirdieses Ziel auch tatsächlich erreichen.
Auch wir sehen die Verhandlungsergebnisse der7. Weltklimakonferenz in Marrakesch als einen wichtigenSchritt in der internationalen Klimapolitik an. Dass nunauch die völkerrechtlichen Voraussetzungen für eine welt-weite Reduktion der Treibhausgase geschaffen, verbindli-che Zielvorgaben entwickelt und nun endlich Vereinbarun-gen zu flexibleren Umsetzungsinstrumenten getroffenworden sind, ist begrüßenswert und ein Erfolg. Wir stimmenIhnen auch zu, dass man letztlich nur von einem entschei-denden Durchbruch sprechen kann, wenn wichtige Indus-triestaaten wie zum Beispiel die USA nicht abseits stehen,sondern bei der internationalen Klimapolitik mitmachen.Alle diese Verhandlungsfortschritte auf internationalerEbene, die wir ausdrücklich konzedieren, dürfen abernicht von der Frage ablenken, wie es hier in Deutschlandum den nationalen Klimaschutz steht. Das ist eine ganzentscheidende Frage.
Es ist kein Geheimnis: Die CO2-Emissionen in Deutsch-land sind in den letzten Monaten wieder angestiegen, dieKlimaschutzpolitik in Deutschland stagniert, nach dreiJahren steht die rot-grüne Regierung beim Klimaschutzvor dem Offenbarungseid. Was ist dabei der zentrale po-litische Vorwurf? Der Bundesregierung ist der Vorwurf zumachen, dass es ihr an einer umfassenden und in sich ab-gestimmten Strategie fehlt, um das eine Ziel, im Jahre2005 25 Prozent CO2-Emissionen weniger als 1990 zu ha-ben, zu erreichen. Erst recht ist bezogen auf das Jahr 2012der Vorwurf zu machen, dass es an einer zum Beispiel mitwichtigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Akteu-ren abgestimmten Langfriststrategie fehlt.
Es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, dass aus poli-tischen Gründen mal an der einen Stelle das eine Instrumentherausgestellt wird, mal an der anderen Stelle ein anderes.Im Ergebnis kann man sagen: Wir haben keine in sich ab-gestimmte Klimaschutzpolitik, sondern leider nur einenKlimaschutz-Flickenteppich. Das ist eine traurige Bilanz.
Sie wollen – im Grundsatz stimme ich Ihnen da zu –die Erderwärmung bekämpfen, doch in den letzten Jahrenhaben Sie in der Umweltpolitik nur heiße Luft produziert.
Nach der Flut guter Initiativen unter Töpfer und Merkelnun in den letzten Monaten die klimapolitische Ebbe un-ter Trittin – das ist leider keine positive Gezeitenwende inder Umweltpolitik.
Die von der rot-grünen Bundesregierung eingeführteÖkosteuer hat den Anstieg der CO2-Emissionen inDeutschland nicht verhindern können. Von einer ökologi-schen Steuerungswirkung kann man bei der CO2-Steuersomit nicht sprechen, weil man davon nicht viel merkt.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Monika Ganseforth21020
Angesichts der Arbeitslosenzahlen ist auch zu sagen, dassSie das Versprechen der so genannten doppelten Divi-dende, dass sich also auch auf dem Arbeitsmarkt etwastut, nicht haben einhalten können.
Sie haben ja selbst in der Antwort auf eine Kleine An-frage, Drucksache 14/5002, Mitte Dezember zugegeben,dass es zurzeit noch keine belastbare Quantifizierung derAuswirkungen der Ökosteuer auf die Beschäftigung gibt.
Das haben Sie also selbst zugestanden. Sie haben in derAntwort zwar gesagt, es gebe Modellrechnungen von ei-nigen Wirtschaftsinstituten, nach denen es zu einer Ver-besserung auf dem Arbeitsmarkt gekommen sei, aber Siehaben ausdrücklich in dieser Drucksache – das könnenSie, Kollege Müller, nachlesen;
ich habe sie nämlich dabei – gesagt, dass es keine belast-bare positive Bilanz der Auswirkungen der Ökosteuer aufden Arbeitsmarkt gibt. Dafür sprechen ja auch die Zahlen,die nun in einigen Tagen veröffentlicht werden.
Natürlich ist der Energieverbrauch in einigen Teilbe-reichen gesunken,
aber das geht sicherlich auf den immer stärkeren Einsatzvon effizienteren Technologien in Deutschland zurück.
Da, wo der technische Standard schon hoch ist, wirkt IhreCO2-Steuer wie eine reine Abschöpfungssteuer. Damitkann man sagen: Bis heute ist der Nachweis nicht er-bracht, dass Reduktionserfolge aufgrund gerade dieserÖkosteuer erzielt worden seien.Der von der rot-grünen Koalition beschlossene Aus-stieg aus der Kernenergie stellt die Klimapolitik weiter-hin vor beträchtliche Herausforderungen. Sie müssen jetztnicht nur, wie zugesagt, den allgemeinen CO2-Ausstoßreduzieren, sondern auch noch den Anteil des Stroms ausder Kernenergie ersetzen. Wir sind einmal gespannt, wieIhr Konzept wirklich aussieht. Wir wissen ja, wie um-stritten das in Ihrer Regierung ist; der Wirtschaftsministersieht das vielleicht anders als der Umweltminister.Zusammengefasst: Überzeugende, belastbare, in sichabgestimmte Konzepte für eine Energiepolitik, mit derCO2 eingespart werden kann, haben Sie nicht vorgelegt.
Da gibt es auch einen Konflikt zwischen den verschiede-nen Ministerien. Herr Müller, Sie selbst haben ja denWirtschaftsminister – er ist zwar nicht Ihr Parteifreund –abgewatscht und haben gesagt, er habe davon keine Ah-nung. Das sind doch hervorragende Belege dafür, HerrMüller, dass Sie keine in sich abgestimmte Energiepolitikim Sinne des Klimaschutzes haben.
Was Ihnen hervorragend gelungen ist: Sie haben sichüber Monate hinweg hinter dem Verhandlungsmarathonder Rio-Folgekonferenzen versteckt. Das war in der Tatsehr medienwirksam. In der Zeit haben Sie für einen kon-kreten Klimaschutz in Deutschland aber nichts geleistet.Das ist eine traurige Bilanz.
Wo müssen wir jetzt also ansetzen? Das haben Sie,Frau Ganseforth, mich zweimal in Zwischenrufen ge-fragt. Das Entscheidende ist jetzt – da stimme ich Ihnenzu –, dass wir zügig darangehen müssen, die Vereinba-rungen von Kioto zu ratifizieren. Dazu sind wir bereit.Wir werden alles dafür tun – mit Ihnen gemeinsam, dastimme ich Ihnen zu –, dass dieser Ratifizierungsprozesshier im Hause schnell über die Bühne geht. Diese Zusagekönnen Sie haben.Jetzt kommt es aber darauf an, dass wir die Mechanis-men, die in dem Papier von Kioto festgelegt wurden, auchtatsächlich umsetzen und ein Konzept entwickeln, um mitdiesen Kioto-Mechanismen eine sinnvolle nationaleKlimaschutzstrategie in Deutschland zu betreiben. Mitanderen Worten: Es wird nicht, Frau Ganseforth, daraufankommen, dass wir hier nur ratifizieren. Jetzt muss dieBundesregierung ein wirklich belastbares Konzept vorle-gen, wie die Ergebnisse aus Marrakesch und Kioto tat-sächlich umgesetzt werden können.
Ich bin einmal gespannt, was Sie da vorlegen. Wennman bedenkt, was wir im Augenblick sehen, dann mussman große Zweifel haben, ob die Bundesregierung etwasBrauchbares vorlegen wird. Sie haben nämlich über Jahrehinweg die flexiblen Mechanismen bekämpft; das mussman einmal klar und deutlich sagen. Als Frau Merkel hierim Hause über diese flexiblen Mechanismen vorgetragenhat, hat man ihr klar und deutlich gesagt: Das ist eineVerlagerung der Klimaschutzpolitik in die Schwellenlän-der und in die so genannte Dritte Welt. Wir müssen dasganz anders machen. Der CO2-Ausstoß muss hier inDeutschland um 50 Prozent reduziert werden.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Dr. Peter Paziorek21021
Jetzt sind in Marrakesch genau die flexiblen Instru-mente umgesetzt worden, die von Frau Merkel früher vor-geschlagen worden sind.
Früher haben Sie das bekämpft, heute sind das die großenErfolge. Jetzt muss man sagen: Wir brauchen eine Klima-schutzstrategie, die genau darauf aufbaut. Jetzt brauchenwir einen Weg, der das tatsächlich bringt. Wir haben großeZweifel, ob Sie das überhaupt wollen. Bis jetzt haben wirüberzeugende Ansätze einer solchen Strategie von Ihnennoch nicht gehört. Die Bundesregierung muss in dieserFrage springen, wenn sie nicht die deutsche Wirtschaft beieiner solchen CO2-Minderungsstrategie übermäßig finan-ziell belasten will.Das bedeutet also: Wir brauchen jetzt ein Instrument,das Klimaschutzprojekte in den Schwellenländern Asi-ens und Lateinamerikas ermöglicht. Die Niederländer ha-ben uns das in den letzten Jahren gezeigt.
Sie sind schon lange dabei. Sie lassen sich das sogar zer-tifizieren, lieber Kollege Loske. Sie wissen auch, weshalbsie sich das zertifizieren lassen: weil sie das nämlich be-stimmt auf EU-Ebene angerechnet haben wollen. Die sindeinfach schon ein Stückchen weiter bei der Umsetzungvon Kioto-Mechanismen. Während wir in Deutschlandnoch darüber diskutieren, haben andere Staaten schonganz entscheidende Schritte gemacht.Deshalb brauchen wir ein Konzept, das Technologie-transfer, Entwicklungspolitik und Entwicklungshilfe-maßnahmen in die so genannten Schwellenländer undEntwicklungsländer, in die Regionen Indiens und Chinassowie in andere Regionen Asiens trägt; denn die Klima-schutzpolitik ist ein globales Problem. Wir werden esnicht nur in Deutschland lösen können. Jede Strategiemuss so ausgestaltet sein, dass eine nationale Klima-schutzpolitik durch Technologietransfer mit der interna-tionalen Klimaschutzpolitik verbunden wird. Das kannjetzt ermöglicht werden. Jetzt müssen die Konzepte aufden Tisch. Sie haben in den letzten Monaten an einer sol-chen Politik nicht gearbeitet. Diesen Vorwurf muss manIhnen deutlich machen.
Ich glaube schon, dass in einer solchen Klimapolitikwesentliche Effizienzpotenziale liegen. Es muss deshalbzu einer geschickten Verknüpfung von Kapital aus Indus-trieländern und den flexiblen Instrumenten kommen. Dasmuss ausgenutzt werden. Eine solche Kombination vonKlimaschutzpolitik, Entwicklungszusammenarbeit undPrivatinvestitionen birgt die Chance, die globalen He-rausforderungen des Klimawandels auch durch einen ver-stärkten Technologietransfer zu bewältigen. Das ist ausunserer Sicht der beste Klimaschutz. Das hilft Deutsch-land. Das hilft sicherlich auch unserer Wirtschaft. Dashilft insgesamt aber auch dem internationalen Klima-schutz.Wenn Sie sehen, welcher Energiehunger gerade auchin den Entwicklungsstaaten befriedigt werden muss, dannist es wichtig, dass wir eine solche Politik betreiben unddie nationale Klimaschutzpolitik mit einer internationalenPolitik verbinden.Wir stellen deshalb positiv fest, dass die deutsche Wirt-schaft bereits beachtliche Reduktionsleistungen erbrachtund damit nicht unwesentlich dazu beigetragen hat, dassDeutschland sich als Spitzenreiter im Klimaschutz eta-blieren konnte. Das wollten wir, das haben wir immer be-grüßt. Aber die deutschen Leistungen auf dem weiterenWeg, den wir auch wollen, dürfen nicht zu einer Selbst-überschätzung führen. Es muss sinnvoll auf eine gute Ab-stimmung mit der Entwicklungspolitik und mit der Tech-nologietransferpolitik geachtet werden.Welche Konsequenzen sind aus einer solchen Sicht-weise für die internationale Klimaschutzpolitik zuziehen? Wir müssen jetzt in eine intensive In-strumentendiskussion einsteigen, aber dabei auch kritischmit den Vorgaben aus Brüssel umgehen. Das gilt zu Rechtauch für den Richtlinienentwurf zum Emissionshandel,der jetzt aus Brüssel vorgelegt worden ist. Wir sagen ganzdeutlich: Der Handel mit Emissionsrechten ist ein theore-tisch überzeugendes Konzept, aber wie immer in der Po-litik steckt der Teufel im Detail. Die deutsche Industriesteht aufgrund vieler Bedenken dem Zertifikatehandel jaauch skeptisch gegenüber.
– Gut, ein Teil. – Deshalb stellen sich bei allen grundsätz-lichen Sympathien für den Handel mit Emissionsrechtenaus unserer Sicht drei Fragen:Erstens. Wie will die Europäische Union ein Zutei-lungssystem für Emissionsrechte schaffen, das unzumut-bare Wettbewerbsverzerrungen zwischen den betroffenenUnternehmen und den Mitgliedstaaten vermeidet? Hierdenke ich zum Beispiel an die Anrechnung deutscher Vor-leistungen.Zweitens. Wie stellt die EU sicher, dass in den Emissi-onshandel einbezogene Bereiche im Vergleich zu anderenBereichen – deshalb haben wir beim BDI auch die unter-schiedlichen Positionen – nicht übermäßig belastet wer-den?Drittens. Wie will die EU das Verhältnis zu anderenumweltpolitischen Instrumenten wie zum Beispiel zumOrdnungsrecht und – für Deutschland eine ganz wichtigeFrage – zu den freiwilligen Selbstverpflichtungen regeln?Diese Fragen können letztlich nur durch eine Pilot-phase beantwortet werden. Wir wollen, dass diese Pilot-phase möglichst schnell kommt und breit angelegt ist. Essoll nicht nur in irgendwelchen Arbeitskreisen bei derBundesregierung darüber diskutiert werden, sondern siesoll unter öffentlicher Kontrolle stattfinden. Wir begrüßendiese Pilotphase und sagen: In dem Bereich des Emissi-onshandels muss schnell gearbeitet werden; denn wir dür-fen nicht noch mehr Zeit verlieren. Lassen Sie uns bei un-seren Partnern in der Welt für eine schnelle Ratifizierung desKioto-Protokolls eintreten und sorgen wir dafür, dass dieumweltpolitisch sinnvollen und ökonomisch verträglichen
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Dr. Peter Paziorek21022
Voraussetzungen für den Einsatz flexibler Instrumente auchhier in Deutschland schnellstmöglich vorliegen.
Ich erteile das Wortdem Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reak-torsicherheit, Herrn Jürgen Trittin.Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! In der Tat, wir haben es hier mit ei-nem, was internationale Klimapolitik angeht, sehr weitgehenden Konsens zu tun. Gerade dieser Konsens unter-scheidet uns, Gott sei Dank, von anderen Ländern. Ichhoffe, dass wir auf diese Weise auch im Wettbewerb derRatifizierung nicht ganz schlecht dastehen und das schaf-fen, was wir gemeinsam wollen, nämlich das Kioto-Pro-tokoll, das Abkommen, das zum ersten Mal den Ausstoßvon CO2 absolut verbindlich begrenzt, so zu ratifizieren,dass es möglichst zum Weltgipfel für nachhaltige Ent-wicklung in Johannesburg in Kraft treten kann.Wie Herr Paziorek zu Recht bemerkt hat, ist natürlichder Weg bis zur Umsetzung im Lande an manchen Stellendurchaus umstritten. Sie werden mir nachsehen, dass icheine etwas andere Sicht der Dinge auf die nationale Kli-mapolitik habe als Sie. Ich behaupte: Nur Rot-Grün warin der Lage, die im Konsens gefundenen Zielvorstellun-gen endlich mit konkreten Maßnahmen zu unterlegen.Erst unter Rot-Grün hat es ein konkretes, spezifiziertesund auf die einzelnen Sektoren bezogenes Klimaschutz-programm gegeben.
Gucken wir uns einmal an, was in diesem Klima-schutzprogramm steht und wie sich beispielsweise derFreistaat Bayern zu diesen konkreten klimaschutzpoli-tischen Maßnahmen verhalten hat. Ökosteuer – Bayerndagegen. Erneuerbare-Energien-Gesetz – Bayern dage-gen. Biomasseverordnung – Bayern dagegen. Bayern istaußerdem unter allen Binnenländern Schlusslicht bei derWindenergie.
Es gibt kein Land, das in diesem Bereich so schlecht da-steht wie Bayern.
– Entschuldigen Sie, ich habe Bayern nicht mit Schles-wig-Holstein verglichen, sondern mit Binnenländern wieBaden-Württemberg, Hessen oder auch Nordrhein-West-falen. Sie können mir nicht erzählen, dass die Windver-hältnisse in der Oberpfalz schlechter sind als im Sauer-land.
Es scheint so zu sein, dass die Herausforderungen desKlimaschutzes zwar von der Münchener Rück, einergroßen Versicherungsgesellschaft, verstanden wordensind, aber offensichtlich noch nicht von dem MünchenerKandidaten für ein höheres Amt.
Das Versagen in der nationalen Klimaschutzpolitik hatRückwirkungen auf das internationale Ansehen. GlaubenSie denn im Ernst, mit einer Regierung, die darauf ver-zichtet hätte, die LKW-Maut einzuführen und das großeProgramm zur Förderung erneuerbarer Energien auf denWeg zu bringen, mit einer Regierung, die zu Hause keinumwelt- und klimapolitisches Profil erworben hätte, hät-ten Sie die Kraft gehabt, in Verhandlungen mit der Euro-päischen Union und dann mit den Entwicklungsländerndiesen Erfolg zu erreichen? Das glaube ich nicht. Ichglaube vielmehr: Nur wer zu Hause seine Aufgaben erle-digt, der kann auch international etwas bewegen. Deswe-gen ist es gut, dass wir das machen.
Innerhalb des Kioto-Abkommens hat sich die Bundes-regierung verpflichtet, den Ausstoß der sechs Treib-hausgase bis zum Jahre 2010 um 21 Prozent zu reduzie-ren. Von diesem Ziel – Sie wollen an dieser Stelle noch umInstrumente streiten, werter Kollege Paziorek – trennenuns noch 2,3 Prozentpunkte. Zwei Drittel der Emissions-reduktionen innerhalb der EU, ja der industrialisiertenWelt sind in der Bundesrepublik Deutschland erbrachtworden.Wenn Sie unsere netten Nachbarn aus den Niederlan-den als Vorbild anpreisen,
dann muss ich trotz aller nachbarschaftlichen Freund-schaft sagen: Die Niederlande haben sich zu Reduktionennicht von 21 Prozent, sondern von 6 Prozent verpflichtet.
Sie müssen aber in Wirklichkeit 16 Prozent Reduktion er-bringen, weil sie nicht wie wir Reduktionen, sondern ei-nen massiven Anstieg der CO2-Emissionen zu verzeich-nen haben.
Da lasse ich mir ungern predigen, dass die Verhältnissebeim Nachbarn besser seien, werter Herr KollegePaziorek.Obwohl wir der Auffassung sind, dass wir das Klima-schutzziel ohne Nutzung der flexiblen Mechanismen sehrgut erreichen können – das ist möglich –, wollen wir auchdiese Instrumente nutzen. Wir wollen beispielsweiseeinen frühen Beginn von CDM. Das war eine unserer Ver-handlungslinien. Im Clean Development Mechanism
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Dr. Peter Paziorek21023
stecken nämlich Potenziale gerade für die Entwicklungs-länder in Bezug auf den Technologietransfer. Auch wennwir der Auffassung sind, dass wir unsere Selbstverpflich-tung erfolgreich erfüllen können, wollen wir dennoch ei-nen frühen Start des Emissionshandels.Wir wollen diesnicht nur aus umweltpolitischen Gründen.In einem Punkt stimme ich Ihnen übrigens zu. Es kannnur eine Emissionshandelsrichtlinie geben, in der dieLeistungen, die die Bundesrepublik Deutschland erbrachthat, auch berücksichtigt werden. In diesem Punkt bestehtzwischen uns Konsens. In dieser Frage müssen Sie michnicht katholisch machen.Warum wollen wir das? Wir wollen das nicht nur, weiles für die Umwelt gut ist. Jede Tonne CO2, die wir überdie 21 Prozent Reduktion hinaus sparen werden, ist bei ei-nem EU-weiten Emissionshandelssystem für uns auchökonomisch ein Vorteil.
Deswegen stimmt die Gleichung, die gelegentlich aufge-macht wird, auch nicht, die da lautet: Klimaschutz wirdnur unter Kostenaspekten betrachtet. Wo kommen denndie Gasturbinen her, mit denen zurzeit die neuen Kraft-werke in Kalifornien bestückt werden? Sie kommen ausder Bundesrepublik, weil man in Kalifornien weiß, dass„Made in Germany“ ein Synonym für Effizienz gerade indiesem Bereich ist.Deswegen hatte Frau Merkel auch Recht, als sie dasGutachten in Auftrag gegeben hat, mit dem einmal unter-sucht werden sollte, was eigentlich passiert, wenn wir bis2020 40 Prozent CO2 einsparen. Was bedeutet das für dieArbeitsplätze hier? Eine Bedingung, die hinzukam undfür die ich verantwortlich bin, machte das noch schwerer,nämlich der Atomausstieg. Das Ergebnis ist, dass hiernetto 200 000 neue Arbeitsplätze entstehen würden.Deswegen glaube ich, dass wir alle gut daran täten, denbei der internationalen Klimaschutzpolitik bestehendenKonsens auch bei der nationalen Klimaschutzpolitik zupflegen. Ich glaube, in manchen Punkten sind wir auchgar nicht so weit auseinander, wie das in solchen Debat-ten notwendigerweise von der Opposition unterstrichenwerden muss.In einem Punkt sollten wir auch gegenüber den Bürge-rinnen und Bürgern dieses Landes keinen Zweifel lassen:Immer mehr Menschen leiden unter den inzwischen ein-getretenen Folgen des mangelnden Klimaschutzes. Wirhaben heute mehr Umweltflüchtlinge als Kriegsflücht-linge auf diesem Globus. Deswegen ist Klimaschutz nichtnur eine Frage der Ökologie. Klimaschutz ist eine Frageglobaler Gerechtigkeit. Wenn wir den international beste-henden Konsens auch national hinbekommen würden,würden wir dieser globalen Herausforderung gemeinsamgerecht werden.Ich danke Ihnen.
Ich erteile der Kolle-
gin Birgit Homburger für die FDP-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Anlass für diese Debatte wa-ren zunächst zwei Anträge der FDP-Bundestagsfraktion.Es sind weitere Anträge dazugekommen, weil man wahr-scheinlich in diesem Hause, insbesondere vonseiten derKoalitionsfraktionen, nicht zulassen wollte, dass man hierüber die Initiativen der FDP allein diskutiert.
Das hat Ihnen wahrscheinlich nicht gepasst. Aber daszeigt ganz deutlich, wer hier beizeiten in der Klima-schutzpolitik die Initiative ergriffen hat: Das waren näm-lich wir.
Damit Sie mir nicht gleich wieder etwas unterstellen,möchte ich vorneweg ganz deutlich sagen, worüber zwi-schen allen Parteien dieses Hauses – auch mit uns – Kon-sens besteht, nämlich dass wir an dem nationalen Kli-maschutzziel der Reduktion des CO2-Ausstoßes um25 Prozent bis zum Jahre 2005 gegenüber 1990 festhalten.Dies möchte ich vor meiner eigentlichen Rede klarstellen.Im Vordergrund steht für uns das Ziel, die weltweitenTreibhausgasemissionen zu verringern.
Aus diesem und keinem anderen Grund engagieren wiruns seit Jahren für den internationalen Zertifikate-handel,wie er im Kioto-Protokoll vorgesehen und jetzt inden Vereinbarungen von Marrakesch bestätigt worden ist.Diese wollen wir in der Bundesrepublik Deutschland um-setzen. Wir hätten dazu längst Initiativen von dieser Bun-desregierung erwartet. Wir als FDP-Bundestagsfraktion– das sehen Sie auch an dem Antrag, den Sie vorliegen ha-ben – haben als erste direkt nach Marrakesch noch einmaldie Ratifizierung des Kioto-Protokolls beantragt.
Es ist erfreulich, dass jetzt auch ein Gesetzentwurf derBundesregierung vorliegt, über den wir aber nicht heuteAbend debattieren. Allerdings sollte die Bundesregierungschon die Positionen klären, denn an dem selben Tag, andem die Bundesregierung diesen Entwurf im Kabinett be-schlossen hat, hat Wirtschaftsminister Müller erklärt, ersei gegen einen Zertifikatehandel.
Entweder hat der Mann nicht verstanden, dass die Ratifizie-rung des Kioto-Protokolls einen Zertifikatehandel bedeutet,oder die Bundesregierung ist sich in diesem Punkt schlichtnach wie vor nicht einig. Ich finde, das sollte man klären.
Im Interesse des internationalen Klimaschutzes be-grüßt die FDP allerdings den vorgelegten Gesetzentwurf
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Bundesminister Jürgen Trittin21024
der Bundesregierung, den wir demnächst sicherlich de-battieren können, und sieht ihn als Chance, den trittin-schen Stillstand in der Klimaschutzpolitik zu überwinden.
Herr Trittin, Sie haben zuvor in Ihrer Rede ausgeführt– ich finde das beachtlich –, Sie hätten solche Erfolge ge-habt und vermitteln können, weil Sie zu Hause Ihre Haus-aufgaben gemacht hätten. Zudem sei die geplante Emis-sionsreduktion zu zwei Dritteln in Deutschland erfolgt.Sagen Sie doch bitte dazu, dass ein Großteil der inDeutschland realisierten Emissionsreduktionen, die Siefür sich in Anspruch nehmen, dadurch erfolgt ist, dass dieWirtschaft schon zu Zeiten einer anderen Regierunggroße Anstrengungen hinsichtlich der Emissionsreduktio-nen unternommen hat, als Sie noch gar nicht daran den-ken konnten, Umweltminister zu werden.
Nun sagen Sie, wir könnten die Ziele auch ohne einenEmissionshandel erreichen. Das ist ja prima. Wir wollenaber weiterkommen und das Ziel nicht nur erreichen, son-dern darüber hinaus auch die Chancen, die in diesen in-ternationalen modernen Instrumenten liegen, auch zurKostenreduktion nutzen. Wieso wollen Sie der deutschenWirtschaft denn die Chance nicht geben? Führen Sie dasdoch einmal aus!
– Ja natürlich, er sagt, er wolle Kioto ratifizieren. Ermacht aber keinen Vorschlag, wie er den Emissionshandelin Deutschland einführen will.Hier muss ich deutlich sagen: Es hätte zwei Effekte.Der erste Effekt wäre, dass zukünftig an den Stellen inves-tiert wird, an denen es in jeder Hinsicht am günstigstenund sinnvollsten – also ökologisch wirksam und ökono-misch effizient – ist. Zweitens sollten wir in Deutschland– das haben Sie selber gesagt – das zulassen, was gemäßden Art. 6 und 12 des Kioto-Protokolls möglich ist, näm-lich an anderen Stellen der Erde Investitionen zu tätigenund die daraus resultierenden CO2-Reduktionen auf un-sere Verpflichtungen in Deutschland anzurechnen.
Wir sagen Ihnen noch einmal sehr deutlich: Es ist demWeltklima völlig egal, an welcher Stelle der Erde eineTonne CO2 reduziert wird. Deswegen sollten wir dafürsorgen, dass pro eingesetztem Euro so viel CO2 reduziertwird wie nur irgend möglich.
Sie sagen jetzt, Sie hätten sich auf der Klimakonferenzdafür eingesetzt, dass der CDM hier in Deutschland über-haupt genutzt werden kann.
Seit Ende des Jahres 2000 gibt es bereits die Möglichkeit,diesen Mechanismus zu nutzen.
Herr Trittin, ich frage Sie: Warum lassen Sie es inDeutschland nicht zu? Warum schaffen Sie nicht die Rah-menbedingungen in Form eines so genannten Memoran-dum of Understanding oder in Form von bilateralen Ver-einbarungen, die für die Unternehmen, die es tun wollen,notwendig sind? Warum machen Sie das nicht? Warumverzögern Sie das?
– Frau Ganseforth, nein, dazu muss man das Protokollnicht in Kraft setzen. Lesen Sie das Kioto-Protokoll ein-mal durch. Es ist eben schon Realität; andere Länder nut-zen das schon,
weil das Protokoll diese Möglichkeiten bereits zulässt. Ichhabe zusammen mit dem Land Georgien auf der Klima-konferenz in Bonn dazu eine Initiative gestartet, die imÜbrigen in der entsprechenden Arbeitsgruppe dort eineMehrheit gefunden hat.
Deswegen ist es dringend notwendig, dass wir inDeutschland vorankommen. Dieser Zertifikatehandel bie-tet gerade auch im Bereich der Entwicklungszusam-menarbeit eine Chance, weil er den Entwicklungs- undTransformationsländern die Möglichkeit gibt, aktiv und ineigener Verantwortung am Welthandel teilzunehmen,gleichzeitig substanzielle Beiträge zum Klimaschutz zuleisten und ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern.Deshalb fordern wir Sie auf: Bringen Sie endlich nichtnur den Ratifizierungsgesetzentwurf, sondern auch einenVorschlag ein, wie Sie die Selbstverpflichtung der deut-schen Wirtschaft mit diesen modernen internationalen In-strumenten verknüpfen wollen. Das wäre auch eineChance für die Selbstverpflichtung der Wirtschaft bezüg-lich der Emissionsreduzierung. Hier versagen Sie bereitswährend Ihrer gesamten Regierungszeit.
Seit über einem Jahr gibt es eine Arbeitsgruppe. Sie hatbis heute keinen einzigen Vorschlag vorgelegt, obwohlSie schon für Ende letzten Jahres einen solchen angekün-digt hatten. Auch vor Weihnachten hatten Sie dies in der
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Birgit Homburger21025
Beantwortung einer Kleinen Anfrage der FDP-Fraktionfür die nächsten Wochen angekündigt.
Ich habe mir heute Nachmittag noch einmal die Home-page des BMU angeschaut, um sicherzustellen, dass ichwirklich auf dem aktuellen Stand bin. Es gibt immer nochkeinen Vorschlag.
International werden längst die Bedingungen für denEmissionshandel festgelegt, und zwar ohne Deutschland.Das bestätigt auch Herr Loske in einem Interview in der„Frankfurter Rundschau“. Insofern kann ich Sie, HerrTrittin, nur so, wie es die FDP schon seit langer Zeit tut,auffordern: Reden Sie nicht nur darüber,
was Sie tun wollen, sondern tun Sie auch endlich einmaldas, was wir von Ihnen erwarten.Vielen Dank.
Nun hat das Wort die
Kollegin Eva Bulling-Schröter für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP möchte denHandel mit Emissionszertifikaten schnellstmöglich inDeutschland, Europa und darüber hinaus einführen. Daswurde hier sehr imposant vorgetragen.
Die Idee eines Handels mit Emissionsrechten klingtverlockend, wird aber von Umweltverbänden, vielen Wis-senschaftlern und auch von uns, der PDS, sehr kritisch be-trachtet. Die Frage ist: Woran liegt das? Es liegt wohl inerster Linie daran, dass sich die Befürworter eines solchenHandels in einer Reihe mit den Verweigerern des Klima-schutzes befinden. International sind das die USAund an-dere Staaten der Umbrella-Group. Aber auch national sindes meist diejenigen, die sich jeder wirksamen – ich be-tone: wirksamen – Form der Ökosteuer und zielführendenordnungspolitischen Regelungen zum Klimaschutz wi-dersetzen.Der Verdacht liegt nahe, dass es weniger um Klima-schutz als um Gewinn bringenden Handel geht. Es wäreinteressant, zu wissen, ob das Engagement genauso en-thusiastisch wäre, wenn nicht der Emissionshandel mitosteuropäischen Staaten locken würde, welcher bekann-termaßen nichts als heiße Luft produzieren wird, oderwenn die umfangreichen Schlupflöcher der anderen fle-xiblen Kioto-Instrumente gestopft würden; das ist drin-gend notwendig.Sich billig freikaufen vom Klimaschutz – das sollte dieehrliche Überschrift dieser Bestrebung sein. So muss mandas auch benennen. Die Welt ist eben nicht ganz so ein-fach organisiert, wie sie im zweiten Semester Betriebs-wirtschaftslehre oder aus durchsichtigen Gründen in wei-ten Teilen der Politik verkauft wird.
Deshalb wird dieses Zertifikatssystem bei geringstenvolkswirtschaftlichen Kosten international kaum zu we-niger CO2 führen. Der Handel mit Emissionsverpflich-tungen wird nämlich nicht auf jungfräulichem Bodenblühen, bei dem alle Marktteilnehmer gleiche Ausgangs-bedingungen haben. Osteuropa wird auch ohne zusätzli-che Klimagaseinsparungen Zertifikate verkaufen können,mit welchen dann potente Industriestaaten noch mehrCO2 in die Luft blasen werden. Auch bei den anderen fle-xiblen Instrumenten tun sich Abgründe auf, wenn man da-ran denkt, wie dort getrickst und betrogen werden kann.Das ist leider die Wahrheit.
Wenn schon nicht international, so könnte vielleicht in-nerhalb der EU ein Zertifikatshandel sinnvoll installiertwerden. Doch der Druck, den die FDP ausübt, ist auspraktischen Erwägungen von uns abzulehnen. Die Ent-scheidungen der EU zum Zertifikatshandel werden jahr-zehntelang die Klimapolitik begleiten. Es ist kein Ge-heimnis, dass viele EU-Beamte und auch die Mehrheit derEU-Politiker nur wenig über die verschiedenen Instru-mente dieses Handels und deren Wirkungen wissen. Diesbeweist beispielsweise der im Richtlinienvorschlag ge-wählte schwerfällige und wenig transparente Downstream-Ansatz. Anstatt bei den Erstverkäufern von Energieroh-stoffen anzusetzen, wird hier die vielfach kompliziertereZertifizierung von Emissionsrechten auf Unternehmense-bene gewählt. Somit können eigentlich nur Großquellenstationärer Anlagen sinnvoll einbezogen werden. Derganze Bereich Verkehr und private Haushalte – hier sindbeim CO2-Ausstoß die größten Wachstumsraten zu ver-zeichnen – bleibt außen vor.
Dabei hätte die Versteigerung bzw. der Verkauf eines po-litisch begrenzten Volumens von Zertifikaten an die we-nigen Raffinerien und Bergwerke klare Vorteile: Die zuersteigernden Handelsrechte würden klare klimapoliti-sche Ziele vorgeben. Beim Weiterverkauf der Energieträ-ger auf dem Markt würden die Knappheitspreise markt-wirtschaftlich auf alle Produzenten und Verbraucherumgelegt werden, also auch auf den Verkehr und anderemobile Emittenten.Nebenbei wäre auch das Problem für diejenigen Un-ternehmen und Staaten gelöst, welche schon klimapoliti-sche Vorleistungen erbracht haben. Ihre höhere Energie-effizienz wird belohnt und eben nicht bestraft, wie es mitdem Richtlinienvorschlag zu befürchten ist. Das wurde
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Birgit Homburger21026
vorher schon thematisiert. Wer sich bis jetzt vor CO2-Re-duzierungen gedrückt hat, kann nun plötzlich mit Klima-schutzinvestitionen viel Geld verdienen. Die bisherigenVorreiter im Klimaschutz gucken dann in die Röhre. Ge-rade für Deutschland ist dies ein Problem. Das BMU hatin seiner Stellungnahme darauf hingewiesen.Die deutsche Wirtschaft an sich hat zurzeit gespalteneInteressen. Den Banken sichert der Emissionshandel guteGeschäfte. Sie sind selbstverständlich dafür. Der Markt,an dessen Handel die Häuser beteiligt sein dürften, wirdauf 60 Milliarden Dollar geschätzt. Die Industrie wie-derum sträubt sich gegen den Emissionshandel, keinWunder, denn sie verdient mit der seltsamen rot-grünenVariante der Ökosteuer ohne zusätzliche ökologische Ge-genleistungen netto anderthalb Milliarden im Jahr. Werwürde eine solche Geldmaschine schon gerne gegenZertifikate eintauschen, mit denen sich – jedenfalls in Eu-ropa – kaum Geld verdienen lässt?Lassen Sie mich abschließend feststellen, Herr KollegeSchmidt: Die PDS ist nicht gegen die Ökosteuer, sondernwir wollen eine andere Ökosteuer. Wir wollen das ge-samte Ökosteueraufkommen in den ökologischen Umbaustecken.
– So ist es nicht. Natürlich muss sie bezahlt werden. Ichverstehe aber, dass Sie das ärgert; denn diese Konzeptegab es in Ihren Parteien auch. Was ernsthafte Politik ist,sollten wir wohl am 22. September den Wählern überlas-sen.
Das Wort hat jetzt der
Kollege Michael Müller für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! Der Philosoph HermannLübbe hat festgestellt, dass das eigentliche und vielleichtproblematischste Kriterium unserer Zeit darin besteht,dass wir eine Schrumpfung auf die Gegenwart erleben.Das heißt, dass wir uns in einer Welt befinden, die nichtfähig ist, über längerfristige Prozesse nachzudenken. DieKurzfristigkeit der Ökonomie findet ihre Ergänzung inder Kurzfristigkeit des Denkens. Ich meine, das ist genauder Punkt, um den es geht. Sind wir in der Lage – wir sindsicherlich alle einer Meinung darüber, welch große He-rausforderung die Klimaänderung darstellt –, gegen eineWelt, in der nur die Kurzfristigkeit zählt, auch längerfris-tige Strukturveränderungen durchzusetzen? Die Frageist, ob wir ernsthaft dazu kommen, dass wir nicht den bis-herigen Widerspruch fortsetzen, auf der einen Seite sehrviel über die Zukunftsgefahren zu wissen, diese aber aufder anderen Seite – wie Frau Bulling-Schröter – in derKonsequenz doch zu verdrängen, weil der Alltagspopu-lismus viel wichtiger ist, und in der Lage sind, auch Un-bequemes durchzuziehen. Bei allen Unterschieden imHause meine ich, dass der Deutsche Bundestag auf das,was er mit der Klima-Enquete geleistet hat, stolz seinkann. Damit haben wir auf nationaler wie auf internatio-naler Ebene etwas geleistet.
Das muss man bei allen sonstigen Unterschieden schonsehen.Ich meine, wir sind in einer Situation, in der wir das,was wir zu leisten haben – nämlich langfristig die ökolo-gische Modernisierung der Industriestaaten als Vo-raussetzung für eine stabile und friedliche Welt –, nurdann erreichen, wenn wir jene Kurzfristigkeit des Den-kens und des Handelns nicht mitmachen. Das ist derPunkt, um den es geht, meine Damen und Herren.
Ich möchte noch einen zweiten Punkt ansprechen, undzwar in Richtung FDP-Fraktion. Wenn es darauf an-kommt, erlebt, erfährt man irgendwie doch das unge-schriebene Gesetz: Je konkreter es wird, desto wenigerhabe ich mit dem, was ich gestern gesagt habe, zu tun. –Ich nehme Ihnen die Äußerungen zum Emissionshandel,ehrlich gesagt, nicht ab. Was haben Sie in der Vergangen-heit nicht alles zum Thema Ökosteuer gesagt!
Aber als es darauf ankam, war von Ihnen nichts zu sehen.So wird es auch beim Emissionshandel sein, und zwar auseinem einfachen Grund: Die Klientel, die Sie vertreten,fängt an, sich massiv gegen den Emissionshandel auszu-sprechen. Ich bin mir ganz sicher: Sie werden die erstePartei sein, die umfällt, wenn es konkret wird.
Was Sie, Herr Paziorek, zu dem Thema „Zertifikate undEmissionshandel“ angemerkt haben, finde ich richtig. Wirmüssen – und zwar gemeinsam – darauf Wert legen, dasserstens der Emissionshandel mit anderen Instrumentenstimmig ist. Es kann nicht sein, dass wir ein neues Instru-ment einsetzen, das im Grunde genommen andere erfolg-reiche Instrumente konterkariert. Das darf nicht sein.Wir haben zweitens aus meiner Sicht auch die Ver-pflichtung, dass der Emissionshandel so organisiert wird,dass sich nicht andere dadurch sozusagen einen weißenFuß verschaffen können. Es muss eine vernünftige An-rechnung erfolgen.Drittens muss es auch eine Stimmigkeit des Gesamt-konzepts geben. Insofern meine ich, dass der Emissions-handel ein sehr sinnvolles ökonomisches Instrument dar-stellt, aber er muss natürlich konkret geprüft werden. Wirmüssen in einer globalisierten Welt vor allem die Stim-migkeit der Gesamtentwicklung garantieren. Das werden
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Eva Bulling-Schröter21027
wir auch tun. Ich hoffe, dass wir hier unbeschadet aller an-deren Fragen zu gemeinsamen Positionen kommen wer-den; denn es wird nicht einfach sein, die Auseinanderset-zung in der Europäischen Union zu bestehen. Wir werdensicherlich noch eine ganze Menge Probleme haben.
Lassen Sie mich zum Ausgangspunkt zurückkommen.Ich sehe die Klimagipfel von Bonn und Marrakesch vorallem deshalb als Erfolge an, weil auf ihnen die lähmendeSituation, die jahrelange Stagnation überwunden wordenist. Ich glaube, das ist der größte Erfolg. Man muss natür-lich zugeben, dass das, was dabei herausgekommen ist,nicht mehr sein kann als ein Einstieg.
Auch wenn man sich die Ergebnisse des Gipfels von Mar-rakesch und die Ratifizierung des Protokolls von Kiotoanschaut, dann muss man fairerweise zugeben, dass wirnoch weit von dem entfernt sind, was notwendig ist. Aberes ist richtig, dass der Hauptbremser USA isoliert wordenist, wobei man ehrlicherweise sagen muss, dass sich vieleStaaten hinter den Vereinigten Staaten versteckt haben.Die USA sind nicht alleine verantwortlich. Deshalb sollteman mit dem Finger nicht nur auf die USA, sondern auchauf Australien, Japan und Russland zeigen. Auch die letzt-genannten Länder werden ihrer Verantwortung bishernicht gerecht. Das muss man bei aller Kritik an den USA,die aus meiner Sicht in dieser Frage sicherlich dieschlimmste Rolle spielen, sehen. Die anderen Länder be-treiben zum Teil ein Doppelspiel. Das ist nicht zu akzep-tieren. Ökologisch sind diese Länder keine Großmächte;denn sie sind im Grunde genommen Vertreter einer höchstrückständigen Politik.Die Ausgangsposition ist klar. Die Weltgemeinschafthat 1992 den Beschluss gefasst, den Umfang der Treib-hausgase auf einem solchen Niveau zu stabilisieren, dassdas Klima auf Dauer geschützt ist. Wenn man sich aberdie heute vorliegenden Daten anschaut, dann stellt manfest, dass es im Vergleich zum natürlichen Kohlendioxid-wert einen Anstieg von etwa 200 Teilen auf 1 MillionTeile gegeben hat. Wenn man das als Ausgangspositionnimmt, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass eine Ver-doppelung des CO2-Umfangs eine Erwärmung um 2 Gradbedeutet. Wir haben also trotz allem, was wir bisher er-reicht haben, kaum noch Zeit, eine solche Verdoppelungzu verhindern. Das ist die dramatische Situation, vor derwir stehen.
– Das sagt beispielsweise das IPCC. Das ist die allge-meine Auffassung in der Weltgemeinschaft.
– Doch!
– Nein, die Verdoppelung ist doch klimahistorisch belegt.Es gibt eine klare Korrelation zwischen der Verdoppelungder Kohlenstoffwerte in der Atmosphäre und den Erwär-mungswerten. Das ist unbestritten. Das IPCC ist sich nurnicht schlüssig darüber – wenn Sie das gemeint habensollten, dann haben Sie Recht –, in welcher Geschwin-digkeit das geschehen wird. Aber die Verdoppelung ist un-bestritten. Sie können mir glauben, dass Ihre Fraktion zu-sammen mit meiner schon eindeutig Position in dieserFrage bezogen hat. Aber vielleicht hat Ihr Zwischenrufauch etwas mit der Kurzfristigkeit des Denkens zu tun,von der ich vorhin gesprochen habe. Wenn dem so wäre,würde ich das bedauern.
Eine Verdoppelung – sie lässt sich nicht mehr aus-schließen – hätte natürlich katastrophale Folgen: Für dieWüstenbildung, die voranschreiten würde, für dieErnährungsgrundlagen und, vereinfacht ausgedrückt, füreine friedliche Welt. Deshalb ist auf dem Gipfel vonToronto 1988 – das war der Ausgangspunkt – festgelegtworden, bis zum Jahre 2005 die CO2-Emissionen um20 Prozent und bis zum Jahre 2030 um 50 Prozent zureduzieren. Davon sind wir noch weit entfernt.Lassen Sie mich noch eine Anmerkung machen. In un-serem Antrag fordern wir eine Reduktion der CO2-Emis-sionen um 40 Prozent bis 2020. Ich weiß, dass das eineschwierige Aufgabe ist. Ich weiß nicht, ob wir das errei-chen können. Aber ich weiß, dass eine solche Reduktionnotwendig ist. Ich finde, man muss auch Notwendigkei-ten aussprechen.
Es ist wichtig, dass wir Europäer vor allem in dieser Frageehrgeizig sind. Es ist zwar wahr, dass solche Positionennur schwer durchzusetzen sind, wenn es darauf ankommt.Aber was wäre die Politik noch wert, wenn sie nichtwenigstens die notwendigen Ziele formulierte und allesversuchte, sie zu erreichen? Wenn wir es noch nicht ein-mal versuchen, dann haben wir aus meiner Sicht politischschon versagt. Insofern ist es richtig, dass wir eine Re-duktion von 40 Prozent als Ziel formuliert haben.
Eine solche Forderung steht aus meiner Sicht auch in derTradition der Forderungen, die in den Berichten der En-quete-Kommissionen erhoben werden. Wir sollten versu-chen, auszuloten, unter welchen Bedingungen wir diesesZiel erreichen können. Darum geht es aus meiner Sicht.Im September 2000 gab es die Millenniumerklärungder Vereinten Nationen. Sie hat in aller Klarheit eineEthik des Bewahrens herausgestellt und sich zu dem Ki-oto-Protokoll bekannt.Wir müssen einfach feststellen, dass wir in der Zwi-schenzeit weltweit eine dramatische Verschlechterung er-leben. Wenn man sich die Zahlen anschaut, erkennt man:Gegenüber dem Kioto-Basisjahr 1990 haben wir im Jahr2000 einen Anstieg der Kohlendioxidemissionen um11 Prozent zu verzeichnen. Wenn die USA ihren bisheri-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Michael Müller
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gen Emissionstrend beibehalten, werden sie im Jahr 2010um fast 50 Prozent über dem Ziel liegen, das sie nachKioto eigentlich erreichen müssten. 50 Prozent über demZiel! Vor allem in den Schwellen- und Entwicklungs-ländern gibt es die dramatische Situation, dass dort in dennächsten 18 Jahren ein Zuwachs um 2 000Millionen Ton-nen CO2 zu erwarten ist, während es in den Industriestaa-ten eher in Richtung Stagnation geht.Das beispielsweise ist auch der Ausfluss einer Trickse-rei. In dem Kioto-Protokoll haben die Vereinigten Staatenein Prinzip festgelegt, nach dem im Kern versucht wird,von den hohen Emissionen herunterzukommen, abernicht so sehr versucht wird, ein Gerechtigkeitsprinzip zurGeltung zu bringen. Es ist ein Problem, dass die Ameri-kaner das Kioto-Protokoll in der Weise auslegen, dass esim Wesentlichen nur für die Industriestaaten gilt. Unddann hat sich die wichtigste Industrienation der Erde die-sem Protokoll sogar noch entzogen! Es ist im Grunde ge-nommen eine unverantwortliche Strategie der USAgewe-sen, die jetzt die ganze Welt auszubaden hat.
Umso wichtiger ist es, dass wir in Europa in der Glo-balisierung der Vorreiter der ökologischen Modernisie-rung sind. Die Welt wächst zusammen und Europa musssich fragen, welchen Beitrag es in der Globalisierung leis-ten will. Ich kann uns alle nur ermutigen, für ein europä-isches Profil einzutreten, das neben der sozialen Gerech-tigkeit vor allem die ökologische Modernisierungbeinhaltet.
Das ist die große Chance für die Zukunft und wir solltensie auch nutzen.
Ich erteile
für die CDU/CSU-Fraktion dem Herrn Kollegen
Christian Ruck das Wort.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Auch ich freue mich natürlichdarüber, dass knapp zehn Jahre nach dem Weltgipfel inRio die Völkergemeinschaft mit dem Übereinkommenvon Marrakesch doch noch die Kraft gefunden hat, derKlimarahmenkonvention zum Leben zu verhelfen undden Startschuss zur Umsetzung des Kioto-Protokolls zugeben. Es war in der Tat ein zäher Prozess, der mehr alsnur einmal vor dem Scheitern stand. Man muss sagen,dass sich jede Delegation aus Deutschland mit jedem De-legationsleiter mit besonderem Eifer hervorgetan hat undmit besonderem Eifer gekämpft hat. Das ging von FrauMerkel damals in Kioto oder auch in Berlin – dort standschon einmal ein Klimagipfel vor dem Scheitern – bis hinzum Abschluss unter Umweltminister Trittin.Natürlich müssen wir alles daransetzen, dass das Ki-oto-Protokoll rasch ratifiziert wird – selbstverständlichvon uns, aber auch von genügend anderen –, damit derWeltgipfel für nachhaltige Entwicklung im Spätherbst inJohannesburg zumindest mit diesem positiven Beitrag be-ginnen kann.Das Übereinkommen von Marrakesch hat auch ge-zeigt, dass die Weltgemeinschaft sehr wohl zu freiwilligenwichtigen und notwendigen Beschlüssen, auch zu ein-schneidenden Entschlüssen kommen kann, und zwar auchund gerade im Umweltbereich. Trotz der Erleichterungüber die Ergebnisse gerade nach dem Zwischentief vonDen Haag muss man allerdings sagen: Zu Begeisterungund Euphorie haben wir keinen Anlass.
Das ursprüngliche Minderungsziel von 5,2 Prozentbis zum Zeitintervall 2008/2012 ist durch Zugeständnissein der Senkenfrage zum Beispiel gegenüber Russland,Japan und Kanada massiv verwässert worden. NachSchätzungen des WWF führen diese Verhandlungsergeb-nisse vermutlich nicht zu einer Reduktion, sondernlediglich zu einer Stabilisierung auf dem Niveau von1990. Das ist auch schon etwas, aber es ist langfristig zuwenig, um nach Meinung der meisten Wissenschaftlerden Schutz des Erdklimas langfristig zu gewährleisten.Natürlich wirft das bisherige Fernbleiben der USA imKioto-Prozess einen großen Schatten auf die bisherigenVerhandlungsergebnisse. Worüber wir heute diskutieren,ist, was wir als deutsche Politiker, als Parlamentarier oderals Mitglieder der Bundesregierung unternehmen können,damit das Kioto-Protokoll nun wirklich mit Leben erfülltwird. Ich sehe hier vier wichtige Punkte, die teilweiseauch schon angesprochen wurden. Erstens! Wir braucheneine neue diplomatische Offensive für den Klimaschutzund auch für die Fragen der nachhaltigen Entwicklung,und zwar nicht nur durch die Umweltpolitiker, sondernauch durch das Außenministerium und den Bundeskanz-ler; denn die rasche Ratifizierung kommt nicht von selbst.Wenn ich mir zum Beispiel die Situation in Russland an-schaue und die Aussagen, die Putin trifft oder nicht trifft,dann muss ich sagen: Wir brauchen auch hier vonseitenJoschka Fischers und vonseiten des Bundeskanzlers eineganz andere Strampeltaktik, wir brauchen einen ganz an-deren Einsatz. Toter Käfer zu spielen hilft hier nichtweiter.Das gilt auch, Kollege Müller, in Bezug auf die Ver-einigten Staaten. Es muss uns in der Tat gelingen, die Verei-nigten Staaten davon zu überzeugen, dass sie nicht nur eineFührungsmacht in außenpolitischen und Wirtschaftsfragensind, sondern dass sie auch eine führende Rolle spielenmüssen in der internationalen Entwicklungspolitik, bei derBewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen und desKlimaschutzes. Dazu brauchen wir aber auch mehr En-gagement aufseiten des Kanzlers.
Zweitens – auch das wurde schon angesprochen –: Esgibt noch viele offene Fragen zu klären, zum Beispiel inder Senkenfrage: Abrechnungs-, Anrechnungs- und Über-wachungsprobleme. Es gibt aber auch noch offene Fragenzu den CO2-Zertifikaten. Im Grundsatz gebe ich hiernatürlich der FDP Recht. Aber ich halte den Richtlinien-vorschlag der Kommission zu diesem Thema immer noch
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Michael Müller
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für deutlich verbesserungsbedürftig. Es ist wirklich so: Esdrohen uns ein hohes Maß an behördlichen Eingriffen undeine erhebliche Ausweitung des Ordnungsrechtes. DieVerpflichtung zur Teilnahme der energieintensiven Sekto-ren am Zertifikatehandel läuft natürlich eigentlich demGrundgedanken der flexiblen Instrumente zuwider.Besonders schwierig ist die Frage der Zuteilung derEmissionsrechte. Diese Frage ist natürlich vollkommenoffen, aber sie ist gerade auch für die deutsche Wirtschaftvon entscheidender Bedeutung. Und die wollen wir jaauch zum Mitmachen gewinnen.
– Ja. Dass hier aber schwerwiegende Konsequenzen fürdie Wettbewerbsfähigkeit ganzer Industriezweige zu be-fürchten sind oder eine ungleiche und damit auch unfaireVerteilung von Rechten und Pflichten in Europa, das zeigtsich ja auch am Diskussionsstand in der Arge Emissions-handel.
Hier darf sich die Bundesregierung nicht erneut über denTisch ziehen lassen; denn wenn die Regelungen sowohlüberbürokratisch als auch ungerecht sind, dann, glaubeich, wird die Umsetzung des Kioto-Protokolls schon inEuropa scheitern.Drittens! Wir müssen die wirtschaftliche und technolo-gische Zusammenarbeit mit den Entwicklungs- undSchwellenländern deutlich ausweiten. Auch das wurde jaschon gesagt! Die Entwicklungsländer haben eine sehrkonstruktive Rolle in Marrakesch gespielt. Sie sind jaauch ganz besonders vom Klimawandel betroffen und ha-ben auch den größten Nachholbedarf. Ich glaube, wir sinduns alle einig: Wenn die Entwicklungsländer unseren Ent-wicklungspfad, unseren Wachstumspfad kopieren, dannhaben sie uns mit ihren Treibhausemissionen schnell ein-geholt. Dann tun wir uns sehr schwer, das Klima der Erdezu bewahren. Deswegen ist es ganz entscheidend, dasswir in Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern in-telligentere Wachstumspfade erarbeiten und aufstellen,aber nicht nur als Kopie unserer bisherigen Technologie,sondern mit Rücksicht auf die kulturellen, sozialen undpolitischen Verhältnisse der Entwicklungs- und Schwel-lenländer.
Das Beispiel China zeigt ja, dass wir damit auch Erfolghaben können; denn die Zusammenarbeit mit China, vorallem auch das Engagement deutscher Unternehmen inChina hat gezeigt, dass man gerade auch im Kohlebereichganz erhebliche Einsparpotenziale in relativ kurzer Zeiterreichen kann.
– Was heißt „heimatlos geworden“, Herr Kubatschka? Siebringen mich natürlich schon auf eine wichtige Sache. DieZusammenarbeit mit den Entwicklungsländern geht natür-lich nur, wenn man die Kioto-Mechanismen auch in diesemPunkt mit Leben erfüllt. Das geht natürlich nicht, wenn derEntwicklungshaushalt wie unter Rot-Grün wieder abge-meiert wird. Wir brauchen mehr statt weniger Geld.
– Ja, weil das wichtig ist, Frau Ganseforth. Wir brauchenim Entwicklungshaushalt erheblich mehr Geld als bisher.
Über Hausaufgaben haben wir heute auch schongesprochen, Herr Müller. Wenn ich Ihnen zuhöre, kannich mich mit vielem einverstanden erklären, vor allem mitIhren philosophischen Passagen. Wenn es aber konkretwird, gehen unsere Meinungen auseinander. Das darf jaauch sein, deshalb muss niemand verbittert sein. Aber deröffentliche rot-grüne Hauskrach um den Energieberichtvon Wirtschaftsminister Müller hat natürlich deutlichgemacht, dass Sie kein schlüssiges und tragfähigeslangfristiges Energiekonzept haben.
Meine Damen und Herren, wenn Herr Trittin den bay-erischen Ministerpräsidenten der Versäumnisse in der re-generativen Energiepolitik bezichtigt, liegt er leiderfalsch.
Darf ich noch einmal daran erinnern, dass das Strom-einspeisungsgesetz auf Initiative der CDU/CSU-Fraktion,vor allem der CSU-Landesgruppe zustande kam? Daraufbauen Sie jetzt auf.
– Das hatte andere Gründe.Darf ich daran erinnern, dass Bayern ein Drittel weni-ger CO2-Ausstoß pro Kopf hat als der Durchschnitt derBundesländer?
Darf ich Sie daran erinnern, dass Bayern den höchsten An-teil an regenerativen Energien hat?
Darf ich auch Sie daran erinnern, Herr Trittin? Sie solltenwirklich einmal nach Bayern fahren.Dass wir in der Windkraft nicht so gut aussehen
wie die küstennahen Länder, liegt einfach daran, HerrTrittin, dass wir küstenfern sind. Ist Ihnen das schon einmalaufgefallen? Die küstennahen Länder haben sozusagen
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Dr. Christian Ruck21030
1800 Stunden Wind, wir 500. Wir haben dafür einen erheb-lich größeren Anteil an der Biomasse. Das liegt auch daran,dass Biomasse unauffälliger ist und wir an Bayern hängen.
Ihre Kombination von verfehlter Wirtschafts- und Kli-mapolitik ist ein Negativbeispiel für die Entwicklungs-länder, für die USA und auch für den Weltgipfel in Jo-hannesburg.
Herr Kol-
lege Ruck, Sie haben Ihre Redezeit weit überschritten. Ich
darf Sie bitten, zum Schluss zu kommen.
Ich bin schon im
Landeanflug.
Wir kämpfen auch dafür, dass im Spätsommer ein an-
deres Signal aus Deutschland für Johannesburg kommt,
nämlich ein Signal für eine andere Energie- und Klima-
politik und eine andere Bundesregierung.
Als letzter
Redner in dieser Debatte hat das Wort der Kollege
Dr. Reinhard Loske. Er spricht für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Der Kollege Christian Ruck hat gerade et-was überzogen.
Wenn es nach Frau Homburger ginge, würde hier das In-stitut der handelbaren Rederechte eingeführt und HerrRuck müsste mir etwas abkaufen, vermute ich.
Ganz so toll wollen wir es aber doch nicht treiben.Ich will ein paar Punkte ansprechen, die mir in der Dis-kussion aufgefallen sind. Ich habe keine Rede vorbereitetund will nur auf das eingehen, was andere gesagt haben.Vielen von uns, die bei der Klimakonferenz in Bonn oderMarrakesch, vor allem aber in Bonn, dabei waren, hat indem Moment, als der Hammer des Präsidenten in Kiotoniederfuhr, um die Sache abzuschließen, der Mantel derGeschichte angeweht. Ich glaube, das darf man durchauseinmal sagen. Dabei waren wir nicht der Meinung, dassdas, was im Kioto-Protokoll verabschiedet wurde, derWeisheit letzter Schluss war. Wir wissen alle, dass es bes-tenfalls ein erster Schritt war.Ich glaube, wir haben aus zwei Gründen gespürt, dass dasein ganz wichtiger Moment war: erstens, weil es Europa ge-lungen war, mit einer Stimme zu sprechen und mit den Ent-wicklungsländern zusammen an einem Strang zu ziehen.
In diesem Fall war das auf die starke Verhandlungs-führung der deutschen Delegation, namentlich des Minis-ters, zurückzuführen.Zweitens haben auch viele wegen der zeitlichen Koin-zidenz mit dem Gipfel in Genua gespürt, dass das, was inBonn noch schwach und sehr jungfräulich begonnen hat,der Versuch war, der ökonomischen Globalisierung poli-tische Regeln an die Seite zu stellen. Genau das tut Not.Wir müssen der Ökonomie auch im globalen Maßstab Re-geln an die Seite stellen. Dafür war in der Tat der BonnerGipfel ein ganz wichtiger Schritt.
Wir sollten alles tun – und das werden wir auch als Par-lament; mit einer Stimme, nehme ich an –, damit dasKioto-Protokoll schnell ratifiziert wird. Es wäre wunder-bar, wenn wir in Johannesburg auf dem Rio-plus-10-Gip-fel das Kioto-Protokoll in Kraft hätten. Dann könnten wirsagen: Eines der großen Kinder des Rio-Gipfels, die Kli-marahmenkonvention, hat sich fortgepflanzt und ein Pro-tokoll zur Welt gebracht, das jetzt auch in Kraft ist. Dannwürden wir nicht mit leeren Händen dastehen. Danachsollten wir streben.Der zweite Punkt knüpft an das an, was der KollegeMüller gesagt hat und wo der Kollege Obermeier dazwi-schengerufen hat. Er betrifft die naturwissenschaftli-chen Grundlagen. Es gibt ganz klar den Pfad: DieVerdoppelung des vorindustriellen Niveaus der CO2-Kon-zentration von 280 ppm auf 560 ppm wird einen Anstiegder durchschnittlichen Weltmitteltemperatur um 2 bis 3 °Czur Folge haben. Das ist keine Pfadbetrachtung, sonderneine Aussage, soweit man sie gesichert treffen kann. Dasist in der Tat ein großes Problem. Der Minister hat zu Rechtdarauf hingewiesen. Die ganze Thematik Nord-Süd ist kei-neswegs ein irgendwie blauäugiges, idealistisches ent-wicklungspolitisches Thema, sondern es geht dabei umganz harte Dinge. Wenn es heute mehr Umweltflüchtlingeals Bürgerkriegsflüchtlinge gibt, ist das in der Tat eine Sa-che, die weit über die Umweltpolitik hinausragt.
Der dritte Punkt – Frau Homburger, an Sie gerichtet –betrifft den Zusammenhang von nationalem Handeln undglobalen flexiblen Instrumenten.Die Sorge, die es frühergab – auch bei mir –, war doch die: Wenn wir es quasi er-möglichen, die Klimaschutzverpflichtungen komplettaußerhalb der Landesgrenzen zu erfüllen, heißt das, dassman im Inland Innovationsdruck aus dem Kessel nimmt.Deshalb war unser Argument immer: Wer den ökologi-schen Strukturwandel auch im eigenen Land will, der darfdieses Auslassventil nicht vollständig, sondern nur kon-trolliert öffnen. Das ist nach wie vor sehr vernünftig.
Deswegen sind wir nach wie vor der Meinung: DerLöwenanteil sollte zu Hause erbracht werden. Das unter-scheidet uns auch, weil wir das nicht vor allem als eine
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Dr. Christian Ruck21031
Bürde, eine Last, sondern als eine Chance sehen. Wennwir auf den Heimatmärkten Kompetenz demonstrieren,können wir auch auf den Weltmärkten der Zukunft eineerste Adresse sein. Denn das wollen wir; das genau ist dertragende Gedanke.
Viertens. Es gibt auch – das ist ein sehr wichtigerPunkt – den Zusammenhang zwischen der Glaubwürdig-keit auf dem internationalen Parkett und dem, was man zuHause macht. Man kann international nur glaubwürdigagieren, wenn man zu Hause seine Kompetenz demons-triert, wenn man das tut, was man international vor-schlägt. So gesehen stehen wir in der Tat besser da als1998.Das führt mich zu meinem fünften Punkt, zu dem, waswir alles schon gemacht haben. Es ist langweilig, das al-les hier aufzulisten. Aber wenn Sie sich die Energiepoli-tik anschauen, die Bereiche erneuerbare Energien, Kraft-Wärme-Kopplung, Ökosteuer, Altbausanierung undanderes mehr, erkennen Sie: Das ist ein Faktor von 20mehr als das, was die alte Regierung gemacht hat. Daraufmöchte ich schon noch einmal hinweisen.
Zu den Instrumenten: Sie wissen, Frau Homburger,dass ich selbst so wie Sie auch ein großer Anhänger desInstruments des Emissionshandels bin. Aber was michbei der Industrie unheimlich stört, ist diese Unglaubwür-digkeit, dieses Instrumentenhopping. Ende der 80er-, An-fang der 90er-Jahre hieß es: Das Ordnungsrecht drangsa-liert uns; wir brauchen marktwirtschaftliche Instrumente,wir brauchen die Ökosteuer. Darauf haben wir gesagt:Okay, Ökosteuer. Die Reaktion darauf war: Um Gotteswillen, die meinen das ja ernst! Danach haben wir mit derÖkosteuer begonnen und es wurde gefordert, Emissions-handel zu machen. Jetzt sagen wir: Lasst uns in eine ver-nünftige Debatte über den Emissionshandel einsteigen.Aber jetzt wird vonseiten der Industrie, also der Leute, mitdenen Sie eng zusammenhängen, gesagt, dass sei ein ganzgefährliches Instrument.Ich glaube, so kann man nicht agieren. Wir brauchenalle Instrumente, jedes Instrument an seinem Ort. DerEmissionshandel hat Vorzüge vor allem da, wo wir es mitgroßen Akteuren zu tun haben.
Das führt mich zu meinem letzten Punkt. Zum Emissi-onshandel gibt es die EU-Richtlinie; sie ist umstritten. DieEU will, dass im Jahr 2005 mit dem Emissionshandel aufUnternehmensebene begonnen wird. Ich würde das fürvernünftig halten; es gibt aber Einwände von Skeptikern,die sagen: Wir brauchen zunächst ein Training von dreiJahren. Ich habe nichts gegen eine Pilotphase von 2005bis 2008. Nur will ich, wenn ab 2008 im Rahmen des Ki-oto-Protokolls wirklich Emissionshandel betrieben wird,dass wir dabei sind, dass wir gut vorbereitet sind und dasswir nicht nach Regeln Emissionshandel betreiben, die an-dere für uns definiert haben, im Zweifelsfall die Angel-sachsen. Nein, wir sollten das zu Hause machen. Das wer-den wir auch tun.
– Frau Homburger, abschließend möchte ich noch auf ei-nes hinweisen, da Sie hier so sehr schimpfen: Wie sieht esdenn in der nationalen Emissionshandelsgruppe aus?
Es ist doch nicht so, dass diejenigen, die den Klimaschutzbefürworten, also die Technologieunternehmen, die Fi-nanzdienstleister und andere, dieses Instrument blockie-ren. Es sind vielmehr die gleichen Leute, die vor zehn Jah-ren die Ökosteuer blockiert haben.
Wie der Kollege Müller sage auch ich Ihnen voraus:Wenn diese Leute wirklich Ernst machen, dann sind Siedie Ersten, die abspringen. Das halte ich für so sicher wiedas Amen in der Kirche.
Ich schließe
die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/7073, 14/7156, 14/7450, 14/8026,
14/8028 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. – Das Haus ist damit einverstan-
den. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Klaus Riegert, Peter Letzgus, Ilse Aigner, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Sicherung der Zukunft der Vereine durch wirt-
schaftliche und bürokratische Entlastung – Er-
höhung der Gestaltungsmöglichkeiten und
Freiräume
– Drucksachen 14/3680, 14/5445 –
Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst das Wort
dem Kollegen Klaus Riegert für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! In Deutschland leisten478 000 eingetragene und eine Vielzahl nicht eingetra-gener Vereine ihren unverzichtbaren Beitrag zu einer le-bendigen, leistungsfähigen und solidarischen Bürger-gesellschaft. Deshalb müssen wir alle größtes Interessedaran haben, die wirtschaftliche Kraft der Vereine zu stär-
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Dr. Reinhard Loske21032
ken, die Vereine von bürokratischem Ballast zu befreiensowie die Gestaltungsmöglichkeiten und Freiräume derVereine zu erweitern.
Die Politik der Bundesregierung – dies belegt ihre Ant-wort auf unsere Große Anfrage – versagt vor dieser Auf-gabe.
Darüber können auch marginale Veränderungen und Ver-besserungen nicht hinwegtäuschen. Die Erhöhung der sogenannten Übungsleiterpauschale auf 1 840 Euro, also3 600 DM, jährlich ist eine Verbesserung.
Nur, sie reicht ebenso wenig aus wie die Erweiterung aufBetreuer. Diese Erweiterung ist eine Farce. Nach den Aus-führungsbestimmungen des Finanzministeriums gibt eskaum Betreuer im Sinne des § 3 Nr. 26 des Einkommen-steuergesetzes.
Noch wichtiger als die Erhöhung der steuerfreien Ein-nahmen auf 2 454 Euro, also 4 800 DM, ist die Erweite-rung des Kreises der Begünstigten um ehrenamtlich tätigeVorsitzende, Schatzmeister und Organisationsleiter.
Genau dies hat Bundesfinanzminister Eichel als hessi-scher Ministerpräsident im Landtagswahlkampf 1998 denVereinen zugesagt. Heute sagt er: nein. Auf einmal sinddies utopische Forderungen. Versprochen – gebrochen,das zieht sich wie ein rot-grüner Faden durch die Politikdieser Bundesregierung.
Die Freistellung der Aufwandsentschädigungen aus öf-fentlichen Kassen bis zu 153 Euro, also 300 DM, monat-lich für gemeinnützige Tätigkeiten von der Sozialversi-cherungspflicht betrifft einen verschwindend kleinen Teilehrenamtlich Tätiger. Sie schaffen begünstigte und nichtbegünstigte ehrenamtlich Tätige. Die Änderungen beimStiftungsrecht bringen für den überwältigenden Teil derVereine keine Verbesserungen. Eine einfache Nachfragebei den Vereinen genügt, um dies festzustellen.Das neue Spendenrecht erhöht die Haftungsrisiken fürehrenamtlich tätige Mitarbeiter beträchtlich. Der Verzichtauf das Durchlaufspendeverfahren war eine Forderungder großen Vereine; aber dieser Verzicht hat sich gerade fürkleinere Vereine als nicht praktikabel erwiesen. Sie wollenwieder die Möglichkeit der Durchlaufspende. Warum neh-men Sie Vereinen diese Haftungserschwernis nicht ab?
Auch die Behauptung der Bundesregierung, Mitglieds-beiträge für viele Zwecke seien erstmals steuerlich ab-setzbar, schönt die Wirklichkeit. Mitgliedsbeiträge sindnach wie vor kaum absetzbar.Die Bundesregierung sieht in gemeinnützigen Verei-nen Unternehmen. Ehrenamtlich tätige Vereinsvorsit-zende behandelt sie wie die Hauptgeschäftsführer vonGmbHs. All das ist in der Antwort der Bundesregierungnachzulesen. Was diese Bundesregierung mit der einenHand gibt, nimmt sie mit der anderen wieder zurück –oder gar mehr.
Die Neuregelungen der 325-Euro-Jobs und der Schein-selbstständigkeit bringen für die Vereine und die dortTätigen neben der wirtschaftlichen Belastung zusätzli-chen bürokratischen Aufwand. Die Einführung der so ge-nannten Ökosteuer und die Erhöhung der Energiesteuerbelasten die Vereine zusätzlich ohne jeglichen Ausgleich.
Diese Belastungen treffen vor allem Vereine mit großenJugendabteilungen. Sie können die Mehrkosten nichtdurch Erhöhung der Mitgliedsbeiträge ausgleichen.Die Kostenverlagerungen vom Bund auf die Länderund Kommunen schränken die Finanzkraft vor allem derKommunen ein. Immer mehr Gemeinden sehen sich ge-zwungen, Fördermittel für Vereine zu reduzieren und Nut-zungsentgelte einzuführen oder anzuheben.Meine Damen und Herren, diese Bundesregierungignoriert schlicht die gesellschaftliche Bedeutung unsererVereine.
Sie will keine wirklichen Verbesserungen herbeiführen.Sie schiebt Bedenken und Forderungen der Verbändeschlicht beiseite. Die ehrenamtlich Tätigen sollen ihre Ar-beit machen; ansonsten sollen sie sich ruhig verhalten –das ist die Botschaft ihrer Politik.Ich bin gespannt, welche Handlungsempfehlungen dieEnquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichenEngagements“ vorlegen wird. Alle – ich wiederhole:alle – praktischen Verbesserungen im Hinblick auf dieehrenamtliche Tätigkeit in Vereinen hat Rot-Grün hierim Plenum abgelehnt. Wenn diese abgelehnten Forderun-gen in den Handlungsempfehlungen der Enquete-Kom-mission auftauchen, dann ist klar, was zu hören sein wird:Wahlkampfgetöse wie bei Eichel 1998.
Nein, meine Damen und Herren, wir müssen die Ver-eine stärken.
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Klaus Riegert21033
Das Anspruchsverhalten und die Anforderungen der Mit-glieder sind gestiegen. Kommerzielle Anbieter stoßen inklassische Bereiche der Vereine vor. Fast die Hälfte derJugendlichen im Alter von 15 bis 18 Jahren kehrt den Ver-einen den Rücken. Unsere Vereine können ihren Aufga-ben nur gerecht werden, wenn wir ihre Wirtschaftskraftstärken und wenn wir sie von den Fesseln der Bürokratiebefreien.
Die Bundesregierung muss deutliche Zeichen für einvereinsfreundliches Klima setzen. Wir fordern die Bun-desregierung auf: Ziehen Sie die Neuregelung zu den 325-Euro-Jobs und der Scheinselbstständigkeit für ge-meinnützige Vereine zurück! Der grüne HaushaltsexperteMetzger hat Recht: Diese Neuregelungen sind eine Miss-geburt. Nur der Arbeitsminister hat es immer noch nichtgemerkt.
Entlasten Sie die Vereine von der Ökosteuer und denErhöhungen der Stromsteuer! Sie verweigern einen Aus-gleich, den Sie Großverbrauchern und Großverschmut-zern gewähren.Erleichtern Sie die Haftung ehrenamtlich tätiger Vor-stände! Sie können ehrenamtlich Tätige nicht mit Ge-schäftsführern von GmbHs gleichsetzen. Haftungser-leichterungen sind keine Privilegien. Sie sind keinFreibrief. Sie sind Anerkennung für freiwillig übernom-mene Verantwortung.Heben Sie die Grenze für Einnahmen aus sonstigenTätigkeiten von bisher 500 DM jährlich auf 600 Euro jähr-lich an! Billigen Sie ehrenamtlich tätigen Vorsitzenden,Schatzmeistern und Organisationsleitern eine pauschaleAufwandsentschädigung zu! Erhöhen Sie die steuerfreienEinnahmen auf 2 454 Euro, also 4 800 DM pro Jahr!
Heben Sie die Besteuerungs- und Zweckbetriebsgrenzenbei gemeinnützigen Vereinen an. Wenn unsere Vereinedurch Eigeninitiative Geld erwirtschaften, dann sollte dieBundesregierung den Vereinen mehr Geld belassen. Wirfordern damit etwas, was Herr Eichel als Ministerpräsi-dent gefordert hat.
Schaffen Sie die gesetzlichen Grundlagen, damit gemein-nützige Vereine zusätzlich Rücklagen in Höhe bis zu25 000 Euro bilden können. Gestalten Sie das Spenden-verfahren vereinsfreundlicher.
Ermöglichen Sie den Vereinen, Spendenbescheinigungenauszustellen oder das Durchlaufspendeverfahren zu wäh-len.
Herr Kol-
lege Riegert, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kolle-
gin Barbara Hendricks?
Ja, gerne.
Herr Kollege, ich
möchte mich nicht mit all Ihren Forderungen auseinander
setzen, aber angesichts der Debatte, die heute Nachmittag
in diesem Hohen Hause zum Tourismus- und Gastrono-
miegewerbe stattgefunden hat, möchte ich Sie auf den
Widerspruch hinweisen, der zwischen den verschiedenen
Interessenvertretern Ihrer Fraktion bezüglich einer Anhe-
bung der Zweckbetriebsgrenze bei den Vereinen herrscht.
Sie haben ja gerade gesagt, das Geld, das die Vereine er-
wirtschaften, solle bei ihnen bleiben. Dieses Geld wird
normalerweise – wir kennen ja das Leben – durch Verkauf
von Kuchen, Bier und alkoholfreien Getränken auf Festen
erwirtschaftet. Dabei handelt es sich um die so genannte
Schwarzgastronomie. Darunter leidet die Gastronomie,
die Steuern zahlen muss. Wie wollen Sie diesen Wider-
spruch, der auch in den beiden heutigen Debatten zum
Ausdruck kam, auflösen?
Mir sind diese Bedenken
der Gastronomie sehr wohl bekannt.
Da gibt es aber vor Ort gute Möglichkeiten, gemeinsame
Strategien zu fahren.
Zugeben müssen Sie aber, dass diese Grenze von
60 000 DM über viele Jahre geblieben ist und damit deren
Wert immer mehr abnahm. Ihr eigener Chef, der Finanz-
minister, hat noch als Ministerpräsident 1998 selber ge-
fordert, diese Zweckbetriebsgrenze auf 80 000 DM anzu-
heben.
Damit gibt er zumindest zu, dass hier Handlungsbedarf
besteht. Genau in diese Richtung gehen die Anträge des
Landes Baden-Württemberg und unserer Fraktion. Früher
hatte auch der Finanzminister Eichel eine entsprechende
Einsicht. Deshalb fordern wir, hier einen maßgeblichen
Schritt nach vorn zu gehen.
In der Enquete-Kommission wird das im Übrigen von Ih-
rer Seite genauso gesehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungs-
koalition: Geben Sie mit uns den Vereinen, was ihnen zu-
steht, und stimmen Sie unserem Entschließungsantrag zu!
Nun spricht
für die SPD-Fraktion der Kollege Dieter Grasedieck.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Herr Riegert, Sie spra-chen vorhin von Wahlkampfgetöse. Das überrascht michwirklich. Über Ihrer Großen Anfrage steht: „Sicherung
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Klaus Riegert21034
der Zukunft der Vereine“. Sie sprachen aber eigentlich nurüber Ökosteuern und das 630-Mark-Gesetz. Das machtdie von Ihnen in den letzten drei Jahren eingeschlageneRichtung deutlich: Sie suchten Angriffspunkte; aber eswar natürlich schwer, Angriffspunkte in unserer Koalitionzu finden.
Jetzt erfinden Sie etwas ganz Neues: 630-Mark-Gesetzund Ökosteuer sind wirklich ganz aktuelle Themen; vonalleine wären wir darauf gar nicht gekommen.
Erst als wir die Anfrage sahen, konnte man die Punktenachvollziehen.Herr Riegert, Sie müssen aber auch die Kehrtwendeberücksichtigen, die sich seit Sonntag vollzogen hat.Stoiber und Merkel haben sich darauf festgelegt, dassdiese Ökosteuer nicht gekippt wird.
Nein, meine Damen und Herren, Sie haben eigentlichdrei Jahre verloren, weil Sie nur Schwachstellen suchtenund diese Schwachstellen nicht gefunden haben. Wir ha-ben während dieser Zeit gearbeitet und viel für die Ver-eine und für das Ehrenamt erreicht.
Es war ja nicht einfach, da angesichts der Schuldenlast,die Sie uns hinterlassen haben, etwas zu erreichen. Daswaren 1,5 Billionen DM Schulden sowie die Zinsbelas-tung. Trotzdem haben wir gute Ansätze gefunden.Erstens. Sie sprachen davon, Herr Riegert: DieÜbungsleiterpauschale ist erhöht worden. Wir haben sieerhöht, und zwar in diesen drei Jahren – das müssen Siesich einmal überlegen.
Sie haben das in 16 Jahren nicht geschafft. Wir haben dieÜbungsleiterpauschale von 2 400 DM auf 3 600 DM erhöhtund sogar noch den Personenkreis erweitert. Ich meine, dasist ein Erfolg. Sie fordern jetzt einfach 4 800 DM.
Diese Erhöhung hätten Sie ja selber vornehmen können.Sie haben nicht einmal eine Mark dazugetan.Zweitens. Sie sprachen das Stiftungsrecht an. Da ha-ben wir wirklich einen guten Ansatz gefunden und aucheingebracht. Wir fördern darüber die kleinen Organisa-tionen: Wir fördern die Hospizgruppen, wir fördern dieeinzelnen kirchlichen Organisationen, wir fördern dieSozialverbände. Durch Sammelstiftungen ist in unserenWahlkreisen viel geschehen. Sie müssen sich einmal inden Kirchen und in den karitativen Organisationen um-hören. Sammelstiftungen sind dort ein wichtiges Thema.Das haben wir eingebracht. Wir haben auch eingebracht,dass Stiftungen mit 600 000 DM starten können. KleineStiftungen können 40 000 DM als Zuwendung geltendmachen. All das waren Vorschläge, die unsere Koalitionaus SPD und Grünen eingebracht hat.
Dann sprechen Sie von Rücklagen. Schauen Sie sich un-sere Gesetze einmal an, dann werden Sie feststellen: Wirhaben die Rücklagen längst gebildet. Wir haben zum Bei-spiel bei den Stiftungen die Rücklage von 25 Prozent auf33 Prozent erhöht. Auch das war ein Erfolg. Auch das istfür die jeweilige Stiftung günstig.Drittens. Rot-Grün hat die Lage der Freiwilligendiens-te verbessert. Auch das haben Sie in Ihrer Großen Anfrageangesprochen. 13 000 junge Menschen arbeiten durch un-sere Politik in den unterschiedlichen Organisationen, zumBeispiel in den Hospizgruppen und den Selbsthilfegrup-pen. Das war nur dadurch möglich, dass wir die Bundes-mittel im Vergleich zum Vorjahr um 50 Prozent erhöhthaben, und zwar von insgesamt 11,5 Millionen Euro auf16,5 Millionen Euro.Viertens. Die Selbsthilfegruppen sind ein weitereswichtiges Thema. Diese Gruppierungen sind für uns sowichtig, dass wir gerade sie weiter dabei unterstützen,kranken Menschen zu helfen und sie zu beraten. In denkommenden Jahren wird noch mehr Unterstützung nötigsein. Das werden wir in der nächsten Legislaturperiodeauch umsetzen; das ist für uns keine Frage.
Wir haben bereits einen guten Ansatz gefunden: 1 DM proBürger wird den Selbsthilfegruppen zur Verfügung ge-stellt.Fünftens. Die Bürokratie wird abgebaut. Auch das istin Ihrer Großen Anfrage angesprochen worden. Da kannich Ihnen nur sagen: Durch die jüngste SPD-Initiative istein Übungsleiter, der bis zu 930 DM verdient, nicht mehrsozialversicherungspflichtig. Damit sollten Sie sich ein-mal beschäftigen.
Die Vereine profitieren davon. Sie sparen nicht nur Kos-ten, sondern auch der Verwaltungsaufwand ist dadurch re-duziert worden. Spendenquittungen sind ein weiteresThema. Sie werden jetzt von den kleinen Vereinen ausge-stellt; das läuft nicht mehr über die Stadt. Das ist wirklichkein Problem. Auch das werden wir in den kommendenJahren weiter forcieren.Sechstens. Auf unseren Antrag hin haben wir die En-quete-Kommission eingerichtet. Das ist wirklich eingroßer Wurf gewesen. Wir werden die neuen Vorschlägegemeinsam erarbeiten und in aller Ruhe abarbeiten. Alldie Punkte, die in der Enquete-Kommission erwähnt wor-den sind, versuchen wir umzusetzen. Soweit dies möglichist, geschieht das in dieser Legislaturperiode, keine Frage,aber viele Punkte werden wir in der nächsten Legislatur-periode gemeinsam mit unserer Fraktion umsetzen.Rot-Grün hat das Ehrenamt attraktiver gemacht. Dasmuss man festhalten. Immer mehr Menschen kommenauch zu den kleinen Organisationen. Lesen Sie einmal dieShell-Studie, dann werden Sie das feststellen. Die Men-schen arbeiten in kleinen Hospizgruppen. Ich habe das
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bei meinem Vater erlebt. Er ist vor zwei Jahren gestorben.Er ist von einer Hospizgruppe über ein Jahr begleitet wor-den. Das war nicht nur die Pflegearbeit, das war gleich-zeitig auch die Begleitung bis in den Tod und die Trauer-arbeit mit meiner Mutter. Davor kann man eigentlich nurden Hut ziehen. Das alles werden wir weiter unterstützen.
Rot-Grün hat das Ehrenamt trotz der schlechten Start-bedingungen attraktiver gemacht; ich habe darauf hinge-wiesen. 41 Milliarden Euro Zinsen zahlen wir pro Jahr;das ist Ihre Hinterlassenschaft. Wir tilgen noch nicht ein-mal. Das ist, als wenn eine Berlinerin 4 000 Euro verdientund pro Monat erst einmal 1 000 Euro in die Spree wirft.Davon hat sie gar nichts mehr. Sie kann noch nicht einmaldie Schulden für ihr Haus tilgen. So sind die Verhältnisse.Wir haben zum ersten Mal die Zinslast reduziert. Wirmachen endlich weniger Schulden. 1998 betrug der An-stieg noch 28 Milliarden Euro, im Jahr 2001 waren es22 Milliarden Euro. Wir versuchen, 2006 die Nullmarkezu erreichen.Sie aber, meine sehr verehrten Damen und Herren vonder CDU/CSU, fordern heute einfach mehr Geld für dasEhrenamt. Gestern sollte mehr Geld für die Bundeswehrinvestiert werden. Vorgestern wollten Sie Geld für dieForschung. Jeden Tag gibt es neue CDU/CSU-Wünsche.Träume und Wünsche haben wir alle. Nur lässt es sichnicht realisieren, auf der einen Seite Steuern zu sparen undauf der anderen Seite diese Träume zu erfüllen. Gesternnoch wollte die CDU/CSU die Ökosteuer komplett ab-schaffen – es geht um 17 Milliarden Euro –, heute sprichtsie schon nicht mehr davon. Die alte 630-DM-Regelungsollte wieder eingeführt werden – das wären 2,7 Milliar-den Euro –, heute sprechen Sie nur noch gedämpft davon.Die CDU/CSU nimmt die Neuverschuldung einfach inKauf, ob Stoiber oder Merkel. Sie lebten immer über IhreVerhältnisse, meine Damen und Herren, frei nach demMotto: Nach uns die Sintflut.An dieser Stelle machen wir einfach nicht mit undsagen Nein. In Ihrer Anfrage singen Sie in Ihrem ge-mischten Chor: Ökosteuer – nein, 630-DM-Gesetz – nein.Heute überrascht der Bayer mit dem Solo: Die Ökosteuerbleibt.Sie müssen sich auf die neue Politik einstellen. Inso-fern war Ihre Anfrage auch nicht ganz stimmig. Vor allemmüssen Sie das bei der Rede berücksichtigen, HerrRiegert. Der Wind hat sich gedreht, hier ist mehr Südwindgegeben.
Rot-Grün hingegen weiß genau: Das Ehrenamt ist dasHerz der Gesellschaft. Deshalb fördert und unterstützt dieKoalition auch weiterhin unsere Vereine, unsere Selbst-hilfegruppen und unsere ehrenamtlich Tätigen.
Für die
FDP-Fraktion spricht der Kollege Gerhard Schüßler.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Die Gesellschaft lebtnicht vom Staat, sondern von der Bereitschaft der Bürger,Verantwortung zu übernehmen – so der ehemaligeBundespräsident Roman Herzog. Genau das passiert inunseren Vereinen, in unserer vielfältigen Vereinsland-schaft. Die Vereine leisten einen unverzichtbaren Dienst,insbesondere auch für die jungen Menschen.In unserer Informations- und Kommunikationsge-sellschaft wirken heute mehr Einflüsse von außen auf diejungen Menschen ein als in früheren Zeiten, vor allem ausder Welt der Medien und des Konsums. Allein aus diesemGrund kommt den Vereinen in Deutschland eine herausra-gende Bedeutung zu. Sie geben jungen Menschen Orien-tierung, sie führen sie auch an die Lebenswirklichkeitheran, damit sie sowohl eigenständig als auch gemein-schaftsfähig werden.
Die Vereine sind der Grundstein einer Zivilgesell-schaft. Sie sind ein herausragendes Instrument der Selbst-organisation von gesellschaftlichen Zusammenschlüssenund Gruppen. Ein Großteil des bürgerschaftlichen Enga-gements findet in ihnen statt. Zwar gibt es unter jüngerenMenschen eine Skepsis gegenüber formalen Zusammen-schlüssen wie den Vereinen, sie zögern aber nicht, wieman sieht, selbst Vereine zu gründen, wenn sie die Rechts-fähigkeit für die Organisation ihres Engagements brau-chen.Der Verein als Instrument muss daher immer noch ganzunterschiedlichen Anforderungen und Interessen gerechtwerden, vom Großverein mit Profiabteilung bis zur orga-nisierten Kleininitiative.Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit noch etwasKritisches – auch das gehört zu unserem Vereinswesen –zu den großen Bundesligavereinen sagen. Wenn Wochefür Woche Hundertschaften von Polizisten notwendigsind, um die Sicherheit in den Stadien zu garantieren – dieSicherheit ist nicht durch die vielen Tausende Menschengefährdet, die aus Freude am Sport ins Stadion gehen,sondern durch die Rowdies und Radikalinskis –, wenn esauf der anderen Seite diesen Vereinen möglich ist, für denTransfer eines Spielers – das ist moderner Menschen-handel – 100 Millionen DM zu bezahlen, wenn der be-troffene Spieler noch 20 Millionen DM Handgeld be-kommt und wenn einem Fußballtorwart 9 Millionen DMJahresgehalt gezahlt werden, dann kann ich von den Ver-einen, die solche Leistungen erbringen können, erwarten,dass sie für die Sicherheit in ihren Stadien selber verant-wortlich sind und nicht der Steuerzahler.
Die Vereine werden im Augenblick hauptsächlichdurch eine verfehlte Finanz-, Steuer- und Sozialpolitikdieser Bundesregierung belastet. Gerade Vereine klas-
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Dieter Grasedieck21036
sischer Ausprägung wie zum Beispiel Sport- und Gesang-vereine stehen unter einem enormen Kostendruck. Diekommunalen Gebühren für Hallen und Säle steigen.Schuld daran ist selbstverständlich auch eine verfehlteGemeindefinanzierung
– ja, da haben Sie völlig Recht –, die die Kommunen inden Bankrott treibt, und die steigenden Unterhaltskostenim Zuge der Ökosteuer. Da können Sie reden, wie Siewollen: Das ist so. Fragen Sie einmal in den Vereinennach!
– Ich gehöre nicht der Fraktion der CDU/CSU, sondernder FDP an, falls Ihnen das entgangen sein sollte.
Es wäre auch falsch, wenn neben dieser verfehlten Po-litik der Bundesregierung noch ein weiterer Fehler be-gangen würde, nämlich die Erhöhung der Besteu-erungsgrenze nach § 64 Abs. 3 der Abgabenordnung undder Zweckbetriebsgrenze. In diesem Punkt sind wir ande-rer Meinung als die CDU/CSU.
– Nein, das ist völlig klar. – Diese Erhöhungen würden dieWirtschaftsbetriebe der Vereine auf Kosten der gewerb-lichen Konkurrenz stärken. Eine solche Wettbewerbsver-zerrung können wir nicht akzeptieren. Die Bundesregie-rung muss vielmehr dafür sorgen, dass die Kommunenihrer Verantwortung für die Infrastruktur auch nachkom-men können. Das ist aber nicht der Fall.Die Bundesregierung hat den Vereinen – das muss ichIhnen sagen, auch wenn Sie es nicht gerne hören – durchdas 325-DM-Gesetz – ich meine: das 325-Euro-Gesetz –massiv geschadet.
– Das ist nicht der Stoiber-Euro. – Auf die Vereine ist einriesigerVerwaltungsaufwand zugekommen, da statt derpauschalen Besteuerung nun verschiedene Renten- undKrankenversicherungsbeiträge auszurechnen und an un-terschiedliche Kassen abzuführen sind. Die ehrenamtlichtätigen Menschen haben dadurch einen unglaublichenWust an Arbeit bekommen. Von Ihnen gibt es aber nur denlapidaren Hinweis auf die Arbeitgeberfunktion der Ver-eine. Dies spricht der Wirklichkeit Hohn.Mit Aufwandsentschädigungen unter 325 Euro wurdein der Vergangenheit häufig das äußerst zeit- und kos-tenintensive ehrenamtliche Engagement einiger Mitglie-der abgemildert, auf das ein Verein nicht verzichten kann.
Falls diese Mitglieder jetzt noch eine Entschädigung be-kommen, freuen sie sich im Alter sicherlich über ein paarEuro zusätzliche Rente. Die Bundesregierung kann in ih-rer Antwort nicht von einer sorgfältigen Prüfung der Aus-wirkungen sprechen. Sie hat das überhaupt nicht geprüft.
Das Festhalten der Regierung am 325-Euro-Gesetz ist in-zwischen schon keine Frage der Ideologie mehr, sondernes ist fast schon Altersstarrsinn, weil sie von keiner Seiteeinen Rat annimmt.
In der Enquete-Kommission „Zukunft des bürger-schaftlichen Engagements“ wird heftig über den so ge-nannten Übungsleiterfreibetrag diskutiert. Die FDP siehtin der momentanen Fassung eine gleichheitswidrige Be-vorzugung von Übungsleitern und von den durch die Fi-nanzrechtsprechung ebenso anerkannten Betreuern mitpädagogischer Ausrichtung. Viele wichtige Formen desEngagements werden nicht berücksichtigt. Kurzfristigkann man nur durch eine vorsichtige Ausdehnung errei-chen, dass diese Ungleichbehandlung beseitigt wird, wo-bei dann allerdings eine Erhöhung des Freibetrages kaummöglich sein dürfte.Langfristig sollten solche Steuerprivilegien im Zugeeiner grundlegenden Steuertarifsenkung jedoch aufge-geben werden, da sie meist die herkömmlichen Strukturenfestigen und neue innovative Formen des Engagementsausklammern. Außerdem sollte der Gesichtspunkt derUnentgeltlichkeit des ehrenamtlichen Engagements nichtganz untergehen.
Die Vereine könnten also schon durch eine Korrektureiniger gravierender Fehler der Regierungspolitik deut-lich entlastet werden. Notwendig sind die Rücknahme des325-Euro-Gesetzes und der Erhöhung der Gewerbe-steuerumlage als kurzfristige Maßnahme im Hinblick aufdie Gemeindefinanzen. Dringend geboten ist auch dieErarbeitung eines transparenten und gerade für ehrenamt-lich Engagierte leicht anwendbaren Gemeinnützigkeits-rechts. Der administrative Aufwand der Vereine muss sogering wie möglich gehalten werden, wobei nicht ver-kannt werden darf, dass die Vorteile von Rechtsfähigkeitund Gemeinnützigkeit auch Pflichten mit sich bringen,die den Vereinen nicht einfach erlassen werden können.Die Bundesregierung und die rot-grüne Koalition soll-ten die Aktivitäten in Vereinen oder ehrenamtliche Akti-vitäten anregen, statt sie durch strenge Überwachung,Überregulierung und falsche Steuergesetzgebung zu ver-hindern.
Für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht die Kol-
legin Ulrike Höfken.
Sehrgeehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Gerhard Schüßler21037
Kollegen! Wir haben das heutige Thema in den unter-schiedlichsten Gremien breit diskutiert. Das Ehrenamt hatgerade in den ländlichen Regionen eine sehr große Be-deutung. Die auf Antrag der Koalitionsfraktionen einge-setzte Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaft-lichen Engagements“ wird dazu in diesem Jahr ihrenBericht vorlegen und uns Handlungsempfehlungen ge-ben. Die Menschen in den Vereinen sehen, dass es uns umeine zukunftsfähige und langfristige Entwicklung der Ver-eine und des bürgerschaftlichen Engagements von vielenBürgerinnen und Bürgern geht.Die Opposition hat diese Arbeit auf die altbekannteWeise begleitet: Statt Vorschläge mit seriösen Finanzie-rungsmöglichkeiten zu machen, stellen Sie auch auf die-sem Gebiet nicht durchgerechnete und damit unbezahl-bare Forderungen.
Je näher der Wahltermin rückt, umso weiter entfernen Siesich von einer glaubwürdigen und ernst zu nehmendenBehandlung dieses Themas.Tatsache ist: Die Ausweitung des steuerbegünstigtenPersonenkreises, wie Sie das fordern, auch auf ehrenamt-lich tätige Vorstandsmitglieder und Funktionsträger sowiedie Anhebung der steuerfreien Übungsleiterpauschale aufetwa 2 400 Euro würden nach Angaben des Bundesfi-nanzministeriums Steuerausfälle von insgesamt bis zu13,5 Milliarden Euro ergeben. Das ist unglaublich.
Sie kennen diese Zahl, aber wie üblich verschweigenSie diese der Öffentlichkeit. Es wundert mich deswegenauch nicht, dass Sie keine Vorschläge für eine Gegen-finanzierung machen. Sie wissen genauso gut wie ich,dass in dieser finanziellen Größenordnung keine vernünf-tige Gegenfinanzierung mehr möglich ist.Jetzt legen Sie in Ihrem Antrag noch eins drauf, dennSie wollen eine steuerfreie Ehrenamtspauschale von600 Euro einführen. Dies hätte auch die Folge, dass dasEhrenamt unter monetären Aspekten gesehen wird. Dasist nicht unser Weg. Wir werden Ihnen darauf auch heuteantworten: Das ist nicht finanzierbar und würde einfalsches gesellschaftspolitisches Signal bedeuten.Rot-Grün – das hat der Kollege Grasedieck sehr deut-lich gemacht – macht das Ehrenamt attraktiver bzw. über-haupt erst attraktiv. Das Ehrenamt verdient und benötigtRechte in einem schlüssigen Gesamtkonzept und mit ei-ner verbesserten Rechtsgrundlage. Dafür bildet die Ar-beit der Enquete-Kommission die Basis.Unterhalb der Gesetzesschwelle ist durchaus ein wei-terer Abbau überflüssiger Bürokratie möglich. Dieses Zielist in den letzten Jahren von der rot-grünen Regierung ver-folgt worden. Unsere Fraktion setzt sich zum Beispielfür eine Entbürokratisierung der geringfügigen Beschäf-tigungsverhältnisse, also der 325-Euro-Jobs, ein. Diehauptamtliche Arbeit in den Vereinen wird oftmals mit ge-ringer Stundenanzahl und geringer Entlohnung geleistet.Es soll überprüft werden, ob bürokratische Belastungengerade für kleine und mittlere Vereine weiter abgebautwerden können. Das wäre beispielsweise dann der Fall,wenn die Sozialversicherungsbeiträge pauschal erhobenund von einer zentralen Stelle eingezogen werden könn-ten. Zusätzlich könnten die bisher monatlichen Meldun-gen durch jährliche Meldungen ersetzt werden. Im End-effekt würde dieses Verfahren keine Kosten nach sichziehen, sondern zu Ersparnissen führen, weil der Verwal-tungsaufwand für die Vereine deutlich verringert würde.
Wir danken Ihnen gleichzeitig – das hat auch der Kol-lege Grasedieck schon getan – für die Möglichkeit, heutenochmals auf einige wichtige Neuerungen bei der Förde-rung des bürgerschaftlichen Engagements hinzuweisen.Im letzten Herbst – das ist schon gesagt worden – wurdezwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbändender Sozialversicherung vereinbart, dass die Tätigkeit vonÜbungsleiterinnen und Übungsleitern im Sport nichtmehr grundsätzlich als abhängige Beschäftigung anzuse-hen ist. Das bedeutet, dass die Tätigkeit, wenn der Ver-dienst bis zu 479 Euro beträgt und sie weniger als 15 Stun-den beansprucht, nicht mehr beitrags- und meldepflichtigist. Gerade für selbstständig tätige Übungsleiter heißt das,dass sie nicht mehr die Pflicht haben, Sozialabgaben zuleisten. Für die Sportvereine entfällt damit ein beträcht-licher bürokratischer Aufwand, der durch das Meldever-fahren unter Ihrer Verantwortung entstanden war.
Im Steuerrecht – das haben Sie erwähnt – werden diegemeinnützigen Vereine erheblich begünstigt, da siegrundsätzlich von der Körperschaft-, Gewerbe-, Grund-und Erbschaftsteuer befreit sind. Aber es ist – auch voneinem FDP-Kollegen – auf die mögliche Konkurrenz zuden gewerblichen Unternehmen hingewiesen worden.Natürlich können die Vereine die Zweckbetriebsgrenzewahrnehmen. Seit Januar 2000 gibt es vereinfachte Ver-fahren gegenüber den Regelungen, für die die jetzige Op-position noch als Regierung verantwortlich war.Noch ein Letztes zum Thema Bürokratie. Erst gesternhaben die Ausschüsse des Bundestages ihre Beratungenüber das Personenbeförderungsgesetz abgeschlossen. Eswurde eine wichtige Neuerung – auch für die Vereine –beschlossen: Wenn Busfahrten mit Sport- oder Jugend-gruppen durchgeführt werden, benötigen die Vereine undJugendorganisationen in Zukunft keine eigene Geneh-migung nach dem Personenbeförderungsgesetz mehr. Esreicht aus, wenn der beauftragte Busunternehmer im Be-sitz einer derartigen Genehmigung ist. Auch hier haben wirwieder ein leidiges Verfahren der Doppelgenehmigungabgebaut. Diese Gesetzesänderung ist von den Sport- undJugendorganisationen einhellig begrüßt worden.
Die Vereine und die ehrenamtliche Arbeit haben einevon uns allen anerkannte gesellschaftliche Funktion. Wirwerden diese spezielle Bedeutung auch in Zukunft noch
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Ulrike Höfken21038
stärker berücksichtigen, um die Rahmenbedingungen fürdas bürgerschaftliche Engagement weiter zu verbessern.Vielen Dank.
Das Wort hat nun die
Kollegin Dr. Barbara Höll für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Rund 22 Millionen Menschen
sind in der Bundesrepublik ehrenamtlich tätig. Man kann
davon ausgehen, dass die Mehrzahl von ihnen in gemein-
nützigen Vereinen organisiert ist. Ich glaube, wenn sie die
heutige Debatte hören würden, wären sie zutiefst ent-
täuscht. Die CDU/CSU hat Forderungen aufgestellt, die
berechtigt sind. Sie hat aber natürlich wieder einmal ver-
gessen, selbstkritisch einzuschätzen, was in 16 Jahren al-
les versäumt wurde. Aber auch das, was bisher vonseiten
der Regierungskoalition geboten wurde, geht nicht auf
das ein, was Vereine nötig brauchen. In ihren Beiträgen
war bisher überwiegend Selbstlob zu hören. So ist es auch
in der Antwort auf die Große Anfrage nachzulesen.
Ich glaube, so kann man die Probleme von gemeinnüt-
zigen Vereinen nicht lösen. Wir haben sowieso ein grund-
legendes Problem: Das ehrenamtliche Engagement, wel-
ches wir alle wünschen, darf nicht missbraucht werden,
um vielleicht gesellschaftliche Brüche zu kitten oder um
dort, wo der Staat soziales Engagement zurückfährt, auf
die nur noch ehrenamtliche Tätigkeit von Menschen zu
bauen. Gerade weil das nicht sein darf, gilt es in besonde-
rem Maße, sich den Vereinen zuzuwenden; denn die öf-
fentliche Hand hat immer weniger Geld. Ich verweise nur
auf die hohe Verschuldung der Kommunen, die oftmals die
Tätigkeit der Vereine nicht mehr mitfinanzieren können.
In meiner Heimatstadt Leipzig gibt es jetzt die Aktion
„weißer Januar“, weil die Kulturszene gesagt hat, dass
das, was im Haushalt 2002 gestrichen wurde, so stark an
die Substanz gehe, dass sie nicht mehr in der Lage sei, ge-
rade das, was an Kinder- und Jugendarbeit geboten werde,
weiter zu realisieren. Es ist also bei weitem nicht so, dass
alles glänzt und sich die Regierungskoalition zurückleh-
nen kann.
Wir haben eben das Problem, dass Gelder verstärkt für
die Realisierung von Projekten erwirtschaft werden müs-
sen, zum Beispiel die Kofinanzierung für LKZ-Stellen.
Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass die Vereine
sehr enge Gewinngrenzen sowie beschränkte Möglich-
keiten für Rücklagen haben, um sich dauerhaft Liquidität
zu schaffen.
Vereine sind immer stärker auf Spenden angewiesen.
Aber auch aufgrund des Steuersenkungsgesetzes – das ist
nun einmal die Realität – sinkt der steuerlicher Anreiz für
Spenden. Darüber hinaus haben die Vereine sehr hohe An-
forderungen, die sich aus der Satzung, aus der laufenden
Buchführung und der Bilanzierung ergeben. Sie haben
sehr geringe liquide Mittel.
In der Antwort auf die Große Anfrage wird dies meiner
Meinung nach vonseiten der Koalition unberechtigter-
weise abgewiegelt. Das sage ich, obwohl es unbestreitbar
ist, dass Sie in den drei Jahren Ihrer Regierungszeit durch-
aus einige Dinge verabschiedet haben: die Abschaffung
des Durchlaufspendenverfahrens, die Erhöhung und Er-
weiterung der Übungsleiterpauschale und die Regelung,
dass Vereine unter bestimmten Bedingungen nur noch
15 Prozent und nicht mehr 75 Prozent der Werbungsein-
nahmen als Gewinne versteuern müssen.
Aber es gilt auch zu konstatieren, dass Sie mit Ihrer
Zielstellung, die Stiftungen zu fördern, welche ich teile,
obwohl ich an der konkreten Ausgestaltung Kritik übe, ei-
nen Zustand herbeigeführt haben, dass die Stiftungen
gegenüber den gemeinnützigen Vereinen tendenziell be-
vorteilt sind. Es kann doch nicht gewollt sein, dass man
nur noch eine bestimmte Form bevorteilt und eine andere
dadurch deutlich schlechter stellt. Dies machen Sie vor
dem Hintergrund, dass Sie, wie gesagt, auch bei der Neu-
regelung des Stiftungsrechtes gerade die zivilrechtlichen
Regelungen ausgelassen haben und bestimmte Dinge wie
die angemessene Alimentierung des Stifters und seiner
Angehörigen nicht aufgehoben oder wenigstens be-
schränkt haben.
Aus diesem Grunde gilt es, wirklich ernsthaft über
Dinge nachzudenken, die in der Großen Anfrage ange-
sprochen sind: eine Erweiterung der Inanspruchnahme
der Übungsleiterpauschale für alle im ideellen Bereich
der Vereine tätigen und aktiven Bürgerinnen und Bürger,
Erweiterung der Möglichkeit der Bildung von Liqui-
ditätsreserven, die Anhebung der Besteuerung und
Zweckbetriebsgrenze, die Einführung gesetzlicher Frei-
stellungsregelungen vom Beruf für ehrenamtlich Tätige
– das gibt es, siehe Technisches Hilfswerk – und letztlich
die Bereitstellung finanzieller Hilfe, damit gerade Vereine
ihren gesetzlichen Pflichten in Bezug auf Buchhaltung
und Verwaltung von Arbeitskräften professionell nach-
kommen können.
Ich wünsche mir dazu eine sachliche Beratung und
Selbstkritik von allen Seiten, sodass man dann die Ziel-
stellung tatsächlich verwirklichen kann.
Ich danke Ihnen.
Nun hat der Kollege
Dr. Klaus Rose für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin!Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Im Sportaus-schuss reden wir immer sehr gerne von Fairness und frak-tionsübergreifender Harmonie. Wenn ich mir die heutigeDebatte anhöre, stelle ich fest, dass davon wenig zuspüren ist.
Wenn vor allen Dingen vonseiten der rot-grünen Ko-alition Abgeordnete aus dem Sportausschuss sprechen,
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Ulrike Höfken21039
dann habe ich den Eindruck, dass sie offensichtlich wenigzu sagen haben.
Das stimmt mich traurig.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat ihre Große An-frage zum Vereinswesen schon im Sommer 2000 einge-bracht,
weil sie sich berechtigte Sorgen um die Zukunft der Sport-vereine machte. Ich betone also nochmals: Eingebrachtwurde die Große Anfrage im Sommer 2000. Jetzt endlichkommt eine Antwort und eine Debatte darüber. Sie kön-nen doch nicht so tun – einige Redner von Ihnen behaup-ten das –, als ob wir jetzt während des Wahlkampfes die-ses Thema entdecken. Hätten Sie früher eine Antwortgegeben, hätten wir früher darüber reden können.
Sie können doch nicht aus Ihrem Gedächtnis streichen,dass Sie bei den Versammlungen und im Gespräch mitden Sportvereinen eigentlich das Gleiche sagen, was wirfordern. Ich habe es in den Zeitungen gelesen.
Sie haben ihnen vor zwei Jahren in Gesprächen vor Ort al-les Mögliche versprochen, aber eingehalten haben Sienichts. Zwischen den rosaroten Ankündigungen und dengrün-roten Ergebnissen klafft eine riesige Lücke.
Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große An-frage ist dafür der Beweis.Ich sage es noch einmal: 1990 haben wir uns Gedan-ken über die Fortentwicklung der Förderung der Vereinegemacht. Wenn heute davon die Rede ist, dass die En-quete-Kommission auf Wunsch der SPD eingesetztwurde,
dann sage ich: Die Fortentwicklung der Vereinsförderungist unsere Arbeit, weil wir 1990 ein Vereinsförderungs-gesetz eingeführt haben.
Wir haben uns Gedanken gemacht, wie wir das noch ver-bessern können. Ich kann Sie nur bitten, dass Sie bei derFörderung der Vereine mitmachen und dass sich vor allemdie Mitglieder des Sportausschusses durchsetzen können.
Es stimmt mich traurig, dass vonseiten des Bundes-innenministeriums in der gesamten Debatte über diesesThema, für das dieses Ministerium zuständig ist, niemandanwesend ist.
Daran sehen wir doch, welchen Stellenwert die Vereine– vor allem die Sportvereine – haben.Meine Damen und Herren, wir erwarten, dass die Bun-desregierung unsere Vereine entlastet und nicht belastet.Wir erwarten, dass sie die wirtschaftliche Kraft der Ver-eine stärkt und nicht schwächt, schon gar nicht
durch eine aufgeblähte Bürokratie. – Ich hatte heute be-fürchtet, dass wieder der Versuch unternommen wird, vongroßen Leistungen zu sprechen und die großen Lasten aufden Schultern der Ehrenamtlichen zu verschweigen. Ichsage das, weil Ihr Zwischenruf kam, Herr KollegeWeisheit. Sie haben einen schönen Namen, aber der Zwi-schenruf ist unverfroren.
Wenn ich – um nur ein Beispiel zu nennen – über dieschwierige Lage von Witwen bezogen auf ihre Renten re-den und behaupten würde, die könne doch nicht soschwierig sein, schließlich gebe es auch Millionärswit-wen,
dann wäre das genauso unverfroren wie Ihr Zwischenruf.Als ich von der Lage der Vereine gesprochen habe – dervielen kleinen Vereine, die von den Ehrenamtlichen lebenund anders gar nicht bestehen würden, von denen Sie inIhren Sonntagsreden sagen, Sie seien dafür –, sind Siemir mit dem Zwischenruf „FC Bayern München“ ge-kommen.
– Darum geht es doch gar nicht. Es sei denn, man ist soverblendet, dass das Wort „Bayern“ bei Ihnen von Hauseaus diese Reaktion auslöst.
Ich will ja nicht sagen, dass in Ihrer Fraktion bereits derRassismus eingekehrt ist, da bei Ihnen das Wort „Bayern“immer wieder eine solche Reaktion auslöst.
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Dr. Klaus Rose21040
Meine Damen und Herren, als damals die Große An-frage eingebracht wurde – ich betone das nochmals –, gabes im ganzen Land eine Riesenaufregung wegen der Be-lastung der Sportvereine und auch anderer Vereine durchdas 630-Mark-Gesetz,
die Ökosteuer und verschiedene andere Fehlentwicklun-gen. Ich sage es noch einmal: Es gab eine Riesenaufre-gung. Das haben Sie alle gespürt. Diese Aufregung istauch in die Enquete-Kommission hineingetragen worden.Ich kann zwar zugeben, dass die Enquete-Kommission in-zwischen viele wertvolle Ideen entwickelt hat, aber um-gesetzt hat sie noch nichts. Wahrscheinlich ist die Taktiksowieso, zu verzögern und bis zur nächsten Wahl zu war-ten, bis das Ganze wieder einschläft.Meine Damen und Herren, es ist in der Antwort der Bun-desregierung auf unsere Große Anfrage knallhart zum Aus-druck gekommen, dass die Neuregelung des 630-Mark-Gesetzes – ich verwende nach wie vor diesen alten Begriff,weil er in der Anfrage, die wir eingebracht haben, genanntwird – nur dem Finanzminister und vielleicht auch dem Ar-beitsminister zugute kommt. Man hat billigend in Kauf ge-nommen, dass der Deutsche Sportbund in seiner Stellung-nahme davon gesprochen hat, dass es zu einer schwerenBelastung der Sportvereine kommen wird. Das war der Re-gierung aber egal. Sie haben darauf hingewiesen, dass siemehr Geld brauchen. Das Geld muss hereinkommen, damitsich der Finanzminister und auch andere freuen.
Bei manchen war heute in der Debatte ohnehin nur dieRede davon, wie wichtig es sei, die Finanzen zu sanieren.Sie sind mit keinem Wort darauf eingegangen, welcheSorgen die Vereine und die Ehrenamtlichen draußen ha-ben. Frau Kollegin Freitag, ich sehe, dass Sie den Kopfschütteln. Das verstehe ich nicht. Sie reden im Sportaus-schuss völlig anders, als es heute der Fall ist.
Deshalb verstehe ich nicht, warum im Sportausschussüberhaupt noch große Sprüche geklopft werden.
Ich möchte noch kurz darauf eingehen, dass wir in un-serem Entschließungsantrag sechs Forderungen vorge-legt haben. Wir möchten noch einmal auf die eigentlicheZielsetzung aufmerksam machen. Wir wollen eine Ver-stärkung der Gestaltungsmöglichkeiten der Vereine undmehr Freiräume. Wir wollen keine Einengung und Gän-gelung. Wir wollen eigentlich nichts anderes, als dass dieEnquete-Kommission hoffentlich doch noch irgendwanneinmal einiges umsetzt.Wir wissen doch alle, dass Vereine nicht nur Selbst-zweck sind, sondern eine Entlastung für den Staat dar-stellen. Wir wissen auch, dass Vereine den Bürgerinnenund Bürgern nur dann etwas bieten können, wenn man ih-nen hilft und sie nicht gängelt. Darum appelliere ich zumSchluss an Sie: Schauen Sie sich bitte unsere Forderungennoch einmal an. Sie haben heute bereits erwähnt, dass Siemanches davon inzwischen umgesetzt haben. Das habenSie vorhin stolz als Leistungen verkündet.
– Das erkenne ich auch an.
Da sind wir nicht auseinander. Aber, als wir unsere GroßeAnfrage vor zwei Jahren eingebracht haben, hatten Sienoch nichts gemacht. Wenn Sie inzwischen ein bisschenetwas getan haben, ist das okay.Lassen Sie uns doch gemeinsam um das große Ziel rin-gen. Diesem großen Ziel hat unsere Große Anfrage ge-dient. Wenn wir auf diesem Weg in Zukunft besser mitei-nander auskommen, soll es mir Recht sein. Die Freude amfreiwilligen Engagement für andere sollte uns allen einAnsporn sein.
Der Kollege LotharBinding hat seine Rede zu Protokoll gegeben.1)Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell ist vereinbart, den Entschließungsan-trag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/8035zur federführenden Beratung an den Sportausschuss so-wie zur Mitberatung an den Finanzausschuss und denAusschuss für Arbeit und Sozialordnung zu überweisen.Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann istdie Überweisung so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a bis 10 c auf:a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Verbraucherschutz,Ernährung und Landwirtschaft
– zu der Unterrichtung durch die BundesregierungWaldzustandsbericht der Bundesregierung2000 – Ergebnis des forstlichen Umwelt-monitoring –– zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne-ten Heidemarie Wright, Brigitte Adler, ErnstBahr, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder SPD sowie der Abgeordneten Steffi Lemke,Ulrike Höfken, Kerstin Müller , RezzoSchlauch und der Fraktion des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN zu der Unterrichtungdurch die BundesregierungWaldzustandsbericht der Bundesregierung2000 – Ergebnis des forstlichen Umwelt-monitoring –– Drucksachen 14/4967, 14/5560, 14/6273 –
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Dr. Klaus Rose21041
1) Anlage 5Berichterstattung:Abgeordneter Siegfried Hornungb) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungGesamtwaldbericht– Drucksache 14/6750 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Tourismusc) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Forstver-mehrungsgutgesetzes
– Drucksache 14/7384 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-wirtschaft
– Drucksache 14/7998 –Berichterstattung:Abgeordneter Albert DeßZum Gesamtwaldbericht liegt je ein Entschließungs-antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/DieGrünen sowie der Fraktion der CDU/CSU vor.Intrfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnungum die Beratung des Waldzustandsberichts 2001 der Bun-desregierung zu erweitern und als Zusatzpunkt 12 zu be-raten. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich rufe den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 12 auf:Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungWaldzustandsbericht der Bundesregierung2001 – Ergebnis des fortlichen Umweltmonito-ring –– Drucksache 14/7946 –Nach einer interfraktionellen Vereinbarungen ist fürdie Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sind Siedamit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch.Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als Erstem demParlamentarischen Staatssekretär Dr. Gerald Thalheimdas Wort.Dr
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Ich möchte mit etwas Erfreulichembeginnen, nämlich dem großen öffentlichen Interesse ander Situation der Wälder nicht nur in Deutschland, son-dern weltweit.
Ebenfalls erfreulich, Herr Schorlemer, ist die Bilanz derBundesregierung auf diesem Gebiet.Nicht ganz so erfreulich ist die Situation der Wälder,auch wenn in den letzten Jahren deutliche Verbesserungenerreicht worden sind. Es ist zwar eine Stabilisierung desZustandes der Wälder zu konstatieren. Aber es gibt in derZukunft noch viel zu tun. Es gibt also weder Anlass zurDramatisierung noch Anlass zur Entwarnung. Wir müssenuns einfach vor Augen führen, dass die Ursache für dieVerschlechterungen, die Schadstoffeinträge, viele Jahr-zehnte bestanden hat. Wir konnten zwar insbesondere denUmfang des Schwefeldioxids wesentlich reduzieren.Aber man muss bedenken: Genauso lange, wie die Ursa-chen, die zur Verschlechterung vor allem des Zustandesder Waldböden geführt haben, bestanden haben, wird manbenötigen, um nachhaltige Verbesserungen zu erreichen.Es ist wesentlich schwieriger, die gleichen schnellenFortschritte, die man am Anfang bei der Reduktion desUmfangs der Emission von Schwefeldioxid erreicht hat,bei der Reduktion des Umfangs der Emission der Stick-oxide zu erzielen. Besonders hervorzuheben sind die Er-folge in Ostdeutschland. Die Waldschäden im oberenErzgebirge – ich komme aus Sachsen und weiß, wovonich spreche – hatten ja ein apokalyptisches Ausmaß ange-nommen. Wer diese vor allem durch Schadstoffe verur-sachten Schäden gesehen hat, der weiß, welche Erfolgeerreicht werden konnten und was noch alles in der Zu-kunft getan werden muss. Hier ist ein Mix aus Maßnah-men angebracht.Die Schwerpunkte, die die Bundesregierung gesetzthat, beginnen bei der Energiepolitik.UmweltfreundlicheVerbrennungstechniken und der stärkere Einsatz von re-generativen Energiequellen wie zum Beispiel der vonHolz werden gefördert. Dadurch werden Arbeitsplätze ge-schaffen und nehmen wir letztlich Einfluss auf die Holz-preise und die Wirtschaftlichkeit der Waldwirtschaft.Nicht zu vergessen sind die Bereiche Bau, Verkehr,Straßenbau und Siedlungsmaßnahmen. Hier ist in je-dem Fall exakt zwischen den Nachteilen, das heißt derVernichtung von Wäldern, und den Vorteilen, das heißtdem Ausbau der öffentlichen Infrastruktur, abzuwägen.Ich möchte auch die Ökosteuer nennen. Ich habe inder bisherigen Debatte gelernt, dass die Ökosteuer – an-geblich – den deutschen Vereinen geschadet hat. Ich kanndazu nur sagen: Dem deutschen Wald hat sie auf alle Fällegenutzt.
Die Landwirtschaft darf auf keinen Fall ausgenom-men werden. Gerade wenn es um Nox-Verbindungen geht,ist die Landwirtschaft neben dem Verkehr die wichtigsteSchadstoffemissionsquelle. Insbesondere ist in diesemZusammenhang die Tierhaltung zu nennen. Auch hierbemühen wir uns, durch die Neuausrichtung der Agrarpo-litik zu Verbesserungen zu kommen: Die Reduzierung derViehdichte und der Einsatz von emissionsminderndenVerfahren insbesondere beim organischen Dünger werdengefördert. So viel zur Situation auf der nationalen Ebene.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Vizepräsidentin Anke Fuchs21042
Genauso wichtig sind die Anstrengungen, weltweit zurVerbesserung der Situation der Wälder beizutragen. Nachwie vor werden jährlich 15 Millionen Hektar Wald durchBrandrodung, durch Umwandlung für andere Nutzungs-arten, durch Umweltkatastrophen, durch industrielleHolznutzung – die Liste ließe sich fortsetzen – vernichtet.Die Folgen sind bekannt: Vernichtung und Ausrottung un-zähliger Tier- und Pflanzenarten, Erosion und Umwelt-schäden, Freisetzung von Kohlendioxid, das allein20 Prozent zum Treibhauseffekt beiträgt.Was tut die Bundesregierung auf diesem Gebiet? Wirhaben uns maßgeblich an der Gründung des Waldforumsder Vereinten Nationen beteiligt, haben vor allem auchnach dem Gipfel von Rio Maßnahmen zur Walderhaltungmit ausgehandelt. Deutschland ist in der forstlichen Ent-wicklungszusammenarbeitweltweit führend. Derzeit för-dern wir mit rund 130 Millionen Euro pro Jahr 310 Wald-projekte in 66 Ländern.
Ich habe mir solche Maßnahmen erst im vergangenenJahr in Brasilien anschauen können. Es ist sehr wichtig, inden Entwicklungsländern erfahrbar zu machen, dass einenachhaltige Bewirtschaftung im wirtschaftlichen Interessedieser Länder liegt. Es nützt nichts, darauf hinzuweisen,sie sollten etwa weniger Soja für den Export anbauen,wenn in den Ländern nicht die Erfahrung gesammelt wird,dass eine nachhaltige Bewirtschaftung letztlich in ihremureigenen wirtschaftlichen Interesse liegt. Dazu dienengerade die Projekte Deutschlands in diesen Ländern.
In einem letzten Punkt möchte ich noch auf den Ent-wurf eines Forstvermehrungsgutgesetzes eingehen, dashier auch zur Debatte steht. Damit setzen wir eine euro-päische Richtlinie um. Wenn wir naturnahe Wälder wol-len, dann brauchen wir auch entsprechendes Saat- undPflanzgut für die genetische Vielfalt der Wälder. DasForstvermehrungsgutgesetz ist eine wichtige gesetzlicheGrundlage, um diese Ziele in der Zukunft zu erreichen.Die Aufzählung all unserer Anstrengungen ließe sichabendfüllend fortsetzen. Ich will darauf verzichten, weilich davon ausgehe, dass vor allem die Damen meinerFraktion und auch der Fraktion der Grünen die Liste nochvortragen werden.Vielen Dank.
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht der Kollege Cajus Julius Caesar.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Der Gesamtwaldbericht undder Waldzustandsbericht der Regierung werden den An-forderungen der Koalition, die sie selbst einmal aufge-stellt hat, aber insbesondere auch unseren Anforderungenin keinster Weise gerecht.
Die Verwaltung hat sich zwar bemüht, durch Formu-lierungen und attraktive Bilder einen Bericht zusammen-zustellen, der zumindest von der Ummantelung her einenguten Eindruck macht. Für eine Verwaltung ist es abernatürlich extrem schwierig, etwas zu Papier zu bringen,wenn der Regierung das Handeln fehlt. In den Aussagender Regierung ist wenig Konkretes, es fehlen Akzente,und sie ist in Ihren Aussagen auch nicht zukunftsträchtig.Die Leistungen von CDU/CSU können sich sehen las-sen. Sie ruhen sich ein Stück weit darauf aus. Ich nenne alsStichworte „Rettet den Wald“, 1983, und viele rechtlicheRegelungen aus den 90er-Jahren: Bundes-Immissions-schutzgesetz, Großfeuerungsanlagen-Verordnung, Klein-feuerungsanlagen-Verordnung, Katalysator, Einführungdes schadstoffarmen Diesel, schadstoffbezogene Kfz-Steuer und vieles mehr. Insbesondere viele internationaleVereinbarungen haben dazu beigetragen, dass Deutsch-land vorn stand, Vorbildfunktion hatte. Wir als CDU/CSUsind stolz auf diese Leistungen. Damit können wir uns se-hen lassen.
Wir jedenfalls können uns des Eindrucks nicht erweh-ren, dass Sie von SPD und Grünen, von der jetzigen Re-gierung, sich beim Spaziergang durch den Wald verirrt ha-ben und im Kreis laufen.
Sie kommen mit Ihren Argumenten und mit all den Din-gen, die Sie sich einmal vorgenommen haben, nichtvoran. Sie haben sich im Dickicht verirrt und können nurwenig Taten vorweisen. Vielmehr geht Ihre Politik der Zu-kunft zulasten der Waldbesitzer und zum Teil auch unse-res Ökosystems.Wald ist mehr als die Summe von Bäumen. Es ist dieVielfalt unseres Ökosystems. Wir müssen dafür eintreten,unser Wald hat vielfältige Funktionen für die Erholung su-chende Bevölkerung, aber auch für das Ökosystem insge-samt.
Die Forstwirtschaft hat eine große Bedeutung in unse-rer Gesellschaft. Diese Bedeutung sollten auch Sie als Re-gierungskoalition entsprechend honorieren. Das bedeutet,den Rohstoff Holz als einen Rohstoff, der umweltfreund-lich erzeugt wird, entsprechend zu fördernAuch das nationale Klimaschutzziel bis zum Jahre2005, also die CO2-Reduktion um 25 Prozent zu errei-chen, bedeutet, den Einsatz des Holzes als erneuerbarenEnergieträger voranzubringen. 1 Kubikmeter Holz spei-chert immerhin 1 Tonne CO2. Daran erkennt man eben-falls die enorme Bedeutung unseres Waldes und unseresHolzes als Rohstoff.
Wir als CDU/CSU haben in diesem Zusammenhangeingebracht, in unterdurchschnittlich bewaldeten Gebieten
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim21043
eine Waldvermehrung vorzunehmen. Leider sind Siediesem Gedanken auch beim Bundesnaturschutzgesetznicht gefolgt. Schade!
Wie machen denn Sie es? Sie kürzen beispielsweise dieMittel im Bereich der Agrarstruktur und des Küsten-schutzes; Sie kassieren lieber die Bürger bei der Öko-steuer ab, die zwar Ökosteuer heißt, aber nicht ökologischist, und das Geld wird schon gar nicht für diesen Bereicheingesetzt.Meine sehr geehrten Damen und Herren, man sollteauch die eigenen Aussagen der Vergangenheit beachten.Deshalb ist es wichtig, dass man hier nicht zulasten desWaldes und des Bürgers Politik betreibt, sondern dieDinge offensiv angeht.
Ich darf Ihnen im Übrigen auch noch einmal ans Herzlegen, die Aussagen der Arbeitsgemeinschaft DeutscherWaldbesitzerverbände vom 10. Januar zu verfolgen. Ichkann dem nur Recht geben, wenn gesagt wird: Eine kon-struktive Einbeziehung unseres Waldes in die politischenEntscheidungen ist wichtig. Diese ist längst überfällig, hatder Präsident gesagt. Er hat auch gesagt: „Die bisherigeGewichtung dieser Aspekte durch die Regierung istfalsch. Hier werden Chancen vertan!“ Recht hat er.
Auch bei den Waldschäden handelt die Regierung mitzweierlei Maß. Wenn man Seite 57 des Gesamtwaldbe-richtes aufschlägt, dann kann man dort lesen:Die Situation kann bei diesen Baumarten mit einemFlächenanteil deutlicher Schäden im Jahr 2000 von25 % bei Fichte, 13 % bei Kiefer, 25 % bei den „an-deren Nadelbaumarten“ als zufrieden stellend beur-teilt werdenBei Ihnen ist es so: Wenn Sie die Berichte verfassenund es steht „SPD und Grüne“ darüber, dann ist alles zu-frieden stellend. Wenn darüber „CDU/CSU und FDP“steht, dann herrscht Weltuntergangsstimmung. So habenSie es bisher immer gehalten.
Das ist Ihre angeblich solide Politik im Sinne der Naturund des Waldes. Sie schieben den Schwarzen Peter solange hin und her, bis er bei den Betroffenen vor Ort an-kommt. Das kann man bei vielen Gesetzen, gerade auchaus den letzten Wochen und Monaten, feststellen. Gleich-zeitig werden die Mittel zurückgeführt, sodass viele ak-tive Maßnahmen neben den Bereichen der Vorbereitungnicht mehr oder nur bedingt durchgeführt werden können.Ich nenne stichwortartig die Bodenschutzkalkung, dieWiederaufforstung, Vor- und Unterbau sowie waldbauli-che Maßnahmen, Luftreinhaltung, Steuererleichterungenfür den Waldbesitzer, Forschung und internationale Ab-kommen: Hier gibt es erhebliche Defizite dieser jetzigenRegierung.
Wenn wir ehrlich miteinander umgehen, dann mussman sicherlich zur Kenntnis nehmen, dass 80 Prozent derStandorte in Deutschland einen Versauerungsgrad von un-ter 4,2 aufweisen. Sie wissen alle, dass ein um 1 geringe-rer pH-Wert immerhin ein Mehr von einer zehnfachenVersauerung bedeutet. Handeln ist hier angesagt, ein Han-deln für uns alle. Deshalb verstehe ich es nicht, dass Siebeispielsweise auch bei Ihren Formulierungen im Bundes-naturschutzgesetz Ideologie und Bürokratie voranstellen.Sie gehen mit der Gesetzeskeule an die Waldbesitzerheran, um ihnen Ihre Ideologie aufzuzwingen. Es gibt im-merhin 1,3 Millionen Waldbesitzer in Deutschland, dieden Wald über Generationen hinweg im Schweiße ihresAngesichts gepflegt – das sollte man nicht vergessen –und dazu beigetragen haben, dass wir unsere Natur mit ih-rer Artenvielfalt in unserem Lande vorweisen können.
Sie sprechen immer wieder von den Großgrundbesit-zern und vergessen dabei, dass 50 Prozent des Waldes inDeutschland Privatwald sind und die Durchschnittsgrößebei rund 3,6 Hektar liegt. Sie benachteiligen die Kleinen,die etwas für unseren Wald tun.
Ich will die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesit-zerverbände noch einmal zitieren:Zeigen Sie Trittin die rote Karte für seine ideologi-sche Umweltpolitik. Bewahren Sie uns vor der büro-kratischen Reglementierungswut. Wenn Sie dasRecht der Kleinen so mit Füßen treten, werden Siedieses irgendwann zu spüren bekommen, auch wennSie meinen, es ist nur eine kleine Gruppe.Recht hat die Arbeitsgemeinschaft.Wir als CDU/CSU setzen uns für die Waldbesitzer undden Wald ein. Wir meinen, auch die Menschen im ländli-chen Raum haben es verdient, Beachtung zu finden.
Auch dort werden Arbeitsplätze benötigt, auch dort wol-len die Menschen am Wohlstand teilhaben. Wir als CDU/CSU wollen Kooperation statt Konfrontation im Sinnevon wirtschaftlicher Entwicklung und im Sinne der Ent-wicklung der Natur für unsere zukünftigen Generationen.Gegenstand des heutigen Berichts ist auch der Tro-penwald. Wenn wir heute die Beratungen zum Tropen-wald im Plenum durchführen, sollten wir sehr wohl auchdie große Bedeutung dieses Bereichs in Augenschein neh-men: über 100 Millionen Jahre alte Regenwälder, emp-findliche Ökosysteme, 5 Millionen Tier- und Pflanzen-arten und etwa 400 verschiedene Baumarten auf 1 HektarRegenwald, während in Deutschland insgesamt nur60 Baumarten beheimatet sind.Die Tropenwälder versorgen insgesamt rund 1 Milli-arde Menschen mit Trinkwasser. Deshalb ist es beson-ders wichtig, dass wir der Zerstörung von rund 15 Milli-
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onen Hektar, die jedes Jahr unwiederbringlich verlorengehen, Einhalt gebieten. Das ist die Waldfläche der Bun-desrepublik und gleichzeitig die Gesamtfläche der LänderBayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen. Wegenseiner weltweiten Bedeutung ist es ganz wichtig, dass wiruns für den Erhalt und für eine nachhaltige Bewirtschaf-tung des Tropenwaldes einsetzen.Waren es unter CDU/CSU und FDP 1997 noch über150 Millionen Euro, die für Projekte im Haushalt zur Ver-fügung standen, so sind diese Mittelmittlerweile gekürztworden. Sie, Herr Staatssekretär, haben gerade nur vonder heute zur Verfügung stehenden Summe von rund130 Millionen Euro gesprochen. Tatsache ist, dass Siediese Summe in Ihrer Regierungszeit zurückgeführt ha-ben, sodass weniger Gelder für den Erhalt des Tropen-waldes und der Ökosysteme zur Verfügung stehen. Das istnicht die Politik der Union, das können wir nicht hinneh-men. Wir wollen, dass diese Mittel wieder aufgestocktwerden.
Die Lebensbedingungen für die dort wohnenden Men-schen müssen besonders beachtet werden. Deshalb ist eswichtig, dass wir die Relation nicht aus den Augen ver-lieren. Rot-Grün knebelt die Land- und Forstwirtschaft.Wir wollen nicht einen Verwaltungsbeamten pro Hek-tar, wir wollen im Sinne unserer Natur vorankommen, da-mit aus dem kleinen Pflänzchen wieder ein starker Baumwird. Wir wollen eine Politik nach dem 22. Septemberdieses Jahres für die Menschen, für die wirtschaftlicheEntwicklung in den ländlichen Räumen, aber auch für denWald und unsere Natur.Herzlichen Dank.
Nun erteile ich der
Kollegin Steffi Lemke, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
FrauPräsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Nach20 Jahren des Ringens um die Verbesserung des Zustandsunserer Wälder auf nationaler und internationaler Ebenefällt die Bilanz nüchtern aus: Der Waldverlust in denTropen schreitet ungebremst voran und der Zustand derWälder hat sich in vielen Regionen der Welt, auch inDeutschland, verschlechtert. Am stärksten von dieserEntwicklung betroffen sind die Urwälder in den Tropen.Alle zwei Sekunden verschwindet dort eine fußballfeld-große Fläche Urwald. Damit ist auch ein immenser Ver-lust von Tier- und Pflanzenarten verbunden. So warnenUmweltschützer inzwischen vor dem Aussterben desOrang-Utans innerhalb der nächsten zehn Jahre.Obwohl das Problem der Waldzerstörung seit vielenJahren – fast schon Jahrzehnten – bekannt ist und auch indie Politik Eingang gefunden hat, haben die Gegenmaß-nahmen nur teilweise Wirkung gezeigt. Die Ursachen fürdas ungebremste Abholzen liegen in vielen Entwick-lungsländern in den schlechten Kontrollmöglichkeitenbei illegalem Holzeinschlag, der Armut und Finanz-schwäche der Bevölkerung, der immer größeren Auswei-tung von Agrarflächen, insbesondere für den Sojaanbau,und auch in dem an kurzen Zeiträumen ausgerichtetenGewinnstreben vieler Holzhändler. Von diesen Tropen-hölzern gelangt zwar nur ein geringer Teil nach Deutsch-land. Nichtsdestotrotz trägt Deutschland in der Zukunfteine große Verantwortung für die Sicherung unserer Le-bensgrundlagen auch in den Tropenländern.
Um die Blockade der letzten Jahre aufzuheben, ist eineVielzahl verschiedener Maßnahmen auf einer Vielzahlvon Ebenen notwendig. Erwähnen möchte ich dabei denUN-Waldgipfel, der tatsächlich auf internationaler Ebenemit den Vereinten Nationen den Dialog über die Siche-rung der Wälder verstärkt bzw. in Gang gesetzt hat, wo-mit, wie ich glaube, für die Zukunft ein wichtiges Instru-mentarium vorhanden ist, um Einfluss auf die Länder zunehmen, in denen jährlich nach wie vor sehr viel Tropen-wald vernichtet wird.Ein zweites Instrumentarium, das in den letzten Jahrenbereits an Bedeutung gewonnen hat und in den nächstenJahren weiter an Bedeutung gewinnen wird, ist die Zerti-fizierung nachhaltiger Holzbewirtschaftung, weil nurso sichergestellt werden kann, dass Holz aus Tropenwäl-dern, das hier und in Amerika, in Kanada oder auch inStaaten wie Japan verbraucht wird, einer sozial und vor al-lem umweltverträglich nachhaltigen Bewirtschaftung ent-stammt.
Dieses Instrumentarium haben Bündnis 90/Die Grünenund auch die SPD seit mehreren Jahren forciert. Wir ha-ben die Organisationen, die die Zertifizierung des ForrestStewardship Council unterstützen, mit aufgebaut, weilklar ist, dass wir dieses Instrumentarium unbedingt brau-chen, während Sie von der Opposition es blockiert, abge-lehnt und den Versuch der Verhinderung unternommenhaben.
Ein weiterer wichtiger Schritt war die Reform derHermes-Bürgschaften, die erst unter Rot-Grün gelungenist. Auch hier hat die CDU/CSU keinerlei positiven Bei-trag geleistet. Ich glaube, dass wir auf diese Art und Weiseviele Projekte, die mit verantwortlich für die Waldzer-störung in Tropenländern sind, jetzt einer vernünftigenBewertung unterziehen und in Zukunft sicherstellen kön-nen, dass so etwas nicht mehr vorkommt. Die Entwick-lungszusammenarbeit ist unter Rot-Grün gestärkt, ver-bessert und insbesondere stärker an den Kriterien derUmweltverträglichkeit ausgerichtet worden.Ganz anders gelagert sind die Probleme des Waldeshier in Deutschland. Ich möchte allerdings voraus-schickend sagen, dass wir hier in der Tat einen sehr hohenWaldbewirtschaftungsstandard haben; das möchte ich fürBündnis 90/Die Grünen unterstreichen. Das hat natürlich
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auch etwas mit der guten Arbeit der Forstwirte inDeutschland zu tun.
Trotz der Anstrengungen in den letzten Jahres zur Ver-besserung des Waldzustandes müssen wir feststellen, dasswir zwar inzwischen eine Stagnation erreicht haben – derWaldzustand verschlechtert sich nicht weiter –, aber eineTendenz zur Besserung bisher kaum, nur in Nuancen, er-kennbar ist und von daher die Anstrengungen für die Luft-reinhaltung, für die Reduzierung des Schadstoffausstoßesnicht nachlassen dürfen, sondern verstärkt werden müs-sen.Dies scheint auch die CDU nach jahrelangem Kampferkannt zu haben; denn zum Wahlkampfauftakt hat sie er-klärt, dass sie die Ökosteuer nun doch nicht mehr ab-schaffen möchte, sondern fortführen wird. Vielleicht wirdsich diese Erkenntnis bei Ihnen auch auf anderen Poli-tikfeldern noch durchsetzen.
Unter Rot-Grün ist die Förderung der erneuerbarenEnergien massiv ausgebaut worden. Auch das wird demWald in zweierlei Hinsicht zugute kommen: zum einen,weil der Schadstoffausstoß durch die verstärkte Nutzungder regenerativen Energien reduziert wird, und zum ande-ren, weil wir den Landwirten auch über die Holznutzungbei der energetischen Verwertung neue Einkommensmög-lichkeiten eröffnen.
Ich kann hier nur den Vorsitzenden der Arbeitsgemein-schaft der Deutschen Waldbesitzerverbände, Prinz zuSalm-Salm, unterstützen, wenn er sagt: Holzhaus stattTreibhaus.
Er hat Recht: Wir sollten die Nutzung von Holz am Bauintensivieren, noch stärker, als das unter Rot-Grün bereitspassiert ist.
Ich warne trotzdem davor, dass wir in ein parteipoliti-sches Gezänk darüber verfallen, wie kurzfristige Erfolgebei der Luftreinhaltung und bei der Verbesserung desWaldzustandes erreicht werden können. Wir müssen unshier auf eine mittelfristige oder sogar langfristige Ent-wicklung einstellen. Umso wichtiger ist es, jetzt intensivdaran zu arbeiten, dass der Schadstoffausstoß reduziertwird, dass wir neue Antriebstechnologien für den Indivi-dualverkehr entwickeln und dass wir die Nutzung erneu-erbarer Energien ausweiten. Dafür steht Rot-Grün unddies wird nach der nächsten Bundestagswahl – auch unterRot-Grün – fortzusetzen sein.Danke.
Nun hat der Kollege
Ulrich Heinrich für die FDP-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine lie-ben Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute denWaldzustandsbericht. Ich möchte mich vornehmlich mitder Erfassung der Daten und mit den Erkenntnissen desWaldzustandsberichts auseinander setzen. Mir scheint,dass so einiges überholt ist und dass wir die Methodenweiterentwickeln müssen.Was wir heute wissen, ist nicht genug, um entschei-dende, notwendige Maßnahmen zu ergreifen, mit denendas Waldsterben reduziert werden kann. Teilweise gibt essogar aufgrund der Art und Weise der Erhebung – zumBeispiel, wenn man sich nur mit der Belaubung und mitder Belichtung der Bäume auseinander setzt und denBaumbestand rastermäßig erfasst – Ergebnisse, die vonder Realität abweichen, was falsche Schlüsse zulässt.Die Methoden sind nicht mehr zeitgemäß. Ich möchtedie Bundesregierung hier auffordern, von Level eins zuLevel zwei zu kommen. Ich denke dabei an eine Verbrei-terung der Parameter, mit denen die Dauerbeobachtungs-flächen – sie existieren heute schwerpunktmäßig bereits –analysiert werden. Es geht vor allen Dingen darum, einenneuen Bodenzustandsbericht – der erste ist vor 15 Jahrenerstellt worden – zu erarbeiten. Ich möchte die Bundes-regierung auffordern, dieses Projekt in Angriff zu neh-men. Die erste und letzte Bodenzustandsberichterhebunghat 1987 begonnen. Das ist jetzt 15 Jahre her. Wir müssenwieder wissen, was wir tun. Derzeit wissen wir das nicht,weil wir keine genaue Auskunft darüber haben, wie sichder Boden, die Bewurzelung und die gesamte Situationdes Umfeldes der Bäume entwickelt haben.
Insofern brauchen wir mehr und aussagekräftigere Daten.Wir brauchen andere Parameter, um zu besseren Erkennt-nissen zu kommen.Die wahrscheinlich sogar gut gemeinten Vorschlägeder Bundesregierung, dem Wald zu helfen, zum Beispieldie Naturschutznovelle, verkehren sich allerdings insGegenteil.
Wer für ein generelles Kahlschlagverbot und für einen10-prozentigen Biotopschutz sorgt, wer den Vertragsna-turschutz aushebelt und stattdessen mehr staatliche Gän-gelung einführt, hat den Forstwirt nicht mehr auf seinerSeite. Wer den Forstwirt nicht auf seiner Seite hat, wirdmit seinen Bemühungen, dem Wald und dem Ökologie-gefüge insgesamt zu helfen, keinen Erfolg haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stellenfest, dass mit der Novelle zum Naturschutzgesetz auch dieEigentumsfragen falsch beantwortet werden. Hier ist
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Steffi Lemke21046
eine schleichende Enteignung festzustellen. Dagegenwehren wir uns ganz besonders.
Die Funktionen des Waldes – im Klimaschutz, im Bo-denschutz, für die Artenvielfalt, aber auch als Rohstoff-lieferant – können nur erbracht werden, wenn der Waldwirtschaftlich betrieben werden kann. Wer glaubt, aus-schließlich mit Steuergeldern den Wald erhalten zu kön-nen, der wird bald sehen, dass diese gesellschaftlich posi-tiven Funktionen nicht mehr verwirklicht werden können.
Genau deshalb müssen wir die Wirtschaftlichkeit desWaldes in die Betrachtungsweise aufnehmen. Wir dürfennicht so tun, als wäre das völlig gleichgültig. In den An-sätzen der Bundesregierung in den vergangenen drei Jah-ren haben wir leider Gottes genau das Gegenteil erfahren:nicht Unterstützung, sondern im Gegenteil Belastung aufallen Ebenen.Insofern möchte ich dringend davor warnen, diesePolitik fortzusetzen. Die Politik muss geändert werden.Herzlichen Dank.
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Heidi Wright.
Frau Präsidentin! Sehrverehrte Kolleginnen! Liebe Kollegen! Das Jahr beginntgut: Wir führen die Walddebatte. Wald ist, so meine ich,ein gutes, weil trotz aller Probleme perspektivischesThema.Die Probleme zuerst. Es darf uns keinesfalls unberührtlassen, dass der Anteil der Bäume mit deutlichen Schädennach wie vor bei 22 Prozent liegt, bei den Laubbäumen– der geliebten Eiche, der Buche gar – deutlich höher, bei33 Prozent. Aber das Schadensniveau hat sich seit An-fang der 90er-Jahre wesentlich verbessert; Veränderungensind jetzt nur noch in geringen Prozentbereichen festzu-stellen.Der Gesamtwaldbericht zeigt uns neben den nationalenSchäden gerade auch die erschreckende Zerstörung derUrwälder auf. Für alle Bereiche – im Nationalen wie imInternationalen – gilt es, durch politisches Handeln Ver-antwortung zu übernehmen. Das heißt, die Luft- und Bo-denbelastung ist weiter zurückzuführen. Unsere Verant-wortung liegt auch hier im Nationalen wie imInternationalen. Beide Bereiche haben Wechselwirkun-gen: Wenn wir national durch konsequente Luftreinhalte-politik unsere ebenso ehrgeizigen wie notwendigen Zieleverfolgen, haben wir die besten Argumente, um dieseZiele auch international zu forcieren.
Wenn wir national eine Nachhaltigkeitspolitik als Quer-schnittsaufgabe mit Nachhaltigkeitsrat und Staatssekre-tärsausschuss verfolgen, haben wir die besten Chancen,diese Nachhaltigkeitsstrategien auch nach außen zu tra-gen.Wenn wir Naturschutz und Waldbewirtschaftung inDeutschland nach höchsten Kriterien betreiben und unsdazu ein Bundesnaturschutzgesetz und eine umfassendeZertifizierung auferlegen, werden wir auf Dauer einenWettbewerbsvorteil erlangen.
Denn es ist doch ein Trugschluss, zu glauben, mit beque-men Standards oder einer wohlwollenden FreiwilligkeitQualitätsziele erreichen zu können. Seien wir doch selbst-bewusst! Sagen wir doch: Wir wollen im Naturschutz undin nachhaltiger Waldbewirtschaftung führend sein!
Es geht doch um mehr als um Bäume. Bei aller Wert-schätzung für die Forstwirtschaft und die Waldbesitzer:Es geht um ein Ökosystem, das unsere Lebensgrundlagesichert.Damit sind wir längst bei den positiven Entwicklun-gen. Ich werde nicht müde, die neue Energiepolitik zuloben, die in mehrfacher Weise – die Kollegin Lemke hates erwähnt – positive Auswirkungen auf Wald- und Forst-wirtschaft hat. Tja, liebe Kollegen von der Opposition, daist Musik drin! Da geht der Punk ab: beim EEG und beimKWK-Gesetz, beim Marktanreizprogramm und auch beider Ökosteuer. Die rückt nämlich das Holz als Energie-träger in das rechte Licht und auf die Erfolgsspur.
Wem zum Stichwort Energiepolitik nur die Atomkrafteinfällt, der ist einfältig. Wer ist das? Der Kandidat.
Ich werde nicht müde, auch weiter die Zertifizierungnach FSC zu fordern, denn unsere deutsche Forstwirt-schaft hat sich nicht hinter einem Wald- und Wiesenzerti-fikat zu verstecken. Müde hingegen kommt mir dagegender Antrag der Opposition vor. Nein, wir werden dieSchaffung eines Biotopverbundes auf 10 Prozent derLandesfläche nicht zurücknehmen.
Mich hat in diesem Zusammenhang der Deutsche Wald-gipfel in Bad Honnef im Oktober letzten Jahres gefreut.Da gab es gute Ansätze zur Entkrampfung und die Ein-sicht in Notwendigkeiten, zum Beispiel auch bezüglichder Ausweisung weiterer Naturschutzflächen.Liebe Kollegen von der Opposition, ich komme zu ei-nem weiteren Punkt Ihres Antrages: Wir forcieren die Ent-wicklung der Technik zur Minderung der Schadstoffeim PKW- und LKW-Bereich, nicht zuletzt auch durchdie Ökosteuer, die kontinuierlich zu einem Minderver-brauch und zur Belebung der Nachfrage nach geringverbrauchenden Fahrzeugen führt. Sie, liebe Kollegen
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von der Opposition, vergessen dabei natürlich glatt dieEmissionen der Landwirtschaft. Auch hier ist eine Ver-besserung nötig, im Interesse des Waldes, aber auch im In-teresse des Tierschutzes und der Verbraucher.Wenn Sie außerdem fordern, auch innerhalb der Ge-meinschaftsaufgabe weitere finanzielle Verbesserungenfür die Forstwirtschaft herbeizuführen, so müssen Sie sa-gen, was wir stattdessen innerhalb der GA wegnehmensollen, denn die GA ist fest. Ich meine, die Zeit war nochnie so gut, die Wald- und Forstwirtschaft positiv im Be-wusstsein der Bevölkerung zu verankern. Das ist auchnotwendig. Ein Aufsatz in der aktuellen Ausgabe der „All-gemeinen Forstzeitung“ zeigt, dass nach wie vor nur40 Prozent der Bevölkerung glauben, dass die Nutzungder heimischen Holzvorräte angemessen ist. Mehr alsdie Hälfte glaubt nach wie vor an was weiß ich alles: alsoan Raubbau, Übernutzung, oder vertritt die Forderung:Baum ab – Nein, danke! Das ist aber wirklich falsch.
Wir haben ein großes ungenutztes Potenzial heimischerHolzreserven und Holznutzung ist sinnvoll.Zum Schluss, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen: Wennes uns, das heißt der Politik, den Waldbesitzern und denInteressenverbänden, künftig gelingt, über die Umsetzungdes Bundesnaturschutzgesetzes oder die Novellierung desJagdgesetzes zum Beispiel nicht ständig wegen Nichtig-keiten in Streit zu geraten und falschen Lobbyismus zubetreiben, dann schonen wir nicht nur uns selbst, sonderndienen auch dem Wald.Vielen Dank.
Als Letzter in dieser
Debatte erteile ich das Wort der Kollegin Kersten
Naumann für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Auch wenn meine Kollegin Heidi
Wright sagt, das Jahr beginne mit Wald gut, bleibt den-
noch wie jedes Jahr das gleiche Dilemma: Der Schadens-
druck auf unsere Wälder übersteigt in Deutschland, aber
auch EU-weit wesentlich das Maß dessen, was sie lang-
fristig verkraften können. Die Zunahme der Wald-
schäden in Deutschland und auch in ganz Europa zeigt,
dass sich die Umweltsituation trotz einiger beachtlicher
Teilerfolge weiter verschlechtert. In Thüringen erwiesen
sich zum Beispiel nur 16 Prozent der Laubgehölze und
34 Prozent der Nadelbäume als gesund. Darüber kann
auch das Beschönigen im Waldzustandsbericht nicht hin-
wegtäuschen.
Der Wald ist ein Bioindikator und ein Spiegel dafür,
wie verschwenderisch unsere Gesellschaft mit den Res-
sourcen Luft, Wasser und Boden umgeht. Umweltschutz
ist teuer, demzufolge wird er nur unzureichend gesell-
schaftlich und finanziell honoriert. Aber versäumter Um-
weltschutz wird noch teurer und ist für viele Wälder be-
reits tödlich.
Es hört sich gut an, wenn es im Bericht heißt, dass der
Stickstoffeintrag abnimmt und Waldböden heute langsa-
mer versauern. Fakt ist aber: Das Waldsterben geht nur et-
was langsamer voran, doch die Versauerung findet wei-
terhin statt, und das auf über 80 Prozent der Waldflächen.
Die Belastung durch bodennahes Ozon, das aus den Aus-
puffgasen der Kraftfahrzeuge, aber auch in der Industrie
entsteht, steigt weiter. Das Umweltbundesamt hat schon
1995 dokumentiert, dass die Konzentration dieses Gases
auf 95 Prozent der Landesfläche die Grenze der Belast-
barkeit von Wald und Menschen übersteigt. Der deutsche
Wald leidet ungebremst unter den direkten und indirekten
Folgen der Luftverschmutzung. Der Treibhauseffekt auf
Waldökosysteme ist bekannt. Was nutzt denn ein Klima-
schutzprogramm, wenn Handel mit Emissionen möglich
ist?
Im Wissen darum, die Probleme immer auf die nachfol-
genden Generationen abzuwälzen, ist der Weg in die
falsche Richtung. Unsere Enkel werden uns dafür ver-
dammen.
Der Bioindikator Wald ist abhängig von wirtschaft-
lichen und Klimaeinflüssen, die nicht an der Grenze oder
einem Gebirge Halt machen. Die von der OECD ver-
öffentlichten Ergebnisse der Waldschadenserhebung in
30 europäischen Ländern belegen, dass der Anteil ge-
schädigter Waldbäume weiter zunimmt. Europaweit am
schwersten betroffen ist die Tanne, die zu 86 Prozent ge-
schädigt ist, davon 43 Prozent schwer. In Deutschland ist
die Buche am schwersten betroffen. 78 Prozent des Be-
standes sind geschädigt, davon 24 Prozent schwer. Pro-
jekte des BUND wie der „Zukunftswald 2000“ sind sehr
unterstützenswert, lösen allerdings allein das Problem
nicht. Hier brauchen die Verbände eine weitaus größere
Unterstützung.
Das weitere Fortschreiten der sichtbaren Schäden an
den Bäumen und das zunächst verborgene Fortschreiten
der Bodenschäden sind nach wie vor alarmierend. Das
jährliche gebetsmühlenhafte Verkünden der neuesten
Schadensbilanz wird dem Problem ebenso wenig gerecht
wie der Umgang dieser Gesellschaft mit Klimaschutz,
BSE und Atomenergie. Deshalb ist es künftig politisch
umso dringlicher, dass sich die EU-Staaten auf ein Ge-
samtkonzept einlassen, das die Wälder und damit das
Klima, das Wasser und den Boden vor diesen Einflüssen
– gemacht von Menschenhand, oder besser: begleitet von
Politikerhand – schützt.
Danke schön.
Ich schließe die Aus-sprache.Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zu-nächst zu Tagesordnungspunkt 10 a: Beschlussempfeh-lung des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung
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Heidemarie Wright21048
und Landwirtschaft auf Drucksache 14/6273 zu demWaldzustandsbericht der Bundesregierung 2000 sowie zudem Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD unddes Bündnisses 90/Die Grünen zu diesem Bericht. DerAusschuss empfiehlt, in Kenntnis des Waldzustands-berichts der Bundesregierung auf Drucksache 14/4967den Entschließungsantrag auf Drucksache 14/5560 anzu-nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-lung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP an-genommen.Tagesordnungspunkt 10 b: Interfraktionell wird dieÜberweisung der Vorlage auf Drucksache 14/6750 an diein der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.Dann ist das so beschlossen.Wir kommen nun zu den Entschließungsanträgen zumGesamtwaldbericht. Interfraktionell ist vereinbart, denEntschließungsantrag der Fraktionen der SPD und desBündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/8630 zurfederführenden Beratung an den Ausschuss für Verbrau-cherschutz, Ernährung und Landwirtschaft und zur Mit-beratung an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz undReaktorsicherheit, den Ausschuss für wirtschaftliche Zu-sammenarbeit und Entwicklung und an den Ausschuss fürWirtschaft und Technologie zu überweisen sowie denEntschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU aufDrucksache 14/8037 zur federführenden Beratung an denAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-wirtschaft und zur Mitberatung an den Finanzausschussund an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Re-aktorsicherheit zu überweisen. Sind Sie damit einverstan-den? – Dann ist die Überweisung so beschlossen.Tagesordnungspunkt 10 c: Abstimmung über den von derBundesregierung eingebrachten Entwurf eines Forstver-mehrungsgutgesetzes, Drucksachen 14/7384 und 14/7998.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Bei Enthaltungder PDS ist der Gesetzentwurf damit in zweiter Beratungangenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetz zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmtdagegen? – Wer enthält sich? – Damit haben Sie demForstvermehrungsgutgesetz in dritter Beratung zuge-stimmt. Der Gesetzentwurf ist angenommen.Zusatzpunkt 12: Interfraktionell wird vorgeschlagen,den Waldzustandsbericht 2001 auf Drucksache 14/7946zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Ver-braucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft und zurMitberatung an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutzund Reaktorsicherheit, den Ausschuss für Angelegen-heiten der neuen Länder, den Ausschuss für Bildung,Forschung und Technikfolgenabschätzung und denAusschuss für Tourismus zu überweisen. Sind Sie damiteinverstanden? – Dann ist die Überweisung so be-schlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:Beratung des Antrags der Abgeodneten Kurt-Dieter Grill, Jochen-Konrad Fromme, ReinhardFreiherr von Schorlemer, weiterer Abgeodneterund der Fraktion der CDU/CSUAusgleich für die nuklearen Entsorgungsstand-orte Gorleben und Salzgitter
in Niedersachsen und Morsleben in Sachsen-Anhalt– Drucksache 14/7786 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
FinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieHaushaltsausschussDie Reden sind zu Protokoll gegeben.1) Ich eröffne dieAussprache und schließe sie wieder.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 14/7786 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe Zusatzpunkt 13 auf:Beratung des Antrags der Fraktion der SPD und derFraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENVorhaben zukünftiges Transportflugzeug A400M– Drucksache 14/8024 –Hierzu ist interfraktionell vereinbart worden, die Tages-ordnung um Zusatzpunkt 14 zu erweitern:Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSUFür eine haushaltsrechtlich saubere Finanzie-rung und langfristig gesicherte Beschaffung deszukünftigen Lufttransportflugzeuges der Bun-deswehrA400M– Drucksache 14/8077 –Dieser Zusatzpunkt soll gemeinsam mit Zusatzpunkt 13beraten werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das istder Fall.Für die Aussprache haben wir eine halbe Stunde vor-gesehen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort für dieSPD-Fraktion dem Kollegen Volker Kröning.
Frau Präsidentin! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Der Antrag der Koalitionund die Debatte haben eine fachliche und eine rechtlicheSeite. Beides ist natürlich hoch politisch, wie die Begleit-musik zeigt.Zur Sache: Die Regierung hat entschieden, dassDeutschland sich an dem Projekt A400M beteiligt. DieEntscheidung ist nach langem Vorlauf – mehr im Außen-als im Innenverhältnis – am 12. Dezember 2001 gefallen,also nach Verabschiedung des Haushalts 2002.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Vizepräsidentin Anke Fuchs21049
1) Anlage 6Wenn diese Entscheidung zügig umgesetzt werden soll– und das ist der Wille der Koalitionsmehrheit und offen-bar auch einer Mehrheit aller Parteien im Deutschen Bun-destag mit Ausnahme der PDS –, gibt es nur zwei Mög-lichkeiten: entweder einen Nachtragshaushalt, wie ihnCDU/CSU und FDP fordern, oder das zweistufige Ver-fahren, das der Koalitionsantrag vorsieht.Den Nachtragshaushalt braucht man nicht.
Was Ihre Alternative angeht, meine Damen und Herrenvon der FDP und von der CDU/CSU, so merkt man dieAbsicht und ist verstimmt. Oder anders ausgedrückt: Thesame procedure as every year.Nebenbei: Es ist interessant, dass die FDP dem Antragauf Erhöhung der Verpflichtungsermächtigung, den dieCDU/CSU im letzten Herbst im Haushaltsausschuss undim Plenum gestellt hat, nicht zugestimmt hat.
Unabhängig davon, was das in der Sache heißt, wollen wiroffenbar alle gleich gründlich vorgehen. Das tut die Ko-alition ohnehin. Der Side Letter der anderen Auftraggeberdes Projektes war deshalb überflüssig.Zum Rechtlichen: Entscheidend ist der Parlamentsvor-behalt. Er ist aufgrund der Verfassung und des Haushalts-rechts zwingend. Dies hat das Bundesverfassungsgerichterst jüngst anlässlich des Organstreitverfahrens zum neuenstrategischen Konzept der NATO klargestellt. Dieser recht-liche Rahmen wird durch das Vorgehen der Bundesrepublikim Außenverhältnis und durch die Entscheidung, die heuteim Deutschen Bundestag fallen soll, nicht verletzt. Im Ge-genteil, der Bundestag schließt den Präzedenzfall einerEinschränkung des Kernbereiches seiner Verantwortungaus. Der Parlamentsvorbehalt wird mit der Entschließungnicht aufgehoben, sondern mit den anstehenden Beschlüs-sen, auf die sich das Parlament heute verpflichtet, ausgeübtwerden.Zur großen Politik: Mit dem, was wir heute entschei-den, ist die parlamentarische Zustimmung, die nach derdeutschen Erklärung vom 18. Dezember 2001 – Zitat –„so schnell wie möglich“ herbeigeführt werden soll, er-reichbar. Oder anders gesagt: Damit ist Rechtssicherheitgewährleistet. Der Vertrag, den die OCCAR und dieAirbus Military schließen sollen, wird dies umzusetzenhaben. Das ganze rechtliche und politische Thema lässtsich in den Satz zusammenfassen: Man kann nur so vielbestellen, wie man bezahlen kann.
Ich bin sicher, dass die OCCAR rechtliche Risiken fürsich und andere ausschließen wird.Für die Koalitionsfraktionen bleibt bei der Umsetzungdes Beschlusses maßgebend, was zur Begründung desAntrages gesagt wird. Nach Meinung der Regierung sindfür die Beschaffung 8,6 Milliarden Euro erforderlich. Sieversichert, dass dies alle Programmkosten einschließt.Man muss die Summe daher als Obergrenze ansehen.Alle weiteren Fragen werden beim Vollzug des Haus-haltes 2002, also im ersten Quartal, wie der Antrag vor-sieht, und nach Verabschiedung des Haushalts 2003 in ei-nem anschließenden Verfahren zur Beschaffung derzweiten Tranche und Entsperrung der neuen Verpflich-tungsermächtigung zu beantworten sein.In diesem Verfahren wird sich der Haushaltsausschussauch mit den Berichten des Bundesrechnungshofes aus-einander zu setzen haben. Wir haben uns jedenfalls vor-genommen, nicht die bei der Entscheidung zum Euro-fighter begangenen Fehler zu wiederholen. DemAuditorium kann ich nur sagen, dass sich in diesem Punktdie Berichterstatter aller Fraktionen einig sind.
Ich bitte das Haus, dem Antrag zuzustimmen, undhoffe, dass wir uns bei der Arbeit wieder zusammenfindenwerden.Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Kol-
lege Dietrich Austermann für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsiden-tin! Meine Damen und Herren! CDU und CSU lassen sichvon keiner Partei in diesem Hause übertreffen: wenn esum die Frage der Verteidigungsbereitschaft,
wenn es um die Frage der Bündnisfähigkeit, wenn es umdie Frage der Verfassungstreue und wenn es um die Ein-haltung der Vorschriften des Haushaltsrechts geht.
– Ja, wie die Vergangenheit, wie die 80er-Jahre – sieheNATO-Doppelbeschluss – gezeigt haben, geschieht diesgemeinsam mit der FDP. Dies gilt auch für die Entschei-dung zum Eurofighter. Dies aber ist, Herr KollegeKröning, in einem ganz anderen Verfahren abgelaufen,nämlich in einem sorgfältigen Verfahren, bei dem Haus-halts- wie Fachausschuss schon ein halbes Jahr zuvor in-volviert waren und erst dann die Entscheidung getroffenworden ist.Wir lassen uns von niemandem übertreffen: bei derFrage der Europafähigkeit; hinsichtlich der Abstimmungmit unseren europäischen Partnern; auch in Fragen, wieim Bündnis gemeinsam reagiert werden muss, wie neueTransportkapazitäten geschaffen werden sollen, wie dieFähigkeit zur Krisenreaktion international sichergestelltwerden kann. Deswegen sind wir für das Großflugzeug– auch in der erforderliche Zahl –, aber deswegen sind wirauch dafür, dass die Verfassung eingehalten wird, dassRecht und Ordnung Platz greifen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Volker Kröning21050
Wenn man die in den letzten Tagen gemachten Äuße-rungen der Kollegen aus den Reihen der Koalitionsab-geordneten zitiert – ich will keinen von Ihnen desavou-ieren, indem ich ihn wörtlich zitiere und beim Namennenne –, dann ist die Beschreibung, das, was die Regie-rung hier betreibe, sei eine „Sauerei gegenüber dem Par-lament“, noch relativ harmlos.
Die Regierung hat versucht, das Parlament zu demütigen,es an den Rand zu drängen. Die Präsenz auf der Regie-rungsbank zeigt ja auch, dass man davon ausgeht, daswerde schon laufen, egal, was das Parlament in dieserFrage beschließt.Worum geht es? Der Bundesverteidigungsminister hatam 18. Dezember einen Vertrag über die Beschaffung von73 Flugzeugen unterzeichnet – ein umfangreiches Ver-tragswerk ohne Bedingungen. In dem Vertragswerk wareine Klausel enthalten, die besagt hat: Gezahlt wird nachKostenentwicklung. Daneben wurde ein Side Letter ver-einbart, in dem steht: Wenn die Zustimmung zu diesemVertrag nicht bis zum 31. Januar dieses Jahres erteilt wor-den ist, das heißt, der Parlamentsvorbehalt Deutschlandsbeseitigt wird, kommt das Geschäft nicht zustande.Sie meinen, durch die von Ihnen vorgelegte Regelungin Form eines zweistufigen Verfahrens, das Sie auf ein-mal, seit gestern Abend, für denkbar halten, sei der Parla-mentsvorbehalt ausgeräumt. Aber was haben Sie ge-macht? Sie haben eine Regelung im Innenverhältnisgetroffen, um die Koalitionsgemüter zu beruhigen, sieschläfrig zu machen und ihnen das Gefühl zu geben, dasssie etwas erreicht hätten. Durchgesetzt haben sie aber erstdann etwas, wenn Herr Scharping zu den Partnern gehtund sagt: Ich habe vom Parlament 5,1 Milliarden Euro be-kommen; ich bitte um Verständnis dafür, dass wir das um-fangreiche Vertragswerk ändern müssen. Dann haben siesich durchgesetzt.
Wenn das nicht der Fall ist – für die 5,1 Milliarden Eurokönnen Sie auch nicht die entsprechende Anzahl vonFlugzeugen, nämlich 40 Stück, kaufen, wie sich das HerrKröning seit Jahren vorstellt –, verstoßen Sie gegen dieVerfassung. Dann wird noch heute von uns Verfassungs-beschwerde eingereicht.Ich will Ihnen sagen, weshalb die Regelung nicht inOrdnung ist. Ich habe gestern noch mit Industrievertreterngesprochen. Diese haben mir gesagt: Wenn es nicht zu derunbedingten Auftragserteilung über 73 Flugzeuge kommt,müssen die Entwicklungskosten auf die niedrigere Stück-zahl umgerechnet werden. Für die 5,1 Milliarden Eurobekäme man dann nicht mehr 40, sondern vielleicht30 Flugzeuge. Dann könnten Sie die zweite Tranche erstspäter, in einem zweiten Schritt machen.Dass Sie überhaupt versucht haben, durch eine Erklä-rung des Gesetzgebers, also dieses 14. Bundestages, eineRegelung zu schaffen, die in die Zukunft des Jahres 2003reicht, beruht vielleicht auf Ihrem Wunschdenken, ist zu-gleich aber wegen des Verstoßes gegen den Grundsatz derDiskontinuität verfassungsrechtlich nicht in Ordnung.
– Herr Opel, wer seit drei Jahren den entscheidenden Feh-ler macht, die Bundeswehr unterzufinanzieren, der Bun-deswehr nicht genügend Geld zu geben, muss sich heutenicht über die Wirkung dessen entrüsten,
nämlich dass mittelfristig nicht genügend Geld da ist, umdieses Vorhaben in der von uns gewünschten Stückzahl zuverwirklichen. Genau das ist die Wahrheit, vor der wirheute stehen.
Was wir zu dieser Frage gesagt haben, ist vom Bundes-rechnungshof, vom Wissenschaftlichen Dienst des Bun-destages, vom Bundestagspräsidenten und natürlich auchvon Ihnen bestätigt worden. Sie selbst haben gesagt, mankönne es so nicht machen und das sei schon ein gewisserErfolg gegenüber der Bundesregierung. Damit ist deutlichgeworden, dass hier versucht wurde, sich so zu verhalten,als sei der Bundestag die Volkskammer, ein Akklamati-onsorgan, das gerade noch bestätigen darf, was die Re-gierung vorher beschlossen hat.Inzwischen haben Sie erreicht, dass es zu einer inter-nationalen Blamage gekommen ist.
Die Bundesregierung hat sich sicherheits-, außen- undverteidigungspolitisch blamiert.
Dabei spielt nicht so sehr eine Rolle, dass sich die Bun-desregierung blamiert hat und von vielen Seiten gerufenwird: Jeden Tag ein neuer Skandal. Das Schlimme ist viel-mehr, dass Sie auch unser Land und die deutsche Industrieblamiert haben.Ich sagte schon, dass ich gestern mit leitenden Vertre-tern des Unternehmens gesprochen habe, das auf den Auf-trag wartet. Diese haben mir beschrieben, welche Vorbe-reitungen sie getroffen haben – auch in den neuenBundesländern –, um sicherzustellen, dass dort in nächsterZeit Hightecharbeitsplätze geschaffen werden können.
Auch diese haben gesagt: Bei unseren europäischen Part-nern brauchen wir uns angesichts dieser Blamage, die hierangerichtet worden ist, heute schon bald nicht mehr sehenzu lassen.Wenn es eines zusätzlichen Grundes für den Bundes-kanzler bedurft hätte, den Verteidigungsminister zu ent-lassen, wäre dies der letzte und ein ganz wesentlicherGrund gewesen.
Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler selbstträgt dafür die Verantwortung. Er hat Mitte November ge-genüber dem französischen Präsidenten Chirac gesagt:
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Dietrich Austermann21051
Wir kaufen die 73 Flugzeuge. Er musste wissen, dass we-der über die Stückzahl noch über die Typenzahl, über dieBewaffnung oder die technische Ausgestaltung der Flug-zeuge je im Verteidigungs- oder Haushaltsausschuss ge-sprochen worden ist.
Wenn eine Prüfung erst erfolgt, Herr Kollege Zumkley,nachdem der Auftrag erteilt worden ist, macht sich dasParlament erneut lächerlich. Genau das wollen wir ver-hindern. Nein, der Bundeskanzler trägt in dieser Frageselbst die Verantwortung. Er hat dafür gesorgt, dass wirdesavouiert wurden, weil er dem Verteidigungsetat nichtdie erforderlichen Mittel eingeräumt hat. Das ist das ei-gentliche Problem, vor dem wir heute stehen: ist die Un-terfinanzierung der Bundeswehr. Meine Damen undHerren, wir haben Ihnen mehrfach, und zwar bei den Be-ratungen zu den Haushalten 2001 und 2002, die Hand ge-reicht, um eine verfassungsmäßige Entscheidung zu tref-fen. In den zweiten Lesungen zu den Haushalten 2001 und2002 haben wir jeweils Erhöhungsanträge im erforderli-chen Maße gestellt. Sie haben dies alles pomadig undschnodderig abgelehnt, weil Sie geglaubt haben, Siebrauchten die Opposition nicht. Offensichtlich brauchteman uns hier und heute, nämlich um deutlich zu machen,dass es ohne eine ordentliche Arbeit des Parlaments nichtgeht. Wir sind dafür eingetreten, weil wir das Projekt wol-len, aber unter Beachtung der Verfassung.Meine Damen und Herren, Ihrem Antrag können wir indieser Form – über ihn wird komplett abgestimmt – nichtzustimmen. Wir wollen das Flugzeug, wir wollen aberauch die Verteidigungsbereitschaft, die Bündnistreue unddie Verfassungstreue.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Kol-
lege Oswald Metzger für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu vor-gerückter Stunde erlebt man schon ein merkwürdigesSpiel. Kollege Austermann muss sich anstrengen, hier zuvertreten, warum die Union ein Projekt will, sie aber for-malrechtlich jetzt einen Eiertanz um die haushaltsrechtli-chen Voraussetzungen anstellt.
Genau das ist der Punkt.
– Herr Fraktionsvorsitzender Merz, Sie hätten heuteAbend die Verteidigungspolitiker Ihrer Fraktion bei einernamentlichen Abstimmung nicht auf die Linie gebracht,um hier die Position zu halten. Das ist der Punkt.
Kollege Austermann, an Großprojekten wie dem Euro-fighter können wir feststellen, welches ScherbengerichtSie in Sachen Bundeswehrfinanzierung hinterlassen ha-ben.
3 Milliarden DM hat diese Republik in den letzten dreiJahren allein für die Preisgleitklauseln, die Verteidi-gungsminister Rühe im Juni 1998 unmittelbar vor derBundestagswahl durchgepuscht hat, zusätzlich bezahlenmüssen.
Aufgrund dieser Preisgleitklauseln haben Sie dieHaushalte bis zum Jahr 2015 mit Ausgaben für Flugzeugebelastet, die die Kosten explodieren lassen. KollegeAustermann, das war ein wirklicher „Jäger light“: Sobalddie Flugzeuge der Bundeswehr zulaufen, müssen wirKampfwertsteigerungen finanzieren; denn außer fliegenkönnen diese nichts. Sie haben keine Defensivavionik undkeine Bewaffnung. Das war eine solide Verteidigungspo-litik der Union! Sie brauchen sich inhaltlich wirklich nichtaufzublasen.
Natürlich braucht die Bundeswehr ein modernesTransportflugzeug. Natürlich ist es gut, dass wir das alsgemeinsames europäisches Projekt durchführen. Ich sagedas nur, um deutlich zu machen, dass es für dieses Trans-portflugzeug sehr, sehr gute inhaltliche Gründe gibt. Jetztkomme ich aber zu dem Punkt, der auch angesichts dervon Ihnen angekündigten Organklage zu dieser Stundeinteressiert: Natürlich gab es an diesem Punkt einen Kon-flikt zwischen Parlament und Regierung.
Das räume ich als Haushaltssprecher ein. Ich spreche andieser Stelle nicht umsonst auch für unsere Fraktion.Kollege Kröning hat ganz zu Recht darauf hingewie-sen, dass wir im Rechtssinne mit diesem Entschließungs-antrag unserer Regierung keine Ermächtigung geben,8,6 Milliarden Euro unter Vertrag zu nehmen, so wie es imIndustrievertrag vom 18. Dezember geschrieben steht.
Diese Untervertragnahme des Gesamtprojektes kann erstim nächsten Jahr, wenn das Haushaltsgesetz 2003 verab-schiedet wurde, stattfinden.
Bis dahin ist der Vertrag rechtlich schwebend unwirksam.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Dietrich Austermann21052
Der Bundesverteidigungsminister könnte aber eine Zu-satzvereinbarung mit den Partnern abschließen, sodass eszu einem faktisch zweistufigen Verfahren kommt: Wennder Haushaltsausschuss bis Ende März die Entsperrungder 5,1 Milliarden Euro beschlossen hat, kann die Bun-desrepublik über diese Summe auch in einem Vertrag mitAußenwirkung gegenüber den europäischen Partnern ver-fügen. Für die Zahlung des Restes der Summe müsstendann die notwendigen parlamentarischen Voraussetzun-gen im nächsten Jahr abgewartet werden. Das ist ein ganzklares und sauberes Verfahren.
– Das ist kein Eiertanz, das ist die Wahrung der Interessendes gesamten Parlaments.
Sie werden noch daran denken, wenn wir im März imHaushaltsausschuss darüber reden. Sie werden dann derErste sein, der sich bei der Finanzierung und bei der Ver-tragsgestaltung einmischen und Fragen zu einer mögli-chen Verdrängung von anderen militärischen Be-schaffungsmaßnahmen aufgrund der Größe des Projektesstellen wird. Sie werden dann wieder die große Arie sin-gen, wie schlecht das Ganze vorbereitet sei.Dabei haben wir dafür gesorgt, dass aus dem Datumdes 31. Januar 2002, das die Vertragspartner wollten,tatsächlich eine Frist von einem Quartal geworden ist, so-dass der Bundesverteidigungsminister die Chance hat,dem Haushaltsausschuss eine korrekte Beschaffungsvor-lage zuzuleiten, die wir als Parlament seriös beraten kön-nen.Es geht um Summen – das ist wichtig auch für die Öf-fentlichkeit – von mindestens 8,6 Milliarden Euro.
Allein durch eine Preisgleitklausel von vielleicht 3 Pro-zent stiege diese Summe über den Zeitraum des Vertragsum 41 Prozent. Es ist das größte Rüstungsbeschaffungs-vorhaben, das in dieser Republik bisher parlamentarischbeschlossen wurde. Dafür müssen sämtliche fiskalischeVoraussetzungen stimmen. Darauf werden wir als Koali-tion und hoffentlich auch Sie als Opposition pochen.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt spricht der Kol-
lege Jürgen Koppelin für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Der Kollege Metzger tat mireben Leid. Er war im Visier seines Fraktionsvorsitzenden,der aus dem gleichen Landesverband kommt. Bekanntlichgibt es dort ja ein paar Probleme. Vielleicht hat der Kol-lege Metzger in den Augen seines Fraktionsvorsitzendenbestanden und darf einen Platz aufrücken. Ich würde sa-gen: Hier im Parlament sollte er eher ein paar Plätze nachhinten rücken. Wie kann man sich nur so verbiegen?
Der Kollege Metzger hat gesagt: Das ist das größteProjekt, das wir im Verteidigungsbereich je beschlossenhaben. Er hat Recht. Ich frage dann allerdings die rot-grüne Koalition, ob sie sich nicht schämt, auf diese Artund Weise so ein großes Projekt im Parlament diskutierenzu lassen.
Was ist das für ein Armutszeugnis, dass Sie das größteBeschaffungsprojekt der Bundeswehr am Haushaltsaus-schuss und an den Fachausschüssen vorbei – man möchtefast sagen: bei Nacht und Nebel – hier beschließen wol-len? Das ist inzwischen Ihr Stil!Wenn man Ihren Antrag sieht, dann fragt man sich:Was wollen Sie mit diesem Antrag? An wen richtet sichdieser Antrag? Der erste Teil ist Lyrik. Dort schreiben Sieetwas über die 73 Maschinen. Uns brauchen Sie nicht zubekehren. Der Kollege Austermann hat darauf hingewie-sen, dass sowohl die CDU/CSU wie die FDP in den Haus-haltsberatungen für die 73 Maschinen waren. Wer war da-gegen – Rot-Grün war dagegen.
Wofür machen Sie diesen Antrag? Das ist ganz klar: Sielegen ihn zu nichts anderem vor als zur Disziplinierungder eigenen Truppe.
Deswegen tat mir der Kollege Metzger so Leid, als er hiereben gesprochen hat.
Ich darf in diesem Zusammenhang eine Agenturmel-dung der ap vom Wochenende zitieren:Trotz scharfer Warnungen des SPD-Fraktionsvorsit-zenden Peter Struck bekräftigte Grünen-Haushalts-experte Oswald Metzger am Sonntag die Absicht,seiner Partei zu empfehlen, im Bundestag gegen denAnkauf von 73 Stück des militärischen Transport-flugzeuges Airbus A400M zu stimmen.Weiter heißt es:Metzger bekam dafür erstmals Unterstützung aus derSPD.Die Begeisterung springt Rot-Grün förmlich aus den Au-gen, bei diesem großen Projekt zustimmen zu müssen.Das ist nicht zu übersehen.
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Oswald Metzger21053
Kollege Metzger hat noch eines vergessen – das gehörtzur Geschichte dieser Beschaffung dazu –: Das Ganze liefso ab, dass morgens eine Koalitionsrunde tagte. Dabei wa-ren, wie man den Agenturmeldungen entnahm, der Kol-lege Schlauch, der Kanzler und diverse andere Größendieser Republik: Dort beschloss man, 73 Flugzeuge zu be-schaffen.
Nachmittags um 14 Uhr tagte dann der Haushaltsausschuss.Ich habe den Kollegen Metzger – das ist dem Protokoll zuentnehmen – darauf aufmerksam gemacht, was diese Rundemorgens beschlossen hat. Was hat die rot-grüne Koalitiondaraufhin im Haushaltsausschuss beschlossen? 40 Flug-zeuge, und zwar trotz des Beschlusses am Vormittag! Kom-men Sie mir doch nicht damit, dass es neue Zahlen und Fak-ten gegeben habe. Nein, Sie wollten nicht, sonst hätten Sieunseren Anträgen zustimmen können.
Wofür haben Sie gesorgt? Sie haben mit Ihrer Ent-scheidung im Haushaltsausschuss und mit dem Haus-haltsplan 2002 dafür gesorgt, dass wir einen außenpoliti-schen Schaden erlitten haben. Sie haben dafür gesorgt,dass wir industriepolitisch und militärpolitisch Schadengenommen haben. Insgesamt haben wir Schaden genom-men, weil der Verteidigungsminister einen Vertrag unter-schrieben hat, den er gar nicht unterschreiben konnte.Das Misstrauen der Partner ist entsprechend groß ge-wesen. Sie haben nämlich in den Vertrag hineingeschrie-ben: Rudolf Scharping muss uns sein Okay bis Ende Ja-nuar geben, sonst platzt die ganze Geschichte. – Ausdiesem Grunde sitzen wir heute hier.Jetzt müssen Sie plötzlich ohne Vorlage, Diskussionund Begründung etwas nachliefern. Ich sage Ihnen dazu:Ihr Antrag, auch wenn Sie Ihn mit einer Mehrheit be-schließen, ist null und nichtig und bringt überhaupt nichts.
Ich habe Ihnen bereits heute Morgen in der Geschäfts-ordnungsdebatte vorgelesen, was Art. 110 des Grundge-setzes dazu enthält. Sie verstoßen eindeutig gegen diesenArtikel. Wenn es so wäre, dass man es so machen könnte,wie es der Verteidigungsminister macht und wie Sie es inIhrem Antrag machen, dann fiele mir noch sehr viel ein,was die Bundeswehr braucht. Wie wäre es dann noch mitein paar U-Booten? Die könnten wir auch gleich so be-schließen. Wie wäre es mit einem Lazarettschiff samt ent-sprechender Ausrüstung? – Das können wir doch alles indieser Form machen. So unsolide ist Ihr Antrag. Sie wer-den nicht erwarten, dass wir Ihrem Antrag zustimmen.Natürlich sind wir – darin müssen Sie uns nicht bekeh-ren – für die 73 Flugzeuge.
– Da müssen Sie nicht „Ah!“ rufen.Das haben wir doch schon im Haushaltsausschuss sobekundet. Sie haben aber dagegen gestimmt. Dort hättenSie einmal „Ah!“ rufen sollen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie aber haben nicht
mehr so viel Zeit, etwas zu sagen, Herr Kollege Koppelin.
Ihre Redezeit ist nämlich abgelaufen.
Frau Präsidentin, ich weise
dann abschließend nur noch einmal darauf hin, dass die-
ser Beschluss haushaltsrechtlich ohne jede Bedeutung ist.
Deswegen werden wir zwar für die Flugzeuge stimmen,
aber die haushaltspolitischen Ansätze in Ihrem Antrag ab-
lehnen.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es spricht jetzt der
Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Von mehreren Rednern der Koalition wie auch der Oppo-sition ist zutreffend festgestellt worden, dass das Trans-portflugzeug aus mehreren Gründen eine enorme Bedeu-tung hat: erstens für die europäische Sicherheits- undVerteidigungspolitik und für das Schließen einer Lücke,die im Bereich dieser Fähigkeiten besteht; zweitens für dieErfüllung der Anforderungen, auf die sich die beteiligtenNationen innerhalb der NATO und auf der Grundlage ih-res neuen strategischen Konzepts verpflichtet haben.Zudem – drittens – beweist auch die aktuelle Entwick-lung, wie dringend notwendig es ist, dass die Europäergemeinsam, mit einem angemessenen deutschen Beitrag,ihre Fähigkeitslücken im Bereich des strategischen Luft-transports, aber auch in anderen Bereichen schließen. Dasist auf dem Weg. Die Entscheidung, die heute getroffenwird, ist dafür von besonders großer Bedeutung.Hinsichtlich der Zahl 73 will ich jetzt auf Kapazitäts-berechnungen, Erfordernisse und dergleichen – schonmit Rücksicht auf die fortgeschrittene Zeit – nicht einge-hen. Ich möchte aber doch feststellen, dass wir uns ange-sichts der Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutsch-land, in der NATO wie in der europäischen Sicherheits-und Verteidigungspolitik, eher an der unteren Grenze desErforderlichen bewegen.Vor diesem Hintergrund wird vielleicht verständlich,warum die Bundesregierung und auch der Bundesvertei-digungsminister besonders intensiv und mit einigem Er-folg darum gerungen haben, dass wir eine Koordinierungdes europäischen Lufttransports erreichen, dass wir eingemeinsames Unterstützungsabkommen der europä-ischen Nationen abschließen und dass wir eine – bisher je-denfalls – für Europa einmalige deutsch-niederländischeVereinbarung zur gegenseitigen Unterstützung und übri-gens auch zur Finanzierung gemeinsamer Lufttransport-kapazitäten verwirklichen.Ich weise darauf hin, dass das Schließen dieser undauch anderer Fähigkeitslücken entscheidend dafür ist,dass die Bundesrepublik Deutschland ihre außen- und si-cherheitspolitische Verantwortung wahrnehmen kann. ImÜbrigen ist es auch wegen der Soldaten, die wir in inter-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Jürgen Koppelin21054
nationale Einsätze schicken, entscheidend, diese Fähig-keitslücken zu schließen.
Es hat keinen Sinn, es bei einer gewissermaßen rheto-rischen Bekundung des Respekts, der Anerkennung unddes Dankes für die außerordentliche Leistungsfähigkeitder Bundeswehr zu belassen. Man sieht derzeit in Afgha-nistan, wie ungewöhnlich hoch die Leistungsfähigkeitund das Verantwortungsbewusstsein der Soldaten sind.Dann aber ist es die Verpflichtung des Deutschen Bun-destages und der Bundesregierung, diesen berechtigtenWorten der Anerkennung und des Dankes auch die Tatenfolgen zu lassen – auf der Seite der Ausrüstung, vor allemder logistischen Systeme –, die den Einsatz der Soldatenauf Dauer erst vertretbar machen.
Das geschieht heute. Vor diesem Hintergrund will ich– damit das Tableau vollständig ist – noch darauf hinwei-sen, dass sich die Europäer auch im Bereich der Wettbe-werbsfähigkeit, der Technologie und ihrer Arbeitsplätzeentsprechende Möglichkeiten erschließen. Das, was dieOpposition einwendet, ist für mich vor dem Hintergrundeines Wahljahres in begrenztem Umfang nachvollziehbar.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Merz?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn Sie meine Redezeit anhalten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die ist längst angehal-
ten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist freundlich von Ihnen, Frau Präsidentin.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist bei uns so
Sitte. – Bitte, Herr Merz.
Herr Bundesverteidi-
gungsminister, könnten Sie nach der Rede des Kollegen
Metzger nicht nur der interessierten deutschen Öffent-
lichkeit, sondern auch dem Deutschen Bundestag sagen
– ich finde das, was Sie beim Haushalt veranstalten, nicht
so spaßig; wenn Sie die Probleme, die Sie mit dem Haus-
halt haben, nicht zur Sprache bringen, dann werden wir es
tun –,
wie der vorbehaltlose Vertrag aussehen wird, den Sie mit
Wirkung vom 31. Januar 2002 abzuschließen gedenken?
Können Sie mir dazu die entsprechenden Zahlen nennen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Metzger, Sie verkennen die Sachlage.
Herr Merz, Sie verkennen die Sachlage. Ich finde es er-staunlich, dass Sie als Fraktionsvorsitzender – Sie warendoch auch einmal Mitglied des Europäischen Parlamentsund hatten dort ab und zu mit solchen Fragen zu tun –nicht wissen, dass die Bundesregierung nach einem Ge-spräch mit den Spitzen der Koalitionsfraktionen sowienach einer Erörterung mit dem Finanzminister und mit an-deren Mitgliedern der Bundesregierung, insbesondere mitdem Bundeskanzler, den Verteidigungsminister beauf-tragt hat, den Industrievertrag, den Vertrag zwischenOCCAR und Firma, sowie das Regierungsabkommen mitParlamentsvorbehalt zu unterschreiben. Es war also kor-rekt, dass ich die Verträge wie alle vorangegangenen Ver-einbarungen mit Parlamentsvorbehalt unterschriebenhabe. Das war korrekt. – Ihr Kollege Schmidt, der Justi-ziar Ihrer Fraktion ist, nickt zustimmend.Wenn der Deutsche Bundestag – das ist das Interesseder Partnernationen; ich werde darauf gleich noch einge-hen; Sie haben mich davon mit Ihrer nicht sonderlich er-regenden Zwischenfrage abgehalten –
einen entsprechenden Beschluss fasst, werden wir unse-ren Partnernationen mitteilen, dass der Deutsche Bundes-tag das Vorhaben uneingeschränkt unterstützt, wie es sichaus dem ersten Satz der Ziffer 1 der Entschließung ergibt.
Vor diesem Hintergrund – das ist das, was ich Ihnenschon sagen wollte, bevor Sie mich unterbrochen haben –habe ich im Vertrauen auf die Koalition und ihre Ent-schlossenheit, die Politik der Bundesregierung zu unter-stützen, heute, am späten Nachmittag, alle erreichbarenKollegen Verteidigungsminister der Partnernationen an-gerufen. Ich denke, das gehört sich so.
Ich bin nun in der angenehmen Lage, Ihnen mitteilen zukönnen, dass alle meine Kollegen aus den Partnerlän-dern – ich habe mit allen gesprochen, außer mit dem bel-gischen Verteidigungsminister, der sich in Vietnam befin-det – die Entscheidung des Deutschen Bundestagesausdrücklich begrüßen, dass sie dieses klare politischeSignal des Deutschen Bundestages für richtig halten undsie die haushaltsrechtlichen Auseinandersetzungen, die inDeutschland geführt werden, sehr wohl einzuschätzenwissen. Das ist für mich der wichtigste Punkt.Im Übrigen kann ich verstehen, dass man solche Dis-kussionen wie die jetzige führt. Aber für Folgendes habeich weniger Verständnis: Sie beklagen zwar immer die Fi-nanzausstattung der Bundeswehr, bringen mich aber bei-spielsweise in die Lage, für das BeschaffungsvorhabenEurofighter fast 3 Milliarden DM durch den Haushaltsaus-schuss und den Verteidigungsausschuss schleusen zu müs-sen, um das, was Sie beim Eurofighter versäumt haben,
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Bundesminister Rudolf Scharping,21055
nachzufinanzieren. Was glauben Sie, wie froh ich wäre,wenn Sie dieses Projekt seriös finanziert hätten und wennmir diese 3 Milliarden DM noch für andere Zwecke zurVerfügung stünden!
Vor diesem Hintergrund bedanke ich mich bei der Ko-alition einschließlich ihrer Haushälter für ihre Unterstüt-zung der Politik der Bundesregierung. Sie dürfen sichersein, wir werden dieses große europäische Projekt so vo-ranbringen, dass es im Interesse der Streitkräfte, der euro-päischen Sicherheitspolitik und unserer gemeinsamen Po-sition in der NATO verwirklicht werden kann.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächste Rednerin in
der Debatte ist die Kollegin Heidi Lippmann für die PDS-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Ich würde jetzt gern die Bestel-
lung von 73 A400M ganz streichen.
Laut Bundesrechnungshof würden wir mindestens
9,4 Milliarden sparen. Wenn wir dann noch die Verträge
für den Eurofighter aussetzten, kämen noch einmal
22 Milliarden hinzu. Was glauben Sie, welch große Sym-
pathien Sie sich in der Bevölkerung mit solchen Be-
schlüssen erwerben würden? Sie würden glatt mit einer
Mehrheit wiedergewählt werden – denke ich –, von der
Sie eigentlich nur träumen können.
Wenn es bei dieser Debatte nicht um das größte Be-
schaffungsprogramm im Rüstungsbereich ginge, dann
würde ich sagen: Dieses Projekt ist die größte Lachnum-
mer in der Ära Scharping, die wir in den vergangenen drei
Jahren erlebt haben.
Die PDS wird natürlich keinem Ihrer Anträge zustim-
men, weil Sie alle unisono erklärt haben – das hat Herr
Scharping eben zu Recht ausgeführt –, dass Sie die
73 A400M beschaffen wollen, und weil damit dann auch
der Parlamentsvorbehalt entfällt. Man muss sich im inter-
nationalen Kontext darüber austauschen, inwieweit das
deutsche Haushaltsrecht für solche internationalen Ver-
träge, die mit der Wirtschaft und den Partnern geschlos-
sen werden, überhaupt eine Relevanz hat. Das andere
werden Sie ja dann gegebenenfalls in Karlsruhe klären.
Wenn man die Bundeswehr zu einer Interventionsar-
mee umbauen will, dann – das wissen wir alle – muss man
sie natürlich auch entsprechend ausstatten. Sie alle haben
gesagt, dass das ihr erklärter politischer Wille ist. Von da-
her sollten Sie zusehen, wie Sie jetzt mit Ihren haushalts-
technischen Problemen zurechtkommen.
Die Kritik, die aus der Opposition gekommen ist, ist in
nahezu allen Punkten berechtigt, was das Verfahren an-
geht. Sie werden in der Zukunft sehen, ob Sie für dieses
Beschaffungsprojekt eine ähnliche Kritik wie die frühere
Bundesregierung für das Eurofighter-Projekt werden ein-
stecken müssen.
Herr Kollege Metzger, ich möchte Sie noch an Folgen-
des erinnern: Als Sie 1998 in den Wahlkampf gegangen
sind, haben Sie gefordert, das Eurofighter-Projekt zu
streichen. Kollegin Beer hat das seinerzeit in ihrer Haus-
haltsrede 1998 noch als Wahnsinnsprojekt bezeichnet.
Heute treten Sie mit der gleichen Vehemenz, mit der da-
mals Schwarz-Gelb für den Eurofighter eingetreten ist,
für den A400M ein.
Wer im Glashaus sitzt, der sollte nicht mit Steinen werfen,
Herr Kollege.
Um es noch einmal deutlich zu sagen: Der Bedarf zur
Beschaffung wird ausschließlich über die neuen Einsatz-
optionen der Bundeswehr definiert. Dass die neuen Luft-
transporter auch zum Zwecke der Katastrophenhilfe ein-
gesetzt werden können, ist lediglich ein Nebeneffekt, der
unter dem Stichwort „dual use“ verbucht werden kann.
Ganz interessant ist die ddp-Meldung, die heute Nach-
mittag gekommen ist, nach der der Bundesrechnungshof
noch einmal bestätigt, dass man davon ausgeht, dass die
vorläufigen Kosten des Gesamtprojekts von 8,6 Milliar-
den Euro auf insgesamt 9,4 Milliarden Euro steigen wer-
den. Ich zitiere die ddp-Meldung jetzt wörtlich:
Der Bundesrechnungshof stellt in seinem geheimen
Bericht unter dem Kapitel „Bedarfsbegründung“ die
Fehlplanung nüchtern fest: Selbst nach Beschaffung
des von den Militärs gepriesenen neuen Airbus
müsste die Bundeswehr – wie gerade beim Einsatz in
Afghanistan – weiter auf ausländische Großraum-
transporter zurückgreifen, um ihr schweres Gerät zu
weltweiten Missionen befördern zu können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin
Lippmann, jetzt muss ich Sie an Ihre Redezeit erinnern.
Ich komme zum Schluss.
Es heißt darin weiter: Der A400M ist nicht in der Lage,
die Leo 2, die Marder, die Transporthubschrauber zu
transportieren, weshalb auch weiterhin Antonows und Be-
lugas angemietet werden müssen. – Das sagt – wohlge-
merkt – der Bundesrechnungshof.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin
Lippmann, Sie wissen: Ich bin nicht gerne Wiederho-
lungstäterin.
Mein letzter Satz, Frau Prä-sidentin.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Bundesminister Rudolf Scharping,21056
Dem Bundesrechnungshof fehlen die Unterlagen ge-nauso wie diesem Haus. Wir werden alle Anträge ableh-nen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin
Lippmann, ich bitte Sie – –
Machen Sie eine vernünftige
Politik; dann kann man darüber reden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Voraussichtlich letzter
Redner in dieser Debatte ist der Kollege Friedrich Merz.
Die SPD-Fraktion hat noch die Möglichkeit, die ihr ver-
bliebenen zwei Minuten Redezeit zu nutzen.
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundesverteidi-
gungsminister ist der Beantwortung meiner Frage, die
sich ausdrücklich auf den Wortbeitrag des Kollegen
Metzger bezogen hat, sehr kunstvoll ausgewichen.
Er hätte nicht mehr tun müssen, als das zu bestätigen, was
der Kollege Metzger hier gesagt hat. Ich frage Sie daher
jetzt noch einmal, Herr Scharping, und ich bitte um eine
präzise Antwort. Sie haben durch den Haushaltsgesetzge-
ber, den Deutschen Bundestag, eine Ermächtigung zum
Eingehen eines Vertrages über ein Gesamtvolumen in
Höhe von 5,1 Milliarden Euro. Sie beabsichtigen, einen
Parlamentsvorbehalt auf der Grundlage des Antrages,
der heute Abend von SPD und Grünen vorgelegt worden
ist, in Höhe eines Gesamtvolumens von 6Milliarden Euro
aufzuheben.
Ich stelle hier noch einmal konkret die Frage: Beab-
sichtigen Sie, diesen Parlamentsvorbehalt gegenüber den
Firmen, bei denen bestellt werden soll, und gegenüber den
europäischen Partnern in der Größenordnung von 5,1Mil-
liarden Euro oder in der Größenordnung von 8,6 Milliar-
den Euro aufzuheben?
Ich fordere Sie auf, diese Frage hier klipp und klar zu
beantworten, Herr Verteidigungsminister.
Ich sage Ihnen, damit Sie genau wissen, was hier bevor-
steht: Wenn Sie diese Frage nicht mit einer nochmaligen
Wortmeldung von diesem Pult aus klar beantworten – –
– Ja, Entschuldigung, meine Damen und Herren, hier geht
es nicht um irgendwelche Kleinigkeiten; hier geht es um
das verfassungsmäßig verbriefte Haushaltsrecht des
Deutschen Bundestages!
In diesem Lande gelten Regeln. Sie gelten auch noch
lange, nachdem Sie aus dem Amt geschieden sind. Aber
solange Sie noch im Amt sind, haben Sie sich an diese Re-
geln zu halten und wir erwarten von Ihnen, dass hier Klar-
heit geschaffen wird.
Ich sage Ihnen das jetzt, damit Sie das ganz klar wissen,
Herr Scharping: Ich habe hier den Text eines Antrages auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung im Rahmen eines
Organstreitverfahrens des Deutschen Bundestages gegen
die Bundesregierung in der Hand. Wenn Sie diese Frage
hier nicht beantworten, geht dieser Antrag dreißig Minu-
ten nach Schluss der Debatte an das Bundesverfassungs-
gericht.
Ich sage das, damit Sie wissen, dass wir diesen Sachver-
halt ernst nehmen
und dass wir uns als Gesetzgeber von Ihnen nicht auf der
Nase herumtanzen lassen.
Ich sage Ihnen zum Abschluss noch eines: Wenn we-
gen dieses Sachverhaltes das gesamte europäische Projekt
scheitert, dann sind Sie allein dafür verantwortlich und
niemand anders!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache und wir kommen zu den Abstimmungen.
– Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD-Fraktion hat
angekündigt, dass sie nicht von ihrem Rederecht Ge-
brauch macht, und deshalb kommen wir zu den Abstim-
mungen. Es gibt einen Antrag des Kollegen Koppelin zur
Geschäftsordnung.
Frau Präsidentin! Dieser
Vorgang ist einmalig. Wenn der Führer einer Oppositi-
onsfraktion eine so gravierende Frage stellt und der Bun-
desverteidigungsminister sie nicht beantwortet, so ist das
einmalig. Ich beantrage eine Unterbrechung der Sitzung
um 15 Minuten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gibt es eine formelle
Gegenrede gegen den Antrag? – Dann ist die Sitzung auf
diesen Antrag hin für 15 Minuten unterbrochen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die unterbrocheneSitzung ist wieder eröffnet.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Heidi Lippmann21057
Ich erteile zur Geschäftsordnung zunächst dem Kolle-gen Friedrich Merz das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Da ich höre, dass der Kollege
Struck eine Erklärung zur Abstimmung abgeben möchte,
möchte ich namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
noch einmal mit Nachdruck darum bitten, dass die Bun-
desregierung hier eine Erklärung zu meiner Wortmeldung
von vorhin abgibt.
Es ist gleich, von welchem Mitglied dies geschieht. Wir
bitten aber darum, dass eine Erklärung von der Bundesre-
gierung abgegeben wird.
Ich bedanke mich herzlich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ebenfalls zur Ge-
schäftsordnung spricht der Parlamentarische Geschäfts-
führer der SPD-Fraktion, Wilhelm Schmidt.
Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Merz, das ist
sehr verwunderlich; denn hierbei handelt es sich eigent-
lich nicht um einen Geschäftsordnungsantrag. Wir befan-
den uns vielmehr in einem Stadium, in dem die Debatte
bereits beendet und die Abstimmung aufgerufen worden
war. Diese Bitte zu äußern ist möglicherweise legitim;
aber die Antwort werden Sie natürlich auch durch die Er-
klärung von Herrn Struck erhalten. Wir sehen daher über-
haupt keine Notwendigkeit, in dieser Phase einen solchen
Debattenbeitrag zu bringen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner zur
Geschäftsordnung ist der Kollege Jürgen Koppelin.
Frau Präsidentin! Wenn es
das größte Rüstungsprojekt ist, über das wir heute ent-
scheiden, dann muss es auch möglich sein, gegebenen-
falls die Debatte neu zu eröffnen, damit die Erklärungen
abgegeben werden können.
Sollte der Verteidigungsminister heute hier keine Er-
klärung abgeben, wird sich die Fraktion der Freien De-
mokraten der Klage der CDU/CSU anschließen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ebenfalls zur Ge-
schäftsordnung spricht Frau Katrin Göring-Eckardt.
Morgen schon einmal eine Geschäftsordnungsdebatte in
diesem Hause hatten, dass Sie diese Debatte überhaupt
nicht führen wollten, dass wir sie nun geführt haben, dass
die Argumente ausgetauscht sind und dass Sie die Ant-
wort, die Sie haben wollen, hier vom Vorsitzenden der
SPD-Fraktion erhalten werden. Er wird auf das, was Sie,
Herr Merz, hier angefragt haben, antworten. Ich gehe da-
von aus, dass das ausreicht.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, Sie haben vernommen, dass der Kollege
Merz eine Bitte vorgetragen hat. Ich frage jetzt die
CDU/CSU-Fraktion, ob sie diese Bitte in Form eines An-
trags wiederholt.
– Das ist der Fall.
Dann stelle ich jetzt den Antrag der Fraktion der
CDU/CSU und – davon gehe ich aus – auch der Fraktion
der FDP, dass die Bundesregierung, namentlich der Herr
Verteidigungsminister, in dieser Debatte das Wort er-
greift, zur Abstimmung. Wer für diesen Antrag ist, den
bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Der An-
trag ist gegen die Stimmen von CDU/CSU, FDP und PDS
abgelehnt.
Deshalb erteile ich jetzt dem Vorsitzenden der SPD-
Fraktion zu einer Erklärung zur Abstimmung das Wort
und verweise darauf, dass es auch noch eine schriftliche
Erklärung der Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig und
des Kollegen Hans-Josef Fell gemäß § 31 der Geschäfts-
ordnung gibt.1)
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Im Namen der Koalitionsfraktionen
– SPD und Bündnis 90/Die Grünen – weise ich die Un-
terstellungen, die der Redner der CDU geäußert hat, auf
das Entschiedenste zurück.
Die Bundesregierung wird sich wie in der Vergangenheit
an die Beschlüsse des Deutschen Bundestages halten.
Herr Kollege, Politik wird nicht in Karlsruhe gemacht,
sondern hier im Deutschen Bundestag. Wir sehen Ihrer
Klage gelassen entgegen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Kolleginnenund Kollegen, wir kommen jetzt zu den Abstimmungen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Vizepräsidentin Petra Bläss21058
1) Anlage 4Ich rufe den Antrag der Fraktionen der SPD und desBündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/8024 mitdem Titel „Vorhaben zukünftiges TransportflugzeugA400M“ auf.
Es ist vereinbart, über die Nrn. 1 und 2 des Antrags einer-seits sowie über die Nrn. 3 und 4 des Antrags andererseitsgetrennt abzustimmen.Wir stimmen über die Nrn. 1 und 2 des Antrags aufDrucksache 14/8024 ab. Wer stimmt dafür? –Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Die Nrn. 1 und 2 des Antragssind gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei Abwesen-heit der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP
sowie bei einer Enthaltung aus den Reihen der Fraktiondes Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.Wir stimmen nun über die Nrn. 3 und 4 ab. Hierzu liegtein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor, über denwir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsan-trag auf Drucksache 14/8056? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungs-antrag ist ohne Jastimme bei einer Enthaltung aus denReihen von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.Wir stimmen nun über die Nrn. 3 und 4 des Antrags aufDrucksache 14/8024 ab. Wer stimmt dafür? –Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Die Nrn. 3 und 4 sind gegendie Stimmen der PDS-Fraktion bei einer Enthaltung ausden Reihen von Bündnis 90/Die Grünen sowie bei Abwe-senheit von CDU/CSU und FDP angenommen.Der Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnis-ses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/8024 ist damit ins-gesamt angenommen.Wir kommen jetzt zum Antrag der Fraktion derCDU/CSU auf Drucksache 14/8077 mit dem Titel: „Füreine haushaltsrechtlich saubere Finanzierung und lang-fristig gesicherte Beschaffung des zukünftigen Lufttrans-portflugzeugs der Bundeswehr A400M“.
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? –Der Antrag ist bei Abwesenheit der Fraktionen vonCDU/CSU und FDP einstimmig abgelehnt.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:Beratung des Antrags der Fraktionen SPD undBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENUmwelt- und Gesundheitsgefahren bei Gold-gewinnung minimieren– Drucksache 14/7076 –Die Kolleginnen Monika Griefahn, Gila Altmann,Birgit Homburger, Vera Lengsfeld sowie Eva Bulling-Schröter haben ihre Reden zu Protokoll gegeben, sodasswir – Ihr Einverständnis vorausgesetzt – sofort zur Ab-stimmung kommen.1)Ich rufe den Antrag der Fraktionen von SPD undBündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 14/7076 mit demTitel: „Umwelt- und Gesundheitsgefahren bei Goldge-winnung minimieren“ auf. Wer stimmt für diesen An-trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – DerAntrag ist einstimmig angenommen bei Abwesenheit vonCDU/CSU–Fraktion und einer Ja-Stimme aus den Reihender FDP-Fraktion.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 sowie Zusatz-punkt 6 auf:13. Beratung des Antrags der Abgeordneten MaxStraubinger, Wolfgang Börnsen , IlseAigner, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder CDU/CSULuftfahrtforschung voranbringen– Drucksache 14/7439 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungHaushaltsausschussZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. MargritWetzel, Dr. Ditmar Staffelt, Dr. Axel Berg, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowieder Abgeordneten Werner Schulz , Hans-Josef Fell, Andrea Fischer , weiterer Ab-geordneter und der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENNationales Luftfahrtforschungsprogramm fort-setzen– Drucksache 14/8027 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
FinanzausschussAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsausschussDie Kolleginnen und Kollegen Margrit Wetzel, Dr. HeinzRiesenhuber, Ulrike Flach, Hans-Josef Fell, RolfKutzmutz sowie der Parlamentarische StaatssekretärSiegmar Mosdorf haben ihre Reden zu Protokoll gege-ben.2) – Auch darüber herrscht Einverständnis im Hause.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen aufDrucksachen 14/7439 und 14/8027 an die in der Tages-ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ichsehe diesbezüglich Einverständnis im Hause. Damit sinddie Überweisungen so beschlossen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Vizepräsidentin Petra Bläss21059
1) Anlage 72) Anlage 8Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Winfried Wolf, Christine Ostrowski, EvaBulling-Schröter, weiterer Abgeordneter und derFraktion der PDSBahnpreissystem für Fahrgäste attraktiv ge-stalten– Drucksache 14/7768 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für TourismusHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die PDSfünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wider-spruch, dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Redner für die PDS-Frak-tion ist der Kollege Winfried Wolf. – Ich höre gerade, aucher hat sich entschlossen, die Rede genauso wie die Kolle-ginnen und Kollegen Karin Rehbock-Zureich, NorbertOtto, Albert Schmidt und Horst Friedrich zu Protokoll zugeben.1) Das entspannt – Ihr Einverständnis vorausge-setzt – die Lage natürlich.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufDrucksache 14/7768 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Auch darüber herr-scht Einverständnis im gesamten Hause. Damit ist dieÜberweisung so beschlossen.Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 7 auf:Beratung des Antrags der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDPNutzung satellitengestützter Erdbeobachtungs-informationen– Drucksache 14/8034 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzung
Auswärtiger AusschussInnenausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftVerteidigungsausschussAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für TourismusAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionDie Kolleginnen und Kollegen Lothar Fischer, Wolf-Michael Catenhusen, Ilse Aigner, Ulrike Flach, AngelaMarquardt und Hans-Josef Fell haben ihre Reden eben-falls zu Protokoll gegeben.2)Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufDrucksache 14/8034 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Auch darüber be-steht Einverständnis. Dann ist die Überweisung so be-schlossen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit amSchluss unserer heutigen Tagesordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-tages auf morgen, Freitag, den 25. Januar 2002, 9 Uhr, ein.Die Sitzung ist geschlossen.