Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002
Vizepräsidentin Petra Bläss
21060
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(D)
(A)
(B)
1) Anlage 9 2) Anlage 10
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(C)
(D)
(A)
(B)
Balt, Monika PDS 24.01.2002
Behrendt, Wolfgang SPD 24.01.2002*
Berninger, Matthias BÜNDNIS 90/ 24.01.2002
DIE GRÜNEN
Bierwirth, Petra SPD 24.01.2002
Bindig, Rudolf SPD 24.01.2002*
Brandt-Elsweier, Anni SPD 24.01.2002
Brinkmann (Detmold), SPD 24.01.2002
Rainer
Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 24.01.2002*
Klaus
Büttner (Ingolstadt), SPD 24.01.2002
Hans
Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 24.01.2002
DIE GRÜNEN
Friedrich (Altenburg), SPD 24.01.2002
Peter
Dr. Friedrich CDU/CSU 24.01.2002
(Erlangen), Gerhard
Goldmann, FDP 24.01.2002
Hans-Michael
Gradistanac, Renate SPD 24.01.2002
Gröhe, Hermann CDU/CSU 24.01.2002
Günther (Duisburg), CDU/CSU 24.01.2002
Horst
Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 24.01.2002
DIE GRÜNEN
Hiksch, Uwe PDS 24.01.2002
Holetschek, Klaus CDU/CSU 24.01.2002
Dr. Hornhues, CDU/CSU 24.01.2002
Karl-Heinz
Hornung, Siegfried CDU/CSU 24.01.2002*
Imhof, Barbara SPD 24.01.2002
Jäger, Renate SPD 24.01.2002*
Klappert, Marianne SPD 24.01.2002
Dr. Küster, Uwe SPD 24.01.2002
Leidinger, Robert SPD 24.01.2002
Lintner, Eduard CDU/CSU 24.01.2002*
Dr. Lippelt, Helmut BÜNDNIS 90/ 24.01.2002*
DIE GRÜNEN
Lörcher, Christa fraktionslos 24.01.2002*
Dr. Lucyga, Christine SPD 24.01.2002*
Michels, Meinolf CDU/CSU 24.01.2002*
Müller (Berlin), PDS 24.01.2002*
Manfred
Müller (Jena), CDU/CSU 24.01.2002*
Bernward
Neumann (Gotha), CDU/CSU 24.01.2002*
Gerhard
Onur, Leyla SPD 24.01.2002*
Palis, Kurt SPD 24.01.2002*
Roos, Gudrun SPD 24.01.2002
Dr. Scheer, Hermann SPD 24.01.2002*
Schlee, Dietmar CDU/CSU 24.01.2002
Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 24.01.2002
Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 24.01.2002
Hans Peter
von Schmude, Michael CDU/CSU 24.01.2002
Dr. Schockenhoff, CDU/CSU 24.01.2002
Andreas
Dr. Schubert, Mathias SPD 24.01.2002
Dr. Schuchardt, Erika CDU/CSU 24.01.2002
Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 24.01.2002
Christian
Seehofer, Horst CDU/CSU 24.01.2002
Simm, Erika SPD 24.01.2002
Simmert, Christian BÜNDNIS 90/ 24.01.20
DIE GRÜNEN
Strebl, Matthäus CDU/CSU 24.01.2002
Titze-Stecher, Uta SPD 24.01.2002
Türk, Jürgen FDP 24.01.2002
Dr. Wieczorek, SPD 24.01.2002
Norbert
Wiesehügel, Klaus SPD 24.01.2002
Zierer, Benno CDU/CSU 24.01.2002*
* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung des Europarates
entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlagen zum Stenographischen Bericht
Anlage 2
Erklärung
des Abgeordneten Walter Kolbow (SPD) zur
Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes
zur Sicherung betrieblicherBündnisse fürArbeit
(Drucksachen 14/6548 und 14/7362)
Mein Name erscheint nicht in der Liste der Namentli-
chen Abstimmung.
Mein Votum lautet: Nein.
Anlage 3
Erklärung
des Abgeordneten Reinhold Strobl (Amberg)
(SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines
Gesetzes zur Sicherung betrieblicher Bündnisse
für Arbeit (Drucksachen 14/6548 und 14/7362)
In der Abstimmungsliste ist mein Name unter „Ja“ auf-
geführt.
Mein Votum lautet: Nein.
Anlage 4
Erklärungen nach § 31 GO
der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig
und Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN) zur Abstimmung über den Antrag: Für
eine haushaltsrechtlich saubere Finanzierung
und langfristig gesicherte Beschaffung des
zukünftigen Lufttransportflugzeuges der Bun-
deswehrA400M (Zusatztagesordnungspunkt 14)
Wir stimmen dem Antrag zur Beschaffung des Trans-
portflugzeuges Airbus 400 ausschließlich aus Gründen
der Koalitionsgeschlossenheit zu. Inhaltlich hat uns die
Bundesregierung nicht von der Notwendigkeit der An-
schaffung von insgesamt 73 Flugzeugen überzeugen kön-
nen. Unstrittig ist für uns der im Bundeshaushalt 2002
vorgesehene Erwerb von 40 Flugzeugen für die zukünfti-
gen Aufgaben der Bundeswehr.
Die verteidigungspolitische Notwendigkeit des Er-
werbs von 73 Maschinen, die die Transportkapazität der
Bundeswehr gegenüber heute vervierfachen würde,
konnte die Regierung aber nicht ausreichend begründen.
Im Gegenteil: Wir sehen mit großer Sorge, dass andere für
die Reform der Bundeswehr in den nächsten Jahren not-
wendige Investitionen nicht realisiert werden können,
wenn heute eine unangemessen hohe Mittelbindung ein-
seitig zugunsten von Transportfunktionen vorgenommen
wird.
Auch die industriepolitische Begründung erscheint uns
nicht ausreichend. Andere europäische Länder haben ihre
Kontingente gegenüber früheren Zusagen erheblich ver-
ringert. Der kalkulierte Mehraufwand von 3,5 Milliarden
Euro für die Anschaffung von insgesamt 73 Maschinen ist
den deutschen Steuerzahlern gegenüber nicht zu rechtfer-
tigen, zumal kommende Preissteigerungen und techni-
sche Änderungen noch nicht einkalkuliert sind. Es ist eine
ähnliche Kostenexplosion wie beim Eurofighter zu be-
fürchten, dessen Beschaffungskosten sich innerhalb von
vier Jahren von 12 auf 23 Milliarden DM fast verdoppelt
haben. Auch werden für die Transportflugzeuge in den
nächsten Jahrzehnten erhebliche Betriebskosten anfallen,
die zusätzliche Mittel aus dem Verteidigungshaushalt bin-
den. Vor diesem Hintergrund hat auch der Bundesrech-
nungshof in seinem Bericht vom 12. Oktober 2001 die ge-
plante Beschaffung scharf kritisiert.
Haushaltsrechtliche Bedenken gegen den Antrag ha-
ben wir nicht. Der Antrag ist eine deutliche Absichtser-
klärung des Parlaments zum Erwerb der 73 Transport-
flugzeuge, aber keine dezidierte Rechtsverpflichtung. Die
endgültige Entscheidung hat der nächste Bundestag zu
fällen.
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung der Großen Anfrage: Sicherung
der Zukunft der Vereine durch wirtschaftliche
und bürokratische Entlastung – Erhöhung der
Gestaltungsmöglichkeiten und Freiräume (Ta-
gesordnungspunkt 9)
Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Was für eine
Anstrengung muss es wohl gewesen sein, eine Große An-
frage so kleinkariert zu formulieren. Die CDU/CSU hat
durch ihre rückwärts gerichteten Fragen die Vereine
zurückgeworfen und reduziert. Statt über die Ursachen
der dramatischen Erosion fast aller Großorganisationen in
Deutschland seit 20 Jahren nachzudenken, lenkt die CDU
mit ihren Fragen auf einige im Wesentlichen uralte
Rechts- und Finanzierungsfragen und vergisst dabei so-
gar, dass einige dieser alten Probleme in jüngster Zeit von
der Regierung Schröder erfolgreich gelöst wurden. Wer
fragt ist stark, und wer fragt, führt, sollte man zumindest
meinen.
Aber schauen wir uns das Trauerspiel hinsichtlich der
Struktur der fast 60 Einzelfragen der CDU-Fraktion ein-
mal genauer an (Tabelle Seite 21063).
Wir sehen 18 Fragen zu 630-DM-Jobs, 9 Fragen zu
Steuerprüfung, Steuern, 8 Fragen zur Übungsleiterpau-
schale, 7 Fragen zu Rechtsvorschriften, 3 Fragen zum
Durchlaufspendenverfahren. Etwas Statistik und Öko-
steuer dürfen natürlich auch nicht fehlen. Die Antworten,
die wichtig sind für die Zukunftsfähigkeit der Vereine
oder – wer ihre gesellschaftliche Einbettung richtig ver-
steht – für die Zukunftsfähigkeit bürgerschaftlichen En-
gagements, sind mit solchen Fragen nicht zu finden.
Ich vermisse in der Großen Anfrage Anregungen zu
den Themenkomplexen Stiftungen, Einrichtungen der
freien Wohlfahrtspflege, Krankenhäuser und Gesundheits-
einrichtungen in freier Trägerschaft, gemeinnützige
GmbHs und ähnliche Gesellschaftsformen, Wirtschafts-
und Berufsverbände, Gewerkschaften, Verbraucherorga-
nisationen, Selbsthilfegruppen, Bürgerinitiativen, Um-
weltschutzgruppen, staatsbürgerliche Vereinigungen.
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(B)
Ich möchte gerne an dieser Stelle Dr. Michael Bürsch,
den Vorsitzenden der Enquete-Kommission „Zukunft des
Bürgerschaftlichen Engagements“ zitieren und lehne
mich imWeiteren an seineAusführungen bei einer Veran-
staltung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte
und der Gesellschaft für Sozialen Fortschritt e.V. an, denn
seineAusführungen führen zu tief greifenden Erkenntnis-
sen. Bürgergesellschaft beschreibt die Vielfalt von Verei-
nen, Initiativen und Assoziationen, die sich – gewisser-
maßen zwischen Markt und Staat – in selbst organisierter
Form für gesellschaftliche Anliegen einsetzen. Darüber
hinaus hat der Begriff „Bürgergesellschaft“ eine for-
dernde, utopische Komponente: Er meint nicht weniger
als den Entwurf eines „neuen Gesellschaftsvertrags“. In
dieser Vision werden die demokratischen und sozialen
Strukturen durch die aktiv handelnden, an den gemein-
schaftlichen Aufgaben teilnehmenden Bürgerinnen und
Bürger mit Leben erfüllt, verändert und auf zukünftige ge-
sellschaftliche Bedürfnisse zugeschnitten. Bürgerschaft-
liches Engagement ist dann mehr als nur ein Oberbegriff
für alles das, was man auch Ehrenamt, Freiwilligenarbeit
oder noch anders nennen könnte. Bürgerschaftliches En-
gagement ist öffentliche, auf das politische Gemeinwesen
bezogene Tätigkeit, der Motor und die Aktivität, die eine
Gesellschaft zu einer Bürgergesellschaft macht“. Zwi-
schen bürgerschaftlichem Engagement und Sozialstaat
besteht eine enge wechselseitige Beziehung. So können
die unterschiedlichen Formen bürgerschaftlichen Engage-
ments in ihrer Entfaltung durch sozialstaatliche Institutio-
nen und Interventionen behindert oder gefördert werden.
Umgekehrt sind viele Leistungen des Sozialstaates erst
durch private Initiative und Engagement entwickelt und
später in staatliche Trägerschaft übernommen worden.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts steht der Sozialstaat
vor großen Herausforderungen. Während eine zahlen-
mäßig stärkere ältere Generation und viele Arbeitslose auf
Sozialleistungen angewiesen sind, geht die Zahl der Bei-
tragszahler zurück. Das Resultat: Finanzierungsschwie-
rigkeiten und eine Diskussion, die vor allem um Kosten-
senkungen und Leistungskürzungen kreist. Die Frage,
wie viel Sozialstaat wir uns in Zukunft noch leisten kön-
nen, scheint mir – zumindest aus Sicht des bürgerschaft-
lichen Engagements – jedoch zu kurz gegriffen und falsch
gestellt. Spricht man nur über mehr oder weniger Staat,
gerät nämlich die Stärkung der Bürgergesellschaft immer
in den Verdacht, einer Flucht des Staates aus seiner sozia-
len Verantwortung Beihilfe zu leisten. Bürgerengage-
ment, so die Kritik, ist dann nur eine hübsche Verpackung,
die den hässlichen Inhalt kaschieren soll: Einsparungen,
Privatisierung, soziale Leistungen nur noch für diejeni-
gen, die es sich leisten können.
Eigeninitiative aus Not ist ein Notfall. Es gibt viele
Menschen in unserer Gesellschaft – Flüchtlinge, Obdach-
lose, Suchtkranke –, die auf bürgerschaftliches Engage-
ment angewiesen sind. Aber ein solches Engagement aus
einem Mangel heraus kann keine soziale Gerechtigkeit für
alle schaffen – es sollte eher als Alarmzeichen verstanden
werden, das auf einen Bereich aufmerksam macht, in dem
es nicht zu viel, sondern zu wenig Sozialstaat gibt.
Ich sage in aller Deutlichkeit: Das Programm der FDP,
die Bürgergesellschaft dort zum Ausfallbürgen zu ma-
chen, wo staatliche Aufgaben nicht an private Anbieter
delegiert werden können, geht nicht auf: Bürgerengage-
ment braucht Förderung und Infrastruktur, die nur der
Staat leisten kann.
Wenn wir den Sozialstaat mithilfe der Bürgergesell-
schaft reformieren wollen, geht es nicht um mehr oder
weniger Staat, sondern um die Frage: Wer kann die sozia-
len Leistungen, die wir wollen, am besten erbringen? Es
geht darum, mithilfe von bürgerschaftlichem Engagement
die Qualität sozialer Leistungen zu verbessern. Es müssen
dabei nicht alle soziale Leistungen allein vom Staat er-
bracht werden. Wer kann eine Leistung am besten erbrin-
gen: der Markt, der Staat oder Netzwerke gegenseitiger
Hilfe? Auch Kombinationen sind denkbar und wün-
schenswert. Der Staat trägt dafür Sorge, dass eine be-
stimmte Leistung bereitgestellt wird – wie das passiert,
die „Durchführungsverantwortung“, muss dagegen nicht
unbedingt beim Staat liegen.
Was ist nun aber die besondere Qualität bürgerschaft-
lichen Engagements, die die soziale Versorgung ge-
genüber dem professionellen, staatlich organisierten
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002 21063
(C)
(D)
(A)
(B)
Thema Fragen Nr.
Anzahl Vereine Mitglieder 1 bis 4 Antwort wäre Bürokratie für Vereine
630 DM (Geringfügige Beschäftigung) 5 und 6 Konsequenzen der Abschaffung
Rechtsvorschriften 7 bis 13 Auch auf den Geschädigten achten
630 DM (Geringfügige Beschäftigung) 14 bis 27 Endlich
Ökosteuer 28 und 29 Typisch
Übungsleiterpauschale 30 bis 32 Kosten spielen keine Rolle
630 DM (Geringfügige Beschäftigung) 36 Etwas ganz Neues
Steuerliche Freigrenzen 37 bis 39 Allgemeiner Wettbewerb, Gastronomie
Wertschöpfung 40 und 41 Reduktion auf Monetäres
Durchlaufspendenverfahren 43 bis 45 Erledigt auf Wunsch der Vereine
Steuerprüfung, Steuern 47 bis 51 Im Regelfall kein Problem
Nichtverfügbarkeitsregelung AfG 52 In Arbeit
Übungsleiterpauschale 53 bis 57 Es geht immer nur ums Geld
Maßnahmen seit 1998, Pläne 58 und 59 Zurückhaltung wegen Enquete-Kommission
Sozialsystem verbessert? Ein Beispiel für das, was ich
meine, ist die Selbsthilfe. Selbsthilfegruppen vermitteln
Wissen und Kompetenzen, schaffen Kontakte zwischen
Betroffenen und vertreten deren Interessen. Der Übergang
von der bloßen Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe zum
bürgerschaftlichen Engagement ist fließend: Die erwor-
benen Kompetenzen an andere Betroffene weiterzugeben,
selbst Veranstaltungen zu organisieren, ist ein nahe lie-
gender Schritt.
Bürgerschaftliches Engagement im Sozialen ist kein
Lückenbüßer. Die Engagierten machen Ansprüche gel-
tend, üben häufig auch berechtigte Kritik am professionel-
len Hilfesystem und tragen durch ihren Einsatz zu seiner
Verbesserung bei. Dazu bleibt festzuhalten: Sozialpolitik
in der Bürgergesellschaft orientiert sich an den Möglich-
keiten der Menschen: Sie stärkt ihre Netzwerke und er-
möglicht Selbsthilfe. Eine solche Sozialpolitik wird auf
die besondere Qualität bürgerschaftlichen Engagements,
auf die Freiwilligkeit und die Kompetenz bürgerschaftlich
engagierter Menschen zurückgreifen, um nah an den Be-
troffenen zu sein und soziale Leistungen bedarfsgerecht
zu gestalten. Damit verändert sich auch das Verhältnis
zwischen Sozialstaat und Individuum. Der Einzelne ge-
winnt dabei eine Bedeutung, die über die Rolle des Nut-
zers sozialstaatlicher Institutionen weit hinausgeht – eine
Aufwertung jenseits einer monetären Betrachtung, die
nicht zuletzt Ergebnis gewachsener Kompetenzen der
Menschen in den letzten Jahrzehnten ist. Eigenbeiträge
einzufordern, setzt ein entsprechendes Vermögen voraus,
das wiederum gefördert werden muss.
Ich bin davon überzeugt, dass die Förderung bürger-
schaftlichen Engagements eine der zentralen politischen
Zukunftsaufgaben sein wird. Meiner Ansicht nach gibt es
drei Gründe für die Politik, bürgerschaftliches Engage-
ment stärker und nachhaltiger als bisher zu fördern, ob-
wohl ich betonen will, dass die rot-grüne Bundesregie-
rung schon viele wichtige Initiativen bereits auf den Weg
gebracht hat.
Erstens. Viele Menschen sind prinzipiell bereit und da-
ran interessiert, sich zu engagieren. Einige werden durch
ihre Lebenssituation daran gehindert, aber viele geben auch
die Rahmenbedingungen als Grund an. Dieses schlum-
mernde Potenzial durch Anreize und Ermöglichung zu
wecken, ist eine Aufgabe politischer Engagementförde-
rung.
Zweitens. Teilhabe am politischen Gemeinwesen. Mit
den Bürgerrechten, der Grundlage unserer Demokratie, ist
so etwas wie ein „Recht auf bürgerschaftliches Engage-
ment“ verbunden. Gleiche Teilhabechancen für alle zu er-
möglichen und gerade das Engagement von Benachteilig-
ten besonders zu unterstützen, ist die zweite Aufgabe und
Leitlinie politischer Engagementförderung.
Drittens. Menschen, die sich engagieren, brauchen An-
erkennung. Ziel der Engagementförderung ist eine An-
erkennungskultur mit sehr unterschiedlichen Elementen:
Ehrungen und symbolische Aufmerksamkeiten, Mitge-
staltungs- und Fortbildungsmöglichkeiten. Außerdem
darf ein Engagement nicht zu Nachteilen führen: Schutz
und Nachteilsausgleich für Engagierte sind Voraussetzun-
gen für eine gesellschaftliche Anerkennungskultur. Die
Förderung bürgerschaftlichen Engagements, das ist die
Konsequenz, kann die soziale Absicherung durch Er-
werbsarbeit nicht ersetzen: Bürgerengagement kann aber
eine Brücke in die Erwerbsarbeit sein. Lassen sie mich das
am Beispiel des dritten Systems deutlich machen.
Drittes System, dritter Wirtschaftssektor, Sozialwirt-
schaft? Verwirrende Begriffsvielfalt für ein einfaches
Wundermittel gegen Arbeitslosigkeit. Weder die kapitalis-
tische Privatwirtschaft als erstes System, trotz traumhaf-
ter Steuersenkungen, noch hervorragende Anstrengungen
der öffentlich-rechtlichen Wirtschaft als zweites System
(siehe ABM) sind in der Lage, Arbeitslosigkeit, soziale
Ausgrenzung und Armut zu überwinden. Erstens hat eine
nationale, stark exportabhängige Wirtschaft keine
Chance, internationale Wachstumseinbrüche, wie etwa in
den USA, ausreichend zu kompensieren, zweitens finden
selbst unter optimalen Bedingungen viele Menschen im
Spannungsfeld von Markt und Staat keine dauerhafte Ar-
beit. So bildeten sich viele weitere Formen selbst organi-
sierter wirtschaftlicher Tätigkeit, die insbesondere das
Gemeinwesen im Blick haben: das dritte System. Sozial-
wirtschaftliche Betriebe bilden ein stetig größer werden-
des Segment im dritten System. Oft sind das erfolgreiche
Start-ups, Unternehmen der 80er- und 90er-Jahre. Sie ba-
sieren auf bürgerschaftlichem Engagement, sind kollektiv
getragen, agieren gleichwohl unternehmerisch gewinn-
orientiert und die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen er-
wirtschaften ein persönliches Einkommen. Das Beson-
dere ist: Sie arbeiten nicht für individuellen Profit.
Jeglicher Gewinn wird reinvestiert, um Leistungsminde-
rungen der Mitarbeiter auszugleichen. Es sind also keine
Non-Profit sondern Not-for-Profit-Unternehmen. Hier
entsteht soziales Kapital. So verbinden diese Unterneh-
men wirtschaftliches Handeln mit sozialer Zielsetzung,
das heißt vor allem, dass hier Menschen normal entlohnte
Arbeit finden, die im ersten und zweiten Wirtschaftssys-
tem als nicht ausreichend leistungsfähig ausgegrenzt
wurden und deshalb langzeitarbeitslos waren. Soziale Un-
ternehmen sind damit eine innovative, wirtschaftliche
Form des bürgerschaftlichen Engagements und gesell-
schaftlicher Sozialpolitik, die mehr Aufmerksamkeit ver-
dient. Während im Neuen Markt oft Kapital vernichtet
wird, entsteht hier neues, soziales Kapital.
Ich sehe hier eine sozial- und beschäftigungspolitisch
sehr lohnende Aufgabe, sich in dieser und vor allem in der
nächsten Legislaturperiode ausführlicher mit diesem
Konzept zu befassen. Denn die Ressourcen des dritten
Systems sind noch lange nicht ausgeschöpft. Die Rah-
menbedingungen für soziale Unternehmen können noch
verbessert werden, sodass neue Arbeitsplätze entstehen.
Als anschauliches Beispiel möchte ich die 1984 ge-
gründete Werkstatt GmbH in Heidelberg empfehlen, die
sich auf prozessorientiert geplanten Spielplatzbau spezia-
lisiert hat. Die Anerkennung und der Schutz freiwillig en-
gagierter Bürgerinnen und Bürger müssen andere Wege
gehen als der Sozialstaat mit seiner Verbindung von Er-
werbsarbeit, Beitragszahlung und Leistungsanspruch. Es
gibt keinen Grund, für die Zukunft des bürgerschaftlichen
Engagements schwarz zu sehen. Aber es gibt einiges zu
tun: Die Enquete-Kommission wird etliche Vorschläge
zur Verbesserung der Rahmenbedingungen machen, die
Bedeutung bürgerschaftlichen Engagements in der Gesell-
schaft sichtbar zu machen. Das ist aber nur der Anfang –
der Anfang einer nachhaltigen Förderung, einer lebendi-
gen Anerkennungskultur und der Anfang eines Aufbruchs
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 200221064
(C)
(D)
(A)
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in die Bürgergesellschaft. Die Zukunft des bürgerschaftli-
chen Engagements hat gerade erst begonnen. Wir alle
können einen Beitrag dazu leisten. Diese Gedanken – in
enger Anlehnung an Michael Bürsch – zeigen, warum die
CDU mit ihrer Großen Anfrage von der Zukunft unserer
Vereine unendlich weit entfernt ist.
Die Bundesregierung hat in kurzer Zeit erhebliche
Verbesserungen in Bezug auf die steuerlichen Rahmenbe-
dingungen für gemeinnützige Vereine und für ehre-
namtliche Betätigung erreicht. Bei den Verbesserungen
handelt es sich zum Teil um zentrale Forderungen der
gemeinnützigen Vereine und Dachorganisationen, die zu-
vor viele Jahre erfolglos verfolgt wurden. Anschließend
werden einige dieser konkreten Verbesserungen vorgetra-
gen: Überarbeitung des Spendenrechts. Dabei vor allem
Verzicht auf das Durchlaufspendenverfahren als Voraus-
setzung für den steuerlichen Abzug von Spenden.
Mitgliedsbeiträge sind an wesentlich mehr Vereine als
früher steuerlich abziehbar. Anhebung der so genannten
Übungsleiterpauschale § 3 Nr. 26 EstG von 2400 DM auf
3600 DM und Umwandlung von einer Aufwandspau-
schale in einen Freibetrag. Ausweitung des begünstigten
Personenkreises auf nebenberufliche Betreuer, Ver-
besserung der Möglichkeit, ohne Verlust der Gemein-
nützigkeit Mittel einer dauerhaften Rücklage zu führen.
Gemeinnützige Körperschaften dürfen jetzt jährlich ein
Drittel ihres Überschusses aus der Vermögensverwaltung
und darüber hinaus bis zu 10 Prozent ihrer sonstigen zeit-
nah zu verwendenden Mittel in einer freien Rücklage
führen – siehe § 58 Nr. 7a AO. Erhebliche Ausweitung der
Höchstgrenze für den Abzug von Zuwendungen an
gemeinnützige Stiftungen. Grundsätzlich 40 000 DM im
Jahr zusätzlich, bei Zuwendungen an neu errichtete
Stiftungen 600 000 DM. Der steuerpflichtige Gewinn aus
Werbung bei kulturellen, sportlichen und anderen Ver-
anstaltungen, die ein Zweckbetrieb sind, wird ab dem Ver-
anlagungszeitraum 2000 auf Antrag der Vereins pauschal
mit 15 Prozent der Werbeeinnahmen angesetzt – siehe
neuer § 64 Abs. 6 AO. Bisher gab es nur eine Betriebs-
aufwandspauschale der Finanzverwaltung von 25 Prozent
der Einnahmen. Die gemeinnützigen Vereine mit steuer-
pflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben profi-
tieren von der Herabsetzung des Körperschaftsteuersatzes
von bisher 40 Prozent auf jetzt – ab 2001 – 25 Prozent
durch das Steuersenkungsgesetz.
Dies ist ein sehr guter Anfang für Erneuerungen bzw.
Verbesserungen der Bundesregierung, die sich positiv auf
den dritten Sektor, also Ehrenamt bzw. bürgerschaftliches
Engagement, auswirken.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Ausgleich für die nu-
klearen Entsorgungsstandorte Gorleben und
Salzgitter (Schacht Konrad) in Niedersachsen
und Morsleben in Sachsen-Anhalt (Tagesord-
nungspunkt 11)
ArneFuhrmann (SPD): IhrZiel,HerrGrill, ist es doch,
die Bundesregierung heute dazu zu bewegen, durch Geld-
zuwendungen nach Gorleben die regionale Zustimmung
zum Endlager zu sichern, die weitere Arbeit des AK-End-
lager damit bundesweit zu erschweren und dann mit dem
Finger auf die rot-grüne Koalition zu zeigen nach dem
Motto: „Die habendas zu verantworten!“ Sogeht das nicht.
Wenn endgültige Entscheidungen getroffen sind, wer-
den wir gemeinsam auch über Ausgleichs- oder Entschä-
digungszahlungen zu reden haben.
Ausgleichszahlungen, die der Bund jetzt für den ehe-
mals geplanten und nun mit einem Moratorium versehe-
nen Endlagerstandort Gorleben erbringen würde, er-
schwerten die Verhandlungen zwischen Bund und
Ländern und die damit verbundene Suche nach geeigne-
ten und durchsetzbaren Standorten. Durch Ausgleichs-
zahlungen im Sinne von Herrn Grill schaffen wir im Zu-
sammenhang mit Gorleben Fakten, und das wird mit uns
nicht zu machen sein.
Es ist vollkommen unstrittig, dass die Atomanlagen in
Gorleben eine Belastung für die Region darstellen. Aller-
dings ist die Region vom Grunde her als strukturschwach
einzuordnen. Aber die Einwerbung von Strukturförder-
mitteln für den Landkreis Lüchow-Dannenberg, die auch
über einen Förderfonds abgewickelt werden könnten, sind
als Strukturfördermaßnahme für die Region, nicht aber als
Ausgleich ausschließlich für Gorleben notwendig und er-
forderlich.
Lassen Sie mich zur Verdeutlichung dieses von Herrn
Grill initiierten Antrages noch einige Anmerkungen aus
der jüngsten Vergangenheit machen. 1994 hat der Land-
kreis Lüchow-Dannenberg letztmalig „Gorlebengelder“
erhalten. Der damalige Kreistag hat aus guten Gründen
keine „Ausgleichszahlungen“ mehr beantragt. Es wurde
von der damaligen Regierung aber auch nichts mehr an-
geboten! Wer hat denn damals regiert? 1996 hat der Kreis-
tag die bis dahin unter der Federführung von Herrn Grill
arbeitende „Gorlebenkommission“ aufgelöst und die
CDU-regierte Samtgemeinde Gartow versuchte, unter der
Bezeichnung „Gorleben-Forum“ Herrn Grill weiterhin
eine Plattform als Lobbyist für den Standort Gorleben zu
bieten.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Die CDU/CSU ver-
weist in ihrem Antrag auf die Entsorgungsbeschlüsse von
1980, zu denen sie unverändert steht. Sie nehmen damit
weder die Atomnovelle und das damit geänderte Entsor-
gungskonzept – dem im Übrigen auch der Bundesrat zu-
gestimmt hat – noch den Entschließungsantrag vom De-
zember 2001 und die laufenden Arbeiten des AK-End zur
Kenntnis.
Der nationale Entsorgungsplan kann natürlich auch
Hilfen für die zu erkundenden Standorte vorsehen. Aber
es ist verfrüht, jetzt darüber zu entscheiden; denn weder
Anzahl noch Standorte von möglichen Endlagern stehen
zurzeit zur Debatte. Das Sprichwort „Mit Speck fängt
man Mäuse“ kann dann angewendet werden, wenn end-
gültige Regelungen getroffen sind. Allerdings heißt es
dann wohl eher: „Mit Mäusen macht man Speck!“
Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Die Koalition
wird durch das in Kürze in Kraft tretende neue Atomge-
setz, Gesetz zur Beendigung der Atomenergieversorgung,
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002 21065
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(B)
einen geordneten Ausstieg aus der Atomkraft einleiten.
Das bedeutet auch ein geordnetes Verfahren für die End-
lagerung. Im dazugehörigen Atomkonsens ist festgelegt,
dass es nur ein Endlager für alle atomaren Abfälle geben
wird. Das kann und wird Konrad nicht sein, weil dieses
Endlager nur für bestimmte Abfall-Kategorien erforscht
worden ist.
Das Konrad-Verfahren wird rechtmäßig abgewickelt.
Wer für eine nicht rechtmäßige Verfahrensabwicklung
eintritt, muss mit Schadensersatz-Leistungen im Umfang
von bis zu 0,8 Milliarden Euro rechnen. Das macht nie-
mand mit, jedenfalls nicht in der Koalition.
Der Termin dafür ist noch offen. Wenn in einem Plan-
feststellungsbeschluss die Eignung für nicht wärmeent-
wickelnde Abfälle festgestellt werden sollte, beginnen die
von vielen Beteiligten vereinbarten Klageverfahren.
Durch die Zusicherung, dass im Verfahren kein sofortiger
Vollzug angeordnet wird, haben die Klagen aufschie-
bende Wirkung. Also gibt es bis zur endgültigen Rechts-
kraft keine Einlagerung.
Übrigens: Wenn durch eine CSU-geführte Bundesre-
gierung dieser sofortige Vollzug wieder hergestellt wer-
den würde, würden nach einem positiven Planfeststel-
lungsbeschluss die Atommülltransporte nach Salzgitter
sofort rollen – Viel Spaß!
Die bis 1996 gezahlten Ausgleichsleistungen hatten
mit Blick auf die damalige Phase des Erkundungs- und
Forschungsbeginns einen Sinn. Damals waren nämlich
tatsächlich schon für diese Phase zusätzliche Infrastruk-
turaufgaben durch die Standortkommune zu lösen. Zah-
lungen in dieser Zeit sind nur geeignet, den Eindruck zu
erwecken, als hätte man das Projekt Konrad akzeptiert
oder man ließe es sich „abkaufen“. Unabhängig davon,
dass Salzgitter jeden Euro gut gebrauchen könnte, gibt es
objektiv zurzeit keine Sonderlasten, die mit Konrad zu-
sammenhängen.
CDU und CSU wollen mit dem Antrag spalten und nur
von ihrer eigenen Schwäche und Zerstrittenheit ablenken.
Kandidat Stoiber hat erklärt, er wolle den Atomkonsens
und damit den Ausstieg aus der Atomenergie rückgängig
machen. Die CDU in Salzgitter hat in ihren Reihen zahl-
reiche Konrad-Befürworter. Die Heuchler und Pharisäer
stellen Anträge, die nur Ablenkungscharakter besitzen.
Warum hat man denn nach Auslaufen der damaligen
Ausgleichszahlungs-Phase 1996 mit der seinerzeitigen
CDU/CSU/FDP-Mehrheit keine Fortsetzung vorgenom-
men? Auch gegen den nicht nachgewiesenen Willen einer
damaligen SPD-geführten Landesregierung hätte sich die
1996 bis 2001 CDU-geführte Stadt damals sicher über
eine entsprechende Initiative gefreut.
Unabhängig von dem kleinkarierten CDU/CSU-Kram
arbeiten Regierung und Koalition in speziell dafür einge-
richteten Arbeitsgruppen intensiv an einem neuen, lang-
fristig tragenden Endlager-Konzept. Dabei werden wir
aktiv und fachkundig von vielen Experten begleitet, so-
dass mit Zwischenergebnissen bald zu rechnen ist.
Das Beste für Salzgitter wäre es, Konrad nicht in Be-
trieb zu nehmen. Erst wenn das nicht zu verhindern wäre
– was unwahrscheinlich ist –, wären Ausgleichszahlungen
ein Thema.
Wer jetzt für Ausgleichszahlungen plädiert, hat den
Widerstand gegen eine Atommülllagerung im Schacht
Konrad längst aufgegeben. Also: Nicht mit uns!
Ina Lenke (FDP):Aufgrund von Vereinbarungen zwi-
schen Bund und Land Niedersachsen wurden bis 1996
dem Landkreis Lüchow-Dannenberg und speziell der Ge-
meinde Gorleben über viele Jahre hinweg Geld als Aus-
gleich für besondere Belastungen gezahlt. Diesen Aus-
gleichszahlungen – und der heutigen Forderung der
CDU/CSU-Fraktion – liegt der gleiche Grundsatz zu-
grunde: Immer wenn der Bund einzelnen Gemeinden oder
Ländern besondere Aufgaben im gesamtstaatlichen Inte-
resse zuweist, muss es einen Ausgleich geben.
Wir Liberale vertreten den Standpunkt, dass die Kom-
munen nicht allein gelassen werden dürfen. lm Falle der
vorhandenen atomaren Entsorgungsanlagen (Morsle-
ben/Sachsen-Anhalt), im Planfeststellungsverfahren be-
findlichen Anlagen (Schacht Konrad/Salzgitter) und in
Diskussion befindlichen Anlagen (Gorleben/Lüchow-
Dannenberg) handelt es sich um Verpflichtungen, die von
einer Kommune im Interesse der Volkswirtschaft insge-
samt wahrgenommen werden. Die Gemeinden – das ist
offenkundig – haben besondere Belastungen, weil die
zum Teil gewalttätigen Auseinandersetzungen um Kern-
energie ein friedliches Gemeindeleben schwer machen.
Speziell in Lüchow-Dannenberg gibt es erhebliche Be-
einträchtigungen in Bezug auf touristische und wirt-
schaftliche Entwicklungsmöglichkeiten. Das Straßennetz
und die öffentliche Infrastruktur sind besonderen Belas-
tungen unterworfen.
Von der FDP-Kreistagsfraktion wurde bereits im letz-
ten Jahr ein Antrag an den Kreisausschuss des Kreistages
Lüchow-Dannenberg gestellt, der zum Inhalt hat, dass der
Landrat des Landkreises Lüchow-Dannenberg alle recht-
lichen und tatsächlichen Aktivitäten entfalten soll, um die
so genannten Gorleben-Gelder einzubringen. Damit sol-
len die Belastungen, die der Landkreis Lüchow-Dannen-
berg und die Gemeinde haben, verringert werden.
Es kann nicht darum gehen, zum Beispiel mit dem An-
trag der CDU/CSU sozusagen „durch die Hintertür“, zum
Beispiel im Fall Gorleben, eine Entscheidung über die
Eignung des Salzstocks und die Frage, ob Gorleben das
endgültige Endlager wird, vorwegzunehmen. Vielmehr
geht es darum, dass in diesem Stadium, in dem Belastun-
gen bereits auftreten, für Entlastungen zu sorgen ist. Im
Hinblick auf Belastungen reicht es, sich ein Bild in der Ta-
gespresse zu machen.
Es ist geradezu abenteuerlich, wie von Rot-Grün in Sa-
chen Gorleben argumentiert wird: Einerseits wird über die
Belastungen geklagt, andererseits werden aber finanzielle
Vereinbarungen zur Entlastung abgelehnt werden. Man
fühlt sich dadurch korrumpiert und glaubt, dass damit eine
vorweggenommene Zustimmung zu einer endgültigen
Entscheidung für das Endlager Gorleben verbunden sei.
Lieber will man vorsätzlich eine Verschlechterung der
wirtschaftlichen Situation ertragen, als auch nur den
Anschein einer Zustimmung zur Sache zu geben.
Völlig unabhängig von der Diskussion um die künftige
Nutzung der Kernenergie hält, wie Sie wissen, die FDP
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unter Klimaschutz-Gesichtspunkten die rot-grüne Aus-
stiegspolitik für kontraproduktiv. Wir sehen uns in dieser
Argumentation sowohl durch den Bundeswirtschaftsmi-
nister Müller mit seinem Energiebericht als auch durch
die Europäische Kommission in unserer Meinung be-
stärkt. Aber unabhängig davon entspricht es unserer libe-
ralen Grundauffassung, dass dann, wenn Einzelne eine
besondere Last im Auftrag der Allgemeinheit wahrneh-
men, sie dafür Entlastung erhalten sollen.
Deshalb findet der vorliegende Antrag die ausdrückli-
che Unterstützung der FDP-Fraktion.
Eva Bulling-Schröter (PDS): Im Antrag des Kolle-
gen Kurt-Dieter Grill und der CDU/CSU-Fraktion wer-
den finanzielle Zuwendungen für Kommunen gefordert –
Kommunen um die nuklearen Entsorgungsstandorte Gor-
leben, Salzgitter und Morsleben. Auch wir stehen einem
Nachteilsausgleich grundsätzlich nicht ablehnend gegen-
über, sofern tatsächliche Belastungen und erwartete Auf-
wendungen begründet werden können. Die Einstellung
dieser Mittel für die Betroffenen müsste dann verlässlich
und planbar erfolgen. Der Antrag der Union ist jedoch
schlecht begründet und sagt nicht einmal etwas über die
Höhe aus. Es findet sich auch kein Vorschlag für ein Ver-
fahren, das in öffentlicher und transparenter Weise die
möglichen Nachteile feststellen und regionale Entwick-
lungsperspektiven aufzeigen könnte.
Schon beim ersten Lesen des Antrages fällt auf, dass
Kommunen um das Versuchsendlager ASSE II bei Wol-
fenbüttel nicht aufgeführt sind. Dieses Versuchsendlager
des Bundes wird im ganzen Antrag nicht einmal genannt.
Diese Flüchtigkeit setzt sich fort. Im letzten Spiegel-
strich wird versucht, die Notwendigkeit eines „besonde-
ren Ausgleichsfaktors für die Entsorgungsstandorte Gor-
leben und Salzgitter“ damit zu begründen, dass „die
Erzeugung von Energie aber ebenso wie deren Verbrauch
eine gesamtgesellschaftliche Dimension hat“ – hört, hört –,
„deren Folgen auf alle Beteiligten umzulegen“ sei. Bei der
Stromliberalisierung haben Sie das nicht so gesehen.
Übrigens noch ein interessanter Fehler: Bei diesem
letzten Spiegelstrich, in dem es wie gesagt um den Aus-
gleichfaktor geht, wird der Oststandort Morsleben seltsa-
merweise nicht mehr genannt.
Auch die Gemeinden um das Versuchsendlager des
Bundes Asse II und um das Endlager für radioaktive Ab-
fälle Morsleben scheinen nach Auffassung der Union
nicht in das Bild der Standortgemeinden zu fallen, die
– so wörtlich – „nicht selten einen großen Imageverlust zu
erleiden“ haben. Ich frage Sie: Woher kommt der Image-
verlust? Ist er nicht begründet in Ihrer unsäglichen Atom-
politik? Es entsteht hier irgendwie der Eindruck, dass die
Akzeptanz dieser Politik vor Ort erkauft werden soll.
Der Konflikt in der Region Lüchow-Dannenberg zieht
sich über Jahre und wird immer bitterer. Und in Salzgitter
haben Bundes- und Landesregierung nicht nur Beleg-
schaften großer Betriebe, sondern auch die kommunale
Politik gegen sich. Die politischen und schließlich auch
die wirtschaftlichen Folgen eines jahrelangen Streits sind
nicht kalkulierbar.
Wir arbeiten derzeit an einem Antrag, um der Bundes-
regierung noch in dieser Legislaturperiode einen Vor-
schlag für ein besseres Verfahren zur Bewältigung der
Konflikte um die Endlagerung zu machen. Dabei werden
wir der Bundesregierung erneut nahe legen, die Standorte
Gorleben und Schacht Konrad aufzugeben und zurückzu-
führen.
Ein neues Verfahren zur Suche, Erkundung und Ein-
richtung eines Endlagers für derart problematische Stoffe
darf die Fehler und Defizite der Vergangenheit nicht wie-
derholen. Wir brauchen ein konfliktorientiertes Verfah-
ren, das über Jahrzehnte hinweg politisch und wissen-
schaftlich integer geführt wird, damit auch die
nachfolgende Generation etwas über unsere Beweg-
gründe in Erfahrung bringen kann. Das ist von großer
Wichtigkeit, weil wir nach den Erfahrungen mit Morsle-
ben und auch der Asse davon auszugehen haben, dass
Korrekturen am Konzept notwendig werden können.
Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit: Ihr Antrag, werte Kollegen
der Unionsfraktionen, ist eine Chuzpe, wie wir sie selten
hier im Hohen Haus auf dem Tisch haben. So hat man das
aufgeschrieben. Als Synonyme schlägt meine Textverar-
beitung für das Wort Chuzpe Begriffe wie Unverschämt-
heit, Geschmacklosigkeit oder Impertinenz vor. Egal,
welches Wort gewählt wird, jeder dieser Begriffe charak-
terisiert Ihren Antrag treffend.
Lassen Sie uns darüber schweigen, dass den Nieder-
sachsen seinerzeit 410 Millionen DM gezahlt wurden, da-
mit sie ein völlig ungenügendes und präjudizierendes Ver-
fahren akzeptieren. Die damalige Gorleben-Pauschale ist
von vielen Menschen im Wendland als Schmiergeld emp-
funden worden. Und schweigen wir über Ihre Begrün-
dung: „Da die Erzeugung von Energie aber ebenso wie
deren Verbrauch eine gesamtgesellschaftliche Dimension
hat, sind die Folgen auf alle Beteiligten umzulegen.“
Waren Sie es nicht, die jahrelang eine Entsorgungspo-
litik gemacht haben nach dem Motto: Der Süden darf
scheffeln, den Atommüll lassen wir in Gorleben, Ahaus
und Konrad? Waren Sie es nicht, die über Jahre im ein-
sturzgefährdeten Morsleben abgekippt haben? Damit
haben wir Schluss gemacht: Wir haben den Bau von Zwi-
schenlagern auf dem AKW-Gelände zur Auflage ge-
macht. Wir haben Morsleben geschlossen und begonnen,
notzuverfüllen Wir haben Wissenschaftler beauftragt, ein
Verfahren für eine gerechte Standortsuche zu entwickeln.
Das ist Lastenverteilung.
Nun aber treten Sie auf und tun so, als würden Sie die
Interessen der Menschen in Gorleben, Salzgitter und
Morsleben vertreten. Ist es nicht Ihr ehemaliger Finanz-
minister Waigel, der, als Anti-AKW-Gegner getarnt, den
Müll nicht in Gundremmingen, sondern in Gorleben zwi-
schenlagern will? Dafür sollen wir jetzt Geld aus dem
Bundeshaushalt zur Verfügung stellen? Das glauben Sie
doch nicht im Ernst!
Seit neuestem haben Sie ja einen Kanzlerkandidaten.
Der Herr Stoiber ist zwar seit jüngstem ein Anhänger der
Ökosteuer, in der Atomfrage aber hat er sein Damaskus
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noch nicht hinter sich gebracht. – Für die nicht so Bibel-
festen: Auf dem Weg nach Damaskus wurde der Saulus
zum Paulus. – Herr Stoiber hat angekündigt, bei einem
Wahlsieg den Ausstieg aus der Atomenergie rückgängig
machen zu wollen. Damit ist klar, um was es bei dieser
Wahl geht: Es geht um die Frage, ob die Uraltreaktoren
Stade und Obrigheim wirklich 2003 vom Netz gehen. Es
geht um die Frage, ob der deutsche Atommüll auch über
2005 hinaus weiter in die teure und die Nordsee ver-
schmutzende Wiederaufarbeitung transportiert werden
darf. Und es geht um die Frage, ob bayerischer, baden-
württembergischer oder hessischer Atommüll wieder in
Ahaus oder Gorleben entsorgt wird.
Weil die Menschen wissen, dass ihnen unter einem
Kanzler Stoiber neue nukleare Lasten drohen, werden Sie
auch keine Chance für diese Rolle rückwärts kriegen. Wir
haben die Vorfestlegung auf ein Endlager in Gorleben be-
endet. Wir geben den Einwänden der Bürgerinnen und
Bürger gegen Schacht Konrad rechtliches Gehör. Wir ha-
ben mit dem Atomkonsens die Menschen in Gorleben um
zwei Drittel und in Ahaus um fast 80 Prozent des dafür ge-
nehmigten Atommülls entlastet. Diese Entlastung können
Sie nicht mit Geld aufwiegen, schon gar nicht, wenn Sie
wieder in die Atomenergie einsteigen wollen.
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zurBeratung des Antrags: Umwelt- und Gesund-
heitsgefahren bei Goldgewinnung minimieren
Monika Griefahn (SPD): Unser Antrag, die Gesund-
heits- und Umweltgefahren bei der Goldgewinnung zu
minimieren, sind Stand aus einem Diskussionsprozess,
der Ende Januar 2000 nach der Katastrophe des Aurul
Goldbergwerks in Rumänien einsetzte.
In der Mediendemokratie, in der hauptsächlich Ereig-
nisse der westlichen Welt von Belang sind, ist das Gefühl
entstanden, als hätte es seither keine Probleme mit der
Goldgewinnung gegeben. Allein nach meiner Kenntnis
hat es in den letzten zwei Jahren mehr als 15 vergleich-
bare Unfälle bzw. Katastrophen gegeben. Allerdings wa-
ren diese hauptsächlich in Lateinamerika und in Afrika.
Auch vor Ort in Rumänien sind die Probleme alles andere
als gelöst. Es ist zu befürchten, dass sich mit der Schnee-
schmelze erneut eine vergleichbare Katastrophe ereignen
könnte.
Gold als Edelmetall ist ein Symbol, ein Symbol für Be-
ständigkeit, für Göttlichkeit. In der Menschheitstradition
hatte Gold immer eine besondere Bedeutung. Allerdings
ist auch die ganze Menschheitsgeschichte im Zusammen-
hang mit Gold mit Verbrechen verbunden, mit der Raff-
gier der Menschen, mit Mord an Eingeborenen, mit kata-
strophalen Umweltzerstörungen und damit Zerstörungen
von Lebensmöglichkeiten. In der Massengesellschaft, wo
immer breitere Schichten Gold erwerben konnten, wurde
Gold auch zum Massenprodukt. Je mehr Goldbedarf be-
steht, desto mehr wurden Goldgewinnungstechniken ent-
wickelt, die es ermöglichen, selbst normale Erde gewinn-
bringend als „Golderz“ zu nutzen. Die Goldgehalte in sol-
chen „Erzen“ liegen im Bereich von 1 Gramm pro Tonne.
Nur mit vielen Prozesschemikalien, insbesondere mit Na-
triumcyanid, kann das Gold herausgewaschen werden.
Die Gier nach Gold scheint dem Menschen innezu-
wohnen. Schon Goethe sagte dazu im „Faust“: „Nach
Golde drängt, am Golde hängt doch alles.“
Bei einer Bevölkerungszahl von 7 Milliarden Men-
schen auf der Erde ist die Goldgewinnung, wie sie jetzt
durchgeführt wird, in keinem Fall nachhaltig, in keinem
Fall erträglich und darf in keinem Fall so weitergeführt
werden. Um es Ihnen zu verdeutlichen: 2,5 Tonnen Gold,
die verwendet wurden, um den Menschen den leuchten-
den Glanz der D-Mark darzustellen, haben weit mehr
Müll verursacht, weit mehr an giftigen Schwermetallen in
die Umwelt gebracht, weit mehr an schädlichem Abraum
erzeugt, als die gesamte Hausmüllmenge der Bundesre-
publik in einem Jahr. Die sozialen Konsequenzen sind
ähnlich. Etwa 60 Prozent des Goldes, das weltweit ge-
wonnen wird, wird unrechtmäßig gewonnen, und zwar
von Land der eingeborenen Bevölkerung, was dieser
praktisch geraubt wird.
Etwa fünf Jahre lang werden Erd- und Gesteinsmassen
zerkleinert, auf Haufen aufgeschüttet und mit Natri-
umcyanid übergossen. Die goldhaltige Natriumcyanidlö-
sung wird aufgefangen, das Gold wird daraus gewonnen.
Dann werden diese so genannten Bergwerke stillgelegt
und die Menschen, die vor Ort gewohnt haben, bleiben
mit einer giftigen, gefährlichen Altlast zurück. Bei einem
Goldpreis von 250 bis 300 US-Dollar pro Feinunze ist
Umweltzerstörung praktisch zwangsläufig. Und immer
wieder sind deutsche Geldgeber, deutsche Banken an sol-
chen dubiosen Projekten beteiligt. Allein in der Türkei
gibt es Planungen und Tätigkeiten über mehr als 500 von
solchen umwelt- und sozialschädlichen Projekten.
Kann jemand überhaupt noch mit gutem Gewissen
Goldschmuck kaufen? Von der weltweiten Verwendung
des Goldes gehen etwa 80 Prozent in den Bereich
Schmuck. Goldbergbau wird auf Kosten der Allgemein-
heit weltweit subventioniert. Es gibt keinerlei verlässliche
Standards innerhalb der WTO.
Ist es jetzt notwendig, endlich eine Umweltabgabe und
Sozialabgabe auf Gold zu erheben oder eine Goldsteuer,
um die Umweltzerstörungen in den Ländern wieder aus-
gleichen zu können?
Die amerikanische Umweltbehörde hat den Bergbau
inzwischen als die schlimmste Quelle für Umweltzer-
störung identifiziert. In verschiedenen Bundesstaaten der
USA ist es zu massiven Einschränkungen und Verboten
im Goldbergbau gekommen. Umso mehr sind Dritte-
Welt-Länder bedroht. Was notwendig ist, haben wir in un-
serem Antrag aufgelistet. Es muss erreicht werden, dass
Umweltstandards, insbesondere im Bergbau und vor al-
lem im Goldbergbau etabliert werden. Es muss sicherge-
stellt sein, dass die besonders schädliche Haufenlaugung
mit Natriumcyanid endlich unterbleibt und es muss ge-
währleistet sein, dass Bergbauunternehmen wie Chemie-
unternehmen betrachtet werden. Ein solcher Bergbaube-
trieb, der etwa 5 bis 6 Tonnen Gold herstellt, verursacht
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dabei über 30 Millionen Tonnen an Abfall und benötigt
etwa 800 Tonnen Natriumcyanid. Wenn dies im offenen
Verfahren durchgeführt wird, ist das ein Verbrechen an
den Menschen und der Umwelt.
Wir haben vielfach unsere Umweltbelastungen damit
reduziert, dass wir schmutzige oder traditionell schmut-
zige Industrie in die südlichen Länder verlagert haben. Es
ist nicht notwendig, den Mars zu besiedeln, man braucht
nur nach Chile zu gehen, um dort, so weit das Auge reicht,
Zerstörungen durch Bergbau und dessen Folgen – Mond-
oder Marslandschaften – zu sehen.
Es muss Teil deutscher Außenpolitik sein, zu verhin-
dern, dass mit Geld oder mit Nachfrage aus Deutschland
Umwelt- und soziale oder kulturelle Verbrechen in Ent-
wicklungsländern begangen werden. So wie Kinder-
schänder bei uns belangt werden müssen, wenn sie sich
die Not der Menschen auf den Philippinen oder Thailand
zunutze machen, so müssen auch Umweltschänder an den
Pranger gestellt und verfolgt werden.
Wenn es uns wirklich darum geht, eine gerechte Welt-
wirtschaftsordnung zu schaffen, dann ist es besonders
wichtig, Standards zu schaffen, die umwelt- und gesund-
heitsverträglichen Bergbau ermöglichen. Fangen wir mit
dem Goldbergbau dabei an und machen dies zum Schwer-
punkt unserer Politik.
Vera Lengsfeld (CDU/CSU): Gold beeindruckt seit
Menschengedenken durch seine chemische Unangreif-
barkeit, seinen unablässigen Glanz und seine hinreißende
Zwecklosigkeit. Gold ist nicht nur das Metall der Könige
und der Reichen. Aus der heutigen Wissenschaft, For-
schung, Medizin und Technik ist Gold nicht mehr wegzu-
denken. Da gibt es Spezialgoldpulver zur Anwendung im
Rasterelektronenmikroskop, radioaktive Goldkolloidlö-
sungen zur Darstellung von Organen, mikroskopisch
feine Goldsonden für die Operation menschlicher Ge-
hirnbahnen. Gold wird in der Dentaltechnik gebraucht.
Mikrotechnik, Mikroelektronik und Raumfahrt können
auf Gold nicht verzichten. Was die Anwendungsmöglich-
keiten von Gold in der Mikrotechnik von morgen betrifft,
kann man sagen: Die Zukunft hat begonnen.
Aber anders als bei Platin oder Silber ist der technische
Nutzen des Goldes begrenzt und das Risiko ist hoch. Zu
hoch! Von dem weltweit geförderten Gold werden rund
85 Prozent zu Schmuck und nur etwa 12 Prozent in Indus-
trie und Medizin verarbeitet. Gingen 1980 513 Tonnen
jährlich in die Schmuckproduktion, waren es 1992 schon
2 300 Tonnen. Die Goldmengen für Kettchen und Ringe
haben sich also mehr als vervierfacht. Die Goldanbindung
der Währungen gilt seit 20 Jahren nicht mehr.
Seit 1980 hat sich die jährliche Goldproduktion von
1 200 Tonnen in etwa verdoppelt. Die jährliche weltweite
Goldproduktion beträgt circa 3 000 Tonnen, wobei die
Hauptmenge an Gold über das chemische Verfahren
„Zyanidlaugung“ gewonnen wird; denn ergiebige Vor-
kommen wie die Erzadern in Südafrika gibt es immer we-
niger.
Hierbei wird Erz mit geringer Goldkonzentration
– circa 5 Gramm pro Tonne – mit hochgiftiger Zyanid-
lösung ausgewaschen. Man füllt das Gestein in große
Sammelbecken mit einer zyanidhaltigen Lösung, die das
enthaltene Gold anlöst. Anschließend wird das durch-
weichte Gestein in großen Trommeln mit Metallkugeln
zermahlen. Ein goldhaltiger Schlamm wird im Folgenden
durch eine Reihe von Becken mit Aktivkohle geleitet, an
der das Gold haften bleibt. Um das Gemisch aus Aktiv-
kohle und Gold zu trennen, gibt man in einem Filtersys-
tem eine heiße Ätzlauge hinzu, die das Gold an sich bin-
det und im Gegenzug den Kohlenstoff abtrennt. Jetzt ist
es einfach, das Gold mittels Elektrolyse aus der Lauge zu
entfernen.
Zum Schluss werden noch von der Minengesellschaft
circa 31 Kilogramm schwere Barren gegossen, die aber
noch nicht aus reinem Gold bestehen, sondern auch circa
9 Prozent Silber und 3 Prozent andere Mineralien enthal-
ten. Raffinerien übernehmen dann die finale Aufbereitung
des Goldes. Am Ende entstehen Feingoldbarren mit
99,9 Prozent Reinheit – 24 Karat –, die entweder in den
Handel gelangen oder in die Keller der Notenbanken wan-
dern. Die zyanid- und schwermetallhaltigen flüssigen und
festen Abfälle bleiben in Auffangbecken oder Halden
in der Natur zurück, da in 60 Prozent der Fälle die so ge-
nannte Haufenlaugung – heap Ieaching – genutzt wird.
Zyanid ist ein Salz der Blausäure. Es ist für Tiere und
Menschen äußerst giftig. Zyanid kann über die Atmung,
die Haut oder über das Trinkwasser in den Körper gelan-
gen. Zyanid wird seit etwa 30 Jahren immer häufiger zur
Goldgewinnung eingesetzt. Die Goldgewinnung mit Zya-
nid ist ein einfaches, billiges und sehr wirkungsvolles Ver-
fahren – wenn man nicht berechnet, welche Folgen die
ständige Verwendung von Zyanid für die Umwelt hat.
120 Tonnen Zyanide, mit denen etwas mehr als ein
Zentner Gold im rumänischen Baia Mare gewonnen
wurde, haben vor zwei Jahren fast zwei Millionen Men-
schen von ihren Trinkwasserquellen abgeschnitten Die
Giftmenge hätte gereicht, um eine Milliarde Menschen zu
töten.
Gold ist kein Mangelelement. Ein Verbot der „Zya-
nidlaugung“ würde nicht zu einer Goldverknappung
führen, da Gold erstens nach anderen Verfahren gewon-
nen werden kann, zweitens leicht rezyklierbar ist und drit-
tens in unschätzbaren Tonnen als Reinmetall in Safes der
verschiedenen Gattungen gelagert ist: 60 000 Tonnen
Gold liegen in den Tresoren dieser Welt.
Neues Gold ist bei den derzeitigen Preisen auf verant-
wortliche Weise nicht zu gewinnen. Seit der Einführung
des Zyanidverfahrens gab es etwa ein Dutzend schwerer
Unfälle und etliche taktische Bankrotte. Die Auffang-
becken und Halden in vielen Ländern entsprechen nicht
handhabbaren Giftmülldeponien. Immer wieder kommt
es zu Dammbrüchen, Leckagen und Transportunfällen.
Ende Januar 2000 brach der Damm des Auffangbeckens
des Aurul-Goldbergwerks bei Baia Mare in Rumänien.
Das darin lagernde Abwasser gelangte in den Fluss Theiß
und verursachte eine schwere ökologische Katastrophe in
Europa.
Die Goldbergbaugesellschaften betreiben dieses Ver-
fahren vorwiegend in Ländern mit schwächeren Umwelt-
gesetzen. Die Vorräte werden ausgebeutet, in der Folge
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werden nach wenigen Jahren die Firmen vor Ort ge-
schlossen und die Bewohner mit den Umweltproblemen
alleine gelassen. Die Goldbergbaugesellschaften melden
häufig nach dem Abbau des Erzes Konkurs an und kön-
nen dann keine Auflagen mehr erfüllen.
Naturwissenschaftliche Analysen belegen nachdrück-
lich, dass Goldgewinnung im offenen Zyanidlaugungs-
verfahren zu irreversiblen Schäden in den Ökosystemen
führen kann. Der herausgelaugte Zentner Gold bringt den
Minenbesitzern den eher geringen Gewinn von einer hal-
ben Million Euro.
Die CDU/CSU-Fraktion stimmt dem Antrag von SPD
und Grünen zu. Die Bundesregierung wird aufgefordert,
auf höchste Sicherheitsstandards bei der Goldgewinnung
zu dringen. Sie möge sich in den EU-Beitrittsverhandlun-
gen dafür einsetzen, dass in den Beitrittsländern Umwelt-
gesetze erlassen werden, die gewährleisten, dass bei der
Goldgewinnung die nach dem heutigen Stand der Technik
höchsten Sicherheitsstandards angewendet werden, dass
bestehende Deponien von Goldbergwerken gesichert
werden, dass die EU ihrer Verpflichtung nachkommt, die-
jenigen Standorte der Goldgewinnung zu ermitteln, von
denen eine Bedrohung des Wassers ausgeht.
Deutsche Firmen und Banken werden aufgefordert,
sich – indirekt oder direkt – an der Goldgewinnung nur zu
beteiligen, wenn bestimmte Umweltstandards eingehal-
ten werden. Hierzu wird auf die UNEP-Erklärung der Fi-
nanzinstitute zur Umwelt und zur nachhaltigen Entwick-
lung verwiesen, deren Unterzeichner – darunter viele
namhafte deutsche Banken – bestrebt sind, Umweltbe-
lange bei all ihren Aktivitäten in allen Märkten zu berück-
sichtigen.
Es sind Forschungsvorhaben finanziell zu unterstüt-
zen, um alternative Goldgewinnungsverfahren zu ent-
wickeln, die die heutigen gefährlichen Produktionsver-
fahren ablösen können.
Im Rahmen der UNO und der WTO soll sich die Bun-
desregierung dafür einzusetzen, dass die Umwelt- und Ar-
beitsschutzstandards für den Goldabbau weltweit auf den
neuesten Stand gebracht und auch durchgesetzt werden.
Grundsätzlich müssen wir uns für eine Ausweitung der
Rezyklierung von vorhandenem Gold einsetzen, um die
– notwendige – Goldgewinnung nach den ökologisch ge-
fährlichen Verfahren reduzieren zu können.
Birgit Homburger (FDP): Wir alle haben die Bilder
noch vor Augen. Abertausende tote Fische schwimmen
mit den Bäuchen nach oben in der Theiß und in der Do-
nau. Die Ursache war zunächst Ende Januar 2000 ein Un-
fall im rumänischen Bergwerk Baia Mare, durch den die
Flüsse kontaminiert wurden. Bei einem Klärbecken war
nach starken Regenfällen und Schneeschmelze ein Damm
gebrochen, sodass große Mengen Zyanid in die Theiß und
in die Donau gelangten. Dieser erste Unfall war schon
schlimm genug. Doch im März 2000 gelangten bei einem
weiteren Dammbruch eines Beckens nahe der Ortschaft
Baia Borsa erhebliche Mengen an Schwermetallen in die
Flüsse.
Wir sind uns sicher alle einig, dass Störfälle dieser Art
vermieden werden müssen und daher Vorsorge gegen ne-
gative Auswirkungen auf die Umwelt getroffen werden
müssen. Die Goldgewinnung im Zyanidlaugungsverfah-
ren ist relativ billig. Umweltverträglich ist das Verfahren
nicht. Die FDP sieht die Problematik und unterstützt in-
soweit den vorgelegten Antrag. Viel erreichen wird man
mit diesem allgemein gehaltenen Prosaantrag allerdings
nicht.
Das Problem ist in vielen betroffenen Ländern bereits
erkannt. So sieht etwa das rumänische Umweltministe-
rium alle Klärbecken bei extremen Witterungsbedingun-
gen als potenzielle Gefahrenquelle an, was zumindest ein
neues Problembewusstsein zeigt.
Bei Messungen des Technischen Hilfswerks im Klär-
becken von Baia Borsa wurden hohe Zyanidkontamina-
tionen festgestellt, obwohl das genehmigte Verfahren die
Verwendung von Zyanid nicht vorgesehen hat. Dies zeigt,
dass auch die Überwachung solcher Anlagen sicherge-
stellt sein muss. Nach Auffassung der FDP muss den be-
troffenen Ländern auf Anforderung in Deutschland vor-
handenes Wissen im Bereich der Anlagensicherheit zur
Verfügung gestellt werden. Weiterhin wurden im Erz-
bergwerk von Baia Borsa Nichteisenmetalle wie Zink,
Kupfer und Blei gefördert. Insoweit greift der Antrag der
Koalitionsfraktionen zu kurz, da er nur die Verfahren zur
Goldgewinnung umfasst. Nach unserer Auffassung soll-
ten alle Bodenschätze umweltverträglich gewonnen wer-
den. Daher fordern wir die Bundesregierung auf, bei wei-
teren Gesprächen mit den betroffenen Ländern den Antrag
in Bezug auf die Gewinnung von Bodenschätzen umfas-
send zu verstehen und sich nicht auf die Anlagen zur
Goldgewinnung zu beschränken.
Eva Bulling-Schröter (PDS): Für Gold sind schon
viele in den Tod gegangen und tun es immer noch, doch
nicht mehr aus eigener Habgier, sondern wegen der Hab-
gier anderer.
Zwei Jahre nach dem Unglück von Baia Mare ist es
höchste Zeit, für den, wie ich höre, schon recht alten An-
trag, den wir heute debattieren. Allein seit Vorliegen des
Antrags gab es zwei große Zyanidunfälle einer südafrika-
nischen Firma in Ghana, dem Land übrigens, in dem auch
die DEG an der zyanidbasierten Goldgewinnung beteiligt
ist. Die DEG, die im Auftrag des Bundes arbeitet, inves-
tiert laut Eigendarstellung nur in „rentable, ökologisch
und sozial tragfähige Projekte“.
Sie stellen ganz richtig fest: Die Goldbergbaugesell-
schaften betreiben das zyanidbasierte Verfahren mit Vor-
liebe in Ländern mit schwächeren Umweltgesetzen und,
liebe Antragsteller, die im Auftrag dieser ihrer Regierung
arbeitende DEG unterstützt sie dabei. Da frage ich mich
nun wirklich: Wie passt das zusammen?
Es ist gut, wenn die Bundesregierung sich bei UNO
und WTO für eine Verbesserung der Umwelt- und Ar-
beitsschutzbestimmungen beim internationalen Goldab-
bau einsetzt, und es wäre noch besser, wenn sie dazu auch
ihre eigene Förder- und Vergabepraxis auf den Prüfstand
stellte. Die PDS-Fraktion hat nicht umsonst schon im letz-
ten Sommer eine Reform der Hermes-Bürgschaften ange-
mahnt.
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Die Goldgewinnung steht weltweit im Gegensatz zu
den Prinzipien nachhaltiger Entwicklung. Die Weltbank
empfiehlt den Goldförderländern dennoch im Interesse
des Wettbewerbs weitgehende Steuersenkungen und
Lockerung der ohnehin unzureichenden Umwelt- und So-
zialauflagen. Gewinner dieser Entwicklung sind einzig
und allein die Minenbetreiber, nicht die Förderländer und
erst recht nicht die in jeder Beziehung ausgebeuteten Mi-
nenarbeiter.
80 Prozent des weltweit gewonnenen Goldes werden
einzig und allein zur Herstellung von Schmuck und ande-
ren Luxusgütern genutzt. Das steht in keinem Verhältnis
zu den Umweltschäden und Menschenrechtsverstößen,
die im Interesse des Goldes täglich stattfinden.
Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, keine
staatlichen Fördermittel für den großindustriellen
Goldabbau bereitzustellen – DEG – und Goldbergbau
nicht durch Exportkreditversicherungen, zum Beispiel
Hermes-Bürgschaften, abzusichern, sich dafür einzuset-
zen, dass großindustrieller Goldabbau nicht länger aus
Mitteln der internationalen und europäischen Finanzinsti-
tutionen – IWF, Weltbank-Gruppe, EIB – gefördert wird,
den Export der hochgiftigen Chemikalien, die im Gold-
bergbau verwandt werden, vor allem des Zyanids, stren-
gen Kontrollen zu unterwerfen und die Suche nach Alter-
nativen aktiv zu fördern und bezüglich des im Antrag
erwähnten Gold-Recyclings die Einführung einer Kenn-
zeichnung für wiederverwendetes Gold zu prüfen.
Gila Altmann, Parl. Staatssekretärin im Bundesminis-
terium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Vor fast auf den Tag genau zwei Jahren, am 30. Januar
2000, ergossen sich rund 100 000 Kubikmeter zyanid-
haltiger Schlamm aus dem Auffangbecken einer rumä-
nischen Goldmine bei Baia Mare in den kleinen Fluss
Lapus. Anlass war die Überflutung durch unerwartet hohe
Mengen an Regen- und Schmelzwasser. Auffangbecken
einer Goldmine des australisch-rumänischen Unterneh-
mens Aurul liefen über und ein Damm brach auf 25 Me-
ter Länge.
Noch in Rumänien floss das Zyanid in den Somes, der
in Ungarn in die Theiß mündet, den zweitgrößten Fluss
Ungarns. Mit einer Geschwindigkeit von 4 Kilometern
pro Stunde bewegte sich die fast 40 Kilometer lange Gift-
welle weiter und tötete Flora und Fauna in den Flüssen
Lapus, Somes und Theiß. Zentnerweise wurden tote
Fische aus allen drei Flüssen geborgen; allein die unga-
rischen Behörden schätzten die Gesamtmenge der veren-
deten Tiere auf über 1 000 Tonnen. Zyanidsalze bilden in
Lebewesen Blausäure, die die Anreicherung von Sauer-
stoff an Hämoglobin unterbindet und damit zur „inneren
Erstickung“ führt.
Vom Zyanidwasser wurden große Mengen von schwer-
metallhaltigen Laugensedimenten mitgerissen. Diese
Schwermetalle – Silber, Blei, Kupfer – sanken zu Boden,
reicherten sich im Schlamm an und entfalten dort auch
heute noch ihre giftige Wirkung. Ein biologischer Abbau
ist nicht möglich.
Bereits wenige Tage nach der Vergiftung der Gewässer
sprach der ungarische Umweltminister Branislav Blazic
von der „schwersten europäischen Umweltkatastrophe
seit Tschernobyl“. Diese Bewertung mag bezogen auf den
konkreten Unfall etwas hochgegriffen klingen, jedoch
war Baia Mare weder ein Einzelereignis noch geschah es
völlig unerwartet.
In den vergangenen zehn Jahren kam es weltweit fast
jährlich zu schweren Unglücken im Bergbau. Teilweise
verloren Menschen ihr Leben; immer gab es katastrophale
Schädigungen des Ökosystems und soziale Verwerfun-
gen. Einige Beispiele: 1992 brach der Damm der Gold-
mine „Summitville“ in Colorado, USA. 1993 begruben
Schlamm- und Geröllmassen ein Goldgräberdorf in Ecua-
dor und töteten 24 Menschen. 1994 starben bei einem ähn-
lichen Unglück in der Goldmine „Harmony“ in Südafrika
17 Menschen. 1995 verseuchten 2,5 Millionen Kubik-
meter Zyanidlösung aus der Goldmine „Omai“ in Guyana
den Fluss Essequibo. 1996 strömten 3 Millionen Tonnen
Giftschlamm aus einer Kupfermine auf der Insel Marin-
duque, Philippinen, in den Fluss Boac, 20 Dörfer wurden
überschwemmt. 1998 flossen durch einen Dammbruch in
Aznalcollar (Andalusien) 3 Millionen Kubikmeter
Schlamm und 4 Millionen Kubikmeter säurehaltigen
Wassers aus und verseuchten etwa 4 500 Hektar Land an
der Grenze zum Nationalpark Coto de Donana.
Grund sind oftmals fehlende oder unzureichende Vor-
schriften bzw. dass bestehende Regelungen nicht ernst-
genommen werden. Unabhängig davon, dass der Einsatz
von Zyanid bei der Haldenaufbereitung grundsätzlich
problematisch ist, ist eines der Hauptprobleme bei allen
diesen Unfällen die Lagerung der hoch toxischen Zwi-
schen- und Abfallprodukte ohne ausreichende Siche-
rungsmaßnahmen wie gestaffelte Reservebecken, dop-
pelte Auskleidung bzw. Ummantelung von Speichern und
Leitungen usw.
Gerade weil sie nicht in solche kostenträchtigen
Schutzsysteme investieren müssen, sind Länder wie
Rumänien für Industrieunternehmen aus OECD-Staaten
– wie die Firma Aurul – attraktiv. Solche Unternehmen
nutzen fehlende Umweltstandards oftmals rücksichtslos
zur Erhöhung ihrer Gewinne und übernehmen keine Ver-
antwortung für die Folgen. Nach dem Unfall ging Aurul
in Konkurs. Die Kosten der Katastrophe müssen von der
Bevölkerung und den betroffenen Ländern getragen wer-
den. In der Bundesrepublik und anderen OECD-Ländern
wäre eine Anlage wie Baia Mare aufgrund der Umwelt-
gesetzgebung gar nicht genehmigungsfähig gewesen.
Das BMU wie auch internationale Organisationen ha-
ben sofort nach dem Unfall Experten für die Notfallhilfe
zur Verfügung gestellt. Über diese Notfallmaßnahmen hi-
naus muss es jedoch zu dauerhaften Verbesserungen kom-
men, um solche Katastrophen zu verhindern. Dazu zählen
entsprechende Gesetzgebungen, aber auch Untersuchun-
gen der Lagerstätten und eine umfangreiche Störfallvor-
sorge bei Sedimentationsbecken, eine Überprüfung der
Genehmigungsverfahren, die Abstimmung unter den be-
teiligten Behörden usw. Notwendig sind häufig auch
grenzüberschreitende Planungen für Unfälle mit schneller
Information sowie Transparenz für alle betroffenen Nach-
barstaaten.
Insgesamt hat die EU Rumänien bis 2006 rund 750 Mil-
lionen Euro Unterstützung gewährt, in denen rund 120 Mil-
lionen Euro für den Umweltschutz enthalten sind, die
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002 21071
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auch für die Sicherung alter Becken benutzt werden kön-
nen. Allein im Norden Rumäniens gibt es 30 ähnliche
Klärbecken unterschiedlichen Alters – stillgelegt, unbe-
aufsichtigt, zum Teil vergessen, mit schwermetallhaltigen
Schlämmen, und jedes davon könnte bei ähnlichem Wet-
ter außer Kontrolle geraten.
Das Unglück in Baia Mare hat vor allem im Hinblick
auf die Osterweiterung auf europäischer Ebene zu einer
Überprüfung bestehender Gesetze und Verordnungen ge-
führt. Im Oktober 2000 kündigte die EU-Kommission im
Wesentlichen drei Maßnahmen zur Sicherheit im Bergbau
an: die Aufnahme der Erzaufbereitung, insbesondere von
Bergeteichen und Rückhaltedämmen in die Seveso-Richt-
linie. Die Beratungen hierzu wurden nach Sichtung durch
den Rat in der Woche, am 16. Januar 2002, begonnen. Im
Oktober 2002 will die Kommission einen Vorschlag für
eine Richtlinie zur Behandlung von Bergbauabfällen vor-
legen, die dazu grundlegende Studie über bestehende Re-
gelungen, Verfahren und Praktiken in der EU ist erfolg-
reich abgeschlossen. Voraussichtlich im Juni dieses Jahres
wird ein erster Entwurf für ein nicht rechtsverbindliches
Referenzpapier für die beste verfügbare Technik nach
IVU-Richtlinie (BREF-Papier) vorgelegt werden.
Die Zeit drängt aus umwelt-, wirtschafts- und sozial-
politischen Gründen. Solche Unfälle haben nicht nur ver-
heerende Auswirkungen auf Flora und Fauna, sondern
bringen auch großes menschliches Leid. Neben den ge-
sundheitlichen Schäden gehen Arbeitsplätze verloren,
und zwar in der Fischerei, in der Landwirtschaft, im Tou-
rismus und im Bergbau selbst. Zurück bleibt die Perspek-
tivlosigkeit für die betroffene Bevölkerung. 85 Prozent
der Goldgewinnung gehen in die Schmuckindustrie – ich
bin überzeugt, dass alle Goldliebhaber und -liebhaberin-
nen gerne bereit sind, für mehr Sicherheit bei der Gold-
gewinnung für Menschen und Umwelt etwas höhere
Preise zu bezahlen.
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Luftfahrtforschung voranbringen und
– Nationales Luftfahrtforschungsprogramm fort-
setzen
(Tagesordnungspunkt 13 und Zusatztagesordnungs-
punkt 6)
Dr. Margrit Wetzel (SPD): Mobilität ist heute ein un-
verzichtbares Gut. Volkswirtschaften leben entscheidend
von Verkehrssystemen, mit denen Menschen und Güter
jederzeit schnell und sicher an ihr Ziel gelangen. Hoch-
wertige Wirtschaftsgüter, Geschäftsreisende und Milli-
onen Touristen sind dabei auf das Flugzeug angewiesen.
Die Luftfahrt ist weltweit eine der wichtigsten Wachs-
tumsbranchen. Etwa 1,7 Milliarden Passagiere nutzen pro
Jahr ein Verkehrsflugzeug. Fluggastprognosen bis 2020
sagen ein jährliches Wachstum von 5 Prozent, beim Luft-
frachtverkehr sogar um 7 Prozent voraus.
Für diese wichtigen Marktchancen tragen wir die poli-
tische Verantwortung. Die Produktionsentscheidungen
für den A 380, von dem wesentliche Workshare-Anteile
für den Standort Deutschland gewonnen werden konnten,
zeigen: Es war richtig, die Wettbewerbsfähigkeit der eu-
ropäischen Luftfahrtindustrie auch national in den tech-
nologieintensiven Bereichen weiter auszubauen. Die
Endmontage des A380 in Norddeutschland wertet den ge-
samten Luftfahrt- und High-Tech-Standort Deutschland
weiter auf. Wichtige Zulieferbetriebe siedeln sich an. Sie
stabilisieren Industrie, Gewerbe und Dienstleistung und
geben neue Impulse für Forschung, Lehre und Ausbildung
in der Luftfahrttechnik.
Allein durch die neuen A380-Kapazitäten werden etwa
4 000 neue Arbeitsplätze geschaffen, darunter viele in den
neuen Bundesländern. Zugleich entstehen neue Berufs-
perspektiven für Ingenieurwissenschaften, für technische
Studiengänge, aber auch für Mechatroniker und Ingeni-
eure im Entwicklungs- und Produktionsbereich. Ein her-
vorragendes Ergebnis, auf das wir stolz sein können. Aber
auf diesen Erfolgen kann sich weder Industrie noch Poli-
tik ausruhen.
Wir müssen den Luftfahrtstandort Deutschland als
starken Partner in der europäischen Luftfahrtindustrie
wirksam sichern und die hervorragenden Eigenleistungen
der Unternehmen auch in Deutschland weiterhin ange-
messen durch öffentliche Mittel unterstützen. Die aktuel-
len Entwicklungen machen dabei neue Schwerpunktset-
zungen erforderlich.
Das 6. Rahmenprogramm Forschung der EU sieht
mehr als 1 Milliarde Euro für Luft- und Raumfahrt vor
und setzt neue Akzente, denen wir uns anpassen müssen.
Nach dem 11. September 2001 haben Sicherheitsfra-
gen im Flugverkehr eine völlig neue Bedeutung und ein
viel größeres Gewicht bekommen. Flugführung und
-regelung müssen manipulationssicher werden und mit
sicherheitsrelevanten Bord- und Bodensystemen ver-
knüpft werden. Wir wollen die Flugunfallrate weiter deut-
lich senken.
Treibstoffverbrauch, C02-Emissionen und Nox-Emis-sionen müssen weiter gesenkt werden. Die Entwicklung
alternativer Treibstoffe und innovativer Technologien si-
chert zugleich Umweltschutz und Arbeitsplätze.
Auch der Lärmschutz bleibt weiterhin wichtig, denn
wir sind auch den Menschen verpflichtet, die in Flugha-
fennähe wohnen. Die Entwicklung lärmarmer Luftfahr-
zeuge wollen wir vorantreiben. Sowohl der Dauerschall-
pegel wie auch die einzelnen Lärmereignisse müssen
gesenkt werden.
Wir wollen und müssen die Entwicklung unterneh-
mensübergreifender Entwicklungs-, Fertigungs- und
Wartungskonzepte unterstützen, damit sowohl Entwick-
lungs- und Fertigungszeiten als auch die Kosten um etwa
20 bis 30 Prozent gesenkt werden können.
Nur so können wir die Position deutscher Unterneh-
men im weltweiten Kompetenzwettbewerb stärken und
sichern, qualifizierte Partnerschaften in europäischen und
internationalen Kooperationen aufbauen und Beteili-
gungsvoraussetzungen für EU-Projekte schaffen.
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Abschließend zur Höhe der Förderung: Wir meinen,
dass sie sich an Frankreich und Großbritannien orientie-
ren sollte. Beide Nachbarstaaten fördern die zivile Luft-
fahrt mit 50 Millionen Euro jährlich. Auch die High-Le-
vel-Group und die Wirtschaftsministerkonferenz vom
November 2001 empfehlen dies. Die Bundesregierung
sollte deshalb im Rahmen der finanzpolitischen Leitlinien
eine angemessene jährliche Bundesförderung für die
Laufzeit des Programms sicherstellen. Ich bin sicher, dass
wir damit im wahrsten Sinne des Wortes auf dem richti-
gen Kurs sind.
Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): Die deutsche und
die europäische Luftfahrtindustrie haben in den letzten 20
Jahren eine Position auf den Weltmärkten erarbeitet, die
weit über die optimistischen Erwartungen hinausgeht.
Das ist der Beharrlichkeit Frankreichs zu danken. Das ist
dem Drängen von Franz Josef Strauß zu verdanken, der
heute Namenspatron eines großen dynamischen Flugha-
fens ist. Das ist der Zusammenarbeit der Bundesregierung
Helmut Kohl mit der deutschen Industrie zu verdanken.
Was damals ein Staatsprojekt war, das besteht heute als
Industrieunternehmen im Wettbewerb mit den großen
Konkurrenten in USA. Das Luftfahrtforschungspro-
gramm I hat in den Jahren 1995 bis 1998 die Forschung
mit 600 Millionen Mark vom Bund aus unterstützt, das
Luftfahrtforschungsprogramm II von 1999 bis 2002 hat
240 Millionen Mark eingesetzt. Die Beträge sind hoch,
aber die Forschungs- und Entwicklungsausgaben der In-
dustrie lagen allein im Jahre 2000 bei 1,5 Milliarden DM;
die Proportion ist vernünftig.
Trotzdem: Es ist nicht selbstverständlich, dass der
Staat eine Spitzenindustrie unterstützt.
Aber wenn große Partnerländer wie Großbritannien
und Frankreich eine starke nationale Förderung weiter-
führen, wenn in den USA die nationale Industrie mit sehr
hohen Beträgen unterstützt wird, dann ist es richtig, dass
auch in Deutschland der Staat in Partnerschaft die Indus-
trie fördert.
Dem soll das Luftfahrtforschungsprogramm III dienen,
das im Jahre 2003 beginnen soll. Hierzu haben wir im No-
vember 2001 unseren Antrag eingebracht, der hier der De-
batte zugrunde liegt. Dazu liegt ein Koalitionsantrag vom
22. Januar 2002 vor.
Schließlich hat die Wirtschaftsministerkonferenz am
23. November 2001 beschlossen, dass das Luftfahrtfor-
schungsprogramm über das Jahr 2002 hinaus fortgeführt
werden soll, wobei der Bund mindestens 50 Millionen
Euro jährlich an öffentlichen Mitteln bereitstellen soll.
Eindrucksvoll ist die Übereinstimmung der Papiere,
auch soweit sie nach unserem Antrag vorgelegt worden
sind. Ermöglicht worden ist das durch mehrere Vorlagen
von Beraterkreisen und Arbeitsgruppen der Industrie, die
Sachverstand eingebracht und strategische Alternativen
abgewogen haben. Dem folgt auch der Koalitionsantrag:
Indirekt wird an zwei Stellen die Forderung nach jährli-
chen Bundesmitteln von 50 Millionen Euro bestätigt. Es
ist schön, bei der Bundesregierung sachgerechtes Han-
deln entdecken zu dürfen. Der Koalitionsantrag fordert,
das Luftfahrtforschungsprogramm III bis zum Sommer
2002 vorzulegen. Das dürfte zu spät sein. Von den 240
Millionen DM des Luftfahrtforschungsprogramms II
wurden bis Ende 2002 nur 203 Millionen DM verfügt, die
restlichen 37 Millionen DM wurden stillschweigend auf
die kommenden Jahre verteilt. Wie man hört, können in
diesem Jahr keine Projekte bewilligt werden. In der mit-
telfristigen Finanzplanung ist eine angemessene Vorsorge
nicht getroffen.
Wenn das Programm nun erst im Sommer vorgelegt
werden soll, dann kommt es zu spät für die Haushaltsbe-
ratungen. Ob dann der Finanzminister für den Haushalt
2003 entsprechende Vorsorge trifft, ist offen; erfahrungs-
gemäß kann er geneigt sein, die Haushaltsreife zu bestrei-
ten. Eine ganz kurzfristige Vorlage und Verabschiedung
des nächsten Luftfahrtforschungsprogramms ist zwin-
gend erforderlich, um Planungssicherheit zu gewährleis-
ten und eine Kontinuität der Finanzierung.
Einmütigkeit besteht über die mittel- und langfristigen
Ziele, auf die wir hinarbeiten:
Die Wirtschaftlichkeit beginnt mit der Verkürzung von
Entwicklungszeiten auf schließlich 50 Prozent des heuti-
gen Standards, sie geht weiter über neue Materialien, de-
ren Entwicklung einen besonders langen Vorlauf hat, bis
zu neuer Technik. Weitere Senkung des Treibstoffver-
brauchs – um 40 Prozent pro Sitzplatzkilometer ist er in
den letzten 30 Jahren schon gesunken – ist nicht nur eine
Frage der Wirtschaftlichkeit, sondern auch der Umwelt-
belastung. Die Ziele sind ehrgeizig. Wir müssen die Lärm-
emissionen weiter senken; sie liegen heute bei einem
Viertel der Werte von vor 30 Jahren, eine weitere Halbie-
rung ist ein realistisches Ziel. Denn wenn wir Flughäfen
ausbauen wollen, dann müssen wir alles tun, um die Be-
lastung für die Menschen im Umfeld niedrig zu halten. In
meinem Wahlkreis, in der Stadt Flörsheim, leben die
Menschen in gewachsenen Wohngebieten seit Jahren gut
mit dem Flughafen zusammen, aber wenn wir den Flug-
hafen ausbauen wollen, dann müssen wir alle Möglich-
keiten nutzen, die Belastungen erträglich zu halten, von
der Wahl der Trasse über die Verlagerung von Verkehr
nach Frankfurt-Hahn bis zum Nachtflugverbot und eben
auch einer zügigen Entwicklung immer noch leiseren
Fluggeräts. Dazu gehört eine stetige Steigerung der Si-
cherheit und des Komforts für die Passagiere.
Der Großteil der Entwicklungen ist von der Industrie
zu tragen. Aber der Staat hat in seinem Bereich die Struk-
turen weiterzuentwickeln. Die Zusammenarbeit zwischen
den europäischen Großforschungseinrichtungen wird seit
einem Jahrzehnt diskutiert. Die DLR hat ihre Kompetenz
erwiesen und ist von der Industrie in Deutschland als Part-
ner voll akzeptiert. Die Zusammenarbeit der Windkanäle
funktioniert mit den Niederlanden. Mit Frankreich wird
sie angestrebt. Aber wir sind noch weit entfernt von einer
Integration und Arbeitsteilung der großen europäischen
Forschungseinrichtungen. Wenn Aerodynamik zugleich
an mehreren Stellen gut ist, Avionik aber insgesamt nicht
so stark, dann nutzen wir noch nicht hinreichend unsere
Ressourcen. Dass wir nicht nur tüchtige Ingenieure aus-
bilden, sondern auch hinreichend breite Jahrgänge tüchti-
ger Ingenieure für die Luftfahrtindustrie bekommen, das
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ist eine Aufgabe von Staat und Wissenschaft. Das starke
Engagement der Deutschen Forschungsgemeinschaft ist
hilfreich. Aber dies alles muss zusammenwachsen zu ei-
ner europäischen Forschungslandschaft; so wie eine inte-
grierte europäische Industrielandschaft entstanden ist.
Hier ist eine strategische Aufgabe auch der Europäischen
Gemeinschaft. Die Bundesregierung kann viel tun, insbe-
sondere in der Zusammenarbeit mit Frankreich, dass die
Centers of Excellence kraftvoll entstehen, auf die hinge-
arbeitet wird.
Die europäische Gemeinschaft hat im 5. Rahmenpro-
gramm 700 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Es
zeichnet sich ab, dass im 6. Rahmenprogramm zumindest
derselbe Betrag vorgesehen wird. Aber entscheidend ist
nicht, wie viel Geld ausgegeben wird. Das Geld muss so
eingesetzt werden, dass neue Strukturen entstehen, mit ei-
nem hohen Maß an Vernetzung und Effizienz, bei einer
engen Zusammenarbeit mit der Industrie – in durchaus
unterschiedlichen Verantwortlichkeiten. Dabei ist es nicht
entscheidend, dass Deutschland erfolgreich war in der Be-
teiligung an europäischen Programmen. Es ist wahr, dass
der Rückfluss nach Deutschland stetig um ein Zehntel
über dem deutschen Finanzierungsanteil liegt. Aber nicht
die fiskalische Bilanz ist die erfreuliche Nachricht, son-
dern die Tatsache, dass sich die deutsche Forschung wei-
terhin erfolgreich im Wettbewerb behauptet. Luftfahrt ist
eine der großen Zukunftsindustrien. Die Wachstumsraten
von jährlich 5 Prozent bei Personen und 7 Prozent bei
Fracht scheinen langfristig nachhaltig zu sein, auch bei
Dellen wie etwa nach dem Golfkrieg oder dem Terroran-
schlag vom 11. September. Mit Airbus hat Europa in die-
sen Märkten eine starke Position. Die Industrie schätzt,
dass in den nächsten 20 Jahren ein Markt von 600 Milli-
arden Euro erobert werden könnte, wenn Airbus sich im
Wettbewerb behauptet. Davon können auf Deutschland
an die 40 Prozent zukommen.
Voraussetzung für diesen Erfolg war und ist, dass sich
die Industrie integriert hat, gegen alle Prognosen der Pes-
simisten. Entsprechendes muss zunehmend gelingen in
Wissenschaft und Technikentwicklung, bei den Großfor-
schungseinrichtungen, bei den Universitäten. Welches
dann, nach dem kühnen Projekt des A 380, die nächsten
Flugzeuge sind, ein großer Regionalflieger oder ganz
neue Systeme, das wird letztlich im Markt entschieden.
Dass wir dafür die Materialien, die Techniken und vor al-
lem die tüchtigen Frauen und Männer, Wissenschaftler
und Ingenieure haben, dazu können Bund und Länder in
jeweiliger Verantwortung beitragen. Auch insofern ist es
richtig, die Programme von Bund und Ländern zu ent-
koppeln. Der Beitrag der Länder ist groß und durchaus ei-
genständig. Die Mischfinanzierung von Bund und Län-
dern und Industrie am gleichen Projekt hat sich als
Konzept wohl erledigt. Wenn das gelingt, was wir anle-
gen, dann wird sich in der Zukunft eines Tages die staat-
liche Forschungsförderung in der Luftfahrtindustrie ins-
gesamt erledigen, weil die Unternehmen aller Länder auf
gleicher Augenhöhe, zu gleichen Bedingungen und ohne
jede Subvention um die beste Lösung für den Kunden
kämpfen.
So fordern wir die Bundesregierung auf – das ist der
Sinn unseres Antrags –, dass sie das nächste Luftfahrtfor-
schungsprogramm umgehend vorlegt und sicherstellt,
dass ohne Bruch und Verzögerung im Jahre 2003 die Fi-
nanzierung im Haushalt sichergestellt wird, zu der sich
ein Konsens von der Wirtschaftsministerkonferenz bis
zum Koalitionsantrag abzeichnet. Es liegt uns daran, dass
wir geordnete Verhältnisse vorfinden, wenigstens im Be-
reich der Luftfahrtforschung, wenn wir im September die
Regierung zu übernehmen haben.
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der
Flugverkehr ist längst unverzichtbar. Durch ihn rücken
die Menschen weltweit näher zusammen. Durch den
Flugverkehr hat sich der Erfahrungshorizont vieler Men-
schen stark erweitert. Die Luftfahrtindustrie ist darüber
hinaus zu einem wichtigen Wirtschaftszweig geworden,
einem Wirtschaftszweig überdies, der sehr innovativ ist.
Und die Innovationsfähigkeit entscheidet letztlich über
die Zukunftsfähigkeit der deutschen und europäischen
Luftfahrtindustrie. Hiermit meine ich zum einen natürlich
die Bedeutung der Innovation für die Wettbewerbsfähig-
keit. Dies ist aber noch nicht alles. Zukunftsfähigkeit be-
deutet weit mehr.
Schon jetzt trägt der internationale Luftverkehr zum
Treibhauseffekt mit etwa 4 Prozent bei. Bis zum 11. Sep-
tember wuchs der Luftverkehr jährlich durchschnittlich
um 7 Prozent. Es ist zu erwarten, dass dieses Wachstum
schon bald wieder fortgesetzt werden wird. Der Flugver-
kehr wird damit mittel- und langfristig zu einem der wich-
tigsten Klimafaktoren.
Doch nicht nur das Klima wird durch das starke
Wachstum des Flugverkehrs gefährdet. Paradoxerweise
gefährdet der Flugverkehr sogar sich selbst. Die Flug-
zeuge, die jetzt entwickelt werden und erst in Jahren in die
Produktion gehen, werden auch in Jahrzehnten noch flie-
gen. Bis dahin wird der Zeitpunkt der maximalen Rohöl-
produktion sehr wahrscheinlich längst überschritten sein.
Dies lässt sich nicht zuletzt im Bericht des Büros für Tech-
nikfolgenabschätzung zur nachhaltigen Energieversor-
gung nachlesen. Die Kerosinkosten werden somit
während der Nutzungsdauer der nächsten Flugzeuggene-
ration weit über denen von heute liegen.
Wer wie Boeing auf den Sonic Cruiser setzt, der 20 bis
30 Prozent mehr Kerosin benötigen wird als ein heutiges
Flugzeug, beraubt sich aller Wettbewerbschancen. Es ist
daher sehr zu begrüßen, dass Airbus mit dem A 380 ein
Flugzeug entwickelt, das bis zu 30 Prozent weniger Kero-
sin verbraucht als die derzeitigen Maschinen.
Wer langfristig Mobilität auch im Flugverkehr sichern
will, muss daher alles daransetzen, den Flugverkehr von
den begrenzten und noch dazu klimaschädlichen Energie-
quellen zu entkoppeln. Die Flugzeuge müssen zum einen
wesentlich sparsamer werden, als sie es heute sind. Zum
anderen müssen – wie in allen anderen Energiesektoren
auch – verstärkt Alternativen zu klima- und luftchemie-
wirksamen Brennstoffen entwickelt werden. Im Vorder-
grund könnten biogene Treibstoffe sowie der Wasserstoff
stehen. Dabei sollte die Wasserstoffgewinnung durch Bio-
methanol geprüft werden.
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Ein weiteres Problem des steigenden Flugverkehrs ist
im Übrigen der Lärm. Aus meiner Sicht sollten die An-
strengungen verstärkt werden, den Flugverkehr leiser zu
gestalten. Was technisch möglich ist, zum Beispiel über
intelligente Materialien, sollte auch gemacht werden. Da-
rüber hinausgehende Maßnahmen wie Nachtruhezeiten
werden auch in Zukunft im Interesse der Anwohner er-
forderlich sein.
Luftfahrtforschung muss innovativ bleiben. Das heißt
es müssen auch Konzepte unterstützt werden können, die
vom „business as usual“ abweichen. In diesem Zusam-
menhang sollte zum Beispiel die Entwicklung und Ein-
führung von Luftschiffen gefördert werden. In den letzten
Jahrzehnten erhielt die Flugzeugindustrie in Deutschland
und Europa erhebliche Mittel. Diese Mittel dienten dem
Aufbau eines wettbewerbsfähigen Industriezweigs. Was
der Flugzeugindustrie recht war, muss der Luftschiffin-
dustrie billig sein, zumal es sich hier um einen Industrie-
zweig handelt, der nach einer längeren Anfangsphase glo-
bal neue Märkte erschließen kann und bis auf Weiteres
konkurrenzlos dastünde.
Flugverkehrsforschung darf aber nicht bei der Flug-
zeugtechnik und bei den Treibstoffen aufhören. Vielmehr
sind erstens Strategien zur Vermeidung von Flugverkehr
zu entwickeln. Der Flugverkehr ist in ein Gesamtver-
kehrskonzept einzubinden. Dazu bedarf es verkehrs- und
sozialwissenschaftlicher Forschung mit dem Ziel, Wege
zum Umstieg auf Verkehrsmittel mit geringerer Umwelt-
belastung zu finden. Die effizientere Nutzung des Luft-
raumes ist ein weiterer Schwerpunkt, damit Umwege und
Warteschleifen vermieden werden können.
Zweitens. Es müssen unabhängige Szenarien und Be-
darfsprognosen entwickelt und Technikfolgenabschät-
zungen durchgeführt werden. Im Mittelpunkt sollte dabei
die Frage nach den Potenzialen des Luftverkehrs und der
Grenzen des Wachstums des Luftverkehrs in Deutschland
stehen.
Drittens. Die Beeinflussung der Luftchemie und des
Klimas durch den Luftverkehr sollte verstärkt untersucht
werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren der
CDU/CSU, es liegt in der Logik der Europäisierung der
Luftfahrt, dass auch die Luftfahrtforschung europäisiert
wird. Aus bündnisgrüner Sicht war es daher folgerichtig,
dass in den letzten Jahren die Mittel in den europäischen
Forschungsprogrammen für Luftfahrtforschung aufge-
stockt und im nationalen Budget abgesenkt wurden.
Damit der Flugverkehr zukunftsfähig ist, muss bei der
Verkehrs- und Luftfahrtforschung ein Schwerpunkt auf
die Nachhaltigkeitsforschung gelegt werden. Der Antrag
der Regierungsfraktionen setzt hier die richtigen Akzente.
Die Vorstellungen der Union und der FDP setzen hinge-
gen einseitig auf Verkehrswachstum, ohne die Folgen zu
bedenken. Statt Technikfolgenabschätzung muss man bei
der Union und der FDP leider von Technikfolgenignoranz
reden.
Ulrike Flach (FDP): Luftfahrtforschung muss im Ver-
bund von Bund, Ländern, Hochschulen und Forschungs-
instituten mit der Industrie erfolgen. Die Forschung hat
große Erfolge zu verbuchen: Die Lärmemissionen wur-
den durch leisere Triebwerke auf ein Viertel des Pegels
von 1970 gesenkt. Der Treibstoffverbrauch konnte im
gleichen Zeitraum um 40 Prozent pro Sitzplatzkilometer
gesenkt werden. Bis 2020 erwarten wir noch einmal eine
Senkung um über 30Prozent was hilfreich für das Errei-
chen unserer Energie- und Klimaschutzziele ist.
Das heißt aber auch, dass wir gerade in der Luftfahrt-
forschung eine Verstetigung der Programme brauchen so-
wie eine enge Koordination, zum Beispiel im 6. For-
schungsrahmenprogramm. Und da passt es nicht ins Bild,
wenn der Bundeswirtschaftsminister diesen Bereich als
Steinbruch nutzt. 1995 bis 1998 lag der Bundesanteil am
Luftfahrtforschungsprogramm I bei 600 Millionen DM,
unter Ihrer Regierung beim LuFo II ist er auf 240 Milli-
onen DM gesunken. Ich bin zwar prinzipiell für eine stär-
kere Beteiligung der Industrie, aber das darf nicht dazu
führen, dass sich der Bund völlig aus der Luftfahrtfor-
schung verabschiedet.
Insbesondere im Vergleich mit den Konkurrenzländern
USA oder Frankreich ist der Anteil der Luftfahrtfor-
schung an den Gesamtforschungsausgaben unterent-
wickelt. Ich meine, dieser wichtige Bereich gehört wieder
in die Zuständigkeit des BMBF.
Die beiden Anträge von Rot-Grün und der Union sind
sich im Ziel einig: Wir brauchen ein Luftfahrtforschungs-
programm III. Was mir im Antrag der Regierungsfraktio-
nen nicht gefällt, ist, dass sie der Forschung quantitative
Umweltziele vorgeben. Zudem ist vieles sehr allgemein
formuliert und es fehlt eine konkrete Aussage darüber,
was sie für Luftfahrtforschung ausgeben wollen. Der An-
trag der Union dagegen ist besser mit den auch im 6. For-
schungsrahmenprogramm genannten Zielvereinbarungen
abgestimmt.
Gerade nach dem 11. September wird es entscheidend
auf die Verbesserung der Flugsicherungssysteme ankom-
men, auf die Ortungstechnologie, auf neue Materialien
und verbesserte Treibstoffe, die nicht nur umweltscho-
nender sind, sondern auch nicht diese Hitzegrade bei der
Verbrennung entwickeln. Luftfahrtforschung verdient in
dieser Bundesregierung eine höhere Aufmerksamkeit.
Darüber kann auch eine medienwirksame Präsentation
von Herrn Mosdorf nicht hinwegtäuschen.
Rolf Kutzmutz (PDS): Ich finde es bemerkenswert, in
welch großer Übereinstimmung in diesem Hause frakti-
onsübergreifend – wenngleich zu später Stunde – zivil in
die Luft gegangen wird. Zwar ist dieses Thema ebenfalls
nicht gänzlich ohne Tücken – ich denke nur an Kurz-
streckenverkehr und auch daraus resultierende ausufernde
Flughafenausbaupläne –; der Gegenstand und seine Be-
handlung in den vorliegenden Anträgen hebt sich doch
wohltuend von der Debatte ab, die hier vor wenigen Mi-
nuten zum Militär-Airbus abgegangen ist.
Dass auch aus Sicht der CDU/CSU Fragen der Schad-
stoffminderung, der Erhöhung der Flugsicherheit, einer
Ökologisierung der Fertigung sowie ein Ausbau der Netz-
werke und Kompetenzzentren Schwerpunkte eines neuen
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2002 21075
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Luftfahrtforschungsprogrammes sein sollen, habe ich mit
Befriedigung registriert. Hier sehe ich die Ansatzpunkte
für gemeinsames Handeln. Leider – aber für mich natür-
lich nicht unerwartet – wird jedoch auch kritiklos einer
„Kapazitätssteigerung der Infrastruktur des Luftfahrsys-
tems“ gehuldigt.
Da liegt meiner Fraktion der von der Koalition offe-
rierte Ansatz, den Flugverkehr in ein Gesamtverkehrs-
konzept einzubinden und Mittel für verkehrs- und sozial-
wissenschaftliche Forschung nach Alternativen zu
mobilisieren, natürlich um Welten näher. Aber Rot-Grün
muss ich auch sagen: Ich lese wohl die Worte – allein mir
fehlt der Glaube. Ich denke nur an das ergebnislose Tau-
ziehen um ein neues Fluglärmgesetz oder die Brachialge-
walt, mit der Ihrerseits an Schönefeld als Berlin Branden-
burg International festgehalten wird.
Auch über die Finanzausstattung eines neuen Pro-
gramms müssen wir in den Ausschüssen noch einmal ge-
nauer reden. Die CDU/CSU verlangt eine angemessene
Beteiligung an 400 Millionen Euro. Die Koalition nennt
zwar keine Summen, will aber offenbar – ich nenne das
Beispiel aus aktuellem Anlass – unter der Überschrift „in-
novative Luftfahrttechnologien“ ein Cargolifter-Ret-
tungsprogramm auflegen.
Dabei müssen wir doch bedenken: Mit dem Airbus 380
riskiert der Bund schon über 2 Milliarden Euro – gebun-
den in ein einziges Projekt, dessen Umwelteffekte abzu-
warten bleiben, welches ökonomisch nicht erst seit dem
11. September riskant ist und strukturpolitisch zumindest
für Ostdeutschland bisher nur Peanuts gebracht hat. Auch
künftig weiter alles auf einzelne Karten zu setzen und so
für viel Geld „Luschen“ zu riskieren, das kann nicht der
Weg sein. Stattdessen sollten wir in vernünftigen Größen-
ordnungen, sowohl hinsichtlich der Technologiefelder als
auch der Wissenschaftsdisziplinen, breit gefächert in ei-
nen ökologischen Umbau auch in der Luft investieren.
Siegmar Mosdorf, Parlamentarischer Staatssekretär
beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:Tat-
sache ist, dass die Bundesregierung sich mit Nachdruck
für die Belange der deutschen Luftfahrtindustrie einsetzt.
Die Fakten: Die europäische und insbesondere auch
die deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie haben in den
vergangenen Jahren eine umfangreiche Restrukturierung
auf den Weg gebracht. Die Gründung der EADS im Jahre
1999 war ein vorläufiger Höhepunkt. Die Bundesregie-
rung hat diesen Prozess stets aktiv unterstützt.
Mit der Darlehensentscheidung für die Entwicklung
des Großraumflugzeugs A380 hat die Bundesregierung
trotz schwieriger Haushaltslage maßgeblich für die Siche-
rung deutscher Standorte und Schaffung neuer Arbeits-
plätze gesorgt. Der A380 ist auch nach den tragischen
Ereignissen des 11. September 2001 unverändert das he-
rausragende Entwicklungsprojekt.
Die Bundesregierung, die Länder, die Industrie und
die Wissenschaft haben in den Luftfahrtforschungspro-
grammen seit 1995 insgesamt gut 1,2 Milliarden Euro
aufgewendet. Besonders hervorheben möchte ich, dass
die Bundesländer sich unter schwierigen Haushalts-
bedingungen mit erheblichen Eigenmitteln für die Luft-
fahrtforschung eingesetzt haben. Ein abgestimmtes
Kompetenznetzwerk sensitiver Technologieentwicklun-
gen ist entstanden, Kernkompetenzen, Arbeitsplätze
und Standorte in Deutschland wurden gesichert. Glo-
bale und innereuropäische Wettbewerbsverzerrungen
wurden so aufgefangen. Die deutsche Luftfahrtindus-
trie hält eine führende Position in Europa.
Forschungsergebnisse spiegeln sich im Markterfolg
wider. Der spezifische Treibstoffverbrauch der Luft-
hansa-Flotte wurde im Zeitraum von 1991 bis 2000 von
6,2 auf 4,6 Liter um 24,3 Prozent gesenkt. Bis 2008 wird
eine weitere Einsparung um 11 Prozent angestrebt. Ent-
sprechend haben sich die CO2-Emissionen verringert. DieNOx-Emission konnte im gleichen Zeitraum um etwa 25 Prozent reduziert werden. Die Fluglärmbelastung im
Flughafennahbereich ist seit 1990 um mehr als 50 Prozent
gesunken.
Die Luftfahrt ist gleichzeitig aber auch Vorreiter bei der
Umsetzung neuer innovativer Technologien in Produkte
und Verfahren. In diesen Tagen hat der neue A318 seinen
Erstflug mit einem lasergeschweißten Rumpfsegment ab-
solviert – ein Verfahren, das im Rahmen des Luftfahrtfor-
schungsprogramms entwickelt wurde und 1999 mit dem
Innovationspreis der deutschen Wirtschaft ausgezeichnet
wurde. Die Ergebnisse der CFK-Flügelentwicklung
fließen in das Seitenleitwerk ein. Für den A340-600 wird
die Druckspannkalotte in CFK gefertigt. Beim erfolgrei-
chen Erstlauf eines lärmarmen Flugzeugantriebs mit Ge-
triebefan war unser Triebwerkshersteller MTU mit einem
neuen Niederdruckverdichter beteiligt. Entwicklungsfort-
schritte wurden beim lärmreduzierten Hubschrauberan-
trieb – EUROCOPTER, ZF-Luftfahrt – erzielt. Auch der
Mittelstand beteiligt sich mit guten Erfolgsaussichten am
Programm. Ein innovativer Energiesparofen zur Speisen-
bereitung ist in der Erprobung. Für die Wartung von Ro-
torblättern ist ein lasergestütztes Entlackungsverfahren,
SLCR, eine besonders umweltfreundliche Alternative zu
herkömmlichen Methoden.
Im 5. EU-Forschungsprogramm 1999 bis 2002 hat sich
die Bundesregierung nachdrücklich und mit Erfolg für die
Schlüsselaktion „Neue Perspektiven für die Luftfahrt“
eingesetzt. Von 700 Millionen Euro haben die deutsche
Industrie und Wissenschaft mit einem Mittelrückfluss von
26 Prozent ihre Kompetenz und ihre Leistungsfähigkeit
unter Beweis gestellt. Diese Zwischenbilanz kann sich se-
hen lassen.
Die Bundesregierung hat aus volkswirtschaftlichen,
technologischen, sicherheits- und außenpolitischen Ge-
sichtspunkten unverändert ein großes Interesse an einem
innovativen und leistungsfähigen Luft- und Raumfahrt-
standort Deutschland. Deutschland muss in der Luft- und
Raumfahrt auch künftig eine essenzielle Rolle in einem
global wettbewerbsfähigen europäischen Verbund spielen
und seinen Anteil an den Wachstumspotenzialen halten.
Deshalb wird die Bundesregierung auch in Zeiten der
Haushaltskonsolidierung in ihrem Engagement nicht
nachlassen und die Brancheninteressen, insbesondere
auch bei der notwendigen europäischen Harmonisierung
der Wettbewerbsbedingungen, weiter politisch flankieren.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 200221076
(C)
(D)
(A)
(B)
Die anhaltend dynamische Entwicklung, zunehmender
globaler und innereuropäischer Standortwettbewerb sowie
die gewünschte Stärkung transatlantischer Kooperationen
stellen alle Beteiligten vor neue Herausforderungen.
Die von mir berufene Gruppe hochrangiger Experten
hat zum Thema „Deutsche Luft- und Raumfahrt: Zu-
kunftsbranche des 21. Jahrhunderts im europäischen und
globalen Wettbewerb“ die Standortbedingungen analy-
siert, strategische Ziele formuliert und Vorschläge für eine
bedarfsgerechte Fortentwicklung der Rahmenbedingun-
gen unterbreitet. Der Bericht ist ein Bekenntnis zum Luft-
und Raumfahrtstandort Deutschland. Er bekräftigt die ei-
genen Anstrengungen der Industrie zur Sicherung des Er-
reichten und zum weiteren Ausbau deutscher Marktan-
teile. Der Expertenbericht verdeutlicht aber auch, dass
große konzertierte gemeinsame Anstrengungen notwen-
dig sind. Die Wirtschaft, die Wissenschaft und Forschung
wie auch die Politik sind aufgerufen, um im innereu-
ropäischen und im globalen Wettbewerb zukünftig eine
maßgebliche Rolle behaupten zu können. Dies gilt für
eine weitere erfolgreiche Restrukturierung der euro-
päischen Luft- und Raumfahrtindustrie auch für die Zu-
lieferer und Ausrüster. Wir sind auf dem richtigen Weg.
Jetzt geht es darum, das Erreichte zu sichern und neue
strategische Herausforderungen anzunehmen.
Sie plädieren für eine Fortsetzung der Förderung der
deutschen Luftfahrtforschung. Im 6. EU-Rahmen-
programm Forschung 2003 bis 2006 wird die Luft-
und Raumfahrt wieder einen hohen Stellenwert haben.
1,075 Milliarden Euro sind eingeplant. Gleichzeitig hat
Forschungskommissar Busquin einen „Advisory Council
for Aeronautics Research in Europe“ berufen, der bis zum
Sommer 2002 eine strategische Forschungsagenda erar-
beiten soll. Die Harmonisierung der europäischen und der
nationalen Forschung ist dabei eine wichtige Aufgabe, an
der wir uns mit Nachdruck beteiligen.
Das nationale Luftfahrtforschungsprogramm ist ein
Baustein im europäischen Kontext und soll ohne Bruch
weitergeführt werden. Ein Entwurf wird vorbereitet.
Grundlage ist der Bericht der High-Level-Group. Er wird
ergänzt durch eine Ausarbeitung der Arbeitsgruppe des
BMWi-Beirats Luftfahrtforschung. Hier wurden die tech-
nologiespezifischen Herausforderungen vertieft. Strate-
gien für den Forschungsbedarf mit Blick auf Innovation,
Technologietransfer und Forschungsnetzwerke wurden
erarbeitet. In den Schlussfolgerungen wird bekräftigt,
dass mit nationalen Kompetenzzentren den anstehenden
Herausforderungen begegnet werden kann.
Beide Berichte sind die Grundlage für das spezifische
Luftfahrtforschungsprogramm. Die Zukunftsentwicklun-
gen der Luftfahrt werden zunehmend von kritischen Fra-
gestellungen zur Sicherheit – unter anderem im Zusam-
menhang mit den Ereignissen am 11. September – und
den Umweltauswirkungen des Luftverkehrs mitbestimmt.
Die erwarteten Wachstumsraten im Luftverkehr verlan-
gen entscheidende Verbesserungen der Flugsicherheit,
um das niedrige Niveau der heutigen Unfallraten weiter
absenken zu können. Die Schadstoff- und Lärmemis-
sionen müssen weiter abgesenkt werden.
Der Erfolg im Markt von morgen kann nur gesichert
werden, wenn diesen gesellschaftlichen Forderungen
Rechnung getragen wird. Der Antrag der Koalitionsfrak-
tionen unterstreicht diese Einschätzung. Mit dieser Ak-
zentuierung beabsichtigt die Bundesregierung, die Luft-
fahrtforschung weiterhin zu fördern. Andernfalls würden
wertvolle Arbeitsplätze verloren gehen. Die Bundesregie-
rung wird einen angemessenen Beitrag bereitstellen.
50 Millionen Euro jährlich sind aus Sicht der Experten
dafür erforderlich. Es gilt, die Position unserer Unterneh-
men und Forschungseinrichtungen im innereuropäischen
und im globalen Wettbewerb um Kompetenz zu stärken;
qualifizierte Partnerschaften in europäischen und interna-
tionalen Kooperationen zu ermöglichen; die Beteili-
gungsvoraussetzungen für EU-Projekte nach Artikel 169
zu schaffen und Wettbewerbsnachteile auszugleichen, da
die Hauptluftfahrtländer USA, Frankreich und Großbri-
tannien die Forschung ihrer Industrie und Wissenschaft
unverändert unterstützen.
In beiden Anträgen wird die Fortsetzung des Luftfahrt-
forschungsprogramms gefordert. Dabei geht der Antrag
der Koalitionsfraktionen klar und gezielt auf die anste-
henden Herausforderungen ein und bestätigt in seinen
Forderungen die Planungen der Bundesregierung. Wir
brauchen europäisch harmonisierte Luftfahrtforschungs-
programme. Eine enge Abstimmung mit den Bundeslän-
dern ist zwingend. Auf diesem Weg ist der Antrag der Ko-
alitionsfraktionen richtungsweisend und findet unsere
nachdrückliche Zustimmung.
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Bahnpreissystem für
Fahrgäste attraktiv gestalten (Tagesordnungs-
punkt 14)
Karin Rehbock-Zureich (SPD): „Bahnpreissystem
für Fahrgäste attraktiv gestalten“ fordert die PDS in ihrem
Antrag und gibt damit den Anlass zur heutigen Debatte.
Danke dafür. Jeder Anlass ist gut, um über das wichtige
Thema Politik für die Schiene zu diskutieren. Denn natür-
lich machen wir hier im Hohen Hause keine Politik für die
Deutsche Bahn AG allein, wie der Titel ihres Antrags na-
helegt, sondern für den Verkehrsträger Schiene als
Ganzes.
Zu Beginn meiner Darlegungen muss ich den Irrtum
klären, den die PDS zur Grundlage ihres Antrags macht:
Die Zuständigkeit des Bundes bezieht sich ausschließlich
auf die Rechtsprüfung des beantragten Tarifs, das heißt,
ob er mit Recht und Gesetz in Einklang steht, und nicht,
ob die Preise dem Bund – oder einer Partei – zu hoch oder
zu niedrig scheinen. Denn – und dies ist der Hintergrund
dieses Faktums – ein wesentliches Merkmal der Bahnre-
form war und ist die Trennung von unternehmerischen
und staatlichen Aufgaben.
Die inhaltliche Gestaltung von Angeboten, das heißt
auch deren Zweckmäßigkeit und Höhe, gehören zu den
unternehmerischen Aufgaben der DB AG, auf die weder
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der Bundestag noch die Bundesregierung noch das Bun-
desministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
als Genehmigungsbehörde nach der gesetzlichen Aufga-
benstellung Einfluss nehmen kann. Gleiches gilt selbstre-
dend auch für die Ausgestaltung des Angebots Bahncard
oder die Einführung von Frühbucherrabatten.
Die Bundesregierung und unser Haus sind also nicht
zuständig für die Tarifsetzung. Trotzdem ist es wichtig,
sich mit dem Preissystem zu beschäftigen. Das neue
Preissystem der DB AG ist weitaus transparenter als das
bisher geltende. Ich bin zuversichtlich, dass die Kunden
der Bahn mit diesem System in jedem Fall das für sie güns-
tigste Ticket bekommen können. Heute ist dies nicht so,
sondern es ist sehr von der Erfahrenheit des Kartenver-
käufers abhängig.
Ich bin auch zuversichtlich, dass die einfache Faustre-
gel – je früher die Buchung, desto günstiger der Preis –
von den Kunden verstanden wird.
Weitere positive Elemente sind in meinen Augen die
Familienfreundlichkeit des neuen Systems sowie der ge-
sunkene Einstiegspreis für die Bahncard. Beides verrin-
gert die Hemmschwelle für Wenig- und Noch-nicht-
Bahnkunden.
Dass dabei die Bahncard Vergünstigungen um 25 Pro-
zent auf alle Preise, also auch auf die Sonderangebote und
Mitfahrerpreise bewirkt, ist ebenfalls ein Fortschritt. Das
macht dem Ärgernis für viele Kunden ein Ende, dass die
heutigen Bahncardvergünstigungen von 50 Prozent auf
den Fahrpreis oft in ihrer Höhe dem Preis eines aktuellen
Sonderangebots entsprechen.
Dass die Halbierung des Bahncardeffekts dabei be-
stimmte heutige Nutzergruppen negativ betrifft, ist un-
strittig. Dass andere Nutzergruppen von der Neuerung
profitieren, ist ebenso unstrittig.
Dabei ist eine kritische Begleitung der Deutschen Bahn
AG im Falle des Preissystems wie auch im Bereich der
sonstigen Konzernpolitik für meine Fraktion selbstver-
ständlich. Wichtig werden die Größen der Kontingente für
Frühbucher sein. Wichtig wird auch der Umgang mit
Fernpendlern, Rentnern und Studenten sein.
Die Vorwürfe der PDS aber sind weit überzogen und in
keinem Fall nachvollziehbar. Im Endeffekt werden die
Kunden der Bahn darüber entscheiden, ob das neue Sys-
tem dem alten überlegen ist oder nicht. Sie bewerten das
neue Preissystem. Sie entscheiden dies über ihr Verhalten
gegenüber dem Dienstleister Deutsche Bahn und seinen
Angeboten.
Interessant ist im Zusammenhang des Antrags aller-
dings schon – da bitte ich um Antwort von der PDS –, ob
die PDS auch die Preissysteme der DB-Konkurrenz ge-
stalten möchte oder ob ihr das eine Preissystem reicht.
Besonders bemerkenswert finde ich die inhaltliche
Nähe des PDS-Antrags zu dem Antrag der CDU/CSU zur
Bestellung von Fernverkehrsleistungen. Gemeinsamer
Rückschritt von PDS und CDU/CSU in die Planwirtschaft
nach dem Motto: Die CDU/CSU bestimmt, wann und wo-
hin die Züge fahren, und die PDS sagt dann, was es kos-
tet. So etwas gab es nicht einmal vor der Bahnreform. Auf
die Weise jedenfalls kommen wir dem Ziel – mehr Ver-
kehr auf der Schiene – nicht näher.
Denn eine vernünftige Politik für die Schiene sieht an-
ders aus: ordentliche Finanzausstattung für die Infra-
struktur, Sicherstellung des Wettbewerbs auf der Schiene,
Verbesserung der Rahmenbedingungen.
Dabei haben wir für den Verkehrsträger Schiene viel
erreicht: Wir haben das Investitionsniveau erhöht, wir ha-
ben den Wettbewerb zwischen den Verkehrsträgern und
auf der Schiene gestärkt und wir haben die politischen
Rahmenbedingungen für die Schiene entscheidend voran-
gebracht.
Seit Regierungsübernahme steigen die Investitionen
für die Schiene wieder. In 2002 stellt die Bundesregierung
rund 4,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Das ist das In-
vestitionsniveau, das in der Bahnreform vorgesehen war.
Wir haben die Wettbewerbsbedingungen für den Ver-
kehrsträger Schiene entscheidend verbessert: Auf europä-
ischer Ebene bringt die Öffnung der europäischen Netze
den Wettbewerb auf der Schiene und gegenüber der
Straße voran. Gerade bei den grenzüberschreitenden, lang
laufenden Güterverkehren gibt es großes Wachstumspo-
tenzial. Die Entfernungspauschale für alle Verkehrsmittel
nützt der Schiene genau wie dem ÖPNV und dem Fahr-
rad. Die LKW-Maut beteiligt ab 2003 erstmals in
Deutschland die LKWs ernsthaft an ihren Wegekosten.
Einnahmen aus der Maut fließen zurück in die Verkehrs-
infrastruktur, und zwar in alle Bereiche. Damit machen
wir Ernst mit unserem integrierten Ansatz und fördern alle
Verkehrsträger – auch die Schiene. Was zählt, ist der Er-
folg für das gesamte Verkehrssystem.
Die 2. Novelle des Allgemeinen Eisenbahngesetzes
wird in Kürze als ein wichtiger Schritt für mehr Wettbe-
werb auf der Schiene realisiert. Der diskriminierungsfreie
Zugang für alle Anbieter von Schienenverkehrsleistungen
wird sichergestellt. Diesen Weg hin zu mehr Wettbewerb
im Schienennetz werden wir konsequent und mit Augen-
maß weitergehen. Augenmaß bedeutet: Ein Abgleiten in
die staatlich gesteuerte Bestellwirtschaft, wie von PDS
und CDU gefordert, wird es mit uns ebenso wenig geben
wie windige Pläne der FDP zum Ausverkauf des Schie-
nennetzes mit derzeit nicht absehbaren Folgen für Qua-
lität und Sicherheit. Wir werden dafür mit der 3. Novelle
die Ergebnisse der Taskforce Schiene in Gesetzesform
bringen und die Anforderungen des EU-Rechts umsetzen.
Mit diesen Eckpfeilern unserer Politik für die Schiene
geben wir einen ordentlichen Rahmen für den Verkehrs-
träger Schiene im Personen- und Güterverkehr. Der Wett-
bewerb der Schiene mit der Straße wird sich zunehmend
ergänzen zu einem Wettbewerb von Bahnunternehmen
untereinander und mit der Straße. Dabei bleiben die ho-
hen Sicherheitsstandards der Schiene erhalten.
Das Setzen dieser Eckpfeiler ist das entscheidende
Element einer verantwortlichen Infrastrukturpolitik.
Planwirtschaftliche Eingriffe in Preis- und Angebotspoli-
tik sind es in jedem Fall nicht. Das ist klar.
Norbert Otto (Erfurt) (CDU/CSU): Die Tatsache,
dass wir uns heute im Deutschen Bundestag mit den Tari-
fen der Deutschen Bahn AG beschäftigen, erstaunt mich
und meine Fraktion sehr. Die Bahnreform von 1993 hat
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die Deutsche Bahn AG zu einem privatwirtschaftlichen
Unternehmen gemacht. Dass die Bahn den Weg zum
Dienstleistungsunternehmen durchaus erfolgreich, zum
Teil auch mit Problemen, beschreitet, wird wohl niemand
in diesem Hause bestreiten. Es war und ist eine wichtige
Konsequenz der Bahnreform, die Politik aus dem konkre-
ten Unternehmerischen der Bahn AG herauszuhalten. Die
Überlegung, wir als Parlament sollten ein Unternehmen
auffordern, Details seiner Geschäftspolitik nach unseren
Vorstellungen auszurichten, macht keinen Sinn. Dass die
Kolleginnen und Kollegen der PDS, die – gefangen in ih-
rer Geschichte – die Privatisierung immer abgelehnt ha-
ben, sich nun hier mit dem Bahnpreissystem beschäftigen
möchten, ist aus der Sicht staatlicher Wirtschaftslenkung
durchaus nachvollziehbar. Fest steht jedoch, dass diese
Zeiten definitiv vorbei sind. Der Versuch, die Bahnreform
mit solchen Anträgen zu konterkarieren, ist zu durchsich-
tig und mit uns nicht zu machen.
Der Ort für derartige Fragestellungen ist der Auf-
sichtsrat der Deutschen Bahn AG. Hier hat sich die Bun-
desregierung, als Haupteigner dafür einzusetzen, dass die
Bahn für jedermann attraktive und erschwingliche Ange-
bote schafft. Das neue Tarifsystem ist im Übrigen durch
die entsprechenden Stellen bei Bund und Ländern geneh-
migt worden – das ist entscheidend.
Nun einige Ausführungen zum Tarifsystem selbst: Si-
cher war eine Anpassung der Bahntarife notwendig. Frag-
lich ist jedoch, ob organisatorische Vorteile, wie sie bei-
spielsweise durch die neue verbilligte Frühbuchung
entstehen, für die Kundinnen und Kunden von Nutzen
sind. Meine Fraktion hat diesbezügliche Bedenken schon
vor einiger Zeit geäußert. Die Bahn möchte eine echte Al-
ternative zu Auto und Flugzeug sein. In diesem Zusam-
menhang ist es sicher sinnvoll, darüber nachzudenken, ob
ein Buchungssystem à la Lufthansa der Weisheit letzter
Schluss ist.
Pünktlichkeit, Sauberkeit, guter Service und schnelle
Verbindungen machen die Bahn als Verkehrsträger für die
Menschen interessant. Mit diesen Faktoren kann man die
neuen Preise noch am ehesten vermitteln. Wichtig ist uns,
dass der eingeschlagene Weg der Bahn auch in diesem Be-
reich weiter fortgesetzt wird.
Im Bundeshaushalt werden erhebliche Mittel zur Sa-
nierung des Netzes und der Anlagen der Bahn bereitge-
stellt. Die Menschen profitieren davon bereits in neu ge-
stalteten Bahnhöfen und durch schnellere Verbindungen.
Die Bahn selbst muss ihre Kunden zukünftig noch deutli-
cher als bisher durch Qualität überzeugen – das steht
zweifellos fest.
Eine weitere Komponente, die von der PDS natürlich
bewusst übersehen wurde, ist die Chance des Wettbewer-
bes. In diesem Zusammenhang ist die Bundesregierung
nun doch zuständig. Die Bahn AG kann nicht auf ewig auf
ihr Quasi-Monopol im Betrieb pochen. Die Trennung von
Netz und Betrieb ist hier wichtigste Voraussetzung für
Verbesserung. Wir sehen beim Flugverkehr, wie urplötz-
lich Preise fallen, weil die Konkurrenz schlicht preiswer-
ter ist. Ein Beispiel dafür ist der Preiskampf zweier An-
bieter auf der Strecke Berlin–Frankfurt. Gewinner sind
die Kunden. So günstig ist man auf dieser Strecke noch
nie geflogen. Es sollten zukünftig auch im Fernverkehr
andere Anbieter die Chance zur Teilnahme am Wettbe-
werb bekommen. Gewinner ist der Verbraucher.
Dass sich die Bundesregierung – allen voran Minister
Bodewig – bei der Trennung von Netz und Betrieb nicht
gegen die Bahn durchsetzen konnte, ist das eigentliche
Problem. Ein Netz unter neutraler Verantwortung bietet
eine exzellente Basis für freien Wettbewerb auf der
Schiene. Hier besteht Handlungsbedarf für Rot-Grün.
Entsprechende Beschlüsse dieses Hauses warten auf Um-
setzung.
In diesem Sinne appelliere ich an die Bundesregierung:
Stärken Sie den Wettbewerb auf der Schiene durch sinn-
volle Konkurrenz. Die PDS-Pläne, freie Unternehmen
staatlich zu lenken, haben schon früher nichts Gutes ge-
bracht und dürfen auch zukünftig nicht Grundlage im
Umgang mit der Bahn werden.
Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Das neue Fahrpreissystem der Deutschen
Bahn AG, das frühestens Ende diesen Jahres eingeführt
werden soll, steht bereits in der Kritik. Besonders der
Grundsatz, wonach frühzeitige Buchung eines Zuges
zwar zu erheblichen Preisvorteilen führt, dafür aber die
Rabattwirkung der Bahncard von heute 50 Prozent auf
dann nur noch 25 Prozent des Grundpreises abgesenkt
werden soll, stößt auf Unverständnis. Als Verkehrspoliti-
ker werden wir immer wieder aufgefordert, hier einzu-
greifen.
Eine Bemerkung vorweg: Wir können als Politiker
– und übrigens auch im Aufsichtsrat einer privatrechtli-
chen DB AG – keinen Einfluss auf den operativen Job des
Bahnvorstands nehmen. Wir können aber deutlich unsere
Meinung sagen. Genau das habe ich – öffentlich und in-
tern – oft getan.
Ich teile die öffentliche Kritik in zwei Punkten:
Erstens kritisiere ich, dass der Reisende nach allem,
was bisher gesagt wurde, dann mit Verteuerungen rechnen
muss, wenn er in Regionalzügen auf mittleren Entfernun-
gen nicht mit Zeitkarte unterwegs ist, zum Beispiel also
zweimal die Woche die Strecke Berlin–Cottbus fährt und
jeweils ein Einzelticket löst. Für Pendlerinnen und Pend-
ler mit Zeitkarte wie zum Beispiel einem Monatsticket än-
dert sich dagegen gar nichts.
Zweitens sollte es keine Verteuerung spontanen Rei-
sens im Fernverkehr aufgrund eines verringerten Bahn-
cardrabatts geben.
Nach allem, was bisher – übrigens in enger Kommuni-
kation mit den Fahrgastverbänden Pro Bahn, VCD sowie
BUND und Nabu – entworfen wurde, wird Bahnfahren
aber im Fernverkehr für die meisten Fahrten billiger, zum
Teil sogar erheblich:
Die Grundpreise im Fernverkehr auf Strecken über
140 Kilometern werden degressiv gesenkt. Auf
schwächer nachgefragten Strecken wird es richtige
„Kampfpreise“ geben.
Spontanes Reisen bleibt möglich: zum reduzierten
Grundpreis minus 25 Prozent Bahncardrabatt. Wer aber
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seinen Zug bereits einen Tag vor der Reise per Telefon im
Callcenter, per Internet, Reisebüro oder am Schalter
bucht, erhält darauf als „Sonderpreis“ 10 Prozent Rabatt.
Wer drei Tage vorher bucht, bekommt 25 Prozent Rabatt
auf den Grundpreis. Dieses entspricht „Sonderpreis 2“.
Wer sieben Tage vorher bucht, bekommt 40 Prozent Er-
mäßigung als „Sonderpreis 3“.
Auf alle diese Preise, aber auch auf andere Sonder-
preise wie Ostseeticket, Bayernticket usw. gibt es mit der
Bahncard noch einmal 25 Prozent Preisnachlass. Alle Ra-
batte kumulieren sich also. Das wird in der öffentlichen
Wahrnehmung oftmals vergessen!
Mitfahrer – bis zu vier pro Person – bezahlen noch ein-
mal nur die Hälfte von allem. Kinder und Jugendliche bis
einschließlich 14 Jahren bezahlen gar nichts, wenn sie mit
einem Eltern- oder Großelternteil unterwegs sind.
Wer also mit seiner Freundin zum Beispiel von Berlin
nach Freiburg fährt, wird, wenn er alle Rabattmöglichkei-
ten ausnützt, dafür am Ende weit weniger als 50 Prozent
des heutigen Grundpreises bezahlen, die Freundin per
Mitfahrerrabatt die Hälfte davon, die 14-jährige Tochter
und der 10-jährige Sohn fahren gratis mit. Da kann man
nicht meckern.
Hinzu kommt: Beim Kauf einer Bahncard gibt es für
den Ehepartner und für Kinder bis zu 17 Jahren jeweils
eine eigene Bahncard nahezu umsonst, das heißt gegen
eine Bearbeitungsgebühr von 5 Euro. Sie ist voll gültig
und kann auch einzeln genutzt werden. Der Kauf der
Bahncard selbst wird statt heute 270 DM nur noch
60 Euro kosten.
Die Bahncard wird übrigens auch zu Preisnachlässen
beim Anmieten eines Smart-PKW – DB rent – oder eines
Fahrrades – call a bike – am Zielbahnhof berechtigen.
Aus all diesen Gründen haben die Fahrgast- und Um-
weltverbände die geplante Fahrpreisreform der Deut-
schen Bahn in der Tendenz positiv bewertet, zum Beispiel
im Beschluss des Bundes für Umwelt- und Naturschutz:
„Das geplante Fahrpreissystem der DB hat nach Meinung
des BUND die Chance, das Bahnfahren attraktiver zu ma-
chen und neue Kundenkreise für die Bahn zu gewinnen“.
In den auch von uns kritisierten ersten beiden Punkten
werden wir uns gemeinsam für Nachbesserungen einset-
zen, damit Bahnfahren für alle billiger wird. Die berufe-
nen Akteure dafür sind in erster Linie die Fahrgastver-
bände, die wir dabei unterstützen sollten. Der Bundestag
kann aber nicht über das Fahrpreissystem der DB AG be-
schließen.
Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Der Antrag des
Kollegen Wolf ist ja eine wunderbare Sortierung von Be-
griffen, Definitionen, kleinen Analysen, auch der einen
oder anderen Anregung, insgesamt eine nette kleine Se-
minararbeit. Nur – wir diskutieren heute nicht über die
Bahnreform an sich, sondern auf deren Grundlage. Daher
muss ich Ihnen leider sagen: Thema verfehlt! Nehmen Sie
diese Note nicht zu schwer, denn nach der PISA-Studie
sind Sie in Deutschland damit ja nicht der einzige.
Ihr Antrag steht komplett in Widerspruch zur Richtung
der Schienenverkehrspolitik der vergangenen Jahre mit
der Bahnreform und völlig im Gleichklang mit den Ver-
suchen Ihrer Partei, aus jeder irgendwo aufkommenden
Schieflage einen Gerechtigkeitsfeldzug zu machen. Wie
immer propagieren Sie scheinbar einfache Lösungen von-
seiten des Staates, in diesem Fall durch eine verordnete
Preissenkung.
Die Bahn, die Ihnen vorschwebt, hat natürlich mo-
dernste Züge, besten Service, ein ausgeklügeltes, weit-
reichendes Angebot, ist höchst flexibel, fährt wahrschein-
lich auch nur mit nicht atomarem Strom und – die
Hauptsache – kostet den Kunden fast nichts, damit sich die
erhoffte Lenkungswirkung einstellt.
Dem Kollegen Wolf sei gesagt: Das ist doch zu einfach.
Ihr System kostet den Bürger als Bahnkunden vielleicht
kurzfristig weniger, den Bürger als Steuerzahler dafür
umso mehr. Erinnern Sie sich an die Gründe für die Bahn-
reform? Das Staatsbahnsystem hätte bis zum heutigen
Tage den Haushalt gesprengt, wenn wir nicht umgesteu-
ert hätten. Von der Reichsbahn wollen wir erst gar nicht
reden. Allein das müsste schon als Begründung ausrei-
chen, Ihren Antrag abzulehnen.
Oberstes Prinzip der Bahnreform ist Effizienz, Wirt-
schaftlichkeit und Subsidiarität. Dies kann nur durch
Wettbewerb garantiert werden. Was vor Ort und im Un-
ternehmen entschieden werden kann, soll auch dort ent-
schieden werden. Wenn mehrere Unternehmen in Kon-
kurrenz zueinander stehen, werden sie sich mit ihren
Angeboten schon am Riemen reißen. Dafür brauchen
wir keine obersten Planer, die alles organisieren, son-
dern Unternehmen, die mit Phantasie Angebote machen.
Genau deshalb haben wir bei der Bahnreform die Tarif-
gestaltung auch aus der parlamentarischen Zuständig-
keit herausgenommen. Dies können Sie den Abgren-
zungskriterien für das parlamentarische Fragerecht
entnehmen.
Hier liegt der Hund denn auch begraben. Die Bundes-
regierung schützt den Monopolisten DB AG und kümmert
sich nicht genug um den Wettbewerb. Wir alle wissen,
weshalb: Der Bundesverkehrsminister wird von seinem
Kanzler kleingehalten, damit vor den Wahlen Ruhe
herrscht und der Kanzler sich über jeden Reformbedarf
hinüberlächeln kann.
Natürlich gibt es auch berechtigte Kritik an dem Preis-
system der DB AG. Aber wichtiger als staatliches Hinein-
regieren in ein Unternehmen ist die Etablierung von Wett-
bewerb, damit sich der Kunde in Zukunft aussuchen kann,
welches Preissystem ihm gefällt.
Ich habe gar nichts gegen die Preissystemideen von
Herrn Wolf. Finden Sie doch ein Unternehmen, das mit
diesem System auf den Markt geht, dann werden wir se-
hen, ob es klappt. Ich würde mich sehr freuen, wenn end-
lich andere Anbieter mit eigenen Tarifen und Angeboten
an den Markt kämen. Warum sollte es nicht auch Billig-
anbieter geben, bei denen man ohne Ledersitze, ohne Ver-
köstigung und vielleicht auch nicht ganz so schick durchs
Land saust und dafür auch weniger bezahlt? All das be-
grüßt die FDP, nicht aber den Versuch, dem größten
Bahnunternehmen oder auch allen par ordre du mufti die
Preise zu diktieren.
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Anlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Nutzung satelliten-
gestützter Erdbeobachtungsinformationen (Zu-
satztagesordnungspunkt 7)
Lothar Fischer (Homburg) (SPD): In den vergange-
nen Jahren hat die Erdbeobachtung aus dem Weltraum mit
zahlreichen Missionen uns allen ihre grundsätzlichen
Möglichkeiten verdeutlicht. Mit anderen Worten: Dieser
Zweig der Raumfahrt wird erwachsen. Er wächst aus sei-
nen Kinderschuhen, die geprägt waren vom Erkenntnis-
drang der Wissenschaftler und den Herausforderungen an
die Ingenieure. Erwachsen werden heißt für mich, dass
die satellitengestützte Fernerkundung kein Selbstzweck
mehr sein darf, sondern dass ihr Nutzen für die Gesell-
schaft in den Vordergrund zu rücken hat. Jährlich wendet
allein das Ministerium für Bildung und Forschung gut
115 Millionen Euro für die Umweltbeobachtung per Sa-
tellit auf.
In diesem Jahr wird das mehr als eine Milliarde Euro
teure, europäische Umweltlabor ENVISAT gestartet.
Wenn der Start glückt, wird die wissenschaftliche Erdbe-
obachtung einen Höhepunkt erreicht haben.
In Teilbereichen der Erderkundung haben die deutsche
Wissenschaft und Industrie weltweit Spitzenpositionen
inne. An dieser Stelle möchte ich nur an die beiden Satel-
liten ERS-1 und ERS-2 erinnern. Für beide allein hat das
Forschungsministerium etwa 614 Millionen Euro aufge-
bracht.
Auf diese Erfolge können wir zu Recht stolz sein.
Diese Erfolge allein reichen aber nicht aus. Eine gute In-
vestition für unsere Gesellschaft stellen sie nur dar, wenn
es gelingt, die Erdbeobachtung zu kommerzialisieren.
Zukünftige Satelliten müssen die Interessen der Nutzer
berücksichtigen. Die Datenkontinuität sowie ihre zeit-
nahe Verfügbarkeit muss stimmen. Die Sensoren müssen
höher auflösen und miniaturisiert sein. Kurz gesagt: Das
Preis-Leistungsverhältnis muss stimmen.
Erste Erfolge in diese Richtung gibt es bereits. Wenn
wir diesen Weg weiter beschreiten, werden sich weitere
kommerzielle Anwendungsfelder erschließen. Der Ver-
trieb von Bilddaten und die daraus abgeleiteten Dienstleis-
tungen versprechen rasch wachsende Märkte. Wenn uns
das gelingt, werden die eingesetzten öffentlichen Mittel
ihren Zweck erreicht haben, das heißt wirtschaftlichen
Nutzen bringen und Arbeitsplätze schaffen. Die Erdbe-
obachtung verspricht eine ähnliche kommerzielle Dyna-
mik zu entwickeln wie der Kommunikations- und der
Navigationsmarkt. Zukunftsorientierte Unternehmen müs-
sen diese Chancen nutzen. Sie müssen ihrer Verantwor-
tung gerecht werden. Der Staat kann hier nur die erfor-
derlichen Rahmenbedingungen schaffen.
Wir meinen aber auch, dass der Staat sich nicht seiner
Verantwortung entziehen darf. Fakt ist, dass zumindest in
der Anfangszeit der Staat, also Bund, Länder und Kom-
munen, Hauptauftraggeber sein dürfte. Die Umwelt- und
auch die Wirtschaftsüberwachung sind nun einmal ho-
heitliche Aufgaben. In diesem Zusammenhang begrüßen
wir es, dass die Bundesregierung 1998 einen interminis-
teriellen Ausschuss für Geoinformationswesen – kurz:
IMAGI – berufen hat, in dem die Konzeption für ein effi-
zientes Datenmanagement für Geodaten auf Bundesebene
entwickelt wurde.
Angesichts der Ausgangslage hält die SPD-Fraktion
eine Bilanz für erforderlich. Wir fordern deshalb alle in
Betracht kommenden Ressorts auf, zu prüfen, in welchen
Fällen die Daten aus dem Weltraum die kostengünstigere
Alternative sein könnten. Zugleich sollen sie die Anfor-
derungen an die Qualität und an die Quantität der Daten
darstellen.
Sicher, in Zeiten knapper Kassen werden wir hierdurch
keinen Nachfrageboom auslösen. Das ist nicht der Punkt.
Wichtig ist, dass der Bedarf dargestellt wird, Zielsetzun-
gen formuliert werden und ein Planungsrahmen für die
Wirtschaft erkennbar wird. Hierdurch verspreche ich mir
wesentliche Impulse.
Ausdrücklich begrüßen möchte ich zum Schluss, dass
dieser Antrag auch die Unterstützung der Kolleginnen
und Kollegen von CDU/CSU und FDP gefunden hat.
Ilse Aigner (CDU/CSU): Immer wieder hören wir von
verheerenden Umweltkatastrophen und deren Auswir-
kungen, die sich oft erst Jahre später in ihrem wirklichen
Ausmaß präsentieren. Als jüngstes Beispiel ist uns allen
der Vulkanausbruch im Kongo vor Augen. Damit ein ver-
nünftiges Umweltmanagement möglich ist, brauchen wir
eine neue bzw. in anderen Ländern bereits verwendete Art
der Forschung. Diese sollte umweltverträglich, ressour-
censchonend, nachhaltig und arbeitsplatzsichernd, wenn
möglich sogar arbeitsplatzfördernd sein.
In den USA und Frankreich wird bereits seit einigen
Jahren die satellitengestützte Erdbeobachtung für eine
verantwortliche Umweltpolitik genutzt. Nun wird es auch
für Deutschland Zeit nachzuziehen. Schließlich ist Um-
welt nicht nur eine nationale, sondern auch eine interna-
tionale Problematik, die eine starke Verantwortung von
uns abverlangt. Wir sind im Sinne der Nachhaltigkeit ver-
pflichtet, den uns folgenden Generationen eine gesunde
und stabile Grundlage für die Gesundheit und das Leben
zu übergeben. Wie wichtig die Umwelt für unsere Ge-
sundheit ist, brauche ich Ihnen ja nicht zu sagen, aber wir
sollten uns dies immer wieder vor Augen halten.
Damit eine enge Zusammenarbeit auf internationaler
Ebene möglich ist – gerade mit dem Ziel eines gemeinsa-
men Europas –, sollten auch die Grundvoraussetzungen
der Umweltpolitik und Klimaforschung einheitlich sein.
Nach den jetzigen Erfahrungen reicht zum Beispiel eine
Kombination von Messungen am Boden, auf Schiffen und
per Satelliten aus, um die Genauigkeit der CO2-Nettobi-lanzwerte verschiedener Staaten zu überwachen.
Damit eine Kombination und Transferierung der
großen Datenmengen möglich ist, muss Deutschland
stark nacharbeiten und als gleichberechtigter Partner in
die Definitionsphase der Erdbeobachtungsprogramme
einbezogen werden. Leider ist die Finanzierung zusätzli-
cher Aufgaben, wie die zusätzliche Auswertung der Daten
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per Computersimulation, im Umweltbereich äußerst
knapp bemessen.
Damit möchte ich Sie, Herr Trittin, als zuständigen
Umweltminister bitten, den Bereich der Umwelterfor-
schung noch einmal wohlwollend, auch für eine beson-
dere Art dieser Erforschung, zu prüfen. Schließlich dürfte
Ihnen als Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen besonders
an dem Erhalt der Umwelt gelegen sein. Immerhin sind
Sie im Namen der Bundesrepublik Deutschland in Kioto
Verpflichtungen eingegangen und haben Versprechungen
gemacht, die sich nicht von selbst einlösen.
Deshalb bedarf es einer ständigen Überprüfung, wie
wichtige Erkenntnisse am besten und effektivsten erzielt
werden können. Ein Erfolg versprechender Weg hierzu ist
mit Sicherheit der Einsatz von Satellitentechnik. Das
heißt, wir müssen die ständige Verbesserung der Satelli-
ten unterstützen und fördern. Darin schließt sich aus der
Sicht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auch die Weiter-
entwicklung der Simulationsmodelle ein. Diese sind im
Zusammenhang mit der satellitengestützten Erdbeobach-
tung notwendig, um langfristige Trends im Erdsystem zu
verstehen und besser beschreiben zu können, aber auch,
um die verschiedenen Erdbeobachtungssysteme weiterzu-
entwickeln und zu verbessern.
Sicherlich können Kritiker sagen, dass man die Erde
bereits von Flugzeugen aus beobachtet. Dies steht außer
Frage, denn es ist auch weiterhin notwendig, diese Art der
Erdbeobachtung fortzuführen. Allerdings erlaubt die Me-
terauflösung bei der satellitengestützten Beobachtung
eine sehr viel stärkere Inanspruchnahme. Die Daten kön-
nen so genauer bestimmt und übermittelt werden. Des
Weiteren ermöglichen sie eine genauere Aussage des
Sachstandes.
Es liegt allerdings an uns, einen sicheren Zugriff für die
verschiedenen Nutzer zu gewährleisten. Dass dies wich-
tig ist, sehen wir an dem bereits erwähnten aktuellen Bei-
spiel, dem Vulkanausbruch im Kongo. Hätte man hier be-
reits die Daten gehabt, wären jetzt noch viele Menschen
am Leben. Die Katastrophenvorhersage als Maßnahme
für eine verantwortungsvolle Politik ist eine völlig neue
Möglichkeit. Nur müssen wir Politiker lernen, den Wis-
senschaftlern zu vertrauen und unsere Politik in einigen
Aspekten anzupassen. An diesem Beispiel ist der hohe
Wert einer guten internationalen und ressortübergreifen-
den Zusammenarbeit ersichtlich.
Eine weitere Möglichkeit der satellitengestützten Erd-
beobachtung ist die geoökologische Flächenkontrolle, die
nicht nur von internationaler, sondern auch von großer na-
tionaler Bedeutung ist. Das Bundesumweltministerium
– da muss ich Sie und Ihr Ministerium auch einmal lobend
erwähnen, Herr Trittin – hat ein Vorhaben geplant, in des-
sen Rahmen eine regelmäßige und flächendeckende Be-
urteilung des ökologischen Zustandes in Deutschland er-
folgen soll. Diese Kartierung ist ein wichtiges Instrument
für die folgenden politischen Entscheidungen. Dafür be-
darf es eines Fernerkundungsverfahrens, das aus Rohda-
ten eines Erdbeobachtungssystems die gewünschten In-
formationen aktionsgerecht aufarbeitet.
Im Rahmen der 5. Vertragsstaatenkonferenz der Kli-
marahmenkonvention haben Deutschland und die EU ihre
Vorreiterrolle im internationalen Klimaprozess unterstri-
chen und sich für ein System der Erfüllungskontrolle ein-
gesetzt. Dies setzt unter anderem die Verfügbarkeit geeig-
neter Instrumente voraus. Diese müssen insbesondere die
Erfassung der bisher umstrittenen CO2-Senken ermögli-chen. Hier weist das stark diskutierte Ergebnisprotokoll
von COP 5 ausdrücklich auf die Eignung der Erdbeob-
achtung hin. Aufgrund ihrer Eigenschaften, wie die hohe
thermische und geometrische Genauigkeit, eignen sich
die Erdbeobachtungsdaten ausgezeichnet für die Erstel-
lung von Ergebnisprotokollen. Durch eine rechtzeitige
Entwicklung entsprechender Datenprodukte kann
Deutschland seine politische Vorreiterrolle im EU-Rah-
men untermauern.
Wie Sie sehen, ist die satellitengestützte Erdbeobach-
tung für viele Ressortbereiche von großer Bedeutung. Die
ständige Gewinnung von neuen Erkenntnissen und die
Verwertung dieser sind bedeutende Bestandteile für eine
gute und weiterführende Politik. Es gibt aber auch for-
schungspolitische und industriepolitische Gründe dafür.
Es wird seit vielen Jahren und auch in Zukunft die Erdbe-
obachtung als ein wichtiger Schwerpunkt der Raumfahrt-
forschung gesehen. Die Mittel, die in der Vergangenheit
und auch in der Zukunft im Forschungsbereich investiert
wurden und werden, sollen auch verstärkt in Anwendung
bei allen Ressorts gebracht werden, wo sie sinnvoll und
effektiv eingesetzt werden können.
Durch die Förderung im Forschungsbereich sind er-
hebliche und weltweit beachtliche Kernkompetenzen auf
diesem Gebiet in der deutschen Wissenschaft und Indus-
trie geschaffen worden, die wir weiter fordern und fördern
sollten. Aus diesen Gründen hat sich die CDU/CSU-Frak-
tion dem gemeinsamen Antrag angeschlossen.
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
Erdbeobachtung hat für Bündnis 90/Die Grünen die höchs-
te Priorität in der Weltraumfahrtpolitik. Die Erdbeobach-
tung ist mittlerweile in vielen wichtigen Bereichen ein
wichtiges Instrument, das kaum noch wegzudenken ist.
Allerdings ist die Erdbeobachtung auch kein Selbst-
zweck. Auch sie muss sich jeweils nach ihrem Kosten-
Nutzen-Verhältnis befragen lassen.
Ohne die Erdbeobachtung wäre das Ozonloch vermut-
lich erst Jahrzehnte später entdeckt worden. Ohne die Erd-
beobachtung wäre die Klimaforschung kaum denkbar.
Die Erdbeobachtung wird in den nächsten Jahren immer
wichtiger werden. So wird sie bei der Überprüfung von
Klimaschutzabkommen eine wichtige Rolle einnehmen.
Auch bei der Bekämpfung des Hungers wird ihre Bedeu-
tung zunehmen.
Die Bedeutung der Erdbeobachtung geht aber über den
Klimaschutz weit hinaus. Die Landwirtschaft wird in Zu-
kunft in vielerlei Hinsicht von den Daten profitieren.
Schädlinge werden sich besser bekämpfen und Trocken-
bzw. Regenzeiten besser handhaben lassen. Die Vegeta-
tion wird sich besser beobachten lassen. Auch der Hoch-
wasserschutz wird durch die Erdbeobachtung eine neue
Qualität erhalten.
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Erdbeobachtung wird auch eine immer wichtigere
Rolle bei der Friedenssicherung und Konfliktminimie-
rung spielen. So können Truppenbewegungen frühzeitig
erkannt werden. Rüstungsprojekte werden immer schwe-
rer zu vertuschen sein.
Mit der zunehmenden Bedeutung der Erdbeobachtung
nimmt aber auch die Datenmenge zu. Es wird daher auch
immer wichtiger werden, die Daten zu erfassen und nutz-
bar zu machen.
Je breiter die Nutzungsmöglichkeiten der Erdbeobach-
tung werden, desto wichtiger wird es werden, dass die po-
tenziellen Nutzer hierüber informiert werden. Es ist daher
folgerichtig, wenn die betroffenen Bundesministerien
sich eine entsprechende Kompetenz aufbauen bzw. die
vorhandene Kompetenz erweitern. Die vielfache Nutzung
der Daten aus der Erdbeobachtung wird helfen, Kosten in
vielen Verwaltungsbereichen zu reduzieren. Man denke
hier nur an den Naturschutz, bei dem eine flächen-
deckende Beobachtung zukünftig viel kostengünstiger
möglich sein wird.
Dort, wo Flugzeuge die Beobachtungstätigkeit effi-
zienter gestalten können, sollten diese Priorität haben. In
diesem Zusammenhang möchte ich auf die Entwicklung
von solarbetriebenen Flugzeugen zur Erderkundung in
den USA hinweisen. Diese können in einigen Bereichen
Satelliten ersetzen und Daten kostengünstiger liefern.
Es ist grundsätzlich sinnvoll, die privaten Nutzer an den
Kosten zu beteiligen; nur so können die Ausgaben opti-
miert werden. Im öffentlichen Bereich darf eine stärkere
Beteiligung der Nutzer an den Kosten nicht dazu führen,
dass entsprechende Daten dann nicht erhoben werden –
einfach weil die Mittel fehlen. Im Falle des BMU und des
BMZ bestehen keine finanziellen Spielräume, um die mit-
unter hohen Kosten decken zu können. Hier muss Vorsorge
in Form einer Mittelaufstockung geleistet werden. An-
sonsten besteht zum Beispiel die Gefahr, dass die Erdbe-
obachtung und die Klimaforschung nicht mehr finanziert
werden können. Dies würde auch die Verhandlungsposi-
tion des Auswärtigen Amtes in Klimaschutzkonferenzen
schwächen, denn hierzu werden wichtige Daten aus der
Klimaforschung benötigt.
Ulrike Flach (FDP): Um es gleich am Anfang zu sa-
gen: Auch die FDP stimmt dem vorliegenden Antrag zu.
Satellitengestützte Erdbeobachtung ist ein Zukunfts-
thema, das leider nicht die nötige öffentliche Aufmerk-
samkeit genießt. Bund, Länder, aber auch private Nutzer
sind in vielfältigen Bereichen auf die Daten satellitenge-
stützter Fernerkundung angewiesen. Leider ist die Koor-
dination und Kooperation zwischen den Behörden in der
Vergangenheit nicht immer optimal gelaufen. Der vorlie-
gende Antrag erteilt der Bundesregierung einen Prüfauf-
trag, festzustellen, für welche Aufgaben die Nutzung von
Erdbeobachtungsdaten vorstellbar ist und wie es im Aus-
land praktiziert wird. Geprüft werden soll weiterhin, wel-
che Anforderungen an die Datenqualität, Datenmenge etc.
gestellt werden und wie die Leistungsfähigkeit und Effi-
zienz der Datendienste gesteigert werden kann.
Das ist aber leider bereits alles, was in diesem Antrag
steht. Es geht um einen reinen Prüfauftrag ohne Vorgaben
oder Festlegungen, ohne Bezifferung von Kosten oder or-
ganisatorische Vorschläge.
Ich kann es Ihnen nicht ersparen darauf hinzuweisen,
dass die FDP bereits am 28. Juni 2000 einen Antrag ein-
gebracht hatte, der sich viel detaillierter und konkreter mit
der satellitengestützten Erdbeobachtung beschäftigte, der
genau sagte, welche Datenprodukte wir brauchen und was
wir dafür ausgeben wollen. Damals gab es eine große in-
haltliche Übereinstimmung bei allen Fraktionen und wir
haben mehrfach versucht, diesen Antrag zu einem inter-
fraktionellen Antrag zu machen. Ich darf daran erinnern,
dass es die peinliche Uneinigkeit innerhalb der SPD war,
die dafür gesorgt hat, dass es keinen interfraktionellen An-
trag gab. Lothar Fischer war dafür, Bodo Seidenthal da-
gegen.
Wir haben dann nach endlosen quälenden Gesprächen
gesagt: „Es reicht“ und unseren Antrag eingebracht. Sie
haben ihn abgelehnt und im Bildungs- und Forschungs-
ausschuss hat Herr Fischer angekündigt, nun würde man
mit einem eigenen Antrag kommen. Dieser Antrag liegt
nun vor und da wir uns nicht so kleinkariert verhalten wol-
len wie Sie, haben wir diesem Antrag zugestimmt. Er wird
in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus keine
bleibenden Spuren hinterlassen, denn er ist so weichge-
spült, dass jeder ihm zustimmen kann. Er wird aber auch
nicht viel dazu beitragen, die so wichtige satellitenge-
stützte Erdbeobachtung voranzubringen.
Wir begehen 2002 das Jahr der Geowissenschaften.
Wenn der Deutsche Bundestag nicht mehr zustande bringt
als dieses Papierchen, dann wäre es ein höchst unrühm-
liches Zeichen für den Stellenwert der Geowissenschaften
in Deutschland.
Angela Marquardt (PDS): Nachdem in vergangenen
Jahren ausführlich über Satellitensysteme und die Nut-
zung von Geodaten in diesem Hause debattiert wurde,
kommt nun also noch ein Nachschlag. Der vorliegende
Antrag – der inzwischen ja auch von Union und FDP un-
terstützt wird – soll uns zu einem Einverständnis bezüg-
lich einer Teilnahme Deutschlands an einer europäischen
Kapazität für die globale Umwelt- und Sicherheitsüber-
wachung ermuntern.
Aus der BMBF-Presseerklärung vom 16. November
2001 wissen wir aber, dass Frau Bulmahn auf der ESA-Mi-
nisterratskonferenz in Edinburgh die Teilnahme Deutsch-
lands an diesem System längst zugesagt hat. Dort hat
Deutschland „wissenschaftliche Projekte im Wert von
rund 2 Milliarden Euro gezeichnet“. An dem zweiten ge-
meinsamen Projekt von EU und ESA, nämlich dem be-
sagten Umweltprogramm GMES, ist die Bundesregierung
in der Definitionsphase gleich mit 25 Prozent beteiligt.
Von 2002 bis 2006 sollen dafür ganze 20,8 Millionen Euro
ausgegeben werden, wie uns in der Antwort auf unsere
Kleine Anfrage mitgeteilt wurde.
Dieses Verfahren der nachträglichen Legitimation
durch den Deutschen Bundestag findet nicht gerade unse-
ren Beifall. Ich will jedoch nicht nur etwas zum Verfahren
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sagen, sondern auch zum Gegenstand selbst. Der Aus-
schuss für Umwelt und Reaktorsicherheit hatte sich jüngst
gegen ein zusätzliches Datenfernerkundungssystem für
die Umwelt ausgesprochen, weil bestehende Datenfried-
höfe erst einmal aufgearbeitet werden müssen. Sollte das
nicht auch für die Globale Umwelt- und Sicherheitsüber-
wachung, GMES, gelten?
Ja, wenn es denn nur ein Umweltprogramm wäre! Bei
genauerem Hinsehen hat das GMES aber noch ganz an-
dere Seiten. Immerhin gelten auch die Bundesministerien
für wirtschaftliche Entwicklung, Inneres und Verteidi-
gung als „Nutzer-Ressorts“. Das macht auch Sinn. Denn
im Aktionsplan 2001 bis 2003 heißt es, das GMES solle
vor allem „die Ziele Europas in den Bereichen nachhal-
tige Entwicklung und Weltordnungspolitik unterstützen“.
In einem Vortrag vor der Deutschen Gesellschaft für
Auswärtige Politik ordnete Rudolf Winter das GMES im
Mai 2001 in den Kontext der europäischen Umwelt- und
Sicherheitspolitik ein. Die Notwendigkeit des GMES
wird im Bericht des NATO-Committee on the Challenges
of Modern Society von 1999 wie folgt bestimmt: „Die
NATO und ihre Mitgliedstaaten sind in zunehmendem
Maße besorgt über nicht traditionelle Bedrohungen für die
Sicherheit, darunter Auswirkungen von Umweltverände-
rungen.“ Und: „Vorbeugende Maßnahmen gegen Um-
welteinflüsse sind das effektivste Mittel zur Vermeidung
von Umweltkonflikten.“
Anders gesagt: Die Rede ist von einem Wettstreit um
die natürlichen Ressourcen. GMES soll offenbar eine
Rolle bei der zukünftigen Sicherung von Bodenschätzen
und Rohstoffquellen spielen. Es ist also auch ein Projekt
zur Durchsetzung ökonomischer Interessen mit militäri-
schen Mitteln. Das muss hier ausgesprochen werden.
Daraus ergibt sich, dass die PDS dem GMES-Pro-
gramm nicht nur aus fiskalischen Gründen ablehnend ge-
genübersteht, sondern auch aus inhaltlichen. Wir sind also
nicht beleidigt, dass man uns gar nicht erst gefragt hat, ob
wir den fraktionsübergreifenden Antrag unterstützen wol-
len. Falls doch noch jemand fragt: Wir wollen nicht.
Wolf-Michael Catenhusen, Parlamentarischer
Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und
Forschung (SPD): Das BMBF begrüßt den fraktions-
übergreifenden Antrag zur Nutzung satellitengestützter
Erdbeobachtungsinformation.
Seit langem fördert das BMBF die Entwicklung von
Technologien und Verfahren für eine nachhaltige Nutzung
des gesamten Spektrums der weltraumgestützten Erdbe-
obachtung. Ein herausragendes Beispiel ist der europä-
ische Umweltsatellit ENVISAT, dessen Start in den
nächsten Wochen bevorsteht. Mit seinen neuartigen In-
strumenten trägt er zur Beantwortung einer Reihe der
drängendsten Fragen der globalen Umweltveränderungen
bei. Waldschäden, Bodenerosion, Gewässer- und Meeres-
verschmutzung, Belastung der Atmosphäre durch Schad-
stoffe, Treibhauseffekt, Anstieg der UV-Strahlung sind ei-
nige der Themen, zu denen Europa nun Daten einer völlig
neuartigen Qualität zur Verfügung stehen werden. Dieser
im Rahmen der europäischen Raumfahrtagentur reali-
sierte Satellit trägt als Teil seiner Nutzlast auch das
deutsch-holländische SCIAMACHY-Instrument, wel-
ches in bisher unerreichter Genauigkeit die globale Ozon-
schicht und eine ganze Reihe weiterer Spurengase messen
kann.
Erdbeobachtungsdaten sind unbedingte Voraussetzung
für ein nachhaltiges Management unserer Ressourcen und
für eine konsequent zukunftsorientierte Politik. Sowohl
im Rahmen der Überwachung internationaler Konventio-
nen und zur Erfüllung von Berichtspflichten beispiels-
weise im Zusammenhang mit dem Kioto-Proto-
koll, aber auch zur Verifizierung der Angaben anderer
Länder im Zusammenhang mit internationalen Verhand-
lungen besteht ein Bedarf an Erdbeobachtungsinforma-
tionen.
Daraus wird auch deutlich, dass Europa einen unab-
hängigen und eigenständigen Zugang zu diesen Techno-
logien braucht. Die Bundesregierung unterstützt deshalb
nachdrücklich die GMES-Initiative der Europäischen
Kommission. Auf der Ministerratskonferenz der ESA im
November letzten Jahres haben wir das entsprechende
ESA-Programm mit einem 25-prozentigen Beitrag ge-
zeichnet. Deutschland hat damit in Europa eine Führungs-
rolle in diesem Bereich.
Immer mehr wird deutlich, dass neue Märkte für
Dienstleistungen und Informationen aus Erdbeobach-
tungsdaten entstehen. Der Blick nach USA zeigt: Staatli-
che Nachfrage kann diese Märkte stützen und fördern.
Auf der Grundlage einer Politik, die die konsequente Nut-
zung von Erdbeobachtungsdaten durch staatliche Stellen
vorsieht, konnte sich dort in den letzten fünf Jahren eine
ganze Reihe von kommerziellen Anbietern hoch auflö-
sender Erdbeobachtungsdaten entwickeln. Diese Unter-
nehmen finanzieren heute selbst die Entwicklung, den
Bau und den Start von Erdbeobachtungssatelliten. Auch
in Deutschland entwickeln sich derzeit starke Initiativen
zur kommerziellen Bereitstellung hochauflösender Erd-
beobachtungsdaten. Diese Entwicklung gilt es durch eine
konsequente Nutzung der Erdbeobachtungsdaten durch
staatliche Stellen zu stützen.
Satellitengestützte Fernerkundung bietet bei der Erfül-
lung staatlicher Aufgaben gegenüber der konventionellen
Datenerfassung eine ganze Reihe von Vorteilen: zeitliche
Aktualität, räumliche Repräsentativität, Wiederholbarkeit
und thematische Homogenität der Ergebnisse. Eine echte
Kostenrechnung zeigt auch, dass in vielen Bereichen die
Nutzung der Erdbeobachtung deutliche Kostenvorteile er-
gibt. Die Europäische Kommission konnte dies in letzten
Jahren beispielsweise sehr erfolgreich bei der großräumi-
gen Kontrolle von Agrarsubventionen demonstrieren.
Dennoch bleibt zurzeit – in Deutschland wie auch bei der
EU – die tatsächliche Nutzung moderner Erdbeobach-
tungstechnologien zur Erfüllung staatlicher Aufgaben
noch deutlich hinter ihrem Potenzial zurück.
Die Nutzungsmöglichkeiten sind vielfältig. Offen-
sichtlich ist die Nutzung im Zusammenhang mit Umwelt-
fragen: Gerade Fragen globaler Dimension wie die Aus-
dünnung der stratosphärischen Ozonschicht profitieren
von dem globalen Überblick, der nur durch weltraumba-
sierte Erdbeobachtung möglich ist.
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Aber denken Sie auch an das Potenzial beim schnellen
und effizienten Management von Katastrophen wie Hoch-
wasserereignisse oder – ganz aktuell – einem verheeren-
den Vulkanausbruch. Satellitendaten ermöglichen hier in-
nerhalb kürzester Zeit eine klare Einschätzung der
Gesamtlage, auch als Planungsgrundlage für den Einsatz
der Hilfskräfte.
Technologien und Verfahren sind in den letzten Jahren
mit intensiver Unterstützung des BMBF entwickelt und in
Pilotprojekten erprobt worden. Beispielhaft seien ge-
nannt: Hochwasservorhersagen für Neckar und Mosel zu-
sammen mit der Hochwasservorhersagezentrale in Ba-
den-Württemberg; im Küstenschutz die Veränderung des
Elbe-Ausflusses in die Nordsee zusammen mit der Bun-
desanstalt für Wasserbau; in der Forstwirtschaft die Er-
fassung des Waldzustandes im Erzgebirge und im bayeri-
schen Wald zusammen mit der Landesanstalt für Wald
und Forsten in Sachsen und dem Bayerischen Landesamt
für Wald und Forsten.
Jetzt ist es an der Zeit, sie in die operationelle Nutzung
zu überführen. Die Beispiele zeigen, wie satellitenge-
stützte Erdbeobachtung bei praktischen Problemen helfen
kann. Es ist nicht nur der Bund mit seinen Ressorts und
nachgeordneten Behörden, es sind ganz wesentlich auch
die Länder gefordert, sich die Möglichkeiten moderner
Satellitentechnik zu erschließen.
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Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin