Protokoll:
14212

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 212

  • date_rangeDatum: 24. Januar 2002

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:03 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Nachträgliche Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Dr. Klaus Kinkel, Regina Schmidt-Zadel, Anke Hartnagel, Klaus- Jürgen Hedrich und Bernd Neumann . . . . 20911 A Bestimmung des Abgeordneten Rolf Kutzmutz als stellvertretendes Mitglied im Gemeinsamen Ausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20911 B Bestimmung der Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler als beratendes Mitglied im Wahlprü- fungsausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20911 B Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . 20911 B Absetzung des Tagesordnungspunktes 20 . . . 20912 A Ersetzung des Tagesordnungspunktes 15 durch Zusatztagesordnungspunkt 7 . . . . . . . . . . . . . 20912 B Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 20912 B Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD (zur GO) 20912 C Hans-Peter Repnik CDU/CSU (zur GO) . . . . 20913 A Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN (zur GO) . . . . . . . . . . . . . . . . 20913 D Jürgen Koppelin FDP (zur GO) . . . . . . . . . . . 20914 B Rolf Kutzmutz PDS (zur GO) . . . . . . . . . . . . 20915 B Tagesordnungspunkt 3: a) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Bericht der Bundesregierung zur auswärtigen Kulturpolitik 2000 (Drucksache 14/6825) . . . . . . . . . . . . . 20915 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ina Albowitz, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der FDP: „Public Private Partnership“ in der auswärtigen Kulturpolitik (Drucksachen 14/5963, 14/7253) . . . . 20915 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Griefahn, Eckhardt Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Rita Grießhaber, Dr. Antje Vollmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Auswärtige Kulturpolitik für das 21. Jahrhundert (Drucksachen 14/5799, 14/7380) . . . . 20916 A Monika Griefahn SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20916 B Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . . . . . . . . . 20919 B Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20921 C Ulrich Irmer FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20923 B Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20924 C Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . . . . . . . 20925 C Ruprecht Polenz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 20927 A Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 20928 C Hans-Joachim Otto (Frankfurt) FDP . . . . . . . 20931 B Dr. Elke Leonhard SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 20932 D Hartmut Koschyk CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 20934 B Tagesordnungspunkt 4: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialord- nung zu dem Antrag der Abgeordneten Plenarprotokoll 14/212 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 212. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002 I n h a l t : Birgit Schnieber-Jastram, Karl-Josef Laumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Für mehr Wettbewerb und Subsidiarität in den sozialen Sicherungssystemen – durch Neuorganisation der aktiven Arbeits- marktpolitik die Langzeitarbeitslo- sigkeit in Deutschland senken (Drucksachen 14/5552, 14/7523) . . . . 20936 C b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Hildebrecht Braun (Augsburg), weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Sicherung betrieblicher Bündnisse für Arbeit (Drucksachen 14/6548, 14/7362) . . . . 20936 C c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialord- nung zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Schnieber-Jastram, Karl-Josef Laumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbe- werbsfähigkeit bei wichtigen Fragen des Arbeitsmarktes endlich handeln (Drucksachen 14/5758, 14/7362) . . . . 20936 D Klaus Brandner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20937 A Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . . . . . . . . 20939 A Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20940 D Heinz Schemken CDU/CSU . . . . . . . . . . . 20943 D Dirk Niebel FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20944 B Dr. Heinrich L. Kolb FDP . . . . . . . . . . . . . . . 20944 D Dr. Heidi Knake-Werner PDS . . . . . . . . . . . . 20947 B Adolf Ostertag SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20949 A Claudia Nolte CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 20951 C Walter Riester, Bundesminister BMA . . . . . . 20952 D Dirk Niebel FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20954 D Walter Riester, Bundesminister BMA . . . . . . 20955 B Johannes Singhammer CDU/CSU . . . . . . . . . 20955 C Andrea Nahles SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20957 A Wolfgang Meckelburg CDU/CSU . . . . . . . . . 20958 C Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 20960 A Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20963 D Tagesordnungspunkt 25: Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurVerlängerung von Über- gangsregelungen im Bundessozial- hilfegesetz (Drucksache 14/8010) . . . . . . . . . . . . . 20960 C b) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Fortentwicklung des Finanzplatzes Deutschland (Viertes Finanzmarktförderungsgesetz) (Drucksache 14/8017) . . . . . . . . . . . . . 20960 D c) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Zollfahn- dungsdienstes (Zollfahndungsneurege- lungsgesetz) (Drucksache 14/8007 [neu]) . . . . . . . . 20960 D d) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Europäischen Charta der Regional- oder Minder- heitensprachen des Europarates vom 5. November 1992 (Drucksache 14/7545) . . . . . . . . . . . . . 20960 D e) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Strafpro- zessordnung (Drucksache 14/7562) . . . . . . . . . . . . . 20961 A f) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Steuerung und Begren- zung der Zuwanderung und zur Rege- lung des Aufenthalts und der Integra- tion von Unionsbürgern und Auslän- dern (Zuwanderungsgesetz) (Drucksachen 14/7987, 14/8046) . . . . 20961 A g) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundes- versorgungsgesetzes (Drucksache 14/8008) . . . . . . . . . . . . . 20961 B h) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Agrar- statistikgesetzes und des Gesetzes zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisationen (Drucksache 14/8012 [neu]) . . . . . . . . 20961 B i) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zu dem Stockholmer Übereinkommen vom 23. Mai 2001 über persistente organische Schad- stoffe (POPs-Übereinkommen) und dem Protokoll vom 24. Juni 1998 zu dem Übereinkommen von 1979 über weiträumige grenzüberschrei- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002II tende Luftverunreinigung betref- fend persistente organische Schad- stoffe (POPs-Protokoll) (Drucksachen 14/7757, 14/8014) . . . . 20961 B j) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zu dem Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen zwi- schen den Europäischen Gemein- schaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der ehemaligen jugo- slawischen Republik Mazedonien andererseits (Drucksache 14/7766) . . . . . . . . . . . . 20961 C k) Antrag der Abgeordneten Christine Ostrowski, Gerhard Jüttemann, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Vollzug des Programms „Stadt- umbau Ost – für lebenswerte Städte und attraktives Wohnen“ (Drucksache 14/7794 [neu]) . . . . . . . . 20961 C l) Antrag der Abgeordneten Christine Ostrowski, Dr. Klaus Grehn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Änderung des Straßenver- kehrsgesetzes (Drucksache 14/7992) . . . . . . . . . . . . 20961 C Tagesordnungspunkt 26: Abschließende Beratungen ohne Aus- sprache a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu der am 3. De- zember 1999 in Peking beschlossenen Änderung des Montrealer Protokolls vom 16. September 1987 über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen, und zu weiteren Anpassun- gen des Protokolls (Drucksachen 14/7045, 14/7715) . . . . 20961 D b) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 15. Juni 2000 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Sin- gapur über die Seeschifffahrt (Drucksachen 14/6523, 14/7836) . . . . 20962 B Zusatztagesordnungspunkt 3: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- desregierung zu verschiedenen Aus- sagen der Union in der Haushalts- und Steuerpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20962 C Joachim Poß SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20962 D Gerda Hasselfeldt CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 20966 B Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20967 D Carl-Ludwig Thiele FDP . . . . . . . . . . . . . . . . 20969 A Dr. Christa Luft PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20970 B Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20971 B Dietrich Austermann CDU/CSU . . . . . . . . . . 20973 A Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20974 B Hans Georg Wagner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 20975 C Heinz Seiffert CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 20976 C Nicolette Kressl SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20977 C Hans Jochen Henke CDU/CSU . . . . . . . . . . . 20978 D Ewald Schurer SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20979 D Ingrid Arndt-Brauer SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 20981 B Tagesordnungspunkt 5: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Juris- tenausbildung (Drucksache 14/7176) . . . . . . . . . . . . 20983 A b) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Deutschen Rich- tergesetzes und der Bundesrechts- anwaltsordnung (Drucksache 14/7463) . . . . . . . . . . . . 20983 B c) Bericht des Rechtsausschusses gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem von den Abgeordneten Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Rainer Funke, weite- ren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurf eines Ge- setzes zur Reform der Juristenaus- bildung (JurAusbReformG) (Drucksachen 14/2666, 14/8038) . . . . 20983 B Joachim Stünker SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20983 C Dr. Norbert Röttgen CDU/CSU . . . . . . . . . . . 20984 B Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20987 D Dr. Edzard Schmidt-Jortzig FDP . . . . . . . . . . 20989 B Sabine Jünger PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20990 B Jochen Dieckmann, Minister (Nordrhein- Westfalen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20991 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002 III Tagesordnungspunkt 6: Beratung der Großen Anfrage der Abgeord- neten Dr. Norbert Lammert, Bernd Neumann (Bremen), weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der CDU/CSU: Ver- breitung, Förderung und Vermittlung der deutschen Sprache (Drucksachen 14/5835, 14/7250) . . . . . . . 20992 A Erika Steinbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 20992 A Dr. Peter Eckardt SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20993 C Gerhard Schüßler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20994 D Dr. Ludger Volmer, Staatsminister AA . . . . . . 20996 A Maritta Böttcher PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20997 C Dr. Julian Nida-Rümelin, Staatsminister BK 20998 B Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . . . . . . . . . 20998 D Eckhardt Barthel (Berlin) SPD . . . . . . . . . . . . 21000 A Erika Steinbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 21002 A Tagesordnungspunkt 7: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Tourismus – zu dem Antrag der Abgeordneten Brunhilde Irber, Dr. Eberhard Brecht, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD sowie der Abgeordne- ten Sylvia Voß, Dr. Thea Dückert, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Programm zur Stärkung des Tourismus in Deutschland (Tou- rismusförderungsprogramm) – zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Brähmig, Ernst Hinsken, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Wettbewerbsfähig- keit der deutschen Tourismuswirt- schaft stärken (Drucksachen14/5315,14/5313,14/8021) 21002 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Tourismus zu dem An- trag der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Cornelia Pieper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Neue Kam- pagne „Deutschland besucht Deutsch- land“ starten (Drucksachen 14/4153, 14/6846) . . . . 21002 C c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Tourismus – zu dem Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technik- folgenabschätzung gemäß § 56 a der Geschäftsordnung Technikfolgenabschätzung hier: „Entwicklung und Folgen des Tourismus“ – zu dem Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technik- folgenabschätzung gemäß § 56 a der Geschäftsordnung Technikfolgenabschätzung hier: „Entwicklung und Folgen des Tourismus“ Bericht zum Abschluss der Phase II (Drucksachen 13/9446, 14/272 Nr. 188, 14/1100, 14/7751) . . . . . . . . . . . . . . . . 21002 C d) Antrag der Abgeordneten Wolfgang Dehnel, Klaus Brähmig, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/ CSU: Fortführung des Bundeswett- bewerbs für familienfreundliche Fe- rienangebote in Deutschland (Drucksache 14/7066) . . . . . . . . . . . . . 21002 D Brunhilde Irber SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21003 A Klaus Brähmig CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 21005 C Brunhilde Irber SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21005 D Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 21006 B Brunhilde Irber SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 21007 D Birgit Roth (Speyer) SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 21008 D Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 21008 D Sylvia Voß BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . 21009 B Ernst Burgbacher FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21011 B Rosel Neuhäuser PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21012 C Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi 21013 C Albrecht Feibel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 21015 C Wolfgang Dehnel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 21016 A Rosel Neuhäuser PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 21017 A Tagesordnungspunkt 8: a) Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Marita Sehn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Kioto-Mechanismen für die in- ternationale Klimapolitik Deutsch- lands nutzen (Drucksache 14/7073) . . . . . . . . . . . . . 21018 A b) Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Marita Sehn, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der FDP: Kioto-Mechanismen für die nationale Klimapolitik Deutschlands nutzen (Drucksache 14/7156) . . . . . . . . . . . . . 21018 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002IV c) Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Marita Sehn, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der FDP: Gesetz zur Ratifizierung des Kioto- Protokolls unverzüglich vorlegen (Drucksache 14/7450) . . . . . . . . . . . . 21018 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Das Kioto-Protokoll ratifizieren und zum Weltgipfel 2002 in Johannesburg in Kraft setzen (Drucksache 14/8026) . . . . . . . . . . . . . . . 21018 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Kioto – Bonn – Marrakesch, ein wichtiger Schritt für die internatio- nale Klimapolitik (Drucksache 14/8028) . . . . . . . . . . . . . . . 21018 B Monika Ganseforth SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 21018 C Dr. Peter Paziorek CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 21020 B Jürgen Trittin, Bundesminister BMU . . . . . . . 21023 A Birgit Homburger FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21024 C Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . . 21026 B Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . . . . . . . 21027 B Dr. Christian Ruck CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 21029 B Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21031 A Tagesordnungspunkt 9: Große Anfrage der Abgeordneten Klaus Riegert, Peter Letzgus, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der CDU/CSU: Si- cherung der Zukunft der Vereine durch wirtschaftliche und bürokratische Ent- lastung – Erhöhung der Gestaltungs- möglichkeiten und Freiräume (Drucksachen 14/3680, 14/5445) . . . . . . . 21032 D Klaus Riegert CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 21032 D Dr. Barbara Hendricks SPD . . . . . . . . . . . 21034 C Dieter Grasedieck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 21034 D Gerhard Schüßler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21036 C Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21037 D Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21039 A Dr. Klaus Rose CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 21039 D Tagesordnungspunkt 10: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft – zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Waldzustandsbericht der Bundesregierung 2000 – Er- gebnis des forstlichen Umweltmo- nitoring – zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Heidemarie Wright, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Steffi Lemke, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Wald- zustandsbericht der Bundesregie- rung 2000 – Ergebnis des forst- lichen Umweltmonitoring (Drucksachen14/4967,14/5560,14/6273) 21041 D b) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Gesamtwaldbericht (Drucksache 14/6750) . . . . . . . . . . . . 21042 A c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Forstvermehrungsgut- gesetzes (FoVG) (Drucksachen 14/7384, 14/7998) . . . . 21042 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 12: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Waldzustandsbericht der Bundesregie- rung 2001 – Ergebnis des forstlichen Umweltmonitoring (Drucksache 14/7946) . . . . . . . . . . . . . . . 21042 B Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär BMVEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21042 B Cajus Caesar CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 21043 B Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21045 B Ulrich Heinrich FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21046 C Heidemarie Wright SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 21047 B Kersten Naumann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 21048 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002 V Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Kurt-Dieter Grill, Jochen-Konrad Fromme, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der CDU/CSU: Aus- gleich für die nuklearen Entsorgungs- standorte Gorleben und Salzgitter (Schacht Konrad) in Niedersachsen und Morsleben in Sachsen-Anhalt (Drucksache 14/7786) . . . . . . . . . . . . . . . 21049 C Zusatztagesordnungspunkt 13: Antrag der SPD-Fraktion und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Vorhaben zukünftiges Transportflug- zeug A400M (Drucksache 14/8024) . . . . . . . . . . . . . . . 21049 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 14: Antrag der Fraktion der CDU/CSU: Für eine haushaltsrechtlich saubere Finan- zierung und langfristig gesicherte Be- schaffung des zukünftigen Lufttrans- portflugzeuges der BundeswehrA400M (Drucksache 14/8077) . . . . . . . . . . . . . . . 21049 D Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Stellungnahme des Bundesmi- nisters der Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . 21058 C Volker Kröning SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21049 D Dietrich Austermann CDU/CSU . . . . . . . . . . 21050 C Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21052 B Jürgen Koppelin FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21053 B Rudolf Scharping, Bundesminister BMVg 21054 C Friedrich Merz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 21055 B Heidi Lippmann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21056 A Friedrich Merz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 21057 A Jürgen Koppelin FDP (zur GO) . . . . . . . . . . . 21057 D Friedrich Merz CDU/CSU (zur GO) . . . . . . . 21058 A Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD (zur GO) 21058 A Jürgen Koppelin FDP (zur GO) . . . . . . . . . . . 21058 B Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN (zur GO) . . . . . . . . . . . . . . . . 21058 C Dr. Peter Struck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21058 D Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Um- welt- und Gesundheitsgefahren bei Gold- gewinnung minimieren (Drucksache 14/7076) . . . . . . . . . . . . . . . 21059 B Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Max Straubinger, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Luftfahrtforschung voranbringen (Drucksache 14/7439) . . . . . . . . . . . . . . . 21059 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel, Dr. Ditmar Staffelt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeord- neten Werner Schulz (Leipzig), Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Na- tionales Luftfahrtforschungsprogramm fortsetzen (Drucksache 14/8027) . . . . . . . . . . . . . . . 21059 C Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Christine Ostrowski, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der PDS: Bahn- preissystem für Fahrgäste attraktiv ge- stalten (Drucksache 14/7768) . . . . . . . . . . . . . . . 21060 A Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP: Nutzung satelli- tengestützter Erdbeobachtungsinforma- tionen (Drucksache 14/8034) . . . . . . . . . . . . . . . 21060 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21060 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 21061 A Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Walter Kolbow (SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung betrieblicher Bünd- nisse für Arbeit (Drucksachen 14/6548 und 14/7362) . . . . . . . 21062 A Anlage 3 Erklärung des Abgeordneten Reinhold Strobl (Amberg) (SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung betrieb- licher Bündnisse für Arbeit (Drucksachen 14/6548 und 14/7362) . . . . . . . 21062 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002VI Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig und Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Ab- stimmung über den Antrag: Für eine haus- haltsrechtlich saubere Finanzierung und langfristig gesicherte Beschaffung des zukünf- tigen Lufttransportflugzeuges der Bundeswehr A400M (Zusatztagesordnungspunkt 14) . . . . 21062 A Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Großen Anfrage: Sicherung der Zukunft der Vereine durch wirtschaftliche und bürokrati- sche Entlastung – Erhöhung der Gestal- tungsmöglichkeiten und Freiräume (Tagesord- nungspunkt 9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21062 C Lothar Binding (Heidelberg) SPD . . . . . . . . . 21062 C Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Ausgleich für die nuklearen Entsorgungsstandorte Gorleben und Salzgitter (Schacht Konrad) in Niedersachsen und Morsleben in Sachsen-Anhalt (Tagesord- nungspunkt 11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21065 B Arne Fuhrmann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21065 B Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD . . . . . . . . . 21065 D Ina Lenke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21066 C Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . . 21067 A Jürgen Trittin, Bundesminister BMU . . . . . . . 21067 C Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Umwelt- und Gesundheits- gefahren bei Goldgewinnung minimieren (Ta- gesordnungspunkt 12) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21068 A Monika Griefahn SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21068 B Vera Lengsfeld CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 21069 A Birgit Homburger FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 21070 B Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . . 21070 D Gila Altmann, Parl. Staatssekretärin BMU 21071 A Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Luftfahrtforschung voranbringen und – Nationales Luftfahrtforschungsprogramm fortsetzen (Tagesordnungspunkt 13 und Zusatztagesord- nungspunkt 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21072 B Dr. Margrit Wetzel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 21072 B Dr. Heinz Riesenhuber CDU/CSU . . . . . . . . . 21073 A Hans-Josef Fell BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21074 C Ulrike Flach FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21075 B Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21075 D Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi 21076 B Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Bahnpreissystem für Fahrgäste attraktiv gestalten (Tagesordnungspunkt 14) 21077 D Karin Rehbock-Zureich SPD . . . . . . . . . . . . . 21077 D Norbert Otto (Erfurt) CDU/CSU . . . . . . . . . . 21078 D Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21079 C Horst Friedrich (Bayreuth) FDP . . . . . . . . . . 21080 B Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Nutzung satellitengestützter Erd- beobachtungsinformationen (Zusatztagesord- nungspunkt 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21081 A Lothar Fischer (Homburg) SPD . . . . . . . . . . 21081 A Ilse Aigner CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21081 C Hans-Josef Fell BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21082 D Ulrike Flach FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21083 B Angela Marquardt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 21083 D Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekre- tär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21084 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002 VII Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002 Vizepräsidentin Petra Bläss 21060 (C) (D) (A) (B) 1) Anlage 9 2) Anlage 10 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002 21061 (C) (D) (A) (B) Balt, Monika PDS 24.01.2002 Behrendt, Wolfgang SPD 24.01.2002* Berninger, Matthias BÜNDNIS 90/ 24.01.2002 DIE GRÜNEN Bierwirth, Petra SPD 24.01.2002 Bindig, Rudolf SPD 24.01.2002* Brandt-Elsweier, Anni SPD 24.01.2002 Brinkmann (Detmold), SPD 24.01.2002 Rainer Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 24.01.2002* Klaus Büttner (Ingolstadt), SPD 24.01.2002 Hans Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 24.01.2002 DIE GRÜNEN Friedrich (Altenburg), SPD 24.01.2002 Peter Dr. Friedrich CDU/CSU 24.01.2002 (Erlangen), Gerhard Goldmann, FDP 24.01.2002 Hans-Michael Gradistanac, Renate SPD 24.01.2002 Gröhe, Hermann CDU/CSU 24.01.2002 Günther (Duisburg), CDU/CSU 24.01.2002 Horst Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 24.01.2002 DIE GRÜNEN Hiksch, Uwe PDS 24.01.2002 Holetschek, Klaus CDU/CSU 24.01.2002 Dr. Hornhues, CDU/CSU 24.01.2002 Karl-Heinz Hornung, Siegfried CDU/CSU 24.01.2002* Imhof, Barbara SPD 24.01.2002 Jäger, Renate SPD 24.01.2002* Klappert, Marianne SPD 24.01.2002 Dr. Küster, Uwe SPD 24.01.2002 Leidinger, Robert SPD 24.01.2002 Lintner, Eduard CDU/CSU 24.01.2002* Dr. Lippelt, Helmut BÜNDNIS 90/ 24.01.2002* DIE GRÜNEN Lörcher, Christa fraktionslos 24.01.2002* Dr. Lucyga, Christine SPD 24.01.2002* Michels, Meinolf CDU/CSU 24.01.2002* Müller (Berlin), PDS 24.01.2002* Manfred Müller (Jena), CDU/CSU 24.01.2002* Bernward Neumann (Gotha), CDU/CSU 24.01.2002* Gerhard Onur, Leyla SPD 24.01.2002* Palis, Kurt SPD 24.01.2002* Roos, Gudrun SPD 24.01.2002 Dr. Scheer, Hermann SPD 24.01.2002* Schlee, Dietmar CDU/CSU 24.01.2002 Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 24.01.2002 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 24.01.2002 Hans Peter von Schmude, Michael CDU/CSU 24.01.2002 Dr. Schockenhoff, CDU/CSU 24.01.2002 Andreas Dr. Schubert, Mathias SPD 24.01.2002 Dr. Schuchardt, Erika CDU/CSU 24.01.2002 Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 24.01.2002 Christian Seehofer, Horst CDU/CSU 24.01.2002 Simm, Erika SPD 24.01.2002 Simmert, Christian BÜNDNIS 90/ 24.01.20 DIE GRÜNEN Strebl, Matthäus CDU/CSU 24.01.2002 Titze-Stecher, Uta SPD 24.01.2002 Türk, Jürgen FDP 24.01.2002 Dr. Wieczorek, SPD 24.01.2002 Norbert Wiesehügel, Klaus SPD 24.01.2002 Zierer, Benno CDU/CSU 24.01.2002* * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Walter Kolbow (SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung betrieblicherBündnisse fürArbeit (Drucksachen 14/6548 und 14/7362) Mein Name erscheint nicht in der Liste der Namentli- chen Abstimmung. Mein Votum lautet: Nein. Anlage 3 Erklärung des Abgeordneten Reinhold Strobl (Amberg) (SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung betrieblicher Bündnisse für Arbeit (Drucksachen 14/6548 und 14/7362) In der Abstimmungsliste ist mein Name unter „Ja“ auf- geführt. Mein Votum lautet: Nein. Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig und Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) zur Abstimmung über den Antrag: Für eine haushaltsrechtlich saubere Finanzierung und langfristig gesicherte Beschaffung des zukünftigen Lufttransportflugzeuges der Bun- deswehrA400M (Zusatztagesordnungspunkt 14) Wir stimmen dem Antrag zur Beschaffung des Trans- portflugzeuges Airbus 400 ausschließlich aus Gründen der Koalitionsgeschlossenheit zu. Inhaltlich hat uns die Bundesregierung nicht von der Notwendigkeit der An- schaffung von insgesamt 73 Flugzeugen überzeugen kön- nen. Unstrittig ist für uns der im Bundeshaushalt 2002 vorgesehene Erwerb von 40 Flugzeugen für die zukünfti- gen Aufgaben der Bundeswehr. Die verteidigungspolitische Notwendigkeit des Er- werbs von 73 Maschinen, die die Transportkapazität der Bundeswehr gegenüber heute vervierfachen würde, konnte die Regierung aber nicht ausreichend begründen. Im Gegenteil: Wir sehen mit großer Sorge, dass andere für die Reform der Bundeswehr in den nächsten Jahren not- wendige Investitionen nicht realisiert werden können, wenn heute eine unangemessen hohe Mittelbindung ein- seitig zugunsten von Transportfunktionen vorgenommen wird. Auch die industriepolitische Begründung erscheint uns nicht ausreichend. Andere europäische Länder haben ihre Kontingente gegenüber früheren Zusagen erheblich ver- ringert. Der kalkulierte Mehraufwand von 3,5 Milliarden Euro für die Anschaffung von insgesamt 73 Maschinen ist den deutschen Steuerzahlern gegenüber nicht zu rechtfer- tigen, zumal kommende Preissteigerungen und techni- sche Änderungen noch nicht einkalkuliert sind. Es ist eine ähnliche Kostenexplosion wie beim Eurofighter zu be- fürchten, dessen Beschaffungskosten sich innerhalb von vier Jahren von 12 auf 23 Milliarden DM fast verdoppelt haben. Auch werden für die Transportflugzeuge in den nächsten Jahrzehnten erhebliche Betriebskosten anfallen, die zusätzliche Mittel aus dem Verteidigungshaushalt bin- den. Vor diesem Hintergrund hat auch der Bundesrech- nungshof in seinem Bericht vom 12. Oktober 2001 die ge- plante Beschaffung scharf kritisiert. Haushaltsrechtliche Bedenken gegen den Antrag ha- ben wir nicht. Der Antrag ist eine deutliche Absichtser- klärung des Parlaments zum Erwerb der 73 Transport- flugzeuge, aber keine dezidierte Rechtsverpflichtung. Die endgültige Entscheidung hat der nächste Bundestag zu fällen. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Großen Anfrage: Sicherung der Zukunft der Vereine durch wirtschaftliche und bürokratische Entlastung – Erhöhung der Gestaltungsmöglichkeiten und Freiräume (Ta- gesordnungspunkt 9) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Was für eine Anstrengung muss es wohl gewesen sein, eine Große An- frage so kleinkariert zu formulieren. Die CDU/CSU hat durch ihre rückwärts gerichteten Fragen die Vereine zurückgeworfen und reduziert. Statt über die Ursachen der dramatischen Erosion fast aller Großorganisationen in Deutschland seit 20 Jahren nachzudenken, lenkt die CDU mit ihren Fragen auf einige im Wesentlichen uralte Rechts- und Finanzierungsfragen und vergisst dabei so- gar, dass einige dieser alten Probleme in jüngster Zeit von der Regierung Schröder erfolgreich gelöst wurden. Wer fragt ist stark, und wer fragt, führt, sollte man zumindest meinen. Aber schauen wir uns das Trauerspiel hinsichtlich der Struktur der fast 60 Einzelfragen der CDU-Fraktion ein- mal genauer an (Tabelle Seite 21063). Wir sehen 18 Fragen zu 630-DM-Jobs, 9 Fragen zu Steuerprüfung, Steuern, 8 Fragen zur Übungsleiterpau- schale, 7 Fragen zu Rechtsvorschriften, 3 Fragen zum Durchlaufspendenverfahren. Etwas Statistik und Öko- steuer dürfen natürlich auch nicht fehlen. Die Antworten, die wichtig sind für die Zukunftsfähigkeit der Vereine oder – wer ihre gesellschaftliche Einbettung richtig ver- steht – für die Zukunftsfähigkeit bürgerschaftlichen En- gagements, sind mit solchen Fragen nicht zu finden. Ich vermisse in der Großen Anfrage Anregungen zu den Themenkomplexen Stiftungen, Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege, Krankenhäuser und Gesundheits- einrichtungen in freier Trägerschaft, gemeinnützige GmbHs und ähnliche Gesellschaftsformen, Wirtschafts- und Berufsverbände, Gewerkschaften, Verbraucherorga- nisationen, Selbsthilfegruppen, Bürgerinitiativen, Um- weltschutzgruppen, staatsbürgerliche Vereinigungen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 200221062 (C) (D) (A) (B) Ich möchte gerne an dieser Stelle Dr. Michael Bürsch, den Vorsitzenden der Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ zitieren und lehne mich imWeiteren an seineAusführungen bei einer Veran- staltung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und der Gesellschaft für Sozialen Fortschritt e.V. an, denn seineAusführungen führen zu tief greifenden Erkenntnis- sen. Bürgergesellschaft beschreibt die Vielfalt von Verei- nen, Initiativen und Assoziationen, die sich – gewisser- maßen zwischen Markt und Staat – in selbst organisierter Form für gesellschaftliche Anliegen einsetzen. Darüber hinaus hat der Begriff „Bürgergesellschaft“ eine for- dernde, utopische Komponente: Er meint nicht weniger als den Entwurf eines „neuen Gesellschaftsvertrags“. In dieser Vision werden die demokratischen und sozialen Strukturen durch die aktiv handelnden, an den gemein- schaftlichen Aufgaben teilnehmenden Bürgerinnen und Bürger mit Leben erfüllt, verändert und auf zukünftige ge- sellschaftliche Bedürfnisse zugeschnitten. Bürgerschaft- liches Engagement ist dann mehr als nur ein Oberbegriff für alles das, was man auch Ehrenamt, Freiwilligenarbeit oder noch anders nennen könnte. Bürgerschaftliches En- gagement ist öffentliche, auf das politische Gemeinwesen bezogene Tätigkeit, der Motor und die Aktivität, die eine Gesellschaft zu einer Bürgergesellschaft macht“. Zwi- schen bürgerschaftlichem Engagement und Sozialstaat besteht eine enge wechselseitige Beziehung. So können die unterschiedlichen Formen bürgerschaftlichen Engage- ments in ihrer Entfaltung durch sozialstaatliche Institutio- nen und Interventionen behindert oder gefördert werden. Umgekehrt sind viele Leistungen des Sozialstaates erst durch private Initiative und Engagement entwickelt und später in staatliche Trägerschaft übernommen worden. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts steht der Sozialstaat vor großen Herausforderungen. Während eine zahlen- mäßig stärkere ältere Generation und viele Arbeitslose auf Sozialleistungen angewiesen sind, geht die Zahl der Bei- tragszahler zurück. Das Resultat: Finanzierungsschwie- rigkeiten und eine Diskussion, die vor allem um Kosten- senkungen und Leistungskürzungen kreist. Die Frage, wie viel Sozialstaat wir uns in Zukunft noch leisten kön- nen, scheint mir – zumindest aus Sicht des bürgerschaft- lichen Engagements – jedoch zu kurz gegriffen und falsch gestellt. Spricht man nur über mehr oder weniger Staat, gerät nämlich die Stärkung der Bürgergesellschaft immer in den Verdacht, einer Flucht des Staates aus seiner sozia- len Verantwortung Beihilfe zu leisten. Bürgerengage- ment, so die Kritik, ist dann nur eine hübsche Verpackung, die den hässlichen Inhalt kaschieren soll: Einsparungen, Privatisierung, soziale Leistungen nur noch für diejeni- gen, die es sich leisten können. Eigeninitiative aus Not ist ein Notfall. Es gibt viele Menschen in unserer Gesellschaft – Flüchtlinge, Obdach- lose, Suchtkranke –, die auf bürgerschaftliches Engage- ment angewiesen sind. Aber ein solches Engagement aus einem Mangel heraus kann keine soziale Gerechtigkeit für alle schaffen – es sollte eher als Alarmzeichen verstanden werden, das auf einen Bereich aufmerksam macht, in dem es nicht zu viel, sondern zu wenig Sozialstaat gibt. Ich sage in aller Deutlichkeit: Das Programm der FDP, die Bürgergesellschaft dort zum Ausfallbürgen zu ma- chen, wo staatliche Aufgaben nicht an private Anbieter delegiert werden können, geht nicht auf: Bürgerengage- ment braucht Förderung und Infrastruktur, die nur der Staat leisten kann. Wenn wir den Sozialstaat mithilfe der Bürgergesell- schaft reformieren wollen, geht es nicht um mehr oder weniger Staat, sondern um die Frage: Wer kann die sozia- len Leistungen, die wir wollen, am besten erbringen? Es geht darum, mithilfe von bürgerschaftlichem Engagement die Qualität sozialer Leistungen zu verbessern. Es müssen dabei nicht alle soziale Leistungen allein vom Staat er- bracht werden. Wer kann eine Leistung am besten erbrin- gen: der Markt, der Staat oder Netzwerke gegenseitiger Hilfe? Auch Kombinationen sind denkbar und wün- schenswert. Der Staat trägt dafür Sorge, dass eine be- stimmte Leistung bereitgestellt wird – wie das passiert, die „Durchführungsverantwortung“, muss dagegen nicht unbedingt beim Staat liegen. Was ist nun aber die besondere Qualität bürgerschaft- lichen Engagements, die die soziale Versorgung ge- genüber dem professionellen, staatlich organisierten Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002 21063 (C) (D) (A) (B) Thema Fragen Nr. Anzahl Vereine Mitglieder 1 bis 4 Antwort wäre Bürokratie für Vereine 630 DM (Geringfügige Beschäftigung) 5 und 6 Konsequenzen der Abschaffung Rechtsvorschriften 7 bis 13 Auch auf den Geschädigten achten 630 DM (Geringfügige Beschäftigung) 14 bis 27 Endlich Ökosteuer 28 und 29 Typisch Übungsleiterpauschale 30 bis 32 Kosten spielen keine Rolle 630 DM (Geringfügige Beschäftigung) 36 Etwas ganz Neues Steuerliche Freigrenzen 37 bis 39 Allgemeiner Wettbewerb, Gastronomie Wertschöpfung 40 und 41 Reduktion auf Monetäres Durchlaufspendenverfahren 43 bis 45 Erledigt auf Wunsch der Vereine Steuerprüfung, Steuern 47 bis 51 Im Regelfall kein Problem Nichtverfügbarkeitsregelung AfG 52 In Arbeit Übungsleiterpauschale 53 bis 57 Es geht immer nur ums Geld Maßnahmen seit 1998, Pläne 58 und 59 Zurückhaltung wegen Enquete-Kommission Sozialsystem verbessert? Ein Beispiel für das, was ich meine, ist die Selbsthilfe. Selbsthilfegruppen vermitteln Wissen und Kompetenzen, schaffen Kontakte zwischen Betroffenen und vertreten deren Interessen. Der Übergang von der bloßen Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe zum bürgerschaftlichen Engagement ist fließend: Die erwor- benen Kompetenzen an andere Betroffene weiterzugeben, selbst Veranstaltungen zu organisieren, ist ein nahe lie- gender Schritt. Bürgerschaftliches Engagement im Sozialen ist kein Lückenbüßer. Die Engagierten machen Ansprüche gel- tend, üben häufig auch berechtigte Kritik am professionel- len Hilfesystem und tragen durch ihren Einsatz zu seiner Verbesserung bei. Dazu bleibt festzuhalten: Sozialpolitik in der Bürgergesellschaft orientiert sich an den Möglich- keiten der Menschen: Sie stärkt ihre Netzwerke und er- möglicht Selbsthilfe. Eine solche Sozialpolitik wird auf die besondere Qualität bürgerschaftlichen Engagements, auf die Freiwilligkeit und die Kompetenz bürgerschaftlich engagierter Menschen zurückgreifen, um nah an den Be- troffenen zu sein und soziale Leistungen bedarfsgerecht zu gestalten. Damit verändert sich auch das Verhältnis zwischen Sozialstaat und Individuum. Der Einzelne ge- winnt dabei eine Bedeutung, die über die Rolle des Nut- zers sozialstaatlicher Institutionen weit hinausgeht – eine Aufwertung jenseits einer monetären Betrachtung, die nicht zuletzt Ergebnis gewachsener Kompetenzen der Menschen in den letzten Jahrzehnten ist. Eigenbeiträge einzufordern, setzt ein entsprechendes Vermögen voraus, das wiederum gefördert werden muss. Ich bin davon überzeugt, dass die Förderung bürger- schaftlichen Engagements eine der zentralen politischen Zukunftsaufgaben sein wird. Meiner Ansicht nach gibt es drei Gründe für die Politik, bürgerschaftliches Engage- ment stärker und nachhaltiger als bisher zu fördern, ob- wohl ich betonen will, dass die rot-grüne Bundesregie- rung schon viele wichtige Initiativen bereits auf den Weg gebracht hat. Erstens. Viele Menschen sind prinzipiell bereit und da- ran interessiert, sich zu engagieren. Einige werden durch ihre Lebenssituation daran gehindert, aber viele geben auch die Rahmenbedingungen als Grund an. Dieses schlum- mernde Potenzial durch Anreize und Ermöglichung zu wecken, ist eine Aufgabe politischer Engagementförde- rung. Zweitens. Teilhabe am politischen Gemeinwesen. Mit den Bürgerrechten, der Grundlage unserer Demokratie, ist so etwas wie ein „Recht auf bürgerschaftliches Engage- ment“ verbunden. Gleiche Teilhabechancen für alle zu er- möglichen und gerade das Engagement von Benachteilig- ten besonders zu unterstützen, ist die zweite Aufgabe und Leitlinie politischer Engagementförderung. Drittens. Menschen, die sich engagieren, brauchen An- erkennung. Ziel der Engagementförderung ist eine An- erkennungskultur mit sehr unterschiedlichen Elementen: Ehrungen und symbolische Aufmerksamkeiten, Mitge- staltungs- und Fortbildungsmöglichkeiten. Außerdem darf ein Engagement nicht zu Nachteilen führen: Schutz und Nachteilsausgleich für Engagierte sind Voraussetzun- gen für eine gesellschaftliche Anerkennungskultur. Die Förderung bürgerschaftlichen Engagements, das ist die Konsequenz, kann die soziale Absicherung durch Er- werbsarbeit nicht ersetzen: Bürgerengagement kann aber eine Brücke in die Erwerbsarbeit sein. Lassen sie mich das am Beispiel des dritten Systems deutlich machen. Drittes System, dritter Wirtschaftssektor, Sozialwirt- schaft? Verwirrende Begriffsvielfalt für ein einfaches Wundermittel gegen Arbeitslosigkeit. Weder die kapitalis- tische Privatwirtschaft als erstes System, trotz traumhaf- ter Steuersenkungen, noch hervorragende Anstrengungen der öffentlich-rechtlichen Wirtschaft als zweites System (siehe ABM) sind in der Lage, Arbeitslosigkeit, soziale Ausgrenzung und Armut zu überwinden. Erstens hat eine nationale, stark exportabhängige Wirtschaft keine Chance, internationale Wachstumseinbrüche, wie etwa in den USA, ausreichend zu kompensieren, zweitens finden selbst unter optimalen Bedingungen viele Menschen im Spannungsfeld von Markt und Staat keine dauerhafte Ar- beit. So bildeten sich viele weitere Formen selbst organi- sierter wirtschaftlicher Tätigkeit, die insbesondere das Gemeinwesen im Blick haben: das dritte System. Sozial- wirtschaftliche Betriebe bilden ein stetig größer werden- des Segment im dritten System. Oft sind das erfolgreiche Start-ups, Unternehmen der 80er- und 90er-Jahre. Sie ba- sieren auf bürgerschaftlichem Engagement, sind kollektiv getragen, agieren gleichwohl unternehmerisch gewinn- orientiert und die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen er- wirtschaften ein persönliches Einkommen. Das Beson- dere ist: Sie arbeiten nicht für individuellen Profit. Jeglicher Gewinn wird reinvestiert, um Leistungsminde- rungen der Mitarbeiter auszugleichen. Es sind also keine Non-Profit sondern Not-for-Profit-Unternehmen. Hier entsteht soziales Kapital. So verbinden diese Unterneh- men wirtschaftliches Handeln mit sozialer Zielsetzung, das heißt vor allem, dass hier Menschen normal entlohnte Arbeit finden, die im ersten und zweiten Wirtschaftssys- tem als nicht ausreichend leistungsfähig ausgegrenzt wurden und deshalb langzeitarbeitslos waren. Soziale Un- ternehmen sind damit eine innovative, wirtschaftliche Form des bürgerschaftlichen Engagements und gesell- schaftlicher Sozialpolitik, die mehr Aufmerksamkeit ver- dient. Während im Neuen Markt oft Kapital vernichtet wird, entsteht hier neues, soziales Kapital. Ich sehe hier eine sozial- und beschäftigungspolitisch sehr lohnende Aufgabe, sich in dieser und vor allem in der nächsten Legislaturperiode ausführlicher mit diesem Konzept zu befassen. Denn die Ressourcen des dritten Systems sind noch lange nicht ausgeschöpft. Die Rah- menbedingungen für soziale Unternehmen können noch verbessert werden, sodass neue Arbeitsplätze entstehen. Als anschauliches Beispiel möchte ich die 1984 ge- gründete Werkstatt GmbH in Heidelberg empfehlen, die sich auf prozessorientiert geplanten Spielplatzbau spezia- lisiert hat. Die Anerkennung und der Schutz freiwillig en- gagierter Bürgerinnen und Bürger müssen andere Wege gehen als der Sozialstaat mit seiner Verbindung von Er- werbsarbeit, Beitragszahlung und Leistungsanspruch. Es gibt keinen Grund, für die Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements schwarz zu sehen. Aber es gibt einiges zu tun: Die Enquete-Kommission wird etliche Vorschläge zur Verbesserung der Rahmenbedingungen machen, die Bedeutung bürgerschaftlichen Engagements in der Gesell- schaft sichtbar zu machen. Das ist aber nur der Anfang – der Anfang einer nachhaltigen Förderung, einer lebendi- gen Anerkennungskultur und der Anfang eines Aufbruchs Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 200221064 (C) (D) (A) (B) in die Bürgergesellschaft. Die Zukunft des bürgerschaftli- chen Engagements hat gerade erst begonnen. Wir alle können einen Beitrag dazu leisten. Diese Gedanken – in enger Anlehnung an Michael Bürsch – zeigen, warum die CDU mit ihrer Großen Anfrage von der Zukunft unserer Vereine unendlich weit entfernt ist. Die Bundesregierung hat in kurzer Zeit erhebliche Verbesserungen in Bezug auf die steuerlichen Rahmenbe- dingungen für gemeinnützige Vereine und für ehre- namtliche Betätigung erreicht. Bei den Verbesserungen handelt es sich zum Teil um zentrale Forderungen der gemeinnützigen Vereine und Dachorganisationen, die zu- vor viele Jahre erfolglos verfolgt wurden. Anschließend werden einige dieser konkreten Verbesserungen vorgetra- gen: Überarbeitung des Spendenrechts. Dabei vor allem Verzicht auf das Durchlaufspendenverfahren als Voraus- setzung für den steuerlichen Abzug von Spenden. Mitgliedsbeiträge sind an wesentlich mehr Vereine als früher steuerlich abziehbar. Anhebung der so genannten Übungsleiterpauschale § 3 Nr. 26 EstG von 2400 DM auf 3600 DM und Umwandlung von einer Aufwandspau- schale in einen Freibetrag. Ausweitung des begünstigten Personenkreises auf nebenberufliche Betreuer, Ver- besserung der Möglichkeit, ohne Verlust der Gemein- nützigkeit Mittel einer dauerhaften Rücklage zu führen. Gemeinnützige Körperschaften dürfen jetzt jährlich ein Drittel ihres Überschusses aus der Vermögensverwaltung und darüber hinaus bis zu 10 Prozent ihrer sonstigen zeit- nah zu verwendenden Mittel in einer freien Rücklage führen – siehe § 58 Nr. 7a AO. Erhebliche Ausweitung der Höchstgrenze für den Abzug von Zuwendungen an gemeinnützige Stiftungen. Grundsätzlich 40 000 DM im Jahr zusätzlich, bei Zuwendungen an neu errichtete Stiftungen 600 000 DM. Der steuerpflichtige Gewinn aus Werbung bei kulturellen, sportlichen und anderen Ver- anstaltungen, die ein Zweckbetrieb sind, wird ab dem Ver- anlagungszeitraum 2000 auf Antrag der Vereins pauschal mit 15 Prozent der Werbeeinnahmen angesetzt – siehe neuer § 64 Abs. 6 AO. Bisher gab es nur eine Betriebs- aufwandspauschale der Finanzverwaltung von 25 Prozent der Einnahmen. Die gemeinnützigen Vereine mit steuer- pflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben profi- tieren von der Herabsetzung des Körperschaftsteuersatzes von bisher 40 Prozent auf jetzt – ab 2001 – 25 Prozent durch das Steuersenkungsgesetz. Dies ist ein sehr guter Anfang für Erneuerungen bzw. Verbesserungen der Bundesregierung, die sich positiv auf den dritten Sektor, also Ehrenamt bzw. bürgerschaftliches Engagement, auswirken. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Ausgleich für die nu- klearen Entsorgungsstandorte Gorleben und Salzgitter (Schacht Konrad) in Niedersachsen und Morsleben in Sachsen-Anhalt (Tagesord- nungspunkt 11) ArneFuhrmann (SPD): IhrZiel,HerrGrill, ist es doch, die Bundesregierung heute dazu zu bewegen, durch Geld- zuwendungen nach Gorleben die regionale Zustimmung zum Endlager zu sichern, die weitere Arbeit des AK-End- lager damit bundesweit zu erschweren und dann mit dem Finger auf die rot-grüne Koalition zu zeigen nach dem Motto: „Die habendas zu verantworten!“ Sogeht das nicht. Wenn endgültige Entscheidungen getroffen sind, wer- den wir gemeinsam auch über Ausgleichs- oder Entschä- digungszahlungen zu reden haben. Ausgleichszahlungen, die der Bund jetzt für den ehe- mals geplanten und nun mit einem Moratorium versehe- nen Endlagerstandort Gorleben erbringen würde, er- schwerten die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern und die damit verbundene Suche nach geeigne- ten und durchsetzbaren Standorten. Durch Ausgleichs- zahlungen im Sinne von Herrn Grill schaffen wir im Zu- sammenhang mit Gorleben Fakten, und das wird mit uns nicht zu machen sein. Es ist vollkommen unstrittig, dass die Atomanlagen in Gorleben eine Belastung für die Region darstellen. Aller- dings ist die Region vom Grunde her als strukturschwach einzuordnen. Aber die Einwerbung von Strukturförder- mitteln für den Landkreis Lüchow-Dannenberg, die auch über einen Förderfonds abgewickelt werden könnten, sind als Strukturfördermaßnahme für die Region, nicht aber als Ausgleich ausschließlich für Gorleben notwendig und er- forderlich. Lassen Sie mich zur Verdeutlichung dieses von Herrn Grill initiierten Antrages noch einige Anmerkungen aus der jüngsten Vergangenheit machen. 1994 hat der Land- kreis Lüchow-Dannenberg letztmalig „Gorlebengelder“ erhalten. Der damalige Kreistag hat aus guten Gründen keine „Ausgleichszahlungen“ mehr beantragt. Es wurde von der damaligen Regierung aber auch nichts mehr an- geboten! Wer hat denn damals regiert? 1996 hat der Kreis- tag die bis dahin unter der Federführung von Herrn Grill arbeitende „Gorlebenkommission“ aufgelöst und die CDU-regierte Samtgemeinde Gartow versuchte, unter der Bezeichnung „Gorleben-Forum“ Herrn Grill weiterhin eine Plattform als Lobbyist für den Standort Gorleben zu bieten. Lassen Sie mich zusammenfassen: Die CDU/CSU ver- weist in ihrem Antrag auf die Entsorgungsbeschlüsse von 1980, zu denen sie unverändert steht. Sie nehmen damit weder die Atomnovelle und das damit geänderte Entsor- gungskonzept – dem im Übrigen auch der Bundesrat zu- gestimmt hat – noch den Entschließungsantrag vom De- zember 2001 und die laufenden Arbeiten des AK-End zur Kenntnis. Der nationale Entsorgungsplan kann natürlich auch Hilfen für die zu erkundenden Standorte vorsehen. Aber es ist verfrüht, jetzt darüber zu entscheiden; denn weder Anzahl noch Standorte von möglichen Endlagern stehen zurzeit zur Debatte. Das Sprichwort „Mit Speck fängt man Mäuse“ kann dann angewendet werden, wenn end- gültige Regelungen getroffen sind. Allerdings heißt es dann wohl eher: „Mit Mäusen macht man Speck!“ Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Die Koalition wird durch das in Kürze in Kraft tretende neue Atomge- setz, Gesetz zur Beendigung der Atomenergieversorgung, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002 21065 (C) (D) (A) (B) einen geordneten Ausstieg aus der Atomkraft einleiten. Das bedeutet auch ein geordnetes Verfahren für die End- lagerung. Im dazugehörigen Atomkonsens ist festgelegt, dass es nur ein Endlager für alle atomaren Abfälle geben wird. Das kann und wird Konrad nicht sein, weil dieses Endlager nur für bestimmte Abfall-Kategorien erforscht worden ist. Das Konrad-Verfahren wird rechtmäßig abgewickelt. Wer für eine nicht rechtmäßige Verfahrensabwicklung eintritt, muss mit Schadensersatz-Leistungen im Umfang von bis zu 0,8 Milliarden Euro rechnen. Das macht nie- mand mit, jedenfalls nicht in der Koalition. Der Termin dafür ist noch offen. Wenn in einem Plan- feststellungsbeschluss die Eignung für nicht wärmeent- wickelnde Abfälle festgestellt werden sollte, beginnen die von vielen Beteiligten vereinbarten Klageverfahren. Durch die Zusicherung, dass im Verfahren kein sofortiger Vollzug angeordnet wird, haben die Klagen aufschie- bende Wirkung. Also gibt es bis zur endgültigen Rechts- kraft keine Einlagerung. Übrigens: Wenn durch eine CSU-geführte Bundesre- gierung dieser sofortige Vollzug wieder hergestellt wer- den würde, würden nach einem positiven Planfeststel- lungsbeschluss die Atommülltransporte nach Salzgitter sofort rollen – Viel Spaß! Die bis 1996 gezahlten Ausgleichsleistungen hatten mit Blick auf die damalige Phase des Erkundungs- und Forschungsbeginns einen Sinn. Damals waren nämlich tatsächlich schon für diese Phase zusätzliche Infrastruk- turaufgaben durch die Standortkommune zu lösen. Zah- lungen in dieser Zeit sind nur geeignet, den Eindruck zu erwecken, als hätte man das Projekt Konrad akzeptiert oder man ließe es sich „abkaufen“. Unabhängig davon, dass Salzgitter jeden Euro gut gebrauchen könnte, gibt es objektiv zurzeit keine Sonderlasten, die mit Konrad zu- sammenhängen. CDU und CSU wollen mit dem Antrag spalten und nur von ihrer eigenen Schwäche und Zerstrittenheit ablenken. Kandidat Stoiber hat erklärt, er wolle den Atomkonsens und damit den Ausstieg aus der Atomenergie rückgängig machen. Die CDU in Salzgitter hat in ihren Reihen zahl- reiche Konrad-Befürworter. Die Heuchler und Pharisäer stellen Anträge, die nur Ablenkungscharakter besitzen. Warum hat man denn nach Auslaufen der damaligen Ausgleichszahlungs-Phase 1996 mit der seinerzeitigen CDU/CSU/FDP-Mehrheit keine Fortsetzung vorgenom- men? Auch gegen den nicht nachgewiesenen Willen einer damaligen SPD-geführten Landesregierung hätte sich die 1996 bis 2001 CDU-geführte Stadt damals sicher über eine entsprechende Initiative gefreut. Unabhängig von dem kleinkarierten CDU/CSU-Kram arbeiten Regierung und Koalition in speziell dafür einge- richteten Arbeitsgruppen intensiv an einem neuen, lang- fristig tragenden Endlager-Konzept. Dabei werden wir aktiv und fachkundig von vielen Experten begleitet, so- dass mit Zwischenergebnissen bald zu rechnen ist. Das Beste für Salzgitter wäre es, Konrad nicht in Be- trieb zu nehmen. Erst wenn das nicht zu verhindern wäre – was unwahrscheinlich ist –, wären Ausgleichszahlungen ein Thema. Wer jetzt für Ausgleichszahlungen plädiert, hat den Widerstand gegen eine Atommülllagerung im Schacht Konrad längst aufgegeben. Also: Nicht mit uns! Ina Lenke (FDP):Aufgrund von Vereinbarungen zwi- schen Bund und Land Niedersachsen wurden bis 1996 dem Landkreis Lüchow-Dannenberg und speziell der Ge- meinde Gorleben über viele Jahre hinweg Geld als Aus- gleich für besondere Belastungen gezahlt. Diesen Aus- gleichszahlungen – und der heutigen Forderung der CDU/CSU-Fraktion – liegt der gleiche Grundsatz zu- grunde: Immer wenn der Bund einzelnen Gemeinden oder Ländern besondere Aufgaben im gesamtstaatlichen Inte- resse zuweist, muss es einen Ausgleich geben. Wir Liberale vertreten den Standpunkt, dass die Kom- munen nicht allein gelassen werden dürfen. lm Falle der vorhandenen atomaren Entsorgungsanlagen (Morsle- ben/Sachsen-Anhalt), im Planfeststellungsverfahren be- findlichen Anlagen (Schacht Konrad/Salzgitter) und in Diskussion befindlichen Anlagen (Gorleben/Lüchow- Dannenberg) handelt es sich um Verpflichtungen, die von einer Kommune im Interesse der Volkswirtschaft insge- samt wahrgenommen werden. Die Gemeinden – das ist offenkundig – haben besondere Belastungen, weil die zum Teil gewalttätigen Auseinandersetzungen um Kern- energie ein friedliches Gemeindeleben schwer machen. Speziell in Lüchow-Dannenberg gibt es erhebliche Be- einträchtigungen in Bezug auf touristische und wirt- schaftliche Entwicklungsmöglichkeiten. Das Straßennetz und die öffentliche Infrastruktur sind besonderen Belas- tungen unterworfen. Von der FDP-Kreistagsfraktion wurde bereits im letz- ten Jahr ein Antrag an den Kreisausschuss des Kreistages Lüchow-Dannenberg gestellt, der zum Inhalt hat, dass der Landrat des Landkreises Lüchow-Dannenberg alle recht- lichen und tatsächlichen Aktivitäten entfalten soll, um die so genannten Gorleben-Gelder einzubringen. Damit sol- len die Belastungen, die der Landkreis Lüchow-Dannen- berg und die Gemeinde haben, verringert werden. Es kann nicht darum gehen, zum Beispiel mit dem An- trag der CDU/CSU sozusagen „durch die Hintertür“, zum Beispiel im Fall Gorleben, eine Entscheidung über die Eignung des Salzstocks und die Frage, ob Gorleben das endgültige Endlager wird, vorwegzunehmen. Vielmehr geht es darum, dass in diesem Stadium, in dem Belastun- gen bereits auftreten, für Entlastungen zu sorgen ist. Im Hinblick auf Belastungen reicht es, sich ein Bild in der Ta- gespresse zu machen. Es ist geradezu abenteuerlich, wie von Rot-Grün in Sa- chen Gorleben argumentiert wird: Einerseits wird über die Belastungen geklagt, andererseits werden aber finanzielle Vereinbarungen zur Entlastung abgelehnt werden. Man fühlt sich dadurch korrumpiert und glaubt, dass damit eine vorweggenommene Zustimmung zu einer endgültigen Entscheidung für das Endlager Gorleben verbunden sei. Lieber will man vorsätzlich eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation ertragen, als auch nur den Anschein einer Zustimmung zur Sache zu geben. Völlig unabhängig von der Diskussion um die künftige Nutzung der Kernenergie hält, wie Sie wissen, die FDP Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 200221066 (C) (D) (A) (B) unter Klimaschutz-Gesichtspunkten die rot-grüne Aus- stiegspolitik für kontraproduktiv. Wir sehen uns in dieser Argumentation sowohl durch den Bundeswirtschaftsmi- nister Müller mit seinem Energiebericht als auch durch die Europäische Kommission in unserer Meinung be- stärkt. Aber unabhängig davon entspricht es unserer libe- ralen Grundauffassung, dass dann, wenn Einzelne eine besondere Last im Auftrag der Allgemeinheit wahrneh- men, sie dafür Entlastung erhalten sollen. Deshalb findet der vorliegende Antrag die ausdrückli- che Unterstützung der FDP-Fraktion. Eva Bulling-Schröter (PDS): Im Antrag des Kolle- gen Kurt-Dieter Grill und der CDU/CSU-Fraktion wer- den finanzielle Zuwendungen für Kommunen gefordert – Kommunen um die nuklearen Entsorgungsstandorte Gor- leben, Salzgitter und Morsleben. Auch wir stehen einem Nachteilsausgleich grundsätzlich nicht ablehnend gegen- über, sofern tatsächliche Belastungen und erwartete Auf- wendungen begründet werden können. Die Einstellung dieser Mittel für die Betroffenen müsste dann verlässlich und planbar erfolgen. Der Antrag der Union ist jedoch schlecht begründet und sagt nicht einmal etwas über die Höhe aus. Es findet sich auch kein Vorschlag für ein Ver- fahren, das in öffentlicher und transparenter Weise die möglichen Nachteile feststellen und regionale Entwick- lungsperspektiven aufzeigen könnte. Schon beim ersten Lesen des Antrages fällt auf, dass Kommunen um das Versuchsendlager ASSE II bei Wol- fenbüttel nicht aufgeführt sind. Dieses Versuchsendlager des Bundes wird im ganzen Antrag nicht einmal genannt. Diese Flüchtigkeit setzt sich fort. Im letzten Spiegel- strich wird versucht, die Notwendigkeit eines „besonde- ren Ausgleichsfaktors für die Entsorgungsstandorte Gor- leben und Salzgitter“ damit zu begründen, dass „die Erzeugung von Energie aber ebenso wie deren Verbrauch eine gesamtgesellschaftliche Dimension hat“ – hört, hört –, „deren Folgen auf alle Beteiligten umzulegen“ sei. Bei der Stromliberalisierung haben Sie das nicht so gesehen. Übrigens noch ein interessanter Fehler: Bei diesem letzten Spiegelstrich, in dem es wie gesagt um den Aus- gleichfaktor geht, wird der Oststandort Morsleben seltsa- merweise nicht mehr genannt. Auch die Gemeinden um das Versuchsendlager des Bundes Asse II und um das Endlager für radioaktive Ab- fälle Morsleben scheinen nach Auffassung der Union nicht in das Bild der Standortgemeinden zu fallen, die – so wörtlich – „nicht selten einen großen Imageverlust zu erleiden“ haben. Ich frage Sie: Woher kommt der Image- verlust? Ist er nicht begründet in Ihrer unsäglichen Atom- politik? Es entsteht hier irgendwie der Eindruck, dass die Akzeptanz dieser Politik vor Ort erkauft werden soll. Der Konflikt in der Region Lüchow-Dannenberg zieht sich über Jahre und wird immer bitterer. Und in Salzgitter haben Bundes- und Landesregierung nicht nur Beleg- schaften großer Betriebe, sondern auch die kommunale Politik gegen sich. Die politischen und schließlich auch die wirtschaftlichen Folgen eines jahrelangen Streits sind nicht kalkulierbar. Wir arbeiten derzeit an einem Antrag, um der Bundes- regierung noch in dieser Legislaturperiode einen Vor- schlag für ein besseres Verfahren zur Bewältigung der Konflikte um die Endlagerung zu machen. Dabei werden wir der Bundesregierung erneut nahe legen, die Standorte Gorleben und Schacht Konrad aufzugeben und zurückzu- führen. Ein neues Verfahren zur Suche, Erkundung und Ein- richtung eines Endlagers für derart problematische Stoffe darf die Fehler und Defizite der Vergangenheit nicht wie- derholen. Wir brauchen ein konfliktorientiertes Verfah- ren, das über Jahrzehnte hinweg politisch und wissen- schaftlich integer geführt wird, damit auch die nachfolgende Generation etwas über unsere Beweg- gründe in Erfahrung bringen kann. Das ist von großer Wichtigkeit, weil wir nach den Erfahrungen mit Morsle- ben und auch der Asse davon auszugehen haben, dass Korrekturen am Konzept notwendig werden können. Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit: Ihr Antrag, werte Kollegen der Unionsfraktionen, ist eine Chuzpe, wie wir sie selten hier im Hohen Haus auf dem Tisch haben. So hat man das aufgeschrieben. Als Synonyme schlägt meine Textverar- beitung für das Wort Chuzpe Begriffe wie Unverschämt- heit, Geschmacklosigkeit oder Impertinenz vor. Egal, welches Wort gewählt wird, jeder dieser Begriffe charak- terisiert Ihren Antrag treffend. Lassen Sie uns darüber schweigen, dass den Nieder- sachsen seinerzeit 410 Millionen DM gezahlt wurden, da- mit sie ein völlig ungenügendes und präjudizierendes Ver- fahren akzeptieren. Die damalige Gorleben-Pauschale ist von vielen Menschen im Wendland als Schmiergeld emp- funden worden. Und schweigen wir über Ihre Begrün- dung: „Da die Erzeugung von Energie aber ebenso wie deren Verbrauch eine gesamtgesellschaftliche Dimension hat, sind die Folgen auf alle Beteiligten umzulegen.“ Waren Sie es nicht, die jahrelang eine Entsorgungspo- litik gemacht haben nach dem Motto: Der Süden darf scheffeln, den Atommüll lassen wir in Gorleben, Ahaus und Konrad? Waren Sie es nicht, die über Jahre im ein- sturzgefährdeten Morsleben abgekippt haben? Damit haben wir Schluss gemacht: Wir haben den Bau von Zwi- schenlagern auf dem AKW-Gelände zur Auflage ge- macht. Wir haben Morsleben geschlossen und begonnen, notzuverfüllen Wir haben Wissenschaftler beauftragt, ein Verfahren für eine gerechte Standortsuche zu entwickeln. Das ist Lastenverteilung. Nun aber treten Sie auf und tun so, als würden Sie die Interessen der Menschen in Gorleben, Salzgitter und Morsleben vertreten. Ist es nicht Ihr ehemaliger Finanz- minister Waigel, der, als Anti-AKW-Gegner getarnt, den Müll nicht in Gundremmingen, sondern in Gorleben zwi- schenlagern will? Dafür sollen wir jetzt Geld aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung stellen? Das glauben Sie doch nicht im Ernst! Seit neuestem haben Sie ja einen Kanzlerkandidaten. Der Herr Stoiber ist zwar seit jüngstem ein Anhänger der Ökosteuer, in der Atomfrage aber hat er sein Damaskus Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002 21067 (C) (D) (A) (B) noch nicht hinter sich gebracht. – Für die nicht so Bibel- festen: Auf dem Weg nach Damaskus wurde der Saulus zum Paulus. – Herr Stoiber hat angekündigt, bei einem Wahlsieg den Ausstieg aus der Atomenergie rückgängig machen zu wollen. Damit ist klar, um was es bei dieser Wahl geht: Es geht um die Frage, ob die Uraltreaktoren Stade und Obrigheim wirklich 2003 vom Netz gehen. Es geht um die Frage, ob der deutsche Atommüll auch über 2005 hinaus weiter in die teure und die Nordsee ver- schmutzende Wiederaufarbeitung transportiert werden darf. Und es geht um die Frage, ob bayerischer, baden- württembergischer oder hessischer Atommüll wieder in Ahaus oder Gorleben entsorgt wird. Weil die Menschen wissen, dass ihnen unter einem Kanzler Stoiber neue nukleare Lasten drohen, werden Sie auch keine Chance für diese Rolle rückwärts kriegen. Wir haben die Vorfestlegung auf ein Endlager in Gorleben be- endet. Wir geben den Einwänden der Bürgerinnen und Bürger gegen Schacht Konrad rechtliches Gehör. Wir ha- ben mit dem Atomkonsens die Menschen in Gorleben um zwei Drittel und in Ahaus um fast 80 Prozent des dafür ge- nehmigten Atommülls entlastet. Diese Entlastung können Sie nicht mit Geld aufwiegen, schon gar nicht, wenn Sie wieder in die Atomenergie einsteigen wollen. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zurBeratung des Antrags: Umwelt- und Gesund- heitsgefahren bei Goldgewinnung minimieren Monika Griefahn (SPD): Unser Antrag, die Gesund- heits- und Umweltgefahren bei der Goldgewinnung zu minimieren, sind Stand aus einem Diskussionsprozess, der Ende Januar 2000 nach der Katastrophe des Aurul Goldbergwerks in Rumänien einsetzte. In der Mediendemokratie, in der hauptsächlich Ereig- nisse der westlichen Welt von Belang sind, ist das Gefühl entstanden, als hätte es seither keine Probleme mit der Goldgewinnung gegeben. Allein nach meiner Kenntnis hat es in den letzten zwei Jahren mehr als 15 vergleich- bare Unfälle bzw. Katastrophen gegeben. Allerdings wa- ren diese hauptsächlich in Lateinamerika und in Afrika. Auch vor Ort in Rumänien sind die Probleme alles andere als gelöst. Es ist zu befürchten, dass sich mit der Schnee- schmelze erneut eine vergleichbare Katastrophe ereignen könnte. Gold als Edelmetall ist ein Symbol, ein Symbol für Be- ständigkeit, für Göttlichkeit. In der Menschheitstradition hatte Gold immer eine besondere Bedeutung. Allerdings ist auch die ganze Menschheitsgeschichte im Zusammen- hang mit Gold mit Verbrechen verbunden, mit der Raff- gier der Menschen, mit Mord an Eingeborenen, mit kata- strophalen Umweltzerstörungen und damit Zerstörungen von Lebensmöglichkeiten. In der Massengesellschaft, wo immer breitere Schichten Gold erwerben konnten, wurde Gold auch zum Massenprodukt. Je mehr Goldbedarf be- steht, desto mehr wurden Goldgewinnungstechniken ent- wickelt, die es ermöglichen, selbst normale Erde gewinn- bringend als „Golderz“ zu nutzen. Die Goldgehalte in sol- chen „Erzen“ liegen im Bereich von 1 Gramm pro Tonne. Nur mit vielen Prozesschemikalien, insbesondere mit Na- triumcyanid, kann das Gold herausgewaschen werden. Die Gier nach Gold scheint dem Menschen innezu- wohnen. Schon Goethe sagte dazu im „Faust“: „Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles.“ Bei einer Bevölkerungszahl von 7 Milliarden Men- schen auf der Erde ist die Goldgewinnung, wie sie jetzt durchgeführt wird, in keinem Fall nachhaltig, in keinem Fall erträglich und darf in keinem Fall so weitergeführt werden. Um es Ihnen zu verdeutlichen: 2,5 Tonnen Gold, die verwendet wurden, um den Menschen den leuchten- den Glanz der D-Mark darzustellen, haben weit mehr Müll verursacht, weit mehr an giftigen Schwermetallen in die Umwelt gebracht, weit mehr an schädlichem Abraum erzeugt, als die gesamte Hausmüllmenge der Bundesre- publik in einem Jahr. Die sozialen Konsequenzen sind ähnlich. Etwa 60 Prozent des Goldes, das weltweit ge- wonnen wird, wird unrechtmäßig gewonnen, und zwar von Land der eingeborenen Bevölkerung, was dieser praktisch geraubt wird. Etwa fünf Jahre lang werden Erd- und Gesteinsmassen zerkleinert, auf Haufen aufgeschüttet und mit Natri- umcyanid übergossen. Die goldhaltige Natriumcyanidlö- sung wird aufgefangen, das Gold wird daraus gewonnen. Dann werden diese so genannten Bergwerke stillgelegt und die Menschen, die vor Ort gewohnt haben, bleiben mit einer giftigen, gefährlichen Altlast zurück. Bei einem Goldpreis von 250 bis 300 US-Dollar pro Feinunze ist Umweltzerstörung praktisch zwangsläufig. Und immer wieder sind deutsche Geldgeber, deutsche Banken an sol- chen dubiosen Projekten beteiligt. Allein in der Türkei gibt es Planungen und Tätigkeiten über mehr als 500 von solchen umwelt- und sozialschädlichen Projekten. Kann jemand überhaupt noch mit gutem Gewissen Goldschmuck kaufen? Von der weltweiten Verwendung des Goldes gehen etwa 80 Prozent in den Bereich Schmuck. Goldbergbau wird auf Kosten der Allgemein- heit weltweit subventioniert. Es gibt keinerlei verlässliche Standards innerhalb der WTO. Ist es jetzt notwendig, endlich eine Umweltabgabe und Sozialabgabe auf Gold zu erheben oder eine Goldsteuer, um die Umweltzerstörungen in den Ländern wieder aus- gleichen zu können? Die amerikanische Umweltbehörde hat den Bergbau inzwischen als die schlimmste Quelle für Umweltzer- störung identifiziert. In verschiedenen Bundesstaaten der USA ist es zu massiven Einschränkungen und Verboten im Goldbergbau gekommen. Umso mehr sind Dritte- Welt-Länder bedroht. Was notwendig ist, haben wir in un- serem Antrag aufgelistet. Es muss erreicht werden, dass Umweltstandards, insbesondere im Bergbau und vor al- lem im Goldbergbau etabliert werden. Es muss sicherge- stellt sein, dass die besonders schädliche Haufenlaugung mit Natriumcyanid endlich unterbleibt und es muss ge- währleistet sein, dass Bergbauunternehmen wie Chemie- unternehmen betrachtet werden. Ein solcher Bergbaube- trieb, der etwa 5 bis 6 Tonnen Gold herstellt, verursacht Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 200221068 (C) (D) (A) (B) dabei über 30 Millionen Tonnen an Abfall und benötigt etwa 800 Tonnen Natriumcyanid. Wenn dies im offenen Verfahren durchgeführt wird, ist das ein Verbrechen an den Menschen und der Umwelt. Wir haben vielfach unsere Umweltbelastungen damit reduziert, dass wir schmutzige oder traditionell schmut- zige Industrie in die südlichen Länder verlagert haben. Es ist nicht notwendig, den Mars zu besiedeln, man braucht nur nach Chile zu gehen, um dort, so weit das Auge reicht, Zerstörungen durch Bergbau und dessen Folgen – Mond- oder Marslandschaften – zu sehen. Es muss Teil deutscher Außenpolitik sein, zu verhin- dern, dass mit Geld oder mit Nachfrage aus Deutschland Umwelt- und soziale oder kulturelle Verbrechen in Ent- wicklungsländern begangen werden. So wie Kinder- schänder bei uns belangt werden müssen, wenn sie sich die Not der Menschen auf den Philippinen oder Thailand zunutze machen, so müssen auch Umweltschänder an den Pranger gestellt und verfolgt werden. Wenn es uns wirklich darum geht, eine gerechte Welt- wirtschaftsordnung zu schaffen, dann ist es besonders wichtig, Standards zu schaffen, die umwelt- und gesund- heitsverträglichen Bergbau ermöglichen. Fangen wir mit dem Goldbergbau dabei an und machen dies zum Schwer- punkt unserer Politik. Vera Lengsfeld (CDU/CSU): Gold beeindruckt seit Menschengedenken durch seine chemische Unangreif- barkeit, seinen unablässigen Glanz und seine hinreißende Zwecklosigkeit. Gold ist nicht nur das Metall der Könige und der Reichen. Aus der heutigen Wissenschaft, For- schung, Medizin und Technik ist Gold nicht mehr wegzu- denken. Da gibt es Spezialgoldpulver zur Anwendung im Rasterelektronenmikroskop, radioaktive Goldkolloidlö- sungen zur Darstellung von Organen, mikroskopisch feine Goldsonden für die Operation menschlicher Ge- hirnbahnen. Gold wird in der Dentaltechnik gebraucht. Mikrotechnik, Mikroelektronik und Raumfahrt können auf Gold nicht verzichten. Was die Anwendungsmöglich- keiten von Gold in der Mikrotechnik von morgen betrifft, kann man sagen: Die Zukunft hat begonnen. Aber anders als bei Platin oder Silber ist der technische Nutzen des Goldes begrenzt und das Risiko ist hoch. Zu hoch! Von dem weltweit geförderten Gold werden rund 85 Prozent zu Schmuck und nur etwa 12 Prozent in Indus- trie und Medizin verarbeitet. Gingen 1980 513 Tonnen jährlich in die Schmuckproduktion, waren es 1992 schon 2 300 Tonnen. Die Goldmengen für Kettchen und Ringe haben sich also mehr als vervierfacht. Die Goldanbindung der Währungen gilt seit 20 Jahren nicht mehr. Seit 1980 hat sich die jährliche Goldproduktion von 1 200 Tonnen in etwa verdoppelt. Die jährliche weltweite Goldproduktion beträgt circa 3 000 Tonnen, wobei die Hauptmenge an Gold über das chemische Verfahren „Zyanidlaugung“ gewonnen wird; denn ergiebige Vor- kommen wie die Erzadern in Südafrika gibt es immer we- niger. Hierbei wird Erz mit geringer Goldkonzentration – circa 5 Gramm pro Tonne – mit hochgiftiger Zyanid- lösung ausgewaschen. Man füllt das Gestein in große Sammelbecken mit einer zyanidhaltigen Lösung, die das enthaltene Gold anlöst. Anschließend wird das durch- weichte Gestein in großen Trommeln mit Metallkugeln zermahlen. Ein goldhaltiger Schlamm wird im Folgenden durch eine Reihe von Becken mit Aktivkohle geleitet, an der das Gold haften bleibt. Um das Gemisch aus Aktiv- kohle und Gold zu trennen, gibt man in einem Filtersys- tem eine heiße Ätzlauge hinzu, die das Gold an sich bin- det und im Gegenzug den Kohlenstoff abtrennt. Jetzt ist es einfach, das Gold mittels Elektrolyse aus der Lauge zu entfernen. Zum Schluss werden noch von der Minengesellschaft circa 31 Kilogramm schwere Barren gegossen, die aber noch nicht aus reinem Gold bestehen, sondern auch circa 9 Prozent Silber und 3 Prozent andere Mineralien enthal- ten. Raffinerien übernehmen dann die finale Aufbereitung des Goldes. Am Ende entstehen Feingoldbarren mit 99,9 Prozent Reinheit – 24 Karat –, die entweder in den Handel gelangen oder in die Keller der Notenbanken wan- dern. Die zyanid- und schwermetallhaltigen flüssigen und festen Abfälle bleiben in Auffangbecken oder Halden in der Natur zurück, da in 60 Prozent der Fälle die so ge- nannte Haufenlaugung – heap Ieaching – genutzt wird. Zyanid ist ein Salz der Blausäure. Es ist für Tiere und Menschen äußerst giftig. Zyanid kann über die Atmung, die Haut oder über das Trinkwasser in den Körper gelan- gen. Zyanid wird seit etwa 30 Jahren immer häufiger zur Goldgewinnung eingesetzt. Die Goldgewinnung mit Zya- nid ist ein einfaches, billiges und sehr wirkungsvolles Ver- fahren – wenn man nicht berechnet, welche Folgen die ständige Verwendung von Zyanid für die Umwelt hat. 120 Tonnen Zyanide, mit denen etwas mehr als ein Zentner Gold im rumänischen Baia Mare gewonnen wurde, haben vor zwei Jahren fast zwei Millionen Men- schen von ihren Trinkwasserquellen abgeschnitten Die Giftmenge hätte gereicht, um eine Milliarde Menschen zu töten. Gold ist kein Mangelelement. Ein Verbot der „Zya- nidlaugung“ würde nicht zu einer Goldverknappung führen, da Gold erstens nach anderen Verfahren gewon- nen werden kann, zweitens leicht rezyklierbar ist und drit- tens in unschätzbaren Tonnen als Reinmetall in Safes der verschiedenen Gattungen gelagert ist: 60 000 Tonnen Gold liegen in den Tresoren dieser Welt. Neues Gold ist bei den derzeitigen Preisen auf verant- wortliche Weise nicht zu gewinnen. Seit der Einführung des Zyanidverfahrens gab es etwa ein Dutzend schwerer Unfälle und etliche taktische Bankrotte. Die Auffang- becken und Halden in vielen Ländern entsprechen nicht handhabbaren Giftmülldeponien. Immer wieder kommt es zu Dammbrüchen, Leckagen und Transportunfällen. Ende Januar 2000 brach der Damm des Auffangbeckens des Aurul-Goldbergwerks bei Baia Mare in Rumänien. Das darin lagernde Abwasser gelangte in den Fluss Theiß und verursachte eine schwere ökologische Katastrophe in Europa. Die Goldbergbaugesellschaften betreiben dieses Ver- fahren vorwiegend in Ländern mit schwächeren Umwelt- gesetzen. Die Vorräte werden ausgebeutet, in der Folge Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002 21069 (C) (D) (A) (B) werden nach wenigen Jahren die Firmen vor Ort ge- schlossen und die Bewohner mit den Umweltproblemen alleine gelassen. Die Goldbergbaugesellschaften melden häufig nach dem Abbau des Erzes Konkurs an und kön- nen dann keine Auflagen mehr erfüllen. Naturwissenschaftliche Analysen belegen nachdrück- lich, dass Goldgewinnung im offenen Zyanidlaugungs- verfahren zu irreversiblen Schäden in den Ökosystemen führen kann. Der herausgelaugte Zentner Gold bringt den Minenbesitzern den eher geringen Gewinn von einer hal- ben Million Euro. Die CDU/CSU-Fraktion stimmt dem Antrag von SPD und Grünen zu. Die Bundesregierung wird aufgefordert, auf höchste Sicherheitsstandards bei der Goldgewinnung zu dringen. Sie möge sich in den EU-Beitrittsverhandlun- gen dafür einsetzen, dass in den Beitrittsländern Umwelt- gesetze erlassen werden, die gewährleisten, dass bei der Goldgewinnung die nach dem heutigen Stand der Technik höchsten Sicherheitsstandards angewendet werden, dass bestehende Deponien von Goldbergwerken gesichert werden, dass die EU ihrer Verpflichtung nachkommt, die- jenigen Standorte der Goldgewinnung zu ermitteln, von denen eine Bedrohung des Wassers ausgeht. Deutsche Firmen und Banken werden aufgefordert, sich – indirekt oder direkt – an der Goldgewinnung nur zu beteiligen, wenn bestimmte Umweltstandards eingehal- ten werden. Hierzu wird auf die UNEP-Erklärung der Fi- nanzinstitute zur Umwelt und zur nachhaltigen Entwick- lung verwiesen, deren Unterzeichner – darunter viele namhafte deutsche Banken – bestrebt sind, Umweltbe- lange bei all ihren Aktivitäten in allen Märkten zu berück- sichtigen. Es sind Forschungsvorhaben finanziell zu unterstüt- zen, um alternative Goldgewinnungsverfahren zu ent- wickeln, die die heutigen gefährlichen Produktionsver- fahren ablösen können. Im Rahmen der UNO und der WTO soll sich die Bun- desregierung dafür einzusetzen, dass die Umwelt- und Ar- beitsschutzstandards für den Goldabbau weltweit auf den neuesten Stand gebracht und auch durchgesetzt werden. Grundsätzlich müssen wir uns für eine Ausweitung der Rezyklierung von vorhandenem Gold einsetzen, um die – notwendige – Goldgewinnung nach den ökologisch ge- fährlichen Verfahren reduzieren zu können. Birgit Homburger (FDP): Wir alle haben die Bilder noch vor Augen. Abertausende tote Fische schwimmen mit den Bäuchen nach oben in der Theiß und in der Do- nau. Die Ursache war zunächst Ende Januar 2000 ein Un- fall im rumänischen Bergwerk Baia Mare, durch den die Flüsse kontaminiert wurden. Bei einem Klärbecken war nach starken Regenfällen und Schneeschmelze ein Damm gebrochen, sodass große Mengen Zyanid in die Theiß und in die Donau gelangten. Dieser erste Unfall war schon schlimm genug. Doch im März 2000 gelangten bei einem weiteren Dammbruch eines Beckens nahe der Ortschaft Baia Borsa erhebliche Mengen an Schwermetallen in die Flüsse. Wir sind uns sicher alle einig, dass Störfälle dieser Art vermieden werden müssen und daher Vorsorge gegen ne- gative Auswirkungen auf die Umwelt getroffen werden müssen. Die Goldgewinnung im Zyanidlaugungsverfah- ren ist relativ billig. Umweltverträglich ist das Verfahren nicht. Die FDP sieht die Problematik und unterstützt in- soweit den vorgelegten Antrag. Viel erreichen wird man mit diesem allgemein gehaltenen Prosaantrag allerdings nicht. Das Problem ist in vielen betroffenen Ländern bereits erkannt. So sieht etwa das rumänische Umweltministe- rium alle Klärbecken bei extremen Witterungsbedingun- gen als potenzielle Gefahrenquelle an, was zumindest ein neues Problembewusstsein zeigt. Bei Messungen des Technischen Hilfswerks im Klär- becken von Baia Borsa wurden hohe Zyanidkontamina- tionen festgestellt, obwohl das genehmigte Verfahren die Verwendung von Zyanid nicht vorgesehen hat. Dies zeigt, dass auch die Überwachung solcher Anlagen sicherge- stellt sein muss. Nach Auffassung der FDP muss den be- troffenen Ländern auf Anforderung in Deutschland vor- handenes Wissen im Bereich der Anlagensicherheit zur Verfügung gestellt werden. Weiterhin wurden im Erz- bergwerk von Baia Borsa Nichteisenmetalle wie Zink, Kupfer und Blei gefördert. Insoweit greift der Antrag der Koalitionsfraktionen zu kurz, da er nur die Verfahren zur Goldgewinnung umfasst. Nach unserer Auffassung soll- ten alle Bodenschätze umweltverträglich gewonnen wer- den. Daher fordern wir die Bundesregierung auf, bei wei- teren Gesprächen mit den betroffenen Ländern den Antrag in Bezug auf die Gewinnung von Bodenschätzen umfas- send zu verstehen und sich nicht auf die Anlagen zur Goldgewinnung zu beschränken. Eva Bulling-Schröter (PDS): Für Gold sind schon viele in den Tod gegangen und tun es immer noch, doch nicht mehr aus eigener Habgier, sondern wegen der Hab- gier anderer. Zwei Jahre nach dem Unglück von Baia Mare ist es höchste Zeit, für den, wie ich höre, schon recht alten An- trag, den wir heute debattieren. Allein seit Vorliegen des Antrags gab es zwei große Zyanidunfälle einer südafrika- nischen Firma in Ghana, dem Land übrigens, in dem auch die DEG an der zyanidbasierten Goldgewinnung beteiligt ist. Die DEG, die im Auftrag des Bundes arbeitet, inves- tiert laut Eigendarstellung nur in „rentable, ökologisch und sozial tragfähige Projekte“. Sie stellen ganz richtig fest: Die Goldbergbaugesell- schaften betreiben das zyanidbasierte Verfahren mit Vor- liebe in Ländern mit schwächeren Umweltgesetzen und, liebe Antragsteller, die im Auftrag dieser ihrer Regierung arbeitende DEG unterstützt sie dabei. Da frage ich mich nun wirklich: Wie passt das zusammen? Es ist gut, wenn die Bundesregierung sich bei UNO und WTO für eine Verbesserung der Umwelt- und Ar- beitsschutzbestimmungen beim internationalen Goldab- bau einsetzt, und es wäre noch besser, wenn sie dazu auch ihre eigene Förder- und Vergabepraxis auf den Prüfstand stellte. Die PDS-Fraktion hat nicht umsonst schon im letz- ten Sommer eine Reform der Hermes-Bürgschaften ange- mahnt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 200221070 (C) (D) (A) (B) Die Goldgewinnung steht weltweit im Gegensatz zu den Prinzipien nachhaltiger Entwicklung. Die Weltbank empfiehlt den Goldförderländern dennoch im Interesse des Wettbewerbs weitgehende Steuersenkungen und Lockerung der ohnehin unzureichenden Umwelt- und So- zialauflagen. Gewinner dieser Entwicklung sind einzig und allein die Minenbetreiber, nicht die Förderländer und erst recht nicht die in jeder Beziehung ausgebeuteten Mi- nenarbeiter. 80 Prozent des weltweit gewonnenen Goldes werden einzig und allein zur Herstellung von Schmuck und ande- ren Luxusgütern genutzt. Das steht in keinem Verhältnis zu den Umweltschäden und Menschenrechtsverstößen, die im Interesse des Goldes täglich stattfinden. Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, keine staatlichen Fördermittel für den großindustriellen Goldabbau bereitzustellen – DEG – und Goldbergbau nicht durch Exportkreditversicherungen, zum Beispiel Hermes-Bürgschaften, abzusichern, sich dafür einzuset- zen, dass großindustrieller Goldabbau nicht länger aus Mitteln der internationalen und europäischen Finanzinsti- tutionen – IWF, Weltbank-Gruppe, EIB – gefördert wird, den Export der hochgiftigen Chemikalien, die im Gold- bergbau verwandt werden, vor allem des Zyanids, stren- gen Kontrollen zu unterwerfen und die Suche nach Alter- nativen aktiv zu fördern und bezüglich des im Antrag erwähnten Gold-Recyclings die Einführung einer Kenn- zeichnung für wiederverwendetes Gold zu prüfen. Gila Altmann, Parl. Staatssekretärin im Bundesminis- terium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Vor fast auf den Tag genau zwei Jahren, am 30. Januar 2000, ergossen sich rund 100 000 Kubikmeter zyanid- haltiger Schlamm aus dem Auffangbecken einer rumä- nischen Goldmine bei Baia Mare in den kleinen Fluss Lapus. Anlass war die Überflutung durch unerwartet hohe Mengen an Regen- und Schmelzwasser. Auffangbecken einer Goldmine des australisch-rumänischen Unterneh- mens Aurul liefen über und ein Damm brach auf 25 Me- ter Länge. Noch in Rumänien floss das Zyanid in den Somes, der in Ungarn in die Theiß mündet, den zweitgrößten Fluss Ungarns. Mit einer Geschwindigkeit von 4 Kilometern pro Stunde bewegte sich die fast 40 Kilometer lange Gift- welle weiter und tötete Flora und Fauna in den Flüssen Lapus, Somes und Theiß. Zentnerweise wurden tote Fische aus allen drei Flüssen geborgen; allein die unga- rischen Behörden schätzten die Gesamtmenge der veren- deten Tiere auf über 1 000 Tonnen. Zyanidsalze bilden in Lebewesen Blausäure, die die Anreicherung von Sauer- stoff an Hämoglobin unterbindet und damit zur „inneren Erstickung“ führt. Vom Zyanidwasser wurden große Mengen von schwer- metallhaltigen Laugensedimenten mitgerissen. Diese Schwermetalle – Silber, Blei, Kupfer – sanken zu Boden, reicherten sich im Schlamm an und entfalten dort auch heute noch ihre giftige Wirkung. Ein biologischer Abbau ist nicht möglich. Bereits wenige Tage nach der Vergiftung der Gewässer sprach der ungarische Umweltminister Branislav Blazic von der „schwersten europäischen Umweltkatastrophe seit Tschernobyl“. Diese Bewertung mag bezogen auf den konkreten Unfall etwas hochgegriffen klingen, jedoch war Baia Mare weder ein Einzelereignis noch geschah es völlig unerwartet. In den vergangenen zehn Jahren kam es weltweit fast jährlich zu schweren Unglücken im Bergbau. Teilweise verloren Menschen ihr Leben; immer gab es katastrophale Schädigungen des Ökosystems und soziale Verwerfun- gen. Einige Beispiele: 1992 brach der Damm der Gold- mine „Summitville“ in Colorado, USA. 1993 begruben Schlamm- und Geröllmassen ein Goldgräberdorf in Ecua- dor und töteten 24 Menschen. 1994 starben bei einem ähn- lichen Unglück in der Goldmine „Harmony“ in Südafrika 17 Menschen. 1995 verseuchten 2,5 Millionen Kubik- meter Zyanidlösung aus der Goldmine „Omai“ in Guyana den Fluss Essequibo. 1996 strömten 3 Millionen Tonnen Giftschlamm aus einer Kupfermine auf der Insel Marin- duque, Philippinen, in den Fluss Boac, 20 Dörfer wurden überschwemmt. 1998 flossen durch einen Dammbruch in Aznalcollar (Andalusien) 3 Millionen Kubikmeter Schlamm und 4 Millionen Kubikmeter säurehaltigen Wassers aus und verseuchten etwa 4 500 Hektar Land an der Grenze zum Nationalpark Coto de Donana. Grund sind oftmals fehlende oder unzureichende Vor- schriften bzw. dass bestehende Regelungen nicht ernst- genommen werden. Unabhängig davon, dass der Einsatz von Zyanid bei der Haldenaufbereitung grundsätzlich problematisch ist, ist eines der Hauptprobleme bei allen diesen Unfällen die Lagerung der hoch toxischen Zwi- schen- und Abfallprodukte ohne ausreichende Siche- rungsmaßnahmen wie gestaffelte Reservebecken, dop- pelte Auskleidung bzw. Ummantelung von Speichern und Leitungen usw. Gerade weil sie nicht in solche kostenträchtigen Schutzsysteme investieren müssen, sind Länder wie Rumänien für Industrieunternehmen aus OECD-Staaten – wie die Firma Aurul – attraktiv. Solche Unternehmen nutzen fehlende Umweltstandards oftmals rücksichtslos zur Erhöhung ihrer Gewinne und übernehmen keine Ver- antwortung für die Folgen. Nach dem Unfall ging Aurul in Konkurs. Die Kosten der Katastrophe müssen von der Bevölkerung und den betroffenen Ländern getragen wer- den. In der Bundesrepublik und anderen OECD-Ländern wäre eine Anlage wie Baia Mare aufgrund der Umwelt- gesetzgebung gar nicht genehmigungsfähig gewesen. Das BMU wie auch internationale Organisationen ha- ben sofort nach dem Unfall Experten für die Notfallhilfe zur Verfügung gestellt. Über diese Notfallmaßnahmen hi- naus muss es jedoch zu dauerhaften Verbesserungen kom- men, um solche Katastrophen zu verhindern. Dazu zählen entsprechende Gesetzgebungen, aber auch Untersuchun- gen der Lagerstätten und eine umfangreiche Störfallvor- sorge bei Sedimentationsbecken, eine Überprüfung der Genehmigungsverfahren, die Abstimmung unter den be- teiligten Behörden usw. Notwendig sind häufig auch grenzüberschreitende Planungen für Unfälle mit schneller Information sowie Transparenz für alle betroffenen Nach- barstaaten. Insgesamt hat die EU Rumänien bis 2006 rund 750 Mil- lionen Euro Unterstützung gewährt, in denen rund 120 Mil- lionen Euro für den Umweltschutz enthalten sind, die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002 21071 (C) (D) (A) (B) auch für die Sicherung alter Becken benutzt werden kön- nen. Allein im Norden Rumäniens gibt es 30 ähnliche Klärbecken unterschiedlichen Alters – stillgelegt, unbe- aufsichtigt, zum Teil vergessen, mit schwermetallhaltigen Schlämmen, und jedes davon könnte bei ähnlichem Wet- ter außer Kontrolle geraten. Das Unglück in Baia Mare hat vor allem im Hinblick auf die Osterweiterung auf europäischer Ebene zu einer Überprüfung bestehender Gesetze und Verordnungen ge- führt. Im Oktober 2000 kündigte die EU-Kommission im Wesentlichen drei Maßnahmen zur Sicherheit im Bergbau an: die Aufnahme der Erzaufbereitung, insbesondere von Bergeteichen und Rückhaltedämmen in die Seveso-Richt- linie. Die Beratungen hierzu wurden nach Sichtung durch den Rat in der Woche, am 16. Januar 2002, begonnen. Im Oktober 2002 will die Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Behandlung von Bergbauabfällen vor- legen, die dazu grundlegende Studie über bestehende Re- gelungen, Verfahren und Praktiken in der EU ist erfolg- reich abgeschlossen. Voraussichtlich im Juni dieses Jahres wird ein erster Entwurf für ein nicht rechtsverbindliches Referenzpapier für die beste verfügbare Technik nach IVU-Richtlinie (BREF-Papier) vorgelegt werden. Die Zeit drängt aus umwelt-, wirtschafts- und sozial- politischen Gründen. Solche Unfälle haben nicht nur ver- heerende Auswirkungen auf Flora und Fauna, sondern bringen auch großes menschliches Leid. Neben den ge- sundheitlichen Schäden gehen Arbeitsplätze verloren, und zwar in der Fischerei, in der Landwirtschaft, im Tou- rismus und im Bergbau selbst. Zurück bleibt die Perspek- tivlosigkeit für die betroffene Bevölkerung. 85 Prozent der Goldgewinnung gehen in die Schmuckindustrie – ich bin überzeugt, dass alle Goldliebhaber und -liebhaberin- nen gerne bereit sind, für mehr Sicherheit bei der Gold- gewinnung für Menschen und Umwelt etwas höhere Preise zu bezahlen. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Luftfahrtforschung voranbringen und – Nationales Luftfahrtforschungsprogramm fort- setzen (Tagesordnungspunkt 13 und Zusatztagesordnungs- punkt 6) Dr. Margrit Wetzel (SPD): Mobilität ist heute ein un- verzichtbares Gut. Volkswirtschaften leben entscheidend von Verkehrssystemen, mit denen Menschen und Güter jederzeit schnell und sicher an ihr Ziel gelangen. Hoch- wertige Wirtschaftsgüter, Geschäftsreisende und Milli- onen Touristen sind dabei auf das Flugzeug angewiesen. Die Luftfahrt ist weltweit eine der wichtigsten Wachs- tumsbranchen. Etwa 1,7 Milliarden Passagiere nutzen pro Jahr ein Verkehrsflugzeug. Fluggastprognosen bis 2020 sagen ein jährliches Wachstum von 5 Prozent, beim Luft- frachtverkehr sogar um 7 Prozent voraus. Für diese wichtigen Marktchancen tragen wir die poli- tische Verantwortung. Die Produktionsentscheidungen für den A 380, von dem wesentliche Workshare-Anteile für den Standort Deutschland gewonnen werden konnten, zeigen: Es war richtig, die Wettbewerbsfähigkeit der eu- ropäischen Luftfahrtindustrie auch national in den tech- nologieintensiven Bereichen weiter auszubauen. Die Endmontage des A380 in Norddeutschland wertet den ge- samten Luftfahrt- und High-Tech-Standort Deutschland weiter auf. Wichtige Zulieferbetriebe siedeln sich an. Sie stabilisieren Industrie, Gewerbe und Dienstleistung und geben neue Impulse für Forschung, Lehre und Ausbildung in der Luftfahrttechnik. Allein durch die neuen A380-Kapazitäten werden etwa 4 000 neue Arbeitsplätze geschaffen, darunter viele in den neuen Bundesländern. Zugleich entstehen neue Berufs- perspektiven für Ingenieurwissenschaften, für technische Studiengänge, aber auch für Mechatroniker und Ingeni- eure im Entwicklungs- und Produktionsbereich. Ein her- vorragendes Ergebnis, auf das wir stolz sein können. Aber auf diesen Erfolgen kann sich weder Industrie noch Poli- tik ausruhen. Wir müssen den Luftfahrtstandort Deutschland als starken Partner in der europäischen Luftfahrtindustrie wirksam sichern und die hervorragenden Eigenleistungen der Unternehmen auch in Deutschland weiterhin ange- messen durch öffentliche Mittel unterstützen. Die aktuel- len Entwicklungen machen dabei neue Schwerpunktset- zungen erforderlich. Das 6. Rahmenprogramm Forschung der EU sieht mehr als 1 Milliarde Euro für Luft- und Raumfahrt vor und setzt neue Akzente, denen wir uns anpassen müssen. Nach dem 11. September 2001 haben Sicherheitsfra- gen im Flugverkehr eine völlig neue Bedeutung und ein viel größeres Gewicht bekommen. Flugführung und -regelung müssen manipulationssicher werden und mit sicherheitsrelevanten Bord- und Bodensystemen ver- knüpft werden. Wir wollen die Flugunfallrate weiter deut- lich senken. Treibstoffverbrauch, C02-Emissionen und Nox-Emis-sionen müssen weiter gesenkt werden. Die Entwicklung alternativer Treibstoffe und innovativer Technologien si- chert zugleich Umweltschutz und Arbeitsplätze. Auch der Lärmschutz bleibt weiterhin wichtig, denn wir sind auch den Menschen verpflichtet, die in Flugha- fennähe wohnen. Die Entwicklung lärmarmer Luftfahr- zeuge wollen wir vorantreiben. Sowohl der Dauerschall- pegel wie auch die einzelnen Lärmereignisse müssen gesenkt werden. Wir wollen und müssen die Entwicklung unterneh- mensübergreifender Entwicklungs-, Fertigungs- und Wartungskonzepte unterstützen, damit sowohl Entwick- lungs- und Fertigungszeiten als auch die Kosten um etwa 20 bis 30 Prozent gesenkt werden können. Nur so können wir die Position deutscher Unterneh- men im weltweiten Kompetenzwettbewerb stärken und sichern, qualifizierte Partnerschaften in europäischen und internationalen Kooperationen aufbauen und Beteili- gungsvoraussetzungen für EU-Projekte schaffen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 200221072 (C) (D) (A) (B) Abschließend zur Höhe der Förderung: Wir meinen, dass sie sich an Frankreich und Großbritannien orientie- ren sollte. Beide Nachbarstaaten fördern die zivile Luft- fahrt mit 50 Millionen Euro jährlich. Auch die High-Le- vel-Group und die Wirtschaftsministerkonferenz vom November 2001 empfehlen dies. Die Bundesregierung sollte deshalb im Rahmen der finanzpolitischen Leitlinien eine angemessene jährliche Bundesförderung für die Laufzeit des Programms sicherstellen. Ich bin sicher, dass wir damit im wahrsten Sinne des Wortes auf dem richti- gen Kurs sind. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): Die deutsche und die europäische Luftfahrtindustrie haben in den letzten 20 Jahren eine Position auf den Weltmärkten erarbeitet, die weit über die optimistischen Erwartungen hinausgeht. Das ist der Beharrlichkeit Frankreichs zu danken. Das ist dem Drängen von Franz Josef Strauß zu verdanken, der heute Namenspatron eines großen dynamischen Flugha- fens ist. Das ist der Zusammenarbeit der Bundesregierung Helmut Kohl mit der deutschen Industrie zu verdanken. Was damals ein Staatsprojekt war, das besteht heute als Industrieunternehmen im Wettbewerb mit den großen Konkurrenten in USA. Das Luftfahrtforschungspro- gramm I hat in den Jahren 1995 bis 1998 die Forschung mit 600 Millionen Mark vom Bund aus unterstützt, das Luftfahrtforschungsprogramm II von 1999 bis 2002 hat 240 Millionen Mark eingesetzt. Die Beträge sind hoch, aber die Forschungs- und Entwicklungsausgaben der In- dustrie lagen allein im Jahre 2000 bei 1,5 Milliarden DM; die Proportion ist vernünftig. Trotzdem: Es ist nicht selbstverständlich, dass der Staat eine Spitzenindustrie unterstützt. Aber wenn große Partnerländer wie Großbritannien und Frankreich eine starke nationale Förderung weiter- führen, wenn in den USA die nationale Industrie mit sehr hohen Beträgen unterstützt wird, dann ist es richtig, dass auch in Deutschland der Staat in Partnerschaft die Indus- trie fördert. Dem soll das Luftfahrtforschungsprogramm III dienen, das im Jahre 2003 beginnen soll. Hierzu haben wir im No- vember 2001 unseren Antrag eingebracht, der hier der De- batte zugrunde liegt. Dazu liegt ein Koalitionsantrag vom 22. Januar 2002 vor. Schließlich hat die Wirtschaftsministerkonferenz am 23. November 2001 beschlossen, dass das Luftfahrtfor- schungsprogramm über das Jahr 2002 hinaus fortgeführt werden soll, wobei der Bund mindestens 50 Millionen Euro jährlich an öffentlichen Mitteln bereitstellen soll. Eindrucksvoll ist die Übereinstimmung der Papiere, auch soweit sie nach unserem Antrag vorgelegt worden sind. Ermöglicht worden ist das durch mehrere Vorlagen von Beraterkreisen und Arbeitsgruppen der Industrie, die Sachverstand eingebracht und strategische Alternativen abgewogen haben. Dem folgt auch der Koalitionsantrag: Indirekt wird an zwei Stellen die Forderung nach jährli- chen Bundesmitteln von 50 Millionen Euro bestätigt. Es ist schön, bei der Bundesregierung sachgerechtes Han- deln entdecken zu dürfen. Der Koalitionsantrag fordert, das Luftfahrtforschungsprogramm III bis zum Sommer 2002 vorzulegen. Das dürfte zu spät sein. Von den 240 Millionen DM des Luftfahrtforschungsprogramms II wurden bis Ende 2002 nur 203 Millionen DM verfügt, die restlichen 37 Millionen DM wurden stillschweigend auf die kommenden Jahre verteilt. Wie man hört, können in diesem Jahr keine Projekte bewilligt werden. In der mit- telfristigen Finanzplanung ist eine angemessene Vorsorge nicht getroffen. Wenn das Programm nun erst im Sommer vorgelegt werden soll, dann kommt es zu spät für die Haushaltsbe- ratungen. Ob dann der Finanzminister für den Haushalt 2003 entsprechende Vorsorge trifft, ist offen; erfahrungs- gemäß kann er geneigt sein, die Haushaltsreife zu bestrei- ten. Eine ganz kurzfristige Vorlage und Verabschiedung des nächsten Luftfahrtforschungsprogramms ist zwin- gend erforderlich, um Planungssicherheit zu gewährleis- ten und eine Kontinuität der Finanzierung. Einmütigkeit besteht über die mittel- und langfristigen Ziele, auf die wir hinarbeiten: Die Wirtschaftlichkeit beginnt mit der Verkürzung von Entwicklungszeiten auf schließlich 50 Prozent des heuti- gen Standards, sie geht weiter über neue Materialien, de- ren Entwicklung einen besonders langen Vorlauf hat, bis zu neuer Technik. Weitere Senkung des Treibstoffver- brauchs – um 40 Prozent pro Sitzplatzkilometer ist er in den letzten 30 Jahren schon gesunken – ist nicht nur eine Frage der Wirtschaftlichkeit, sondern auch der Umwelt- belastung. Die Ziele sind ehrgeizig. Wir müssen die Lärm- emissionen weiter senken; sie liegen heute bei einem Viertel der Werte von vor 30 Jahren, eine weitere Halbie- rung ist ein realistisches Ziel. Denn wenn wir Flughäfen ausbauen wollen, dann müssen wir alles tun, um die Be- lastung für die Menschen im Umfeld niedrig zu halten. In meinem Wahlkreis, in der Stadt Flörsheim, leben die Menschen in gewachsenen Wohngebieten seit Jahren gut mit dem Flughafen zusammen, aber wenn wir den Flug- hafen ausbauen wollen, dann müssen wir alle Möglich- keiten nutzen, die Belastungen erträglich zu halten, von der Wahl der Trasse über die Verlagerung von Verkehr nach Frankfurt-Hahn bis zum Nachtflugverbot und eben auch einer zügigen Entwicklung immer noch leiseren Fluggeräts. Dazu gehört eine stetige Steigerung der Si- cherheit und des Komforts für die Passagiere. Der Großteil der Entwicklungen ist von der Industrie zu tragen. Aber der Staat hat in seinem Bereich die Struk- turen weiterzuentwickeln. Die Zusammenarbeit zwischen den europäischen Großforschungseinrichtungen wird seit einem Jahrzehnt diskutiert. Die DLR hat ihre Kompetenz erwiesen und ist von der Industrie in Deutschland als Part- ner voll akzeptiert. Die Zusammenarbeit der Windkanäle funktioniert mit den Niederlanden. Mit Frankreich wird sie angestrebt. Aber wir sind noch weit entfernt von einer Integration und Arbeitsteilung der großen europäischen Forschungseinrichtungen. Wenn Aerodynamik zugleich an mehreren Stellen gut ist, Avionik aber insgesamt nicht so stark, dann nutzen wir noch nicht hinreichend unsere Ressourcen. Dass wir nicht nur tüchtige Ingenieure aus- bilden, sondern auch hinreichend breite Jahrgänge tüchti- ger Ingenieure für die Luftfahrtindustrie bekommen, das Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002 21073 (C) (D) (A) (B) ist eine Aufgabe von Staat und Wissenschaft. Das starke Engagement der Deutschen Forschungsgemeinschaft ist hilfreich. Aber dies alles muss zusammenwachsen zu ei- ner europäischen Forschungslandschaft; so wie eine inte- grierte europäische Industrielandschaft entstanden ist. Hier ist eine strategische Aufgabe auch der Europäischen Gemeinschaft. Die Bundesregierung kann viel tun, insbe- sondere in der Zusammenarbeit mit Frankreich, dass die Centers of Excellence kraftvoll entstehen, auf die hinge- arbeitet wird. Die europäische Gemeinschaft hat im 5. Rahmenpro- gramm 700 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Es zeichnet sich ab, dass im 6. Rahmenprogramm zumindest derselbe Betrag vorgesehen wird. Aber entscheidend ist nicht, wie viel Geld ausgegeben wird. Das Geld muss so eingesetzt werden, dass neue Strukturen entstehen, mit ei- nem hohen Maß an Vernetzung und Effizienz, bei einer engen Zusammenarbeit mit der Industrie – in durchaus unterschiedlichen Verantwortlichkeiten. Dabei ist es nicht entscheidend, dass Deutschland erfolgreich war in der Be- teiligung an europäischen Programmen. Es ist wahr, dass der Rückfluss nach Deutschland stetig um ein Zehntel über dem deutschen Finanzierungsanteil liegt. Aber nicht die fiskalische Bilanz ist die erfreuliche Nachricht, son- dern die Tatsache, dass sich die deutsche Forschung wei- terhin erfolgreich im Wettbewerb behauptet. Luftfahrt ist eine der großen Zukunftsindustrien. Die Wachstumsraten von jährlich 5 Prozent bei Personen und 7 Prozent bei Fracht scheinen langfristig nachhaltig zu sein, auch bei Dellen wie etwa nach dem Golfkrieg oder dem Terroran- schlag vom 11. September. Mit Airbus hat Europa in die- sen Märkten eine starke Position. Die Industrie schätzt, dass in den nächsten 20 Jahren ein Markt von 600 Milli- arden Euro erobert werden könnte, wenn Airbus sich im Wettbewerb behauptet. Davon können auf Deutschland an die 40 Prozent zukommen. Voraussetzung für diesen Erfolg war und ist, dass sich die Industrie integriert hat, gegen alle Prognosen der Pes- simisten. Entsprechendes muss zunehmend gelingen in Wissenschaft und Technikentwicklung, bei den Großfor- schungseinrichtungen, bei den Universitäten. Welches dann, nach dem kühnen Projekt des A 380, die nächsten Flugzeuge sind, ein großer Regionalflieger oder ganz neue Systeme, das wird letztlich im Markt entschieden. Dass wir dafür die Materialien, die Techniken und vor al- lem die tüchtigen Frauen und Männer, Wissenschaftler und Ingenieure haben, dazu können Bund und Länder in jeweiliger Verantwortung beitragen. Auch insofern ist es richtig, die Programme von Bund und Ländern zu ent- koppeln. Der Beitrag der Länder ist groß und durchaus ei- genständig. Die Mischfinanzierung von Bund und Län- dern und Industrie am gleichen Projekt hat sich als Konzept wohl erledigt. Wenn das gelingt, was wir anle- gen, dann wird sich in der Zukunft eines Tages die staat- liche Forschungsförderung in der Luftfahrtindustrie ins- gesamt erledigen, weil die Unternehmen aller Länder auf gleicher Augenhöhe, zu gleichen Bedingungen und ohne jede Subvention um die beste Lösung für den Kunden kämpfen. So fordern wir die Bundesregierung auf – das ist der Sinn unseres Antrags –, dass sie das nächste Luftfahrtfor- schungsprogramm umgehend vorlegt und sicherstellt, dass ohne Bruch und Verzögerung im Jahre 2003 die Fi- nanzierung im Haushalt sichergestellt wird, zu der sich ein Konsens von der Wirtschaftsministerkonferenz bis zum Koalitionsantrag abzeichnet. Es liegt uns daran, dass wir geordnete Verhältnisse vorfinden, wenigstens im Be- reich der Luftfahrtforschung, wenn wir im September die Regierung zu übernehmen haben. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Flugverkehr ist längst unverzichtbar. Durch ihn rücken die Menschen weltweit näher zusammen. Durch den Flugverkehr hat sich der Erfahrungshorizont vieler Men- schen stark erweitert. Die Luftfahrtindustrie ist darüber hinaus zu einem wichtigen Wirtschaftszweig geworden, einem Wirtschaftszweig überdies, der sehr innovativ ist. Und die Innovationsfähigkeit entscheidet letztlich über die Zukunftsfähigkeit der deutschen und europäischen Luftfahrtindustrie. Hiermit meine ich zum einen natürlich die Bedeutung der Innovation für die Wettbewerbsfähig- keit. Dies ist aber noch nicht alles. Zukunftsfähigkeit be- deutet weit mehr. Schon jetzt trägt der internationale Luftverkehr zum Treibhauseffekt mit etwa 4 Prozent bei. Bis zum 11. Sep- tember wuchs der Luftverkehr jährlich durchschnittlich um 7 Prozent. Es ist zu erwarten, dass dieses Wachstum schon bald wieder fortgesetzt werden wird. Der Flugver- kehr wird damit mittel- und langfristig zu einem der wich- tigsten Klimafaktoren. Doch nicht nur das Klima wird durch das starke Wachstum des Flugverkehrs gefährdet. Paradoxerweise gefährdet der Flugverkehr sogar sich selbst. Die Flug- zeuge, die jetzt entwickelt werden und erst in Jahren in die Produktion gehen, werden auch in Jahrzehnten noch flie- gen. Bis dahin wird der Zeitpunkt der maximalen Rohöl- produktion sehr wahrscheinlich längst überschritten sein. Dies lässt sich nicht zuletzt im Bericht des Büros für Tech- nikfolgenabschätzung zur nachhaltigen Energieversor- gung nachlesen. Die Kerosinkosten werden somit während der Nutzungsdauer der nächsten Flugzeuggene- ration weit über denen von heute liegen. Wer wie Boeing auf den Sonic Cruiser setzt, der 20 bis 30 Prozent mehr Kerosin benötigen wird als ein heutiges Flugzeug, beraubt sich aller Wettbewerbschancen. Es ist daher sehr zu begrüßen, dass Airbus mit dem A 380 ein Flugzeug entwickelt, das bis zu 30 Prozent weniger Kero- sin verbraucht als die derzeitigen Maschinen. Wer langfristig Mobilität auch im Flugverkehr sichern will, muss daher alles daransetzen, den Flugverkehr von den begrenzten und noch dazu klimaschädlichen Energie- quellen zu entkoppeln. Die Flugzeuge müssen zum einen wesentlich sparsamer werden, als sie es heute sind. Zum anderen müssen – wie in allen anderen Energiesektoren auch – verstärkt Alternativen zu klima- und luftchemie- wirksamen Brennstoffen entwickelt werden. Im Vorder- grund könnten biogene Treibstoffe sowie der Wasserstoff stehen. Dabei sollte die Wasserstoffgewinnung durch Bio- methanol geprüft werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 200221074 (C) (D) (A) (B) Ein weiteres Problem des steigenden Flugverkehrs ist im Übrigen der Lärm. Aus meiner Sicht sollten die An- strengungen verstärkt werden, den Flugverkehr leiser zu gestalten. Was technisch möglich ist, zum Beispiel über intelligente Materialien, sollte auch gemacht werden. Da- rüber hinausgehende Maßnahmen wie Nachtruhezeiten werden auch in Zukunft im Interesse der Anwohner er- forderlich sein. Luftfahrtforschung muss innovativ bleiben. Das heißt es müssen auch Konzepte unterstützt werden können, die vom „business as usual“ abweichen. In diesem Zusam- menhang sollte zum Beispiel die Entwicklung und Ein- führung von Luftschiffen gefördert werden. In den letzten Jahrzehnten erhielt die Flugzeugindustrie in Deutschland und Europa erhebliche Mittel. Diese Mittel dienten dem Aufbau eines wettbewerbsfähigen Industriezweigs. Was der Flugzeugindustrie recht war, muss der Luftschiffin- dustrie billig sein, zumal es sich hier um einen Industrie- zweig handelt, der nach einer längeren Anfangsphase glo- bal neue Märkte erschließen kann und bis auf Weiteres konkurrenzlos dastünde. Flugverkehrsforschung darf aber nicht bei der Flug- zeugtechnik und bei den Treibstoffen aufhören. Vielmehr sind erstens Strategien zur Vermeidung von Flugverkehr zu entwickeln. Der Flugverkehr ist in ein Gesamtver- kehrskonzept einzubinden. Dazu bedarf es verkehrs- und sozialwissenschaftlicher Forschung mit dem Ziel, Wege zum Umstieg auf Verkehrsmittel mit geringerer Umwelt- belastung zu finden. Die effizientere Nutzung des Luft- raumes ist ein weiterer Schwerpunkt, damit Umwege und Warteschleifen vermieden werden können. Zweitens. Es müssen unabhängige Szenarien und Be- darfsprognosen entwickelt und Technikfolgenabschät- zungen durchgeführt werden. Im Mittelpunkt sollte dabei die Frage nach den Potenzialen des Luftverkehrs und der Grenzen des Wachstums des Luftverkehrs in Deutschland stehen. Drittens. Die Beeinflussung der Luftchemie und des Klimas durch den Luftverkehr sollte verstärkt untersucht werden. Meine sehr geehrten Damen und Herren der CDU/CSU, es liegt in der Logik der Europäisierung der Luftfahrt, dass auch die Luftfahrtforschung europäisiert wird. Aus bündnisgrüner Sicht war es daher folgerichtig, dass in den letzten Jahren die Mittel in den europäischen Forschungsprogrammen für Luftfahrtforschung aufge- stockt und im nationalen Budget abgesenkt wurden. Damit der Flugverkehr zukunftsfähig ist, muss bei der Verkehrs- und Luftfahrtforschung ein Schwerpunkt auf die Nachhaltigkeitsforschung gelegt werden. Der Antrag der Regierungsfraktionen setzt hier die richtigen Akzente. Die Vorstellungen der Union und der FDP setzen hinge- gen einseitig auf Verkehrswachstum, ohne die Folgen zu bedenken. Statt Technikfolgenabschätzung muss man bei der Union und der FDP leider von Technikfolgenignoranz reden. Ulrike Flach (FDP): Luftfahrtforschung muss im Ver- bund von Bund, Ländern, Hochschulen und Forschungs- instituten mit der Industrie erfolgen. Die Forschung hat große Erfolge zu verbuchen: Die Lärmemissionen wur- den durch leisere Triebwerke auf ein Viertel des Pegels von 1970 gesenkt. Der Treibstoffverbrauch konnte im gleichen Zeitraum um 40 Prozent pro Sitzplatzkilometer gesenkt werden. Bis 2020 erwarten wir noch einmal eine Senkung um über 30Prozent was hilfreich für das Errei- chen unserer Energie- und Klimaschutzziele ist. Das heißt aber auch, dass wir gerade in der Luftfahrt- forschung eine Verstetigung der Programme brauchen so- wie eine enge Koordination, zum Beispiel im 6. For- schungsrahmenprogramm. Und da passt es nicht ins Bild, wenn der Bundeswirtschaftsminister diesen Bereich als Steinbruch nutzt. 1995 bis 1998 lag der Bundesanteil am Luftfahrtforschungsprogramm I bei 600 Millionen DM, unter Ihrer Regierung beim LuFo II ist er auf 240 Milli- onen DM gesunken. Ich bin zwar prinzipiell für eine stär- kere Beteiligung der Industrie, aber das darf nicht dazu führen, dass sich der Bund völlig aus der Luftfahrtfor- schung verabschiedet. Insbesondere im Vergleich mit den Konkurrenzländern USA oder Frankreich ist der Anteil der Luftfahrtfor- schung an den Gesamtforschungsausgaben unterent- wickelt. Ich meine, dieser wichtige Bereich gehört wieder in die Zuständigkeit des BMBF. Die beiden Anträge von Rot-Grün und der Union sind sich im Ziel einig: Wir brauchen ein Luftfahrtforschungs- programm III. Was mir im Antrag der Regierungsfraktio- nen nicht gefällt, ist, dass sie der Forschung quantitative Umweltziele vorgeben. Zudem ist vieles sehr allgemein formuliert und es fehlt eine konkrete Aussage darüber, was sie für Luftfahrtforschung ausgeben wollen. Der An- trag der Union dagegen ist besser mit den auch im 6. For- schungsrahmenprogramm genannten Zielvereinbarungen abgestimmt. Gerade nach dem 11. September wird es entscheidend auf die Verbesserung der Flugsicherungssysteme ankom- men, auf die Ortungstechnologie, auf neue Materialien und verbesserte Treibstoffe, die nicht nur umweltscho- nender sind, sondern auch nicht diese Hitzegrade bei der Verbrennung entwickeln. Luftfahrtforschung verdient in dieser Bundesregierung eine höhere Aufmerksamkeit. Darüber kann auch eine medienwirksame Präsentation von Herrn Mosdorf nicht hinwegtäuschen. Rolf Kutzmutz (PDS): Ich finde es bemerkenswert, in welch großer Übereinstimmung in diesem Hause frakti- onsübergreifend – wenngleich zu später Stunde – zivil in die Luft gegangen wird. Zwar ist dieses Thema ebenfalls nicht gänzlich ohne Tücken – ich denke nur an Kurz- streckenverkehr und auch daraus resultierende ausufernde Flughafenausbaupläne –; der Gegenstand und seine Be- handlung in den vorliegenden Anträgen hebt sich doch wohltuend von der Debatte ab, die hier vor wenigen Mi- nuten zum Militär-Airbus abgegangen ist. Dass auch aus Sicht der CDU/CSU Fragen der Schad- stoffminderung, der Erhöhung der Flugsicherheit, einer Ökologisierung der Fertigung sowie ein Ausbau der Netz- werke und Kompetenzzentren Schwerpunkte eines neuen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002 21075 (C) (D) (A) (B) Luftfahrtforschungsprogrammes sein sollen, habe ich mit Befriedigung registriert. Hier sehe ich die Ansatzpunkte für gemeinsames Handeln. Leider – aber für mich natür- lich nicht unerwartet – wird jedoch auch kritiklos einer „Kapazitätssteigerung der Infrastruktur des Luftfahrsys- tems“ gehuldigt. Da liegt meiner Fraktion der von der Koalition offe- rierte Ansatz, den Flugverkehr in ein Gesamtverkehrs- konzept einzubinden und Mittel für verkehrs- und sozial- wissenschaftliche Forschung nach Alternativen zu mobilisieren, natürlich um Welten näher. Aber Rot-Grün muss ich auch sagen: Ich lese wohl die Worte – allein mir fehlt der Glaube. Ich denke nur an das ergebnislose Tau- ziehen um ein neues Fluglärmgesetz oder die Brachialge- walt, mit der Ihrerseits an Schönefeld als Berlin Branden- burg International festgehalten wird. Auch über die Finanzausstattung eines neuen Pro- gramms müssen wir in den Ausschüssen noch einmal ge- nauer reden. Die CDU/CSU verlangt eine angemessene Beteiligung an 400 Millionen Euro. Die Koalition nennt zwar keine Summen, will aber offenbar – ich nenne das Beispiel aus aktuellem Anlass – unter der Überschrift „in- novative Luftfahrttechnologien“ ein Cargolifter-Ret- tungsprogramm auflegen. Dabei müssen wir doch bedenken: Mit dem Airbus 380 riskiert der Bund schon über 2 Milliarden Euro – gebun- den in ein einziges Projekt, dessen Umwelteffekte abzu- warten bleiben, welches ökonomisch nicht erst seit dem 11. September riskant ist und strukturpolitisch zumindest für Ostdeutschland bisher nur Peanuts gebracht hat. Auch künftig weiter alles auf einzelne Karten zu setzen und so für viel Geld „Luschen“ zu riskieren, das kann nicht der Weg sein. Stattdessen sollten wir in vernünftigen Größen- ordnungen, sowohl hinsichtlich der Technologiefelder als auch der Wissenschaftsdisziplinen, breit gefächert in ei- nen ökologischen Umbau auch in der Luft investieren. Siegmar Mosdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:Tat- sache ist, dass die Bundesregierung sich mit Nachdruck für die Belange der deutschen Luftfahrtindustrie einsetzt. Die Fakten: Die europäische und insbesondere auch die deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie haben in den vergangenen Jahren eine umfangreiche Restrukturierung auf den Weg gebracht. Die Gründung der EADS im Jahre 1999 war ein vorläufiger Höhepunkt. Die Bundesregie- rung hat diesen Prozess stets aktiv unterstützt. Mit der Darlehensentscheidung für die Entwicklung des Großraumflugzeugs A380 hat die Bundesregierung trotz schwieriger Haushaltslage maßgeblich für die Siche- rung deutscher Standorte und Schaffung neuer Arbeits- plätze gesorgt. Der A380 ist auch nach den tragischen Ereignissen des 11. September 2001 unverändert das he- rausragende Entwicklungsprojekt. Die Bundesregierung, die Länder, die Industrie und die Wissenschaft haben in den Luftfahrtforschungspro- grammen seit 1995 insgesamt gut 1,2 Milliarden Euro aufgewendet. Besonders hervorheben möchte ich, dass die Bundesländer sich unter schwierigen Haushalts- bedingungen mit erheblichen Eigenmitteln für die Luft- fahrtforschung eingesetzt haben. Ein abgestimmtes Kompetenznetzwerk sensitiver Technologieentwicklun- gen ist entstanden, Kernkompetenzen, Arbeitsplätze und Standorte in Deutschland wurden gesichert. Glo- bale und innereuropäische Wettbewerbsverzerrungen wurden so aufgefangen. Die deutsche Luftfahrtindus- trie hält eine führende Position in Europa. Forschungsergebnisse spiegeln sich im Markterfolg wider. Der spezifische Treibstoffverbrauch der Luft- hansa-Flotte wurde im Zeitraum von 1991 bis 2000 von 6,2 auf 4,6 Liter um 24,3 Prozent gesenkt. Bis 2008 wird eine weitere Einsparung um 11 Prozent angestrebt. Ent- sprechend haben sich die CO2-Emissionen verringert. DieNOx-Emission konnte im gleichen Zeitraum um etwa 25 Prozent reduziert werden. Die Fluglärmbelastung im Flughafennahbereich ist seit 1990 um mehr als 50 Prozent gesunken. Die Luftfahrt ist gleichzeitig aber auch Vorreiter bei der Umsetzung neuer innovativer Technologien in Produkte und Verfahren. In diesen Tagen hat der neue A318 seinen Erstflug mit einem lasergeschweißten Rumpfsegment ab- solviert – ein Verfahren, das im Rahmen des Luftfahrtfor- schungsprogramms entwickelt wurde und 1999 mit dem Innovationspreis der deutschen Wirtschaft ausgezeichnet wurde. Die Ergebnisse der CFK-Flügelentwicklung fließen in das Seitenleitwerk ein. Für den A340-600 wird die Druckspannkalotte in CFK gefertigt. Beim erfolgrei- chen Erstlauf eines lärmarmen Flugzeugantriebs mit Ge- triebefan war unser Triebwerkshersteller MTU mit einem neuen Niederdruckverdichter beteiligt. Entwicklungsfort- schritte wurden beim lärmreduzierten Hubschrauberan- trieb – EUROCOPTER, ZF-Luftfahrt – erzielt. Auch der Mittelstand beteiligt sich mit guten Erfolgsaussichten am Programm. Ein innovativer Energiesparofen zur Speisen- bereitung ist in der Erprobung. Für die Wartung von Ro- torblättern ist ein lasergestütztes Entlackungsverfahren, SLCR, eine besonders umweltfreundliche Alternative zu herkömmlichen Methoden. Im 5. EU-Forschungsprogramm 1999 bis 2002 hat sich die Bundesregierung nachdrücklich und mit Erfolg für die Schlüsselaktion „Neue Perspektiven für die Luftfahrt“ eingesetzt. Von 700 Millionen Euro haben die deutsche Industrie und Wissenschaft mit einem Mittelrückfluss von 26 Prozent ihre Kompetenz und ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Diese Zwischenbilanz kann sich se- hen lassen. Die Bundesregierung hat aus volkswirtschaftlichen, technologischen, sicherheits- und außenpolitischen Ge- sichtspunkten unverändert ein großes Interesse an einem innovativen und leistungsfähigen Luft- und Raumfahrt- standort Deutschland. Deutschland muss in der Luft- und Raumfahrt auch künftig eine essenzielle Rolle in einem global wettbewerbsfähigen europäischen Verbund spielen und seinen Anteil an den Wachstumspotenzialen halten. Deshalb wird die Bundesregierung auch in Zeiten der Haushaltskonsolidierung in ihrem Engagement nicht nachlassen und die Brancheninteressen, insbesondere auch bei der notwendigen europäischen Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen, weiter politisch flankieren. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 200221076 (C) (D) (A) (B) Die anhaltend dynamische Entwicklung, zunehmender globaler und innereuropäischer Standortwettbewerb sowie die gewünschte Stärkung transatlantischer Kooperationen stellen alle Beteiligten vor neue Herausforderungen. Die von mir berufene Gruppe hochrangiger Experten hat zum Thema „Deutsche Luft- und Raumfahrt: Zu- kunftsbranche des 21. Jahrhunderts im europäischen und globalen Wettbewerb“ die Standortbedingungen analy- siert, strategische Ziele formuliert und Vorschläge für eine bedarfsgerechte Fortentwicklung der Rahmenbedingun- gen unterbreitet. Der Bericht ist ein Bekenntnis zum Luft- und Raumfahrtstandort Deutschland. Er bekräftigt die ei- genen Anstrengungen der Industrie zur Sicherung des Er- reichten und zum weiteren Ausbau deutscher Marktan- teile. Der Expertenbericht verdeutlicht aber auch, dass große konzertierte gemeinsame Anstrengungen notwen- dig sind. Die Wirtschaft, die Wissenschaft und Forschung wie auch die Politik sind aufgerufen, um im innereu- ropäischen und im globalen Wettbewerb zukünftig eine maßgebliche Rolle behaupten zu können. Dies gilt für eine weitere erfolgreiche Restrukturierung der euro- päischen Luft- und Raumfahrtindustrie auch für die Zu- lieferer und Ausrüster. Wir sind auf dem richtigen Weg. Jetzt geht es darum, das Erreichte zu sichern und neue strategische Herausforderungen anzunehmen. Sie plädieren für eine Fortsetzung der Förderung der deutschen Luftfahrtforschung. Im 6. EU-Rahmen- programm Forschung 2003 bis 2006 wird die Luft- und Raumfahrt wieder einen hohen Stellenwert haben. 1,075 Milliarden Euro sind eingeplant. Gleichzeitig hat Forschungskommissar Busquin einen „Advisory Council for Aeronautics Research in Europe“ berufen, der bis zum Sommer 2002 eine strategische Forschungsagenda erar- beiten soll. Die Harmonisierung der europäischen und der nationalen Forschung ist dabei eine wichtige Aufgabe, an der wir uns mit Nachdruck beteiligen. Das nationale Luftfahrtforschungsprogramm ist ein Baustein im europäischen Kontext und soll ohne Bruch weitergeführt werden. Ein Entwurf wird vorbereitet. Grundlage ist der Bericht der High-Level-Group. Er wird ergänzt durch eine Ausarbeitung der Arbeitsgruppe des BMWi-Beirats Luftfahrtforschung. Hier wurden die tech- nologiespezifischen Herausforderungen vertieft. Strate- gien für den Forschungsbedarf mit Blick auf Innovation, Technologietransfer und Forschungsnetzwerke wurden erarbeitet. In den Schlussfolgerungen wird bekräftigt, dass mit nationalen Kompetenzzentren den anstehenden Herausforderungen begegnet werden kann. Beide Berichte sind die Grundlage für das spezifische Luftfahrtforschungsprogramm. Die Zukunftsentwicklun- gen der Luftfahrt werden zunehmend von kritischen Fra- gestellungen zur Sicherheit – unter anderem im Zusam- menhang mit den Ereignissen am 11. September – und den Umweltauswirkungen des Luftverkehrs mitbestimmt. Die erwarteten Wachstumsraten im Luftverkehr verlan- gen entscheidende Verbesserungen der Flugsicherheit, um das niedrige Niveau der heutigen Unfallraten weiter absenken zu können. Die Schadstoff- und Lärmemis- sionen müssen weiter abgesenkt werden. Der Erfolg im Markt von morgen kann nur gesichert werden, wenn diesen gesellschaftlichen Forderungen Rechnung getragen wird. Der Antrag der Koalitionsfrak- tionen unterstreicht diese Einschätzung. Mit dieser Ak- zentuierung beabsichtigt die Bundesregierung, die Luft- fahrtforschung weiterhin zu fördern. Andernfalls würden wertvolle Arbeitsplätze verloren gehen. Die Bundesregie- rung wird einen angemessenen Beitrag bereitstellen. 50 Millionen Euro jährlich sind aus Sicht der Experten dafür erforderlich. Es gilt, die Position unserer Unterneh- men und Forschungseinrichtungen im innereuropäischen und im globalen Wettbewerb um Kompetenz zu stärken; qualifizierte Partnerschaften in europäischen und interna- tionalen Kooperationen zu ermöglichen; die Beteili- gungsvoraussetzungen für EU-Projekte nach Artikel 169 zu schaffen und Wettbewerbsnachteile auszugleichen, da die Hauptluftfahrtländer USA, Frankreich und Großbri- tannien die Forschung ihrer Industrie und Wissenschaft unverändert unterstützen. In beiden Anträgen wird die Fortsetzung des Luftfahrt- forschungsprogramms gefordert. Dabei geht der Antrag der Koalitionsfraktionen klar und gezielt auf die anste- henden Herausforderungen ein und bestätigt in seinen Forderungen die Planungen der Bundesregierung. Wir brauchen europäisch harmonisierte Luftfahrtforschungs- programme. Eine enge Abstimmung mit den Bundeslän- dern ist zwingend. Auf diesem Weg ist der Antrag der Ko- alitionsfraktionen richtungsweisend und findet unsere nachdrückliche Zustimmung. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Bahnpreissystem für Fahrgäste attraktiv gestalten (Tagesordnungs- punkt 14) Karin Rehbock-Zureich (SPD): „Bahnpreissystem für Fahrgäste attraktiv gestalten“ fordert die PDS in ihrem Antrag und gibt damit den Anlass zur heutigen Debatte. Danke dafür. Jeder Anlass ist gut, um über das wichtige Thema Politik für die Schiene zu diskutieren. Denn natür- lich machen wir hier im Hohen Hause keine Politik für die Deutsche Bahn AG allein, wie der Titel ihres Antrags na- helegt, sondern für den Verkehrsträger Schiene als Ganzes. Zu Beginn meiner Darlegungen muss ich den Irrtum klären, den die PDS zur Grundlage ihres Antrags macht: Die Zuständigkeit des Bundes bezieht sich ausschließlich auf die Rechtsprüfung des beantragten Tarifs, das heißt, ob er mit Recht und Gesetz in Einklang steht, und nicht, ob die Preise dem Bund – oder einer Partei – zu hoch oder zu niedrig scheinen. Denn – und dies ist der Hintergrund dieses Faktums – ein wesentliches Merkmal der Bahnre- form war und ist die Trennung von unternehmerischen und staatlichen Aufgaben. Die inhaltliche Gestaltung von Angeboten, das heißt auch deren Zweckmäßigkeit und Höhe, gehören zu den unternehmerischen Aufgaben der DB AG, auf die weder Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002 21077 (C) (D) (A) (B) der Bundestag noch die Bundesregierung noch das Bun- desministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen als Genehmigungsbehörde nach der gesetzlichen Aufga- benstellung Einfluss nehmen kann. Gleiches gilt selbstre- dend auch für die Ausgestaltung des Angebots Bahncard oder die Einführung von Frühbucherrabatten. Die Bundesregierung und unser Haus sind also nicht zuständig für die Tarifsetzung. Trotzdem ist es wichtig, sich mit dem Preissystem zu beschäftigen. Das neue Preissystem der DB AG ist weitaus transparenter als das bisher geltende. Ich bin zuversichtlich, dass die Kunden der Bahn mit diesem System in jedem Fall das für sie güns- tigste Ticket bekommen können. Heute ist dies nicht so, sondern es ist sehr von der Erfahrenheit des Kartenver- käufers abhängig. Ich bin auch zuversichtlich, dass die einfache Faustre- gel – je früher die Buchung, desto günstiger der Preis – von den Kunden verstanden wird. Weitere positive Elemente sind in meinen Augen die Familienfreundlichkeit des neuen Systems sowie der ge- sunkene Einstiegspreis für die Bahncard. Beides verrin- gert die Hemmschwelle für Wenig- und Noch-nicht- Bahnkunden. Dass dabei die Bahncard Vergünstigungen um 25 Pro- zent auf alle Preise, also auch auf die Sonderangebote und Mitfahrerpreise bewirkt, ist ebenfalls ein Fortschritt. Das macht dem Ärgernis für viele Kunden ein Ende, dass die heutigen Bahncardvergünstigungen von 50 Prozent auf den Fahrpreis oft in ihrer Höhe dem Preis eines aktuellen Sonderangebots entsprechen. Dass die Halbierung des Bahncardeffekts dabei be- stimmte heutige Nutzergruppen negativ betrifft, ist un- strittig. Dass andere Nutzergruppen von der Neuerung profitieren, ist ebenso unstrittig. Dabei ist eine kritische Begleitung der Deutschen Bahn AG im Falle des Preissystems wie auch im Bereich der sonstigen Konzernpolitik für meine Fraktion selbstver- ständlich. Wichtig werden die Größen der Kontingente für Frühbucher sein. Wichtig wird auch der Umgang mit Fernpendlern, Rentnern und Studenten sein. Die Vorwürfe der PDS aber sind weit überzogen und in keinem Fall nachvollziehbar. Im Endeffekt werden die Kunden der Bahn darüber entscheiden, ob das neue Sys- tem dem alten überlegen ist oder nicht. Sie bewerten das neue Preissystem. Sie entscheiden dies über ihr Verhalten gegenüber dem Dienstleister Deutsche Bahn und seinen Angeboten. Interessant ist im Zusammenhang des Antrags aller- dings schon – da bitte ich um Antwort von der PDS –, ob die PDS auch die Preissysteme der DB-Konkurrenz ge- stalten möchte oder ob ihr das eine Preissystem reicht. Besonders bemerkenswert finde ich die inhaltliche Nähe des PDS-Antrags zu dem Antrag der CDU/CSU zur Bestellung von Fernverkehrsleistungen. Gemeinsamer Rückschritt von PDS und CDU/CSU in die Planwirtschaft nach dem Motto: Die CDU/CSU bestimmt, wann und wo- hin die Züge fahren, und die PDS sagt dann, was es kos- tet. So etwas gab es nicht einmal vor der Bahnreform. Auf die Weise jedenfalls kommen wir dem Ziel – mehr Ver- kehr auf der Schiene – nicht näher. Denn eine vernünftige Politik für die Schiene sieht an- ders aus: ordentliche Finanzausstattung für die Infra- struktur, Sicherstellung des Wettbewerbs auf der Schiene, Verbesserung der Rahmenbedingungen. Dabei haben wir für den Verkehrsträger Schiene viel erreicht: Wir haben das Investitionsniveau erhöht, wir ha- ben den Wettbewerb zwischen den Verkehrsträgern und auf der Schiene gestärkt und wir haben die politischen Rahmenbedingungen für die Schiene entscheidend voran- gebracht. Seit Regierungsübernahme steigen die Investitionen für die Schiene wieder. In 2002 stellt die Bundesregierung rund 4,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Das ist das In- vestitionsniveau, das in der Bahnreform vorgesehen war. Wir haben die Wettbewerbsbedingungen für den Ver- kehrsträger Schiene entscheidend verbessert: Auf europä- ischer Ebene bringt die Öffnung der europäischen Netze den Wettbewerb auf der Schiene und gegenüber der Straße voran. Gerade bei den grenzüberschreitenden, lang laufenden Güterverkehren gibt es großes Wachstumspo- tenzial. Die Entfernungspauschale für alle Verkehrsmittel nützt der Schiene genau wie dem ÖPNV und dem Fahr- rad. Die LKW-Maut beteiligt ab 2003 erstmals in Deutschland die LKWs ernsthaft an ihren Wegekosten. Einnahmen aus der Maut fließen zurück in die Verkehrs- infrastruktur, und zwar in alle Bereiche. Damit machen wir Ernst mit unserem integrierten Ansatz und fördern alle Verkehrsträger – auch die Schiene. Was zählt, ist der Er- folg für das gesamte Verkehrssystem. Die 2. Novelle des Allgemeinen Eisenbahngesetzes wird in Kürze als ein wichtiger Schritt für mehr Wettbe- werb auf der Schiene realisiert. Der diskriminierungsfreie Zugang für alle Anbieter von Schienenverkehrsleistungen wird sichergestellt. Diesen Weg hin zu mehr Wettbewerb im Schienennetz werden wir konsequent und mit Augen- maß weitergehen. Augenmaß bedeutet: Ein Abgleiten in die staatlich gesteuerte Bestellwirtschaft, wie von PDS und CDU gefordert, wird es mit uns ebenso wenig geben wie windige Pläne der FDP zum Ausverkauf des Schie- nennetzes mit derzeit nicht absehbaren Folgen für Qua- lität und Sicherheit. Wir werden dafür mit der 3. Novelle die Ergebnisse der Taskforce Schiene in Gesetzesform bringen und die Anforderungen des EU-Rechts umsetzen. Mit diesen Eckpfeilern unserer Politik für die Schiene geben wir einen ordentlichen Rahmen für den Verkehrs- träger Schiene im Personen- und Güterverkehr. Der Wett- bewerb der Schiene mit der Straße wird sich zunehmend ergänzen zu einem Wettbewerb von Bahnunternehmen untereinander und mit der Straße. Dabei bleiben die ho- hen Sicherheitsstandards der Schiene erhalten. Das Setzen dieser Eckpfeiler ist das entscheidende Element einer verantwortlichen Infrastrukturpolitik. Planwirtschaftliche Eingriffe in Preis- und Angebotspoli- tik sind es in jedem Fall nicht. Das ist klar. Norbert Otto (Erfurt) (CDU/CSU): Die Tatsache, dass wir uns heute im Deutschen Bundestag mit den Tari- fen der Deutschen Bahn AG beschäftigen, erstaunt mich und meine Fraktion sehr. Die Bahnreform von 1993 hat Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 200221078 (C) (D) (A) (B) die Deutsche Bahn AG zu einem privatwirtschaftlichen Unternehmen gemacht. Dass die Bahn den Weg zum Dienstleistungsunternehmen durchaus erfolgreich, zum Teil auch mit Problemen, beschreitet, wird wohl niemand in diesem Hause bestreiten. Es war und ist eine wichtige Konsequenz der Bahnreform, die Politik aus dem konkre- ten Unternehmerischen der Bahn AG herauszuhalten. Die Überlegung, wir als Parlament sollten ein Unternehmen auffordern, Details seiner Geschäftspolitik nach unseren Vorstellungen auszurichten, macht keinen Sinn. Dass die Kolleginnen und Kollegen der PDS, die – gefangen in ih- rer Geschichte – die Privatisierung immer abgelehnt ha- ben, sich nun hier mit dem Bahnpreissystem beschäftigen möchten, ist aus der Sicht staatlicher Wirtschaftslenkung durchaus nachvollziehbar. Fest steht jedoch, dass diese Zeiten definitiv vorbei sind. Der Versuch, die Bahnreform mit solchen Anträgen zu konterkarieren, ist zu durchsich- tig und mit uns nicht zu machen. Der Ort für derartige Fragestellungen ist der Auf- sichtsrat der Deutschen Bahn AG. Hier hat sich die Bun- desregierung, als Haupteigner dafür einzusetzen, dass die Bahn für jedermann attraktive und erschwingliche Ange- bote schafft. Das neue Tarifsystem ist im Übrigen durch die entsprechenden Stellen bei Bund und Ländern geneh- migt worden – das ist entscheidend. Nun einige Ausführungen zum Tarifsystem selbst: Si- cher war eine Anpassung der Bahntarife notwendig. Frag- lich ist jedoch, ob organisatorische Vorteile, wie sie bei- spielsweise durch die neue verbilligte Frühbuchung entstehen, für die Kundinnen und Kunden von Nutzen sind. Meine Fraktion hat diesbezügliche Bedenken schon vor einiger Zeit geäußert. Die Bahn möchte eine echte Al- ternative zu Auto und Flugzeug sein. In diesem Zusam- menhang ist es sicher sinnvoll, darüber nachzudenken, ob ein Buchungssystem à la Lufthansa der Weisheit letzter Schluss ist. Pünktlichkeit, Sauberkeit, guter Service und schnelle Verbindungen machen die Bahn als Verkehrsträger für die Menschen interessant. Mit diesen Faktoren kann man die neuen Preise noch am ehesten vermitteln. Wichtig ist uns, dass der eingeschlagene Weg der Bahn auch in diesem Be- reich weiter fortgesetzt wird. Im Bundeshaushalt werden erhebliche Mittel zur Sa- nierung des Netzes und der Anlagen der Bahn bereitge- stellt. Die Menschen profitieren davon bereits in neu ge- stalteten Bahnhöfen und durch schnellere Verbindungen. Die Bahn selbst muss ihre Kunden zukünftig noch deutli- cher als bisher durch Qualität überzeugen – das steht zweifellos fest. Eine weitere Komponente, die von der PDS natürlich bewusst übersehen wurde, ist die Chance des Wettbewer- bes. In diesem Zusammenhang ist die Bundesregierung nun doch zuständig. Die Bahn AG kann nicht auf ewig auf ihr Quasi-Monopol im Betrieb pochen. Die Trennung von Netz und Betrieb ist hier wichtigste Voraussetzung für Verbesserung. Wir sehen beim Flugverkehr, wie urplötz- lich Preise fallen, weil die Konkurrenz schlicht preiswer- ter ist. Ein Beispiel dafür ist der Preiskampf zweier An- bieter auf der Strecke Berlin–Frankfurt. Gewinner sind die Kunden. So günstig ist man auf dieser Strecke noch nie geflogen. Es sollten zukünftig auch im Fernverkehr andere Anbieter die Chance zur Teilnahme am Wettbe- werb bekommen. Gewinner ist der Verbraucher. Dass sich die Bundesregierung – allen voran Minister Bodewig – bei der Trennung von Netz und Betrieb nicht gegen die Bahn durchsetzen konnte, ist das eigentliche Problem. Ein Netz unter neutraler Verantwortung bietet eine exzellente Basis für freien Wettbewerb auf der Schiene. Hier besteht Handlungsbedarf für Rot-Grün. Entsprechende Beschlüsse dieses Hauses warten auf Um- setzung. In diesem Sinne appelliere ich an die Bundesregierung: Stärken Sie den Wettbewerb auf der Schiene durch sinn- volle Konkurrenz. Die PDS-Pläne, freie Unternehmen staatlich zu lenken, haben schon früher nichts Gutes ge- bracht und dürfen auch zukünftig nicht Grundlage im Umgang mit der Bahn werden. Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das neue Fahrpreissystem der Deutschen Bahn AG, das frühestens Ende diesen Jahres eingeführt werden soll, steht bereits in der Kritik. Besonders der Grundsatz, wonach frühzeitige Buchung eines Zuges zwar zu erheblichen Preisvorteilen führt, dafür aber die Rabattwirkung der Bahncard von heute 50 Prozent auf dann nur noch 25 Prozent des Grundpreises abgesenkt werden soll, stößt auf Unverständnis. Als Verkehrspoliti- ker werden wir immer wieder aufgefordert, hier einzu- greifen. Eine Bemerkung vorweg: Wir können als Politiker – und übrigens auch im Aufsichtsrat einer privatrechtli- chen DB AG – keinen Einfluss auf den operativen Job des Bahnvorstands nehmen. Wir können aber deutlich unsere Meinung sagen. Genau das habe ich – öffentlich und in- tern – oft getan. Ich teile die öffentliche Kritik in zwei Punkten: Erstens kritisiere ich, dass der Reisende nach allem, was bisher gesagt wurde, dann mit Verteuerungen rechnen muss, wenn er in Regionalzügen auf mittleren Entfernun- gen nicht mit Zeitkarte unterwegs ist, zum Beispiel also zweimal die Woche die Strecke Berlin–Cottbus fährt und jeweils ein Einzelticket löst. Für Pendlerinnen und Pend- ler mit Zeitkarte wie zum Beispiel einem Monatsticket än- dert sich dagegen gar nichts. Zweitens sollte es keine Verteuerung spontanen Rei- sens im Fernverkehr aufgrund eines verringerten Bahn- cardrabatts geben. Nach allem, was bisher – übrigens in enger Kommuni- kation mit den Fahrgastverbänden Pro Bahn, VCD sowie BUND und Nabu – entworfen wurde, wird Bahnfahren aber im Fernverkehr für die meisten Fahrten billiger, zum Teil sogar erheblich: Die Grundpreise im Fernverkehr auf Strecken über 140 Kilometern werden degressiv gesenkt. Auf schwächer nachgefragten Strecken wird es richtige „Kampfpreise“ geben. Spontanes Reisen bleibt möglich: zum reduzierten Grundpreis minus 25 Prozent Bahncardrabatt. Wer aber Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002 21079 (C) (D) (A) (B) seinen Zug bereits einen Tag vor der Reise per Telefon im Callcenter, per Internet, Reisebüro oder am Schalter bucht, erhält darauf als „Sonderpreis“ 10 Prozent Rabatt. Wer drei Tage vorher bucht, bekommt 25 Prozent Rabatt auf den Grundpreis. Dieses entspricht „Sonderpreis 2“. Wer sieben Tage vorher bucht, bekommt 40 Prozent Er- mäßigung als „Sonderpreis 3“. Auf alle diese Preise, aber auch auf andere Sonder- preise wie Ostseeticket, Bayernticket usw. gibt es mit der Bahncard noch einmal 25 Prozent Preisnachlass. Alle Ra- batte kumulieren sich also. Das wird in der öffentlichen Wahrnehmung oftmals vergessen! Mitfahrer – bis zu vier pro Person – bezahlen noch ein- mal nur die Hälfte von allem. Kinder und Jugendliche bis einschließlich 14 Jahren bezahlen gar nichts, wenn sie mit einem Eltern- oder Großelternteil unterwegs sind. Wer also mit seiner Freundin zum Beispiel von Berlin nach Freiburg fährt, wird, wenn er alle Rabattmöglichkei- ten ausnützt, dafür am Ende weit weniger als 50 Prozent des heutigen Grundpreises bezahlen, die Freundin per Mitfahrerrabatt die Hälfte davon, die 14-jährige Tochter und der 10-jährige Sohn fahren gratis mit. Da kann man nicht meckern. Hinzu kommt: Beim Kauf einer Bahncard gibt es für den Ehepartner und für Kinder bis zu 17 Jahren jeweils eine eigene Bahncard nahezu umsonst, das heißt gegen eine Bearbeitungsgebühr von 5 Euro. Sie ist voll gültig und kann auch einzeln genutzt werden. Der Kauf der Bahncard selbst wird statt heute 270 DM nur noch 60 Euro kosten. Die Bahncard wird übrigens auch zu Preisnachlässen beim Anmieten eines Smart-PKW – DB rent – oder eines Fahrrades – call a bike – am Zielbahnhof berechtigen. Aus all diesen Gründen haben die Fahrgast- und Um- weltverbände die geplante Fahrpreisreform der Deut- schen Bahn in der Tendenz positiv bewertet, zum Beispiel im Beschluss des Bundes für Umwelt- und Naturschutz: „Das geplante Fahrpreissystem der DB hat nach Meinung des BUND die Chance, das Bahnfahren attraktiver zu ma- chen und neue Kundenkreise für die Bahn zu gewinnen“. In den auch von uns kritisierten ersten beiden Punkten werden wir uns gemeinsam für Nachbesserungen einset- zen, damit Bahnfahren für alle billiger wird. Die berufe- nen Akteure dafür sind in erster Linie die Fahrgastver- bände, die wir dabei unterstützen sollten. Der Bundestag kann aber nicht über das Fahrpreissystem der DB AG be- schließen. Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Der Antrag des Kollegen Wolf ist ja eine wunderbare Sortierung von Be- griffen, Definitionen, kleinen Analysen, auch der einen oder anderen Anregung, insgesamt eine nette kleine Se- minararbeit. Nur – wir diskutieren heute nicht über die Bahnreform an sich, sondern auf deren Grundlage. Daher muss ich Ihnen leider sagen: Thema verfehlt! Nehmen Sie diese Note nicht zu schwer, denn nach der PISA-Studie sind Sie in Deutschland damit ja nicht der einzige. Ihr Antrag steht komplett in Widerspruch zur Richtung der Schienenverkehrspolitik der vergangenen Jahre mit der Bahnreform und völlig im Gleichklang mit den Ver- suchen Ihrer Partei, aus jeder irgendwo aufkommenden Schieflage einen Gerechtigkeitsfeldzug zu machen. Wie immer propagieren Sie scheinbar einfache Lösungen von- seiten des Staates, in diesem Fall durch eine verordnete Preissenkung. Die Bahn, die Ihnen vorschwebt, hat natürlich mo- dernste Züge, besten Service, ein ausgeklügeltes, weit- reichendes Angebot, ist höchst flexibel, fährt wahrschein- lich auch nur mit nicht atomarem Strom und – die Hauptsache – kostet den Kunden fast nichts, damit sich die erhoffte Lenkungswirkung einstellt. Dem Kollegen Wolf sei gesagt: Das ist doch zu einfach. Ihr System kostet den Bürger als Bahnkunden vielleicht kurzfristig weniger, den Bürger als Steuerzahler dafür umso mehr. Erinnern Sie sich an die Gründe für die Bahn- reform? Das Staatsbahnsystem hätte bis zum heutigen Tage den Haushalt gesprengt, wenn wir nicht umgesteu- ert hätten. Von der Reichsbahn wollen wir erst gar nicht reden. Allein das müsste schon als Begründung ausrei- chen, Ihren Antrag abzulehnen. Oberstes Prinzip der Bahnreform ist Effizienz, Wirt- schaftlichkeit und Subsidiarität. Dies kann nur durch Wettbewerb garantiert werden. Was vor Ort und im Un- ternehmen entschieden werden kann, soll auch dort ent- schieden werden. Wenn mehrere Unternehmen in Kon- kurrenz zueinander stehen, werden sie sich mit ihren Angeboten schon am Riemen reißen. Dafür brauchen wir keine obersten Planer, die alles organisieren, son- dern Unternehmen, die mit Phantasie Angebote machen. Genau deshalb haben wir bei der Bahnreform die Tarif- gestaltung auch aus der parlamentarischen Zuständig- keit herausgenommen. Dies können Sie den Abgren- zungskriterien für das parlamentarische Fragerecht entnehmen. Hier liegt der Hund denn auch begraben. Die Bundes- regierung schützt den Monopolisten DB AG und kümmert sich nicht genug um den Wettbewerb. Wir alle wissen, weshalb: Der Bundesverkehrsminister wird von seinem Kanzler kleingehalten, damit vor den Wahlen Ruhe herrscht und der Kanzler sich über jeden Reformbedarf hinüberlächeln kann. Natürlich gibt es auch berechtigte Kritik an dem Preis- system der DB AG. Aber wichtiger als staatliches Hinein- regieren in ein Unternehmen ist die Etablierung von Wett- bewerb, damit sich der Kunde in Zukunft aussuchen kann, welches Preissystem ihm gefällt. Ich habe gar nichts gegen die Preissystemideen von Herrn Wolf. Finden Sie doch ein Unternehmen, das mit diesem System auf den Markt geht, dann werden wir se- hen, ob es klappt. Ich würde mich sehr freuen, wenn end- lich andere Anbieter mit eigenen Tarifen und Angeboten an den Markt kämen. Warum sollte es nicht auch Billig- anbieter geben, bei denen man ohne Ledersitze, ohne Ver- köstigung und vielleicht auch nicht ganz so schick durchs Land saust und dafür auch weniger bezahlt? All das be- grüßt die FDP, nicht aber den Versuch, dem größten Bahnunternehmen oder auch allen par ordre du mufti die Preise zu diktieren. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 200221080 (C) (D) (A) (B) Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Nutzung satelliten- gestützter Erdbeobachtungsinformationen (Zu- satztagesordnungspunkt 7) Lothar Fischer (Homburg) (SPD): In den vergange- nen Jahren hat die Erdbeobachtung aus dem Weltraum mit zahlreichen Missionen uns allen ihre grundsätzlichen Möglichkeiten verdeutlicht. Mit anderen Worten: Dieser Zweig der Raumfahrt wird erwachsen. Er wächst aus sei- nen Kinderschuhen, die geprägt waren vom Erkenntnis- drang der Wissenschaftler und den Herausforderungen an die Ingenieure. Erwachsen werden heißt für mich, dass die satellitengestützte Fernerkundung kein Selbstzweck mehr sein darf, sondern dass ihr Nutzen für die Gesell- schaft in den Vordergrund zu rücken hat. Jährlich wendet allein das Ministerium für Bildung und Forschung gut 115 Millionen Euro für die Umweltbeobachtung per Sa- tellit auf. In diesem Jahr wird das mehr als eine Milliarde Euro teure, europäische Umweltlabor ENVISAT gestartet. Wenn der Start glückt, wird die wissenschaftliche Erdbe- obachtung einen Höhepunkt erreicht haben. In Teilbereichen der Erderkundung haben die deutsche Wissenschaft und Industrie weltweit Spitzenpositionen inne. An dieser Stelle möchte ich nur an die beiden Satel- liten ERS-1 und ERS-2 erinnern. Für beide allein hat das Forschungsministerium etwa 614 Millionen Euro aufge- bracht. Auf diese Erfolge können wir zu Recht stolz sein. Diese Erfolge allein reichen aber nicht aus. Eine gute In- vestition für unsere Gesellschaft stellen sie nur dar, wenn es gelingt, die Erdbeobachtung zu kommerzialisieren. Zukünftige Satelliten müssen die Interessen der Nutzer berücksichtigen. Die Datenkontinuität sowie ihre zeit- nahe Verfügbarkeit muss stimmen. Die Sensoren müssen höher auflösen und miniaturisiert sein. Kurz gesagt: Das Preis-Leistungsverhältnis muss stimmen. Erste Erfolge in diese Richtung gibt es bereits. Wenn wir diesen Weg weiter beschreiten, werden sich weitere kommerzielle Anwendungsfelder erschließen. Der Ver- trieb von Bilddaten und die daraus abgeleiteten Dienstleis- tungen versprechen rasch wachsende Märkte. Wenn uns das gelingt, werden die eingesetzten öffentlichen Mittel ihren Zweck erreicht haben, das heißt wirtschaftlichen Nutzen bringen und Arbeitsplätze schaffen. Die Erdbe- obachtung verspricht eine ähnliche kommerzielle Dyna- mik zu entwickeln wie der Kommunikations- und der Navigationsmarkt. Zukunftsorientierte Unternehmen müs- sen diese Chancen nutzen. Sie müssen ihrer Verantwor- tung gerecht werden. Der Staat kann hier nur die erfor- derlichen Rahmenbedingungen schaffen. Wir meinen aber auch, dass der Staat sich nicht seiner Verantwortung entziehen darf. Fakt ist, dass zumindest in der Anfangszeit der Staat, also Bund, Länder und Kom- munen, Hauptauftraggeber sein dürfte. Die Umwelt- und auch die Wirtschaftsüberwachung sind nun einmal ho- heitliche Aufgaben. In diesem Zusammenhang begrüßen wir es, dass die Bundesregierung 1998 einen interminis- teriellen Ausschuss für Geoinformationswesen – kurz: IMAGI – berufen hat, in dem die Konzeption für ein effi- zientes Datenmanagement für Geodaten auf Bundesebene entwickelt wurde. Angesichts der Ausgangslage hält die SPD-Fraktion eine Bilanz für erforderlich. Wir fordern deshalb alle in Betracht kommenden Ressorts auf, zu prüfen, in welchen Fällen die Daten aus dem Weltraum die kostengünstigere Alternative sein könnten. Zugleich sollen sie die Anfor- derungen an die Qualität und an die Quantität der Daten darstellen. Sicher, in Zeiten knapper Kassen werden wir hierdurch keinen Nachfrageboom auslösen. Das ist nicht der Punkt. Wichtig ist, dass der Bedarf dargestellt wird, Zielsetzun- gen formuliert werden und ein Planungsrahmen für die Wirtschaft erkennbar wird. Hierdurch verspreche ich mir wesentliche Impulse. Ausdrücklich begrüßen möchte ich zum Schluss, dass dieser Antrag auch die Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP gefunden hat. Ilse Aigner (CDU/CSU): Immer wieder hören wir von verheerenden Umweltkatastrophen und deren Auswir- kungen, die sich oft erst Jahre später in ihrem wirklichen Ausmaß präsentieren. Als jüngstes Beispiel ist uns allen der Vulkanausbruch im Kongo vor Augen. Damit ein ver- nünftiges Umweltmanagement möglich ist, brauchen wir eine neue bzw. in anderen Ländern bereits verwendete Art der Forschung. Diese sollte umweltverträglich, ressour- censchonend, nachhaltig und arbeitsplatzsichernd, wenn möglich sogar arbeitsplatzfördernd sein. In den USA und Frankreich wird bereits seit einigen Jahren die satellitengestützte Erdbeobachtung für eine verantwortliche Umweltpolitik genutzt. Nun wird es auch für Deutschland Zeit nachzuziehen. Schließlich ist Um- welt nicht nur eine nationale, sondern auch eine interna- tionale Problematik, die eine starke Verantwortung von uns abverlangt. Wir sind im Sinne der Nachhaltigkeit ver- pflichtet, den uns folgenden Generationen eine gesunde und stabile Grundlage für die Gesundheit und das Leben zu übergeben. Wie wichtig die Umwelt für unsere Ge- sundheit ist, brauche ich Ihnen ja nicht zu sagen, aber wir sollten uns dies immer wieder vor Augen halten. Damit eine enge Zusammenarbeit auf internationaler Ebene möglich ist – gerade mit dem Ziel eines gemeinsa- men Europas –, sollten auch die Grundvoraussetzungen der Umweltpolitik und Klimaforschung einheitlich sein. Nach den jetzigen Erfahrungen reicht zum Beispiel eine Kombination von Messungen am Boden, auf Schiffen und per Satelliten aus, um die Genauigkeit der CO2-Nettobi-lanzwerte verschiedener Staaten zu überwachen. Damit eine Kombination und Transferierung der großen Datenmengen möglich ist, muss Deutschland stark nacharbeiten und als gleichberechtigter Partner in die Definitionsphase der Erdbeobachtungsprogramme einbezogen werden. Leider ist die Finanzierung zusätzli- cher Aufgaben, wie die zusätzliche Auswertung der Daten Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002 21081 (C) (D) (A) (B) per Computersimulation, im Umweltbereich äußerst knapp bemessen. Damit möchte ich Sie, Herr Trittin, als zuständigen Umweltminister bitten, den Bereich der Umwelterfor- schung noch einmal wohlwollend, auch für eine beson- dere Art dieser Erforschung, zu prüfen. Schließlich dürfte Ihnen als Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen besonders an dem Erhalt der Umwelt gelegen sein. Immerhin sind Sie im Namen der Bundesrepublik Deutschland in Kioto Verpflichtungen eingegangen und haben Versprechungen gemacht, die sich nicht von selbst einlösen. Deshalb bedarf es einer ständigen Überprüfung, wie wichtige Erkenntnisse am besten und effektivsten erzielt werden können. Ein Erfolg versprechender Weg hierzu ist mit Sicherheit der Einsatz von Satellitentechnik. Das heißt, wir müssen die ständige Verbesserung der Satelli- ten unterstützen und fördern. Darin schließt sich aus der Sicht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auch die Weiter- entwicklung der Simulationsmodelle ein. Diese sind im Zusammenhang mit der satellitengestützten Erdbeobach- tung notwendig, um langfristige Trends im Erdsystem zu verstehen und besser beschreiben zu können, aber auch, um die verschiedenen Erdbeobachtungssysteme weiterzu- entwickeln und zu verbessern. Sicherlich können Kritiker sagen, dass man die Erde bereits von Flugzeugen aus beobachtet. Dies steht außer Frage, denn es ist auch weiterhin notwendig, diese Art der Erdbeobachtung fortzuführen. Allerdings erlaubt die Me- terauflösung bei der satellitengestützten Beobachtung eine sehr viel stärkere Inanspruchnahme. Die Daten kön- nen so genauer bestimmt und übermittelt werden. Des Weiteren ermöglichen sie eine genauere Aussage des Sachstandes. Es liegt allerdings an uns, einen sicheren Zugriff für die verschiedenen Nutzer zu gewährleisten. Dass dies wich- tig ist, sehen wir an dem bereits erwähnten aktuellen Bei- spiel, dem Vulkanausbruch im Kongo. Hätte man hier be- reits die Daten gehabt, wären jetzt noch viele Menschen am Leben. Die Katastrophenvorhersage als Maßnahme für eine verantwortungsvolle Politik ist eine völlig neue Möglichkeit. Nur müssen wir Politiker lernen, den Wis- senschaftlern zu vertrauen und unsere Politik in einigen Aspekten anzupassen. An diesem Beispiel ist der hohe Wert einer guten internationalen und ressortübergreifen- den Zusammenarbeit ersichtlich. Eine weitere Möglichkeit der satellitengestützten Erd- beobachtung ist die geoökologische Flächenkontrolle, die nicht nur von internationaler, sondern auch von großer na- tionaler Bedeutung ist. Das Bundesumweltministerium – da muss ich Sie und Ihr Ministerium auch einmal lobend erwähnen, Herr Trittin – hat ein Vorhaben geplant, in des- sen Rahmen eine regelmäßige und flächendeckende Be- urteilung des ökologischen Zustandes in Deutschland er- folgen soll. Diese Kartierung ist ein wichtiges Instrument für die folgenden politischen Entscheidungen. Dafür be- darf es eines Fernerkundungsverfahrens, das aus Rohda- ten eines Erdbeobachtungssystems die gewünschten In- formationen aktionsgerecht aufarbeitet. Im Rahmen der 5. Vertragsstaatenkonferenz der Kli- marahmenkonvention haben Deutschland und die EU ihre Vorreiterrolle im internationalen Klimaprozess unterstri- chen und sich für ein System der Erfüllungskontrolle ein- gesetzt. Dies setzt unter anderem die Verfügbarkeit geeig- neter Instrumente voraus. Diese müssen insbesondere die Erfassung der bisher umstrittenen CO2-Senken ermögli-chen. Hier weist das stark diskutierte Ergebnisprotokoll von COP 5 ausdrücklich auf die Eignung der Erdbeob- achtung hin. Aufgrund ihrer Eigenschaften, wie die hohe thermische und geometrische Genauigkeit, eignen sich die Erdbeobachtungsdaten ausgezeichnet für die Erstel- lung von Ergebnisprotokollen. Durch eine rechtzeitige Entwicklung entsprechender Datenprodukte kann Deutschland seine politische Vorreiterrolle im EU-Rah- men untermauern. Wie Sie sehen, ist die satellitengestützte Erdbeobach- tung für viele Ressortbereiche von großer Bedeutung. Die ständige Gewinnung von neuen Erkenntnissen und die Verwertung dieser sind bedeutende Bestandteile für eine gute und weiterführende Politik. Es gibt aber auch for- schungspolitische und industriepolitische Gründe dafür. Es wird seit vielen Jahren und auch in Zukunft die Erdbe- obachtung als ein wichtiger Schwerpunkt der Raumfahrt- forschung gesehen. Die Mittel, die in der Vergangenheit und auch in der Zukunft im Forschungsbereich investiert wurden und werden, sollen auch verstärkt in Anwendung bei allen Ressorts gebracht werden, wo sie sinnvoll und effektiv eingesetzt werden können. Durch die Förderung im Forschungsbereich sind er- hebliche und weltweit beachtliche Kernkompetenzen auf diesem Gebiet in der deutschen Wissenschaft und Indus- trie geschaffen worden, die wir weiter fordern und fördern sollten. Aus diesen Gründen hat sich die CDU/CSU-Frak- tion dem gemeinsamen Antrag angeschlossen. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Erdbeobachtung hat für Bündnis 90/Die Grünen die höchs- te Priorität in der Weltraumfahrtpolitik. Die Erdbeobach- tung ist mittlerweile in vielen wichtigen Bereichen ein wichtiges Instrument, das kaum noch wegzudenken ist. Allerdings ist die Erdbeobachtung auch kein Selbst- zweck. Auch sie muss sich jeweils nach ihrem Kosten- Nutzen-Verhältnis befragen lassen. Ohne die Erdbeobachtung wäre das Ozonloch vermut- lich erst Jahrzehnte später entdeckt worden. Ohne die Erd- beobachtung wäre die Klimaforschung kaum denkbar. Die Erdbeobachtung wird in den nächsten Jahren immer wichtiger werden. So wird sie bei der Überprüfung von Klimaschutzabkommen eine wichtige Rolle einnehmen. Auch bei der Bekämpfung des Hungers wird ihre Bedeu- tung zunehmen. Die Bedeutung der Erdbeobachtung geht aber über den Klimaschutz weit hinaus. Die Landwirtschaft wird in Zu- kunft in vielerlei Hinsicht von den Daten profitieren. Schädlinge werden sich besser bekämpfen und Trocken- bzw. Regenzeiten besser handhaben lassen. Die Vegeta- tion wird sich besser beobachten lassen. Auch der Hoch- wasserschutz wird durch die Erdbeobachtung eine neue Qualität erhalten. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 200221082 (C) (D) (A) (B) Erdbeobachtung wird auch eine immer wichtigere Rolle bei der Friedenssicherung und Konfliktminimie- rung spielen. So können Truppenbewegungen frühzeitig erkannt werden. Rüstungsprojekte werden immer schwe- rer zu vertuschen sein. Mit der zunehmenden Bedeutung der Erdbeobachtung nimmt aber auch die Datenmenge zu. Es wird daher auch immer wichtiger werden, die Daten zu erfassen und nutz- bar zu machen. Je breiter die Nutzungsmöglichkeiten der Erdbeobach- tung werden, desto wichtiger wird es werden, dass die po- tenziellen Nutzer hierüber informiert werden. Es ist daher folgerichtig, wenn die betroffenen Bundesministerien sich eine entsprechende Kompetenz aufbauen bzw. die vorhandene Kompetenz erweitern. Die vielfache Nutzung der Daten aus der Erdbeobachtung wird helfen, Kosten in vielen Verwaltungsbereichen zu reduzieren. Man denke hier nur an den Naturschutz, bei dem eine flächen- deckende Beobachtung zukünftig viel kostengünstiger möglich sein wird. Dort, wo Flugzeuge die Beobachtungstätigkeit effi- zienter gestalten können, sollten diese Priorität haben. In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Entwicklung von solarbetriebenen Flugzeugen zur Erderkundung in den USA hinweisen. Diese können in einigen Bereichen Satelliten ersetzen und Daten kostengünstiger liefern. Es ist grundsätzlich sinnvoll, die privaten Nutzer an den Kosten zu beteiligen; nur so können die Ausgaben opti- miert werden. Im öffentlichen Bereich darf eine stärkere Beteiligung der Nutzer an den Kosten nicht dazu führen, dass entsprechende Daten dann nicht erhoben werden – einfach weil die Mittel fehlen. Im Falle des BMU und des BMZ bestehen keine finanziellen Spielräume, um die mit- unter hohen Kosten decken zu können. Hier muss Vorsorge in Form einer Mittelaufstockung geleistet werden. An- sonsten besteht zum Beispiel die Gefahr, dass die Erdbe- obachtung und die Klimaforschung nicht mehr finanziert werden können. Dies würde auch die Verhandlungsposi- tion des Auswärtigen Amtes in Klimaschutzkonferenzen schwächen, denn hierzu werden wichtige Daten aus der Klimaforschung benötigt. Ulrike Flach (FDP): Um es gleich am Anfang zu sa- gen: Auch die FDP stimmt dem vorliegenden Antrag zu. Satellitengestützte Erdbeobachtung ist ein Zukunfts- thema, das leider nicht die nötige öffentliche Aufmerk- samkeit genießt. Bund, Länder, aber auch private Nutzer sind in vielfältigen Bereichen auf die Daten satellitenge- stützter Fernerkundung angewiesen. Leider ist die Koor- dination und Kooperation zwischen den Behörden in der Vergangenheit nicht immer optimal gelaufen. Der vorlie- gende Antrag erteilt der Bundesregierung einen Prüfauf- trag, festzustellen, für welche Aufgaben die Nutzung von Erdbeobachtungsdaten vorstellbar ist und wie es im Aus- land praktiziert wird. Geprüft werden soll weiterhin, wel- che Anforderungen an die Datenqualität, Datenmenge etc. gestellt werden und wie die Leistungsfähigkeit und Effi- zienz der Datendienste gesteigert werden kann. Das ist aber leider bereits alles, was in diesem Antrag steht. Es geht um einen reinen Prüfauftrag ohne Vorgaben oder Festlegungen, ohne Bezifferung von Kosten oder or- ganisatorische Vorschläge. Ich kann es Ihnen nicht ersparen darauf hinzuweisen, dass die FDP bereits am 28. Juni 2000 einen Antrag ein- gebracht hatte, der sich viel detaillierter und konkreter mit der satellitengestützten Erdbeobachtung beschäftigte, der genau sagte, welche Datenprodukte wir brauchen und was wir dafür ausgeben wollen. Damals gab es eine große in- haltliche Übereinstimmung bei allen Fraktionen und wir haben mehrfach versucht, diesen Antrag zu einem inter- fraktionellen Antrag zu machen. Ich darf daran erinnern, dass es die peinliche Uneinigkeit innerhalb der SPD war, die dafür gesorgt hat, dass es keinen interfraktionellen An- trag gab. Lothar Fischer war dafür, Bodo Seidenthal da- gegen. Wir haben dann nach endlosen quälenden Gesprächen gesagt: „Es reicht“ und unseren Antrag eingebracht. Sie haben ihn abgelehnt und im Bildungs- und Forschungs- ausschuss hat Herr Fischer angekündigt, nun würde man mit einem eigenen Antrag kommen. Dieser Antrag liegt nun vor und da wir uns nicht so kleinkariert verhalten wol- len wie Sie, haben wir diesem Antrag zugestimmt. Er wird in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus keine bleibenden Spuren hinterlassen, denn er ist so weichge- spült, dass jeder ihm zustimmen kann. Er wird aber auch nicht viel dazu beitragen, die so wichtige satellitenge- stützte Erdbeobachtung voranzubringen. Wir begehen 2002 das Jahr der Geowissenschaften. Wenn der Deutsche Bundestag nicht mehr zustande bringt als dieses Papierchen, dann wäre es ein höchst unrühm- liches Zeichen für den Stellenwert der Geowissenschaften in Deutschland. Angela Marquardt (PDS): Nachdem in vergangenen Jahren ausführlich über Satellitensysteme und die Nut- zung von Geodaten in diesem Hause debattiert wurde, kommt nun also noch ein Nachschlag. Der vorliegende Antrag – der inzwischen ja auch von Union und FDP un- terstützt wird – soll uns zu einem Einverständnis bezüg- lich einer Teilnahme Deutschlands an einer europäischen Kapazität für die globale Umwelt- und Sicherheitsüber- wachung ermuntern. Aus der BMBF-Presseerklärung vom 16. November 2001 wissen wir aber, dass Frau Bulmahn auf der ESA-Mi- nisterratskonferenz in Edinburgh die Teilnahme Deutsch- lands an diesem System längst zugesagt hat. Dort hat Deutschland „wissenschaftliche Projekte im Wert von rund 2 Milliarden Euro gezeichnet“. An dem zweiten ge- meinsamen Projekt von EU und ESA, nämlich dem be- sagten Umweltprogramm GMES, ist die Bundesregierung in der Definitionsphase gleich mit 25 Prozent beteiligt. Von 2002 bis 2006 sollen dafür ganze 20,8 Millionen Euro ausgegeben werden, wie uns in der Antwort auf unsere Kleine Anfrage mitgeteilt wurde. Dieses Verfahren der nachträglichen Legitimation durch den Deutschen Bundestag findet nicht gerade unse- ren Beifall. Ich will jedoch nicht nur etwas zum Verfahren Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002 21083 (C) (D) (A) (B) sagen, sondern auch zum Gegenstand selbst. Der Aus- schuss für Umwelt und Reaktorsicherheit hatte sich jüngst gegen ein zusätzliches Datenfernerkundungssystem für die Umwelt ausgesprochen, weil bestehende Datenfried- höfe erst einmal aufgearbeitet werden müssen. Sollte das nicht auch für die Globale Umwelt- und Sicherheitsüber- wachung, GMES, gelten? Ja, wenn es denn nur ein Umweltprogramm wäre! Bei genauerem Hinsehen hat das GMES aber noch ganz an- dere Seiten. Immerhin gelten auch die Bundesministerien für wirtschaftliche Entwicklung, Inneres und Verteidi- gung als „Nutzer-Ressorts“. Das macht auch Sinn. Denn im Aktionsplan 2001 bis 2003 heißt es, das GMES solle vor allem „die Ziele Europas in den Bereichen nachhal- tige Entwicklung und Weltordnungspolitik unterstützen“. In einem Vortrag vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik ordnete Rudolf Winter das GMES im Mai 2001 in den Kontext der europäischen Umwelt- und Sicherheitspolitik ein. Die Notwendigkeit des GMES wird im Bericht des NATO-Committee on the Challenges of Modern Society von 1999 wie folgt bestimmt: „Die NATO und ihre Mitgliedstaaten sind in zunehmendem Maße besorgt über nicht traditionelle Bedrohungen für die Sicherheit, darunter Auswirkungen von Umweltverände- rungen.“ Und: „Vorbeugende Maßnahmen gegen Um- welteinflüsse sind das effektivste Mittel zur Vermeidung von Umweltkonflikten.“ Anders gesagt: Die Rede ist von einem Wettstreit um die natürlichen Ressourcen. GMES soll offenbar eine Rolle bei der zukünftigen Sicherung von Bodenschätzen und Rohstoffquellen spielen. Es ist also auch ein Projekt zur Durchsetzung ökonomischer Interessen mit militäri- schen Mitteln. Das muss hier ausgesprochen werden. Daraus ergibt sich, dass die PDS dem GMES-Pro- gramm nicht nur aus fiskalischen Gründen ablehnend ge- genübersteht, sondern auch aus inhaltlichen. Wir sind also nicht beleidigt, dass man uns gar nicht erst gefragt hat, ob wir den fraktionsübergreifenden Antrag unterstützen wol- len. Falls doch noch jemand fragt: Wir wollen nicht. Wolf-Michael Catenhusen, Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung (SPD): Das BMBF begrüßt den fraktions- übergreifenden Antrag zur Nutzung satellitengestützter Erdbeobachtungsinformation. Seit langem fördert das BMBF die Entwicklung von Technologien und Verfahren für eine nachhaltige Nutzung des gesamten Spektrums der weltraumgestützten Erdbe- obachtung. Ein herausragendes Beispiel ist der europä- ische Umweltsatellit ENVISAT, dessen Start in den nächsten Wochen bevorsteht. Mit seinen neuartigen In- strumenten trägt er zur Beantwortung einer Reihe der drängendsten Fragen der globalen Umweltveränderungen bei. Waldschäden, Bodenerosion, Gewässer- und Meeres- verschmutzung, Belastung der Atmosphäre durch Schad- stoffe, Treibhauseffekt, Anstieg der UV-Strahlung sind ei- nige der Themen, zu denen Europa nun Daten einer völlig neuartigen Qualität zur Verfügung stehen werden. Dieser im Rahmen der europäischen Raumfahrtagentur reali- sierte Satellit trägt als Teil seiner Nutzlast auch das deutsch-holländische SCIAMACHY-Instrument, wel- ches in bisher unerreichter Genauigkeit die globale Ozon- schicht und eine ganze Reihe weiterer Spurengase messen kann. Erdbeobachtungsdaten sind unbedingte Voraussetzung für ein nachhaltiges Management unserer Ressourcen und für eine konsequent zukunftsorientierte Politik. Sowohl im Rahmen der Überwachung internationaler Konventio- nen und zur Erfüllung von Berichtspflichten beispiels- weise im Zusammenhang mit dem Kioto-Proto- koll, aber auch zur Verifizierung der Angaben anderer Länder im Zusammenhang mit internationalen Verhand- lungen besteht ein Bedarf an Erdbeobachtungsinforma- tionen. Daraus wird auch deutlich, dass Europa einen unab- hängigen und eigenständigen Zugang zu diesen Techno- logien braucht. Die Bundesregierung unterstützt deshalb nachdrücklich die GMES-Initiative der Europäischen Kommission. Auf der Ministerratskonferenz der ESA im November letzten Jahres haben wir das entsprechende ESA-Programm mit einem 25-prozentigen Beitrag ge- zeichnet. Deutschland hat damit in Europa eine Führungs- rolle in diesem Bereich. Immer mehr wird deutlich, dass neue Märkte für Dienstleistungen und Informationen aus Erdbeobach- tungsdaten entstehen. Der Blick nach USA zeigt: Staatli- che Nachfrage kann diese Märkte stützen und fördern. Auf der Grundlage einer Politik, die die konsequente Nut- zung von Erdbeobachtungsdaten durch staatliche Stellen vorsieht, konnte sich dort in den letzten fünf Jahren eine ganze Reihe von kommerziellen Anbietern hoch auflö- sender Erdbeobachtungsdaten entwickeln. Diese Unter- nehmen finanzieren heute selbst die Entwicklung, den Bau und den Start von Erdbeobachtungssatelliten. Auch in Deutschland entwickeln sich derzeit starke Initiativen zur kommerziellen Bereitstellung hochauflösender Erd- beobachtungsdaten. Diese Entwicklung gilt es durch eine konsequente Nutzung der Erdbeobachtungsdaten durch staatliche Stellen zu stützen. Satellitengestützte Fernerkundung bietet bei der Erfül- lung staatlicher Aufgaben gegenüber der konventionellen Datenerfassung eine ganze Reihe von Vorteilen: zeitliche Aktualität, räumliche Repräsentativität, Wiederholbarkeit und thematische Homogenität der Ergebnisse. Eine echte Kostenrechnung zeigt auch, dass in vielen Bereichen die Nutzung der Erdbeobachtung deutliche Kostenvorteile er- gibt. Die Europäische Kommission konnte dies in letzten Jahren beispielsweise sehr erfolgreich bei der großräumi- gen Kontrolle von Agrarsubventionen demonstrieren. Dennoch bleibt zurzeit – in Deutschland wie auch bei der EU – die tatsächliche Nutzung moderner Erdbeobach- tungstechnologien zur Erfüllung staatlicher Aufgaben noch deutlich hinter ihrem Potenzial zurück. Die Nutzungsmöglichkeiten sind vielfältig. Offen- sichtlich ist die Nutzung im Zusammenhang mit Umwelt- fragen: Gerade Fragen globaler Dimension wie die Aus- dünnung der stratosphärischen Ozonschicht profitieren von dem globalen Überblick, der nur durch weltraumba- sierte Erdbeobachtung möglich ist. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 200221084 (C) (D) (A) (B) Aber denken Sie auch an das Potenzial beim schnellen und effizienten Management von Katastrophen wie Hoch- wasserereignisse oder – ganz aktuell – einem verheeren- den Vulkanausbruch. Satellitendaten ermöglichen hier in- nerhalb kürzester Zeit eine klare Einschätzung der Gesamtlage, auch als Planungsgrundlage für den Einsatz der Hilfskräfte. Technologien und Verfahren sind in den letzten Jahren mit intensiver Unterstützung des BMBF entwickelt und in Pilotprojekten erprobt worden. Beispielhaft seien ge- nannt: Hochwasservorhersagen für Neckar und Mosel zu- sammen mit der Hochwasservorhersagezentrale in Ba- den-Württemberg; im Küstenschutz die Veränderung des Elbe-Ausflusses in die Nordsee zusammen mit der Bun- desanstalt für Wasserbau; in der Forstwirtschaft die Er- fassung des Waldzustandes im Erzgebirge und im bayeri- schen Wald zusammen mit der Landesanstalt für Wald und Forsten in Sachsen und dem Bayerischen Landesamt für Wald und Forsten. Jetzt ist es an der Zeit, sie in die operationelle Nutzung zu überführen. Die Beispiele zeigen, wie satellitenge- stützte Erdbeobachtung bei praktischen Problemen helfen kann. Es ist nicht nur der Bund mit seinen Ressorts und nachgeordneten Behörden, es sind ganz wesentlich auch die Länder gefordert, sich die Möglichkeiten moderner Satellitentechnik zu erschließen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002 21085 (C)(A) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421200000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich
einigen Kolleginnen und Kollegen, die in der Weih-
nachtspause einen runden Geburtstag begingen, gratulie-
ren. Der Kollege Dr. Klaus Kinkel und die Kollegin
Regina Schmidt-Zadel feierten ihren 65. Geburtstag, die
Kollegin Anke Hartnagel sowie die Kollegen Klaus-
Jürgen Hedrich und Bernd Neumann jeweils ihren
60. Geburtstag. Im Namen des Hauses spreche ich den
genannten Kolleginnen und Kollegen herzliche Glück-
wünsche aus.


(Beifall)

Die Fraktion der PDS teilt mit, dass die Kollegin

Dr. Heidi Knake-Werner aus dem Gemeinsamen Aus-
schuss nach Art. 53 a des Grundgesetzes als stellvertre-
tendes Mitglied und aus dem Wahlprüfungsausschuss
gemäß § 3 Abs. 2 des Wahlprüfungsgesetzes als beraten-
des Mitglied ausscheidet. Nachfolger im Gemeinsamen
Ausschuss soll der Kollege Rolf Kutzmutz und Nach-
folgerin im Wahlprüfungsausschuss soll die Kollegin
Dr. Evelyn Kenzler werden. Sind Sie damit einverstan-
den? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so be-
schlossen und dann sind der Kollege Rolf Kutzmutz als
stellvertretendes Mitglied im Gemeinsamen Ausschuss
sowie die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler als beratendes
Mitglied im Wahlprüfungsausschuss bestimmt.


(Beifall bei der PDS)

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene

Tagesordnung um weitere Punkte, die Ihnen in einer Zu-
satzpunktliste vorliegen, zu erweitern:

2. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
gemäß Anlage 5 Nr. 1 Buchstabe b GO-BT zu den Antworten
der Bundesregierung auf die Dringlichkeitsfragen auf
Drucksache 14/8023 zu den Äußerungen des tschechischen
Ministerpräsidenten Milos Zeman

3. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Haltung
der Bundesregierung zu verschiedenen Aussagen derUnion
in der Haushalts- und Steuerpolitik

4. Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Das Kioto-Protokoll rati-
fizieren und zum Weltgipfel 2002 in Johannesburg in Kraft
setzen – Drucksache 14/8026 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek,
Dr. Christian Ruck, Cajus Caesar, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU: Kioto – Bonn – Marrakesch, ein
wichtigerSchritt fürdie internationale Klimapolitik – Druck-
sache 14/8028 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

6. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel,
Dr. Ditmar Staffelt, Dr. Axel Berg, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Werner Schulz

(Leipzig), Hans-Josef Fell, Andrea Fischer (Berlin), weiterer

Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN: Nationales Luftfahrtforschungsprogramm fort-
setzen – Drucksache 14/8027 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

7. Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU,
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP: Nutzung
satellitengestützter Erdbeobachtungsinformationen – Druck-
sache 14/8034 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

20911


(C)



(D)



(A)



(B)


212. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002

Beginn: 9.00 Uhr

Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

8. Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Reform der Gemeinde-
finanzen – Drucksache 14/8025 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Innenausschuss

9. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes für die Erhaltung, die Mo-
dernisierung und den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung

(Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz) – Drucksachen 14/7024,

14/7086 – (Erste Beratung 193. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirt-
schaft und Technologie (9. Ausschuss) – Drucksache 14/8059 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Volker Jung (Düsseldorf)


10. Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Eva
Bulling-Schröter, Rolf Kutzmutz, Ursula Lötzer, weiteren Ab-
geordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Sicherung und zum Ausbau der gekoppelten
Strom- und Wärmeerzeugung (KWK-Gesetz) – Drucksache
14/2693 – (Erste Beratung 91. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirt-
schaft und Technologie (9. Ausschuss) – Drucksache 14/8048 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Walter Hirche

11. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der PDS: Haltung
der Bundesregierung zu aktuellen Veröffentlichungen über
einen Einsatz eines V-Mannes im NPD-Vorstand

Des Weiteren wurde vereinbart, die zweite und dritte
Beratung des Gesetzentwurfs zur Umsetzung der Richt-
linie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Er-
findungen – Tagesordnungspunkt 20 – abzusetzen.

Außerdem mache ich darauf aufmerksam, dass der un-
ter Tagesordnungspunkt 15 aufgeführte Koalitionsantrag
zur Nutzung satellitengestützter Erdbeobachtungsinfor-
mationen durch einen gemeinsamen Antrag der Fraktio-
nen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grü-
nen und der FDP – Drucksache 14/8034 – ersetzt wurde
und als Zusatzpunkt 7 aufgerufen wird.

Schließlich mache ich auf nachträgliche Ausschuss-
überweisungen im Anhang zur Zusatzliste aufmerksam:

Der in der 208. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich
dem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
zur Mitberatung überwiesen werden.

Gesetzentwurf der Bundesregierung zurNeurege-
lung des Waffenrechts (WaffRNeuRegG)

– Drucksache 14/7758 –
überwiesen:
Innenausschuss (f)

Sportausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Tourismus

Der in der 209. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem
Sportausschuss zur Mitberatung überwiesen werden.

Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus Kinkel, Carl-
Ludwig Thiele, Hildebrecht Braun (Augsburg),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP:
Umsatzbesteuerung von Sportanlagen wirt-
schaftsfreundlich gestalten
– Drucksache 14/7813 –
überwiesen:
Finanzausschuss (f)

Innenausschuss
Sportausschuss

Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen wir
einen Geschäftsordnungsantrag behandeln. Die Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen haben
fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung um die
Beratung ihres Antrags mit dem Titel „Vorhaben
zukünftiges Transportflugzeug A400M“ zu erweitern
und diesen Antrag mit einer Debattendauer von einer hal-
ben Stunde im Anschluss an Tagesordnungspunkt 11 zu
beraten.

Das Wort zu diesem Geschäftsordnungsantrag hat der
Herr Kollege Wilhelm Schmidt, SPD-Fraktion.


Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1421200100
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Dass wir die heutigen Plenarberatun-
gen mit einer Geschäftsordnungsdebatte beginnen müs-
sen, ist ebenso überflüssig wie unverständlich. Wir haben
uns unter den Geschäftsführern vergeblich bemüht, zu ei-
ner Einigung darüber zu kommen, dass der Antrag „Vor-
haben zukünftiges Transportflugzeug A400M“ hier de-
battiert wird. Das ist deswegen unverständlich, weil auch
in den Reihen der Opposition offensichtlich Einverständ-
nis darüber besteht, dass ein solches Flugzeug beschafft
werden soll und dass die Grundlagen dafür im parlamen-
tarischen Verfahren hergestellt werden sollen. Nun bieten
wir Ihnen dieses an und Sie lehnen das ab. Irgendwo
kommt man da nicht mehr so ganz mit.

Sie haben selbst erklärt – das erhöht das Unverständnis
gegenüber dem Verhalten der Opposition und insbeson-
dere der CDU/CSU –, dass Sie zu dem von uns ein-
gebrachten Antrag Änderungsanträge einbringen werden.
Warum wollen Sie dann hier keine Debatte zulassen und
erzwingen eine Geschäftsordnungsauseinandersetzung?
Ich denke schon, dass Sie da sehr unkoordiniert und
widersprüchlich handeln.

Wir werden unseren Antrag, den der Herr Präsident
schon vorgestellt hat, aufrechterhalten. Wir wollen heute
Nachmittag diese Debatte führen, um die Grundlagen für
die Airbus-Beschaffung zu legen. Wir bitten Sie um Ihre
Zustimmung; vielleicht kommen Sie ja im Laufe des Ta-
ges doch noch zu einer entsprechenden Haltung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Präsident Wolfgang Thierse
20912


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421200200
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Hans-Peter Repnik, CDU/CSU-Fraktion.

Hans-Peter Repnik (CDU/CSU) (von der CDU/CSU
mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine sehr verehr-
ten Damen und Herren! Was vom Herrn Kollegen
Schmidt so harmlos vorgetragen wird und sich so harm-
los anhört, ist ein weiteres dreistes Kapitel aus dem Toll-
haus verfehlter rot-grüner Regierungspolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Michael Glos [CDU/CSU]: So ist das!)


Einmal mehr wird der Versuch unternommen zu tricksen,
zu täuschen und Ressortstreitigkeiten innerhalb der Bun-
desregierung zu überdecken.

Um es vorweg zu sagen: Wir, die CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion, widersprechen der Aufsetzung. Wir be-
grüßen als Fraktion ganz eindeutig die grundsätzliche
Bereitschaft der Bundesregierung, in dieser Frage, die
Lufttransportflotte zu modernisieren, endlich zu handeln.

Die geplante Beschaffung des neuen Transporters
kostet Geld, wie wir wissen. Es kostet das Geld des Steu-
erzahlers. Dafür gibt es ja seit Jahrzehnten ein eingefah-
renes Regelwerk, das einzuhalten ist. Der von Verteidi-
gungsminister Scharping am 18. Dezember letzten Jahres
unter Parlamentsvorbehalt unterzeichnete Vertrag über
die Beschaffung von 73 Maschinen des Typs A400M ist
so lange schwebend unwirksam, bis wir, die Abgeord-
neten des Deutschen Bundestages, die entsprechenden Fi-
nanzmittel im Bundeshaushalt 2002 bereitgestellt haben.

Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis möchte ich gerne
aus einem Brief zitieren, den Sie meinem Fraktionsvor-
sitzenden Friedrich Merz am 28. Dezember 2001 zukom-
men ließen, in dem Sie auf sein Schreiben antworteten.
Der Präsident trägt in diesem Brief vor – ich darf ihn zi-
tieren:

Nach den mir vorliegenden Informationen gehe ich
allerdings davon aus, dass Rechte des Parlaments,
insbesondere seine Budgethoheit nicht berührt sind,
da die Verträge gerade unter dem Vorbehalt der Zu-
stimmung des Parlaments unterzeichnet wurden und
deshalb erst rechtswirksam werden können, wenn
der Bundestag sie billigt und die entsprechenden
haushaltsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen
sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nichts anderes, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ha-
ben wir seitens der CDU/CSU-Fraktion vor.

Mit dem Antrag, den die SPD heute auf die Tagesord-
nung zwingen und abstimmen lassen will, ist genau diese
haushaltsrechtliche Situation nicht gegeben. Von daher
sind wir der Überzeugung, dass wir anders prozedieren
sollen.

Man muss nicht unbedingt Jurist sein, um den Straftat-
bestand zu erahnen, der erfüllt wird, wenn man durch Vor-
täuschung falscher Tatsachen beim Vertragspartner mög-

liche finanzielle Verpflichtungen auslöst. Auch dies darf
ich vielleicht am Rande erwähnen.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Was heißt denn das? Was wollen Sie damit unterstellen? Sagen Sie mal, was Sie damit unterstellen wollen! Erklären Sie das mal!)

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN)
– Herr Kollege Struck, Sie kokettieren immer damit, dass
Sie sich in Haushalts- und Finanzfragen auskennen. Die-
jenigen, die sich mit dem Haushaltsrecht auskennen, wis-
sen, dass nur im Wege eines Nachtragshaushaltes der
Parlamentsvorbehalt gegenüber dem vom Verteidigungs-
minister unterzeichneten Beschaffungsvertrag beseitigt
werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich füge hinzu, um unsere grundsätzliche Bereitschaft

zu diesem Vorhaben noch einmal zu dokumentieren:
Wir haben in den Haushaltsberatungen des vergangenen
Herbstes gerade hierzu Anträge gestellt. Diese Anträge
sind von der Koalitionsmehrheit abgelehnt worden. Wir
haben auch in den Gesprächen in der letzen Woche – Herr
Kollege Schmidt, auch in unseren bilateralen Gesprächen –
konkret angeboten, sehr schnell einen Nachtragshaushalt
zu verabschieden, weil wir der Meinung sind: Die Bun-
deswehr hat es verdient, dass diese Beschaffungsmaßnah-
men vorgenommen werden, und unsere ausländischen
Vertragspartner müssen Rechtssicherheit in dieser Frage
bekommen. Das geht aber nicht ohne einen Nachtrags-
haushalt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind der
Überzeugung, dass wir dieses Verfahren heilen können,
und zwar auf ordentlichem Weg mit einem Nachtrags-
haushalt. Der Antrag, den die Koalition einbringt und
heute verabschieden lassen will, heilt diesen Mangel je-
doch nicht. Er stellt weder für die Bundeswehr noch für
unsere ausländischen Vertragspartner Rechtssicherheit
her. Deshalb finden wir, dass dieser Antrag heute nicht auf
die Tagesordnung gehört,


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Er ist unzulässig!)


weil wir damit einen Nachtragshaushalt beschließen. Ich
bitte daher das Hohe Haus, unserem Antrag, der Aufset-
zung zu widersprechen, zuzustimmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421200300
Ich erteile das Wort
der Kollegin Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die
Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

bisher habe ich die Position der Union so verstanden,
dass sie das Airbus-Projekt will. Wenn Sie jetzt davon
reden, wir würden mit diesem Antrag falsche Tatsachen






(C)



(D)



(A)



(B)


vorspiegeln, dann frage ich Sie ganz klar, ob Sie Ihre Zu-
stimmung wieder zurücknehmen oder infrage stellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Von Tricksen und Täuschen kann überhaupt nicht die
Rede sein. Es ist richtig, dass wir einen Parlamentsvorbe-
halt wollen. Wir werden diesem Parlamentsvorbehalt mit
dem Beschluss, den wir heute selbstverständlich fassen
werden, auch gerecht.

Es ist richtig, dass wir ein haushaltsrechtlich einwand-
freies Verfahren brauchen. Diesem haushaltsrechtlich ein-
wandfreien Verfahren werden wir mit dem Beschluss, den
wir heute fassen werden, gerecht. Wir werden nämlich ei-
nen Teil des Geldes jetzt und den zweiten Teil des Geldes
im Haushalt 2003 darstellen. Richtig ist übrigens auch,
dass wir eine hohe Verbindlichkeit unseren Partnern ge-
genüber brauchen. Auch das werden wir mit dem Antrag
heute deutlich machen, es sei denn, die Union will ihre
Zustimmung zu dem Projekt, die sie signalisiert hat,
zurücknehmen.

Ich glaube, dass wir ganz klar und einwandfrei, ohne
Tricksen und Täuschen heute über diesen Antrag beraten
können. Ich kann Sie nur auffordern, ihn entsprechend zu
unterstützen und nicht vor dem Hintergrund von Wahl-
kampftrara zu versuchen, das Projekt zu verhindern. Sie
tun sich und dem Projekt damit keinen Gefallen


(Zuruf von der CDU/CSU: Sie glauben doch selber nicht, was Sie da sagen!)


und Sie tun der europäischen Verteidigungspolitik keinen
Gefallen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sie tun sich auch keinen Gefallen im Umgang mit dem Parlament!)


Sie tun vor allen Dingen dem Parlament keinen Gefallen,
wenn Sie hier falsche Tatsachen vorspiegeln, Herr
Repnik.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421200400
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Jürgen Koppelin, FDP-Fraktion.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1421200500
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Vor sieben Wochen stand der
Bundesfinanzminister an diesem Pult und erklärte, das sei
die letzte Haushaltsdebatte in dieser Legislaturperiode.
Wie wir sehen, hat nicht einmal das gestimmt.

Mit dem Antrag, den die Koalition heute auf die Ta-
gesordnung setzen will, eröffnet sie die Debatte um den
Bundeshaushalt 2002 neu. Es zeigt sich bereits nach sie-
ben Wochen: Ihr Haushalt ist mehr Schein als Sein.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Gegen den Rat der Opposition, gegen unsere Anträge

haben Sie sich dazu entschlossen, Mittel für die Beschaf-

fung von 45 Flugzeugen im Bundeshaushalt einzustellen.
Am Parlament vorbei hat der Bundesverteidigungsmi-
nister wenige Tage später einen Vertrag über 73 Flug-
zeuge unterzeichnet. Er hat das getan, obwohl er wusste,
dass ihm dafür nicht die finanziellen Mittel zur Verfügung
stehen. Er hat es getan, obwohl ihm die Abgeordneten der
rot-grünen Koalition im Haushaltsausschuss deutlich ge-
macht haben, dass er das Geld nur für 45 Flugzeuge be-
kommt und keine Mark mehr erhält. Die Konsequenz da-
raus war natürlich die Ablehnung aller Anträge der
Opposition durch die Koalition.

Man darf hier festhalten: Der Bundeshaushalt ist ein
Gesetz. In namentlicher Abstimmung haben der Bundes-
kanzler und der Bundesverteidigungsminister diesem
Haushalt zugestimmt, in dem steht: 45 Flugzeuge und
kein Stück mehr. Das müssen wir festhalten. Das war vor
sieben Wochen.

Woher hat der Verteidigungsminister sich nun das
Recht genommen, für 73 Flugzeuge zu unterschreiben?
Von solider Regierungsarbeit kann da ja wohl nicht die
Rede sein.

Heute wollen Sie mit Ihrem Antrag Ihre falsche Ent-
scheidung von vor sieben Wochen korrigieren, und das,
liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, ohne eine
Beratung des Haushaltsausschusses, in einem Schnell-
verfahren quasi am Parlament vorbei.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch nicht am Parlament vorbei!)


– Entschuldigung, darauf komme ich gleich, Kollege
Schlauch.
Sie begehen einen eindeutigen Verstoß gegen Art. 110 des
Grundgesetzes.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ihr wollt doch die Debatte verhindern! – Gegenruf des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sie missachten das Budgetrecht des Parlaments! –)


Ein von der FDP in Auftrag gegebenes Gutachten des
Wissenschaftlichen Dienstes und die Stellungnahme des
Bundesrechnungshofs, die wir vor zwei Tagen bekommen
haben, sagen deutlich: Sie können nur durch einen Nach-
tragshaushalt heilen; nur mit einem Nachtragshaushalt
kann die Unterschrift des Verteidigungsministers Gültig-
keit erlangen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: So ist es!)

Da Sie in der Koalition anscheinend Probleme mit dem

Art. 110 des Grundgesetzes haben, darf ich Ihnen mit Er-
laubnis des Präsidenten den Kommentar dazu vorlesen:

Soweit die Exekutive über die betreffende
Planungsperiode hinaus Verpflichtungen eingehen
will, zum Beispiel durch Verträge oder Bewilli-
gungsbescheide für längerfristige Vorhaben, die
zwangsläufig zu kassenmäßigen Ausgaben in späte-
ren Haushaltsjahren führen, braucht sie dafür so ge-
nannte Verpflichtungsermächtigungen. Andernfalls
könnte die Exekutive durch rechtlich bindende Vor-




Katrin Göring-Eckardt
20914


(C)



(D)



(A)



(B)


verfügungen das Budgetrecht des Parlaments aus-
höhlen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Würden wir heute Ihrem Antrag zustimmen und ihn auf

die Tagesordnung setzen, so wie Sie das wollen, würden
wir das Budgetrecht des nächsten Parlaments aushöhlen.
Absichtserklärungen für eine künftige Bundesregierung,
liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, die Sie
hier beschließen wollen, können Sie aber auch nicht ab-
geben; denn die nächste Bundesregierung wird ja nicht
von Rot-Grün gestellt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und bei dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Warum Sie keinen Nachtragshaushalt vorlegen, das
wissen wir. Der Bundesfinanzminister müsste dann näm-
lich auch zur Konjunktur, zum Arbeitsmarkt und zur mit-
telfristigen Finanzplanung Stellung nehmen. Diese Bilanz
würde für Sie katastrophal und furchtbar aussehen.

Der Antrag, den Sie heute auf die Tagesordnung setzen
wollen, klärt nichts und lässt alle haushaltsrechtlichen
Fragen unbeantwortet. Die Unterschrift des Bundesver-
teidigungsministers ist haushaltsrechtlich nicht abgesi-
chert, ist ein Verstoß gegen das Haushaltsrecht.

Man merkt, dass Sie ein schlechtes Gewissen haben.
Sie wollen diesen Antrag heute auf die Tagesordnung set-
zen lassen und etwa um 22 Uhr, also zu später Stunde,
wenn die Journalisten nach Hause gegangen und die Ka-
meras abgeschaltet sind, beraten lassen. Warum scheut Ihr
Antrag eigentlich das Tageslicht?


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir werden Ihrem Ansinnen, diesen Antrag heute auf

die Tagesordnung zu setzen, nicht zustimmen. Sie können
von der Fraktion der Freien Demokraten nicht erwarten,
dass sie sich an einem Rechtsbruch beteiligt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421200600
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Rolf Kutzmutz, PDS-Fraktion.


Rolf Kutzmutz (PDS):
Rede ID: ID1421200700
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Es scheint sinnvoll und überzeugend zu sein,
dass ein Antrag auf die Tagesordnung gesetzt wird, um
eine parlamentarische Befassung mit dem Militärairbus
A400M zu erreichen. Schließlich ist in den letzten Tagen
sehr viel darüber diskutiert worden. Immer wieder und
quer durch alle Parteien wird darauf verwiesen, dass mit
der Unterschrift gegen das Parlamentsrecht verstoßen
worden ist und dass das Parlament außen vor gelassen
wird.

Es scheint aber nur sinnvoll zu sein; denn mit dem An-
trag, der heute auf die Tagesordnung gesetzt werden soll
– unabhängig von der Zeit; Herr Koppelin hat gesagt, er
werde dann um 21 oder 22 Uhr – mit einer Debattenzeit
von gerade einmal 30 Minuten beraten –, wird das nicht
geheilt. Dagegen spricht auch nicht die Geschäftsord-

nung. Ich meine, es geht um eine Größenordnung, bei der
es erforderlich ist, dass wir im Parlament sehr ausführlich
diskutieren und keine Vorabzustimmung geben sollten.
Ich halte eine Debatte zu dieser Zeit und in diesem Um-
fang für eine Farce.

Schließlich soll mit diesem Antrag die Absicht der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
begründet werden, über die Finanzierung weiterer 33 Mi-
litärairbusse mit einem Volumen von mehr als 3,5 Milli-
arden Euro mit dem Bundeshaushalt 2003 zu entscheiden.
Damit wäre der Parlamentsvorbehalt nach Ihrer Auffas-
sung aufgehoben. Würden wir der Aufsetzung zustimmen
und würde damit eine Mehrheit diesem Antrag die Zu-
stimmung geben, wäre das Budgetrecht des Parlaments
ausgehöhlt und – das wurde hier schon gesagt – das
Grundgesetz, besonders Art. 110, verletzt.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wenn Sie wollen, dass die Bundeswehr mit 73 Mi-
litärairbussen ausgestattet wird – wir wollen das nicht –,
dann können Sie den Parlamentsvorbehalt nach gelten-
dem Recht mit einem Nachtragshaushalt 2002, über den
im Haushaltsausschuss des Bundestages und im Plenum
gründlich diskutiert werden muss, auflösen. Mit der heu-
tigen Aufsetzung des Antrags würde dieses verfassungs-
und budgetrechtlich vorgesehene Prozedere umgangen.
Dem können wir nicht zustimmen; deshalb stimmen wir
auch Ihrem Antrag nicht zu.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421200800
Wir kommen zur Ab-
stimmung. Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Aufsetzungs-
antrag ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen angenommen. Damit wird der Antrag mit dem Ti-
tel „Vorhaben zukünftiges Transportflugzeug A400M“
heute nach Tagesordnungspunkt 11 beraten.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-

regierung
Bericht der Bundesregierung zur auswärtigen
Kulturpolitik 2000
– Drucksache 14/6825 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Auswärtiger Ausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des

(3. Ausschuss)

Dr. Helmut Haussmann, Ina Albowitz, Hildebrecht




Jürgen Koppelin

20915


(C)



(D)



(A)



(B)


Braun (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
„Public Private Partnership“ in der auswärti-
gen Kulturpolitik
– Drucksachen 14/5963, 14/7253 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Monika Griefahn
Ruprecht Polenz
Rita Grießhaber
Ulrich Irmer
Wolfgang Gehrcke

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Kultur und Medien

(23. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

Monika Griefahn, Eckhardt Barthel, Hans-Werner
Bertl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD sowie der Abgeordneten Rita Grießhaber,
Dr. Antje Vollmer, Kerstin Müller (Köln), Rezzo
Schlauch und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Auswärtige Kulturpolitik für das 21. Jahrhun-
dert
– Drucksachen 14/5799, 14/7380 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Norbert Lammert
Rita Grießhaber
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)

Dr. Heinrich Fink

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Monika Griefahn, SPD-Fraktion.


Monika Griefahn (SPD):
Rede ID: ID1421200900
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Wie man so schön sieht:

Eine vollkommene Menschheit wird es natürlich nie
geben.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das interessiert sie alle offensichtlich sehr, was Sie zu sagen haben!)


– Tja, das ist so.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Herr Präsident, sor gen Sie doch bitte für Ruhe!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421201000
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich bitte diejenigen, die den Saal verlassen
wollen, das möglichst umgehend zu tun, damit sich die
Rednerin Gehör verschaffen kann.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Es ist schön, wenn zwei Drittel der eigenen Fraktion gehen, wenn man redet, nicht wahr?)



Monika Griefahn (SPD):
Rede ID: ID1421201100
Es ist schön, dass Sie alle da
sind.

Eine vollkommene Menschheit wird es natürlich nie
geben. Was wir erreichen können, ist, dass immer
mehr Menschen zum Gespräch bereit werden, dass
sie sich toleranter und friedlicher verhalten. Dadurch
werden die zerstörerischen Kräfte zurückgedrängt.
Das allein wäre schon ein Fortschritt.

Diese Worte des Dalai-Lama zeigen eindrücklich, worum
es in der auswärtigen Kulturpolitik noch mehr denn je ge-
hen muss.

„Rohstoff des Friedens ist Verständigung“, hat uns
Hilmar Hoffmann in seiner Abschiedsrede am
18. Januar 2002 ins Stammbuch geschrieben. Seit den Er-
eignissen vom 11. September 2001 bekommt unsere Dis-
kussion um den Dialog der Kulturen eine neue Dimen-
sion. Wir haben uns im letzten Jahr intensiv damit
beschäftigt; jetzt wird es noch aktueller. Heute wird ein
Friedensgebet der Weltreligionen in einem Sonderzug
von Rom nach Assisi stattfinden. Dort wird eine Verstän-
digung der Religionen – dort sind die Sikhs, die Katholi-
ken, die Juden und die Moslems alle zusammen – ange-
strebt. Das ist ein gutes Signal.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gestern Abend hat im Goethe-Institut in Berlin ein an-
deres Projekt begonnen: die Kulturkarawane Qafilat
as-Salam,mit der 800 Künstler aus diversen Ländern ver-
suchen, gemeinsam Projekte zu erarbeiten, um in einen
interkulturellen Dialog zu kommen. Auch das ist ein Pro-
jekt, mit dem man versucht, die Verständigung zwischen
den Kulturen und Religionen voranzubringen. Das ge-
schieht mit Unterstützung unserer Goethe-Institute.

Wenn wir uns die Taten vom 11. September anschauen,
fragen wir uns: Haben wir eine Chance, solche Anschläge
in Zukunft auch durch Dialoge und eine entsprechende
Ausrichtung der Politik zu verhindern? Ich formuliere
dies bewusst als Frage.

Der Dalai-Lama hat sicherlich Recht, wenn er sagt,
dass Gespräche die Grundlage für ein friedliches Mitei-
nander sind. Aber wen können wir, wen kann die auswär-
tige Kulturpolitik damit erreichen? Wie kann der Dialog
der Kulturen – letztes Jahr wurde von der UN immerhin
das Jahr des Dialogs der Kulturen ausgerufen – im Ein-
zelfall ausgestaltet werden? Was kann er tatsächlich be-
wirken?

Wir diskutieren über diese Fragen und die Neuausrich-
tung der auswärtigen Kulturpolitik. Seit den Geschehnis-
sen im September führen wir wieder die Debatte über die
Frage, ob es einen Kampf der Kulturen gibt. Huntington
hat Konjunktur. Das geht meiner Meinung nach in die
falsche Richtung. Der Bundeskanzler hat von einem
„Kampf um die Kulturen“ gesprochen. Das ist der richtige
Ansatz.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)





Präsident Wolfgang Thierse
20916


(C)



(D)



(A)



(B)


Auch wenn ich in diesem Zusammenhang weniger
vom Kämpfen sprechen möchte, so ist doch klar, was da-
mit gemeint ist: Wir sollten uns darum bemühen, in den
internationalen Beziehungen Strukturen zu schaffen und
zu fördern, die dazu geeignet sind, dass sich Menschen
begegnen und in einen Austausch über Vorstellungen,
Werte und Ideen treten können.

„Das kommunikative Kapital ist ein verderblich Gut“,
sagte Hoffmann am letzten Freitag. Wir sind jetzt mehr
denn je gefordert, dieses „kommunikative Kapital“ zu sta-
bilisieren und zu akkumulieren, damit es nicht verloren
geht. Es ist ein integraler Bestandteil der Außenpolitik
und hat ein enormes Potenzial, um einen wirklichen Dia-
log der Kulturen im Sinne der gegenseitigen Verständi-
gung, um Toleranz und vor allem um Konfliktprävention
zu ermöglichen. Die Herstellung und Gewährleistung der
Sicherheit nach innen und außen ist nicht allein eine An-
gelegenheit der Polizei bzw. der Militärkräfte. Es ist eben
nicht die Ultima Ratio, sondern die „Prima Ratio“, wie
Hilmar Hoffmann meinte.

Wir sind der Auffassung, dass die Sicherheit in
Deutschland und in anderen Ländern nur dann nachhaltig
zu gewährleisten ist, wenn wir zusätzliche Maßnahmen
durchführen. Unser Außenminister ist hier sehr aktiv. Das
haben wir bei der Konferenz auf dem Petersberg und bei
den Maßnahmen, die jetzt in Afghanistan anlaufen, gese-
hen. Dabei spielen das zivile Element, also die Stützung
der zivilen Gesellschaft, der Dialog zwischen den Kultu-
ren und die Möglichkeit der Begegnung von Menschen
eine zentrale Rolle.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Diese Bemühungen möchte ich an einigen Beispielen
deutlich machen. Als Projekte, die wir in Afghanistan für
die friedliche Entwicklung voranbringen, sind zum Bei-
spiel der Wiederaufbau des Goethe-Institutes, der Wie-
deraufbau der deutschen Schule in Kabul sowie die Stär-
kung der Möglichkeit, dass Frauen überall aktiv werden,
zu nennen. Gerade der letzte Punkt ist ein ganz zentrales
Element für den Dialog; denn Frauen in der Gesellschaft
haben eine wichtige Funktion: Sie bringen eine andere
Kultur in die Debatte. Diese Projekte werden im Moment
mit 8,5 Millionen Euro unterstützt. Ich denke, das ist ein
guter Anfang.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Damit nicht genug. Wir haben im letzten Jahr den Dia-
log der Kulturen bei der ersten Debatte zu unserem Antrag
diskutiert. Wir haben darüber gesprochen, dass zum Bei-
spiel das Goethe-Institut Inter Nationes wichtige Pro-
jekte voranbringt und wichtige Schritte geht. Die Präsenz
vor Ort in aller Welt ist ein ganz zentraler Punkt. Das
Goethe-Institut Inter Nationes hat sofort nach den Ereig-
nissen am 11. September reagiert, hat zusätzliche Projekte
vorgelegt und hat auf die Bedeutung der Präsenz hinge-
wiesen, um die Möglichkeit zum direkten Austausch zu
gewährleisten.

In den Projektbeschreibungen wird sehr deutlich, dass,
auch wenn der aktuelle Auslöser der Entwicklung die Ta-

ten islamistischer Terroristen waren, nicht der Blick dafür
verloren gehen darf, dass weder Methoden noch Ziele des
Terrors einer Religion zuzuordnen sind. Ich glaube, das ist
die zentrale Frage, mit der wir uns auseinander setzen
müssen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte nur ein Beispiel nennen: In Sri Lanka gibt
es Selbstmordattentäter, die gegen buddhistische Sym-
bole angehen und aktiv werden, ohne dass man das mit
dem Islam in Verbindung bringen könnte. Wir brauchen
also insgesamt den kritischen Dialog und brauchen ein
Zugehen der verschiedenen Kulturen und der verschiede-
nen Wurzeln aufeinander.

Wir haben jetzt Projekte, die auf Länder zugeschnitten
sind, die zum großen Teil durch den Islam geprägt sind.
Wir dürfen uns aber nicht nur auf die arabische Welt kon-
zentrieren. Alleine in Indien gibt es 150 Millionen Mus-
lime. Das ist immer wieder ein Grund für Auseinander-
setzungen. Wir haben stets unterschätzt, wie groß die
Auseinandersetzungen in den Ländern sind, wo viele Re-
ligionen, viele Kulturen miteinander leben. Wir sehen es
zurzeit an den Anschlägen in Kalkutta.

Die Programme, die gerade das Goethe-Institut Inter
Nationes vorschlägt, gehen von den Grundsätzen aus,
dass der Dialog zwischen den Individuen notwendig ist
und ermöglicht werden soll, dass als Zielgruppe die auf-
geklärten Eliten in der Zivilgesellschaft erreicht werden
müssen und dass man besonders auf die NGOs, das heißt
die Nichtregierungsorganisationen, zugehen muss, damit
sich Menschen dort treffen können. Wie wichtig das ist,
haben wir im Iran gesehen: Im dortigen Goethe-Institut
haben sich, solange es noch existierte, Schriftsteller und
Intellektuelle getroffen und somit die Demokratieentwick-
lung sowie den Reformprozess untereinander weiterge-
führt. Das ist uns bei einer Anhörung zur auswärtigen
Kulturpolitik sehr deutlich geworden. Das ist der Weg, um
auch zu einer zivilgesellschaftlichen Entwicklung in die-
sen Ländern zu kommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Dialog der Kulturen heißt aber nicht nur, mit Goethe-
Instituten in den Ländern präsent zu sein, sondern auch,
diverse andere Aktivitäten,wie sie in unserem Antrag be-
schrieben sind, zu unternehmen. Wir haben im Jahr 2002
für eine Verstetigung der Stipendienprogramme durch Be-
reitstellung von 10,5 Millionen Euro gesorgt. Wir haben
die Zukunft der Schulen gesichert; es wurde ja darüber
diskutiert, ob wir eigentlich noch so viele deutsche
Schulen im Ausland brauchen. Wir haben zusätzliche
Mittel – 40 Millionen DM bzw. etwas mehr als 20 Milli-
onen Euro – der Deutschen Welle zur Verfügung gestellt,
damit gemeinsam mit ARD und ZDF ein neuer Auslands-
kanal auf den Weg gebracht werden kann. Wir haben auch
Schritte unternommen, damit hier vor Ort ein stärkerer
Austausch stattfinden kann, zum Beispiel im Haus der
Kulturen der Welt, das zusätzlich dafür 5 Millionen DM
bekommen hat – das sind etwas mehr als 2,5 Millionen




Monika Griefahn

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(A)



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Euro, ich erspare uns jetzt die Umrechnung. Wir haben
auch eine Lösung der Probleme, die sich bei den Goethe-
Instituten ergeben haben – ich erinnere an die Frage, ob
die Fusionsrendite kommt –, angegangen. Wir brauchen
jetzt alles Geld für die neuen Programme und für die Um-
setzung der Eckpunkte, die ich eben dargestellt habe.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Schaffung von Orten der Begegnung und der Ein-
satz neuer Medien sind zentrale Anliegen. Wir wollen
unsere Internetportale ausweiten. Es gibt jetzt zum Bei-
spiel ein Deutschlandportal, bei dem Goethe-Institute,
DAAD, die Deutsche Welle und unser Bundespresseamt
zusammenarbeiten und Informationen über Deutschland
sowie Sprachkurse anbieten, aber auch die Möglichkeit
zur Begegnung bieten. Mehr und mehr werden auch junge
Leute das Internet als Medium nutzen, um sich zu treffen.
Wie wichtig dieses wiederum für Frauen ist, habe ich per-
sönlich bei einem Besuch im Iran gesehen, wo hauptsäch-
lich Frauen die Internetcafés besuchten. Das Internet ist
das Tor zur Welt. Indem wir dieses ausbauen und Me-
dienkompetenz fördern, können wir auch etwas für den
Austausch und für das gegenseitige Verständnis tun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS])


Es geht aber nicht nur um die Schaffung umfassender
Dialogstrukturen, sondern auch darum, dass die „Zwei-
bahnstraße“, die durch das AKP-2000-Programm des
Auswärtigen Amtes und des Parlaments beschritten
wurde, weiter ausgebaut wird. Dazu müssen alle Mittler,
die wir haben, nämlich der Deutsche Akademische Aus-
tauschdienst, das Institut für Auslandsfragen, unsere
Schulen und die Humboldt-Stiftung einbezogen werden,
aber auch viele Einzelne, zum Beispiel Vertreter der Wirt-
schaft. Ich appelliere hier noch einmal an diese. Die deut-
sche Wirtschaft erzählt uns ja immer wieder, dass es sehr
wichtig ist, dass Deutschland nicht nur in Form von Bot-
schaften und Konsulaten vor Ort vertreten ist, sondern
auch in Form von Kultureinrichtungen. Diese Zusam-
menarbeit muss verstärkt werden. Ich hoffe, dass sich
auch die Wirtschaft weiter engagiert – Hilmar Hoffmann
hat die Wirtschaft ja schon sehr engagiert angesprochen –,
vor Ort für beständige Kulturarbeit sorgt und sie noch ver-
stärkt; denn für die Wirtschaft sind die Orte der Begeg-
nung extrem wichtig, für sie ist es wichtig, dass ihre Mit-
arbeiter Deutsch lernen, damit eine Brücke nach
Deutschland geschlagen wird. Mit unseren Stipendien-
programmen werden wir auch umgekehrt hier Mitarbeiter
ausbilden, damit die Bindung an Deutschland noch enger
wird. Das liegt im allseitigen Interesse, es fördert sowohl
den Dialog der Kulturen als auch die wirtschaftliche Ent-
wicklung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Public Private Partnership, wie im Antrag der FDP
dargestellt, wollen wir so nicht. Wir wollen nicht, dass die
Wirtschaft die Aufgaben der Politik übernimmt und sozu-
sagen nach Gutdünken entscheiden kann, welche der Pro-

jekte gemacht werden und welche nicht. Ich glaube, dass
der Dialog der Kulturen eine staatliche Aufgabe bleiben
muss. Wir sind in der Verantwortung und wir nehmen
diese Verantwortung wahr und haben dementsprechend
Mittel zur Verfügung gestellt. Ich hoffe, dass diese Auf-
gabe weiterhin vom ganzen Haus unterstützt wird. In un-
seren Debatten im Kulturausschuss zum Beispiel wurde
immer sehr deutlich, dass das eine gemeinsame Aufgabe
ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS])


Ein wichtiger Punkt ist die Zusammenarbeit der euro-
päischen Staaten. Seit 1. Januar 2002 gibt es bei uns den
Euro. Wenn man in ein anderes Land der Europäischen
Union fährt, muss man nicht mehr die mühsame
Umtauscharbeit leisten. Die Menschen in den Ländern,
die den Euro eingeführt haben, nehmen ihn positiv an.
Aber das darf nicht der letzte Schritt sein. Wir brauchen
auch ein Stück mehr gemeinsame europäische auswärtige
Kulturpolitik.

Dies haben wir in unserem Antrag formuliert. Wir ha-
ben das auch mit unseren Partnern in Frankreich, Eng-
land, Italien, Österreich und anderen Ländern diskutiert
und der Prozess kommt langsam in Gang. Es ist ein
schwerfälliger Prozess, aber es gibt inzwischen deutsch-
französische Lesesäle und es gibt sogar deutsch-polni-
sche Kooperationen. Gestern sagte mir der Leiter des
Goethe-Institutes in Berlin, es wäre doch schön, wenn
das polnische Kulturinstitut in den vierten Stock des
Goethe-Institutes ziehen würde, denn das würde eine
enge Kooperation bedeuten und wäre ein Signal für das
erweiterte Europa.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn wir als Europäer zusammenarbeiten, heißt das
aber nicht gleichzeitig, dass die deutsche Identität verlo-
ren gehen soll. Auch die Vermittlung der deutschen Spra-
che als Wurzel, als Teil der Kultur ist ein ganz wichtiger
Punkt. Wir werden uns mit der deutschen Sprache auf-
grund der entsprechenden Großen Anfrage heute Mittag
noch stärker beschäftigen. Insofern brauche ich darauf
jetzt nicht intensiver einzugehen.

Die auswärtige Kulturpolitik ist, wenn sie europäisch
agiert, nicht nur Kulturpolitik, sondern auch Wirtschafts-
politik und Sozialpolitik. Deshalb glaube ich, dass es sehr
wichtig und sinnvoll ist, dass die Gemeinsame Außen-
und Sicherheitspolitik, die GASP, noch stärker um den
Faktor Kultur erweitert wird, als das bisher der Fall ist,
und dass dieses Thema bei den Debatten bei der WTO
oder auch anderen Organisationen eine stärkere Rolle
spielt. Ich trete ebenso entschieden dafür ein, dass der Be-
reich der Kultur zum Beispiel auch bei dem Gipfel in Jo-
hannesburg im September, „Rio plus zehn“, stärker einbe-
zogen wird; denn die Kultur bietet einen Hintergrund für
die Umweltzerstörung, die wir haben. Die Umweltzer-
störung hängt zu einem großen Teil mit unserem linearen
Kulturdenken zusammen. Deswegen ist es wichtig, dass
wir uns in dem Viereck Soziales, Ökologisches, Wirt-




Monika Griefahn
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schaftliches und Kulturelles bewegen, um tatsächlich zu
einer nachhaltigen Entwicklung zu kommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Gott sei Dank ist vieles, was wir in unserem Antrag for-
muliert haben, schon auf den Weg gebracht worden. Die
Budgetierungen werden in den Instituten nach und nach
eingeführt. Der Austausch von Mitarbeitern zwischen den
verschiedenen Instituten, Botschaften und auch der Wirt-
schaft wird in Angriff genommen. Die Situation der Stu-
dierenden ist verbessert worden; sie können nach ihrem
Studium hier bleiben. Ein ganz wichtiger Punkt unseres
Antrages war auch eine andere Besteuerung ausländischer
Künstler in Deutschland. Hier hat es entschiedene Ver-
besserungen gegeben; denn es war ein Rückgang von
Künstlern, die zum Austausch mit deutschen Institutionen
beigetragen haben, um 30 Prozent zu verzeichnen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421201200
Kollegin Griefahn,
Sie müssen zum Ende kommen, Sie haben Ihre Redezeit
überschritten.


Monika Griefahn (SPD):
Rede ID: ID1421201300
Ich habe später angefangen,
weil hier eine solche Unruhe war. Ich habe auf die Uhr ge-
schaut.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421201400
Nicht verhandeln!


Monika Griefahn (SPD):
Rede ID: ID1421201500
Ich bin sofort fertig.
Ich freue mich, dass wir heute hier diese Debatte ha-

ben. Ich freue mich auch auf die Redebeiträge der ande-
ren Kollegen; sie werden sicherlich das eine oder andere
zu ergänzen haben. Ich bin froh, dass wir den Weg einge-
schlagen haben, den Dialog der Kulturen auch finanziell
zu unterstützen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Ich
möchte an dieser Stelle auch dem Bundesaußenminister
danken, dass er in den letzten Verhandlungen immer die-
ses Element des Dialogs der Kulturen und der Konflikt-
prävention in den Mittelpunkt gestellt hat.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421201600
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Norbert Lammert, CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1421201700
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Griefahn hat zum
Schluss ihrer Rede zu Recht vermutet, dass die folgenden
Redner das eine oder andere zu ergänzen haben werden.
Das will ich für meine Fraktion gerne tun.

Vor gut zwei Jahren hat der Außenminister die Neu-
konzeption der auswärtigen Kulturpolitik, „Konzeption
2000“, vorgelegt. Sie war nicht sonderlich aufregend,
aber anspruchsvoll, und über die Grundsätze dieser aus-

wärtigen Kulturpolitik gibt es im Deutschen Bundestag
und nach meinem Eindruck auch darüber hinaus keinen
Streit.


(Dr. Elke Leonhard [SPD]: So ist es!)

Seitdem hat es zwei auffällige, weil nicht unbedingt zu

erwartende Entwicklungen gegeben. Zum einen ist die
Verkündung dieser Neukonzeption zum Ausgangspunkt
für regelmäßige Kürzungen in der Mittelausstattung der
auswärtigen Kulturpolitik geworden


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

und zum anderen legt uns inzwischen die Koalition, die
Fraktionen von SPD und Grünen, einen Antrag vor, in
dem die Bundesregierung aufgefordert wird, entspre-
chend der eigenen Konzeption doch auch tätig zu werden.
Offenbar besteht auch in den eigenen Reihen der Ein-
druck, dass den Ankündigungen des Außenministers nun
Taten folgen müssen. Die erfreuliche Übereinstimmung
in den Grundsätzen der auswärtigen Kulturpolitik droht
folgenlos zu bleiben.

Nichts macht die tränentreibende Diskrepanz zwischen
den hohen Ansprüchen und den bescheidenen Möglich-
keiten der auswärtigen Kulturpolitik einer rot-grünen Ko-
alition deutlicher als die Entwicklung der Haushalts-
ansätze. Sie haben – ich beginne bewusst vor der Zeit
Ihrer Regierungsverantwortung – im Jahre 1997 sehr
überschaubare 0,26 Prozent am Bundeshaushalt betragen,
1998 0,25 Prozent. Dann kam der Regierungswechsel und
der vermeintlich große Aufbruch in eine große Zukunft
mit dem ganz neuen Stellenwert für die auswärtige Kul-
turpolitik und prompt betrug der Anteil der Ausgaben für
auswärtige Kulturpolitik im Haushaltsjahr 1999 0,24 Pro-
zent, im Haushaltsjahr 2000 0,23 Prozent. Diesen Haus-
haltsansatz hat man im vergangenen Jahr tapfer verteidigt,
um ihn nun für den gerade beschlossenen Haushalt des
Jahres 2002 auf 0,22 Prozent abzusenken.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Das ist das Ergebnis der Ankündigungen und das sind die
nachprüfbaren Konsequenzen, die sich daraus ergeben
haben.

Dabei muss man im Übrigen wissen, dass mit dem
neuen Haushaltsjahr nicht nur der Tiefststand in der Mit-
telausstattung der auswärtigen Kulturpolitik seit zehn
Jahren noch einmal unterboten worden ist,


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Unglaublich!)


sondern dass dies bei steigendem Gesamtetat des Einzel-
plans Auswärtiges Amt geschieht, folglich die viel ge-
rühmte dritte Säule der auswärtigen Politik nicht immer
stabiler, sondern immer brüchiger zu werden droht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ihr Anteil an den Gesamtausgaben des Auswärtigen Am-
tes sinkt kontinuierlich in Richtung 25 Prozent. Ein über-
proportionales Minus im Kulturhaushalt des Auswärtigen
Amtes macht eben nicht glaubhaft, was der Außenminis-
ter postuliert hat, dass nämlich der auswärtigen Kulturpo-




Monika Griefahn

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(B)


litik im Kontext unserer Außenpolitik ein besonderer Stel-
lenwert zukomme. Anspruch und Wirklichkeit klaffen
weit auseinander.

Herr Außenminister, Sie haben im Mai vergangenen
Jahres gesagt – ich zitiere Sie –:

Die Kürzungen der vergangenen zwei Jahre stehen
durchaus im Widerspruch zum formulierten Ziel ei-
ner aktiveren auswärtigen Kulturpolitik.

Das war ehrlich; ich habe das so auch verstanden und ge-
würdigt. Aber ich hatte damals noch den offenkundig
allzu fröhlichen Optimismus, das sei auch als Ankündi-
gung beabsichtigter Besserung zu verstehen. Davon kann
nun leider überhaupt keine Rede sein. Im Bericht des
Außenministers heißt es lapidar:

Es ist mit weiteren Mittelkürzungen zu rechnen.
Zum Beispiel geschieht dies bei den Auslandsschulen.

Sie sind unbestritten ganz besonders wichtige Instru-
mente der auswärtigen Kulturpolitik, weil sie dauerhafte
Bindungen an die Sprache und an die Kultur unserer Ge-
sellschaft ermöglichen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Massive Einsparungen in zweistelliger Millionenhöhe
kann dieses Netz des kulturellen Dialogs nicht verkraften,
schon gar nicht, wenn sie Jahr für Jahr in der gleichen
Richtung erfolgen.

Tatsächlich werden die Mittel für die Auslandsschulen
nach der mittelfristigen Finanzplanung im Jahre 2003 un-
ter Berücksichtigung nicht ausgeglichener Preissteigerun-
gen und der Problematik der Wechselkurse effektiv mehr
als ein Drittel unter den Ansätzen des Jahres 1998 liegen.


(Dr.-Ing. Rainer Jork [CDU/CSU]: Unerträglich!)


Eigentlich kann man damit die Debatte abschließen, weil
es keinen Sinn ergibt, pausenlos Prinzipien zu verkünden,
wenn es sich im konkreten politischen Handeln in einer so
erbärmlichen Weise niederschlägt, wie das hier der Fall
ist. Der Kollege Koschyk wird das im Einzelnen nachher
in seinem Beitrag mit Blick auf die Auslandsschulen noch
ergänzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich nehme die Deutsche Welle hinzu – sie gehört in

diesen Zusammenhang –, für die allerdings der Außenmi-
nister – das sage ich der guten Ordnung halber – keine per-
sönliche Verantwortung trägt. Die Verantwortung dafür
liegt im Kanzleramt. Aber dass die Deutsche Welle auf
ihre Weise ein genauso zentrales Instrument deutscher
auswärtiger Kulturpolitik ist, daran besteht unter uns al-
len kein Zweifel. Da man der Bundesregierung fast alles,
aber nicht ihre Konsequenz auch bei falschen Entschei-
dungen absprechen kann, machen wir hier präzise die
gleiche Beobachtung: Kürzung über 40 Millionen Euro,
das heißt knapp 80 Millionen DM, bei gleichzeitiger
Ankündigung neuer Aktivitäten. Das Auslandsfernsehen
wird zusätzlich gemacht bei gleichzeitiger Kürzung der
Mittel. Auch hier findet genau die gleiche Operation statt:
Man setzt Ankündigungen in die Welt, lässt diejenigen,

die sie realisieren sollen, hilflos in der Landschaft stehen
und beklagt sich am Ende darüber, dass man trotz bester,
ausdrücklich angekündigter Ziele leider nicht annähernd
so weit gekommen sei, wie man sich das vorgenommen
hatte.


(Dr.-Ing. Rainer Jork [CDU/CSU]: So sind sie eben!)


Nächstes Beispiel: Goethe-Institut Inter Nationes.
Wir haben eine schwierige, aber einvernehmliche Opera-
tion hinter uns gebracht, um durch Zusammenschluss die-
ser beiden Institutionen unnötige Personal- und Verwal-
tungsausgaben einzusparen, damit die Projektförderung
gestärkt werden kann. Schon im allerersten Jahr sollte
nach den Absichten dieser Bundesregierung die feierlich
versprochene Fusionsrendite zur Stärkung der Förderung
der Projekte einkassiert werden. Verehrter Herr Außenmi-
nister, wir erinnern uns beide lebhaft an die peinliche
Szene im Deutschen Bundestag, als wir buchstäblich in
allerletzter Minute sichergestellt haben, dass das Schur-
kenstück noch vermieden werden konnte, das fast verhin-
dert hätte, dass eine ausdrücklich zugesagte Stärkung der
Mittel durch den Zusammenschluss dieser beiden Institu-
tionen auch wirklich der Aufgabenerfüllung dieser Insti-
tutionen zugute kommt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ulrich Irmer [FDP])


Hilmar Hoffmann, der Präsident des Goethe-Instituts,
hat in diesen Tagen zum Abschluss seiner neunjährigen
Amtszeit erklärt: Erst lobt uns die Politik über den grünen
Klee, dann streicht sie uns die Mittel. – Dies ist eine
ebenso bittere wie leider zutreffende Beschreibung der
Situation.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Ich glaube, er ist ein Sozialdemokrat! – Lothar Mark [SPD]: Die Situation ist nicht neu!)


Herr Außenminister, Sie haben ihm vor wenigen Tagen
anläßlich seines Ausscheidens aus diesem Amt das Große
Bundesverdienstkreuz mit Stern verliehen. Es kann kein
Zweifel daran bestehen, dass er das verdient. Ich habe
aber auch keinen Zweifel daran, es wäre ihm lieber ge-
wesen, dass diese Auszeichnung nicht die Kompensation
für eine nicht vorhandene Unterstützung gewesen wäre.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: So ist es!)

Ihm wäre es sicher lieber gewesen, wenn er während sei-
ner Amtszeit die Unterstützung der Bundesregierung ge-
habt hätte, auf die er einen Anspruch hatte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich nutze die Gelegenheit gerne, Hilmar Hoffmann für

meine Fraktion unseren großen Respekt für seine Arbeit
zu zollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Er war nicht nur ein glänzender Repräsentant dieses In-
stituts und der deutschen auswärtigen Kulturpolitik. Er




Dr. Norbert Lammert
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(B)


war auch ein engagierter und durchsetzungsstarker Ver-
treter unserer – insoweit – gemeinsamen Interessen. Ich
verbinde meine Gratulation an die neue Präsidentin Jutta
Limbach mit der Hoffnung, dass es ihr gelingt, genau
diese Rolle fortzusetzen.

Nun ist ein neuer Geldsegen versprochen worden. Er
soll sich aus dem Antiterrorpaket der Bundesregierung
ergeben und den Dialog der Kulturen befördern. Mehr
noch: Er soll zur Konfliktprävention beitragen. Die Hoff-
nung, dass auswärtige Kulturpolitik einen Beitrag zur
friedlichen Konfliktlösung leisten könne, ist nicht vorn-
herein abwegig. Es muss aber auch die Frage beantwortet
werden, nicht nur ob, sondern auch wie sie es denn leis-
ten will und welche Rolle in diesem Zusammenhang
Kunst und Kultur tatsächlich wahrnehmen sollen.

Von der politischen Instrumentalisierung von Kunst
und Kultur haben wir uns in jahrelangen Diskussionen
verabschiedet. Wir müssen sehr darauf achten, dass sie
nicht durch die Hintertür wieder eingeführt wird. Neue
Konzeptionen, die in diesem Zusammenhang wohlfeil zu
diskutieren sind, Herr Außenminister, sind ganz gewiss
gut gemeint, aber nicht immer gut durchdacht. Manches
entspringt vielleicht auch einem naiven Verständnis so-
wohl von Außenpolitik als auch von Kunst oder einem
Mangel an Nachdenken, vielleicht auch an beidem.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Eines jedenfalls werden wir Ihnen nicht durchgehen

lassen, nämlich den Versuch, von dem beschriebenen Di-
lemma der deutschen auswärtigen Politik dadurch abzu-
lenken, dass eine neue Sinnsuche als der Ausweg aus dem
Dilemma ausgegeben wird. So einfach kann es nicht ge-
hen. Es muss schon das, was man als Ziel oder als Sinn
der Politik formuliert, mit dafür geeigneten Mitteln unter-
legt werden. Die Anstrengung kann sich – wenn Sie es so
wollen – nicht im Theoretischen abspielen, sondern sie
muss praktische Folgen haben, und zwar in einer ganz an-
deren Weise, als das in der Vergangenheit der Fall gewe-
sen ist.

Die Vereinten Nationen haben bereits 1998 das ge-
rade zu Ende gegangene Jahr 2001 zum „Jahr des Dialogs
der Kulturen“ mit der Maßgabe an die Mitgliedstaaten er-
klärt, „geeignete kulturelle, pädagogische und soziale
Programme zu planen und durchzuführen, um das Kon-
zept des Dialogs zwischen den Kulturen zu befördern.“
Daran wollen wir uns alle nach Kräften beteiligen. Dies
setzt voraus, dass wir uns dazu auch in die Lage versetzen.

An Lautstärke mangelt es der deutschen auswärtigen
Kulturpolitik nicht. Es mangelt ihr an Ernsthaftigkeit, an
Gestaltungswillen.


(Dr. Elke Leonhard [SPD]: Das ist Unsinn! Das ist zynisch!)


Sie ist nicht sprachlos, aber sie ist zunehmend mittellos.
Deswegen droht sie folgenlos zu werden.

Frau Kollegin Griefahn, Sie haben zu Beginn Ihrer
Rede gesagt, eine vollkommene Menschheit werde es nie
geben. Das ist wohl wahr. Seit dem Verlauf dieser Legis-

laturperiode wissen wir noch genauer als früher, dass es
offenkundig auch keine vollkommene Regierung gibt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lothar Mark [SPD]: Da beziehen Sie sich und die Regierung in den vorangegangenen 16 Jahren aber mit ein!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421201800
Ich erteile der Kolle-
gin Rita Grießhaber, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


Rita Grießhaber (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421201900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim Thema
auswärtige Kulturpolitik hat sich wieder einmal gezeigt
– auch beim Kollegen Lammert –, dass hier über die
Grundsätze ein sehr hoher Konsens besteht. Natürlich,
Herr Kollege, sehen auch wir, dass die Sparvorgaben in-
zwischen die Schmerzgrenze erreicht haben. Nur ist hier
nicht der Ort, darüber zu streiten, wieso wir diesen engen
Haushalt haben und welche Schulden Sie zurückgelassen
haben.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wo denn dann?)


Weinen und Wehklagen hilft überhaupt nicht weiter.
Bei aller Sorge um die Finanzierung lohnt es sich viel-
mehr, sich die positiven Veränderungen genauer anzu-
schauen. Ob Briten, Franzosen oder die USA: Alle haben
Einschnitte und Strukturveränderungen in ihrer auswärti-
gen Kulturpolitik vorgenommen. Die Bundesregierung
hat mit ihrem „Konzept 2000“ die Weichen gestellt, um
mit weniger Mitteln – nicht nur bei den Mittlerorganisa-
tionen, sondern auch im eigenen Hause – durch höhere Ef-
fizienz mehr zu erreichen.

Die Zusammenarbeit mit den europäischen Part-
nern – die Kollegin Griefahn hat darauf hingewiesen –
wird verstärkt und ist kontinuierlich besser geworden.
Zum Beispiel sind der Ausbau der Eurocampus-Schulen
von Frankreich und Deutschland in Shanghai oder das
gemeinsame Kulturzentrum vom Goethe-Institut und dem
British Council in der Ukraine nicht nur Ausdruck spar-
sameren Wirtschaftens, sondern auch sehr gute Beispiele
für die zurecht geforderte verstärkte europäische Koope-
ration.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Aufgaben der auswärtigen Kultur- und Bildungs-
politik haben sich stark verändert. Spätestens der 11. Sep-
tember 2001 hat gezeigt, dass die Herausforderungen
nicht weniger, sondern mehr geworden sind. Wenn heute
das Goethe-Institut überlegt, die Schließungen von Insti-
tuten in Brennpunkten wie Sudan und Pakistan – da
gehört auch zur Wahrheit, dass sie 1996 und 1997 ge-
schlossen wurden, als nicht Herr Fischer Außenminister
war –


(Beifall der Abg. Monika Griefahn [SPD])

wieder rückgängig zu machen, wenn wir dann noch
berücksichtigen, dass wir heute wieder an Orte, an denen
Institute aufgrund der politischen Situation geschlossen




Dr. Norbert Lammert

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(B)


werden mussten, wie in Iran und Afghanistan, zurückkeh-
ren können, wird deutlich, dass wir dafür in Zukunft auch
mehr Mittel brauchen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dass dafür auch eine stärkere Kooperation mit der Wirt-
schaft notwendig ist, wissen wir. Da muss uns die FDP
nicht zum Jagen tragen. Das wissen Sie sehr gut, Herr
Irmer. Überall, wo öffentliche und private Hand zusam-
menarbeiten können, tun sie es schon längst. Schauen Sie
doch einmal zum Goethe-Institut nach London. Für die
Eröffnung dieses Instituts gab es hervorragende Sponsoren.

Der 11. September hat jedem klar gemacht, dass man
nicht nur global Coca-Cola trinken und im Internet surfen
kann, sondern dass auch der Terrorismus global agiert.
Der technische Fortschritt und die modernen Kommu-
nikationsmittel werben nicht nur für das Gute und Schöne,
sie werden eben auch von den Gewalttätern benutzt.
Umso mehr müssen wir alles tun, damit Dialogfähigkeit
und interkulturelle Kompetenz zunehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dabei haben wir überhaupt keine überzogenen Erwartun-
gen an Kunst und Kultur. Auswärtige Kultur- und Bil-
dungspolitik ist nur ein Element zur Konfliktprävention,
aber ein wichtiges. Es wäre mehr als töricht, diese Chan-
cen nicht zu nutzen. Nicht umsonst wurde deshalb aus den
Mitteln des Antiterrorpakets das Sonderprogramm „Dia-
log mit der islamisch geprägten Welt“ aufgelegt.

Meine Damen und Herren, dieser Dialog ist das lei-
tende Prinzip der auswärtigen Kulturpolitik. Im Dialog
zwischen den Kulturen und Religionen wollen wir eine
Verständigung auf gemeinsame ethische Grundlagen er-
zielen. Dialog heißt eben auch, unseren eigenen kulturel-
len Erfahrungshorizont für neues Denken zu öffnen.
„Zweibahnstraße“ ist nicht nur ein gelungenes Bild aus
dem Auswärtigen Amt für den Austausch zwischen den
Ländern, „Zweibahnstraße“ soll ebenso verdeutlichen,
dass wir uns auch im Innern um Integration aller hier le-
benden Bevölkerungsgruppen kümmern müssen, um
nach außen glaubwürdig zu sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


„Zweibahnstraße“ heißt nicht nur, dass ein Künstler wie
Heinz Mack seine Arbeiten unter dem Titel „Wahlver-
wandtschaften“ in Teheran ausstellt, sondern auch, dass in
Deutschland durch das „Theater an der Ruhr“ in Mühlheim
das erste iranische Theaterfestival außerhalb Irans auf die
Beine gestellt wurde. Einen herzlichen Dank an Ciulli!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Meine Damen und Herren, nicht nur die Wortführer des
politischen Feuilletons, der Politik und der Kirchen sollen
das Monopol zum interreligiösen Dialog haben. Predigten
sind wichtig, Fachgespräche und Expertenrunden ebenso.
Diese Aufgabe darf aber nicht nur auf Fachebenen be-

schränkt bleiben. Manchem hilft der Rat von Professor
Steinbach, dem Leiter des Orientinstituts. Er empfiehlt all
denjenigen, die sich mit dem Islam auseinander setzen
wollen, einfach selbst in eine Moschee zu gehen, um so
ganz anschaulich den praktizierten Islam wahrzunehmen.

Im Übrigen war die Literatur über den Islam nach dem
11. September in den deutschen Buchhandlungen so gut
wie ausverkauft. Das ist ein gutes Zeichen. Es ist ein Zei-
chen dafür, dass es bei uns Nachholbedarf und Wissens-
durst gibt, und es ist ein gutes Zeichen deshalb, weil nicht
mit dem Rückzug auf Vertrautes und Traditionelles, auf
Abgrenzung oder Aggression gegen das Fremde reagiert
wurde, sondern mit Interesse am Anderen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


International ist der Dialog wichtig, um die Spaltung in
westliche und muslimische Welten zu verhindern. Es wird
darauf ankommen, dass die islamischen Gesellschaften
selbst den Dialog darüber führen, die Religion im Namen
des Terrorismus nicht zu missbrauchen. Der Islam hat im
Gegensatz zum Westen weder Aufklärung noch Säkulari-
sation hinter sich. Die christlich-westliche Welt hat sich
über Jahrhunderte zum Teil sehr selbstquälerisch und
schmerzhaft mit den Grundlagen der eigenen Religion aus-
einander gesetzt. Diese Tradition fehlt im Islam. Konzepte
von Rechtsstaatlichkeit, Pluralismus und politischer Parti-
zipation existieren aber auch – allerdings auf der Grundlage
und damit mit der Einschränkung der Scharia – innerhalb
des islamischen Denkens. Das heißt dann leider auch, dass
es keine Gleichheit von Mann und Frau, keine Gleichheit
zwischen Muslimen und Nichtmuslimen und dass es Stra-
fen gibt, die Europa glücklicherweise nicht mehr kennt.

Gerade die Moderne lebt in hohem Maße von der Frei-
heit und Gleichheit der Individuen. Fortschritt braucht
kritische Menschen, die ihre Kreativität in Freiheit entfal-
ten können. Von dieser Erfahrung kann sich in der
globalisierten Welt auf Dauer kein Land und keine Reli-
gion abschotten. Gerade dies schürt auch die Angst vor
der Globalisierung und vor dem Verlust der eigenen Be-
sonderheit. Das macht den Dialog nicht leichter.

Deswegen sind Begegnung und Austausch so wichtig;
denn über Kennen- und Verstehen-Lernen wird Vertrau-
ensbildung möglich. Deshalb wurden in diesem Sonder-
programm die Mittel für Wissenschaftleraustausch und
Stipendien um 10 Millionen Euro erhöht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn wir uns um kulturelle Verständigung bemühen,
geht es auch um Glaubwürdigkeit. Zum Beispiel sind
wir im Kampf gegen den Terrorismus nur dann glaub-
würdig, wenn wir unseren eigenen freiheitlichen Werten
und Grundsätzen treu bleiben. Wenn wir Gewalt aus den
internationalen Beziehungen bannen wollen, muss sich
der Westen selber an rechtsstaatliche Normen halten. Das
muss auch für die Haftbedingungen von al-Qaida-Kämp-
fern auf Guantanamo gelten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der PDS)





Rita Grießhaber
20922


(C)



(D)



(A)



(B)


Wer selber nicht die Genfer Konvention einhält, wirkt
in der Kritik an massiven Menschenrechtsverletzungen
hohl. Auch al-Qaida-Kämpfer haben das Recht auf men-
schenwürdige Behandlung. Ich bin davon überzeugt, dass
mehr als alle Worte das eigene Handeln beispielgebend
ist. Durch Unrecht schädigen wir nicht nur unsere eigenen
Werte, sondern wir verstärken darüber hinaus auch das
Gefühl der permanenten Demütigung der islamischen
Welt gegenüber dem Westen.

Deshalb unterstützen wir die Bundesregierung und die
internationale Gemeinschaft in den Bemühungen, von der
amerikanischen Regierung zu verlangen, dass die Gefan-
genen wie Kriegsgefangene behandelt werden. Dann sind
ihnen Achtung der Person und rechtsstaatliche Garantien
sicher.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)


Bei der größten Mittlerorganisation der auswärtigen
Kultur- und Bildungspolitik, beim Goethe-Institut Inter
Nationes, haben sich viele Veränderungen ergeben, zu-
letzt der Wechsel an der Spitze. Ich möchte an dieser
Stelle Hilmar Hoffmann für sein großes und unermüd-
liches Engagement nochmals ganz herzlich danken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der PDS)


Aufs Allerherzlichste möchte ich die neue Präsidentin,
Frau Jutta Limbach, willkommen heißen. Sie stellt sich ei-
ner enormen Herausforderung. Wir wollen sie mit aller
Nachhaltigkeit unterstützen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421202000
Ich erteile dem Kolle-
gen Ulrich Irmer, FDP-Fraktion, das Wort.


Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1421202100
Herr Präsident! Frau Kollegin
Grießhaber, Sie haben wie so oft eine wunderschöne Rede
gehalten. Aber bei mir kommt immer ein zweifelhaftes
Gefühl auf, wenn ich Ihnen zuhöre, weil die Diskrepanz
zwischen Anspruch und Wirklichkeit gerade an Ihren Re-
den so unerhört deutlich wird.

Was haben Sie gesagt? Die gefangenen al-Qaida-
Kämpfer auf Guantanamo müssen menschlicher behan-
delt werden. Das haben wir Anfang der Woche längst ver-
langt. Ihre Regierung war etwas zögerlich, die Zustände
anzuprangern. Dann haben wir es angemahnt. Jetzt haben
auch Sie etwas getan. Schön, ich bin mit Ihnen vollkom-
men einverstanden.

Sie haben von der Notwendigkeit gesprochen, den
Dialog der Kulturen zu führen. Ich bin mit Ihnen voll-
kommen einverstanden. Ich erinnere nur daran, dass Sie
vor etwa vier Jahren den Vorschlag des damaligen
Bundesaußenministers Klaus Kinkel im Deutschen Bun-

destag torpediert haben, eine Europa-Islam-Konferenz
einzuberufen. Das waren damals Sie.

Dann haben Sie mir eben gesagt, ich bräuchte Ihnen
keine Lehren über die private Finanzierung und die Er-
schließung von privaten Mitteln für die auswärtige Kul-
turpolitik zu erteilen. Das sind doch alles nur Worte. Un-
seren Antrag lehnen Sie ab. Ich räume ein, dass der Titel
unseres Antrags, Public Private Partnership, nicht sehr
schön ist. Wir sind dem zum Opfer gefallen, was ich sonst
als Anglizismusseuche immer bekämpfe. Aber was als
Substanz in ihm steht, ist vollkommen richtig.

Sie scheuen davor zurück, einen Schritt zu gehen, näm-
lich die auswärtige Kulturpolitik aus dem Staatsmonopol
zu befreien und in dem Rahmen, den der Staat natürlich
bereitstellen muss, grundlegend auf Privatinitiative und
Individualität zu setzen. Wenn solche Vorschläge kom-
men, haben Sie noch immer schreckliche Bauchschmer-
zen.


(Beifall bei der FDP)

Für Sie ist die Verbindung von Kultur und Kommerz

noch immer so etwas wie Pfui.

(Monika Griefahn [SPD]: Hilmar Hoffmann sammelt doch Spenden!)

– Spenden sammeln ist schön, aber machen Sie das ein-
mal systematisch.


(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn die ganze Stiftungskultur geschaffen?)


Folgen Sie den Vorschlägen, die wir in unserem Antrag
dargelegt haben! Denn an einem kommen Sie nicht vor-
bei: So sehr Sie auch die Wichtigkeit der auswärtigen Kul-
turpolitik betonen – darin stimmen wir vollkommen über-
ein –, wenn es an die Finanzierung geht – das hat der
Kollege Lammert soeben in eindrucksvollen Zahlen
nachgewiesen –, dann geht es bei Ihnen wirklich bergab.
Diesen Widerspruch müssen Sie irgendwie lösen.

Wie wollen Sie all das, was Sie vorhaben und was Sie
auch in Ihren Antrag an neuen Initiativen hinein-
geschrieben haben, finanzieren? Die öffentlichen Mittel
reichen nicht aus. Wir alle leiden unter einem fürchter-
lichen Sparzwang. Aber wir dürfen diese Ansätze nicht
kaputtsparen. Deshalb müssen Sie Vorschläge machen
und unsere Vorschläge, wie Sie zusätzliche Finanzie-
rungsmöglichkeiten erschließen können, aufgreifen, statt
sie abzulehnen.


(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich die Gele-

genheit wahrnehmen, noch etwas Grundsätzlicheres zu
sagen. Nach dem 11. September ist immer wieder betont
worden – und zwar auch mit Recht –, dass die Auseinan-
dersetzungen über den Terrorismus schon gar nicht allein
mit militärischen Mitteln, aber auch nicht nur mit poli-
tischen und wirtschaftlichen Mitteln geführt werden kön-
nen, sondern dass wir durchaus auch die kulturelle Ausei-
nandersetzung suchen müssen, und zwar nicht im Sinne
eines Kampfes der Kulturen, sondern eines Dialoges der
Kulturen.




Rita Grießhaber

20923


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich komme mehr und mehr zu der Überzeugung, dass
Bazon Brock Recht hat mit der Aussage, Kultur als solche
sei aggressiv und bedürfe der Bändigung durch Zivilisa-
tion. Mit Kultur sind dabei natürlich nicht Mozart oder
Shakespeare gemeint, sondern damit ist ein Ansatz zum
Leben bzw. eine Weltanschauung gemeint, die die Ten-
denz hat, anderen die eigenen Vorstellungen aufzuzwin-
gen – auch gegen ihren Willen. Wir haben das in den letz-
ten Jahren in erschreckender Weise erlebt: Nationalismen
und ethnische Überhebungen, die andere ausgrenzen.
Auch wir Deutsche sind nicht frei davon; ich erinnere da-
bei an den Spruch „Am deutschen Wesen soll die Welt ge-
nesen“. Das ist ja noch nicht so lange her.

Das heißt, Kulturen haben die Tendenz, sich aggressiv
gegen mitbewerbende Kulturen zu wenden. Hier muss die
Bändigung durch Zivilisation erfolgen. Bei uns ge-
schieht das innerstaatlich durch das Grundgesetz und in-
ternational durch die Charta der Vereinten Nationen. Wir
sehen, wie schwierig das schon innerstaatlich ist. Die Ent-
scheidung des Bundesverfassungsgerichts in der vergan-
genen Woche über die Durchführung ritueller Schlach-
tungen, die auf religiöse Motive anderer zurückgehen, hat
hier große Irritationen hervorgerufen. Wir müssen uns da-
rüber klar sein, dass sich alle an ein Grundregelwerk, das
bei uns durch das Grundgesetz geschaffen wird, halten
müssen. Wir müssen es bei allem Respekt vor kultureller
Entfaltung und Vielfalt achten, dass wir ein zivilisato-
risches Regelwerk haben, das für alle verbindlich sein
muss – innerstaatlich die Verfassung, international die
Charta der Vereinten Nationen.


(Beifall bei der FDP)

Sonst wird es nämlich nicht zu einem friedlichen Mit-
einander kommen können. Dabei muss sich jede Kultur
selbst bändigen und selbst zähmen. Das ist, wenn man so
will, der alte Widerspruch zwischen Thomas und Heinrich
Mann, der Kampf zwischen Kultur und Zivilisation. Aber
in diesem Sinne verstanden muss die Zivilisation den Sieg
über die Kultur davontragen.

Was zeigen wir Deutschen über die Kultur im Ausland,
wenn wir von deutscher auswärtiger Kulturpolitik reden?
Wir sollten in erster Linie zeigen, dass unsere auswärtige
Kulturpolitik in die europäische Kulturpolitik eingebet-
tet ist, wenn auch nicht von den Zuständigkeiten her.
Natürlich haben wir im Sinne der Subsidiarität als Deut-
sche eine eigene Verantwortlichkeit und Zuständigkeit
hierfür. Wir sollten aber nach außen deutlich machen, dass
wir diesen regionalen Zusammenschluss, auch dieses
Miteinander von europäischen Kulturen suchen und an-
streben und dabei schon sehr weit fortgeschritten sind.
Das ist ein Exportartikel ersten Ranges, der in anderen
Weltregionen mit großer Aufmerksamkeit betrachtet
wird.

Pluralismus, Gewaltenteilung und der Einsatz für Men-
schenrechte sind unsere Exportartikel. Wir sollten Wert
darauf legen, diese im Ausland vorzuzeigen. Das sollten
wir im europäischen Sinne nicht verstecken.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421202200
Ich erteile dem Kolle-
gen Heinrich Fink von der PDS-Fraktion das Wort.


Dr. Heinrich Fink (PDS):
Rede ID: ID1421202300
Sehr verehrter Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit ihrem Antrag
schlagen die Koalitionsfraktionen vor, dass sich der Bun-
destag die Position zu Eigen machen solle, die das Aus-
wärtige Amt in seiner Konzeption 2000 zur auswärtigen
Kulturpolitik niedergelegt hat.

Als diese Konzeption im Sommer 2000 erstmals vor-
gelegt wurde, hat die PDS-Fraktion sie als grundlegende
Orientierung unterstützt. Dass wir auch diesem Antrag zu-
stimmen, bezieht sich vor allem auf die Anerkennung der
Ziele, an denen die auswärtige Kulturpolitik ausgerichtet
werden soll, wie Sicherung des Friedens, Konfliktverhü-
tung, Verwirklichung der Menschenrechte, partnerschaft-
liche Zusammenarbeit und Dialog der Kulturen. Dabei ist
uns klar, dass weder die Konzeption 2000 noch der heute
vorliegende Antrag eine Gewähr dafür bieten, dass diese
begrüßenswerten Prinzipien und Ziele auch zu verbind-
lichen Handlungsmaximen der Bundesregierung gemacht
werden. Ich sage ausdrücklich: der Bundesregierung und
nicht nur des Auswärtigen Amtes; denn die auswärtige
Kulturpolitik muss Bestätigung und Unterstützung durch
die Aktivitäten der Bundesregierung auch auf anderen Po-
litikfeldern erfahren.


(Beifall bei der PDS)

Andernfalls erfährt die auswärtige Kulturpolitik in der
außenpolitischen und in der innenpolitischen Öffentlich-
keit Regierungspolitik als Widerspruch zu ihren aus-
drücklich vom Bundestag bestätigten Zielen.

Als Außenminister Fischer die Konzeption 2000 vor-
gelegt hat, ist er ausdrücklich davon ausgegangen, dass
die Umsetzung eine bessere finanzielle Ausstattung ver-
langt. Leider sind in der Zwischenzeit die Mittel deutlich
gekürzt worden. Sparen – ja. Aber hier? Wer an Kultur
und Bildung spart, spart an der falschen Stelle.


(Beifall bei der PDS)

An dieser Stelle sei Hilmar Hoffmann, dem langjähri-

gen Präsidenten des Goethe-Instituts Inter Nationes, auch
von meiner Fraktion gedankt.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn ich einen Titel zu vergeben hätte, dann würde ich
Hilmar Hoffmann den Titel des Präzeptors des Dialogs
verleihen.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS – Dr. Elke Leonhard [SPD]: Mach doch!)


– Das sollten wir tun. – Er hat sehr deutlich darauf hinge-
wiesen, dass Terrorismusbekämpfung mit militärischen
Mitteln als Ultima Ratio nur vorübergehend abschreckt.
Die Wurzeln des Terrorismus stecken in der kränkenden
Aussichtslosigkeit psychosozialer Bedingungen ohne ge-
sicherte Gegenwart und ohne Hoffnung auf Zukunft.
Wenn Beteiligung an Terror als Lebenssinn angeboten
wird, wie es im Nationalsozialismus nach dem Ersten




Ulrich Irmer
20924


(C)



(D)



(A)



(B)


Weltkrieg tragisch funktionierte, muss eine lebenswerte,
demokratische Alternative kulturell vermittelt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Darum muss eine Antiterrorallianz zugleich auf die

Prima Ratio der Kultur setzen. Längst vorhandene Analy-
sen zum Beispiel des verdrängten religiösen Fundamenta-
lismus und die Dimensionen, wie Hoffmann es nennt, der
fürchterlichen Privatisierung des Terrorismus müssen
nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auch ausge-
wertet bzw. analysiert werden. Die Prima Ratio braucht
eine Großinvestition in Verständigungsverhältnisse, vor
allem zur Durchsetzung der Menschenrechte. Aber die
prekäre Lage, die sich aus konzeptionellen Defiziten in Sa-
chen Terrorismusbekämpfung ergibt, dauert leider an. Ich
beziehe mich noch einmal auf Hoffmann: Obwohl er den
Militäreinsatz in der Hauptstadt Afghanistans unterstützt,
fragt er – das kann ich nur wiederholen –, ob 1 200 deut-
sche Soldaten, deren Einsatz in Afghanistans Hauptstadt
500 Millionen Euro kosten wird, in einem vernünftigen
Verhältnis zu 128 Goethe-Instituten in 76 Ländern stehen,
die jährlich 200 Millionen Euro kosten. Dieses Verhältnis
muss immer wieder deutlich gemacht werden.


(Beifall bei der PDS)

Weil meine Fraktion für die Unterstützung von

Verständigungsverhältnissen eintritt, befürchten wir, dass
das Einwanderungsgesetz, über das zurzeit ebenfalls
diskutiert wird, den Zielen unserer auswärtigen Kulturpo-
litik direkt widerspricht; denn es fördert nicht die Begeg-
nung gleichberechtigter Kulturen, sondern fordert nahezu
Assimilationsbereitschaft als Preis für Einwanderung.
Wir sind für Integration, nicht für Assimilation.


(Beifall bei der PDS)

Hier sollten wir aus der deutschen Geschichte lernen. Die
Juden kamen in die deutsche bürgerliche Gesellschaft
durch die Taufe. Wir meinen, die Beherrschung der
deutschen Sprache muss keine Bedingung für Integration
sein. Leider sind hohe Arbeitslosenzahlen und wachsende
Angst der deutschen Bevölkerung vor sozialem Abstieg
keine guten Voraussetzungen, um Deutschland als Ein-
wanderungsland zu öffnen. Wir halten es daher für sehr
wichtig, dass die Konzeption der auswärtigen Kulturpoli-
tik auch im Inland ausführlich bekannt gemacht wird,
damit es nicht zu populistischen Überschriften, wie man
sie immer wieder liest, nämlich „Es ist doch raus-
geschmissenes Geld; verwendet es doch für die Schaffung
von Arbeitsplätzen im Inland“, kommt. Wir müssen bei-
des tun.

Der Vorschlag der FDP, Kulturkostenträger in der
deutschen Wirtschaft im Ausland zu gewinnen und dem-
entsprechend Kultureinrichtungen und Projekte zu priva-
tisieren, ist meines Erachtens eine Preisgabe des vorlie-
genden Konzepts. Das darf nicht mit den Interessen der
jeweiligen Unternehmen vor Ort oder mit Exportinteres-
sen in Deutschland verknüpft werden. Es geht nicht um
Kulturexport, sondern um einen mühsamen kulturellen
Dialog im Ausland. Dieser soll Erfahrungen und gegen-
seitiges Verständnis auch im Umgang mit Konflikten und
Unvereinbarkeiten bringen. Es geht um neue Erkennt-
nisse und nicht um Export.

Abhängigkeit von Firmen schafft offen oder verdeckt
eine Geber-/Nehmer-Mentalität. Das darf in der Kultur
nicht sein. Damit wäre die Erfahrung, dass Kulturen
gleichberechtigt sind, auch wenn die wirtschaftlichen und
sozialen sowie die politischen Verhältnisse der Völker ei-
nander diametral entgegengesetzt sind, schwer oder gar
nicht mehr zu machen.

Kolleginnen und Kollegen, auswärtige Kulturpolitik
muss Prima Ratio sein und darf nicht Ultima Ratio sein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421202400
Ich erteile dem Kolle-
gen Gert Weisskirchen, SPD-Fraktion, das Wort.


Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1421202500
Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! HilmarHoffmann
hat dem Goethe-Institut neun Jahre lang als Präsident ge-
dient. Er hat, glaube ich, das Lob des ganzen Hauses ver-
dient, weil er wie kaum ein anderer als Repräsentant der
deutschen Kultur nicht nur in Deutschland, sondern auch
gegenüber der Außenwelt erkennbar geworden ist, ein Li-
beraler, einer, der zugleich aber auch weiß, dass soziale
Gerechtigkeit und Liberalität zusammengehören und
– das ist für ihn wohl das Wichtigste überhaupt – dass die
Konflikte in dieser Welt nur bewältigt werden können,
wenn die Menschen einander verstehen. Wir alle, glaube
ich, sagen Hilmar Hoffmann für diese neun Jahre Arbeit
als Präsident einen ganz herzlichen Dank.


(Beifall im ganzen Hause)

Ich darf gleich hinzufügen: Das gilt genauso auch für

den bisherigen Vizepräsidenten des Goethe-Instituts Inter
Nationes – so muss man jetzt ja sagen –, Herrn Peter
Wapnewski, der noch länger als Hilmar Hoffmann


(Dr. Elke Leonhard [SPD]: 25 Jahre!)

als eine Schlüsselpersönlichkeit für das Goethe-Institut,
für die deutsche Kultur und ganz besonders – auch im
Sinne von Goethe – für die deutsche Literatur als Welt-
literatur gearbeitet hat.

Wer das am letzten Freitag in München erlebt hat, der
kann sich nur darüber freuen, dass diese beiden großen
Repräsentanten der deutschen Kultur so lange Zeit für die
Literatur und für die Kultur gearbeitet haben. Sie werden
– da sind wir ganz sicher – diese Fähigkeiten und die
Kreativität, die sie in den kulturellen Dialog eingebracht
haben, an einer anderen Stelle genauso einbringen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, diese De-
batte zeigt, dass der Konsens im Hause, jedenfalls unter
denjenigen, die für die auswärtige Kulturpolitik streiten,
groß ist. Es ist natürlich verständlich, dass Sie, lieber Kol-
lege Lammert, als Oppositionssprecher die kritischen
Punkte angeführt haben. Die Kollegin Grießhaber hat
aber schon darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung
gerade bei den letzten Bemühungen um das Antiterrorpa-
ket deutlich gemacht hat, dass manche Defizite, die auf-
getreten sind, wieder ausgeglichen werden. Man kann
der Bundesregierung nicht vorwerfen, die auswärtige




Dr. Heinrich Fink

20925


(C)



(D)



(A)



(B)


Kulturpolitik spiele bei ihr keine Rolle. Ich bin dankbar
dafür, dass der Außenminister das auch mit seinem Kon-
zeptpapier, das heute zur Debatte steht, noch einmal sehr
deutlich gemacht hat. Unsere Leistungen, die wir auch ge-
meinsam, lieber Kollege Lammert, für die auswärtige
Kulturpolitik erbringen, sollten wir nicht durch kleinliche
Reden zerreden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS])


Ich möchte einen Punkt aufgreifen, den Sie angespro-
chen haben, lieber Kollege Lammert; denn ich glaube,
dass wir diesem Grundgedanken etwas näher kommen
müssen. Kollege Irmer hat dies auch angesprochen.
Natürlich stehen wir alle in der Gefahr, dass, wenn aus-
wärtige Kulturpolitik in bestimmten Kontexten zu sehen
ist – das kann ja in der Politik auch gar nicht anders sein –,
dies nahe an dem Gedanken einer Instrumentalisierung
liegt. Ich bin Ihnen dankbar, lieber Kollege Lammert, dass
Sie darauf hingewiesen haben.

Herr Irmer hat den Gedanken insofern ergänzt, als
natürlich auch Kulturverhältnisse selbst Gewaltverhält-
nisse sein können. Ich sage ausdrücklich: sein können. Ich
möchte nicht unbedingt Bazon Brock folgen, der sich
manchmal in Debatten vergaloppiert. Entschuldigung,
wenn ich das so sage, lieber Kollege Irmer.


(Zuruf von der FDP: Wer täte das nicht!)

Natürlich ist diese Erkenntnis gar nichts Neues. Wenn

Sie das bei Herder nachlesen oder bei dem englischen
Kultursoziologen Ernest Gellner, dann werden Sie erken-
nen, dass natürlich auch in kulturellen Ansprüchen so et-
was wie Expansion steckt. Aber gerade weil dies so ist,
kommt es doch darauf an, dass man in eben jenen Prozess,
den man ja gerade in solchen Kulturen erkennt, die in sich
selber nicht reflexiv sind – das ist das Problem – die Re-
flexivität durch Aufklärung einbringt. Gerade solchen
Kulturen, die diesen Sprung durch die Aufklärung noch
nicht geschafft haben, das Durcharbeiten jener Gewalt-
verhältnisse, die getrennt werden müssen, zu ermöglichen
ist die große Leistung der Aufklärung in der Moderne. Wir
müssen mithelfen, dass genau diese Kulturen den Prozess
der Aufklärung vollziehen und zum Beispiel damit begin-
nen, die Gewaltverhältnisse zu teilen. Ist es nicht das Pro-
blem des islamistischen Fundamentalismus, dass er jene
Gewaltverhältnisse bislang nicht geteilt hat? Denn da, wo
Religion und Staat, Kultur und Gesellschaft zusammen-
fallen, tritt dieses Problem der Gewaltverhältnisse auf.

Unsere Leistungsfähigkeit in der auswärtigen Kulturpo-
litik sehe ich darin, diesen Dialog zu nutzen, damit andere
Kulturen, die diesen schwierigen Prozess nicht durchgear-
beitet haben, in den Stand versetzt werden, dies selbst zu
leisten; dieses müssen sie allerdings dann auch selbst tun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Diese Leistung kann nur von innen, aus den Kulturen
selbst kommen. Das ist die Fähigkeit der auswärtigen Kul-
turpolitik: Wir können allen Kulturen, die zu Gewalt und
Expansion neigen, die bestrebt sind, sich auszuweiten, bei
diesem Prozess der Teilung der Gewaltverhältnisse helfen.

Lieber Kollege Fink, dazu gehört auch die Sprache als
Verständigungsmittel jener, die in einer Gesellschaft zu-
sammen leben. Ich kann mir nicht vorstellen – als Theo-
loge wissen Sie das – dass man die Bibel zur Grundlage
der Theologie machen kann, wenn man sie nicht versteht.
Das heißt: Die Verständigungsverhältnisse, von denen Sie
sprechen und auf die Jürgen Habermas zu Recht hinge-
wiesen hat, sind erst möglich, wenn man sich verstehen
lernt. Sprache ist eben jenes Mittel der Verständigung, in
das Gewaltverhältnisse nicht eindringen dürfen. In die-
sem Punkt gebe ich Ihnen also Recht: Integration kann nur
bedeuten, dass diese Gewaltverhältnisse abgebaut wer-
den. Assimilation ist das schwierigste und härteste Ge-
waltverhältnis. Deswegen sind wir ja auch nicht für kul-
turelle Assimilation, sondern für kulturelle Integration.
Daran hat diese Bundesregierung einen großen Anteil.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lieber Kollege Lammert, ich drehe Ihren Vorwurf ein-
mal um: Wenn Sie das, was Sie gesagt haben, wirklich
ernst meinen, dann müssen Sie zum Beispiel auch in dem
Wahlkampf, der uns jetzt bis zum 22. September bevor-
steht, darauf achten, dass es keine Töne gibt, die die Über-
legungen der deutschen Rechten, Assimilation in den Vor-
dergrund zu rücken und Integration zurückzustellen, als
Gefahren noch drastischer darstellen, als sie in manchen
gesellschaftlichen Verhältnissen in der Bundesrepublik
Deutschland vorhanden sind. Bitte helfen Sie dabei mit!


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Verständigungsverhältnisse sind Kultur, sagt Jürgen
Habermas. In der Tat: Die überragende Aufgabe von Po-
litik ist es, Gewaltpotenziale zu verarbeiten, sie einzu-
dämmen und, wenn es geht, in einer Welt, in der Interes-
sen einander feindlich gegenüberstehen und sich Kulturen
ihres jeweiligen Rechts auf Existenz wechselseitig zu be-
rauben trachten, stillzulegen. Das ist auch tatsächlich in
Kulturverhältnissen begründet.

Ich bin sicher, genau das tut die Bundesregierung. Sie
tut das mit dem, was sie konzeptionell vorlegt und prak-
tisch vor Ort leistet. Wir müssen gemeinsam versuchen,
die kulturellen Konflikte auf das zurückzuführen, was sie
in der Regel sind: In kulturellen Konflikten instrumenta-
lisieren Demagogen, Fundamentalisten und Fanatiker die
kulturellen Bedürfnisse und die religiösen Gefühle der
Menschen, um Macht zu erwerben. Wenn auswärtige Kul-
turpolitik einen Beitrag dazu leistet, dass dieser Konflikt
durchdrungen und erkannt wird und die richtigen Mittel,
nämlich die Mittel des Dialogs, eingesetzt werden, um
die Gewaltverhältnisse zu bändigen und zu beenden, dann
ist die auswärtige Kulturpolitik Prima Ratio der Politik,
wie Hilmar Hoffmann es gesagt hat. Ich bin sicher: Die
Bundesregierung arbeitet genau an diesem Konzept wei-
ter. Ich wünsche der auswärtigen Kulturpolitik, Herr
Dr. Spiegel, alles Gute in den nächsten Jahren.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Doch ohne Moos nix los!)





Gert Weisskirchen (Wiesloch)

20926


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421202600
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Ruprecht Polenz, CDU/CSU-Fraktion.


Ruprecht Polenz (CDU):
Rede ID: ID1421202700
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Norbert Lammert hat vorhin
in seiner Rede auf die Ankündigung der Bundesregierung
hingewiesen, als Beitrag zur Konfliktprävention zusätzli-
che Mittel aus dem Antiterrorpaket für den Dialog der
Kulturen bereitzustellen. Bis heute ist leider unklar, wie
diese Mittel verwendet werden sollen und welcher Betrag
überhaupt aus dem Antiterrorpaket für Kulturpolitik zur
Verfügung gestellt werden soll.

Ich möchte den Fragen nachgehen, was auswärtige
Kulturpolitik überhaupt leisten kann und sollte und wel-
che Mittel und Wege besonders erfolgversprechend sind.
Die Voraussetzung zur Beantwortung dieser Fragen ist na-
türlich eine Analyse der Lage, die hier aus Zeitgründen
nur skizzenhaft möglich ist.

Das Datum 11. September des vergangenen Jahres ver-
bindet sich für uns alle mit der Sorge vor einem Clash of
Civilizations, vor einem Zusammenprall der Kulturen.
Trotz der offiziellen Verurteilung der Anschläge durch die
Regierungen der Staaten im Nahen und Mittleren Osten
müssen wir doch zur Kenntnis nehmen, dass es in der Be-
völkerung dieser Länder durchaus zwiespältige Gefühle
gab: Mitleid mit den Opfern und Mitgefühl mit den An-
gehörigen auf der einen Seite, aber gleichzeitig auf der an-
deren Seite eine Haltung nach dem Motto „Es geschieht
den Amerikanern ganz recht“ bis hin zur unverhohlenen
Freude über die Anschläge und Sympathie mit den Terro-
risten. Das zeigen unter anderem auch die Bin-Laden-
T-Shirts, die in vielen dieser Länder ein Renner waren.

Außerdem gab es abstruse Verschwörungstheorien von
angeblichen Warnungen an die jüdischen Mitarbeiter im
World Trade Center, am 11. September nicht zur Arbeit zu
gehen und damit verbunden das Gerücht, es sei ein Beleg
dafür gefunden, dass in Wahrheit der israelische Geheim-
dienst Mossad hinter den Anschlägen stehe.

Ein Grund für dieses problematische Meinungsklima
ist sicherlich die Kritik an der amerikanischen Politik im
Nahen Osten. Man wirft den Amerikanern eine einseitige
Unterstützung Israels und doppelte Standards bei der
Durchsetzung von UN-Resolutionen oder bei der Anmah-
nung von Menschenrechtstandards vor. Vor allem aber
gibt es das tief sitzende Gefühl, die eigene Identität werde
durch den Westen, insbesondere durch die USA, bedroht.
Ein weiterer Grund ist die kulturelle Identität, ist die Tat-
sache, dass die eigenen Werte, die Familie dort viel stär-
ker als bei uns religiös geprägt sind. Man fühlt sich be-
vormundet und nicht selten gedemütigt.

Auch hier gibt es eine zwiespältige Haltung: Einerseits
wird die westliche Kultur als dekadent empfunden, zer-
setzend für die eigenen Werte, wie zum Beispiel den
familiären Zusammenhalt; andererseits gibt es eine Be-
wunderung für die technische, medizinische oder wirt-
schaftliche Leistungsfähigkeit des Westens, verbunden
wiederum mit einem Gefühl der Unterlegenheit und mit
der Frage, wie es wohl dazu kommen konnte, dass die
noch im Mittelalter auf vielen Gebieten der Wissen-

schaft –Medizin, Astronomie und Mathematik – führende
islamische Welt so weit zurückfallen konnte.

Diese kulturellen Spannungen bestehen nicht nur ge-
genüber den USA, sondern auch zwischen den isla-
mischen, insbesondere den arabisch-islamischen Ländern
und dem Westen insgesamt, also auch gegenüber uns. Wir
haben ein Interesse daran, diese Spannungen abzubauen.
Aber durch die Globalisierung werden diese kulturellen
Spannungen eher verschärft. Die Ungleichzeitigkeiten in
der Entwicklung nehmen zu. Die Schere zwischen den
islamischen Ländern und dem Westen geht weiter auf.
Globalisierung heißt ja Beschleunigung wirtschaftlicher
Entwicklungen durch den weltweiten Wettbewerb. Wir
sehen schon an den Anpassungsprozessen bei uns und an
den Problemen damit, wie schwierig das ist. Viel größer
sind diese Schwierigkeiten für die Länder des Nahen und
des Mittleren Ostens mit ihren autoritären Regimen, ihren
Clanstrukturen und ihrer Mentalität: „Der Sieger be-
kommt alles“, was den demokratischen Wandel hindert.

Wir müssen uns bei diesem Dialog der Kulturen auch
die Frage stellen: Wie beeinflusst der Islam die Anpas-
sungsfähigkeit dieser Länder an die Globalisierung? Man
kennt keine Trennung von Religion und Politik, von Staat
und Religion, wie wir das tun. Der Islam ist eine „Buch-
religion“; es stellt sich dann auch die politisch wichtige
Frage: Wie wird der Koran ausgelegt, aus heutiger Sicht
oder unverändert buchstabengetreu wie vor über tausend
Jahren?

Wenn wir die kulturellen Spannungen abbauen wollen,
die sich leicht zu schwerwiegenden Konflikten mit mög-
licherweise unabsehbaren Folgen ausweiten, wie uns die
Ereignisse des 11. September vor Augen geführt haben,
dann ist dieser Dialog der Kulturen richtig – auch ohne
wirkliche Alternative – und er ist vor allem dringlich. Des-
halb ist es um so enttäuschender, dass die Regierung bis
heute kein schlüssiges Konzept dafür erkennen lässt. Statt
neuer Prioritäten ist es nur ein eher betuliches „Weiter wie
bisher!“ Die Politik der ruhigen Hand hat offensichtlich
auch hier ihren Niederschlag gefunden. Es gibt keine
neuen Ideen und Impulse, obwohl die Anschläge des
11. September inzwischen fünf Monate her sind.

Wir dürfen dem Terrorismus nicht nur mit militäri-
schen Mitteln begegnen, wir müssen dem Terrorismus
auch mit intellektuellen Mitteln entgegentreten.


(Lothar Mark [SPD]: Das tun wir!)

Ich hätte nicht gedacht, dass man eine rot-grüne Bundes-
regierung daran erinnern muss.


(Lothar Mark [SPD]: Das müssen Sie nicht, weil wir das permanent tun!)


Wichtig für einen Dialog der Kulturen sind Informa-
tionen über „den Anderen“. Hier gibt es einen Mangel
sicherlich auch bei uns. Aber in vielen Ländern des Nahen
und Mittleren Ostens besteht ein Zerrbild des Westens,
wie man anhand von vielen Zeitungskommentaren nach
dem 11. September sehen konnte. Wir müssen also vor al-
len Dingen eigene Informationen anbieten und Informa-
tionen aus den islamischen Ländern aufnehmen. Da ist
das Gespräch zwischen Eliten und Experten wichtig, aber






(C)



(D)



(A)



(B)


nicht ausreichend. Wir müssen Informationen für eine
möglichst große Zahl von Menschen bereitstellen, wir
müssen die Massenmedien nutzen, das Radio und insbe-
sondere das Fernsehen, vor allem auch angesichts der
großen Zahl von Analphabeten, die es im Nahen Osten
noch immer gibt.

Deshalb ist der am vergangenen Wochenende be-
schlossene Kooperationsvertrag zwischen ZDF und
al-Dschasira so sehr zu begrüßen. Das ZDF verdient
große Anerkennung dafür, dass es ihm als erstem westli-
chen Sender gelungen ist, mit al-Dschasira zusammenzu-
arbeiten, mit Nachrichtenaustausch, Hospitation von
Journalisten und gemeinsamen Produktionen.

Ich frage: Was hat die Bundesregierung bisher getan,
um auch der Deutschen Welle ein stärkeres Engagement
für diese Region zu ermöglichen? – Nichts. Im Gegenteil,
die Mittelkürzungen wurden nicht rückgängig gemacht.
Deshalb war es der Deutschen Welle nach dem 11. Sep-
tember auch nur in geringem Maße möglich, ihre Pro-
gramme in der Region auszuweiten: in den afghanischen
Landessprachen Paschtu und Dari um täglich 30 Minuten
auf 110 Minuten, also nicht einmal zwei Stunden täglich,
in Urdu nach Pakistan von 45 auf 75Minuten. In Arabisch
sendet die Deutsche Welle lediglich zweieinhalb Stunden
und nur über Kurzwelle. Zum Vergleich: Die BBC
erreicht mit ihrem 18 Stunden dauernden Rundfunkange-
bot in Arabisch täglich Millionen von Hörern, da es über
die im Nahen Osten beliebtere Mittelwelle ausgestrahlt
wird.


(Jörg Tauss [SPD]: Die Deutsche Welle hat aber weniger Geld!)


Hier ist die Forderung zu erheben, dass die Kürzungen
bei der Deutschen Welle rückgängig gemacht werden, da-
mit die Deutsche Welle ihre Programme für die isla-
mischen Länder in den Landessprachen ausbauen kann,
insbesondere in Arabisch, und zwar im Hörfunk und im
Fernsehen.


(Jörg Tauss [SPD]: Lesen Sie gelegentlich Haushaltspläne, Herr Kollege?)


Angesichts der Kosten für Deutsche Welle-TV und
knappen Kassen muss natürlich auch über andere Wege
nachgedacht werden. Der Bund sollte deshalb wieder die
Produktion von Sendungen unterstützen, die den Anstal-
ten dieser Länder zur Ausstrahlung gegen eine geringe
Gebühr angeboten werden, also das so genannte Rebroad-
casting. Unter der Trans-Tel GmbH gab es von Ende der
70er-Jahre bis 1998 eine Gemeinschaftsproduktion von
Deutscher Welle, ARD, ZDF, Auswärtigem Amt und Pres-
seamt der Bundesregierung. Der Vorteil war: Die Aus-
strahlung erfolgte nicht durch den „fremden“ oder „aus-
ländischen“ Sender, sondern durch den heimischen
Sender, und zwar vergleichsweise kostengünstig.

Die Bundesregierung sollte sich auch für ein gemeinsa-
mes europäisches Programm der Auslandsrundfunk-
anstalten einsetzen. Ich denke an ein gemeinsames Pro-
gramm von Brüssel, gemacht insbesondere von BBC, den
französischen Sendern TV 5 und Radio France Internatio-
nale, der Deutschen Welle und Radio Netherlands. Das
wird sicherlich nicht einfach sein, weil der Marktführer

BBC sagt: „Ich kann das alles auch alleine ganz gut“, und
die Franzosen überwiegend ein Interesse an frankopho-
nen Ländern auf der Welt haben. Trotzdem: Es gibt das
Projekt Radio Europa mit einem immerhin halbstündigen
Hörfunkprogramm.

Es geht natürlich nicht darum, dass Europa mit einer
Stimme spricht. Das wäre geradezu widersinnig, da Eu-
ropa vor allem kulturell durch seine Vielfalt gekennzeich-
net ist. Aber es wäre schon eine gemeinsame Anstrengung
wert, sich neben CNN in der Welt Gehör zu verschaffen,
als europäischer Beitrag zur weltweiten Informations-
und Meinungsvielfalt, als Forum für einen Dialog der
Kulturen, der sehr viele Menschen erreicht. Dazu ist es al-
lerdings erforderlich, dass die Bundesregierung – viel-
leicht können Sie dazu gleich etwas sagen, Herr Minis-
ter – den Worten Taten folgen lässt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421202800
Ich erteile das Wort
dem Bundesminister Joseph Fischer.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421202900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man der
Opposition, vor allen Dingen ihrem Hauptredner, dem ge-
schätzten Kollegen Norbert Lammert, zuhört, dann
könnte der Eindruck vermittelt werden, dass wir beim Re-
gierungswechsel 1998 eine blühende, finanziell hervorra-
gend ausgestattete, vorwärts strebende auswärtige Kul-
turpolitik vorgefunden hätten


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: So war es! – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sie wollten doch alles besser machen! Reden Sie einmal über sich selbst!)


und dass in den vergangenen drei Jahren, in denen Haus-
halte verabschiedet wurden, ein Abbau stattgefunden
habe. Das ist natürlich mitnichten der Fall. Selbstver-
ständlich, Kollege Lammert – das wissen auch Sie nur zu
gut –, bringt uns eine sektorale Betrachtung der Finanz-
situation, die sich nur auf die auswärtige Kulturpolitik
bezieht, überhaupt nicht weiter;


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Herr Lammert hat es global betrachtet!)


vielmehr ist völlig klar: Wir stehen unter dem Druck, die
öffentlichen Haushalte, die wir vorgefunden haben, zu
konsolidieren. Sie darauf hinzuweisen kann ich Ihnen
nicht ersparen, auch wenn Sie gleich wieder „ah!“ und
„oh!“ schreien.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Jetzt kommt die alte Arie!)


– Das ist keine „alte Arie“. Sie haben es doch gerade in
der Steuerpolitik erlebt, als Sie plötzlich klar machen
mussten, wie Sie finanzieren wollen.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Nach Ihrem Chaos!)





Ruprecht Polenz
20928


(C)



(D)



(A)



(B)


Da hatten oppositionelle Sprüche ein Ende und Ihr Kan-
didat war innerhalb von zwei Tagen von einem strahlen-
den Bewerber zu einem in seinen eigenen Widersprüchen
verfangenen Laokoon geworden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das wissen Sie nur zu gut.
Ich habe es immer wieder gesagt: Wir stehen unter

Konsolidierungsdruck. Insofern haben Sie hier eine haus-
hälterische Debatte geführt – vom Standpunkt der Oppo-
sition her betrachtet, verstehe ich das –; aber entgegen
dem, was Haushaltsdebatten mit sich bringen, nämlich
Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit durchaus auch
in der Kontroverse herauszuarbeiten, sind Sie natürlich je-
den seriösen Finanzierungsvorschlag schuldig geblieben.


(Dr. Elke Leonhard [SPD]: So ist es!)

Daher haben Sie hier nicht zu Haushaltswahrheit und
Haushaltsklarheit, sondern eher zur Vernebelung beige-
tragen. Das ist der entscheidende Punkt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich gebe offen zu – diese Erkenntnis hatte man übri-
gens auch schon in der Schlussphase der Vorgängerregie-
rung –, dass es einen Konsolidierungsbedarf gab. Die Per-
sonalkosten machen, bedingt durch die Struktur des
Auswärtigen Amtes, einen sehr hohen Anteil der Kosten
im auswärtigen Dienst aus; daran hat sich nichts geändert.
Wir hatten schon erhebliche Kürzungen zu verkraften. So
mussten wir 19 Auslandsvertretungen schließen, von de-
nen ich so manche gerne offen gehalten hätte, und muss-
ten bereits bei Mitteln für Programme, vor allem bei frei-
willigen Leistungen für die Vereinten Nationen und
Ähnlichem, kürzen, um unseren Konsolidierungsbeitrag
zu leisten. Dabei hat mir, das muss ich Ihnen sagen, das
Herz geblutet.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Oh!)

Natürlich sind wir auch in der auswärtigen Kulturpolitik,
dies unter anderem, weil das der größte Programmmittel-
ansatz ist, an einer entsprechenden Kürzung nicht vorbei-
gekommen. Das ist die Lage.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Große Ankündigungen! Große Wolken!)


Ein großes Problem hatten wir zum Beispiel bei den
Auslandsschulen.Am Anfang haben wir von Kürzungen
bei den Auslandsschulen, so weit es ging, abgesehen.
Aber aufgrund des anhaltenden Konsolidierungsbedarfs
und -drucks konnten wir sie auf Dauer, wie Sie wissen, da-
von nicht ausnehmen.

Ich möchte aber nicht nur eine quantitative Betrach-
tung anstellen. Sie wissen doch ganz genau, dass wir
gleichzeitig einen erheblichen Bedarf an Strukturrefor-
men haben. Ich möchte Ihnen gar nicht Ihre alten Reden
hierzu vorlesen. Das Geld, das ausgegeben wird, wird
doch nicht nur effizient für Programme ausgegeben; die
Personalkostenstruktur ist durchaus so, dass man nicht

einfach sagen kann: Das finanzieren wir alles munter wei-
ter.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Kollege Polenz hat gerade einen Punkt, der in diesem
Zusammenhang wichtig ist, angeführt. Kollege Polenz,
ich möchte hier nicht in die Debatte um die Auslandssen-
der einsteigen. Aber eines ist doch klar: BBC Internatio-
nal ist aus verschiedenen Gründen, wie zum Beispiel his-
torischen Gründen, eine Klasse für sich; auf diese Gründe
möchte ich aber nicht im Einzelnen eingehen und sie be-
werten. Ich kann Ihnen das nur aus Sicht von jemandem
sagen, der das Ganze häufig aus dem Ausland betrachtet:
Sie spielen natürlich eine Rolle. Wir haben hier struktu-
rellen Anpassungsbedarf. Das ist von den Kulturmittlern
nicht bestritten worden, auch vom Goethe-Institut Inter
Nationes nicht. Wenn wir diese Debatte also zielgerichtet
führen wollen, dann müssen wir sie auch inhaltlich führen
und müssen sie vor allen Dingen daran orientieren, was
wir leisten können, dürfen also nicht nur eine quantitative
Bewertung vornehmen. Nichtsdestotrotz werde ich mich
aber in Zukunft dafür einsetzen, dass wir hier, sobald der
Konsolidierungsdruck nachlässt, Aufwüchse zu verzeich-
nen haben werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Die Chance kriegen Sie nicht mehr!)


– Ausgerechnet Sie, Herr Merz – ein ganz großer Kultur-
politiker! – der Sie permanent verkünden, Sie wollten die
Steuern senken und die Verschuldung abbauen, wollen in
der auswärtigen Kulturpolitik neue Schwerpunkte setzen?
Angesichts all Ihrer unseriösen Versprechungen muss
man meiner Ansicht nach schon fest im Glauben in der
CDU/CSU verwurzelt sein, um Ihnen das zu glauben. Je-
mand, der nicht in der CDU ist, wird Ihnen das nicht ab-
nehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sie können das Wort „Kultur“ doch noch nicht einmal fehlerfrei schreiben! Sprechblasenpolitik! Hören Sie auf, hier so herumzuschwätzen!)


– Das ist der Oppositionsführer: Er meint, ich könne das
Wort „Kultur“ noch nicht einmal fehlerfrei schreiben. Das
ist Ihr Niveau!


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehen Sie sich einmal an, wie Sie sich auf der Regierungsbank herumlümmeln!)


– Sie scheinen ein persönliches Problem mit mir zu haben.
Ich habe kein persönliches Problem mit Ihnen. Ich kann
Ihnen nur sagen: Das ist ein Niveau, das der auswärtigen
Kulturpolitik nicht angemessen ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das müssen Sie gerade sagen!)


Ich könnte, wenn ich mich auf Ihr Niveau begäbe, fragen,
ob eine gewisse Wahlkampfparole der CDU in NRW mit




Bundesminister Joseph Fischer

20929


(C)



(D)



(A)



(B)


den Zielen vereinbar war, für die Kollege Lammert hier
unter anderem gestanden hat. Ich behaupte: nein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


Ich komme zurück zur Sache. Der Begriff „Dialog der
Kulturen“ wird in Zukunft von zentraler Bedeutung sein.
Allerdings werden wir ihn sehr sorgfältig definieren müs-
sen. Es freut mich zwar, dass die Opposition unser Kon-
zept unterstützt. Aber ich gehöre nicht zu denjenigen, die
meinen, dass wir die auswärtige Kulturpolitik instrumen-
tell einsetzen dürfen. Kultur hat einen Wert an sich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Wenn wir von „unserer Kultur“ sprechen, so sprechen wir
von einer durch die Gedanken der Aufklärung geprägten
Kultur, von einer Kultur, die immer auch den Stachel des
Subversiven in sich trägt, die, wie gesagt, auf Grundwer-
ten der Aufklärung wie der Menschenrechte und der Ach-
tung der menschlichen Würde gründet. Das ist ein ganz
entscheidender Punkt. Auch die Herrschaft des Rechts
gehört ganz elementar zu unserer Kultur.

Ich bitte Sie, noch einmal darüber nachzudenken, Kol-
lege Irmer, was Sie zu der Trennung von Kultur und
Zivilisation gesagt haben. Ich weiß nicht, ob man in den
„Betrachtungen eines Unpolitischen“ von Thomas Mann,
die damals die Grundlage für diese Frage waren, eine Tra-
dition erkennen kann; jedenfalls hat das in Deutschland
eine Entwicklung begleitet, die ich sehr zurückhaltend als
äußerst unglücklich bezeichnen möchte.


(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Ja!)

Ich glaube vielmehr, dass im Zusammenhang mit der
Westbindung und der Durchsetzung der Demokratie als
kulturell-politischer Form in Deutschland nach 1945 auch
diese geistige Tradition überwunden wurde und auch im
Kulturbegriff eine Verwestlichung stattgefunden hat. So
zumindest würde ich es interpretieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


In diesem Zusammenhang kommt es ganz entschei-
dend darauf an, dass wir diesen Dialog der Kulturen nicht
als Austausch von Freundlichkeiten begreifen, sondern
als entscheidenden Punkt. Das haben wir ja auch von An-
fang an so gemacht, Kollege Polenz. Schauen Sie sich nur
einmal an, was die Bundesregierung nicht nur politisch,
sondern ganz unmittelbar in Kabul getan hat: Wir haben
den Schwerpunkt auf das Winterschulprogramm gelegt;
wir waren mit die Ersten, die mit den bescheidenen vor-
handenen Mitteln sehr viel bewirkt haben.


(Zustimmung der Abg. Monika Griefahn [SPD])

Wir haben von Anfang an den Schwerpunkt darauf gelegt,
den Frauen und Mädchen eine Bildungsperspektive und
kulturelle Möglichkeiten zu eröffnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS] – Ruprecht Polenz [CDU/CSU]: Bestreiten wir doch gar nicht!)


Dasselbe gilt für die Einrichtung des Goethe-Instituts in
Sarajevo. Damit haben wir eine ganz wichtige Entschei-
dung getroffen. So gehören zu unserer aktiveren Iranpoli-
tik auch kulturelle Verbindungen: die sehr erfolgreiche
Reise deutscher Schriftsteller in den Iran anlässlich der
Gedenkveranstaltungen für den großartigen iranischen
Lyriker Hafis sowie die Reisen verschiedener Theater in
den Iran. All das sind, wie ich finde, ganz wichtige Initia-
tiven. Sie können aber auch die sehr erfolgreiche Reise
von Jürgen Habermas in die Volksrepublik China nehmen.
All das gehört dazu.


(Zustimmung beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Insofern haben Sie mit mir kein Problem, was die Zu-
sammenarbeit zwischen privaten Unternehmen und der
öffentlichen Hand – das ist die deutsche Übersetzung von
Public Private Partnership – angeht.


(Ulrich Irmer [FDP]: Jawohl!)

Ich hoffe, ich kann es richtig schreiben, aber bitte.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Lassen Sie sich nicht aus der Bahn bringen!)


– Nein, von Ihnen lasse ich mich nicht aus der Bahn brin-
gen. Keine Sorge!

Bei den entsprechenden Präsentationen der deutschen
Kultur in Indien durch die Bundesrepublik Deutschland
haben wir sehr gut zusammengearbeitet. Insofern gibt es
auch hier keine Kontroverse. Ich möchte aber weder eine
politische noch eine kommerzielle Instrumentalisierung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Darin sind wir uns doch einig. Ansonsten sind alle Mög-
lichkeiten der Zusammenarbeit gegeben. So hat ja auch
diese Koalition entsprechende Initiativen beim Stiftungs-
recht auf den Weg gebracht. Das darf man nicht verges-
sen.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Der Bundesrat musste Ihnen ganz schön helfen!)


Diese Auseinandersetzung können wir uns also ersparen.
Meine Damen und Herren, der 11. September hat klar

gemacht, dass der Kulturdialog nicht als ein Dialog der
freundlichen Worte missinterpretiert werden darf, son-
dern ein kritisches Aufeinanderzugehen unterschiedlicher
Kulturen – auf den eigenen Grundwerten gründend, wozu
essenziell die Menschenrechte gehören – beinhaltet. Wir
wurden am Anfang oft belächelt, als wir das Konzept ei-
ner präventiven Außenpolitik vertreten haben. Oft wurden
diejenigen als Moralisten oder Idealisten bzw. als kurz-
sichtig handelnd bezeichnet, die Fragen der Menschen-
rechte und auch des kulturellen Dialogs, die so genannten
weichen Fragen, in den Vordergrund der Außenpolitik ge-
stellt haben. Der 11. September hat klar gemacht, dass das
die eigentlichen harten Fragen in der Welt des 21. Jahr-
hunderts sind.

Deswegen werden wir alle Anstrengungen auf eine
verstärkte Zusammenarbeit und einen besseren Aus-
tausch, auch und gerade den Studentenaustausch, rich-




Bundesminister Joseph Fischer
20930


(C)



(D)



(A)



(B)


ten. Es wird wichtig sein, wie uns junge Menschen aus an-
deren Ländern dabei erfahren. Dieser innenpolitische Teil
ist ein integraler Bestandteil der auswärtigen Kulturpoli-
tik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dazu gehört natürlich auch eine verbesserte Ausstat-
tung der Kulturmittler. Wir treten bei der Mittelverteilung
in eine neue Entscheidungsphase ein. Wir werden mit den
knappen Mitteln, die wir haben – das habe ich am Beispiel
Kabul, aber auch an anderen Beispielen klar zu machen
versucht –, die richtigen Schwerpunkte setzen und sie er-
folgreich umsetzen. Ich möchte allen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern, die für die Umsetzung verantwortlich
sind, danken.

Wir werden uns darüber hinaus weiter dafür engagie-
ren, Aufwüchse in den entsprechenden Haushalten zu er-
reichen.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das sagen Sie schon seit drei Jahren!)


Gleichzeitig wird aber der Anpassungsbedarf bei den
Strukturreformen realisiert werden müssen. Dafür werde
ich ebenfalls ganz dickschädelig Sorge tragen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421203000
Herr Minister, Sie
müssen zum Ende kommen.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421203100

Ich komme zum Schluss. – Lassen Sie mich abschließend
für die Unterstützung aus dem zuständigen Ausschuss
danken. Ganz besonders möchte ich Hilmar Hoffmann,
dem ausscheidenden Präsidenten des Goethe-Instituts,
und seinem Vizepräsidenten für die sehr gute Zusammen-
arbeit danken. Hilmar Hoffmann hat von der Bun-
desrepublik Deutschland einen Orden bekommen für die
Leistung, die er gebracht hat, und zwar nicht nur als Prä-
sident des Goethe-Instituts. Ich kenne ihn seit vielen Jahr-
zehnten und weiß, dass er auch in kommunaler Verant-
wortung Großartiges geleistet hat.

Ich möchte von dieser Stelle aber auch der künftigen
Präsidentin des Goethe-Instituts Inter Nationes, Jutta
Limbach, alles Gute wünschen. Ich freue mich auf die Zu-
sammenarbeit.

Recht herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421203200
Ich erteile das Wort
Kollegen Hans-Joachim Otto, FDP-Fraktion.


Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1421203300
Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Es ist sicherlich nicht die
Aufgabe dieses Parlaments, sich bei der auswärtigen Kul-
turpolitik nur wechselseitig auf die Schulter zu klopfen

und zu sagen, dass wir in den Zielen übereinstimmen. Es
ist wohl wahr, dass wir in den Zielen übereinstimmen. Ich
möchte ebenfalls darauf hinweisen, dass Mitglieder der
Regierungs- und der Oppositionsfraktionen im Ausland
immer sehr stark mit einer Stimme sprechen. Das darf
auch nicht verloren gehen.

Aber, lieber Herr Fischer, zur Tränen treibenden Rea-
lität der auswärtigen Kulturpolitik muss man schon noch
ein paar kurze Worte verlieren: Erstens. Sie sagten, es
habe seit Antritt der Regierung Schröder/Fischer keinen
Abbau gegeben.


(Lothar Mark [SPD]: Das hat er gar nicht behauptet! Er hat gerade das Gegenteil gesagt!)


Ganz nüchtern muss man feststellen – daran lässt sich
nicht vorbeireden; ich habe mir die Zahlen eben noch ein-
mal angeschaut –: Der Kulturhaushalt des Auswärtigen
Amtes ist von 1998 bis 2001 schlicht von 1,154 Milliar-
den DM auf 1,126 Milliarden DM heruntergegangen. Das
bedeutet, wenn man auch noch die Wechselkurs- und
Preisveränderungen berücksichtigt, durchaus einen Ab-
bau. Das ist die harte Realität. Im Haushalt der Deutschen
Welle, die, wie wir wissen, nicht bei Fischer ressortiert,
hat es sogar einen Abbau um 130 Millionen DM gegeben.
Das ist die Tränen treibende Realität der auswärtigen Kul-
turpolitik.

Zweitens. Lieber Herr Fischer, es gibt unbestritten – da
werden Sie mit der FDP wenig Probleme haben – einen
Konsolidierungsbedarf. Wir sind die Allerletzten, die be-
streiten würden, dass die Verschuldung nicht in die Höhe
getrieben werden darf; das ginge zulasten der kommen-
den Generationen. Aber – darüber werden wir zu reden
haben – die Prioritätensetzung ist entscheidend. Der Kul-
turhaushalt des Auswärtigen Amtes ist in der Ära Fischer
von 0,25 Prozent – es waren sogar schon 0,28 Prozent –
auf 0,22 Prozent des Gesamthaushaltes heruntergefahren
worden.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: So ist es!)

Auch das ist eine harte Realität. Die Mittel für die Deut-
sche Welle sind um 130 Millionen DM gekürzt worden
und gleichzeitig – das ist Ihre Prioritätensetzung – ist der
Etat des Presse- und Informationsamtes der Bundesregie-
rung dramatisch angestiegen, damit in deutschen Zeitun-
gen schöne Anzeigen für die deutschen Wähler geschaltet
werden können. Dieses Geld fehlt, um eine vernünftige
auswärtige Kulturpolitik betreiben zu können.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich möchte noch ein Wort über die Prioritätensetzung

verlieren. Es ist schon komisch: Es gibt jetzt die Überle-
gung, Serien wie „Kommissar Rex“, „Forsthaus Fal-
kenau“ und „Klinik unter Palmen“ über den deutschen
Auslandssender zu verbreiten. Dafür sind spontan 50Mil-
lionen DM zusätzlich vorhanden. Diese 50Millionen feh-
len natürlich letztlich im Kulturetat, die fehlen für an-
spruchsvolle Programme.

Liebe Freunde von SPD und Grünen, bei diesen
50 Millionen DM, die jetzt für den deutschen Auslands-
kanal, für das Kooperationsprogramm von ARD und ZDF,
eingesetzt werden, muss ich mich doch fragen: Welche




Bundesminister Joseph Fischer

20931


(C)



(D)



(A)



(B)


Prioritäten werden hier gesetzt? „Kommissar Rex“ mag ja
ganz hübsch sein, aber ist das die anzustrebende auswär-
tige Kulturpolitik, Herr Fischer? Ich glaube, das ist nicht
unser Ziel.

Jetzt möchte ich noch etwas zu den Inhalten sagen; das
ist immer noch das Wichtigste. Herr Fischer, Sie haben
gesagt, die auswärtige Kulturpolitik dürfe nicht instru-
mentell eingesetzt werden. Sie meinen damit wahrschein-
lich: nicht unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ich
möchte Ihnen sagen – wahrscheinlich sind wir gar nicht
weit auseinander –: Sie muss durchaus instrumentell ein-
gesetzt werden, und zwar zur Konfliktverhütung, zur
Durchsetzung des Rechtes, zur Durchsetzung von demo-
kratischen Prinzipien.

Insofern möchte ich Herrn Fischer – das wird Sie jetzt
überraschen – loben: Er erklärt jedenfalls immer wieder,
dass das kein unverbindliches Kaffeekränzchen ist, dass
der Dialog der Kulturen nicht zu einer Relativierung von
Menschenrechten führen darf. Da bin ich voll bei Ihnen
und da unterstütze ich Sie auch.

Nur gibt es auch in diesem Bereich Realitäten, die ei-
nen etwas nachdenklich machen. – Ich wollte jetzt etwas
zu Herrn Nida-Rümelin sagen; aber er ist leider nicht
mehr da.


(Zurufe von der SPD: Doch, bei der FDP sitzt er!)


– Ah, richtig. – Herr Nida-Rümelin, Sie waren gerade in
Moskau. Man wirft Ihnen vor, Sie seien als Kulturstaats-
minister in Moskau gewesen und hätten kein Wort dazu
gesagt, dass das einzige kremlfreie Fernsehprogramm
TW-6 zu dieser Zeit schließen musste. Ich war nicht da-
bei. Vielleicht äußern Sie sich noch einmal dazu. Ich hätte
eine Äußerung Ihrerseits jedenfalls für notwendig emp-
funden. Ich weiß nicht, was Herr Fischer dazu sagt; ich
will ihn auch gar nicht um eine Antwort bitten. Wenn Sie
als Kulturstaatsminister in Moskau sind und ein solcher
Sender geschlossen werden muss, dann wäre auch ein
Wort Ihrerseits dazu gegenüber Ihren Gesprächspartnern
notwendig gewesen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Herr Fischer, eines noch zur Durchsetzung der Men-

schenrechte, zu einem Thema, bei dem ich im Prinzip bei
Ihnen bin: Wenn Sie sich die Situation der beiden
chinesischen Staaten einmal anschauen, so stellen Sie
fest, dass es zum einen Begeisterung für Rotchina gibt
– das ist ganz klar, denn das Land hat wegen seiner großen
Bevölkerung wirtschaftlich große Bedeutung – und zum
anderen das verhältnismäßig kleine Taiwan, das immerhin
auf dem Weg zur Demokratie schon sehr weit fortge-
schritten ist und wo es einen Regierungswechsel gegeben
hat, fast untergeht. Was tun wir Deutschen eigentlich, um
den Demokratisierungsprozess in Rotchina zu fördern?
Wir laufen den Rotchinesen nach und benachteiligen Tai-
wan. Das ist keine auswärtige Kulturpolitik, wie ich sie
meine.


(Rita Grießhaber [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben wir einen Rechtsstaatsdialog!)


Als Letztes möchte ich noch etwas zum Dialog mit
dem Islam sagen. Wir müssen den Dialog führen, um
auch Demokratisierungsprozesse – Herr Weisskirchen hat
vorhin sehr engagiert darauf hingewiesen – in Gang zu
setzen. Lieber Herr Herr Weisskirchen, ich weiß gar nicht,
ob wir uns da uneinig sind. Der Dialog mit dem Islam
muss in gleicher Weise geführt werden, wie Herr Fischer
es eben auch angesprochen hat. Wir müssen auf Demo-
kratiedefizite hinweisen. Das ist kein unverbindliches
Kaffeekränzchen. Der Islam insgesamt hat Demokratie-
defizite aufzuweisen, die zu benennen wir uns in der aus-
wärtigen Kulturpolitik nicht scheuen dürfen. Es geht hier
nicht nur um die Diskriminierung der Frau, es geht auch
um Gewaltenteilung, um Fragen der Gewissensfreiheit,
der Glaubensfreiheit usw.

Deswegen, lange Rede, kurzer Sinn – Herr Präsident,
ich komme zum Ende, Sie müssen mich nicht ermah-
nen –: Es ist in der Tat so, dass es im Bereich der auswär-
tigen Kulturpolitik Übereinstimmungen über alle Fraktio-
nen dieses Hauses hinweg gibt. Jetzt ist es an den
Regierungsfraktionen, diese Übereinstimmung, diesen
Konsens auch in die Tat umzusetzen. Gerade in der aus-
wärtigen Kulturpolitik gibt es das Angebot zur Zusam-
menarbeit. Wenn es aber um die Haushaltsberatungen und
um einzelne Anträge geht, vermisse ich die Zusammenar-
beit manchmal. Ich mache Ihnen das Angebot, verbunden
mit dem ausdrücklichen Lob für die klaren Worte zum
Dialog der Kulturen und zur Priorität und Nichtrelavitier-
barkeit der Menschenrechte: Machen Sie im Bereich der
auswärtigen Kulturpolitik mehr Gebrauch von Zusam-
menarbeit. Einiges hat uns nicht gefallen, aber ich möchte
hier noch einmal betonen: Im Grundsatz gibt es Überein-
stimmung in diesem Bereich.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421203400
Ich erteile das Wort
der Kollegin Elke Leonhard, SPD-Fraktion.


Dr. Elke Leonhard-Schmid (SPD):
Rede ID: ID1421203500
Herr Kollege Otto, ich war
2001 und 2002 die Hauptberichterstatterin im Haushalts-
ausschuss für die auswärtige Kulturpolitik. Wir haben mit
der FDP in Person von Herrn Hoyer, mit der CDU/CSU
wie mit allen anderen Fraktionen einvernehmlich gehan-
delt. Sie hätten also frühzeitiger in aller Klarheit Ihre For-
derungen aufstellen müssen, damit wir darüber rechtzei-
tig hätten diskutieren können. Man kann aber jetzt nicht
scheinheilig „auspacken“ wollen. So geht es nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – HansJoachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Oh!)


Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Wir diskutieren heute den Bericht der Bundes-
regierung zur auswärtigen Kulturpolitik 2000, des Weite-
ren den Antrag der SPD-Fraktion und der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „ Auswärtige
Kulturpolitik für das 21. Jahrhundert“ sowie den Antrag




Hans-Joachim Otto (Frankfurt)

20932


(C)



(D)



(A)



(B)


der FDP – so schlecht ist das gar nicht – über Public Pri-
vate Partnership.

Lassen Sie mich einige Bemerkungen zu den Schwer-
punkten der auswärtigen Kulturpolitik machen. So wie
wir in den vergangenen zwei Jahren – ich betone das –
durch eine Mittelaufstockung und durch Verstetigung die
Schwerpunktsetzung bei der Vergabe von Stipendien und
bei der Internationalisierung der Hochschulen als Wei-
chenstellung verstanden haben, so wird die nächste
Schwerpunktsetzung die Konzentration auf die qualita-
tive Verbesserung des Auslandsschulwesens sein müs-
sen. Trotz Haushaltskonsolidierung muss es gelingen, die
Auslandsschulen so zu stärken, dass sie innovativ und
konkurrenzfähig bleiben und die Herausforderungen ei-
ner globalisierten Welt nutzen, deutschen wie einheimi-
schen Kindern eine zukunftssichere Ausbildung anzubie-
ten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Der Ausbau des Begegnungscharakters und der Aus-
bau von Euro-Campus-Schulen sollte forciert vorange-
bracht werden. Lassen Sie mich stellvertretend für die
119 Schulen mit insgesamt 70 000 Schülern, die 48 Be-
gegnungsschulen und 44 deutschsprachigen Schulen so-
wie 27 landessprachlichen Schulen die Amani-Ober-
realschule in Kabul erwähnen. Wir sind sicher, dass noch
im Laufe des Frühjahrs die Amani-Oberrealschule wieder
eröffnet wird. Mit großer Intensität wird an dieser Wie-
dereröffnung gearbeitet. Ich bin sicher, dass nach jahre-
langem Terror, Unterdrückung, Knechtung und Verfol-
gung nichts so wichtig ist wie der Aufbau von Vertrauen.
Vielleicht können wir dazu beitragen, Vertrauen zu bilden
und damit Brücken zu bauen.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Es war eine schlichte Geste, als der Außenminister auf
dem Petersberg die Wiedereröffnung der Amani-Ober-
realschule und der Mädchenschule ankündigte. Die Bilder
von der Wiedereröffnung der Mädchenschule in der ver-
gangenen Woche werden bei uns allen noch lange haften
bleiben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass Sie,
Herr Kollege Lammert, Prozentzahlen genannt haben. Ich
muss aber dazu sagen, dass die absoluten Zahlen wichtig
sind. In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, dass
wir die Mittel für die Stipendien um 21 Millionen DM
aufgestockt haben – wir haben sogar eine Verstetigung er-
reicht – und dass wir bei den Mitteln für die Auslands-
schulen 2,5 Millionen Euro dazugelegt haben.


(Abg. Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421203600
Frau Kol-
legin Leonhard, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Lammert?


Dr. Elke Leonhard-Schmid (SPD):
Rede ID: ID1421203700
Nein, ich möchte mit mei-
ner Rede fortfahren, obwohl er schön aufgestanden ist.


(Heiterkeit – Dr. Norbert Lammert [CDU/ CSU]: Es muss Gründe dafür geben!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421203800
Herr Kol-
lege Lammert, ich bedauere, dass die Zwischenfrage nicht
zugelassen wird.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Schade, schade!)



Dr. Elke Leonhard-Schmid (SPD):
Rede ID: ID1421203900
Mit dem Kollegen
Lammert habe ich mich oft über diesen Punkt auseinan-
der gesetzt. Ich habe dabei stets betont: Wenn Sie Ände-
rungen haben wollen, dann bringen Sie diese in die Haus-
haltsberatungen ein!


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das haben wir doch gemacht! Sie lehnen sie nur ab!)


Ich könnte Ihnen die mir vorliegende Liste vorlesen.
Während Ihrer Regierungszeit wurden beispielsweise
42 Goethe-Institute geschlossen.


(Erika Lotz [SPD]: Aha!)

Seit 1999 gab es aber keine Schließungen mehr. Ich kann
Ihre Vorwürfe nicht mehr hören. Ich habe gar nicht die
Zeit, um Ihnen die passende Antwort zu geben, die Sie
verdienen.


(Heiterkeit bei der SPD)

Es ist mir aber auch ein großes Bedürfnis, aus diesem

Hohen Hause eine Grußadresse an Hilmar Hoffmann, mit
dem ich jahrelang zusammengearbeitet habe, zu richten.
Er wurde am vergangenen Freitag zusammen mit Profes-
sor Wapnewski von unserem Bundespräsidenten
Johannes Rau verabschiedet. Beide, Präsident und Vize-
präsident, zählen zu den großen Botschaftern der Bun-
desrepublik. Die auswärtige Kulturpolitik wäre ohne sie
nicht so erfolgreich gewesen. Hilmar Hoffmann und Peter
Wapnewski werden auf jeden Fall der auswärtigen Kul-
turpolitik fehlen. Respekt und Dank von dieser Stelle.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Gleichzeitig wünschen wir Frau Professor Limbach,
Volker Doppelfeld und Klaus-Dieter Lehmann die nötige
Energie und Überzeugungskraft zur Fortsetzung der be-
deutenden Arbeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Der scheidende Präsident des Goethe-Instituts, Profes-
sor Hoffmann, formulierte treffend:

Die deutsche Außenpolitik zeigt mit Joschka Fischer
ein neues Gesicht. Zum ersten Mal seit 100 Jahren
leisten wir uns einen eigenständigen Beitrag zu einer
Weltfriedenspolitik, die auf einer den Menschen-
rechten verpflichteten strategischen Planung basiert.




Dr. Elke Leonhard

20933


(C)



(D)



(A)



(B)


Kritisch fügte er allerdings hinzu:
Was ganz offensichtlich bisher nicht gelungen ist, ist
der Eintritt in die neue, dritte Phase der Außenpoli-
tik.

Hoffmann ergänzte diese Ausführungen mit den er-
klärenden Worten:

Früher in Bonn, heute in Berlin gilt der Begriff von
den drei Säulen der Außenpolitik als Standard. Die-
sen Dreiklang bildet neben Politik als erster Säule
und Wirtschaft als zweiter Säule schließlich die aus-
wärtige Kulturpolitik als drittes Fundament unserer
Außenpolitik.

Nun spiegelt sich in diesem Säulenmodell exakt die
oben skizzierte dreiphasige Entwicklung der außenpoliti-
schen Paradigmen der Nachkriegszeit. Wenn es stimmt
– so Hoffmann –, dass wir längst in eine neue, von Kultur
und Information, Bildung und Medien geprägte Ära der
internationalen Politik eingetreten sind, dann hat diese Er-
kenntnis nicht weniger zur Konsequenz als eine Umkehr
der bisherigen Rangordnung. Er fordert die neue Ära
deutscher Außenpolitik, deren Umrisse immer deutlicher
erkennbar werden, als eine Ära, die im Kern auf den Aus-
bau der internationalen kulturellen Verständigungsver-
hältnisse der Zukunft zielt. Er verlangt nicht weniger, als
der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik oberste
Priorität zu gewähren und damit die dritte Säule zur ers-
ten zu machen.

Hoffmann bemühte Sigmund Freud, der schon wusste,
dass alles, was die Kulturentwicklung fördert, gegen den
Krieg arbeitet. Man kann zustimmen. Aber wie hauch-
dünn die Kultur- und Zivilisationsschicht sein kann, ha-
ben Freuds Schüler und die Frankfurter Schule treffend
analysiert.

Lassen Sie mich noch einmal anmerken: Eine Hierar-
chie innerhalb der Dreisäulenpolitik der Außenpolitik
halte ich für unangemessen. Außerdem würde – den Wor-
ten Hoffmanns folgend – die auswärtige Kulturpolitik so-
fort wieder zum Auswärtigen Ausschuss und dort nicht in
einen Unterausschuss, sondern in den Hauptausschuss
verlagert. Ob wir dies wollen, ist eine andere Frage und
wird an anderer Stelle diskutiert werden.

Ich sehe nur die Konsequenz, dass es bei der klassi-
schen Diplomatie ebenso wie bei der Außenwirtschaft
und der auswärtigen Kulturpolitik als den drei Säulen der
Außenpolitik bleiben wird und danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421204000
Das Wort
hat jetzt der Kollege Hartmut Koschyk von der
CDU/CSU-Fraktion.


Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1421204100
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Außenminister hat
vorhin in seinem Redebeitrag mit Blick auf die
CDU/CSU-Fraktion angemahnt, dass wir Antworten da-

rauf geben sollten, wo wir andere Schwerpunkte in der
auswärtigen Kulturpolitik setzen und vor allem wie wir
sie finanzieren wollten.

Die Frau Kollegin Leonhard hat gerade in ihrem Re-
debeitrag den schönen Satz gesagt: Wenn Sie Änderungs-
wünsche für den Haushalt haben, dann bringen Sie sie
doch ein. – Liebe Frau Kollegin Leonhard, wir hatten im
Kulturausschuss des Deutschen Bundestages eine sehr
substanzielle Debatte über den Haushaltsansatz für die
auswärtige Kulturpolitik für das Jahr 2002. Das Aus-
wärtige Amt hat die gutachterliche Befassung des Kultur-
ausschusses des Deutschen Bundestages mit dem Haus-
haltsansatz für die auswärtige Kulturpolitik so ernst
genommen, dass weder der Herr Außenminister noch ir-
gendeiner der Staatssekretäre noch der Abteilungsleiter
– Frau Kollegin Griefahn, Sie erinnern sich – in der Aus-
schusssitzung zugegen waren, sondern eine Referatsleite-
rin.


(Monika Griefahn [SPD]: Das war die stellvertretende Abteilungsleiterin!)


Frau Kollegin Leonhard, wir haben sehr wohl zahlrei-
che Anträge – auch Verbesserungs- und Gegenfinanzie-
rungsvorschläge haben wir dargelegt – im Hinblick auf
den Haushalt für die auswärtige Kulturpolitik für das
Jahr 2002 eingebracht.


(Monika Griefahn [SPD]: Aber nicht im Haushaltsausschuss!)


Das Problem war: Die Mehrheitsfraktionen von SPD und
Grünen haben sie abgelehnt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte noch einmal zu einem Kernbereich der aus-

wärtigen Kulturpolitik zurückkommen. Herr Bundes-
minister, natürlich ist es in Zeiten knapper Haushaltskas-
sen schwierig, in einem Bereich, der nicht immer eine
Lobby in der Gesamtregierung hat, Kürzungen zu verhin-
dern. Man muss sich dann aber auf Prioritäten konzentrie-
ren. Wir werfen Ihnen vor, dass Sie ständig – auch in der
auswärtigen Kulturpolitik – neue Aufgaben angehen und
das mit großen Worten beschreiben, wichtige Kernaufga-
ben in der auswärtigen Kulturpolitik aber vernachlässi-
gen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich möchte dies an einem Bereich, nämlich dem der
Auslandsschulen, deutlich machen; es ist auch ein wenig
durch die heutige Debatte deutlich geworden. Wenn ich
mir den Bericht des Auswärtigen Amtes zur auswärtigen
Kulturpolitik für das Jahr 2000 ansehe, dann erkenne ich,
dass dort sehr euphemistisch beschrieben wird, wie sich
die Kürzungspolitik bei den Auslandsschulen auswirkt.
Dort heißt es nämlich:

Nach sorgfältiger Einzelprüfung wird die Förderung
den Sparbeschlüssen angepasst, wobei die Schulen
möglichst wenig beeinträchtigt werden sollen. Qua-
lität und Substanz der Ausbildung sind gewahrt ...

Herr Minister, das stimmt eben nicht. Ich werde dies an
einigen Beispielen deutlich machen.




Dr. Elke Leonhard
20934


(C)



(D)



(A)



(B)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungsko-
alition, auch in Ihrem Antrag über eine auswärtige Kultur-
politik für das 21. Jahrhundert – man muss sich das einmal
auf der Zunge zergehen lassen – findet das Auslands-
schulwesen nur eine marginale, lapidare Erwähnung in
vier Sätzen.


(Dr. Elke Leonhard [SPD]: Wir haben es ins Zentrum gesetzt!)


– Wenn man sich Ihren Antrag einmal anschaut, sieht
man, dass es sich um eine lapidare, marginale Erwähnung
handelt. Ich muss Ihnen sagen: Dass Ihnen nicht mehr
dazu einfällt, als dass mit anderen europäischen Ländern
und anderen Trägern mehr zusammengearbeitet werden
muss, um Auslandsschulen zunehmend zu Euro-Campus-
Schulen zu entwickeln, zeigt, wie konzeptionslos Sie in
diesem Bereich sind.

Ich meine, wir müssen deutlich machen, dass das deut-
sche Auslandsschulwesen eines der wichtigsten Instru-
mente nicht nur der deutschen Bildungspolitik, sondern
auch der auswärtigen Kulturpolitik ist. Es dient neben den
Kulturbeziehungen auch der Förderung der deutschen
Außenwirtschaft, dem Dialog der Kulturen und auch der
Verbesserung unserer bilateralen Beziehungen. Über
100 000 ausländische Jugendliche erhalten an den deut-
schen Schulen im Ausland eine qualifizierte Schulausbil-
dung. Dies lässt Hunderttausende Jugendliche weltweit
zu einer einzigartigen Brücke zwischen Deutschland und
den Kulturen der Welt werden.

Es geht aber – auch das muss eine Kernaufgabe deut-
scher auswärtiger Kulturpolitik bleiben – um die Schul-
versorgung von zigtausend Kindern deutscher Staatsbür-
ger, die zeitweilig für deutsche Unternehmen, sonstige
deutsche Einrichtungen oder Auslandseinrichtungen im
Ausland tätig sind. Wir haben eine Fürsorgepflicht für die
schulische Wiedereingliederung der Kinder deutscher
Staatsbürger, die sich zeitweise im Ausland aufhalten,
wenn sie nach Deutschland zurückkehren.

Lassen Sie mich gerade auch im Hinblick auf die
Außenwirtschaft und die Globalisierung der Weltwirt-
schaft sagen: Wenn Sie sich heute mit Vertretern deut-
scher Unternehmen unterhalten, dann merken Sie, dass
junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit operie-
render deutscher Unternehmen nur dann bereit sind, mit
ihren Familien ins Ausland zu gehen, wenn dort auch ent-
sprechend qualifizierte deutsche Auslandsschulen vorge-
halten werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich komme jetzt zu den Kürzungen der rot-grünen
Bundesregierung. Allein im Haushaltsbereich 2000/2001
betrugen die Kürzungen für die deutschen Auslandsschu-
len 10,84 Millionen Euro. In der gesamten bisherigen Le-
gislaturperiode betrugen sie 20,5 Millionen Euro.

Was diese Kürzungen bedeuten, Herr Außenminister,
das können Sie erleben, wenn Sie eine deutsche Aus-
landsschule besuchen. Ich habe in den letzten Jahren
mehrere deutsche Auslandsschulen besucht. Dort heißt es,
dass es zunehmend Probleme gibt, eine ausreichende An-

zahl qualifizierter Auslandslehrkräfte in den Schulen zu
bekommen. In deutschen Schulen muss aufgrund der
Kürzungen die Zahl qualifizierter Auslandslehrer zurück-
geführt werden. Es droht eine Statusverschlechterung der
Schulen; denn wenn es eine immer geringere Anzahl von
Lehrern an den Schulen gibt, kann dadurch die Möglich-
keit, an der Schule die Reifeprüfung abzuhalten, gefähr-
det werden.

Wenn Sie sich mit den deutschen Außenhandelskam-
mern und den Verantwortlichen deutscher Unternehmen
vor Ort unterhalten, dann sagen diese schon sehr klar, dass
die Gefahr besteht, es könne zu einem Renommeeverlust
deutscher Auslandsschulen gegenüber anderen internatio-
nalen Schulen vor Ort kommen. Wir müssen sehen, dass
die Kürzungen zunehmend zu einem Qualitätsverlust und
einem Imageverlust führen. Deshalb, Herr Bundesaußen-
minister, schlagen die deutsche Wirtschaft und vor allem
auch die deutschen Außenhandelskammern in einem nie
gekannten Ausmaß Alarm.

Ich bin dem Deutschen Industrie- und Handelskam-
mertag und den deutschen Außenhandelskammern sehr
dankbar, dass sie sich dieses Themas annehmen. Herr
Minister, die deutsche Wirtschaft nimmt sich dieses
Themas nicht in der Art und Weise an, dass sie nur die
Hand aufhält und sagt: Wir wollen mehr Geld. – Vielmehr
war es für mich sehr interessant, zu erfahren, wie sehr sich
die deutsche Wirtschaft vor Ort für deutsche Auslands-
schulen engagiert: Grundstücke werden gekauft und In-
vestitionen zur Verfügung gestellt, um die Schulausstat-
tung zu verbessern, zum Beispiel für Turnhallen und
Musikräume.

Wenn man sich ansieht, wie der Schultitel des Auswär-
tigen Amtes seit 1998 bis heute insgesamt zurückgegan-
gen ist – 1998 betrug er 193 Millionen Euro, in diesem
Jahr 172 Millionen Euro; in der mittelfristigen Finanzpla-
nung bis 2004 soll der Schultitel auf 169 Millionen Euro
weiter zurückgeführt werden –, dann wird deutlich – der
Kollege Dr. Lammert hat darauf hingewiesen –, dass dies,
wenn man Wechselkursschwankungen und die Teue-
rungsrate in vielen Ländern dieser Welt berücksichtigt,
eine Absenkung um 30 bis 40 Prozent bedeutet.

Jetzt muss man nicht nur die warnenden Stimmen der
deutschen Wirtschaft hören. Jetzt muss man auch die war-
nenden Stimmen von wichtigen Partnern im Auslands-
schulwesen in den jeweiligen Gastländern vernehmen,
die, wenn man in diesen Ländern ist, einem klar sagen,
dass Deutschland mit seinem weltweiten kulturellen An-
sehen Gefahr läuft und dass immer weniger Eliten in Län-
dern mit deutschen Auslandsschulen ein Interesse daran
haben, auf diese Schulen zu gehen, weil andere Schulen
qualitativ besser sind.

Das hat auch Auswirkungen auf unser gemeinsames
Ziel, Herr Bundesaußenminister, die Stärkung des Hoch-
schulstandorts Deutschland. Wir beklagen den Rück-
gang von Studierenden aus dem Ausland an deutschen
Hochschulen. Wenn Sie mit Vertretern der Hochschulrek-
torenkonferenz und Vertretern deutscher Hochschulen
sprechen, dann sagen diese sehr deutlich: Wenn es auf-
grund der Qualitätseinbußen für immer weniger Eliten im
Ausland interessant ist, auf eine deutsche Auslandsschule




Hartmut Koschyk

20935


(C)



(D)



(A)



(B)


zu gehen, sodass dort erste Prägungen im Hinblick auf die
deutsche Sprache und die deutsche Kultur nicht erfolgen,
dann wird es auch immer weniger interessant, auf eine
deutsche Hochschule zu gehen.

Deshalb müssen wir gerade auch bei diesem zentralen
Bereich der auswärtigen Kulturpolitik sagen, dass weder
der Bericht, den die Bundesregierung für das Jahr 2000
vorgelegt hat, noch der Koalitionsantrag irgendeine um-
fassende Konzeption für die Zukunft des Auslandsschul-
wesens erkennen lassen. Drei Jahre rot-grüne Regie-
rungszeit haben zu einer groben Vernachlässigung der
politischen Aufmerksamkeit und auch der finanziellen
Förderung für das deutsche Auslandsschulwesen geführt.

Die deutsche Wirtschaft vor Ort, die an den Auslands-
schulen tätigen Lehrer, aber auch die in den Schulen en-
gagierten Unternehmen und die Elternschaft sind alle
über diese Vernachlässigung tief enttäuscht. Deshalb sage
ich für diesen zentralen Bereich der deutschen auswärti-
gen Kulturpolitik: Auch hier wird im Herbst dieses Jahres
ein Politikwechsel notwendig sein, damit auch das deut-
sche Auslandsschulwesen als ein Kernbereich auswärti-
ger Kulturpolitik in Deutschland wieder den Stellenwert
bekommt – Herr Minister, das können wir sehr selbstbe-
wusst sagen –, den es in 16 Jahren Regierungsverantwor-
tung der Union gemeinsam mit der FDP immer gehabt
hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lothar Mark [SPD]: Aber jetzt ist die Redezeit um!)


Wenn Sie vor Ort mit Verantwortlichen der deutschen
Wirtschaft und der deutschen Auslandsschulen sprechen,
dann wird das anerkannt. Das haben Sie stark vernachläs-
sigt. Auch hier braucht die deutsche auswärtige Kulturpo-
litik dringend den Wechsel.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ulrich Irmer [FDP])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421204200
Ich
schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/6825 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksa-
che 14/7253 zu dem Antrag der Fraktion der FDPmit dem
Titel „‚Public Private Partnership‘ in der auswärtigen
Kulturpolitik“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/5963 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der PDS gegen
die Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP
angenommen.

Wir kommen zu der Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf
Drucksache 14/7380 zu dem Antrag der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel
„Auswärtige Kulturpolitik für das 21. Jahrhundert“. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/5799
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen und der Fraktion der PDS gegen die Stim-
men der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP ange-
nommen.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 4 a bis c auf:
4. a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung

(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

Birgit Schnieber-Jastram, Karl-Josef Laumann,
Gunnar Uldall, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
FürmehrWettbewerb und Subsidiarität in den
sozialen Sicherungssystemen – durch Neuorga-
nisation der aktiven Arbeitsmarktpolitik die
Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland senken
– Drucksachen 14/5552, 14/7523 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Andrea Nahles

b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Dr. Heinrich L. Kolb, Hildebrecht Braun

(Augsburg), Rainer Brüderle, weiterer Abgeordne-

ter und der Fraktion der FDP eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Sicherung betrieb-
licher Bündnisse für Arbeit
– Drucksache 14/6548 –

(Erste Beratung 183. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss)

– Drucksache 14/7362 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Brandner

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Sozial-
ordnung (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Birgit Schnieber-Jastram, Karl-Josef
Laumann, Brigitte Baumeister, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der CDU/CSU
Im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wett-
bewerbsfähigkeit bei wichtigen Fragen des Ar-
beitsmarktes endlich handeln
– Drucksachen 14/5758, 14/7362 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Brandner

Über den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP zur Si-
cherung betrieblicher Bündnisse für Arbeit werden wir
später namentlich abstimmen.




Hartmut Koschyk
20936


(C)



(D)



(A)



(B)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Klaus Brandner von der SPD-Fraktion das Wort.


Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1421204300
Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In der erhitzten
Debatte über den Arbeitsmarkt ist neben einem klaren
Kopf auch ein gutes Gedächtnis hilfreich. Vor genau vier
Jahren – im Januar 1998 – hatten wir in der Bundesrepu-
blik Deutschland einen bis dahin noch nie erreichten
Stand von exakt 4,82 Millionen arbeitslosen Frauen und
Männern. Vier Jahre später ist die aktuelle Arbeits-
marktlage ohne Frage unbefriedigend: Knapp 4 Milli-
onen Arbeitslose im Dezember und voraussichtlich mehr
als 4 Millionen Arbeitslose im Januar – das kann nicht zu-
frieden stellen, um das klar zu sagen.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das ist richtig!)


Klar ist aber auch, dass wir in der Zwischenbilanz in ei-
ner Größenordnung von einer halben Million weniger Ar-
beitslosen als 1998 besser dastehen, als es viele in der Öf-
fentlichkeit wahrhaben wollen –


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Warten Sie es mal ab, Herr Brandner!)


und dies, obwohl sich mehr Menschen am Erwerbsleben
beteiligen, also keine demographische Entlastung stattge-
funden hat.

Hinzu kommt noch, dass wir – die neue Bundesregie-
rung und die sie tragenden Fraktionen – nicht mit statisti-
schen Tricks und mit Wahlkampf-ABM gearbeitet haben.


(Peter Dreßen [SPD]: Die mussten wir abbauen!)


Wir haben auch nicht die Datenlage geschönt. Insofern
muss das Ergebnis positiver dargestellt werden, als es
manche zurzeit gewürdigt wissen wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben natürlich dadurch, dass Sie die Wahlkampf-
ABM erfunden haben, das Arbeitsmarktmittel ABM dis-
kreditiert. Das ist doch völlig klar. Wenn Sie es jetzt zu-
gunsten von Kombilöhnen abschaffen wollen, zeigt das
nur, dass Sie ein sinnvolles Instrument für bestimmte Pro-
blemlagen in Misskredit gebracht und nicht dafür gesorgt
haben, den Menschen, die diese Unterstützung brauchen,
tatsächlich Hilfe zu geben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Hinzu kommt schließlich, dass seit 1998 fast 1,2 Mil-
lionen neue Jobs entstanden sind. Das kann sich, so meine
ich, sehen lassen. Darüber kann die Aufgeregtheit über die
derzeitig schwierige Konjunkturphase auch nicht hin-
wegtäuschen. Wir hatten zwar – das hatte ich schon an-
gesprochen – mehr erwartet. Aber wir stehen nicht mit

leeren Händen da. 1,2 Millionen Jobs bedeuten Zukunft,
Hoffnung und Perspektive für 1,2 Millionen Menschen in
diesem Land. Es gibt keinen Grund, dieses Ergebnis un-
serer Politik kleinzureden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dass Sie, insbesondere die Kollegen von der CDU/
CSU-Fraktion, vor diesem Hintergrund, so steht es in
Ihrem Antrag, eine grundlegende Reform der aktiven Ar-
beitsmarktpolitik zur Senkung der Arbeitslosigkeit for-
dern, ist schon ein bisschen grotesk; denn Sie selbst haben
erst 1998, wie Sie gesagt haben, eine grundlegende
Arbeitsmarktreform durchgeführt, deren Wirkungen
wir im Laufe der Jahre organisatorisch anpassen mussten
und für die wir Mittel zur Verfügung stellen mussten. Wir
dagegen haben konkrete Erfolge bei der Bekämpfung der
problematischen strukturellen Arbeitslosigkeit erzielt, die
Sie in der Tat nicht erzielen konnten.

Sie gehen in ihrem Antrag in diesem Zusammenhang
von falschen Annahmen aus. Sie fordern den Abbau der
Langzeitarbeitslosigkeit. Das ist zwar richtig. Aber rich-
tig ist auch, dass seit 1998 die Langzeitarbeitslosigkeit um
15 Prozent zurückgegangen ist. Wir haben die verkruste-
ten Strukturen aufgebrochen. Wir haben die Ärmel hoch-
gekrempelt und haben die Arbeitslosigkeit in den Pro-
blembereichen trotz zurzeit allgemein steigender
Arbeitslosigkeit zurückgeführt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Alles verschlimmbessert! Sie haben nicht erkannt, dass Sie Fehler gemacht haben! – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wo leben Sie eigentlich?)


Damit nicht genug! Wir haben die Jugendarbeitslosig-
keit, die Arbeitslosigkeit älterer Arbeitnehmer und die Ar-
beitslosigkeit schwerbehinderter Menschen bekämpft,
und zwar erfolgreich. Nehmen Sie das doch einmal zur
Kenntnis! Seien Sie doch nicht neidisch auf diese Erfolge!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ein Erfolg ist auch, dass die Dauer der durchschnitt-
lichen Arbeitslosigkeit zurückgeht. Im vergangenen Jahr
konnte sie um eine Woche auf durchschnittlich 34 Wo-
chen im Jahr reduziert werden. Das entlastet im Übrigen
die Bundesanstalt für Arbeit um über 1 Milliarde Euro.
Auch das ist ein besonderer Beitrag, damit mehr Mittel für
eine aktive Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung stehen.

Entscheidend bei der arbeitsmarktpolitischen Debatte
ist aber, dass die geforderte Reform der aktiven Arbeits-
marktpolitik seit dem 1. Januar dieses Jahres in Kraft ist.
Mit dem Job-Aqtiv-Gesetz haben wir die Instrumente
der Arbeitsmarktförderung gründlich reformiert. Dabei
geht es insbesondere darum, dass das Risiko von Lang-
zeitarbeitslosigkeit bereits im Vorfeld erkannt und – auf
den Einzelfall passgenau zugeschnitten – gegengesteuert
wird. Mit dem Job-Aqtiv-Gesetz wird die größte Vermitt-
lungsoffensive in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland gestartet. Insgesamt sind 3000 neue Vermittler




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

20937


(C)



(D)



(A)



(B)


tätig. Sie bemühen sich zusammen mit den Arbeitslosen,
Wege zurück in die Erwerbsarbeit zu finden. Individuelle
Eingliederungsvereinbarungen halten die verschiedenen
Schritte verbindlich für beide Seiten fest. Eine aktive För-
dermaßnahme kann, sofern sie erforderlich ist, neuer-
dings ohne entsprechende Wartezeit erfolgen. Die Ar-
beitsmarktmittel können also sofort greifen. Wir haben
ein breites Instrumentarium an Maßnahmen geschaffen,
das die Schwerpunkte insbesondere im Bereich der Qua-
lifizierung setzt und es ermöglicht, Maßnahmen im Be-
reich der Teilzeitarbeit oder in Form der Jobrotation
durchzuführen.

Zum vorbeugenden Charakter unserer Arbeitsmarkt-
politik gehört auch, dass Beschäftigte bereits in den Be-
trieben qualifiziert werden können, wenn sie in besonde-
rem Maße von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Das betrifft
geringer qualifizierte und ältere Arbeitnehmer. Anstatt
den Katastrophenmeldungen über Personalabbau eine
noch größere Verbreitung zu verschaffen, sollten wir uns
lieber gemeinsam für die Beseitigung der Qualifizie-
rungsmängel innerhalb des Arbeitsmarktes einsetzen und
dafür sorgen, dass die Maßnahmen, die eingeleitet worden
sind, nun auch greifen, damit den von Arbeitslosigkeit be-
drohten Menschen und den Menschen, die schon arbeits-
los sind, endlich Hilfe gegeben wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Johannes Singhammer [CDU/ CSU]: Dafür habt ihr dreieinhalb Jahre Zeit gehabt!)


Altersarbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit
sind oft zwei Seiten derselben Medaille. Rund die Hälfte
der Arbeitslosen ist älter als 50 Jahre. Aus meiner Sicht ist
es ein Skandal, dass 60 Prozent der Betriebe keine älteren
Arbeitnehmer ab 50 Jahre mehr beschäftigen. Viele Ar-
beitgeber müssen endlich realisieren, dass sie nicht nur
olympiareife Mannschaften brauchen, sondern auch die
Erfahrung und das Know-how der Älteren. Job Aqtiv er-
möglicht gerade mit Lohnkostenzuschüssen für Ältere
insbesondere auch den kleinen und mittleren Betrieben,
den Wiedereinstieg solcher Personen zu organisieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das greift doch überhaupt nicht!)


Ihre Sorgen um das Wohl der älteren Arbeitnehmer,
meine Damen und Herren von der Opposition, klängen
aus meiner Sicht wahrlich glaubwürdiger, wenn Sie mit-
helfen würden, deutlich zu machen, dass gegen den über-
triebenen Jugendwahn dieser Gesellschaft gemeinsam ge-
sellschaftlich Front gemacht werden muss,


(Dirk Niebel [FDP]: Die Vorlage haben Sie doch abgelehnt!)


und wenn Sie die Arbeitgeber auffordern würden, ihre so-
zialpolitische Verantwortung wahrzunehmen und älteren
Menschen wieder eine größere Chance zu geben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Zustimmung, Herr Brandner, ausnahmsweise!)


Die Arbeitsmarktinstrumente sollten auch für spezielle
Problemlagen herangezogen werden können. Ein neuer
Vorschlag ist die Beschäftigungsbrücke für junge Men-
schen.Wir brauchen eine solidarische Aktion. Im Gegen-
satz zu den früheren Entlastungsmaßnahmen wird ein ak-
tiver Lösungsweg vorgeschlagen, der direkt zur
Neueinstellung von Jugendlichen führt. Die SPD-Frak-
tion unterstützt daher grundsätzlich die Initiative der IG
Metall, dass Betriebe im Vorgriff auf später ausschei-
dende Arbeitnehmer arbeitslose Jugendliche unbefristet
einstellen und gegebenenfalls weiterqualifizieren sollten.
Sie sollten dafür, dass sie dieses Engagement zeigen,
möglichst einen pauschalierten Lohnkostenzuschuss er-
halten. Diese Maßnahmen wären strikt bis zum Jahr 2006
zu befristen, weil sich dann der Geburtenrückgang infolge
der deutschen Einheit schlagartig bemerkbar macht und
im Land eher Fachkräftemangel droht. Im Prinzip bietet
das Job-Aqtiv-Gesetz schon solche Möglichkeiten. Es
kommt jetzt darauf an, sie passgenau zuzuschneiden. Das
wäre ein konkretes Thema für das Gespräch zum Bündnis
für Arbeit. Darüber könnte trefflich diskutiert werden und
es könnte an Lösungen gearbeitet werden.

Darüber hinaus wäre eine Einstiegsteilzeit für Berufs-
anfänger sinnvoll. Ähnlich wie bei der Altersteilzeit
könnten das Einkommen und die Sozialversicherungsan-
sprüche aufgestockt werden. So würde auch Teilzeit at-
traktiv.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Mit dem Rechtsanspruch haben Sie Teilzeit doch erst einmal unattraktiv gemacht!)


Besonders wirksam wäre eine Verkopplung mit einer
echten Altersteilzeit. Wenn nämlich ein junger Mensch
schon vor dem eigentlichen Personalbedarf eingestellt
würde, könnte der Ältere sein Erfahrungswissen direkt an
den Jüngeren weitergeben. So entstünde im weiteren
Sinne eine Jobrotation mit vorgeschalteter Überlappung
der Beschäftigung. In diesem Zusammenhang sollte dann
auch eine ebenfalls befristete Erweiterung der Alters-
teilzeit auf einen längeren Zeitraum kein Tabu sein. Dann
könnten bereits 55-Jährige in Teilzeit gehen und mithel-
fen, die Beschäftigtenstruktur in den Betrieben frühzeitig
zu verbessern. Das würde vor allem der recht großen
Gruppe der Betriebe in den neuen Ländern helfen, die aus
der Zeit der Planwirtschaft überlebt haben.

Das Wichtigste aber bleibt die Beschäftigungsbrücke
für junge Menschen. Sie muss in der Region eine Per-
spektive haben. Im Wesentlichen betrifft dieser Vorschlag
den Osten Deutschlands, aber auch in einigen westdeut-
schen Regionen mit Strukturproblemen sollte davon pro-
fitiert werden. Auch dort sollte das genutzt werden.

Ich komme zum Schluss. – Mit dem Job-Aqtiv-Gesetz
stehen jedenfalls die Hebel zur Beschäftigungssicherung
und zur Schaffung neuer Jobs bereit. Es kommt jetzt da-
rauf an, dass die Hebel offensiv genutzt werden. Je größer
die Gemeinsamkeit dabei ist, umso erfolgreicher werden
wir die Arbeitslosigkeit in diesem Land bekämpfen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie sind überhaupt nicht erfolgreich, Herr Brandner! Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen!)





Klaus Brandner
20938


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421204400
Als
nächster Redner hat der Kollege Karl-Josef Laumann von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Karl-Josef Laumann (CDU):
Rede ID: ID1421204500
Sehr geehrter
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die zu-
letzt veröffentlichte Arbeitslosenzahl in Deutschland,
nämlich 3,963 Millionen Arbeitslose – man kann also sa-
gen: Sie haben die 4-Millionen-Grenze nach drei Jahren
Rot-Grün erreicht –, hat natürlich zu einer heftigen De-
batte über die Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpo-
litik in Deutschland geführt und das ist auch richtig so.

Für die Debatte heute ist es wichtig, dass wir uns
zunächst einmal über ein paar Zahlen klar werden. Wir ha-
ben eine Zunahme der Kurzarbeit, Herr Kollege
Brandner, um 150 Prozent.


(Zuruf von der FDP: Das ist nicht wenig!)

Es arbeiten in Deutschland zurzeit 175 000 Menschen
kurz. Das ist ein klares Zeichen, das wissen Sie aus Ihrer
Praxis als Gewerkschaftssekretär auch. In vielen Betrie-
ben ist, wenn die Auftragslage schlecht ist, als erste Not-
hilfe die Kurzarbeit dran; und wenn sich die Dinge in den
nächsten Wochen nicht entwickeln, dann steht auch Per-
sonalabbau auf der Tagesordnung.

Dann gibt es einen Punkt, der sollte uns alle nachdenk-
lich machen: Die Jugendarbeitslosigkeit hat um
10,7 Prozent zugenommen! Nach drei Jahren Rot-Grün und
trotz JUMP-Programm sind in diesem Land 450 000 Men-
schen unter 25 Jahren arbeitslos!


(Zuruf von der CDU/CSU: Schlimm ist das!)

Das ist nun wirklich ein Skandal.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie müssen sich daher fragen, ob Sie mit Ihrem milliar-
denschweren JUMP-Programm, das Sie im 98er Wahl-
kampf nahezu wie eine Monstranz vor sich her getragen
haben – Sie haben hier im Bundestag über drei Jahre lang
nur dieses JUMP-Programm als Arbeitsmarktinstrument
dargestellt, haben kein anderes erfunden und kein anderes
umstrukturiert –, nicht auch noch in dem Bereich ge-
scheitert sind, weil die Zahlen nun einmal so sind, wie ich
sie Ihnen gerade eben vorgetragen habe.

Die Arbeitslosigkeit der Ausländer, die hier in
Deutschland leben, ist um 8,5 Prozent gestiegen.


(Andrea Nahles [SPD]: Besonders in Bayern!)

Ich sage Ihnen allen Ernstes: Ob die politische Klasse in
diesem Lande noch ernst genommen wird angesichts die-
ser Arbeitsmarktzahlen, wenn rüber kommt, dass wir auch
noch arbeitsmarktbedingte Zuwanderung zum jetzigen
Zeitpunkt brauchen, das sollten sich diejenigen, die dieses
Geschäft betreiben, auch einmal in aller Ruhe überlegen.

Dann schauen Sie sich einmal die Statistiken aus Nürn-
berg an – dies ist aber eine Entwicklung, die schon über
viele Jahre geht –: Mittlerweile sind zwei Drittel unserer
Arbeitslosen Arbeiter, mit einer steigenden Tendenz ei-
ner Männerarbeitslosigkeit unter den Arbeitern. Und das
wird immer schlimmer und immer mehr. Dies liegt daran,

dass uns im produktiven Bereich die Arbeitsplätze weg-
brechen. Die Leute, die mit der Hand ihr Geld verdienen
müssen, weil sich auch von der Mentalität her nicht jeder
für einem Computer- oder Hightecharbeitsplatz eignet,
haben es immer schwerer, in Deutschland Arbeit und Be-
schäftigung zu finden. Das wiederum liegt daran, dass wir
Deutschen es in unserem Lande nicht geschafft haben,
Arbeitsplätze, die im Fertigungsbereich durch höhere
Produktivität weggefallen sind, aber auch durch Auslage-
rung ins Ausland, weil sie hier nicht mehr marktfähig wa-
ren, dadurch zu ersetzen, dass für die Menschen in neuen
Arbeitsbereichen, zum Beispiel im personennahen
Dienstleistungssektor, neue Arbeitsplätze erschlossen
werden. Das ist nach meiner Meinung unser großes struk-
turelles Problem am Arbeitsmarkt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deswegen ist unsere Forderung schon seit Jahren – wir

haben sie ja noch im letzten Jahr der Tätigkeit von Norbert
Blüm im Arbeitsministerium konzeptionell entwickelt –,
dass uns etwas einfallen muss, damit Arbeit, die zunächst
einmal niedrige Stundenlöhne in den personennahen
Dienstleistungsbereichen aufweist, auf der Abgaben-
seite so behandelt wird, dass es für die Menschen mit
Blick auf die Nettolöhne gegenüber Arbeitslosen- und So-
zialhilfe interessanter ist, solche Tätigkeiten zu überneh-
men.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn Sie jetzt nach drei Jahren, in denen Sie sich in

dieser Frage gar nicht bewegen wollten,

(Wolfgang Weiermann [SPD]: Und was habt ihr in 16 Jahren gemacht?)

auf einmal kommen und sagen, jetzt machen wir das
Mainzer Modell – das in ganz Rheinland-Pfalz bis jetzt
nur 800 Leuten geholfen hat –, und behaupten, dass das
jetzt die Wunderwaffe gegen diese Arbeitsmarktentwick-
lung sein soll, kann ich Ihnen nur sagen, dass dies nicht
die Reformen sind, die wir brauchen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: 1,2 Millionen plus!)


Auf dem Weg zu dieser Debatte im Deutschen Bun-
destag wurde mir heute ein Flugblatt von einer Initiative
„Neue soziale Marktwirtschaft“ überreicht. Diese Leute
mahnen an: Mehr als 4 Millionen Arbeitslose warten auf
Reformen. – Herr Bundesminister Riester, am Ende mei-
ner Rede möchte ich Ihnen gern die Wartenummer
4 130 963 überreichen, damit Sie daran denken, dass die
Menschen darauf setzen, dass wir hier Reformen machen,
die sie in Arbeit bringen. Wenn Sie da nichts tun, könnte
das auch Ihre persönliche Wartenummer nach dem
22. September sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich komme jetzt auf die heute vorliegenden Anträge zu
sprechen. Wir haben einen Antrag eingebracht, der besagt
dass wir bei den Arbeitsmarktmaßnahmen grundsätzlich
Ausschreibungen, Markt und Wettbewerb wollen.
Herr Bundesminister Riester, nach den Erfahrungen, die






(C)



(D)



(A)



(B)


Sie im letzten halben Jahr mit EQUAL gemacht haben,
müssten Sie jetzt der glühendste Verfechter unseres An-
trags sein. Deswegen hege ich nach der Debatte und den
vielen Sitzungen, die dazu stattgefunden haben, die große
Hoffnung, dass auch die Mehrheitsfraktionen wissen,
dass an einem Wettbewerb der verschiedenen Träger in
der Arbeitsmarktpolitik, wie wir ihn schon im Antrag vom
März 2001 gefordert haben, kein Weg vorbeigeht, weil er
die einzige Möglichkeit ist, zu verhindern, dass sich Kun-
gelstrukturen zwischen denjenigen, die das Geld verge-
ben, und denjenigen, die die Maßnahmen umsetzen, ent-
wickeln. Hier ist der Wettbewerb die beste Lösung; er ist
besser als all Ihre Kontrollmöglichkeiten, die Sie in Ihrem
Haus zusätzlich einbauen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Spricht da die eigene Erfahrung?)


Zum Schluss möchte ich noch etwas zum Gesetzent-
wurf der FDP sagen. Er geht aus meiner und aus der Sicht
meiner Fraktion in die richtige Richtung.


(Andrea Nahles [SPD]: Was für eine Überraschung!)


Denn betriebliche Bündnisse für Arbeit sind gerade in
Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs ein wichtiges In-
strument zur Sicherung von Arbeitsplätzen. Wir als
CDU/CSU-Fraktion haben zu diesem Thema im Zusam-
menhang mit der Debatte, die wir über das Betriebsver-
fassungsgesetz geführt haben, einen Antrag in den Deut-
schen Bundestag eingebracht.


(Erika Lotz [SPD]: Haben sie von euch abgeschrieben!)


Ich möchte aber auch auf ein paar Unterschiede bei den
Ansatzpunkten hinweisen: Erstens. Wir halten es für er-
forderlich, dass betriebliche Bündnisse für Arbeit nicht
nur zur Beschäftigungssicherung, wie Sie es in den Antrag
geschrieben haben, sondern auch zum Beschäftigungs-
aufbau vom Günstigskeitsprinzip her möglich sein müs-
sen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Zweitens. Aus unserer Sicht muss zur Sicherung der

Tarifautonomie – das ist sicherlich ein weitreichender
Punkt –


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Aber das passt doch gar nicht!)


den Tarifvertragsparteien ein zeitlich befristetes Vetorecht
eingeräumt werden. Hier unterscheiden sich unsere Vor-
stellungen voneinander.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Weiermann [SPD]: Das passt überhaupt nicht zusammen!)


Drittens. Sie haben in Ihren Antrag geschrieben, dass
der Betriebsrat oder 75 Prozent der Belegschaft dem zu-
stimmen müssen. Wir sind nicht für die Oder-Lösung,
sondern sagen, dass Betriebsrat und 75 Prozent der Be-
legschaft zustimmen müssen – wir wollen ein breites
Quorum in der Belegschaft –, weil das diejenigen, die das
Günstigkeitsprinzip wollen, dahin bringt, den einzelnen

Arbeitnehmern auch plausibel zu erklären, warum das für
die Firma und die Sicherung der Arbeitsplätze notwendig
ist.

Da die Unterschiede nicht so groß sind, dass eine Ab-
lehnung gerechtfertigt wäre, werden wir als CDU/CSU-
Fraktion heute in der namentlichen Abstimmung dem An-
trag zustimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Liebe Kollegen von der FDP, über die Unterschiede müs-
sen wir uns dann, wenn wir daraus ein Gesetz machen, in
der Gesetzgebungsarbeit unterhalten.


(Andrea Nahles [SPD]: So viel Optimismus am frühen Morgen!)


Ich denke, dass solche Reformen notwendig sind, um
den Arbeitsmarkt in Deutschland wieder anspringen zu
lassen. Rot-Grün wäre gut beraten – die Grünen sind gar
nicht das Problem, sondern eher die SPD –, wenn es
sich solchen Veränderungen ohne ideologische Vorbe-
halte stellen und überlegen würde, ob sie nicht doch zu
mehr Beschäftigung für die Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer in Deutschland führen könnten. Aber eine
Partei, in deren Programm immer noch steht, dass Zeit-
arbeit verboten werden muss, und die in der Arbeits-
marktpolitik nichts verändert, sondern viele Regeln in
der Arbeitsmarktpolitik mittlerweile zur Brauchtums-
pflege erklärt,


(Zuruf von der SPD: Die Leiharbeit ist gerade ausgeweitet worden!)


ist wirklich nicht in der Lage, die notwendigen Reformen
durchzuführen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Weiermann [SPD]: Wo bleibt Ihr Appell an die SPD?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421204600
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Dr. Thea
Dückert, Bündnis 90/Die Grünen.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421204700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht,
ob viele das wissen, aber am Nordpol zum Beispiel gibt
es keine Pinguine. Ich sage das hier, weil viele meinen, am
Arbeitsmarkt gebe es Wunderwaffen. Die gibt es eben
auch nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Die haben Sie doch aber versprochen!)


Was es am Arbeitsmarkt gibt, ist genauso eine Geogra-
phie, auf die man sich einstellen muss. Die Schlussfol-
gerung, die man daraus ziehen muss, ist, dass es eine
ganze Reihe von Maßnahmen gibt, die auf den Arbeits-
markt zielen, ein Bündel von Maßnahmen und nicht nur
eine.




Karl-Josef Laumann
20940


(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn wir uns die Situation der letzten Jahre ansehen,
ist gewiss richtig, dass wir eine ganze Reihe von Be-
schäftigung schaffenden Strukturreformen bereits ein-
geleitet haben, dass wir die Rahmenbedingungen am Ar-
beitsmarkt verbessert haben. Das kann man auch an
der Entwicklung der Beschäftigungszahlen sehen. Die
Steuerreform, die Rentenreform und vor allem auch der
Haushaltskurs der Konsolidierung haben Rahmenbedin-
gungen verändert und dazu geführt, dass wir beispiels-
weise mit dem Einstieg in die erneuerbaren Energien auch
Beschäftigungseffekte erzielt haben und im Bereich der
Umwelttechnologien heute gleich viel oder mehr Be-
schäftigte haben als in der Automobilindustrie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das müsste man nachprüfen!)


Das alles, meine Damen und Herren, sind Entwicklun-
gen, die begonnen haben und die wir weiterführen müs-
sen. Richtig ist auch, dass wir in dem engen Bereich der
Arbeitsmarktpolitik zum Beispiel mit dem neuen Job-
Aqtiv-Gesetz einen Paradigmenwechsel begonnen haben
und mit dem Prinzip „Fördern und Fordern“ viel ernst-
hafter umgehen können, indem wir Eingliederungspläne
möglich machen. Maßgeschneiderte Vermittlung und so-
fortige Qualifizierung, neue Instrumente in der Arbeits-
marktpolitik, auch mehr Konkurrenz übrigens durch
Vermittlung durch Dritte, das alles sind Elemente, die in
diesem Jahr mit ziemlich großer Sicherheit zur Senkung
der durchschnittlichen Dauer der Arbeitslosigkeit führen
werden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ein Wunschtraum!)


Aber – das sage ich auch – wir können und dürfen die
Situation am Arbeitsmarkt nicht schönreden.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Einsicht ist der beste Weg zur Besserung!)


Die Arbeitsmarktsituation hat sich verbessert, weil wir zu-
sätzliche Beschäftigung haben. Aber die Arbeitslosigkeit
ist zu hoch, da beißt die Maus keinen Faden ab.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wer regiert denn?!)

Besondere Probleme bestehen im Osten. In vielen Be-

reichen herrscht Facharbeitermangel, aber gleichzeitig ist
eine hohe Arbeitslosigkeit beispielsweise bei gering Qua-
lifizierten zu verzeichnen. Die durchschnittliche Dauer
der Arbeitslosigkeit ist hoch. Ältere und vor allem auch
Frauen sind stark von Arbeitslosigkeit betroffen. Das hat
viele Ursachen. Das hat konjunkturelle Ursachen, das hat
weltwirtschaftliche Ursachen,


(Zuruf von der CDU/CSU: Ursachen in der Regierung!)


es hat auch Ursachen in den verhärteten Strukturen am
Arbeitsmarkt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Es gibt eine Hauptursache, die heißt Rot-Grün!)


Das ist der Grund, aus dem wir die Strukturreformen
fortsetzen werden.

Ich meine, wir sollten dabei vom Ausland lernen. Da
Sie die ganze Zeit so schön dazwischenrufen:


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Jetzt waren wir gerade mal still!)


Sie haben ein ganzes Jahrzehnt, die 90er-Jahre, in
Deutschland die Strukturreformen am Arbeitsmarkt ver-
schlafen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie schlafen seit dreieinhalb Jahren!)


Das Ausland, zum Beispiel die Niederlande oder
Dänemark, hat uns auf diesem Gebiet einiges vorge-
macht. Natürlich brauchen wir bei der veränderten Ar-
beitsmarktstruktur und bei den veränderten Anforderun-
gen an die Beschäftigten eine Entwicklung, die mehr Fle-
xibilität, mehr Beweglichkeit am Arbeitsmarkt zulässt.
Aber wenn wir mehr Flexibilität herstellen wollen und
müssen, dürfen wir auf dem sozialpolitischen Auge der
Arbeitsmarktpolitik nicht blind sein. Wer Flexibilisierung
will, muss auch für soziale Verantwortung und soziale
Sicherheit sorgen. Das ist der Grund, aus dem wir uns
zum Beispiel anders als Herr Koch heute an unseren eu-
ropäischen Nachbarn orientieren wollen, an Dänemark,
an den Niederlanden: weil dort Konzepte umgesetzt wor-
den sind, die nicht zum Working poor führen wie bei der
Orientierung an den USA.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Was wir heute von der Opposition vorgelegt bekom-
men haben, ist nun wirklich


(Zuruf von der SPD: Grottenschlecht!)

Lichtjahre entfernt von irgendwelchen Konzeptionen ge-
schlossener Art,


(Klaus Brandner [SPD]: Aktionismus!)

die mit diesen strukturellen Problemen der Arbeitslosig-
keit umgehen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Was schlagen Sie vor? Die FDP schlägt vor, das Güns-
tigkeitsprinzip abzuschaffen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das haben Politiker der Grünen auch schon einmal vorgeschlagen, Frau Dückert!)


Im Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion schlägt
sie, weil ihr vielleicht schon aufgegangen ist, dass dies al-
lein keine Wunderwaffe sein kann, weiterhin vor: alte
Regelung des 630-Mark-Gesetzes, alte Regelung des
Kündigungsschutzes, alte Regelung der Meldepflichten
und das Vorziehen der Steuerreform. All dies schlagen Sie
hier vor.


(Klaus Brandner [SPD]: Alles sehr gut durchgerechnet! Die machen genau da weiter, wo sie abgewählt worden sind!)


Das sind alte Rezepte, mit denen Sie schon in den 90er-
Jahren gescheitert sind. Ich erkenne daran nichts Neues.




Dr. Thea Dückert

20941


(C)



(D)



(A)



(B)


Was daran neu sein soll, das müssen Sie einmal erläutern.
Gleichzeitig schlagen Sie wieder den Marsch in die Schul-
denfalle vor, die Sie uns hinterlassen haben. Das, was Sie
uns vorschlagen, führt entweder zur Verschuldung oder


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie hatten Glück mit den 100 UMTS-Milliarden, Frau Dückert! Das ist alles!)


zur Erhöhung der Mehrwertsteuer oder – Herr Kolb, das
schlagen Sie immer wieder gerne vor – zum Abbau von So-
zialleistungen. In einer Gesellschaft, die mehr Flexibilität
und Sicherheit herstellen muss, wird daraus kein Schuh.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn ich mir die Vorschläge der CDU anschaue, stelle

ich fest – Herr Laumann hat das gerade sehr schön ver-
schleiert, weil er nur einen Punkt herausgenommen hat –,
dass sie letzten Endes ein Fanbrief für das Job-Aqtiv-Ge-
setz sind. Sie schlagen doch nichts anderes vor als zum
Beispiel eine direktere Vermittlung oder die Einschaltung
von Dritten und damit das, was wir in der Bundesrepublik
Deutschland seit dem 1. Januar dieses Jahres umgesetzt
haben.


(Beifall der Abg. Andrea Nahles [SPD] – Franz Thönnes [SPD]: Brutalstmöglich abgekupfert!)


– Ja, sie haben abgekupfert. Das ist wahr.
Sie schlagen die Abschaffung der ABM vor. Schauen

Sie sich doch einmal die ostdeutschen Länder an! Sie wis-
sen ganz genau, dass es dort Situationen gibt, in denen
man keinen Kahlschlag vornehmen kann, weil es dort
Leute gibt, die keine Alternative haben.

In Ihrem zweiten Antrag schlagen Sie vor, den Kanzler
zur Gouvernante des Bündnisses für Arbeit zu erklären,
damit es dann allen im Bündnis fürArbeit gut geht. Dass
heute hier ein solcher Antrag in der Auseinandersetzung
um das Bündnis für Arbeit vorliegt, ist ein riesengroßes
Armutszeugnis. Morgen tagt das Bündnis für Arbeit.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das ist am Ende! Ein Bündnis für Zerwürfnis!)


Von Ihnen hätte ich gern einmal gehört, wie wir aus die-
ser Situation mithilfe des Bündnisses für Arbeit heraus-
kommen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das hätten wir von Ihnen gern gehört, Frau Dückert!)


Ich sage Ihnen eines: Ich hoffe, dass morgen beide Ta-
rifparteien in der Lage sind, aus ihren Schützengräben
herauszukommen und tabufrei zu diskutieren. Wir brau-
chen für die Zukunft des Arbeitsmarktes eine tabufreie
Diskussion.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist doch „Prinzip Hoffnung“! Das nützt doch nichts bei 4,3 Millionen Arbeitslosen!)


Natürlich brauchen wir eine Diskussion über den Abbau
von Überstunden;


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wir brauchen Handlungen! – Johannes Singhammer [CDU/ CSU]: Taten statt Worte!)


aber wir brauchen auch Handlungen, in denen das Bünd-
nis für Arbeit das bestätigt, was es einmal versprochen
hat,


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Vielleicht sagen Sie das dem Herrn Göhner dort hinten mal!)


nämlich eine beschäftigungsorientierte Tarifpolitik, eine
Politik, die sich auch an den Produktivitätsentwicklungen
orientiert, die zu mehr Beschäftigung und übrigens auch
zu mehr Qualifizierung führt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Reinhard Göhner [CDU/CSU] – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Es liegt doch ein Antrag vor, mit dem wir dazu beitragen!)


Die FDP fordert mehr Bündnisse für Arbeit in den Be-
trieben. Ich wünsche mir, dass das Bündnis für Arbeit
morgen den Mut aufbringt, positive Beispiele, Best-Prac-
tice-Beispiele wie das von VW, endlich als Orientie-
rungsmaßstab zu nehmen, die dann auch in anderen Be-
trieben Anwendung finden. Das sind kluge Bündnisse für
Arbeit, die mit den heutigen gesetzlichen Rahmenbedin-
gungen machbar sind:


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Verbindung von Qualifizierung von Arbeitslosen, an der
Produktion orientierter Lohnfindung und Beschäftigungs-
sicherheit.

Anders als andere bin ich der Ansicht, dass das Bünd-
nis für Arbeit morgen auch über die Vorschläge, die die
Benchmarkinggruppe des Bündnisses für Arbeit selbst
gemacht hat, debattieren sollte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Reinhard Göhner [CDU/CSU])


Ihren Vorschlägen kann ich nichts entnehmen. Deshalb
muss man Zeitung lesen oder Radio hören, um zu erfah-
ren, was die CDU will. Man hört Widersprüchliches.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gemischter Chor! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Bei Ihnen ist ja Funkstille!)


– Ja, man hört einen gemischten Chor. Herr Koch, als Ein-
zelsänger,


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Aber die Tonleiter beherrscht er nicht!)


legt das wieder neu auf, was er schon im Sommer gefor-
dert hat: das Wisconsin-Modell. Jede Medaille hat zwei
Seiten. Ich finde, Sie sollten beide Seiten offen und ehr-
lich diskutieren. Zum einen ermöglicht dieses Modell si-
cherlich die Betreuung der Arbeitslosen aus einer Hand
wie auch eine bessere und schnellere Eingliederung. Aber
das sind Elemente, die wir auch im Job-Aqtiv-Gesetz an-
gehen. Diese Vorschläge haben aber auch eine andere,
eine unsoziale Seite; das wird überhaupt nicht diskutiert.
Das Wisconsin-Modell hat nämlich auch zum Inhalt, dass
denjenigen die soziale Sicherung gestrichen wird, die ir-
gendwann aus dem Arbeitsmarkt wieder herauszufallen




Dr. Thea Dückert
20942


(C)



(D)



(A)



(B)


drohen. Die Struktur dieser Modelle weist also jeweils
zwei Seiten, auch eine unsoziale, auf. Sie sind deshalb
keine Lösung.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was wollen Sie denn? Erzählen Sie doch mal!)


Sehen wir uns einmal an, wie sich Herr Koch die Fi-
nanzierung vorstellt. Er schlägt vor, zur Finanzierung
30 Prozent der Mittel der aktiven Arbeitsmarktpolitik zu
nehmen, um sie zum Beispiel für die Vermittlungszentren
zu verwenden. Ich sage Ihnen, was das für Hessen bedeu-
tet: Es würde ein Drittel der Mittel fehlen, die dort heute
für aktive Arbeitsmarktpolitik aufgewendet werden.
Heute befinden sich 150 000 Menschen in solchen Maß-
nahmen, die auf den ersten Arbeitsmarkt zielen. Ein Drit-
tel dieser Menschen würde, wenn Kochs Vorschlag durch-
gesetzt wird, diese Maßnahmen nicht mehr bekommen.
Ich denke, wir sollten uns Gedanken darüber machen, wie
wir die Leute in den ersten Arbeitsmarkt bringen, und
sollten diese Modelle, die er vorschlägt, nicht unterstüt-
zen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Das sind Schnellschüsse. Was wir am Arbeitsmarkt
aber benötigen, sind sorgfältige Strukturreformen.


(Dirk Niebel [FDP]: Dann macht das doch! Ihr regiert doch!)


So brauchen wir die Zusammenführung der Sozial- und
der Arbeitslosenhilfe. Wir schlagen hier die bedarfs-
orientierte Grundsicherung vor.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Seit vier Jahren kündigt ihr nur an! Macht es doch endlich!)


– Ich sage Ihnen, Frau Schwaetzer, warum das nicht auf
einmal zu machen ist.


(Dirk Niebel [FDP]: Dann macht das doch in zwei Schritten! – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr habt das noch nicht einmal in 29 Jahren hinbekommen! Die FDP sollte an diesem Punkt ruhig sein!)


Zu Kochs Modell ist Folgendes zu sagen: Es ist deshalb
nicht über das Knie zu brechen – so, wie Sie das wollen,
ist das verantwortungslos –, weil dazu auch eine Gemein-
definanzreform gehört. Wir wollen Strukturen eben nicht
auf Kosten der Kommunen verändern. So etwas muss
vorbereitet werden. So etwas muss seriös angegangen
werden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Meine Damen und Herren, das ist einer der Punkte, die
zu einer vernünftigen, langfristig angelegten Struktur-
reform gehören. Darüber hinaus gehören dazu natürlich
auch der Ausbau einer Kindergrundsicherung – wir wol-
len nicht, dass Leute in die Sozialhilfe fallen, nur weil sie
Kinder bekommen – und die Verbesserung der Situation
der Familien, vor allen Dingen mit Blick auf die Kin-
derbetreuung. Wir brauchen eine Ausweitung der Kin-
derbetreuung, damit nicht nur diejenigen, die in den

Genuss des kochschen Modells kommen, in den Arbeits-
markt gelangen, sondern auch andere hierzu die Chance
haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir brauchen eine Bildungsreform, weil lebenslanges
Lernen immer wichtiger wird. Wir brauchen eine Ge-
sundheitsreform.


(Zuruf von der CDU/CSU: Dann macht sie doch!)


Das alles brauchen wir, wir brauchen Strukturreformen,
um das Konzept der Haushaltskonsolidierung weiter ab-
zustützen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Ihr habt noch sechs Monate Zeit! Macht es doch!)


Wir brauchen, last but not least, die Fortführung der öko-
logischen Modernisierung. Dazu haben wir länger Zeit als
die von Ihnen gerade angesprochenen sechs Monate.


(Dirk Niebel [FDP]: In sechs Monaten ist Schluss!)


Gerade in diesen Bereichen haben wir in den vergangenen
drei Jahren,


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Die ruhige Hand lastet auf Deutschland!)


was die ökologische Modernisierung angeht, sehr viel
vorzuweisen.

Das sind die langfristigen Orientierungen. Wir brau-
chen – das sagte ich eingangs – auch kurz- und mittelfris-
tig Brücken in den ersten Arbeitsmarkt. Das heißt, dass
wir Elemente, die Barrieren am Arbeitsmarkt darstellen,
wie beispielsweise hohe Lohnnebenkosten, abbauen
müssen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was tun Sie denn in der Praxis? – Zuruf von der CDU/CSU: Ja, auf geht’s!)


Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass es Sinn macht,
mit Subventionierungen im niedrigen Lohnbereich die
Barrieren im Arbeitsmarkt abzubauen. Hierzu führen wir
eine harte Debatte; das wissen wir alle. Die IG-Metall hat
gestern wieder gesagt, dass es sich nicht lohnen würde,
dass 18 Milliarden Euro für ein Investitionsprogramm be-
reitgestellt werden, um 500 000 Arbeitsplätze zu schaffen.
Ich finde, diese Diskussion sollte anders geführt werden.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421204800
Frau Kol-
legin Dückert, entschuldigen Sie, dass ich Sie unter-
breche. Erlauben Sie zwei Zwischenfragen, einmal vom
Kollegen Schemken und einmal vom Kollegen Niebel?


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421204900

Bitte schön, Herr Kollege.


Heinz Schemken (CDU):
Rede ID: ID1421205000
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Frau Dückert, ich habe nur




Dr. Thea Dückert

20943


(C)



(D)



(A)



(B)


eine kurze Frage. Sie haben einen bunten Strauß von
Wünschen angemeldet, die man alle umsetzen müsste.
Können Sie uns kurz erklären, wie viel Zeit Sie dazu brau-
chen?


(Andrea Nahles [SPD]: Wir brauchen mindestens noch zwei Legislaturperioden!)



Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421205100

Die Reformen, Herr Kollege, die ich eben genannt habe,
zum Beispiel die Zusammenlegung von Sozial- und Ar-
beitslosenhilfe in einem Konzept der Grundsicherung,
sind langfristig ausgelegt und können nicht übers Knie ge-
brochen werden. Dazu werden wir die nächste Legisla-
turperiode brauchen. Ökologische Strukturreformen sind
längst angelaufen – ich habe vorhin die Zahlen genannt –
und werden die nächsten Jahre fortgesetzt; das ist völlig
klar. Auch eine Bildungsreform braucht ihre Zeit. Das
heißt, für diese Strukturreformen werden wir längere Zeit
brauchen. Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten in den
16 Jahren, die Sie Zeit hatten, nur eines dieser Reform-
projekte angegangen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421205200
Herr Kol-
lege Niebel.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Niebel, Sie haben nicht nur 16, sondern 29 Jahre Zeit gehabt!)



Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1421205300
Frau Dückert, kennen Sie den Ar-
tikel in der „FAZ“ vom 18. Januar 2002, in dem Ihr Frak-
tionskollege Metzger unter anderem bemängelt, dass es
zu wenig Anreize für die Arbeitsaufnahme gebe, dass die
Bezugsdauer von Arbeitslosengeld zu lang sei, dass das
Abweichen von Tarifverträgen zur Sicherung von Be-
schäftigung dringend umgesetzt werden müsse, dass die
arbeitsmarktpolitische Situation ordnungspolitisch ver-
fehlt sei, dass die Absenkung des Schwellenwertes beim
Kündigungsschutz ein Fehler gewesen sei, dass das Teil-
zeitpflichtgesetz die Einstellung von Frauen verhindere
und dass die Neuregelung bei den 630-Mark-Jobs im End-
effekt das letzte bisschen Flexibilität auf dem Arbeits-
markt beseitigt habe? Falls Sie diesen Artikel kennen soll-
ten, möchte ich Sie fragen, wie Sie es bewerten, dass der
Kollege Metzger, der ja haushaltspolitischer Sprecher Ih-
rer Bundestagsfraktion ist, der rot-grünen Arbeitsmarkt-
politik eine schallende Ohrfeige gibt und feststellt, dass
Sie komplett gescheitert sind.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Der Mann hat Recht!)



Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421205400

Herr Kollege Niebel, ich kenne sowohl den Artikel wie
auch das Konzept, das dahinter steht und ja letzte Woche
vorgelegt worden ist. Das Konzept ist ein finanzpoliti-
sches Konzept, in dem deutlich gemacht wird,


(Dirk Niebel [FDP]: Sie machen Spartenkonzepte!)


dass wir die Konsolidierung des Haushaltes ohne Struk-
turreformen auf dem Arbeitsmarkt nicht hinbekommen
werden.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Er war aber sehr präzise!)


Ansonsten sind in diesem Konzept auch die Elemente ent-
halten, die ich vorhin genannt habe: Zusammenlegung
von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, stärker fördern und for-
dern. In dem Artikel, den Sie zitiert haben, sind auch an-
dere Elemente enthalten, die in dem Konzept so gar nicht
ausgeführt sind. Wir verfolgen hier aber die Strategie, die
ich vorgetragen habe. Insofern ziehen wir auch alle an ei-
nem Strang.

Ich komme jetzt – Herr Niebel, Sie können sich wieder
setzen – zum Schluss.


(Dirk Niebel [FDP]: Ich habe meinen Platz, aber Herr Metzger wird geschlachtet!)


Unsere Antworten auf die Frage, die Herr Niebel eben
vorgetragen hat, und auf die Einwendungen, die die
IG Metall zu dem von uns vorgeschlagenen Konzept, mit
dem wir kleine Einkommen fördern wollen, sind deutlich
geworden. Ich meine, man sollte über diese Dinge nicht in
Form von Gegensätzen diskutieren. Wir haben die Lauf-
zeit des Zukunftsinvestitionsprogramms verlängert, weil
wir natürlich im Bereich Schule und in anderen Bereichen
Investitionen brauchen. Das ist doch völlig klar. Ich glaube
aber, dass wir mit einer klaren Strategie, mit der die Lohn-
nebenkosten abgesenkt und durch Einstiegsgelder für
Langzeitarbeitslose Brücken in den Arbeitsmarkt gebaut
werden, und ähnlichen Elementen heute aktuell Politik
machen können. Beides ergänzt sich: Wir brauchen
Brücken in den Arbeitsmarkt und Strukturreformen. Erst
dann wird daraus ein Konzept.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421205500
Ich erteile
jetzt das Wort dem Kollegen Dr. Heinrich Kolb von der
FDP-Fraktion.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1421205600
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Angesichts dessen, was der
Kollege Brandner und die Kollegin Dückert hier vorge-
bracht haben, kann man sich nur wundern. Seit der letzten
regulären Sitzung des Bundestages vor Weihnachten sind
eine Reihe weiterer schlechter Nachrichten eingegangen:
Die Zahl der Arbeitslosen wird sich nach Einschätzung
der Bundesregierung in diesem Winter auf 4,3 Millionen
erhöhen und die Prognose für das Wirtschaftswachstum
ist wenige Wochen nach Verabschiedung des Haushaltes
um die Hälfte auf jetzt nur noch 0,7 Prozent für das lau-
fende Jahr zurückgenommen worden. Sie aber stellen sich
hier hin und nehmen Konzepte der Opposition auseinan-
der, anstatt selbst Vorschläge zu bringen, wie Sie mit die-
ser Situation umgehen wollen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Versagen auf der ganzen Linie!)





Heinz Schemken
20944


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich kann Ihnen, Herr Kollege Brandner, nur mehr Auf-
merksamkeit empfehlen: Sie müssen offensichtlich beim
Umzug in Ihr neues Büro die Kurve mit der Entwicklung
der Arbeitslosigkeit verkehrt herum aufgehängt haben.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Arbeitslosigkeit steigt seit einiger Zeit; auch Sie soll-
ten das zur Kenntnis nehmen.


(Klaus Brandner [SPD]: Wann haben Sie das letzte Mal Ihre Brille geputzt?)


Dieser Anstieg der Arbeitslosigkeit kommt übrigens
nicht überraschend. Ich habe schon in meinem Beitrag zur
ersten Lesung des Gesetzentwurfes der FDP, der heute be-
raten wird, darauf hingewiesen, dass es zu dieser Ent-
wicklung kommen kann, wenn nicht gehandelt wird. Aber
Sie haben das damals nicht ernst genommen. Ich hoffe
nur, dass Sie heute für unsere Argumente offener sind und
unserem Vorschlag zustimmen.


(Peter Dreßen [SPD]: Alles Schnee von gestern, der schmilzt!)


– Nein, das ist kein Schnee von gestern, das ist topaktuell,
Herr Dreßen.

Ich weise noch einmal darauf hin: Sie haben im Mo-
ment noch – das geht nicht mehr lang –


(Klaus Brandner [SPD]: Wunschdenken!)

die Mehrheit in diesem Hause. Von Ihrer Regierung wird
erwartet, dass sie handelt. Aber bei Ihnen ist das Motto an-
gesagt: ohne Moos nichts los. Sie treten auf der Stelle. Sie
beweihräuchern sich selbst. Die Grünen feiern eine Ent-
bürokratisierung der 630-Mark-Verträge


(Heiterkeit bei der FDP)

und übersehen dabei ganz, dass Rot-Grün selbst die Büro-
kratisierung der Beschäftigungsverhältnisse herbeige-
führt hat.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Da kann man sich doch nur an den Kopf greifen!
Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün,

Sie haben erstens nicht den Überblick und zweitens nicht
den Mut für die nötigen Entscheidungen. Wichtige Refor-
men – die zögerliche Kollegin Dückert hat es hier gerade
noch einmal deutlich gemacht; besser kann man es gar
nicht beschreiben – wie die Zusammenlegung von Ar-
beitslosen- und Sozialhilfe werden auf die Zeit nach der
Bundestagswahl vertragt.


(Franz Thönnes [SPD]: Sagen Sie doch, dass Sie das alles abbauen wollen!)


In der rot-grünen Koalition geht es drunter und drüber. Sie
haben aus den gesetzgeberischen Pleiten der letzten drei-
einhalb Jahre offensichtlich überhaupt nichts gelernt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie reden, streiten und einigen sich dann über ein so ge-
nanntes Tariftreuegesetz und erkennen überhaupt nicht,
dass Sie mit diesem Gesetz, das morgen verabschiedet
werden soll, dazu beitragen, die ostdeutsche Bauwirt-
schaft regelrecht platt zu machen.


(Beifall bei der FDP – Klaus Brandner [SPD]: Sind Sie für Untreue?)


Aber genau diese Politik haben die Menschen in unserem
Lande satt, und zwar Arbeitnehmer wie Unternehmer
gleichermaßen.

Das Schlimme ist, dass der Mittelstand unter dieser
aktuellen Situation besonders leidet. Schon im letzten
Jahr ist die Zahl der Firmenpleiten auf rund 33 000 – und
damit um 12,5 Prozent – angestiegen


(Klaus Brandner [SPD]: Nennen Sie die Zahl der Pleiten während Ihrer Regierungszeit! Inflationär!)


– solche Zahlen hatten wir nicht, Herr Brandner – und es
steht zu erwarten, dass wir in diesem Jahr einen neuen
dramatischen Anstieg erleben werden.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Schade um die Arbeitsplätze!)


Dabei ist sicher: Solange Rot-Grün regiert, kann der
Mittelstand in unserem Lande keine Hilfe erwarten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Peter Dreßen [SPD]: Frechheit!)


Die Sympathie und auch die Unterstützung des Kanzlers
gehören offensichtlich den Großunternehmen. Nach
Holzmann darf jetzt Waggonbau Ammendorf auf Unter-
stützung des Kanzlers hoffen. Der Mittelstand wird mit
seinen Problemen regelrecht allein gelassen. Das ist auch
kein Wunder; denn der zuständige Arbeitsminister, Herr
Riester, ist, anstatt neue Konzepte zu erarbeiten, vollauf
mit der Bewältigung der Vergabeaffäre bei dem EU-Pro-
gramm EQUAL beschäftigt. Vier Stunden lang mussten
gestern Herr Riester, drei seiner Staatssekretäre und meh-
rere Abteilungsleiter in der gemeinsamen Sitzung von
Haushaltsausschuss und Arbeitsausschuss Rede und Ant-
wort stehen, wie es damals bei der Vergabe zugegangen
ist.


(Dirk Niebel [FDP]: Die Antwort war aber nicht befriedigend!)


– Nein, die Antwort ist beileibe noch nicht befriedigend.
Die Untersuchung werden wir – ich bedaure das, aber es
ist so – noch fortsetzen müssen.

Zurück zur aktuellen Lage.

(Klaus Brandner [SPD]: Sagen Sie doch mal was zum Inhalt, Herr Kolb!)

– Ich will gleich etwas zum Inhalt sagen, Herr Brandner. –
Es kann doch wirklich keinen Zweifel mehr geben, dass
wir uns in der Rezession befinden. Das kann man zwar
noch nicht in allen Details aus den Statistiken ablesen.
Aber wer wie ich als Unternehmer mit Kollegen oder als
Vorsitzender der Bundesvereinigung Liberaler Mittel-




Dr. Heinrich L. Kolb

20945


(C)



(D)



(A)



(B)


stand tagtäglich mit mittelständischen Unternehmern im
Gespräch ist,


(Klaus Brandner [SPD]: Ah, die Partei der Besserverdienenden!)


bekommt ein klares Bild davon, wie die Situation im Mo-
ment vom Mittelstand wahrgenommen wird. Dieses Bild
sieht so aus: Die Auftragsbücher vieler Unternehmen fül-
len sich nicht mehr, die finanziellen Eigenmittel der klei-
nen und mittleren Unternehmen schmelzen wie Schnee in
der Sonne, die Bankvorstände – übrigens nicht nur der
Großbanken, sondern zunehmend auch der genossen-
schaftlichen Institute und der Sparkassen – sind bei der
Vergabe von Krediten zögerlich und zurückhaltend, die
Beiträge zur Sozialversicherung steigen und belasten die
Unternehmen, ebenso die Kostensteigerungen. Letztere
sind nicht unwesentlich ein Ergebnis Ihrer Politik. Das
heißt, vielen Mittelständlern geht in diesen Tagen und
Wochen die Luft aus.

In dieser Situation, Herr Thönnes, plant nach der jüngs-
ten Umfrage jeder zweite Mittelständler in Deutschland
Entlassungen. Ich frage Sie: Wissen Sie eigentlich, was
das bedeutet? Wir haben über 3 Millionen mittelständi-
sche Unternehmen in unserem Lande. Selbst wenn jeder
sechste Unternehmer im Mittelstand nur einen Arbeitneh-
mer entlassen würde, wären 500 000 Stellen in Deutsch-
land akut bedroht, wenn sich die Politik nicht grundlegend
ändert.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Jetzt handelt endlich!)


Ich will nicht schon wieder Kassandra spielen, aber wir
müssen damit rechnen, Herr Brandner, dass die Ar-
beitslosigkeit in diesem Winter noch über die Grenze
von 4,3 Millionen hinaus ansteigen wird, wenn wir hier
nicht auch gemeinsam – das biete ich an – reagieren.

Aber als ob es die Probleme, die ich hier beschrieben
habe, nicht gäbe, präsentiert die IG Metall Lohnforderun-
gen von 6,5 Prozent mit Signalwirkung auch für andere
Branchen. Im vom Kanzler für diesen Freitag geladenen
Bündnis für Arbeit – bei dem man sich zunehmend fra-
gen muss, ob es diesen Namen eigentlich verdient; es ist
nämlich ein Bündnis für Arbeitslosigkeit, weil es eher zur
Stabilisierung der Lage am Arbeitsmarkt beigetragen hat –


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


weigern sich die Gewerkschaften, das Thema Tarifpoli-
tik überhaupt auf die Tagesordnung zu setzen.


(Franz Thönnes [SPD]: Sie haben es doch kaputtgemacht! – Klaus Brandner [SPD]: Sind Sie neidisch, weil Sie nicht mit am Tisch sitzen können?)


Die Gefahr ist groß, dass es in der anstehenden Tarif-
runde zu Abschlüssen kommt, die die Unternehmen über-
fordern werden. Deswegen und weil es einen Unterschied
macht, ob man 15 oder 20 Prozent oder wie im Mittel-
stand 50 Prozent Lohnkostenquote hat, ist die Verab-
schiedung unseres Gesetzentwurfs umso dringlicher, weil

ganz klar ist, dass sich die Frage, ob Flächentarifverträge
noch zeitgemäß sind, in wenigen Wochen noch viel inten-
siver stellen wird, als es in der Vergangenheit der Fall ge-
wesen ist.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Jetzt kommen wir auf den Punkt!)


Umgekehrt ausgedrückt: Betriebliche Bündnisse für Ar-
beit, wenn wir sie denn ermöglichen, werden eine zentrale
Schlüsselrolle spielen, wenn es darum geht, Entlassungen
zu vermeiden.


(Klaus Brandner [SPD]: Sagen Sie doch gleich, dass Sie ein Lohnkürzungsgesetz verabschieden wollen! Nennen Sie es doch beim Namen! Bleiben Sie bei der Wahrheit!)


Ich will Ihnen unseren Gesetzentwurf noch einmal er-
läutern. Die Notwendigkeit dieses Entwurfs, Herr
Brandner, liegt übrigens offen erkennbar auf dem Tisch.
Der Sachverständigenrat – Ihr Sachverständigenrat – hat
das in seinem jüngsten Gutachten – lesen Sie es nach,
Randnummern 413 ff. – noch einmal sehr deutlich gesagt,
und zwar nicht nur, um verkrustete Strukturen am Ar-
beitsmarkt aufzubrechen, sondern auch, um dem einzel-
nen Arbeitnehmer die Möglichkeit einzuräumen, selbst zu
entscheiden, ob er oder sie für einen sicheren Arbeitsplatz
auf verbriefte Rechte eines Tarifvertrages vorübergehend
verzichten will.


(Beifall bei der FDP – Wolfgang Weiermann [SPD]: Das ist doch absoluter Humbug! – Klaus Brandner [SPD]: Das ist heuchlerisch!)


Ich will hier noch einmal deutlich sagen: Wir als Libe-
rale wollen keine Abschaffung der Tarifautonomie. Wir
bekennen uns zur Tarifautonomie. Aber Beispiele wie
VW, Holzmann oder Viessmann zeigen, dass wir drin-
gend flexible Strukturen im Tarifrecht brauchen.


(Renate Rennebach [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)


Bei den großen Unternehmen wie VW oder Holzmann,
Frau Rennebach, machen die Gewerkschaften, auch wenn
sie sich zieren und drehen und wenden, schlussendlich ja
doch mit.


(Klaus Brandner [SPD]: Wann reden Sie eigentlich mal mit Arbeitnehmern?)


Uns Liberalen geht es auch um die 3 Millionen mittel-
ständischen Betriebe,


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


in denen es eine gut funktionierende echte Partnerschaft
zwischen Unternehmer und Arbeitnehmer gibt. Die meis-
ten dieser Unternehmen dürfen eben nicht auf die Zustim-
mung der Gewerkschaften zur Abweichung vom Tarifver-
trag rechnen. Aber auch diese Unternehmen haben einen
Anspruch auf ein Ventil in Form einer gesetzlichen Rege-
lung der Günstigkeit, um eine Bedrohung der Existenz des
Unternehmens und auch den Verlust der Arbeitsplätze ab-
wenden zu können. Wir meinen, es ist unverantwortlich,
dem mündigen Bürger, dem mündigen Arbeitnehmer in




Dr. Heinrich L. Kolb
20946


(C)



(D)



(A)



(B)


unserem Lande das Recht abzusprechen, zur Sicherung
des eigenen Arbeitsplatzes beizutragen.


(Widerspruch bei der SPD)

Ich will zum Schluss noch eines sagen: Wir haben eine

namentliche Abstimmung zur Beschlussempfehlung über
unseren Gesetzentwurf verlangt; das ist richtig.


(Franz Thönnes [SPD]: Ich bin sehr gespannt auf die Abstimmung!)


Ich freue mich, dass die Kollegen von der Union mittler-
weile Zustimmung signalisiert haben. Das war bei den
Ausschussberatungen nicht immer klar erkennbar. Im
Ausschuss für Arbeit und Soziales haben sie sich enthal-
ten, im Wirtschaftsausschuss dafür und in anderen Aus-
schüssen dagegen gestimmt.


(Franz Thönnes [SPD]: Ja, so sind sie! Die wissen nicht, wohin!)


Sie sind schlussendlich auf der Ziellinie auf unseren Kurs
eingeschwenkt. Das begrüße ich.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Jetzt fordere ich auch noch die Kollegen von den Grü-
nen auf, mit ins Boot zu kommen. Dann haben wir näm-
lich in diesem Haus eine Mehrheit.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Frau Wolf, ich schaue Sie an, auch Herrn Metzger und
Frau Scheel. Ich erinnere mich noch daran, dass Ihr Frak-
tionsvorsitzender Herr Schlauch vor einem Jahr spekta-
kulär ebenden Vorschlag gemacht hat, den wir heute zur
Abstimmung stellen. Jetzt bin ich mal gespannt, wie Sie
sich in der anschließenden Abstimmung verhalten wer-
den.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Der wird abgewimmelt! Das ist doch klar!)


Ich kann nur sagen: Es ist Zeit für mehr Flexibilität
auch im Tarifrecht. Ich bitte Sie um Zustimmung zu un-
serem Antrag.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421205700
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Dr. Heidi Knake-Werner von der
PDS-Fraktion.

Dr. Heidi Knake-Werner (PDS) (von der PDS mit
Beifall begrüßt): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die bisherige Debatte zeigt mir eines: Die Lage
ist dramatisch schlecht und es gibt überhaupt nichts zu be-
schönigen. Aber Patentrezepte zum Abbau der Massen-
arbeitslosigkeit haben wir alle noch nicht gefunden; sie
gibt es wahrscheinlich nicht. Ich befürchte auch, dass
noch nicht alle möglichen Alternativen – zum Beispiel
die, die von der PDS vorgeschlagen worden sind – ernst-
haft geprüft worden sind. Das finde ich schade.


(Beifall bei der PDS)


Ich will mich heute vor allen Dingen zum Bündnis für
Arbeit und dessen Chancen äußern, weil dieses Bündnis
von der Bundesregierung selber in den Rang eines der
wichtigsten Instrumente der Beschäftigungspolitik erho-
ben worden ist. Bei aller Kritik an den bisherigen Ergeb-
nissen des Bündnisses für Arbeit bin ich nach wie vor von
der Grundidee des Dialogs mit den Tarifvertragsparteien
überzeugt. Die soziale und ökonomische Kompetenz von
Gewerkschaften und Arbeitgebern ist in dieser Frage un-
verzichtbar. Nach unseren Vorstellungen hätten auch die
betroffenen Arbeitslosen bzw. ihre Vertretungen mit an
den Tisch gehört.


(Beifall bei der PDS)

Solche Konsensrunden sind notwendig, zukunftsorien-

tiert und tragen auch dazu bei, ein Stück mehr Demokra-
tie zu wagen. Ich befürchte allerdings – das meine ich
wirklich ernst –, dass die Chancen vertan sind. Wenn ich
mir das unsägliche öffentliche Gezerre heute und in den
letzten Tagen vor den für morgen angekündigten Bünd-
nisgesprächen ansehe, dann fürchte ich, dass Bundes-
kanzler Schröder mit dem Bündnis für Arbeit scheitern
wird.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das wird der Offenbarungseid! – Dirk Niebel [FDP]: Das ist schon passiert! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Er ist schon gescheitert!)


Der angestrebte Dialog wurde von Beginn an von den
Arbeitgebern dominiert, zunehmend für Erpressungsver-
suche missbraucht und dazu genutzt, sich in Tariffragen
einzumischen, was ich immer schon für falsch hielt.
Heute dient der Dialog dazu, sich schon einmal für den
Wahlkampf warm zu laufen. Auch das ist dem Ernst der
Lage kein bisschen angemessen.


(Beifall bei der PDS)

Dass Tarifpolitik Gegenstand der Bündnisgespräche

sein sollte, hat selbst die CDU/CSU in ihrem Antrag kri-
tisiert, der ansonsten, wie ich finde, ziemlich dünn und im
Übrigen längst überholt ist. Zu dieser Feststellung kommt
man, wenn man sich die Äußerungen führender Unions-
politiker heute anhört. Auch was die CDU/CSU ansonsten
zur Bekämpfung der Massen- und Langzeitarbeits-
losigkeit anzubieten hat, ist weder originell noch ziel-
führend. Mehr Arbeitsplätze entstehen dadurch nicht.

Sie glauben doch nicht im Ernst, dass 4 Millionen ar-
beitslose Frauen und Männer mehr Chancen auf dem
Arbeitsmarkt haben werden, wenn die von Ihnen vorge-
schlagenen administrativen Maßnahmen für eine effek-
tive Arbeitsmarktpolitik umgesetzt werden. Die Massen-
arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik ist kein Ver-
mittlungsproblem. Wenn in den Bundesländern durch-
schnittlich 22 Arbeitslose einer offenen Stelle gegenüber-
stehen, dann zeigt diese Tatsache vor allen Dingen eines:
Wir haben kein Vermittlungsproblem, sondern ein Ar-
beitsplatzproblem.


(Beifall bei der PDS)

Dieses Arbeitsplatzproblem werden wir auch nicht mit
Maßnahmen im Bereich des Niedriglohnsektors lösen




Dr. Heinrich L. Kolb

20947


(C)



(D)



(A)



(B)


können, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koali-
tion.

Weil wir gerade bei den nicht ganz so hilfreichen Vor-
schlägen sind, will ich ein kurzes Wort zur FDP sagen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, über Ihre
Phobie gegenüber dem bestehenden Tarifsystem und über
Ihre Absicht, die Gewerkschaften zu schwächen, haben
wir uns hier schon häufig gestritten.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir haben keine Phobie, wir sehen die Dinge nur so, wie sie sind!)


Ich habe wirklich nichts gegen betriebliche Bündnisse
für Arbeit.


(Dirk Niebel [FDP]: Machen wir sie doch!)

Ich habe sie immer mit großem Interesse verfolgt. Aber ei-
nes sage ich Ihnen sehr deutlich: Wenn Sie dabei den
Flächentarifvertrag beseitigen und das Günstigkeitsprin-
zip aushebeln wollen,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir beseitigen ihn nicht! Er wird nur mit Zustimmung der Arbeitnehmer für kurze Zeit ausgesetzt!)


dann öffnen Sie die Büchse der Pandora. Sie holen dann
nicht nur die Tarifpolitik, sondern auch die Arbeitskämpfe
in die einzelnen Betriebe. Ob das Ihrer Klientel Recht ist,
das wage ich nun wirklich zu bezweifeln.


(Beifall bei der PDS – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie werden es nicht glauben, aber die Leute wollen es!)


Ich glaube nach wie vor, dass das Bündnis für Arbeit
bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hätte erfolgreich
sein können, wenn der Bundeskanzler nicht vorrangig als
Moderator, sondern mit Konzept agiert hätte. Weil das ge-
fehlt hat, konnten die Arbeitgeber die Gewerkschaften so
häufig über den Tisch ziehen, so etwa bei der Tarifrunde
2000, auf der das erste Mal eine moderate Tarifpolitik ver-
abredet wurde – angeblich für mehr Beschäftigung in die-
sem Land.

Was ist dabei herausgekommen? Es baute sich vor al-
len Dingen das Gewinn- und Vermögenseinkommen auf.
Das aber ist für die Arbeitslosen zu wenig. Im Ergebnis
haben sich nicht nur die Arbeitseinkommen schwächer
als in den anderen europäischen Ländern entwickelt.
Deutschland trägt die rote Laterne auch bei den Mas-
seneinkommen, bei den öffentlichen Investitionen und
folglich natürlich auch beim Abbau der Arbeitslosigkeit.
Das ist die Negativbilanz des Bündnisses für Arbeit bis-
her, und dies trotz aller Vorleistungen, die Sie vor allen
Dingen gegenüber den großen Unternehmen erbracht ha-
ben. Ich sage nur: Steuerreform, Abbau der Lohnneben-
kosten. Aber bei den Arbeitsplätzen ist diesbezüglich
Fehlanzeige.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Da muss man an die Arbeitgeber appellieren, dass sie ihrer Verantwortung gerecht werden!)


– Das habe ich gesagt.

Jetzt, wo die Pipeline leer ist – wie Klaus Zwickel so
schön sagte –, werden die Gewerkschaften mit provozie-
renden Forderungen nach Lohnleitlinien und Ähnlichem
überzogen und der Konsens wird im Grunde schon im
Vorfeld zur Disposition gestellt und verhöhnt.

Die Bundesregierung hat leider nicht den Mut gehabt
– das kritisiere ich auch –, im Bündnis für Arbeit das Ge-
wicht der Gewerkschaften und ihrer Mitglieder in die
Waagschale zu werfen. Sie haben leider versäumt, mit ih-
nen gemeinsam den Unternehmen zum Beispiel beschäf-
tigungswirksame Arbeitszeitmodelle abzuringen und end-
lich verpflichtende Regelungen zum Überstundenabbau
durchzusetzen, wie wir es Ihnen mehrfach vorgeschlagen
und in vielen Konzepten hier in den Bundestag einge-
bracht haben.


(Beifall bei der PDS)

Ich weiß, dass mir jetzt einige von Ihnen zurufen

– manche laut, manche weniger laut –: Das spricht sich in
der Opposition alles gut.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie haben ja bald Gelegenheit, in der Regierung zu arbeiten! – Gegenruf des Abg. Wolfgang Weiermann [SPD]: Sie haben sich ja in Berlin aus der Regierungsverantwortung gestohlen!)


– Sie können ruhig zuhören, dann werden Sie schon mer-
ken, dass ich Ihren Gedanken verstanden habe.

Ich bin mir sehr wohl dessen bewusst, dass sich viele
meiner Ideen und Konzepte, die ich hier gerne einge-
bracht habe, nun ein Stück weit in der Praxis bewähren
und dort Bestand haben müssen. Hier wird es manche
Ernüchterung geben. Dessen bin ich mir bewusst. Da ma-
che ich mir keine Illusionen.


(Zurufe von der CDU/CSU: Berlin!)

– Ich höre das Stichwort Berlin; dazu rede ich gerade. –
Der Unterschied besteht nur darin – deshalb wage ich
auch heute diese Kritik –, dass die Ausgangsbedingungen
auf Bundesebene andere sind. Die Regierung hier kann
über ihre Einnahmesituation selber entscheiden – hier
werfe ich Ihnen große Versäumnisse vor – und für andere
Umverteilungsprozesse die Weichen stellen.

Wo ich zukünftig für Politik verantwortlich sein werde,
herrscht Pleite und Mangel. Dies wurde aber nicht von uns
verursacht. In Berlin haben wir nichts zu verteilen, nicht
nach oben und leider auch nur ganz in Maßen nach unten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Aber dicke Gehälter für die Senatoren!)


– Über Gehälter würde ich dann, wenn ich auf Ihrem Platz
säße, wirklich nicht reden. Das muss ich einmal deutlich
sagen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD – Franz Thönnes [SPD]: Ganz schön platt! – Weiterer Zuruf von der SPD: Wie kann man nur so blöd sein!)


Dies soll mein letzter Gedanke sein: Es gibt in der Po-
litik auch Kräfte und Reserven, die in keinen Haushalt
einzustellen sind, sondern in den Herzen und Köpfen der
Menschen schlummern. Sie zu gewinnen und über ge-




Dr. Heidi Knake-Werner
20948


(C)



(D)



(A)



(B)


meinsame Lösungen für die Zukunft zu knobeln ist eine
unabdingbare Notwendigkeit und mir jedenfalls ein wich-
tiges Anliegen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421205800
Kommen
Sie bitte zum Schluss.


Dr. Heidi Knake-Werner (PDS):
Rede ID: ID1421205900
Mit Ihnen, liebe
Kolleginnen und Kollegen, auch zukünftig – möglicher-
weise auf unterschiedlichen Bänken – im streitbaren und
kollegialen Dialog zu bleiben wird mir Freude machen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS und der SPD sowie der Abg. Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421206000
Das Wort
hat jetzt der Kollege Adolf Ostertag von der SPD-Fraktion.


Adolf Ostertag (SPD):
Rede ID: ID1421206100
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Wenn ich mir die vorlie-
genden Anträge und den Gesetzentwurf, die uns CDU/
CSU und FDP auf den Tisch gelegt haben, anschaue


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Können Sie viel lernen!)


und die bisherigen Redebeiträge Revue passieren lasse,
muss ich schon feststellen, dass es erschreckend ist, unter
welchen Wahrnehmungsstörungen Union und FDP inzwi-
schen leiden


(Zustimmung bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie haben Wahrnehmungsprobleme, Herr Ostertag!)


und wie weit dieser kollektive Gedächtnisschwund in
dreieinhalb Jahren Opposition fortgeschritten ist.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wenn ich mich richtig erinnere, wollten Sie die Arbeitslosigkeit auf unter 3,5 Millionen senken! Daran wollten Sie sich messen lassen!)


Ich möchte das auch gerne begründen. Erstens. Offen-
sichtlich haben Sie vergessen, mit welcher erschrecken-
den Arbeitsmarktbilanz Sie von den Wählerinnen und
Wählern in die Opposition geschickt wurden. Das sollten
Sie sich aber immer wieder vor Augen führen. Ich nenne
nur zwei Zahlen: Im Dezember 1997 hatten wir eine
Arbeitslosenquote von 13,1 Prozent oder 4,5 Millionen
Arbeitslose.


(Franz Thönnes [SPD]: Eine tolle FDP-Wirtschaftspolitik! 20 Jahre lang!)


Im Dezember vergangenen Jahres, also 2001, hatten wir
eine Arbeitslosenquote von 10,6 Prozent oder insgesamt
3,9 Millionen Arbeitslose.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist doch nur deshalb so, weil Sie die 630-Mark-Jobs als sozialversicherungspflichtig gerechnet haben!)


Das sind 600 000 weniger.

Wenn es in den nächsten Monaten mehr werden, müs-
sen Sie auch das, was am 11. September passiert ist – das
wollten wir alle nicht –, bedenken.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie haben die 16 Jahre Kohl vergessen! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die Entwicklung war vorher schon so!)


Auch vorher hatte sich die Weltkonjunktur natürlich
schon abgekühlt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Der Rest Europas hat die Probleme nicht, die Sie haben!)


– Ihr Protest zeigt, wie wenig Einsicht Sie in solche wirt-
schaftlichen Entwicklungen haben. Offensichtlich haben
Sie das nicht begriffen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Bilanz Ihrer 16-jährigen Regierungszeit zeigt doch
an zwei Aspekten sehr deutlich,


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Bitte mal ein neues Argument!)


dass Sie sich einen solchen Gedächtnisverlust vorwerfen
lassen müssen. Wir haben an der Staatsverschuldung, die
die Politik inzwischen fast handlungsunfähig werden
lässt, und an einer Massenarbeitslosigkeit, die sich lang-
fristig – über diese 16 Jahre – aufgebaut hat, zu knab-
bern.

Zweitens. Sie legen uns heute Anträge vor, in denen die
Neuorganisation der Arbeitsmarktpolitik verlangt


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Der Antrag ist vom März letzten Jahres! Da waren Sie noch gar nicht in den Puschen!)


und erneut nach Deregulierung geschrien wird. Wozu
Ihre Vorstellungen von aktiver Arbeitsmarktpolitik in der
Vergangenheit geführt haben, konnten wir uns in der Ver-
gangenheit ja überzeugen. Ihre Deregulierungsorgien der
letzten Jahre betrafen ausschließlich die Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer: Aushöhlung des Kündigungs-
schutzes, Rückführung der Lohnfortzahlung im Krank-
heitsfall, Abschaffung des Schlechtwettergeldes für
Bauarbeiter usw. usf. – die Liste können wir wirklich über
mehrere Seiten fortsetzen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nach dreieinhalb Jahren an der Regierung muss man langsam mal nach vorne gucken!)


Was hat das für die Arbeitsmarktsituation, für die Be-
schäftigung gebracht? Nichts außer Massenarbeitslosig-
keit und einen Scherbenhaufen in den Bereichen, in denen
Sie dereguliert haben.

Jetzt kommen Sie wieder mit den alten, gescheiterten
Konzepten und den gleichen Worthülsen der Vergangen-
heit. Die Beiträge von Herrn Laumann und Herrn Kolb
haben gezeigt, dass Sie keine neuen Konzepte haben, son-
dern dass Sie an dem festhalten, was Sie in Ihrer Regie-
rungszeit vermasselt haben. Ich kann Ihnen versichern,




Dr. Heidi Knake-Werner

20949


(C)



(D)



(A)



(B)


dass die Koalitionsfraktionen diese rückwärts gewandten
Vorstellungen ablehnen werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, die Wirklichkeit hatte Sie
schon während der 16-jährigen Regierungszeit überholt.
Auch in den letzten dreieinhalb Jahren Opposition haben
Sie die Kurve nicht bekommen. Trotzdem sind Sie immer
noch bei diesen alten Deregulierungsvorschlägen und die-
ser alten Deregulierungsleier.

Ich glaube, die rot-grüne Koalition hat richtig gehan-
delt.


(Dirk Niebel [FDP]: Er ist sich nicht einmal sicher, er glaubt nur!)


In diesen dreieinhalb Jahren haben wir einen Teil dieser
Erblast abgebaut. 430 000 Arbeitslose weniger – ein
Rückgang von rund 10 Prozent – stehen auf der Positiv-
seite.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Statistik!)

Wir haben immer wieder betont, dass das natürlich zu we-
nig ist. Es ist aber ein ordentlicher Schritt. 1,2 Millionen
neue Arbeitsplätze sind entstanden; das ist ein ordentli-
cher Sprung. Das muss man im Vergleich zu den Zahlen
Ihrer Regierungszeit, die viel länger war, sehen.


(Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wie viel davon sind geringfügige Beschäftigungen?)


Im Einzelnen: Wir sind bei unserer aktiven Arbeits-
marktpolitik eben nicht mit der Gießkanne über das
Land gezogen, sondern wir haben spezielle Angebote und
Modelle für besondere Personengruppen entwickelt. Das
hat sich ausgezahlt. Von 1998 bis 2001 ist die Arbeitslo-
sigkeit bei den älteren Arbeitnehmern – ab 55 Jahre – um
ein Viertel, also um 25 Prozent zurückgegangen. Die
Langzeitarbeitslosigkeit ist um 15 Prozent zurückgegan-
gen, die Jugendarbeitslosigkeit um 6 Prozent. Herr
Laumann, trotz des Anstiegs im letzten Jahr ist sie in die-
sen drei Jahren um insgesamt 6 Prozent zurückgegangen.

Mit JUMPhaben immerhin über 330 000 Jugendliche in
diesem Land neue Perspektiven bekommen. Wer sich dort
umschaut, wo die Projekte laufen, der weiß, dass es bei den
jungen Leuten einen Motivationsschub gegeben hat. Genau
das brauchen wir. Das sollten wir nicht klein reden, sondern
das sollten wir offensiv nach außen vertreten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Zahl der schwerbehinderten Arbeitslosen ist um
12 Prozent zurückgegangen. Das Programm „50 000 neue
Jobs für Schwerbehinderte“ greift. Das ist erfreulich.
Auch hier sollten wir gemeinsam eine offensive Vertre-
tung nach außen zustande bringen.

Das sind positive Zahlen. Ich glaube, die aktive Ar-
beitsmarktpolitik der rot-grünen Koalition, die in ein
gesamtes und nachhaltiges Politikkonzept aus Sozial-,
Wirtschafts-, Steuer-, Finanz- und Haushaltspolitik einge-
bettet ist, liegt richtig. Wir haben die Flexibilisierung der

Arbeitszeit durch die Förderung von Teilzeitarbeit und be-
fristeten Beschäftigungsverhältnissen unterstützt. Un-
ternehmen und Arbeitnehmer haben ein wirklich wichti-
ges Instrument zur Ausgestaltung der Arbeitszeit in die
Hand bekommen.

Auch zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist da-
mit etwas getan worden. Das sollte man nicht vergessen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wenn man Sie so hört, scheint alles in Ordnung zu sein!)


Die Arbeitsförderung wurde modernisiert. Zunächst ha-
ben wir – erinnern Sie sich daran – mit einem Vorschalt-
gesetz die bürokratischen Hemmnisse abgebaut, die Sie
während Ihrer 16 Jahre Regierungszeit geschaffen haben.


(Beifall bei der SPD)

Dann haben wir mit unserem Job-Aqtiv-Gesetz einen
wichtigen Schritt gemacht, der die Effizienz und Zielge-
nauigkeit der Arbeitsmarktpolitik vor Ort steigern wird.
Fragen Sie einmal in den Arbeitsämtern in Ihren Wahl-
kreisen nach. In meinem Arbeitsamtbezirk stehen neun
Vermittler mehr zur Verfügung, die in den Betrieben mit
den Beschäftigten und den Arbeitgebern, aber auch mit
den Arbeitslosen reden können. Das sind ganz konkrete
Auswirkungen dieses Job-Aqtiv-Gesetzes vor Ort. Viel-
leicht überprüfen Sie einmal die Situation bei sich selber.

Wir werden so frühzeitig die betriebsnahe Qualifizie-
rung voranbringen. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt.
Wir werden die individuelle Vermittlung vorantreiben.
Das Prinzip „Fördern und fordern“ wird in diesem ganz-
heitlichen Prozess der Arbeitsvermittlung letztendlich
Einzug halten.

Außerdem – auch das sei noch gesagt – unterstützen
wir den Beschäftigungsmotor Mittelstand. Herr Kolb, Sie
haben das Thema angesprochen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Mit Recht!)

Im Zuge der Steuerreform werden in den nächsten Jahren
noch einmal 15 Milliarden Euro zur Unterstützung des
Mittelstandes zur Verfügung gestellt, weil wir wissen,
dass in erster Linie dort Beschäftigung geschaffen wird.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Der Mittelstand hat jetzt ein Problem! Er geht jetzt Pleite, nicht in drei Jahren!)


Wir haben einen Schwerpunkt auf Ostdeutschland ge-
legt. Mit der Fortsetzung des Solidarpaktes werden wir in
den nächsten 15 Jahren insgesamt 156 Milliarden Euro in
den neuen Ländern investieren. Ich glaube, das ist insbe-
sondere für die Infrastruktur wichtig, die dort aufzubauen
ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich auch etwas zur besonderen Bedeutung
des Bündnisses für Arbeit sagen. Dieser Regierung ist
letztlich gelungen, was Kohl, Blüm und Ihre Fraktion tor-
pediert haben.


(Franz Thönnes [SPD]: Richtig! Sie haben es kaputtgemacht!)





Adolf Ostertag
20950


(C)



(D)



(A)



(B)


Diese Regierung sitzt morgen wieder mit Gewerkschaften
und Arbeitgebern an einem Tisch, um gemeinsam Lö-
sungswege zu finden.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Nach einem Jahr Pause!)


Es ist erfreulich, dass die Union nach dem vorliegen-
den Antrag das Bündnis inzwischen als wichtiges Forum
erkannt hat. Das sehen wir als einen wichtigen Schritt an.
Allerdings sind die Anforderungen, die Sie in diesem An-
trag aufgeschrieben haben – ich glaube, es sind insgesamt
sieben –, in der Tat realitätsfern.

Die Bundesregierung hat ihre Hausaufgaben im Bünd-
nis gemacht. Immer wenn wir diese Erfolge in Gesetze
gegossen haben, haben Sie übrigens dagegen gestimmt.
Das kann man anhand einiger Punkte aufzählen.


(Franz Thönnes [SPD]: So ist es!)

Jetzt ist es vor allem an den übrigen Bündnispartnern, die
Vereinbarungen umzusetzen und den Abbau der Arbeits-
losigkeit weiter aktiv und offensiv voranzutreiben,


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das ist kein Bündnis für Arbeit, sondern für Arbeitslosigkeit!)


zum Beispiel den Abbau von 1,8 Milliarden Überstun-
den, die in dieser Republik jährlich anfallen. Es entstehen
Hunderttausende von Arbeitsplätzen, wenn wir nur die
Hälfte der Überstunden abbauen. Hier sind besonders die
Arbeitgeber und natürlich auch die Betriebsräte und die
Gewerkschaften gefordert, aktiv zu werden.

Wir brauchen auf der Grundlage unseres Gesetzes
mehr Teilzeitbeschäftigung. Wir müssen flexible Modelle
zur Arbeitszeitverkürzung bei der Wochen-, Jahres- und
Lebensarbeitszeit entwickeln. Der Gesetzgeber hat dazu
die Rahmenbedingungen geschaffen.

Das Fazit: Wir alle wissen, dass Arbeitsmarktpolitik al-
lein keine Arbeitsplätze schafft. Sie schafft nur die Rah-
menbedingungen. Diese Rahmenbedingungen sind in un-
serer Regierungszeit viel besser geworden. Jetzt kommt
es darauf an, dass die Akteure auf dem Arbeitsmarkt die
gebotenen Chancen ergreifen. Hierbei sind natürlich ins-
besondere die Betriebe gefordert. In den Betrieben müs-
sen bestehende Arbeitsplätze gesichert und neue geschaf-
fen werden. Hier gilt es, Kreativität zu fördern und
voranzubringen. Es gibt viele einzelne Beispiele. Eben
ist schon dazwischengerufen worden: Bei drohenden
Verlusten von Arbeitsplätzen in großen Betrieben, in Ver-
waltungen, bei Banken und Versicherungen sollen sich
die Herrschaften in den Vorständen, die jährlich ein Milli-
oneneinkommen erzielen, etwas einfallen lassen, zum
Beispiel das, was sich schon vor Jahren der Vorstand bei
VW hat einfallen lassen oder auch was in vielen kleinen
betrieblichen Bündnissen geschaffen worden ist,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie wissen längst, was sie tun würden, aber Sie lassen es nicht zu! – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das kann man doch alles nur gegen das Gesetz machen!)


nämlich kreative Lösungen, um nicht Hire-and-fire-Poli-
tik zu betreiben, sondern Arbeitsplätze zu sichern und zu

schaffen. Das ist das Gebot der Stunde. Dann kommen wir
aus dieser Beschäftigungssituation heraus und werden
viel bessere Zahlen bekommen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421206200
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Claudia Nolte von der CDU/CSU-
Fraktion.


Claudia Nolte (CDU):
Rede ID: ID1421206300
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir im Bundestag über
die Arbeitsmarktsituation sprechen, kommen wir nicht
umhin, auch die besondere Situation in den neuen Bun-
desländern zu betrachten.


(Zuruf von der FDP: Ja!)

Denn die schwierige wirtschaftliche Lage zeichnet sich
dort in einem viel stärkeren Maße ab.

Wir wissen alle, dass die Angleichung der Lebensver-
hältnisse nicht in dem Tempo vonstatten gegangen ist, wie
wir alle gehofft haben. Ich mache der Bundesregierung
nicht den Vorwurf, dass die Lohnangleichung zwischen
Ost und West noch nicht stattgefunden hat. Aber man
muss dieser Bundesregierung vorwerfen, dass die Schere
zwischen Ost und West wieder größer wird. Das ist deut-
lich anders als früher bei uns, lieber Herr Ostertag.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir haben insgesamt steigende Arbeitslosenzahlen,
geringere Beschäftigungszahlen und ein geringes Wirt-
schaftswachstum. Aber dadurch, dass sich diese Entwick-
lung in den neuen Ländern viel schärfer abzeichnet,
kommt es nicht zu einer Angleichung, sondern zu einem
weiteren Auseinanderdriften der Lebensverhältnisse.
Wenn man die vielen Beschäftigten in ABM, SAM, Um-
schulungen,


(Andrea Nahles [SPD]: Das sind doch weitaus weniger als zu Ihrer Zeit! – Erika Lotz [SPD]: Die wollen Sie doch abschaffen!)


und im Vorruhestand dazuzählen würde, dann würde das
Bild noch viel gravierender ausfallen.

Als der Bundestagspräsident, Herr Thierse, vor einem
Jahr die These vertrat, Ostdeutschland stehe wirtschaft-
lich auf der Kippe, sind Sie von der SPD nervös gewor-
den, haben versucht zu relativieren und hätten ihm am
liebsten parteischädigendes Verhalten vorgeworfen. Aber
es hat nicht dazu geführt, dass Sie etwas dagegen tun.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU: Das ist das Problem!)


Selbst Herr Thierse muss konstatieren, seine vor einem
Jahr angeregte Diskussion zur Lage in Ostdeutschland sei
bei der Aufrechnung von Licht und Schatten stehenge-
blieben, während die Wiederbelebung des Aufbaus Ost
nicht erfolgt sei. Dies erklärte er am Dienstag vor der




Adolf Ostertag

20951


(C)



(D)



(A)



(B)


Industrie- und Handelskammer Schwerin. So war jeden-
falls gestern im „Tagesspiegel“ zu lesen. Der Aufholpro-
zess im Osten stagniert; er findet nicht mehr statt.

Diese Entwicklung hat neben anderen Effekten vor al-
lem den Effekt, dass Menschen den neuen Bundesländern
zunehmend den Rücken kehren. Das ist eine in meinen
Augen sehr gefährliche Spirale, die nach unten führt und
die man auch nicht ohne weiteres umkehren kann. Denn
wir wissen alle, dass gerade die jungen Menschen, die
mobil sind und dorthin gehen, wo sie für sich Zukunfts-
chancen erwarten, uns den Rücken kehren, weil es für sie
keine lohnende Arbeit gibt.

Es ist generell gut, wenn junge Menschen flexibel sind,
woanders hingehen, andere Länder kennenlernen und Er-
fahrungen machen. Es wäre dann kein Problem, wenn
wiederum andere in die neuen Länder kämen, um dort ihre
speziellen neuen Erfahrungen zu machen, und somit ein
ausgeglichener Saldo der Wanderungsbewegung entste-
hen würde. Dies ist aber nicht der Fall, sondern uns feh-
len diese junge Menschen und das macht sich schon jetzt
in einer veränderten Sozialstruktur bemerkbar, indem
sich der Anteil der Bevölkerung in den neuen Bundeslän-
dern, der sich aus Rentnern, Sozialhilfeempfängern und
Arbeitslosenhilfeempfängern zusammensetzt, gegenüber
den Menschen, die produktiv tätig sind, prozentual deut-
lich erhöht. Das stellt natürlich auch die Kommunen, die
schließlich eine gewisse Infrastruktur vorhalten müssen,
vor erhebliche Schwierigkeiten. Das führt zudem zu der
konträren Situation, dass es trotz einer hohen Arbeitslo-
sigkeit teilweise einen Fachkräftemangel gibt.

Am schlimmsten ist die Situation für die älteren Ar-
beitssuchenden, die schon viele Jahre arbeitslos sind und
inzwischen Arbeitlosenhilfe beziehen. In dieser Situation
kommt die Sozialdemokratie auf die Idee, die Zuschüsse
zur Rentenversicherung bei Arbeitslosenhilfeempfängern
so gravierend zu senken, dass sich das gerade bei den
Menschen im Osten erheblich bemerkbar machen wird.
Dadurch wird sich die Einkommenssituation in den neuen
Bundesländern von der im Westen auf Dauer erheblich
unterscheiden. Sie manifestieren dies. Dafür sind Sie ver-
antwortlich.

Es ist sicherlich richtig, dass die Politik nicht alles rich-
ten kann. Aber es wäre falsch zu sagen, sie könne nichts
richten. Wir, die Abgeordneten aus Thüringen, haben in
der Debatte über die Frage „Kippt der Osten?“ sehr deut-
lich darauf hingewiesen, dass die Situation in den neuen
Bundesländern differenziert zu betrachten ist. Schaut man
sich die Arbeitslosenquoten und die wirtschaftliche Ent-
wicklung in den einzelnen neuen Bundesländern genau
an, dann stellt man fest, dass Thüringen und Sachsen
sehr viel besser dastehen als Mecklenburg-Vorpommern
und Sachsen-Anhalt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Viel besser!)

Das hat damit zu tun, dass in Thüringen und Sachsen jah-
relang andere Prioritäten gesetzt worden sind, nämlich für
mehr Investitionen und für weniger Konsum.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es ist kein Zufall, dass Thüringen und Sachsen CDU-re-
gierte Länder sind. Anderswo macht man rote Experi-
mente.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Nun ist auch die Bundesregierung gefordert, entspre-

chende Prioritäten zu setzen. Wir erwarten, dass mehr in
den neuen Bundesländern investiert wird und dass Inves-
titionsvorhaben vorgezogen werden, und zwar gerade im
Bereich der Verkehrsinfrastruktur, weil Straßen und
Schienen die Lebensadern der Regionen sind.

Natürlich kann auch die aktive Arbeitsmarktpolitik
ihren Beitrag leisten. Ich habe nie verstanden, warum Sie
das arbeitsmarktpolitische Instrument, das am erfolg-
reichsten war, nämlich die Lohnkostenzuschüsse für ost-
deutsche Betriebe, so beschränkt haben. Mit keinem an-
deren arbeitsmarktpolitischen Instrument sind so viele
Übergänge in den ersten Arbeitsmarkt erreicht worden.
Deshalb finde ich es wichtig, dass wir dieses Instrumen-
tarium wieder mehr in den Vordergrund stellen.


(Klaus Brandner [SPD]: Was erzählen Sie denn da? Kennen Sie das Gesetz nicht? Frau Nolte, bleiben Sie bei der Wahrheit!)


Für den Aufbau Ost reicht es nicht, im Kanzleramt ei-
nen Beauftragten zu haben, dessen Namen im Osten kaum
jemand kennt. Es reicht erst recht nicht, den Aufbau Ost
zur Chefsache zu erklären, wenn man einen Chef hat, dem
der Aufbau Ost ziemlich egal ist und für den er keine Her-
zenssache ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das merken die Menschen. Ein kurzer Sommertrip durch
die neuen Bundesländer und der Besuch von Cousinen
sind nicht das, was wir brauchen. Wenn das Bündnis für
Arbeit einen Sinn haben soll – Sie suchen ja noch nach ei-
ner Tagesordnung –, dann müssen Sie das Thema „Auf-
bau Ost“ endlich mit auf die Tagesordnung der Bündnis-
gespräche setzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421206400
Das Wort
hat jetzt der Bundesminister Walter Riester.

Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Da-
men und Herren! Bevor ich mit meiner Rede beginne,
möchte ich von dieser Stelle aus jemandem herzliche Ge-
nesungswünsche übermitteln, der sich an der heutigen
Debatte sicherlich engagiert beteiligt hätte, wenn er nicht
im Krankenhaus liegen würde, nämlich Horst Seehofer.
Wir freuen uns, wenn er wieder unter uns ist und sich wie-
der aktiv an den Debatten beteiligen kann.


(Beifall im ganzen Hause)

Herr Laumann, Sie haben mir vorhin ein Kärtchen ge-

geben, auf dem steht: 4 Millionen Arbeitslose im Januar.
Stellen Sie sich einmal vor, auch ich hätte Ihnen im letz-
ten Januar Ihrer Regierungszeit ein Kärtchen gegeben.
Auf dem hätte dann die Zahl 4 823 000 stehen müssen.




Claudia Nolte
20952


(C)



(D)



(A)



(B)


Der große Unterschied zwischen diesen beiden Zahlen
lässt sich nur durch unsere aktive Politik für mehr Arbeits-
plätze erklären, mit der wir 1,1 Millionen neue Jobs ge-
schaffen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Und vor allem die Schwarzarbeit!)


Wir haben die Arbeitslosigkeit massiv abgebaut. Wir ha-
ben bei den Gruppen angesetzt, die auf dem Arbeitsmarkt
alleine nur wenige Chancen haben. Das sind junge Men-
schen, zum Beispiel Schulabgänger ohne Hauptschul-
abschluss. 370 000 junge Menschen haben an dem Son-
derprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit
teilgenommen. Davon haben 275 000 einen Arbeits-, Aus-
bildungs- oder Weiterbildungsplatz gefunden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Abg. KarlJosef Laumann [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421206500
Herr Bun-
desminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Nein, ich möchte die Arbeitsmarktpolitik der
Bundesregierung im Zusammenhang darstellen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der nächste Punkt betrifft den Abbau der Arbeitslosig-

keit von schwerbehinderten Menschen. Gemeinsam mit
der Wirtschaft, den Gewerkschaften und den Behinder-
tenverbänden haben wir uns das Ziel gesetzt, die Zahl der
arbeitslosen Schwerbehinderten um 25 Prozent zu sen-
ken. Zwischenzeitlich haben wir eine Senkung um 15 Pro-
zent erreicht. Das ist eine Sache, die mich sehr freut.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Alles richtig, aber es bleiben über 3,9 Millionen Arbeitslose!)


Die Langzeitarbeitslosigkeit ist die Verfestigung, die
am schwersten abzubauen ist. 240 000 Langzeitarbeits-
lose weniger als im Jahr 1998 – das ist aktive Arbeits-
marktpolitik!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die 4 Millionen, Herr Laumann, treiben uns natürlich
an. Da müssen wir weiter aktiv bleiben.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: 4,3 Millionen, Herr Riester!)


Genau deswegen setzen wir mit der größten Vermitt-
lungsoffensive ein, die jemals in deutschen Arbeitsämtern
angegangen worden ist.


(Dirk Niebel [FDP]: Da sind wir mal gespannt!)


Das Job-Aqtiv-Gesetz regelt nicht nur die Vermittlung
inhaltlich neu, indem jedem sofort eine Vereinbarung ange-
boten wird, in der die Förderung, aber auch die Forderungen
an den Einzelnen festgelegt werden. Wir organisieren auch
die personelle Unterstützung für die Vermittlungsoffensive:
Es gibt zusätzlich insgesamt 3 000 Vermittler, 2 000 in den
Arbeitsämtern und 1 000 außerhalb der Arbeitsämter. Das
ist Job Aqtiv!

Der Gesetzgeber ist massiv voranmarschiert. Die Ar-
beitsämter qualifizieren ihre Vermittler seit Oktober. Die
stehen sozusagen Gewehr bei Fuß.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ihr schießt mit Platzpatronen!)


Es gibt noch einen weiteren Aspekt. Durchschnittlich
werden monatlich 300 000 offene Stellen gemeldet. Das
sind etwa 3,6 Millionen offene Stellen im Jahr. Im Mo-
ment – so sagen die Wirtschaft und das Handwerk – gibt
es zwischen 1,5 Millionen und 1,7 Millionen offene Stel-
len. Wenn diese den Arbeitsämtern gemeldet würden – ich
weiß, das funktioniert nicht mit 1 Million offener Stellen –,
wenn mehrere Monate lang statt 300000 Arbeitsplätze
600000 gemeldet würden, dann wäre das eine Vermitt-
lungsoffensive, die wirklich zum Abbau der Arbeitslosig-
keit führen würde. Dort setzen wir an.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die Entwicklung geht doch in die andere Richtung, Herr Riester!)


Das wäre eine Möglichkeit im Rahmen des Bündnisses
für Arbeit, die keine Mark kosten,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie blenden die Realität aus!)


aber Beiträge von allen Seiten erfordern würde: die Ver-
mittlungsoffensive des Gesetzgebers, aber auch die Mel-
dung der offenen Stellen. Dort müssen wir ansetzen und
dort werden wir ansetzen. Wir werden die Arbeitslosigkeit
damit Schritt für Schritt weiter abbauen.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Ach du meine Güte! Ihr werdet am 22. September abgewählt! – Gegenruf des Abg. Klaus Brandner [SPD]: Sie haben einen schlechten Traum, Herr Rauen! Wovon träumen Sie nachts?)


– Wenn die Diskussion beendet würde, könnte ich fort-
fahren.

Meine Damen und Herren, ich habe mir heute die Vor-
schläge des Ministerpräsidenten von Hessen, Herrn Koch,
angehört. Er hat Vorschläge zur Sozial- und Arbeitslosen-
hilfe eingebracht, die er gern umsetzen möchte. Ich sage
Ihnen: Die Richtung halte ich für richtig – eindeutig.


(Zurufe von der CDU/CSU: Aha! – Zuruf von der SPD: Der geht auf unsere Richtung!)


Ich bin froh darüber, dass Herr Koch ein Stück weit in der
Wirklichkeit angelangt ist. Was er vorschlägt, bezieht sich
nicht auf Wisconsin; was er vorschlägt, wird größtenteils




Bundesminister Walter Riester

20953


(C)



(D)



(A)



(B)


bereits praktiziert: beispielsweise im Main-Kinzig-Kreis,
in Marburg, aber vor allem auch im Job-Aqtiv-Gesetz.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich hätte mich gefreut, wenn Hessen dieser Initiative im
Bundesrat zugestimmt hätte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Koch kupfert ab!)


Es gibt aber auch einige Punkte, die ich nicht teile – das
will ich Herrn Koch überhaupt nicht vorwerfen; darüber
muss man diskutieren –, beispielsweise in Bezug auf die
Finanzierung. Ich teile es nicht, wenn der Herr Koch sagt:
Sanktionsmöglichkeiten können sich doch nicht auf die
Sozialhilfe beschränken. Wenn er damit darauf abzielt,
das Wohngeld oder das Kindergeld zu streichen, dann
kann ich dazu nur sagen: Ich halte das für falsch. Das kann
er auch gar nicht.

Fernab jeder Wahlkampfrhetorik sage ich: Ich würde
mich freuen, wenn mehr wirklich offensive Vorschläge
unterbreitet würden, bei denen die Grundrichtung stimmt.
Über die Einzelpunkte, die dann ebenfalls wichtig sind,
müsste man sprechen.

Wir wollen die Verzahnung von Arbeitslosenhilfe
und Sozialhilfe.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Aber unser Antrag liegt doch vor! – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Ihr macht nichts! – Dirk Niebel [FDP]: Das haben wir detailliert vorgeschlagen!)


– Entschuldigen Sie! Wir machen dies nicht nur in 30 Ar-
beitsämtern. 100 Arbeitsämter haben zwischenzeitlich
Kooperationsvereinbarungen mit Sozialämtern geschlos-
sen. 60 Prozent der Arbeitsämter gehen aktiv an diese Ar-
beit heran.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN –Dirk Niebel [FDP]: Man muss endlich die Doppelverwaltung wegbekommen!)


Wenn Sie sagen, Sie wollen das, dann sprechen Sie
bitte schön mal mit Ihrer Kollegin Nolte, die sich gerade
darüber empört hat, dass wir bei den Arbeitslosenhilfe-
empfängern die Zuschüsse zur Rentenversicherung ge-
senkt haben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Recht hat sie!)

Und gleichzeitig erklären Sie, Sie wollen die Arbeits-
losenhilfe ganz streichen bis hin zur Ausgabe von Le-
bensmittelkarten! Wissen Sie, was das heißt?


(Zuruf von der CDU/CSU: Das haben wir nicht gesagt! – Abg. Dirk Niebel [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dies würde im Zweifelsfall bedeuten, dass die gesamten
Beiträge zur Rentenversicherung wegfallen. Das muss
man wissen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Frau Nolte, in dieser Frage kann man sich nicht schlank
machen, da werden Sie gefordert sein, da muss Butter bei
die Fische! Das muss man als Oppositionspartei dann aus-
halten. Man kann sich nicht hierher stellen und sagen: Das
wirft man uns vor. – Das betrifft nicht nur die Haushalts-
konsolidierung.Wenn wir eine Verzahnung von Arbeits-
losenhilfe und Sozialhilfe wollen, dann müssen wir diese
Bereiche auch gemeinsam angehen. Wenn Sie das wollen,
sind Sie herzlich eingeladen. Aber wegtauchen, das geht
in dieser Frage nicht.

Dieses Problem wird von uns angegangen. Die Lösung
wird von uns nicht nur vorbereitet, sondern sie wird in
30 Arbeitsämtern schon praktiziert, wo sich der Bürger
bei einer einzigen Anlaufstelle mit dem Leistungsangebot
sowohl des Sozialamtes als auch des Arbeitsamtes Hilfe
verschaffen kann, um möglichst schnell in Arbeit zu kom-
men. Alle Konzepte, für die ich Verantwortung trage, wer-
den sich danach ausrichten, ob sie geeignet sind, Leis-
tungsempfänger in den Arbeitsmarkt zu bringen.

Auch das ist ein Punkt, bei dem ich Zweifel habe, dass
sich das, was Herr Koch heute gesagt hat, einlösen lässt.


(Zuruf von der SPD: Das ist auch unser Konzept!)


Er sagt: Wir werden jedem Arbeitslosenhilfeempfänger
und jedem Sozialhilfeempfänger ein Arbeitsangebot ma-
chen. – Dies würde im Zweifelsfall ein riesiges Aufblähen
des öffentlich geförderten zweiten Arbeitsmarktes be-
deuten. Darüber muss man sprechen. Er wird nicht auto-
matisch die Angebote im ersten Arbeitsmarkt haben. Des-
wegen würde ich eine solche Parole nicht herausgeben.
Unser Ziel muss es sein, Leistungsempfänger in Arbeit zu
bringen. Daran haben wir mit der Schaffung von 1 Million
Arbeitsplätzen und mit der Verringerung der Arbeitslo-
senzahl um über 400 000 erfolgreich gearbeitet. Diesen
Prozess werden wir unbeirrt mit Tempo weiterführen.
Alle werden dabei mithelfen müssen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421206600
Zu einer
Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Dirk
Niebel von der FDP-Fraktion.


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1421206700
Herr Minister Riester, Sie haben
leider keine Zwischenfrage zugelassen. Deswegen wähle
ich das Instrument der Kurzintervention.

Sie haben gegenüber dem Deutschen Bundestag den
Eindruck vermittelt, dass die Oppositionsanträge – hier be-
ziehe ich mich jetzt auf den vorliegenden Antrag der FDP-
Bundestagsfraktion zur Zusammenlegung von Arbeitslo-
senhilfe und Sozialhilfe – zu einer vermehrten Altersarmut
führen würden. Das ist falsch, das ist definitiv unrichtig.
Sie wissen, dass Sie hiermit dem Deutschen Bundestag
nicht die Wahrheit gesagt haben. In unserem Konzept zur
Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe
ist explizit vorgesehen, dass die rentenrechtlichen Rege-
lungen der Arbeitslosenhilfe auf die Sozialhilfe übertragen




Bundesminister Walter Riester
20954


(C)



(D)



(A)



(B)


werden. Das ist eine definitive Verbesserung der Altersab-
sicherung der zukünftigen Hilfeempfänger.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie sollten hier keinen Popanz aufbauen, der im End-

effekt verhindert, dass zwei steuerfinanzierte, bedürftig-
keitsabhängige Sozialtransferleistungen, die alleine durch
die Doppelverwaltung 4 Milliarden Euro im Jahr ver-
schlingen, zusammengeführt werden. Hier müssen wir
endlich die Schritte gehen, die Ihre Kollegen aus Rhein-
land-Pfalz, Herr Gerster, und aus Nordrhein-Westfalen,
Herr Schartau, auch öffentlich fordern.

Sie regieren seit drei Jahren und bewegen sich in die-
ser Sache nicht. Stattdessen machen Sie alle möglichen
netten Vorschläge, wie Sie die Statistiken verändern kön-
nen. Das ist nicht zielführend. Sie müssen Vorschläge ma-
chen, wie man Arbeitsplätze zur Verfügung stellt. Hier
müssen Sie ideologiefrei herangehen. Ihre Regierung hat
zu Beginn dieses Jahres die steuerliche Absetzbarkeit bei
den sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen in pri-
vaten Haushalten gestrichen. Ich frage Sie jetzt offen und
ehrlich: Worin besteht der Unterschied zwischen einer so-
zialversicherungspflichtigen Beschäftigung in einem
Haushalt, in einem Handwerksbetrieb oder in einem In-
dustrieunternehmen? Hier gehen Sie ideologieverbrämt
an die Sache heran, statt Arbeitslosigkeit abzubauen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421206800
Herr
Minister, bitte.

Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Herr Abgeordneter Niebel, ich bin Ihnen
sehr dankbar, dass Sie, statt laufend dazwischenzurufen,
eine Kurzintervention machen. Das finde ich sehr gut. Ihr
kann man nämlich folgen.


(Dirk Niebel [FDP]: Ich hätte Sie auch gefragt!)


Erstens. Wenn die rentenrechtlichen Regelungen der
Arbeitslosenhilfe auf die Sozialhilfe übertragen werden,
müssen die Kommunen etwa 5,3 Milliarden zusätzliche
Mittel in die Rentenversicherung einzahlen.


(Dirk Niebel [FDP]: Der Bund! Sie haben die Anträge nicht gelesen!)


– Wenn Sie das wissen, dann sagen Sie das auch den Kom-
munen. Wenn Sie aber der Meinung sind, das solle der
Bund bezahlen – so habe ich es jetzt gehört –, dann sagen
Sie gleichzeitig dazu, dass diese Mittel eine Verschuldung
in Höhe von 5,3 Milliarden auslösen. Wenn Sie das der
Öffentlichkeit nicht sagen, dann belügen Sie die Öffent-
lichkeit. Diesen Vorwurf muss ich Ihnen machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [FDP]: Wir sagen es doch!)


Zweitens. Sie haben die sozialversicherungspflich-
tigen Arbeitsverhältnisse angesprochen. Dazu kann ich

Ihnen gern Auskunft geben. Deren Zahl ist in drei Jahren
um 700 000 gestiegen. Das ist die Wahrheit.

Wenn Sie noch einmal intervenieren wollen, können
Sie das gern machen. Ich lade Sie herzlich dazu ein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421206900
Das Wort
hat jetzt der Kollege Johannes Singhammer, CDU/CSU-
Fraktion.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1421207000
Herr Präsi-
dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bun-
desminister, nach dreieinhalb Jahren rot-grüner Regie-
rung sieht die Bilanz nicht nur ernüchternd aus, sondern
die Menschen in unserem Land haben das Vertrauen in die
Regierung verloren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Andrea Nahles [SPD]: Warten wir es ab!)


Der Bundeskanzler, Ihr Chef, hat beispielsweise vor
zwei Jahren, am Tag der Arbeit, versprochen, die Arbeits-
losenzahlen auf deutlich unter 3,5 Millionen zu senken.
Vor wenigen Tagen hat Ihr Staatssekretär Andres erklärt,
man rechne mit 4,3 Millionen Arbeitslosen. Damit hat die
rot-grüne Bundesregierung ihr wichtigstes Ziel nicht er-
reicht, ihr wichtigstes Versprechen nicht eingelöst. Eine
Besserung ist nicht in Sicht: Rot-Grün muss weg!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Weiermann [SPD]: Das ist euer Programm: Rot-Grün muss weg!)


In den dreieinhalb Jahren Ihrer Regierungszeit haben
Sie im Akkordtempo, sozusagen am Fließband, Ankündi-
gungen – so wie jetzt gerade wieder – feierlich zelebriert,
um sie später schamhaft zurückzunehmen. Viele erinnern
sich noch daran, dass den Rentnern von diesem Bundes-
kanzler am 17. Februar 1999 versprochen wurde: Ich
stehe dafür, dass die Renten auch in Zukunft so steigen
wie die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer. – Einige
Wochen später hat er sich in der Sendung von Frau
Christiansen entschuldigt und gesagt: Wenn ich könnte,
würde ich mich bei jedem Einzelnen entschuldigen.

Tatsache ist, dass das soziale Gleichgewicht verloren
gegangen ist. Im Jahre 2002 werden den Menschen in
Deutschland Beiträge für eine private Rente abgezogen,
welche Gutverdienende mehr fördert als diejenigen mit
einem kleinen Geldbeutel.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir werden nicht alles anders machen, aber vieles
besser

– das hat der Bundeskanzler versprochen.

(Peter Dreßen [SPD]: Da hat er Recht!)


Heute trägt Deutschland die rote Laterne in der Europä-
ischen Union, während es in den Jahren davor immer die
Lokomotive war und die anderen mitgezogen hat.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)





Dirk Niebel

20955


(C)



(D)



(A)



(B)


Deutschland ist Schlusslicht bei den Wachstumsraten und
den Innovationen. Wir verlieren Weltmarktanteile und es
droht der Abstieg von der Eliteliga in die zweite Liga der
Wirtschaftsnationen.

Mit einer Postkarte – wir erinnern uns noch gut daran –
haben Sie vor der Bundestagswahl mit zehn Versprechun-
gen geworben. Eine davon hieß: Arbeitslosigkeit bekämp-
fen.


(Peter Dreßen [SPD]: Richtig!)

Stattdessen explodieren die Arbeitslosenzahlen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Auch wenn Sie die 58-Jährigen aus der Statistik he-

rausnehmen, werden Sie trotz dieser Kosmetik nicht er-
reichen, dass sich die Menschen mit ihrer Erfahrung – sie
haben etwas einzubringen – nicht weiterhin ausgegrenzt
fühlen.


(Klaus Brandner [SPD]: Waren Sie das nicht mit dem Vorruhestand?)


Das wird Ihre ganze Statistikklitterei nicht erreichen
können.

Ich halte Ihnen einmal ein Spiegelbild dessen vor, was
Sie alles versprochen haben. In der rot-grünen Koali-
tionsvereinbarung steht: Wir werden die Sozialversiche-
rungsbeiträge durch die Einnahmen aus der ökolo-
gischen Steuerreform auf unter 40 Prozent senken. In
diesem Jahr haben wir 41,3 Prozent!


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Wie viel waren es denn bei euch?)



(V o r s i t z : Vizepräsidentin Petra Bläss)

Die Krankenversicherungsbeiträge werden auf einen
neuen Höchststand von über 14 Prozent ansteigen.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Wie war es denn bei Ihnen? Sagen Sie die Zahlen!)


Damit wird den Arbeitnehmern mehr Geld aus der Tasche
gezogen als jemals zuvor.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Liste wird noch länger. Die Beiträge zur Arbeitslo-
senversicherung wollten Sie im Jahr 2002 um 0,5 Prozent
auf 6 Prozent absenken. Das Gegenteil ist der Fall: Die
Bundesanstalt für Arbeit benötigt mehr Geld als vorgese-
hen.

Der Katalog der Firmen, die im großen Stil entlassen
wollen – neben dem, was im Mittelstand an dramatischer
Entwicklung droht –, liest sich wie ein Horrorszenario:
Henkel-Gruppe minus 3 000, Infineon minus 5 000,
Hypo-Vereinsbank minus 9 000, Siemens minus 17 000,
Commerzbank minus 3 400, Deutsche Bank minus 7 100,
Dresdner Bank minus 5 500. Und ein Ende ist nicht in
Sicht.

Das Bündnis fürArbeit, das Sie hier immer wieder er-
wähnt haben, ist nicht deshalb, weil die Tarifparteien, Ar-
beitgeber und Arbeitnehmer, nicht zueinander gefunden
haben, kurz vor dem Aus. Es ist deshalb vor dem Aus, weil

Sie eine Politik betrieben haben, die aus dem Bündnis ein
Zerwürfnis gemacht hat.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Weiermann [SPD]: Das ist doch dummes Zeug! Bisher entlassen noch die Unternehmen und nicht der Staat! Mein Gott noch mal!)


Der Bundeskanzler hat noch vor wenigen Wochen sich
selbst eine ruhige Hand verordnet und den Menschen die
dramatische Entwicklung verschwiegen.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Wer entlässt denn die Leute? Etwa der Staat?)


Tatsache ist, dass die Entwicklung dramatisch verlaufen
ist und dass jetzt unkoordiniert und mit allem anderen als
mit ruhiger Hand, eher mit heißer Nadel genäht, eine Viel-
falt von Maßnahmen eingeleitet worden sind, die aber in
ihrer geringen Beständigkeit und geringen Abgestimmt-
heit nicht den erwarteten Erfolg bringen werden.

Deshalb sage ich Ihnen: Was Sie machen müssen, ist
eine Generalrevision der Arbeitsmarktordnung. Im Ein-
zelnen heißt das: Alle die Fehler, die Sie gemacht haben
– die Fehler beim 630-Mark-Gesetz, beim Gesetz zur
Scheinselbstständigkeit, beim Teilzeitgesetz – müssen Sie
korrigieren. Nur dann kommen wir wieder auf das rich-
tige Gleis.


(Beifall bei der CDU/CSU – Erika Lotz [SPD]: Das sieht der Kandidat aber doch schon wieder anders!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie setzen
Ihren verhängnisvollen Kurs sogar noch fort: Mit einem
Zuwanderungsgesetz soll eine noch nicht überschaubare
Zahl neuer Arbeitskräfte ins Land geholt werden, obwohl
wir über 4 Millionen Arbeitslose haben. Mit dem Zuwan-
derungsgesetz wächst auch das Risiko einer noch größe-
ren Strapazierung unserer Sozialsysteme, obwohl sie jetzt
schon überdehnt sind.


(Zuruf von der SPD: Das ist ja Scharfmacherei!)

Deshalb sage ich Ihnen hier: Uns sind die deutschen Ar-
beitslosen wichtiger als Utopien über Multikulti.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Mit der Erweiterung der Europäischen Union nach
Osten wird ohnehin der Wirtschaft ein großes Potenzial an
Arbeitskräften zur Verfügung stehen. Geschätzt wird,
dass nach dem Beitritt über 3 Millionen Menschen aus
den Beitrittsländern in die bisherigen EU-Staaten und be-
vorzugt nach Deutschland kommen werden, um Arbeit zu
finden. Auch deshalb brauchen wir das von Ihnen gefor-
derte Zuwanderungsgesetz nicht.


(Beifall des Abg. Heinz Schemken [CDU/CSU])


Der Bundeskanzler hat immer wieder darauf verwie-
sen, als die Daten noch besser waren – und sie waren vor
zwei Jahren noch besser –:

Der Aufschwung, den wir jetzt haben, ist mein Auf-
schwung.




Johannes Singhammer
20956


(C)



(D)



(A)



(B)


Deshalb sage ich an dieser Stelle: Der Abschwung, den
wir jetzt leider haben, ist Ihr Abschwung und der Ihrer Re-
gierung.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie sind nicht in der Lage – das hat diese Debatte heute ge-
zeigt –, wirklich durchgreifende Reformen anzupacken.
Dafür fehlen Ihnen die Ideen, der Mut und die Kraft. Es ist
Zeit für eine neue Regierung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Weiermann [SPD]: Da kann man nur sagen: Eins, zwei, gsuffa!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421207100
Das Wort für die SPD-
Fraktion hat die Kollegin Andrea Nahles.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Es spricht die Lieblingsabgeordnete des Bundeskanzlers!)



Andrea Nahles (SPD):
Rede ID: ID1421207200
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen von
der Opposition, Ihre arbeitsmarktpolitischen Vorschläge,
die Sie heute hier vorgetragen haben, sind doch olle Ka-
mellen von Fastnacht von vor vier Jahren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich sage Ihnen: So jeck sind nicht einmal wir Rheinlän-
der, dass wir darauf hereinfallen.

Was schlagen Sie denn hier vor? Sie schlagen vor, die
630-Mark-Regelung zurückzunehmen. Wollen Sie wirk-
lich wieder Billigjobs en masse statt sozialversicherungs-
pflichtige Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigungen? Wollen
Sie das?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Weniger Schwarzarbeit!)


Sie schlagen vor, den Umfang der Mitbestimmung in
diesem Land wieder abzubauen und die Tarifverträge zu
unterhöhlen, Herr Kolb.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nicht unterhöhlen! Flexibilisieren!)


Das schafft keinen einzigen Arbeitsplatz. Das schafft nur
erneut ein Klima, das sich durch Heuern und Feuern aus-
zeichnet. Das haben die Menschen wirklich nicht ver-
dient.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kolb, Ihre Deregulierungspolitik hat nichts als Spe-
sen gebracht. Die Spesen haben immer nur die Arbeitneh-
mer bezahlt, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Laumann hat von einer vollen Wundertüte ge-

sprochen. Die Wundertüte ist aber leider leer. Er hat nichts
anderes vorgeschlagen, als den Niedriglohnbereich aus-
zubauen und zu subventionieren. Um das zu tun, will er
den Umfang der aktiven Arbeitsmarktpolitik verringern.

Das ist – das wissen Sie auch – völlig unverantwortlich;
deswegen werden wir diesem Vorschlag nicht folgen.


(Beifall bei der SPD – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Wenn Sie sich aufregen, mache ich das erst recht!)


Ich muss mich allerdings ernsthaft fragen, ob es sich
überhaupt lohnt, sich mit Ihren arbeitsmarktpolitischen
Vorschlägen zu beschäftigen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wenn ihr das nicht ernst nehmt, ist das euer Problem!)


Wenn sie nämlich so wie Ihre finanz- und steuerpoliti-
schen Vorschläge gehandelt werden, dann muss man sich
allerdings über die Halbwertszeit Gedanken machen: Die
Ökosteuer sollte abgeschafft werden, dann doch wieder
nicht und dann doch wieder; die Neuverschuldung woll-
ten Sie ausweiten, dann doch wieder nicht; die Steuerre-
form sollte vorgezogen werden, dann doch wieder nicht –
vorwärts, rückwärts, seitwärts, stopp. Das mag vielleicht
für einen Tanzkurs gut sein; zur Bekämpfung der Mas-
senarbeitslosigkeit taugt das aber leider nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Arbeitsmarktpolitik dieser Bundesregierung hat
nicht erst mit der Nominierung Ihres Kanzlerkandidaten
begonnen. Wir haben dafür gesorgt, dass seit dem 1. Ja-
nuar das Job-Aqtiv-Gesetz in Kraft gesetzt ist; wir haben
3 000 zusätzliche Mitarbeiter in den Arbeitsämtern in die
Lage versetzt, Vermittlungen vorzunehmen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Und Sie haben 4,3 Millionen Arbeitslose, Frau Nahles! Nicht zu vergessen!)


Entscheidend ist: Es wird nicht mehr gewartet, bis die
Leute arbeitslos sind, und dann sechs Monate abgewartet.
Wir haben alle Wartezeiten gestrichen: Jeder, der jetzt ar-
beitslos wird, hat sofort ein Angebot für Qualifizierung
und für Arbeit. Das ist ein Riesenschritt nach vorne.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie sind realitätsfern!)


Die Vermittlung in Arbeit scheitert oft nicht daran, dass
zu viel Lohn gezahlt werden muss; vielmehr scheitert sie
an der falschen oder zu geringen Qualifizierung. Auf die
damit verbundenen Fragen geben Sie keine Antwort. Wir
hingegen haben mit dem Job-Aqtiv-Gesetz die Qualifi-
zierungsmöglichkeiten für geringer Qualifizierte und für
Ungelernte so verbessert, dass auch Kleinbetriebe – nicht
die großen Betriebe, die das vielleicht selbst finanzieren
können – in die Lage versetzt werden, ihre Mitarbeiter
weiterzubilden, sie damit in Beschäftigung zu halten oder
Arbeitslose in Beschäftigung zu bringen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Klaus Brandner [SPD]: So fördern wir den Mittelstand!)


– So fördern wir auch den Mittelstand, ganz genau.




Johannes Singhammer

20957


(C)



(D)



(A)



(B)


Herr Singhammer, Sie haben von der roten Laterne
beim Wachstum gesprochen. Tatsächlich hatten wir die
rote Laterne: 1983 – vorletzter Platz, 1984 – vorletzter
Platz, 1985 – letzter Platz, 1986 – letzter Platz. Es wird
jetzt wirklich langweilig. Damit wir uns hier nicht weiter
über das Wachstum und die rote Laterne streiten müssen,
schauen Sie sich doch bitte Ihre eigene Regierungsbilanz
an. Das kann Ihnen nur helfen, damit Sie hier nicht so auf-
treten, wie Sie es getan haben.

Darüber hinaus hat die Jugendarbeitslosigkeit – Frau
Nolte hat darauf hingewiesen – in Ostdeutschland im letz-
ten Jahr um 6,3 Prozent abgenommen. Ich glaube, das
können wir ganz direkt auf unsere Initiative, auf das
JUMP-Programm, zurückführen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wo sind denn die Leute hin? Die sind aus dem Osten weggegangen! Keine Ahnung habt ihr!)


Ich will ganz deutlich sagen: Wir geben uns damit nicht
zufrieden. Wir haben bei der Jugendarbeitslosigkeit an der
zweiten Schwelle Probleme. Deswegen werden wir auch
an dieser Stelle etwas tun. Wir werden Beschäftigungs-
brücken für junge Leute auflegen. Wir machen JUMP. Wir
machen das gut. Wir machen noch mehr. Wir machen in
den nächsten Monaten JUMP plus.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Als Letztes will ich auf das Bündnis fürArbeit einge-
hen. Herr Kolb: Schuster, bleib bei deinem Leisten!


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was wollen Sie uns damit sagen? – Dirk Niebel [FDP]: Dass sie Sprachwissenschaftlerin ist!)


Ich will Ihnen wirklich herzlich davon abraten, sich in die
Tarifverhandlungen einzumischen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wie viele Arbeitsplätze haben Sie in Ihrem Leben denn schon geschaffen, Frau Nahles?)


Aber eines steht fest: Das Bündnis für Arbeit hat von der
Arbeitsmarktpolitik die Rahmenbedingungen bekom-
men, die es braucht: bei der Teilzeitbeschäftigung und bei
der Aktivierung und Vermittlung, bei der Qualifizierung
mit Jobrotation. Es geht jetzt darum, dass unsere Initiati-
ven in den Betrieben tatsächlich umgesetzt werden. Dazu
fordere ich alle auf.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es kann nämlich nicht sein, dass die Probleme allein vor
der Tür der Arbeitsmarktpolitik abgestellt werden. Viel-
mehr brauchen wir die Tarifparteien. Deswegen brauchen
wir auch den Dialog mit den Tarifparteien.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das darf doch nicht zum Stillstand und zur Verhandlungsunfähigkeit führen!)


Deshalb wird es eine erfolgreiche Bündnis-für-Arbeit-
Runde werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421207300
Letzter Redner in die-
ser Debatte ist der Kollege Wolfgang Meckelburg für die
CDU/CSU-Fraktion. – Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich bitte Sie alle, auch dem letzten Redner noch zu-
zuhören. Das ist auch ein Akt der Höflichkeit.


Wolfgang Meckelburg (CDU):
Rede ID: ID1421207400
Frau Präsiden-
tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als letzter
Redner in dieser Debatte will ich mit dem anfangen, was
Herr Brandner als erster Redner von der SPD gesagt hat.
– Sie haben gesagt, Sie hätten die Ärmel hochgekrempelt.
Normalerweise krempelt man die Ärmel hoch, um etwas
zu tun. Bei Ihnen habe ich allenfalls die Vermutung, dass
Sie die ruhige Hand noch in Gips legen wollen. Ansonsten
ist bei Ihnen nicht viel Aktivität zu sehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Hahaha! – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Witz, komm raus!)


Meine Damen und Herren, die K-Frage in der Union
ist geklärt. Aber das K-Problem der SPD wird bleiben. Es
ist dieser Bundeskanzler, der viel versprochen und wenig
gehalten hat. Daran werden wir ihn in diesem Jahr mes-
sen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Ergebnisse der Regierung Schröder sind negativ,
nicht nur, was den Arbeitsmarkt angeht. Deutschland ins-
gesamt hat sich verändert. Wie sieht nun das geschröderte
Deutschland im Wahljahr 2002 aus?


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Voll verriestert!)

Beim Wirtschaftswachstum letzter Platz in Europa.

Sie selber haben vom Anfang bis zum Ende letzten Jahres
ständig die Zahlen zurücknehmen müssen. Das hat mit
dem 11. September, den Sie ständig anführen, nichts zu
tun. Es war Anfang des Jahres, also in der Phase, als wir
unsere Anträge stellten, erkennbar, dass die wirtschaftli-
che Lage schwieriger würde. Damals hätten Sie handeln
müssen. Sie haben nicht einmal das Job-Aqtiv-Gesetz – es
ist vom Namen her interessant, aber vom Inhalt her nicht
so groß –, das Sie über zwei Jahre angekündigt hatten,
rechtzeitig auf den Weg gebracht. Da reicht die ruhige
Hand des Kanzlers nicht. „Abwarten und Tee trinken“
hilft nicht. Wir brauchen Wachstum in diesem Land.
Wachstum ist die Nummer eins. Die Prognosen für dieses
Jahr liegen mit 0,6 oder 0,7 Prozent weit unter dem, was
wir brauchen, damit Wachstum auf dem Arbeitsmarkt
wirksam wird. Das zu sagen ist wichtig, weil Arbeits-
marktpolitik eine Hilfe ist, aber die Arbeitsplätze entste-
hen in der Wirtschaft. Wir brauchen Wirtschaftswachstum




Andrea Nahles
20958


(C)



(D)



(A)



(B)


in diesem Land. Das ist von der jetzigen Regierung nicht
mehr zu erwarten.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Leider wahr! – Wolfgang Weiermann [SPD]: Wir brauchen Unternehmer, die etwas unternehmen!)


Meine Damen und Herren, die Arbeitslosigkeit zu Be-
ginn des Jahres 2002 ist mit 4,3 Millionen weit entfernt
von dem, was dieser Bundeskanzler und diese Bundesre-
gierung uns versprochen haben. Versprochen waren
3,5 Millionen. Sie haben auch diese Zahl im Dezember
bei den Haushaltsberatungen selber korrigiert und erwar-
ten jetzt 3,9 bis 4,0 Millionen Arbeitslose. Nicht dass Sie
den Eindruck haben, dass wir uns darüber eventuell
freuen könnten! Wir haben Vorschläge gemacht, die ab-
gelehnt wurden. Als Opposition muss man es deutlich sa-
gen: Sie haben mit Ihrer Arbeitsmarktpolitik versagt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Eine Bankrotterklärung ist das!)


4,3 Millionen Arbeitslose sind nach dem Versprechen des
Kanzlers, sich jederzeit an der Zahl der Arbeitslosen mes-
sen zu lassen, viel zu viele. Er wird mit dieser Zahl schei-
tern.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich will ein Wort zu der Behauptung sagen, es seien
1,2 Millionen Arbeitsplätze geschaffen worden; diese
Zahl wird hier ja dauernd präsentiert. Ich frage mich, wie
Sie eigentlich auf diese Zahl kommen. Sie gehen einfach
her und vergleichen Statistiken. Schauen Sie doch bitte
einmal in den Abschnitt des Sachverständigengutachtens
hinein, in dem beschrieben wird, was passiert ist: Der
größte Teil dieser 1,2 Millionen Arbeitsplätze wurde nicht
neu geschaffen, sondern umfasst die 630-Mark-Jobs, de-
ren Zahl früher geschätzt wurde und jetzt aufgrund der
neuen Politik ermittelt werden kann. Auf dem Arbeits-
markt ist nichts passiert.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Da hätten Sie bei uns 5 Millionen dazuzählen können!)


Wenn es noch eines letzten Beweises bedurft hätte,
dann gibt es ihn jetzt: Schauen Sie doch nach, was im
Gutachten des Sachverständigenrates festgestellt wird.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die wollen doch nichts mit Sachverständigen zu tun haben!)


Den Maßstab, an dem man erkennen kann, ob mehr
Arbeitsplätze entstanden sind, bildet die Zahl der Stun-
den, die in diesem Land insgesamt gearbeitet wird. Die
Stundenzahl stagnierte im vorletzten Jahr und ist im letz-
ten Jahr um 1 Prozent zurückgegangen. Das heißt, hier ist
nicht wirklich neue Arbeit entstanden. Hören Sie deswe-
gen auf, so zu tun, als seien wirklich Arbeitsplätze ge-
schaffen worden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Zu den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen: Sie
sagen, dass mit den 45 Milliarden DM, die Sie jedes Jahr
ausgeben, die Arbeitsmarktpolitik verstetigt werde. Al-
lenfalls im Hinblick auf die Summe der Belastungen der
Steuerzahler und der Ausgaben handelt es sich um eine
Verstetigung, aber es kommt davon keine Bewegung in
den Arbeitsmarkt; dort entsteht nichts Neues. Wir könn-
ten Arbeitsplätze im ersten Arbeitsmarkt fördern, statt sie
künstlich auf dem zweiten oder dritten Arbeitsmarkt zu
schaffen.

Für das JUMP-Programm für Jugendliche werden
jährlich 2 Milliarden DM ausgegeben. Das Ergebnis ist,
dass die Jugendarbeitslosigkeit im letzten Jahr um 11 Pro-
zent gestiegen ist. Diesen Punkt muss man Ihnen vorhal-
ten. Wenn man schon so viel Geld ausgibt, aber nichts er-
reicht, ist es höchste Zeit zum Umdenken. Sie haben noch
acht Monate Zeit, dann ist nämlich Schluss mit dieser Po-
litik.


(Beifall bei der CDU/CSU – Andrea Nahles [SPD]: Das sind aber Wunschträume!)


Das Job-Aqtiv-Gesetz ist vom Namen her sehr krea-
tiv, aber inhaltlich wird nur versucht, im Bereich der Ver-
mittlung – eigentlich eine Kernaufgabe der Arbeitsämter –
zu Verbesserungen zu kommen.


(Klaus Brandner [SPD]: Nachhaltig kreativ!)

Am meisten, Herr Brandner, hat mich gewundert, dass

Sie das heiß bekämpfte SGB-III-Änderungsgesetz, das
wir gegen Ihre Stimmen durchgebracht haben, jetzt als
Ausgangspunkt nehmen. Hätten Sie 1997 und 1998 den
Mut gehabt, mehr Reformschritte mit uns gemeinsam zu
gehen, dann hätten wir gemeinsam eine Menge in
Deutschland bewegen können.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Beispielhafte Stichwörter nur zu dem, was sich ändern

muss: Im Niedriglohnbereich – der Kollege Karl-Josef
Laumann hat darauf hingewiesen – gibt es eine Menge an
Möglichkeiten. Wir brauchen eine Steuerpolitik, die end-
lich einmal den Mittelstand erreicht. Der Mittelstand ist
der Motor beim Schaffen von Arbeitsplätzen.


(Klaus Brandner [SPD]: Mit Job-Aqtiv erreichen wir den Mittelstand!)


Wir brauchen betriebliche Bündnisse.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)

Meine Damen und Herren, die Politik der ruhigen

Hand und der zappelnden Füße – zurzeit sind Sie ja ein
wenig unruhig geworden – reicht nicht aus. Handeln ist
angesagt. Sie haben Chancen verpasst – ich sage das zu
Beginn dieses Wahljahres, in dem uns in den Debatten die
Arbeitsmarktpolitik das ganze Jahr über beschäftigen
wird. Sie werden mit dem, was Sie vorhaben, keine
großen Verbesserungen erreichen.

Ich will eines zum Schluss sagen: Herr Schröder bzw.
Bundeskanzler Schröder, das K-Problem der SPD,


(Klaus Brandner [SPD]: Ein guter Kanzler!)





Wolfgang Meckelburg

20959


(C)



(D)



(A)



(B)


wird keine noch so gering ausfallende positive Meldung
vergehen lassen, um von Verbesserung zu reden. Er wird
am Ende vor die Wähler treten und sagen: Bitte gebt mir
noch vier Jahre. Er tritt nicht als der Stürmer und Dränger
des Jahres 1998 auf, sondern als Bittsteller. Wir werden
ihm sagen: Du hast deine Chancen verpasst. – Wir haben
das richtige Signal gesetzt, die Menschen vertrauen uns.
Wir haben den Mut, Reformen anzupacken, damit es in
unserem Land endlich wieder besser wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421207500
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksache 14/7523
zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel
„Für mehr Wettbewerb und Subsidiarität in den sozialen Si-
cherungssystemen – durch Neuorganisation der aktiven Ar-
beitsmarktpolitik die Langzeitarbeitslosigkeit in Deutsch-
land senken“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/5552 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der
CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung der FDP-Fraktion an-
genommen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetz-
entwurf der Fraktion der FDP zur Sicherung betrieblicher
Bündnisse für Arbeit auf Drucksache 14/6548. Der Aus-
schuss für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt unter Nr. 1
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/7362, den
Gesetzentwurf abzulehnen. Die Fraktion der FDP verlangt
namentliche Abstimmung. Namentlich abgestimmt wird
– das sage ich, weil es Unstimmigkeiten gab – über den
Gesetzentwurf, nicht über die Beschlussempfehlung.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen be-
setzt? – Noch nicht, hier vorne fehlen noch Schriftführe-
rinnen und Schriftführer. Könnte ich bitte ein Signal
bekommen, wenn Schriftführerinnen und Schriftführer
hier vorne sind? – Das ist jetzt der Fall. Dann ist die Ab-
stimmung über den Gesetzentwurf der FDP eröffnet.

Ich möchte darauf verweisen, dass im Anschluss an die
namentliche Abstimmung noch einige weitere Abstim-
mungen stattfinden werden.

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? – Auf der einen Seite
ist die Abstimmung noch im Gange. – Ich frage ein zwei-
tes Mal, ob die Abstimmung beendet werden kann.
Könnte ich bitte ein Signal von den Schriftführerinnen
und Schriftführern bekommen? – Ich glaube, wir können
die Abstimmung schließen. Ich bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.1)

Wir setzen jetzt die anderen Abstimmungen fort. Dazu
bitte ich Sie herzlichst und inniglichst, die Plätze wieder
einzunehmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen fortfah-
ren. Ich bitte Sie nochmals darum, die entsprechenden
Sitzgelegenheiten wieder einzunehmen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
auf Drucksache 14/7362 zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Im Bündnis für Arbeit, Ausbil-
dung und Wettbewerbsfähigkeit bei wichtigen Fragen des
Arbeitsmarktes endlich handeln“. Der Ausschuss emp-
fiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag
auf Drucksache 14/5758 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen
von CDU/CSU- und FDP-Fraktion bei Enthaltung der
PDS angenommen.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 l
auf:
25. Überweisungen im vereinfachten Verfahren

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlän-
gerung von Übergangsregelungen im Bundes-
sozialhilfegesetz
– Drucksache 14/8010 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren
Fortentwicklung des Finanzplatzes Deutschland

(Viertes Finanzmarktförderungsgesetz)

– Drucksache 14/8017 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neurege-

(Zollfahndungsneuregelungsgesetz – ZFnrG)

– Drucksache 14/8007 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Europäischen Charta der Regional- oder Min-
derheitensprachen des Europarates vom 5. No-
vember 1992
– Drucksache 14/7545 –




Wolfgang Meckelburg
20960


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Ergebnis Seite 20963 D

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Kultur und Medien

e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung der Strafprozessordnung
– Drucksache 14/7562 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss

f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Steuerung
und Begrenzung der Zuwanderung und zur Rege-
lung des Aufenthalts und der Integration von Uni-

(Zuwanderungsgesetz)

– Drucksachen 14/7987, 14/8046 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

g) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Bundesversorgungsgesetzes
– Drucksache 14/8008 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

h) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Agrarstatistikgesetzes und des Geset-
zes zur Durchführung der Gemeinsamen
Marktorganisationen
– Drucksache 14/8012 (neu)
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-
schaft (f)

Innenausschuss

i) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Stockholmer Übereinkommen vom 23. Mai
2001 über persistente organische Schadstoffe

(POPs-Übereinkommen) und dem Protokoll

vom 24. Juni 1998 zu dem Übereinkommen von
1979 über weiträumige grenzüberschreitende
Luftverunreinigung betreffend persistente or-
ganische Schadstoffe (POPs-Protokoll)


– Drucksachen 14/7757, 14/8014 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Gesundheit

j) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Sta-
bilisierungs- und Assoziierungsabkommen zwi-
schen den Europäischen Gemeinschaften und
ihren Mitgliedstaaten einerseits und der ehe-
maligen jugoslawischen Republik Mazedonien
andererseits
– Drucksache 14/7766 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine
Ostrowski, Gerhard Jüttemann, Rolf Kutzmutz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Vollzug des Programms „Stadtumbau Ost – für
lebenswerte Städte und attraktives Wohnen“
– Drucksache 14/7794 (neu)
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

l) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine
Ostrowski, Dr. Klaus Grehn, Uwe Hiksch, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Änderung des Straßenverkehrsgesetzes
– Drucksache 14/7992 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich unternehme jetzt einen dritten Versuch, alle Kolle-
gen und Kolleginnen herzlichst einzuladen, die Stehplätze
zu verlassen und die entsprechenden Sitzplätze in den
Reihen der Fraktionen einzunehmen. Sonst haben wir
keine Übersicht über das Abstimmungsverhalten.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 a und 26 b auf. Es han-
delt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen
keine Aussprache vorgesehen ist.

Wir kommen zunächst zu Tagesordnungspunkt 26 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
der am 3. Dezember 1999 in Peking beschlosse-
nen Änderung des Montrealer Protokolls vom
16. September 1987 über Stoffe, die zu einem
Abbau der Ozonschicht führen, und zu weite-
ren Anpassungen des Protokolls
– Drucksache 14/7045 –

(Erste Beratung 195. Sitzung)





Vizepräsidentin Petra Bläss

20961


(C)



(D)



(A)



(B)


Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (16. Ausschuss)

– Drucksache 14/7715 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Rainer Brinkmann (Detmold)

Dr. Peter Paziorek
Dr. Reinhard Loske
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf auf Drucksa-
che 14/7045 zu der in Peking beschlossenen Änderung
des Montrealer Protokolls über Stoffe, die zu einem Ab-
bau der Ozonschicht führen, und zu weiteren Anpassun-
gen des Protokolls.

Bevor wir dazu kommen, bitte ich ausdrücklich auch
die Vertreter der Regierungsbank, die Gespräche draußen
fortzusetzen. Ich glaube, das hat auch etwas mit der Ach-
tung oder Missachtung gegenüber dem Parlament zu tun.


(Beifall des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU] – Ilse Janz [SPD]: Das gilt aber auch für die FDP! – Gegenruf des Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Die kommen alle zu uns! Daran können wir nichts machen!)


Liebe Ministerinnen und Minister, Staatssekretärinnen
und Staatssekretäre, ich bitte Sie wirklich, die notwendi-
gen Gespräche draußen fortzuführen.

Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
cherheit empfiehlt auf Drucksache 14/7715, den Gesetz-
entwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf
ist mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen.

Tagesordnungspunkt 26 b:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Abkommen vom 15. Juni
2000 zwischen der Regierung der Bundesrepu-
blik Deutschland und der Regierung der Repu-
blik Singapur über die Seeschifffahrt
– Drucksache 14/6523 –

(Erste Beratung 190. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

(15. Ausschuss)

– Drucksache 14/7836 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Hans-Michael Goldmann

Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
empfiehlt auf Drucksache 14/7836, den Gesetzentwurf
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist einstim-
mig angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Haltung der Bundesregierung zu verschie-
denen Aussagen der Union in der Haushalts-
und Steuerpolitik

Ich eröffne die Aussprache. Bevor ich den ersten Red-
ner in der Debatte aufrufe, bitte ich erneut die entspre-
chenden Kollegen von der CDU/CSU, den Saal zu ver-
lassen und draußen weiterzudiskutieren.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Seit wann gehört der Schily zur CSU? Das wäre mir neu! – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Schicken Sie die Regierung doch einfach raus!)


Vielleicht könnte der amtierende Parlamentarische Ge-
schäftsführer der CDU/CSU-Fraktion einmal seines Am-
tes walten, damit wir mit der Debatte beginnen können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Jetzt hat der Kollege Joachim Poß für die SPD-Frak-

tion das Wort.


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1421207600
Frau Präsidentin! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Alle Äußerungen von
führenden CDU- und CSU-Mitgliedern zur Steuer- und
Finanzpolitik in den letzten Tagen sind ein deutlicher Be-
leg dafür, dass die Union immer noch ohne steuer- und fi-
nanzpolitische Konzeption dasteht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Was das bedeutet, konnte man auch gestern Abend in
der Fernsehsendung „Was nun, Herr Stoiber?“ verfolgen:
Der bayerische Ministerpräsident hat sich trotz konkreter
Fragen auf nichts mehr festlegen lassen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Recht hat er!)

Stoiber zeigte sich absolut hilflos bei Nachfragen zu kon-
kreten Maßnahmen und Schritten. Wo ist also, so frage
ich, die hochgelobte Kompetenz des CSU- und CDU-
Kanzlerkandidaten gerade in der Wirtschafts- und Fi-
nanzpolitik? Das hätte Frau Merkel auch noch gekonnt.


(Beifall bei der SPD – Dr. Barbara Höll [PDS]: Das war aber frauenfeindlich!)


Es ist offensichtlich: Herr Stoiber rudert zurück. Es
wird vermutlich nur noch wenige Tage dauern, bis Herr
Stoiber auch die letzte Stufe der Ökosteuer in 2003 ak-
zeptieren wird.


(Heiterkeit bei der SPD)

Die gesamte Union wird nun mit Festlegungen warten
müssen, bis der Kandidat endlich die offensichtlich feh-




Vizepräsidentin Petra Bläss
20962


(C)



(D)



(A)



(B)


lende Übersicht gewonnen hat. Bis dahin wird die Öf-
fentlichkeit mit allgemeinen Zielbeschreibungen und un-
wahren Behauptungen abgespeist.

So behauptete Stoiber zum Beispiel entgegen den Fest-
stellungen des Sachverständigenrates und anderer In-
stitute, dass die Steuerreform nicht zur Belebung der Kon-
junktur beigetragen habe. Dabei ist klar: Der wirtschaft-
liche Abschwung wäre ohne unsere Steuerreform wesent-
lich stärker gewesen.


(Lachen bei der CDU/CSU – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Ach!)


Die Beschreibung der steuerpolitischen Forderungen
der Union der vergangenen Tage als Chaos ist noch be-
schönigend.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Oswald Metzger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Frei nach Rainer Barzel für die Älteren: Bei diesem
Durcheinander von Meinungen und Forderungen, von
Absichten und Plänen blickt in der Union keiner mehr
durch, von der Öffentlichkeit ganz zu schweigen.

Was war in den letzten Tagen und Wochen nicht alles
zu hören? Noch kurz vor den letzten Haushaltsberatungen
wollte die Union die zweite und dritte Stufe unseres
Steuersenkungsgesetzes von 2003 bzw. von 2005 auf
2002 vorziehen. Viele Warnungen – zuletzt von der Deut-
schen Bundesbank –, ein Vorziehen könnten Bund, Län-
der und Kommunen – ich betone: Kommunen – finanziell
nicht verkraften, wurden ignoriert. Damals war es der
bayerische Ministerpräsident, der der Parteivorsitzenden
der CDU vor laufenden Fernsehkameras klar machte, ein
Vorziehen der Steuerreform sei nicht finanzierbar.

Vor einer Woche, nachdem er die K-Frage für sich ent-
schieden hatte, wollte Stoiber das Vorziehen der dritten
Stufe der Steuerreform auf 2003 nicht ausschließen. Weil
er aber seine Äußerung gegenüber Frau Merkel noch nicht
vergessen hatte, hieß es nun, dass die Steuern nur für mit-
telständische Unternehmen schneller gesenkt werden
sollten.

Herr Stoiber wie auch Herr Merz sollten sich auch hier
gut überlegen, was sie sagen, und sich einmal den Inhalt der
dritten Stufe des Steuersenkungsgesetzes ansehen. Dort
sind nämlich ausschließlich weitere Tarifentlastungen bei
der Einkommensteuer vorgesehen. Der Einkommensteuer
unterliegen die kleinen und mittleren Personenunterneh-
men aber nicht als solche. Steuerpflichtig sind allein deren
Inhaber als natürliche Personen. Diesen wird der jeweilige
Unternehmensgewinn als so genannte Einkünfte aus Ge-
werbebetrieb anteilig zugerechnet. Eine Regelung, die die
Einkünfte aus Gewerbebetrieb gegenüber den übrigen Ein-
kunftsarten, zum Beispiel dem Arbeitnehmereinkommen,

durch einen besonders ermäßigten Steuertarif begünstigt,
ist aber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungs-
gerichts eindeutig unzulässig. Es gab hier also Forderungen
von Herrn Merz und anderen nach einer eindeutig verfas-
sungswidrigen Regelung. So weit ist es mit der Kompetenz
dieser Vertreter gekommen!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Kommen Sie uns doch nicht mit der Verfassung! Das haben wir doch heute Morgen erlebt!)


Damit wird noch einmal klar: Es gibt keine Benach-
teiligung des Mittelstandes. Alle tariflichen Vergüns-
tigungen, die bisher von der Koalition beschlossen wor-
den sind, wirken natürlich auch für mittelständische
Unternehmer. Hinzu kommt etwas Entscheidendes – das
wird von Ihnen immer verschwiegen –: Die Koalition hat
die Gewerbesteuerbelastung für Personenunternehmen
faktisch abgeschafft, denn sie kann auf die Einkommen-
steuerschuld pauschal angerechnet werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist wirklich mittelstandsfreundliche Politik, eine Po-
litik, die die Union in ihrer langen Regierungszeit nicht
zustande gebracht hat.

Ich will jetzt gar nicht von Ihrer Forderung nach mehr
Neuverschuldung, nach mehr Staatsverschuldung reden.
Das werden noch andere tun. Sie haben also überhaupt
nichts aus den Fehlern gelernt. Sie haben überhaupt nichts
aus der miserablen Bilanz gelernt, die Sie uns 1998 hin-
terlassen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Einer solchen Truppe mit Herrn Stoiber an der Spitze
kann man vieles überlassen, aber nicht das Gemeinwesen
der Bundesrepublik Deutschland.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421207700
Bevor ich der nächsten
Rednerin das Wort erteile, gebe ich das von den Schrift-
führerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der
namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der
Fraktion der FDP zur Sicherung betrieblicher Bündnisse
für Arbeit – es handelt sich um die Drucksachen 14/6548
und 14/7362 – bekannt: Abgegebene Stimmen 576. Mit Ja
haben gestimmt 244, mit Nein haben gestimmt 332, Ent-
haltungen keine. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera-
tung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsord-
nung die dritte Beratung.




Joachim Poß

20963


(C)



(D)



(A)



(B)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 575;
davon

ja: 245
nein: 330

Ja

SPD

Reinhold Strobl (Amberg)


CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle

Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt




Vizepräsidentin Petra Bläss
20964


(C)



(D)



(A)



(B)


Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Cajus Caesar
Manfred Carstens (Emstek)

Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Dr. Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer (Lübeck)

Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Axel E. Fischer

(Karlsruhe-Land)


Klaus Francke
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Manfred Grund
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein

Gottfried Haschke

(Großhennersdorf )


Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser (Bonn)

Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)


Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen

Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Josef Hollerith
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn
Karl Lamers
Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)


Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Dr. Klaus W. Lippold

(Offenbach)


Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß (Wilhelmshaven)

Erwin Marschewski

(Recklinghausen)


Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Dr. Gerd Müller
Elmar Müller (Kirchheim)

Bernd Neumann (Bremen)

Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp

Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch

(Wiesbaden)


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth (Gießen)

Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Christian Schmidt (Fürth)

Andreas Schmidt (Mülheim)

Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Gerhard Schulz
Diethard Schütze (Berlin)

Clemens Schwalbe
Wilhelm Josef Sebastian
Heinz Seiffert
Dr. h. c. Rudolf Seiters
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten

Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Dr. Theodor Waigel
Peter Weiß (Emmendingen)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Matthias Wissmann

Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
FDP
Ina Albowitz
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Joachim Günther (Plauen)

Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Dr. Guido Westerwelle

Nein
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Klaus Brandner




Vizepräsidentin Petra Bläss

20965


(C)



(D)



(A)



(B)


Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)


Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese

Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel Riemann-
Hanewinckel

Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Dr. Frank Schmidt

(Weilburg)


Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Volkmar Schultz (Köln)

Ewald Schurer
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel

Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Jürgen Wieczorek (Böhlen)

Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff

(Wolmirstedt)


Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche

Nun erteile ich der Kollegin Gerda Hasselfeldt,
CDU/CSU, das Wort.

Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) (von der CDU/CSU
mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Wir hatten noch nie eine solch chaotische Steuer-
politik wie in dieser Legislaturperiode.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD – Nicolette Kressl [SPD]: Da sollte aber Herr Stoiber zuhören!)


Sie war von ständigen Nachbesserungen und Korrekturen
geprägt, von Versprechen, die nicht eingehalten wurden,
wie beispielsweise bei den Arbeitnehmerabfindungen,
von halbherzigen Korrekturen, die dann wieder zu zu-
sätzlichen Unsicherheiten und Verkomplizierungen ge-
führt haben. Dies gilt beispielsweise für den Mitunter-
nehmererlass.

Sie haben das Allerwichtigste in der Steuerpolitik,
nämlich Planbarkeit, Verlässlichkeit und Solidität, sträf-
lichst vernachlässigt, ja sogar mit Füßen getreten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie haben eine Steuerpolitik nach Gutsherrenart gemacht.
Sie haben die Kapitalgesellschaften sofort auf einen
Schlag deutlich entlastet, für eine Entlastung bei den Per-

sonenunternehmen dann aber kein Geld mehr gehabt und
diese im Regen stehen lassen. Dabei wäre eine Entlastung
für alle geboten gewesen, für die Kapitalgesellschaften
und die Personenunternehmen.


(Nicolette Kressl [SPD]: Das kann Herr Stoiber ja wieder versprechen!)


Statt Wachstumsimpulse anzuregen, statt auf Sparen
und Konsolidieren zu setzen, haben Sie zum Mittel der
Steuererhöhungen gegriffen, was wir jetzt alle Anfang des
Jahres 2002 schmerzlich spüren. Die Auswirkungen sind
sichtbar: monatlich sinkende Wachstumsraten, monatlich
steigende Arbeitslosenzahlen und eine ständig steigende
Zahl der Insolvenzen. Sie stehen heute vor dem Scher-
benhaufen Ihrer eigenen Politik. Davon brauchen Sie
nicht abzulenken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass Kapi-

talgesellschaften und Personenunternehmen zeitgleich
und gleichmäßig entlastet werden müssen. Man kann
nicht auf der einen Seite die Bemessungsgrundlage für
alle verbreitern, aber auf der anderen Seite die Entlastung
für die Personenunternehmen auf den Sankt Nimmer-
leinstag verschieben, wie Sie das gemacht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)





Vizepräsidentin Petra Bläss
20966


(C)



(D)



(A)



(B)


Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)


Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)

PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Maritta Böttcher

Eva Bulling-Schröter
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz

Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf

Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des
Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete(r)
Behrendt, Wolfgang* Bindig, Rudolf* Bühler (Bruchsal), Klaus* Hornung, Siegfried* Jäger, Renate*

SPD SPD CDU/CSU CDU/CSU SPD

Lintner, Eduard* Dr. Lippelt, Helmut* Lörcher, Christa* Dr. Lucyga, Christine* Michels, Meinolf*
CDU/CSU BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fraktionslos SPD CDU/CSU

Müller (Berlin), Manfred* Neumann (Gotha), Gerhard* Onur, Leyla* Palis, Kurt* Zierer, Benno*
PDS SPD SPD SPD CDU/CSU

* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates

Deshalb haben wir in diesem und im vergangenen Jahr ge-
fordert, die Entlastungen, die Sie erst für das Jahr 2005
vorgesehen haben, vorzuziehen. Wenn Sie diesen Forde-
rungen nachgegeben hätten, wenn Sie gemeinsam mit uns
eine zeitgleiche Entlastung der Personenunternehmen
vorgenommen hätten, gäbe es heute nicht diese Wachs-
tumseinbrüche, sondern einen größeren steuerpolitischen
Spielraum im Haushalt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Durch Ihr eigenes Verhalten haben Sie selbst die Spiel-
räume für Gestaltungen im Haushalt eingeschränkt.


(Zuruf von der SPD: Sehen Sie sich einmal die Chronologie der Staatsverschuldung bis 1998 an!)


Was kommt nach der Bundestagswahl?

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Die ruhige Hand!)

– So ist es. Es ist notwendig, den Karren wieder aus dem
Dreck zu ziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU, an die SPD gewandt: Die Arbeitslosen werden sich über Ihr Lachen wundern!)


Für die Steuerpolitik bedeutet das:
Erstens. Wir müssen endlich wieder für Planbarkeit

und Verlässlichkeit sorgen.
Zweitens. Das Steuersystem muss einfacher, transparen-

ter und nachvollziehbar gemacht werden. Es darf nicht nur
darüber geredet, sondern es muss durchgeführt werden.
Das Gegenteil haben Sie in Ihrer Steuerpolitik gemacht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Drittens. Die Misstrauensnormen, die Sie besonders in
den letzten zwei Jahren zusätzlich eingeführt haben, müs-
sen wieder aus dem Steuerrecht verschwinden.


(Nicolette Kressl [SPD]: Wo sind die Alternativen?)


Ich spreche beispielsweise von den Behaltefristen beim
Mitunternehmererlass und bei der Realteilung, von der
unangekündigten Nachschau beim Umsatzsteuerbetrug.
Meine Damen und Herren, all das ist von tiefem Miss-
trauen Ihrerseits gegenüber den Unternehmen geprägt.
Diese Misstrauensnormen müssen wieder weg.


(Nicolette Kressl [SPD]: Das ist eine Wunschliste von Ihnen!)


Viertens. Die Personenunternehmen müssen deutlich
früher, als Sie es vorgesehen haben, entlastet werden. Dies
kann durch niedrigere Steuersätze und/oder Änderungen
am Tarif geschehen. Dass eine deutlich frühere Entlastung
notwendig ist, ist unter den Sachverständigen und auch in
unseren Kreisen unbestritten. Das haben wir immer wie-
der deutlich zum Ausdruck gebracht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Nicolette Kressl [SPD]: Das ist eine Wunschliste der CDU! Das ist wie an Weihnachten!)


Fünftens. Notwendig ist eine endlich grundlegende
Reform der Gemeindefinanzen. Sie haben dies auf die
lange Bank geschoben. Anfang der Legislaturperiode ha-
ben Sie es noch versprochen, danach haben Sie es ver-
schlafen.


(Joachim Poß [SPD]: Das ist jetzt Ihre Wundertüte!)


Sechstens. Es sind sowohl eine deutliche Absage an
weitere Erhöhungen der Erbschaftsteuer als auch eine Ab-
sage an die Vermögensteuer notwendig.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Angesichts dessen, was aus Ihren Reihen dazu immer
wieder verlautbart wird, ist diese Forderung zwingend
notwendig.

Siebtens. Eine Korrektur der Missgeburt Ökosteuer ist
erforderlich. Das haben wir von Anfang an zum Ausdruck
gebracht. Das Erste, was wir machen, wird sein, auf die
letzte Stufe zu verzichten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Nicolette Kressl [SPD]: Da müssen Sie einmal Herrn Stoiber fragen! – Joachim Poß [SPD]: Das sieht Herr Stoiber aber anders!)


Nicht alles kostet Geld. Die Spielräume, die Sie selbst
verengt haben, müssen wieder verbreitert werden.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421207800
Frau Kollegin
Hasselfeldt, ich muss Sie an die Redezeit erinnern.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1421207900
Deshalb muss das
Problem an der Wurzel angepackt werden. Das kann nur
mit einer grundsätzlichen Kehrtwende in der Wirtschafts-,
der Finanz-, der Arbeitsmarkt- und der Sozialpolitik ge-
schehen.


(Joachim Poß [SPD]: Das ist auch so eine Sprechblase! Werden Sie mal konkreter!)


Meine Damen und Herren, es wird nicht einfach sein, den
Karren wieder aus dem Dreck zu ziehen. Wir werden es
aber schon schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421208000
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin
Christine Scheel.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421208100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau
Hasselfeldt, es ist schon klasse, was Sie hier dargeboten
haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie werfen uns vor, keine Planbarkeit und Verlässlichkeit
zu bieten. Wenn ich mir dies anhöre und es aufgreife, kann
ich nur sagen: Wenn man Wunderkerzen abbrennt – Sie
haben es ab und zu einmal getan, indem Sie Forderungen
erhoben haben, die schlichtweg nicht durchführbar sind –,




Gerda Hasselfeldt

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(C)



(D)



(A)



(B)


bleibt ein verkohlter Stecken übrig. Der schaut nicht
besonders gut aus. Das ist genau die Wirkung, die Sie mit
Ihren Aussagen der letzten Tage, und zwar in ihrer ge-
samten Vielfältigkeit, erreicht haben.

Wenn man sich eine kleine Auswahl der Überschriften
aus den Zeitungen dieser Woche anschaut, sieht man das
Chaos präsentiert.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Reden Sie einmal über die Kommunen! Dort müssen Sie Frau Hasselfeldt Recht geben! Hier reden Sie anders!)


Es gibt ein 40-40-40-Programm; das hat Herr Stoiber
noch kundgetan. Demnach soll der Spitzensteuersatz bei
40 Prozent liegen – das will er sofort erreichen. Auch der
Sozialversicherungsbeitrag soll 40 Prozent betragen und
ebenso der insgesamt vom Staat zu leistende Anteil. Dass
dies nicht finanzierbar ist, hat er mittlerweile eingesehen
und in verschiedenen Talkrunden auch kundgetan. So ka-
men dann auch Überschriften wie „Die Entzauberung des
Kandidaten“ und „Verwirrung um Steuerpläne der Union“
zustande. Das „Handelsblatt“ hat dies mit der Überschrift
kommentiert: „Zahlenrausch“. Auch kam die Überschrift
zustande: „Union tritt für höhere Neuverschuldung ein“.
Die letzten Überschriften dazu sind: „Stoiber vermeidet
Festlegung im Steuerstreit“ und „Wenn der Spielführer
patzt“.

Das sind Überschriften, die die gesamte Situation sehr
treffend beschreiben. Zwar haben Sie jetzt die K-Frage
personell entschieden. Aber es gibt keine programmati-
sche Klarheit und Geschlossenheit in dieser Union.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Gerda Hasselfeldt [CDU/ CSU]: Natürlich haben wir das! – Peter Rauen [CDU/CSU]: Kümmert euch um eure Geschlossenheit!)


Das dokumentiert sich Tag für Tag. Fast stündlich gibt es
neue Vorschläge. Ich muss sagen: Sie sind mittlerweile
eine schlecht organisierte Chaostruppe.

Es bleibt das Geheimnis der CDU/CSU – das hat Frau
Hasselfeldt wunderbar dargeboten –, wie man es möglich
machen soll, eine einzelne Gruppe, wie es jetzt vorge-
schlagen wurde, im Einkommensteuerrecht zu privilegie-
ren.


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: So wie Sie das machen!)


Es ist inzwischen klar geworden, dass das verfassungs-
widrig ist. Mit einer solchen Privilegierung gelingt es
nicht, einen verfassungsgerechten Gesetzentwurf vorzu-
legen. Das kann ich Ihnen schon heute sagen.


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Wir wollen niemanden privilegieren, sondern eine Gleichbehandlung!)


Zum Zweiten bleibt es Ihr Geheimnis, wie es gelingen
soll, eine Stufe der Steuerreform von 2005 auf 2002 vor-
zuziehen, ohne gegen die Maastricht-Kriterien und die

Obergrenze der Verschuldung – wir haben uns verpflich-
tet, diese einzuhalten – zu verstoßen.


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Das hätten wir schon lange machen können! Dann hätten wir auch die Wachstumsimpulse gehabt! Bringen Sie nicht alles durcheinander! Das ist doch nicht wahr!)


Das ist genau die Politik, die wir nicht mehr machen wol-
len. Wir haben 1998 eine Kehrtwende gemacht: Wir wol-
len weg von dem Schuldenstaat. Sie wollen uns wieder
auf den Weg in eine höhere Neuverschuldung zurück-
führen. Das ist die Wahrheit, die Sie hier zur Kenntnis
nehmen müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Was auch nicht geht, ist das Hü und Hott, das Sie in den
steuerpolitischen und finanzpolitischen Fragen vorführen.
Sie haben gleichzeitig ein Sammelsurium an Forderungen
zusammengestellt, die Fragen der Haushaltskonsolidie-
rung, der Haushaltsgestaltung und der Verschuldungskri-
terien völlig außer Acht lassen.

Herr Austermann und andere fordern, für Bildung und
Forschung über 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes
auszugeben. Das klingt gut,


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das ist auch gut!)


bedeutet aber in der Konsequenz, dass der Bildungs- und
Forschungsetat ungefähr verfünffacht werden soll. Sie
wollen, dass die Bundeswehr mit mehreren Milliarden
Euro besser ausgestattet wird. Sie wollen trotz eines
guten, gemeinsam verhandelten Solidarpaktes, der über
Jahre trägt, für die neuen Bundesländer mehr tun. Das sagt
Herr Stoiber.


(Joachim Poß [SPD]: 20 Milliarden Euro mehr!)


Das sagt aber auch Herr Generalsekretär Thomas Goppel.
Er schwärmt von einem 20-Milliarden-Euro-Programm.

Dazu kann ich nur sagen: Die familienpolitischen Leis-
tungen, die Sie den Kommunen versprechen, Ihre Forde-
rungen, die die Ausgabenpolitik des Haushalts betreffen
und die Steuersenkungen, die Sie hier formulieren, führen
in eine Verschuldung, die nicht nur aufgrund der EU-Kri-
terien nicht haltbar ist, die wir einzuhalten haben, sondern
dies alles zeigt, dass Sie finanzpolitisch völlig durchge-
dreht sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Peter Rauen [CDU/CSU]: Wir wissen, dass man für Wachstum sorgen muss! Dann kann man das finanzieren!)


Das sind die Vorschläge, die Sie uns von Tag zu Tag
und von Stunde zu Stunde klarer darbieten. Frau
Hasselfeldt, Weihnachten ist vorbei.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421208200
Frau Kollegin Scheel,
auch Ihre Redezeit ist vorbei.




Christine Scheel
20968


(C)



(D)



(A)



(B)



Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421208300

Danke schön. – Wir sollten gegenüber den Wählerinnen
und Wählern ehrlich sein. Zur Ehrlichkeit gehört auch,
dass man sagt, was man will. Aber dazu kann man von Ih-
nen derzeit leider nichts erfahren.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421208400
Nächster Redner für
die FDP-Fraktion ist unser Kollege Carl-Ludwig Thiele.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1421208500
Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Scheel, ich
weiß nicht, wie jemand, der in vier Jahren rot-grüner Re-
gierungsverantwortung nur für den Bund fast 200 Milli-
arden DM Neuverschuldung zu verantworten hat, die
Frechheit haben kann, vor das Plenum zu treten und zu sa-
gen, das sei Konsolidierungspolitik. Das ist alles andere,
aber keine Konsolidierungspolitik.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, die finanz-

und steuerpolitischen Vorschläge, die in den letzten Tagen
aus der Union zu hören waren, können nur als verwirrend
und chaotisch bezeichnet werden. Man reibt sich die Au-
gen: Die Union hat sich endlich auf einen Kanzlerkandi-
daten geeinigt. Mit welchem Programm in der Steuer- und
Finanzpolitik die Union antreten will, bleibt allerdings
völlig schleierhaft. Deshalb frage ich für die FDP-Frak-
tion die Union: Was wollen Sie eigentlich?


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir auch gerne wissen!)


Wollen Sie die Steuerreform ganz vorziehen oder nur ein
bisschen, die Neuverschuldung ausweiten oder gesetzlich
verbieten – wie es Christian Wulff forderte –, die Maas-
tricht-Kriterien einhalten oder überschreiten,


(Joachim Poß [SPD]: Die Frage muss die FDP aber auch beantworten! Die Frage richtet sich an euch selbst!)


die Ökosteuer absetzen, aussetzen oder beibehalten?
Herrn Stoiber scheint es wie Kolumbus zu gehen: Er weiß
nicht, wo er ist. Er hat nur vage Vorstellungen davon, was
er sucht, aber unendlich viel Gottvertrauen.


(Beifall bei der FDP – Zuruf von der SPD: So ist es!)


Das löst aber nicht die Probleme. Die Union hat mit Herrn
Stoiber einen Steuermann, aber noch kein Steuerkonzept.
Wer aber hier in Berlin die nächste Regierung stellen will,
der muss wissen, was ist, und sagen, was er will.

Was mich bei dieser Diskussion wirklich verrückt ge-
macht hat, ist, dass Rot-Grün zwar politisch gescheitert
ist, dies aber heute nicht das Thema ist. Deshalb erkläre
ich für die FDP: Das Scheitern rot-grüner Politik muss in
dieser Diskussion wieder zum Thema werden.


(Beifall bei der FDP – Joachim Poß [SPD]: Nennen Sie doch mal Ihr Konzept!)


Es muss wieder zum Thema werden, dass unter Rot-Grün
die Lohnnebenkosten steigen, dass die Arbeitslosigkeit
steigt, dass wir in Deutschland beim Wachstum Schluss-
licht in Europa sind und dass die Staats- und Steuerquote
auf neue Höchststände steigt. Denn allen Konsolidie-
rungsbemühungen des Bundesfinanzministers zum Trotz
ist die Neuverschuldung in den vier Jahren rot-grüner Re-
gierung um fast 200 Milliarden DM gestiegen. Dies ist
leider kein Zufall, sondern die Folge einer gescheiterten
Politik.

Die von Schröder im Wahlkampf umworbene Ziel-
gruppe der Neuen Mitte wurde von Rot-Grün zur Ziel-
scheibe ihrer Politik gemacht.


(Joachim Poß [SPD]: Ach! – Zuruf von der FDP: So ist es!)


Der Mittelstand wurde durch steigende Steuerlasten und
Bürokratie stranguliert. Ich nenne nur ein Beispiel: Durch
die rein fiskalisch an Mehreinnahmen orientierte Politik
der Gegenfinanzierung wurden die Abschreibungsbedin-
gungen verschlechtert und wurde sich an Mehreinnahmen
reich gerechnet. Daraufhin passierte genau das, was die
FDP vorausgesagt hat: Die Investitionen blieben aus. Da-
mit gibt es weniger Wachstum und Arbeitsplätze. Das ist
genau die Politik, die wir nicht wollen. Wir wollen nicht
mehr Staat, sondern weniger.


(Beifall bei der FDP)

Das Problem hinsichtlich der Bundestagswahl besteht

darin, dass die Union ohne Kurs und Konzept ist und Rot-
Grün nur eine defensive Politik und Argumentation be-
treibt. Sie verteidigen nur das Beschlossene und haben
keine Visionen mehr, wie es nach der Bundestagswahl in
unserem Land weitergehen soll.


(Zuruf von der SPD: Was machen Sie denn?)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, schon jetzt

brauchen wir keine ruhige Hand eines Kanzlers, sondern
eine tatkräftige Hand.


(Beifall bei der FDP – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist die denn?)


Wir brauchen Visionen und klare Konzepte, mit denen die
Zukunft unseres Landes errungen wird. Die Konzepte der
FDP liegen auf dem Tisch. Wir wollen ein niedriges, ein-
faches und gerechtes Steuersystem mit Steuersätzen in
Höhe von 15, 25 und 35 Prozent.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kostet scheinbar nichts!)


Die Ökosteuer als angebliches Kernstück grüner Steu-
erpolitik,


(Zuruf von der CDU/CSU: Ziemlich faul, der Kern!)


wie Frau Scheel und Herr Metzger es öffentlich immer
glauben machen, ist gnadenlos gescheitert. Deshalb kann
dieses Modell auch nicht so bleiben, wie es ist. Der naive
politische Glaube der Grünen, die Rentenreform rückgän-
gig zu machen – durch massive Steuererhöhungen als






(C)



(D)



(A)



(B)


Ökosteuer getarnt soll mehr Geld in die Rentenversiche-
rung fließen und dadurch sollen die Beiträge sinken –,
geht nicht auf. Was geschieht wirklich? Der Rentenversi-
cherungsbeitrag wird trotz der weiteren Ökosteuerer-
höhung zum 1. Januar dieses Jahres um etwa 6 Milliarden
DM um 0,3 Prozent auf 19,4 Prozent steigen. Um das zu
verhindern, tricksen Sie und greifen in die Schwankungs-
reserve.


(Zuruf von der SPD: Sie haben viel Schlimmeres gemacht!)


Der Etat von Herrn Riester explodiert. Der Zuschuss an
die Rentenversicherung steigt im Zeitraum 1999 bis 2003
um fast 30 Prozent. Der dickste Etatbrocken steigt und
erdrückt die Zukunftsfähigkeit in der Gestaltung unseres
Etats. Das alles ist Folge einer verfehlten Renten- und
Ökosteuerpolitik von Rot-Grün.


(Beifall bei der FDP)

Deshalb bleibt festzuhalten: Rot-Grün ist am Ende.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ob sich der deutsche
Tanker rechts- oder linksherum im Kreise dreht – so
kommt er nicht vom Fleck. Ob der nächste Kapitän
Schröder oder Stoiber heißt, ändert nichts am falschen
Kurs der Politik. Erst wenn die FDP das Steuer über-
nimmt, kann es zu einem Wechsel in der deutschen Poli-
tik kommen,


(Beifall bei der FDP – Lachen bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


hin zu mehr Freiheit und Selbstverantwortung, weniger
Staat und Bürokratie, weniger Steuern und damit zu mehr
Wachstum und Arbeitsplätzen. Dafür treten wir im Ple-
num und in der Bundestagswahl ein.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421208600
Herr Kollege Thiele,
ich muss jetzt leider Ihre Rede abbrechen.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1421208700
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421208800
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Dr. Christa Luft.


Dr. Christa Luft (PDS):
Rede ID: ID1421208900
Frau Präsidentin! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Thiele, das Pro-
blem, das die FDP offenbar hat, nämlich die Union auf
FDP-Kurs zu bringen, damit es zu einer neuen Koalition
kommen kann, haben wir nicht.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sie machen es hier in Berlin! – Peter Rauen [CDU/CSU]: Sie bringen die SPD auf Kurs!)


Das, was in den letzten Tagen aus Unionskreisen zur
Haushalts- und Steuerpolitik zu hören war, ist wohl kein
absichtsvolles Spiel mit verteilten Rollen. Das ist eher
Ausdruck dafür, dass niemand in der Union die Zügel fest
in der Hand hat. Das, was der eine sagt, relativiert der

Nächste und der Dritte dementiert es. Von einem tragfähi-
gen, konsistenten finanzpolitischen Konzept kann keine
Rede sein, und das bei einem Thema, bei dem die Union
zuallererst Kompetenz beansprucht. Vollmundige Ankün-
digungen eines programmatischen Vorlaufs für die
nächste Legislaturperiode platzen wie eine Seifenblase.
Wie, Frau Kollegin Hasselfeldt, würde wohl der Praxis-
test ausfallen?

Erinnern wir uns an die Beratungen zum Haushalt
2002! Bis in die Schlussrunde hinein haben Unionsver-
treter lautstark gefordert, die Neuverschuldung stärker zu
senken, als es die rot-grüne Koalition vorgesehen hatte.
Schon zwei Monate später ist davon keine Rede mehr. Of-
fenbar hat man Angst vor der eigenen Courage. Jetzt se-
hen die einen einen Spielraum von 6 Milliarden bis 7 Mil-
liarden Euro, bevor die von Brüssel vorgegebene Grenze
der Verschuldung erreicht ist. Gleichzeitig wollen andere,
wie Herr Wulff aus Niedersachsen, die Aufnahme neuer
Schulden im Grundgesetz ausschließen. Herrn Merz
schwebt ein nationaler Stabilitätspakt zur Schuldenver-
minderung vor. Das gleicht in der Tat einem Gemischt-
warenladen.


(Beifall bei der PDS)

Für meine Fraktion lehne ich abermals ein schulden-

finanziertes Vorziehen der nächsten Stufe der Steuer-
reform ab. Wir können uns nur vorstellen, den Spielraum,
den es bei der Neuverschuldung noch gibt, bevor die vor-
gegebene Grenze erreicht wird, zu nutzen, wenn Investi-
tionsprogramme, die vor allem auf kommunaler Ebene
schnell wirken, aufgelegt und die Mittel für das Pro-
gramm „Stadtumbau Ost“ aufgestockt werden sollen. Nur
Investitionen bringen nachweislich konjunkturelle Wir-
kungen und damit Beschäftigungseffekte.


(Beifall bei der PDS)

Herr Thiele, niemand kann beschwören, dass ähnliche

Effekte durch eine schnelle Senkung der Steuern erzielt
werden können. Die Praxis der letzten Jahre beweist je-
denfalls das Gegenteil. Auch Rot-Grün muss dies zur
Kenntnis nehmen. Rot-Grün ist nämlich durch eine Reihe
von Schritten, die mit der Steuerreform gemacht worden
sind, zum Beispiel durch Steuergeschenke vor allen Din-
gen an Kapitalgesellschaften und durch den Verzicht auf
Wiedererhebung der Vermögensteuer – das macht es den
Ländern bei ihrer derzeitigen Haushaltslage unmöglich,
sich an vom Bund aufgelegten Förderprogrammen zu be-
teiligen –, in die Schuldenfalle getappt.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!)

Das sind nur zwei Beispiele dafür, wie man die Schulden
hätte senken können, wenn man andere Schritte unter-
nommen hätte.

In der heutigen Ausgabe des „Handelsblattes“ kann
man lesen – das setzt dem Ganzen die Krone auf –, dass
der Finanzminister freiwillig und am Gesetzgeber vorbei
jährlich auf 450 Millionen Euro Umsatzsteuer verzichtet,
um die Börsenfähigkeit der Deutschen Post AG herzu-
stellen. Er will offenbar die Einmaleinnahmen aus dem
Verkauf der Postaktien in seinen Haushalt einstellen. Das




Carl-Ludwig Thiele
20970


(C)



(D)



(A)



(B)


hat mit konsistenter Haushaltspolitik nichts zu tun und
wird gewiss noch ein Nachspiel haben.

Wenn die Union über die Steuerreform neu verhandeln
will, dann darf es nicht um das Vorziehen der nächsten
Stufe der Steuerreform gehen. Dann muss es vielmehr um
die gewinnabhängige Gestaltung des Körperschaftsteuer-
satzes, die Rücknahme der Steuerfreiheit für Veräuße-
rungsgewinne von Kapitalgesellschaften und die Ge-
währung eines niedrigeren Mehrwertsteuersatzes für
Unternehmen gehen, die arbeitsintensive Dienstleistun-
gen, zum Beispiel Reparaturen, anbieten. Der französi-
sche Finanzminister Fabius hat gestern im Haushaltsaus-
schuss noch einmal bestätigt, welche Arbeitsplatzwirkung
das in Frankreich gehabt hat. Auch das sollte die Bundes-
republik Deutschland nachmachen.


(Beifall bei der PDS)

Wir fordern auch die Gewährung von Steuerfreiheit für

Existenzgründer in den ersten drei Jahren,

(Nicolette Kressl [SPD]: Die zahlen auch so viel Steuern!)

und zwar auch dann, wenn sie schon Gewinn erzielen.
Das stärkte ihre Eigenkapitalbasis.

Mit solchen Maßnahmen, die natürlich ergänzt werden
können, würden wir es schaffen, Beschäftigung anzurei-
zen und neue Steuereinnahmen in den Steuersack der öf-
fentlichen Haushalte zu bekommen. Auf diese Weise wür-
den wir die allgemeine Wohlfahrt insgesamt verbessern
können.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421209000
Jetzt spricht die Parla-
mentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks.

D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1421209100
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Es ist kaum zwei Wo-
chen her, da trat Frau Kollegin Merkel ihren Gang nach
Canossa an; nur liegt Canossa jetzt nicht mehr in Ober-
italien, sondern in Oberbayern und heißt Wolfratshausen.
Zurück in Magdeburg, war die K-Frage gelöst. Damit
hatte die Union die interessanteste Frage, die sie der deut-
schen Bevölkerung in diesem Jahr überhaupt anzubieten
hatte, geklärt. Sie hat einen Kandidaten.

Zugleich aber tat sich eine neue K-Frage auf, nämlich
die Frage nach der Kompetenz, und die scheint auf Dauer
unlösbar zu sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Eine bekannte und nicht gerade linke deutsche Tageszei-
tung – es war die „Welt“ – hat noch ganz milde getitelt:
„Finanzpolitisches Durcheinander in der Union“. Das ist
wirklich milde ausgedrückt.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Gucken Sie mal in Ihren Laden!)


Die unterschiedlichsten Forderungen stehen im Raum;
nur eines ist ganz sicher: Sie kosten Geld, Geld, Geld und
lösen die wirtschaftlichen Probleme nicht.

Herr Stoiber bastelt derzeit an seinem „Kompetenz-
team“. Die Zerstrittenheit der Union und die Absurdität
der Vorschläge zeigen aber vor allem eines:


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Wir haben jetzt einmal Mist gemacht – das gebe ich zu –, aber ihr macht schon drei Jahre Mist!)


Hier gibt es keine Kompetenz und kein Team, sondern nur
einen zerstrittenen Haufen – es sei denn, bei der Union
geht es um die Kompetenz beim Schuldenmachen. Da
könnte sie allerdings auf die stolze Leistungsbilanz der
Ära Kohl zurückgreifen und wieder da anknüpfen, wo sie
vor drei Jahren aufgehört hat.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Der Bundeskanzler hat das in Niedersachsen alles vorgemacht!)


Nehmen wir die Aussetzung der nächsten Stufe der
Ökosteuer! Das bedeutete einen Einnahmeausfall in Höhe
von 3 Milliarden Euro, hinterließe eine offene Frage für
die Senkung und Stabilisierung der Rentenversicherungs-
beiträge und wäre natürlich auch ein Rückschlag für die
Ökologie. Diejenigen, die sich für die Aussetzung der
nächsten Stufe der Ökosteuer stark machen, sollten ehrli-
cherweise wenigstens sagen, ob sie die Rentenversiche-
rungsbeiträge erhöhen wollen oder ob sie auch das wieder
mit neuen Schulden regeln wollen.


(Joachim Poß [SPD]: Oder die Renten kürzen wollen! – Zuruf von der SPD: Mehrwertsteuer! – Peter Rauen [CDU/CSU]: Wir reformieren die Rente wieder und werden Freiräume schaffen!)


Reden Sie sich also nicht heraus, sondern geben Sie eine
klare Antwort auf diese Frage!

Dabei ist schon interessant, dass die Union von der
Forderung nach der Abschaffung der Ökosteuer inzwi-
schen abgerückt ist. Vielen ist die Fundamentalopposition
der CSU gegen diese Steuer noch in guter Erinnerung.

Betrachten wir das angekündigte Sofortprogramm für
die neuen Länder! Die Bundesregierung misst dem Aufbau
Ost weiterhin hohe Priorität zu. Ein erheblicher Teil der Fi-
nanzhilfen und steuerlichen Vergünstigungen kommt da-
her einer zielgerichteten Förderung von Branchen und
Regionen in den neuen Ländern zugute. Das ist schon
heute der Fall und das wird natürlich auch nicht geändert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb haben wir die Förderung für die neuen Länder

mit dem Solidarpakt II auch auf eine solide und nachhal-
tige Basis bis zum Jahr 2020 gestellt. Eine solche Lang-
fristpolitik wäre Ihnen niemals eingefallen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das schafft Sicherheit für die Investoren und darauf
kommt es an.




Dr. Christa Luft

20971


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich bin bei den Verhandlungen die ganze Zeit über da-
bei gewesen. Die waren nicht vergnügungssteuerpflich-
tig. Ich kann mich nicht erinnern, dass die Bayerische
Staatsregierung besonders spendabel gewesen wäre, was
die Unterstützung der finanzschwachen Länder angeht;
im Gegenteil. Der Bund hat die Hauptlast zu tragen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Kaum hat Herr Stoiber eine neue Funktion, die des
Kandidaten – die wird er natürlich auch behalten –, ersinnt
er immer neue Programme.


(Joachim Poß [SPD]: Auf Jahre! Er kann sich jetzt schon auf 2006 vorbereiten!)


Einfach so wird vonseiten des Herrn Kandidaten eine Er-
höhung der Mittel für die neuen Länder um rund 20 Mil-
liarden Euro ins Gespräch gebracht und natürlich gibt es
kein Konzept zur Finanzierung. Bleiben also wieder nur
neue Schulden.

Damit sind wir auch schon beim erstaunlichsten Punkt
der derzeitigen Entwicklung angelangt: Dieselbe Union,
deren ehemaliger Finanzminister Waigel sich in Brüssel
für den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt nun
wirklich stark gemacht hat, fordert nun eine Erhöhung der
Verschuldung. Sie will den Konsolidierungskurs verlas-
sen, der für Vertrauensbildung auf nationaler wie auf in-
ternationaler Ebene sorgt, der die öffentlichen Finanzen
seit 1998 vom Kopf wieder auf die Füße stellt und der vor
allem auch einen wichtigen Beitrag zur Stabilität unserer
gemeinsamen europäischen Währung, des Euro, leistet.
Dafür ist uns der Euro zu wichtig. Der Umgang der Op-
position mit den Maastricht-Kriterien und dem Stabilitäts-
und Wachstumspakt ist derzeit geradezu zynisch.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dies zeugt von Unkenntnis oder Ignoranz gegenüber
den Vereinbarungen auf europäischer Ebene. Ziel ist ein
ausgeglichener Staatshaushalt und letztlich die Erzielung
von Überschüssen und damit die Rückgewinnung wirkli-
chen Handlungsspielraumes. Ich weiß, dass wir davon
noch weit entfernt sind, aber wir sind jedenfalls auf dem
Weg dahin; Sie wollen ihn sofort wieder verlassen.


(Beifall bei der SPD)

Wer Defizite zurückführen oder Abgaben senken will, der
muss vor diesem Hintergrund sagen, wo er denn Ausga-
ben zurückführen, und nicht, wo er sie erhöhen möchte.
Wer das nicht tut, der knüpft an das Weiterwursteln der
Vergangenheit bis 1998 an, mit all seinen bekannten Fol-
gen für Staatsverschuldung und Generationenungerech-
tigkeit, so muss man ja in Ihrem Falle sagen; es ist übri-
gens vor allem die alte Garde der CDU/CSU, die immer
noch nicht einsehen will, dass dieses Konzept auf der
ganzen Linie gescheitert ist.

Was will die Union nun wirklich? Wir wissen es nicht.
Die Meldungen über immer neue Richtungsentscheidun-
gen zur Steuer- und Haushaltspolitik der Union wechseln
derzeit ja geradezu minütlich. Ich habe mir ein paar Über-
schriften allein von dieser Woche aufgeschrieben. Ich be-

ginne mit dem 20. Januar; da hatte der Kandidat immer-
hin schon neun Tage lang die Möglichkeit, sich auf die
Kandidatenrolle einzustellen: „CDU will Staatsschulden
verbieten“, so Herr Wulff aus Niedersachsen, der ja im-
mer zu allem etwas zu sagen hat. – „Merkel will Steuer-
reform um zwei Jahre vorziehen“, im Gegensatz zu Kanz-
lerkandidat Stoiber. – „Union liebäugelt mit höherer
Verschuldung, Forderungen zur Steuerreform bleiben
aber widersprüchlich“. Wir sind beim 22. Januar ange-
langt: „Stoiber sieht nun doch keinen Spielraum für
höhere Schulden“. Zugleich erklärt er aber, er sehe keinen
Grund, die von dieser Regierung verabschiedete Steuer-
reform vorzuziehen. Das ist die Äußerung von gestern
Abend aus der Sendung „Was nun, Herr Stoiber?“. Zur
selben Zeit erklärt Herr Merz bei einem CDU-Empfang in
Bremen: Zur Entlastung des Mittelstandes werde die
Union alle Teile der Steuerreform vorziehen, die eigent-
lich für 2005 geplant seien. – Das Problem ist, so ein Kan-
didat kann nicht allgegenwärtig sein. Herr Genscher
konnte ja bekanntlich in zwei Flugzeugen gleichzeitig sit-
zen, aber Herr Stoiber kann nicht zeitgleich in allen Lan-
deshauptstädten sein und zugleich die Rolle eines jeden
CDU-Politikers übernehmen. Dieses Problem werden Sie
auch bis zum Wahltag nicht gelöst bekommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Was getan werden muss, hat die Bundesregierung ge-
tan: Wir setzen eine umfassende Steuerreform um und wir
führen die Entlastung der Familien fort. Durch diese spür-
baren Entlastungen werden der Konsum und die Spar-
fähigkeit der privaten Haushalte angeregt. Die fort-
währende Entlastung von Unternehmen ist ein starker
Impuls für die Investitionstätigkeit und trägt so zur Schaf-
fung von Arbeitsplätzen bei. Wir behalten das Ziel des
Umweltschutzes im Auge und stärken Zukunftsbereiche
wie Bildung und Forschung. Die Bundesregierung ver-
bindet eine wachstums- und stabilitätsorientierte gesamt-
wirtschaftliche Politik mit nachhaltigen Reformen.

Dies entspricht auch den Anforderungen der europä-
ischen „Grundzüge der Wirtschaftspolitik“. Wir befinden
uns damit im Einklang. Das, was Sie ankündigen, ist mit
der europäischen Politik nicht vereinbar.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Finanzpolitik der Bundesregierung trägt den gegen-
wärtigen konjunkturellen Unwägbarkeiten Rechnung,
ohne das Ziel der mittelfristigen Konsolidierung aus dem
Auge zu verlieren. Deutschland ist, wie Sie wissen, stark
exportabhängig. Wir sind mit den USA eng verzahnt.
Weltwirtschaftliche Abkühlungen schlagen in Deutsch-
land, auch im EU-weiten Vergleich stärker zu Buche als
in anderen Staaten. Dies hat uns zuletzt noch auch der
Sachverständigenrat so bestätigt.

Gerade weil dies so ist, braucht Deutschland keine An-
kurbelung der Schuldenspirale, sondern eine zuverlässige
Finanzpolitik, die spürbare Entlastungen für private
Haushalte und Wirtschaft mit fortgesetzten Konsolidie-
rungsanstrengungen verbindet. Wir wollen kein konjunk-




Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
20972


(C)



(D)



(A)



(B)


turelles Strohfeuer, sondern eine Politik, die unsere Wett-
bewerbsfähigkeit nachhaltig stärkt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Was die Opposition derzeit anbietet, ist dagegen eine
bunte Mischung falscher Rezepte von gestern.

Abschließend darf ich vielleicht noch auf die entspre-
chende Bewertung durch das „Handelsblatt“ eingehen.
Das „Handelsblatt“ sieht die gesamte Union und auch
ihren Kandidaten „im Zahlenrausch“. Nicht nur, dass dies
natürlich dem asketischen Image des Kandidaten wider-
spricht: Leute, die im Rausch sind, haben keinen klaren
Kopf – und das merkt man Ihnen auch an!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421209200
Das Wort hat der Kol-
lege Dietrich Austermann für die CDU/CSU-Fraktion.


Dietrich Austermann (CDU):
Rede ID: ID1421209300
Frau Präsiden-
tin! Meine Damen und Herren! Als es Anfang der Woche
hieß, die SPD möchte zu dem genannten Thema eine Ak-
tuelle Stunde machen, habe ich gesagt: Sehr schön, danke!
Denn wenn man sich vor Augen führt, was Sie uns vor-
werfen und in welcher Situation Sie sich befinden, wird
ziemlich deutlich, dass es an der Zeit ist, dass Sie vom
Wähler dahin geschickt werden, wo Sie hingehören.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben als Beispiele Zitate von der Union aus den

letzten Tagen herangezogen, ich wende mich Ihren Minis-
tern zu: Die Säule Schily bröckelt. Herr Riester ist weni-
ger eine Säule, er ist eher ein Poller; ihm wurde diese Wo-
che im Ausschuss die Frage gestellt, ob durch sein
tölpelhaftes Verhalten eine Milliarde EU-Arbeitsmarkt-
mittel an Deutschland vorbeigehen. Fest steht schon, dass
ein Schaden in Millionenhöhe entsteht.

Die zweite Säule, Eichel, bröckelt. Dass Sie, Frau
Hendricks, die Wörter Schuldenabbau, Stabilität und So-
lidität überhaupt noch in den Mund nehmen, ist geradezu
lachhaft.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich rechne Ihnen das einmal vor: Trotz der 100Milliarden
aus dem Verkauf der UMTS-Lizenzen und trotz der ins-
gesamt 160Milliarden aus den Privatisierungen haben Sie
180 Milliarden neue Schulden gemacht.

Stichwort Stabilität: Die EU-Kommission ist dabei, Ih-
nen einen blauen Brief zu schreiben.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Sie sind ein Spinner!)


Ein blauer Brief bedeutet doch grundsätzlich, wenn ich
das von manchen Kollegen aus der Schule noch richtig
weiß: Versetzung gefährdet.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Herr Austermann, Sie sind ein Spinner!)


Es ist in der Tat so – das werden Sie am 22. September
feststellen –, dass die Versetzung nicht nur gefährdet ist,
sondern dass Sie durchfallen. Mit leichter Hand kann man
dieses Land nicht regieren.

Drei von vier gesamtwirtschaftlichen Zielen – Wachs-
tum, Arbeitslosigkeit, Preisstabilität – werden eklatant
verfehlt und belegen das Versagen der Regierung
Schröder. Ich will das nur an einzelnen Punkten deutlich
machen:


(Nicolette Kressl [SPD]: Das glaubt doch keiner!)


Wir haben in diesem Jahr das niedrigste Wachstum seit
acht Jahren. Die Inflationsrate ist mit 2,5 Prozent die
höchste seit sieben Jahren und im Moment sieht es so aus,
als würde sie noch weiter steigen. Es gab eine Steuer-
reform, die den normalen Bürger bestraft.


(Nicolette Kressl [SPD]: Quatsch!)

Die Familienentlastung, die Sie angesprochen haben,
wird durch Inflationsrate, Ökosteuer, Versicherungsteuer,
Stromsteuer und höhere Beiträge zur gesetzlichen Kran-
kenversicherung usw. konterkariert. Die Steuerreform
kommt beim Mittelstand nicht an, da dieser von der Sen-
kung der Körperschaftsteuer nichts hat. Fast das gesamte
Volumen der steuerlichen Entlastungen trifft nur einen
ganz bestimmten Kreis der Bevölkerung.


(Nicolette Kressl [SPD]: Das ist doch unwahr!)


Meine Damen und Herren, Sie fragen, was wir als Ers-
tes machen wollen. Wir werden sofort nach der Regie-
rungsübernahme im Herbst dieses Jahres Maßnahmen
einleiten, die die hausgemachte rot-grüne Rezession be-
enden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die wichtigste Maßnahme, die wir zu treffen haben, ist,
dafür zu sorgen, dass die Wachstumsgrundlagen gestärkt
und die Verkrustungen des Arbeitsmarktes aufgebrochen
werden. Wir werden einen detaillierten Kassensturz ma-
chen,


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans Georg Wagner [SPD]: Hervorragend! Klasse! Spitz!)


denn Sie haben offensichtlich die Übersicht über das, was
tatsächlich da ist, verloren.

Ich greife ein Beispiel auf, das von der Kollegin Luft
angesprochen wurde – Sie haben nicht darauf reagiert; ich
will es daher noch einmal mit meinen Worten sagen –:
Nach Medieninformationen sollen aus der Leitung Ihres
Hauses Anweisungen gegeben worden sein, der Deut-
schen Post AG in einem Bereich, in dem sie dem Wettbe-
werb unterliegt, die Mehrwertsteuer zu erlassen. Dem Ge-
samtstaat sollen dadurch Umsatzsteuern in Höhe von
1,8 Milliarden entgangen sein.

Für die Feststellung sei eine Weisung leitender Mitar-
beiter aus Ihrem Hause an die zuständigen Finanzbehör-
den des Sitzlandes maßgebend gewesen. Gleichzeitig soll
ein leitender Mitarbeiter dem Aufsichtsrat der Post




Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks

20973


(C)



(D)



(A)



(B)


angehören. Das Verhalten soll so gewählt worden sein,
um in gewisser Weise auf den Börsengang der Post Ein-
fluss zu nehmen.

Fangen Sie bitte nicht an, uns vorzuwerfen, wir würden
nicht solide arbeiten. Das, was Sie hinterlassen, ist ein fi-
nanz-, haushalts- und steuerpolitischer Scherbenhaufen.
Kein normaler Mensch wird nachvollziehen können, wes-
halb die Großen keine Mehrwertsteuer zahlen, während
den Kleinen noch der letzte Prozentpunkt gepfändet wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich hätte es gern gesehen, wenn Sie zu dieser Frage Stel-
lung genommen hätten.

Ich habe gesagt: Wir werden alles tun, was der Staat
dazu beitragen kann, um die Rezession zu beenden. Wir
werden einen Kassensturz vornehmen und Ihre verfehlten
wirtschaftspolitischen Maßnahmen zurücknehmen. Wir
werden eine Verbesserung der Haushaltsstruktur her-
beiführen. Es kann doch nicht sein, dass die Investitionen
immer weniger werden, der Konsum immer größer und
das Geld, was für Investitionen im Haushalt vorgesehen
ist, nicht einmal ausgegeben wird.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: So ist es!)

1,6Milliarden DM Investitionen der Bahn sind im letz-

ten Jahr durch das Verhalten des Finanzministeriums un-
terblieben. Haben Sie eine Vorstellung davon, was das für
die Arbeitsplätze bedeutet?

Lassen Sie mich den letzten Punkt nennen, die Steuer-
reform. Die Steuerreform ist so gestrickt, dass im Jahr
2005 die Steuerbelastung eines normalen Bürgers nicht
niedriger sein wird als im Jahr 1998. Wenn man sich das
vor Augen hält, ist ziemlich klar, dass die Steuerreform so
nicht fortgeführt werden kann. Der Schritt 2003 wird aus
Zeitgründen noch so in Kraft treten. Aber danach werden
wir eine Veränderung vornehmen, die einen einfachen,
gerechteren, mittelstandsfreundlichen Steuertarif zum
Kern hat, damit wirklich wieder Wachstum angeschoben
wird, der Bürger wieder mehr Geld in der Tasche hat und
die Betriebe wieder investieren.

So einfach ist die Situation und daran lassen wir uns
messen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421209400
Nächster Redner ist
Kollege Oswald Metzger für die Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen.


Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421209500

Meine Damen und Herren! Die Diskussionen sind reich-
lich grotesk. Wenn sich die Union hinstellt und zur Haus-
haltspolitik redet, kommt bei mir jedes Mal die Erinne-
rung hoch, dass wir als rot-grüne Koalition den
Schwarzen ein Wesensmerkmal ihrer politischen Da-
seinsberechtigung weggenommen haben. Sie haben ge-
glaubt, das Anrecht auf Solidität in der Finanzpolitik ge-
pachtet zu haben.


(Zuruf von der SPD: Das hatten sie nicht!)


– Das hatten sie nicht. Das werde ich mit zwei Zahlen be-
legen. Ich werde heute in der Aktuellen Stunde politisch
argumentieren, weil man in fünf Minuten Redezeit nicht
umfassend Haushaltszahlen referieren kann. In den vier
letzten Jahren Ihrer Regierungszeit wurden 141 Milliar-
den Euro neue Schulden aufgenommen. Das entsprach ei-
nem Zuwachs der Verschuldung des Bundes in Höhe von
23 Prozent – gemessen am Stand der vorvorletzten Peri-
ode. Wir dagegen haben, inklusive der Neuverschuldung
aufgrund des Haushaltsgesetzes für dieses Jahres, nur
39,1 Milliarden Euro an neuen Schulden aufgenommen;
das entspricht 5 Prozent. In genau diesen Zahlen liegt der
nackte Unterschied. Dieses Zahlenbeispiel zeigt die Kon-
solidierung, die Solidität unserer Finanzpolitik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf des Abg. CarlLudwig Thiele [FDP])


– Nein, Herr Thiele, auch wenn Sie ständig behaupten, das
liege an den Erlösen aus der UMTS-Versteigerung, so
wird dies durch Wiederholung nicht wahrer. Dass wir es
geschafft haben, dieses Geld, das dem Bereich des Ver-
mögens der ehemals bundeseigenen Telekomunikations-
unternehmen zugerechnet werden muss, tatsächlich in die
Schuldentilgung zu stecken und die sich daraus ergeben-
den Zinsersparnisse für Investitionen in die Verkehrsin-
frastruktur, für Bildung und in Forschung zu verwenden,
zeigt, dass wir Sparen nicht als Selbstzweck verstehen,
sondern dass wir den Kapitalstock unserer Volkswirt-
schaft aufstocken wollen. Das ist eine Leistung, auf die
wir auch im Wahljahr immer wieder hinweisen werden.
Diese Leistung können Sie auch in objektiven Parametern
messen; das ist nicht nur Hofberichterstattung von Mit-
gliedern der Regierungsfraktionen.

Zu Herrn Stoiber muss man nur Folgendes sagen – Kol-
legin Hendricks hat darauf hingewiesen –: Ein Kandidat,
der immerhin Ministerpräsident ist, äußert sich in einer
Fernsehsendung am vergangenen Sonntag – bei Frau
Christiansen; grottenschlechter Auftritt, vor allem inhalt-
lich – und sagt nur ein paar Tage später, gestern, die Deut-
schen hätten, was Maastricht angeht, noch Spielraum –
und das, obwohl diesen Vertrag, diesen Pakt doch gerade
der ehemalige CSU-Vorsitzende, mit dem er sich damals
um das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten gebalgt
hat, gegenüber Brüssel durchgesetzt hat. Das war doch
gerade die europapolitische Sternstunde der Regierung
Kohl. Gerade dieser Kandidat, der aus der konservativen
Ecke kommt, sagt jetzt allen Ernstes, die Deutschen könn-
ten noch mehr Verschuldung machen. Wochenlang ma-
chen Merz, Austermann und andere hier Wind mit der
Drohung, wir würden einen blauen Brief aus Brüssel be-
kommen, und jetzt das! Die EU würde Stoiber angesichts
dieses konzeptionellen Ansatzes vom Platz stellen; da
würde nicht einmal ein blauer Brief reichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich als Finanzpolitiker bin, bei Gott, froh, dass wir in
Deutschland endlich einmal Planungssicherheit für die
Steuerpflichtigen dergestalt haben, dass die Steuersätze
über Jahre hinweg sinken. Von der kalten Progression – dies
sage ich den Mittelstandspolitikern in den Reihen der




Dietrich Austermann
20974


(C)



(D)



(A)



(B)


CDU/CSU und der FDP – haben Sie in der Vergangenheit
doch genauso profitiert. Ihre Länder machen doch die Ta-
schen zu, wenn es darum geht, Entlastungen zu finanzieren,
die tatsächlich bei den Bürgerinnen und Bürgern ankom-
men.

Kollege Rauen, denken Sie einmal daran: Ihre Steuer-
konzeption von 1996 hätte dazu geführt, dass man bereits
ab einem zu versteuernden Einkommen von 90 000 DM
einen Spitzensteuersatz von 39 Prozent gezahlt hätte. Das
waren die Petersberger Beschlüsse. Ab 2005 wird nun der
Spitzensteuersatz ab einem zu versteuernden Einkommen
von 102 000 DM bei 42 Prozent liegen. Warum blasen Sie
sich bei dieser Differenz so auf? Es gibt überhaupt keinen
Grund. Das ist einfach inkonsistent.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Unsere hätten 1998 gegolten, Ihre acht Jahre später! – Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Was ist denn mit der Inflation? Das müssten Sie doch eigentlich merken!)


Sie predigen hier eine ordnungspolitische Konzeption, die
Sie selbst nicht haben.

Kollege Rauen und Herr Thiele, denken Sie bitte daran
– Sie haben eben in Bezug auf die Ökosteuer von der lin-
ken und rechten Tasche gesprochen –, dass die Lohnne-
benkosten gesunken sind. Wahr bleibt, dass trotz des jet-
zigen Anstiegs im Krankenversicherungsbereich der
Sozialversicherungsbeitrag im Wahljahr 2002 unter dem
Strich um 1,3 Punkte niedriger ist als bei unserer Regie-
rungsübernahme.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das ist doch lachhaft!)


Das ist so, meine Damen und Herren! Allein dieser Trend-
wechsel ist ein positives Signal.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Es sind nur noch 0,6 Prozent! Das kann ich Ihnen nachweisen!)


Außerdem haben wir Strukturreformen vorgenom-
men. Wenn man 16 Jahre lang regiert hat, dann ist es psy-
chologisch nachvollziehbar, dass man sich nach drei Jah-
ren Opposition nach der Regierung zurücksehnt. Wer
aber 16 Jahre lang Reformen des Arbeitsmarkts, der
Krankenversicherung, der Rente und in der Finanzpolitik
unterlassen hat, wer in der Steuerpolitik erst in der End-
phase dieser 16 Jahre überhaupt Reformschritte eingelei-
tet hat, der braucht sich in einem Wahljahr nicht aufzu-
blasen. Das ist ein Wolkenkuckucksheim, eine Fata
Morgana von Regierungsfähigkeit, die Sie und Ihr
bayerischer Kandidat hier vorgaukeln wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Der Metzger muss aus Tierschutzgründen abgeschafft werden!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421209600
Nächster Redner ist
der Kollege Hans Georg Wagner für die SPD-Fraktion.


Hans Georg Wagner (SPD):
Rede ID: ID1421209700
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Herr Kollege Austermann, manches
in Ihrer Rede habe ich nicht verstanden. Sie bekommen ei-
niges offensichtlich nicht mit oder begreifen es nicht. Es
tut mir manchmal Leid, dass wir uns immer mit Ihnen be-
schäftigen müssen; aber Sie werden nun einmal von Ihrer
Fraktion vor allem dazu ins Rennen geschickt, hier
falsche Behauptungen zu konkretisieren. Das, was Sie
heute wieder vorgetragen haben, finde ich abenteuerlich.

Auch Sie, Herr Thiele, haben wohl vergessen, dass der
Schuldenstand bis 1998 – von Ihrer Regierung verursacht,
von Ihnen mitgetragen – auf 1,5 Billionen DM mit jährli-
chen Zinszahlungen von über 80 Milliarden DM ange-
wachsen ist. Herr Thiele, ich weiß, dass Sie Kinder haben.
Sie haben die Zukunft Ihrer eigenen drei Kinder


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Fünf!)

– fünf sogar! – aufs Spiel gesetzt, weil Sie mit dem Geld,
das die vorherige Regierung mit Ihrer Zustimmung aus-
gegeben hat, die Zukunftschancen und Entfaltungsmög-
lichkeiten Ihrer Kinder eingeschränkt haben.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das haben wir nicht gemacht!)


Sie haben bei Ihren Kindern Geld gepumpt, um das zu be-
zahlen, was Sie politisch zu verantworten haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Joachim Poß [SPD]: Politik gegen die eigenen Kinder! Wenn die das wüssten!)


Herr Austermann, wider Wissen wird behauptet – das
ist gestern ganz eindeutig gesagt worden –: Die rund 1 Mil-
liarde, die das Haus Riester bekommt, wird Anfang Fe-
bruar ausgezahlt. Das, was Sie erzählen, Herr Austermann,
ist Unsinn, eine glatte Lüge! Das stimmt einfach nicht!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Austermann, ich habe Sie gestern eingeladen, ei-
ner weiteren gemeinsamen Sitzung mit dem Sozialaus-
schuss zuzustimmen, bei der die beiden Vertreter aus
Brüssel berichten werden, warum sie die Anträge der
Bundesregierung positiv bescheiden werden. In der Fe-
bruarsitzung können sie das darstellen.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Euch ist das nicht klar!)


Sie sollten nicht alles verwechseln.
Ich verweise auch auf das, was zu den neuen Ländern

gesagt worden ist: Wir haben gerade den Solidarpakt II
mit 300 Milliarden DM, das sind 150 Milliarden Euro, für
die nächsten Jahre beschlossen. Außerdem haben wir den
neuen Ländern die Chance eingeräumt, über das Investi-
tionsförderungsgesetz selbstständig zu verfügen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das sind jährlich 6,6 Milliarden DM. Wir haben den Län-
dern die Möglichkeit gegeben, alle bürokratischen
Hemmnisse abzubauen und dafür zu sorgen, dass die In-
vestitionen entsprechend eingesetzt werden können.




Oswald Metzger

20975


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich möchte noch kurz auf das eingehen, was der Herr
Kollege Metzger bezüglich Herrn Stoiber angedeutet hat.
Als er am Sonntag von den 3 Prozent sprach, habe ich laut
gelacht.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Sonst hast du ja auch nicht viel zu lachen!)


Er hätte doch vorher Theo Waigel – die beiden verstehen
sich doch gut; das hört man allgemein – einmal anrufen
sollen. Im Jahr 2003, dem Jahr, in dem Herr Stoiber theo-
retisch zum ersten Mal über einen Haushalt entscheiden
könnte, wird – dies ist das Stabilitätsziel der rot-grünen
Bundesregierung – der infrage stehende Prozentsatz bei
1 Prozent und nicht bei 3 Prozent liegen. Das bedeutet,
dass der Spielraum bei 20 bis 30 Milliarden DM liegt –
und nicht bei 6 Milliarden DM, von denen Herr Stoiber
am Sonntag gesprochen hat. Das heißt: Er würde die
Neuverschuldung 2003 um 30 Milliarden DM erhöhen.
Sie waren schon bis 1998 Meister im Schuldenmachen.
Das ist die Position, die wir vertreten: Wir machen end-
lich weniger Schulden in Deutschland. Bis zum Jahre
2006 senken wir die Nettokreditaufnahme auf null.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Kollege Austermann, Sie haben hier gesagt, die
Investitionen seien gesunken. Ein Schaubild, das ich Ih-
nen mitgebracht habe, soll Ihnen zeigen, dass das, was Sie
gesagt haben, schlicht und ergreifend falsch war. Denn im
Jahr 2002 sind – ausweislich des Haushaltsplans, den Sie
offenbar nicht kennen – 13,44 Milliarden DM für Investi-
tionen vorgesehen. Sie hatten im Jahre 1998 in Ihrem
Haushalt genau 9,49 Milliarden DM an Investitionen.
Entweder können Sie nicht rechnen oder Sie wollen nicht
rechnen. Von 9,5 auf 13,5 Milliarden DM ist es eine ganz
klare Steigerung. Da kommen Sie und sagen, wir würden
die Infrastrukturmaßnahmen zurückschrauben oder Inves-
titionen absenken. Was Sie erzählen, ist absoluter
Quatsch. Sie sollten endlich dorthin zurückkehren, wo
vernünftige Politik anfängt. Aber dazu sind Sie offenbar
gar nicht mehr in der Lage.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Sagen Sie doch mal was zur Sache!)


Im Übrigen sollten Sie auch Ihren Kanzlerkandidaten

(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Der sagt was zur Sache!)

darüber aufklären, damit er nicht immer in die Falle
tappt. Jeder Journalist und jede Journalistin, der oder die
ihn befragt, lässt ihn schlecht aussehen. Das war doch ein
blamabler Auftritt am vergangenen Sonntag bei Frau
Christiansen. Wir könnten uns alle zurücklehnen und sa-
gen: Weiter so, Herr Stoiber! Das wollen wir nicht. Wir
wollen den bayerischen Ministerpräsidenten nicht in sei-
nem Kampfesmut beeinträchtigen. Sinnlos ist es ohnehin.
Aber vielleicht informieren Sie ihn trotzdem.

Schon als Herr Austermann in Berlin als finanzpoliti-
scher Berater von Herrn Steffel aufgetreten ist, habe ich
gesagt, dass das nur schief gehen kann.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Besser als Gysi! – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/ CSU]: Deswegen gibt es jetzt Gysi!)


Das Ergebnis haben wir ja bei der Wahl zum Abgeordne-
tenhaus gesehen. Jetzt macht Austermann auf Stoiber.
Auch das kann nur schief gehen, weil gar kein Wissen
über die tatsächlichen Zusammenhänge vorhanden ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Hoffentlich glauben Sie an das, was Sie gesagt haben!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421209800
Für die CDU/CSU
spricht jetzt der Kollege Heinz Seiffert.


Heinz Seiffert (CDU):
Rede ID: ID1421209900
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Herr Kollege Wagner, da können Sie
noch so brüllen: Tatsache ist, dass Deutschland heute,
nach drei Jahren rot-grüner Steuerpolitik, vor einem
Scherbenhaufen steht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Mit dieser Aktion heute


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Aktion Scherbenhaufen!)


wollen Sie nur davon ablenken, dass Rot-Grün in der
Haushalts-, in der Finanz- und in der Steuerpolitik auf der
ganzen Linie versagt hat.


(Nicolette Kressl [SPD]: So ein Quatsch!)

Sie haben 1998 bei den Menschen falsche Hoffnungen

geweckt. Sie wollten vieles besser machen. Was sind die
Fakten? Sie haben Deutschland in die Rezession geführt.
Wir sind beim Wachstum Schlusslicht in Europa.


(Nicolette Kressl [SPD]: Falsch!)

Die Arbeitslosigkeit ist beängstigend. Die Inflation ist

gut dreimal so hoch wie 1998. Die Firmenzusammen-
brüche und Pleiten sind in Deutschland auf Rekordniveau.
Die neuen Länder stehen auf der Kippe. Alle wirtschaftli-
chen Kennzahlen belegen, dass diese rot-grüne Regierung
bei ihrem wichtigsten Vorhaben gescheitert ist. Davon
wollen Sie heute ablenken.

Sie haben in gut drei Jahren ein Steuerchaos angerich-
tet, das mitursächlich für diese schwierige Lage, in der wir
heute sind, ist. Sie haben auch in der Steuerpolitik so
ziemlich alles falsch gemacht. Das Steuersystem ist noch
komplizierter geworden, als es schon war. Selbst Fach-
leute blicken langsam nicht mehr durch. Das Steuerrecht
ist nicht gerechter, sondern nur noch bürokratischer und
ungerechter geworden. Sie haben mit Ihrem 630-Mark-
Wirrwarr Hunderttausende ehrlicher Steuerbürger in die
Schwarzarbeit getrieben. Das ist die Tatsache.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Nicolette Kressl [SPD]: So ein Quatsch!)


Diese Regierung hat den Mittelstand und die Perso-
nengesellschaften steuerlich belastet und dafür gesorgt,
dass die Kapitalgesellschaften in Deutschland 2001 fast
keine Steuern mehr gezahlt haben. Sie haben mit zu ver-
antworten, dass den Kommunen als den wichtigsten In-
vestoren der öffentlichen Hand die Gewerbesteuer weg-
gebrochen ist. Was Sie den Familien, erzwungen durch




Hans Georg Wagner
20976


(C)



(D)



(A)



(B)


das Bundesverfassungsgericht, mit der einen Hand gege-
ben haben, kassieren Sie durch Ökosteuer, Tabak- und
Versicherungsteuer wieder ab.


(Nicolette Kressl [SPD]: So ein Quatsch!)

Jetzt wundern Sie sich, dass nach gut drei Jahren rot-grü-
ner Steuerpolitik die Steuerlastquote 1 Prozent höher ist
als 1998.

Meine Damen und Herren, bei den gut 40 Steuergeset-
zen, die Sie teilweise im Schweinsgalopp durch die Aus-
schüsse gejagt haben, haben Sie hochmütig auf den Sach-
verstand der Opposition verzichtet.


(Lachen bei der SPD – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das stimmt!)


Bei den Anhörungen haben Sie alle guten Ratschläge der
Sachverständigen und der Opposition in den Wind ge-
schlagen. Folge davon war, dass ein Nachbesserungs- und
Reparaturgesetz das andere gejagt hat.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!)

Nur bei der Erfindung von Gesetzesüberschriften
waren Sie kreativ: Steuersenkungsgesetz – das 30 Milli-
arden Belastung für die Wirtschaft gebracht hat, Steu-
erbereinigungsgesetz, Steuersenkungsergänzungsgesetz,
Steueränderungsgesetz, Unternehmensteuerreformfortfüh-
rungsgesetz – ich könnte das fortführen. Das alles hätten
Sie den Steuerzahlern und den beratenden Berufen er-
sparen können, wenn Sie mehr auf uns gehört hätten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD)


Jetzt, nachdem der Karren tief im Dreck steckt, fragen Sie
nach den haushalts- und steuerpolitischen Vorstellungen
der Union. Sie hätten früher auf uns hören sollen,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

dann wäre dem Wirtschaftsstandort Deutschland und ins-
besondere den 4 Millionen Arbeitslosen viel erspart ge-
blieben. Die Regierung hat es verpennt, das Richtige zu
dem Zeitpunkt zu tun, als es noch möglich war.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Sie haben mit Schröder den größten Penner!)


Sie hätten die Kapitalgesellschaften und die Einkom-
mensteuerzahler von Anfang an im Gleichschritt entlasten
sollen. Dann bräuchten Sie jetzt nicht zu fragen, wann
wir endlich Ihre Versäumnisse ausbügeln und die Ein-
kommensteuersätze senken. Sie hätten diese unsinnige
Ökosteuer, die von Anfang an nichts anderes als ein
Abkassiermodell war, überhaupt nicht einführen sollen.
Dann bräuchten Sie heute nicht zu fragen, ob wir nur
Ihren letzten Erhöhungsraubzug zum 1. Januar 2003 ver-
hindern oder gleich die ganze Ökosteuer abschaffen.


(Jörg Otto Spiller [SPD]: Der Stoiber hält die ja für vorbildlich!)


Hätten Sie das 630-Mark-Gesetz nicht so vermurkst und
bürokratisch geregelt, dann müssten wir jetzt nicht wieder
zur Pauschalbesteuerung zurückkehren.

Hätte diese rot-grüne Regierung nicht nur von Haus-
haltssanierung geredet und die Investitionen gekürzt, son-

dern in guten Zeiten wirklich gespart und konsolidiert,
dann gäbe es jetzt die finanziellen Spielräume, um das ei-
gentlich Notwendige in unserem Land sofort zu machen.
Rot-Grün hat in den gut drei Jahren Regierungszeit nichts
besser, aber vieles schlechter und falsch gemacht. Sie sind
für die jetzige Lage verantwortlich.

Sie haben noch acht Monate Zeit, aber da wird voraus-
sichtlich nicht mehr viel passieren. Wenn Sie sich dann an
Ihren Leistungen messen lassen, werden Sie, meine Da-
men und Herren, die Quittung bekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421210000
Jetzt spricht die Kol-
legin Nicolette Kressl für die SPD-Fraktion.


Nicolette Kressl (SPD):
Rede ID: ID1421210100
Frau Präsidentin! Sehr ge-
ehrte Damen und Herren! Lieber Herr Seiffert, gerade in
den letzten fünf Tagen hat sich sehr deutlich gezeigt, wie
gut wir daran getan haben, die Vorschläge der Opposition
nicht in unsere Gesetzgebungsvorhaben aufzunehmen.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Ihr habt doch ständig nachgebessert!)


Schauen wir einmal, was Herr Stoiber vorgeschlagen hat:
Hätten wir davon irgendetwas in den letzten drei Jahren
übernommen, wäre das totale Chaos entstanden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Fragt die Steuerberater einmal, was sie von euren Gesetzen halten!)


Ich fange einmal mit der Aussage von Herrn Stoiber am
Sonntag bei Frau Christiansen an, dass wir noch Spiel-
raum in Höhe von mehreren Milliarden hätten. Gestern
Abend habe ich selber gehört, wie er sagte, wir haben
überhaupt keinen Spielraum mehr.


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Wegen Ihrer schlechten Politik!)


Heute Morgen habe ich im Radio gehört, die CSU wider-
spreche Stoiber. Da habe ich mir gedacht: Was ist jetzt
los? Im Kommentar hieß es weiter: Er widerspricht sich
nämlich täglich selber. – Wenn Sie es nicht einmal hin-
bekommen, dass Ihre steuerpolitischen Vorschläge über
vier Tage lang konsistent bleiben, dann kann ich nur den
Schluss ziehen: Wir haben gut daran getan, uns an unsere
Konzepte zu halten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Wachstumseinbrüche!)


Bleiben wir bei Ihren steuerpolitischen Vorschlägen der
letzten Jahre – man hat es ja vorhin bei der Frau
Hasselfeldt wieder gemerkt –: Ein Wunsch nach dem an-
deren wird aufgezählt. Dazu kann ich nur sagen: Ja mei, ist
denn schon wieder Weihnachten? Es kann doch wohl nicht
wahr sein, dass nicht an die Finanzierung gedacht wird, Sie
aber eine Wunschliste nach der anderen erstellen.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Ihr seid das personifizierte Abwärts in der Politik! – Heinz Seiffert 20977 Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Ihr Konzept ist das von der Echternacher Springprozession!)





(C)


(D)


(A)


(B)


Sie verlangen ein Vorziehen der Steuerreform; sämtliche
Schlupflöcher, die wir geschlossen haben, wollten Sie
über Anträge im Finanzausschuss wieder öffnen. Wie soll
damit, bitte schön, eine konsistente Politik betrieben
werden?

Wir brauchen jetzt klare Rahmenbedingungen; die
Grundlinien müssen erkennbar sein. Das Problem ist
doch, dass bei Ihnen nichts erkennbar und deutlich wird,
weil jeden Tag etwas anderes kommt.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das Pfeifen im Walde! – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Sie bezeichnen das Abwärts als Aufwärts! Das war schon immer so gewesen!)


Wenn überhaupt etwas erkennbar wird, dann das, dass Sie
offensichtlich die Neuverschuldung erhöhen wollen – so
ein Zitat von Herrn Merz. Dann wird auch deutlich, dass
offensichtlich bis zum letzten Regierungstag von Herrn
Waigel überhaupt nicht daran gedacht war,


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Doch!)

bei der Neuverschuldung eine Kehrtwende einzuleiten,
und dass es ein sozialdemokratischer Finanzminister war,
der die Kehrtwende in dieser Sache geschafft hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn ich jetzt höre, was Herr Merz vorschlägt, wird
mir deutlich, dass es auch ein sozialdemokratischer Fi-
nanzminister sein wird, der Garant für die Kehrtwende
weg von der höheren Neuverschuldung bleiben wird.


(Beifall bei der SPD)

Dann wollen wir uns einmal die verschiedenen Wün-

sche anschauen. Die Ökosteuer sei, so sagen Sie – Frau
Hasselfeldt hat es noch gesagt –, eine Missgeburt.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Da hat sie doch Recht!)


Was habe ich noch gestern von Herrn Stoiber gehört?

(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Ihr solltet mal auf Stoiber hören! Dann würdet ihr bessere Politik machen!)


Er will die Ökosteuer im europäischen Rahmen. Was soll
dann daran eine Missgeburt sein? Ich würde sagen, Sie
kehren jetzt um und versuchen mit uns, das für alle euro-
päischen Staaten gemeinsam hinzubekommen.


(Beifall bei der SPD)

Dann gibt es noch ein Wunschpaket, Frau Hasselfeldt,

nämlich das Familiengeld. Die Forderung von 60 Milli-
arden DM jährlich


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Gut angelegt!)


finde ich wirklich toll. Vor allem sind sie deshalb so gut
angelegt, weil der Großteil dieses Finanzvolumens zu den

schon bisher sehr gut verdienenden Familien geht, weil
diese nämlich kein Erziehungsgeld bekommen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Aber Sie lassen Alleinerziehende das Kindergeld für die anderen bezahlen! – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Sie sind doch die großen Umverteiler dieser Republik!)


Das heißt, einen dicken Teil aus Ihrem fetten Wunsch-
paket geben Sie auch noch an die völlig falsche Stelle. Das
ist ökonomisch unvernünftig und außerdem sozial unge-
recht. Aber Sie stellen sich hier hin und erzählen etwas
von konsequenter Steuerpolitik!


(Ilse Falk [CDU/CSU]: Haben Sie schon mal was vom Bundesverfassungsgerichtsurteil gehört?)


– Gerade wir haben über das Bundesverfassungsgerichts-
urteil gesprochen. Sie lagen damals in Ihren Aussagen ein
bisschen daneben. An Ihrer Stelle wäre ich gerade bei die-
sem Punkt sehr ruhig.


(Joachim Poß [SPD]: Das mussten wir dann auslöffeln!)


Ich kann Ihnen sagen: Wenn es so weitergeht, werden
wir unsere Vorschläge zur Steuerpolitik in aller Ruhe
weiter konsequent umsetzen können.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Es geht aber nicht so weiter!)


– Aber natürlich!

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Am 22. September geht das nicht so weiter!)

Denn eines ist in der Steuerpolitik wirklich nicht ange-
sagt: Man darf weder herumstolpern noch herumstoibern.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Aber auch nicht herumschrödern!)


Das ist nicht die verantwortliche Steuerpolitik, die unser
Land braucht.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Peter Rauen [CDU/CSU]: Besser stoibern als stolpern!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421210200
Jetzt spricht der Kol-
lege Hans Jochen Henke für die CDU/CSU-Fraktion.


Hans Jochen Henke (CDU):
Rede ID: ID1421210300
Meine Damen im
Präsidium! Werte Kolleginnen und Kollegen!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sonderpunkt!)


Es wird Ihnen nicht gelingen abzulenken. Wahltage sind
Zahltage. Es sind weniger als 250 Tage. Dann wird zu-
sammengezählt, vor allem, Frau Kollegin Hendricks, was
maßgeblich Ihr Haus zu verantworten hat; denn Sie ste-
hen nicht nur für das Finanz-, sondern im eigentlichen
Sinne auch für das Wirtschaftsministerium. Ihr Haus wird




Nicolette Kressl
20978


(C)



(D)



(A)



(B)


in wenigen Tagen den Jahreswirtschaftsbericht vorlegen,
in dem die wenig schöne, in Wahrheit beklemmende
Wirklichkeit offenbart wird.

Fakt ist, Ihr Konsolidierungsbeitrag nach vier Jahren
– ich kann es nur noch einmal wiederholen und auf der
Zunge zergehen lassen – beträgt 100 Milliarden Euro
Mehrverschuldung.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!)

Ihr reales Finanzierungsdefizit, Frau Hendricks, in die-
sem Haushaltsjahr 2002 wird trotz UMTS- und Sonder-
privatisierungserlösen nach wie vor 10 Prozent des Ge-
samthaushalts betragen.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Die Rückführung der jährlichen Nettoneuverschul-
dung, Frau Hendricks, ist in diesem Jahr außerordentlich
bescheiden. Wir haben in diesem Jahr eine Nettoneuver-
schuldung von fast 42 Milliarden DM. Die Rückführung
bekommen Sie überhaupt nur hin, Herr Kollege Diller,
mit einer historisch niedrigsten Investitionsrate


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!)

und einer einmaligen, unverantwortlich hohen expansi-
ven Steuerrate und entsprechenden Steuerpolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Trotz Ihrer so genannten Jahrhundertsteuerreform wer-

den Sie dem Steuerzahler insgesamt 60 Milliarden DM,
30 Milliarden Euro, mehr aus der Tasche genommen ha-
ben. Allein in diesem Jahr – Sie hören es nicht gern, aber
die Leute auf der Zuschauertribüne sollen es hören – ha-
ben Sie um 14 Milliarden Euro höhere Abgaben als im
zurückliegenden Jahr zu verantworten.

Ich fand es herrlich: Minister Eichel hat auf seinem Ge-
burtstagsempfang im Willy-Brandt-Haus in der letzten
Woche einen Wunsch geäußert. Er möchte gern im
Amt erleben, Herr Wagner, dass er in einem Haushaltsjahr
mehr einnimmt, als er ausgibt. Ich habe in dieser Fei-
er – ich durfte dabei sein; ich war eingeladen und bin hin-
gegangen – namhafte Vertreter öffentlicher Banken und
den zuständigen Staatssekretär seines Hauses angespro-
chen und Wetten darauf angeboten. Ich habe leider nie-
manden gefunden, der bereit war, auf diese Wette einzu-
gehen.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Der hat ja auch nur noch acht Monate! – HeinrichWilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Die glauben ja auch nicht, dass Eichel nach der Wahl noch Finanzminister ist!)


Es rächt sich, Frau Kollegin Hendricks, dass Sie das
konjunkturell einmalig günstige Zeitfenster in dieser Le-
gislaturperiode nicht für mutige Reformschritte genutzt
haben. So musste Ihnen der Sachverständigenrat vor
wenigen Wochen bescheinigen, dass trotz historisch
niedriger Lohnabschlüsse und trotz der demographischen
Entlastung in dieser Zeit die offene und verdeckte Ar-
beitslosigkeit bereits im Herbst letzten Jahres 13 Prozent
betragen hat. Sie in Ihrem Ministerium haben den Ar-

beitsmarkt entscheidend abgewürgt und Gründern, Inves-
toren, den Arbeit suchenden Menschen und letztlich auch
den Gewerkschaften einen Bärendienst erwiesen. Die
Empfehlungen der Tarifkommissionen in diesen Wochen
sprechen Bände.

Heute steht in der Zeitung, dass trotz Massenarbeitslo-
sigkeit in Deutschland so viel illegal gearbeitet wird wie
nie zuvor. Das Volumen der Schwarzarbeit – heute in der
„Berliner Zeitung“ auf Seite 1 nachzulesen – wird in die-
sem Jahr voraussichtlich 360 Milliarden Euro betragen.
Das geht an der regulären Wirtschaft vorbei. Damit steigt
der Anteil der Schattenwirtschaft, gemessen am offiziel-
len Bruttoinlandsprodukt, von 16 auf 16,5 Prozent. Die
Schattenwirtschaft nimmt allein in diesem Jahr um
3,5 Prozent zu. In den meisten anderen europäischen Län-
dern geht sie zurück.


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Das Einzige, was zunimmt!)


Gleichzeitig sind die Unternehmensgründungen um 20 Pro-
zent zurückgegangen, während die Zahl der Pleiten um
18 Prozent höher ist. Wo wir 2002 landen werden, weiß
niemand genau. Hermann Lübke, ein Mittelständler aus
Westfalen, sagte vor wenigen Tagen: Wenn die ruhige
Hand des Kanzlers nur so beweglich wäre wie seine poli-
tische Handlungs- und Wandlungsfähigkeit, dann ginge es
dem Mittelstand besser. – Wie Recht der Mensch hat!

Die Union hat mit ihrem Ziel, mit der Aussage des
Kandidaten Edmund Stoiber, in drei zentralen Bereichen
in der mittel- und langfristigen Orientierung unter 40 Pro-
zent zu kommen – bei der Staatsquote, bei den Lohn-
nebenkosten und bei der Abgabenquote –, wichtige Mei-
lensteine gesetzt.


(Joachim Poß [SPD]: Er kann nur nicht sagen, wie er das machen will! Das ist Ihr Problem!)


Wir müssen diese Quoten nachvollziehbar, erkennbar und
spürbar absenken.


(Joachim Poß [SPD]: Sagen Sie doch mal, wie, guter Mann!)


Wir müssen in einen völlig verkrusteten, zubetonierten
Arbeitsmarkt frische Luft hereinlassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Joachim Poß [SPD]: Das sind doch Sprech-
blasen!)

Verlassen Sie sich darauf: Wir werden rechtzeitig vor der
Wahl unser Konzept vorlegen und damit Ihre verhee-
renden Ergebnisse korrigieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421210400
Nächster Redner ist
der Kollege Ewald Schurer für die SPD-Fraktion.


Ewald Schurer (SPD):
Rede ID: ID1421210500
Frau Präsidentin! Werte Kol-
leginnen und Kollegen! Herr Henke, Sie leben in einem
irrealen Raum. Als Haushälter habe ich mich in den letz-
ten dreieinhalb Jahren massiv darüber gewundert, dass die
CDU/CSU-Fraktion im Haushaltsausschuss in der Lage




Hans Jochen Henke

20979


(C)



(D)



(A)



(B)


war, munter in jedem Jahr Vorschläge für Mehrausgaben
zwischen 20 und 30 Milliarden – schon auf Euro umge-
rechnet – zu machen,


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Aber wir haben auch Einsparungen vorgeschlagen!)


ohne einen einzigen dezidierten Vorschlag zu bringen, wie
man das seriös und wirtschaftlich decken könnte. Das ist
Ihre Politik.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Ihr habt doch Deutschland herunter gefahren!)


Dieses Geholpere und Gestolpere werden Sie in den
nächsten acht Monaten noch fortführen.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Auch finanziell habt ihr Deutschland herunter gefahren!)


Dann werden Sie entlarvt werden. Ich sage Ihnen auch:
Durch das, was Edmund Stoiber, mein bayerischer Lan-
desvater, im Augenblick zum Besten gibt, wird er ein Stück
weit entzaubert. Die Presse konstatiert ja bereits: Stoiber
hat in den ersten zwei Wochen die wirtschaftliche Kompe-
tenz verloren, für die er im Wesentlichen angetreten ist.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Das hätten Sie gern!)


Das glaubt ihm niemand mehr.

(Beifall bei der SPD)


An wirtschaftliche Kompetenz glaubt auch niemand
mehr, wenn man sieht, mit welcher finanzpolitischen
Geisterbahntruppe Sie seit drei Jahren im Finanz- und
Haushaltsausschuss agieren. Ich sage „finanzpolitische
Geisterbahntruppe“, weil Sie Vorschläge ohne wirtschaft-
liche Vernunft und ohne Sachverstand machen, die aus
dem hohlen Bauch kommen. Das ist die Situation.

Lassen Sie uns einmal den Fokus auf Bayern richten! In
Bayern hat sich Herr Stoiber in den letzten sechs bis sieben
Jahren durch eine Reihe von Finanzskandalen ausgezeich-
net. Es muss den Bundesbürgerinnen und Bundesbürgern
in Fleisch und Blut übergehen, dass Edmund Stoiber zum
Beispiel für den Verlust von 1,3 Milliarden DM bei der
Bayerischen Landesbank im Jahre 2000 verantwortlich ist.


(Joachim Poß [SPD]: Hat er da nicht aufgepasst, der Ede?)


Auf diesen Skandal angesprochen, sagte er: Das ist nicht
mein Thema. – Dass Edmund Stoiber zum Beispiel den
Deutschen Orden, für den er die Voraussetzungen für die
körperschaftsrechtliche Anerkennung geschaffen hat, als
Sozialkonzern nach Bayern verpflanzt hat und dafür Ver-
antwortung trägt, dass dieser heute de facto pleite ist, ist
eine finanzpolitische Tatsache.


(Joachim Poß [SPD]: Ja!)

Es gibt weitere Skandale. Herr Stoiber konnte sich bei

dem LWS-Skandal nur ganz schlecht aus der Affäre zie-
hen. Er musste nämlich eingestehen, dass er für das In-
den-Sand-Setzen einer halben Milliarde DM eigentlich
verantwortlich war.


(Joachim Poß [SPD]: Und Kredite für Herrn Kirch hat er auch eingesetzt!)


Dafür musste der Buhmann Sauter entlassen werden.
Überall in Bayern, wo Stoiber versucht, zu insistieren,
und wo Stoiber die Finger drin hat, gehen die Projekte aus
finanzpolitischen Gründen schief.

Jetzt kommt das Wichtigste. Stoiber hat in den letzten
sechs bis sieben Jahren in Bayern durch seine Politik er-
reicht – das festzustellen ist für die Bundespolitik wichtig –,
dass Bayern nur im SPD-regierten München wirtschaftlich
stark ist. Meinen Gruß an den Münchner OB Christian Ude.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dort werden 40 Prozent der Wertschöpfung in Bayern ge-
schaffen. Aber die Gebiete in Bayern, in denen es Struk-
turschwächen gibt, sind in den letzten Jahren unter
Edmund Stoibers Führung schwächer geworden. Die
nordbayerischen Regionen haben massive Probleme, mit
der wirtschaftlichen Entwicklung Bayerns mitzuhalten.

Wir haben in Bayern – vielleicht weiß es Frau
Hasselfeldt – eine einzige Altlast im Bereich der Stahl-
werke, nämlich die Maxhütte in der Oberpfalz. Die CSU-
Staatsregierung ist allein schon damit massiv überfordert,
ein einziges Stahlwerk in Bayern nachhaltig zu sanieren.
Das sind die Leistungen von Edmund Stoiber. Alles an-
dere ist nur Getöse von Ihnen und ist sachlich nicht ge-
rechtfertigt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Meinen Sie, das glaubt Ihnen jemand?)


Ihr Problem ist, dass Sie sich in den nächsten sieben bis
acht Monaten selbst Stück für Stück entlarven. Sie hatten
kein Finanzkonzept und Sie haben kein Finanzkonzept.
Sie verstehen die Grundlagen des volkswirtschaftlichen
Gleichgewichtes nicht.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Um Gottes willen!)

Sie würden das volkswirtschaftliche Gleichgewicht nicht
nur gefährden; Sie würden es mit ihren chaotischen Vor-
schlägen sogar zerstören. Das sind die wesentlichen
Punkte.

Lassen Sie mich zusammenfassen. Die CSU kann mit
Geld schlecht umgehen. Das ist die Lektion Nummer eins.
Auch das ist wichtig für die Öffentlichkeit: Die Partei
CSU selbst ist pleite. Wer hat denn von Ihnen erzählt, dass
Sie ihre Immobilien in München verkaufen müssen? Es
war Ihr Generalsekretär Goppel, der sagte, dass Sie die
CSU-Parteizentrale in der Nymphenburger Straße in
München aufgeben müssen, weil die Schuldenlasten Sie
drücken.


(Joachim Poß [SPD]: Die können nicht mit Geld umgehen!)


Die CSU finanziert seit Jahrzehnten Wahlkämpfe, indem
sie Schulden macht.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Die SPD ist ja auch Großunternehmer!)


Das ist keine Grundlage für das Aufstellen einer intelli-
genten Konzeption für den Bundeshaushalt. Sie sind ja




Ewald Schurer
20980


(C)



(D)



(A)



(B)


nicht einmal in der Lage, Ihren eigenen Laden in Mün-
chen seriös zu führen.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Ein weiterer Punkt ist, dass Sie konzeptionslos sind

und dass Sie in Bayern noch eine ganze Reihe von Affären
am Hals haben, die durch Untersuchungsausschüsse des
Landtages in den nächsten Monaten aufgearbeitet wer-
den.

Es bleibt folgendes Fazit: Bei dem Turmbau von Babel
gab es ein Stimmengewirr, als man eine bestimmte Höhe
erreichte. Bei Ihnen gibt es ein Stimmengewirr, hervorge-
rufen durch die von Ihnen selbst aufgerissenen Finanz-
löcher, die zu dieser Staatsverschuldung geführt haben.
Das ist eine Tatsache. Ich rate Ihnen dringend: Machen
Sie Ihre Hausaufgaben! Versuchen Sie erst einmal, in
Ihrem eigenen Laden die Fakten zu sondieren, bevor Sie
an die Öffentlichkeit gehen! Sie haben kein Konzept. Das
ist die Botschaft.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Durch Wiederholen wird es nicht richtig, was Sie sagen!)


Ich möchte zum Schluss noch konstatieren: Natürlich
haben wir im Augenblick eine wirtschaftlich schwierige
Situation. Sie gehen aber über folgende Tatsache hinweg:
Wir haben heute de facto 1 Million mehr Arbeitsplätze in
Deutschland.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421210600
Herr Kollege Schurer,
jetzt muss ich Sie doch bremsen, weil Sie zu einem Vor-
trag ausholen.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Er ist doch sowieso ein Bremser!)



Ewald Schurer (SPD):
Rede ID: ID1421210700
Wir haben 2001 450 000 we-
niger Arbeitslose im Vergleich zu 1998. Wir haben eine
geringere Jugendarbeitslosigkeit. Wir haben eine ganz
klare Begrenzung bei der Zunahme der Staatsverschul-
dung, einer Staatsverschuldung, für die Sie verantwortlich
sind. Ihre Zwischenrufe zeigen, dass Sie zwar laut sein
können, aber ohne Ideen sind.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421210800
Letzte Rednerin in der
Aktuellen Stunde ist die Kollegin Ingrid Arndt-Brauer.


Ingrid Arndt-Brauer (SPD):
Rede ID: ID1421210900
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren! Es gibt einen großen
Unterschied zwischen uns im Jahre 1998 sowie der CDU
und CSU in diesem Wahljahr.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Ihr habt die Leute belogen! Richtig!)


Wir hatten einen Kanzlerkandidaten relativ leicht gefun-
den und wir hatten ein Konzept. Dieses Konzept haben
wir auch umgesetzt. Dabei mussten wir leider auf den

Sachverstand der Opposition verzichten, weil er meistens
nicht vorhanden war.


(Beifall bei der SPD)

Um Ihnen das wieder in Erinnerung zu rufen, möchte

ich kurz erwähnen, was wir alles gemacht haben:

(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Ökosteuer!)

Wir haben zum Beispiel den Reformstau auf dem Ar-
beitsmarkt aufgelöst. Wir haben das Bündnis für Arbeit
wieder ins Leben gerufen. Wir haben Ausbildungs- und
Beschäftigungsplätze hauptsächlich für Jugendliche ge-
schaffen.


(Beifall bei der SPD – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Selbst von den Gewerkschaften als tot bezeichnet! Das einzige Bündnis für Arbeit lebt in Bayern!)


Wir haben Mittelstand, Handwerk und Existenzgrün-
der gestärkt und besser gestellt. Wir haben neue Ausbil-
dungsberufe geschaffen, die es vorher gar nicht gab. Wir
haben uns in diesem Bereich modern aufgestellt.


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Zunahme der Arbeitslosigkeit und der Jugendarbeitslosigkeit!)


Wir haben Rabattgesetz und Zugabeverordnung aufge-
hoben. – Entschuldigen Sie, wenn ich das so aufzähle,
aber sonst reicht die Redezeit nicht. – Wir haben faire Be-
dingungen auf dem Arbeitsmarkt geschaffen. Wir haben
Lohn- und Sozialdumping abgeschafft. Wir haben die
Scheinselbstständigkeit abgeschafft. Wir haben die 630-
Mark-Arbeitsverhältnisse vernünftig geregelt. Wir haben
wieder eine aktive Arbeitsmarktpolitik gemacht.


(Joachim Poß [SPD]: Sehr richtig!)

Sie haben es selber schon erwähnt: Job Aqtiv war ein

voller Erfolg. Wir bekommen von überall her positive
Rückmeldungen.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Die Arbeitslosigkeit steigt! Die Steuerquote steigt! Märchenstunde!)


Wir haben die Tarifautonomie und die Rechte der Arbeit-
nehmer gestärkt. Wir haben vor allen Dingen im Bereich
Aufbau Ost viel getan und werden hier auch weiterhin viel
tun.


(Beifall bei der SPD – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Deswegen stehen die Ostländer jetzt auch so gut da!)


Hierbei hat Ihr Kandidat in der Vergangenheit ein paar
Probleme gehabt, aber vielleicht wird sich das bei ihm bis
zum Wahltag ändern.

Wir haben klare Maßstäbe – im Maßstäbegesetz, wie
das so schön heißt – gesetzt. Wir haben den Solidarpakt II
und den Länderfinanzausgleich geregelt. Wir haben auch
– das ist uns ganz wichtig – den Marsch in die Verschul-
dung gestoppt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)





Ewald Schurer

20981


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich rechne immer gern unsere Zinsbelastung um. Als
wir die Regierung übernommen haben, haben wir
150 000 DM im Monat, nein, in der Sekunde, nein, in der
Minute an Zinsen gezahlt.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Brutto und netto konntet ihr auch schon nicht unterscheiden!)


– Ich habe so wenig Zeit und muss so viel erzählen. Ich
rechne immer so: In drei Minuten zahlen wir so viel an
Zinsen, wie ein Einfamilienhaus im Münsterland kostet.
Dies macht es immer für alle sehr fassbar.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Möbliert oder unmöbliert? Warmoder Kaltmiete?)


Jetzt sind wir auf dem Weg, diese abzubauen. Das haben
Sie selbst gehört. Wir haben getilgt. Wir haben die
UMTS-Lizenzen gut verkauft und haben bei der Vertei-
lung der Erlöse den richtigen Weg eingeschlagen.

Wir haben die Lohnnebenkosten gesenkt, indem wir
die Ökosteuer eingeführt haben. Ökosteuer ist für Sie ein
Reizthema.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Die Leute freuen sich so darüber, dass sie die zahlen dürfen!)


Man hat immer den Eindruck, dass Ihre Stammwähler die
gesamten Tankrechnungen gesammelt haben, weil sie ge-
hofft haben, dass sie am Wahltag die gesamte Ökosteuer
zurückbekommen.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Nein!)

Den Eindruck hatte man immer, wenn man Sie so in den
letzten Monaten hier hat reden hören. Das wird leider
nicht passieren. Das ist sehr schade für die Leute, aber ich
denke, inzwischen hat auch jeder verstanden, dass es eine
gute Maßnahme war und sie auch weiter durchgeführt
wird.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Abenteuerlich ist das!)


Ich denke, dass es vielleicht irgendwann eine europäische
Lösung geben wird. Dann sind wir alle am Ziel.


(Beifall bei der SPD – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Nur hier wird sie weiter erhöht!)


Wir haben den Einstieg hin zur steuerlichen Entlastung
für Arbeitnehmer in mehreren Stufen erfolgreich ge-
schafft. Das wird noch fortgeführt. Wir werden sowohl den
Eingangs- wie auch den Spitzensteuersatz weiter senken.
Wir haben die neue Entfernungspauschale eingeführt und
wir schaffen mehr Steuergerechtigkeit: 70 Abschreibungs-
möglichkeiten wurden gestrichen, Steuerschlupflöcher
wurden gestopft. Das neue Stiftungsrecht wurde einge-
führt und der Umsatzsteuerbetrug wird wirksam bekämpft.

Des Weiteren haben wir ein modernes Unternehmen-
steuerrecht für mehr Investitionen geschaffen. Auch das
wird in diesem Jahr richtig greifen. Außerdem haben wir
– was uns auch sehr wichtig war – den Ausstieg aus der
Atomenergie eingeleitet und werden ihn fortführen.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das ganze Sündenregister!)


Ich denke, die Bevölkerung steht voll dahinter. Eine andere
Politik wird es in dem Bereich gar nicht geben müssen.


(Beifall bei der SPD – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Tragen Sie das ganze Sündenregister doch noch mal vor!)


Parallel dazu haben wir eine neue sichere und umwelt-
freundliche Energieversorgung aufgebaut. Wir haben im
Bereich der alternativen Energien sehr viel Neues ange-
regt und werden auf diese Weise irgendwann auch die
Atomenergie überflüssig machen.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Herr Poß, das ist eine Regierungserklärung! – Gegenruf des Abg. Joachim Poß [SPD]: Das hören wir immer wieder gern!)


– Nein, das ist einfach nur das, was wir versprochen und
eingehalten haben. Dies wurde vorhin einmal gefordert
und ich erfülle diese Forderung jetzt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – CarlLudwig Thiele [FDP]: Das hat nur nichts mit dem Thema zu tun!)


– Doch! Ich finde, das hat sehr viel mit dem Thema zu tun.
Ich habe vorhin erzählt, dass wir ein Konzept hatten und
dieses auch umgesetzt haben; ganz im Gegensatz zu Ih-
nen.

Teil dieses Konzepts war auch, dass wir in den Bereich
Bildung und Forschung sehr viel hineingesteckt haben.
Ich denke, auch hier sind wir auf einem guten und sinn-
vollen Weg. Wir haben das BAföG reformiert.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Was ist mit den Kleingärtnern?)


Wir haben die Alterssicherung mit der kapitalgedeckten
Riesterrente auf den richtigen Weg gebracht. Wir machen
außerdem eine konsequente Sozialpolitik. Reformen so-
wohl des Behindertenrechts als auch des Heimgesetzes und
der Künstlerversorgungsversicherung haben wir eingeleitet.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Ich dachte, wir diskutieren über das Steuerrecht!)


Mein Problem ist jetzt, dass wir 36 Punkte haben und
ich erst bei Punkt 21 bin.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421211000
Nein, nein, die Rede-
zeit ist jetzt zu Ende, Frau Kollegin.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Ingrid Arndt-Brauer (SPD):
Rede ID: ID1421211100
Ich werde es jetzt abkür-
zen. – Ich wollte damit nur deutlich machen, dass wir ein
Konzept hatten und es umgesetzt haben. Wir haben etwas
versprochen und es gehalten.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Sie haben die Rasenkante in meinem landwirt Ingrid Arndt-Brauer 20982 schaftlichen Betrieb vergessen! – JochenKonrad Fromme [CDU/CSU]: Es gilt das gebrochene Wort!)





(C)


(D)


(A)


(B)


Es gibt überhaupt keinen Grund, diese Regierung in ir-
gendeiner Form zu ersetzen. Es gibt nichts, was man in
dieser Form besser machen könnte, als wir es getan haben.


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir werden auf diesem Weg weitermachen.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Glaube versetzt Berge!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421211200
Die Aktuelle Stunde
ist jetzt aber beendet.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c auf:
5. a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD

und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der
Juristenausbildung
– Drucksache 14/7176 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung

b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Deut-
schen Richtergesetzes und der Bundesrechtsan-
waltsordnung
– Drucksache 14/7463 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung

c) Beratung des Berichts des Rechtsausschusses

(6. Ausschuss) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäfts-

ordnung zu dem von den Abgeordneten Dr. Edzard
Schmidt-Jortzig, Rainer Funke, Jörg van Essen,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Reform
der Juristenausbildung (JurAusbReformG)

– Drucksachen 14/2666, 14/8038 –

(Erste Beratung 112. Sitzung)

Berichterstattung:
Abgeordnete Joachim Stünker
Dr. Norbert Röttgen
Hans-Christian Ströbele
Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kol-
lege Joachim Stünker für die SPD-Fraktion.


Joachim Stünker (SPD):
Rede ID: ID1421211300
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Am 30. Juni 2000 haben wir
in diesem Hohen Hause den Gesetzentwurf der FDP zur
Reform der Juristenausbildung beraten. Ich habe in der
damaligen Debatte den Reformanstoß begrüßt, den Ent-
wurf inhaltlich jedoch zurückgewiesen. Dieser Ansatz hat
sich auch bis heute nicht verändert.

Im Entwurf der FDP fehlt die zukünftige inhaltliche
Gestaltung des Universitätsstudiums für Juristinnen und
Juristen völlig und er sieht eine Abkehr von der Ausbil-
dung zum Einheitsjuristen vor. Beides ist nicht akzepta-
bel. Das hat sich auch in der fast zweijährigen Diskussion
durch die Fachöffentlichkeit sehr deutlich gezeigt. Ich
denke, dass dieser Entwurf in diesem Hohen Hause nicht
weiter verfolgt werden wird.


(Beifall des Abg. Alfred Hartenbach [SPD])

Ich habe damals aber auch gesagt, dass die SPD-Frak-

tion die Bemühungen der Justizministerkonferenz, zu einer
endgültigen Einigung der Länder zur Reform der Juristen-
ausbildung zu kommen, unterstützen und auch abwarten
wollte. Ich habe hinzugefügt, dass auf der Grundlage ei-
ner solchen Einigung ein zwischen Bund und Ländern ab-
gestimmter Gesetzgebungsprozess erfolgen solle. Dies
gilt auch heute noch. Ich denke, wir sind mit den heute in
erster Lesung vorliegenden Entwürfen des Bundesrates
und der Regierungskoalition zur Reform der Juristenaus-
bildung endlich genau auf diesem von mir seinerzeit be-
schriebenen Weg angekommen. Die Entwürfe sind in den
wesentlichen Teilen kompatibel. Ich denke, wir werden
die noch bestehenden Differenzen im Verlauf des jetzt be-
ginnenden Gesetzgebungsverfahrens mit beiderseitigem
guten Willen – wir sind ja alle ins Gelingen verliebt – aus-
räumen können.

Ich denke, wir haben jetzt, nachdem wir, die wir alle
Juristen sind, jahrzehntelang über Reformen der Juristen-
ausbildung diskutiert und das geltende Recht am eigenen
Leibe durchlitten und erfahren haben, die historische
Chance, etwas Neues auf den Weg zu bringen. Diese soll-
ten wir in diesem Hohen Hause gemeinsam ergreifen. Wir
alle sind uns einig: Die Juristenausbildung muss refor-
miert werden. Auch in der Zielbestimmung sind wir uns
dahin gehend einig, dass die Ausbildung zum allseits ein-
arbeitungsfähigen Juristen, der über juristische Urteils-
kraft und soziale Kompetenz verfügt, im Vordergrund ste-
hen muss.

In sechseinhalb Minuten Redezeit kann ich unmöglich
das ganze Spektrum dieser beiden Entwürfe vorstellen. Ich
möchte mich daher kurz auf neun wesentliche Eckpunkte
beschränken. In diesem Rahmen wird die Diskussion in
den nächsten Wochen und Monaten auch verlaufen.

Punkt eins betrifft das Studium und den Vorberei-
tungsdienst.Wir halten an der Zweiteilung der juristischen




Ingrid Arndt-Brauer

20983


(C)



(D)



(A)



(B)


Ausbildung in Studium und berufspraktischen Vorberei-
tungsdienst fest. Die universitäre Ausbildung qualifiziert
noch nicht für die Ausübung der reglementierten juristi-
schen Berufe. Die praktische Ausbildung muss noch hin-
zukommen.

Der zweite Punkt – dies ist wichtig – betrifft die Stär-
kung der internationalen Orientierung.Wir müssen die
internationale Orientierung bereits im Studium verstärken
und die Kompatibilität der deutschen Juristenausbildung
mit anderen europäischen Ausbildungsgängen verbes-
sern. Deshalb sollten fremdsprachliche Pflichtveranstal-
tungen in den Katalog der zu lehrenden Fächer an den
Universitäten aufgenommen werden. Möglich sind ent-
weder fremdsprachliche rechtswissenschaftliche Veran-
staltungen oder aber auch fachbezogene Sprachkurse.
Auch Auslandssemester und die Anrechnung von im Aus-
land erbrachten Studienleistungen bei der Zulassung zur
ersten Prüfung sind zukünftig zu ermöglichen.

Das Dritte ist: Wir müssen die anwaltsorientierte
Ausbildung der Juristen verstärken. Das zieht sich durch
beide Entwürfe wie ein roter Faden. Dies muss bereits an
der Universität erfolgen; es muss aber hinterher auch noch
im Vorbereitungsdienst erfolgen.

Der vierte wichtige Punkt ist die Frage der sozialen
Kompetenz. Ich denke, auch hier sind wir uns alle da-
rüber einig, dass für die erfolgreiche Arbeit in juristischen
Berufen nicht nur die Ergebnisse der Staatsexamina, son-
dern in zunehmendem Maße auch nicht juristische Fähig-
keiten von Bedeutung sind. Gefordert sind interdisziplinäre
Schlüsselqualifikationen wie Verhandlungsmanagement,
Gesprächsführung, Rhetorik, Streitschlichtung, Media-
tion, Vernehmungslehre, Kommunikationsfähigkeit und
Teamfähigkeit. Auch dies sollte bereits an den Univer-
sitäten gelehrt werden.

Für das Berufsbild der Richterinnen und Richter,
denen nach Art. 92 des Grundgesetzes die rechtspre-
chende Gewalt als sehr verantwortungsvolle Aufgabe
übertragen ist, brauchen wir eine soziale Kompetenz, die
über das von mir eben Genannte noch hinausgeht. Wir
streiten im Augenblick noch darüber, was der richtige
Weg dorthin ist. Lassen Sie uns auch hier den ge-
meinsamen Weg zu dem als richtig erkannten Ziel fin-
den.

Das Fünfte ist die Übertragung der Wahlfachprü-
fungen zum ersten Staatsexamen zukünftig auf die Uni-
versitäten. Durch die Übertragung dieser Prüfungskom-
petenz können die Universitäten in erheblich weiterem
Umfang als bisher inhaltliche Schwerpunkte setzen, in ei-
nen Qualitätswettbewerb unter den Fakultäten eintreten
und den jungen Juristen die Möglichkeit eröffnen, ein
ihren Neigungen entsprechendes Studium mit einem be-
stimmten Schwerpunkt zu wählen. Darüber, wie dieser
Anteil ausgestaltet werden soll, werden wir uns sicherlich
verständigen können.

Das Sechste ist: Ich hatte von der Verstärkung der an-
waltlichen Ausbildung gesprochen, insbesondere im Vor-
bereitungsdienst, dem Referendariat. Auch hier sind wir
uns einig, dass die Ausbildungsdauer beim Rechtsanwalt
zwingend verändert werden soll und auch verändert wer-

den muss. Dazu, wie nun diese Ausbildungszeit tatsäch-
lich bemessen sein soll, werden wir eine gemeinsame Lö-
sung finden können.

Daraus folgt natürlich siebtens, dass zukünftig die An-
waltschaft stärker an der Ausbildung sowohl inhaltlich als
auch verfahrensmäßig und mit mehr Manpower beteiligt
sein muss, als das heute oft der Fall ist.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters)


Achtens: Durch diese Konzeption gewährleisten wir
auch für die Zukunft die Durchlässigkeit zwischen den
einzelnen Sparten. Durch die Beibehaltung der Ausbil-
dung zum Einheitsjuristen ist diese wünschenswerte
Durchlässigkeit gesichert.

Ich möchte aber neuntens hinzufügen – das ist für die
Koalitionsfraktionen ein ganz wesentliches Essential,
das uns ein wenig von dem Bundesratsentwurf unter-
scheidet –: Es darf im Ergebnis keine zweigeteilte Aus-
bildung und vor allen Dingen keine unterschiedlichen
Zugangsvoraussetzungen in einem der reglementierten
juristischen Berufe geben. Das ist für uns ein ganz
wichtiger Punkt, den wir, wie ich meine, sehr gründlich
erörtern müssen. Daran werden wir im Ergebnis fest-
halten.

Im Ergebnis dieses Schnelldurchlaufs – ich habe es in
der kurzen Zeit, die mir zur Verfügung stand, fast ge-
schafft – mag vielleicht der eine oder andere sagen: Das
sind doch alles kleine Schritte. Wo ist die große Reform?
Aber alle, die vom Fach sind und sich mit der Materie aus-
kennen, werden dem zustimmen, was einer der Professo-
ren, die uns positiv begleiten, geschrieben hat – das Zitat
ist also nicht von mir –: Diese kleinen Schritte können in
der praktischen Umsetzung jedoch revolutionäre Wirkung
haben, sofern die Länder, die Fakultäten und die Studie-
renden die dadurch neu gewonnenen Handlungsspiel-
räume nutzen.

Ich kann uns alle nur auffordern: Packen wir diese
Chance beim Schopfe! Machen wir eine gemeinsame
Regelung! Dann mögen die, die ausgebildet werden, diese
Chance, die in eine gute Zukunft führt, auch nutzen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421211400
Ich gebe
dem Kollegen Dr. Norbert Röttgen das Wort. Er spricht
für die Fraktion der CDU/CSU.


Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1421211500
Herr Präsident!
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Befund bei dem Thema Juristenausbildung
ist Konsens: Das Studium der Juristen und die berufliche
Wirklichkeit passen schon seit langem nicht mehr zusam-
men. Es sind nicht nur organisatorische Mängel, nicht nur
die zu lange Dauer der Ausbildung, sondern die gravie-
rendsten Mängel liegen in den Inhalten des Studiums. Da-




Joachim Stünker
20984


(C)



(D)



(A)



(B)


rum muss auch die Reformdebatte im Wesentlichen um
Inhalte gehen.

Wir behandeln heute in erster Lesung zwei Gesetzent-
würfe, einen Gesetzentwurf des Bundesrats und einen der
Bundesregierung.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Nein! Nein! – Joachim Stünker [SPD]: Der Koalitionsfraktionen! – Alfred Hartenbach [SPD]: Sie müssen schon genau lesen!)


– Ja, der Koalitionsfraktionen. Das ist in Ordnung.
Beide Entwürfe sind kein großer Wurf, Herr Stünker.

(Joachim Stünker [SPD]: Das liegt daran, dass Sie nicht lesen können! – Alfred Hartenbach [SPD]: Dass Sie nicht lesen können, wissen wir mittlerweile von Ihnen!)


Es wird heute weder eine historische Stunde in der Re-
form der Juristenausbildung eingeläutet – –


(Alfred Hartenbach [SPD]: Röttgen, setzen, mangelhaft!)


– Das Thema mag Sie so empören, dass Sie nicht zuhören
können, aber ich schlage trotzdem vor, dass wir uns da-
rüber unterhalten. Das müsste eigentlich möglich sein.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Nein, weil Sie nicht lesen können!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421211600
Jetzt haben
wir uns gerade auf eine ruhige Debatte eingestellt, aber es
wird doch noch lebhaft. – Bitte sehr.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Der Mensch schreit, so lange er lebt!)



Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1421211700
Dabei habe ich
noch gar nicht mit den Provokationen begonnen, und
schon sind Sie unruhig. Das stimmt mich nachdenklich.

Es ist kein großer Wurf dabei, verehrte Kolleginnen
und Kollegen von der SPD-Fraktion. Es ist keine histori-
sche Stunde und es werden durch diesen Gesetzentwurf,
den Ihre Koalition vorgelegt hat, auch keine Revolutionen
eingeleitet, meine Damen und Herren.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür sind die Juristen nicht zuständig! Für die Revolution sind andere zuständig!)


Allerdings gibt es einen gravierenden Unterschied zwi-
schen dem Entwurf des Bundesrates und dem von der Ko-
alition vorgelegten Entwurf. Ich habe mit Freude festge-
stellt, Herr Stünker, dass ein Bemühen Ihrer Rede
offensichtlich war, Ihren Gesetzentwurf mehr oder weni-
ger schon mit der Einbringung abzuräumen,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wieso das denn? – Alfred Hartenbach [SPD]: Er kann nicht zuhören! Er kann nicht lesen und nicht zuhören!)


indem Sie gesagt haben, wir kämen schon auf eine Linie.
Denn es gibt einen Unterschied zwischen den beiden Ent-
würfen. Das wissen Sie genau und das wissen auch die
Vertreter des Bundesrates.

Mit dem Entwurf der Koalition würde keines der fest-
gestellten, unbestrittenen Probleme gelöst, aber es wür-
den neue Probleme geschaffen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wie wahr!)

Das wäre die Konsequenz des Entwurfs der Koalition,


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wie immer! Immer das Gleiche! – Joachim Stünker [SPD]: Herr Geis, Sie waren doch gar nicht da! Sie können doch gar nicht mitreden! – Norbert Geis [CDU/CSU]: Ich kenne aber den Entwurf! Da brauche ich gar nicht da zu sein!)


während der Entwurf des Bundesrates in die richtige
Richtung geht, aber auch entscheidende Mängel aufweist,
weil darin nichts über die Inhalte enthalten ist.

Ich möchte begründen, warum Sie neue Probleme
schaffen. Ein wesentlicher Grund für neue Probleme, die
Sie schaffen werden, ist, dass Sie vorsehen, dass die uni-
versitäre Wahlfachprüfung zu 50 Prozent ins Examen
einfließen soll. Die Universitäten aller Länder bzw. die ju-
ristischen Fakultäten – auch der nordrhein-westfälische
Justizminister wird Ihnen sicherlich diese Mitteilung ma-
chen können, wenn er an dieser Stelle dazu bereit ist – tei-
len Ihnen unisono mit


(Joachim Stünker [SPD]: Die brechen alle zusammen!)


– das ist übrigens wieder ein Beispiel Ihrer bewährten Pra-
xisferne in der Rechtspolitik –,


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist wie bei der Gesamtschule!)


dass die Universitäten nicht die personellen und die fi-
nanziellen Ressourcen haben, um dies umzusetzen. Das
teilen sie Ihnen mit. Nehmen Sie das doch zur Kenntnis!
Wenn Sie dennoch 50 Prozent der Wahlfachprüfung in das
Examen einfließen lassen wollen,


(Joachim Stünker [SPD]: Haben Sie auch einen Vorschlag zum Inhalt?)


dann heißt das, dass Sie eine Lösung nur auf dem Papier
vorschlagen. Denn diese Lösung kann nicht ausgestaltet
werden, weil die dafür erforderlichen Ressourcen fehlen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es kommt darauf an, wie die Prüfung gestaltet ist!)


Es ist sozusagen ein Programm, von dem Sie wissen, dass
es nicht umgesetzt werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es fehlt auch übrigens jegliche inhaltliche Konzeption.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Haben Sie denn eine?)


Sie haben ausgeführt, dass eine Wahlfachprüfung zu 50 Pro-
zent einfließen soll. Die Wahlfachprüfung ist definiert; das




Dr. Norbert Röttgen

20985


(C)



(D)



(A)



(B)


Wahlfach ist ein ergänzender Teil des Studiums. Die Er-
gänzung kann doch nicht 50 Prozent des Examens aus-
machen. Das passt nicht zusammen.

Sie sehen als Mindestanforderung eine schriftliche
Prüfung vor.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das führt uns direkt nach Pisa!)


Das kann nicht die Hälfte des Examens sein.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist die SPD-Antwort auf PISA!)

Was Sie mit diesem Vorschlag bewirken, ist eine Kombi-
nation von Nachteilen, die im Grunde in die sozialdemo-
kratische Bildungspolitik – ich nehme das gerne auf – hi-
neinpasst. Sie nehmen einerseits dem Examen mit diesem
50-Prozent-Vorschlag die Vergleichbarkeit und damit ei-
nen Vorteil des Einheitsexamens,


(Joachim Stünker [SPD]: Der arrogante Röttgen wieder! So kennen wir ihn!)


ohne andererseits den Universitäten wirklichen Gestal-
tungsspielraum einzuräumen. Das, was Sie vorschlagen,
ist eine Kombination von Nachteilen.

Auch der zweite Vorschlag, den Sie machen, ist völlig
abstrus und unverständlich. Alle stimmen in der Forde-
rung überein, dass wir mehr Flexibilität und Eigengestal-
tung, auch des Studenten und des Referendars, brauchen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb das Wahlfach!)


Sie aber schlagen vor, 21 Monate eines 24 Monate dau-
ernden Referendariats in Pflichtstationen zu leisten. Sie
wollen 21 von 24 Monaten dem Referendar vorschreiben.
Er soll nicht gestalten und im Hinblick auf seine spätere
Berufswahl eigene Entscheidungen treffen und sich ei-
genverantworlich qualifizieren, sondern Sie wissen staat-
licherseits immer, was für den Einzelnen am besten ist.


(Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist der Regelungswahn bei der SPD! Der hört niemals auf!)


Das ist Ihre Grundphilosophie, die bis in solche Gesetze
hinein zum Ausdruck kommt. Mit Flexibilität und Indivi-
dualität haben Sie schlichtweg nichts am Hut.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Bürgerfeinde! – Alfred Hartenbach [SPD]: Sie glauben doch selbst nicht, was Sie da sagen!)


Der Bundesrat hat viel pragmatischere Vorschläge ge-
macht. Sein Entwurf hat Mängel – ich komme noch da-
rauf zu sprechen –, enthält aber vernünftige Schritte. Ein
Anteil des Wahlfachs von 25 Prozent an der Prüfung ist
ein vernünftiger Vorschlag.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wie schaffen das die Universitäten? Das ist doch auch eine Prüfung!)


Die Universitäten sagen, dass sie das gerade so schaffen
können, und diesen Spielraum sollten wir Ihnen auch ein-
räumen.

Der Bundesrat schlägt in seinem Gesetzentwurf vor
– das ist vernünftig –, das Referendariat in einen Pflicht-
teil und in einen Wahlfachteil einzuteilen. Dem Referen-
dar wird also die Chance gegeben, im Hinblick auf die Be-
rufswahl selber zu entscheiden. Es ist eine vernünftige
Lösung, das Referendariat je zur Hälfte in eine vorge-
schriebene juristische Grundausbildung und in die Fächer,
die der Eigenentscheidung des Referendars obliegen, ein-
zuteilen.

Ich gebe hinsichtlich der Gestaltung des Referendariats
zu bedenken, Herr Minister Dieckmann, ob es richtig ist,
die Voraussetzungen für die Zulassung als Rechtsan-
walt so festzulegen, wie es im Gesetzentwurf des Bundes-
rats vorgesehen ist. Danach soll derjenige, der sich um die
Zulassung als Rechtsanwalt bewirbt, im Regelfall nach-
weisen, dass er während seines Referendariats zwölf Mo-
nate als Rechtsanwalt ausgebildet worden ist. Was bedeu-
tet das? Das bedeutet, für die Zulassung als Rechtsanwalt
gibt es strengere Hürden als für die Einstellung als
Richter. Das bedeutet weiterhin, dass derjenige, der
Rechtsanwalt wird, neben der neunmonatigen Grundaus-
bildung zwölf Monate bei einem Anwalt arbeiten muss,
dass er also 21 Monate von 24 Monaten im Grunde ge-
nommen nicht über den Tellerrand der Rechtspflegebe-
rufe hinausschaut.

Ich sage als Rechtsanwalt: Es würde auch den Rechts-
anwälten nicht schaden, wenn sie das Referendariat nut-
zen würden, um einmal etwas anderes als Rechtspflege,
als die Arbeit der Gerichte und der Rechtsanwälte, kennen
zu lernen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Warum muss man den angehenden Anwälten eigentlich
ihren Blick auf ihre spätere berufliche Tätigkeit so veren-
gen? Sollten sie nicht auch einmal ein bisschen ihren Ho-
rizont erweitern? Täte es nicht auch den Anwälten gut,
nicht so festgelegt zu sein?


(Alfred Hartenbach [SPD]: Herr Röttgen, wir beide lesen den Entwurf noch einmal gemeinsam!)


Mein Referendariat liegt vielleicht noch nicht so weit
zurück wie das von anderen.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Das scheint Jahrhunderte zurückzuliegen!)


Deshalb sage ich Ihnen: Die Ausbildung in einem An-
waltsbüro gilt nicht als die intensivste und qualifiziertes-
te.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Bei Ihnen vielleicht!)


Nirgendwo gibt es so erhebliche Qualitätsunterschiede
wie bei dieser Ausbildungsstation. Ich wage zu bezwei-
feln, dass es richtig ist, den Ausbildungsschwerpunkt ge-
rade hier zu setzen. Ich als Anwalt sage Ihnen, was ei-
gentlich hinter dieser Schwerpunktsetzung steckt: Der
junge Anwalt braucht drei bis fünf Jahre, um in seiner
Kanzlei voll einsatzfähig zu sein. Ihr Vorschlag bedeutet
im Grunde, dass den etablierten Anwälten ein Jahr Aus-
bildungskosten erspart werden. Die Entscheidung, die Sie




Dr. Norbert Röttgen
20986


(C)



(D)



(A)



(B)


getroffen haben, ist also sehr berufspolitisch. Es ist nach
meiner Einschätzung keine Entscheidung für eine qualifi-
ziertere Ausbildung der angehenden Anwälte. Vielmehr
begünstigt ihre Entscheidung die schon etablierten An-
wälte, die junge Anwälte ausbilden; denn denen wird, wie
gesagt, staatlicherseits ein Ausbildungsjahr finanziert.
Das trägt nicht zu mehr Qualität in der Anwaltsausbildung
bei. Darum bitte ich, noch einmal über diesen Punkt zu
diskutieren.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt machen Sie einmal einen Vorschlag!)


– Ich komme jetzt zu den Punkten, über die nach unserer
Auffassung geredet werden muss. Wir waren uns ja in der
letzten Sitzung des Rechtsausschusses einig, dass die
Sachverständigenanhörung sehr konstruktiv und sachlich
war. Wir bitten darum, dass die Rechtspolitiker den Dia-
log mit denjenigen, die in der Ausbildung und in der Pra-
xis tätig sind, fortsetzen.


(Joachim Stünker [SPD]: Haben Sie auch einen Vorschlag?)


– Ich komme zu den Themen, über die offen geredet wer-
den muss.

Erstens. Wir müssen – das ist das Wichtigste – über In-
halte reden.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Das machen wir ja!)


In den vorliegenden Gesetzentwürfen geht es nicht um In-
halte. Aber wir brauchen eine Modernisierung der In-
halte der juristischen Ausbildung. Das Ladenburger Ma-
nifest gibt hierfür wesentliche Orientierungshilfe.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Sprechblasen! Eine nach der anderen!)


– Ich werde es noch konkretisieren. Selbst bei einem sol-
chen Thema muss man doch zuhören können!

Es ist nicht sinnvoll, dass jeder seine Wünsche im Hin-
blick auf das, was noch zusätzlich gelernt und gelehrt wer-
den soll, äußert. Das brauchen wir nicht. Wir brauchen in
erster Linie – das wäre modern – eine Konzentration der
Inhalte. Wir können nicht immer nur draufpacken. Wir
müssen angesichts der Tatsache, dass es dauernd neue An-
forderungen gibt, festlegen, was verzichtbar ist. Deshalb
bin ich der Auffassung, dass Methodik wichtiger ist als
Pauken. Die methodische Grundschulung der jungen Ju-
risten kommt in der bisherigen Ausbildung zu kurz.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] Das ist aber sehr allgemein!)


Wir müssen, wie gesagt, entscheiden, was verzichtbar
ist. Denn es kommt ja Neues hinzu: Internationalität ist
eine unverzichtbare Anforderung.


(Joachim Stünker [SPD]: Das habe ich doch gesagt! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Deshalb haben wir das hineingeschrieben!)


Wenn das hinzukommt, muss etwas anderes zurücktreten.

Auch im Hinblick auf die spätere berufliche Tätigkeit
plädieren wir dafür, dass das Wirtschaftsrecht einen
höheren Stellenwert in der Ausbildung bekommt. Natio-
nales, europäisches und internationales Wirtschaftsrecht,
Steuerrecht, das sind Ausbildungsinhalte, die in der spä-
teren beruflichen Tätigkeit insbesondere derjenigen, die
Anwalt werden – das gilt aber auch für andere –, von ei-
ner hohen Bedeutung sind, die aber im Studium heute kei-
nen entsprechenden Platz haben. Das ist etwas, was im
Studium unbedingt einen höheren Stellenwert haben muss
als etablierte Fächer wie etwa – ich sage es hier als Pro-
vokation – das Strafrecht, das in der anwaltlichen Praxis
bei den meisten gar keine Rolle spielt.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Da wäre ich etwas vorsichtiger!)


Anderes, was erforderlich ist, muss gelernt werden.
Ich komme zum Schluss. – Wir brauchen Maßnahmen

gegen das Massenstudium. Es macht doch keinen Sinn,
die Leute zehn Jahre lang auszubilden und mitzuschlep-
pen, wenn am Ende doch nichts daraus wird. Wir brau-
chen also effektive Zwischenprüfungen. Es gilt, die
Leute möglichst frühzeitig, nicht nach zehn Jahren, son-
dern vielleicht nach einem Jahr oder nach zwei Jahren, da-
rauf hinzuweisen, dass das der falsche Weg ist; denn dann
haben junge Leute noch die Chance, sich zu verändern.


(Joachim Stünker [SPD]: Genau das geschieht schon!)


Mit Ausnahme der Rechtspflegeberufe treten wir für ein
berufsqualifizierendes erstes Examen ein; denn das ist
ein Weg dahin. Wir müssen die Leute nicht in das Refe-
rendariat zwingen. Viele wollen keinen Rechtspflegeberuf
ausüben; dann brauchen sie auch kein Referendariat.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer zwingt denn? Sind Sie ins Referendariat gezwungen worden?)


Wir plädieren also für ein berufsqualifizierendes erstes
Examen.

Mein letzter Satz: Wir bitten darum, dass der Entwurf
des Bundesrates Grundlage unserer Beratungen wird
– das ist ein pragmatischer Entwurf –; über die Inhalte des
Studiums muss aber noch dringend geredet werden und
dann können wir zu einer guten Lösung kommen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Stünker [SPD]: Das war dürftig, ganz dürftig!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421211800
Für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht der Kol-
lege Christian Ströbele.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

gen! Ich dachte, das sei ein richtiges Konsensthema, bei
dem wir uns ganz gemütlich über den Einheitsjuristen un-
terhalten,


(Zuruf von der SPD: Und dann kommt so einer!)





Dr. Norbert Röttgen

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(C)



(D)



(A)



(B)


und dann so etwas, Herr Kollege Röttgen!

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Ihre Harmoniesehnsucht kommt zu spät, Herr Kollege!)


Das haben Sie doch gar nicht nötig!
Bei mir sind die juristische Ausbildung und das Refe-

rendariat schon ein bisschen länger her, aber ich weiß,
dass seit Generationen, eigentlich von Anfang an, seit ei-
nigen hundert Jahren, Kritik an der Juristenausbildung
nicht nur vorhanden, sondern auch berechtigt ist. Wenn
ich mich an das erinnere, was ich in der Universität ge-
lernt habe und wo ich das juristische Handwerk eigentlich
gelernt habe,


(Zuruf von der CDU/CSU: Wie lange können Sie denn zurückdenken?)


dann muss ich sagen: Die Universität hätte ich mir weit-
gehend sparen können.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das haben wir immer befürchtet! – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das erklärt vieles!)


Da gibt es wesentliche Fehler und es gibt sie bis heute.
Warum, Herr Kollege Röttgen, ist es noch heute so,

dass 80 Prozent bis 90 Prozent derjenigen, die nachher Ju-
risten sind, ihre Ausbildung nicht an der Universität, son-
dern bei einem selbst finanzierten Repetitorium erhalten?
Das muss einem doch zu denken geben! Da muss doch ir-
gendetwas faul sein im Staate Dänemark oder in der Juris-
tenausbildung.

Heute sagen viele Juristen – ich gehöre auch dazu –:
Meine eigentliche Ausbildung habe ich nicht an der Uni-
versität, nicht einmal auf den Stationen des Referenda-
riats, sondern dann erhalten, als ich nebenher gegen ge-
ringe oder ohne Bezahlung beim Anwalt gearbeitet habe,
wo man direkt ins volle Leben hineingeworfen wurde,


(Norbert Geis [CDU/CSU]: So ist es! Das ging vielen so!)


sich beim Amtsgericht bewähren musste, Rechtsprobleme
lösen musste, aber zügig, und zu Ergebnissen kommen
musste. Ich habe das da gelernt


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Ich auch! „Learning by doing“ haben wir gemacht!)


und so geht es vielen, mit denen ich rede.
Unter Berücksichtigung all dieser Erfahrungen haben

wir uns darangemacht, einen Entwurf zu erarbeiten und
die Juristenausbildung neu zu regeln. Von daher sind viele
Einzelheiten, die Sie kritisiert haben, zu erklären.

Wenn man in den Wahlfächern, die man an der Uni-
versität macht, auch an der Universität geprüft wird, dann
ist es in Zukunft vielleicht anders als heute. Im Staats-
examen werden in der Regel ja ganz andere Sachen ge-
prüft, als in der Universität gelehrt werden oder als man
jedenfalls an der Universität richtig lernen kann. In Zu-
kunft sollen die Examina, die man an der Universität
macht, nicht mehr ein privat finanziertes Repetitorium
voraussetzen. Um dem den Boden zu entziehen, ist es
richtig und wichtig, Wahlfächer zu haben; denn – damit

komme ich zu dem, was Sie vorhin kritisiert haben – in
den Wahlfächern kann man die Schwerpunkte für die spä-
tere Berufsausübung zu setzen versuchen. Darüber, ob das
zu einem so frühen Zeitpunkt immer schon richtig ist,
kann man sicher diskutieren. Aber jedenfalls können die
Studenten es dann machen. Dann werden sie an der Uni-
versität geprüft und damit haben sie die Hälfte ihres Exa-
mens hinter sich, was voll eingesetzt und bewertet wird.

Eines haben Sie vergessen: Gerade bei den Inhalten sa-
gen wir heute – da haben sie völlig Recht –, dass europä-
isches Recht, internationales Recht, Recht in Frank-
reich, in England und vor allen Dingen in den USA eine
wichtige Rolle spielen müssen. Genauso wichtig muss
aber sein, dass man sich überhaupt in diesen Sprachen
unterhalten kann. Dazu sagen wir, in Zukunft soll sich ein
Teil der Wahlfächer, die auch anerkannt werden, die auch
in der Universität geprüft werden, auf diesen Bereich be-
ziehen: also Sprachausbildung, eine Ausbildung in ande-
ren Rechtssystemen. Das kann natürlich immer nur ein
Teilbereich sein und es kann nur ein Einblick sein, aber
diese Ausbildung soll so hoch gewertet werden, dass sie
ein Teil der Prüfung ist. Sie soll anerkannt werden und da-
mit auch einen Ansporn für die Studentinnen und Studen-
ten bilden, sich in diesen Bereichen zu tummeln und zu
lernen, weil sie wissen, es wird im Examen auch geprüft.

Die andere Hälfte soll eben die gesamtdeutsche Ge-
rechtigkeit herstellen und sicherstellen, dass die Examina
gleichwertig sind, weil das Staatsexamen bleiben soll und
damit vermieden werden kann, dass man nachher etwa für
den Vorbereitungsdienst und für den Referendardienst,
wie das die FDP ja will, Examen einrichtet, um da über-
haupt aufgenommen zu werden. Das kann nicht richtig
sein und das soll nicht richtig sein. Es fehlt auch völlig
eine Erklärung dafür, wer denn nachher den Referendar-
dienst in Ihrer Variante bezahlen soll. Sollen das die Refe-
rendare selber sein, sollen das die Anwälte sein, bei denen
die Referendare Ihrem Vorschlag und Ihrer Überzeugung
nach tätig sind? Das führt zu Ungerechtigkeiten und Un-
gleichheiten. Es führt dazu, dass wir im juristischen Beruf
eine Auswahl derjenigen bekommen, die sich mindestens
den zweiten Teil leisten können, und derjenigen, die ihn
sich nicht leisten können. Das darf nicht sein und das wol-
len wir nicht.


(Zurufe von der CDU/CSU: Das wollen wir auch nicht – Das will niemand!)


Wir sagen, die Anwaltstation ist wichtig. Wir wollen
eine Anwaltstation von mindestens einem Jahr haben, weil
wir wissen, dass in diesem Bereich die Ausbildung des
Einheitsjuristen am besten möglich ist, der dann sowohl im
Richterberuf als auch im Anwaltberuf, aber auch in der
Wirtschaft als auch bei den Verbänden tätig werden kann.
Wenn man nur beim Strafrichter sitzt, bekommt man si-
cher die strafrichterliche Ausbildung, aber wenn man beim
Anwalt ist, bekommt man in der Regel die breiteste Aus-
bildung. Deswegen legen wir so großen Wert darauf.

Letztendlich – das ist auch ein wesentlicher Fortschritt
dieser Reform – sagen wir: Wer nachher Richter oder
Richterin werden soll, soll vorher eine praktische Berufs-
erfahrung haben. Wir wollen nicht, dass die Leute, aus
dem Studium, aus der Referendarzeit kommend, direkt




Hans-Christian Ströbele
20988


(C)



(D)



(A)



(B)


und ohne Lebenserfahrung in einem juristischem Beruf,
ohne in der voll verantwortlichen Ausübung eines juris-
tischen Berufes zu stehen, über Sachverhalte und über
Menschen richten. Vielmehr sollen sie möglichst einige
Jahre vorher einen anderen juristischen Beruf ausgeübt
haben, um dann die nötige Lebenserfahrung zu haben, die
für eine gerechte Ausübung des richterlichen Berufes
erforderlich ist.

Ich glaube, hier sind wichtige und richtige Ansätze.
Wir haben gestern bei der Justizministerin noch eine
ganze Reihe von zusätzlichen, sehr praktischen Hinwei-
sen bekommen. Ich schließe mich dem an. Der Jurist,
auch der Rechtsanwalt, soll nicht nur rechtsberaten, son-
der auch Recht gestalten. So habe ich auch immer meine
Berufsausübung aufgefasst. Lassen Sie uns auf dem Weg
weitermachen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Was heißt „Recht gestalten“?)


Berücksichtigen wir dabei durchaus auch das, was im
Entwurf des Bundesrates steht. Da haben wir uns ja sehr
stark angenähert. Berücksichtigen wir aber auch, was in
der Anhörung gesagt worden ist. Dann können wir end-
lich einen wesentlichen Schritt weiterkommen, damit die
Juristenausbildung in Zukunft den Juristen und die Juris-
tin wirklich für den Beruf ausbildet, den sie nachher aus-
üben sollen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Und für die Rechtsgestaltung!)


Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421211900
Ich gebe das
Wort dem Kollegen Professor Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
für die FDP-Fraktion.


Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (FDP):
Rede ID: ID1421212000
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass wir heute ver-
bindlich über eine Reform der Juristenausbildung beraten,
ist eigentlich schon für sich genommen ein Ereignis.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Darauf ist bereits verschiedentlich hingewiesen worden.
Ich will aber, bevor Sie zu heftig klatschen – das muss ja
für einen Oppositionellen immer verdächtig sein – darauf
hinweisen, dass die holde Regierung bzw. Koalition ja
richtiggehend zur Jagd getragen werden musste.


(Beifall bei der FDPund der CDU/CSU – HansChristian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt machen wir mal was, da ist es wieder nicht richtig!)


Wenn die FDPnicht bereits vor zwei Jahren ihren Entwurf
vorgelegt und „Feuer unterm Frack“ entfacht hätte, wären
wir wahrscheinlich heute noch nicht so weit, darüber ver-
bindlich zu diskutieren.


(Joachim Stünker [SPD]: Föderalismus, Herr Kollege!)


– Sie, Herr Kollege Stünker, haben das freundlicherweise
auch gewürdigt.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sitzt das Problem, der Bundesrat!)


Was nun die Koalition als Entwurf vorlegt und der
Bundesrat auf den Weg bringt, ist leider immer noch nicht
der große Wurf. Reform scheint wieder einmal nur als
Faktum des Veränderns als solcher und nicht als inhalt-
liche, sachbezogene Optimierung verstanden zu werden.

Um es auf einen kurzen Nenner zu bringen: Die bisher
übermäßige Justizlastigkeit wird nun gegen eine zu ein-
seitige Anwaltslastigkeit ausgetauscht,


(Norber Geis [CDU/CSU]: Von einem Extrem ins andere!)


und die Not leidende Grundausbildung in Methodik, Kern-
fächern und Systembeherrschung bleibt weiterhin Stief-
kind, ja, erfährt sogar Ausdünnung und Abstriche. Das
muss man deutlich sehen.

Jetzt will ich mich aber – das ist auch die eigentliche
Aufgabe des FDP-Redners – dem guten Entwurf, nämlich
dem FDP-Entwurf, widmen.


(Beifall bei der FDP – Norbert Geis [CDU/CSU]: Das müssen wir erst mal abwarten!)


Der FDP-Entwurf will entgegen Ihrem Konzept an die
Wurzeln des Übels gehen. Sie haben manche Dinge be-
schrieben, aber Ihre Therapie ist völlig unzureichend.
Auch der FDP-Entwurf rückt der überkommenen Justiz-
lastigkeit der Ausbildung zu Leibe, will aber die anderen
Hauptberufsfelder offen danebenstellen und zwischen ih-
nen qualifikatorische Ebenbürtigkeit sowie weitgehende
Durchlässigkeit sicherstellen.

Vor allem soll unter Beibehaltung der Zweistufigkeit
die erste Ausbildungsstufe, das Studium, qualitativ durch-
pariert werden: Verringerung der ausufernden Überblicks-
kenntnisse in den Sondergebieten gegen Vertiefung und
Intensivierung der Einarbeit in den Grunddisziplinen, Sys-
tembeherrschung statt Detaildilettantismus, Substanzju-
rist statt PISA-Jurist.

Das heißt: Das erste Examen gehört – insofern gehe
ich, verehrte Kollegen aus der CDU, über das hinaus, was
die Koalition vorlegt – in die Universität.


(Zuruf von der SPD: Richtig!– Joachim Stünker [SPD]: Wir haben aber gehört: Da brechen die alle zusammen!)


Es muss danach ein verlässliches Ranking zustande ge-
bracht werden, damit auch Konkurrenz stattfindet. Denn
das ist bei dem schwerfälligen Apparat der Universitäten
und der Fakultäten das einzige, was dort Bewegung
schafft. Das erste Examen soll bereits die volle Qualifika-
tion als Jurist vermitteln.

Danach, lieber Kollege Ströbele, kommt in die zweite
Ausbildung, die dann nur noch eine Zusatzausbildung ist,
weil man bereits Volljurist ist, nicht mehr automatisch je-
der graduierte junge Jurist, sondern nur derjenige, welcher




Hans-Christian Ströbele

20989


(C)



(D)



(A)



(B)


sich für einen der staatlich garantierten Rechtsberufe in
einem qualitativen Auswahlverfahren qualifiziert hat.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also eine Prüfung!)


– In der Tat, das steht auch so in unserem Entwurf. Natür-
lich ist diese Zusatzausbildung staatlich finanziert. Sie
argumentieren da auf der alten Schiene, so nach dem
Motto: Ihr wollt das alles auf die privaten Portemonnaies
verschieben. – Das geht an der Sache völlig vorbei. Hier
sollen gleichberechtigt ein Justizvorbereitungsdienst, ein
Anwaltsvorbereitungsdienst und ein Verwaltungsvorbe-
reitungsdienst eingerichtet werden, die jeweils mit einem
zweiten Examen – jetzt Staatsexamen – abschließen.

Es sei nach allem – man hat in der umfassenden De-
batte nur ganz geringe Zeitbudgets, deswegen komme ich
schon zum Schluss – der Koalition noch einmal sehr ge-
raten, weniger auf Modeaspekte – Stichwort: soziale
Kompetenz; keiner weiß, was das ist –


(Joachim Stünker [SPD]: Nein, nein! Die FDP weiß das nicht!)


– nein, Sie können es mit Sicherheit nicht definieren oder
tragen Dinge vor, die jedenfalls nichts mit Juristerei zu tun
haben – und auf Einsparungseffekte zu achten als auf
wirkliche substanzielle Verbesserungen.

Wir müssen unsere jungen Juristen in ihrer europä-
ischen Konkurrenzfähigkeit stärken und eine hohe Qua-
lität der deutschen Rechtsdienstleistung sichern. Das
ist unsere Verantwortung, nichts anderes.

Besten Dank.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU])



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421212100
Für die
Fraktion der PDS spricht die Kollegin Sabine Jünger.


Sabine Jünger (PDS):
Rede ID: ID1421212200
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Die Juristenausbildung in Deutschland steckt
seit Jahren in einer Sackgasse. Ich meine, dass Ihnen al-
len die Probleme bekannt sind. Meine Vorrednerinnen und
Vorredner haben darüber bereits gesprochen. Da meine
Redezeit nur halb so lang ist wie die des Kollegen
Stünker, möchte ich auf weitere Aufzählungen verzichten
und fasse kurz zusammen: Die Juristenausbildung ist an
vielen Punkten eine Zumutung für die einzelnen Studen-
tinnen und Studenten sowie Referendarinnen und Refe-
rendare. Sie geht an den Anforderungen unserer Zeit und
an den Anforderungen des Justizwesens deutlich vorbei.

Es ist seit vielen Jahren klar, dass eigentlich nur eine
grundlegende Reform die Misere beseitigen kann. Des-
halb finde ich es umso enttäuschender, dass Bundesrat
und Regierungskoalition, wie ich gelesen habe, nun Ge-
setzentwürfe vorlegen, die aus meiner Sicht bestenfalls
als lau bezeichnet werden können. Ich frage mich zum
Beispiel: Warum halten Sie bis zum zweiten Staats-
examen am Bild des Einheitsjuristen fest?

Die in den Gesetzentwürfen vorgesehene stärkere Aus-
richtung der Ausbildung auf den Anwaltsberuf ist viel-
leicht sinnvoll, aber sie ist meines Erachtens in dieser
Form allein nicht mehr ausreichend. Eine flexiblere
Handhabung ist in den Zeiten ausdifferenzierter gesell-
schaftlicher Vorgänge nötig. Weshalb wollen wir gerade
im Bereich der Justiz auf Spezialisierungen verzichten?
Warum sollen sich Jurastudentinnen und -studenten nicht
auf ihre künftigen Aufgaben vorbereiten?

Kritisches Denken zu fördern und ein Bewusstsein für
gesellschaftliche Verantwortung zu entwickeln war bisher
nicht unbedingt Bestandteil der Lehre und wird es, wenn
es nach Ihren Gesetzentwürfen geht, leider auch zukünf-
tig nicht sein.

Nun fordert die Koalition als Zugangsvoraussetzung
zum Richteramt Sozialkompetenz. Dagegen kann man
erst einmal gar nichts haben.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben!)


Da bin ich ganz anderer Meinung als der Kollege
Schmidt-Jortzig. Aber erwerben soll der Richternach-
wuchs diese Kompetenz durch eine zweijährige Berufser-
fahrung auf anderen juristischen Gebieten. Meine Damen
und Herren, Sozialkompetenz ist immer gut und wichtig;
das sage ich gern noch einmal. Allerdings – ich weiß, dass
der Kollege Stünker das manchmal auch sagt, hier natür-
lich nicht; deshalb sage ich es jetzt –: habe ich den Ein-
druck, dass es einen gegenteiligen Effekt haben könnte.
Welche fähige Juristin, welcher fähige Jurist wird nach
zwei Jahren Berufserfahrung, wenn er vielleicht gerade
den Einstieg in eine Kanzlei geschafft hat, die Aussicht
auf eine gut bezahlte Karriere aufgeben, um in den Staats-
dienst in seinem heutigen Zustand zu wechseln? Ich weiß
nicht, ob das die beste Variante ist.

Immerhin – das muss man der SPD, dem Bündnis 90/
Die Grünen und auch dem Bundesrat zugute halten – ha-
ben Sie es vermieden, den Eindruck zu vermitteln – wie
es die FDP getan hat –, dass das Ganze ausschließlich der
Kostenreduzierung dienen soll. Warum allerdings wollen
Bund und Länder keinen Abschluss nach dem Vorbild des
Bachelor einführen? Ich meine, das wäre ein Vorschlag.

Seit Jahren schon ringen Vertreterinnen und Vertreter
der Hochschulen, der Berufsverbände sowie Justizminis-
terinnen und Justizminister um eine Reform der Juristen-
ausbildung. Mit den nun vorliegenden Gesetzentwürfen
werden große Ansprüche erhoben: die Studienzeit verkür-
zen, das Studium praxisgerechter machen und gleichzei-
tig Absolventen haben, die alles können. Das ist alles gut
und schön. Indem Regierung und Bundesrat allerdings
unhinterfragt am Einheitsjuristen festhalten und sich vor
einer wirklichen Überarbeitung und Straffung der Ausbil-
dung drücken, vergeben sie die Chance, die Juristenaus-
bildung in Deutschland zu modernisieren und an den
komplexen Erfordernissen der heutigen Gesellschaft zu
orientieren.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)





Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
20990


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421212300
Ich erteile
das Wort dem Justizminister von Nordrhein-Westfalen,
Jochen Dieckmann.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421212400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ihnen vor-
liegende Gesetzentwurf des Bundesrates ist eine Gemein-
schaftsarbeit aller Länder. In einer Einigkeit, die wahr-
scheinlich selten geworden ist, ist es uns gelungen, einen
Gesetzentwurf zu präsentieren, der die Juristenausbildung
spürbar verbessert und es dank seiner hohen Flexibilität
möglich macht, diese Ausbildung rasch den sich weiter
wandelnden Erfordernissen im Rechtsleben und im Wirt-
schaftsleben anzupassen.

Er ist das Ergebnis einer langen und sehr intensiven
Diskussion, die bereits Gelegenheit gegeben hat, einiges
zu klären, Herr Röttgen. Da ist zum Beispiel das Be-
kenntnis zum Einheitsjuristen, da ist auch die klare Orien-
tierung am anwaltlichen, am rechtsberatenden, am rechts-
gestaltenden Tun. Ich glaube, in der Zielsetzung stimmen
alle Entwürfe überein: Wir wollen die Juristenausbildung
modernisieren. Der ganz große Wurf war nicht möglich;
aber wir tun einen großen Schritt nach vorne.

Nach dem Verständnis der Länder muss die Juristen-
ausbildung beides können: Sie muss den jungen Juristin-
nen und Juristen eine solide Grundausbildung in allen
großen Rechtsgebieten bieten; sie muss ihnen aber auch
Einblicke in die vielfältigen beruflichen Tätigkeiten eröff-
nen, die für sie später offen stehen. Eine moderne Ausbil-
dung verträgt deshalb kein starres Korsett; sie braucht
Freiräume und Entwicklungsmöglichkeiten. Diese wer-
den ihnen mit dem Länderentwurf eingeräumt.

Wir verkennen dabei nicht, dass die weit überwiegende
Mehrheit der Absolventinnen und Absolventen den An-
waltsberuf ergreift. Daraus haben wir zwei Konsequen-
zen gezogen.

Erstens. Die Juristenausbildung hat sich auf allen Stu-
fen der Ausbildung, das heißt vom ersten Tag des Studi-
ums an, verstärkt am Anwaltsberuf zu orientieren. Das ist
so gewollt. Es wäre zu kurz gegriffen, dies als anwaltliche
Orientierung zu verstehen. Damit sind auch die Tätigkeit
des Notars und alle rechtsgestaltenden bzw. rechtsbera-
tenden Tätigkeiten umfasst.

Zweitens. Gerade wegen der hohen Anwaltszahlen
müssen wir von Anfang an jedes Interesse fördern, einen
anderen juristischen Beruf als den des Anwalts zu ergrei-
fen. Bei mehr als 110 000 zugelassenen Anwältinnen und
Anwälten wäre es das falsche Signal, auch noch alle Re-
ferendarinnen und Referendare zwangsweise zu Anwäl-
tinnen und Anwälten auszubilden. Wir halten es auch
nicht für zukunftsweisend, all diejenigen, die Richterin-
nen und Richter werden wollen, zu zwingen, für mindes-
tens zwei Jahre im Anwaltsberuf tätig zu sein.

Damit ich nicht missverstanden werde: Wir alle sind
für die Stärkung der sozialen Kompetenz und haben da-
von auch eine klare Vorstellung. Hier ist nicht die Zeit, das
im Einzelnen darzulegen. Wir sind in der glücklichen
Lage, in großer Zahl Nachwuchskräfte einzustellen, die
bereits Berufserfahrung haben. Dies aber zwingend vor-

zuschreiben wirft viele Fragen auf, über die noch disku-
tiert werden muss. Es wird noch Gelegenheit geben, die
Gesetzentwürfe im Einzelnen zu diskutieren. Es wird
sicherlich möglich sein, dabei Verständigungen zu finden.
Die bislang geführte Diskussion ist dafür eine gute
Grundlage.

Ich möchte noch auf einen Punkt besonders eingehen.
Es handelt sich um die Frage, ob eine zwölfmonatige
Pflichtausbildung beim Anwalt für alle Referendarin-
nen und Referendare vorgesehen werden soll oder ob dies
nur gelten soll, wenn jemand zur Anwaltschaft zugelassen
werden will. Nach dem Länderentwurf muss jeder – aber
auch nur derjenige –, der zur Anwaltschaft zugelassen
werden will, mindestens zwölf Monate von einem Anwalt
ausgebildet worden sein. Diese Regelung verdient nach
unserer Auffassung den Vorzug.

Zum einen garantiert sie, dass jeder, der den anwalt-
lichen Beruf ergreifen will, mindestens ein Jahr lang von
einem Anwalt ausgebildet worden ist; zugleich sichert sie
das uns wichtige Höchstmaß an Flexibilität und Indivi-
dualität. Wer von Anfang an entschlossen ist, eine andere
Berufstätigkeit zu ergreifen – sei es in der öffentlichen
Verwaltung oder in der Europäischen Union –, der kann
dies nach dem Länderentwurf – aber auch nur nach dem
Länderentwurf – in gleichem Maße wie jemand tun, der
sich für den Anwaltsberuf interessiert. Die intensive Vor-
bereitung auf andere juristische Berufe erfordert zwangs-
läufig einen hinreichenden Freiraum in der Gestaltung der
Ausbildung. Das wird nicht möglich sein, wenn ein
ganzes Jahr beim Anwalt absolviert werden muss.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang nur kurz er-
wähnen, dass in dem Länderentwurf die Belastungen für
die Anwaltschaft, die mit dieser Ausbildung verbunden
sind, möglichst gering gehalten werden. Sie lässt – das ist
für die weitere Debatte ein wichtiger Punkt – auch ausrei-
chenden Spielraum für die in Zukunft noch zu treffenden
Länderregelungen. Ich glaube, wir sollten im Bundesge-
setz nicht zu viele Einzelheiten regeln, sondern es in be-
währter Weise den Landesgesetzgebern überlassen, die
Einzelheiten zu regeln.

Wir als Verantwortliche in Bund und Ländern stehen
ständig in der Pflicht, die Juristenausbildung an die verän-
derten Anforderungen unserer Lebenswirklichkeit anzu-
passen. Die Länder haben einen Gesetzentwurf vorgelegt,
der die Juristenausbildung den modernen Anforderungen
anpasst, der anwalts- bzw. beratungsorientiert und dyna-
misch, flexibel und europafreundlich ist. Er baut auf Ei-
geninitiative und Eigenverantwortung.

Die Chance, die Juristenausbildung auf diese Weise
spürbar zu verbessern, war nie größer als heute. Wir soll-
ten sie unbedingt noch in dieser Legislaturperiode nutzen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421212500
Ich schließe
die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/7176 und 14/7463 an die in der






(C)



(D)



(A)



(B)


Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. –
Das Haus ist damit einverstanden. Dann sind die Über-
weisungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Dr. Norbert Lammert, Bernd Neumann (Bremen),
Renate Blank, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Verbreitung, Förderung und Vermittlung der
deutschen Sprache
– Drucksachen 14/5835, 14/7250 –

Da dieses Thema hohe Anforderungen an die nachfol-
genden Redner stellt, bitte ich um Ihre besondere Auf-
merksamkeit.


(Heiterkeit)

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die

Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Sie sind
einverstanden. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort für die
Antragstellerin der soeben eintreffenden Kollegin Erika
Steinbach.


Erika Steinbach-Hermann (Plos):
Rede ID: ID1421212600
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren!

Im Feuilleton der „FAZ“

(Dr. Peter Eckardt [SPD]: Von heute!)


– vom heutigen Tage – gibt es eine hochinteressante Ana-
lyse zur Situation der deutschen Sprache im In- und Aus-
land. Der Autor durchleuchtet darin als Sprachwissen-
schaftler akribisch die Haltung der Bundesregierung
aufgrund der Großen Anfrage der CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion. Ich will es Ihnen und mir ersparen, daraus zu
zitieren. Aber die Überschrift spricht wirklich Bände:
„Deutschland zerstört seine Muttersprache“.


(Joachim Stünker [SPD]: Das stimmt nicht!)

Das Beunruhigende daran ist, dass diese Bundesregie-

rung das nicht einmal bemerkt. Denn der Antwortenkata-
log, der heute zur Debatte steht, will suggerieren, dass bei
uns in Deutschland, was unsere Muttersprache angeht, al-
les in bester Ordnung ist. Die Antworten der Bundesregie-
rung sind von tiefster Zufriedenheit durchdrungen. Der
Bundesregierung macht es keine Sorgen, dass das Interesse
an der deutschen Sprache weltweit abnimmt, auch in unse-
ren europäischen Nachbarländern. Sie lässt keinen Hauch
von Erkenntnis durchschimmern über die deprimierende
Situation der deutschen Auslandsschulen und die schwieri-
gen Balanceakte, die das Goethe-Institut Jahr für Jahr voll-
ziehen muss, um die Qualität seiner Arbeit halbwegs zu si-
chern. Die heile Welt, die der Antwortenkatalog der
Bundesregierung vorzeigt, ist ein potemkinsches Dorf.


(Sabine Kaspereit [SPD]: Das ist Russisch!)

– Das ist eine Kulisse, die als russischer Ort vorgezeigt
wurde.


(Sabine Kaspereit [SPD]: Da gab es einen Herrn, der Potemkin hieß!)


– Richtig. Sie haben Recht.
Die überragende Bedeutung der englischen Sprache

ist weltweit unübersehbar. Dennoch wird das Erlernen
des Deutschen in vielen Ländern mit der Erwartung bes-
serer beruflicher Chancen verbunden. Das muss von
Deutschland aber ausreichend gefördert werden. Wir
dürfen uns da nicht indolent hinsetzen und die Hände in
den Schoß legen. Sprache spielt im Wirtschaftsleben und
im Bereich der Wissenschaft international eine wichtige
Rolle. Investitionen in die Sprachkompetenz sind auch für
Unternehmen wichtig für die Zukunft. Die Vermittlung
der deutschen Sprache spielt für unser Land im Globa-
lisierungsprozess und für Deutschlands Stellung in der
Welt insgesamt eine wichtige Rolle. Das scheint man-
chem gar nicht so recht bewusst geworden zu sein.

Ein anderer Bereich ist existenziell wichtig, wenn man
die Bedeutung der Sprache nach außen tragen will.
Sprachvermittlung hängt untrennbar mit der Wertigkeit
der eigenen Sprache im Inneren dieses Landes zusammen.
Hier hat uns die PISA-Studie – ich nehme an, damit geht
es uns allen, egal welcher Partei wir angehören, gleich –
die Augen geöffnet. Mancher hat ja geahnt, wie drama-
tisch es ist, aber hier haben wir einen Beleg dafür:
Sprachpflege, Sprachfähigkeit und Sprachverständnis
werden in deutschen Schulen, jetzt für alle offenbar und
offensichtlich, nur unzulänglich vermittelt; sie werden so
vermittelt, dass wir im internationalen Vergleich ein wirk-
lich trauriges Bild abgeben.


(Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Das ist leider zutreffend!)


Ich hoffe sehr, dass der allgemeine Schock darüber keine
Eintagsfliege bleibt und sich in Lehrplänen und im Lehr-
alltag am Ende fruchtbar niederschlägt. Damit zöge man
immerhin einen Gewinn aus den Ergebnissen dieser Studie.

Dabei ist auch die Frage der Sprachintegration nach
Deutschland zugewanderter Menschen nicht zu vernach-
lässigen. Die babylonische Sprachverwirrung in nicht we-
nigen Schulklassen hemmt das Verständnis untereinander
und verhindert eine gute deutsche Sprachausbildung aller
Schüler, egal welcher Nationalität. Auch die Sprachfähig-
keit und Sprachkompetenz der deutschen Schüler wird
dadurch am Ende beeinträchtigt. Dass das keine einfache
Aufgabe ist, wissen alle im Lande. Wir müssen aber diese
Aufgabe bewältigen. Einen wesentlichen Anteil daran ha-
ben die Bundesländer, aber auch die Bundesregierung und
wir im Bundestag sind gefordert und dürfen die Augen da-
vor nicht verschließen, denn wir müssen dieses Problem
bewältigen.

Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort aber eines
fast völlig übersehen, nämlich dass sich Menschen in
Deutschland immer öfter in ihrer eigenen, deutschen Mut-
tersprache nicht mehr ausreichend informieren können.
Das ist mit der Feststellung, dass man Anglizismen hin-
nehmen müsse, nicht abgetan. Fremdwörter haben wir
immer in unsere eigene Sprache eingebaut. Wir haben ein
massives lateinisches Fundament, wir haben Vokabeln,
die ihren Ursprung im Griechischen haben, wir haben
viele französische Elemente in unserer Sprache.


(Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Und immer noch einzelne deutsche!)





Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
20992


(C)



(D)



(A)



(B)


Anglizismen sind hinnehmbar, aber die Entwicklung ist
ja dramatischer: Ein offener Blick ins Alltagsleben kann
Ihnen das auch plastisch deutlich machen. Wer sehen will,
der kann es sehen, und wer hören will, der kann es auch
hören.

Jüngst drückte eine wirklich freundliche Verkäuferin in
einem großen Warenhaus den vorbeieilenden Kunden
– einer davon war ich – eine eindrucksvolle Werbebro-
schüre in die Hand. Darin wurden kosmetische Produkte
angepriesen: Für die Herren … – nein, so stand das da
nicht drin, sondern: „for men – shaving foam bath soap“
und „for women – soft cleansing emulsion, peach and ho-
ney mask“ oder „eye make-up remover pads“. Ist das ein
Einzelfall? Nein, natürlich ist das beileibe kein Einzelfall,
das ist Alltag hier im Lande. Tagtäglich begegnet uns das.
Heute flatterte mir auf meinen Schreibtisch – es kommt ja
viel Werbung in unseren Abgeordnetenbüros an – eine
hochelegante Einladung zur Präsentation der „spring
summer collection“ eines Modehauses auf den Tisch.


(Dr. Peter Eckardt [SPD]: Da gehen Sie doch hin, oder?)


Ein Flugschein? Nein, das „passenger ticket and bag-
gage check“ lässt sich für den, der des Englischen nicht
mächtig ist, nur mithilfe eines Dolmetschers entschlüsseln
und auch die Werbung auf der Flugscheinhülle preist eine
Uhrenmarke als „instruments for professionals“. Deutsch-
sprachige Erläuterung dazu – absolute Fehlanzeige.

Meine lieben Kollegen, einander verstehen zu können,
dient dem friedlichen Miteinander, es dient der freund-
schaftlichen Kontaktpflege, es dient auch der kritischen
Auseinandersetzung. Aber dieses Verstehen beginnt
schon im eigenen Haus, im eigenen Land, in der eigenen
Muttersprache. Denn am Anfang war wirklich das Wort.
Man darf nicht Augen und Ohren davor verschließen, dass
heute durch Werbung und mangelhafte deutsche Produkt-
beschreibung Millionen von Menschen vom Dialog im ei-
genen Heimatland ausgegrenzt sind, da dieser nicht mehr
muttersprachlich geführt wird. Sie werden zu sprachli-
chen Analphabeten im eigenen Lande gemacht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wer kein Englisch gelernt hat, versteht das Hinweis-

schild „fasten your seat belt“ in einem Taxi eben nicht und
hat doppeltes Pech, wenn er auf einen Taxifahrer trifft, der
wiederum kaum Deutsch versteht und spricht. Wenn tech-
nische Alltagsgeräte wie Radio, Fernseher oder Videore-
korder mit „On“ bzw. „Off“ ein- oder ausgeschaltet wer-
den müssen, ist mancher Verbraucher nur noch mithilfe
der Gebrauchsanweisung in der Lage, diese oder andere
wichtige Tasten wie „Timer“, „Reverse“ usw. zu drücken
und dabei zu wissen, was er damit auslöst – wobei die
deutschsprachige Anweisung nicht selten erst auf den hin-
tersten Seiten unter ferner liefen zu finden ist.

Es ist mehr als eine Zumutung, muss ich Ihnen sagen,
wenn die ältere Dame beim Einkauf im Supermarkt die
Duftnote von Teelichtern erschnüffeln muss, weil sie
nicht weiß, dass Strawberry Erdbeere oder Blueberry
Blaubeere heißt. Das ist eine Entwürdigung von Men-
schen und das ist zutiefst unsozial.


(Beifall bei der CDU/CSU)


So arrogante Bemerkungen wie „Die Enkelkinder könn-
ten ja der Oma erläutern, was Sache ist“, erinnern mich fa-
tal an die Aussage: Kinder, klärt eure Eltern auf.

So findet tagtäglich soziale Ausgrenzung von Men-
schen statt. Das Tragische ist: Viele von diesen Menschen
wagen kaum zu sagen, dass sie einen Teil ihres Spra-
chenalltags überhaupt nicht mehr verstehen. Zugewan-
derte, die sich zunächst mühsam in der deutschen Sprache
zurechtfinden müssen, werden so noch etwas mehr aus
unserer Gesellschaft ausgegrenzt.

Diese Entwicklung über Jahrzehnte drängt unzählige
Menschen im Lande in die Ecke. Sie können in Bezug auf
das Sprachverständnis nicht mehr mithalten. Zu Deutsch-
lands Sprachenalltag muss man am Ende mit Shakespeare
sagen: „Sie sind auf einem großen Schmaus von Sprachen
gewesen und haben sich die Brocken gestohlen.“ Damit
zerstört Deutschland tatsächlich seine Muttersprache. Der
Autor in der „FAZ“ hatte Recht.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421212700
Für die
SPD-Fraktion spricht der Kollege Dr. Peter Eckardt.


Dr. Peter Eckardt (SPD):
Rede ID: ID1421212800
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Ich werde mich mit dem
Problem der Anglizismen nicht auseinander setzen, weil
es dann vielleicht Lacher wegen meiner Aussprache des
Englischen gäbe. Aber ich denke, der geschätzte Bamber-
ger Sprachwissenschaftler Glück, der sich heute in der
„FAZ“ – zeitgerecht für Sie, Herr Lammert – geäußert hat
– in einem etwas holprigen Deutsch, vielleicht auch etwas
zu langatmig –, will nicht bestreiten – das hat er mit sei-
nem Aufsatz in der „FAZ“ auch nicht beabsichtigt –, dass
die deutsche Sprache nicht nur eine wichtige Kultur- und
Verkehrssprache ist, die noch immer von weit mehr als
100 Millionen Menschen in Europa und in der Welt ge-
sprochen wird, sondern anerkanntermaßen auch eine
wichtige Wissenschaftssprache, die seit der Gründung
deutscher Universitäten neben Latein über Jahrhunderte
gelehrt und gelernt wurde und wird.

Da ich mich nicht in der Lage sehe, etwas zu beschö-
nigen, muss auch erwähnt werden: Ihre Bedeutung ist
weltweit zurückgegangen. Ich kann aber nicht erkennen,
dass die jetzige Regierung in Berlin in irgendeiner Form
Schuld daran trägt, und ich kann auch nicht erkennen,
dass die Regierung alles schönredet, wie das im „FAZ“-
Artikel behauptet wird. Die Überschrift „Deutschland
zerstört seine Muttersprache“ ist unangemessen. An den
Hochschulen – nicht nur in Deutschland, sondern auch in
vielen anderen Ländern – wird in unserer Sprache nicht
nur gesprochen, sondern auch in deutscher Sprache ge-
lehrt und es werden Forschungsergebnisse in deutscher
Sprache veröffentlicht. Die Tendenz ist trotz gegenteiliger
Meinungsäußerungen teilweise steigend, erfreulicher-
weise besonders in Osteuropa und Südostasien. Deutsch
ist neben Russisch die auch in den Lehrveranstaltungen
der Hochschulen Europas von den Studierenden am meis-
ten gesprochene und geschriebene Muttersprache.




Erika Steinbach

20993


(C)



(D)



(A)



(B)


Es ist richtig, die Bedeutung der deutschen Sprache als
Wissenschaftssprache ist zurückgegangen, von der Auf-
klärung bis weit in das 20. Jahrhundert hinein ganz all-
mählich. Mir hat noch niemand gesagt, welche Möglich-
keiten es gibt, diesen Prozess aufzuhalten. Konnte
Humboldt vor 180 Jahren noch unwidersprochen definie-
ren: „Gebildet ist, wer Latein spricht“ – wobei er unter-
stellte, dass natürlich auch Deutsch gesprochen wurde –,
gilt heute die Definition: „Weltoffen ist, wer gut Englisch
spricht“ – natürlich unterstellt, dass man dann auch gut
Deutsch sprechen kann.

Der Rückgang des Deutschen beschleunigte sich erst
– da hat Herr Glück Recht – mit dem Bedeutungsverlust
der Wissenschaft in Deutschland während der 30er-Jahre
in der Nazizeit und ist keine aktuelle Entwicklung, aber
eine Entwicklung, unter der wir noch heute leiden.
Während Thomas Mann auch im Exil in deutscher Spra-
che geschrieben hat, haben Wissenschaftler – im Wesent-
lichen im naturwissenschaftlichen Bereich – und andere
Schriftsteller während ihres Exils des Überlebens wegen
oft die Sprache wechseln müssen, um überhaupt gehört zu
werden.

Wenn ich aber aus der Großen Anfrage der CDU/CSU
herauslese, dieser Prozess habe sich erst in den letzten
Jahren beschleunigt, so liegt diese Einschätzung neben
der Realität. Wenn in dieser Anfrage intendiert wird, dass
es politisch möglich sein könne, durch Sprachschutzge-
setze, Quoten, Gerichtsurteile oder andere Restriktionen
die deutsche Sprache zu retten, sie gar wieder zu einer
Weltumgangssprache zu machen, dann ist dies eine wis-
senschaftliche Fehleinschätzung. Am Bedeutungsverlust
des Französischen in der Welt und in Europa kann man ab-
lesen, wie trotz der Schutzgesetze und Förderprogramme
dieser Prozess nicht aufzuhalten war.

Eine schnelle und über Grenzen hinweg geführte Kom-
munikation, meist auf elektronischem Wege, zwingt heute
gerade zu einer gemeinsamen Sprache der Kommunika-
tion und lässt wenig Platz für andere als lateinische Buch-
staben und wenig Raum für andere Sprachen als Eng-
lisch.Wir als Deutsche werden akzeptieren müssen, dass
in technischen und ingenieurwissenschaftlich gestützten
Kommunikationen auch in der Zukunft ausschließlich in
Englisch gesprochen und geschrieben wird. Wir sollten
uns bei unseren Bildungskonzepten darauf einstellen.

Diese Entwicklung sollte auch nicht aufgehalten wer-
den, garantiert sie doch eine länderübergreifende Zusam-
menarbeit, die allen Ländern Chancen und Erfolge bringt.
Unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind
nämlich auf Kommunikation, Kooperation und Austausch
angewiesen, nicht die anderen auf uns. Mit mehreren Ge-
setzen zur Förderung des Wettbewerbs und der Leis-
tungsfähigkeit und finanziell gestützten Programmen hat
diese Regierung diesen wissenschaftlichen Austausch,
der uns allen nützt, wieder in Schwung gebracht. Sie hat
damit mehr getan, als möglicherweise durch Gesetze, die
unsere Sprache schützen sollen, erreicht werden könnte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Was sollten wir weiter tun, um die deutsche Sprache in
der Wissenschaft zu fördern? Das Lehren und Lernen von
Sprachen im Tandem und eine leistungsfähige Überset-
zungskunst verbessern trotz der Allgegenwart von Eng-
lisch nicht nur die Internationalität von Wissenschaft, son-
dern nützen der deutschen Sprache und Wissenschaft
gleichermaßen. Auf diese Aufgaben sollten wir uns bil-
dungspolitisch konzentrieren. Dann können wir auch wei-
terhin sicher sein, dass in den Geisteswissenschaften und
in den literaturbezogenen Bereichen die Kommunikation
in deutscher Sprache weltweit zukünftig nicht nur erhal-
ten wird, sondern noch ausbaufähig ist.

Voraussetzung für die Entwicklung ist die Förderung
der deutschen Sprache im Ausland, dort, wo sie gepflegt
wird, damit die Kenntnisse nicht über zwei Generationen
abreißen, was das große Problem ist. Diese Kontinuität ist
in einigen Ländern Südamerikas und Asiens gefährdet. Es
versteht sich wissenschaftspolitisch von selbst, dass die
Finanzmittel hierfür nie genügen können.

Vor 150 Jahren wurden – so habe ich gelesen – noch
viele Lehrveranstaltungen an berühmten europäischen
Universitäten vollständig in deutscher Sprache gehalten.
Die Zeiten, als in Coimbra in Portugal, in Dorpat in Est-
land und in Prag ausschließlich in deutscher Sprache ge-
lehrt wurde und die Medizinstudenten Anatomie aus deut-
schen Lehrbüchern lernten, sind natürlich längst vorbei.
Man kann, ohne Prophet zu sein, sagen: Sie werden auch
nicht wiederkommen. Aber zarte deutsche Sprachpflan-
zen auch außerhalb der Germanistik blühen an den aus-
ländischen Universitäten, die Lehrveranstaltungen in
deutscher Sprache anbieten und in deutscher Sprache pu-
blizieren.

In dem von vielen für die Wissenschaft überschätzten
Internet spielt die deutsche Sprache ebenfalls kein Schat-
tendasein, was Sie gut beobachten können, wenn Sie sich
dieses Mediums bedienen.

Aber ich bin sicher, dass die deutsche Sprache auch
zukünftig eine wichtige Rolle in der Wissenschaft spielen
wird. Sie muss lediglich vor Politikern und Journalisten
geschützt werden, die ihr oft arg mitspielen. Vielleicht ist
die Reihenfolge eine andere als die, die ich gerade ge-
nannt habe.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421212900
Für die
FDP-Fraktion spricht der Kollege Gerhard Schüßler.


Gerhard Schüßler (FDP):
Rede ID: ID1421213000
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Essen Sie gerne Äp-
fel? Wenn ja und wenn Sie heute Mittag zufällig im Res-
taurant gewesen sein sollten, haben Sie sich sicherlich
über die dort kostenlos dargebotenen Äpfel aus Südtirol
gefreut. Wenn Sie sich einen solchen Apfel genauer ange-
sehen haben, dann haben Sie auf jedem einen Aufkleber
bemerkt, der wohl Aufschluss über den Namen der Ap-




Dr. Peter Eckardt
20994


(C)



(D)



(A)



(B)


felsorte geben soll. Wohlgemerkt: Der Apfel kommt aus
Südtirol. Er hat aber weder einen italienischen noch einen
deutschen Namen, sondern er heißt „Pink Lady“.


(Heiterkeit im ganzen Hause – Monika Griefahn [SPD]: So sieht er aber nicht aus!)


Hier haben Sie exemplarisch das, worum es heute ei-
gentlich geht. Im weltweiten Sprachenwettbewerb liegt
die englische Sprache ganz klar vorn. Diese Erkenntnis
verdanken wir allerdings nicht der Großen Anfrage der
CDU/CSU-Fraktion und deren Beantwortung durch die
Bundesregierung. Mit dieser Erkenntnis schlagen sich
Kulturpolitiker und ganze Heerscharen von Sprachwis-
senschaftlern seit geraumer Zeit herum. Doch die manch-
mal künstliche, manchmal wissenschaftlich fundierte Er-
regung über diesen Umstand ist zwar wohlfeil, geht aber
nach meiner Überzeugung in die falsche Richtung.

Wenn wir im Wettbewerb der Sprachen stehen, sollten
wir uns nicht über Anglizismen in der deutschen Sprache,
über die auch ich mich zugegebenermaßen oft ärgere, und
auch nicht über das so genannte „Denglisch“, wie man
sarkastischerweise sagt, ereifern. Wir müssen uns viel-
mehr fragen, welche Rolle die deutsche Sprache im In-
und insbesondere im Ausland in Zukunft spielen soll und
wie wir dieses Ziel erreichen wollen.


(Beifall bei der FDP)

Zwei Dinge sollten uns bei dieser Diskussion von vorn-

herein klar sein:
Erstens. Die deutsche Sprache hatte nicht zuletzt we-

gen der politischen Situation nach dem Dreißigjährigen
Krieg zu keinem Zeitpunkt seit dem 17. Jahrhundert
Chancen, als Weltsprache mit dem Englischen oder dem
Französischen zu konkurrieren. Deshalb sollten wir auch
heutzutage nicht versuchen, dem Englischen den ersten
Rang in der Riege der Sprachen der Welt streitig zu ma-
chen.

Zweitens. Für jeden Kulturstaat ist die eigene Sprache
die wesentliche Basis seines Selbstverständnisses. Hier
sind erhebliche Versäumnisse von Schulen und in Son-
derheit auch von Medien festzustellen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es kann schon grausam sein, die Sprache mancher Mode-
ratoren im deutschen Fernsehen „genießen“ zu müssen.
Die deutsche Sprache ist nämlich unmittelbar verbunden
mit dem Ansehen Deutschlands in der Welt als Land der
Dichter und Denker, mit den hervorragenden Zeugnissen
des 19. und 20. Jahrhunderts und mit den wissenschaft-
lichen Höchstleistungen deutscher Universitäten um die
Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert.

Erfreulich ist, dass seit der Wiedervereinigung
Deutschlands die bis zu diesem Zeitpunkt vorhandene
eher rückläufige Tendenz in Bezug auf die Verbreitung
der deutschen Sprache in der Welt umgekehrt wurde. Die
Position der deutschen Sprache wurde seitdem nicht nur
gefestigt, sondern auch ausgebaut. Insbesondere in den
Staaten Mittelosteuropas bis hin nach Russland erfreut
sich die deutsche Sprache, die dort einmal Lingua franca

war, wieder großer Beliebtheit. Dass dies so ist, ist zum
Großteil das Verdienst des Goethe-Instituts – mittlerweile
Goethe-Institut Inter Nationes –, das wirklich uner-
müdlich an der Verbreitung unserer Muttersprache in die-
sen Ländern arbeitet. Wenn Sie sehen, welche Aktivitäten
trotz knapper werdender Mittel entfaltet worden sind,
dann können Sie vor dieser Leistung nur den Hut ziehen.

Aber nicht nur dort, wie es sich dem jüngsten Bericht
des Goethe-Instituts Inter Nationes entnehmen lässt, wird
die deutsche Sprache im Ausland gefördert. Die Men-
schen unterschiedlichster Nationalität und Herkunft ler-
nen Deutsch bei „Goethe“. Damit – das sei an dieser Stelle
einmal deutlich gesagt – erfüllen die Mitarbeiter des
Goethe-Instituts Inter Nationes nicht nur ihre Pflicht, son-
dern sie leisten im wahrsten Sinne des Wortes Dienst am
Vaterland.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gerade für Deutschland ist es wichtig, dass andere
Menschen unsere Sprache erlernen und dadurch Kennt-
nisse über unser Land und seine Menschen erlangen. Bei-
des ist Voraussetzung dafür, aktuelle Informationen über
Deutschland aufzunehmen und richtig zu verwerten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dem gerade aus dem Amt verabschiedeten Hilmar
Hoffmann und all seinen Mitarbeitern möchte ich in die-
sem Zusammenhang auch im Namen der FDP-Bundes-
tagsfraktion nochmals Dank und Anerkennung für diese
Arbeit aussprechen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Zum Schluss möchte ich auf die Debatte von heute

Morgen zur auswärtigen Kulturpolitik hinweisen. Die
Verbreitung der deutschen Sprache im Ausland leidet un-
ter Sparmaßnahmen bei den Mittlerorganisationen,
liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen. Zu
Zeiten der Regierung Kohl haben wir noch ein Sonder-
programm für die deutsche Sprache mit einem Volumen
von 40 Millionen DM aufgelegt. Davon ist heute keine
Rede mehr. Aber die diesbezüglichen Vorwürfe hat Herr
Hoffmann an die Adresse der Bundesregierung im Rah-
men seiner Abschiedsrede in der vergangenen Woche in
München erneut vorgetragen. Die Vorwürfe waren ein-
deutig. Nur scheint dies bei der Bundesregierung und den
Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen nicht ge-
fruchtet zu haben. Für die deutsche Sprache im Ausland
und das Ansehen Deutschlands in der Welt ist das außer-
ordentlich bedauerlich.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle begegnen
täglich vielen Menschen. Wir sprechen mit ihnen und hal-
ten Reden in mehr oder weniger vollen Sälen. Wir als Ab-
geordnete des Deutschen Bundestages sind in Sonderheit
aufgerufen, einen sorgsamen Umgang mit unserer Spra-
che zu pflegen und ihre Markierungen und manipulieren-
den Verkleidungen zu enthüllen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)





Gerhard Schüßler

20995


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1421213100
Ich gebe
dem Staatsminister Dr. Ludger Volmer das Wort.

D
Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421213200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Spra-
chenpolitik bestimmt nicht die Schlagzeilen, sie ist aber
gewichtiger Teil einer auswärtigen Kultur- und Bildungs-
politik, die – so unterstrich Bundespräsident Rau in seiner
Neujahrsansprache vor dem Diplomatischen Corps –
nicht weniger ist als „die beste zivile Krisenprävention“.
Förderung von Mehrsprachigkeit ist Kernelement einer
solchen Politik. Dies gilt besonders im europäischen Kon-
text. Mehrsprachigkeit hilft, die europäische Integration
auf ein festes kulturelles Fundament zu stellen. Nur wenn
alle Sprachen in der EU geachtet werden, wird diese zur
Heimat für die Bürgerinnen und Bürger.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Mit dem „Europäischen Jahr der Sprachen“ in 2001
sollte bewusst gemacht werden, welch entscheidende
Rolle Mehrsprachigkeit für Europas Zukunft spielt. Die-
ses Ziel, engagiert unterstützt durch die Bundesregierung,
wurde dank zahlreicher öffentlichkeitswirksamer Projek-
te erreicht. Allein in Deutschland haben über 1 000 Ver-
anstaltungen stattgefunden, von Sprachenfestivals bis zu
Konferenzen, von Wettbewerben bis zu Theaterwochen.

Förderung von Mehrsprachigkeit bedeutet zunächst,
dass wir Deutschen mehr Sprachen lernen sollten. Wir
können nur dann glaubwürdig für die deutsche Sprache
im Ausland werben, wenn wir selbst Fremdsprachen ler-
nen. In allen Bundesländern beginnt der Fremdsprachen-
unterricht mittlerweile bereits in der Grundschule. Dieser
frühe Beginn ist nicht nur pädagogisch sinnvoll, er ermög-
licht es auch, eine zweite Fremdsprache auf breiter Basis
einzuführen. Heute haben wir erlebt, Frau Steinbach, wie
Sie sich um die Förderung der russischen Sprache – „po-
temkinsche Dörfer“ – im Bundestag verdient gemacht ha-
ben. Auch das ist zu begrüßen.

Mehrsprachigkeit bedeutet auch, Fremdsprachen, na-
mentlich Englisch, stärker an unseren Bildungseinrich-
tungen zu etablieren. Englisch dominiert zusehends die
Wissenschaft, auch wenn Deutsch insbesondere in den
philosophischen Fächern noch bevorzugt wird. Das In-
ternet verstärkt die Dominanz des Englischen weiter, ohne
dass dort allerdings das Deutsche verschwindet. Den
Wettbewerb um die besten Köpfe können wir also nur er-
folgreich bestreiten, wenn wir jungen Menschen aus aller
Welt die Chance geben, an unseren Schulen und Hoch-
schulen auf Englisch zu studieren.


(Beifall der Abg. Angela Marquardt [PDS])

Im Rahmen des Programms „International ausgerich-

tete Studiengänge“ fördert die Bundesregierung deshalb
mit 35 Millionen Euro 52 Studiengänge, in denen ver-
stärkt Englisch verwendet wird. So lässt sich Deutschland
als Wissenschaftsstandort attraktiv erhalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und bei der PDS)


Dies kann umgekehrt aber auch erleichtert werden,
wenn Schüler und Studenten die deutsche Sprache in
ihren Heimatländern erlernen. Gerade dann werden sie
den Wunsch haben, ihre Kenntnisse an einer deutschen
Hochschule zu vertiefen. Eine wichtige Aufgabe ist also
die Förderung der deutschen Sprache im Ausland. Wo
Deutsch gelehrt und gelernt wird, genießen wir einen
Sympathievorschuss, der sich in kulturellem Austausch,
politischen Verhandlungen oder wissenschaftlichen Inves-
titionen positiv auswirkt. Hier spielen übrigens auch all
die Deutschstämmigen, die die Sprache konservieren
und weitergeben, eine wertvolle Rolle, auch wenn ihr ei-
genes Deutschlandbild hier und da einer Modernisierung
bedarf.

Wir alle sind uns, wie ich meine, vollkommen darüber
einig, welchen Stellenwert die Deutschförderung im Aus-
land gerade im Zeitalter der Globalisierung hat. Deutsch
gehört nach wie vor zu den bedeutendsten und attraktivs-
ten Sprachen. Etwa 91 Millionen Menschen sprechen
Deutsch als Muttersprache. Schätzungen gehen von bis zu
55 Millionen weltweit aus, die Deutsch als Zweitsprache
gelernt haben. Ein Zentrum liegt in Mittel- und Osteuropa
und in den GUS-Staaten. Hier steht Deutsch nach Eng-
lisch an zweiter Stelle. Allein in Russland lernen knapp
4 Millionen Schüler Deutsch.

Es gibt aber auch gegenläufige Tendenzen: In wichti-
gen Partnerstaaten, wie Frankreich und den Niederlanden,
ist die Zahl der Deutschlernenden rückläufig oder nimmt
die Intensität des Unterrichts ab.

Um Verbreitung, Pflege und Vermittlung der deutschen
Sprache auf dem immer wichtiger werdenden elektroni-
schen Wege macht sich zum Beispiel auch die Deutsche
Welle verdient. Sie präsentiert ein weltweites Fernseh-,
Radio- und Internetangebot, das von der Bundesregierung
in 2001 mit etwa 290 Millionen Euro finanziert wurde.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie nehmen die Mittel aber immer weiter zurück! Warum kürzen Sie denn ständig die Mittel, Herr Staatssekretär? Sie sind ein Verschweiger!)


Deutsche Welle, ARD und ZDF haben gemeinsam und
unterstützt durch die Bundesregierung einen weiteren
wichtigen Schritt getan und präsentieren seit Beginn die-
ses Jahres einen eigenständigen deutschen Kanal
zunächst auf dem amerikanischen Markt, also ein Pro-
gramm ausschließlich in deutscher Sprache.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dies geschieht übrigens auf der Basis des Pay-TV; des-
halb können die staatlichen Zuschüsse auch reduziert
werden.

Die Bundesregierung hat im letzten Haushaltsjahr ihr
elementares Interesse an der Förderung der deutschen
Sprache unter Beweis gestellt und über 240 Millio-
nen Euro für entsprechende Programme ausgegeben.
Mehr als 40 Prozent des Kulturhaushalts des Auswärtigen
Amtes stehen damit in Verbindung. Zu nennen sind die
Ausbildung von Deutschlehrern, die Entsendung von
Lehrern und DAAD-Lektoren, die Sprachkurse an






(C)



(D)



(A)



(B)


Goethe-Instituten und – besonders wichtig – die Förde-
rung der deutschen Sprache in den mittel- und osteuro-
päischen Ländern. Hauptzielgruppe sind die aktuellen
und künftigen Führungsschichten in Politik und Gesell-
schaft.

Parallel dazu versucht das Auswärtige Amt, die Effi-
zienz der Programme zu steigern. So versuchen wir ge-
meinsam mit den Goethe-Instituten, die Anzahl defizitä-
rer Sprachkurse dort abzubauen, wo ein vergleichbares
kommerzielles Angebot besteht. Auch in diesem Zusam-
menhang danke ich Hilmar Hoffmann für seine kritische
Kooperation.

Die Stellung der deutschen Sprache in den EU-Insti-
tutionen wird zu Recht häufig thematisiert. Die Bundes-
regierung legt großen Wert darauf, dass Deutsch als die
Sprache mit der größten Zahl an Muttersprachlern in der
EU – sie ist im Internet übrigens die am zweithäufigsten
benutzte europäische Sprache – in den Institutionen ange-
messen berücksichtigt wird. Die Bundesregierung wendet
sich mit Nachdruck gegen eine Veränderung des Spra-
chenregimes in den verschiedenen EU-Gremien zu Un-
gunsten der deutschen Sprache. Aufgrund eines gemein-
samen Schreibens von Bundesminister Fischer und
seinem französischen Kollegen Védrine an den Kommis-
sionspräsidenten Prodi wurden Pläne verworfen, das im
Kollegium der Kommission geltende bewährte Dreispra-
chenregime zu ändern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das Auswärtige Amt hat außerdem die Zahl der
Deutschkurse für EU-Mitarbeiter und für mit EU-Fragen
befasste Beamte aus den Beitrittsländern deutlich ver-
größert. Ich möchte mich in diesem Zusammenhang bei
den Ländern für die hervorragende Kooperation auf all
diesen Gebieten ausdrücklich bedanken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, Sprache ist lebendig, Spra-
che wächst in der Bevölkerung, Sprache ist nicht regle-
mentierbar. Von daher wäre es unsinnig, zu versuchen, sie
in ein starres Gesetzeskorsett zu packen.

Dennoch weiß die Bundesregierung um die Wichtig-
keit der Mehrsprachigkeit und der Förderung des Kultur-
gutes deutsche Sprache für den weltweiten interkulturel-
len Dialog, für die Globalisierung und die europäische
Integration. Ich versichere Ihnen: Sie wird sie auch wei-
terhin kraftvoll fördern.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421213300
Ich erteile
der Kollegin Maritta Böttcher für die Fraktion der PDS
das Wort.


Maritta Böttcher (PDS):
Rede ID: ID1421213400
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Ich halte jegliche Pflege
des Fremdsprachenunterrichts, auch wenn er seine Divi-
dende nicht in Euro und Cent ausweisen kann, für eine der
wichtigsten Zukunftsinvestitionen.


(Beifall bei der PDS)

Das Erlernen der Sprache des Fremden führt dazu, dass

er dies nicht mehr ist. Das bestätigt durchaus die Intention
der Fragesteller – Verbesserung der Vermittlung der deut-
schen Sprache im Ausland –, macht aber erst richtig Sinn,
wenn auch wir es uns in gleicher Weise als selbstver-
ständlich auferlegen, in mindestens einer Fremdsprache
zur Konversation fähig zu sein.


(Beifall bei der PDS)

Ein Mehr an Verständigung in der Welt hängt also nicht

ursächlich von einem Mehr an Verständnis des Deutschen
in dieser ab. Es mag für Sprachforscher oder Soziologen
von Wert sein, zu ergründen, warum in den großen Indus-
triestaaten das Interesse am Deutschlernen nachgelassen
hat. Politischen Handlungsbedarf sehe ich deshalb nicht.

Nicht richtig nachvollziehen kann ich das unter-
schwellige Bedauern, Englisch als die Schlüsselsprache
des jüngsten Mediums Internet akzeptieren zu müssen.
Dass das so ist, hat doch leicht erklärbare Gründe, die ab-
solut nichts mit einer Herabsetzung der eigenen Sprache
oder gar des Selbstwertgefühls zu tun haben. Folglich be-
darf es auch keiner nationalen Anstrengung, dies etwa zu-
gunsten des Deutschen zu verändern.

Auch die Befürchtung, das Deutsche leide an Über-
fremdung, etwa durch eine Inflation von Anglizismen,
teile ich nicht, selbst wenn ich einer solch durch und durch
subjektiven Einschätzung folgen würde. Der Gebrauch
von Fremdwörtern im eigenen Vokabular steht doch je-
dem frei. Sprache ist nun einmal – hier möchte ich aus-
drücklich Herrn Ludger Volmer Recht geben – ein leben-
diger Organismus, der sich ständig verändert und keiner
Art von Sprachpolizei bedarf.

Wenn ich etwas mit Sorge und Bedauern sehe, dann in
einer ganz anderen Richtung: Deutsche Sprache und Spra-
che in Deutschland sind nicht das Gleiche. Zu Frage 59
erklärt die Regierung:

Bund und Länder gewährleisten durch die Über-
nahme von konkreten Verpflichtungen den Schutz
der Minderheitensprachen Dänisch, Ober- und Nie-
dersorbisch, Nord- und Saterfriesisch ... sowie des
Romanes ...

Sie trägt damit
in besonderem Maße zum Erhalt der Sprachenviel-
falt in Europa bei.

Wer sich erinnert, welches Tauziehen in den parlamenta-
rischen Gremien erforderlich war, um beispielsweise die
ohnehin nicht üppigen Mittel der Einrichtungen zur
Pflege des Sorbischen für ein weiteres Jahr zu sichern,
wird dies gewiss differenzierter sehen.


(Beifall bei der PDS)





Staatsminister Dr. Ludger Volmer

20997


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich möchte noch einmal darauf zurückkommen,
warum ich es für so wichtig halte, dass wir Deutschen im
Ausland die deutsche Sprache lehren. Wir sollten dabei
über die zu vermittelnde Vokabel hinaus nach dem Text
fragen, den wir in der Weise ins Ausland transportieren
sollten, dass er uns Freundschaft, Vertrauen und Zuwen-
dung einbringt. Es ist nicht so, dass wir Deutschen das
nicht nötig hätten. So möge unsere Sprachvermittlung den
nahen und fernen Nachbarn durchaus zu mehr als zur
sachgerechten Erstellung von Beipackzetteln und Ge-
brauchsanweisungen nützlich sein, obzwar wir wissen,
dass das Ausland gerade dieser deutschen Sprachförde-
rung oft am dringlichsten bedarf.

Nein, es sollte mehr sein. Wir sollten den Anspruch ha-
ben, die Sprache von Goethe und Herder, von Mann und
Brecht als die unsere zu deklarieren. Dies gilt gerade für
Brecht; denn so lange ist es noch nicht her, dass die Völ-
ker erbleichten, wenn Deutsch gesprochen wurde. Die
Bundesregierung erinnert in ihrer Antwort auf Frage 6 da-
ran, indem sie feststellt:

Unbestritten ist, dass der Zweite Weltkrieg und der
Holocaust einen erheblich negativen Einfluss – mit
Nachwirkungen bis in die heutige Zeit – auf die Wert-
schätzung der deutschen Sprache in der Welt hat.

Das ist nur zu wahr. Das hat zum Beispiel auch dazu
geführt, dass uns die, gemessen am sonstigen Anspruch,
recht bescheidenen Beiträge des Deutschen zum Wort-
schatz anderer Sprachen in besonderer Weise ins Ge-
dächtnis gebrannt sein sollten. So sprechen auch heute
noch Franzosen von „le blitzkrieg“, Russen sagen „La-
ger“ und meinen ein ganz bestimmtes und das Wort „End-
lösung“ bedarf in Israel keiner Übersetzung.

Mögen die Worte, die andere Völker in diesem Jahr-
hundert unserer Sprache entlehnen, gänzlich anderen
Charakters sein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS sowie des Abg. Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD])



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421213500
Nun spricht
der Staatsminister im Kanzleramt, Professor Dr. Julian
Nida-Rümelin.

D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421213600
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen
und Herren! In der Großen Anfrage ist unter Punkt 33 ge-
fragt worden:

Teilt die Bundesregierung die Aussage des ... Staats-
ministers ... Nida-Rümelin ..., das Deutsche sei als
Wissenschaftssprache „tot“, und den in diesem Zu-
sammenhang vom Staatsminister geäußerten Rat an
angehende Wissenschaftler, auf Englisch zu publi-
zieren?

Diese Frage enthält zwei Unterstellungen, die nach-
weislich – weil nämlich erfreulicherweise von dieser Ver-
anstaltung ein Tonbandprotokoll existiert – falsch sind.

Ich sage das deshalb, weil mir aufgefallen ist, dass die
zurückhaltende Antwort, die die Bundesregierung auf

diese Frage formuliert hatte, offenbar nicht ausgereicht
hat, um diese beiden Unterstellungen aus der Welt zu
schaffen. Wer heute in die Presse schaut, wird das be-
stätigt finden.

Ich habe erstens nicht gesagt, dass Deutsch als Wis-
senschaftssprache tot sei, sondern ich habe ausweislich
des Tonbandprotokolls auf dieser Veranstaltung gesagt
– das ist leider ein Faktum –, dass Deutsch als internatio-
nales Verständigungsmittel in der Wissenschaft ebenso
wie das Französische unterdessen bei rund 1 Prozent an-
gelangt sei und dass es unrealistisch sei, zu glauben, man
könne dies wieder grundlegend ändern.


(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ganz was anderes!)


Zweitens habe ich darauf hingewiesen, dass man sich
an der jüngeren Generation von Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern in Deutschland versündigen würde,
wenn man ihnen den Rat erteilen würde, nicht auch auf
Englisch zu publizieren, weil sie nur so ein internationa-
les Renommee aufbauen können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wir können über vieles streiten, sollten uns aber nicht
wechselseitig Aussagen unterstellen, die so nicht geäußert
worden sind.

Ich darf noch einen Satz hinzufügen. Als ich – von
1994 bis 1997 – Präsident der Gesellschaft für Analy-
tische Philosophie war, habe ich die Praxis geändert, dort
internationale Kongresse lediglich in englischer Spra-
che abzuhalten, und dafür gesorgt, dass diese Kongresse
zweisprachig, nämlich in deutscher und englischer Spra-
che, abgehalten werden.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421213700
Nun erteile
ich dem Kollegen Norbert Lammert für die CDU/CSU-
Fraktion das Wort.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1421213800
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Erst mit der Sprache
geht die Welt auf“ – dieser wahrhaft erhellende Satz von
Hans-Georg Gadamer findet sich weder im Text der
Großen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion noch in der Ant-
wort der Bundesregierung.


(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Er markiert aber die Grundorientierung, die unserer An-
frage zugrunde liegt. Denn das Europäische Jahr der
Sprachen, das für 2001 ausgerufen wurde, ist zwar ge-
wissermaßen der äußere Anlass, selbstverständlich aber
kein hinreichender Grund für diese Große Anfrage gewe-
sen. Tatsächlich gibt es gute Gründe, gemeinsam über die
Bedeutung und den Stellenwert der deutschen Sprache
nachzudenken und dort, wo Defizite deutlich geworden




Maritta Böttcher
20998


(C)



(D)



(A)



(B)


sind, zu wirksamen Maßnahmen zu kommen. Denn bei
der Sprache reden wir über eine der wesentlichen, unauf-
gebbaren Grundlagen des Gemeinwesens Bundesrepublik
Deutschland und ganz gewiss der Kultur unseres Landes.

Es ist das erste wichtige Motiv gewesen, dies durch die
Große Anfrage stärker in den Blickpunkt unserer Auf-
merksamkeit zu rücken. Der zweite, eher handfeste Grund
ist das immer größer werdende Missverhältnis zwischen
der wachsenden Bedeutung Deutschlands sowohl poli-
tisch als auch wirtschaftlich und dem zurückgehenden In-
teresse an der deutschen Sprache.

Damit an dieser Stelle keine Missverständnisse entste-
hen: Die Erklärung, die Staatsminister Nida-Rümelin ge-
rade abgegeben hat, nehme ich nicht nur mit Respekt zur
Kenntnis. Ich füge vielmehr hinzu: Ich habe an dem, was
er gerade zur Erläuterung des Sachverhalts vorgetragen
hat, nichts zu beanstanden. Das ist die nüchterne Be-
schreibung der Lage.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich wünsche mir allerdings, dass das, was er an einem
kleinen Beispiel aus seinem eigenen, früheren Verantwor-
tungsbereich dargestellt hat, zu einer selbstverständliche-
ren Übung deutscher Wissenschaftler und Politiker bei in-
ternationalen Konferenzen würde, auf denen man nicht
immer die eigene Intelligenz durch den Nachweis nicht
immer glanzvoller englischer Sprachkenntnisse spazieren
führen muss.

Es gibt einen dritten Punkt, der eine intensive Beschäf-
tigung mit der Verbreitung und der Situation der deutschen
Sprache mindestens rechtfertigt, wenn nicht sogar dring-
lich macht. Das ist die Rolle der Sprache als Instrument der
Integration, ein, wie wir auch aus anderen thematischen
Zusammenhängen wissen, sehr aktuelles und prinzipielles
Problem, wenn es um das Zusammenleben von Deutschen
und Nichtdeutschen in Deutschland geht.

Schließlich gibt es auch Anlass, sich über die Entwick-
lung der Sprache als Umgangssprache Gedanken, viel-
leicht sogar Sorgen zu machen. Ich sage bewusst: der
Umgangssprache und nicht etwa der deutschsprachigen
Literatur; denn es besteht wahrlich kein Anlass, sich im
Rahmen einer politischen Debatte über Letztere ausei-
nander zu setzen.

Aber es ist wahr – darauf hat insbesondere die Kollegin
Steinbach hingewiesen –: Gerade in der jüngeren Vergan-
genheit nimmt die Neigung zu, vorhandene, hinreichend
klare deutsche Begriffe insbesondere durch Anglizismen
zu ersetzen. Das ist oft unnötig, ärgerlich und – gelegent-
lich – schlicht albern, aber ganz gewiss nicht das zentrale
Problem der deutschen Sprache. Es wird vermutlich keine
Meinungsverschiedenheiten darüber geben, dass man
dem am allerwenigsten mit gesetzlichen Mitteln abhelfen
kann.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Wir sind dankbar, dass durch die Antwort der Bundes-
regierung eine Reihe von Zahlen und Daten zur Situation
der deutschen Sprache, ihrer Verbreitung und ihres Stel-

lenwerts vorliegt, wenn auch nicht zu übersehen ist, dass
neben den vorliegenden Zahlen manche andere nicht ver-
fügbar sind, die im Hinblick auf eine vollständige Be-
schreibung des Bildes sicherlich wünschenswert und viel-
leicht sogar dringend geboten wären.

In dem bereits mehrfach zitierten „FAZ“-Artikel wird
angesprochen, dass die Bundesregierung zwar die prinzi-
pielle Beurteilung des Stellenwertes der deutschen
Sprache bestätigt, der in unserer Großen Anfrage deutlich
wird, dass sie aber weit weniger erkennen lässt, ob sie
überhaupt und, wenn ja, an welcher Stelle Handlungsbe-
darf erkennt.

Es gibt eine gewisse Neigung – diese mag auch etwas
mit der Rollenverteilung zu tun haben –, den einen oder
anderen unerfreulichen Sachverhalt etwas schöner zu be-
schreiben, als er sich darstellt. Ich mache noch einmal da-
rauf aufmerksam: Die Möglichkeiten der Politik, hier ge-
staltend einzugreifen, sind ganz gewiss begrenzt. Aber
wer behauptet, dass es keine Möglichkeiten gebe, der un-
terschätzt die Möglichkeiten, die uns zur Verfügung ste-
hen. Wir müssen uns ganz gewiss gemeinsam bemühen,
diese zu nutzen.


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Nennen Sie mal ein Beispiel dafür, Herr Lammert!)


– Wir haben über einige Beispiele bereits heute Vormit-
tag diskutiert. Wir könnten mehr für die Auslandsschu-
len, die Sprachausbildung im Ausland und die Vermitt-
lung der deutschsprachigen Literatur tun. Insofern
schließt sich die jetzige Debatte nahtlos an die von heute
Vormittag an.

Das Fazit, das der in der Debatte mehrfach zitierte
Sprachwissenschaftler Helmut Glück in seinem Beitrag
gezogen hat, ist sicherlich bitter, und zwar nicht nur für
die Bundesregierung – insofern nehme ich die Empfeh-
lung, hier keine simple Schuldzuweisung vorzunehmen,
gerne auf – aber zutreffend: Die Anfrage der CDU/CSU-
Fraktion sei die Aufforderung zu einer systematischen,
alle Bereiche erfassenden Bestandsaufnahme gewesen.
Die Regierung habe diese Chance nicht genutzt. Sie rede
schön, wo es Probleme gebe; sie harmonisiere, wo Kon-
flikte offenbar seien, und sie zeichne das Bild einer weit-
gehend heilen sprachpolitischen Welt.

Wenn allerdings die Schlussfolgerung dieser Beurtei-
lung mit einer für uns auf den ersten Blick sympathischen
Verantwortlichkeit beim Außenminister endet, dann will
ich der guten Ordnung halber doch hinzufügen: Die Ver-
antwortung ist breiter. Wir alle miteinander haben sie. Wir
müssen dieses Thema ernster nehmen, als wir es in der
Vergangenheit getan haben.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Schludrigkeit im Umgang mit der Sprache ist auch ein
Indiz für ein gewisses Maß an Gleichgültigkeit, das sich
in den vergangenen Jahren vielleicht eingeschlichen hat.
Wenn erst durch Sprache die Welt aufgeht, dann geht uns
Sprache an – mehr als jede andere unsere eigene.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)





Dr. Norbert Lammert

20999


(C)



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(A)



(B)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421213900
Als letzter
Redner in dieser Debatte hat der Herr Kollege Eckhardt
Barthel für die SPD-Fraktion das Wort.


Eckhardt Barthel (SPD):
Rede ID: ID1421214000
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Wir haben es mit einer Großen
Anfrage von 75 Fragen zu tun. Dies macht es schwer, auf
alles einzugehen. Ich möchte dem Beispiel von Frau
Steinbach folgen und mich auf die Frage „Gefahr/Nicht-
gefahr, Problem/Nichtproblem der Anglizismen“ be-
schränken – dies aus zwei Gründen, erstens, weil ich
weiß, dass viele, die sich um die Pflege der deutschen
Sprache bemühen, ein großes Interesse daran haben, dass
dieses Thema auch einmal im politischen Rahmen dis-
kutiert wird, auch einmal eine Plattform im Parlament
findet, und zweitens – das gestehe ich –, weil es mich auch
persönlich sehr interessiert. Es wäre noch schöner gewe-
sen, wenn auch die Große Anfrage der SPD-Fraktion zum
Thema der deutschen Sprache


(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und der Grünen!)


– Verzeihung, Frau Vollmer: und der Grünen –, die sich
mehr auf diesen Bereich konzentriert und nicht so in die
Breite geht, schon heute hätte behandelt werden können.
Sei es drum!

Am Anfang möchte ich gern auf Ihren Beitrag einge-
hen, Frau Steinbach. Sie haben viele Punkte angespro-
chen, die gerade für dieses Thema wichtig sind. Sie wer-
den erstaunt sein, dass wir da Parallelen haben. Uns trennt
aber ein Grundunterschied, Frau Steinbach: Bei der
Pflege der Sprache sollte man nicht dramatisieren, wie Sie
es getan haben, sondern man sollte versuchen, für die
Sprache zu sensibilisieren. Darin unterscheiden wir uns
wirklich sehr, sehr stark.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Deshalb scheint es mir sinnvoll zu sein, bei diesem
Thema am Anfang auch einmal darzustellen, worum es
nicht geht. Ich habe das Gefühl, dass bei dieser Diskus-
sion Einmalereignisse und Unschönheiten die eigentliche
Problematik, die politische Problematik, die dahinter
steht, vernebeln.

Ich will Ihnen einmal ein Beispiel nennen. Als wir den
Euro eingeführt haben – erstaunlich konfliktarm, wie ich
finde –, wurde über die Medien – das war selbst Thema in
den „Tagesthemen“ – parallel eine Diskussion darüber ge-
führt, ob wir den Cent nun „Cent“ oder „Zent“ nennen.
Das ist zwar kein Anglizismus, aber doch ein Fremdwort,
das in unsere Sprache hineinkommt. Dazu haben viele
Leute gesagt: Mich interessiert nicht, wie man das aus-
spricht, sondern wie viel ich davon in der Tasche habe. –
Mit solchen Diskussionen wird die Problematik, die
ich – wie Sie – bei dieser Frage sehe, vernebelt und das
halte ich gerade im Sinne der Sensibilisierung für die
Sprache nicht für günstig.

Deshalb in drei Punkten kurz, worum es nicht geht, um
dann darauf zu sprechen zu kommen, weshalb ich dieses
Thema für politisch wichtig halte.

Erstens. Es geht nicht darum, dass die deutsche Spra-
che an sich in Gefahr ist. Ich teile die Aussage der Bun-
desregierung: Der Schluss wäre falsch, „dass sich die
deutsche Sprache durch die häufige Verwendung von
Anglizismen zu einer anderen, nicht deutschen Sprache
verändern würde“. Das ist sicherlich richtig. Damit will
ich allerdings nichts relativieren oder beschönigen. Man
muss nur wissen: Es geht nicht etwa um den Untergang
der deutschen Sprache.

Zweitens. Es geht auch nicht darum, dass wir keine
Fremdwörter mehr in unsere Sprache aufnehmen soll-
ten. Zu Recht ist in der Antwort der Bundesregierung ge-
sagt worden: Deutsch war nie eine „reine“ Sprache. Das
wird auch so bleiben. Ich erinnere mich noch daran, dass
mir in meiner Schulzeit der Begriff des Lehnwortes be-
gegnet ist. Das habe ich behalten. Lehnwörter sind etwas
ganz Natürliches und Selbstverständliches. Wie arm
wären wir, wenn es diesen Einfluss nicht gäbe? Übrigens:
Dass es nie eine „reine“ Sprache gab, kann man auch
übertragen: Es gab auch nie ein „reines“ deutsches Volk.

Der dritte Punkt liegt mir besonders am Herzen, weil
das in der Diskussion häufig durcheinander gebracht
wird. Es geht auch nicht um eine Verdrängung des Eng-
lischen als Sprache – ich werde gleich noch weiter darauf
zu sprechen kommen –; das Gegenteil ist der Fall. Es geht
nicht um eine Position „anti Englisch“, sondern um sol-
che Begriffe wie Denglisch oder Globisch, die sich he-
rausgebildet haben.

Meine Damen und Herren, was mir vor allem Sorge be-
reitet, sind nicht einzelne Begriffe, sondern das Übermaß
an unsinnigen Anglizismen und – das ist das für mich
Wichtige – die möglichen politischen Folgen aus diesem
Prozess. Es geht mir nicht darum, ob etwas gefällt oder
nicht gefällt. Ich weiß – inzwischen hat man es ja beho-
ben –, dass die schlichte Auskunft auf dem Bahnhof „Ser-
vice Point“ oder so ähnlich hieß. Dazu sagen viele: Das ist
ja idiotisch, das ist dumm. – Richtig. Aber dabei belassen
sie es. Die Frage ist, ob es, wenn daraus eine Tendenz
wird, auf der Ebene des Dumm und Unschön bleibt. Das
ist das Thema, das mich interessiert: Liegt darin ein Ge-
fahrenpotenzial? Ich glaube, wenn wir keine Sensibilität
entwickeln, könnte diese Entwicklung zu einer Gefahr
werden. Insofern bin ich hier sehr zurückhaltend.

Zusammengefasst: Es geht mir in dieser Debatte über
die deutsche Sprache nicht um Sprachästhetik; es geht mir
vielmehr um die Identität und die Integrationsfähigkeit ei-
ner Gesellschaft.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Das ist für mich das Hauptthema.
Die Bundesregierung schreibt zu Recht – ich zitiere –:

Die Vielfalt der Sprachen in Europa macht einen wesent-
lichen Teil der europäischen Identität aus. Dies ist richtig.
Die Sprache ist in dem jeweiligen Land ein Teil der Iden-
tität der Menschen, die in diesem Land leben. Wovon ich
jetzt spreche, ist übrigens keine auf das Deutsche be-
grenzte Diskussion. Überall da, wo ich den Ausdruck
„deutsche Sprache“ setze, könnte ich genauso gut „fran-
zösisch“, „italienisch“, „türkisch“ oder etwas anderes set-






(C)



(D)



(A)



(B)


zen. Es ist die Identitätsfrage, die sich national nicht be-
grenzen lässt.

Wir wissen, welche Bedeutung die Identitätsfrage auch
und gerade im Rahmen der Globalisierung gewonnen hat.
Ich möchte gerne, dass die Antwort auf die Identitätsfrage
eine kulturelle Antwort ist, weil wir über die Kultur – dazu
gehört ganz wesentlich die Sprache – diese Frage in einem
positiven Sinne beantworten. Ich erzähle gerne das Bei-
spiel, dass ein kluger Mensch einmal zum Thema Identität
gesagt hat, er fühle sich eigentlich in allen Großstädten
der Welt zu Hause: überall in den Hotels die gleiche Ar-
chitektur, überall die gleiche Mode, die gleiche Musik,
dieselben Filme. Nur, nach längerem Reisen frage er sich:
Wo bin ich eigentlich?


(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Das heißt, Orientierungslosigkeit ist ein riesiges Problem.
Man muss sich, so glaube ich, irgendwo zu Hause fühlen
und muss sagen können: Hierauf gründet sich meine Iden-
tität.

Die Frage, ob unser Thema politisch ist, zeigt sich un-
ter anderem an diesem Punkt. Wir erleben nämlich, dass
die Gefahr der Orientierungslosigkeit oder dass der Ver-
lust an Orientierung durchaus politisch instrumentalisiert
werden kann. Es ist wohl kein Zufall, dass viele aus den
völkischen Gruppierungen das Thema Orientierungslo-
sigkeit, Orientierungslosigkeit auch durch Sprache, be-
nutzen, um ihr Süppchen zu kochen. Ich kann nur davor
warnen, dieses Thema diesen Leuten zu überlassen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der PDS)


Deshalb sollten wir uns einschalten.
Ich möchte hier allerdings eine Fußnote machen. Ich

habe es leider schon erlebt, dass Leute, die sich in diesem
Bereich engagieren – manchmal vielleicht sogar mit zu
starkem missionarischem Eifer – auch in diese Ecke ge-
schoben werden. Ich kann nur davor warnen, so vorzu-
gehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


So viel zur Frage der Identität.
Noch etwas zur Frage der Integration: Sprache kann

integrieren und Sprache kann ausgrenzen. Bei vielen Be-
griffen, die wir heute benutzen, sehe ich die Gefahr, dass
sie zu Ausgrenzung führen könnten. Ich bin ganz vorsich-
tig in der Formulierung. Ich weiß – vielleicht darf ich das
auch einmal sagen –, dass einige Menschen in den neuen
Bundesländern, in denen das Englische nicht so verbrei-
tet ist, Schwierigkeiten haben, dieses oder jenes zu ver-
stehen, besonders ältere Menschen oder auch solche, die
nicht die Bildungschancen hatten, die vielleicht wir, die
wir hier sitzen, gehabt haben. Dies kann man nicht aus-
schließen. Nichts wäre schlimmer, als wenn wir über eine
Vernachlässigung der Sprache den Integrationskräften
dieser Gesellschaft schaden würden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich ein Beispiel nennen – ich bekomme
gleich Ärger, aber ich sage es trotzdem –: Eine ganz en-
gagierte Frauenpolitikerin hat mir neulich gesagt, sie
könne es inzwischen nicht mehr hören, dass man sie stän-
dig frage, was Gender Mainstreaming heiße. Ich kann das
verstehen, aber ich meine auch: Vor ein so wichtiges
Thema eine Sprachbarriere zu setzen kann wohl nicht im
Interesse des Gender Mainstreamings sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Schafft diese Barrieren weg, um den Zugang zu öffnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Kurz: Wer die Integrationskräfte in einer Gesellschaft
stärken will – das ist unser aller Bestreben –, der sollte die
Bedeutung der Sprache nicht vernachlässigen.

Ein letzter Punkt – Frau Steinbach, Sie haben ihn weg-
gelassen; ich weiß, dass er der schwierigste ist –: Was ma-
chen wir jetzt? Es liegen bereits einige Vorschläge auf
dem Tisch, so zum Beispiel zu einem Sprachgesetz. Der
Staatsminister hat es bereits angesprochen, das kann keine
Alternative für uns sein.


(Erika Steinbach [CDU/CSU]: Ein Verbraucherschutzgesetz!)


Ich möchte nicht, dass wir „Sprachzollgrenzen“ – ich
möchte das im übertragenen Sinn sagen – in unseren Län-
dern haben. Es kann nicht sein, dass Institutionen prü-
fen, wie der Einzelne spricht – ich weiß, dass ich viele
Anglizismen benutze – und anschließend möglicherweise
Sanktionen – diese wären nötig, sonst machte das Gesetz
keinen Sinn – verhängen. Ich halte das für bedenklich und
schließe es deshalb aus.

Bezüglich der Bedeutung des Englischen in unserem
Sprachgebrauch meine ich: Je weiter sich die englische
Sprache in unserem Land verbreitet und je mehr Menschen
über englische Sprachkenntnisse verfügen, desto geringer
wird das Bedürfnis, sich durch die Benutzung englischer
Begriffe hervorzutun, desto geringer wird möglicherweise
auch der Einfluss der Anglizismen auf unsere Sprache.

Finnland soll uns Beispiel sein. Dort spricht man sehr
gutes Englisch und man stellt fest, dass die Anglizismen
kein solches Problem darstellen wie in anderen Ländern.
Das Erlernen und die Verbreitung der englischen Sprache
könnten Instrumente im Kampf gegen die Flut der unsin-
nigen Anglizismen – ich betone das – sein.

Mit meiner letzten Bemerkung möchte ich mich auf
unseren Bundespräsidenten berufen. Wir sollten – Herr
Lammert hat das angesprochen – auch das eigene
Sprachverhalten überprüfen. Es könnte Vorbildcha-
rakter haben. Was machen die Medien? Was machen die
Wirtschaft und die Politik? Vielleicht könnte ihnen Vor-
bildcharakter zukommen, wenn sie auf ihr Sprachver-
halten achten würden. Es könnte sich eine Schneeball-
wirkung entfalten, sodass ohne Reglementierung etwas
positiv verändert werden könnte.

Johannes Rau, der sich in dieser Frage sehr engagiert,
hat einmal gesagt: Ich bin nicht der Oberlehrer der Nation,




Eckhardt Barthel (Berlin)


21001


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(A)



(B)


aber ich will durch die Art meiner Reden Vorbild sein.
Auch in diesem Punkt hat unser Bundespräsident Recht.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie des Abg. Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU])



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421214100
Zu einer
Kurzintervention gebe ich der Kollegin Erika Steinbach
das Wort.


Erika Steinbach-Hermann (Plos):
Rede ID: ID1421214200
Herr Kollege Barthel,
ich freue mich, dass wir die Problematik sehr ähnlich se-
hen. Ich glaube, wir brauchen kein neues Gesetz, und ein
Sprachenschutzgesetz ist mit Sicherheit nicht der richtige
Ansatz. Außerdem haben wir bereits ein Gesetz, das
die Problematik, die Sie und ich besonders hervorgehoben
haben, aufgreifen könnte. Das ist das Verbraucher-
schutzgesetz.

Im Verbraucherschutzgesetz ist im Grunde genommen
geregelt, dass Produkte in deutscher Sprache bezeichnet
werden müssen. Daneben regelt das Gesetz, dass die
Sprachbarrieren im alltäglichen Schriftverkehr weitge-
hend ausgeräumt werden. Darüber hinaus – davon bin ich
überzeugt – müssen wir gemeinsam ein Bewusstsein
dafür entwickeln, mit unserer Sprache anders umzugehen.
Das geht weit über die Anglizismen hinaus – 60 Prozent
der Bevölkerung unseres Landes sind der englischen
Sprache nicht mächtig –, denn es werden oft ganze Band-
wurmsätze in fremder Sprache verfasst.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421214300
Damit
schließe ich die Aussprache.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 d auf:
7. a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-


(21. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Brunhilde

Irber, Dr. Eberhard Brecht, Annette Faße, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Sylvia Voß, Dr. Thea
Dückert, Winfried Hermann, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Programm zur Stärkung des Tourismus

(Tourismusförderungsprogramm)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus
Brähmig, Ernst Hinsken, Anita Schäfer, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Tou-
rismuswirtschaft stärken

– Drucksachen 14/5315, 14/5313, 14/8021 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Brähmig
Brunhilde Irber

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(21. Ausschuss)

Burgbacher, Cornelia Pieper, Hildebrecht Braun

(Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion der FDP
Neue Kampagne „Deutschland besucht
Deutschland“ starten
– Drucksachen 14/4153, 14/6846 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Ernst Burgbacher

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(21. Ausschuss)

– zu dem Bericht des Ausschusses für Bildung,

Forschung und Technikfolgenabschätzung

(19. Ausschuss) gemäß § 56 a der Geschäfts-

ordnung
Technikfolgenabschätzung
hier: „Entwicklung und Folgen des Touris-

mus“
– zu dem Bericht des Ausschusses für Bildung,

Forschung und Technikfolgenabschätzung

(19. Ausschuss) gemäß § 56 a der Geschäfts-

ordnung
Technikfolgenabschätzung
hier: „Entwicklung und Folgen des Touris-

mus“
Bericht zum Abschluss der Phase II

– Drucksachen 13/9446, 14/272 Nr. 188, 14/1100,
14/7751 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Birgit Roth (Speyer)


d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang
Dehnel, Klaus Brähmig, Maria Eichhorn, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Fortführung des Bundeswettbewerbs für fami-
lienfreundliche Ferienangebote in Deutschland
– Drucksache 14/7066 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Das Haus ist einverstanden. Dann ist
so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst der Kol-
legin Brunhilde Irber das Wort. Sie spricht für die Frak-
tion der SPD.




Eckhardt Barthel (Berlin)

21002


(C)



(D)



(A)



(B)



Brunhilde Irber (SPD):
Rede ID: ID1421214400
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Gerade in diesem Moment kursiert
eine Meldung des Statistischen Bundesamtes zu den
Übernachtungszahlen in Deutschland aus dem letzten
Jahr. Die konkrete Erfassung der Übernachtungen
schließt bislang nur die Monate Januar bis November ein
und weist aus, dass die Zahl der Übernachtungen in
Deutschland um 0,3 Prozent gestiegen ist. Gleichzeitig
bewertet das Statistische Bundesamt das abgeschlossene
Jahr als insgesamt erfolgreich und prognostiziert eine
Steigerung der innerdeutschen Übernachtungszahlen von
1 Prozent. Das heißt, in der Bundesrepublik sind im ver-
gangenem Jahr ohne das Highlight EXPO etwa dieselben
Übernachtungszahlen verbucht worden wie im Jahr 2000
– ich sage es noch einmal –, ohne EXPO und die damit
verbundene besondere Aufmerksamkeit, die unserem
Lande und seinem Tourismus durch eine Vielzahl von
Werbemaßnahmen zuteil wurde.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich erwarte jetzt rauschenden Beifall in diesem Saal und
könnte mich danach zufrieden wieder hinsetzen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Da klatschen ja nicht einmal die eigenen Kollegen! – Gegenruf der Abg. Susanne Kastner [SPD]: Doch, Sie haben es nur nicht bemerkt!)


Eine bessere Tourismuspolitik, Herr Vorsitzender,
kann objektiv niemand machen. Faktum ist: Wir haben im
Jahr 2000 die höchste Steigerungsrate in den Übernach-
tungszahlen seit Beginn der Statistik verzeichnen können
und konnten diese Übernachtungszahlen ohne das beson-
dere Event der EXPO auch im Jahr 2001 wieder erreichen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dann frage ich mich: Was hätte es eigentlich bringen
sollen, wenn wir der Forderung der Opposition gefolgt
wären und – ich zitiere Herrn Kollegen Brähmig – „einen
kräftigen Schluck aus der Pulle“ genommen und die Mar-
ketingmittel der Deutschen Zentrale für Tourismus ver-
doppelt hätten? Wir hätten diesen Staat weiter verschul-
det, aber unmöglich einen weiteren Rekord in den
Übernachtungszahlen erreichen können. Ich fordere da-
her die Opposition auf, endlich die Fakten anzuerkennen.
Die Bundesregierung hat mit der Finanz- und Wirt-
schaftspolitik Rahmenbedingungen geschaffen, die dem
Gastgewerbe einen Rekordbesuch und somit volle Häuser
bescheren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ernst Burgbacher [FDP]: Das sieht außer der Regierung niemand so!)


Nach den Zahlen geht es der Branche hervorragend.
Die hohen Wachstumsraten zeigen, dass die Bevölkerung
ihre gestärkte Kaufkraft in hohem Maße – nach den gest-
rigen Zahlen wurden 53,5 Milliarden Euro ausgegeben,
die Prognose für das kommende Jahr lautet auf 55 Milli-
arden Euro – zu den Reisemittlern und in das Gastge-
werbe getragen hat. Es hätte ja auch sein können, dass die
Nachfrage nach neuen Autos, Büchern oder Schokorie-

geln überdurchschnittlich gestiegen wäre. Mit dieser Fest-
stellung will ich ein Lob an die Branche verbinden. Sie hat
eine hohe Attraktivität und konnte daher mehr Kaufkraft
ziehen als andere Branchen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ereignisse des
11. September können an dieser positiven Bilanz auch
nichts grundsätzlich ändern. Die Lufthansa und andere
Fluggesellschaften sind ins Trudeln gekommen; das ist
völlig richtig. Das heißt aber doch konkret, dass diese Un-
ternehmen trotz hervorragender Nachfragesteigerung mit
ihren Angeboten am Markt zu scharf kalkuliert haben.
Eine kleine Böe kann sie umwerfen.

Dies sind aber hausgemachte Probleme. Es ist unlauter,
diese Entwicklung und damit die Probleme einzelner Un-
ternehmen im Reise- und Gastgewerbe der Bundesregie-
rung anzulasten. Ich will auch deutlich festhalten, dass die
Forderung nach einer Absenkung der Mehrwertsteuer für
das Beherbergungsgewerbe luftleer im Raum hängt.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Was? Das darf doch nicht wahr sein! Das sagt die tourismuspolitische Sprecherin der SPD!)


Wer solche Steigerungsraten in der Übernachtung verbu-
chen kann, sollte jetzt nicht behaupten, die Gäste liefen an
seinen Häusern vorbei und würden in die mit geringeren
Mehrwertsteuersätzen belasteten Häuser des Auslands ge-
hen.

Ich will hier gern auch den Hauptgeschäftsführer des
DEHOGA zitieren:

Die Talsohle der letzten Jahre scheint durchschritten.
Hotellerie und Gastronomie schauen zu großen Tei-
len wieder mit Optimismus in die Zukunft.

Das Zitat stammt aus der „Welt“ vom 31. Oktober
2001, einer Zeitung, die nicht gerade dafür bekannt ist,
dass sie sozialdemokratenfreundlich wäre. Für den
DEHOGA ist der Tourismus eine Jobmaschine. Auch
dies sagt der Hauptgeschäftsführer Herr Ehlers.

Wir haben an dem Erfolg der Branche kräftig mitge-
wirkt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Keine Branche hat vergleichbare Hilfestellungen des
Staates wie das Gastgewerbe erhalten.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421214500
Frau Kolle-
gin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Brunhilde Irber (SPD):
Rede ID: ID1421214600
Ich möchte zunächst eine
Aufzählung vornehmen. Dann hat der Kollege Brähmig
das Wort.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie muss zuerst das runterlesen, was man ihr aufgeschrieben hat!)


– Herr Hinsken, Sie wissen genau, dass ich das auch an-
ders kann.






(C)



(D)



(A)



(B)


Was haben wir getan, um die Stärkung der Branche
herbeizuführen? Wir hatten im letzten Jahr das Jahr des
Tourismus. Das internationale Jahr des Ökotourismus
2002 mit dem Slogan „Lust auf Natur“ hat gerade begon-
nen. Wir haben die Finanzmittel der DZT während unse-
rer Regierungszeit trotz allgemeiner Sparmaßnahmen in
allen anderen Ressorts von 37 Millionen DM auf 44 Mil-
lionen DM angehoben.


(Beifall bei der SPD – Susanne Kastner [SPD]: Tja, Herr Brähmig, was sagen Sie denn dazu? – Gegenruf des Abg. Klaus Brähmig [CDU/ CSU]: Viel zu wenig erreicht!)


Wir haben Modellprojekte zur Vermarktung der Natio-
nalparke und zur Steigerung des Qualitätsmanagements
im Tourismus finanziert. Am 5. Februar wird Herr Wirt-
schaftsminister Müller die Absolventen dieses Modell-
projekts mit den Zeugnissen auszeichnen. Ein so genann-
ter Weiterbildungspass ist in der Entwicklung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben die Finanzierung der Einführung einer Dach-
marke für den nachhaltigen Tourismus mit dem Namen
VIABONO durchgeführt. Wir haben die Tourismusbran-
che in die Fachgespräche des Bündnisses für Arbeit auf-
genommen. Wir haben die 50-Tage-Regelung innerhalb
der 630-Mark-Jobs durchgesetzt. Wir haben die Schau-
steller – zuletzt durch die Befreiung von der LKW-Maut –
wiederum gefördert.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben die Abschaffung der Doppellizenzen bei Bus-
reisen für Jugendliche durchgesetzt. Außerdem haben wir
100 Millionen Euro für den Ausbau von Radwegen ent-
lang den Bundesstraßen bereitgestellt, was eine Steige-
rung um 100 Prozent bedeutet.


(Beifall bei der SPD – Susanne Kastner [SPD]: Das alles haben Sie nicht gemacht!)


Sie haben das alles nicht gemacht. Wir haben eine Fi-
nanz- und Wirtschaftspolitik gemacht, die der Branche
wirklich hilft.


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich nenne nur die Stichworte Mittelstandsförderung, Ent-
lastungseffekt in Höhe von 45 Milliarden, Steuerreform
und Kaufkraftanhebung.


(Beifall bei der SPD)

Sie und Ihr Ministerpräsident, der jetzt auch Kanzler-

kandidat ist,

(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Gott sei Dank! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Ein sehr guter Mann! – Gegenruf des Abg. Horst Kubatschka [SPD]: Er kann ja nicht mal in Euro umrechnen!)


haben jeden Tag andere Vorschläge, ohne eine Finanzie-
rung zu nennen. Ich bin neugierig, wie man das alles be-
zahlen will.

Heute beschließen wir das umfassende Tourismusför-
derprogramm. Damit runden wir die erfolgreiche Bilanz
ab. Der Kern unseres Tourismusförderprogramms ist auf
die Verbesserung des angebotenen Produkts im Touris-
mus gerichtet. Wir wollen die Menschen erreichen, die in
der Tourismusbranche arbeiten, und ihre Situation und
ihre Qualifikation verbessern. Auf das Modellprojekt
habe ich bereits hingewiesen. Es stimmt schon: Die reinen
Zahlen über die Steigerung der Anzahl der Übernachtun-
gen sagen noch nichts über die Qualität und die Zufrie-
denheit aus. Wir müssen in die Zukunft investieren. Das
bedeutet, wir müssen die Qualität der angebotenen Pro-
dukte nachhaltig steigern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie können feststellen, dass das Kirchturmdenken in
der Vermarktung kleingliedriger Regionen etwas nachge-
lassen hat. Insgesamt ist das Marketing auf einem guten
Weg; aber es gibt noch immer Verbesserungsmöglichkei-
ten. Die Union hat einen 55-Punkte-Katalog zur Stärkung
der Wettbewerbsfähigkeit der Tourismuswirtschaft vorge-
legt.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das Beste, was bisher da war!)


Herr Brähmig, Sie müssen erklären,

(Susanne Kastner [SPD]: Das kann er nicht! Er kann nichts erklären!)

wie man bei einem überdurchschnittlichen Wachstum der
Branche nach weiterer staatlicher Hilfe rufen kann. Es ist
richtig, dass die Beschäftigungssituation und die Ertrags-
lage im Gastgewerbe nicht befriedigend sind. Was kann
ein Staat aber Besseres tun, als eine Wachstumspolitik zu
betreiben? Genau das tun wir. Der Erfolg stellt sich ein.

Die Prognose des DEHOGAhabe ich bereits zitiert, in
der festgestellt wird, dass die Talsohle durchschritten ist.
Dem Wachstum bei den Übernachtungszahlen wird eine
Gesundung der Branche folgen. In wenigen Jahren wer-
den wir das ausbügeln, was Ihre Regierung in 16 Jahren
angerichtet hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Susanne Kastner [SPD]: Versaubeutelt hat!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
jetzt kommt es: Wenn Ihre Regierung Erfolge zu verzeich-
nen gehabt hätte, müssten Sie keinen Katalog mit 55 Punk-
ten der Versäumnisse Ihrer Regierungszeit vorlegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das ist eine absolute Nullnummer!)


Ähnliches gilt auch für den Antrag der FDP zu einer
Kampagne „Deutschland besucht Deutschland“. Lieber
Kollege Ernst Burgbacher, das tun die Deutschen immer
öfter.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Aber viel zu wenig!)





Brunhilde Irber
21004


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Statistik besagt, dass im letzten Jahr bis November
91 Millionen mehrtägige Reisen unternommen wurden.
Das ist 1 Prozent mehr als im Vorjahr, also dem Rekord-
jahr, in dem wir die EXPO hatten. Was soll da noch eine
zusätzliche Kampagne, die unseren anderen Themen
– dem Wassertourismus, dem Jugendtourismus – das Geld
raubt?

Zu unseren Freizeitparks. Wir alle haben die Klagen
über die Subventionen in Frankreich gehört. Sie beklagen
sie jeden Tag.

Wir haben heute auch über den TAB-Bericht abzu-
stimmen. Mit diesem außerordentlich aussagekräftigen
Bericht – an dieser Stelle einmal ein dickes Lob an die
Mitarbeiter; sie haben gute Arbeit geleistet –


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


haben wir die Debatte um den nachhaltigen Tourismus
vorangebracht. Unser Antrag zur Umsetzung der wichtigs-
ten Erkenntnisse aus dem Bericht wird die Nachhaltigkeit
ins Zentrum unserer Politik führen.

Des Antrags der Union zum familienfreundlichen
Reisen werden wir uns in nächster Zeit annehmen.

Jetzt kommt auch noch der neue Kanzlerkandidat. Was
hat der Tourismus zu erwarten, wenn die Union regiert?


(Zuruf von der CDU/CSU: Fortschritt! – Horst Kubatschka [SPD]: Gar nichts!)


Das gepriesene Erfolgsmodell Bayern wird auf Deutsch-
land ausgedehnt. Das heißt: runter mit der Tourismusför-
derung! Der Freistaat hat die Marketingmittel in den letz-
ten Jahren regelmäßig verringert.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ging es denn mit dem Tourismus in Bayern auch abwärts oder ging es dort aufwärts?)


Herr Adam hat den Auftrag, die öffentlichen Mittel stetig
herunterzufahren. Herr Brähmig, die mittelfristige Fi-
nanzplanung von Herrn Waigel wird für die DZT fröhli-
che Urständ feiern.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Hören Sie doch auf mit diesem Märchen! Das kann sich kein Mensch mehr anhören! Das ist doch Schnee von gestern!)


Frau Schörcher wird ihren Laden dichtmachen können.
Der ganze Erfolg mit dem besten Wachstum in der Ge-
schichte wird dann zunichte gemacht.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421214700
Frau Kolle-
gin, Sie haben Ihre Redezeit weit überschritten.


Brunhilde Irber (SPD):
Rede ID: ID1421214800
Deshalb setzen wir unsere
Tourismuspolitik fort. Die Statistik gibt uns Recht: Un-
sere Tourismuspolitik hat Erfolg.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421214900
Zu einer
Kurzintervention gebe ich das Wort dem Kollegen
Brähmig.


Klaus Brähmig (CDU):
Rede ID: ID1421215000
Frau Kollegin Irber, zu-
allererst freut mich natürlich, dass Sie die Unionsfraktio-
nen und auch mich persönlich für die vielfältigen Initia-
tiven loben, die wir in den letzten Monaten und Jahren in
dieser Legislaturperiode gestartet haben.


(Susanne Kastner [SPD]: Sie können sie ja nicht durchsetzen!)


Ich denke, sie waren ein Segen für die Tourismusbranche.

(Susanne Kastner [SPD]: Nein!)


Zum Zweiten muss ich feststellen, dass aus Ihrem Vor-
trag der Anschein entstehen kann, dass in der Tourismus-
branche „Friede, Freude, Eierkuchen“ herrsche. Ich
glaube, das kann man so nicht im Raum stehen lassen. Wir
dürfen uns in der politischen Diskussion nicht von den ab-
soluten Zahlen beeindrucken lassen, die sicherlich so
sind, wie Sie sie dargestellt haben. Das entscheidende Kri-
terium der politischen Bewertung muss vielmehr in zu-
nehmendem Maße sein, was beim Unternehmer nach
Steuern im Portemonnaie übrig bleibt. Ich denke, die
Leute, die sich damit beschäftigen, sind sich einig, dass
die wirtschaftliche Situation, vor allem die Nettorendite,
noch nie so schlecht gewesen ist wie jetzt. Das hängt
natürlich in erster Linie damit zusammen – Frau Irber, das
wissen Sie genauso gut wie ich –, dass der Staat den Un-
ternehmern eine Vielzahl von Belastungen auferlegt hat,
die letztendlich zu steigender Arbeitslosigkeit führen, wie
wir sie vorfinden.

Einen letzten Gedanken möchte ich im Zusammen-
hang mit Ihrer Rede ansprechen. Wenn wir politisch einen
Beitrag dazu leisteten, dass jeder Unternehmer in der Tou-
rismusbranche Rahmenbedingungen vom Staat geschaf-
fen bekommt, die ihm ermöglichen, morgen eine weitere
Arbeitskraft einzustellen – ob das in den Reisebüros ist,
ob das in den Hotels ist, ob das bei den Reiseveranstaltern
ist –, dann hätten wir einen Beitrag dazu geleistet, die
Arbeitslosigkeit, die uns bedrückt und über die wir schon
heute Vormittag debattiert haben, abzubauen. In anderen
europäischen Ländern funktioniert dies relativ gut.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Susanne Kastner [SPD]: Wir wollen einmal wissen, wie Sie das bezahlen wollen! Das wissen Sie nicht einmal selber!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421215100
Sie haben
das Recht zu einer Erwiderung. Sie haben das Wort.


Brunhilde Irber (SPD):
Rede ID: ID1421215200
Herr Brähmig, die Forderun-
gen, die Sie der Regierung und der Politik stellen, sind wohl-
feil. Aber wenn man zusammenrechnet, was Sie in den letz-
ten dreieinhalb Jahren in jeder Sitzung an Forderungen
finanzieller Art gestellt haben, dann ergibt sich, dass wir den
Bundeshaushalt zu 30 Prozent nur für Tourismusförderung




Brunhilde Irber

21005


(C)



(D)



(A)



(B)


verwenden müssten. Das ist nicht möglich. Sie wollen uns
weiter in die Verschuldung hineintreiben, nachdem Sie
uns 1,5 Billionen DM Schulden hinterlassen haben. Jetzt
haben Sie keine anderen Vorschläge, als nur neue Schul-
den aufzuhäufen. Das geht nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Unwahrheiten werden durch ständiges Wiederholen nicht wahr!)


Es kann nicht sein, dass die Wirtschaft nur mit staatlichen
Subventionen läuft. Das wissen Sie genauso gut wie wir.
Dann könnte ja der Staat die Wirtschaft komplett über-
nehmen. Das wollen Sie nicht und das will auch ich nicht.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs)

Ich bitte Sie, einmal darüber nachzudenken, dass die

statistischen Ergebnisse, die sich in den Jahren 2000 und
2001 aufgrund unserer Politik ergeben haben, die besten
seit dem Erheben dieser Statistik sind. Sie wurden bisher
noch nicht übertroffen. Daraus ist auch abzuleiten, dass
die Unternehmen entsprechend Gewinne gemacht haben.
Je mehr Masse es gibt, desto mehr bleibt ja am Ende auch
übrig. Das ist eine ganz einfache Rechnung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich würde mich freuen, wenn von Ihrer Seite endlich
einmal konstruktive Vorschläge und kluge Konzepte kä-
men, die in Richtung Qualifikation und Qualitätssteige-
rung gingen und mit denen wir der Branche nutzen kön-
nen. Das gelingt nicht durch die stereotype Forderung
nach mehr Geld. Wo führt das hin, wenn immer mehr Geld
in die Wirtschaft hineingepumpt wird und ihr immer
höhere Subventionen gegeben werden, und wer soll das
bezahlen? Ich bin neugierig, wie Sie das machen würden,
wenn Sie, wie Sie ja hoffen, an die Regierung kämen. In
diese Verlegenheit werden wir Sie aber nicht bringen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421215300
Für die CDU/CSU
spricht jetzt der Kollege Ernst Hinsken.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1421215400
Werte Frau Präsidentin!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Irber
hat eben konstruktive Vorschläge angemahnt. Ich emp-
fehle ihr deshalb, gut aufzupassen, weil ich auch in dieser
Rede, wie schon in so vielen die ganze Zeit über, beab-
sichtige, einige konstruktive Vorschläge einzubringen,
damit Sie zu guter Letzt wissen, wie es weitergehen soll.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Horst Kubatschka [SPD]: Bezahlbare! – Susanne Kastner [SPD]: Wir werden sie auswendig lernen!)


Jeder reist gerne und freut sich auf die schönsten Wo-
chen des Jahres, den Urlaub. Nur wenige wissen, was sich
überhaupt ökonomisch dahinter verbirgt. Der Tourismus
ist der zweitgrößte Wirtschaftszweig in der Bundes-
republik Deutschland. Das kann nicht oft genug gesagt

werden; selbst Frau Kastner scheint dies noch nicht gehört
zu haben, sonst würde sie nicht versuchen, es ins Lächer-
liche zu ziehen.


(Widerspruch der Abg. Susanne Kastner [SPD])


Er umfasst 2,8 Millionen Arbeitsplätze, 8 Prozent Brutto-
wertschöpfung, 280 Milliarden DM Umsatz und Ver-
schiedenes andere mehr.

Es ist natürlich schon interessant, dass gerade die
Dresdner Bank in ihrer jüngsten Studie sagt, dass die
Deutschen „Reiseweltmeister“ bleiben. 53,5 Milliarden
Euro wurden letztes Jahr ins Ausland getragen, nur
19,2 Milliarden Euro flossen nach Deutschland. Auch
wenn wir letztes Jahr einen kleinen Zuwachs von 0,3 Pro-
zent auf 327 Millionen Übernachtungen hatten, Kollegin
Irber, so darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass vie-
les im Argen liegt und wir alles tun müssen, um der Tou-
rismuswirtschaft, der Leitökonomie der Zukunft – ein
Begriff, den Kollege Brähmig einmal geprägt hat –, den
notwendigen Schwung für die Zukunft zu geben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deshalb ist gerade die heutige Debatte über die Touris-

musförderung besonders wichtig. Ich bedauere nur, dass
sowohl die SPD als auch die Grünen in ihrem Antrag nicht
auf die großen Probleme der Tourismuswirtschaft ein-
gegangen sind. Sie, verehrte Frau Kollegin Irber, haben
auch heute wieder versäumt, diese Probleme anzuspre-
chen und eine Antwort darauf zu geben. Der Himmel über
Berlin war zwar heute offen, aber für die Tourismuswirt-
schaft ist er verschlossen und grau.


(Brunhilde Irber [SPD]: Immer die Schlechtrederei des Standortes!)


Die Branche steckt in einer ihrer schwersten Krisen. Von
Lob allein kann die Branche nicht leben. Es müssen Taten
folgen, für die wir hier im Deutschen Bundestag verant-
wortlich zeichnen müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Horst Kubatschka [SPD]: Durch gute Zuwachsraten!)


Meine Damen und Herren, der Deutsche Reisebüro
und Reiseveranstalter Verband sagte in den letzten Tagen:
Die Lage der Reisewirtschaft ist ernst.


(Brunhilde Irber [SPD]: In einem Gespräch mit den Unionspolitikern!)


Der „Focus“ vom letzten Montag titelte: „Viel Platz im
Flieger“. Nur ganz wenige wie die Preussag blicken hoff-
nungsfroh in die Zukunft.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: 11. September!)


Diese Bundesregierung wollte nicht alles anders, aber
vieles besser machen. Was ist dabei herausgekommen?
Selbst der erfolgsverwöhnten Sonnenscheinbranche hat
Rot-Grün Regenwolken beschert.


(Susanne Kastner [SPD]: Ach du lieber Gott! Das ist ja theatralisch!)





Brunhilde Irber
21006


(C)



(D)



(A)



(B)


Nicht wegen des 11. Septembers, sondern wegen des ra-
dikalen Wirtschaftsrückgangs haben wir in der Bundes-
republik Deutschland auch auf dem Tourismussektor sehr
große Probleme, die wir bewältigen müssen.


(Horst Kubatschka [SPD]: Sprechen Sie über Deutschland oder über Argentinien?)


Viele Reiseveranstalter befürchten einen Umsatzrück-
gang, Herr Kollege Kubatschka, von bis zu 20 Prozent.
Das berührt mich. Bei Flugreisen wird sogar mit einem
Rückgang von 25 Prozent gerechnet. Aber Sie wollen das
nicht wahrhaben. Sehen Sie denn diese Probleme nicht?


(Horst Kubatschka [SPD]: Das nehmen wir wahr! Es gibt den 11. September! In den Bayerischen Wald fährt man mit dem Auto und nicht mit dem Flugzeug!)


Nur ausgesprochene Optimisten können hoffen, dass der
Grund lediglich ist, dass 2002 ein Spätbucherjahr wird.
Mehrere große Carrier, wie Sabena und Swissair, sind we-
der am Himmel noch auf Erden bzw. auf den Flughäfen
noch zu sehen.


(Horst Kubatschka [SPD]: Daran sind wir auch noch schuld?)


Selbst die erfolgsverwöhnte Lufthansa musste im vergan-
genen Jahr einen Rückgang ihrer Passagierzahlen um
2,9 Prozent verzeichnen.


(Horst Kubatschka [SPD]: Wissen Sie immer noch nicht die Ursache?)


Im Dezember 2001 waren es sogar knapp 15 Prozent we-
niger Reisende als im Dezember 2000. Hauptgründe für
diese Krise sind eine kränkelnde Wirtschaft und eine ver-
fehlte Tourismuspolitik dieser Bundesregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die jüngste Saisonumfrage des DIHK brachte auf den

Punkt, wie die Stimmung wirklich ist, Frau Kollegin
Irber; sie ist anders, als Sie hier behauptet haben.


(Susanne Kastner [SPD]: Kann gar nicht sein!)

Die Geschäftserwartungen sind im Beherbergungssektor
erstmals seit drei Jahren wieder in die Negativzone ge-
rutscht.


(Brunhilde Irber [SPD]: Die Erwartungen! Die tatsächlichen Zahlen sind gestiegen!)


Weiter heißt es, die Gastronomie korrigiere die Erwartun-
gen in Bezug auf die Saison ebenfalls nach unten. So wol-
len 14 Prozent der befragten Hotelbetriebe und 19 Prozent
der Gaststätten die Zahl der Beschäftigten reduzieren. Die
großen Reiseveranstalter kündigen einen umfangreichen
Abbau um Tausende von Arbeitsplätzen an.


(Brunhilde Irber [SPD]: Das ist aber nicht die Schuld der Regierung, oder?)


Aber es kommt noch schlimmer: Hotellerie und Gas-
tronomie müssen ihre Preise erhöhen. Als Grund werden
Kostensteigerungen durch steigende Sozialabgaben, Er-
höhung der Ökosteuer und Mehrausgaben im Warenein-
kauf genannt. Auch die Erhöhung der Versicherungsteuer
dürfte nicht gerade zur Kostenentlastung beitragen. Von

den kleinen und mittleren Betrieben wollen, so der Deut-
sche Industrie- und Handelskammertag, 41 Prozent der
Hoteliers und 36 Prozent der Gastronomen ihre Über-
nachtungs- bzw. Verzehrpreise erhöhen.


(Brunhilde Irber [SPD]: Abgezockt!)

Eines ist klar: Seit über drei Jahren macht die Bundes-

regierung mit ihrer mittelstandsfeindlichen Arbeitsmarkt-
und Steuerpolitik der Tourismusbranche in Deutschland
das Leben schwer und jetzt bekommen wir die Rechnung
dafür präsentiert.


(Brunhilde Irber [SPD]: Darum haben wir dieses Wachstum!)


Die Neuregelung des Gesetzes über die 630-DM-
Jobs – jetzt 325-Euro-Jobs – ist beschäftigungs-, wirt-
schafts- und sozialpolitisch verfehlt.


(Horst Kubatschka [SPD]: Kennen Sie die Zahlen?)


Ich meine auch darauf verweisen zu müssen, dass die
bürokratische Belastung genauso negativ ist, für die bei
den unmittelbar Betroffenen vor Ort kein Verständnis be-
steht. Aber ich bin ehrlich genug, zu sagen, dass hierfür
nicht nur Sie verantwortlich sind, sondern wir alle hier im
Parlament.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Reduzierung dieser Bürokratie wäre eine Entlastung
für die Wirtschaft insgesamt.

In seinem Konjunkturbericht vom November letzten
Jahres beziffert der DEHOGA die Zahl der Kündigungen
infolge der Neuregelung auf 100 000. Das ist unglaublich.


(Horst Kubatschka [SPD]: Ja, das ist unglaublich! Das glaubt auch niemand! Da haben Sie Recht!)


Die rot-grüne Bundesregierung wollte eigentlich die
Schwarzarbeit eindämmen. Genau das Gegenteil ist ihr
gelungen. Um am Markt bestehen zu können, driften viele
in die Schattenwirtschaft. Mit der Schattenwirtschaft sind
wir inzwischen weltweit mit an der Spitze. Es ist auch Ihr
Verschulden, dass wir so weit gekommen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421215500
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage?


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1421215600
Ja, selbstverständlich.
Gerne.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421215700
Bitte sehr, Frau Kol-
legin.


Brunhilde Irber (SPD):
Rede ID: ID1421215800
Herr Hinsken, können Sie mir
folgenden Gegensatz erklären: Der DEHOGA hat bei der
Einführung des 630-Mark-Gesetzes gesagt, dass in der
Gastronomie 40 000 Beschäftigte in solchen Arbeitsver-
hältnissen seien. Sie sagen jetzt, man habe 100 000 gekün-
digt. Wie passt das zusammen?




Ernst Hinsken

21007


(C)



(D)



(A)



(B)



Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1421215900
Frau Kollegin Irber, das
passt insofern zusammen, als gerade im Hotel- und Gast-
stättenbereich weit über 80 000 Arbeitsplätze – nach neu-
esten Zahlen 100 000 Arbeitsplätze – vernichtet wurden
und man sich außerstande sieht, diese Arbeitsplätze wie-
der zu besetzen, weil gerade das 630-DM-Gesetz – jetzt
325-Euro-Gesetz – so bürokratisch belastet und ein sol-
cher Hemmschuh für die Hotellerie und Gastronomie ist.
Das aber sind Arbeitsplätze, die wir so dringend brauchen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP– Klaus Brähmig [CDU/CSU]: So ist das! – Brunhilde Irber [SPD]: Das war keine Erklärung!)


Meine Damen und Herren, im Gegensatz zu Deutsch-
land gewähren die meisten EU-Länder dem Hotel- und
Gaststättengewerbe sowie den Freizeitparks einen
ermäßigten Mehrwertsteuersatz. Daher haben insbe-
sondere die Gastwirte in grenznahen Regionen sowie die
dort ansässigen Tankstellen mit der Billigkonkurrenz jen-
seits der Grenze zu kämpfen.


(Brunhilde Irber [SPD]: Das haben wir immer schon gehabt!)


– Das haben wir nicht gehabt.

(Horst Kubatschka [SPD]: Natürlich, Sie ha ben ihn doch nicht halbiert!)

Wenn ich in meiner ostbayerischen Heimat feststelle, dass
ich beim Tanken in Deutschland teilweise 40 bis 44 Pfen-
nig, jetzt 22 Cent, mehr bezahlen muss als in Österreich,
und wenn ich – mein Wahlkreis liegt an der tschechischen
Grenze – in der Bundesrepublik Deutschland 15 Cent
mehr bezahlen muss als in Tschechien,


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Das war doch schon immer so! So ein Käse!)


dann ist das eine Wettbewerbsverzerrung. Dies kann nicht
ohne weiteres hingenommen werden und deshalb weg mit
der Ökosteuer, die wir Ihnen zu verdanken haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Horst Kubatschka [SPD]: Herr Kollege, da haben Sie Ihrem Kandidaten nicht zugehört! Er möchte die Ökosteuer nicht abschaffen! – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stoiber hat doch schon gesagt, dass er es nicht bezahlen kann!)


Meine Damen und Herren, Leistung muss sich lohnen;
daher setzen wir uns seit längerem für Erleichterungen bei
der Trinkgeldbesteuerung ein. Ich pflichte dem Kolle-
gen Burgbacher bei, der schon mehrmals die Forderung
erhoben hat, dass wir daran denken sollten, dies auf den
Prüfstand zu stellen.

Vor allen Dingen berührt mich – das möchte ich be-
sonders herausstellen –, dass bei den Reisebüros die Net-
togewinne in der Zwischenzeit bei nicht einmal 1,5 Pro-
zent liegen. Sie liegen zwischen 0,6 und 1,1 Prozent.

Gerade der Tourismus als besonders personalintensive
Branche bietet große Chancen bei der Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit. Allein für den Zeitraum bis 2010 wird
in der Europäischen Union ein Potenzial von 3,3 Milli-

onen zusätzlichen Arbeitsplätzen erwartet. Nur wenn wir
in der Bundesrepublik Deutschland richtig ansetzen, sind
wir mit circa 400 000 bis 450 000 zusätzlichen Arbeits-
plätzen dabei.

Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wir brauchen in
der Bundesrepublik Deutschland dringend ein höheres
Wirtschaftswachstum. Ein höheres Wirtschaftswachs-
tum bedeutet nämlich auch mehr Geld in der Tasche des
Bürgers, bedeutet mehr Urlaub. Wenn die Deutschen dann
auch noch bereit sind, ihren Zweit- und Dritturlaub nicht
im Ausland zu verbringen, sondern das Geld hier bei uns
in der Bundesrepublik Deutschland zu belassen, Herr
Kollege Feibel, dann haben wir die richtigen Akzente ge-
setzt, um der Tourismuswirtschaft einen neuen Schub zu
geben, um den Deutschen unser schönes Land schmack-
hafter zu machen und um die Arbeitsplätze zu schaffen,
die wir uns wünschen und die wir auch dringend brau-
chen.

In diesem Sinne herzlichen Dank für Ihre Aufmerk-
samkeit und vielen Dank an meine Kolleginnen und Kol-
legen,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

die einen so hervorragenden Antrag, wie es auch der FDP-
Antrag ist, eingebracht haben. Bei Ihnen von Rot-Grün ist
noch ein bisschen Nachhilfeunterricht erforderlich; den
hoffe ich hiermit erteilt zu haben.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421216000
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich das Wort der Kollegin Roth.


Birgit Roth (SPD):
Rede ID: ID1421216100
Sehr geehrter Herr Kol-
lege Hinsken, es ist schon frappierend, was Sie unserer
rot-grünen Bundesregierung alles zutrauen. Darf ich Sie
ganz kurz auf Folgendes hinweisen: Deutschland ist si-
cherlich eine der Exportnationen innerhalb der Europä-
ischen Union. Aufgrund dieser Exporttätigkeit sind wir in
erster Linie vom Weltmarktgeschehen abhängig, von den
Märkten in den USA, von den Märkten in Japan.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das liegt doch daran, dass ihr die Binnennachfrage nicht stimulieren könnt!)


Die ganze Entwicklung als Schuld einer rot-grünen deut-
schen Bundesregierung darzustellen, Herr Hinsken, ist
doch Populismus. Dem können wir nicht zustimmen.

Danke schön.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421216200
Herr Kollege
Hinsken, wollen Sie darauf antworten? – Bitte sehr.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1421216300
Verehrte Frau Kollegin
Roth, ich möchte mich für Ihre Kurzintervention bedan-
ken, weil ich so die Möglichkeit habe, einige Dinge zu-
rechtzurücken. Es ist nicht so, dass ich der Bundesregie-
rung nicht einiges zutrauen würde. Aber trotzdem musste






(C)



(D)



(A)



(B)


ich in meiner Rede feststellen, welche negativen Ent-
wicklungen es in Deutschland auf dem Tourismussektor
gibt.

Wir hören als Opposition auf die Stimmen in der Be-
völkerung


(Susanne Kastner [SPD]: Ach ja!)

und wir wollen die notwendigen Maßnahmen ergreifen,
damit sich die Tourismuswirtschaft wieder entfalten kann
und weiter nach oben kommt.


(Susanne Kastner [SPD]: Sehr populistisch, Herr Hinsken!)


Deshalb habe ich die Probleme angesprochen. Ich hoffe,
dass bei Ihnen einiges hängen bleibt, damit wir der Sache
und nicht einer einzelnen Fraktion wegen eine Politik für
die deutsche Tourismuswirtschaft machen, die sie drin-
gend braucht und die sie von uns auch zu Recht erwartet.


(Susanne Kastner [SPD]: Sagen Sie einmal etwas zum Thema Weltwirtschaft!)


– Ich bin bereit, auch darauf einzugehen.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421216400
Wir sollten aber da-
rauf achten, dass wir langsam zum nächsten Redner kom-
men können. Aber noch haben Sie das Wort. Bitte sehr,
Herr Kollege.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1421216500
Was die weltwirtschaft-
liche Entwicklung anbelangt, ist leider festzustellen, dass
sie momentan nicht mehr so gut verläuft. Aber die wirt-
schaftliche Entwicklung, die wir in der Bundesrepublik
Deutschland zu verzeichnen haben, ist nicht allein auf die
schlechte Lage der Weltwirtschaft, sondern auf eine ver-
fehlte Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik Deutsch-
land zurückzuführen.


(Birgit Roth [Speyer] [SPD]: Aber Herr Hinsken, das ist doch grotesk!)


Sie haben die Jahre 1999 und 2000 verschlafen,

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


in denen die Möglichkeit bestanden hätte, zu korrigieren
und eine Grundlage für eine positive wirtschaftliche Ent-
wicklung in der Bundesrepublik Deutschland zu legen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Das musste einmal gesagt werden! – Gegenruf des Abg. Horst Kubatschka [SPD]: Auch wenn es falsch ist!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421216600
Jetzt hat die Kollegin
Sylvia Voß für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grü-
nen das Wort.


Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421216700
Sehr ge-
ehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Hinsken, Ihre Rede und Ihre Erwiderung auf
die Kurzintervention haben mich an die drei Affen erin-

nert. Wenn man schon nichts sehen und hören will, dann
sollte man auch nichts sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Was haben Sie jetzt damit gemeint? – Gegenruf der Abg. Susanne Kastner [SPD]: Dass das, was Sie gesagt haben, falsch war!)


Die zurückliegenden Monate waren – wir wissen,
warum – wirklich nicht leicht für die Tourismusbranche.
Man urlaubt im Moment lieber erdgebunden und im eige-
nen Land. Eine insgesamt positive Entwicklung der Gäs-
teübernachtungen in Deutschland war, wie Sie wissen, im
Jahre 2001 davon unabhängig zu verzeichnen.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das ist doch kein Verdienst der SPD!)


Die deutsche Tourismusbranche erwartet diesen positi-
ven Trend, der Sie eigentlich freuen sollte, auch für 2002.
Der Campingtourismus wird in Deutschland immer be-
liebter wie auch Flusskreuzfahrten. Der Wellnesstrend ist
ungebrochen. Für mich ist das ein deutlicher Beweis nicht
nur für den guten Ruf der Tourismusbranche, sondern
auch dafür, dass sie hier etwas leistet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Seit mehr als drei Jahren wird die Tourismuswirtschaft
– man kann sagen: endlich – von einer zielstrebigen Ko-
alition und von einer tatkräftigen Bundesregierung unter-
stützt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ernst Burgbacher [FDP]: Wo?)


Heute beschließen wir nämlich ein Tourismusförderpro-
gramm und damit weitere – wir haben auch vorher schon
Verbesserungen auf den Weg gebracht – Verbesserungen
für einen erfolgreichen Tourismus in unserem Land.

Ein Beispiel von vielen: Wir regen Betreiber von tou-
ristischen Einrichtungen dazu an, ihre Anlage mit moder-
ner Technologie auszustatten. Das ist ein ganz wichtiger
Beitrag für den Umweltschutz und fördert gleichzeitig
das Investitionsklima und den Arbeitsmarkt. Die Bundes-
regierung wird dafür Gelder in speziellen Förderpro-
grammen bereitstellen. Auf eine für ihn sehr angenehme
und für die Umwelt nachhaltige Art und Weise leistet der
Gast seinen Beitrag, wenn er eine Urlaubseinrichtung
bucht, die umweltschonend geführt wird, die Produkte
aus der Region vermarktet und die auch ohne Auto er-
reichbar ist. Mit der Einführung der Umweltdachmarke
Viabono haben wir die Orientierung für den Kunden dies-
bezüglich vereinfacht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Deutschland kann auch in diesem Jahr beliebtestes
Reiseziel der Deutschen bleiben. Wenn Sie einmal einen
genauen Blick in unseren Antrag werfen, werden Sie er-
kennen, dass von uns die besten Voraussetzungen dafür
geschaffen wurden, dass sich daran so schnell nichts




Ernst Hinsken

21009


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(A)



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ändert. Im Gegenteil: Wir befördern auch den Incoming-
Tourismus, an dem es bisher immer noch fehlt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es gibt in Deutschland auf engem Raum viel zu
erleben, sodass man sich als Tourist hier faktisch nie lang-
weilen kann. Zum Beispiel entdecken immer mehr Tou-
risten die faszinierende Natur in deutschen Groß-
schutzgebieten. Die maßgeblich von uns auf den Weg
gebrachte Image- und Marketingkampagne für Deutsch-
lands Nationalparke kam deshalb genau zum richtigen
Zeitpunkt, ebenso wie der TAB-Bericht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Qualitätsmarken – Nationalpark, Biosphärenreservat
und Naturpark – sind nun einmal für ganze Regionen
Deutschlands maßgebend, zum Beispiel für das Watten-
meer oder auch für die mecklenburgische und branden-
burgische Seenplatte.


(Brunhilde Irber [SPD]: Und für die Sächsische Schweiz!)


Daraus ergeben sich große Chancen für Tourismus und
Naturschutz.

Im Internationalen Jahr des Ökotourismus – auch Sie,
Herr Hinsken, sollen Lust auf Natur haben – haben einige
Prominente unsere Richtung zum nachhaltigen Tourismus
untermauert. Herr Frangialli von der WTO und Herr
Trittin haben anlässlich der Eröffnung des Reisepavillons
in Hannover entsprechende Reden gehalten.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Natürlich setzen diese touristischen Aktivitäten voraus,
dass der Schutzstatus der Großschutzgebiete erhalten
bleibt. Durch eine geschickte Besucherlenkung muss der
Tourist von der Natur fasziniert und müssen zugleich ge-
fährdende ökologische Belastungen ausgeschlossen wer-
den. Die Kampagnen, die wir für die Großschutzgebiete
gestartet haben, sind aber nur ein Beispiel dafür, wie wir
die Tourismusentwicklung in Deutschland fördern.

Wir nehmen uns weiterhin der Qualifizierung der
Beschäftigten an. Dies ist etwas, was Sie nie zustande ge-
bracht haben. Das bedeutet fachkundigeres und freundli-
cheres Personal in Gaststätten und Hotels.

Wir engagieren uns ebenfalls deutlich auf der Ebene
der Europäischen Union und führen endlich Veränderun-
gen im Bereich der Mobilität durch, indem wir umwelt-
schonende Verkehrsträger fördern. Wir verbinden Mobi-
lität mit einem umweltverträglichen Konzept, wozu Sie
nie in der Lage waren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ernst Burgbacher [FDP]: Staus, Staus, Staus! – Eduard Oswald [CDU/ CSU]: Ihr treibt den Verkehr auf die Straße! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


– Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun beruhigt euch
wieder! Wir wissen natürlich, dass bei der Opposition ein

gewisses Engagement für den Tourismus vorhanden ist.
Ihr Antrag spiegelt das allerdings ungenügend wider. Es
hilft überhaupt nicht weiter, planlos irgendetwas aufzu-
schreiben und aneinander zu reihen, was einem allgemein
zum Tourismus einfällt. Die wenigen wirklich nennens-
werten, sinnvollen und auch bezahlbaren Vorschläge der
Opposition sind längst in unserem Programm berücksich-
tigt. Sie müssten es nur einmal richtig lesen.

Aus einem ganz anderen Grund wird die CDU/CSU in
unseren Debatten über die Tourismuspolitik künftig etwas
besonnener debattieren müssen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Was?)

Früher konnte man fast die Uhr danach stellen – heute hat
es ein wenig länger gedauert, Herr Hinsken –: Spätestens
nach zweieinhalb Minuten Redezeit – egal, bei welchem
möglichen oder unmöglichen Thema – würde die Forde-
rung nach Rücknahme der Ökosteuer erhoben. Diese
Forderung wird die FDP von nun an allein unerhört er-
schallen lassen.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Richtig! Aber genauso überzeugt!)


Die „SOS-Tourismuspolitiker“ Brähmig und Hinsken
müssen nun zurückrudern, nachdem ihr Edmund „der
Kandidat“ Stoiber zu der Einsicht gelangt ist und erklärt
hat, dass eine Abschaffung der Ökosteuer, wie bisher voll-
mundig von Ihnen gefordert und versprochen, nicht reali-
sierbar ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Völliger Quatsch! So etwas kann man sich nicht anhören!)


So schnell kann man sich blamieren, wenn man unseriös
Politik macht.

Sie wissen, dass die Ökosteuer den Faktor Arbeit ent-
lastet, dass sie Arbeitsplätze sichert und zu umweltscho-
nendem Verhalten motiviert, was schließlich auch der
Tourismusbranche, insbesondere dem Mittelstand, zugute
kommt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421216800
Frau Kollegin, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brähmig?


Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421216900
Ich bin
gleich fertig und er hat schon so viel geredet.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie trauen sich nicht!)


Wenn Sie es tatsächlich immer noch nicht glauben wol-
len, fragen Sie doch Ihren Kollegen Stoiber selbst.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Weitsichtige umweltschützende Maßnahmen ziehen
sich wie ein roter Faden durch alle Schwerpunkte unseres
Tourismusförderprogramms, weil unser Programm auf
Nachhaltigkeit setzt. Wir berücksichtigen auch die finan-
zielle Förderung von touristisch bedeutenden Projekten.




Sylvia Voß
21010


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(D)



(A)



(B)


Ich könnte noch mehr Punkte aufzählen, will aber nur
noch hervorheben, dass wir es waren, die die finanzielle
Ausstattung der Deutschen Zentrale für Tourismus end-
lich verbessert haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


In diesem Zusammenhang möchte ich den Mitarbei-
tern der Deutschen Zentrale für Tourismus Dank sagen,
denn sie leisten wirklich hervorragende Arbeit und gehen
mit dem Geld, das wir ihnen gegeben haben, gut um.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

In guten Händen ist auch die Tourismuspolitik. Unser

Tourismusförderprogramm macht dies deutlich. Nehmen
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, die-
ses Programm doch einfach immer wieder zur Hand und
freuen Sie sich mit uns an all diesen Vorhaben,


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Wenn darin etwas Vernünftiges stehen würde, wäre es lesenswert!)


die nach vielen Legislaturperioden des Stillstandes end-
lich umgesetzt werden – zum Nutzen der Tourismuswirt-
schaft, zum Vorteil der Touristen und zum Guten für die
Natur.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421217000
Für die FDP-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Ernst Burgbacher.


Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1421217100
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! „Stoppt die Abzocker“
schrieb gestern eine große Tageszeitung. Dann wurde natür-
lich gleich auch noch pauschal gesagt, die Gastronomie
habe die Einführung des Euro zur Preiserhöhung genutzt.


(Brunhilde Irber [SPD]: Stimmt!)

An dieser Stelle will ich eines deutlich sagen: Es stimmt
nicht. Die Gastronomie war daran beteiligt, dass die Euro-
Einführung so glatt verlief. Wenn es ein paar Abzocker
gibt, dann sind es schwarze Schafe; die gibt es überall.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schwarze Schafe, genau!)


Frau Kollegin Irber, wenn Sie sagen, dass es stimmt,
dann stimmt mich das sehr traurig. Ich danke der Gastro-
nomie für die Leistung, die sie erbracht hat. Ich wehre
mich gegen solche pauschalen Urteile.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Susanne Kastner [SPD]: Die Abzocker sind schwarz!)


– Frau Kastner, ich weiß, dass Sie damit nicht gut leben
können und dass Sie Ihre Vorurteile gerne pflegen. Das
kennen wir alles.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Frau Kastner hat von dem Ganzen doch keine Ahnung!)


Meine Damen und Herren, ich will gerne bei dem ein-
steigen, was Kollegin Irber gesagt hat. Wir sollten uns viel-
leicht einmal ein wenig ehrlicher über Zahlen unterhalten.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Genau, zuhören!)


Jawohl, es ist richtig: Wir haben geringfügige Steigerun-
gen bei den Übernachtungsraten. Wenn wir differenzie-
ren, dann sehen wir, dass es im Städtetourismus sehr hohe
Steigerungsraten gibt, in anderen Bereichen allerdings
nicht; dort gibt es einen Rückgang. Wir sehen auch, dass
es zwar Steigerungsraten gibt, aber gleichzeitig einen Be-
sorgnis erregenden Rückgang in der Ertragslage.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In den ostdeutschen Bundesländern sind die Steigerungsraten erheblich!)


Das ist die eigentlich wesentliche Zahl. Sie verstehen das
aber nicht, weil Sie es nicht verstehen wollen. Das ist das
Problem.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Natürlich haben wir infolge des 11. September Pro-

bleme; das ist doch überhaupt keine Frage.

(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben auch Überkapazitäten gefördert!)


Wir haben – auch das ist keine Frage – ebenso konjunk-
turelle Probleme. Meine Damen und Herren, da Sie sich
immer mit der Steuerreform brüsten, nehmen Sie das, was
Ihr Ministerium sagt, einmal zur Kenntnis: Wir haben
zwar nur eine geringfügige, aber doch eine Erhöhung der
Steuerlastquote in Deutschland. Das wirkt sich natürlich
sehr stark auf die Nachfrage aus.

Ich komme zu Ihren Äußerungen über die Weltwirt-
schaft. Es ist richtig, dass wir von der Weltwirtschaft ab-
hängen. Dafür, dass wir bei der Wachstumsrate an letzter
Stelle in der Europäischen Union liegen, trägt aber nicht
die Weltwirtschaft die Verantwortung. Das ist durch eine
völlig verfehlte Wirtschafts-, Steuer- und Arbeitsmarkt-
politik hausgemacht. Auch das muss hier gesagt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Susanne Kastner [SPD]: Die Platte hängt bei Ihnen auch schon! Sie dreht sich ununterbrochen an der gleichen Stelle! – Gegenruf des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie hatten eine schlechte Kinderstube!)


Aus den Anträgen wird durchaus deutlich, dass wir eine
Menge Gemeinsamkeiten haben, auch wenn Sie, Frau
Kastner, nur ununterbrochen dazwischenbellen können.


(Susanne Kastner [SPD]: Ich belle nicht, ich spreche!)


Ein paar Aussagen zur Sache wären viel schöner. Wir ha-
ben – auch im Ausschuss – eine Menge Gemeinsamkeiten
in der Tourismuspolitik. Das sollten wir hier klarstellen.

Ich bedanke mich bei der Deutschen Zentrale für
Tourismus und bei vielen anderen für die hervorragende
Arbeit, die in Deutschland für den Tourismus geleistet
wird. Es könnte aber einiges noch wesentlich besser




Sylvia Voß

21011


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(A)



(B)


laufen. Liebe Kollegin Irber, wenn einiges politisch an-
ders gelaufen wäre, könnten wir nicht nur diese Steige-
rungsraten, sondern wesentlich höhere haben.

Ich will einmal einige Beispiele nennen: Ich habe
schon auf die Ertragslage und die Steuerlastquote hinge-
wiesen. Sie können doch die Augen nicht davor ver-
schließen, dass wir auf dem Arbeitsmarkt schwierigste
Zustände haben und dass diese Branche händeringend
nach Arbeitskräften sucht, sie aber nicht findet, weil Sie
die Möglichkeiten dazu vernichtet haben. Wenn Sie sich
das neueste Gutachten des Industrie- und Handels-
kammertages ansehen, dann lesen Sie – ich zitiere –:

Die Kostensteigerungen durch steigende Sozialab-
gaben, Erhöhung der Ökosteuer und Mehrausgaben
im Wareneinkauf zwingen immer mehr Unterneh-
men der Tourismuswirtschaft, Preiserhöhungen am
Markt durchzusetzen.

Dann wird davon gesprochen, dass fehlende Investitionen
Sorge bereiten. „Augen zu und durch“ kann wahrlich
nicht die Devise sein. Wir müssen handeln, und zwar jetzt.

Wir als FDP-Fraktion haben dazu eine ganze Menge
Vorschläge gemacht. Wir haben vorgeschlagen, den re-
duzierten Mehrwertsteuersatz für die Hotellerie einzu-
führen. Wir haben vorgeschlagen, die Trinkgeldbesteue-
rung abzuschaffen. – Liebe Kollegen von der CDU/CSU,
ich glaube, Sie springen jetzt. Das begrüße ich. Endlich
springen Sie. Ich erwarte, dass die Sprünge auch von an-
deren kommen. – Wir haben eine ganze Menge Vor-
schläge zur Deregulierung gemacht und wir haben heute
einen Antrag vorgelegt. Jetzt muss ich sagen: Da hört bei
mir jegliches Verständnis dafür auf, dass Sie ihn aus par-
teitaktischen Gründen ablehnen werden. Wir haben zum
zehnjährigen Jubiläum der deutschen Einheit gefordert,
eine große Kampagne zu starten: Deutschland besucht
Deutschland. Damit würden wir Mauern in den Köpfen
ein Stück einreißen und hätten einen wirtschaftlichen Vor-
teil. Was macht die Regierung? – Der Antrag kommt von
der Opposition, also lehnt man ihn ab. Das finde ich völ-
lig unverständlich.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Liebe Kollegin Irber, nehmen Sie bitte zur Kenntnis

– Sie haben vorhin Zahlen dazu genannt –, dass der
kleinste Teil der deutschen Bevölkerung jemals in den
neuen Ländern war. Das müssen wir auch aus politischen
Gründen ändern. Deshalb sollten Sie hier zustimmen.

Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen: Lieber
Herr Mosdorf, wir werden Sie als unseren zuständigen
Staatssekretär leider bald verlieren. Das tut mir wirklich
Leid;


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Mir auch!)

denn Sie haben hier gute Arbeit geleistet.


(Beifall im ganzen Hause)

Ich will aber auch sagen: Ich bemängele an dieser

Stelle, dass wir einen Wirtschaftsminister haben, der sich
um Tourismus überhaupt nicht kümmert.


(Susanne Kastner [SPD]: Das ist aber nicht wahr! Das ist wirklich schlimm, Herr Burgbacher, was Sie sagen!)


Er hat an dieser Stelle versprochen, einen reduzierten
Mehrwertsteuersatz einzuführen, und hat es nicht einge-
halten. Er hat weder im Ausschuss noch im Plenum an
Tourismusdebatten teilgenommen. Er ist über Verspre-
chen und Ankündigungen nicht hinausgekommen.


(Brunhilde Irber [SPD]: Das stimmt überhaupt nicht!)


Deshalb hoffe ich, dass wir wenigstens wieder einen
Staatssekretär bekommen, der sich auch auf diesem Feld
betätigt. Ich habe die noch größere Hoffnung, dass nach
dem 22. September dieses Jahres wieder die FDP beim
Tourismus sagt, wohin die Reise geht. Dann wird auch
hier einiges anders werden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421217200
Es ist eine Debatte
mit vielen Zwischenrufen. Trotzdem gefällt mir das Wort
„bellen“ nicht so ganz. Ich glaube nicht, dass dies ein par-
lamentarischer Ausdruck ist, wenn ich mir die Bemerkung
erlauben darf. Das sehen Sie sicherlich ein, Herr Kollege.

Nun hat die Kollegin Rosel Neuhäuser für die PDS-
Fraktion das Wort.


Rosel Neuhäuser (PDS):
Rede ID: ID1421217300
Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist eine sehr hitzige Debatte.


(Heiterkeit bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Es gibt Schlimmeres!)


Ich denke, dass das „Jahr des Tourismus“, das wir in
2001 hatten, dazu beigetragen hat, dass sich in der Tou-
rismusbranche einiges entwickelt hat. Sicherlich stimmt
die Einschätzung, dass es territorial sehr unterschiedliche
Ergebnisse gibt, was auch in den Regionen sehr unter-
schiedliche Wirkungen hatte. Es helfen nicht allein Vor-
würfe, sondern man muss überlegen, wie man eine in-
haltliche Debatte organisieren kann, statt auf eigenen
Standpunkten zu beharren, um diesen Entwicklungspro-
zess nach inhaltlichen Lösungen zu forcieren und damit
der Branche insgesamt zu helfen.

In vielen Gesprächen mit Vertretern aus der Touris-
musbranche und Kommunalpolitikern wurde immer wie-
der auf die Rolle und die Verantwortung des Tourismus
für die Wirtschaft und für die Beschäftigung hingewiesen.
Es wurde darauf aufmerksam gemacht, dass das Poten-
zial, welches der Tourismus bietet, nur dann voll genutzt
werden kann, wenn die Bereitschaft zur Entwicklung von
Kooperationen auf allen Ebenen – ich meine hier die eu-
ropäische Ebene, die nationale Ebene, die regionale und
die lokale Ebene sowie auch die Kooperation zwischen
öffentlichen und privatwirtschaftlichen Partnern – mög-
lich wird.

Wir alle wissen: Tourismus ist kein Selbstläufer. Er-
folge in der Branche erzielen wir überall dort, wo durch
Zusammenarbeit eine Bündelung von Kräften erfolgt.
Das bedeutet aber noch ein ganzes Stück gemeinsamer
Arbeit, da das gesamte touristische Potenzial auf den un-




Ernst Burgbacher
21012


(C)



(D)



(A)



(B)


terschiedlichsten Ebenen diesbezüglich noch lange nicht
erschlossen ist. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Bei-
spielen.

So kurios es auch klingen mag: Das heute zu be-
schließende Tourismusförderungsprogramm bedarf aus
dieser Situation heraus – ich meine den von der Bundes-
regierung vorgelegten Antrag – Ergänzungen.


(Brunhilde Irber [SPD]: Der Antrag ist von der Koalition!)


Begrüßenswert sind aus meiner Sicht die Abschnitte „Ent-
bürokratisierung“ – das ist schon kritisiert worden –, „Fi-
nanzielle Förderung“, „Umwelt“ sowie „Europäische
Union International“, aber auch das Kapitel zur Zusam-
menarbeit von Bund und Ländern.

Das heißt, wenn wir in der Debatte um das Touris-
musförderungsprogramm über Rahmen- und Wettbe-
werbsbedingungen reden, können wir eben nicht nur an
betriebswirtschaftliche Probleme – wie: höchste Qualität
der Produkte, gleiche Marktzugangsbedingungen aller
Unternehmen oder umweltfreundliche Produkte – den-
ken. Aus unserer Sicht geht es um mehr. Es muss auch um
den Wettbewerb, die Schaffung und den Erhalt von Ar-
beitsplätzen, um hohe soziale Standards und um Nachhal-
tigkeit gehen.

Das Problem der Ausbildung und die Übernahme in
Feststellen beispielsweise – hier ist meines Erachtens
noch ein großer Nachholbedarf vorhanden – oder die
Frage des barrierefreien Reisens sprechen Sie in Ihrem
Antrag an. Nur in dieser Koppelung sehe ich zukünftig
eine Chance, in den unterschiedlichsten Regionen regio-
nale Wirtschaftskreisläufe aufzubauen, die dazu führen,
dass die Menschen sozial abgesichert werden können und
die Kaufkraft damit gestärkt wird.

Ich bin fest davon überzeugt, dass der Beitrag des Tou-
rismus zu Wachstum und Beschäftigung gerade jetzt eine
weit größere Anerkennung auf allen politischen Ebenen
benötigt. Es müssen Aktivitäten auf der Tagesordnung ste-
hen, die dazu beitragen, die Tourismuswirtschaft zu stär-
ken, um Potenziale für weiteres Wachstum zu schaffen. Der
Antrag der Koalitionsfraktionen bietet die Voraussetzun-
gen, aber die Konkretisierung und vor allen Dingen die Un-
terfütterung dieser Ansätze bleiben noch aus.

Ich meine, es kann nicht allein darum gehen, die Hard-
ware – um es einmal in der Computersprache auszu-
drücken – bereitzustellen. Seinerzeit – damit spreche ich
ein Problem an, das damals die CDU/CSU-Fraktion und
die FDP-Fraktion in ihrer Regierungszeit entschieden ha-
ben –, als es darum ging, GA-Fördermittel für die so ge-
nannten Spaßbäder in den neuen Bundesländern auszu-
weisen, existierte zwar die Hardware, aber für die
Software, also das Betreiben dieser Einrichtungen, waren
keine finanziellen Mittel mehr da. Ich meine, dieser An-
satz ist nicht unbedingt ein Beispiel für die Entwicklung
einer nachhaltigen Tourismuspolitik.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch ei-
nen Satz zu dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion sagen. Es
geht nicht allein darum, immer wieder neue Wettbewerbe
auszuschreiben. Aus meiner Sicht ist es besser, in Rich-

tung Förderprogramme – wie Aktionsprogramm für Kin-
der- und Jugendreisen oder Programm für familien-
freundlichere Angebote – aktiv zu werden.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch einen
Wunsch zum Abschluss äußern. Ich möchte es so formu-
lieren: Schalten wir die Ampel für den Aktionsplan für
Kinder- und Jugendreisen auf Grün, damit wir ihn so
schnell wie möglich auf den Weg bringen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421217400
Das Wort hat jetzt der
Parlamentarische Staatssekretär Siegmar Mosdorf.

S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1421217500
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss mich zunächst
recht herzlich bei dem Kollegen Burgbacher für die freund-
lichen Anmerkungen und Bewertungen bedanken. Ich habe
ohnehin das Gefühl, dass man diese auch zurückgeben
kann; denn der Tourismusausschuss hat eigentlich immer
versucht, interfraktionell, über die Parteigrenzen hinweg,
zusammenzuarbeiten und auch etwas voranzubringen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP– Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das war nur, weil die Frau Kastner nicht dabei war! – Gegenruf der Abg. Susanne Kastner [SPD]: Sie haben keine Ahnung!)


– Ich meine, da kannst du auch mal klatschen, Ernst. Das
ist nämlich richtig. Wir haben eine ganze Menge gemein-
sam vorangebracht. Deshalb meine ich, dass die Differenz
wesentlich kleiner ist, als es teilweise in den Debatten
zum Vorschein kommt.

Wir haben eine ganze Menge bewegt. Wir müssen, so-
zusagen bilanzierend, festhalten: Die Tourismusbranche
ist eine wichtige Wachstumsbranche, die viele noch nicht
als solche erkannt haben. Wir müssen auch viele Kollegen
in unserem Kreis, die nicht in unserem Ausschuss mit-
arbeiten, darauf hinweisen, dass die Branche wirklich ak-
tiv ist und dass darin eine Menge passiert.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


Darin liegt eine Informationschance. Der Vorsitzende
des Ausschusses hat schon darauf hingewiesen, dass in
dieser Branche sehr viele Menschen beschäftigt sind
– nämlich 3 Millionen –, dass ihr Anteil am Bruttosozial-
produkt 8 Prozent beträgt, dass dort 280 Milliarden Um-
satz erwirtschaftet werden und – was noch hinzukommt;
das halte ich für besonders wichtig – dass die Branche
110 000 Auszubildende beschäftigt. Ich meine, das ist ein
Lob wert und ein Dankeschön an die Branche dafür, dass
sie sich in der Ausbildung so engagiert.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin sehr dafür,
auch kritische Punkte anzusprechen. Denn nur wenn man




Rosel Neuhäuser

21013


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(D)



(A)



(B)


kritische Punkte anspricht, kann man daraus lernen und
etwas Neues entwickeln. Trotzdem können wir auch mit
ein bisschen Stolz auf die Zahlen schauen, die das Statis-
tische Bundesamt heute veröffentlicht. Frau Irber hat be-
reits darauf hingewiesen: In dem für uns schwierigen Jahr
2001 – zum einen wegen des Vergleichs mit dem EXPO-
Jahr, in dem wir wirklich außergewöhnliche Gästezahlen
hatten, zum anderen wegen des 11. September; es ist von
mehreren Rednern darauf hingewiesen worden, was der
11. September ausgelöst hat – werden wir mit 327 Milli-
onen Übernachtungen die Zahl von 2000, einem Re-
kordjahr, wahrscheinlich einstellen oder möglicherweise
sogar leicht darüber liegen. Darüber können wir uns mit
der Branche freuen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde, wir sollten deutlich machen, dass das ein wich-
tiger Schritt nach vorne ist. Wir sollten nicht dort schwarz
malen – Schwarz ist natürlich eine schöne Farbe –,


(Horst Kubatschka [SPD]: Nicht immer!)

wo es eigentlich angebracht ist, die Dinge positiv darzu-
stellen.

Ich möchte jetzt eigentlich mehr auf die Entwick-
lungen nach 1998 und weniger auf das eingehen, was vor
1998 alles geschehen ist, zum Beispiel bei den Kur-
städten.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Da hat die Frau Kastner sehr viel versprochen!)


– Nein, Ernst, die Kurstädte waren in einer sehr schwie-
rigen Situation. Das wissen wir alle. Ich bin froh darüber,
dass die Kurstädte wieder aufleben und dass sie sich im
internationalen Wettbewerb behaupten. Gerade in den
Grenzgebieten ist die Konkurrenz sehr hart. Es ist daher
wichtig, dass unsere Kurstädte wieder Tritt gefasst haben
und positive Wachstumsraten aufweisen. Das ist ein ganz
wichtiger Schritt nach vorne.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


Ich möchte noch einen Punkt besonders hervorheben,
der oft vergessen wird. Die Tatsache, dass es im Jahre
2001 fast 62 Millionen Übernachtungen in den neuen
Bundesländern gab – sie haben im Vergleich zu 1999
Wachstumsraten von bis zu 14 Prozent aufzuweisen –, ist
ein Zeichen dafür, dass die deutsche Einheit auch im Tou-
rismusbereich stattgefunden hat und dass die Juwelen in
den neuen Bundesländern inzwischen auch von vielen aus
den alten Bundesländern erkannt werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ernst Burgbacher [FDP]: Viel zu wenig!)


Deshalb habe ich überhaupt kein Problem mit dem Antrag
der FDP. Sie, Frau Irber, wahrscheinlich auch nicht. Wir
haben schon lange die Devise ausgegeben – die FDP hat
sie in ihren Anträgen übernommen –: Deutsche, besucht
Deutschland! Fahrt nicht dreimal im Jahr nach Mallorca,
macht lieber Urlaub zu Hause! Daraus können wir gerne,
wie die FDP es will, eine Kampagne machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ernst Burgbacher [FDP]: Dann macht es doch!)


Gerade in der jetzigen Zeit sollten wir alles, was die ver-
schiedenen Regionen Deutschlands zu bieten haben, auch
erleben. Man muss nicht pausenlos irgendwohin fahren.
Man kann auch zu Hause Urlaub machen. Das sollte man
gerade mit Blick darauf tun, dass in diesem Jahr – das
letzte Jahr hatten wir mit vereinten Kräften zum Jahr des
Tourismus ausgerufen – die Nachhaltigkeit und der öko-
logisch verträgliche Tourismus eine große Rolle spie-
len. Dazu gehört vieles, über das wir im Ausschuss bera-
ten haben, zum Beispiel die Frage, wie eine Renaissance
der Ferien auf dem Bauernhof auf hohem qualitativen Ni-
veau eingeleitet werden kann. Andere Stichworte sind Na-
turparks und Fahrradtourismus. Ich glaube, wir haben ge-
meinsam eine Menge zustande gebracht. Wir können stolz
darauf sein, dass wir 2002 die Themen der Nachhaltigkeit
und des ökologisch verträglichen Tourismus in den Vor-
dergrund gestellt haben, lange bevor man international
auf die Idee gekommen ist, diese Themen aufzugreifen.

Die Situation in den Monaten nach dem 11. September
– darüber haben wir hier schon gesprochen – war schwie-
rig. Ich bin froh darüber, dass sich die Zahlen inzwischen
deutlich verbessert haben, auch die der Fluggesellschaf-
ten. Das haben mir Vertreter der Fluggesellschaften be-
stätigt, mit denen ich in den letzten Monaten gesprochen
habe. Das ist auch ein positives Zeichen dafür, dass die
Menschen bereit sind, mit schwierigeren Umständen fer-
tig zu werden. Die Bundesregierung hat dazu einen Bei-
trag geleistet, indem sie für die Fluggesellschaften die
Haftungsübernahme temporär garantiert hat. Diese Ga-
rantie ist in diesen Tagen bis Ende Februar verlängert wor-
den, weil die Verhandlungen zwischen den Fluggesell-
schaften und den Versicherungen noch andauern. Ich
finde, der Staat kann wirklich nicht alles machen. Es
macht auch keinen Sinn, dass der Staat alles macht. Aber
es ist als ein gemeinsamer Erfolg zu bewerten, wenn die
Bundesregierung in einer Krisensituation die Haftungs-
übernahme garantiert, und zwar so lange, bis sich die Ver-
sicherungen und die Fluggesellschaften geeinigt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Aber über den Februar hinaus!)


– Lieber Ernst Hinsken, ich glaube nicht, dass es ernsthaft
Ihre Meinung ist, der Staat müsse die Haftung sozusagen
bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag übernehmen. Das wäre
eine Staatswirtschaft, die wir nicht wollen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Wie in Amerika müssen wir es machen!)


Wir haben uns wie folgt entschieden: Wir versuchen,
die Haftung vonseiten des Staates sicherzustellen, so-
lange sich der Versicherungspool nicht geeinigt hat, damit
die Airlines überhaupt fliegen können. Zu Recht sagt
Jürgen Weber: Wenn wir keine Sicherung haben, bleiben
die Flugzeuge am Boden. Was das für eine Volkswirt-
schaft wie die Bundesrepublik Deutschland hieße, wissen
wir alle. Deshalb noch einmal der Appell auch an die Ver-
sicherungswirtschaft, eine Einigung herbeizuführen.




Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
21014


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich bin übrigens der Auffassung, dass wir dringend
eine internationale Einigung brauchen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Eben! In Amerika wird das vom Staat gemacht!)


– Genau! Das muss man auch den amerikanischen Freun-
den sagen. Es geht nicht an, dass wir in einer solchen Kri-
sensituation mit Dumpingpreisen agieren oder mit beson-
deren Subventionen helfen und damit im Grunde einen
fairen Wettbewerb behindern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Bei aller Solidarität: Wir brauchen ein „level playing
field“, ein gemeinsames Feld, auf dem unter Wettbe-
werbsgesichtspunkten Fairness herrscht. Da wir das noch
nicht haben, sind wir als Bundesregierung eingesprungen
und haben alles dafür getan, damit die Haftpflichtver-
sicherung auch bei Drittschäden aufrechterhalten ist und
die Wirtschaft weiter agieren kann. Die Wirtschaft aner-
kennt das. Das ist ein positives Zeichen.

Zum Schluss möchte ich noch Folgendes sagen: Für
uns alle ist mehr denn je wichtig, dass wir Gäste ins Land
holen. Die Deutschen geben sehr viel im Ausland aus.
Wenn wir nur diese Bilanz, nur diesen Teil der Dienstleis-
tungsbilanz sehen, dann erkennen wir: Wir müssen hier
wirklich alle Anstrengungen unternehmen. Denn wir
müssen schon ganz schön viele Autos verkaufen, damit
wir die Devisen, die wir bei all unseren Auslandsreisen im
Ausland ausgeben, wieder hereinbekommen. Also ist es
wichtig, dass wir einen Schwerpunkt darauf setzen, Gäste
einzuladen, Gäste zu uns ins Land zu holen, ein offenes,
ein liberales, ein tolerantes Land


(Brunhilde Irber [SPD]: Und ein sicheres!)

– ja, auch ein sicheres Land; das ist ein wichtiger Punkt –
und ein attraktives Land zu sein, und zwar nicht nur im
klassischen Tourismus, sondern auch im kulturellen Be-
reich.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421217600
Der Herr Kollege
Feibel möchte eine Zwischenfrage stellen. Wollen Sie die
zulassen?

S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1421217700
Ich möchte das
erst zu Ende führen. Herr Kollege, Sie erhalten dann Ge-
legenheit zu fragen. Ich bitte da um Verständnis.

Wir müssen, glaube ich, einen ganz wichtigen Punkt
im Auge behalten. Wir sollten im Hochsegment, in der
qualitativen Tourismusförderung – dazu gehört Kultur; da
hat Deutschland sehr viel zu bieten: in der Musik, in der
Literatur – einen besonderen Schwerpunkt setzen. Da ha-
ben viele Regionen ihre eigenen Stärken. Das haben an-
dere Länder so nicht. Andere Länder haben Sonne, haben
Wasser, haben viele andere Dinge. Wir haben auf dem Ge-
biet der Kultur sehr viel zu bieten. Deshalb, so meine ich,
müssen wir in den nächsten Monaten gemeinsame An-
strengungen unternehmen, um den Tourismus weiter vo-
ranzubringen, indem wir auch eine kulturpolitische Di-

mension in die Tourismusdebatte hineintragen. Daran
möchte ich mich gerne beteiligen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421217800
Jetzt noch einmal die
Frage, ob Sie eine Frage des Kollegen Feibel beantworten
wollen.

S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1421217900
Natürlich. Ich
wollte nur meine Zeit nicht überziehen; denn die Frau Prä-
sidentin ist sehr streng.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421218000
Bitte sehr, Herr
Feibel.


Albrecht Feibel (CDU):
Rede ID: ID1421218100
Herr Kollege, wenn ich
es richtig sehe, wird die Zeit für die Beantwortung von
Zwischenfragen nicht auf die Redezeit angerechnet.

Sie haben im Zusammenhang mit dem 11. September
die Fluggesellschaften angesprochen. In der Tourismus-
branche gibt es noch andere Notleidende in sehr großer
Zahl, denen der Rückgang nach dem 11. September sehr
stark zu schaffen macht. Angesichts dessen frage ich Sie:
Meinen Sie, dass 0,6 Prozent bis 0,8 Prozent Nettoum-
satzrendite in der Reisebranche – das heißt zu Deutsch:
Man muss 1 Million DM Umsatz machen, um am Ende
6 000 DM bis 8 000 DM übrig zu haben – reicht, um in
solch schwierigen Zeiten zu überleben? Wie soll denn
durch Ihre Wirtschaftspolitik eine Verbesserung erreicht
werden, sodass die Unternehmen mehr Kapital bilden
können, um eben auch in solch schwierigen Zeiten noch
überleben zu können?


(Beifall des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU])


S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1421218200
Lieber Herr Kol-
lege, ich darf Sie auf einen Rechenfehler aufmerksam ma-
chen. Bei einer Umsatzrendite von 0,6 Prozent macht man
bei 1 Million DM Umsatz nicht 6 000 DM, sondern
60 000 DM Gewinn.


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Dann rechnen Sie mal genau nach!)


– Das ist eine ganz einfache Rechnung. Das ist nun mal
leider so.


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Nein, nein!)

– Es ist so!


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: 1 Prozent sind 10 000DM und 0,6 Prozent sind 6 000DM! Das stimmt schon!)


Es ändert nichts daran, dass eine Umsatzrendite von
0,6 Prozent zu wenig ist.




Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf

21015


(C)



(D)



(A)



(B)


Gerade wenn man investieren will, braucht man eine
ordentliche Umsatzrendite, überhaupt keine Frage. Sie
werden mir aber zugestehen, dass die Rendite natürlich
eine Sache des Unternehmens, nicht des Staates ist. Wir
tun etwas für bessere Rahmenbedingungen, zum Beispiel
durch Steuersenkungen. Darüber haben wir ja gemeinsam
oft gesprochen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir so
erfolgreich sein können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421218300
Zum Abschluss dieser
Runde hat nun das Wort der Kollege Wolfgang Dehnel
von der CDU/CSU-Fraktion.


Wolfgang Dehnel (CDU):
Rede ID: ID1421218400
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube, im Namen des Hauses zu sprechen, wenn wir dem
Parlamentarischen Staatssekretär Mosdorf für seine mög-
licherweise letzte tourismuspolitische Rede hier im Hause
danken. Wir wünschen ihm persönlich alles Gute.

Allerdings musste ich feststellen, dass keine der Red-
nerinnen beziehungsweise der Redner überhaupt auf den
familienpolitischen Aspekt des Tourismus eingegangen
ist. Deshalb fällt es mir als Familienpolitiker zu, dieses
Feld zu bestreiten. Denn Familien in Deutschland – ich
glaube, darin stimmen wir überein – sind eine attraktive
Zielgruppe des Fremdenverkehrs. Die Familien verreisen
im Urlaub häufiger als der Bundesdurchschnitt und um-
fassen 43 Prozent der gesamten Bevölkerung. Wenn Fa-
milien sich in ihrem Urlaub wohl gefühlt haben, kommen
sie wieder und können zu treuen Stammkunden werden,
deren Kindern mit ihren eigenen Kindern wiederkommen.
Es lohnt sich daher, im Fremdenverkehr die speziellen
Bedürfnisse von Familien zu beachten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Familien brauchen Ferienangebote, die Kindern und

Eltern einen angenehmen und erholsamen Aufenthalt er-
möglichen. Dies dient auch dem Ziel einer familien-
freundlicheren Gesellschaft. Deshalb hat die CDU/CSU-
geführte Bundesregierung 1986, 1990 und 1994 den
Bundeswettbewerb für familienfreundliche Ferienange-
bote in Deutschland gestartet, durchgeführt und ausge-
wertet. Die Resonanz in den Ferienorten war überwäl-
tigend. Es gab bundesweit eine Fülle von guten Ideen für
familienfreundlichen Urlaub.

An diesem Wettbewerb haben sich Gemeinden ge-
meinsam mit ihren Hotels, Pensionen und Anbietern von
Ferienwohnungen, von „Ferien auf dem Bauernhof“ oder
auch von Campingplätzen beteiligt.

Aber die Wettbewerbsbedingungen werden härter. In
Zukunft wird es nicht mehr ausreichen, diese Zielgruppe
nur halbherzig zu bedienen. Für die deutschen Anbieter
von Familienferien wächst der Konkurrenzdruck. Bei im-
mer schärfer kalkulierten Preisen der Pauschalreiseveran-
stalter nimmt die Attraktivität ausländischer Reiseziele
auch für Familien mit mehreren Kindern zu. Das belegt

eine Untersuchung „Urlaub und Reisen �95“. Dort heißt
es – ich zitiere –:

Von 1990 bis 1994 wuchs die Zahl deutscher
Reisender mit Kindern unter 14 Jahren von
11,56 Millionen auf 13,58 Millionen. Im Vergleich
zum Anteil der Inlandsreisen, der von 5,20 im Jahre
1990 auf 4,93 Millionen sank, stieg der Anteil der
Auslandsreisen mit Kindern unter 14 Jahren in
diesem Zeitraum von 6,36 auf 8,65 Millionen.

Sie sehen an dieser Tendenz: Hier müssen wir gegensteu-
ern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ein weiterer Aspekt: Die europäischen Nachbarländer

wie Dänemark und Österreich haben sich längst durch
Schaffung von entsprechenden Angeboten als kompetente
Ziele für den Familienurlaub profiliert. So überrascht es
nicht, dass nach einer Untersuchung in der Zeitschrit „El-
tern“ zum Thema Familienurlaub, durchgeführt schon im
Oktober 1993, Österreich als Ferienland von jungen Fa-
milien die besten Noten erhielt. Daher sollten wir als
Deutsche endlich wieder Anstrengungen in dieser Rich-
tung unternehmen, wie wir dies zu unserer Regierungszeit
getan haben.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Aber in Ostbayern sind wir auch gut dran!)


– Darauf komme ich gleich noch zu sprechen.
Die Wiederaufnahme dieses Bundeswettbewerbs ist

also auch aus Gründen des verstärkten Wettbewerbs zwi-
schen den europäischen Nachbarländern angebracht, ja
geradezu notwendig. Wenn wir unsere Gesellschaft künf-
tig nicht framilienfreundlicher gestalten – dazu gehören
unzweifelhaft auch familienfreundliche Angebote im
deutschen Tourismus –, werden wir im internationalen
Wettbewerb zu den Verlierern gehören. Man kann nicht
alles der ruhigen Hand überlassen; wir müssen uns mit
fleißigen Händen dem Wettbewerb stellen.

Ich gebe zu, dass unsere Fraktion den Wettbewerb auch
für 1998 geplant hatte; aber leider ist die Wahl nicht posi-
tiv für uns ausgegangen. Rot-Grün wollte nicht alles an-
ders, aber vieles besser machen.


(Horst Kubatschka [SPD]: Haben wir auch! – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Nichts habt ihr besser gemacht!)


Schon deshalb wäre dieser Wettbewerb in den vergange-
nen drei Jahren angebracht gewesen.

Es gibt aber noch einen anderen Grund dafür, warum
wir den Antrag zu einem Wettbewerb gestellt haben: Es
gab Forderungen und Rufe danach vor Ort. Wir waren vor
Ort bei den kommunalen Tourismusvertretern. Dazu hat
man unsere Kollegin Schäfer, unseren Kollegen Brähmig,
unseren Kollegen Hinsken eingeladen. Wir waren in den
Wahlkreisen und haben uns vor Ort umgeschaut und ge-
fragt: Was wollen die kommunalen Vertreter? Diese haben
uns darin bestärkt, diesen Wettbewerb wieder einzu-
führen; das wäre eine gute Sache.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Die Frau Kollegin Schäfer war federführend!)





Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
21016


(C)



(D)



(A)



(B)


Überall, ob im Saarland oder in Rheinland-Pfalz, ob in
Sachsen oder Sachsen-Anhalt, ist der Wettbewerb auf eine
positive Resonanz gestoßen. Die CDU/CSU-Fraktion und
die Bundesregierung unter Helmut Kohl haben Ihnen die
Vorlagen geliefert. Fassen Sie sich ein Herz und springen
Sie über Ihren Schatten. Treten Sie damit ins offene Tor
eines neuen familienfreundlichen Ideenwettbewerbs zur
Ausgestaltung des Urlaubsumfelds und Ferienangebots.

Seit dem letzten Wettbewerb sind sechs Jahre vergan-
gen. Da ist es Zeit für eine Neuauflage. Meine Damen und
Herren von der Koalition, glauben Sie wirklich, dass die
Haushaltslage als Verhinderungsgrund für diesen Wettbe-
werb vorgeschoben werden muss, wo Sie doch selbst in
der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage
zum Familientourismus in Deutschland von einer gelun-
genen Aktion zur Widerspiegelung der ganzen Vielfalt
zahlreicher Ideen für den familienfreundlichen Urlaub
sprechen?


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421218500
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Neuhäuser?


Wolfgang Dehnel (CDU):
Rede ID: ID1421218600
Frau Neuhäuser, ja
bitte.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421218700
Bitte sehr, Frau Kol-
legin.


Rosel Neuhäuser (PDS):
Rede ID: ID1421218800
Herr Kollege Dehnel, Sie
haben in Ihrem Antrag gefordert,

den Bundeswettbewerb „Familienferien in Deutsch-
land“, der 1997/98 in vierter Auflage letztmalig aus-
getragen wurde, wieder einzuführen.

Können Sie mir sagen, wo dieser Wettbewerb aus Ihrer
Sicht mehr qualitative Angebote für Familien gebracht
hat? Außerdem möchte ich feststellen, dass ich seit Be-
ginn dieser Legislaturperiode vehement dafür streite, kin-
der-, jugend- und familienfreundliche Angebote im Tou-
rismusbereich zu schaffen.


Wolfgang Dehnel (CDU):
Rede ID: ID1421218900
Frau Kollegin
Neuhäuser, wir kennen uns aus zwei Ausschüssen, aus
dem Petitionsausschuss und aus dem Familienausschuss.
Wenn Sie meiner Rede richtig zugehört hätten, hätten Sie
auch gehört, dass wir 1998 den Antrag gestellt haben, den
Wettbewerb wieder durchzuführen. Auf meinem Platz
liegt ein dicker Katalog; darin enthalten sind die durchaus
positiven Meinungen der Bürgermeister, der Sprecher der
Tourismuswirtschaft, aber auch der Regionalpolitiker, die
sich alle eindeutig positiv zu diesem Wettbewerb geäußert
haben.

Ich habe Ihnen gesagt, dass gerade aus den Kommunen
der Ruf nach diesem Wettbewerb kam, weil er dort zu po-
sitiven Ergebnissen geführt hat. Es gab eine Fülle von
Ideen; wir selber konnten uns vor Ort von diesen Ideen
überzeugen. Wenn wir von diesen Ideen nicht so über-
zeugt gewesen wären, hätten wir den Antrag nicht einge-

bracht. Lassen Sie mich jetzt aber weiter ausführen, denn
ich glaube, Sie haben es verstanden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich weiß, dass mit der Wie-

dereinführung des Wettbewerbs für familienfreundliche
Ferienangebote in Deutschland die Bundestagswahl in
diesem Jahr nicht entscheidend beeinflusst werden kann.
Aber Arroganz und Hochmut auch gegenüber unseren
guten und konstruktiven Vorschlägen, Ideen und Konzep-
ten kommen vor dem Fall am 22. September 2002.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421219000
Ich schließe die Aus-
sprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Tourismus auf Drucksache 14/8021. Der
Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfeh-
lung die Annahme des Antrags der Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen auf der Drucksache
14/5315 mit dem Titel „Programm zur Stärkung des Tou-
rismus in Deutschland“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Gegen
die Stimmen von CDU/CSU und FDP ist die Beschluss-
empfehlung angenommen.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 2 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/5313 mit dem
Titel „Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Tourismus-
wirtschaft stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Ge-
gen die Stimmen von CDU/CSU bei Enthaltung der FDP
ist die Beschlussempfehlung angenommen.

Tagesordnungspunkt 7 b, Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Tourismus auf Drucksache 14/6846 zu
dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Neue
Kampagne ‚Deutschland besucht Deutschland‘ starten“.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/4153 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Gegen die
Stimmen der FDP ist diese Beschlussempfehlung ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 7 c, Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Tourismus auf Drucksache 14/7751 zu
zwei gemäß § 56 a der Geschäftsordnung vorgelegten Be-
richten zu Entwicklung und Folgen des Tourismus. Der
Ausschuss für Tourismus empfiehlt in Kenntnis der Be-
richte auf Drucksachen 13/9446 und 14/1100, eine Ent-
schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich
der Stimme? – Gegen die Stimmen von FDP und
CDU/CSU ist die Beschlussempfehlung angenommen
worden.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/7066 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das
so beschlossen.

Ich rufe auf die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 c sowie
die Zusatzpunkte 4 und 5:




Wolfgang Dehnel

21017


(C)



(D)



(A)



(B)


8. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Marita Sehn, Ulrike Flach, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Kioto-Mechanismen für die internationale
Klimapolitik Deutschlands nutzen
– Drucksache 14/7073 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Marita Sehn, Ulrike Flach, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Kioto-Mechanismen für die nationale Klima-
politik Deutschlands nutzen
– Drucksache 14/7156 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Marita Sehn, Ulrike Flach, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Gesetz zur Ratifizierung des Kioto-Protokolls
unverzüglich vorlegen
– Drucksache 14/7450 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

ZP 4 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Das Kioto-Protokoll ratifizieren und zum Welt-
gipfel 2002 in Johannesburg in Kraft setzen
– Drucksache 14/8026 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter
Paziorek, Dr. Christian Ruck, Cajus Caesar, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Kioto – Bonn – Marrakesch, ein wichtiger
Schritt für die internationale Klimapolitik
– Drucksache 14/8028 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Das ist dann so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Monika Ganseforth für die SPD-Fraktion.


Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1421219100
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute fünf
Anträge zur nationalen und internationalen Klimapolitik.
Insbesondere geht es darum, dass unser Parlament seinen
Beitrag dazu leistet, dass das Kioto-Protokoll zum Welt-
gipfel in Johannesburg im September dieses Jahres in
Kraft treten wird. Dazu muss es rechtzeitig ratifiziert wer-
den. Die Bundesregierung hat den Prozess eingeleitet und
wir werden – ich glaube, da kann ich für alle sprechen –
diesen Gesetzentwurf der Regierung zügig behandeln, um
das Protokoll noch in Kraft setzen zu können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


– Es wäre schön gewesen, Beifall vom ganzen Haus zu er-
halten; denn ich glaube, hierin sind wir uns einig.

Es tritt erst in Kraft, wenn es 55 Staaten ratifiziert ha-
ben und wenn mindestens 55 Prozent der Emissionen der
Industrieländer durch das Protokoll abgedeckt werden.
Ob das gelingt, ist noch nicht sicher. Da muss noch eini-
ges getan werden. Ich fordere uns alle auf, bei unseren
Kontakten mit Abgeordneten der entsprechenden Länder
– das sind zum Beispiel Russland, Japan und Kanada –
unseren Einfluss in diese Richtung geltend zu machen. Ich
erwarte aber auch, dass unsere Regierung bei den ent-
sprechenden Kontakten versucht, diesen Prozess voran-
zubringen.

Zehn Jahre sind vergangen, seitdem 1992 in Rio die
Staatschefs der meisten Länder der Welt zusammenkamen
und unter anderem die Klimarahmenkonvention ver-
handelt und verabschiedet haben. Das Herzstück dieser
Konvention ist Art. 2, in dem es heißt, dass die Konzen-
tration von Treibhausgasen in derAtmosphäre stabili-
siert werden soll. Es ist vereinbart worden, dass die Kon-
zentration von treibhauswirksamen Spurengasen nicht
weiter ansteigt und ein Niveau nicht überschreitet,


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Auf einem Niveau, das nicht schädlich ist!)


das in jeder Hinsicht keine gravierenden Auswirkungen
nach sich zieht.

Das ist eine sehr anspruchsvolle Forderung, weil wir
seit der Industrialisierung starke Steigerungen der Emis-
sionen von Treibhausgasen zu verzeichnen haben. Je stär-
ker die Emissionen sind, desto mehr langlebige treibhaus-
wirksame Gase sammeln sich an. Wenn die Konzentration
konstant bleiben soll, wenn es also zu keiner weiteren An-
reicherung der Treibhausgase kommen soll, dann müssen
die Emissionen drastisch reduziert werden, und zwar, wie
uns die Wissenschaft sagt, auf etwa 50 Prozent der heuti-
gen Emissionen.

Die Industrieländer erzeugen ungefähr 80 Prozent der
Emissionen, obwohl sie nur 20 Prozent der Bevölkerung




Vizepräsidentin Anke Fuchs
21018


(C)



(D)



(A)



(B)


stellen. Daher muss der Umfang der von uns erzeugten
Treibhausgase deutlich mehr reduziert werden, und zwar
möglichst schnell.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Das sind die Aussagen der Wissenschaft.
Ich will nicht verhehlen, dass es Wissenschaftler gibt,

die das anders sehen.

(Horst Kubatschka [SPD]: Aber nur ganz wenige! – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind Unbelehrbare!)


Es ist ganz normal, dass einige wenige abweichende Po-
sitionen vertreten. Unser Planet befindet sich im Grunde
in einem Experiment. Wenn wir abwarten, bis wir sehen,
wie es in 50 oder in 100 Jahren wird, dann müssten wir
womöglich erkennen, dass es zu spät ist. Das ist unver-
antwortlich.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Es hat ungefähr zwei Jahre gedauert, bis die Klimarah-
menkonvention in Kraft getreten ist. Es ging darum, sie in
Protokolle umzusetzen. Jetzt, zehn Jahre später, liegt uns
das erste Protokoll vor. Dem ging ein mühsamer Prozess
voraus. Die Stationen auf dem Weg waren Kioto, Den
Haag, Bonn und schließlich Marrakesch. Nun liegt das
Protokoll vor, mit dem die Ausfüllung dieses Prozesses
begonnen wird. Der Inhalt des Protokolls besagt bis jetzt
nur, dass die Emissionen konstant gehalten werden sollen.
Wir sind also zu den drastischen Reduktionen, die nötig
sind, noch gar nicht gekommen. Es ist nur ein erster
Schritt.

Wenn wir wirklich das erreichen wollen, was nötig ist,
dann müssen wir uns darüber klar sein, dass es grundle-
gender Änderungen bedarf, die noch ausstehen. Das be-
trifft die Grundlagen unseres Wirtschaftens und unse-
rer Lebensweise. Um diese Ziele zu erreichen, müssen
wir – geringe Mehrheiten reichen nicht aus – gemeinsam
vorgehen. Ich appelliere an das ganze Haus, sich diesem
Prozess nicht zu verweigern.


(Beifall bei der SPD und der PDS)

In diesem Zusammenhang begrüße ich es, dass der An-

trag der CDU/CSU wieder die Gemeinsamkeit in den Vor-
dergrund stellt, die wir lange Zeit im Hinblick auf die Kli-
mafrage gehabt haben. Als wir noch in der Opposition
waren, war diese Gemeinsamkeit eigentlich eine Tradi-
tion. Der Antrag ist erfreulich sachlich. Er hebt sich wohl-
tuend von vielem ab, was wir in der Vergangenheit von
der CDU/CSU und von der FDP zur Energiepolitik und
zur Klimapolitik gehört haben. Er ist nicht, wie üblich,
mit spitzfindigen Beweisführungen und dem müßigen
Versuch, uns Widersprüche in unserer Politik nachzuwei-
sen, gespickt. Dieser Antrag enthält keine aus dem Zu-
sammenhang gerissenen Zitate und keine Zitate aus pri-
vaten Gesprächen oder nicht öffentlichen Sitzungen,
keine Halbwahrheiten, keine Behauptungen, keine Unter-
stellungen und kein Zitieren von abwesenden Kronzeu-

gen, die sich nicht wehren können. Dergleichen waren wir
nämlich in der Vergangenheit gewohnt.


(Ulrike Mehl [SPD]: Kurt-Dieter Grill war nicht dabei!)


– Nicht nur Herr Grill ist Hardliner. Bei der FDP ist das
ähnlich: Neulich enthielt ein Antrag sogar Zitate aus ei-
nem Obleutegespräch. – Dieser Antrag ist wirklich von ei-
nem anderen Geist getragen als das, was wir in der letzten
Zeit gehört haben.

Ich will einige Sätze aus dem Antrag zitieren, die ich
wirklich wichtig finde und auf die wir uns einigen sollten:

Die Welt hat keine Zeit mehr abzuwarten, bis die
letzte Gewissheit über das Ausmaß des Klimawan-
dels besteht. Sie muss aus Gründen der Vorsorge un-
verzüglich handeln. Je früher wir handeln, umso wir-
kungsvoller beugen wir den Gefahren sozialer und
wirtschaftlicher Verwerfungen vor.

So ist es. Wenn diese Aussage Grundlage unserer ge-
meinsamen Bemühungen zur Klimapolitik oder zur nach-
haltigen Energiepolitik wäre, zum Beispiel in der Energie-
Enquete-Kommission, dann wäre viel gewonnen. Wir
bräuchten uns dann nur noch über die Instrumente, über
den richtigen Weg zu streiten. Wir müssten in einen Wett-
bewerb eintreten, wer das konsistente Energiekonzept hat,
und nicht mehr immer nur hören, was wir alles falsch ma-
chen. Vielmehr würden wir auch einmal von Ihnen hören,
was Sie machen wollen, um diesem Ziel gerecht zu wer-
den.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Richtig ist: Klimaschutz wird nur erfolgreich sein,
wenn die wichtigsten Industrieländer, auch die USA, mit-
machen. Er wird nur Erfolg haben, wenn auch die Ent-
wicklungs- und Schwellenländer dabei sind. Dabei darf es
nicht zu einer nachholenden Entwicklung kommen. Die
Industrieländer dürfen nicht ihre Fehlentwicklungen und
ihre nicht nachhaltige Lebensweise auf die Entwick-
lungsländer übertragen. Vielmehr bedarf es neuer Struk-
turen.

Kernstück dieser Strukturen ist ein effizienter Umgang
mit Energie.Wir nutzen Energie heute weltweit so, dass
90 Prozent der eingesetzten Primärenergie verloren gehen
und nur 10 Prozent für die Nutzung zur Verfügung stehen.
Diese drastische Energieverschwendung muss beendet
werden und darf nicht noch auf die Entwicklungsländer
übertragen werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])


Der zweite Punkt neben der Effizienz – wir behandeln
morgen das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz, das in diese
Richtung weist – sind die erneuerbaren Energien.Auch
da muss weltweit der Durchbruch zu Solarenergie und an-
deren erneuerbaren Energien geschafft werden. Wenn wir
mit Vertretern von Entwicklungsländern sprechen, ist
wichtig, dass wir dies selber vormachen, dass wir zeigen,
dass das geht, dass wir zeigen, dass sich das rechnet, und




Monika Ganseforth

21019


(C)



(D)



(A)



(B)


dass wir mit gutem Beispiel vorangehen. Es wäre schön,
wenn man auch da gemeinsam an einem Strang ziehen
würde.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Erfreulich ist, dass im Kioto-Protokoll der Bau von
Atomkraftwerken als Klimaschutzmechanismus aus-
drücklich ausgeschlossen worden ist. Auch das entspricht
der deutschen Atomausstiegspolitik unserer rot-grünen
Regierung.

Die Entwicklungsländer benötigen für ihren Weg zur
Nachhaltigkeit unsere Unterstützung im Know-how und
sie benötigen Geld. Wir begrüßen daher, dass das Kioto-
Protokoll eine 20-köpfige Expertengruppe zum Techno-
logietransfer vorsieht. Wir begrüßen, dass es Gelder von
der EU, Norwegen, Neuseeland, der Schweiz, Israel und
Kanada gibt, die in einen Fonds fließen, der im Rahmen
der Umweltfazilität neu eingerichtet und verwaltet wird.
Auch Deutschland hat Finanzbeiträge für Aktionspro-
gramme zugesagt.

In unserem Antrag, der heute vorliegt, fordern wir die
Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass auch
die USA, die das Kioto-Protokoll ja nicht mittragen, aber
auch Japan und Australien ausreichende Beiträge zur Un-
terstützung der Entwicklungsländer in Richtung Klima-
politik leisten.

Das Kioto-Protokoll ist also ein erster Schritt auf dem
Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung. Wir müssen wei-
ter eine treibende Kraft in der Klimapolitik sein und un-
sere Aussagen und Zusagen national und international
glaubwürdig umsetzen.

Deutschland hat sich vor zehn Jahren in Rio und in
Berlin auf der ersten Konferenz nach Rio öffentlich ver-
pflichtet – das war noch der Kanzler aus Ihren Reihen,
Helmut Kohl –, die CO2-Emissionen als ersten Schritt biszum Jahr 2005 um 25 Prozent, bezogen auf 1990, zu re-
duzieren. Nach dem Kioto-Protokoll und den EU-Lasten-
verteilungen müssen wir bis zum Jahr 2008 bzw. 2012 die
Emission der fünf Treibhausgase um 21 Prozent, bezogen
auf 1990, reduzieren. Tun wir alles, um diese Verpflich-
tungen glaubwürdig umzusetzen!

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421219200
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Peter Paziorek.


Dr. Peter Paziorek (CDU):
Rede ID: ID1421219300
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Frau Ganseforth, ich stimme
Ihnen ausdrücklich zu, dass es eine Aufgabe der deut-
schen Umweltpolitik und der deutschen Politik an sich ist,
eine gemeinsame Haltung dieses Hauses zum internatio-
nalen Klimaschutz zu erarbeiten und gemeinsam bei den
internationalen Verhandlungen dafür zu sorgen, dass wir
dieses Ziel auch tatsächlich erreichen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch wir sehen die Verhandlungsergebnisse der
7. Weltklimakonferenz in Marrakesch als einen wichtigen
Schritt in der internationalen Klimapolitik an. Dass nun
auch die völkerrechtlichen Voraussetzungen für eine welt-
weite Reduktion der Treibhausgase geschaffen, verbindli-
che Zielvorgaben entwickelt und nun endlich Vereinbarun-
gen zu flexibleren Umsetzungsinstrumenten getroffen
worden sind, ist begrüßenswert und ein Erfolg. Wir stimmen
Ihnen auch zu, dass man letztlich nur von einem entschei-
denden Durchbruch sprechen kann, wenn wichtige Indus-
triestaaten wie zum Beispiel die USA nicht abseits stehen,
sondern bei der internationalen Klimapolitik mitmachen.

Alle diese Verhandlungsfortschritte auf internationaler
Ebene, die wir ausdrücklich konzedieren, dürfen aber
nicht von der Frage ablenken, wie es hier in Deutschland
um den nationalen Klimaschutz steht. Das ist eine ganz
entscheidende Frage.


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: So ist es!)

Es ist kein Geheimnis: Die CO2-Emissionen in Deutsch-land sind in den letzten Monaten wieder angestiegen, die
Klimaschutzpolitik in Deutschland stagniert, nach drei
Jahren steht die rot-grüne Regierung beim Klimaschutz
vor dem Offenbarungseid. Was ist dabei der zentrale po-
litische Vorwurf? Der Bundesregierung ist der Vorwurf zu
machen, dass es ihr an einer umfassenden und in sich ab-
gestimmten Strategie fehlt, um das eine Ziel, im Jahre
2005 25 Prozent CO2-Emissionen weniger als 1990 zu ha-ben, zu erreichen. Erst recht ist bezogen auf das Jahr 2012
der Vorwurf zu machen, dass es an einer zum Beispiel mit
wichtigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Akteu-
ren abgestimmten Langfriststrategie fehlt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, dass aus poli-

tischen Gründen mal an der einen Stelle das eine Instrument
herausgestellt wird, mal an der anderen Stelle ein anderes.
Im Ergebnis kann man sagen: Wir haben keine in sich ab-
gestimmte Klimaschutzpolitik, sondern leider nur einen
Klimaschutz-Flickenteppich. Das ist eine traurige Bilanz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie wollen – im Grundsatz stimme ich Ihnen da zu –

die Erderwärmung bekämpfen, doch in den letzten Jahren
haben Sie in der Umweltpolitik nur heiße Luft produziert.


(Widerspruch bei der SPD)

Nach der Flut guter Initiativen unter Töpfer und Merkel
nun in den letzten Monaten die klimapolitische Ebbe un-
ter Trittin – das ist leider keine positive Gezeitenwende in
der Umweltpolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrike Mehl [SPD]: Sie danken es einem nicht!)


Die von der rot-grünen Bundesregierung eingeführte
Ökosteuer hat den Anstieg der CO2-Emissionen inDeutschland nicht verhindern können. Von einer ökologi-
schen Steuerungswirkung kann man bei der CO2-Steuersomit nicht sprechen, weil man davon nicht viel merkt.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Es gibt keine CO2-Steuer!)





Monika Ganseforth
21020


(C)



(D)



(A)



(B)


Angesichts der Arbeitslosenzahlen ist auch zu sagen, dass
Sie das Versprechen der so genannten doppelten Divi-
dende, dass sich also auch auf dem Arbeitsmarkt etwas
tut, nicht haben einhalten können.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Auch das ist nicht richtig!)


Sie haben ja selbst in der Antwort auf eine Kleine An-
frage, Drucksache 14/5002, Mitte Dezember zugegeben,
dass es zurzeit noch keine belastbare Quantifizierung der
Auswirkungen der Ökosteuer auf die Beschäftigung gibt.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Stimmt doch gar nicht!)


Das haben Sie also selbst zugestanden. Sie haben in der
Antwort zwar gesagt, es gebe Modellrechnungen von ei-
nigen Wirtschaftsinstituten, nach denen es zu einer Ver-
besserung auf dem Arbeitsmarkt gekommen sei, aber Sie
haben ausdrücklich in dieser Drucksache – das können
Sie, Kollege Müller, nachlesen;


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Aber Herr Paziorek, Sie sind doch besser informiert, als Sie tun!)


ich habe sie nämlich dabei – gesagt, dass es keine belast-
bare positive Bilanz der Auswirkungen der Ökosteuer auf
den Arbeitsmarkt gibt. Dafür sprechen ja auch die Zahlen,
die nun in einigen Tagen veröffentlicht werden.


(Monika Ganseforth [SPD]: Jetzt bin ich auf Ihr Klimakonzept gespannt!)


Natürlich ist der Energieverbrauch in einigen Teilbe-
reichen gesunken,


(AlbertSchmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS90/ DIE GRÜNEN]: Auch im Straßenverkehr!)


aber das geht sicherlich auf den immer stärkeren Einsatz
von effizienteren Technologien in Deutschland zurück.


(Ulrike Mehl [SPD]: Aber warum werden Sie eingesetzt?)


Da, wo der technische Standard schon hoch ist, wirkt Ihre
CO2-Steuer wie eine reine Abschöpfungssteuer. Damitkann man sagen: Bis heute ist der Nachweis nicht er-
bracht, dass Reduktionserfolge aufgrund gerade dieser
Ökosteuer erzielt worden seien.

Der von der rot-grünen Koalition beschlossene Aus-
stieg aus der Kernenergie stellt die Klimapolitik weiter-
hin vor beträchtliche Herausforderungen. Sie müssen jetzt
nicht nur, wie zugesagt, den allgemeinen CO2-Ausstoßreduzieren, sondern auch noch den Anteil des Stroms aus
der Kernenergie ersetzen. Wir sind einmal gespannt, wie
Ihr Konzept wirklich aussieht. Wir wissen ja, wie um-
stritten das in Ihrer Regierung ist; der Wirtschaftsminister
sieht das vielleicht anders als der Umweltminister.

Zusammengefasst: Überzeugende, belastbare, in sich
abgestimmte Konzepte für eine Energiepolitik, mit der
CO2 eingespart werden kann, haben Sie nicht vorgelegt.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Na, na, na!)


Da gibt es auch einen Konflikt zwischen den verschiede-
nen Ministerien. Herr Müller, Sie selbst haben ja den
Wirtschaftsminister – er ist zwar nicht Ihr Parteifreund –
abgewatscht und haben gesagt, er habe davon keine Ah-
nung. Das sind doch hervorragende Belege dafür, Herr
Müller, dass Sie keine in sich abgestimmte Energiepolitik
im Sinne des Klimaschutzes haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Monika Ganseforth [SPD]: Jetzt fangen Sie wieder an mit den Zitaten hin und her! Damit kommen wir überhaupt nicht weiter!)


Was Ihnen hervorragend gelungen ist: Sie haben sich
über Monate hinweg hinter dem Verhandlungsmarathon
der Rio-Folgekonferenzen versteckt. Das war in der Tat
sehr medienwirksam. In der Zeit haben Sie für einen kon-
kreten Klimaschutz in Deutschland aber nichts geleistet.
Das ist eine traurige Bilanz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Christoph Matschie [SPD]: So viel heiße Luft tut dem Klima nicht gut!)


Wo müssen wir jetzt also ansetzen? Das haben Sie,
Frau Ganseforth, mich zweimal in Zwischenrufen ge-
fragt. Das Entscheidende ist jetzt – da stimme ich Ihnen
zu –, dass wir zügig darangehen müssen, die Vereinba-
rungen von Kioto zu ratifizieren. Dazu sind wir bereit.
Wir werden alles dafür tun – mit Ihnen gemeinsam, da
stimme ich Ihnen zu –, dass dieser Ratifizierungsprozess
hier im Hause schnell über die Bühne geht. Diese Zusage
können Sie haben.

Jetzt kommt es aber darauf an, dass wir die Mechanis-
men, die in dem Papier von Kioto festgelegt wurden, auch
tatsächlich umsetzen und ein Konzept entwickeln, um mit
diesen Kioto-Mechanismen eine sinnvolle nationale
Klimaschutzstrategie in Deutschland zu betreiben. Mit
anderen Worten: Es wird nicht, Frau Ganseforth, darauf
ankommen, dass wir hier nur ratifizieren. Jetzt muss die
Bundesregierung ein wirklich belastbares Konzept vorle-
gen, wie die Ergebnisse aus Marrakesch und Kioto tat-
sächlich umgesetzt werden können.


(WilhelmSchmidt [Salzgitter] [SPD]:Darauf wärenwir nicht gekommen,Herr Paziorek!)


Ich bin einmal gespannt, was Sie da vorlegen. Wenn
man bedenkt, was wir im Augenblick sehen, dann muss
man große Zweifel haben, ob die Bundesregierung etwas
Brauchbares vorlegen wird. Sie haben nämlich über Jahre
hinweg die flexiblen Mechanismen bekämpft; das muss
man einmal klar und deutlich sagen. Als Frau Merkel hier
im Hause über diese flexiblen Mechanismen vorgetragen
hat, hat man ihr klar und deutlich gesagt: Das ist eine
Verlagerung der Klimaschutzpolitik in die Schwellenlän-
der und in die so genannte Dritte Welt. Wir müssen das
ganz anders machen. Der CO2-Ausstoß muss hier inDeutschland um 50 Prozent reduziert werden.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das wollen wir doch auch weiterhin!)





Dr. Peter Paziorek

21021


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(D)



(A)



(B)


Jetzt sind in Marrakesch genau die flexiblen Instru-
mente umgesetzt worden, die von Frau Merkel früher vor-
geschlagen worden sind.


(Christoph Matschie [SPD]: Flexibel ist die Frau Merkel, das stimmt!)


Früher haben Sie das bekämpft, heute sind das die großen
Erfolge. Jetzt muss man sagen: Wir brauchen eine Klima-
schutzstrategie, die genau darauf aufbaut. Jetzt brauchen
wir einen Weg, der das tatsächlich bringt. Wir haben große
Zweifel, ob Sie das überhaupt wollen. Bis jetzt haben wir
überzeugende Ansätze einer solchen Strategie von Ihnen
noch nicht gehört. Die Bundesregierung muss in dieser
Frage springen, wenn sie nicht die deutsche Wirtschaft bei
einer solchen CO2-Minderungsstrategie übermäßig finan-ziell belasten will.

Das bedeutet also: Wir brauchen jetzt ein Instrument,
das Klimaschutzprojekte in den Schwellenländern Asi-
ens und Lateinamerikas ermöglicht. Die Niederländer ha-
ben uns das in den letzten Jahren gezeigt.


(Dr.ReinhardLoske [BÜNDNIS90/DIEGRÜNEN]:Die haben steigendeEmissionen!)


Sie sind schon lange dabei. Sie lassen sich das sogar zer-
tifizieren, lieber Kollege Loske. Sie wissen auch, weshalb
sie sich das zertifizieren lassen: weil sie das nämlich be-
stimmt auf EU-Ebene angerechnet haben wollen. Die sind
einfach schon ein Stückchen weiter bei der Umsetzung
von Kioto-Mechanismen. Während wir in Deutschland
noch darüber diskutieren, haben andere Staaten schon
ganz entscheidende Schritte gemacht.

Deshalb brauchen wir ein Konzept, das Technologie-
transfer, Entwicklungspolitik und Entwicklungshilfe-
maßnahmen in die so genannten Schwellenländer und
Entwicklungsländer, in die Regionen Indiens und Chinas
sowie in andere Regionen Asiens trägt; denn die Klima-
schutzpolitik ist ein globales Problem. Wir werden es
nicht nur in Deutschland lösen können. Jede Strategie
muss so ausgestaltet sein, dass eine nationale Klima-
schutzpolitik durch Technologietransfer mit der interna-
tionalen Klimaschutzpolitik verbunden wird. Das kann
jetzt ermöglicht werden. Jetzt müssen die Konzepte auf
den Tisch. Sie haben in den letzten Monaten an einer sol-
chen Politik nicht gearbeitet. Diesen Vorwurf muss man
Ihnen deutlich machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich glaube schon, dass in einer solchen Klimapolitik

wesentliche Effizienzpotenziale liegen. Es muss deshalb
zu einer geschickten Verknüpfung von Kapital aus Indus-
trieländern und den flexiblen Instrumenten kommen. Das
muss ausgenutzt werden. Eine solche Kombination von
Klimaschutzpolitik, Entwicklungszusammenarbeit und
Privatinvestitionen birgt die Chance, die globalen He-
rausforderungen des Klimawandels auch durch einen ver-
stärkten Technologietransfer zu bewältigen. Das ist aus
unserer Sicht der beste Klimaschutz. Das hilft Deutsch-
land. Das hilft sicherlich auch unserer Wirtschaft. Das
hilft insgesamt aber auch dem internationalen Klima-
schutz.

Wenn Sie sehen, welcher Energiehunger gerade auch
in den Entwicklungsstaaten befriedigt werden muss, dann
ist es wichtig, dass wir eine solche Politik betreiben und
die nationale Klimaschutzpolitik mit einer internationalen
Politik verbinden.

Wir stellen deshalb positiv fest, dass die deutsche Wirt-
schaft bereits beachtliche Reduktionsleistungen erbracht
und damit nicht unwesentlich dazu beigetragen hat, dass
Deutschland sich als Spitzenreiter im Klimaschutz eta-
blieren konnte. Das wollten wir, das haben wir immer be-
grüßt. Aber die deutschen Leistungen auf dem weiteren
Weg, den wir auch wollen, dürfen nicht zu einer Selbst-
überschätzung führen. Es muss sinnvoll auf eine gute Ab-
stimmung mit der Entwicklungspolitik und mit der Tech-
nologietransferpolitik geachtet werden.

Welche Konsequenzen sind aus einer solchen Sicht-
weise für die internationale Klimaschutzpolitik zu
ziehen? Wir müssen jetzt in eine intensive In-
strumentendiskussion einsteigen, aber dabei auch kritisch
mit den Vorgaben aus Brüssel umgehen. Das gilt zu Recht
auch für den Richtlinienentwurf zum Emissionshandel,
der jetzt aus Brüssel vorgelegt worden ist. Wir sagen ganz
deutlich: Der Handel mit Emissionsrechten ist ein theore-
tisch überzeugendes Konzept, aber wie immer in der Po-
litik steckt der Teufel im Detail. Die deutsche Industrie
steht aufgrund vieler Bedenken dem Zertifikatehandel ja
auch skeptisch gegenüber.


(Christoph Matschie [SPD]: Ein Teil!)

– Gut, ein Teil. – Deshalb stellen sich bei allen grundsätz-
lichen Sympathien für den Handel mit Emissionsrechten
aus unserer Sicht drei Fragen:

Erstens. Wie will die Europäische Union ein Zutei-
lungssystem für Emissionsrechte schaffen, das unzumut-
bare Wettbewerbsverzerrungen zwischen den betroffenen
Unternehmen und den Mitgliedstaaten vermeidet? Hier
denke ich zum Beispiel an die Anrechnung deutscher Vor-
leistungen.

Zweitens. Wie stellt die EU sicher, dass in den Emissi-
onshandel einbezogene Bereiche im Vergleich zu anderen
Bereichen – deshalb haben wir beim BDI auch die unter-
schiedlichen Positionen – nicht übermäßig belastet wer-
den?

Drittens. Wie will die EU das Verhältnis zu anderen
umweltpolitischen Instrumenten wie zum Beispiel zum
Ordnungsrecht und – für Deutschland eine ganz wichtige
Frage – zu den freiwilligen Selbstverpflichtungen regeln?

Diese Fragen können letztlich nur durch eine Pilot-
phase beantwortet werden. Wir wollen, dass diese Pilot-
phase möglichst schnell kommt und breit angelegt ist. Es
soll nicht nur in irgendwelchen Arbeitskreisen bei der
Bundesregierung darüber diskutiert werden, sondern sie
soll unter öffentlicher Kontrolle stattfinden. Wir begrüßen
diese Pilotphase und sagen: In dem Bereich des Emissi-
onshandels muss schnell gearbeitet werden; denn wir dür-
fen nicht noch mehr Zeit verlieren. Lassen Sie uns bei un-
seren Partnern in der Welt für eine schnelle Ratifizierung des
Kioto-Protokolls eintreten und sorgen wir dafür, dass die
umweltpolitisch sinnvollen und ökonomisch verträglichen




Dr. Peter Paziorek
21022


(C)



(D)



(A)



(B)


Voraussetzungen für den Einsatz flexibler Instrumente auch
hier in Deutschland schnellstmöglich vorliegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421219400
Ich erteile das Wort
dem Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reak-
torsicherheit, Herrn Jürgen Trittin.

Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! In der Tat, wir haben es hier mit ei-
nem, was internationale Klimapolitik angeht, sehr weit
gehenden Konsens zu tun. Gerade dieser Konsens unter-
scheidet uns, Gott sei Dank, von anderen Ländern. Ich
hoffe, dass wir auf diese Weise auch im Wettbewerb der
Ratifizierung nicht ganz schlecht dastehen und das schaf-
fen, was wir gemeinsam wollen, nämlich das Kioto-Pro-
tokoll, das Abkommen, das zum ersten Mal den Ausstoß
von CO2 absolut verbindlich begrenzt, so zu ratifizieren,dass es möglichst zum Weltgipfel für nachhaltige Ent-
wicklung in Johannesburg in Kraft treten kann.

Wie Herr Paziorek zu Recht bemerkt hat, ist natürlich
der Weg bis zur Umsetzung im Lande an manchen Stellen
durchaus umstritten. Sie werden mir nachsehen, dass ich
eine etwas andere Sicht der Dinge auf die nationale Kli-
mapolitik habe als Sie. Ich behaupte: Nur Rot-Grün war
in der Lage, die im Konsens gefundenen Zielvorstellun-
gen endlich mit konkreten Maßnahmen zu unterlegen.
Erst unter Rot-Grün hat es ein konkretes, spezifiziertes
und auf die einzelnen Sektoren bezogenes Klimaschutz-
programm gegeben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Gucken wir uns einmal an, was in diesem Klima-
schutzprogramm steht und wie sich beispielsweise der
Freistaat Bayern zu diesen konkreten klimaschutzpoli-
tischen Maßnahmen verhalten hat. Ökosteuer – Bayern
dagegen. Erneuerbare-Energien-Gesetz – Bayern dage-
gen. Biomasseverordnung – Bayern dagegen. Bayern ist
außerdem unter allen Binnenländern Schlusslicht bei der
Windenergie.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Es gibt kein Land, das in diesem Bereich so schlecht da-
steht wie Bayern.


(Zurufe von CDU/CSU: Es gibt keinen Wind in Bayern! – Wir haben Sonne!)


– Entschuldigen Sie, ich habe Bayern nicht mit Schles-
wig-Holstein verglichen, sondern mit Binnenländern wie
Baden-Württemberg, Hessen oder auch Nordrhein-West-
falen. Sie können mir nicht erzählen, dass die Windver-
hältnisse in der Oberpfalz schlechter sind als im Sauer-
land.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Eckart von Klaeden [CDU/ CSU]: In der Oberpfalz stehen ja auch Windanlagen! – Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: In Bayern gibt’s nur Windmacher!)


Es scheint so zu sein, dass die Herausforderungen des
Klimaschutzes zwar von der Münchener Rück, einer
großen Versicherungsgesellschaft, verstanden worden
sind, aber offensichtlich noch nicht von dem Münchener
Kandidaten für ein höheres Amt.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Jetzt sucht er absurde Beispiele, wo Bayern hinten liegt!)


Das Versagen in der nationalen Klimaschutzpolitik hat
Rückwirkungen auf das internationale Ansehen. Glauben
Sie denn im Ernst, mit einer Regierung, die darauf ver-
zichtet hätte, die LKW-Maut einzuführen und das große
Programm zur Förderung erneuerbarer Energien auf den
Weg zu bringen, mit einer Regierung, die zu Hause kein
umwelt- und klimapolitisches Profil erworben hätte, hät-
ten Sie die Kraft gehabt, in Verhandlungen mit der Euro-
päischen Union und dann mit den Entwicklungsländern
diesen Erfolg zu erreichen? Das glaube ich nicht. Ich
glaube vielmehr: Nur wer zu Hause seine Aufgaben erle-
digt, der kann auch international etwas bewegen. Deswe-
gen ist es gut, dass wir das machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Innerhalb des Kioto-Abkommens hat sich die Bundes-
regierung verpflichtet, den Ausstoß der sechs Treib-
hausgase bis zum Jahre 2010 um 21 Prozent zu reduzie-
ren. Von diesem Ziel – Sie wollen an dieser Stelle noch um
Instrumente streiten, werter Kollege Paziorek – trennen
uns noch 2,3 Prozentpunkte. Zwei Drittel der Emissions-
reduktionen innerhalb der EU, ja der industrialisierten
Welt sind in der Bundesrepublik Deutschland erbracht
worden.

Wenn Sie unsere netten Nachbarn aus den Niederlan-
den als Vorbild anpreisen,


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Aber nur in der Hinsicht!)


dann muss ich trotz aller nachbarschaftlichen Freund-
schaft sagen: Die Niederlande haben sich zu Reduktionen
nicht von 21 Prozent, sondern von 6 Prozent verpflichtet.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Und haben es auch nicht erreicht! Das weiß ich! Das habe ich auch nicht gesagt!)


Sie müssen aber in Wirklichkeit 16 Prozent Reduktion er-
bringen, weil sie nicht wie wir Reduktionen, sondern ei-
nen massiven Anstieg der CO2-Emissionen zu verzeich-nen haben.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das habe ich auch nicht gesagt! Das war etwas anderes!)


Da lasse ich mir ungern predigen, dass die Verhältnisse
beim Nachbarn besser seien, werter Herr Kollege
Paziorek.

Obwohl wir der Auffassung sind, dass wir das Klima-
schutzziel ohne Nutzung der flexiblen Mechanismen sehr
gut erreichen können – das ist möglich –, wollen wir auch
diese Instrumente nutzen. Wir wollen beispielsweise
einen frühen Beginn von CDM. Das war eine unserer Ver-
handlungslinien. Im Clean Development Mechanism




Dr. Peter Paziorek

21023


(C)



(D)



(A)



(B)


stecken nämlich Potenziale gerade für die Entwicklungs-
länder in Bezug auf den Technologietransfer. Auch wenn
wir der Auffassung sind, dass wir unsere Selbstverpflich-
tung erfolgreich erfüllen können, wollen wir dennoch ei-
nen frühen Start des Emissionshandels.Wir wollen dies
nicht nur aus umweltpolitischen Gründen.

In einem Punkt stimme ich Ihnen übrigens zu. Es kann
nur eine Emissionshandelsrichtlinie geben, in der die
Leistungen, die die Bundesrepublik Deutschland erbracht
hat, auch berücksichtigt werden. In diesem Punkt besteht
zwischen uns Konsens. In dieser Frage müssen Sie mich
nicht katholisch machen.

Warum wollen wir das? Wir wollen das nicht nur, weil
es für die Umwelt gut ist. Jede Tonne CO2, die wir überdie 21 Prozent Reduktion hinaus sparen werden, ist bei ei-
nem EU-weiten Emissionshandelssystem für uns auch
ökonomisch ein Vorteil.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Ja!)

Deswegen stimmt die Gleichung, die gelegentlich aufge-
macht wird, auch nicht, die da lautet: Klimaschutz wird
nur unter Kostenaspekten betrachtet. Wo kommen denn
die Gasturbinen her, mit denen zurzeit die neuen Kraft-
werke in Kalifornien bestückt werden? Sie kommen aus
der Bundesrepublik, weil man in Kalifornien weiß, dass
„Made in Germany“ ein Synonym für Effizienz gerade in
diesem Bereich ist.

Deswegen hatte Frau Merkel auch Recht, als sie das
Gutachten in Auftrag gegeben hat, mit dem einmal unter-
sucht werden sollte, was eigentlich passiert, wenn wir bis
2020 40 Prozent CO2 einsparen. Was bedeutet das für dieArbeitsplätze hier? Eine Bedingung, die hinzukam und
für die ich verantwortlich bin, machte das noch schwerer,
nämlich der Atomausstieg. Das Ergebnis ist, dass hier
netto 200 000 neue Arbeitsplätze entstehen würden.

Deswegen glaube ich, dass wir alle gut daran täten, den
bei der internationalen Klimaschutzpolitik bestehenden
Konsens auch bei der nationalen Klimaschutzpolitik zu
pflegen. Ich glaube, in manchen Punkten sind wir auch
gar nicht so weit auseinander, wie das in solchen Debat-
ten notwendigerweise von der Opposition unterstrichen
werden muss.

In einem Punkt sollten wir auch gegenüber den Bürge-
rinnen und Bürgern dieses Landes keinen Zweifel lassen:
Immer mehr Menschen leiden unter den inzwischen ein-
getretenen Folgen des mangelnden Klimaschutzes. Wir
haben heute mehr Umweltflüchtlinge als Kriegsflücht-
linge auf diesem Globus. Deswegen ist Klimaschutz nicht
nur eine Frage der Ökologie. Klimaschutz ist eine Frage
globaler Gerechtigkeit. Wenn wir den international beste-
henden Konsens auch national hinbekommen würden,
würden wir dieser globalen Herausforderung gemeinsam
gerecht werden.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421219500
Ich erteile der Kolle-
gin Birgit Homburger für die FDP-Fraktion das Wort.


Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1421219600
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Anlass für diese Debatte wa-
ren zunächst zwei Anträge der FDP-Bundestagsfraktion.
Es sind weitere Anträge dazugekommen, weil man wahr-
scheinlich in diesem Hause, insbesondere vonseiten der
Koalitionsfraktionen, nicht zulassen wollte, dass man hier
über die Initiativen der FDP allein diskutiert.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war zu wenig! Das war zu dünn! Das war das Problem!)


Das hat Ihnen wahrscheinlich nicht gepasst. Aber das
zeigt ganz deutlich, wer hier beizeiten in der Klima-
schutzpolitik die Initiative ergriffen hat: Das waren näm-
lich wir.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wir haben gehandelt, nicht Anträge gestellt!)


Damit Sie mir nicht gleich wieder etwas unterstellen,
möchte ich vorneweg ganz deutlich sagen, worüber zwi-
schen allen Parteien dieses Hauses – auch mit uns – Kon-
sens besteht, nämlich dass wir an dem nationalen Kli-
maschutzziel der Reduktion des CO2-Ausstoßes um25 Prozent bis zum Jahre 2005 gegenüber 1990 festhalten.
Dies möchte ich vor meiner eigentlichen Rede klarstellen.

Im Vordergrund steht für uns das Ziel, die weltweiten
Treibhausgasemissionen zu verringern.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Ja!)

Aus diesem und keinem anderen Grund engagieren wir
uns seit Jahren für den internationalen Zertifikate-
handel,wie er im Kioto-Protokoll vorgesehen und jetzt in
den Vereinbarungen von Marrakesch bestätigt worden ist.
Diese wollen wir in der Bundesrepublik Deutschland um-
setzen. Wir hätten dazu längst Initiativen von dieser Bun-
desregierung erwartet. Wir als FDP-Bundestagsfraktion
– das sehen Sie auch an dem Antrag, den Sie vorliegen ha-
ben – haben als erste direkt nach Marrakesch noch einmal
die Ratifizierung des Kioto-Protokolls beantragt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es ist erfreulich, dass jetzt auch ein Gesetzentwurf der

Bundesregierung vorliegt, über den wir aber nicht heute
Abend debattieren. Allerdings sollte die Bundesregierung
schon die Positionen klären, denn an dem selben Tag, an
dem die Bundesregierung diesen Entwurf im Kabinett be-
schlossen hat, hat Wirtschaftsminister Müller erklärt, er
sei gegen einen Zertifikatehandel.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Entweder hat der Mann nicht verstanden, dass die Ratifizie-
rung des Kioto-Protokolls einen Zertifikatehandel bedeutet,
oder die Bundesregierung ist sich in diesem Punkt schlicht
nach wie vor nicht einig. Ich finde, das sollte man klären.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Im Interesse des internationalen Klimaschutzes be-

grüßt die FDP allerdings den vorgelegten Gesetzentwurf




Bundesminister Jürgen Trittin
21024


(C)



(D)



(A)



(B)


der Bundesregierung, den wir demnächst sicherlich de-
battieren können, und sieht ihn als Chance, den trittin-
schen Stillstand in der Klimaschutzpolitik zu überwinden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er legt ihn doch selber vor! Irgendetwas stimmt da nicht!)


Herr Trittin, Sie haben zuvor in Ihrer Rede ausgeführt
– ich finde das beachtlich –, Sie hätten solche Erfolge ge-
habt und vermitteln können, weil Sie zu Hause Ihre Haus-
aufgaben gemacht hätten. Zudem sei die geplante Emis-
sionsreduktion zu zwei Dritteln in Deutschland erfolgt.
Sagen Sie doch bitte dazu, dass ein Großteil der in
Deutschland realisierten Emissionsreduktionen, die Sie
für sich in Anspruch nehmen, dadurch erfolgt ist, dass die
Wirtschaft schon zu Zeiten einer anderen Regierung
große Anstrengungen hinsichtlich der Emissionsreduktio-
nen unternommen hat, als Sie noch gar nicht daran den-
ken konnten, Umweltminister zu werden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Zwei Drittel des Erfolges gehören uns!)


Nun sagen Sie, wir könnten die Ziele auch ohne einen
Emissionshandel erreichen. Das ist ja prima. Wir wollen
aber weiterkommen und das Ziel nicht nur erreichen, son-
dern darüber hinaus auch die Chancen, die in diesen in-
ternationalen modernen Instrumenten liegen, auch zur
Kostenreduktion nutzen. Wieso wollen Sie der deutschen
Wirtschaft denn die Chance nicht geben? Führen Sie das
doch einmal aus!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind doch dagegen! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das war eine richtige Pirouette!)


– Ja natürlich, er sagt, er wolle Kioto ratifizieren. Er
macht aber keinen Vorschlag, wie er den Emissionshandel
in Deutschland einführen will.

Hier muss ich deutlich sagen: Es hätte zwei Effekte.
Der erste Effekt wäre, dass zukünftig an den Stellen inves-
tiert wird, an denen es in jeder Hinsicht am günstigsten
und sinnvollsten – also ökologisch wirksam und ökono-
misch effizient – ist. Zweitens sollten wir in Deutschland
– das haben Sie selber gesagt – das zulassen, was gemäß
den Art. 6 und 12 des Kioto-Protokolls möglich ist, näm-
lich an anderen Stellen der Erde Investitionen zu tätigen
und die daraus resultierenden CO2-Reduktionen auf un-sere Verpflichtungen in Deutschland anzurechnen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir sagen Ihnen noch einmal sehr deutlich: Es ist dem
Weltklima völlig egal, an welcher Stelle der Erde eine
Tonne CO2 reduziert wird. Deswegen sollten wir dafürsorgen, dass pro eingesetztem Euro so viel CO2 reduziertwird wie nur irgend möglich.


(Marita Sehn [FDP]: Genau! – Christoph Matschie [SPD]: Uns ist es egal, aber nicht dem Weltklima!)


Sie sagen jetzt, Sie hätten sich auf der Klimakonferenz
dafür eingesetzt, dass der CDM hier in Deutschland über-
haupt genutzt werden kann.


(Monika Ganseforth [SPD]: Sie bauen einen richtigen Popanz auf!)


Seit Ende des Jahres 2000 gibt es bereits die Möglichkeit,
diesen Mechanismus zu nutzen.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Andere nutzen ihn schon!)


Herr Trittin, ich frage Sie: Warum lassen Sie es in
Deutschland nicht zu? Warum schaffen Sie nicht die Rah-
menbedingungen in Form eines so genannten Memoran-
dum of Understanding oder in Form von bilateralen Ver-
einbarungen, die für die Unternehmen, die es tun wollen,
notwendig sind? Warum machen Sie das nicht? Warum
verzögern Sie das?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Monika Ganseforth [SPD]: Lassen Sie uns erst einmal das Protokoll in Kraft setzen!)


– Frau Ganseforth, nein, dazu muss man das Protokoll
nicht in Kraft setzen. Lesen Sie das Kioto-Protokoll ein-
mal durch. Es ist eben schon Realität; andere Länder nut-
zen das schon,


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Ja, genau! Völlig richtig!)


weil das Protokoll diese Möglichkeiten bereits zulässt. Ich
habe zusammen mit dem Land Georgien auf der Klima-
konferenz in Bonn dazu eine Initiative gestartet, die im
Übrigen in der entsprechenden Arbeitsgruppe dort eine
Mehrheit gefunden hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie sollten lieber Ihren Widerstand gegen die Windkraft endlich aufgeben!)


Deswegen ist es dringend notwendig, dass wir in
Deutschland vorankommen. Dieser Zertifikatehandel bie-
tet gerade auch im Bereich der Entwicklungszusam-
menarbeit eine Chance, weil er den Entwicklungs- und
Transformationsländern die Möglichkeit gibt, aktiv und in
eigener Verantwortung am Welthandel teilzunehmen,
gleichzeitig substanzielle Beiträge zum Klimaschutz zu
leisten und ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern.

Deshalb fordern wir Sie auf: Bringen Sie endlich nicht
nur den Ratifizierungsgesetzentwurf, sondern auch einen
Vorschlag ein, wie Sie die Selbstverpflichtung der deut-
schen Wirtschaft mit diesen modernen internationalen In-
strumenten verknüpfen wollen. Das wäre auch eine
Chance für die Selbstverpflichtung der Wirtschaft bezüg-
lich der Emissionsreduzierung. Hier versagen Sie bereits
während Ihrer gesamten Regierungszeit.


(Christoph Matschie [SPD]: Bewegen Sie doch erst einmal BASF zum Emissionshandel!)


Seit über einem Jahr gibt es eine Arbeitsgruppe. Sie hat
bis heute keinen einzigen Vorschlag vorgelegt, obwohl
Sie schon für Ende letzten Jahres einen solchen angekün-
digt hatten. Auch vor Weihnachten hatten Sie dies in der




Birgit Homburger

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(C)



(D)



(A)



(B)


Beantwortung einer Kleinen Anfrage der FDP-Fraktion
für die nächsten Wochen angekündigt.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das kennen wir bei anderen Sachen auch! – Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Das ist ja auch keine Arbeitsgruppe!)


Ich habe mir heute Nachmittag noch einmal die Home-
page des BMU angeschaut, um sicherzustellen, dass ich
wirklich auf dem aktuellen Stand bin. Es gibt immer noch
keinen Vorschlag.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Sie sind auf dem aktuellen Stand!)


International werden längst die Bedingungen für den
Emissionshandel festgelegt, und zwar ohne Deutschland.
Das bestätigt auch Herr Loske in einem Interview in der
„Frankfurter Rundschau“. Insofern kann ich Sie, Herr
Trittin, nur so, wie es die FDP schon seit langer Zeit tut,
auffordern: Reden Sie nicht nur darüber,


(Marita Sehn [FDP]: Machen Sie!)

was Sie tun wollen, sondern tun Sie auch endlich einmal
das, was wir von Ihnen erwarten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Monika Ganseforth [SPD]: Das sieht die Wirtschaft aber ganz anders!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421219700
Nun hat das Wort die
Kollegin Eva Bulling-Schröter für die PDS-Fraktion.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1421219800
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP möchte den
Handel mit Emissionszertifikaten schnellstmöglich in
Deutschland, Europa und darüber hinaus einführen. Das
wurde hier sehr imposant vorgetragen.


(Monika Ganseforth [SPD]: Die Ein-PunktPartei!)


Die Idee eines Handels mit Emissionsrechten klingt
verlockend, wird aber von Umweltverbänden, vielen Wis-
senschaftlern und auch von uns, der PDS, sehr kritisch be-
trachtet. Die Frage ist: Woran liegt das? Es liegt wohl in
erster Linie daran, dass sich die Befürworter eines solchen
Handels in einer Reihe mit den Verweigerern des Klima-
schutzes befinden. International sind das die USAund an-
dere Staaten der Umbrella-Group. Aber auch national sind
es meist diejenigen, die sich jeder wirksamen – ich be-
tone: wirksamen – Form der Ökosteuer und zielführenden
ordnungspolitischen Regelungen zum Klimaschutz wi-
dersetzen.

Der Verdacht liegt nahe, dass es weniger um Klima-
schutz als um Gewinn bringenden Handel geht. Es wäre
interessant, zu wissen, ob das Engagement genauso en-
thusiastisch wäre, wenn nicht der Emissionshandel mit
osteuropäischen Staaten locken würde, welcher bekann-
termaßen nichts als heiße Luft produzieren wird, oder
wenn die umfangreichen Schlupflöcher der anderen fle-

xiblen Kioto-Instrumente gestopft würden; das ist drin-
gend notwendig.

Sich billig freikaufen vom Klimaschutz – das sollte die
ehrliche Überschrift dieser Bestrebung sein. So muss man
das auch benennen. Die Welt ist eben nicht ganz so ein-
fach organisiert, wie sie im zweiten Semester Betriebs-
wirtschaftslehre oder aus durchsichtigen Gründen in wei-
ten Teilen der Politik verkauft wird.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Oh!)

Deshalb wird dieses Zertifikatssystem bei geringsten

volkswirtschaftlichen Kosten international kaum zu we-
niger CO2 führen. Der Handel mit Emissionsverpflich-tungen wird nämlich nicht auf jungfräulichem Boden
blühen, bei dem alle Marktteilnehmer gleiche Ausgangs-
bedingungen haben. Osteuropa wird auch ohne zusätzli-
che Klimagaseinsparungen Zertifikate verkaufen können,
mit welchen dann potente Industriestaaten noch mehr
CO2 in die Luft blasen werden. Auch bei den anderen fle-xiblen Instrumenten tun sich Abgründe auf, wenn man da-
ran denkt, wie dort getrickst und betrogen werden kann.
Das ist leider die Wahrheit.


(Beifall bei der PDS)

Wenn schon nicht international, so könnte vielleicht in-

nerhalb der EU ein Zertifikatshandel sinnvoll installiert
werden. Doch der Druck, den die FDP ausübt, ist aus
praktischen Erwägungen von uns abzulehnen. Die Ent-
scheidungen der EU zum Zertifikatshandel werden jahr-
zehntelang die Klimapolitik begleiten. Es ist kein Ge-
heimnis, dass viele EU-Beamte und auch die Mehrheit der
EU-Politiker nur wenig über die verschiedenen Instru-
mente dieses Handels und deren Wirkungen wissen. Dies
beweist beispielsweise der im Richtlinienvorschlag ge-
wählte schwerfällige und wenig transparente Downstream-
Ansatz. Anstatt bei den Erstverkäufern von Energieroh-
stoffen anzusetzen, wird hier die vielfach kompliziertere
Zertifizierung von Emissionsrechten auf Unternehmense-
bene gewählt. Somit können eigentlich nur Großquellen
stationärer Anlagen sinnvoll einbezogen werden. Der
ganze Bereich Verkehr und private Haushalte – hier sind
beim CO2-Ausstoß die größten Wachstumsraten zu ver-zeichnen – bleibt außen vor.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht! Ihr seid doch gegen die Ökosteuer!)


Dabei hätte die Versteigerung bzw. der Verkauf eines po-
litisch begrenzten Volumens von Zertifikaten an die we-
nigen Raffinerien und Bergwerke klare Vorteile: Die zu
ersteigernden Handelsrechte würden klare klimapoliti-
sche Ziele vorgeben. Beim Weiterverkauf der Energieträ-
ger auf dem Markt würden die Knappheitspreise markt-
wirtschaftlich auf alle Produzenten und Verbraucher
umgelegt werden, also auch auf den Verkehr und andere
mobile Emittenten.

Nebenbei wäre auch das Problem für diejenigen Un-
ternehmen und Staaten gelöst, welche schon klimapoliti-
sche Vorleistungen erbracht haben. Ihre höhere Energie-
effizienz wird belohnt und eben nicht bestraft, wie es mit
dem Richtlinienvorschlag zu befürchten ist. Das wurde




Birgit Homburger
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vorher schon thematisiert. Wer sich bis jetzt vor CO2-Re-duzierungen gedrückt hat, kann nun plötzlich mit Klima-
schutzinvestitionen viel Geld verdienen. Die bisherigen
Vorreiter im Klimaschutz gucken dann in die Röhre. Ge-
rade für Deutschland ist dies ein Problem. Das BMU hat
in seiner Stellungnahme darauf hingewiesen.

Die deutsche Wirtschaft an sich hat zurzeit gespaltene
Interessen. Den Banken sichert der Emissionshandel gute
Geschäfte. Sie sind selbstverständlich dafür. Der Markt,
an dessen Handel die Häuser beteiligt sein dürften, wird
auf 60 Milliarden Dollar geschätzt. Die Industrie wie-
derum sträubt sich gegen den Emissionshandel, kein
Wunder, denn sie verdient mit der seltsamen rot-grünen
Variante der Ökosteuer ohne zusätzliche ökologische Ge-
genleistungen netto anderthalb Milliarden im Jahr. Wer
würde eine solche Geldmaschine schon gerne gegen
Zertifikate eintauschen, mit denen sich – jedenfalls in Eu-
ropa – kaum Geld verdienen lässt?

Lassen Sie mich abschließend feststellen, Herr Kollege
Schmidt: Die PDS ist nicht gegen die Ökosteuer, sondern
wir wollen eine andere Ökosteuer. Wir wollen das ge-
samte Ökosteueraufkommen in den ökologischen Umbau
stecken.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Das kennt man! Das ist ja lächerlich! – Christoph Matschie [SPD]: Sie wollen die Ökosteuer, aber keiner soll bezahlen müssen!)


– So ist es nicht. Natürlich muss sie bezahlt werden. Ich
verstehe aber, dass Sie das ärgert; denn diese Konzepte
gab es in Ihren Parteien auch. Was ernsthafte Politik ist,
sollten wir wohl am 22. September den Wählern überlas-
sen.


(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421219900
Das Wort hat jetzt der
Kollege Michael Müller für die SPD-Fraktion.


Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1421220000
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Der Philosoph Hermann
Lübbe hat festgestellt, dass das eigentliche und vielleicht
problematischste Kriterium unserer Zeit darin besteht,
dass wir eine Schrumpfung auf die Gegenwart erleben.
Das heißt, dass wir uns in einer Welt befinden, die nicht
fähig ist, über längerfristige Prozesse nachzudenken. Die
Kurzfristigkeit der Ökonomie findet ihre Ergänzung in
der Kurzfristigkeit des Denkens. Ich meine, das ist genau
der Punkt, um den es geht. Sind wir in der Lage – wir sind
sicherlich alle einer Meinung darüber, welch große He-
rausforderung die Klimaänderung darstellt –, gegen eine
Welt, in der nur die Kurzfristigkeit zählt, auch längerfris-
tige Strukturveränderungen durchzusetzen? Die Frage
ist, ob wir ernsthaft dazu kommen, dass wir nicht den bis-
herigen Widerspruch fortsetzen, auf der einen Seite sehr
viel über die Zukunftsgefahren zu wissen, diese aber auf
der anderen Seite – wie Frau Bulling-Schröter – in der
Konsequenz doch zu verdrängen, weil der Alltagspopu-
lismus viel wichtiger ist, und in der Lage sind, auch Un-
bequemes durchzuziehen. Bei allen Unterschieden im
Hause meine ich, dass der Deutsche Bundestag auf das,

was er mit der Klima-Enquete geleistet hat, stolz sein
kann. Damit haben wir auf nationaler wie auf internatio-
naler Ebene etwas geleistet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das muss man bei allen sonstigen Unterschieden schon
sehen.

Ich meine, wir sind in einer Situation, in der wir das,
was wir zu leisten haben – nämlich langfristig die ökolo-
gische Modernisierung der Industriestaaten als Vo-
raussetzung für eine stabile und friedliche Welt –, nur
dann erreichen, wenn wir jene Kurzfristigkeit des Den-
kens und des Handelns nicht mitmachen. Das ist der
Punkt, um den es geht, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte noch einen zweiten Punkt ansprechen, und
zwar in Richtung FDP-Fraktion. Wenn es darauf an-
kommt, erlebt, erfährt man irgendwie doch das unge-
schriebene Gesetz: Je konkreter es wird, desto weniger
habe ich mit dem, was ich gestern gesagt habe, zu tun. –
Ich nehme Ihnen die Äußerungen zum Emissionshandel,
ehrlich gesagt, nicht ab. Was haben Sie in der Vergangen-
heit nicht alles zum Thema Ökosteuer gesagt!


(Birgit Homburger [FDP]: Wir haben einen eigenen Vorschlag eingebracht! Einen eigenen Gesetzentwurf!)


Aber als es darauf ankam, war von Ihnen nichts zu sehen.
So wird es auch beim Emissionshandel sein, und zwar aus
einem einfachen Grund: Die Klientel, die Sie vertreten,
fängt an, sich massiv gegen den Emissionshandel auszu-
sprechen. Ich bin mir ganz sicher: Sie werden die erste
Partei sein, die umfällt, wenn es konkret wird.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Christoph Matschie [SPD]: Die können doch gar nicht umfallen! Die liegen doch schon am Boden, Michael!)


Was Sie, Herr Paziorek, zu dem Thema „Zertifikate und
Emissionshandel“ angemerkt haben, finde ich richtig. Wir
müssen – und zwar gemeinsam – darauf Wert legen, dass
erstens der Emissionshandel mit anderen Instrumenten
stimmig ist. Es kann nicht sein, dass wir ein neues Instru-
ment einsetzen, das im Grunde genommen andere erfolg-
reiche Instrumente konterkariert. Das darf nicht sein.

Wir haben zweitens aus meiner Sicht auch die Ver-
pflichtung, dass der Emissionshandel so organisiert wird,
dass sich nicht andere dadurch sozusagen einen weißen
Fuß verschaffen können. Es muss eine vernünftige An-
rechnung erfolgen.

Drittens muss es auch eine Stimmigkeit des Gesamt-
konzepts geben. Insofern meine ich, dass der Emissions-
handel ein sehr sinnvolles ökonomisches Instrument dar-
stellt, aber er muss natürlich konkret geprüft werden. Wir
müssen in einer globalisierten Welt vor allem die Stim-
migkeit der Gesamtentwicklung garantieren. Das werden




Eva Bulling-Schröter

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wir auch tun. Ich hoffe, dass wir hier unbeschadet aller an-
deren Fragen zu gemeinsamen Positionen kommen wer-
den; denn es wird nicht einfach sein, die Auseinanderset-
zung in der Europäischen Union zu bestehen. Wir werden
sicherlich noch eine ganze Menge Probleme haben.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das ist richtig!)


Lassen Sie mich zum Ausgangspunkt zurückkommen.
Ich sehe die Klimagipfel von Bonn und Marrakesch vor
allem deshalb als Erfolge an, weil auf ihnen die lähmende
Situation, die jahrelange Stagnation überwunden worden
ist. Ich glaube, das ist der größte Erfolg. Man muss natür-
lich zugeben, dass das, was dabei herausgekommen ist,
nicht mehr sein kann als ein Einstieg.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch wenn man sich die Ergebnisse des Gipfels von Mar-
rakesch und die Ratifizierung des Protokolls von Kioto
anschaut, dann muss man fairerweise zugeben, dass wir
noch weit von dem entfernt sind, was notwendig ist. Aber
es ist richtig, dass der Hauptbremser USA isoliert worden
ist, wobei man ehrlicherweise sagen muss, dass sich viele
Staaten hinter den Vereinigten Staaten versteckt haben.
Die USA sind nicht alleine verantwortlich. Deshalb sollte
man mit dem Finger nicht nur auf die USA, sondern auch
auf Australien, Japan und Russland zeigen. Auch die letzt-
genannten Länder werden ihrer Verantwortung bisher
nicht gerecht. Das muss man bei aller Kritik an den USA,
die aus meiner Sicht in dieser Frage sicherlich die
schlimmste Rolle spielen, sehen. Die anderen Länder be-
treiben zum Teil ein Doppelspiel. Das ist nicht zu akzep-
tieren. Ökologisch sind diese Länder keine Großmächte;
denn sie sind im Grunde genommen Vertreter einer höchst
rückständigen Politik.

Die Ausgangsposition ist klar. Die Weltgemeinschaft
hat 1992 den Beschluss gefasst, den Umfang der Treib-
hausgase auf einem solchen Niveau zu stabilisieren, dass
das Klima auf Dauer geschützt ist. Wenn man sich aber
die heute vorliegenden Daten anschaut, dann stellt man
fest, dass es im Vergleich zum natürlichen Kohlendioxid-
wert einen Anstieg von etwa 200 Teilen auf 1 Million
Teile gegeben hat. Wenn man das als Ausgangsposition
nimmt, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass eine Ver-
doppelung des CO2-Umfangs eine Erwärmung um 2 Gradbedeutet. Wir haben also trotz allem, was wir bisher er-
reicht haben, kaum noch Zeit, eine solche Verdoppelung
zu verhindern. Das ist die dramatische Situation, vor der
wir stehen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wer sagt das?)

– Das sagt beispielsweise das IPCC. Das ist die allge-
meine Auffassung in der Weltgemeinschaft.


(Zuruf von der CDU/CSU: Nein, das sagt das IPCC nicht!)


– Doch!

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ein Szenario!)


– Nein, die Verdoppelung ist doch klimahistorisch belegt.
Es gibt eine klare Korrelation zwischen der Verdoppelung
der Kohlenstoffwerte in der Atmosphäre und den Erwär-
mungswerten. Das ist unbestritten. Das IPCC ist sich nur
nicht schlüssig darüber – wenn Sie das gemeint haben
sollten, dann haben Sie Recht –, in welcher Geschwin-
digkeit das geschehen wird. Aber die Verdoppelung ist un-
bestritten. Sie können mir glauben, dass Ihre Fraktion zu-
sammen mit meiner schon eindeutig Position in dieser
Frage bezogen hat. Aber vielleicht hat Ihr Zwischenruf
auch etwas mit der Kurzfristigkeit des Denkens zu tun,
von der ich vorhin gesprochen habe. Wenn dem so wäre,
würde ich das bedauern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Eine Verdoppelung – sie lässt sich nicht mehr aus-
schließen – hätte natürlich katastrophale Folgen: Für die
Wüstenbildung, die voranschreiten würde, für die
Ernährungsgrundlagen und, vereinfacht ausgedrückt, für
eine friedliche Welt. Deshalb ist auf dem Gipfel von
Toronto 1988 – das war der Ausgangspunkt – festgelegt
worden, bis zum Jahre 2005 die CO2-Emissionen um20 Prozent und bis zum Jahre 2030 um 50 Prozent zu
reduzieren. Davon sind wir noch weit entfernt.

Lassen Sie mich noch eine Anmerkung machen. In un-
serem Antrag fordern wir eine Reduktion der CO2-Emis-sionen um 40 Prozent bis 2020. Ich weiß, dass das eine
schwierige Aufgabe ist. Ich weiß nicht, ob wir das errei-
chen können. Aber ich weiß, dass eine solche Reduktion
notwendig ist. Ich finde, man muss auch Notwendigkei-
ten aussprechen.


(Beifall bei der SPD)

Es ist wichtig, dass wir Europäer vor allem in dieser Frage
ehrgeizig sind. Es ist zwar wahr, dass solche Positionen
nur schwer durchzusetzen sind, wenn es darauf ankommt.
Aber was wäre die Politik noch wert, wenn sie nicht
wenigstens die notwendigen Ziele formulierte und alles
versuchte, sie zu erreichen? Wenn wir es noch nicht ein-
mal versuchen, dann haben wir aus meiner Sicht politisch
schon versagt. Insofern ist es richtig, dass wir eine Re-
duktion von 40 Prozent als Ziel formuliert haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Eine solche Forderung steht aus meiner Sicht auch in der
Tradition der Forderungen, die in den Berichten der En-
quete-Kommissionen erhoben werden. Wir sollten versu-
chen, auszuloten, unter welchen Bedingungen wir dieses
Ziel erreichen können. Darum geht es aus meiner Sicht.

Im September 2000 gab es die Millenniumerklärung
der Vereinten Nationen. Sie hat in aller Klarheit eine
Ethik des Bewahrens herausgestellt und sich zu dem Ki-
oto-Protokoll bekannt.

Wir müssen einfach feststellen, dass wir in der Zwi-
schenzeit weltweit eine dramatische Verschlechterung er-
leben. Wenn man sich die Zahlen anschaut, erkennt man:
Gegenüber dem Kioto-Basisjahr 1990 haben wir im Jahr
2000 einen Anstieg der Kohlendioxidemissionen um
11 Prozent zu verzeichnen. Wenn die USA ihren bisheri-




Michael Müller (Düsseldorf)

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gen Emissionstrend beibehalten, werden sie im Jahr 2010
um fast 50 Prozent über dem Ziel liegen, das sie nach
Kioto eigentlich erreichen müssten. 50 Prozent über dem
Ziel! Vor allem in den Schwellen- und Entwicklungs-
ländern gibt es die dramatische Situation, dass dort in den
nächsten 18 Jahren ein Zuwachs um 2 000Millionen Ton-
nen CO2 zu erwarten ist, während es in den Industriestaa-ten eher in Richtung Stagnation geht.

Das beispielsweise ist auch der Ausfluss einer Trickse-
rei. In dem Kioto-Protokoll haben die Vereinigten Staaten
ein Prinzip festgelegt, nach dem im Kern versucht wird,
von den hohen Emissionen herunterzukommen, aber
nicht so sehr versucht wird, ein Gerechtigkeitsprinzip zur
Geltung zu bringen. Es ist ein Problem, dass die Ameri-
kaner das Kioto-Protokoll in der Weise auslegen, dass es
im Wesentlichen nur für die Industriestaaten gilt. Und
dann hat sich die wichtigste Industrienation der Erde die-
sem Protokoll sogar noch entzogen! Es ist im Grunde ge-
nommen eine unverantwortliche Strategie der USAgewe-
sen, die jetzt die ganze Welt auszubaden hat.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters)


Umso wichtiger ist es, dass wir in Europa in der Glo-
balisierung der Vorreiter der ökologischen Modernisie-
rung sind. Die Welt wächst zusammen und Europa muss
sich fragen, welchen Beitrag es in der Globalisierung leis-
ten will. Ich kann uns alle nur ermutigen, für ein europä-
isches Profil einzutreten, das neben der sozialen Gerech-
tigkeit vor allem die ökologische Modernisierung
beinhaltet.


(Beifall bei der SPD)

Das ist die große Chance für die Zukunft und wir sollten
sie auch nutzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421220100
Ich erteile
für die CDU/CSU-Fraktion dem Herrn Kollegen
Christian Ruck das Wort.


Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1421220200
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Auch ich freue mich natürlich
darüber, dass knapp zehn Jahre nach dem Weltgipfel in
Rio die Völkergemeinschaft mit dem Übereinkommen
von Marrakesch doch noch die Kraft gefunden hat, der
Klimarahmenkonvention zum Leben zu verhelfen und
den Startschuss zur Umsetzung des Kioto-Protokolls zu
geben. Es war in der Tat ein zäher Prozess, der mehr als
nur einmal vor dem Scheitern stand. Man muss sagen,
dass sich jede Delegation aus Deutschland mit jedem De-
legationsleiter mit besonderem Eifer hervorgetan hat und
mit besonderem Eifer gekämpft hat. Das ging von Frau
Merkel damals in Kioto oder auch in Berlin – dort stand
schon einmal ein Klimagipfel vor dem Scheitern – bis hin
zum Abschluss unter Umweltminister Trittin.

Natürlich müssen wir alles daransetzen, dass das Ki-
oto-Protokoll rasch ratifiziert wird – selbstverständlich
von uns, aber auch von genügend anderen –, damit der

Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung im Spätherbst in
Johannesburg zumindest mit diesem positiven Beitrag be-
ginnen kann.

Das Übereinkommen von Marrakesch hat auch ge-
zeigt, dass die Weltgemeinschaft sehr wohl zu freiwilligen
wichtigen und notwendigen Beschlüssen, auch zu ein-
schneidenden Entschlüssen kommen kann, und zwar auch
und gerade im Umweltbereich. Trotz der Erleichterung
über die Ergebnisse gerade nach dem Zwischentief von
Den Haag muss man allerdings sagen: Zu Begeisterung
und Euphorie haben wir keinen Anlass.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das ursprüngliche Minderungsziel von 5,2 Prozent

bis zum Zeitintervall 2008/2012 ist durch Zugeständnisse
in der Senkenfrage zum Beispiel gegenüber Russland,
Japan und Kanada massiv verwässert worden. Nach
Schätzungen des WWF führen diese Verhandlungsergeb-
nisse vermutlich nicht zu einer Reduktion, sondern
lediglich zu einer Stabilisierung auf dem Niveau von
1990. Das ist auch schon etwas, aber es ist langfristig zu
wenig, um nach Meinung der meisten Wissenschaftler
den Schutz des Erdklimas langfristig zu gewährleisten.

Natürlich wirft das bisherige Fernbleiben der USA im
Kioto-Prozess einen großen Schatten auf die bisherigen
Verhandlungsergebnisse. Worüber wir heute diskutieren,
ist, was wir als deutsche Politiker, als Parlamentarier oder
als Mitglieder der Bundesregierung unternehmen können,
damit das Kioto-Protokoll nun wirklich mit Leben erfüllt
wird. Ich sehe hier vier wichtige Punkte, die teilweise
auch schon angesprochen wurden. Erstens! Wir brauchen
eine neue diplomatische Offensive für den Klimaschutz
und auch für die Fragen der nachhaltigen Entwicklung,
und zwar nicht nur durch die Umweltpolitiker, sondern
auch durch das Außenministerium und den Bundeskanz-
ler; denn die rasche Ratifizierung kommt nicht von selbst.
Wenn ich mir zum Beispiel die Situation in Russland an-
schaue und die Aussagen, die Putin trifft oder nicht trifft,
dann muss ich sagen: Wir brauchen auch hier vonseiten
Joschka Fischers und vonseiten des Bundeskanzlers eine
ganz andere Strampeltaktik, wir brauchen einen ganz an-
deren Einsatz. Toter Käfer zu spielen hilft hier nicht
weiter.

Das gilt auch, Kollege Müller, in Bezug auf die Ver-
einigten Staaten. Es muss uns in der Tat gelingen, die Verei-
nigten Staaten davon zu überzeugen, dass sie nicht nur eine
Führungsmacht in außenpolitischen und Wirtschaftsfragen
sind, sondern dass sie auch eine führende Rolle spielen
müssen in der internationalen Entwicklungspolitik, bei der
Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen und des
Klimaschutzes. Dazu brauchen wir aber auch mehr En-
gagement aufseiten des Kanzlers.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Zweitens – auch das wurde schon angesprochen –: Es

gibt noch viele offene Fragen zu klären, zum Beispiel in
der Senkenfrage: Abrechnungs-, Anrechnungs- und Über-
wachungsprobleme. Es gibt aber auch noch offene Fragen
zu den CO2-Zertifikaten. Im Grundsatz gebe ich hiernatürlich der FDP Recht. Aber ich halte den Richtlinien-
vorschlag der Kommission zu diesem Thema immer noch




Michael Müller (Düsseldorf)


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für deutlich verbesserungsbedürftig. Es ist wirklich so: Es
drohen uns ein hohes Maß an behördlichen Eingriffen und
eine erhebliche Ausweitung des Ordnungsrechtes. Die
Verpflichtung zur Teilnahme der energieintensiven Sekto-
ren am Zertifikatehandel läuft natürlich eigentlich dem
Grundgedanken der flexiblen Instrumente zuwider.

Besonders schwierig ist die Frage der Zuteilung der
Emissionsrechte. Diese Frage ist natürlich vollkommen
offen, aber sie ist gerade auch für die deutsche Wirtschaft
von entscheidender Bedeutung. Und die wollen wir ja
auch zum Mitmachen gewinnen.


(Monika Ganseforth [SPD]: Da steckt der Teufel im Detail!)


– Ja. Dass hier aber schwerwiegende Konsequenzen für
die Wettbewerbsfähigkeit ganzer Industriezweige zu be-
fürchten sind oder eine ungleiche und damit auch unfaire
Verteilung von Rechten und Pflichten in Europa, das zeigt
sich ja auch am Diskussionsstand in der Arge Emissions-
handel.


(Monika Ganseforth [SPD]: Sagen Sie das mal der FDP!)


Hier darf sich die Bundesregierung nicht erneut über den
Tisch ziehen lassen; denn wenn die Regelungen sowohl
überbürokratisch als auch ungerecht sind, dann, glaube
ich, wird die Umsetzung des Kioto-Protokolls schon in
Europa scheitern.

Drittens! Wir müssen die wirtschaftliche und technolo-
gische Zusammenarbeit mit den Entwicklungs- und
Schwellenländern deutlich ausweiten. Auch das wurde ja
schon gesagt! Die Entwicklungsländer haben eine sehr
konstruktive Rolle in Marrakesch gespielt. Sie sind ja
auch ganz besonders vom Klimawandel betroffen und ha-
ben auch den größten Nachholbedarf. Ich glaube, wir sind
uns alle einig: Wenn die Entwicklungsländer unseren Ent-
wicklungspfad, unseren Wachstumspfad kopieren, dann
haben sie uns mit ihren Treibhausemissionen schnell ein-
geholt. Dann tun wir uns sehr schwer, das Klima der Erde
zu bewahren. Deswegen ist es ganz entscheidend, dass
wir in Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern in-
telligentere Wachstumspfade erarbeiten und aufstellen,
aber nicht nur als Kopie unserer bisherigen Technologie,
sondern mit Rücksicht auf die kulturellen, sozialen und
politischen Verhältnisse der Entwicklungs- und Schwel-
lenländer.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Das Beispiel China zeigt ja, dass wir damit auch Erfolg

haben können; denn die Zusammenarbeit mit China, vor
allem auch das Engagement deutscher Unternehmen in
China hat gezeigt, dass man gerade auch im Kohlebereich
ganz erhebliche Einsparpotenziale in relativ kurzer Zeit
erreichen kann.


(Horst Kubatschka [SPD]: Jetzt sind Sie aber heimatlos geworden!)


– Was heißt „heimatlos geworden“, Herr Kubatschka? Sie
bringen mich natürlich schon auf eine wichtige Sache. Die
Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern geht natür-
lich nur, wenn man die Kioto-Mechanismen auch in diesem

Punkt mit Leben erfüllt. Das geht natürlich nicht, wenn der
Entwicklungshaushalt wie unter Rot-Grün wieder abge-
meiert wird. Wir brauchen mehr statt weniger Geld.


(Monika Ganseforth [SPD]: Das musste ja noch einmal kommen!)


– Ja, weil das wichtig ist, Frau Ganseforth. Wir brauchen
im Entwicklungshaushalt erheblich mehr Geld als bisher.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Wir sind ja derselben Meinung!)


Über Hausaufgaben haben wir heute auch schon
gesprochen, Herr Müller. Wenn ich Ihnen zuhöre, kann
ich mich mit vielem einverstanden erklären, vor allem mit
Ihren philosophischen Passagen. Wenn es aber konkret
wird, gehen unsere Meinungen auseinander. Das darf ja
auch sein, deshalb muss niemand verbittert sein. Aber der
öffentliche rot-grüne Hauskrach um den Energiebericht
von Wirtschaftsminister Müller hat natürlich deutlich
gemacht, dass Sie kein schlüssiges und tragfähiges
langfristiges Energiekonzept haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, wenn Herr Trittin den bay-

erischen Ministerpräsidenten der Versäumnisse in der re-
generativen Energiepolitik bezichtigt, liegt er leider
falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wieso „leider“? – HeinrichWilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Hat er jemals richtig gelegen?)


Darf ich noch einmal daran erinnern, dass das Strom-
einspeisungsgesetz auf Initiative der CDU/CSU-Fraktion,
vor allem der CSU-Landesgruppe zustande kam? Darauf
bauen Sie jetzt auf.


(Monika Ganseforth [SPD]: Nein, das war parteiübergreifend! Aber das Erneuerbare-Energien-Gesetz haben Sie nicht mitgetragen!)


– Das hatte andere Gründe.
Darf ich daran erinnern, dass Bayern ein Drittel weni-

ger CO2-Ausstoß pro Kopf hat als der Durchschnitt derBundesländer?

(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das ist so!)


Darf ich Sie daran erinnern, dass Bayern den höchsten An-
teil an regenerativen Energien hat?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Aha! Er hat die falsche Statistik vom Mitarbeiter bekommen!)


Darf ich auch Sie daran erinnern, Herr Trittin? Sie sollten
wirklich einmal nach Bayern fahren.

Dass wir in der Windkraft nicht so gut aussehen

(Horst Kubatschka [SPD]: Obwohl Sie so viel Wind machen!)

wie die küstennahen Länder, liegt einfach daran, Herr
Trittin, dass wir küstenfern sind. Ist Ihnen das schon einmal
aufgefallen? Die küstennahen Länder haben sozusagen




Dr. Christian Ruck
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(D)



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1800 Stunden Wind, wir 500. Wir haben dafür einen erheb-
lich größeren Anteil an der Biomasse. Das liegt auch daran,
dass Biomasse unauffälliger ist und wir an Bayern hängen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ihre Kombination von verfehlter Wirtschafts- und Kli-

mapolitik ist ein Negativbeispiel für die Entwicklungs-
länder, für die USA und auch für den Weltgipfel in Jo-
hannesburg.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421220300
Herr Kol-
lege Ruck, Sie haben Ihre Redezeit weit überschritten. Ich
darf Sie bitten, zum Schluss zu kommen.


Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1421220400
Ich bin schon im
Landeanflug.

Wir kämpfen auch dafür, dass im Spätsommer ein an-
deres Signal aus Deutschland für Johannesburg kommt,
nämlich ein Signal für eine andere Energie- und Klima-
politik und eine andere Bundesregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421220500
Als letzter
Redner in dieser Debatte hat das Wort der Kollege
Dr. Reinhard Loske. Er spricht für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen.


Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421220600

Herr Präsident! Der Kollege Christian Ruck hat gerade et-
was überzogen.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Er hat geradegerückt!)


Wenn es nach Frau Homburger ginge, würde hier das In-
stitut der handelbaren Rederechte eingeführt und Herr
Ruck müsste mir etwas abkaufen, vermute ich.


(Birgit Homburger [FDP]: Klasse! – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Führt das zu Verbesserungen?)


Ganz so toll wollen wir es aber doch nicht treiben.
Ich will ein paar Punkte ansprechen, die mir in der Dis-

kussion aufgefallen sind. Ich habe keine Rede vorbereitet
und will nur auf das eingehen, was andere gesagt haben.
Vielen von uns, die bei der Klimakonferenz in Bonn oder
Marrakesch, vor allem aber in Bonn, dabei waren, hat in
dem Moment, als der Hammer des Präsidenten in Kioto
niederfuhr, um die Sache abzuschließen, der Mantel der
Geschichte angeweht. Ich glaube, das darf man durchaus
einmal sagen. Dabei waren wir nicht der Meinung, dass
das, was im Kioto-Protokoll verabschiedet wurde, der
Weisheit letzter Schluss war. Wir wissen alle, dass es bes-
tenfalls ein erster Schritt war.

Ich glaube, wir haben aus zwei Gründen gespürt, dass das
ein ganz wichtiger Moment war: erstens, weil es Europa ge-
lungen war, mit einer Stimme zu sprechen und mit den Ent-
wicklungsländern zusammen an einem Strang zu ziehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


In diesem Fall war das auf die starke Verhandlungs-
führung der deutschen Delegation, namentlich des Minis-
ters, zurückzuführen.

Zweitens haben auch viele wegen der zeitlichen Koin-
zidenz mit dem Gipfel in Genua gespürt, dass das, was in
Bonn noch schwach und sehr jungfräulich begonnen hat,
der Versuch war, der ökonomischen Globalisierung poli-
tische Regeln an die Seite zu stellen. Genau das tut Not.
Wir müssen der Ökonomie auch im globalen Maßstab Re-
geln an die Seite stellen. Dafür war in der Tat der Bonner
Gipfel ein ganz wichtiger Schritt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir sollten alles tun – und das werden wir auch als Par-
lament; mit einer Stimme, nehme ich an –, damit das
Kioto-Protokoll schnell ratifiziert wird. Es wäre wunder-
bar, wenn wir in Johannesburg auf dem Rio-plus-10-Gip-
fel das Kioto-Protokoll in Kraft hätten. Dann könnten wir
sagen: Eines der großen Kinder des Rio-Gipfels, die Kli-
marahmenkonvention, hat sich fortgepflanzt und ein Pro-
tokoll zur Welt gebracht, das jetzt auch in Kraft ist. Dann
würden wir nicht mit leeren Händen dastehen. Danach
sollten wir streben.

Der zweite Punkt knüpft an das an, was der Kollege
Müller gesagt hat und wo der Kollege Obermeier dazwi-
schengerufen hat. Er betrifft die naturwissenschaftli-
chen Grundlagen. Es gibt ganz klar den Pfad: Die
Verdoppelung des vorindustriellen Niveaus der CO2-Kon-zentration von 280 ppm auf 560 ppm wird einen Anstieg
der durchschnittlichen Weltmitteltemperatur um 2 bis 3 °C
zur Folge haben. Das ist keine Pfadbetrachtung, sondern
eine Aussage, soweit man sie gesichert treffen kann. Das
ist in der Tat ein großes Problem. Der Minister hat zu Recht
darauf hingewiesen. Die ganze Thematik Nord-Süd ist kei-
neswegs ein irgendwie blauäugiges, idealistisches ent-
wicklungspolitisches Thema, sondern es geht dabei um
ganz harte Dinge. Wenn es heute mehr Umweltflüchtlinge
als Bürgerkriegsflüchtlinge gibt, ist das in der Tat eine Sa-
che, die weit über die Umweltpolitik hinausragt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der dritte Punkt – Frau Homburger, an Sie gerichtet –
betrifft den Zusammenhang von nationalem Handeln und
globalen flexiblen Instrumenten.Die Sorge, die es früher
gab – auch bei mir –, war doch die: Wenn wir es quasi er-
möglichen, die Klimaschutzverpflichtungen komplett
außerhalb der Landesgrenzen zu erfüllen, heißt das, dass
man im Inland Innovationsdruck aus dem Kessel nimmt.
Deshalb war unser Argument immer: Wer den ökologi-
schen Strukturwandel auch im eigenen Land will, der darf
dieses Auslassventil nicht vollständig, sondern nur kon-
trolliert öffnen. Das ist nach wie vor sehr vernünftig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Birgit Homburger [FDP]: Völlig identisch!)


Deswegen sind wir nach wie vor der Meinung: Der
Löwenanteil sollte zu Hause erbracht werden. Das unter-
scheidet uns auch, weil wir das nicht vor allem als eine




Dr. Christian Ruck

21031


(C)



(D)



(A)



(B)


Bürde, eine Last, sondern als eine Chance sehen. Wenn
wir auf den Heimatmärkten Kompetenz demonstrieren,
können wir auch auf den Weltmärkten der Zukunft eine
erste Adresse sein. Denn das wollen wir; das genau ist der
tragende Gedanke.


(Beifall bei der SPD)

Viertens. Es gibt auch – das ist ein sehr wichtiger

Punkt – den Zusammenhang zwischen der Glaubwürdig-
keit auf dem internationalen Parkett und dem, was man zu
Hause macht. Man kann international nur glaubwürdig
agieren, wenn man zu Hause seine Kompetenz demons-
triert, wenn man das tut, was man international vor-
schlägt. So gesehen stehen wir in der Tat besser da als
1998.

Das führt mich zu meinem fünften Punkt, zu dem, was
wir alles schon gemacht haben. Es ist langweilig, das al-
les hier aufzulisten. Aber wenn Sie sich die Energiepoli-
tik anschauen, die Bereiche erneuerbare Energien, Kraft-
Wärme-Kopplung, Ökosteuer, Altbausanierung und
anderes mehr, erkennen Sie: Das ist ein Faktor von 20
mehr als das, was die alte Regierung gemacht hat. Darauf
möchte ich schon noch einmal hinweisen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Zu den Instrumenten: Sie wissen, Frau Homburger,
dass ich selbst so wie Sie auch ein großer Anhänger des
Instruments des Emissionshandels bin. Aber was mich
bei der Industrie unheimlich stört, ist diese Unglaubwür-
digkeit, dieses Instrumentenhopping. Ende der 80er-, An-
fang der 90er-Jahre hieß es: Das Ordnungsrecht drangsa-
liert uns; wir brauchen marktwirtschaftliche Instrumente,
wir brauchen die Ökosteuer. Darauf haben wir gesagt:
Okay, Ökosteuer. Die Reaktion darauf war: Um Gottes
willen, die meinen das ja ernst! Danach haben wir mit der
Ökosteuer begonnen und es wurde gefordert, Emissions-
handel zu machen. Jetzt sagen wir: Lasst uns in eine ver-
nünftige Debatte über den Emissionshandel einsteigen.
Aber jetzt wird vonseiten der Industrie, also der Leute, mit
denen Sie eng zusammenhängen, gesagt, dass sei ein ganz
gefährliches Instrument.

Ich glaube, so kann man nicht agieren. Wir brauchen
alle Instrumente, jedes Instrument an seinem Ort. Der
Emissionshandel hat Vorzüge vor allem da, wo wir es mit
großen Akteuren zu tun haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das führt mich zu meinem letzten Punkt. Zum Emissi-
onshandel gibt es die EU-Richtlinie; sie ist umstritten. Die
EU will, dass im Jahr 2005 mit dem Emissionshandel auf
Unternehmensebene begonnen wird. Ich würde das für
vernünftig halten; es gibt aber Einwände von Skeptikern,
die sagen: Wir brauchen zunächst ein Training von drei
Jahren. Ich habe nichts gegen eine Pilotphase von 2005
bis 2008. Nur will ich, wenn ab 2008 im Rahmen des Ki-
oto-Protokolls wirklich Emissionshandel betrieben wird,
dass wir dabei sind, dass wir gut vorbereitet sind und dass
wir nicht nach Regeln Emissionshandel betreiben, die an-

dere für uns definiert haben, im Zweifelsfall die Angel-
sachsen. Nein, wir sollten das zu Hause machen. Das wer-
den wir auch tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Birgit Homburger [FDP]: Wir sollten anfangen!)


– Frau Homburger, abschließend möchte ich noch auf ei-
nes hinweisen, da Sie hier so sehr schimpfen: Wie sieht es
denn in der nationalen Emissionshandelsgruppe aus?


(Birgit Homburger [FDP]: Desaster!)

Es ist doch nicht so, dass diejenigen, die den Klimaschutz
befürworten, also die Technologieunternehmen, die Fi-
nanzdienstleister und andere, dieses Instrument blockie-
ren. Es sind vielmehr die gleichen Leute, die vor zehn Jah-
ren die Ökosteuer blockiert haben.


(Birgit Homburger [FDP]: Genau das!)

Wie der Kollege Müller sage auch ich Ihnen voraus:

Wenn diese Leute wirklich Ernst machen, dann sind Sie
die Ersten, die abspringen. Das halte ich für so sicher wie
das Amen in der Kirche.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421220700
Ich schließe
die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/7073, 14/7156, 14/7450, 14/8026,
14/8028 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. – Das Haus ist damit einverstan-
den. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Klaus Riegert, Peter Letzgus, Ilse Aigner, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Sicherung der Zukunft der Vereine durch wirt-
schaftliche und bürokratische Entlastung – Er-
höhung der Gestaltungsmöglichkeiten und
Freiräume
– Drucksachen 14/3680, 14/5445 –

Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst das Wort
dem Kollegen Klaus Riegert für die CDU/CSU-Fraktion.


Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1421220800
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! In Deutschland leisten
478 000 eingetragene und eine Vielzahl nicht eingetra-
gener Vereine ihren unverzichtbaren Beitrag zu einer le-
bendigen, leistungsfähigen und solidarischen Bürger-
gesellschaft. Deshalb müssen wir alle größtes Interesse
daran haben, die wirtschaftliche Kraft der Vereine zu stär-




Dr. Reinhard Loske
21032


(C)



(D)



(A)



(B)


ken, die Vereine von bürokratischem Ballast zu befreien
sowie die Gestaltungsmöglichkeiten und Freiräume der
Vereine zu erweitern.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Politik der Bundesregierung – dies belegt ihre Ant-

wort auf unsere Große Anfrage – versagt vor dieser Auf-
gabe.


(Beifall bei der CDU/CSU – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Versager!)


Darüber können auch marginale Veränderungen und Ver-
besserungen nicht hinwegtäuschen. Die Erhöhung der so
genannten Übungsleiterpauschale auf 1 840 Euro, also
3 600 DM, jährlich ist eine Verbesserung.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das haben Sie nicht zustande gebracht!)


Nur, sie reicht ebenso wenig aus wie die Erweiterung auf
Betreuer. Diese Erweiterung ist eine Farce. Nach den Aus-
führungsbestimmungen des Finanzministeriums gibt es
kaum Betreuer im Sinne des § 3 Nr. 26 des Einkommen-
steuergesetzes.


(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Eine Nullnummer!)


Noch wichtiger als die Erhöhung der steuerfreien Ein-
nahmen auf 2 454 Euro, also 4 800 DM, ist die Erweite-
rung des Kreises der Begünstigten um ehrenamtlich tätige
Vorsitzende, Schatzmeister und Organisationsleiter.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dagmar Freitag [SPD]: Das ist interessant – Karin Kortmann [SPD]: Interessant ist, dass das 16 Jahre überhaupt keine Rolle gespielt hat!)


Genau dies hat Bundesfinanzminister Eichel als hessi-
scher Ministerpräsident im Landtagswahlkampf 1998 den
Vereinen zugesagt. Heute sagt er: nein. Auf einmal sind
dies utopische Forderungen. Versprochen – gebrochen,
das zieht sich wie ein rot-grüner Faden durch die Politik
dieser Bundesregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Freistellung der Aufwandsentschädigungen aus öf-
fentlichen Kassen bis zu 153 Euro, also 300 DM, monat-
lich für gemeinnützige Tätigkeiten von der Sozialversi-
cherungspflicht betrifft einen verschwindend kleinen Teil
ehrenamtlich Tätiger. Sie schaffen begünstigte und nicht
begünstigte ehrenamtlich Tätige. Die Änderungen beim
Stiftungsrecht bringen für den überwältigenden Teil der
Vereine keine Verbesserungen. Eine einfache Nachfrage
bei den Vereinen genügt, um dies festzustellen.

Das neue Spendenrecht erhöht die Haftungsrisiken für
ehrenamtlich tätige Mitarbeiter beträchtlich. Der Verzicht
auf das Durchlaufspendeverfahren war eine Forderung
der großen Vereine; aber dieser Verzicht hat sich gerade für
kleinere Vereine als nicht praktikabel erwiesen. Sie wollen
wieder die Möglichkeit der Durchlaufspende. Warum neh-
men Sie Vereinen diese Haftungserschwernis nicht ab?


(Dagmar Freitag [SPD]: Wer hat denn diesen Unsinn aufgeschrieben? Mein Gott!)


Auch die Behauptung der Bundesregierung, Mitglieds-
beiträge für viele Zwecke seien erstmals steuerlich ab-
setzbar, schönt die Wirklichkeit. Mitgliedsbeiträge sind
nach wie vor kaum absetzbar.

Die Bundesregierung sieht in gemeinnützigen Verei-
nen Unternehmen. Ehrenamtlich tätige Vereinsvorsit-
zende behandelt sie wie die Hauptgeschäftsführer von
GmbHs. All das ist in der Antwort der Bundesregierung
nachzulesen. Was diese Bundesregierung mit der einen
Hand gibt, nimmt sie mit der anderen wieder zurück –
oder gar mehr.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dagmar Freitag [SPD]: Sie werden es nie verstehen, Herr Riegert! Nie!)


Die Neuregelungen der 325-Euro-Jobs und der Schein-
selbstständigkeit bringen für die Vereine und die dort
Tätigen neben der wirtschaftlichen Belastung zusätzli-
chen bürokratischen Aufwand. Die Einführung der so ge-
nannten Ökosteuer und die Erhöhung der Energiesteuer
belasten die Vereine zusätzlich ohne jeglichen Ausgleich.


(Dagmar Freitag [SPD]: Dann schaffen Sie die Ökosteuer doch ab, Herr Riegert!)


Diese Belastungen treffen vor allem Vereine mit großen
Jugendabteilungen. Sie können die Mehrkosten nicht
durch Erhöhung der Mitgliedsbeiträge ausgleichen.

Die Kostenverlagerungen vom Bund auf die Länder
und Kommunen schränken die Finanzkraft vor allem der
Kommunen ein. Immer mehr Gemeinden sehen sich ge-
zwungen, Fördermittel für Vereine zu reduzieren und Nut-
zungsentgelte einzuführen oder anzuheben.

Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung
ignoriert schlicht die gesellschaftliche Bedeutung unserer
Vereine.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie will keine wirklichen Verbesserungen herbeiführen.
Sie schiebt Bedenken und Forderungen der Verbände
schlicht beiseite. Die ehrenamtlich Tätigen sollen ihre Ar-
beit machen; ansonsten sollen sie sich ruhig verhalten –
das ist die Botschaft ihrer Politik.

Ich bin gespannt, welche Handlungsempfehlungen die
Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen
Engagements“ vorlegen wird. Alle – ich wiederhole:
alle – praktischen Verbesserungen im Hinblick auf die
ehrenamtliche Tätigkeit in Vereinen hat Rot-Grün hier
im Plenum abgelehnt. Wenn diese abgelehnten Forderun-
gen in den Handlungsempfehlungen der Enquete-Kom-
mission auftauchen, dann ist klar, was zu hören sein wird:
Wahlkampfgetöse wie bei Eichel 1998.


(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: So ist es! – Karin Kortmann [SPD]: 1998 würde ich an Ihrer Stelle gar nicht erwähnen! Wo sind denn Ihre Mitglieder der Enquete-Kommission? Wo sind denn die CDU/CSU-Mitglieder, die sich damit befassen?)


Nein, meine Damen und Herren, wir müssen die Ver-
eine stärken.


(Beifall bei der CDU/CSU)





Klaus Riegert

21033


(C)



(D)



(A)



(B)


Das Anspruchsverhalten und die Anforderungen der Mit-
glieder sind gestiegen. Kommerzielle Anbieter stoßen in
klassische Bereiche der Vereine vor. Fast die Hälfte der
Jugendlichen im Alter von 15 bis 18 Jahren kehrt den Ver-
einen den Rücken. Unsere Vereine können ihren Aufga-
ben nur gerecht werden, wenn wir ihre Wirtschaftskraft
stärken und wenn wir sie von den Fesseln der Bürokratie
befreien.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Bundesregierung muss deutliche Zeichen für ein

vereinsfreundliches Klima setzen. Wir fordern die Bun-
desregierung auf: Ziehen Sie die Neuregelung zu den 325-
Euro-Jobs und der Scheinselbstständigkeit für ge-
meinnützige Vereine zurück! Der grüne Haushaltsexperte
Metzger hat Recht: Diese Neuregelungen sind eine Miss-
geburt. Nur der Arbeitsminister hat es immer noch nicht
gemerkt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Entlasten Sie die Vereine von der Ökosteuer und den

Erhöhungen der Stromsteuer! Sie verweigern einen Aus-
gleich, den Sie Großverbrauchern und Großverschmut-
zern gewähren.

Erleichtern Sie die Haftung ehrenamtlich tätiger Vor-
stände! Sie können ehrenamtlich Tätige nicht mit Ge-
schäftsführern von GmbHs gleichsetzen. Haftungser-
leichterungen sind keine Privilegien. Sie sind kein
Freibrief. Sie sind Anerkennung für freiwillig übernom-
mene Verantwortung.

Heben Sie die Grenze für Einnahmen aus sonstigen
Tätigkeiten von bisher 500 DM jährlich auf 600 Euro jähr-
lich an! Billigen Sie ehrenamtlich tätigen Vorsitzenden,
Schatzmeistern und Organisationsleitern eine pauschale
Aufwandsentschädigung zu! Erhöhen Sie die steuerfreien
Einnahmen auf 2 454 Euro, also 4 800 DM pro Jahr!


(Dagmar Freitag [SPD]: Das hätten Sie bis 1998 alles haben können!)


Heben Sie die Besteuerungs- und Zweckbetriebsgrenzen
bei gemeinnützigen Vereinen an. Wenn unsere Vereine
durch Eigeninitiative Geld erwirtschaften, dann sollte die
Bundesregierung den Vereinen mehr Geld belassen. Wir
fordern damit etwas, was Herr Eichel als Ministerpräsi-
dent gefordert hat.


(Dagmar Freitag [SPD]: Fällt Ihnen nichts Eigenes ein?)


Schaffen Sie die gesetzlichen Grundlagen, damit gemein-
nützige Vereine zusätzlich Rücklagen in Höhe bis zu
25 000 Euro bilden können. Gestalten Sie das Spenden-
verfahren vereinsfreundlicher.


(Karin Kortmann [SPD]: Sind wir dabei!)

Ermöglichen Sie den Vereinen, Spendenbescheinigungen
auszustellen oder das Durchlaufspendeverfahren zu wäh-
len.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421220900
Herr Kol-
lege Riegert, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kolle-
gin Barbara Hendricks?


Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1421221000
Ja, gerne.


Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1421221100
Herr Kollege, ich
möchte mich nicht mit all Ihren Forderungen auseinander
setzen, aber angesichts der Debatte, die heute Nachmittag
in diesem Hohen Hause zum Tourismus- und Gastrono-
miegewerbe stattgefunden hat, möchte ich Sie auf den
Widerspruch hinweisen, der zwischen den verschiedenen
Interessenvertretern Ihrer Fraktion bezüglich einer Anhe-
bung der Zweckbetriebsgrenze bei den Vereinen herrscht.
Sie haben ja gerade gesagt, das Geld, das die Vereine er-
wirtschaften, solle bei ihnen bleiben. Dieses Geld wird
normalerweise – wir kennen ja das Leben – durch Verkauf
von Kuchen, Bier und alkoholfreien Getränken auf Festen
erwirtschaftet. Dabei handelt es sich um die so genannte
Schwarzgastronomie. Darunter leidet die Gastronomie,
die Steuern zahlen muss. Wie wollen Sie diesen Wider-
spruch, der auch in den beiden heutigen Debatten zum
Ausdruck kam, auflösen?


Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1421221200
Mir sind diese Bedenken
der Gastronomie sehr wohl bekannt.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das lässt ja hoffen!)

Da gibt es aber vor Ort gute Möglichkeiten, gemeinsame
Strategien zu fahren.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das ist ja eine tolle Antwort!)


Zugeben müssen Sie aber, dass diese Grenze von
60 000 DM über viele Jahre geblieben ist und damit deren
Wert immer mehr abnahm. Ihr eigener Chef, der Finanz-
minister, hat noch als Ministerpräsident 1998 selber ge-
fordert, diese Zweckbetriebsgrenze auf 80 000 DM anzu-
heben.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Damit gibt er zumindest zu, dass hier Handlungsbedarf
besteht. Genau in diese Richtung gehen die Anträge des
Landes Baden-Württemberg und unserer Fraktion. Früher
hatte auch der Finanzminister Eichel eine entsprechende
Einsicht. Deshalb fordern wir, hier einen maßgeblichen
Schritt nach vorn zu gehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

In der Enquete-Kommission wird das im Übrigen von Ih-
rer Seite genauso gesehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungs-
koalition: Geben Sie mit uns den Vereinen, was ihnen zu-
steht, und stimmen Sie unserem Entschließungsantrag zu!


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421221300
Nun spricht
für die SPD-Fraktion der Kollege Dieter Grasedieck.


Dieter Grasedieck (SPD):
Rede ID: ID1421221400
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Herr Riegert, Sie spra-
chen vorhin von Wahlkampfgetöse. Das überrascht mich
wirklich. Über Ihrer Großen Anfrage steht: „Sicherung




Klaus Riegert
21034


(C)



(D)



(A)



(B)


der Zukunft der Vereine“. Sie sprachen aber eigentlich nur
über Ökosteuern und das 630-Mark-Gesetz. Das macht
die von Ihnen in den letzten drei Jahren eingeschlagene
Richtung deutlich: Sie suchten Angriffspunkte; aber es
war natürlich schwer, Angriffspunkte in unserer Koalition
zu finden.


(Beifall bei der SPD)

Jetzt erfinden Sie etwas ganz Neues: 630-Mark-Gesetz
und Ökosteuer sind wirklich ganz aktuelle Themen; von
alleine wären wir darauf gar nicht gekommen.


(Heiterkeit bei der SPD)

Erst als wir die Anfrage sahen, konnte man die Punkte
nachvollziehen.

Herr Riegert, Sie müssen aber auch die Kehrtwende
berücksichtigen, die sich seit Sonntag vollzogen hat.
Stoiber und Merkel haben sich darauf festgelegt, dass
diese Ökosteuer nicht gekippt wird.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sie sind weg!)

Nein, meine Damen und Herren, Sie haben eigentlich

drei Jahre verloren, weil Sie nur Schwachstellen suchten
und diese Schwachstellen nicht gefunden haben. Wir ha-
ben während dieser Zeit gearbeitet und viel für die Ver-
eine und für das Ehrenamt erreicht.


(Beifall bei der SPD)

Es war ja nicht einfach, da angesichts der Schuldenlast,
die Sie uns hinterlassen haben, etwas zu erreichen. Das
waren 1,5 Billionen DM Schulden sowie die Zinsbelas-
tung. Trotzdem haben wir gute Ansätze gefunden.

Erstens. Sie sprachen davon, Herr Riegert: Die
Übungsleiterpauschale ist erhöht worden. Wir haben sie
erhöht, und zwar in diesen drei Jahren – das müssen Sie
sich einmal überlegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben das in 16 Jahren nicht geschafft. Wir haben die
Übungsleiterpauschale von 2 400 DM auf 3 600 DM erhöht
und sogar noch den Personenkreis erweitert. Ich meine, das
ist ein Erfolg. Sie fordern jetzt einfach 4 800 DM.


(Karin Kortmann [SPD]: Was die Verbände auch nicht wollen!)


Diese Erhöhung hätten Sie ja selber vornehmen können.
Sie haben nicht einmal eine Mark dazugetan.

Zweitens. Sie sprachen das Stiftungsrecht an. Da ha-
ben wir wirklich einen guten Ansatz gefunden und auch
eingebracht. Wir fördern darüber die kleinen Organisa-
tionen: Wir fördern die Hospizgruppen, wir fördern die
einzelnen kirchlichen Organisationen, wir fördern die
Sozialverbände. Durch Sammelstiftungen ist in unseren
Wahlkreisen viel geschehen. Sie müssen sich einmal in
den Kirchen und in den karitativen Organisationen um-
hören. Sammelstiftungen sind dort ein wichtiges Thema.
Das haben wir eingebracht. Wir haben auch eingebracht,
dass Stiftungen mit 600 000 DM starten können. Kleine
Stiftungen können 40 000 DM als Zuwendung geltend

machen. All das waren Vorschläge, die unsere Koalition
aus SPD und Grünen eingebracht hat.


(Beifall bei der SPD)

Dann sprechen Sie von Rücklagen. Schauen Sie sich un-
sere Gesetze einmal an, dann werden Sie feststellen: Wir
haben die Rücklagen längst gebildet. Wir haben zum Bei-
spiel bei den Stiftungen die Rücklage von 25 Prozent auf
33 Prozent erhöht. Auch das war ein Erfolg. Auch das ist
für die jeweilige Stiftung günstig.

Drittens. Rot-Grün hat die Lage der Freiwilligendiens-
te verbessert. Auch das haben Sie in Ihrer Großen Anfrage
angesprochen. 13 000 junge Menschen arbeiten durch un-
sere Politik in den unterschiedlichen Organisationen, zum
Beispiel in den Hospizgruppen und den Selbsthilfegrup-
pen. Das war nur dadurch möglich, dass wir die Bundes-
mittel im Vergleich zum Vorjahr um 50 Prozent erhöht
haben, und zwar von insgesamt 11,5 Millionen Euro auf
16,5 Millionen Euro.

Viertens. Die Selbsthilfegruppen sind ein weiteres
wichtiges Thema. Diese Gruppierungen sind für uns so
wichtig, dass wir gerade sie weiter dabei unterstützen,
kranken Menschen zu helfen und sie zu beraten. In den
kommenden Jahren wird noch mehr Unterstützung nötig
sein. Das werden wir in der nächsten Legislaturperiode
auch umsetzen; das ist für uns keine Frage.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben bereits einen guten Ansatz gefunden: 1 DM pro
Bürger wird den Selbsthilfegruppen zur Verfügung ge-
stellt.

Fünftens. Die Bürokratie wird abgebaut. Auch das ist
in Ihrer Großen Anfrage angesprochen worden. Da kann
ich Ihnen nur sagen: Durch die jüngste SPD-Initiative ist
ein Übungsleiter, der bis zu 930 DM verdient, nicht mehr
sozialversicherungspflichtig. Damit sollten Sie sich ein-
mal beschäftigen.


(Beifall bei der SPD)

Die Vereine profitieren davon. Sie sparen nicht nur Kos-
ten, sondern auch der Verwaltungsaufwand ist dadurch re-
duziert worden. Spendenquittungen sind ein weiteres
Thema. Sie werden jetzt von den kleinen Vereinen ausge-
stellt; das läuft nicht mehr über die Stadt. Das ist wirklich
kein Problem. Auch das werden wir in den kommenden
Jahren weiter forcieren.

Sechstens. Auf unseren Antrag hin haben wir die En-
quete-Kommission eingerichtet. Das ist wirklich ein
großer Wurf gewesen. Wir werden die neuen Vorschläge
gemeinsam erarbeiten und in aller Ruhe abarbeiten. All
die Punkte, die in der Enquete-Kommission erwähnt wor-
den sind, versuchen wir umzusetzen. Soweit dies möglich
ist, geschieht das in dieser Legislaturperiode, keine Frage,
aber viele Punkte werden wir in der nächsten Legislatur-
periode gemeinsam mit unserer Fraktion umsetzen.

Rot-Grün hat das Ehrenamt attraktiver gemacht. Das
muss man festhalten. Immer mehr Menschen kommen
auch zu den kleinen Organisationen. Lesen Sie einmal die
Shell-Studie, dann werden Sie das feststellen. Die Men-
schen arbeiten in kleinen Hospizgruppen. Ich habe das




Dieter Grasedieck

21035


(C)



(D)



(A)



(B)


bei meinem Vater erlebt. Er ist vor zwei Jahren gestorben.
Er ist von einer Hospizgruppe über ein Jahr begleitet wor-
den. Das war nicht nur die Pflegearbeit, das war gleich-
zeitig auch die Begleitung bis in den Tod und die Trauer-
arbeit mit meiner Mutter. Davor kann man eigentlich nur
den Hut ziehen. Das alles werden wir weiter unterstützen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Rot-Grün hat das Ehrenamt trotz der schlechten Start-
bedingungen attraktiver gemacht; ich habe darauf hinge-
wiesen. 41 Milliarden Euro Zinsen zahlen wir pro Jahr;
das ist Ihre Hinterlassenschaft. Wir tilgen noch nicht ein-
mal. Das ist, als wenn eine Berlinerin 4 000 Euro verdient
und pro Monat erst einmal 1 000 Euro in die Spree wirft.
Davon hat sie gar nichts mehr. Sie kann noch nicht einmal
die Schulden für ihr Haus tilgen. So sind die Verhältnisse.

Wir haben zum ersten Mal die Zinslast reduziert. Wir
machen endlich weniger Schulden. 1998 betrug der An-
stieg noch 28 Milliarden Euro, im Jahr 2001 waren es
22 Milliarden Euro. Wir versuchen, 2006 die Nullmarke
zu erreichen.

Sie aber, meine sehr verehrten Damen und Herren von
der CDU/CSU, fordern heute einfach mehr Geld für das
Ehrenamt. Gestern sollte mehr Geld für die Bundeswehr
investiert werden. Vorgestern wollten Sie Geld für die
Forschung. Jeden Tag gibt es neue CDU/CSU-Wünsche.
Träume und Wünsche haben wir alle. Nur lässt es sich
nicht realisieren, auf der einen Seite Steuern zu sparen und
auf der anderen Seite diese Träume zu erfüllen. Gestern
noch wollte die CDU/CSU die Ökosteuer komplett ab-
schaffen – es geht um 17 Milliarden Euro –, heute spricht
sie schon nicht mehr davon. Die alte 630-DM-Regelung
sollte wieder eingeführt werden – das wären 2,7 Milliar-
den Euro –, heute sprechen Sie nur noch gedämpft davon.
Die CDU/CSU nimmt die Neuverschuldung einfach in
Kauf, ob Stoiber oder Merkel. Sie lebten immer über Ihre
Verhältnisse, meine Damen und Herren, frei nach dem
Motto: Nach uns die Sintflut.

An dieser Stelle machen wir einfach nicht mit und
sagen Nein. In Ihrer Anfrage singen Sie in Ihrem ge-
mischten Chor: Ökosteuer – nein, 630-DM-Gesetz – nein.
Heute überrascht der Bayer mit dem Solo: Die Ökosteuer
bleibt.

Sie müssen sich auf die neue Politik einstellen. Inso-
fern war Ihre Anfrage auch nicht ganz stimmig. Vor allem
müssen Sie das bei der Rede berücksichtigen, Herr
Riegert. Der Wind hat sich gedreht, hier ist mehr Südwind
gegeben.


(Beifall bei der SPD – Cajus Caesar [CDU/ CSU]: Reden Sie mal von den Ehrenamtlichen!)


Rot-Grün hingegen weiß genau: Das Ehrenamt ist das
Herz der Gesellschaft. Deshalb fördert und unterstützt die
Koalition auch weiterhin unsere Vereine, unsere Selbst-
hilfegruppen und unsere ehrenamtlich Tätigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421221500
Für die
FDP-Fraktion spricht der Kollege Gerhard Schüßler.


Gerhard Schüßler (FDP):
Rede ID: ID1421221600
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Die Gesellschaft lebt
nicht vom Staat, sondern von der Bereitschaft der Bürger,
Verantwortung zu übernehmen – so der ehemalige
Bundespräsident Roman Herzog. Genau das passiert in
unseren Vereinen, in unserer vielfältigen Vereinsland-
schaft. Die Vereine leisten einen unverzichtbaren Dienst,
insbesondere auch für die jungen Menschen.

In unserer Informations- und Kommunikationsge-
sellschaft wirken heute mehr Einflüsse von außen auf die
jungen Menschen ein als in früheren Zeiten, vor allem aus
der Welt der Medien und des Konsums. Allein aus diesem
Grund kommt den Vereinen in Deutschland eine herausra-
gende Bedeutung zu. Sie geben jungen Menschen Orien-
tierung, sie führen sie auch an die Lebenswirklichkeit
heran, damit sie sowohl eigenständig als auch gemein-
schaftsfähig werden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Vereine sind der Grundstein einer Zivilgesell-

schaft. Sie sind ein herausragendes Instrument der Selbst-
organisation von gesellschaftlichen Zusammenschlüssen
und Gruppen. Ein Großteil des bürgerschaftlichen Enga-
gements findet in ihnen statt. Zwar gibt es unter jüngeren
Menschen eine Skepsis gegenüber formalen Zusammen-
schlüssen wie den Vereinen, sie zögern aber nicht, wie
man sieht, selbst Vereine zu gründen, wenn sie die Rechts-
fähigkeit für die Organisation ihres Engagements brau-
chen.

Der Verein als Instrument muss daher immer noch ganz
unterschiedlichen Anforderungen und Interessen gerecht
werden, vom Großverein mit Profiabteilung bis zur orga-
nisierten Kleininitiative.

Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit noch etwas
Kritisches – auch das gehört zu unserem Vereinswesen –
zu den großen Bundesligavereinen sagen. Wenn Woche
für Woche Hundertschaften von Polizisten notwendig
sind, um die Sicherheit in den Stadien zu garantieren – die
Sicherheit ist nicht durch die vielen Tausende Menschen
gefährdet, die aus Freude am Sport ins Stadion gehen,
sondern durch die Rowdies und Radikalinskis –, wenn es
auf der anderen Seite diesen Vereinen möglich ist, für den
Transfer eines Spielers – das ist moderner Menschen-
handel – 100 Millionen DM zu bezahlen, wenn der be-
troffene Spieler noch 20 Millionen DM Handgeld be-
kommt und wenn einem Fußballtorwart 9 Millionen DM
Jahresgehalt gezahlt werden, dann kann ich von den Ver-
einen, die solche Leistungen erbringen können, erwarten,
dass sie für die Sicherheit in ihren Stadien selber verant-
wortlich sind und nicht der Steuerzahler.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Peter Dreßen [SPD]: Oder es werden alle Torwart! Dann wird es auch billiger!)


Die Vereine werden im Augenblick hauptsächlich
durch eine verfehlte Finanz-, Steuer- und Sozialpolitik
dieser Bundesregierung belastet. Gerade Vereine klas-




Dieter Grasedieck
21036


(C)



(D)



(A)



(B)


sischer Ausprägung wie zum Beispiel Sport- und Gesang-
vereine stehen unter einem enormen Kostendruck. Die
kommunalen Gebühren für Hallen und Säle steigen.
Schuld daran ist selbstverständlich auch eine verfehlte
Gemeindefinanzierung


(Dagmar Freitag [SPD]: Wie in Hagen zum Beispiel!)


– ja, da haben Sie völlig Recht –, die die Kommunen in
den Bankrott treibt, und die steigenden Unterhaltskosten
im Zuge der Ökosteuer. Da können Sie reden, wie Sie
wollen: Das ist so. Fragen Sie einmal in den Vereinen
nach!


(Dieter Grasedieck [SPD]: Die CDU/CSU will das doch!)


– Ich gehöre nicht der Fraktion der CDU/CSU, sondern
der FDP an, falls Ihnen das entgangen sein sollte.


(Beifall bei der FDP – Dieter Grasedieck [SPD]: Sie sollten einmal sagen, was die CDU/CSU dazu sagt!)


Es wäre auch falsch, wenn neben dieser verfehlten Po-
litik der Bundesregierung noch ein weiterer Fehler be-
gangen würde, nämlich die Erhöhung der Besteu-
erungsgrenze nach § 64 Abs. 3 der Abgabenordnung und
der Zweckbetriebsgrenze. In diesem Punkt sind wir ande-
rer Meinung als die CDU/CSU.


(Dagmar Freitag [SPD]: Jetzt sind Sie aber etwas durcheinander!)


– Nein, das ist völlig klar. – Diese Erhöhungen würden die
Wirtschaftsbetriebe der Vereine auf Kosten der gewerb-
lichen Konkurrenz stärken. Eine solche Wettbewerbsver-
zerrung können wir nicht akzeptieren. Die Bundesregie-
rung muss vielmehr dafür sorgen, dass die Kommunen
ihrer Verantwortung für die Infrastruktur auch nachkom-
men können. Das ist aber nicht der Fall.

Die Bundesregierung hat den Vereinen – das muss ich
Ihnen sagen, auch wenn Sie es nicht gerne hören – durch
das 325-DM-Gesetz – ich meine: das 325-Euro-Gesetz –
massiv geschadet.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist der so genannte Stoiber-Euro!)


– Das ist nicht der Stoiber-Euro. – Auf die Vereine ist ein
riesigerVerwaltungsaufwand zugekommen, da statt der
pauschalen Besteuerung nun verschiedene Renten- und
Krankenversicherungsbeiträge auszurechnen und an un-
terschiedliche Kassen abzuführen sind. Die ehrenamtlich
tätigen Menschen haben dadurch einen unglaublichen
Wust an Arbeit bekommen. Von Ihnen gibt es aber nur den
lapidaren Hinweis auf die Arbeitgeberfunktion der Ver-
eine. Dies spricht der Wirklichkeit Hohn.

Mit Aufwandsentschädigungen unter 325 Euro wurde
in der Vergangenheit häufig das äußerst zeit- und kos-
tenintensive ehrenamtliche Engagement einiger Mitglie-
der abgemildert, auf das ein Verein nicht verzichten kann.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Falls diese Mitglieder jetzt noch eine Entschädigung be-
kommen, freuen sie sich im Alter sicherlich über ein paar

Euro zusätzliche Rente. Die Bundesregierung kann in ih-
rer Antwort nicht von einer sorgfältigen Prüfung der Aus-
wirkungen sprechen. Sie hat das überhaupt nicht geprüft.


(Dagmar Freitag [SPD]: Woher wollen Sie das wissen?)


Das Festhalten der Regierung am 325-Euro-Gesetz ist in-
zwischen schon keine Frage der Ideologie mehr, sondern
es ist fast schon Altersstarrsinn, weil sie von keiner Seite
einen Rat annimmt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dagmar Freitag [SPD]: Das müssen Sie gerade sagen!)


In der Enquete-Kommission „Zukunft des bürger-
schaftlichen Engagements“ wird heftig über den so ge-
nannten Übungsleiterfreibetrag diskutiert. Die FDP sieht
in der momentanen Fassung eine gleichheitswidrige Be-
vorzugung von Übungsleitern und von den durch die Fi-
nanzrechtsprechung ebenso anerkannten Betreuern mit
pädagogischer Ausrichtung. Viele wichtige Formen des
Engagements werden nicht berücksichtigt. Kurzfristig
kann man nur durch eine vorsichtige Ausdehnung errei-
chen, dass diese Ungleichbehandlung beseitigt wird, wo-
bei dann allerdings eine Erhöhung des Freibetrages kaum
möglich sein dürfte.

Langfristig sollten solche Steuerprivilegien im Zuge
einer grundlegenden Steuertarifsenkung jedoch aufge-
geben werden, da sie meist die herkömmlichen Strukturen
festigen und neue innovative Formen des Engagements
ausklammern. Außerdem sollte der Gesichtspunkt der
Unentgeltlichkeit des ehrenamtlichen Engagements nicht
ganz untergehen.


(Beifall bei der FDP)

Die Vereine könnten also schon durch eine Korrektur

einiger gravierender Fehler der Regierungspolitik deut-
lich entlastet werden. Notwendig sind die Rücknahme des
325-Euro-Gesetzes und der Erhöhung der Gewerbe-
steuerumlage als kurzfristige Maßnahme im Hinblick auf
die Gemeindefinanzen. Dringend geboten ist auch die
Erarbeitung eines transparenten und gerade für ehrenamt-
lich Engagierte leicht anwendbaren Gemeinnützigkeits-
rechts. Der administrative Aufwand der Vereine muss so
gering wie möglich gehalten werden, wobei nicht ver-
kannt werden darf, dass die Vorteile von Rechtsfähigkeit
und Gemeinnützigkeit auch Pflichten mit sich bringen,
die den Vereinen nicht einfach erlassen werden können.

Die Bundesregierung und die rot-grüne Koalition soll-
ten die Aktivitäten in Vereinen oder ehrenamtliche Akti-
vitäten anregen, statt sie durch strenge Überwachung,
Überregulierung und falsche Steuergesetzgebung zu ver-
hindern.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421221700
Für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht die Kol-
legin Ulrike Höfken.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421221800
Sehr
geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und




Gerhard Schüßler

21037


(C)



(D)



(A)



(B)


Kollegen! Wir haben das heutige Thema in den unter-
schiedlichsten Gremien breit diskutiert. Das Ehrenamt hat
gerade in den ländlichen Regionen eine sehr große Be-
deutung. Die auf Antrag der Koalitionsfraktionen einge-
setzte Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaft-
lichen Engagements“ wird dazu in diesem Jahr ihren
Bericht vorlegen und uns Handlungsempfehlungen ge-
ben. Die Menschen in den Vereinen sehen, dass es uns um
eine zukunftsfähige und langfristige Entwicklung der Ver-
eine und des bürgerschaftlichen Engagements von vielen
Bürgerinnen und Bürgern geht.

Die Opposition hat diese Arbeit auf die altbekannte
Weise begleitet: Statt Vorschläge mit seriösen Finanzie-
rungsmöglichkeiten zu machen, stellen Sie auch auf die-
sem Gebiet nicht durchgerechnete und damit unbezahl-
bare Forderungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Je näher der Wahltermin rückt, umso weiter entfernen Sie
sich von einer glaubwürdigen und ernst zu nehmenden
Behandlung dieses Themas.

Tatsache ist: Die Ausweitung des steuerbegünstigten
Personenkreises, wie Sie das fordern, auch auf ehrenamt-
lich tätige Vorstandsmitglieder und Funktionsträger sowie
die Anhebung der steuerfreien Übungsleiterpauschale auf
etwa 2 400 Euro würden nach Angaben des Bundesfi-
nanzministeriums Steuerausfälle von insgesamt bis zu
13,5 Milliarden Euro ergeben. Das ist unglaublich.


(Klaus Riegert [CDU/CSU]: Das ist eine Phantomberechnung!)


Sie kennen diese Zahl, aber wie üblich verschweigen
Sie diese der Öffentlichkeit. Es wundert mich deswegen
auch nicht, dass Sie keine Vorschläge für eine Gegen-
finanzierung machen. Sie wissen genauso gut wie ich,
dass in dieser finanziellen Größenordnung keine vernünf-
tige Gegenfinanzierung mehr möglich ist.

Jetzt legen Sie in Ihrem Antrag noch eins drauf, denn
Sie wollen eine steuerfreie Ehrenamtspauschale von
600 Euro einführen. Dies hätte auch die Folge, dass das
Ehrenamt unter monetären Aspekten gesehen wird. Das
ist nicht unser Weg. Wir werden Ihnen darauf auch heute
antworten: Das ist nicht finanzierbar und würde ein
falsches gesellschaftspolitisches Signal bedeuten.

Rot-Grün – das hat der Kollege Grasedieck sehr deut-
lich gemacht – macht das Ehrenamt attraktiver bzw. über-
haupt erst attraktiv. Das Ehrenamt verdient und benötigt
Rechte in einem schlüssigen Gesamtkonzept und mit ei-
ner verbesserten Rechtsgrundlage. Dafür bildet die Ar-
beit der Enquete-Kommission die Basis.

Unterhalb der Gesetzesschwelle ist durchaus ein wei-
terer Abbau überflüssiger Bürokratie möglich. Dieses Ziel
ist in den letzten Jahren von der rot-grünen Regierung ver-
folgt worden. Unsere Fraktion setzt sich zum Beispiel
für eine Entbürokratisierung der geringfügigen Beschäf-
tigungsverhältnisse, also der 325-Euro-Jobs, ein. Die
hauptamtliche Arbeit in den Vereinen wird oftmals mit ge-
ringer Stundenanzahl und geringer Entlohnung geleistet.
Es soll überprüft werden, ob bürokratische Belastungen

gerade für kleine und mittlere Vereine weiter abgebaut
werden können. Das wäre beispielsweise dann der Fall,
wenn die Sozialversicherungsbeiträge pauschal erhoben
und von einer zentralen Stelle eingezogen werden könn-
ten. Zusätzlich könnten die bisher monatlichen Meldun-
gen durch jährliche Meldungen ersetzt werden. Im End-
effekt würde dieses Verfahren keine Kosten nach sich
ziehen, sondern zu Ersparnissen führen, weil der Verwal-
tungsaufwand für die Vereine deutlich verringert würde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir danken Ihnen gleichzeitig – das hat auch der Kol-
lege Grasedieck schon getan – für die Möglichkeit, heute
nochmals auf einige wichtige Neuerungen bei der Förde-
rung des bürgerschaftlichen Engagements hinzuweisen.
Im letzten Herbst – das ist schon gesagt worden – wurde
zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden
der Sozialversicherung vereinbart, dass die Tätigkeit von
Übungsleiterinnen und Übungsleitern im Sport nicht
mehr grundsätzlich als abhängige Beschäftigung anzuse-
hen ist. Das bedeutet, dass die Tätigkeit, wenn der Ver-
dienst bis zu 479 Euro beträgt und sie weniger als 15 Stun-
den beansprucht, nicht mehr beitrags- und meldepflichtig
ist. Gerade für selbstständig tätige Übungsleiter heißt das,
dass sie nicht mehr die Pflicht haben, Sozialabgaben zu
leisten. Für die Sportvereine entfällt damit ein beträcht-
licher bürokratischer Aufwand, der durch das Meldever-
fahren unter Ihrer Verantwortung entstanden war.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Klaus Riegert [CDU/CSU]: Das Meldeverfahren stammt von Rot-Grün!)


Im Steuerrecht – das haben Sie erwähnt – werden die
gemeinnützigen Vereine erheblich begünstigt, da sie
grundsätzlich von der Körperschaft-, Gewerbe-, Grund-
und Erbschaftsteuer befreit sind. Aber es ist – auch von
einem FDP-Kollegen – auf die mögliche Konkurrenz zu
den gewerblichen Unternehmen hingewiesen worden.
Natürlich können die Vereine die Zweckbetriebsgrenze
wahrnehmen. Seit Januar 2000 gibt es vereinfachte Ver-
fahren gegenüber den Regelungen, für die die jetzige Op-
position noch als Regierung verantwortlich war.

Noch ein Letztes zum Thema Bürokratie. Erst gestern
haben die Ausschüsse des Bundestages ihre Beratungen
über das Personenbeförderungsgesetz abgeschlossen. Es
wurde eine wichtige Neuerung – auch für die Vereine –
beschlossen: Wenn Busfahrten mit Sport- oder Jugend-
gruppen durchgeführt werden, benötigen die Vereine und
Jugendorganisationen in Zukunft keine eigene Geneh-
migung nach dem Personenbeförderungsgesetz mehr. Es
reicht aus, wenn der beauftragte Busunternehmer im Be-
sitz einer derartigen Genehmigung ist. Auch hier haben wir
wieder ein leidiges Verfahren der Doppelgenehmigung
abgebaut. Diese Gesetzesänderung ist von den Sport- und
Jugendorganisationen einhellig begrüßt worden.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs)

Die Vereine und die ehrenamtliche Arbeit haben eine

von uns allen anerkannte gesellschaftliche Funktion. Wir
werden diese spezielle Bedeutung auch in Zukunft noch




Ulrike Höfken
21038


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(D)



(A)



(B)


stärker berücksichtigen, um die Rahmenbedingungen für
das bürgerschaftliche Engagement weiter zu verbessern.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421221900
Das Wort hat nun die
Kollegin Dr. Barbara Höll für die PDS-Fraktion.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1421222000
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Rund 22 Millionen Menschen
sind in der Bundesrepublik ehrenamtlich tätig. Man kann
davon ausgehen, dass die Mehrzahl von ihnen in gemein-
nützigen Vereinen organisiert ist. Ich glaube, wenn sie die
heutige Debatte hören würden, wären sie zutiefst ent-
täuscht. Die CDU/CSU hat Forderungen aufgestellt, die
berechtigt sind. Sie hat aber natürlich wieder einmal ver-
gessen, selbstkritisch einzuschätzen, was in 16 Jahren al-
les versäumt wurde. Aber auch das, was bisher vonseiten
der Regierungskoalition geboten wurde, geht nicht auf
das ein, was Vereine nötig brauchen. In ihren Beiträgen
war bisher überwiegend Selbstlob zu hören. So ist es auch
in der Antwort auf die Große Anfrage nachzulesen.

Ich glaube, so kann man die Probleme von gemeinnüt-
zigen Vereinen nicht lösen. Wir haben sowieso ein grund-
legendes Problem: Das ehrenamtliche Engagement, wel-
ches wir alle wünschen, darf nicht missbraucht werden,
um vielleicht gesellschaftliche Brüche zu kitten oder um
dort, wo der Staat soziales Engagement zurückfährt, auf
die nur noch ehrenamtliche Tätigkeit von Menschen zu
bauen. Gerade weil das nicht sein darf, gilt es in besonde-
rem Maße, sich den Vereinen zuzuwenden; denn die öf-
fentliche Hand hat immer weniger Geld. Ich verweise nur
auf die hohe Verschuldung der Kommunen, die oftmals die
Tätigkeit der Vereine nicht mehr mitfinanzieren können.

In meiner Heimatstadt Leipzig gibt es jetzt die Aktion
„weißer Januar“, weil die Kulturszene gesagt hat, dass
das, was im Haushalt 2002 gestrichen wurde, so stark an
die Substanz gehe, dass sie nicht mehr in der Lage sei, ge-
rade das, was an Kinder- und Jugendarbeit geboten werde,
weiter zu realisieren. Es ist also bei weitem nicht so, dass
alles glänzt und sich die Regierungskoalition zurückleh-
nen kann.

Wir haben eben das Problem, dass Gelder verstärkt für
die Realisierung von Projekten erwirtschaft werden müs-
sen, zum Beispiel die Kofinanzierung für LKZ-Stellen.
Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass die Vereine
sehr enge Gewinngrenzen sowie beschränkte Möglich-
keiten für Rücklagen haben, um sich dauerhaft Liquidität
zu schaffen.

Vereine sind immer stärker auf Spenden angewiesen.
Aber auch aufgrund des Steuersenkungsgesetzes – das ist
nun einmal die Realität – sinkt der steuerlicher Anreiz für
Spenden. Darüber hinaus haben die Vereine sehr hohe An-
forderungen, die sich aus der Satzung, aus der laufenden
Buchführung und der Bilanzierung ergeben. Sie haben
sehr geringe liquide Mittel.

In der Antwort auf die Große Anfrage wird dies meiner
Meinung nach vonseiten der Koalition unberechtigter-
weise abgewiegelt. Das sage ich, obwohl es unbestreitbar
ist, dass Sie in den drei Jahren Ihrer Regierungszeit durch-
aus einige Dinge verabschiedet haben: die Abschaffung
des Durchlaufspendenverfahrens, die Erhöhung und Er-
weiterung der Übungsleiterpauschale und die Regelung,
dass Vereine unter bestimmten Bedingungen nur noch
15 Prozent und nicht mehr 75 Prozent der Werbungsein-
nahmen als Gewinne versteuern müssen.

Aber es gilt auch zu konstatieren, dass Sie mit Ihrer
Zielstellung, die Stiftungen zu fördern, welche ich teile,
obwohl ich an der konkreten Ausgestaltung Kritik übe, ei-
nen Zustand herbeigeführt haben, dass die Stiftungen
gegenüber den gemeinnützigen Vereinen tendenziell be-
vorteilt sind. Es kann doch nicht gewollt sein, dass man
nur noch eine bestimmte Form bevorteilt und eine andere
dadurch deutlich schlechter stellt. Dies machen Sie vor
dem Hintergrund, dass Sie, wie gesagt, auch bei der Neu-
regelung des Stiftungsrechtes gerade die zivilrechtlichen
Regelungen ausgelassen haben und bestimmte Dinge wie
die angemessene Alimentierung des Stifters und seiner
Angehörigen nicht aufgehoben oder wenigstens be-
schränkt haben.

Aus diesem Grunde gilt es, wirklich ernsthaft über
Dinge nachzudenken, die in der Großen Anfrage ange-
sprochen sind: eine Erweiterung der Inanspruchnahme
der Übungsleiterpauschale für alle im ideellen Bereich
der Vereine tätigen und aktiven Bürgerinnen und Bürger,
Erweiterung der Möglichkeit der Bildung von Liqui-
ditätsreserven, die Anhebung der Besteuerung und
Zweckbetriebsgrenze, die Einführung gesetzlicher Frei-
stellungsregelungen vom Beruf für ehrenamtlich Tätige
– das gibt es, siehe Technisches Hilfswerk – und letztlich
die Bereitstellung finanzieller Hilfe, damit gerade Vereine
ihren gesetzlichen Pflichten in Bezug auf Buchhaltung
und Verwaltung von Arbeitskräften professionell nach-
kommen können.

Ich wünsche mir dazu eine sachliche Beratung und
Selbstkritik von allen Seiten, sodass man dann die Ziel-
stellung tatsächlich verwirklichen kann.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421222100
Nun hat der Kollege
Dr. Klaus Rose für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Dr. Klaus Rose (CSU):
Rede ID: ID1421222200
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Im Sportaus-
schuss reden wir immer sehr gerne von Fairness und frak-
tionsübergreifender Harmonie. Wenn ich mir die heutige
Debatte anhöre, stelle ich fest, dass davon wenig zu
spüren ist.


(Dieter Grasedieck [SPD]: Das müssen gerade Sie sagen!)


Wenn vor allen Dingen vonseiten der rot-grünen Ko-
alition Abgeordnete aus dem Sportausschuss sprechen,




Ulrike Höfken

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(A)



(B)


dann habe ich den Eindruck, dass sie offensichtlich wenig
zu sagen haben.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie sind alle hier!)


Das stimmt mich traurig.

(Dieter Grasedieck [SPD]: Fragen Sie doch einmal bei den Kollegen der Enquete-Kommission in Ihrer Fraktion nach! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wo sind denn Ihre Sportausschussmitglieder? So viel zum Thema Fairness!)


Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat ihre Große An-
frage zum Vereinswesen schon im Sommer 2000 einge-
bracht,


(Dieter Grasedieck [SPD]: Nein, das war heute!)


weil sie sich berechtigte Sorgen um die Zukunft der Sport-
vereine machte. Ich betone also nochmals: Eingebracht
wurde die Große Anfrage im Sommer 2000. Jetzt endlich
kommt eine Antwort und eine Debatte darüber. Sie kön-
nen doch nicht so tun – einige Redner von Ihnen behaup-
ten das –, als ob wir jetzt während des Wahlkampfes die-
ses Thema entdecken. Hätten Sie früher eine Antwort
gegeben, hätten wir früher darüber reden können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dieter Grasedieck [SPD]: In Ihrer Rede müssen Sie darauf eingehen, Herr Rose!)


Sie können doch nicht aus Ihrem Gedächtnis streichen,
dass Sie bei den Versammlungen und im Gespräch mit
den Sportvereinen eigentlich das Gleiche sagen, was wir
fordern. Ich habe es in den Zeitungen gelesen.


(Dagmar Freitag [SPD]: So ein Unfug!)

Sie haben ihnen vor zwei Jahren in Gesprächen vor Ort al-
les Mögliche versprochen, aber eingehalten haben Sie
nichts. Zwischen den rosaroten Ankündigungen und den
grün-roten Ergebnissen klafft eine riesige Lücke.


(Beifall bei der CDU/CSU – sowie bei Abgeordneten der FDP – Dieter Grasedieck [SPD]: Aufpassen, was in den Jahren geschehen ist!)


Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große An-
frage ist dafür der Beweis.

Ich sage es noch einmal: 1990 haben wir uns Gedan-
ken über die Fortentwicklung der Förderung der Vereine
gemacht. Wenn heute davon die Rede ist, dass die En-
quete-Kommission auf Wunsch der SPD eingesetzt
wurde,


(Dieter Grasedieck [SPD]: Ja sicher!)

dann sage ich: Die Fortentwicklung der Vereinsförderung
ist unsere Arbeit, weil wir 1990 ein Vereinsförderungs-
gesetz eingeführt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben uns Gedanken gemacht, wie wir das noch ver-
bessern können. Ich kann Sie nur bitten, dass Sie bei der

Förderung der Vereine mitmachen und dass sich vor allem
die Mitglieder des Sportausschusses durchsetzen können.


(Dieter Grasedieck [SPD]: Wer hat denn die Übungsleiterpauschale eingeführt?)


Es stimmt mich traurig, dass vonseiten des Bundes-
innenministeriums in der gesamten Debatte über dieses
Thema, für das dieses Ministerium zuständig ist, niemand
anwesend ist.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Die reden doch nur von der Ökosteuer!)


Daran sehen wir doch, welchen Stellenwert die Vereine
– vor allem die Sportvereine – haben.

Meine Damen und Herren, wir erwarten, dass die Bun-
desregierung unsere Vereine entlastet und nicht belastet.
Wir erwarten, dass sie die wirtschaftliche Kraft der Ver-
eine stärkt und nicht schwächt, schon gar nicht


(Matthias Weisheit [SPD]: FC Bayern München!)


durch eine aufgeblähte Bürokratie. – Ich hatte heute be-
fürchtet, dass wieder der Versuch unternommen wird, von
großen Leistungen zu sprechen und die großen Lasten auf
den Schultern der Ehrenamtlichen zu verschweigen. Ich
sage das, weil Ihr Zwischenruf kam, Herr Kollege
Weisheit. Sie haben einen schönen Namen, aber der Zwi-
schenruf ist unverfroren.


(Dagmar Freitag [SPD]: „Rose“ ist auch schön!)


Wenn ich – um nur ein Beispiel zu nennen – über die
schwierige Lage von Witwen bezogen auf ihre Renten re-
den und behaupten würde, die könne doch nicht so
schwierig sein, schließlich gebe es auch Millionärswit-
wen,


(Dagmar Freitag [SPD]: Jetzt wirft er was durcheinander!)


dann wäre das genauso unverfroren wie Ihr Zwischenruf.
Als ich von der Lage der Vereine gesprochen habe – der
vielen kleinen Vereine, die von den Ehrenamtlichen leben
und anders gar nicht bestehen würden, von denen Sie in
Ihren Sonntagsreden sagen, Sie seien dafür –, sind Sie
mir mit dem Zwischenruf „FC Bayern München“ ge-
kommen.


(Dieter Grasedieck [SPD]: Das ist doch auch ein Verein!)


– Darum geht es doch gar nicht. Es sei denn, man ist so
verblendet, dass das Wort „Bayern“ bei Ihnen von Hause
aus diese Reaktion auslöst.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will ja nicht sagen, dass in Ihrer Fraktion bereits der
Rassismus eingekehrt ist, da bei Ihnen das Wort „Bayern“
immer wieder eine solche Reaktion auslöst.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das hat der Zwischenruf auch gar nicht besagen sollen! Das ist klar!)





Dr. Klaus Rose
21040


(C)



(D)



(A)



(B)


Meine Damen und Herren, als damals die Große An-
frage eingebracht wurde – ich betone das nochmals –, gab
es im ganzen Land eine Riesenaufregung wegen der Be-
lastung der Sportvereine und auch anderer Vereine durch
das 630-Mark-Gesetz,


(Dieter Grasedieck [SPD]: Und heute unterstützen Sie das!)


die Ökosteuer und verschiedene andere Fehlentwicklun-
gen. Ich sage es noch einmal: Es gab eine Riesenaufre-
gung. Das haben Sie alle gespürt. Diese Aufregung ist
auch in die Enquete-Kommission hineingetragen worden.
Ich kann zwar zugeben, dass die Enquete-Kommission in-
zwischen viele wertvolle Ideen entwickelt hat, aber um-
gesetzt hat sie noch nichts. Wahrscheinlich ist die Taktik
sowieso, zu verzögern und bis zur nächsten Wahl zu war-
ten, bis das Ganze wieder einschläft.

Meine Damen und Herren, es ist in der Antwort der Bun-
desregierung auf unsere Große Anfrage knallhart zum Aus-
druck gekommen, dass die Neuregelung des 630-Mark-
Gesetzes – ich verwende nach wie vor diesen alten Begriff,
weil er in der Anfrage, die wir eingebracht haben, genannt
wird – nur dem Finanzminister und vielleicht auch dem Ar-
beitsminister zugute kommt. Man hat billigend in Kauf ge-
nommen, dass der Deutsche Sportbund in seiner Stellung-
nahme davon gesprochen hat, dass es zu einer schweren
Belastung der Sportvereine kommen wird. Das war der Re-
gierung aber egal. Sie haben darauf hingewiesen, dass sie
mehr Geld brauchen. Das Geld muss hereinkommen, damit
sich der Finanzminister und auch andere freuen.


(Dagmar Freitag [SPD]: Sie haben nichts verstanden, Herr Kollege!)


Bei manchen war heute in der Debatte ohnehin nur die
Rede davon, wie wichtig es sei, die Finanzen zu sanieren.
Sie sind mit keinem Wort darauf eingegangen, welche
Sorgen die Vereine und die Ehrenamtlichen draußen ha-
ben. Frau Kollegin Freitag, ich sehe, dass Sie den Kopf
schütteln. Das verstehe ich nicht. Sie reden im Sportaus-
schuss völlig anders, als es heute der Fall ist.


(Dagmar Freitag [SPD]: Ich kann nicht anders! Sehen Sie es mir nach!)


Deshalb verstehe ich nicht, warum im Sportausschuss
überhaupt noch große Sprüche geklopft werden.


(Dagmar Freitag [SPD]: Ihnen muss entgangen sein, dass ich heute nichts gesagt habe! Aber das macht nichts!)


Ich möchte noch kurz darauf eingehen, dass wir in un-
serem Entschließungsantrag sechs Forderungen vorge-
legt haben. Wir möchten noch einmal auf die eigentliche
Zielsetzung aufmerksam machen. Wir wollen eine Ver-
stärkung der Gestaltungsmöglichkeiten der Vereine und
mehr Freiräume. Wir wollen keine Einengung und Gän-
gelung. Wir wollen eigentlich nichts anderes, als dass die
Enquete-Kommission hoffentlich doch noch irgendwann
einmal einiges umsetzt.

Wir wissen doch alle, dass Vereine nicht nur Selbst-
zweck sind, sondern eine Entlastung für den Staat dar-
stellen. Wir wissen auch, dass Vereine den Bürgerinnen
und Bürgern nur dann etwas bieten können, wenn man ih-

nen hilft und sie nicht gängelt. Darum appelliere ich zum
Schluss an Sie: Schauen Sie sich bitte unsere Forderungen
noch einmal an. Sie haben heute bereits erwähnt, dass Sie
manches davon inzwischen umgesetzt haben. Das haben
Sie vorhin stolz als Leistungen verkündet.


(Dieter Grasedieck [SPD]: Das waren gute Leistungen!)


– Das erkenne ich auch an.

(Beifall bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgit ter] [SPD]: Das klang bisher aber nicht so!)

Da sind wir nicht auseinander. Aber, als wir unsere Große
Anfrage vor zwei Jahren eingebracht haben, hatten Sie
noch nichts gemacht. Wenn Sie inzwischen ein bisschen
etwas getan haben, ist das okay.

Lassen Sie uns doch gemeinsam um das große Ziel rin-
gen. Diesem großen Ziel hat unsere Große Anfrage ge-
dient. Wenn wir auf diesem Weg in Zukunft besser mitei-
nander auskommen, soll es mir Recht sein. Die Freude am
freiwilligen Engagement für andere sollte uns allen ein
Ansporn sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421222300
Der Kollege Lothar
Binding hat seine Rede zu Protokoll gegeben.1)

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell ist vereinbart, den Entschließungsan-

trag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/8035
zur federführenden Beratung an den Sportausschuss so-
wie zur Mitberatung an den Finanzausschuss und den
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung zu überweisen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a bis 10 c auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss)

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Waldzustandsbericht der Bundesregierung
2000 – Ergebnis des forstlichen Umwelt-
monitoring –

– zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne-
ten Heidemarie Wright, Brigitte Adler, Ernst
Bahr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD sowie der Abgeordneten Steffi Lemke,
Ulrike Höfken, Kerstin Müller (Köln), Rezzo
Schlauch und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung
durch die Bundesregierung
Waldzustandsbericht der Bundesregierung
2000 – Ergebnis des forstlichen Umwelt-
monitoring –

– Drucksachen 14/4967, 14/5560, 14/6273 –




Dr. Klaus Rose

21041


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 5

Berichterstattung:
Abgeordneter Siegfried Hornung

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Gesamtwaldbericht
– Drucksache 14/6750 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus

c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Forstver-
mehrungsgutgesetzes (FoVG)

– Drucksache 14/7384 –

(Erste Beratung 205. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft (10. Ausschuss)

– Drucksache 14/7998 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Albert Deß

Zum Gesamtwaldbericht liegt je ein Entschließungs-
antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen sowie der Fraktion der CDU/CSU vor.

Intrfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung
um die Beratung des Waldzustandsberichts 2001 der Bun-
desregierung zu erweitern und als Zusatzpunkt 12 zu be-
raten. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 12 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Waldzustandsbericht der Bundesregierung
2001 – Ergebnis des fortlichen Umweltmonito-
ring –
– Drucksache 14/7946 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarungen ist für
die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sind Sie
damit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als Erstem dem
Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim
das Wort.

Dr
Dr. Gerald Thalheim (SPD):
Rede ID: ID1421222400
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Ich möchte mit etwas Erfreulichem
beginnen, nämlich dem großen öffentlichen Interesse an
der Situation der Wälder nicht nur in Deutschland, son-
dern weltweit.


(Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/ CSU]: Das sieht man an der Präsenz der Presse auf der Tribüne!)


Ebenfalls erfreulich, Herr Schorlemer, ist die Bilanz der
Bundesregierung auf diesem Gebiet.

Nicht ganz so erfreulich ist die Situation der Wälder,
auch wenn in den letzten Jahren deutliche Verbesserungen
erreicht worden sind. Es ist zwar eine Stabilisierung des
Zustandes der Wälder zu konstatieren. Aber es gibt in der
Zukunft noch viel zu tun. Es gibt also weder Anlass zur
Dramatisierung noch Anlass zur Entwarnung. Wir müssen
uns einfach vor Augen führen, dass die Ursache für die
Verschlechterungen, die Schadstoffeinträge, viele Jahr-
zehnte bestanden hat. Wir konnten zwar insbesondere den
Umfang des Schwefeldioxids wesentlich reduzieren.
Aber man muss bedenken: Genauso lange, wie die Ursa-
chen, die zur Verschlechterung vor allem des Zustandes
der Waldböden geführt haben, bestanden haben, wird man
benötigen, um nachhaltige Verbesserungen zu erreichen.

Es ist wesentlich schwieriger, die gleichen schnellen
Fortschritte, die man am Anfang bei der Reduktion des
Umfangs der Emission von Schwefeldioxid erreicht hat,
bei der Reduktion des Umfangs der Emission der Stick-
oxide zu erzielen. Besonders hervorzuheben sind die Er-
folge in Ostdeutschland. Die Waldschäden im oberen
Erzgebirge – ich komme aus Sachsen und weiß, wovon
ich spreche – hatten ja ein apokalyptisches Ausmaß ange-
nommen. Wer diese vor allem durch Schadstoffe verur-
sachten Schäden gesehen hat, der weiß, welche Erfolge
erreicht werden konnten und was noch alles in der Zu-
kunft getan werden muss. Hier ist ein Mix aus Maßnah-
men angebracht.

Die Schwerpunkte, die die Bundesregierung gesetzt
hat, beginnen bei der Energiepolitik.Umweltfreundliche
Verbrennungstechniken und der stärkere Einsatz von re-
generativen Energiequellen wie zum Beispiel der von
Holz werden gefördert. Dadurch werden Arbeitsplätze ge-
schaffen und nehmen wir letztlich Einfluss auf die Holz-
preise und die Wirtschaftlichkeit der Waldwirtschaft.

Nicht zu vergessen sind die Bereiche Bau, Verkehr,
Straßenbau und Siedlungsmaßnahmen. Hier ist in je-
dem Fall exakt zwischen den Nachteilen, das heißt der
Vernichtung von Wäldern, und den Vorteilen, das heißt
dem Ausbau der öffentlichen Infrastruktur, abzuwägen.

Ich möchte auch die Ökosteuer nennen. Ich habe in
der bisherigen Debatte gelernt, dass die Ökosteuer – an-
geblich – den deutschen Vereinen geschadet hat. Ich kann
dazu nur sagen: Dem deutschen Wald hat sie auf alle Fälle
genutzt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Landwirtschaft darf auf keinen Fall ausgenom-
men werden. Gerade wenn es um Nox-Verbindungen geht,ist die Landwirtschaft neben dem Verkehr die wichtigste
Schadstoffemissionsquelle. Insbesondere ist in diesem
Zusammenhang die Tierhaltung zu nennen. Auch hier
bemühen wir uns, durch die Neuausrichtung der Agrarpo-
litik zu Verbesserungen zu kommen: Die Reduzierung der
Viehdichte und der Einsatz von emissionsmindernden
Verfahren insbesondere beim organischen Dünger werden
gefördert. So viel zur Situation auf der nationalen Ebene.




Vizepräsidentin Anke Fuchs
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Genauso wichtig sind die Anstrengungen, weltweit zur
Verbesserung der Situation der Wälder beizutragen. Nach
wie vor werden jährlich 15 Millionen Hektar Wald durch
Brandrodung, durch Umwandlung für andere Nutzungs-
arten, durch Umweltkatastrophen, durch industrielle
Holznutzung – die Liste ließe sich fortsetzen – vernichtet.
Die Folgen sind bekannt: Vernichtung und Ausrottung un-
zähliger Tier- und Pflanzenarten, Erosion und Umwelt-
schäden, Freisetzung von Kohlendioxid, das allein
20 Prozent zum Treibhauseffekt beiträgt.

Was tut die Bundesregierung auf diesem Gebiet? Wir
haben uns maßgeblich an der Gründung des Waldforums
der Vereinten Nationen beteiligt, haben vor allem auch
nach dem Gipfel von Rio Maßnahmen zur Walderhaltung
mit ausgehandelt. Deutschland ist in der forstlichen Ent-
wicklungszusammenarbeitweltweit führend. Derzeit för-
dern wir mit rund 130 Millionen Euro pro Jahr 310 Wald-
projekte in 66 Ländern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich habe mir solche Maßnahmen erst im vergangenen
Jahr in Brasilien anschauen können. Es ist sehr wichtig, in
den Entwicklungsländern erfahrbar zu machen, dass eine
nachhaltige Bewirtschaftung im wirtschaftlichen Interesse
dieser Länder liegt. Es nützt nichts, darauf hinzuweisen,
sie sollten etwa weniger Soja für den Export anbauen,
wenn in den Ländern nicht die Erfahrung gesammelt wird,
dass eine nachhaltige Bewirtschaftung letztlich in ihrem
ureigenen wirtschaftlichen Interesse liegt. Dazu dienen
gerade die Projekte Deutschlands in diesen Ländern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In einem letzten Punkt möchte ich noch auf den Ent-
wurf eines Forstvermehrungsgutgesetzes eingehen, das
hier auch zur Debatte steht. Damit setzen wir eine euro-
päische Richtlinie um. Wenn wir naturnahe Wälder wol-
len, dann brauchen wir auch entsprechendes Saat- und
Pflanzgut für die genetische Vielfalt der Wälder. Das
Forstvermehrungsgutgesetz ist eine wichtige gesetzliche
Grundlage, um diese Ziele in der Zukunft zu erreichen.

Die Aufzählung all unserer Anstrengungen ließe sich
abendfüllend fortsetzen. Ich will darauf verzichten, weil
ich davon ausgehe, dass vor allem die Damen meiner
Fraktion und auch der Fraktion der Grünen die Liste noch
vortragen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421222500
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht der Kollege Cajus Julius Caesar.


Cajus Julius Caesar (CDU):
Rede ID: ID1421222600
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Gesamtwaldbericht und
der Waldzustandsbericht der Regierung werden den An-
forderungen der Koalition, die sie selbst einmal aufge-

stellt hat, aber insbesondere auch unseren Anforderungen
in keinster Weise gerecht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Verwaltung hat sich zwar bemüht, durch Formu-

lierungen und attraktive Bilder einen Bericht zusammen-
zustellen, der zumindest von der Ummantelung her einen
guten Eindruck macht. Für eine Verwaltung ist es aber
natürlich extrem schwierig, etwas zu Papier zu bringen,
wenn der Regierung das Handeln fehlt. In den Aussagen
der Regierung ist wenig Konkretes, es fehlen Akzente,
und sie ist in Ihren Aussagen auch nicht zukunftsträchtig.

Die Leistungen von CDU/CSU können sich sehen las-
sen. Sie ruhen sich ein Stück weit darauf aus. Ich nenne als
Stichworte „Rettet den Wald“, 1983, und viele rechtliche
Regelungen aus den 90er-Jahren: Bundes-Immissions-
schutzgesetz, Großfeuerungsanlagen-Verordnung, Klein-
feuerungsanlagen-Verordnung, Katalysator, Einführung
des schadstoffarmen Diesel, schadstoffbezogene Kfz-
Steuer und vieles mehr. Insbesondere viele internationale
Vereinbarungen haben dazu beigetragen, dass Deutsch-
land vorn stand, Vorbildfunktion hatte. Wir als CDU/CSU
sind stolz auf diese Leistungen. Damit können wir uns se-
hen lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir jedenfalls können uns des Eindrucks nicht erweh-

ren, dass Sie von SPD und Grünen, von der jetzigen Re-
gierung, sich beim Spaziergang durch den Wald verirrt ha-
ben und im Kreis laufen.


(Lachen bei der SPD)

Sie kommen mit Ihren Argumenten und mit all den Din-
gen, die Sie sich einmal vorgenommen haben, nicht
voran. Sie haben sich im Dickicht verirrt und können nur
wenig Taten vorweisen. Vielmehr geht Ihre Politik der Zu-
kunft zulasten der Waldbesitzer und zum Teil auch unse-
res Ökosystems.

Wald ist mehr als die Summe von Bäumen. Es ist die
Vielfalt unseres Ökosystems. Wir müssen dafür eintreten,
unser Wald hat vielfältige Funktionen für die Erholung su-
chende Bevölkerung, aber auch für das Ökosystem insge-
samt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Forstwirtschaft hat eine große Bedeutung in unse-

rer Gesellschaft. Diese Bedeutung sollten auch Sie als Re-
gierungskoalition entsprechend honorieren. Das bedeutet,
den Rohstoff Holz als einen Rohstoff, der umweltfreund-
lich erzeugt wird, entsprechend zu fördern

Auch das nationale Klimaschutzziel bis zum Jahre
2005, also die CO2-Reduktion um 25 Prozent zu errei-chen, bedeutet, den Einsatz des Holzes als erneuerbaren
Energieträger voranzubringen. 1 Kubikmeter Holz spei-
chert immerhin 1 Tonne CO2. Daran erkennt man eben-falls die enorme Bedeutung unseres Waldes und unseres
Holzes als Rohstoff.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir als CDU/CSU haben in diesem Zusammenhang

eingebracht, in unterdurchschnittlich bewaldeten Gebieten




Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim

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eine Waldvermehrung vorzunehmen. Leider sind Sie
diesem Gedanken auch beim Bundesnaturschutzgesetz
nicht gefolgt. Schade!


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Weil Sie nicht biologisch gedacht haben!)


Wie machen denn Sie es? Sie kürzen beispielsweise die
Mittel im Bereich der Agrarstruktur und des Küsten-
schutzes; Sie kassieren lieber die Bürger bei der Öko-
steuer ab, die zwar Ökosteuer heißt, aber nicht ökologisch
ist, und das Geld wird schon gar nicht für diesen Bereich
eingesetzt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, man sollte
auch die eigenen Aussagen der Vergangenheit beachten.
Deshalb ist es wichtig, dass man hier nicht zulasten des
Waldes und des Bürgers Politik betreibt, sondern die
Dinge offensiv angeht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich darf Ihnen im Übrigen auch noch einmal ans Herz

legen, die Aussagen der Arbeitsgemeinschaft Deutscher
Waldbesitzerverbände vom 10. Januar zu verfolgen. Ich
kann dem nur Recht geben, wenn gesagt wird: Eine kon-
struktive Einbeziehung unseres Waldes in die politischen
Entscheidungen ist wichtig. Diese ist längst überfällig, hat
der Präsident gesagt. Er hat auch gesagt: „Die bisherige
Gewichtung dieser Aspekte durch die Regierung ist
falsch. Hier werden Chancen vertan!“ Recht hat er.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Auch bei den Waldschäden handelt die Regierung mit

zweierlei Maß. Wenn man Seite 57 des Gesamtwaldbe-
richtes aufschlägt, dann kann man dort lesen:

Die Situation kann bei diesen Baumarten mit einem
Flächenanteil deutlicher Schäden im Jahr 2000 von
25 % bei Fichte, 13 % bei Kiefer, 25 % bei den „an-
deren Nadelbaumarten“ als zufrieden stellend beur-
teilt werden

Bei Ihnen ist es so: Wenn Sie die Berichte verfassen
und es steht „SPD und Grüne“ darüber, dann ist alles zu-
frieden stellend. Wenn darüber „CDU/CSU und FDP“
steht, dann herrscht Weltuntergangsstimmung. So haben
Sie es bisher immer gehalten.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie machen das ganz genauso!)


Das ist Ihre angeblich solide Politik im Sinne der Natur
und des Waldes. Sie schieben den Schwarzen Peter so
lange hin und her, bis er bei den Betroffenen vor Ort an-
kommt. Das kann man bei vielen Gesetzen, gerade auch
aus den letzten Wochen und Monaten, feststellen. Gleich-
zeitig werden die Mittel zurückgeführt, sodass viele ak-
tive Maßnahmen neben den Bereichen der Vorbereitung
nicht mehr oder nur bedingt durchgeführt werden können.
Ich nenne stichwortartig die Bodenschutzkalkung, die
Wiederaufforstung, Vor- und Unterbau sowie waldbauli-
che Maßnahmen, Luftreinhaltung, Steuererleichterungen
für den Waldbesitzer, Forschung und internationale Ab-
kommen: Hier gibt es erhebliche Defizite dieser jetzigen
Regierung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Sehr richtig!)


Wenn wir ehrlich miteinander umgehen, dann muss
man sicherlich zur Kenntnis nehmen, dass 80 Prozent der
Standorte in Deutschland einen Versauerungsgrad von un-
ter 4,2 aufweisen. Sie wissen alle, dass ein um 1 geringe-
rer pH-Wert immerhin ein Mehr von einer zehnfachen
Versauerung bedeutet. Handeln ist hier angesagt, ein Han-
deln für uns alle. Deshalb verstehe ich es nicht, dass Sie
beispielsweise auch bei Ihren Formulierungen im Bundes-
naturschutzgesetz Ideologie und Bürokratie voranstellen.

Sie gehen mit der Gesetzeskeule an die Waldbesitzer
heran, um ihnen Ihre Ideologie aufzuzwingen. Es gibt im-
merhin 1,3 Millionen Waldbesitzer in Deutschland, die
den Wald über Generationen hinweg im Schweiße ihres
Angesichts gepflegt – das sollte man nicht vergessen –
und dazu beigetragen haben, dass wir unsere Natur mit ih-
rer Artenvielfalt in unserem Lande vorweisen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie sprechen immer wieder von den Großgrundbesit-

zern und vergessen dabei, dass 50 Prozent des Waldes in
Deutschland Privatwald sind und die Durchschnittsgröße
bei rund 3,6 Hektar liegt. Sie benachteiligen die Kleinen,
die etwas für unseren Wald tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich will die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesit-

zerverbände noch einmal zitieren:
Zeigen Sie Trittin die rote Karte für seine ideologi-
sche Umweltpolitik. Bewahren Sie uns vor der büro-
kratischen Reglementierungswut. Wenn Sie das
Recht der Kleinen so mit Füßen treten, werden Sie
dieses irgendwann zu spüren bekommen, auch wenn
Sie meinen, es ist nur eine kleine Gruppe.

Recht hat die Arbeitsgemeinschaft.
Wir als CDU/CSU setzen uns für die Waldbesitzer und

den Wald ein. Wir meinen, auch die Menschen im ländli-
chen Raum haben es verdient, Beachtung zu finden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch dort werden Arbeitsplätze benötigt, auch dort wol-
len die Menschen am Wohlstand teilhaben. Wir als CDU/
CSU wollen Kooperation statt Konfrontation im Sinne
von wirtschaftlicher Entwicklung und im Sinne der Ent-
wicklung der Natur für unsere zukünftigen Generationen.

Gegenstand des heutigen Berichts ist auch der Tro-
penwald. Wenn wir heute die Beratungen zum Tropen-
wald im Plenum durchführen, sollten wir sehr wohl auch
die große Bedeutung dieses Bereichs in Augenschein neh-
men: über 100 Millionen Jahre alte Regenwälder, emp-
findliche Ökosysteme, 5 Millionen Tier- und Pflanzen-
arten und etwa 400 verschiedene Baumarten auf 1 Hektar
Regenwald, während in Deutschland insgesamt nur
60 Baumarten beheimatet sind.

Die Tropenwälder versorgen insgesamt rund 1 Milli-
arde Menschen mit Trinkwasser. Deshalb ist es beson-
ders wichtig, dass wir der Zerstörung von rund 15 Milli-




Cajus Caesar
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onen Hektar, die jedes Jahr unwiederbringlich verloren
gehen, Einhalt gebieten. Das ist die Waldfläche der Bun-
desrepublik und gleichzeitig die Gesamtfläche der Länder
Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen. Wegen
seiner weltweiten Bedeutung ist es ganz wichtig, dass wir
uns für den Erhalt und für eine nachhaltige Bewirtschaf-
tung des Tropenwaldes einsetzen.

Waren es unter CDU/CSU und FDP 1997 noch über
150 Millionen Euro, die für Projekte im Haushalt zur Ver-
fügung standen, so sind diese Mittelmittlerweile gekürzt
worden. Sie, Herr Staatssekretär, haben gerade nur von
der heute zur Verfügung stehenden Summe von rund
130 Millionen Euro gesprochen. Tatsache ist, dass Sie
diese Summe in Ihrer Regierungszeit zurückgeführt ha-
ben, sodass weniger Gelder für den Erhalt des Tropen-
waldes und der Ökosysteme zur Verfügung stehen. Das ist
nicht die Politik der Union, das können wir nicht hinneh-
men. Wir wollen, dass diese Mittel wieder aufgestockt
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Lebensbedingungen für die dort wohnenden Men-

schen müssen besonders beachtet werden. Deshalb ist es
wichtig, dass wir die Relation nicht aus den Augen ver-
lieren. Rot-Grün knebelt die Land- und Forstwirtschaft.

Wir wollen nicht einen Verwaltungsbeamten pro Hek-
tar, wir wollen im Sinne unserer Natur vorankommen, da-
mit aus dem kleinen Pflänzchen wieder ein starker Baum
wird. Wir wollen eine Politik nach dem 22. September
dieses Jahres für die Menschen, für die wirtschaftliche
Entwicklung in den ländlichen Räumen, aber auch für den
Wald und unsere Natur.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421222700
Nun erteile ich der
Kollegin Steffi Lemke, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421222800
Frau
Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Nach
20 Jahren des Ringens um die Verbesserung des Zustands
unserer Wälder auf nationaler und internationaler Ebene
fällt die Bilanz nüchtern aus: Der Waldverlust in den
Tropen schreitet ungebremst voran und der Zustand der
Wälder hat sich in vielen Regionen der Welt, auch in
Deutschland, verschlechtert. Am stärksten von dieser
Entwicklung betroffen sind die Urwälder in den Tropen.
Alle zwei Sekunden verschwindet dort eine fußballfeld-
große Fläche Urwald. Damit ist auch ein immenser Ver-
lust von Tier- und Pflanzenarten verbunden. So warnen
Umweltschützer inzwischen vor dem Aussterben des
Orang-Utans innerhalb der nächsten zehn Jahre.

Obwohl das Problem der Waldzerstörung seit vielen
Jahren – fast schon Jahrzehnten – bekannt ist und auch in
die Politik Eingang gefunden hat, haben die Gegenmaß-
nahmen nur teilweise Wirkung gezeigt. Die Ursachen für
das ungebremste Abholzen liegen in vielen Entwick-
lungsländern in den schlechten Kontrollmöglichkeiten
bei illegalem Holzeinschlag, der Armut und Finanz-

schwäche der Bevölkerung, der immer größeren Auswei-
tung von Agrarflächen, insbesondere für den Sojaanbau,
und auch in dem an kurzen Zeiträumen ausgerichteten
Gewinnstreben vieler Holzhändler. Von diesen Tropen-
hölzern gelangt zwar nur ein geringer Teil nach Deutsch-
land. Nichtsdestotrotz trägt Deutschland in der Zukunft
eine große Verantwortung für die Sicherung unserer Le-
bensgrundlagen auch in den Tropenländern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Um die Blockade der letzten Jahre aufzuheben, ist eine
Vielzahl verschiedener Maßnahmen auf einer Vielzahl
von Ebenen notwendig. Erwähnen möchte ich dabei den
UN-Waldgipfel, der tatsächlich auf internationaler Ebene
mit den Vereinten Nationen den Dialog über die Siche-
rung der Wälder verstärkt bzw. in Gang gesetzt hat, wo-
mit, wie ich glaube, für die Zukunft ein wichtiges Instru-
mentarium vorhanden ist, um Einfluss auf die Länder zu
nehmen, in denen jährlich nach wie vor sehr viel Tropen-
wald vernichtet wird.

Ein zweites Instrumentarium, das in den letzten Jahren
bereits an Bedeutung gewonnen hat und in den nächsten
Jahren weiter an Bedeutung gewinnen wird, ist die Zerti-
fizierung nachhaltiger Holzbewirtschaftung, weil nur
so sichergestellt werden kann, dass Holz aus Tropenwäl-
dern, das hier und in Amerika, in Kanada oder auch in
Staaten wie Japan verbraucht wird, einer sozial und vor al-
lem umweltverträglich nachhaltigen Bewirtschaftung ent-
stammt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dieses Instrumentarium haben Bündnis 90/Die Grünen
und auch die SPD seit mehreren Jahren forciert. Wir ha-
ben die Organisationen, die die Zertifizierung des Forrest
Stewardship Council unterstützen, mit aufgebaut, weil
klar ist, dass wir dieses Instrumentarium unbedingt brau-
chen, während Sie von der Opposition es blockiert, abge-
lehnt und den Versuch der Verhinderung unternommen
haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ein weiterer wichtiger Schritt war die Reform der
Hermes-Bürgschaften, die erst unter Rot-Grün gelungen
ist. Auch hier hat die CDU/CSU keinerlei positiven Bei-
trag geleistet. Ich glaube, dass wir auf diese Art und Weise
viele Projekte, die mit verantwortlich für die Waldzer-
störung in Tropenländern sind, jetzt einer vernünftigen
Bewertung unterziehen und in Zukunft sicherstellen kön-
nen, dass so etwas nicht mehr vorkommt. Die Entwick-
lungszusammenarbeit ist unter Rot-Grün gestärkt, ver-
bessert und insbesondere stärker an den Kriterien der
Umweltverträglichkeit ausgerichtet worden.

Ganz anders gelagert sind die Probleme des Waldes
hier in Deutschland. Ich möchte allerdings voraus-
schickend sagen, dass wir hier in der Tat einen sehr hohen
Waldbewirtschaftungsstandard haben; das möchte ich für
Bündnis 90/Die Grünen unterstreichen. Das hat natürlich




Cajus Caesar

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auch etwas mit der guten Arbeit der Forstwirte in
Deutschland zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Trotz der Anstrengungen in den letzten Jahres zur Ver-
besserung des Waldzustandes müssen wir feststellen, dass
wir zwar inzwischen eine Stagnation erreicht haben – der
Waldzustand verschlechtert sich nicht weiter –, aber eine
Tendenz zur Besserung bisher kaum, nur in Nuancen, er-
kennbar ist und von daher die Anstrengungen für die Luft-
reinhaltung, für die Reduzierung des Schadstoffausstoßes
nicht nachlassen dürfen, sondern verstärkt werden müs-
sen.

Dies scheint auch die CDU nach jahrelangem Kampf
erkannt zu haben; denn zum Wahlkampfauftakt hat sie er-
klärt, dass sie die Ökosteuer nun doch nicht mehr ab-
schaffen möchte, sondern fortführen wird. Vielleicht wird
sich diese Erkenntnis bei Ihnen auch auf anderen Poli-
tikfeldern noch durchsetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Unter Rot-Grün ist die Förderung der erneuerbaren
Energien massiv ausgebaut worden. Auch das wird dem
Wald in zweierlei Hinsicht zugute kommen: zum einen,
weil der Schadstoffausstoß durch die verstärkte Nutzung
der regenerativen Energien reduziert wird, und zum ande-
ren, weil wir den Landwirten auch über die Holznutzung
bei der energetischen Verwertung neue Einkommensmög-
lichkeiten eröffnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich kann hier nur den Vorsitzenden der Arbeitsgemein-
schaft der Deutschen Waldbesitzerverbände, Prinz zu
Salm-Salm, unterstützen, wenn er sagt: Holzhaus statt
Treibhaus.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Er hat Recht: Wir sollten die Nutzung von Holz am Bau
intensivieren, noch stärker, als das unter Rot-Grün bereits
passiert ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich warne trotzdem davor, dass wir in ein parteipoliti-
sches Gezänk darüber verfallen, wie kurzfristige Erfolge
bei der Luftreinhaltung und bei der Verbesserung des
Waldzustandes erreicht werden können. Wir müssen uns
hier auf eine mittelfristige oder sogar langfristige Ent-
wicklung einstellen. Umso wichtiger ist es, jetzt intensiv
daran zu arbeiten, dass der Schadstoffausstoß reduziert
wird, dass wir neue Antriebstechnologien für den Indivi-
dualverkehr entwickeln und dass wir die Nutzung erneu-
erbarer Energien ausweiten. Dafür steht Rot-Grün und
dies wird nach der nächsten Bundestagswahl – auch unter
Rot-Grün – fortzusetzen sein.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421222900
Nun hat der Kollege
Ulrich Heinrich für die FDP-Fraktion das Wort.


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1421223000
Frau Präsidentin! Meine lie-
ben Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute den
Waldzustandsbericht. Ich möchte mich vornehmlich mit
der Erfassung der Daten und mit den Erkenntnissen des
Waldzustandsberichts auseinander setzen. Mir scheint,
dass so einiges überholt ist und dass wir die Methoden
weiterentwickeln müssen.

Was wir heute wissen, ist nicht genug, um entschei-
dende, notwendige Maßnahmen zu ergreifen, mit denen
das Waldsterben reduziert werden kann. Teilweise gibt es
sogar aufgrund der Art und Weise der Erhebung – zum
Beispiel, wenn man sich nur mit der Belaubung und mit
der Belichtung der Bäume auseinander setzt und den
Baumbestand rastermäßig erfasst – Ergebnisse, die von
der Realität abweichen, was falsche Schlüsse zulässt.

Die Methoden sind nicht mehr zeitgemäß. Ich möchte
die Bundesregierung hier auffordern, von Level eins zu
Level zwei zu kommen. Ich denke dabei an eine Verbrei-
terung der Parameter, mit denen die Dauerbeobachtungs-
flächen – sie existieren heute schwerpunktmäßig bereits –
analysiert werden. Es geht vor allen Dingen darum, einen
neuen Bodenzustandsbericht – der erste ist vor 15 Jahren
erstellt worden – zu erarbeiten. Ich möchte die Bundes-
regierung auffordern, dieses Projekt in Angriff zu neh-
men. Die erste und letzte Bodenzustandsberichterhebung
hat 1987 begonnen. Das ist jetzt 15 Jahre her. Wir müssen
wieder wissen, was wir tun. Derzeit wissen wir das nicht,
weil wir keine genaue Auskunft darüber haben, wie sich
der Boden, die Bewurzelung und die gesamte Situation
des Umfeldes der Bäume entwickelt haben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Insofern brauchen wir mehr und aussagekräftigere Daten.
Wir brauchen andere Parameter, um zu besseren Erkennt-
nissen zu kommen.

Die wahrscheinlich sogar gut gemeinten Vorschläge
der Bundesregierung, dem Wald zu helfen, zum Beispiel
die Naturschutznovelle, verkehren sich allerdings ins
Gegenteil.


(Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


Wer für ein generelles Kahlschlagverbot und für einen
10-prozentigen Biotopschutz sorgt, wer den Vertragsna-
turschutz aushebelt und stattdessen mehr staatliche Gän-
gelung einführt, hat den Forstwirt nicht mehr auf seiner
Seite. Wer den Forstwirt nicht auf seiner Seite hat, wird
mit seinen Bemühungen, dem Wald und dem Ökologie-
gefüge insgesamt zu helfen, keinen Erfolg haben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stellen
fest, dass mit der Novelle zum Naturschutzgesetz auch die
Eigentumsfragen falsch beantwortet werden. Hier ist




Steffi Lemke
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eine schleichende Enteignung festzustellen. Dagegen
wehren wir uns ganz besonders.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Funktionen des Waldes – im Klimaschutz, im Bo-
denschutz, für die Artenvielfalt, aber auch als Rohstoff-
lieferant – können nur erbracht werden, wenn der Wald
wirtschaftlich betrieben werden kann. Wer glaubt, aus-
schließlich mit Steuergeldern den Wald erhalten zu kön-
nen, der wird bald sehen, dass diese gesellschaftlich posi-
tiven Funktionen nicht mehr verwirklicht werden können.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Genau deshalb müssen wir die Wirtschaftlichkeit des
Waldes in die Betrachtungsweise aufnehmen. Wir dürfen
nicht so tun, als wäre das völlig gleichgültig. In den An-
sätzen der Bundesregierung in den vergangenen drei Jah-
ren haben wir leider Gottes genau das Gegenteil erfahren:
nicht Unterstützung, sondern im Gegenteil Belastung auf
allen Ebenen.

Insofern möchte ich dringend davor warnen, diese
Politik fortzusetzen. Die Politik muss geändert werden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421223100
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Heidi Wright.


Heidemarie Wright (SPD):
Rede ID: ID1421223200
Frau Präsidentin! Sehr
verehrte Kolleginnen! Liebe Kollegen! Das Jahr beginnt
gut: Wir führen die Walddebatte. Wald ist, so meine ich,
ein gutes, weil trotz aller Probleme perspektivisches
Thema.

Die Probleme zuerst. Es darf uns keinesfalls unberührt
lassen, dass der Anteil der Bäume mit deutlichen Schäden
nach wie vor bei 22 Prozent liegt, bei den Laubbäumen
– der geliebten Eiche, der Buche gar – deutlich höher, bei
33 Prozent. Aber das Schadensniveau hat sich seit An-
fang der 90er-Jahre wesentlich verbessert; Veränderungen
sind jetzt nur noch in geringen Prozentbereichen festzu-
stellen.

Der Gesamtwaldbericht zeigt uns neben den nationalen
Schäden gerade auch die erschreckende Zerstörung der
Urwälder auf. Für alle Bereiche – im Nationalen wie im
Internationalen – gilt es, durch politisches Handeln Ver-
antwortung zu übernehmen. Das heißt, die Luft- und Bo-
denbelastung ist weiter zurückzuführen. Unsere Verant-
wortung liegt auch hier im Nationalen wie im
Internationalen. Beide Bereiche haben Wechselwirkun-
gen: Wenn wir national durch konsequente Luftreinhalte-
politik unsere ebenso ehrgeizigen wie notwendigen Ziele
verfolgen, haben wir die besten Argumente, um diese
Ziele auch international zu forcieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn wir national eine Nachhaltigkeitspolitik als Quer-
schnittsaufgabe mit Nachhaltigkeitsrat und Staatssekre-

tärsausschuss verfolgen, haben wir die besten Chancen,
diese Nachhaltigkeitsstrategien auch nach außen zu tra-
gen.

Wenn wir Naturschutz und Waldbewirtschaftung in
Deutschland nach höchsten Kriterien betreiben und uns
dazu ein Bundesnaturschutzgesetz und eine umfassende
Zertifizierung auferlegen, werden wir auf Dauer einen
Wettbewerbsvorteil erlangen.


(Beifall bei der SPD)

Denn es ist doch ein Trugschluss, zu glauben, mit beque-
men Standards oder einer wohlwollenden Freiwilligkeit
Qualitätsziele erreichen zu können. Seien wir doch selbst-
bewusst! Sagen wir doch: Wir wollen im Naturschutz und
in nachhaltiger Waldbewirtschaftung führend sein!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es geht doch um mehr als um Bäume. Bei aller Wert-
schätzung für die Forstwirtschaft und die Waldbesitzer:
Es geht um ein Ökosystem, das unsere Lebensgrundlage
sichert.

Damit sind wir längst bei den positiven Entwicklun-
gen. Ich werde nicht müde, die neue Energiepolitik zu
loben, die in mehrfacher Weise – die Kollegin Lemke hat
es erwähnt – positive Auswirkungen auf Wald- und Forst-
wirtschaft hat. Tja, liebe Kollegen von der Opposition, da
ist Musik drin! Da geht der Punk ab: beim EEG und beim
KWK-Gesetz, beim Marktanreizprogramm und auch bei
der Ökosteuer. Die rückt nämlich das Holz als Energie-
träger in das rechte Licht und auf die Erfolgsspur.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wem zum Stichwort Energiepolitik nur die Atomkraft
einfällt, der ist einfältig. Wer ist das? Der Kandidat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich werde nicht müde, auch weiter die Zertifizierung
nach FSC zu fordern, denn unsere deutsche Forstwirt-
schaft hat sich nicht hinter einem Wald- und Wiesenzerti-
fikat zu verstecken. Müde hingegen kommt mir dagegen
der Antrag der Opposition vor. Nein, wir werden die
Schaffung eines Biotopverbundes auf 10 Prozent der
Landesfläche nicht zurücknehmen.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Aber wir werden es machen!)


Mich hat in diesem Zusammenhang der Deutsche Wald-
gipfel in Bad Honnef im Oktober letzten Jahres gefreut.
Da gab es gute Ansätze zur Entkrampfung und die Ein-
sicht in Notwendigkeiten, zum Beispiel auch bezüglich
der Ausweisung weiterer Naturschutzflächen.

Liebe Kollegen von der Opposition, ich komme zu ei-
nem weiteren Punkt Ihres Antrages: Wir forcieren die Ent-
wicklung der Technik zur Minderung der Schadstoffe
im PKW- und LKW-Bereich, nicht zuletzt auch durch
die Ökosteuer, die kontinuierlich zu einem Minderver-
brauch und zur Belebung der Nachfrage nach gering
verbrauchenden Fahrzeugen führt. Sie, liebe Kollegen




Ulrich Heinrich

21047


(C)



(D)



(A)



(B)


von der Opposition, vergessen dabei natürlich glatt die
Emissionen der Landwirtschaft. Auch hier ist eine Ver-
besserung nötig, im Interesse des Waldes, aber auch im In-
teresse des Tierschutzes und der Verbraucher.

Wenn Sie außerdem fordern, auch innerhalb der Ge-
meinschaftsaufgabe weitere finanzielle Verbesserungen
für die Forstwirtschaft herbeizuführen, so müssen Sie sa-
gen, was wir stattdessen innerhalb der GA wegnehmen
sollen, denn die GA ist fest. Ich meine, die Zeit war noch
nie so gut, die Wald- und Forstwirtschaft positiv im Be-
wusstsein der Bevölkerung zu verankern. Das ist auch
notwendig. Ein Aufsatz in der aktuellen Ausgabe der „All-
gemeinen Forstzeitung“ zeigt, dass nach wie vor nur
40 Prozent der Bevölkerung glauben, dass die Nutzung
der heimischen Holzvorräte angemessen ist. Mehr als
die Hälfte glaubt nach wie vor an was weiß ich alles: also
an Raubbau, Übernutzung, oder vertritt die Forderung:
Baum ab – Nein, danke! Das ist aber wirklich falsch.


(Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/ CSU]: Völlige Unkenntnis! – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Die wissen genauso viel wie die SPD!)


Wir haben ein großes ungenutztes Potenzial heimischer
Holzreserven und Holznutzung ist sinnvoll.

Zum Schluss, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen: Wenn
es uns, das heißt der Politik, den Waldbesitzern und den
Interessenverbänden, künftig gelingt, über die Umsetzung
des Bundesnaturschutzgesetzes oder die Novellierung des
Jagdgesetzes zum Beispiel nicht ständig wegen Nichtig-
keiten in Streit zu geraten und falschen Lobbyismus zu
betreiben, dann schonen wir nicht nur uns selbst, sondern
dienen auch dem Wald.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421223300
Als Letzter in dieser
Debatte erteile ich das Wort der Kollegin Kersten
Naumann für die PDS-Fraktion.


Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1421223400
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Auch wenn meine Kollegin Heidi
Wright sagt, das Jahr beginne mit Wald gut, bleibt den-
noch wie jedes Jahr das gleiche Dilemma: Der Schadens-
druck auf unsere Wälder übersteigt in Deutschland, aber
auch EU-weit wesentlich das Maß dessen, was sie lang-
fristig verkraften können. Die Zunahme der Wald-
schäden in Deutschland und auch in ganz Europa zeigt,
dass sich die Umweltsituation trotz einiger beachtlicher
Teilerfolge weiter verschlechtert. In Thüringen erwiesen
sich zum Beispiel nur 16 Prozent der Laubgehölze und
34 Prozent der Nadelbäume als gesund. Darüber kann
auch das Beschönigen im Waldzustandsbericht nicht hin-
wegtäuschen.

Der Wald ist ein Bioindikator und ein Spiegel dafür,
wie verschwenderisch unsere Gesellschaft mit den Res-
sourcen Luft, Wasser und Boden umgeht. Umweltschutz
ist teuer, demzufolge wird er nur unzureichend gesell-

schaftlich und finanziell honoriert. Aber versäumter Um-
weltschutz wird noch teurer und ist für viele Wälder be-
reits tödlich.

Es hört sich gut an, wenn es im Bericht heißt, dass der
Stickstoffeintrag abnimmt und Waldböden heute langsa-
mer versauern. Fakt ist aber: Das Waldsterben geht nur et-
was langsamer voran, doch die Versauerung findet wei-
terhin statt, und das auf über 80 Prozent der Waldflächen.
Die Belastung durch bodennahes Ozon, das aus den Aus-
puffgasen der Kraftfahrzeuge, aber auch in der Industrie
entsteht, steigt weiter. Das Umweltbundesamt hat schon
1995 dokumentiert, dass die Konzentration dieses Gases
auf 95 Prozent der Landesfläche die Grenze der Belast-
barkeit von Wald und Menschen übersteigt. Der deutsche
Wald leidet ungebremst unter den direkten und indirekten
Folgen der Luftverschmutzung. Der Treibhauseffekt auf
Waldökosysteme ist bekannt. Was nutzt denn ein Klima-
schutzprogramm, wenn Handel mit Emissionen möglich
ist?


(Beifall bei der PDS)

Im Wissen darum, die Probleme immer auf die nachfol-
genden Generationen abzuwälzen, ist der Weg in die
falsche Richtung. Unsere Enkel werden uns dafür ver-
dammen.

Der Bioindikator Wald ist abhängig von wirtschaft-
lichen und Klimaeinflüssen, die nicht an der Grenze oder
einem Gebirge Halt machen. Die von der OECD ver-
öffentlichten Ergebnisse der Waldschadenserhebung in
30 europäischen Ländern belegen, dass der Anteil ge-
schädigter Waldbäume weiter zunimmt. Europaweit am
schwersten betroffen ist die Tanne, die zu 86 Prozent ge-
schädigt ist, davon 43 Prozent schwer. In Deutschland ist
die Buche am schwersten betroffen. 78 Prozent des Be-
standes sind geschädigt, davon 24 Prozent schwer. Pro-
jekte des BUND wie der „Zukunftswald 2000“ sind sehr
unterstützenswert, lösen allerdings allein das Problem
nicht. Hier brauchen die Verbände eine weitaus größere
Unterstützung.

Das weitere Fortschreiten der sichtbaren Schäden an
den Bäumen und das zunächst verborgene Fortschreiten
der Bodenschäden sind nach wie vor alarmierend. Das
jährliche gebetsmühlenhafte Verkünden der neuesten
Schadensbilanz wird dem Problem ebenso wenig gerecht
wie der Umgang dieser Gesellschaft mit Klimaschutz,
BSE und Atomenergie. Deshalb ist es künftig politisch
umso dringlicher, dass sich die EU-Staaten auf ein Ge-
samtkonzept einlassen, das die Wälder und damit das
Klima, das Wasser und den Boden vor diesen Einflüssen
– gemacht von Menschenhand, oder besser: begleitet von
Politikerhand – schützt.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421223500
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zu-
nächst zu Tagesordnungspunkt 10 a: Beschlussempfeh-
lung des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung




Heidemarie Wright
21048


(C)



(D)



(A)



(B)


und Landwirtschaft auf Drucksache 14/6273 zu dem
Waldzustandsbericht der Bundesregierung 2000 sowie zu
dem Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und
des Bündnisses 90/Die Grünen zu diesem Bericht. Der
Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis des Waldzustands-
berichts der Bundesregierung auf Drucksache 14/4967
den Entschließungsantrag auf Drucksache 14/5560 anzu-
nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 10 b: Interfraktionell wird die
Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/6750 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann ist das so beschlossen.

Wir kommen nun zu den Entschließungsanträgen zum
Gesamtwaldbericht. Interfraktionell ist vereinbart, den
Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/8630 zur
federführenden Beratung an den Ausschuss für Verbrau-
cherschutz, Ernährung und Landwirtschaft und zur Mit-
beratung an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit, den Ausschuss für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung und an den Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie zu überweisen sowie den
Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 14/8037 zur federführenden Beratung an den
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft und zur Mitberatung an den Finanzausschuss
und an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Re-
aktorsicherheit zu überweisen. Sind Sie damit einverstan-
den? – Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 10 c: Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Forstver-
mehrungsgutgesetzes, Drucksachen 14/7384 und 14/7998.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Bei Enthaltung
der PDS ist der Gesetzentwurf damit in zweiter Beratung
angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetz zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Damit haben Sie dem
Forstvermehrungsgutgesetz in dritter Beratung zuge-
stimmt. Der Gesetzentwurf ist angenommen.

Zusatzpunkt 12: Interfraktionell wird vorgeschlagen,
den Waldzustandsbericht 2001 auf Drucksache 14/7946
zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Ver-
braucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft und zur
Mitberatung an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit, den Ausschuss für Angelegen-
heiten der neuen Länder, den Ausschuss für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung und den
Ausschuss für Tourismus zu überweisen. Sind Sie damit
einverstanden? – Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung des Antrags der Abgeodneten Kurt-
Dieter Grill, Jochen-Konrad Fromme, Reinhard
Freiherr von Schorlemer, weiterer Abgeodneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Ausgleich für die nuklearen Entsorgungsstand-
orte Gorleben und Salzgitter (Schacht Konrad)

in Niedersachsen und Morsleben in Sachsen-
Anhalt
– Drucksache 14/7786 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss

Die Reden sind zu Protokoll gegeben.1) Ich eröffne die
Aussprache und schließe sie wieder.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/7786 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Zusatzpunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Vorhaben zukünftiges Transportflugzeug A400M
– Drucksache 14/8024 –

Hierzu ist interfraktionell vereinbart worden, die Tages-
ordnung um Zusatzpunkt 14 zu erweitern:

Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU
Für eine haushaltsrechtlich saubere Finanzie-
rung und langfristig gesicherte Beschaffung des
zukünftigen Lufttransportflugzeuges der Bun-
deswehrA400M
– Drucksache 14/8077 –

Dieser Zusatzpunkt soll gemeinsam mit Zusatzpunkt 13
beraten werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist
der Fall.

Für die Aussprache haben wir eine halbe Stunde vor-
gesehen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort für die
SPD-Fraktion dem Kollegen Volker Kröning.


Volker Kröning (SPD):
Rede ID: ID1421223600
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Der Antrag der Koalition
und die Debatte haben eine fachliche und eine rechtliche
Seite. Beides ist natürlich hoch politisch, wie die Begleit-
musik zeigt.

Zur Sache: Die Regierung hat entschieden, dass
Deutschland sich an dem Projekt A400M beteiligt. Die
Entscheidung ist nach langem Vorlauf – mehr im Außen-
als im Innenverhältnis – am 12. Dezember 2001 gefallen,
also nach Verabschiedung des Haushalts 2002.




Vizepräsidentin Anke Fuchs

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(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 6

Wenn diese Entscheidung zügig umgesetzt werden soll
– und das ist der Wille der Koalitionsmehrheit und offen-
bar auch einer Mehrheit aller Parteien im Deutschen Bun-
destag mit Ausnahme der PDS –, gibt es nur zwei Mög-
lichkeiten: entweder einen Nachtragshaushalt, wie ihn
CDU/CSU und FDP fordern, oder das zweistufige Ver-
fahren, das der Koalitionsantrag vorsieht.

Den Nachtragshaushalt braucht man nicht.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sie wollen ihn nicht, weil Sie genau wissen, was es bedeutet!)


Was Ihre Alternative angeht, meine Damen und Herren
von der FDP und von der CDU/CSU, so merkt man die
Absicht und ist verstimmt. Oder anders ausgedrückt: The
same procedure as every year.

Nebenbei: Es ist interessant, dass die FDP dem Antrag
auf Erhöhung der Verpflichtungsermächtigung, den die
CDU/CSU im letzten Herbst im Haushaltsausschuss und
im Plenum gestellt hat, nicht zugestimmt hat.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Warum?)

Unabhängig davon, was das in der Sache heißt, wollen wir
offenbar alle gleich gründlich vorgehen. Das tut die Ko-
alition ohnehin. Der Side Letter der anderen Auftraggeber
des Projektes war deshalb überflüssig.

Zum Rechtlichen: Entscheidend ist der Parlamentsvor-
behalt. Er ist aufgrund der Verfassung und des Haushalts-
rechts zwingend. Dies hat das Bundesverfassungsgericht
erst jüngst anlässlich des Organstreitverfahrens zum neuen
strategischen Konzept der NATO klargestellt. Dieser recht-
liche Rahmen wird durch das Vorgehen der Bundesrepublik
im Außenverhältnis und durch die Entscheidung, die heute
im Deutschen Bundestag fallen soll, nicht verletzt. Im Ge-
genteil, der Bundestag schließt den Präzedenzfall einer
Einschränkung des Kernbereiches seiner Verantwortung
aus. Der Parlamentsvorbehalt wird mit der Entschließung
nicht aufgehoben, sondern mit den anstehenden Beschlüs-
sen, auf die sich das Parlament heute verpflichtet, ausgeübt
werden.

Zur großen Politik: Mit dem, was wir heute entschei-
den, ist die parlamentarische Zustimmung, die nach der
deutschen Erklärung vom 18. Dezember 2001 – Zitat –
„so schnell wie möglich“ herbeigeführt werden soll, er-
reichbar. Oder anders gesagt: Damit ist Rechtssicherheit
gewährleistet. Der Vertrag, den die OCCAR und die
Airbus Military schließen sollen, wird dies umzusetzen
haben. Das ganze rechtliche und politische Thema lässt
sich in den Satz zusammenfassen: Man kann nur so viel
bestellen, wie man bezahlen kann.


(Lachen und Zurufe bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich bin sicher, dass die OCCAR rechtliche Risiken für
sich und andere ausschließen wird.

Für die Koalitionsfraktionen bleibt bei der Umsetzung
des Beschlusses maßgebend, was zur Begründung des
Antrages gesagt wird. Nach Meinung der Regierung sind
für die Beschaffung 8,6 Milliarden Euro erforderlich. Sie
versichert, dass dies alle Programmkosten einschließt.
Man muss die Summe daher als Obergrenze ansehen.

Alle weiteren Fragen werden beim Vollzug des Haus-
haltes 2002, also im ersten Quartal, wie der Antrag vor-
sieht, und nach Verabschiedung des Haushalts 2003 in ei-
nem anschließenden Verfahren zur Beschaffung der
zweiten Tranche und Entsperrung der neuen Verpflich-
tungsermächtigung zu beantworten sein.

In diesem Verfahren wird sich der Haushaltsausschuss
auch mit den Berichten des Bundesrechnungshofes aus-
einander zu setzen haben. Wir haben uns jedenfalls vor-
genommen, nicht die bei der Entscheidung zum Euro-
fighter begangenen Fehler zu wiederholen. Dem
Auditorium kann ich nur sagen, dass sich in diesem Punkt
die Berichterstatter aller Fraktionen einig sind.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss)

Ich bitte das Haus, dem Antrag zuzustimmen, und

hoffe, dass wir uns bei der Arbeit wieder zusammenfinden
werden.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421223700
Das Wort hat der Kol-
lege Dietrich Austermann für die CDU/CSU-Fraktion.


Dietrich Austermann (CDU):
Rede ID: ID1421223800
Frau Präsiden-
tin! Meine Damen und Herren! CDU und CSU lassen sich
von keiner Partei in diesem Hause übertreffen: wenn es
um die Frage der Verteidigungsbereitschaft,


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


wenn es um die Frage der Bündnisfähigkeit, wenn es um
die Frage der Verfassungstreue und wenn es um die Ein-
haltung der Vorschriften des Haushaltsrechts geht.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Zusammen mit uns!)

– Ja, wie die Vergangenheit, wie die 80er-Jahre – siehe
NATO-Doppelbeschluss – gezeigt haben, geschieht dies
gemeinsam mit der FDP. Dies gilt auch für die Entschei-
dung zum Eurofighter. Dies aber ist, Herr Kollege
Kröning, in einem ganz anderen Verfahren abgelaufen,
nämlich in einem sorgfältigen Verfahren, bei dem Haus-
halts- wie Fachausschuss schon ein halbes Jahr zuvor in-
volviert waren und erst dann die Entscheidung getroffen
worden ist.

Wir lassen uns von niemandem übertreffen: bei der
Frage der Europafähigkeit; hinsichtlich der Abstimmung
mit unseren europäischen Partnern; auch in Fragen, wie
im Bündnis gemeinsam reagiert werden muss, wie neue
Transportkapazitäten geschaffen werden sollen, wie die
Fähigkeit zur Krisenreaktion international sichergestellt
werden kann. Deswegen sind wir für das Großflugzeug
– auch in der erforderliche Zahl –, aber deswegen sind wir
auch dafür, dass die Verfassung eingehalten wird, dass
Recht und Ordnung Platz greifen.


(Beifall bei CDU und FDP – Zuruf von der SPD: Das sind wir auch!)





Volker Kröning
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(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn man die in den letzten Tagen gemachten Äuße-
rungen der Kollegen aus den Reihen der Koalitionsab-
geordneten zitiert – ich will keinen von Ihnen desavou-
ieren, indem ich ihn wörtlich zitiere und beim Namen
nenne –, dann ist die Beschreibung, das, was die Regie-
rung hier betreibe, sei eine „Sauerei gegenüber dem Par-
lament“, noch relativ harmlos.


(Widerspruch der SPD)

Die Regierung hat versucht, das Parlament zu demütigen,
es an den Rand zu drängen. Die Präsenz auf der Regie-
rungsbank zeigt ja auch, dass man davon ausgeht, das
werde schon laufen, egal, was das Parlament in dieser
Frage beschließt.

Worum geht es? Der Bundesverteidigungsminister hat
am 18. Dezember einen Vertrag über die Beschaffung von
73 Flugzeugen unterzeichnet – ein umfangreiches Ver-
tragswerk ohne Bedingungen. In dem Vertragswerk war
eine Klausel enthalten, die besagt hat: Gezahlt wird nach
Kostenentwicklung. Daneben wurde ein Side Letter ver-
einbart, in dem steht: Wenn die Zustimmung zu diesem
Vertrag nicht bis zum 31. Januar dieses Jahres erteilt wor-
den ist, das heißt, der Parlamentsvorbehalt Deutschlands
beseitigt wird, kommt das Geschäft nicht zustande.

Sie meinen, durch die von Ihnen vorgelegte Regelung
in Form eines zweistufigen Verfahrens, das Sie auf ein-
mal, seit gestern Abend, für denkbar halten, sei der Parla-
mentsvorbehalt ausgeräumt. Aber was haben Sie ge-
macht? Sie haben eine Regelung im Innenverhältnis
getroffen, um die Koalitionsgemüter zu beruhigen, sie
schläfrig zu machen und ihnen das Gefühl zu geben, dass
sie etwas erreicht hätten. Durchgesetzt haben sie aber erst
dann etwas, wenn Herr Scharping zu den Partnern geht
und sagt: Ich habe vom Parlament 5,1 Milliarden Euro be-
kommen; ich bitte um Verständnis dafür, dass wir das um-
fangreiche Vertragswerk ändern müssen. Dann haben sie
sich durchgesetzt.


(Peter Zumkley [SPD]: Das geht doch gar nicht!)


Wenn das nicht der Fall ist – für die 5,1 Milliarden Euro
können Sie auch nicht die entsprechende Anzahl von
Flugzeugen, nämlich 40 Stück, kaufen, wie sich das Herr
Kröning seit Jahren vorstellt –, verstoßen Sie gegen die
Verfassung. Dann wird noch heute von uns Verfassungs-
beschwerde eingereicht.

Ich will Ihnen sagen, weshalb die Regelung nicht in
Ordnung ist. Ich habe gestern noch mit Industrievertretern
gesprochen. Diese haben mir gesagt: Wenn es nicht zu der
unbedingten Auftragserteilung über 73 Flugzeuge kommt,
müssen die Entwicklungskosten auf die niedrigere Stück-
zahl umgerechnet werden. Für die 5,1 Milliarden Euro
bekäme man dann nicht mehr 40, sondern vielleicht
30 Flugzeuge. Dann könnten Sie die zweite Tranche erst
später, in einem zweiten Schritt machen.

Dass Sie überhaupt versucht haben, durch eine Erklä-
rung des Gesetzgebers, also dieses 14. Bundestages, eine
Regelung zu schaffen, die in die Zukunft des Jahres 2003
reicht, beruht vielleicht auf Ihrem Wunschdenken, ist zu-

gleich aber wegen des Verstoßes gegen den Grundsatz der
Diskontinuität verfassungsrechtlich nicht in Ordnung.


(Zuruf des Abg. Manfred Opel [SPD])

– Herr Opel, wer seit drei Jahren den entscheidenden Feh-
ler macht, die Bundeswehr unterzufinanzieren, der Bun-
deswehr nicht genügend Geld zu geben, muss sich heute
nicht über die Wirkung dessen entrüsten,


(Manfred Opel [SPD]: Sagen Sie das doch Herrn Waigel!)


nämlich dass mittelfristig nicht genügend Geld da ist, um
dieses Vorhaben in der von uns gewünschten Stückzahl zu
verwirklichen. Genau das ist die Wahrheit, vor der wir
heute stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Was wir zu dieser Frage gesagt haben, ist vom Bundes-

rechnungshof, vom Wissenschaftlichen Dienst des Bun-
destages, vom Bundestagspräsidenten und natürlich auch
von Ihnen bestätigt worden. Sie selbst haben gesagt, man
könne es so nicht machen und das sei schon ein gewisser
Erfolg gegenüber der Bundesregierung. Damit ist deutlich
geworden, dass hier versucht wurde, sich so zu verhalten,
als sei der Bundestag die Volkskammer, ein Akklamati-
onsorgan, das gerade noch bestätigen darf, was die Re-
gierung vorher beschlossen hat.

Inzwischen haben Sie erreicht, dass es zu einer inter-
nationalen Blamage gekommen ist.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!)

Die Bundesregierung hat sich sicherheits-, außen- und
verteidigungspolitisch blamiert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dabei spielt nicht so sehr eine Rolle, dass sich die Bun-
desregierung blamiert hat und von vielen Seiten gerufen
wird: Jeden Tag ein neuer Skandal. Das Schlimme ist viel-
mehr, dass Sie auch unser Land und die deutsche Industrie
blamiert haben.

Ich sagte schon, dass ich gestern mit leitenden Vertre-
tern des Unternehmens gesprochen habe, das auf den Auf-
trag wartet. Diese haben mir beschrieben, welche Vorbe-
reitungen sie getroffen haben – auch in den neuen
Bundesländern –, um sicherzustellen, dass dort in nächster
Zeit Hightecharbeitsplätze geschaffen werden können.


(Peter Zumkley [SPD]: Dann müssen Sie auch Ja sagen!)


Auch diese haben gesagt: Bei unseren europäischen Part-
nern brauchen wir uns angesichts dieser Blamage, die hier
angerichtet worden ist, heute schon bald nicht mehr sehen
zu lassen.

Wenn es eines zusätzlichen Grundes für den Bundes-
kanzler bedurft hätte, den Verteidigungsminister zu ent-
lassen, wäre dies der letzte und ein ganz wesentlicher
Grund gewesen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler selbst

trägt dafür die Verantwortung. Er hat Mitte November ge-
genüber dem französischen Präsidenten Chirac gesagt:




Dietrich Austermann

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(C)



(D)



(A)



(B)


Wir kaufen die 73 Flugzeuge. Er musste wissen, dass we-
der über die Stückzahl noch über die Typenzahl, über die
Bewaffnung oder die technische Ausgestaltung der Flug-
zeuge je im Verteidigungs- oder Haushaltsausschuss ge-
sprochen worden ist.


(Peter Zumkley [SPD]: Natürlich!)

Wenn eine Prüfung erst erfolgt, Herr Kollege Zumkley,
nachdem der Auftrag erteilt worden ist, macht sich das
Parlament erneut lächerlich. Genau das wollen wir ver-
hindern. Nein, der Bundeskanzler trägt in dieser Frage
selbst die Verantwortung. Er hat dafür gesorgt, dass wir
desavouiert wurden, weil er dem Verteidigungsetat nicht
die erforderlichen Mittel eingeräumt hat. Das ist das ei-
gentliche Problem, vor dem wir heute stehen: ist die Un-
terfinanzierung der Bundeswehr. Meine Damen und
Herren, wir haben Ihnen mehrfach, und zwar bei den Be-
ratungen zu den Haushalten 2001 und 2002, die Hand ge-
reicht, um eine verfassungsmäßige Entscheidung zu tref-
fen. In den zweiten Lesungen zu den Haushalten 2001 und
2002 haben wir jeweils Erhöhungsanträge im erforderli-
chen Maße gestellt. Sie haben dies alles pomadig und
schnodderig abgelehnt, weil Sie geglaubt haben, Sie
brauchten die Opposition nicht. Offensichtlich brauchte
man uns hier und heute, nämlich um deutlich zu machen,
dass es ohne eine ordentliche Arbeit des Parlaments nicht
geht. Wir sind dafür eingetreten, weil wir das Projekt wol-
len, aber unter Beachtung der Verfassung.

Meine Damen und Herren, Ihrem Antrag können wir in
dieser Form – über ihn wird komplett abgestimmt – nicht
zustimmen. Wir wollen das Flugzeug, wir wollen aber
auch die Verteidigungsbereitschaft, die Bündnistreue und
die Verfassungstreue.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Peter Zumkley [SPD]: Das war ein bisschen wie ein Eiertanz!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421223900
Das Wort hat der Kol-
lege Oswald Metzger für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.


Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421224000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu vor-
gerückter Stunde erlebt man schon ein merkwürdiges
Spiel. Kollege Austermann muss sich anstrengen, hier zu
vertreten, warum die Union ein Projekt will, sie aber for-
malrechtlich jetzt einen Eiertanz um die haushaltsrechtli-
chen Voraussetzungen anstellt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Peter Zumkley [SPD]: So ist es! – Jürgen Koppelin [FDP]: Gerade Metzger muss erzählen!)


Genau das ist der Punkt.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist großer Unfug!)

– Herr Fraktionsvorsitzender Merz, Sie hätten heute
Abend die Verteidigungspolitiker Ihrer Fraktion bei einer

namentlichen Abstimmung nicht auf die Linie gebracht,
um hier die Position zu halten. Das ist der Punkt.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Jetzt bist Du auf den letzten Platz weitergerückt!)


Kollege Austermann, an Großprojekten wie dem Euro-
fighter können wir feststellen, welches Scherbengericht
Sie in Sachen Bundeswehrfinanzierung hinterlassen ha-
ben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


3 Milliarden DM hat diese Republik in den letzten drei
Jahren allein für die Preisgleitklauseln, die Verteidi-
gungsminister Rühe im Juni 1998 unmittelbar vor der
Bundestagswahl durchgepuscht hat, zusätzlich bezahlen
müssen.


(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Aufgrund dieser Preisgleitklauseln haben Sie die

Haushalte bis zum Jahr 2015 mit Ausgaben für Flugzeuge
belastet, die die Kosten explodieren lassen. Kollege
Austermann, das war ein wirklicher „Jäger light“: Sobald
die Flugzeuge der Bundeswehr zulaufen, müssen wir
Kampfwertsteigerungen finanzieren; denn außer fliegen
können diese nichts. Sie haben keine Defensivavionik und
keine Bewaffnung. Das war eine solide Verteidigungspo-
litik der Union! Sie brauchen sich inhaltlich wirklich nicht
aufzublasen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Natürlich braucht die Bundeswehr ein modernes
Transportflugzeug. Natürlich ist es gut, dass wir das als
gemeinsames europäisches Projekt durchführen. Ich sage
das nur, um deutlich zu machen, dass es für dieses Trans-
portflugzeug sehr, sehr gute inhaltliche Gründe gibt. Jetzt
komme ich aber zu dem Punkt, der auch angesichts der
von Ihnen angekündigten Organklage zu dieser Stunde
interessiert: Natürlich gab es an diesem Punkt einen Kon-
flikt zwischen Parlament und Regierung.


(Andreas Schmidt [Mülheim] [CDU/CSU]: Gibt es immer noch! – Friedrich Merz [CDU/ CSU]: Gab oder gibt es?)


Das räume ich als Haushaltssprecher ein. Ich spreche an
dieser Stelle nicht umsonst auch für unsere Fraktion.

Kollege Kröning hat ganz zu Recht darauf hingewie-
sen, dass wir im Rechtssinne mit diesem Entschließungs-
antrag unserer Regierung keine Ermächtigung geben,
8,6 Milliarden Euro unter Vertrag zu nehmen, so wie es im
Industrievertrag vom 18. Dezember geschrieben steht.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Ist das jetzt Misstrauen?)


Diese Untervertragnahme des Gesamtprojektes kann erst
im nächsten Jahr, wenn das Haushaltsgesetz 2003 verab-
schiedet wurde, stattfinden.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Dann sind Sie nicht mehr an der Regierung!)


Bis dahin ist der Vertrag rechtlich schwebend unwirksam.




Dietrich Austermann
21052


(C)



(D)



(A)



(B)


Der Bundesverteidigungsminister könnte aber eine Zu-
satzvereinbarung mit den Partnern abschließen, sodass es
zu einem faktisch zweistufigen Verfahren kommt: Wenn
der Haushaltsausschuss bis Ende März die Entsperrung
der 5,1 Milliarden Euro beschlossen hat, kann die Bun-
desrepublik über diese Summe auch in einem Vertrag mit
Außenwirkung gegenüber den europäischen Partnern ver-
fügen. Für die Zahlung des Restes der Summe müssten
dann die notwendigen parlamentarischen Voraussetzun-
gen im nächsten Jahr abgewartet werden. Das ist ein ganz
klares und sauberes Verfahren.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Eiertanz!)

– Das ist kein Eiertanz, das ist die Wahrung der Interessen
des gesamten Parlaments.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie werden noch daran denken, wenn wir im März im
Haushaltsausschuss darüber reden. Sie werden dann der
Erste sein, der sich bei der Finanzierung und bei der Ver-
tragsgestaltung einmischen und Fragen zu einer mögli-
chen Verdrängung von anderen militärischen Be-
schaffungsmaßnahmen aufgrund der Größe des Projektes
stellen wird. Sie werden dann wieder die große Arie sin-
gen, wie schlecht das Ganze vorbereitet sei.

Dabei haben wir dafür gesorgt, dass aus dem Datum
des 31. Januar 2002, das die Vertragspartner wollten,
tatsächlich eine Frist von einem Quartal geworden ist, so-
dass der Bundesverteidigungsminister die Chance hat,
dem Haushaltsausschuss eine korrekte Beschaffungsvor-
lage zuzuleiten, die wir als Parlament seriös beraten kön-
nen.

Es geht um Summen – das ist wichtig auch für die Öf-
fentlichkeit – von mindestens 8,6 Milliarden Euro.


(Ulrich Heinrich [FDP]: Das ist ein Prophet!)

Allein durch eine Preisgleitklausel von vielleicht 3 Pro-
zent stiege diese Summe über den Zeitraum des Vertrags
um 41 Prozent. Es ist das größte Rüstungsbeschaffungs-
vorhaben, das in dieser Republik bisher parlamentarisch
beschlossen wurde. Dafür müssen sämtliche fiskalische
Voraussetzungen stimmen. Darauf werden wir als Koali-
tion und hoffentlich auch Sie als Opposition pochen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421224100
Jetzt spricht der Kol-
lege Jürgen Koppelin für die FDP-Fraktion.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1421224200
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Metzger tat mir
eben Leid. Er war im Visier seines Fraktionsvorsitzenden,
der aus dem gleichen Landesverband kommt. Bekanntlich
gibt es dort ja ein paar Probleme. Vielleicht hat der Kol-
lege Metzger in den Augen seines Fraktionsvorsitzenden
bestanden und darf einen Platz aufrücken. Ich würde sa-

gen: Hier im Parlament sollte er eher ein paar Plätze nach
hinten rücken. Wie kann man sich nur so verbiegen?


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Bei 4,9 Prozent nützt auch das nichts! – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie sonst noch etwas als diese alten Kamellen auf Lager?)


Der Kollege Metzger hat gesagt: Das ist das größte
Projekt, das wir im Verteidigungsbereich je beschlossen
haben. Er hat Recht. Ich frage dann allerdings die rot-
grüne Koalition, ob sie sich nicht schämt, auf diese Art
und Weise so ein großes Projekt im Parlament diskutieren
zu lassen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Was ist das für ein Armutszeugnis, dass Sie das größte
Beschaffungsprojekt der Bundeswehr am Haushaltsaus-
schuss und an den Fachausschüssen vorbei – man möchte
fast sagen: bei Nacht und Nebel – hier beschließen wol-
len? Das ist inzwischen Ihr Stil!

Wenn man Ihren Antrag sieht, dann fragt man sich:
Was wollen Sie mit diesem Antrag? An wen richtet sich
dieser Antrag? Der erste Teil ist Lyrik. Dort schreiben Sie
etwas über die 73 Maschinen. Uns brauchen Sie nicht zu
bekehren. Der Kollege Austermann hat darauf hingewie-
sen, dass sowohl die CDU/CSU wie die FDP in den Haus-
haltsberatungen für die 73 Maschinen waren. Wer war da-
gegen – Rot-Grün war dagegen.


(Zuruf von der SPD: Das stimmt doch gar nicht!)


Wofür machen Sie diesen Antrag? Das ist ganz klar: Sie
legen ihn zu nichts anderem vor als zur Disziplinierung
der eigenen Truppe.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen tat mir der Kollege Metzger so Leid, als er hier
eben gesprochen hat.


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Oh!)


Ich darf in diesem Zusammenhang eine Agenturmel-
dung der ap vom Wochenende zitieren:

Trotz scharfer Warnungen des SPD-Fraktionsvorsit-
zenden Peter Struck bekräftigte Grünen-Haushalts-
experte Oswald Metzger am Sonntag die Absicht,
seiner Partei zu empfehlen, im Bundestag gegen den
Ankauf von 73 Stück des militärischen Transport-
flugzeuges Airbus A400M zu stimmen.

Weiter heißt es:
Metzger bekam dafür erstmals Unterstützung aus der
SPD.

Die Begeisterung springt Rot-Grün förmlich aus den Au-
gen, bei diesem großen Projekt zustimmen zu müssen.
Das ist nicht zu übersehen.


(Peter Zumkley [SPD]: Die ist bei euch auch nicht groß!)





Oswald Metzger

21053


(C)



(D)



(A)



(B)


Kollege Metzger hat noch eines vergessen – das gehört
zur Geschichte dieser Beschaffung dazu –: Das Ganze lief
so ab, dass morgens eine Koalitionsrunde tagte. Dabei wa-
ren, wie man den Agenturmeldungen entnahm, der Kol-
lege Schlauch, der Kanzler und diverse andere Größen
dieser Republik: Dort beschloss man, 73 Flugzeuge zu be-
schaffen.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das nun einmal!)


Nachmittags um 14 Uhr tagte dann der Haushaltsausschuss.
Ich habe den Kollegen Metzger – das ist dem Protokoll zu
entnehmen – darauf aufmerksam gemacht, was diese Runde
morgens beschlossen hat. Was hat die rot-grüne Koalition
daraufhin im Haushaltsausschuss beschlossen? 40 Flug-
zeuge, und zwar trotz des Beschlusses am Vormittag! Kom-
men Sie mir doch nicht damit, dass es neue Zahlen und Fak-
ten gegeben habe. Nein, Sie wollten nicht, sonst hätten Sie
unseren Anträgen zustimmen können.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wofür haben Sie gesorgt? Sie haben mit Ihrer Ent-
scheidung im Haushaltsausschuss und mit dem Haus-
haltsplan 2002 dafür gesorgt, dass wir einen außenpoliti-
schen Schaden erlitten haben. Sie haben dafür gesorgt,
dass wir industriepolitisch und militärpolitisch Schaden
genommen haben. Insgesamt haben wir Schaden genom-
men, weil der Verteidigungsminister einen Vertrag unter-
schrieben hat, den er gar nicht unterschreiben konnte.

Das Misstrauen der Partner ist entsprechend groß ge-
wesen. Sie haben nämlich in den Vertrag hineingeschrie-
ben: Rudolf Scharping muss uns sein Okay bis Ende Ja-
nuar geben, sonst platzt die ganze Geschichte. – Aus
diesem Grunde sitzen wir heute hier.

Jetzt müssen Sie plötzlich ohne Vorlage, Diskussion
und Begründung etwas nachliefern. Ich sage Ihnen dazu:
Ihr Antrag, auch wenn Sie Ihn mit einer Mehrheit be-
schließen, ist null und nichtig und bringt überhaupt nichts.


(Beifall bei der FDP)

Ich habe Ihnen bereits heute Morgen in der Geschäfts-

ordnungsdebatte vorgelesen, was Art. 110 des Grundge-
setzes dazu enthält. Sie verstoßen eindeutig gegen diesen
Artikel. Wenn es so wäre, dass man es so machen könnte,
wie es der Verteidigungsminister macht und wie Sie es in
Ihrem Antrag machen, dann fiele mir noch sehr viel ein,
was die Bundeswehr braucht. Wie wäre es dann noch mit
ein paar U-Booten? Die könnten wir auch gleich so be-
schließen. Wie wäre es mit einem Lazarettschiff samt ent-
sprechender Ausrüstung? – Das können wir doch alles in
dieser Form machen. So unsolide ist Ihr Antrag. Sie wer-
den nicht erwarten, dass wir Ihrem Antrag zustimmen.
Natürlich sind wir – darin müssen Sie uns nicht bekeh-
ren – für die 73 Flugzeuge.


(Lachen bei der SPD – Zurufe von der SPD: Ah!)


– Da müssen Sie nicht „Ah!“ rufen.
Das haben wir doch schon im Haushaltsausschuss so

bekundet. Sie haben aber dagegen gestimmt. Dort hätten
Sie einmal „Ah!“ rufen sollen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421224300
Sie aber haben nicht
mehr so viel Zeit, etwas zu sagen, Herr Kollege Koppelin.
Ihre Redezeit ist nämlich abgelaufen.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1421224400
Frau Präsidentin, ich weise
dann abschließend nur noch einmal darauf hin, dass die-
ser Beschluss haushaltsrechtlich ohne jede Bedeutung ist.
Deswegen werden wir zwar für die Flugzeuge stimmen,
aber die haushaltspolitischen Ansätze in Ihrem Antrag ab-
lehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421224500
Es spricht jetzt der
Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping.


Rudolf Scharping (SPD):
Rede ID: ID1421224600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Von mehreren Rednern der Koalition wie auch der Oppo-
sition ist zutreffend festgestellt worden, dass das Trans-
portflugzeug aus mehreren Gründen eine enorme Bedeu-
tung hat: erstens für die europäische Sicherheits- und
Verteidigungspolitik und für das Schließen einer Lücke,
die im Bereich dieser Fähigkeiten besteht; zweitens für die
Erfüllung der Anforderungen, auf die sich die beteiligten
Nationen innerhalb der NATO und auf der Grundlage ih-
res neuen strategischen Konzepts verpflichtet haben.

Zudem – drittens – beweist auch die aktuelle Entwick-
lung, wie dringend notwendig es ist, dass die Europäer
gemeinsam, mit einem angemessenen deutschen Beitrag,
ihre Fähigkeitslücken im Bereich des strategischen Luft-
transports, aber auch in anderen Bereichen schließen. Das
ist auf dem Weg. Die Entscheidung, die heute getroffen
wird, ist dafür von besonders großer Bedeutung.

Hinsichtlich der Zahl 73 will ich jetzt auf Kapazitäts-
berechnungen, Erfordernisse und dergleichen – schon
mit Rücksicht auf die fortgeschrittene Zeit – nicht einge-
hen. Ich möchte aber doch feststellen, dass wir uns ange-
sichts der Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutsch-
land, in der NATO wie in der europäischen Sicherheits-
und Verteidigungspolitik, eher an der unteren Grenze des
Erforderlichen bewegen.

Vor diesem Hintergrund wird vielleicht verständlich,
warum die Bundesregierung und auch der Bundesvertei-
digungsminister besonders intensiv und mit einigem Er-
folg darum gerungen haben, dass wir eine Koordinierung
des europäischen Lufttransports erreichen, dass wir ein
gemeinsames Unterstützungsabkommen der europä-
ischen Nationen abschließen und dass wir eine – bisher je-
denfalls – für Europa einmalige deutsch-niederländische
Vereinbarung zur gegenseitigen Unterstützung und übri-
gens auch zur Finanzierung gemeinsamer Lufttransport-
kapazitäten verwirklichen.

Ich weise darauf hin, dass das Schließen dieser und
auch anderer Fähigkeitslücken entscheidend dafür ist,
dass die Bundesrepublik Deutschland ihre außen- und si-
cherheitspolitische Verantwortung wahrnehmen kann. Im
Übrigen ist es auch wegen der Soldaten, die wir in inter-




Jürgen Koppelin
21054


(C)



(D)



(A)



(B)


nationale Einsätze schicken, entscheidend, diese Fähig-
keitslücken zu schließen.


(Beifall bei der SPD)

Es hat keinen Sinn, es bei einer gewissermaßen rheto-

rischen Bekundung des Respekts, der Anerkennung und
des Dankes für die außerordentliche Leistungsfähigkeit
der Bundeswehr zu belassen. Man sieht derzeit in Afgha-
nistan, wie ungewöhnlich hoch die Leistungsfähigkeit
und das Verantwortungsbewusstsein der Soldaten sind.
Dann aber ist es die Verpflichtung des Deutschen Bun-
destages und der Bundesregierung, diesen berechtigten
Worten der Anerkennung und des Dankes auch die Taten
folgen zu lassen – auf der Seite der Ausrüstung, vor allem
der logistischen Systeme –, die den Einsatz der Soldaten
auf Dauer erst vertretbar machen.


(Beifall bei der SPD)

Das geschieht heute. Vor diesem Hintergrund will ich

– damit das Tableau vollständig ist – noch darauf hinwei-
sen, dass sich die Europäer auch im Bereich der Wettbe-
werbsfähigkeit, der Technologie und ihrer Arbeitsplätze
entsprechende Möglichkeiten erschließen. Das, was die
Opposition einwendet, ist für mich vor dem Hintergrund
eines Wahljahres in begrenztem Umfang nachvollziehbar.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421224700
Herr Minister, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Merz?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421224800

Wenn Sie meine Redezeit anhalten.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421224900
Die ist längst angehal-
ten.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421225000

Das ist freundlich von Ihnen, Frau Präsidentin.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421225100
Das ist bei uns so
Sitte. – Bitte, Herr Merz.


Friedrich Merz (CDU):
Rede ID: ID1421225200
Herr Bundesverteidi-
gungsminister, könnten Sie nach der Rede des Kollegen
Metzger nicht nur der interessierten deutschen Öffent-
lichkeit, sondern auch dem Deutschen Bundestag sagen


(Georg Pfannenstein [SPD]: Überflieger Merz! – Lachen bei der SPD)


– ich finde das, was Sie beim Haushalt veranstalten, nicht
so spaßig; wenn Sie die Probleme, die Sie mit dem Haus-
halt haben, nicht zur Sprache bringen, dann werden wir es
tun –,


(Beifall bei der CDU/CSU)

wie der vorbehaltlose Vertrag aussehen wird, den Sie mit
Wirkung vom 31. Januar 2002 abzuschließen gedenken?
Können Sie mir dazu die entsprechenden Zahlen nennen?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421225300

Herr Kollege Metzger, Sie verkennen die Sachlage.


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Merz!)


Herr Merz, Sie verkennen die Sachlage. Ich finde es er-
staunlich, dass Sie als Fraktionsvorsitzender – Sie waren
doch auch einmal Mitglied des Europäischen Parlaments
und hatten dort ab und zu mit solchen Fragen zu tun –
nicht wissen, dass die Bundesregierung nach einem Ge-
spräch mit den Spitzen der Koalitionsfraktionen sowie
nach einer Erörterung mit dem Finanzminister und mit an-
deren Mitgliedern der Bundesregierung, insbesondere mit
dem Bundeskanzler, den Verteidigungsminister beauf-
tragt hat, den Industrievertrag, den Vertrag zwischen
OCCAR und Firma, sowie das Regierungsabkommen mit
Parlamentsvorbehalt zu unterschreiben. Es war also kor-
rekt, dass ich die Verträge wie alle vorangegangenen Ver-
einbarungen mit Parlamentsvorbehalt unterschrieben
habe. Das war korrekt. – Ihr Kollege Schmidt, der Justi-
ziar Ihrer Fraktion ist, nickt zustimmend.

Wenn der Deutsche Bundestag – das ist das Interesse
der Partnernationen; ich werde darauf gleich noch einge-
hen; Sie haben mich davon mit Ihrer nicht sonderlich er-
regenden Zwischenfrage abgehalten –


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


einen entsprechenden Beschluss fasst, werden wir unse-
ren Partnernationen mitteilen, dass der Deutsche Bundes-
tag das Vorhaben uneingeschränkt unterstützt, wie es sich
aus dem ersten Satz der Ziffer 1 der Entschließung ergibt.


(Beifall bei der SPD)

Vor diesem Hintergrund – das ist das, was ich Ihnen

schon sagen wollte, bevor Sie mich unterbrochen haben –
habe ich im Vertrauen auf die Koalition und ihre Ent-
schlossenheit, die Politik der Bundesregierung zu unter-
stützen, heute, am späten Nachmittag, alle erreichbaren
Kollegen Verteidigungsminister der Partnernationen an-
gerufen. Ich denke, das gehört sich so.


(Beifall bei der SPD)

Ich bin nun in der angenehmen Lage, Ihnen mitteilen zu
können, dass alle meine Kollegen aus den Partnerlän-
dern – ich habe mit allen gesprochen, außer mit dem bel-
gischen Verteidigungsminister, der sich in Vietnam befin-
det – die Entscheidung des Deutschen Bundestages
ausdrücklich begrüßen, dass sie dieses klare politische
Signal des Deutschen Bundestages für richtig halten und
sie die haushaltsrechtlichen Auseinandersetzungen, die in
Deutschland geführt werden, sehr wohl einzuschätzen
wissen. Das ist für mich der wichtigste Punkt.

Im Übrigen kann ich verstehen, dass man solche Dis-
kussionen wie die jetzige führt. Aber für Folgendes habe
ich weniger Verständnis: Sie beklagen zwar immer die Fi-
nanzausstattung der Bundeswehr, bringen mich aber bei-
spielsweise in die Lage, für das Beschaffungsvorhaben
Eurofighter fast 3 Milliarden DM durch den Haushaltsaus-
schuss und den Verteidigungsausschuss schleusen zu müs-
sen, um das, was Sie beim Eurofighter versäumt haben,




Bundesminister Rudolf Scharping,

21055


(C)



(D)



(A)



(B)


nachzufinanzieren. Was glauben Sie, wie froh ich wäre,
wenn Sie dieses Projekt seriös finanziert hätten und wenn
mir diese 3 Milliarden DM noch für andere Zwecke zur
Verfügung stünden!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Vor diesem Hintergrund bedanke ich mich bei der Ko-
alition einschließlich ihrer Haushälter für ihre Unterstüt-
zung der Politik der Bundesregierung. Sie dürfen sicher
sein, wir werden dieses große europäische Projekt so vo-
ranbringen, dass es im Interesse der Streitkräfte, der euro-
päischen Sicherheitspolitik und unserer gemeinsamen Po-
sition in der NATO verwirklicht werden kann.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421225400
Nächste Rednerin in
der Debatte ist die Kollegin Heidi Lippmann für die PDS-
Fraktion.


(Zuruf von der SPD: Die kauft jetzt 100!)



Heidi Lippmann-Kasten (PDS):
Rede ID: ID1421225500
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Ich würde jetzt gern die Bestel-
lung von 73 A400M ganz streichen.


(Beifall bei der PDS)

Laut Bundesrechnungshof würden wir mindestens
9,4 Milliarden sparen. Wenn wir dann noch die Verträge
für den Eurofighter aussetzten, kämen noch einmal
22 Milliarden hinzu. Was glauben Sie, welch große Sym-
pathien Sie sich in der Bevölkerung mit solchen Be-
schlüssen erwerben würden? Sie würden glatt mit einer
Mehrheit wiedergewählt werden – denke ich –, von der
Sie eigentlich nur träumen können.

Wenn es bei dieser Debatte nicht um das größte Be-
schaffungsprogramm im Rüstungsbereich ginge, dann
würde ich sagen: Dieses Projekt ist die größte Lachnum-
mer in der Ära Scharping, die wir in den vergangenen drei
Jahren erlebt haben.

Die PDS wird natürlich keinem Ihrer Anträge zustim-
men, weil Sie alle unisono erklärt haben – das hat Herr
Scharping eben zu Recht ausgeführt –, dass Sie die
73 A400M beschaffen wollen, und weil damit dann auch
der Parlamentsvorbehalt entfällt. Man muss sich im inter-
nationalen Kontext darüber austauschen, inwieweit das
deutsche Haushaltsrecht für solche internationalen Ver-
träge, die mit der Wirtschaft und den Partnern geschlos-
sen werden, überhaupt eine Relevanz hat. Das andere
werden Sie ja dann gegebenenfalls in Karlsruhe klären.

Wenn man die Bundeswehr zu einer Interventionsar-
mee umbauen will, dann – das wissen wir alle – muss man
sie natürlich auch entsprechend ausstatten. Sie alle haben
gesagt, dass das ihr erklärter politischer Wille ist. Von da-
her sollten Sie zusehen, wie Sie jetzt mit Ihren haushalts-
technischen Problemen zurechtkommen.

Die Kritik, die aus der Opposition gekommen ist, ist in
nahezu allen Punkten berechtigt, was das Verfahren an-
geht. Sie werden in der Zukunft sehen, ob Sie für dieses
Beschaffungsprojekt eine ähnliche Kritik wie die frühere
Bundesregierung für das Eurofighter-Projekt werden ein-
stecken müssen.

Herr Kollege Metzger, ich möchte Sie noch an Folgen-
des erinnern: Als Sie 1998 in den Wahlkampf gegangen
sind, haben Sie gefordert, das Eurofighter-Projekt zu
streichen. Kollegin Beer hat das seinerzeit in ihrer Haus-
haltsrede 1998 noch als Wahnsinnsprojekt bezeichnet.
Heute treten Sie mit der gleichen Vehemenz, mit der da-
mals Schwarz-Gelb für den Eurofighter eingetreten ist,
für den A400M ein.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ein bisschen vorsichtig!)


Wer im Glashaus sitzt, der sollte nicht mit Steinen werfen,
Herr Kollege.

Um es noch einmal deutlich zu sagen: Der Bedarf zur
Beschaffung wird ausschließlich über die neuen Einsatz-
optionen der Bundeswehr definiert. Dass die neuen Luft-
transporter auch zum Zwecke der Katastrophenhilfe ein-
gesetzt werden können, ist lediglich ein Nebeneffekt, der
unter dem Stichwort „dual use“ verbucht werden kann.

Ganz interessant ist die ddp-Meldung, die heute Nach-
mittag gekommen ist, nach der der Bundesrechnungshof
noch einmal bestätigt, dass man davon ausgeht, dass die
vorläufigen Kosten des Gesamtprojekts von 8,6 Milliar-
den Euro auf insgesamt 9,4 Milliarden Euro steigen wer-
den. Ich zitiere die ddp-Meldung jetzt wörtlich:

Der Bundesrechnungshof stellt in seinem geheimen
Bericht unter dem Kapitel „Bedarfsbegründung“ die
Fehlplanung nüchtern fest: Selbst nach Beschaffung
des von den Militärs gepriesenen neuen Airbus
müsste die Bundeswehr – wie gerade beim Einsatz in
Afghanistan – weiter auf ausländische Großraum-
transporter zurückgreifen, um ihr schweres Gerät zu
weltweiten Missionen befördern zu können.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421225600
Frau Kollegin
Lippmann, jetzt muss ich Sie an Ihre Redezeit erinnern.


Heidi Lippmann-Kasten (PDS):
Rede ID: ID1421225700
Ich komme zum Schluss.
Es heißt darin weiter: Der A400M ist nicht in der Lage,

die Leo 2, die Marder, die Transporthubschrauber zu
transportieren, weshalb auch weiterhin Antonows und Be-
lugas angemietet werden müssen. – Das sagt – wohlge-
merkt – der Bundesrechnungshof.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421225800
Frau Kollegin
Lippmann, Sie wissen: Ich bin nicht gerne Wiederho-
lungstäterin.


Heidi Lippmann-Kasten (PDS):
Rede ID: ID1421225900
Mein letzter Satz, Frau Prä-
sidentin.




Bundesminister Rudolf Scharping,
21056


(C)



(D)



(A)



(B)


Dem Bundesrechnungshof fehlen die Unterlagen ge-
nauso wie diesem Haus. Wir werden alle Anträge ableh-
nen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421226000
Frau Kollegin
Lippmann, ich bitte Sie – –


Heidi Lippmann-Kasten (PDS):
Rede ID: ID1421226100
Machen Sie eine vernünftige
Politik; dann kann man darüber reden.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421226200
Voraussichtlich letzter
Redner in dieser Debatte ist der Kollege Friedrich Merz.
Die SPD-Fraktion hat noch die Möglichkeit, die ihr ver-
bliebenen zwei Minuten Redezeit zu nutzen.


Friedrich Merz (CDU):
Rede ID: ID1421226300
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundesverteidi-
gungsminister ist der Beantwortung meiner Frage, die
sich ausdrücklich auf den Wortbeitrag des Kollegen
Metzger bezogen hat, sehr kunstvoll ausgewichen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Er hätte nicht mehr tun müssen, als das zu bestätigen, was
der Kollege Metzger hier gesagt hat. Ich frage Sie daher
jetzt noch einmal, Herr Scharping, und ich bitte um eine
präzise Antwort. Sie haben durch den Haushaltsgesetzge-
ber, den Deutschen Bundestag, eine Ermächtigung zum
Eingehen eines Vertrages über ein Gesamtvolumen in
Höhe von 5,1 Milliarden Euro. Sie beabsichtigen, einen
Parlamentsvorbehalt auf der Grundlage des Antrages,
der heute Abend von SPD und Grünen vorgelegt worden
ist, in Höhe eines Gesamtvolumens von 6Milliarden Euro
aufzuheben.

Ich stelle hier noch einmal konkret die Frage: Beab-
sichtigen Sie, diesen Parlamentsvorbehalt gegenüber den
Firmen, bei denen bestellt werden soll, und gegenüber den
europäischen Partnern in der Größenordnung von 5,1Mil-
liarden Euro oder in der Größenordnung von 8,6 Milliar-
den Euro aufzuheben?

Ich fordere Sie auf, diese Frage hier klipp und klar zu
beantworten, Herr Verteidigungsminister.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich sage Ihnen, damit Sie genau wissen, was hier bevor-

steht: Wenn Sie diese Frage nicht mit einer nochmaligen
Wortmeldung von diesem Pult aus klar beantworten – –


(Widerspruch bei der SPD)

– Ja, Entschuldigung, meine Damen und Herren, hier geht
es nicht um irgendwelche Kleinigkeiten; hier geht es um
das verfassungsmäßig verbriefte Haushaltsrecht des
Deutschen Bundestages!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

In diesem Lande gelten Regeln. Sie gelten auch noch

lange, nachdem Sie aus dem Amt geschieden sind. Aber
solange Sie noch im Amt sind, haben Sie sich an diese Re-

geln zu halten und wir erwarten von Ihnen, dass hier Klar-
heit geschaffen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich sage Ihnen das jetzt, damit Sie das ganz klar wissen,
Herr Scharping: Ich habe hier den Text eines Antrages auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung im Rahmen eines
Organstreitverfahrens des Deutschen Bundestages gegen
die Bundesregierung in der Hand. Wenn Sie diese Frage
hier nicht beantworten, geht dieser Antrag dreißig Minu-
ten nach Schluss der Debatte an das Bundesverfassungs-
gericht.


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Oho!)


Ich sage das, damit Sie wissen, dass wir diesen Sachver-
halt ernst nehmen


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

und dass wir uns als Gesetzgeber von Ihnen nicht auf der
Nase herumtanzen lassen.

Ich sage Ihnen zum Abschluss noch eines: Wenn we-
gen dieses Sachverhaltes das gesamte europäische Projekt
scheitert, dann sind Sie allein dafür verantwortlich und
niemand anders!


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Peter Zumkley [SPD]: Nein, nein, Sie sind es!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421226400
Ich schließe die Aus-
sprache und wir kommen zu den Abstimmungen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das gibt es doch nicht! – Andreas Schmidt [Mülheim] [CDU/CSU]: Unglaublich! – Paul Breuer [CDU/CSU]: Es kann doch nicht sein, dass eine Auskunft verweigert wird!)


– Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD-Fraktion hat
angekündigt, dass sie nicht von ihrem Rederecht Ge-
brauch macht, und deshalb kommen wir zu den Abstim-
mungen. Es gibt einen Antrag des Kollegen Koppelin zur
Geschäftsordnung.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1421226500
Frau Präsidentin! Dieser
Vorgang ist einmalig. Wenn der Führer einer Oppositi-
onsfraktion eine so gravierende Frage stellt und der Bun-
desverteidigungsminister sie nicht beantwortet, so ist das
einmalig. Ich beantrage eine Unterbrechung der Sitzung
um 15 Minuten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421226600
Gibt es eine formelle
Gegenrede gegen den Antrag? – Dann ist die Sitzung auf
diesen Antrag hin für 15 Minuten unterbrochen.


(Unterbrechung von 21.38 bis 21.53 Uhr)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421226700
Die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.




Heidi Lippmann

21057


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich erteile zur Geschäftsordnung zunächst dem Kolle-
gen Friedrich Merz das Wort.


Friedrich Merz (CDU):
Rede ID: ID1421226800
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Da ich höre, dass der Kollege
Struck eine Erklärung zur Abstimmung abgeben möchte,
möchte ich namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
noch einmal mit Nachdruck darum bitten, dass die Bun-
desregierung hier eine Erklärung zu meiner Wortmeldung
von vorhin abgibt.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Das bestimmen Sie doch nicht! Das ist doch lächerlich!)


Es ist gleich, von welchem Mitglied dies geschieht. Wir
bitten aber darum, dass eine Erklärung von der Bundesre-
gierung abgegeben wird.

Ich bedanke mich herzlich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421226900
Ebenfalls zur Ge-
schäftsordnung spricht der Parlamentarische Geschäfts-
führer der SPD-Fraktion, Wilhelm Schmidt.


Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1421227000
Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Merz, das ist
sehr verwunderlich; denn hierbei handelt es sich eigent-
lich nicht um einen Geschäftsordnungsantrag. Wir befan-
den uns vielmehr in einem Stadium, in dem die Debatte
bereits beendet und die Abstimmung aufgerufen worden
war. Diese Bitte zu äußern ist möglicherweise legitim;
aber die Antwort werden Sie natürlich auch durch die Er-
klärung von Herrn Struck erhalten. Wir sehen daher über-
haupt keine Notwendigkeit, in dieser Phase einen solchen
Debattenbeitrag zu bringen.


(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421227100
Nächster Redner zur
Geschäftsordnung ist der Kollege Jürgen Koppelin.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Was soll denn das? Lächerlich!)



Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1421227200
Frau Präsidentin! Wenn es
das größte Rüstungsprojekt ist, über das wir heute ent-
scheiden, dann muss es auch möglich sein, gegebenen-
falls die Debatte neu zu eröffnen, damit die Erklärungen
abgegeben werden können.

Sollte der Verteidigungsminister heute hier keine Er-
klärung abgeben, wird sich die Fraktion der Freien De-
mokraten der Klage der CDU/CSU anschließen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421227300
Ebenfalls zur Ge-
schäftsordnung spricht Frau Katrin Göring-Eckardt.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Morgen schon einmal eine Geschäftsordnungsdebatte in
diesem Hause hatten, dass Sie diese Debatte überhaupt
nicht führen wollten, dass wir sie nun geführt haben, dass
die Argumente ausgetauscht sind und dass Sie die Ant-
wort, die Sie haben wollen, hier vom Vorsitzenden der
SPD-Fraktion erhalten werden. Er wird auf das, was Sie,
Herr Merz, hier angefragt haben, antworten. Ich gehe da-
von aus, dass das ausreicht.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421227400
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, Sie haben vernommen, dass der Kollege
Merz eine Bitte vorgetragen hat. Ich frage jetzt die
CDU/CSU-Fraktion, ob sie diese Bitte in Form eines An-
trags wiederholt.


(Zurufe von der CDU/CSU: Ja!)

– Das ist der Fall.

Dann stelle ich jetzt den Antrag der Fraktion der
CDU/CSU und – davon gehe ich aus – auch der Fraktion
der FDP, dass die Bundesregierung, namentlich der Herr
Verteidigungsminister, in dieser Debatte das Wort er-
greift, zur Abstimmung. Wer für diesen Antrag ist, den
bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Der An-
trag ist gegen die Stimmen von CDU/CSU, FDP und PDS
abgelehnt.

Deshalb erteile ich jetzt dem Vorsitzenden der SPD-
Fraktion zu einer Erklärung zur Abstimmung das Wort
und verweise darauf, dass es auch noch eine schriftliche
Erklärung der Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig und
des Kollegen Hans-Josef Fell gemäß § 31 der Geschäfts-
ordnung gibt.1)


Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID1421227500
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Im Namen der Koalitionsfraktionen
– SPD und Bündnis 90/Die Grünen – weise ich die Un-
terstellungen, die der Redner der CDU geäußert hat, auf
das Entschiedenste zurück.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung wird sich wie in der Vergangenheit
an die Beschlüsse des Deutschen Bundestages halten.

Herr Kollege, Politik wird nicht in Karlsruhe gemacht,
sondern hier im Deutschen Bundestag. Wir sehen Ihrer
Klage gelassen entgegen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421227600
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, wir kommen jetzt zu den Abstimmungen.




Vizepräsidentin Petra Bläss
21058


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 4

Ich rufe den Antrag der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/8024 mit
dem Titel „Vorhaben zukünftiges Transportflugzeug
A400M“ auf.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Ihr kastriert das Parlament! – Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP verlassen den Saal – Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wie früher bei den Grünen, was die jetzt machen!)


Es ist vereinbart, über die Nrn. 1 und 2 des Antrags einer-
seits sowie über die Nrn. 3 und 4 des Antrags andererseits
getrennt abzustimmen.

Wir stimmen über die Nrn. 1 und 2 des Antrags auf
Drucksache 14/8024 ab. Wer stimmt dafür? –Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Nrn. 1 und 2 des Antrags
sind gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei Abwesen-
heit der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zaungäste!)


sowie bei einer Enthaltung aus den Reihen der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.

Wir stimmen nun über die Nrn. 3 und 4 ab. Hierzu liegt
ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor, über den
wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsan-
trag auf Drucksache 14/8056? –


(Zuruf von der SPD: Niemand!)

Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungs-
antrag ist ohne Jastimme bei einer Enthaltung aus den
Reihen von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

Wir stimmen nun über die Nrn. 3 und 4 des Antrags auf
Drucksache 14/8024 ab. Wer stimmt dafür? –Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Nrn. 3 und 4 sind gegen
die Stimmen der PDS-Fraktion bei einer Enthaltung aus
den Reihen von Bündnis 90/Die Grünen sowie bei Abwe-
senheit von CDU/CSU und FDP angenommen.

Der Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnis-
ses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/8024 ist damit ins-
gesamt angenommen.

Wir kommen jetzt zum Antrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/8077 mit dem Titel: „Für
eine haushaltsrechtlich saubere Finanzierung und lang-
fristig gesicherte Beschaffung des zukünftigen Lufttrans-
portflugzeugs der Bundeswehr A400M“.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kann man über den Antrag einer Fraktion abstimmen, die überhaupt nicht da ist?)


Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? –Der Antrag ist bei Abwesenheit der Fraktionen von
CDU/CSU und FDP einstimmig abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Umwelt- und Gesundheitsgefahren bei Gold-
gewinnung minimieren
– Drucksache 14/7076 –

Die Kolleginnen Monika Griefahn, Gila Altmann,
Birgit Homburger, Vera Lengsfeld sowie Eva Bulling-
Schröter haben ihre Reden zu Protokoll gegeben, sodass
wir – Ihr Einverständnis vorausgesetzt – sofort zur Ab-
stimmung kommen.1)

Ich rufe den Antrag der Fraktionen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 14/7076 mit dem
Titel: „Umwelt- und Gesundheitsgefahren bei Goldge-
winnung minimieren“ auf. Wer stimmt für diesen An-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Antrag ist einstimmig angenommen bei Abwesenheit von
CDU/CSU–Fraktion und einer Ja-Stimme aus den Reihen
der FDP-Fraktion.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 sowie Zusatz-
punkt 6 auf:
13. Beratung des Antrags der Abgeordneten Max

Straubinger, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Ilse
Aigner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Luftfahrtforschung voranbringen
– Drucksache 14/7439 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Margrit
Wetzel, Dr. Ditmar Staffelt, Dr. Axel Berg, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Werner Schulz (Leipzig), Hans-
Josef Fell, Andrea Fischer (Berlin), weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion von BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Nationales Luftfahrtforschungsprogramm fort-
setzen
– Drucksache 14/8027 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Die Kolleginnen und Kollegen Margrit Wetzel, Dr. Heinz
Riesenhuber, Ulrike Flach, Hans-Josef Fell, Rolf
Kutzmutz sowie der Parlamentarische Staatssekretär
Siegmar Mosdorf haben ihre Reden zu Protokoll gege-
ben.2) – Auch darüber herrscht Einverständnis im Hause.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 14/7439 und 14/8027 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich
sehe diesbezüglich Einverständnis im Hause. Damit sind
die Überweisungen so beschlossen.




Vizepräsidentin Petra Bläss

21059


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 7
2) Anlage 8

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Winfried Wolf, Christine Ostrowski, Eva
Bulling-Schröter, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der PDS
Bahnpreissystem für Fahrgäste attraktiv ge-
stalten
– Drucksache 14/7768 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die PDS
fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wider-
spruch, dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Redner für die PDS-Frak-
tion ist der Kollege Winfried Wolf. – Ich höre gerade, auch
er hat sich entschlossen, die Rede genauso wie die Kolle-
ginnen und Kollegen Karin Rehbock-Zureich, Norbert
Otto, Albert Schmidt und Horst Friedrich zu Protokoll zu
geben.1) Das entspannt – Ihr Einverständnis vorausge-
setzt – die Lage natürlich.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/7768 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Auch darüber herr-
scht Einverständnis im gesamten Hause. Damit ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 7 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen SPD, CDU/
CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP

Nutzung satellitengestützter Erdbeobachtungs-
informationen
– Drucksache 14/8034 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Die Kolleginnen und Kollegen Lothar Fischer, Wolf-
Michael Catenhusen, Ilse Aigner, Ulrike Flach, Angela
Marquardt und Hans-Josef Fell haben ihre Reden eben-
falls zu Protokoll gegeben.2)

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/8034 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Auch darüber be-
steht Einverständnis. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Freitag, den 25. Januar 2002, 9 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.