Protokoll:
14209

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 209

  • date_rangeDatum: 14. Dezember 2001

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 16:00 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Zusatztagesordnungspunkt 18: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes zu dem Ge- setz zur Regelung der Rechtsverhältnisse von Prostituierten (Prostitutionsgesetz) (Drucksachen 14/5958, 14/7174, 14/7524, 14/7748) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20701 B Zusatztagesordnungspunkt 19: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Änderung des Strafrechtlichen Re- habilitierungsgesetzes (Drucksachen 14/7283, 14/7476, 14/7745, 14/7749) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20701C Zusatztagesordnungspunkt 20: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes zu dem ... Gesetz zur Änderung der Strafprozess- ordnung (Drucksachen 14/5166, 14/6576, 14/7015, 14/7776) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20701D Zusatztagesordnungspunkt 21: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Reform der Professorenbesoldung (Pro- fessorenbesoldungsreformgesetz) (Drucksachen 14/6852, 14/7356, 14/7743, 14/7777) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20702 A Zusatztagesordnungspunkt 22: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Bereinigung des Rechts- mittelrechts im Verwaltungsprozess (RmBereinVpG) (Drucksachen 14/6393, 14/6854, 14/7474, 14/7744, 14/7779) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20702 B Zusatztagesordnungspunkt 23: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes zu dem Ge- setz zur Fortentwicklung des Unternehmen- steuerrechts (Unternehmensteuerfortent- wicklungsgesetz) (Drucksachen 14/6882, 14/7084, 14/7343, 14/7344, 14/7742, 14/7780) . . . . . . . . . . . 20702 C Joachim Poß SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20702 C Peter Rauen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 20703 B Kristin Heyne BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20703 D Carl-Ludwig Thiele FDP . . . . . . . . . . . . . . . . 20704 D Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20705 C Tagesordnungspunkt 19: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur ge- werblichen Erzeugung von Elek- trizität (Drucksachen 14/6890, 14/7825) 20706 C – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Plenarprotokoll 14/209 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 209. Sitzung Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 I n h a l t : geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerb- lichen Erzeugung von Elektrizität (Drucksachen 14/7261, 14/7825) 20706 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Kurt-Dieter Grill, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Kern- energieausstieg ohne Konzept für Energiepolitik und Entsorgung (Drucksachen 14/6886, 14/7825) 20706 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Kurt- Dieter Grill, Gunnar Uldall, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Deutschland muss weiterhin in der Reaktorsicher- heitsentwicklung eine führende Rolle einnehmen – Zusagen an Frankreich müssen eingehalten werden (Drucksachen 14/1212, 14/3327) 20707 A d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Kurt- Dieter Grill, Dr. Peter Paziorek, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Zukunft der nuklearen Entsorgung – Entsor- gungskonzept jetzt vorlegen (Drucksachen 14/4644, 14/6030) 20707 A Horst Kubatschka SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 20707 B Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 20708 C Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU 20710 A Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20711 D Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20712 B Kurt-Dieter Grill CDU/CSU . . . . . . . . . . 20713 D Birgit Homburger FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 20714 B Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 20716 C Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . . . . . . . 20717 D Walter Hirche FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20719 C Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . . . . . . . 20720 A Dr. Paul Laufs CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 20720 B Ulrich Kelber SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20721 D Jürgen Trittin, Bundesminister BMU . . . . . . . 20722 D Kurt-Dieter Grill CDU/CSU . . . . . . . . . . 20724 B Birgit Homburger FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 20724 D Jürgen Trittin, Bundesminister BMU . . . . . . . 20725 A Dr. Christian Ruck CDU/CSU . . . . . . . . . . . 20725 C Christoph Matschie SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 20727 C Walter Hirche FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 20729 C Tagesordnungspunkt 20: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Einführung des diagnoseori- entierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser (Fallpauschalenge- setz) (Drucksachen 14/6893, 14/7824, 14/7862) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20730 C – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ein- führung des diagnoseorientierten Fallpauschalensystems für Kran- kenhäuser (Fallpauschalengesetz) (Drucksachen 14/7421, 14/7461, 14/7824, 14/7862) . . . . . . . . . . . . . 20730 C b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Begrenzung der Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (Arzneimittelausgaben-Begrenzungs- gesetz) (Drucksachen 14/7144, 14/7827, 14/7855) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20730 D Ulla Schmidt, Bundesministerin BMG . . . . . 20731 A Dr. Hans Georg Faust CDU/CSU . . . . . . . . . 20733 B Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20735 B Dr. Dieter Thomae FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 20737 B Klaus Kirschner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 20738 B Horst Schmidbauer (Nürnberg) SPD . . . . 20738 C Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20739 B Horst Schmidbauer (Nürnberg) SPD . . . . . . . 20740 D Dr. Hans Georg Faust CDU/CSU . . . . . . 20741 D Dr. Wolf Bauer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 20742 C Dr. Carola Reimann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 20744 D Annette Widmann-Mauz CDU/CSU . . . . . . . 20746 C Dr. Carola Reimann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 20746 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001II Tagesordnungspunkt 21: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Bekämpfung des interna- tionalen Terrorismus (Terroris- musbekämpfungsgesetz) (Drucksachen 14/7386 (neu), 14/7830, 14/7856) . . . . . . . . . . . . . 20747 D – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämp- fungsgesetz) (Drucksachen 14/7727, 14/7754, 14/7830, 14/7856) . . . . . . . . . . . . . 20747 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Volker Rühe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Si- cherheit 21 – Was zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus jetzt zu tun ist (Drucksachen 14/7065 (neu), 14/7830) 20748 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 24: Antrag der Abgeordneten Petra Pau, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der PDS: Bürgerrechte schützen – öffentliche Sicherheit verbessern (Drucksache 14/7792) . . . . . . . . . . . . . . . 20748 A Dieter Wiefelspütz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 20748 B Erwin Marschewski (Recklinghausen) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20750 A Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20752 A Sylvia Bonitz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 20753 D Dr. Max Stadler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20755 A Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20756 C Otto Schily, Bundesminister BMI . . . . . . . . . 20757 C Jürgen Koppelin FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20761 A Otto Schily, Bundesminister BMI . . . . . . . . . 20761 C Wolfgang Zeitlmann CDU/CSU . . . . . . . . . . 20761 C Tagesordnungspunkt 22: a) Erste Beratung des von den Abgeord- neten Dr. Norbert Röttgen, Manfred Grund, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Parteiengesetzes (Drucksache 14/7441) . . . . . . . . . . . . 20763 C b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs ei- nes Achten Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes Drucksache 14/7778) . . . . . . . . . . . . . 20763 D Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD . . . . . . . . 20763 D Dr. Norbert Röttgen CDU/CSU . . . . . . . . . . 20765 A Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20769 A Dr. Max Stadler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20770 B Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 20771 B Inge Wettig-Danielmeier SPD . . . . . . . . . . . 20772 A Tagesordnungspunkt 23: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modulation von Direkt- zahlungen im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik (Modulationsgesetz) (Drucksachen 14/7252, 14/7812) . . . . . . . 20773 D Renate Künast, Bundesministerin BMVEL . . 20774 A Peter H. Carstensen (Nordstrand) CDU/CSU 20775 C Waltraud Wolff (Wolmirstedt) SPD . . . . . . . 20777 D Marita Sehn FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20779 D Kersten Naumann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 20780 D Tagesordnungspunkt 24: Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Detlef Parr, Sabine Leutheusser- Schnarrenberger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Präimplationsdiagnostik (Präimplationsdiagnostikgesetz) (Drucksache 14/7415) . . . . . . . . . . . . . . . 20781 D Tagesordnungspunkt 26: Antrag der Abgeordneten Karl-Josef Laumann, Horst Seehofer, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Arbeit statt Sozialhilfe – Hin zu einer Kultur von Geben und Nehmen (Drucksache 14/7443) . . . . . . . . . . . . . . . 20782 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 III Tagesordnungspunkt 28: Antrag der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt, Heinz Seiffert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Übergangslö- sung für Umsatzbesteuerung von Sport- anlagen (Drucksache 14/7285) . . . . . . . . . . . . . . . 20782 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 25: Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus Kinkel, Carl-Ludwig Thiele, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP: Umsatzbe- steuerung von Sportanlagen wirtschafts- freundlich gestalten (Drucksache 14/7813) . . . . . . . . . . . . . . . 20782 B Tagesordnungspunkt 29: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungs- wesen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Karlheinz Guttmacher, Hans- Michael Goldmann, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der FDP: Mehr Eigentum, mehr private Anbieter und zielgenaue Hilfen zum Strukturwan- del am Wohnungsmarkt in den neuen Bundesländern – zu dem Antrag der Abgeordneten Christine Ostrowski, Maritta Böttcher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Vorschläge der Bund-Län- der-Arbeitsgruppe Wohnungsleer- stand Ost sachgerecht modifizieren und umsetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Christine Ostrowski, Maritta Böttcher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Altschuldenbefreiung für abzureißende bzw. rückzubauende Wohnungen (Drucksachen 14/6055, 14/6848, 14/6849, 14/7449) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20782 C Tagesordnungspunkt 30: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Re- aktorsicherheit zu der Verordnung über die Entsorgung von gewerblichen Sied- lungsabfällen und von bestimmten Bau- und Abbruchabfällen (Drucksachen 14/7328, 14/7514 Nr. 2.2, 14/7828) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20783 A Tagesordnungspunkt 31: a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Aufhebung der für die Kostengesetze nach dem Einigungs- vertrag geltenden Ermäßigungssätze für den Teil des Landes Berlin, in dem das Grundgesetz vor dem 3. Oktober 1990 nicht galt (Ermäßigungssatz- Aufhebungsgesetz Berlin) (Drucksachen 14/6477, 14/7817) . . . . 20783 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer Funke, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Ende der doppelten Benachteiligung für die Rechtsanwälte in den neuen Ländern (Drucksachen 14/3485, 14/7817) . . . . 20783 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20784 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 20785 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Norbert Lammert (CDU/CSU) zur Abstim- mung über den Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) (Tagesord- nungspunkt 21 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20786 A Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) zur Abstimmung über den Entwurf eines Ge- setzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) (Tagesordnungspunkt 21 a) . . . . . . . . . . . . . . 20786 B Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik (Präimplantations- diagnostikgesetz) (Tagesordnungspunkt 24) 20787 A Helga Kühn-Mengel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 20787 A Margot von Renesse SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 20787 D Dr. Maria Böhmer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 20788 D Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20790 D Detlef Parr FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20791 C Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20792 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001IV Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Arbeit statt Sozialhilfe – Hin zu einer Kultur von Geben und Nehmen (Tagesordnungspunkt 26) . . . . . . . . . . . . . 20793 C Walter Hoffmann (Darmstadt) SPD . . . . . . . . 20793 C Brigitte Lange SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20794 C Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . . . . . . . 20796 A Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . 20797 C Dr. Heinrich L. Kolb FDP . . . . . . . . . . . . . . . 20798 D Pia Maier PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20799 D Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Übergangslösung für Umsatzbesteuerung von Sportanlagen – Umsatzbesteuerung von Sportanlagen wirtschaftsfreundlich gestalten (Tagesordnungspunkt 28 und Zusatztagesord- nungspunkt 25) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20800 C Horst Schild SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20800 D Norbert Barthle CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 20801 A Winfried Hermann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20802 B Dr. Klaus Kinkel FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20803 A Heidemarie Ehlert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 20803 C Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Mehr Eigentum, mehr private Anbieter und zielgenaue Hilfen zum Strukturwandel am Wohnungsmarkt in den neuen Bundeslän- dern – Vorschläge der Bund-Länder-Arbeits- gruppe Wohnungsleerstand Ost sachge- recht modifizieren und umsetzen – Altschuldenbefreiung für abzureißende bzw. rückzubauende Wohnungen (Tagesordnungspunkt 29) . . . . . . . . . . . . . . . . 20804 A Dr. Peter Danckert SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 20804 B Norbert Otto (Erfurt) CDU/CSU . . . . . . . . . 20806 B Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20807 B Dr. Karlheinz Guttmacher FDP . . . . . . . . . . . 20808 A Christine Ostrowski PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 20808 D Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Ver- ordnung über die Entsorgung von gewerbli- chen Siedlungsabfällen und von bestimmten Bau- und Abbruchabfällen (Tagesordnungs- punkt 30) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20810 C Rainer Brinkmann (Detmold) SPD . . . . . . . . 20810 D Georg Girisch CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 20811 D Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20813 A Birgit Homburger FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 20813 D Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20814 B Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhe- bung der für die Kostengesetze nach dem Einigungsvertrag geltenden Ermäßigungs- sätze für den Teil des Landes Berlin, in dem das Grundgesetz vor dem 3. Oktober 1990 nicht galt (Ermäßigungssatz-Aufhebungs- gesetz Berlin) – der Beschlussempfehlung und des Berichts: Ende der doppelten Benachteiligung für die Rechtsanwälte in den neuen Ländern (Tagesordnungspunkt 31 a und b) . . . . . . . . . . 20815 A Christine Lambrecht SPD . . . . . . . . . . . . . . . 20815 A Dr. Norbert Röttgen CDU/CSU . . . . . . . . . . . 20815 D Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20816 D Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20817 A Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 20817 C Anlage 10 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20818 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 V Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms 20784 (C)(A) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20785 (C) (D) (A) (B) Altmann (Aurich), BÜNDNIS 90/ 14.12.2001 Gila DIE GRÜNEN Balt, Monika PDS 14.12.2001 Baumeister, Brigitte CDU/CSU 14.12.2001 Berninger, Matthias BÜNDNIS 90/ 14.12.2001 DIE GRÜNEN Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 14.12.2001** Dr. Blank, CDU/CSU 14.12.2001** Joseph-Theodor Bohl, Friedrich CDU/CSU 14.12.2001 Böttcher, Maritta PDS 14.12.2001 Bulling-Schröter, Eva PDS 14.12.2001 Eich, Ludwig SPD 14.12.2001 Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 14.12.2001 Joseph DIE GRÜNEN Frankenhauser, CDU/CSU 14.12.2001 Herbert Friedrich (Altenburg), SPD 14.12.2001 Peter Fromme, CDU/CSU 14.12.2001 Jochen-Konrad Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 14.12.2001 Dr. Gerhardt, FDP 14.12.2001 Wolfgang Glos, Michael CDU/CSU 14.12.2001 Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 14.12.2001 Hauer, Nina SPD 14.12.2001 Hauser (Bonn), CDU/CSU 14.12.2001 Norbert Hempelmann, Rolf SPD 14.12.2001 Hermenau, Antje BÜNDNIS 90/ 14.12.2001 DIE GRÜNEN Dr. Hoyer, Werner FDP 14.12.2001 Imhof, Barbara SPD 14.12.2001 Dr. Jens, Uwe SPD 14.12.2001 Dr. Kolb, Heinrich L. FDP 14.12.2001 Kossendey, Thomas CDU/CSU 14.12.2001 Kraus, Rudolf CDU/CSU 14.12.2001 Dr. Küster, Uwe SPD 14.12.2001 Dr. Lamers, (Heidel- CDU/CSU 14.12.2001 berg), Karl A. Dr. Leonhard, Elke SPD 14.12.2001 Lippmann, Heidi PDS 14.12.2001 Lörcher, Christa fraktionslos 14.12.2001* Lotz, Erika SPD 14.12.2001* Maaß, (Wilhelms- CDU/CSU 14.12.2001 haven), Erich Michels, Meinolf CDU/CSU 14.12.2001 Mosdorf, Siegmar SPD 14.12.2001 Nahles, Andrea SPD 14.12.2001 Ost, Friedhelm CDU/CSU 14.12.2001 Dr. Pfaff, Martin SPD 14.12.2001 Dr. Ramsauer, Peter CDU/CSU 14.12.2001 Rübenkönig, Gerhard SPD 14.12.2001 Scheel, Christine BÜNDNIS 90/ 14.12.2001 DIE GRÜNEN Schenk, Christina PDS 14.12.2001 Schlee, Dietmar CDU/CSU 14.12.2001 Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 14.12.2001 Dr. Schmidt (Weil- SPD 14.12.2001 burg), Frank Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 14.12.2001 Hans Peter Schösser, Fritz SPD 14.12.2001 Schröder, Gerhard SPD 14.12.2001 Schur, Gustav-Adolf PDS 14.12.2001 Schüßler, Gerhard FDP 14.12.2001 Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 14.12.2001 Christian Siemann, Werner CDU/CSU 14.12.2001 entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120786 (C) (D) (A) (B) Simmert, Christian BÜNDNIS 90/ 14.12.2001 DIE GRÜNEN Stünker, Joachim SPD 14.12.2001 Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 14.12.2001 Türk, Jürgen FDP 14.12.2001 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 14.12.2001 Wieczorek-Zeul, SPD 14.12.2001 Heidemarie Wolf, Aribert CDU/CSU 14.12.2001 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der NATO Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Norbert Lammert (CDU/ CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) (Tagesordnungspunkt 21 a) In der Schlussabstimmung zum Gesetz zur Bekämp- fung des internationalen Terrorismus – Terrorismus- bekämpfungsgesetz – enthalte ich mich der Stimme, ob- wohl ich die Intention dieses Gesetzespaketes teile, zur wirksamen Bekämpfung des Terrorismus vorhandene In- strumente zu stärken und neue Aufklärungs- und Sankti- onsmöglichkeiten zu schaffen. Die ebenso komplexe wie sensible Gesetzgebungs- materie ist allerdings in den zwei Tagen, die seit der Vor- lage des veränderten Textes in einem völlig unangemes- senen Eilverfahren zur Verfügung standen, nicht ernsthaft auf die beabsichtigten und die möglichen unbeabsichtig- ten Nebenwirkungen zu prüfen. So bleibt nur zu hoffen, dass die vorgesehenen Maßnahmen die erklärten Ziele und nur diese erreichen: Beurteilen kann ich es nicht. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sabine Leutheusser- Schnarrenberger (FDP) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbe- kämpfungsgesetz) (Tagesordnungspunkt 21a) Ich lehne den Gesetzentwurf der Bundesregierung und der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus – Terroris- musbekämpfungsgesetz – ab. Der Gesetzentwurf ist we- der rechtspolitisch noch nach dem Verfassungsprinzip der Verhältnismäßigkeit zu rechtfertigen. Weder sind die meisten Maßnahmen zur Terrorismus- bekämpfung geeignet, noch sind sie erforderlich und erst recht nicht sind sie verhältnismäßig in Bezug auf die ein- schränkenden Auswirkungen auf die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger. Den Nachweis der Verhältnis- mäßigkeit bleibt das Innenministerium auch weiterhin schuldig. Nicht dargelegt wird, warum die bisherigen Kompetenzen von Geheimdiensten, BGS, BKA und Län- derpolizeien – die in den letzten Jahren schon massiv er- weitert wurden – nicht ausreichen sollen. Vielmehr ist festzustellen, dass eine Reihe der beab- sichtigten Gesetzesänderungen seit Jahren in den Schub- laden der Sicherheitsbehörden lagen und nunmehr unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung und der Instru- mentalisierung der Ängste der Bevölkerung schnellst- möglich, ohne ausführliche, abwägende und das Grund- gesetz achtende Diskussion verabschiedet werden sollen. In hoch technisierten, demokratischen und offenen Ge- sellschaften kann es keine absolute Sicherheit geben, ohne dass die in ihr lebenden Bürger als potenzielle Verbrecher behandelt und polizeistaatlicher Willkür Tür und Tor geöffnet werden. Besonders bedenklich sind folgende Punkte: Die Vorschläge für das Ausländer- und Asylrecht führen zu einer Ausweitung der Ausgrenzung und infor- mationellen Sonderbehandlung von Ausländern und de- ren Überwachung. Die Daten aus Ausländerausweisen dürfen pauschal von öffentlichen Stellen erfasst und wei- terverarbeitet werden. Das gesamte Ausweisungsrecht wird durch den vorgesehenen Strafvollzug massiv ver- schärft. Durch äußerst fragwürdige Verdachtstatbestände werden die Einreise – einschließlich des Familiennachzu- ges zu Deutschen – erschwert, die Ausweisung erleichtert, das Asylrecht verschärft und das Vereinsrecht beschränkt. Um dies zu erreichen, müssen Ausländer umfassend durch Geheimdienste überwacht werden – ein deutliches Zeichen auf dem Weg in den Polizei- und Überwa- chungsstaat. Diese Regelungen werden dazu beitragen, dass sich das gesellschaftliche Klima gegenüber Nicht- deutschen massiv verschärft. Die Novellierung des Sicherheitsüberprüfungsgeset- zes führt dazu, dass ein unbestimmter, wesentlich größe- rer Personenkreis als bisher in das Visier des Ver- fassungsschutzes gelangen wird. Zu befürchten ist die Vernichtung zahlreicher beruflicher Existenzen durch für die Betroffenen faktisch nicht angreifbare arbeits- rechtliche Kündigungen. Zudem wirkt die Maßnahme als Einstellungs- und Beschäftigungshindernis. Die neuen Kompetenzen für die Bundespolizeien und die Geheimdienste des Bundes verwischen die grundge- setzlich festgeschriebene und historisch wohl begründete Trennung von Nachrichtendiensten und Polizeien. Bank-, Post- und Fernmeldegeheimnis werden zur Makulatur. Die neuen Kompetenzen für Polizei und Geheimdiens- te haben weitreichende Auswirkungen auf das Strafrecht sowie das Strafprozessrecht. Ein faires Verfahren, mit Waffengleichheit zwischen Angeklagten und Staats- anwaltschaft ist nicht mehr gegeben, wenn – wie vorge- sehen – verstärkt geheim gesammelte Informationen in Strafverfahren als Beweise angenommen werden. Dies widerspricht der bundesrepublikanischen Rechtskultur zutiefst. Noch nie ist ein so umfassendes Gesetzespaket in sol- cher Hektik und unter solcher Missachtung der Befug- nisse des Parlaments verabschiedetet worden. Noch nie wurden die Ergebnisse einer Anhörung so offenkundig missachtet. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik (Prä- implantationsdiagnostikgesetz – PräimpG) (Tagesordnungspunkt 24) Helga Kühn-Mengel (SPD): Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP. Sie haben hier einen Gesetzesent- wurf vorgelegt, der es dem Einzelnen, der Einzelnen er- möglichen soll, Präimplantationsdiagnostik in Anspruch zu nehmen. Der Gesetzgeber soll sich nach Ihrem Entwurf dem, was der Wirtschaft dient, nicht in den Weg stellen, das heißt den Kräften des Marktes. Bemerkenswert ist, wie wenig Zweifel, wie wenig Nachdenklichkeit Sie im Umgang mit diesem Thema zei- gen. Der Wunsch nach einem eigenen und möglichst gesun- den Kind ist nachvollziehbar. Für circa 50 Paare jährlich in Deutschland wird der Kinderwunsch zum Problem, weil sie wegen genetischer Belastungen mit großer Wahr- scheinlichkeit ein erbkrankes Kind bekommen können. Ich verstehe die Hoffnung, die mit der Möglichkeit ver- bunden ist, in die Natur des Menschen eingreifen zu kön- nen. Aber wir müssen diese Hoffnungen gegen die Inte- ressen, Rechte und Pflichten aller anderen Menschen abwägen. Wir haben nicht nur die rechtliche Dimension zu bewerten, sondern auch ethische Fragen, die Auswir- kungen auf Frauen und Gesellschaft. Wenn Sie sich die Erfolgsrate der PID anschauen, kön- nen Sie vielleicht ermessen, welche Belastung dies für die betroffenen Frauen bedeutet. Die ESHRE-Studie weist für den Zeitraum von 1993 bis 2000 weltweit die Behandlun- gen von 886 Frauen aus; diese Behandlungen hatten 123 Geburten mit 162 Kindern zur Folge. Durchschnitt- lich wurden pro Geburt 74 Eizellen befruchtet, 11 Em- bryonen übertragen. Bezogen auf die etwa 50 betroffenen Paare in Deutschland, von denen einige letztlich auch noch andere Alternativen wählen, kämen jährlich zwei bis drei Kinder nach PID in unserem Land zur Welt. Die nicht einfach abzuwägende Frage lautet: Sollen wir dafür den Embryonenschutz aufgeben? Zur PID gehört eben nicht nur der Wunsch nach einem eigenen Kind, sondern auch die so genannte Verwerfung genetisch belasteter Embryonen. Vielleicht ist das der von einigen Wissenschaftlern gewünschte Einstieg in die ver- brauchende Embryonenforschung. Es ist für mich kein Bewertungswiderspruch, dass ein Schwangerschaftsabbruch nach Pränataldiagnostik zuläs- sig ist, die Präimplantationsdiagnostik aber nicht. Zum Zeitpunkt der individuellen Entscheidung für die PID be- steht keine Schwangerschaft, der Konflikt spielt sich im Labor ab, nicht innerhalb der untrennbaren Einheit von Mutter und Kind. Wir alle wissen: Keine Schwangerschaft kann gegen den Willen einer Frau aufrechterhalten werden. Aus frauenpo- litischer Sicht ist die Entscheidung Kinder zu bekommen oder aber ein Leben ohne Kinder zu führen, eine Frage der Wahl. Aber weibliche Selbstbestimmung kann jedenfalls nicht auf die freie Wahl zwischen verschiedenen techni- schen Optionen reduziert werden. Auch wenn dem Kinder- wunsch von Paaren zweifellos eine sehr hohe Priorität bei- gemessen werden muss: Gibt es ein Recht auf Erfüllung des Kinderwunsches mit medizinisch-technischer Hilfe? Was wir angehen sollten, ist die verstärkte Förderung von Alternativen zur Präimplantationsdiagnostik für „Ri- sikopaare“ wie Pflegeschaft, Adoption. Das Mindeste ist eine qualifizierte umfassende Beratung zu Beginn dieser schwierigen Entscheidung. Neben dem frauenpolitischen Aspekt ist mein zweiter Punkt die gesellschaftliche Dynamik, die einer gesetzli- chen Öffnung der Präimplantationsdiagnostik folgen würde. Das Angebot der Präimplantationsdiagnostik birgt die Gefahr einer unrealistischen Erwartungshaltung auf ein gesundes Kind und dass der gesellschaftliche Druck weiter erhöht wird, die Geburt eines Kindes mit Behinde- rung zu verhindern. Für diese gesellschaftlich bedingten Probleme scheint Präimplantationsdiagnostik augen- scheinlich individuelle Lösungen bereitzustellen. Als Behindertenbeauftragte der SPD-Bundestagsfrak- tion ist es mir ein besonderes Anliegen zu hinterfragen: Was bedeutet dies alles für Menschen mit Behinderun- gen? Die Einzigartigkeit jedes Menschen ist Ausdruck seiner Würde. Die Zulassung der PID kann stigmatisie- rende, ausgrenzende und diskriminierende Tendenzen in der Gesellschaft gegenüber Menschen mit Behinderungen und chronisch Kranken verstärken. Behinderung wird dann womöglich nicht mehr als Schicksal betrachtet, son- dern als selbst verschuldet verurteilt werden. Dahinter steckt natürlich die grundsätzliche Frage, wie unsere Ge- sellschaft jetzt und in Zukunft mit Krankheiten und Be- hinderungen umgehen will. Ist es denn nicht viel wichtiger, dass die Gesellschaft lernt, mit Verschiedenheiten und Krankheiten umzuge- hen, dass wir das Diskriminierungsverbot unseres Grund- gesetzes – Art. 3 Abs. 2 – weiter umsetzen, anstatt Behin- derungen als menschenunwürdig einzustufen? Diese Überlegungen sollten sich zumindest in einem Gesetzent- wurf widerspiegeln. Margot von Renesse (SPD): Nachdem ich den Ge- setzentwurf der FDP zur Präimplantationsdiagnostik ge- lesen habe, habe ich für Vorträge und Podiumsdiskussio- nen dankenswerterweise neuen Stoff bekommen: Ich Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20787 (C) (D) (A) (B) kann jetzt ein Beispiel dafür zitieren, wie man einen Ge- setzentwurf zu diesem Thema auf keinen Fall machen darf. Schade nur, dass wir uns im Parlament mit einem solch „flachen“ Entwurf auseinander setzen müssen, während die Probleme, um die es bei der Präimplantati- onsdiagnostik geht, eine sehr viel gründlichere und durch- dachtere Auseinandersetzung verdienten. Es war der Justizminister von Rheinland-Pfalz, ein Mitglied der FDP, von dessen Sachverständigenkommis- sion als Erster die Botschaft ausging, dass an der Straf- barkeit der Präimplantationsdiagnostik nach geltendem Recht Zweifel angebracht sind. Inzwischen hat sich die Anzahl der Zweifler erheblich erhöht. Die juristische Fachdiskussion über diese Frage hat in- zwischen Formen angenommen. Ich selber, die ich noch vor einem Jahr fest davon überzeugt war, dass Präimplan- tationsdiagnostik strafbar ist, denke inzwischen das Ge- genteil. Ihr Gesetzentwurf, meine Damen und Herren von der FDP, ignoriert das Problem schlicht und einfach. Wol- len Sie denn wirklich, dass die Antwort auf diese Frage von der juristischen Fachwelt gegeben wird statt vom deutschen Parlament? Hier gehört eine klare gesetzliche Regelung her; denn das Thema ist von erheblicher Rele- vanz für zentrale Grundrechte unserer Verfassung. – Dies ist das erste Defizit Ihres Entwurfs. Das zweite, nicht minder erhebliche Defizit liegt darin, dass Ihr Gesetzentwurf es tatsächlich fertig bringt, die Rechtswidrigkeit einer Handlung daran zu knüpfen, ob Vorgaben der Bundesärztekammer eingehalten werden. Ich halte es für ausgeschlossen, bei einer strafrechtlichen Regelung so vorzugehen. Sie wissen, dass die Bundesärz- tekammer als solche gar nicht existiert, sondern als privatrechtlicher Verein anzusehen ist. Gerade bei der Präimplantationsdiagnostik mit ihrer erheblichen Grund- rechtsberührung dürfte eine solche Verweisung auf an- dere, nicht demokratisch legitimierte Organisationen der Verantwortung des Gesetzgebers nicht entsprechen. Zum Dritten ist gerade diese Verweisung besonders problematisch. Wie Sie wissen, hat die Bundesärztekam- mer für den Bereich der Präimplantationsdiagnostik vor- geschlagen, die ausnahmsweise Zulassung dieser Me- thode an einen Katalog von schweren Behinderungen zu binden. Das kann aber nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Ein solcher Katalog, wie wir ihn aus der kaiserlichen Viehmängelverordnung zur Mängelrüge im Kaufrecht kennen, birgt erhebliche Gefahren, dass Menschen mit solchen Behinderungen stigmatisiert werden. Wenn es zu einer ausnahmsweisen Zulassung der Präimplantations- diagnostik kommt, dann wird man schon andere Wege finden müssen, um die Ausnahmen als solche inhaltlich und zahlenmäßig zu begrenzen und gleichzeitig alles zu vermeiden, was nach einem Unwerturteil über behinder- tes Leben aussieht. Das stellt erhebliche Anforderungen an den Gesetzgeber, seine Kreativität und seine Sensibi- lität. Solange eine solche Regelung noch nicht gefunden wurde, kann es nicht zu einer Öffnung des Verbots von Präimplantationsdiagnostik kommen. Es tut mir aufrichtig Leid, dass die FDPmit ihrem Ge- setzentwurf die parlamentarische Debatte eröffnet, der dem Thema so wenig gerecht wird. Deshalb fällt es mir auch schwer, etwas Inhaltliches zur Sache selbst zu sagen. Ich kann es nur andeuten, worum wir zu streiten haben: Häufig geäußerte Argumente gegen eine ausnahms- weise Zulassung der Präimplantationsdiagnostik beruhen zum großen Teil auf Vorurteilen oder Ressentiment. So wird behauptet, ein Wertungswiderspruch zwischen der Regelung des Schwangerschaftsabbruchs und dem Verbot der PID sei deshalb nicht gegeben, weil der Konflikt der Schwangeren ein „gegebener“, der eines Paares vor PID ein „gemachter“ sei. Das ist unzutreffend, weil der Kon- fliktfall der schwangeren Frau nach PND ebenfalls als „gemachter“ angesehen werden muss; denn sie wäre nicht in diesem Konflikt, gäbe es nicht die von Ärzten herbei- geführten Untersuchungsergebnisse. Empirisch durch nichts belegt ist die Befürchtung, die Zulassung von PID im Ausnahmefall verschlechtere die gesellschaftliche Situation von Menschen mit Behinde- rungen. Zum einen ist in den Ländern, die PID erlauben, die Situation Behinderter nicht schlechter als andernorts; zum anderen hat auch in Deutschland die seit zehn Jahren praktisch flächendeckend durchgeführte pränatale Dia- gnostik eine solche Verschlechterung nicht bewirkt. Im Gegenteil: Die Lage von Menschen mit Behinderungen ist heute besser als vor 20 Jahren. Zwar gibt es nach wie vor – wie zu allen Zeiten – Nachbarn, Bekannte und Ver- wandte, die geschmacklose oder auch gehässige Bemer- kungen machen; aber es gibt auch viel Freundlichkeit, Warmherzigkeit und Solidarität, die von keinem Gesetz befohlen werden kann. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich bin selber Großmutter eines schwerbehinderten Kindes. Rechtlich ist vieles eher besser geworden. Schließlich möchte ich deutlich dem Gerede von den kaltherzigen Eltern, verstiegenen Ärzten und manischen Wissenschaftlern entgegentreten, die ganz wild darauf sind, das unheilbar gesunde Designerbaby zu klonen. PID ist aber kein Thema des kalten Kalküls, sondern der Angst, der Not und häufig auch der Liebe. Wir reden hier von einer Situation, die uns vor die Grenzen des Straf- rechts stellt. Die Vorstellung, die in einem Gutachten der Lebens- hilfe zu lesen ist, die ausnahmsweise Zulassung von Präimplantationsdiagnostik würde endgültig die elterli- che Liebe aus der Welt schaffen, kann man schon kaum mehr nur als übertrieben bezeichnen. Wenn die Menschen so wären, wie sie dort gezeichnet werden, dann hilft uns auch kein Verbotsgesetz, schon gar nicht das Embryonen- schutzgesetz, um das Chaos zu verhindern: dann sind alle Dämme schon längst gebrochen. Dann hält aber auch kein Gesetz. Dann können wir das Parlament auch zumachen und darauf warten, dass die Welt untergeht. Ich aber bin dafür, noch ein Apfelbäumchen zu pflanzen. Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): In großer Gemein- samkeit haben wir die Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ eingesetzt. Deren Stellung- nahme zu dem sensiblen Thema PID ist für Anfang nächs- ten Jahres zu erwarten. Die FDP ist an dem Votum der En- quete-Kommission anscheinend nicht interessiert. In Ihrer Begründung schreiben Sie: „Der Gesetzentwurf setzt die Auffassung der Enquete-Kommission um, dass Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120788 (C) (D) (A) (B) die PID durch den Gesetzgeber geregelt werden muss.“ Auf die schriftlichen Ausführungen der Enquete dazu wollen Sie aber nicht warten. Auf diese Weise wird aus ei- nem schwer wiegenden Thema eine Profilierungsveran- staltung der FDP im Bundestag. Das ist diesem Thema in keiner Weise angemessen. Hinzu kommt, dass Sie mit dieser isolierten Behand- lung im Bundestag das Thema aus dem Gesamtzusam- menhang der Bio- und Gentechnologie sowie der Fort- pflanzungsmedizin reißen. Da wir heute über Ihren Gesetzentwurf in erster Le- sung debattieren, will ich mich mit Ihrem Vorschlag einer Zulassung der PID für genetisch schwer vorbelastete Paare mit Kinderwunsch auseinander setzen und auch das von Ihnen vorgesehene Verfahren, nämlich die Koppe- lung an die Entscheidung einer ärztlichen Ethikkommis- sion, in den Blick nehmen. Viele – auch in unserer Fraktion – ringen damit: Wie kann man Paaren mit Kinderwunsch helfen, die aufgrund einer genetischen Veranlagung für eine schwere Erb- krankheit oder eine Behinderung Angst haben müssen, dass ihr Kind davon betroffen sein könnte? Wer hat nicht Verständnis für diesen Wunsch? Kann Präimplantations- diagnostik eine Lösung für diese Paare sein? Aber dann tauchen sofort auch Zweifel auf: Ist die PID eine gesellschaftlich vertretbare, mit unserer Werteord- nung und unserem Menschenbild zu vereinbarende Lö- sung? Dürfen wir Behinderung selektieren? Ist eine Ein- grenzung auf schwere Fälle überhaupt möglich? Wer trifft die Entscheidung? Welche Folgen ergeben sich aus einer – wie auch immer begrenzten – Zulassung der PID? Damit stellt sich die Kernfrage, inwieweit wir in unse- rem Menschsein betroffen sind, wenn eine solche Technik zugelassen wird. Es geht nicht allein um die Würde des Embryos, sondern um unser aller Würde. Was geschieht mit uns? So lautet doch die eigentliche Frage. Nirgendwo ist die Gefahr eines Dammbruchs größer. Der FDP-Entwurf spricht sich scheinbar für eine Begren- zung der PID aus. Eine „ärztliche Ethikkommission“ soll den Einzelfall prüfen, „Ausmaß und Gegenstand der er- laubten Diagnostik beim Embryo“, heißt es, legen Richt- linien der Bundesärztekammer fest. In Wahrheit ist hier schon die Ausweitung enthalten. Eine Kommission – gleich welcher Art – kann nicht die Lösung des Pro- blems sein. Sie müsste viele Paare, die auf Hilfe hoffen, negativ bescheiden, wenn sie den Dammbruch vermeiden will. Das Ausmaß der Diagnostik sollen nicht einmal mi- nisterielle Richtlinien bestimmen. Der Gesetzgeber soll von dieser Lebensfrage ausgeschlossen werden. Das ist nicht vertretbar. Denn es geht um das höchste Gut: das Le- ben. Auch bei den Krankheiten, die immer wieder genannt werden, wenn es um die PID geht, kommen Zweifel. Chorea Huntington bricht bei Menschen mit der entspre- chenden Anlage im Alter von 30 bis 50 Jahren aus. Und das soll selektiert werden? Bei der Mukoviszidose lag die Lebenserwartung früher bei wenigen Jahren, inzwischen hat man so große Therapiefortschritte gemacht, dass sie auf annährend 40 Jahre gestiegen ist. Und das soll selek- tiert werden? Machen wir uns außerdem nichts vor: Wenn Mukoviszidose indiziert werden würde und eine Selek- tion stattfände, wäre es um die künftige Verbesserung der Therapie schlecht bestellt. Hinzu kommt, dass die meisten der in Rede stehenden schweren Erbkrankheiten auch mit der so genannten Polkörperdiagnostik erfasst werden können. Außerordentlich problematisch ist die Ausweitung der PID in Ländern, wo sie zugelassen ist, allen voran den USA. Dort wird mittlerweile die Anlage zum Brustkrebs diagnostiziert, von dem man nicht weiß, ob er ausbricht und wie der Krankheitsverlauf sein wird. Im November erreichte uns die Nachricht, dass in den USA und in Spa- nien das genetische Risiko für eine vermeintlich niedrige Intelligenz in vitro diagnostiziert wurde. Man muss über- haupt nicht das Zerrbild einer Selektion an die Wand ma- len, die lauter kleine Einsteins und Brigitte Bardots will. Außerdem droht die PID wie in den USA, zum Routine- Screening bei der IVF zu werden, um die Erfolgsraten der künstlichen Befruchtung zu erhöhen. Die Erfahrungen in Deutschland zeigen, dass sich die PND zum Routinever- fahren entwickelt hat. Heute sind wir mit der Tatsache konfrontiert, dass über 90 Prozent der Embryonen, bei de- nen das Down-Syndrom diagnostiziert wird, abgetrieben werden. Dies verstärkt die Skepsis gegenüber der Ein- grenzbarkeit. Die PID bedeutet, dass menschliches Leben selektiert und getötet wird. Bei der PlD findet durch eine Auswahl von Embryonen nach „tauglich“ und „untauglich“ unwei- gerlich eine Zuschreibung von Lebenswert statt. Damit etabliert die PID ein neues Prinzip. In ihrem Entwurf spricht die FDP von verfassungs- rechtlichen Bedenken gegenüber einem Verbot der PID. Sie bemüht dazu die Analogie zur medizinischen Indika- tion nach § 218 a Abs. 2 StGB und nennt das den „gebo- tenen Anknüpfungspunkt“. Damit sprechen Sie, wie- derum indirekt, ein Problem an, nämlich das der so genannten Spätabtreibungen. Dass hier eine zum Teil sehr fragwürdige Ausweitung stattgefunden hat, kann aber nicht als Begründung dafür dienen, die PID zuzulassen. Umgekehrt bedeutet es vielmehr, dass wir angesichts der Ausweitung der PND zu einem Screening-Verfahren und den damit im Zusammenhang stehenden Spätabtreibun- gen handeln müssen. Deshalb hat die CDU/CSU-Fraktion einen Antrag zur Vermeidung von Spätabtreibungen in den Deutschen Bundestag eingebracht. Wir haben damit erreicht, dass über die Fraktionsgrenzen hinweg die Dis- kussion um Wege zur Vermeidung von Spätabtreibungen neu eingesetzt hat. Wir wollen noch in dieser Legislatur- periode zu einer Lösung kommen. Auch unabhängig davon wende ich mich gegen die vermeintliche Zwangsläufigkeit, mit der hier eine Analo- gie hergestellt wird. Die Mutter befindet sich bei der In- dikation nach 218 a Abs. 2 StGB in einer unmittelbaren Konfliktsituation. Infrage steht eine „Gefahr für das Le- ben oder die Gefahr einer schwer wiegenden Beeinträch- tigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszu- standes der Schwangeren“, § 218 a II. Eine solche Gefahr besteht im Moment einer PID aber nicht. Man hört immer wieder, die Konfliktsituation könne antizipiert werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20789 (C) (D) (A) (B) Das widerspricht der Einsicht, dass die Situation der Schwangerschaft eine einzigartige physische und psychi- sche Einheit von Mutter und Kind darstellt. Das Argument eines antizipierten Konflikts steht außerdem im Wider- spruch zur vermeintlich geringeren Belastung der Frau. Ein „antizipierter Konflikt“ ist kein konkreter Konflikt. In ihrem Entwurf argumentiert die FDP, eine PID ver- hindere die „Schwangerschaft auf Probe“. Das wäre nicht einmal dann richtig, wenn bei PID auf PND verzichtet würde. Denn es gibt keine Schwangerschaft auf Probe. Eine Schwangerschaft ist heute mehr denn je in aller Re- gel eine bewusste Entscheidung der Eltern. Sie haben alle Möglichkeiten, diese herbeizuführen, aber auch alle, da- rauf zu verzichten. Der Wunsch nach einem Kind und da- rüber hinaus nach einem gesunden Kind ist überaus ver- ständlich. Aber wir müssen doch auch sehen, dass hinter dem Wunsch nach einem gesunden meistens die Angst vor einem behinderten Kind steckt. Hier bedarf es der Un- terstützung, der Aufklärung und der Hilfe, die im Übrigen sehr erfolgreich sein kann! Außerdem erfahren wir doch immer wieder, dass diese Angst vor der Geburt größer ist als danach, dass beispielsweise Kinder mit Down-Syn- drom ihren Eltern so viel geben können. Der Wunsch nach einem gesunden Kind kann kein Recht auf ein gesundes Kind bedeuten, wie der Bundespräsident treffend in sei- ner nachdenklich machenden Rede gesagt hat. Es wird immer wieder gesagt, die Zulassung der PID sei im Sinne der Selbstbestimmung der Frau. In ihrer Pro- blembegründung spricht die FDP nicht weniger als fünf- mal von der vermeintlich freien Entscheidung, und zwar der Frau, der potenziellen Eltern, der Beteiligten bzw. des Einzelnen. Aber stimmt das wirklich? Wer Ja sagt zur PID, hat doch die Entscheidung schon abgegeben! Wer sich beispielsweise in der Brüsseler Fortpflanzungsklinik umschaut, in der PID praktiziert wird, weiß doch, dass nicht die Mutter an der Petri-Schale steht – das könnte sie auch gar nicht – sondern medizinische Experten. Frauen fühlen sich massiv unter Druck gesetzt. Das wissen wir aus empirischen Untersuchungen zur PND. Es besteht doch die Gefahr, dass eine gesetzliche Zulassung die Se- lektion nicht nur legitimiert, sondern einen Druck entste- hen lässt, entsprechend zu handeln. Schon heute müssen sich Eltern behinderter Kinder zuweilen fragen lassen, ob sie das gewollt hätten und ob sie „es“ nicht hätten verhin- dern können. Im FDP-Entwurf heißt es „Mithilfe dieses ...Verfahrens konnten bis Ende 1999 circa 420 gesunde Kinder geboren werden.“ Aber dies ist nur die eine Seite der Medaille. Für die 162 nach PID geborenen Kinder, die die European So- ciety of Human Reproduction erfasst, wurden 10 220 Ei- zellen befruchtet und 7 991 Embryonen hergestellt, das sind fast 50 Embryonen pro geborenem Kind. Der Schwangerschaftserfolg über alle begonnenen Zyklen liegt bei 9,3 Prozent. Die Diagnose ist nicht fehlerfrei und führt dazu, dass Embryonen ohne genetische Disposition getötet werden. Und es führt dazu, dass Embryonen mit einer solchen Disposition implantiert werden. Wer nur auf die geborenen Kinder verweist, ver- schweigt die ungeheure Belastung, der alle Frauen, die sich einer PID unterziehen, in der Regel ausgesetzt sind. Für eine IVF muss die Frau hormonell stimuliert werden, was an sich schon eine Belastung darstellt. Drei bis fünf Prozent der Frauen leiden in der Folge unter einem Hy- perstimulationssyndrom. Damit die „baby-take-home“- Rate überhaupt gehalten werden kann, wird die Frau in der Regel mehrfach stimuliert. Unklar ist, ob die IVF nicht die Wahrscheinlichkeit einer Karzinombildung er- höht. Dieses Risiko ist für Frauen ohne Fertilitätspro- bleme noch weniger vertretbar als für diejenigen mit sol- chen Problemen. In ihren Begründungen schreibt die FDP; „Die PID hilft, späte Abbrüche nach PND ... zu ersparen“. Sie wis- sen genau, dass das nicht stimmt. Die PID führt in der Re- gel gerade nicht zu einem Verzicht auf die PND. Damit ist die körperliche und seelische Belastung für die Frau in der Regel noch größer. Nach Ansicht vieler Befürworter der PID geht es – wie gesagt – um etwa 150 Paare pro Jahr in Deutschland. Wenn das zutreffend wäre, dann könnte man mit guten Gründen fragen: Warum entdecken denn die Befürworter der PID ausgerechnet hier ihr Mitgefühl, ihr Engagement für eine neue Technik; ihre Kraft, andere überzeugen zu wollen? Nicht, dass ich falsch verstanden werde: Auch 300 Betroffene sind nicht zu vernachlässigen, sind in ihren Hoffnungen und Wünschen ernst zu nehmen. Aber wenn sich alle mit gleicher Verve dafür einsetzen würden, die Situation von Behinderten zu verbessern, Müttern im Konfliktfall zu helfen, die Schwangerschaft grundsätzlich zu erleichtern und die Beratungsmöglichkeiten zu verbes- sern und auszubauen, dann wäre wirklich viel gewonnen. Geht es denn in Wahrheit um 150 Paare pro Jahr? Oder geht es darum, einen Anfang zu machen und mit einer niedrigen Zahl, „den Kritikern die Argumentationsgrund- lage zu entziehen“, indem man „bereitwillig den eigenen Handlungsspielraum einschränkt“, wie Andreas Kuhlmann, einer der profiliertesten Autoren zur gesellschaftlichen Bewertung der Gentechnik geschrieben hat. Und geht es für einige nicht um ganz andere Interessen, darum, über- zählige Embryonen zu gewinnen und das vermeintliche moralische Dilemma so zu verschärfen, dass auch in Deutschland die verbrauchende Embryonenforschung un- ausweichlich erscheint, darum, eine neue Technik zum ei- genen Nutzen zu etablieren? Reden wir offen darüber und stellen wir uns diesen Fragen! Der Mensch darf nicht auf seine genetische Grundaus- stattung reduziert werden wie es hier geschieht. Die ge- netische Ausstattung sagt doch nichts über die Chancen eines gelingenden Lebens aus. Die PID macht den Men- schen zum Objekt: zum Wunschobjekt seiner Eltern, zum Objekt der Begierde von Wissenschaftlern und Medizi- nern, zum Objekt einer zukünftigen Gesellschaft. Hier wird Glück mit Gesundheit gleichgesetzt. Aber wie viele andere Wurzeln haben Glück und Zufriedenheit! Die Zu- lassung der PID ist ein Weg, der nicht beschritten werden darf, auch nicht in vermeintlich engen Grenzen. Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Schon bislang ist die FDP nicht mit gehaltvollen Beiträgen zur Diskussion um die Biopolitik aufgefallen. Aber dass wir heute einen Gesetzentwurf von Ihnen in Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120790 (C) (D) (A) (B) erster Lesung zu beraten haben, mit dem Sie die Präim- plantationsdiagnostik zulassen wollen, ist ein Tiefpunkt der Debatte. Was eigentlich wollen Sie damit gewinnen, wen vor allem? Einige unmittelbar Betroffene können Sie damit vielleicht davon überzeugen, dass Sie an deren Seite stehen. Aber ich kann gar nicht glauben, dass Sie so wenig vom Debattenverlauf mitbekommen haben, dass Sie die Vorlage Ihres Gesetzentwurfes für ein angemesse- nes Vorgehen halten. lm Sommer 2000 hatte ich mich an die Fraktionen des Bundestages gewandt, hatte auf den zuvor vom Gesund- heitsministerium organisierten Kongress zur Fortpflan- zungsmedizin verwiesen und um Gespräche über ein an- gemessenes Verfahren gebeten, damit das Parlament das Embryonenschutzgesetz zu einem Fortpflanzungsmedi- zingesetz weiterentwickeln kann. Zu den dort zu ent- scheidenden Fragen gehört natürlich auch die nach der Zulässigkeit der PID. Vonseiten der FDP habe ich nie eine Antwort auf dieses Gesprächsangebot erhalten – so wich- tig also ist Ihnen diese Frage. Im Mai dieses Jahres nun hat der Bundestag sehr ernst- haft über die Biomedizin debattiert. Es war in dieser De- batte unverkennbar, dass das Parlament sich noch am An- fang der schwierigen ethischen Erörterungen sieht, die durch die neuen medizinischen Verfahren aufgeworfen sind. Die Enquete-Kommission hat in diesem Herbst die Frage des Imports von embryonalen Stammzellen bear- beitet, das Thema PID ist das nächste auf ihrer Agenda. Während also noch Parlamentsgremien dazu beraten, während viele Kolleginnen und Kollegen noch keine hin- reichende Gelegenheit zur Meinungsbildung hatten, da kommen Sie mal eben so daher und legen einen Gesetz- entwurf auf den Tisch. Jede, die sich mit diesem Thema schon einmal genauer beschäftigt hat, weiß, wie kompliziert die ethischen Ab- wägungen sind, weiß, wie diffizil die Regelung unter ju- ristischen Gesichtspunkten ist, weiß, wie sehr davon die Gefühle und moralischen Empfindungen vieler Menschen betroffen sind. Und Sie meinen, das könne man im Hand- streich erledigen, man müsse sich nicht einmal mit den an- deren Fraktionen über einen gemeinsamen Weg verstän- digen, auf dem das Parlament in einer so umstrittenen Frage zu einer tragfähigen Entscheidung findet! Ich weiß nicht, welchen billigen parteipolitischen Punkt Sie sich davon versprechen, auf jeden Fall ist das Thema zu kom- plex, als dass man sich ihm so unernsthaft zuwenden könnte, wie Sie das tun. Das verheißt nichts Gutes für die weiteren Entscheidungen im Parlament. Auch der Gesetzentwurf selber ist nicht von einer wirk- lich ernsthaften Auseinandersetzung in der Sache geprägt. Das Argument, dass man hiermit Schwangerschaften auf Probe vermeide, ist nicht überzeugend – denn die PID ver- meidet Schwangerschaften um den Preis des vorzeitigen Todes des Embryos. Das heißt, ein Verfahren des Schwan- gerschaftsabbruchs wird durch ein anderes Tötungsver- fahren ersetzt – von Vermeidung kann hier wohl nicht die Rede sein. Sie weichen der Frage aus, ob es wirklich ak- zeptiert werden sollte, dass Schwangerschaftsabbrüche aufgrund einer Behinderung des Kindes zu einer Selbst- verständlichkeit werden. Sie wollen mit Ihrem Gesetzentwurf an der medizini- schen Indikation des § 218 anknüpfen und mit dem neuen § 3 a eine „genetische Indikation“ einführen. Waren Sie wirklich alle nicht dabei, als das Parlament vor sechs Jah- ren beschlossen hat, die eugenische Indikation abzuschaf- fen? Wollen Sie das rückgängig machen? So schwierig die Konsequenzen aus dieser damaligen Entscheidung zum § 218 teilweise auch sind – ich halte es immer noch für richtig und geboten, dass diese Gesellschaft sich darauf verständigt, dass die mögliche Behinderung des Kindes keine Abtreibung rechtfertigt. Ich stehe mit Schrecken vor Ihrem Konzept von Freiheit. Sie nehmen den Wunsch der Eltern ausschließlich als Maßstab – was ist mit dem Wol- len des Kindes? Was ist mit seinem Lebensrecht? Was ist mit den verletzten Gefühlen all der Menschen, die mit den Krankheiten leben, die nach Ihren Vorstellungen zur Ab- treibung berechtigen? Ich finde es gut, dass wir alle durch die Entwicklung der Biomedizin wieder mit moralischen Fragen konfron- tiert sind, es kann unserer Gesellschaft nur gut tun, wenn sie sich ihrer eigenen Werte neu vergewissern und sie he- rausarbeiten muss. Ich erlebe sehr spannende und kontro- verse Debatten mit Bürgerinnen und Bürgern. Sie von der FDP haben sich aber mit dem Versuch, eine Position im Parlament mal eben so durchzusetzen, als Partner für die- ses Ringen um eine gesellschaftliche Moral disqualifi- ziert! Detlef Parr (FDP): Wir alle sind vor wenigen Tagen aufgeschreckt worden – aufgeschreckt von der Ankündi- gung des US-Forschers Panos Zavos, den ersten geklon- ten Embryo herzustellen. Wir alle sind uns einig in der Ablehnung solcher Exzesse. Wir sind uns einig in der ethi- schen und moralischen Bewertung. Das reproduktive Klonen muss weltweit geächtet werden. Aber wir dürfen uns nicht verleiten lassen. Das Thema der heutigen Debatte hat nichts, aber auch gar nichts mit forschenden Untaten dieser Art zu tun. Wir beraten in erster Lesung über gesetzgeberische Möglich- keiten, ein international, vor allem aber bei den meisten unserer unmittelbaren europäischen Nachbarn anerkann- tes reproduktionsmedizinisches Verfahren, die Präim- plantationsdiagnostik, auch in Deutschland rechtssicher zu machen. Von 17 europäischen Ländern gehört Deutschland zu den vieren, die die PID nicht ausdrücklich zulassen. Vor einem halben Jahr hat der Deutsche Ärztetag in Ludwigshafen auf die Konfliktlage bei ärztlichen Ent- scheidungen am Beispiel der Präimplantationsdiagnostik hingewiesen. Einerseits verfügen unsere Ärztinnen und Ärzte mit der PID in Verbindung mit einer künstlichen Befruchtung über Methoden, die Paaren mit monogeneti- schen Erkrankungen – mit schwerwiegenden Erbkrank- heiten – zu einem davon nicht betroffenen Kind verhelfen könnten. Andererseits müssen sie nach heutigem Recht mit der in der Gesellschaft anerkannten Anwendung vor- geburtlicher Diagnostik der Frau eine „Schwangerschaft auf Probe“ und gegebenenfalls eine Abtreibung, den Ver- zicht auf Kinder, eine Befruchtung mit Spendersamen oder eine Adoption zumuten. Die FDP-Fraktion hat den Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20791 (C) (D) (A) (B) Ludwigshafener Appell der Ärzteschaft aufgegriffen, ich zitiere: „eine Klärung der Rechtslage herbeizuführen und für den Fall einer Zulassung der PID weitere Kriterien für eine maximale Eingrenzbarkeit mitzugestalten.“ Niemand konnte vor zehn Jahren bei der Verabschie- dung des Embryonenschutzgesetzes die rasante Entwick- lung im Bereich der Fortpflanzungsmedizin vorhersehen. Wir sind davon überzeugt, dass wir an einer Ergänzung dieses Gesetzes nicht vorbeikommen, wollen wir den be- troffenen Paaren wirklich helfen und das Handeln der Ärzteschaft rechtlich absichern. Wir wollen enge Grenzen setzen, um Missbrauch zu verhindern. Wir wollen den Weg nicht ebnen zu Desi- gnerbabys. Eltern dürfen sich nie zu Schöpfern ihrer Kin- der aufschwingen. Kinder dürfen sich nie als Selektions- produkt ihrer Eltern fühlen müssen. Aber wir müssen den wenigen Paaren in ihrer Notlage einen letzten Ausweg bieten, doch noch zu einem gesunden Kind zu kommen. Und deswegen schlagen wir dem Bundestag heute eine Ausnahmeregelung des grundsätzlichen Embryonen- schutzes vor. Die Untersuchung eines Embryos auf die Gefahr einer schwerwiegenden Erbkrankheit soll unter folgenden sechs eng gezogenen Voraussetzungen nicht länger rechtswidrig sein: erstens, eine umfassende hu- mangenetische Beratung und psychosoziale Betreuung, zweitens, die Indikation einer hohen Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer schwerwiegenden Erbkrankheit – wir de- finieren sie als monogen bedingte Erkrankung und Chro- mosomenstörung mit sehr geringer Lebenserwartung und schlechter oder überhaupt keiner Behandelbarkeit –, drit- tens die Festlegung von Ausmaß und Gegenstand der er- laubten Diagnostik beim Embryo, viertens die Beschrän- kung der PID auf wenige lizenzierte Zentren, fünftens Einzelfallentscheidungen – vorherige Billigung durch eine Ethik-Kommission und sechstens, Qualitätssiche- rung durch die Teilnahme an einem zentralen Melderegis- ter nach dem Beispiel der britischen Human Fertility and Embryology Authority. Der Gesetzentwurf ist als Rahmengesetz konzipiert. Die Ausfüllung liegt in der Autonomie der Ärzteschaft. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer hat bereits im Februar 2000 einen Richtlinienentwurf vorge- legt, der nach rechtlicher Absicherung der PID unmittel- bar in ein Handlungskonzept überführt werden kann – so BÄK-Präsident Professor Hoppe in einem Interview. Unser Gesetzentwurf enthält eine Gewissensklausel, denn es dürfte selbstverständlich sein, dass es keine Ver- pflichtung von Ärzten zu PID geben und eine Nicht-Mit- wirkung keine Nachteile mit sich bringen darf. Und unser Gesetzentwurf dient einem Abbau von Regelungsunter- schieden im zusammenwachsenden Europa und einer im- mer mehr die Landesgrenzen übergreifenden Entwick- lung, von der sich Deutschland nicht abkoppeln sollte. Dieser Gesetzentwurf ist ein Angebot für alle, die – wie es in einem unveröffentlichten Papier der Bundesjustiz- ministerin heißt – den offenen Dialog wollen mit dem Ziel eines möglichst breiten Konsenses in der Gesellschaft. Nach einer Umfrage des „Kölner Stadtanzeigers“ be- fürworten heute bereits 42 Prozent aller Befragten die PID, 65 Prozent der Anhänger der FDP, 45 Prozent der po- tenziellen SPD-Wähler und immerhin 40 Prozent der Uni- onsklientel. Die FDP lädt Sie und die Öffentlichkeit zu dem not- wendigen Dialog ein. Wir hängen nicht sklavisch an je- dem Teil unseres Gesetzentwurfs. Wir sind zum gemein- samen Überarbeiten bereit. Kein Gesetzentwurf ist so perfekt, dass er durch Änderungen nicht noch besser wer- den könnte. Unser Ziel bleibt: den Menschen in seelischer Not zu helfen, wie es für viele europäische Nachbarn be- reits eine Selbstverständlichkeit ist. Wir wollen eine moderne Gesellschaft. Moderne Men- schen wenden sich vorurteilsfrei neuem Denken zu, ohne leichtfertig das Gute an der Tradition über Bord zu wer- fen. Die FDPwünscht sich vor einem solchen Hintergrund eine fruchtbare Diskussion mit einem tragfähigen Ergeb- nis. Wir wollen eine humane Gesellschaft. Eine humane Gesellschaft kümmert sich eben nicht nur um die Ent- wicklungspotenziale früher Embryonen, sondern auch um das aktuelle Leiden. Und sie nimmt die Sorgen künftiger Eltern ernst und erkennt deren Wunsch nach einem ge- sunden Kind als legitim an, ohne deshalb behindert gebo- renen Menschen auch nur im Geringsten die gebotene Hilfe und vor allem die selbstverständliche Achtung als ethisch wie rechtlich gleiche, grundrechtsgeschützte Per- sonen zu verkürzen, wie es der Hamburger Strafrechtler Professor Merkel ausdrückt. Gerade wir Liberale schließen uns gerne einem Slogan der Behindertenbewegung an: „Es ist normal, verschieden zu sein.“ Mich hat in der bisherigen Diskussion mit Be- hinderten die Aussage einer großen Selbsthilfevereini- gung von Eltern und Patienten am stärksten beeindruckt. Ich zitiere: „Die Selbsthilfevereinigung teilt die schweren Bedenken gegen eine Zulassung der PID. Aber: betrof- fene Eltern, die einen Schwangerschaftsabbruch ableh- nen, haben nur mit der PID die Chance auf ein weiteres Kind ohne diese Erkrankung. Der Verein will diese Eltern nicht durch ein Verbot der PID alleingelassen sehen!“ Moral zeigt sich in verantwortungsvollem Handeln, nicht im einfallslosen Verbieten. Wir bitten Sie herzlich: Geben Sie sich einen Ruck! Nehmen Sie unser Angebot zu einem offenen fraktionsübergreifenden Dialog an! Denn nur dann setzen wir uns mit den Nöten und Sorgen unserer Mitmenschen ernsthaft auseinander. Und dafür sind wir gewählt und nicht, um blind Dogmen und Ideo- logien zu folgen. Dr. Ilja Seifert (PDS): Die FDP will polarisieren. Schon vor Abschluss einer umfassenden gesellschaftli- chen Debatte zur Fortpflanzungsmedizin hat sie ein klei- nes Gesetz vorgelegt, um ein großes Gesetz zu ändern – das Embryonenschutzgesetz. Käme die FDP damit durch, könnte man – nach der De-facto-Beseitigung seines In- halts – das alte Embryonenschutzgesetz gleich umtaufen in „PID-Gesetz“. Aber so weit geht die FDPwieder nicht. Es besteht ja kein Zweifel, dass die Entwicklung seit der Inkraftsetzung des Embryonenschutzgesetzes eine ganze Reihe neuer Probleme aufwirft. Dies war einer der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120792 (C) (D) (A) (B) Gründe dafür, dass sich die PDS seit 1999 für die Einset- zung einer Enquete-Kommission zur modernen Medizin eingesetzt hat. Die Enquete-Kommission „Recht und Ethik der mo- dernen Medizin“ wurde dann im vergangenen Jahr mit Zustimmung aller Fraktionen eingesetzt. Im November 2000 führte sie eine öffentliche Anhörung zur Präimplan- tationsdiagnostik durch – ebenso wie kürzlich der Aus- schuss Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Über viele Monate hinweg arbeitete die Enquete-Kom- mission an einem speziellen Berichtsteil zur PID, der demnächst fertiggestellt und beschlossen werden soll. Auch der FDP ist gut bekannt, dass es in der Enquete- Kommission unterschiedliche Auffassungen zur PID gibt – wie in allen Fraktionen dieses Hauses, auch in der PDS- Fraktion. Dennoch hat die Ablehnung der PID sowohl in der Enquete-Kommission und in den Bundestags-Fraktio- nen, mit Ausnahme der FDP, ein erhebliches Gewicht. In- sofern finde ich es ziemlich unverfroren, wenn es im Be- gründungsteil des Gesetzentwurfs der FDPwörtlich heißt: „Der Gesetzentwurf setzt die Auffassung der Enquete- Kommission um, dass die PID durch den Gesetzgeber ge- regelt werden muss ...“ Sicher: Wir brauchen ein Fortpflanzungsmedizinge- setz. Aber nicht, um das Embryonenschutzgesetz abzu- schaffen, sondern um seine hohen Schutzstandards zu stärken und weiter zu entwickeln. Angesichts der kompli- zierten medizinischen, rechtlichen und ethischen Fragen muss der Diskussions- und Abwägungsprozess im Parla- ment umfassenden Charakter haben. Davon kann beim Gesetzentwurf der FDP keine Rede sein. Der Gesetzentwurf bemüht zwar verfassungsrechtlich garantierte Grundrechte, aber Art. 1 des Grundgesetzes kommt in ihm nicht vor. Stattdessen arbeitet die FDP mit nahezu abenteuerlichen Zaubertricks, zum Beispiel wenn sie in der Begründung zu Absatz 1 ausführt: Die zentrale Frage der Verwerfung des Embryos hin- gegen wird in Satz 2 gesondert geregelt. Auf diese Weise – so wörtlich im Text!! – wird der ethische Schwerpunkt des Verfahrens, die Verwerfung – selbstverständlich ebenfalls nur unter bestimmten engen Voraussetzungen – als nicht rechtswidrig definiert. So einfach kann und darf man es sich nicht machen! Die Bedenken der Behinderten und ihrer Verbände sol- len zwar sehr ernst genommen werden, aber die eindeu- tige und klare Ablehnung der PID durch den Deutschen Behindertenrat (DBR) kommt bei der FDP nicht vor. Erst Ende November forderte der DBR erneut eindeutige ge- setzliche Regelungen, nach denen Methoden der Fort- pflanzungsmedizin nicht zur Selektion menschlichen Le- bens missbraucht werden können. Der FDP-Entwurf geht genau in die Gegenrichtung. Es soll Rechtssicherheit für genetisch schwer vorbelastete Paare mit Kinderwunsch und für Ärzte hergestellt werden, aber die medizinischen Risiken, rechtlichen Bedenken und ethischen Einwände, die von ärztlicher Seite, von Frauenverbänden und Ver- fassungsrechtlern vorgebracht werden, kommen bei der FDP nicht wirklich vor. Nur zur Auswahl empfehle ich der FDP-Fraktion daher das Studium des abschließenden Votums der Ende No- vember 2001 in Dresden durchgeführten „Bürgerkonfe- renz zur Gendiagnostik“, bei dem sich zum Beispiel alle beteiligten Frauen gegen die PID ausgesprochen haben, sowie das Positionspapier der Bundesvereinigung Le- benshilfe zur PID vom 4. Dezember 2001. Dort heißt es in der abschließenden Zusammenfassung unter anderem: Somit ist die PID aus Verfassungsgrundsätzen her nicht zu gestatten und eine weder medizinisch über- zeugende noch ethisch gerechtfertigte Methode. Ihre Anwendung wird zu gesellschaftlichen Veränderun- gen führen, die einer humanen Gesellschaft entge- genstehen ... Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Arbeit statt Sozial- hilfe – Hin zu einer Kultur von Geben und Neh- men (Tagesordnungspunkt 26) Walter Hoffmann (Darmstadt) (SPD): Arbeit statt Sozialhilfe, das ist ein Ziel, das wir gemeinsam haben. Zu viele Menschen sind heute von der Sozialhilfe abhängig, brauchen Hilfe in der Not, in die sie aus den unterschied- lichsten Gründen geraten sind. Wichtige Gründe sind Ar- beitslosigkeit, Krankheit und die Veränderung der Fami- lienstrukturen, weshalb heute mehr als 30 Prozent aller Sozialhilfeempfänger minderjährig sind. So unterschiedlich die Gründe für die Arbeitslosigkeit sind, so differenziert müssen die Hilfsangebote sein, die wir den Hilfesuchenden machen. Deshalb begrüße ich ausdrücklich, dass Sie in diesem Antrag befürworten, Hil- fesuchenden intensive Betreuung zukommen zu lassen und ihnen möglichst schon bei Antragstellung ein kon- kretes Angebot zu unterbreiten, wie die Hilfebedürftigkeit beendet oder verkürzt werden kann. Wie Sie wissen, er- proben wir dies schon im Rahmen von MoZArT-Modell- projekte zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Arbeitsämtern und Trägern der Sozialhilfe –, wo mit den Betroffenen Hilfepläne ausgearbeitet werden, um die konkreten Gründe für die Sozialhilfebedürftigkeit zu be- seitigen. Wir investieren 30 Millionen DM jährlich für Modellprojekte, die die Zusammenarbeit zwischen Ar- beitsämtern und Trägern der Sozialhilfe verbessern sol- len. Dass Sie diese Hilfepläne unterstützen, wundert mich aber auch ein wenig. Haben Sie sich doch noch bei der Verabschiedung unseres Job-Aqtiv-Gesetzes gegen die Einführung einer Eingliederungsvereinbarung mit den Arbeitslosen ausgesprochen, die exakt die gleiche Ziel- richtung verfolgt und mit der wir erstmals das, was Sie in Ihrem Antrag hier fordern, umsetzen. Das Gleiche gilt für Ihre Forderung, dass Kommunen Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung wahrnehmen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20793 (C) (D) (A) (B) können. Genau dies haben wir mit der Ermöglichung Be- schäftigung schaffender Infrastrukturförderung mit unse- rem Job-Aqtiv-Gesetz umgesetzt. Auch hier haben Sie wi- dersprochen. Dies passt nicht zusammen. Leider bleibt es nur bei wenigen Lichtblicken in Ihrem Antrag, wie meine Kollegin Brigitte Lange schon genau- estens ausgeführt hat. Stattdessen fallen Sie wieder in das alte Stereotyp zurück: Die Arbeitslosen wollen gar nicht arbeiten; deshalb muss man ihr Geld kürzen, um sie zur Wiederaufnahme einer Beschäftigung zu zwingen. Wenn die Welt nur so einfach wäre! Vieles von dem, was Sie in Ihrem Antrag fordern, set- zen wir seit nunmehr drei Jahren um. Und unsere Bilanz kann sich wahrlich sehen lassen! Sie fordern Wachstum und Beschäftigung, neue Ideen und Reformen. Wir haben die Weichen auf Wachstum ge- stellt, indem wir Arbeitnehmer und Unternehmen in er- heblichem Maße steuerlich entlastet haben, und haben mit der Modernisierung des Steuerrechts die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen gestärkt. Erst kürzlich haben wir die Reform des Meister-BAföG beschlossen, die mit einem besonderen Schwerpunkt die Existenzgründung fördert und erleichtert. Im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit haben wir Wirtschaft und Gewerkschaft an einen Tisch gebracht und viele kleine und große Hürden für die wirtschaftliche Ent- wicklung Deutschlands verkleinert und beseitigt. Wir haben die Lohnnebenkosten gesenkt. Statt 42 Pro- zent im Jahre 1998 liegen sie heute bei 40,8 Prozent. Diese Leistung wird noch eindrucksvoller, wenn man sich vor Augen hält, dass die Lohnnebenkosten ohne unsere Reformen heute bei mehr als 42,5 Prozent liegen müssten. Auch das ist einer der Erfolge unserer Politik im Dienste von Wachstum und Beschäftigung. Sie fordern eine Entlastung der Familien. Wir haben die Familien entlastet, nicht nur mit der Steuerreform, die ich bereits erwähnt habe, sondern auch durch die Anhe- bung des Kindergeldes und die Reform des Familien- leistungsausgleichs mit einem Volumen von 62,2 Milliar- den DM, die zum 1. Januar 2002 in Kraft treten wird. Re- formen wie die des BAföG, des Meister-BAföG, der Erziehungszeit, des Wohngeldes usw. entlasten die Fami- lien. Eine weitere Entlastung für die Familien ist die starke Absenkung der Jugendarbeitslosigkeit nicht zuletzt durch das Sofortprogramm der Bundesregierung zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit. Es hat beispielsweise in meinem Wahlkreis Darmstadt dafür gesorgt, dass es praktisch kei- nen Jugendlichen mehr gibt, der keinen Ausbildungsplatz hat. Wenn das keine Politik für Familien und zur Vermei- dung von Hilfebedürftigkeit ist! Wir haben mit unserer Reform des Arbeitsförderungs- rechts die Möglichkeiten der Arbeitsämter stark erweitert, die unterschiedlichsten Gründe für Arbeitslosigkeit zu be- seitigen. Auf diesem Wege müssen wir weitergehen. Es gibt noch viel zu tun. Dazu dient neben MoZArT auch die Er- probung der Niedriglohnmodelle aus Mainz und von der Saar-Gemeinschaftsinitiative. Es ist klug, zunächst aus- zuprobieren und die Theorie sich an der Realität beweisen zu lassen und aus den Ergebnissen zu lernen, um letztlich fundierte, gute, sinnvolle und differenzierte Lösungen umzusetzen. Das ist schwieriger, als einen solchen Antrag mit lauter frommen Postulaten zu formulieren. Brigitte Lange (SPD): Mit ihrem Antrag, der heute zur ersten Lesung ansteht, wiederholt die CDU/CSU For- derungen zur „Vereinheitlichung von Sozialhilfe und Ar- beitslosenhilfe“, die sie uns bereits vor zwei Monaten in einem Antrag präsentierte. Leider erschöpft sich die Krea- tivität beider Anträge mehr in den Überschriften als in den Inhalten. Sie beschreiben Ziele, aber Sie verraten uns nur rudi- mentäre Lösungsansätze. Das Nebeneinander von Ar- beitslosen- und Sozialhilfe wird seit einiger Zeit von ver- schiedenen Seiten mehr oder minder heftig und kontrovers diskutiert. Problembeschreibungen gibt es viele. Vor allem werden Ineffizienz und Ineffektivität des Nebeneinanders zweier Systeme kritisiert, die ein ge- meinsames Ziel verfolgen: die Sicherung des Lebensun- terhalts und die Wiedereingliederung von arbeitslosen Hilfebeziehern in den Arbeitsmarkt. So unterschiedlich wie Intentionen und Zielsetzungen, so unterschiedlich sind die Lösungsansätze: Sie reichen von einer Verzah- nung, Harmonisierung, Vereinheitlichung oder Ver- schmelzung der Systeme, einer organisatorischen Tren- nung von passiven und aktiven Leistungen, einer Herauslösung passiver Leistungen bis zu einer Grundsi- cherung, einem Sozialgeld und einem Sozialeinkommen, das unter Sozialhilfeniveau liegen soll. Leider wird die Diskussion mehr von dem Nebenei- nander der passiven Transferleistungen beherrscht als von der Kernfrage, wie die Situation von Arbeitslosen verbes- sert und Arbeitslosigkeit überwunden werden kann. Es gibt mehr plakative Forderungen als zielführende, durch- dachte Konzepte. Die brauchen nämlich Zeit. Auch die CDU/CSU kann ein solches Konzept mit ihrem vorlie- genden Antrag nicht bieten. Liest man die verschiedenen Papiere, die Sie in diesem Jahr zu diesem Thema vorgelegt haben, wird deutlich, dass auch bei Ihnen die Diskussion noch lange nicht ab- geschlossen sein kann. Noch gehen die Zielsetzungen bei Ihnen munter durcheinander. Mal fordern Sie eine bessere Verzahnung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe wie in Ihrem arbeitsmarktpolitischen Antrag vom September, mal ein Sozialgeld wie im Papier zur „Neuen sozialen Marktwirtschaft“ und jetzt eine Vereinheitlichung wie im vorliegenden Antrag. In zwei Dingen scheinen wir uns einig zu sein: Erstens. Wir brauchen eine Reform; dazu haben wir unsere Eck- punkte vorgelegt. Zweitens. Diese Reform kann nicht Hals über Kopf konstruiert werden. Sie selbst sprechen von kurzfristigen Maßnahmen und mittel- und langfristigen Reformen. Weil Sie diese jedoch auf Ihren Forderungskatalog anwenden, bleibt leider Ihr Geheimnis. Dass die von Ihnen geforderte Harmonisie- rung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe mit erheblichen ungeklärten Problemen verbunden ist, haben Sie offen- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120794 (C) (D) (A) (B) sichtlich erkannt. Sie bemühen sich um Lösungen für ei- nige dieser Probleme, andere Fragen bleiben offen. Auch Ihr Vorschlag, bundesweit und flächendeckend finanzielle Anreize zur Arbeitsaufnahme im Niedriglohnbereich ein- zuführen, bleibt unkonkret und berücksichtigt in keiner Weise die bisherigen – eher skeptisch stimmenden – Er- fahrungen mit diesem Instrument. Eine Strukturreform der Sozialhilfe lässt sich nicht von heute auf morgen bewerkstelligen. Sie braucht eine um- fassende und gründliche Vorbereitung. Wir unterstützen deshalb die Bundesregierung bei ihrer sorgfältigen und praxisorientierten Vorbereitung der Reform. Wir haben den Armuts- und Reichtumsbereicht vorge- legt. Dieser Bericht zeigt die Vielschichtigkeit der Notla- gen. Es ist eben in vielen Fällen nicht mit dem bloßen An- gebot eines Arbeitsplatzes getan, auch nicht mit einer Verschärfung der Sanktionen. Eine an der Lebenslage orientierte Beratung erfordert mehr: Hilfe bei Verschul- dung, bei Suchtproblemen, bei der Wohnungssuche und bei der Suche nach einem Kinderbetreuungsplatz. Mehr Druck und Repressionen sind nicht zielführend. Wir wol- len Hilfe auf gleicher Augenhöhe. Die Hilfeempfänger sollen als Partner am Hilfeprozess mitwirken. Ihren Vorschlag vom Sommer: „Wer nicht arbeitet, ob- wohl ihm ein Angebot unterbreitet wurde, ... erhält künf- tig nur noch das verfassungsrechtlich notwendige Exis- tenzminimum, das spürbar unter den heutigen Regelsätzen liegt und auch als Sachleistung gewährt wer- den kann“ ändern Sie nun um – womit er nicht besser wird – in eine „einheitliche Leistung für Arbeitsfähige“, die „dem Niveau der ... Sozialhilfe entspricht und nur für den gelten soll, der eine Arbeit annimmt“. Mir ist nicht klar, ob Sie damit Ihr totales Missverständnis von Sinn und Aufgabe der Sozialhilfe dokumentieren, die im Ge- setz bereits vorhandenen Sanktionsmöglichkeiten leug- nen oder einfach populistisch argumentieren wollen. Das Sozialhilfegesetz lässt Hilfeempfängern keine Wahlmög- lichkeit zwischen Arbeit und Sozialhilfe. Die Sozialämter wenden die bestehenden Sanktionsinstrumente durchaus an – aber mit Augenmaß und differenziert nach dem Ein- zelfall. Ob der von der CDU/CSU geforderte generelle Aus- schluss von der Hilfeleistung, also von Geld- und Sach- leistungen, bei Ablehnung eines Arbeitsangebots verfas- sungsrechtlich überhaupt zulässig ist, bezweifle ich. Auch die CDU/CSU kann jedenfalls nicht wollen, dass die Kin- der eines Hilfeempfängers nicht das Lebensnotwendige haben, weil ihrem Vater die Hilfe zum Lebensunterhalt verweigert wird. Die in diesem Zusammenhang vorge- schlagene Umkehr der Beweislast, von Ihnen als „Kern- punkt des neuen Regelungswerkes“ bezeichnet, verrät mehr Misstrauen als Zutrauen zu der von Ihnen geforder- ten „intensiven Betreuung“ von Anfang an. Es geht übri- gens nicht um Betreuung – Arbeitslose sind erwachsen –, sondern um Beratung, die Bestandteil einer „Förderkette“ ist, die Assessment, Hilfeplanung und Fallmanagement umfasst. Dazu sagen Sie nichts. Aber genau das ist der entscheidende Kernpunkt – und nicht die Umkehr der Be- weislast – für eine erfolgreiche Vermittlung in den Ar- beitsmarkt. In Ihrem Antrag findet sich auch kein Wort zur gesetz- lich verpflichteten Zusammenarbeit von Arbeits- und So- zialämtern. Ohne diese ersten Erfahrungen auch nur an- zusprechen oder die Ergebnisse aus den Modellversuchen abzuwarten, formulieren Sie entbehrliche Plattitüden. Aber gerade diese Erfahrungen und Ergebnisse einer Ko- operation bei der gegenseitigen Nutzung der Instrumente von Arbeitslosen und Sozialhilfe, bei der Leistungsaus- zahlung und beim Datenaustausch liefern wichtige Krite- rien für eine Reform. Sie fordern eine Vereinheitlichung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf Sozialhilfeniveau. Arbeitslosenhilfe- bezieher würden ihre Ansprüche auf Lohnersatzleistun- gen verlieren und müssten auf Sozialhilfe verwiesen wer- den. 80 Prozent der heutigen Arbeitslosenhilfebezieher würden deutlich geringere Leistungen erhalten. Auch Ihr Vorschlag, die Bedingungen für zumutbare Arbeit wie in der Sozialhilfe zu regeln, wäre nachteilig für sie: Gewährt das SGB III den Schutz, nicht zur Annahme sozialversicherungsfreier Beschäftigung zu verpflichten, so ist nach dem BSHG so gut wie jede Arbeit zumutbar. Die Zumutbarkeitsregelung des SGB III ist aber ein Qua- lifikationsschutz, der auch gesamtwirtschaftlich Sinn macht. Investitionen in die eigene Ausbildung und Quali- fikation lohnen sich weniger, wenn sie nicht gegen Ent- wertung geschützt sind. Immerhin sehen Sie bei der Anrechnung von Vermö- gen und bei der rentenversicherungsrechtlichen Absiche- rung Verbesserungen gegenüber den bestehenden BSHG-Regelungen vor. Auch Ihre Überlegung, für ar- beitslose und gemeinnützig beschäftigte Hilfebezieher diese Zeiten als rentensteigernd anzuerkennen, ist beden- kenswert. Keine Antwort geben Sie jedoch auf die Frage, wie und von wem die Aufgaben einer zusammengeführten Ar- beitslosen- und Sozialhilfe wahrgenommen werden sol- len. Dass die finanzielle Verantwortung für Arbeitslose beim Bund bleiben muss und diese gesamtstaatliche Auf- gabe nicht den Kommunen aufgebürdet werden darf, ist eine Überzeugung, die ich teile, aber noch kein Konzept. Das Know-how der Arbeitsämter bei der Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt und ihre Nähe zu den arbeits- marktpolitischen Akteuren ist unverzichtbar. Unser Ziel muss es deshalb sein, die Kompetenzen von Arbeits- und Sozialämtern zu bündeln und Beratung und Leistungen aus einer Hand anzubieten. In welcher Form – angesiedelt beim Sozialamt, beim Arbeitsamt oder bei einer dritten Stelle – dies am sinnvollsten geschehen kann, wird nach Vorliegen der Ergebnisse aus den Modellversuchen noch zu beantworten sein. Aber Modellversuche erscheinen Ihnen ja zur Erkennt- nisgewinnung als überflüssig. Deswegen fordern Sie auch forsch die Einstellung der unterschiedlichen, örtlich be- grenzten Modellprojekte, die Fördermöglichkeiten für ge- ring Qualifizierte erproben sollen, und verlangen stattdes- sen die flächendeckende Einführung von Kombilöhnen, Einstiegsgeldern oder degressiv gestaffelter Zuschüsse zu den Sozialversicherungsbeiträgen. Dabei stimmen erste Erfahrungen skeptisch, ob diese Instrumente tatsächlich Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20795 (C) (D) (A) (B) den erwünschten beschäftigungspolitischen Erfolg brin- gen. Die Inanspruchnahme der Zuschüsse zu den Sozial- versicherungsbeiträgen bleibt sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf Arbeitnehmerseite weit hinter den Erwartungen zurück. Die gleiche Erfahrung machen wir mit dem In- strument der Lohnkostenzuschüsse. Dagegen zeigen bis- herige Erfahrungen, dass Lohnsubventionen die Beschäf- tigungschancen weniger erhöhen als die offensive Akquirierung von Arbeitsplätzen und die passgenaue Ver- mittlung von Arbeitskräften. Schnellschüsse bringen uns nicht weiter. Die flächen- deckende Subventionierung von Niedriglöhnen und die simple Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozial- hilfe sind nicht die beschäftigungspolitischen Wunder- mittel, für die Sie sie verkaufen. Wir lassen uns nicht da- von abbringen, sorgfältig zu prüfen, ob und wie diese Instrumente dem Ziel einer dauerhaften Integration von Arbeitslosen in eine existenzsichernde Erwerbstätigkeit dienen. Das ist das Kriterium, an dem sich alle Reform- vorschläge messen lassen müssen – auch die der Oppo- sition. Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Nun tut sich also doch etwas, Herr Riester. Sie haben sich ja lange gewehrt und gesagt, eine Reform von Sozialhilfe und Arbeitslo- senhilfe werde es in dieser Legislaturperiode nicht mehr geben. Sie haben auf Ihre diversen Modellprojekte ver- wiesen und darauf, dass diese erst ausgewertet werden müssten. Aber nun hat Herr Müntefering ein Machtwort gesprochen und schon bewegt sich das Ministerium. Et- was Gescheites kommt aber wieder nicht heraus, weil Sie einfach die Modellprojekte ausweiten. Und wo tun Sie das? Ganz zufällig in dem Bundesland, in dem die nächs- ten Wahlen stattfinden – in Sachsen-Anhalt! Ein Schelm, wer Böses dabei denkt und einen Zusammenhang her- stellt. Sie wollen bestimmt nur den Menschen helfen und haben überhaupt nicht daran gedacht, dass Ihr guter Wille als kühl kalkuliertes Wahlgeschenk gedeutet werden könnte. Die Tatsache, dass Sie zu solchen Mitteln greifen, zeigt mir, dass Sie befürchten, die Menschen könnten genug ha- ben von ihrer rot-roten Politik, von ehemaligen Stasi- leuten in den Ministerien und Vetternwirtschaft bei der Vergabe von Steuergeldern. Soll ich raten, in welchem Bundesland Sie als nächstes flächendeckende Modellpro- jekte ausrufen werden? Vielleicht in Mecklenburg-Vor- pommern? Aber jetzt zu dem Antrag, den die CDU/CSU-Fraktion heute einbringt. Hierin haben wir über den Tag hinaus ge- dacht und ein Konzept vorgelegt, mit dem wir zweierlei erreichen wollen: Wir wollen, dass der, der arbeitet, mehr Geld in der Tasche hat als der, der nicht arbeitet, sodass sich Arbeiten auch in dem so genannten Niedriglohnbe- reich wieder lohnt, und wir wollen mehr Menschen in Be- schäftigung bringen und überhaupt mehr Beschäftigung schaffen. Zu diesem Zweck muss aus meiner Sicht an zwei Stellen unser derzeitiges System reformiert werden: Arbeitslosen- und Sozialhilfe muss vereinheitlicht wer- den und der Niedriglohnsektor muss attraktiver gemacht werden. Im Augenblick werden die Arbeitslosen von dieser Re- gierung doch nur noch gezählt und verwaltet. Sie werden zwischen Bundesanstalt für Arbeit und Sozialämtern hin- und hergeschoben, von einer ABM in die nächste, da- zwischen gibt es Geld von der Bundesanstalt, aber einen richtigen Job im ersten Arbeitsmarkt, den gibt es für die meisten nicht. Das hat sich in der Vergangenheit als der falsche Weg erwiesen und das ist vor allem für die Zu- kunft der falsche Weg. Dem Konzept der Union liegt ein Sozialstaatsverständnis zugrunde, das von gegenseitiger Solidarität ausgeht, das unter Solidarität Geben und Neh- men, Leistung und Gegenleistung versteht und das das Ziel verfolgt, die Eigenverantwortung jedes Einzelnen im eigenen und im Interesse der Gemeinschaft zu fördern. Unser Konzept sieht daher vor, die beiden Systeme der Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe auf lokaler Ebene zu- sammenzuführen. Ziel muss es sein, Menschen mit den- selben Herausforderungen – keine Arbeit – gleiche Leis- tungen durch dasselbe Instrument bei durchgehender Betreuung anzubieten. Vor allem muss der Anreiz, eine Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt anzunehmen, deutlich erhöht werden. Vorneweg muss eines ganz deutlich gesagt werden: Die Vorschläge betreffen nur diejenigen, die nicht arbei- ten, obwohl sie arbeiten könnten und Arbeits- oder Aus- bildungsmöglichkeiten vorhanden sind. Die Union will keiner alleinerziehenden Mutter, keinem Kranken und keinem Behinderten die Leistungen kürzen. Auch die Menschen, denen keine Arbeit oder keine Ausbildung an- geboten werden kann, sollen nicht von Kürzungen betrof- fen sein. Voraussetzung für das Gelingen der Reformvor- stellungen ist deshalb, dass mithilfe des von der Union vorgeschlagenen Familiengeldes Kinder aus der Sozial- hilfe herausgeholt werden und dass mit dem ebenfalls von der Union geforderten Leistungsgesetz für Behinderte be- hinderte Menschen gleichermaßen nicht mehr im Sozial- hilfebezug sind, sondern einen Anspruch aufgrund eines bundesfinanzierten Leistungsgesetzes erwerben. Mit die- sen beiden Vorhaben wird erreicht, dass die Maßnahmen des neu zu schaffenden Hilferechts gezielt auf arbeits- fähige Hilfebezieher zugeschnitten werden können. Für diejenigen, die jung genug und gesund sind, deren familiäre Situation es zulässt und für die eine Arbeit oder ein Ausbildungsplatz vorhanden ist, muss etwas geändert werden. Allein bei den 2,7 Millionen Sozialhilfeempfän- gern wird angenommen, dass rund 800 000 Menschen grundsätzlich arbeitsfähig sind. Die Union will nicht, dass bereits junge Menschen eine Art Sozialhilfekarriere be- ginnen, indem sie keinen Schulabschluss erwerben, keine Berufsausbildung machen und anschließend mit wenig befriedigenden Gelegenheitsjobs oder auch Schwarzar- beit ihr Leben fristen. Die Union will auch nicht, dass Menschen, die schwer arbeiten und damit nur ein gerin- ges Einkommen erzielen, mit ihren Steuern und Sozial- abgaben diejenigen finanzieren, die durchaus selber ar- beiten könnten, es aber nicht tun. Es gibt viele unbesetzte Stellen in Deutschland. Nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit gibt es in ganz Deutschland rund 1,6 Millionen offene Stellen. Hiervon ist jede zweite Stelle für Nicht- Facharbeiter oder einfache Angestellte geeignet. Ein wei- teres kommt hinzu: Im Jahr 2000 wurden fast 1,1 Milli- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120796 (C) (D) (A) (B) onen Arbeitserlaubnisse für ausländische Arbeitnehmer erteilt, von denen die Mehrzahl deshalb erteilt wurde, weil sich kein inländischer Arbeitnehmer für die jeweilige Be- schäftigung fand. Auch wenn die Arbeitsplätze nicht immer genau da sind, wo die Arbeitslosen sind und die Qualifikationen nicht immer zu den Anforderungen passen, so ist es gleichzeitig wahr, dass viele Arbeiten nur deshalb nicht angenommen werden, weil die staatliche Hilfe, oft zu- sammen mit Schwarzarbeit, dem Betroffenen ausreicht und es zudem der bequemere Weg für ihn ist. Wir müssen daher auch die weniger gut bezahlten Jobs für die Men- schen attraktiv machen. Hierzu kann man Kombilöhne oder das Einstiegsgeld nutzen oder, was mir persönlich am besten gefällt, man bezuschusst den Arbeitnehmeran- teil der Sozialversicherungsbeiträge und führt degressiv gestaffelte Beiträge ein, wie wir das aus dem Steuerrecht kennen. Ziel ist es jedenfalls, den Nettolohn desjenigen, der eine Arbeit annimmt, deutlich über das Sozialhilfeni- veau zu heben. Die Vorschläge der Union zur Vereinheitlichung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe sehen im Einzelnen vor: Das Regel-/Ausnahmeverhältnis der derzeitigen So- zialhilfe wird umgekehrt. Das Sozialamt muss nicht mehr die Zahlungen kürzen, wenn eine zumutbare Arbeit oder Ausbildung verweigert wird, sondern der Hilfeempfänger hat von vornherein nur dann einen Anspruch auf die volle Leistung, wenn er nachweist, dass er entweder ein vor- handenes Arbeitsangebot annimmt, einer gemeinnützigen Tätigkeit nachgeht oder eine Ausbildung absolviert. Nimmt er das Angebot nicht an, bedarf er offensichtlich nicht der Hilfe. Hilfeempfänger ohne berufliche Qualifikation sind verpflichtet, eine Berufsausbildung zu absolvieren, um den ungeschmälerten Leistungsanspruch zu bewahren. Ausländische Sozialhilfeempfänger mit Sprachdefizi- ten müssen zum Deutschunterricht gehen, wenn sie einen Anspruch auf die ungeschmälerten Leistungen haben wollen. Es gelten einheitliche Zumutbarkeitskriterien für die Annahme einer Arbeit. Sozialhilfeempfänger und Emp- fänger von Arbeitslosenhilfe erhalten beide aus Steuer- mitteln Transferleistungen, weil sie keine Arbeit haben. Von beiden Personengruppen kann mit demselben Recht erwartet werden, dass sie eine Eigenleistung erbringen, um aus dem Hilfebezug herauszukommen. Das Leistungsniveau von Sozialhilfe und Arbeitslosen- hilfe wird schrittweise angeglichen. Ältere Arbeitnehmer, die wenigstens 15 Jahre erwerbs- tätig waren, können ihr Erspartes behalten. Die Hilfeempfänger werden von Anfang an und durch- gängig betreut und beraten. Lassen Sie mich noch etwas zu den Kosten und zu den Auswirkungen auf die Beschäftigung sagen: Es wird si- cherlich eine beträchtliche Anschubfinanzierung brau- chen, um die Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Aber die Gegenrechnung ist eigentlich ganz einfach: Es ist bil- liger, einen Arbeitnehmer mit 200 DM im Monat zu sub- ventionieren als denselben Menschen arbeitslos sein zu lassen und ihm 2000 DM an Sozialleistungen zu zahlen. Ganz abgesehen davon ist es unsere Verpflichtung als So- zialpolitiker, den Menschen eine Perspektive für ein selbstbestimmtes autonomes Leben zu geben und sie nicht mit viel Geld aus dem Erwerbsleben und der gesell- schaftlichen Teilhabe herauszukaufen. Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass dies der einzig richtige Weg ist. In den 1990er-Jahren kam es in Däne- mark zu einem erheblichen Rückgang der Arbeitslosig- keit. Innerhalb von nur 5 Jahren ging die Arbeitslosigkeit von fast 12 Prozent auf 5,5 Prozent zurück. Grund hierfür waren die Reformen auf dem Arbeitsmarkt: Verschärfung der Anforderungen an Arbeitslose – Rechte und Pflichten .– Die Arbeitslosenunterstützung ist zwar relativ hoch, dafür ist der Betroffene verpflichtet, ein angebotenes Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis anzunehmen; strengere Ver- fügbarkeitsregeln; Verkürzung der Leistungsdauer für Ar- beitslosengeld. Wenn wir es in Deutschland schaffen sollten, die Arbeitslosenquote von derzeit über 9 Prozent auf etwa 5 Prozent zu senken, dann können wir über 50 Milliarden DM jährlich einsparen. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist schon überraschend, welches Bild der sozialen Sicherung die Union in ihrem Antrag zeichnet. Gehen wir von den Fakten aus, von der sozialen Wirklichkeit: Die Zahl der Sozialhilfeempfänger und -empfängerinnen hat sich in Deutschland unter der Regierung von CDU/CSU und FDP vervierfacht. Insbesondere Kinder wurden unter Schwarz-Gelb zu einem Armutsrisiko, nicht nur am Rand der Gesellschaft, sondern bis in die Mitte der Gesellschaft hinein – ein unglaublicher Skandal in einem der reichsten Länder der Welt. Rot-Grün hat die Armut in den letzten drei Jahren nicht beseitigt. Das konnte auch niemand ernsthaft erwarten. Aber wir haben den Trend umgekehrt. Die Zahl der So- zialhilfeempfänger und -empfängerinnen nimmt seit 1999 ab. Familien mit Kindern werden unter Rot-Grün besser gestellt – gerade auch im unteren und mittleren Einkom- mensbereich. Verglichen mit 1998 wird eine Durch- schnittsfamilie im Jahr 2002 um 1 500 Euro entlastet, die Ökosteuer inbegriffen. Wir tun also sehr viel, um zu ver- hindern, dass Menschen auf Sozialhilfe angewiesen sind. Dennoch will ich einräumen – und das verschweigen wir ja auch an keiner Stelle: Wir haben mit dem System der Sozialhilfe, wie es sich heute darstellt, eine Reihe von gravierenden Problemen. Darauf weist zum Teil zu Recht auch die Liste hin, welche die Union in ihrem Antrag prä- sentiert hat. Nur: So richtig originell ist das alles nicht und vieles, was Sie in Ihrem Antrag vom 13. November 2001 fordern, ist bereits seit Jahren auf den Weg gebracht wor- den. Zum Teil scheint Ihnen das selbst sogar peinlich zu sein. So verstehe ich zumindest den Zusatz „wie dies zum Teil schon praktiziert wird“ im Zusammenhang mit Ihrer Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20797 (C) (D) (A) (B) Forderung nach konkreten Eingliederungsangeboten für Hilfesuchende. Ein weiteres Problem ist die mangelnde Durchlässig- keit der Sozialhilfe – der Fallbeileffekt, wie er in der Fachöffentlichkeit genannt wird. Hierzu gibt es in vielen Bundesländern Modellversuche, die Arbeit und Sozial- hilfe so kombinieren, dass für die Empfänger und -empfängerinnen ein positiver Anreiz entsteht. Deshalb haben wir auch eine Reihe von Modellprojekten zur Ko- operation von Sozial- und Arbeitsämtern gestartet, um die Abschottung beider Systeme zu überwinden und auch So- zialhilfeempfänger und -empfängerinnen in Arbeitsför- dermaßnahmen einzubeziehen. An diesem Punkt be- schränkt sich die Union auf Allgemeinplätze. Wir haben auch das Problem der Überbürokratisie- rung, der – nennen wir es ruhig so – bürokratischen Be- vormundung von Sozialhilfeempfängern und -empfänge- rinnen, die sie in einem Status der Unmündigkeit belässt, statt sie positiv zu motivieren und zu beraten. Wir haben deshalb – im Rahmen einer Experimentierklausel – eine Reihe von Modellversuchen gestartet, um Leistungen zu pauschalieren und die Verwaltung zu vereinfachen. Dabei sollten wir auch nicht die Probleme verschwei- gen, die sich jetzt bereits andeuten: Manche Kommunen verwechseln Pauschalierung mit einer massiven Leis- tungskürzung und es stellt sich auch die Frage, ob langle- bige Gebrauchsgüter wirklich bei jeder Personengruppe Teil der Pauschale werden sollen. Der rechte Teil des Hauses hält in Sachen Sozialhilfe nicht das von uns angestrebte Gleichgewicht des „För- derns und Forderns“. Vergessen Sie bitte auch eines nicht: Die mangelnde Vermittelbarkeit von Sozialhilfeempfängern und -emp- fängerinnen hat nur in wenigen Fällen mit mangelnden fi- nanziellen Anreizen zu tun. Wir ignorieren diese wenigen Fälle nicht, wir unterstützen sie. Aber wir verallgemei- nern auch nicht, nur weil dies der Lufthoheit über den Stammtischen dienen könnte. Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe beziehende Men- schen haben oft ein Qualifizierungsproblem. Sie haben auch ein Imageproblem, weil ihnen viele Arbeitgeber nicht zutrauen, sich aus der Sozialhilfe wieder in ein re- guläres Arbeitsverhältnis einzugliedern. Sie haben ferner oft ein Problem mit der mangelnden Infrastruktur an Be- ratung und an Kinderbetreuungsmöglichkeiten. An all diesen Stellen wird Rot-Grün aktiv. Wir wissen: Nur eine Kombination vieler abgestimmter Maßnahmen verspricht Erfolg. Die Zusammenlegung von Arbeitslo- sen- und Sozialhilfe zu einem einheitlichen Hilfesystem macht im Prinzip Sinn. Wir Grüne treten schon lange für eine bedarfsorien- tierte Grundsicherung ein, die dies leistet. Allerdings darf eine Vereinheitlichung nicht zulasten von Qualität gehen, nicht zulasten von individuell passgenauen Hilfen und sie darf nicht dazu führen, dass mehr Menschen dauerhaft in Armut verbleiben. Im Gegenteil: Es muss darum gehen, Armut durch Hilfe zur Selbsthilfe zu überwinden, durch einen sinnvollen Mix aus Fördern und Fordern. Die Einseitigkeit der Union führt hier in die Irre. Ich vermute, das wissen Sie selbst; sonst könnten Sie in Ihrem Antrag wenigstens ein bisschen konkreter werden. Es macht auf kurze und mittlere Sicht durchaus Sinn, ohne einen großen und sehr komplexen Systemwechsel einzelne Personengruppen aus der Sozialhilfe herauszu- nehmen – zumal dann, wenn sie dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen. Bei älteren Menschen haben wir das im Rahmen der Rentenreform gemacht. Wir wollen diesen Ansatz auf weitere Personengruppen ausdehnen und wir wollen insbesondere die eigenständige Existenz- sicherung von Kindern und Jugendlichen so verbessern, dass sie und ihre Familien von Sozialhilfe unabhängig sind. Das ist natürlich auch ein Hinweis auf die grüne Kin- dergrundsicherung, nicht zuletzt weil die Kindergrundsi- cherung die offene und verdeckte Armut effektiv bekämpft, weil sie auch Menschen in prekären Einkom- mensverhältnissen oberhalb der Armutsschwelle unter- stützt und weil sie problemlos finanzierbar ist. Die Kin- dergrundsicherung ist inzwischen offiziell Gegenstand der Beratungen in der Koalition. Vor allem ist sie kein un- gedeckter Scheck wie das Familiengeld der Union, das zudem mit teilweise nicht genau eingegrenzten Ver- schlechterungen bei sozial Benachteiligten kombiniert werden soll. Dies alles zeigt: Die Union hat keine diskutablen Al- ternativen vorzuweisen. Die rot-grüne Koalition hingegen arbeitet konzentriert und lösungsorientiert. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Es ist schön, dass nun die Union als letzte der im Bundestag vertretenen Parteien einen Antrag zu diesem wichtigen arbeitsmarkt- und sozi- alpolitischen Thema vorlegt. Während die rot-grünen Bundestagsfraktionen hierzu lediglich einen Entschlie- ßungsantrag mit Wirkung für das Jahr 2003 vorgelegt ha- ben, obwohl sie jetzt, 2001, handeln könnten, enthält der Antrag der Union Vorstellungen, die wir im Grundsatz mit unterstützen. Verhehlen will ich freilich nicht den sich bei Lektüre der CDU-Vorlage aufdrängenden Eindruck, die insgesamt drei FDP-Anträge vom 9. Mai sowie 25. September 2001 für eine beschäftigungsorientierte und aktivierende So- zialhilfe-Reform seien Vorbild der CDU-Anträge gewe- sen. Für die FDP gilt: Sozialhilfe muss so ausgestaltet wer- den, dass sie einerseits den tatsächlich Bedürftigen ein Le- ben in Würde ermöglicht, andererseits aber zugleich die Selbstständigkeit aller Hilfeempfänger stärkt und Leis- tungsmissbrauch vermeiden hilft. Wir wollen nicht, dass die subsidiäre Hilfegewährung eine „Kultur der Unselbst- ständigkeit“ hervorbringt. Von rund 2,7 Millionen Sozialhilfeempfängern sind etwa 800 000 Menschen grundsätzlich arbeitsfähig. Warum lohnt es sich für viele dieser rund 800 000 arbeits- fähigen Sozialhilfeempfänger nicht, eine Arbeit anzuneh- men? Es liegt am Lohnabstand. Gerade bei niedrigem Ein- kommen ist der Lohnabstand zu gering. So liegt das Transfer-Einkommen einer Sozialhilfefamilie mit 2 940 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120798 (C) (D) (A) (B) DM lediglich 260 Mark unter dem durchschnittlich ver- fügbaren Monatseinkommen eines Alleinverdieners mit zwei Kindern einschließlich Kindergeld von 3 200 DM. Für untere Lohn- und Gehaltsgruppen stellt sich das noch ungünstiger dar. Hinzu kommt: Ein arbeitswilliger Sozialhilfeempfän- ger kann derzeit, wenn er arbeiten will, höchstens 275 DM hinzuverdienen. Jeder Zuverdienst darüber hinaus wird ihm zu 100 Prozent, also voll, auf die Sozialhilfe ange- rechnet. Ein echter Anreiz, nichts zu tun! Im Unterschied zur Union hat die FDP hierfür einen präzisen Lösungsvorschlag unterbreitet. Die Anreize in der Sozialhilfe, wieder in das Erwerbsleben zurückzukeh- ren, müssen gestärkt werden: Die Freibeträge in der So- zialhilfe sind zu erhöhen, finanziert über eine Reform des Finanzausgleichs, und die Anrechnungssätze müssen langsamer ansteigen. Diese Maßnahmen sind temporär einzuräumen, um zu verhindern, dass Arbeitnehmer dis- kriminiert werden, die auch ohne Sozialhilfe bereit sind zu arbeiten. Schließlich muss der Eingangssteuersatz be- reits 2002 auf 15 Prozent gesenkt werden. Hierfür haben wir im Mai dieses Jahres einen ausführlichen Antrag vor- gelegt. Darüber hinaus brauchen wir die rechtlichen Vor- aussetzungen, um neu zu schaffende und zu fördernde Arbeitsplätze auch außerhalb des derzeit gültigen Tarif- systems zu ermöglichen. Ein weiteres Problem der derzeitigen Ausgestaltung unseres Sozialsystems muss angesprochen werden. Es gibt keine überzeugende Begründung dafür, warum es in Deutschland mehrere steuerfinanzierte Fürsorgeleistun- gen für einen Tatbestand, nämlich den der Arbeitslosig- keit, gibt. Während die Sozialämter Sozialhilfe in Höhe von rund 40 Milliarden DM leisten, zahlt der Bund Ar- beitslosenhilfe in Höhe von rund 25 Milliarden DM. Al- leine die Verwaltung beider Sozialleistungen verbraucht jährlich rund 7 Milliarden DM. Die FDP fordert daher, die Arbeitslosenhilfe vollstän- dig mit der Sozialhilfe zu einem System mit einer Leis- tung, mit klaren Zuständigkeiten, eingleisigen Verfahren und schlankerer Verwaltung zusammenzufassen. Wir be- grüßen, dass dies von der Union nun auch so gesehen wird. Gleichzeitig muss mit dieser Reform ein dauerhafter föderaler Finanzausgleich erfolgen: Für die durch den Wegfall der Arbeitslosenhilfe sowie weiterer Personalkos- ten ersparten Leistungen muss der Bund den Kommunen einen – je nach deren Aufwendungen – jährlich im Voraus festgelegten Betrag geben, sodass ein Budgetsystem mit dem Anreiz – diesen Gedanken vermisse ich im Unions- antrag – zum sparsamen Haushalten geschaffen wird. Auch hierfür haben wir im Mai einen ausführlichen An- trag vorgelegt. Zu guter Letzt muss das Gerechtigkeitsprinzip „Keine Leistung ohne grundsätzliche Bereitschaft zur Gegenleis- tung“ deutlicher zur Geltung gebracht werden. Bereits nach geltendem Recht kann dem Sozialhilfeempfänger der Leistungsanspruch um 25 Prozent gekürzt werden, wenn er eine zumutbare Arbeit nicht annimmt, bzw. sein Anspruch kann bei weiteren Verstößen auch ganz entfal- len. In der Praxis erwiesen sich diese Sanktionsmechanis- men allerdings bislang als wenig effektiv, und es war sehr aufwendig, diese auch „gerichtsfest“ zu gestalten. Zur Feststellung der Sachlage bedarf es im Einzelfall erhebli- chen Prüfungsaufwandes. Die Ämter machen daher bei der Durchführung von den vorhandenen Sanktionsmög- lichkeiten nur zurückhaltend Gebrauch. Eine Sozialhilfe-Reform muss also darauf hinwirken, die Eigenverantwortung und das Solidaritätsprinzip, wel- ches im Kern ein Gegenseitigkeitsprinzip ist, zu stärken. Die vorhandenen Sanktionsmechanismen müssen daher in Zukunft straffer und stärker angewandt werden. Während bisher die Beweislast, dass ein Sozialhilfeempfänger ent- gegen seiner Behauptung arbeitsfähig ist, nach der Recht- sprechung beim Sozialamt liegt, wollen wir – und die Union hat sich klugerweise angeschlossen – eine Umkehr der Beweislast: Der Sozialhilfeempfänger muss darlegen, dass er nicht selber seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, wenn er staatliche Unterstützung will. Nur beim Nachweis eigener Bemühungen zur Aufnahme von Arbeit besteht dann der Anspruch auf das so genannte sozio-kul- turelle Existenzminimum, also diejenigen Leistungen, die über das materielle Existenzminimum hinaus für die Ein- gliederung des Bedürftigen in die Gesellschaft erforderlich sind. Die Opposition in diesem Haus, FDP und Union, ha- ben deutlich gemacht, wie ihre Vorstellungen zur Reform der Sozialhilfe aussehen. Die derzeitige Bundesregierung hingegen will erst nach der Bundestagswahl konkrete Re- formvorschläge machen. Die ruhige Hand aber ist gerade bei dieser Frage besonders fehl am Platze. Es geht um wertvolle Zeit, die jetzt genutzt werden muss. Pia Maier (PDS): Es geht auf Weihnachten zu. Der Titel des Antrages der CDU „Hin zu einer Kultur von Geben und Nehmen“ klingt in dieser Zeit ja sehr ange- messen. Ich dachte immer, im Sinne der christlichen Weihnacht hieße es: Geben ist seliger denn Nehmen. Was die CDU hier anbietet, ist den Leuten die Arbeits- losenhilfe weg zu nehmen und ihnen nur gegebenenfalls Sozialhilfe zu geben. Damit schicken sie fast 1,5 Milli- onen Menschen in die Armut. Die CDU will, dass alle Arbeitsfähigen erst beweisen, dass sie Arbeit annehmen würden. Dann sollen sie erst vollen Anspruch auf staatli- che Unterstützung haben. – Christlich ist das ganz gewiss nicht, vereinbar mit dem Grundgesetz und der Menschen- würde aber auch nicht. Sie gängeln mit diesem Antrag alle Arbeitslosen, die nach einem Jahr keinen neuen Arbeitsplatz haben. Es soll ja vorkommen bei 4 Millionen Arbeitslosen. Vermutlich fehlen 7 Millionen Arbeitsplätze. Da sind 1,5 Millionen offene Stellen nur ein schwacher Trost. Ar- beitslosigkeit ist ein strukturelles Problem, nicht nur eines fehlender oder falscher Qualifikation. Es kommt heute oft genug vor, dass gut ausgebildete Menschen ihren Arbeits- platz verlieren und ein Jahr lang keine Arbeit finden. Die sollen ihrem Willen nach dann keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe mehr haben, wenn überhaupt bekämen sie Sozialhilfe. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20799 (C) (D) (A) (B) Darf ich Ihnen mal vorrechnen, was einer normalen Familie dann passieren würde? Ein Fallbeispiel, nach Ma- terial von Prof. Gerhard Bäcker/Hochschule Niederrhein, ein Beispiel aus dem Jahr 2000, das in anderen Bundes- ländern so ähnlich wäre: Der Ehemann, 42, 14 Monate ar- beitslos, vorher 6 000 Mark brutto, Ehefrau, erwerbstätig, 2 900 Brutto, beide Steuerklasse IV, ein Kind: 5 Jahre alt, Warmmiete 828 Mark. Im Anschluss an das Arbeitslosen- geld hat der Ehemann rechnerisch Anspruch auf Arbeits- losenhilfe in Höhe von 1 950 Mark und auf 270 Mark Kindergeld. Dann die Bedürftigkeitsprüfung: Das Ein- kommen der Ehefrau wird angerechnet, Unterhalt für das Kind und andere Sachen wieder abgezogen. Ausgezahlt werden 1 721,15 Mark Arbeitslosenhilfe. Das Haushalts- einkommen der Familie läge nach derzeitigem Recht bei 4 027 Mark. Ihrem Antrag folgend, gäbe es nach dem Ar- beitslosengeld keinen lohnbezogenen Anspruch mehr, nur gegebenenfalls Sozialhilfe. Was würde der Beispielfamilie passieren? Sozialhilfe rechnet für die Familie mit einem Kind, alte Bundeslän- der einen Gesamtbedarf von 1 260 Mark, plus Warmmiete macht hier 2 088 Mark. Das Einkommen der Ehefrau wird voll angerechnet, ebenso das Kindergeld. Es bleibt ein Anspruch auf 150,50 ergänzende Sozialhilfe. Das Haus- haltseinkommen läge bei 2 456,50 DM. Das sind gut 1 500 DM weniger. Schöne Bescherung, die Sie den Familien hier bieten. Das ist nicht nur ein Computer weniger für die Kleine auf dem Gabentisch. Das heißt auch keine Rentenbeiträge, kein Berufsschutz, quasi Arbeitszwang. Denken Sie bitte nochmal darüber nach, wenn Sie mit Ihrer Familie unterm Weihnachtsbaum sitzen! Malen Sie sich aus, wie es Ihren Angehörigen ginge, die jetzt normal verdienen! Nach ei- nem Jahr Arbeitslosigkeit endet das Arbeitslosengeld. Dann bleibt nur der Anspruch auf Sozialhilfe. Das ist wirklich ein gigantisches Verarmungspro- gramm. Und nebenbei: Gerade hat das DIW festgestellt, dass mehr Geld in den Taschen von Normalverdienern das Wachstum antreibt, Arbeitsplätze schafft – wie in Frank- reich geschehen. Die Lohnzurückhaltung hierzulande war ein Fehler und weitere Verarmung derer, die auf Sozial- leistungen angewiesen sind, wäre es auch. Dabei gibt es heute schon genug Arbeitslose, die in Ar- mut leben. Wenn das Einkommen nur unterdurchschnitt- lich war, das Berechnungsgrundlage der Arbeitslosenhilfe ist, ist der Punkt schnell erreicht, an dem ergänzende So- zialhilfe beantragt werden könnte. Im Gegensatz zu den guten Gaben der CDU, schlägt die PDS etwas vor, was das Einkommen bei Arbeitslosig- keit sichert: Eine Grundsicherung in der Arbeitslosenver- sicherung. Wie bei der Rente sollen Arbeitslosen Leistun- gen in Höhe der Sozialhilfe garantiert werden. Die sollen ihnen nicht nur zustehen, wie jetzt auch schon, sie sollen diese Leistungen ohne weiteren Ärger mit den Ämtern auch erhalten. Wir wollen, dass sich ein Amt um alle Ar- beitslosen kümmert – auch um die, die heute noch in der Sozialhilfe sind, weil sie noch gar keinen Anspruch in der Arbeitslosenversicherung aufgebaut haben. Wir wollen, dass die Leistungen gebündelt werden. Es sind immerhin beides steuerfinanzierte Leistungen. Die Kommunen haben die Arbeitslosigkeit lange genug mit- finanziert und könnten eine Entlastung vertragen. Wir wollen, dass sowohl die Betreuung und Unterstützung des Sozialamtes in Anspruch genommen werden kann, wenn nötig, wie auch die Möglichkeiten zur Qualifizierung, Weiterbildung, Arbeitsförderung, die das Arbeitsamt bie- tet. Das liegt im Interesse aller, die arbeiten wollen. Meine Damen und Herren, das wäre eine Zusammen- führung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, die der Vorweihnachtszeit angemessen ist. Das wäre kein Ver- armungsprogramm, weder jetzt noch im Alter. Damit könnten sich die Familien keine Edeltanne leisten, aber wenigstens einen Weihnachtsbaum. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Übergangslösung für Umsatzbesteuerung von Sportanlagen – Umsatzbesteuerung von Sportanlagen wirt- schaftsfreundlich gestaltet (Tagungsordnungspunkt 28 und Zusatztages- ordnungspunkt 25) Horst Schild (SPD): Der BFH hat mit seinem Urteil vom 31. Mai 2001 seine bisherige Rechtsprechung zur Umsatzsteuerpflicht der Vermietung von Sportanlagen aufgegeben. Die Vermietung ist nicht mehr in eine um- satzsteuerfreie Grundstücksvermietung und eine umsatz- steuerpflichtige Vermietung von Betriebsvorrichtungen aufzuteilen. Vielmehr wird unter Hinweis auf die neueste Rechtsprechung des EuGH eine einheitliche umsatzsteu- erpflichtige Leistung angenommen. Das Urteil wurde von einem Angehörigen der Branche erstritten. Es schafft zunächst einmal Rechtssicherheit, da bisher häufig Streitfälle der Anlagenbetreiber mit der Fi- nanzverwaltung über die Abgrenzung der Einnahmen auf- traten, welche auch eine sehr differenzierende Rechtspre- chung bewirkt hatten. Nach Veröffentlichung im Bundessteuerblatt II ist das Urteil allgemein zu beachten. Für neue Investitionen in Sportanlagen ist nunmehr der volle Vorsteuerabzug zuläs- sig. Gleiches gilt für die Erweiterung und Modernisierung von Altanlagen. Dies kann zu einem spürbaren Investiti- onsschub führen. Für Altanlagenbetreiber können gleichwohl Schwie- rigkeiten auftreten. Diesen stand in der Vergangenheit nicht die Vorsteuerabzugsmöglichkeit ihrer Investitionen zu. In Zukunft unterliegen sie dagegen einer vollen Um- satzsteuerpflicht. Steuerliche Milderungen ergeben sich für Altanlagen- betreiber aus dem Umsatzsteuergesetz und der Abgaben- ordnung. Für Altanlagen, die weniger als zehn Jahre be- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120800 (C) (D) (A) (B) trieben wurden, besteht nach § 15 a UStG die Möglichkeit, zugunsten des Unternehmers noch eine teilweise Berichti- gung des Abzuges der auf die Anschaffungs- und Herstel- lungskosten entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen. Dieses nachträgliche teilweise Vorsteuerabzugsrecht be- steht nicht für Betreiber, deren Anlagen älter als zehn Jahre sind. Sollte die neue Rechtsprechung dazu führen, dass die Erhebung der Umsatzsteuer im Einzelfall unzumutbar oder mit erheblichen Härten verbunden ist, kommen per- sönliche Billigkeitsmaßnahmen nach den §§ 163, 227 AO durch das zuständige Finanzamt in Betracht. Da nicht aus- geschlossen werden kann, dass diese Milderungsoptionen ausreichend sind, und die Existenzfähigkeit von Altan- lagenbetreibern berührt sein kann, prüfen wir derzeit die konkreten Auswirkungen der neuen Rechtsprechung und wägen ab, ob eine Übergangsregelung notwendig ist. Norbert Barthle (CDU/CSU): Die heutige Debatte hat den Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion „Über- gangslösung für Umsatzbesteuerung von Sportanlagen“ zum Gegenstand. Ziel dieses Antrags ist es, unsere Sport- vereine, deren Hunderttausende Mitglieder und auch die in die Millionen gehenden, nicht organisierten Sporttrei- benden vor neuen finanziellen Belastungen zu schützen. Dieses Ziel ist, denke ich, bei allen Fraktionen dieses Ho- hen Hauses unumstritten. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns im Laufe der Debatte auch über den Weg da- hin einigen könnten; unsere Vereine und ihre Mitglieder sollten es uns wert sein. Der Anlass für diese Debatte ist eigentlich ein sehr er- freulicher: Mit Urteil vom 31. Mai 2001 hat der Bundes- finanzhof die kommerzielle Nutzungsüberlassung von Sportanlagen in vollem Umfang der Umsatzsteuer unter- worfen. Er beurteilte die Vermietung von Sportanlagen als einheitliche Leistung und verabschiedete sich damit von seiner früheren Rechtsprechung und auch der Verwal- tungspraxis, die eine Aufteilung in 80 Prozent steuerfreie und 20 Prozent steuerpflichtige Einnahmen vorsah. Damit werden zum Beispiel die Einnahmen, die ein Tennisclub durch die Vermietung seiner Plätze an Nichtmitglieder er- zielt, vollständig umsatzsteuerpflichtig. Diese Änderung wird im Grundsatz von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt. Zum einen ist es im Hinblick auf Vereinfachung und Vereinheitlichung sinnvoll, dass nicht mehr zwischen steuerfreier Grund- stücksvermietung und steuerpflichtiger Vermietung von Betriebsvorrichtungen unterschieden wird. Wie das Bun- desfinanzministerium in seiner Bewertung des Urteils vom 27. August 2001 zutreffend ausführt, hilft es, die bis- weilen undurchsichtige Kasuistik und die differenzie- rende Rechtsprechung zu diesem Thema zu beseitigen, es schafft Klarheit und Rechtssicherheit. Zum anderen ist mit dieser einheitlichen Unterwerfung aller Einnahmen unter die Umsatzbesteuerung auch ver- bunden, dass den Vereinen zukünftig bei der Anschaffung oder Herstellung neuer Sportanlagen für die gesamten Kosten in vollem Umfang der Vorsteuerabzug zusteht und nicht – wie bisher – ebenfalls nur anteilig für die Be- triebsvorrichtungen. Dieser Vorsteuerabzug wird zukünf- tig bei der Finanzierung neuer Sportstätten als Finanzie- rungsinstrument eine wichtige Rolle spielen. Die volle Umsatzsteuerbelastung wird dabei sicher gerne in Kauf genommen werden; die kann direkt bei der Kalkulation mit einbezogen werden. Dabei ist die belastende Wirkung wesentlich geringer, als die entlastende Wirkung, die durch den Vorsteuerabzug entsteht. In jedem Fall wird den Sportvereinen geholfen, sich auf die veränderten Rahmenbedingungen einzustellen. Denn wie sieht die Realität in unseren Sportvereinen aus? Es bedarf angesichts der zahlreichen neuen Trendsport- arten, der vielfältigen sonstigen Möglichkeiten der Freizeitgestaltung enormer Anstrengungen, um für die Mitglieder und Gäste attraktiv zu bleiben. Neubau, Umbau, Ausbau, das Schaffen zusätzlicher Sport- und Freizeitan- gebote stellt viele unserer Vereine vor nur schwer lösbare Probleme. Der zukünftig mögliche Vorsteuerabzug wird sie besser in die Lage versetzen, auf die neuen Herausforde- rungen zu reagieren und sich dem geänderten Freizeitver- halten der Menschen in Deutschland anzupassen. Ein kleines „ceterum censeo“ sei mir als Philologen hier gestattet: Angesichts der vielen Knüppel, die die rot- grüne Bundesregierung gerade den Ehrenamtlichen und den Vereinen in diesem Land in den letzten drei Jahren zwischen die Beine geworfen hat – erinnert sei zum Bei- spiel an das 630-Mark-Gesetz sowie die Regelungen zur Scheinselbstständigkeit –, ist jede Verbesserung der Si- tuation auch dringend notwendig. Doch zurück zum Thema: Warum unser Antrag, wenn sich die Situation der Vereine doch so verbessert hat? Ganz einfach, die neue Rechtsprechung und auch die Schlussfolgerungen, die vom Bundesfinanzministerium und der Finanzverwaltung daraus gezogen werden, haben einen großen Pferdefuß: Sie gelten uneingeschränkt auch für die Betreiber von bereits bestehenden Sportanlagen, und die damit verbundenen Belastungen sind für diese Betreiber, für die Vereine nicht akzeptabel. Für die Be- treiber dieser so genannten Altanlagen gilt zwar einerseits die unbeschränkte Umsatzsteuerpflicht, andererseits aber partizipieren sie nur sehr eingeschränkt von der Möglich- keit des Vorsteuerabzugs. Diese Schieflage ist zu korri- gieren. Dazu fordern wir Sie mit unserem Antrag auf, und ich hoffe, Sie werden sich diesem Ansinnen nicht ver- schließen. Wie ist die aktuelle Sachlage? Für einen Verein, der bis zum Jahr 2000 eine Sportanlage angeschafft oder herge- stellt hat, wird zwar ab sofort die volle Umsatzsteuer auf alle Einnahmen fällig; er kann die zum Teil sehr hohen Anschaffungs- und Herstellungskosten aber nur gemäß §§ 15 a Umsatzsteuergesetz im Rahmen des nachträgli- chen teilweisen Vorsteuerabzugs geltend machen und dann auch nur für die letzten zehn Jahre. Da jedoch rund 80 Prozent der Altanlagen älter als zehn Jahre sind, wird dies für nahezu alle der 7 000 Altanlagenbetreiber zu er- heblichen finanziellen Mehrbelastungen führen, da sind sich die Fachleute in den Sportverbänden vom Freiburger Kreis bis zum Deutschen Sportbund einig. Dies wird – nach meinen Informationen – selbst vom finanzpoliti- schen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, unserem Kollegen Jörg-Otto Spiller, auch so gesehen. Ich würde es Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20801 (C) (D) (A) (B) im Interesse des Sports und der Sporttreibenden wirklich begrüßen, wenn wir alle hier zu einer Verständigung kä- men und diese unvorhersehbaren Zusatzbelastungen ab- mildern könnten. Dass ich hier nicht von „peanuts“ rede, mag folgendes Beispiel verdeutlichen: Ein gemeinnütziger Verein, der 1993 eine 2-Feld-Tennisanlage errichtet und damals rund 2 030 000 DM dafür aufgewendet hat, erfährt eine finan- zielle Mehrbelastung in Höhe von rund 99 500 DM. Ob dies auf die Mitglieder umgelegt werden oder durch höhere Nutzungsgebühren ausgeglichen werden kann, bezweifle ich entschieden. Hier ist eine Lücke, wenn Sie so wollen, eine Gerechtigkeitslücke entstanden, die wir als Parlamentarier zu schließen haben. Wie könnte nun eine Lösung aussehen? In unserem Antrag fordern wir lediglich, dass eine Übergangsrege- lung für Altanlagen zu finden ist. Über die Art und Weise können und sollten wir gemeinsam nachdenken. Meines Erachtens sind verschiede Möglichkeiten denkbar: Die FDP fordert in einem Antrag, durch einen Nichtanwen- dungserlass seitens der Bundesregierung sicherzustellen, dass die geänderte Rechtsprechung nur für neue Anlagen Anwendung findet. Dies könnte ein Ansatz sein. Viel- leicht wäre den Vereinen auch schon gedient, wenn in einer zehnjährigen Übergangszeit für Altanlagen die bis- herige anteilige Einnahmeversteuerung weiter gelten würde, um sich auf die veränderte Situation einzustellen. Denkbar ist weiterhin, die Belastungen dadurch zu ver- ringern, dass eine weitergehende, wenn möglich volle rückwirkende Geltendmachung von Vorsteuern auch für Altanlagen zugelassen wird. Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass viele Wege zum Ziel führen können. Ich bin auch sicher, dass die finanzielle Belastung für den Bundeshaushalt durch geringfügige Steuermindereinnahmen in diesem Fall pro- blemlos zu verkraften ist, zumal die Ausgangssituation ja so ist, dass die geänderte Rechtsprechung zu unerwarte- ten Steuermehreinnahmen führen würde. Diesen, wenn man so will, „Mitnahmeeffekt“ sollte sich die Bundesre- gierung verkneifen. Dies gilt umso mehr, wenn man sich vor Augen hält, welchen gewaltigen, auch volkswirt- schaftlichen Nutzen die Vereine insgesamt für unser Gemeinwohl erbringen. Sie haben es verdient, wenn wir uns zusammen bemühen, für dieses Detailproblem eine schnelle, unbürokratische und gerechte Lösung zu finden. Dazu lade ich uns alle ein. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Bundesfinanzhof hat mit Urteil vom 31. Mai dieses Jahres seine Rechtsprechung zur umsatzsteuerrechtlichen Behandlung der Nutzungsüberlassung von Sportstätten verändert. Nunmehr unterliegt die Überlassung von Sportanlagen der Umsatzsteuerpflicht. Es besteht jetzt Rechtssicherheit, dass die Vermietung von Grundstücken und Betriebsvorrichtungen eine einheitliche umsatzsteu- erpflichtige Leistung darstellt. Die Streitverfahren, die Anlagenbetreiber und Finanzverwaltung in einem nicht unerheblichen Maße belastet haben, gehören der Vergan- genheit an. Wir haben vor kurzem im Sportausschuss Einverneh- men darüber erzielt, den DSB zu bitten, uns die notwen- digen Informationen zu dieser Thematik aus der Sicht des Sports zur Verfügung zu stellen. Der Bericht steht noch aus. Daher wäre es auch für die Opposition angemessen gewesen, nicht durch vorschnelle Anträge den Bericht des DSB vorab zu entwerten. Solche interessengeleiteten Schnellschüsse in ausgewählten Einzelfragen werden je- doch die Regierungskoalition von ihrer verantwortungs- vollen Steuer- und Finanzpolitik nicht abbringen lassen. Unser Vorschlag ist stattdessen: Lassen Sie uns die Stel- lungnahmen abwarten, um einen Überblick über die Aus- wirkungen des Urteils zu bekommen. Lassen Sie uns die dann vorliegenden Zahlen in den Ausschüssen bewerten. Lassen Sie uns abschließend prüfen, ob Veränderungen wie Übergangsregelungen wirklich sinnvoll und notwen- dig sind und in das steuerliche Gesamtkonzept passen. Ich bin daher eher skeptisch, dass eine kurzfristige Über- gangsregelung zur notwendigen Verlässlichkeit und Gleichbehandlung in der Steuerpolitik beitragen kann. Ich sehe bisher auch nicht, weshalb im Sport durch eine von der Opposition geforderte Übergangsregelung ein Tennisboom entstehen soll. Wenn ein kommerzieller Ten- nisplatzanbieter seine geringe Platzauslastung beklagt, kann dies nicht immer auf die veränderte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zurückgeführt werden. Es gehört zur sportpolitischen Ehrlichkeit dazu, dass das vermeint- liche Leistungstief des Tennissports in Deutschland auf andere Faktoren zurückzuführen ist, wie auf den Rücktritt von erfolgreichen Sportlerinnen und Sportlern oder auf ein seit langem erkennbares verändertes Freizeitverhalten in der Gesellschaft. Ein Blick auf die Interessenlage der Länder verdeut- licht, dass dort mehrheitlich kein Handlungsbedarf gese- hen wird. Zeigen Sie mir die Länder und die Kommunen, die ohne Prüfung der Sachlage auf ihren Anteil an der Umsatzsteuer verzichten würden! Im Übrigen bringt das Urteil des Bundesfinanzhofs auch Vorteile. Positiv ist doch, dass eine Modernisierung der Sportanlagen erwar- tet werden kann, denn die Investoren haben jetzt bei zukünftigen Investitionen die Möglichkeit, den Vorsteu- erabzug voll in Anspruch zu nehmen. Dieser Investitions- schub führt dazu, dass Sportanlagenbetreiber und Nutzer gleichermaßen von einem modernen Sportangebot in Deutschland profitieren. Zum Schluss noch etwas Grundsätzliches. Der Sport hat sich in den letzten Jahrzehnten rasant professiona- lisiert und kommerzialisiert. Sport ist längst nicht mehr nur die ehrenamtlich betriebene Freizeitkultur zum Wohle der Jugend und der Allgemeinheit. Sport ist – nicht über- all, aber doch weit mehr, als wir uns oft eingestehen möchten – Geschäft, Arbeitsplatz und Wirtschaftsfaktor geworden. Die schlichte Konsequenz ist dann aber auch, dass wirtschaftliche Tätigkeit im Sport wie Geschäfte und Investitionen in anderen Wirtschaftszweigen steuerrecht- lich gleichbehandelt wird. Sollte die Nachwuchsarbeit im Sport wirklich durch diese Gleichbehandlung leiden, müssten wir vermutlich Lösungen anstreben, die nicht das Steuerrecht betreffen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120802 (C) (D) (A) (B) Dr. Klaus Kinkel (FDP):Vordergründig geht es heute um ein nicht ganz einfaches steuerrechtliches Thema. Der Bundesfinanzhof hat Ende Mai entschieden, dass kom- merzielle Sporthallen künftig voll umsatzsteuerpflichtig sein sollen – auch Altanlagen, die nicht von Vorsteuerab- zugsmöglichkeiten profitieren können. Er weicht damit von der bisherigen Rechtsprechung ab – und auch von der bisherigen Verwaltungspraxis. Das Bundesfinanzministerium will dieses Urteil an- wenden. Den Betreibern der Hallen werden zusätzliche Kosten aufgebürdet, die sie auf die Tennis-, Badminton- oder Squashspieler umlegen werden, die ihre Hallen be- nutzen. Wenn ich in meiner Freizeit in einer Halle künftig Tennis spielen will, wird die Stunde einige Euro teurer werden. Das ist nicht schön, aber damit muss, ja damit kann ich leben. Aber darum geht es hier nicht wirklich. Es geht darum, dass circa 7 000 Betreiber von Altanlagen mit Wettbe- werbsnachteilen gegenüber den Betreibern von Neuanla- gen rechnen müssen. Es geht darum, dass dabei bis zu 160 000 Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen. Die Anlagenbetreiber laufen Sturm – sie fühlen sich benachteiligt, in ihrer Existenz bedroht, und es ist berech- tigt, dass sie unsere Hilfe erbitten. Sporthallen sind mit- telständische Betriebe – und der Mittelstand hat unter der rot-grünen Bundesregierung weiß Gott genug zu leiden. Das zeigen die Zahlen, und das zeigt vor allem ein Blick auf die Arbeitslosenstatistik; ich brauche das nicht extra zu betonen. Aber bei der Anwendung dieses neuen Urteils durch das BMF geht es vor allem darum, dass mit dieser Ent- scheidung dem Breitensport in unserem Land ein schwe- rer Schlag versetzt wird. 4 Millionen Menschen betreiben in solchen Hallen regelmäßig ihren Sport, Menschen, die sich Preiserhöhungen zum Teil sicher leisten können, aber eben in großer Zahl auch Kinder, Jugendliche, Vereine, die auf die preiswerte Nutzung von Sporthallen angewie- sen sind, Vereine, die schon signalisiert haben, dass sie sich die anstehenden Preiserhöhungen nicht leisten kön- nen, dass sie möglicherweise Jugendabteilungen dicht- machen müssen, dass die Nachwuchsarbeit leiden wird. Nicht nur die Anlagenbetreiber, sondern auch die Ver- eine laufen Sturm gegen die Entscheidung – und wenigs- tens das sollte uns aufhorchen lassen. Der Breitensport ist nicht nur eine zentral wichtige Voraussetzung für die Zu- kunft unseres Landes als große Sportnation. Denn Brei- tensport ist die Basis des Spitzensports – und die Boris Beckers von morgen wachsen nicht auf Hinterhöfen heran; sie müssen in Vereinen trainieren und gefördert werden, auf Tennisplätzen und in Tennishallen. Aber beim Breitensport geht es auch darum, unsere Kinder und Jugendlichen von der Straße zu holen, ihre Gesundheit, ihre Sozialkompetenz, ihren Leistungswillen usw. zu fördern. Den Breitensport darf man nicht einfach mit Kategorien des „Kommerzes“ behandeln – schlimm genug, was die Kommerzialisierung des Sports in Teilen aus unserem Spitzensport gemacht hat. Tennishallen sind keine Kaufhäuser. Sie werden von unterschiedlichen Gruppen benutzt – und sozial schlechter gestellte Nutzer können bei Preiserhöhungen eben nicht einfach vom KaDeWe auf Woolworth ausweichen; so darf man den Sport nicht angehen. Der Breitensport ist eine wichtige Säule unseres Ge- sellschaftssystems, die nicht mit finanzpolitischer Krä- merseele kaputtbesteuert werden darf. Das muss die Bundesregierung einsehen – und auch der Bundesfi- nanzminister. Deshalb fordert die FDP-Bundestagsfraktion die Bun- desregierung auf, durch einen Nichtanwendungserlass si- cherzustellen, dass die geänderte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes nur für neue Anlagen gilt – zum Wohle des Mittelstandes und vor allem zum Wohle der unzähligen Breitensportler in Deutschland. Heidemarie Ehlert (PDS): Bei der Reaktion auf das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 31. Mai 2001 durch die Kollegen und Kolleginnen der CDU/CSU und der FDP sage ich mit Oswald Spengler: „Der Geist denkt, das Geld lenkt.“ Denn um Letzteres geht es, es geht nicht um die Umsatzbesteuerung von Sportanlagen schlechthin; sondern es geht darum, die kommerzielle Nutzungsüber- lassung von Sportanlagen in vollem Umfang der Umsatz- steuer zu unterwerfen und damit möglicherweise Ge- winne zu schmälern oder auch nicht, denn die Vorsteuer kann ja geltend gemacht werden. Somit ist auch ein An- stieg der Nutzungsentgelte nicht automatisch gegeben. Die bisherige partielle Steuerbefreiung, wonach die Grundstücke steuerfrei vermietet werden und die darauf stehenden Sportanlagen einschließlich Duschen, Toiletten und Umkleideräumen mit Umsatzsteuer belegt werden, entsprach höchstrichterlicher Rechtsprechung, auch wenn es mitunter in der Praxis schwierige Abgrenzungspro- bleme gab. Die jähe Wendung des Bundesfinanzhofes hat europäische Ursachen und wir mussten schon in gewich- tigeren Fragen von Ihnen, meine Damen und Herren der CDU/CSU und der FDP, hören: Wer A sagt, muss auch B sagen. Nun sind wir allerdings auch der Meinung, dass es zwingendere sofort zu lösende Probleme gibt und wir uns im Fall der Durchsetzung der Umsatzbesteuerung bei kommerzieller Nutzung von Sportanlagen ein genaues Bild über mögliche Auswirkungen der geplanten Ände- rungen machen sollten. Eine Anhörung von Betreibern von Sportanlagen und betroffenen Vereinen, Verbänden und kommunalen Spitzenverbänden über die Vor- und Nachteile der bisherigen Regelungen sowie über zu er- wartende Auswirkungen der Umsetzung des Urteils des Bundesfinanzhofes sollte die Grundvoraussetzung für eine weitere Diskussion in den Ausschüssen und im Par- lament sein. Außerdem sollte geprüft werden, wie viele Unterneh- men denn von der Umsetzung des Urteils des Bundesfi- nanzhofes betroffen sind. Im Antrag der CDU/CSU wird von rund 7 000 Unternehmen gesprochen. In einer Ant- wort des niedersächsischen Finanzministeriums auf eine Kleine Anfrage genau zu dieser Thematik konnten keine Zahlen genannt werden, da keine entsprechenden statisti- schen Angaben vorhanden sind. Auch über mögliche Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20803 (C) (D) (A) (B) Übergangsregelungen kann konkreter verhandelt werden, wenn sowohl die Zahl der Betroffenen wie auch die fi- nanziellen Auswirkungen für die Altanlagenbetreiber klar sind, wobei ich deren Ruin nicht unbedingt voraussehe, da die Nutzerinnen und Nutzer der kommerziellen Anlagen schon jetzt für Fitness, Schönheit und Wellness ganz schön zur Kasse gebeten werden. Aber ich sehe schon die Gefahr, dass diese Neurege- lung zur Preiserhöhung genutzt werden kann. Wir sollten uns aber auch in den Ausschüssen des Bundestages dafür einsetzen, dass auch künftig die Nutzung von Sportanla- gen für jede Bürgerin und jeden Bürger unabhängig vom „Geldbeutel“ möglich sein muss. Freizeitsport darf kein Luxusgut werden. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Mehr Eigentum, mehr private Anbieter und ziel- genaue Hilfen zum Strukturwandel am Woh- nungsmarkt in den neuen Bundesländern – Vorschläge der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Wohnungsleerstand Ost sachgerecht modifizie- ren und umsetzen – Altschuldenbefreiung für abzureißende bzw. rückzubauende Wohnungen (Tagesordnungspunkt 29) Dr. Peter Danckert (SPD): Die Ursachen für die Pro- bleme der ostdeutschen Städte sind Arbeitsplatzabbau und eine damit verbundene Wanderung vor allen in die alten Länder, eine Vernachlässigung der Innenstädte, langwie- rige Restitutionsverfahren, die Investitionen verhindert haben, und Abwanderung ins Umland. Trotz einer rück- läufigen Wohnbevölkerung wurde die Siedlungstätigkeit an den Stadträndern und Umlandgemeinden durch die Beibehaltung der steuerlichen Förderung über Bedarf ausgeweitet. Viele Neubauwohnungen sind entstanden, die heute zum großen Teil nicht genutzt werden. In den al- ten Industrieregionen finden wir viele Industriebrachen und vor allem leer stehende Hochhauskomplexe, die ab- gerissen und punktuell zurückgebaut werden müssen. Kurz gesagt: Eine schwierige Situation! Ziel des neuen „Stadtumbauprogramms Ost“ der Bun- desregierung ist es, die Städte gesundschrumpfen zu las- sen und den Bürgern eine höhere Lebensqualität als vor- her zu bieten. Die Maßnahmen bestehen im Wesentlichen aus einer Integration von Abrissmaßnahmen und Aufwer- tungsstrategien, wie die Förderung der Eigentumsbil- dung, eine Investitionszulage für Modernisierung und In- standsetzung in Innenstädten und der Ausschreibung eines Wettbewerbs von integrierten Stadtentwicklungs- konzepten durch den Bund. Alle Maßnahmen sind auf re- gionale Probleme der Städte in den neuen Ländern zuge- schnitten Die Fachtagung der SPD-Bundestagsfraktion „Perspektiven für die Stadt“ am 15. Oktober 2001 hat al- lerdings bezüglich des Anwendungsbereiches ergeben, dass es auch in den alten Bundesländern Regionen gibt, die über ein solches Programm gefördert werden müssten. Ich persönlich sehe deshalb das „Stadtumbauprogramm Ost“ der Bundesregierung als Werkstatt und Laborato- rium für den bundesweiten Stadtumbau! In Zukunft wer- den wir noch bedarfsorientierter vorgehen und auf regio- nale Bedürfnisse reagieren! Das „Stadtumbauprogramm Ost“ ist ein wichtiger Schritt dazu und ich freue mich, dass diese Leistungen auch fraktionsübergreifend aner- kannt werden. Wichtige Kernaussagen des Programms für die ge- samtdeutsche wohnungs- und städtebauliche Diskussion in der Zukunft sind die Rückbesinnung auf die Kern- städte, der Übergang zu einer kooperativen Planung und eine koordinierte Wohnungs- und Städtebaupolitik. Mit dem Stadtumbauprogramm wurden die Förderinstru- mente flexibilisiert und ihre Zielgenauigkeit erhöht. Natürlich bin ich mir bewusst, dass an der einen oder an- deren Stelle noch kleine Korrekturen durchgeführt wer- den müssen, weshalb ich die Anregungen der Kolleginnen und Kollegen der PDS und der FDP mit größter Auf- merksamkeit studiert habe. Aber einen wichtigen Punkt möchte ich in diesem Zu- sammenhang noch erwähnen: Die Bürgerbeteiligung. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass sich Lösungskonzepte nicht auf eine rein finanzielle Förderung beschränken dür- fen, sondern als Bewusstseinsprogramme verstanden werden müssen. Ziel kann nicht nur Marktbereinigung durch Rückbau sein, sondern muss auch die Rückbesin- nung auf die Innenstädte als attraktive Standorte sein: In- nenstädte müssen revitalisiert und erhaltenswerte Stadt- quartiere gestärkt werden. Das „Stadtumbauprogramm Ost“ verstehe ich deswegen als Bewusstseinsprogramm, als große Chance. Die gewünschte neue Planungskultur erfordert die Beteiligung aller Entscheidungsträger. Ne- ben einer größeren Bürgerbeteiligung, mit der auch Ver- antwortung des Einzelnen für seinen persönlichen Le- bensbereich einhergehen soll, müssen Investoren und Banken einbezogen werden. Nur mit ihnen können die In- nenstädte neu belebt werden. Bereits die Vor-Ort-Veranstaltung der SPD-Fraktion am 10. September 2001 in Luckenwalde hat gezeigt, dass unsere Zielvorgaben stimmen und die Instrumente wir- kungsvoll greifen. Es versteht sich von selbst, dass sich die Leerstände in Innenstädten bezüglich Lage und Größe in verschiedenen Mischungsverhältnissen darstellen und von Stadt zu Stadt variieren. Deshalb ging es uns auch um flexible Instrumente. Doch jetzt zu den einzelnen Maßnahmen und im An- schluss daran zu den Anregungen der Opposition: Das Programm setzt sich mit einem Gesamtvolumen an Bun- desmitteln in Höhe von 2,2 Milliarden DM und einer Ko- finanzierung durch die neuen Länder in der gleichen Höhe aus fünf Elementen zusammen. Erstens. Mit dem Zuschussprogramm für Rückbau- und Aufwertungsmaßnahmen werden Zuschüsse zum Rückbau dauerhaft nicht mehr benötigter Wohnungen so- wie Zuschüsse für Aufwertungsmaßnahmen finanziert. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120804 (C) (D) (A) (B) Dazu zählen der Erhalt von wertvollen Gebäuden in den Innenstädten, die Wiedernutzung freigelegter Flächen und die Anpassung der Infrastruktur. Neben den gerade genannten Mitteln von Bund und Ländern werden sich auch die Kommunen mit einer weiteren Milliarde DM an diesem Zuschussprogramm beteiligen. Ich denke, dass dieses Zuschussprogramm auch die Zustimmung der PDS findet, die ja Ähnliches fordert. Ich bitte aber um Verständnis, dass wir auf den kommunalen Eigenanteil nicht verzichten wollen. Von dem Programm profitieren die Gemeinden und ihre Einwohner. Das ist das Ziel! Auf eine Beteiligung der Kommunen, die über eine rein ideelle hinausgeht, verzichten zu wollen wäre an dieser Stelle ein falsches Signal. Es geht letztlich um eine gemeinsame Kraftanstrengung. Also müssen auch alle mit anpacken. Zweitens. Das zweite Element sieht eine Darlehens- förderung von Rückbaumaßnahmen im Rahmen des KfW-Wohnraummodernisierungsprogramms II vor. Kurz zum Hintergrund: Bereits im März 2001 waren in das ge- meinsam vom Bund und den neuen Ländern finanzierte Programm Modernisierungsarbeiten an Gebäuden der in- dustriellen Bauweise aufgenommen worden. Dabei muss es sich um solche Gebäude handeln, die nach den Ent- wicklungskonzepten der Kommunen dauerhaft für die Wohnraumversorgung zur Verfügung stehen sollen. Nach dem Bericht der Expertenkommission „Wohnungswirt- schaftlicher Strukturwandel in den neuen Ländern“ haben sich die Bauminister der Länder und des Bundes verstän- digt, das Wohnraummodernisierungsprogramm II auch für Stadtumbaumaßnahmen zu öffnen. So werden Maß- nahmen – auch die des Rückbaus – förderfähig, die zur Verbesserung der Rentabilität der Wohnungsbestände und zur städtebaulichen Erneuerung in den neuen Ländern un- erlässlich sind. Künftig soll der Rückbau von dauerhaft nicht mehr benötigten Wohnungen neben einem pauscha- len Zuschuss durch zinsverbilligte Darlehen der KfW gefördert werden. Der Forderung der FDP, strukturver- bessernde Maßnahmen im Wohnumfeld in das Moderni- sierungsprogramm II der KfW einzubeziehen, wurde durch das Programm der Bundesregierung längst entspro- chen. Drittens. Der dritte Punkt sieht eine höhere Investiti- onszulage für Mietwohnungen des innerstädtischen Alt- baus und eine Abschaffung der Investitionszulage für Selbstnutzer vor. Ziel ist es, städtebaulich wertvolle Quar- tiere zu revitalisieren und denkmalgeschützte Bestände weiterhin verstärkt zu aktivieren. Deswegen wird der För- dersatz von bisher 15 Prozent auf 22 Prozent erhöht und die förderfähigen Kosten von 1 200 DM pro Quadratme- ter auf 2 400 DM pro Quadratmeter verdoppelt. Außer- dem wird der nicht förderfähige Selbstbehalt auf 100 DM pro Quadratmeter erhöht, um Wohnungswirtschaftliche Bagatellinvestitionen zu vermeiden. Viertens. Das vierte Element sind Zuschüsse für die Wohnungseigentumsbildung zur Selbstnutzung in inner- städtischen Altbauquartieren; dabei stehen 50 Millio- nen DM jährlich zwischen 2002 und 2004 zur Verfü- gung. Mit diesen Beträgen werden neben der Eigenheimzulage über acht Jahre bei Wohnungen Mo- dernisierung und Instandsetzung gefördert. Dabei ist der Zuschuss an die Investitionen des Erwerbers bzw. des Bauträgers gebunden und die Förderung muss auf der Grundlage städtebaulicher Konzepte zum Stadtumbau erfolgen. Fünftens. Der fünfte Punkt dieses neuen Programms bildet der Wettbewerb zur Vorbereitung von Stadtent- wicklungskonzepten und wird mit 31 Millionen DM al- lein durch den Bund finanziert. Nach der Auftaktveran- staltung am 15. November 2001 hatten die Kommunen bis zum 1. Dezember 2001 Zeit, ihre Bewerbungsunterlagen zur Teilnahme am Wettbewerb bei den Ländern einzurei- chen. Die Resonanz auf diesen Wettbewerb war überwäl- tigend: Bisher liegen allein dem Bund 219, den Ländern weitere 50 Bewerbungen vor. Die neue Bundesregierung hat allein mit diesem Wettbewerb bewiesen, dass sie ziel- gerichtet und bedarfsgerecht auf die Probleme in den neuen Ländern reagiert! Ich möchte abschließend noch zu zwei Änderungsvor- schlägen der PDS und der FDPStellung nehmen: Der Vor- schlag zur Grunderwerbsteuerbefreiung bei Fusionen ost- deutscher Wohnungsunternehmen zur Unterstützung des Stadtumbaus gefällt mir auf den ersten Blick ganz gut. Die Idee, Zusammenschlüsse von Wohnungsunternehmen, die zur Sicherung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit möglicherweise notwendig sind, über eine Befreiung von der Gewerbesteuer zu fördern, ist interessant. Auch der Einwand der Länder, dass mit einem solchen Schritt fi- nanzielle Einbußen einhergehen, kann ich nicht nachvoll- ziehen. Da nach meinem Kenntnisstand bis dato kaum Zusammenschlüsse in der Wohnungswirtschaft stattfin- den und somit auch keine Steuereinnahmen entstehen, werden aufgrund einer Befreiung der Wohnungsunterneh- men von der 3,5-prozentigen Grunderwerbsteuer keine Steuermindereinnahmen anfallen. Aber genau in dieser Feststellung, die insoweit ja auch logisch und nachvollziehbar ist, liegt die Krux. Denn man muss sich die Frage stellen, warum bis heute kaum nen- nenswerte Fusionen auf dem Wohnungssektor stattgefun- den haben. Ich denke, die Argumentation über eine ver- hindernde Gewerbesteuer von 3,5 Prozent allein zieht nicht. Denn nach meinem Kenntnisstand fällt diese Steuer nur an, wenn 100 Prozent des Bestandes und der Anteile veräußert werden. Also gibt es schon heute genügend Möglichkeiten, diese Steuer zu vermeiden. Meines Er- achtens sind die Gründe für die wenigen Zusammen- schlüsse eher im persönlichen Bereich zu finden. Denn Wohnungsgenossenschaften sind keine Kapitalgesell- schaften, wo es allein um Geld und Anteile geht. Woh- nungsgenossenschaften setzen sich aus den Personen zu- sammen, die Anteile an den Genossenschaften besitzen und in den Wohnungen vor Ort wohnen. Die persönliche Bindung zu so einem Wohnungsunternehmen ist deshalb viel größer und der Widerstand und die Vorbehalte gegen mögliche Fusionen naturgemäß viel höher. Ich denke, dass wir vor einer möglichen Änderung des Unternehmensteuerfortentwicklungsgesetzes eine genaue Ursachenanalyse und Bedarfsprüfung vornehmen müs- sen! So sind mir persönlich aus Brandenburg bis jetzt nur zwei, drei Fälle bekannt, bei denen Wohnungsunterneh- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20805 (C) (D) (A) (B) men bereits an eine mögliche Fusion gedacht haben. Ob man hier von einer Breitenwirkung und Entlastung spre- chen kann, wird sich zeigen. Der andere Vorschlag der beiden Fraktionen betrifft das Altschuldenhilfe-Gesetz. Die Kollegen von der PDS und der FDP sollten mir einmal erklären wie die zusätzli- chen Kosten von 2 Milliarden DM finanziert werden sol- len. Die Bundesregierung hat mit der Novellierung der Altschuldenhilfeverordnung, § 6 a AHG, einen weiteren Schritt zur Entlastung der Wohnungsunternehmen geleis- tet. Hier haben insbesondere die Fachpolitiker aus den neuen Ländern einen wesentlichen Anteil an den gesetzli- chen Neuregelungen. Der Bund hat für die nächsten Jahre 700 Millionen DM zusätzliche Mittel bereitgestellt. Die Finanzmittel, die von den betroffenen Bundesländern in gleicher Höhe kofinanziert werden müssen, sollen für die am härtesten betroffenen Wohnungsunternehmen einge- setzt werden. Das von der PDS und der FDP gewünschte Gießkannenprinzip „Erlass für alle“ ist, wie gesagt, nicht machbar. Derzeit liegen 14 Anträge nach § 6 a AHG vor. Positiv beschieden wurden bisher vier Anträge, zwei Zusagen ste- hen unmittelbar bevor. Bei den übrigen Anträgen fehlen noch einige Unterlagen bis zur Vollständigkeit. Die vor- liegenden 14 Anträge enthalten über die Zeitschiene der nächsten Jahre hin gesehen insgesamt 50 000 Wohnungs- abrisse. Das zeigt, dass der § 6 a AHG umgesetzt wird und wir die von uns vorausgesagten 85 000 Abrisse über diese Verordnung realisieren können. Zwei Aspekte möchte ich in diesem Zusammenhang hervorheben: Erstens. Zu einem positiv zu bescheidenden Antrag gehört ein Beitrag der Banken, wie zum Beispiel der Ver- zicht auf Vorfälligkeitsentschädigung. Hier kann man bei einer ersten vorsichtigen Bewertung sagen: Die Banken bewegen sich. Das ist auch gut so, weil es in ihrem urei- gensten Interesse ist! Zweitens. Die Aufstellung eines Sanierungskonzeptes zwingt die Wohnungsunternehmen zu einer ehrlichen Bi- lanz. Auch dieser Punkt ist wichtig, weil eine genaue und fachlich begleitete betriebswirtschaftliche Analyse die Schwachstellen aufdeckt und den Weg in eine bessere Zu- kunft ebnet. Ich hoffe, dass mittlerweile auch der PDS und der FDP einleuchtet, weshalb ihre Anträge auf den Drucksachen 14/6055; 14/6848; 14/6849 abzulehnen sind. Norbert Otto (Erfurt) (CDU/CSU): Zum wiederhol- ten Male beschäftigen wir uns heute im Plenum mit dem Komplex des Wohnungsleerstandes und des Stadtumbaus in Ostdeutschland. Die Bundesregierung hat mit ihrem Programm zum Stadtumbau erste Schritte in die richtige Richtung getan. Es ist in jedem Fall begrüßenswert, wenn die Bundesregierung bereit ist, erhebliche Mittel für den durchaus nötigen Stadtumbau in Ostdeutschland zur Ver- fügung zu stellen. 40 Jahre komplexer Plattenbau auf der grünen Wiese und die systematische Verwahrlosung der Stadtkerne sind nicht spurlos an den kleinen und großen ostdeutschen Städten vorübergegangen. Und so ist es auch nur konsequent, wenn die Bundesregierung Mittel in er- heblichen Größenordnungen für den Stadtumbau zur Ver- fügung stellt. Und die Konzepte hören sich auch nicht schlecht an. Doch betrachtet man die Situation aus der Nähe, so kommt eine große Mogelpackung zum Vorschein: Denn nur ein ganz geringer Anteil der zur Verfügung gestellten Mittel ist tatsächlich „frisches“ Geld. Wir müssen fest- stellen, dass die größten Teile der Finanzierung aus den Bereichen Städtebauförderung und sozialer Wohnungs- bau umgeschichtet wurden. Es kann sich hier nur um eine klassische Form der Schönfärberei handeln, die wir ja von Rot-Grün schon sehr gut kennen. Wirkliche Effekte auf die Bauwirtschaft sind nicht zu erwarten. Vielmehr müs- sen wir sogar mit einem Absinken der Bauinvestitionen im nächsten Jahr rechnen, denn: Rechnen wir die Pro- gramme gegeneinander auf, wird insgesamt weniger Geld für die Modernisierung der ostdeutschen Städte zur Ver- fügung stehen. Ein weiterer wichtiger Knackpunkt ist die Gegenfinan- zierung durch die Länder. Die Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern scheint nun – nach monate- langem Gezerre – unter Dach und Fach zu sein. Jedoch scheiden sich immer noch am Punkt der Gegenfinanzie- rung die Geister. Es liegt auf der Hand, dass die ostdeut- schen Länder nur schwer in der Lage sind, diese Summen aufzubringen. Die Bundesregierung schmückt sich hier also mit Federn, die zum Teil von den Ländern bezahlt werden müssen und dort erhebliche Schwierigkeiten ver- ursachen. Wenn es das Ziel der Bundesregierung sein sollte, das Stadtumbauprogramm zum 1. Januar 2002 um- setzen zu wollen, so müssen wir darauf verweisen, dass die ohne eine geltende Verwaltungsvereinbarung schwie- rig ist und kaum klappen kann. Die Wettbewerbe für den Stadtumbau sind ausgelobt, doch die Basis – nämlich die Verwaltungsvereinbarung – steht noch nicht. Außerdem hört man Klagen aus der Wohnungswirtschaft, die den Selbstbehalt bei der Investitionszulage betreffen. Es ist fragwürdig, ob der Bauindustrie in Ostdeutschland auf diese Art und Weise geholfen werden kann. So sind Teilmodernisierungen, auf die sich die Inves- titionszulage bzw. der Selbstbehalt von 100 DM pro Qua- dratmeter beziehen, heute eher die Regel als die Aus- nahme. Angesichts von über einer Million leer stehender Wohnungen, der hohen Kreditbelastung aufgrund der früheren Altschulden sowie zwischenzeitlich aufge- nommener Modernisierungsdarlehen sind Teilmoderni- sierungen heute an der Tagesordnung. Gerade kleinere und mittlere Betriebe aus Ostdeutschland könnten hier- von erheblich profitieren. Dies scheint allerdings nicht im Sinne des vorliegenden Entwurfes der Bundesregierung zu sein. Kurzum: Das Programm Stadtumbau Ost hat viele Ecken und Kanten, die von der Bundesregierung gerne wegdiskutiert oder unter den Teppich gekehrt werden. Angesichts der Wohnungssituation in Ostdeutschland werden wir langfristig nicht um nachhaltigere Projekte zum Stadtumbau mit „frischem“ Geld herumkommen. Alle Beteiligten wissen, dass die zur Verfügung gestellten Mittel nicht ausreichen, um eine nachhaltige Verbesse- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120806 (C) (D) (A) (B) rung auf dem ostdeutschen Wohnungssektor zu bewirken. Damit keine Missverständnisse entstehen: Selbstver- ständlich begrüßen wir im Prinzip eine Unterstützung des Stadtumbaus, allerdings doch bitte ehrlich! Ein Wort zur Altschuldenhilfe: Wie Sie alle wissen, hat die Bundesregierung sich entschlossen, die Novellierung der Altschuldenhilfe in Form einer Verordnung zu betrei- ben. Allerdings zeigen uns die Informationen aus den Bundesländern, dass dies äußerst wenig bis gar keine Re- sonanz findet. Die Bedingungen zum Erhalt der Förde- rung sind derart kompliziert, dass es nach unseren Informationen so gut wie überhaupt nicht gelungen ist, die Altschuldenhilfeverordnung umzusetzen, sprich: die ost- deutschen Wohnungsunternehmen im Sinne dieser Ver- ordnung zu unterstützen. Die Bundesregierung muss sich ernsthaft fragen lassen, wie sie die Altschuldenhilfe in den nächsten Jahren entwickeln möchte bzw. ob sie bereit ist, eine antragstellerfreundliche Veränderung der Verord- nung durchzuführen. Nur noch einige Gedanken zum Thema Eigentum: Selbstverständlich sind wir der Auffassung, dass das Wohneigentum an sich einen großen Wert auch für die Stadterneuerung in Ostdeutschland darstellt. Ob das im Programm vorgesehene Konzept der Zuschüsse für die Wohneigentumsbildungen in innerstädtischen Altbau- quartieren allerdings der richtige Weg dahin ist, bleibt die Frage. Das Abrücken der Bundesregierung von dem ur- sprünglichen Vorschlag einer Änderung der Eigenheim- zulage mit befristeter Gleichstellung des Bestandserwerbs mit dem Neubau erfolgt offensichtlich nur deshalb, weil Rot-Grün in der Frage der Eigenheimförderung konsens- unfähig ist. In diesem Zusammenhang verweise ich auf die Forderung der Kollegen in Sachsen, zusätzlich die In- vestitionszulage für Modernisierungsaufwendungen an eigengenutztem Wohnraum verbessert weiterzuführen. Meiner Meinung nach sind wir von den Vorschlägen der Kollegen von der FDPnicht weit entfernt; über die Details wäre noch zu sprechen. Bei dem Antrag der FDP werden wir uns, wie im Aus- schuss, enthalten. Die Anträge der PDS lehnen wir ab. Mit großer Spannung sehe ich den Entwicklungen im Bereich des Stadtumbaus im kommenden Jahr entgegen und hoffe – und ich denke, dort sind wir uns einig – auf eine in jedem Fall positive Entwicklung für die Menschen in Ostdeutschland. Jeder von uns weiß, dass ein gutes Wohn- umfeld entscheidend zum Bleiben anregen kann, und un- sere schönen ostdeutschen Städte geben genug attraktiven Raum dafür. Diese Diamanten müssen nur geschliffen wer- den. Und dafür werden wir uns – so hoffe ich – alle in die- sem Haus weiter einsetzen. Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im Kern fordern die Anträge der FDP und der PDS das, was das Kabinett im Sommer bereits mit dem Stadtumbauprogramm Ost beschlossen hat und was wir mit den im November abgeschlossenen Haushaltsbera- tungen finanziell abgesichert haben. Fünf wichtige Bau- steine hat die Koalition für den Stadtumbau Ost gesetzt und gibt damit die entscheidenden Impulse für den Abbau des Wohnungsleerstands und für die Stabilisierung der ostdeutschen Wohnungswirtschaft. Erstens: Wir geben mit der Reform des Altschulden- hilfe-Gesetzes und mit. der Härtefallregelung in § 6 a AHG finanzielle Entlastung von Altschulden für Woh- nungsunternehmen mit mehr als 15 Prozent Leerstand. Wir haben die Wohnungsunternehmen auch von einem Großteil der Altschulden bei Negativrestitution entlastet, was die PDS offenbar noch nicht bemerkt hat. Zweitens: Wir stellen mit 2 Milliarden DM an Bundes- mitteln bis 2009 ein langfristiges Programm für den Stadt- umbau bereit, das von den Ländern kofinanziert wird. Die Gelder werden zur Hälfte für Abriss- und zur anderen Hälfte für Aufwertungsmaßnahmen und Wohnumfeldver- besserungen eingesetzt. Die Förderobergrenze wird für Abriss- und Ordnungsmaßnahmen auf 120 DM/m2 Wohnfläche festgelegt, damit keine Mitnahmeeffekte der Bauwirtschaft subventioniert werden. Drittens: Wir haben die Investitionszulage für Miet- wohnungen in Kerngebieten und für Sanierungsgebiete für den Altbau entscheidend angehoben auf 22 Prozent bei einer Kostenobergrenze von 2 400 DM/m2. Ein Selbstbe- halt von 100 DM/m2 scheint mir da angemessen. Viertens: Wir führen eine neue Investitionsförderung für Erwerber selbstgenutzten Wohneigentums im Altbau von Kerngebieten und Sanierungs- und Erhaltungsgebie- ten ein. Damit wird die Eigentumsbildung in den Innen- städten attraktiver gemacht und die Zersiedlung zurück- gedrängt. Fünftens: Aktuell fördert der Bund in 2001 für 31 Mil- lionen DM die Erarbeitung von Stadtentwicklungskon- zepten in 200 Städten in Ostdeutschland. Dies ist von ganz besonderer Bedeutung, weil damit endlich die Planung der Kommunen auf realistische Entwicklungsziele ausge- richtet wird, während die alte Planung in vielen Fällen noch auf den völlig überzogenen Wachstumserwartungen der Ära Kohl basiert. Sie sehen, das Programm Stadtumbau Ost ist wirklich eine konstruktive Herausforderung für die ostdeutschen Länder und Kommunen, ebenso wie für die Wohnungs- wirtschaft und die beteiligten Banken. Alle sind aufgefor- dert, nun auch ihren Beitrag zum Stadtumbau zu leisten. Mit ihrem Antrag macht die PDS das, was sie immer macht – sie fordert mehr Geld. Dass der Bund bereits 80 Milliarden DM an Zinslasten jährlich schultern muss, mindert die Last der PDS an der Erhöhung der Staats- schulden nicht im geringsten! Die FDP hat die Ursachen des Wohnungsleerstands im Osten und die Regeln von Angebot und Nachfrage noch gar nicht begriffen. Sie möchte der fehlenden Wohnungs- nachfrage durch ein liberales Mietrecht und mehr Investi- tionsanreize begegnen. Gleichzeitig sollen die sinkenden Mieten durch erhöhtes Wohngeld kompensiert werden. Mit KfW-Krediten soll Wohnumfeldverbesserung künftig auf Darlehensbasis finanziert werden. Kurzum, ein recht konfuses Konzept! Die FDP stolpert immer mehr über ihre eigene Ideologie. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20807 (C) (D) (A) (B) Wichtig ist noch ein Punkt: Beide, FDP wie PDS, for- dern eine sehr weitgehende Befreiung der Wohnungsun- ternehmen von Altschulden. Das klingt gut, ist aber de facto schlicht eine Entlastung der Banken von ihrer Mit- verantwortung für die Sanierung der ostdeutschen Woh- nungswirtschaft. Denn das Geld muss schlicht an die Ban- ken durchgereicht werden. Der Wohnungswirtschaft hilft es nur scheinbar. Ich meine, vor jeder weiteren Hilfe des Bundes muss aber gerade auch über die Mitwirkung der Banken verhandelt werden. Bei allen Unterschieden über die einzelnen Maßnah- men sind wir uns aber fraktionsübergreifend einig in dem Ziel, den ostdeutschen Kommunen und Ländern und der Wohnungswirtschaft bei der schwierigen Aufgabe des Stadtumbaus zu helfen. Die Koalition hat mit ihrem Pro- gramm tatkräftig die Weichen in die richtige Richtung ge- stellt. Ich bin zuversichtlich, dass wir das nächste Mal be- reits über sichtbare Ergebnisse diskutieren können. Dr. Karlheinz Guttmacher (FDP): Der wirtschaftli- che Strukturwandel ist in den neuen Bundesländern noch nicht abgeschlossen. Die Neuausrichtung auf dem Ar- beitsmarkt bzw. Ausbildungsmarkt führte bisher zu einem Bevölkerungsrückgang um 1,5 Millionen Menschen in den neuen Bundesländern. In den neuen Ländern ergibt sich ein dramatischer Wohnungsmarkt mit 1 Million leer stehenden Wohnungen, aber auch ein Markt mit zu wenig kleinen und privaten Vermietern und zu wenig selbst genutztem Wohneigentum. Die Leerstandsquote der ostdeutschen Wohnungsun- ternehmen beläuft sich heute auf fast 15 Prozent. Aus die- sem Grund hatte die FDP einen eigenen Gesetzentwurf zur Novellierung des Altschuldenhilfe-Gesetzes einge- bracht, der vorsah, dass die Wohnungsunternehmen für dauerhaft leer stehende Wohnungen oberhalb von 5 Pro- zent des Bestandes entschuldet werden. Diese Altschul- den sollen bei Vorlage eines schlüssigen wohnungswirt- schaftlichen Konzeptes in Abstimmung mit der Kommune zulasten des Erblastentilgungsfonds gestri- chen werden, wenn das Unternehmen den Leerstand nicht zu vertreten hat. Zu den herausragenden wohnungspoliti- schen Aufgaben gehört, Voraussetzungen zu schaffen, die die Attraktivität der Städte und Gemeinden der neuen Länder als Wohn- und Wirtschaftstandort erhalten und verbessern. So ist es dringend notwendig, die Städte- baufördermittel des Bundes und der Länder sowie das Programm „Die soziale Stadt“ mit dem Schwerpunkt zur Wohnumfeldverbesserung und -gestaltung aufzustocken. Erfreulich ist, dass die Bundesregierung das Stadtumbau- programm Ost auf den Weg gebracht hat. Doch die jähr- lich seitens des Bundes zur Verfügung gestellten Mittel sind lediglich Umschichtungsmittel aus dem bestehenden Städtebauprogramm und der Gemeinschaftsaufgabe – sie sind eben keine zusätzlichen Investitionsmittel. Die von Bund und Ländern im novellierten Altschuldenhilfe-Ge- setz für Härtefälle in den nächsten zehn Jahren mobili- sierten 1,4 Milliarden DM können nicht mit dem Stadt- umbauprogramm verrechnet werden. Der nach § 6 a des Altschuldenhilfe-Gesetzes geför- derte Abriss von circa 85 000 Wohnungen und der ge- plante Rückbau weiterer 350 000 Wohnungen im Stadt- umbauprogramm Ost sind dringend notwendig, um zu ei- nem funktionierenden Wohnungsmarkt Ost zu gelangen. Im Stadtumbauprogramm müssen zwischen Bund und Ländern verbindliche Festlegungen zur zweckgebunde- nen Verwendung der Mittel für Rückbau und für die damit im Zusammenhang stehenden städtebaulichen Auf- wertungsmaßnahmen erfolgen. Ebenso erscheint es unumgänglich zu sein, die Wohnungsunternehmen von Kreditverbindlichkeiten für den abzureißenden Woh- nungsbestand zu entlasten. So muss das von der Bund- Länder-Arbeitsgruppe „Leerstand-Ost“ vorgesehene Dar- lehensprogramm zur Förderung des Stadtumbaus auch zur Ablösung von Verbindlichkeiten eingesetzt werden. Für die Reaktivierung eines funktionierenden Wohnungs- marktes in den neuen Bundesländern wird die Neuauflage der Bundesregierung zum sozialen Wohnungsbau für kontraproduktiv gehalten. Deshalb sollten nach Auffas- sung der FDP die Mittel für den sozialen Wohnungsbau von Bund und Ländern in Höhe von 900 Millionen DM in das Wohngeld umgelenkt werden. So kann über dieses Förderinstrument statt einer Objektförderung mit der Subjektförderung die Nachfrage am Wohnungsmarkt deutlich verbessert werden. Um den Strukturwandel auf den Weg zu bringen, müs- sen in der Fiskalpolitik Sonderregelungen befristet er- laubt sein, wie die Befreiung von Grunderwerbsteuern bei Verkäufen, die der Strukturbereinigung dienen. Die unter- nehmerische Wohnungswirtschaft und die privaten Haus- und Grundeigentümer müssen in die Lage versetzt wer- den, differenzierte und auf den jeweiligen lokalen Markt abgestellte Entscheidungen zur Bewältigung des Struk- turwandels und zur Beseitigung der Leerstände zu treffen. Christine Ostrowski (PDS): Es mag scheinen, als seien unsere Anträge überflüssig geworden. Das Stadt- umbauprogramm, so die Bundesregierung, wird die Stadt- quartiere aufwerten, die Wohn- und Lebensqualität ver- bessern, die Wohnungsunternehmen retten, den Rückbau von auf Dauer nicht mehr benötigten Wohnungen ge- währleisten. Sein Umfang von 5 Milliarden DM garan- tiere dies alles und rette nebenbei auch noch die krisenge- schüttelte Bauwirtschaft Ost. Die großen, politisch wichtigen Verbände – Mieter- bund und Bundesverband der Wohnungswirtschaft – scheinen – Seit an Seit mit der Bundesregierung – glück- lich und bedanken sich bei der Bundesregierung. Ihre Kri- tik an einzelnen Säulen des Stadtumbauprogramms wird kaum noch wahrgenommen. Unser Antrag zur Bund-Län- der-Arbeitsgruppe ist vor dem Stadtumbauprogramm ent- standen, aber noch immer aktuell. Erstens. Wir fordern, von 2002 bis 2005 jährlich 300 Millionen DM aus allgemeinen Haushaltmitteln zur Verfügung zu stellen. Wie richtig diese Forderung ist, zeigt sich daran, dass die Bundesregierung ihr Programm für 2002, das zwar den Umfang von 300 Millionen DM hat, keineswegs aus allgemeinen Haushaltmitteln finan- ziert. Im Gegenteil: 100 Millionen DM kommen aus der Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschaftsstruktur“, 100 Millionen DM aus der klassischen Städtebauförde- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120808 (C) (D) (A) (B) rung. Nur ein Drittel der Mittel sind zusätzlich erschlos- sen, nur dazu hat sich die Bundesregierung durchringen können. Um es gleich vorweg zu schicken: Dieses Drittel ist auch das Einzige an Zusatzgeld, das sie überhaupt in das gesamte Stadtumbauprogramm mit seinen verschie- denen Säulen steckt. Alles weitere – aber auch wirklich al- les weitere – holt die Bundesregierung von anderen Ost- Programmen weg. Das Stadtumbauprogramm ist, so gesehen, nichts an- deres als ein gewaltiges Umverteilungsprogramm. Das ist deshalb so kritikwürdig, weil es völlig schizophren ist: die Gemeinschaftsaufgabe zu kürzen, die das Ziel hat, Wirt- schaft zu entwickeln, Arbeitsplätze zu erhalten und zu schaffen, das Ziel also, Menschen im Osten und in ihren Wohnungen zu halten. Mittel, um Menschen in ihren Wohnungen zu halten, werden also benutzt, um jene Woh- nungen abzureißen, die deshalb leer stehen, weil die Men- schen gegangen sind. Dasselbe Phänomen bei der klassischen Städtebauför- derung: Bekanntlich stößt eine D-Mark Fördermittel rund 8, 9 DM Investitionen an. Sie ist ein sehr effizientes Mit- tel der Arbeitsplatzerhaltung, der Arbeitsplatzschaffung. Jede Mark Fördermittel weniger reduziert also mögliche Investitionen in Höhe von 8, 9 DM, vernichtet also Arbeitsplätze, und infolge dieser Vernichtung wandern Menschen weg. Daraufhin stehen Wohnungen leer, die unter anderem mit dem Geld der Städtebauförderung ab- gerissen werden. Ich appelliere eindringlich an Sie, diese Verfahrensweise schnellstens ad acta zu legen. Sie kon- terkariert Ihre Bemühungen um den Stadtumbau. Zweitens. Zur Finanzierung Kommunen: Im Gegen- satz zu Ihnen, die den Gemeinden, ungeachtet der kon- kreten Einzelsituation – queerbeet – eine finanzielle Be- teiligung bei den Aufwertungsmaßnahmen von mindestens einem Sechstel zumuten, schlagen wir ein dif- ferenziertes Vorgehen vor. Die Kommunen sollen sich fi- nanziell beteiligen, aber in begründeten Einzelfällen kann der kommunale Anteil gänzlich unterbleiben. Nur so wird beispielsweise gewährleistet, dass eine Gemeinde wie Dranske mit 50 Prozent Leerstand und 12 000 DM Pro- Kopf-Verschuldung überhaupt an die Mittel herankom- men kann. Bei Ihren Regeln kann sie das nicht. Drittens. Wir fordern die Öffnung und Bündelung aller „Ost-Förderprogramme“ für den Stadtumbau Ost. Auch das haben sie nicht durchgängig geleistet. Sie sind bei der Städtebauförderung und dem KfW-Modernisierungs- programm II stehen geblieben. Das, was Sie geleistet ha- ben, musste Ihnen abgerungen werden. Viertens. Was das Zuschussprogramm anbelangt, so verlangen wir, dass den Wohnungsunternehmen der An- spruch auf Zuschussmittel garantiert wird – auch dies ist bei Ihnen so nicht geregelt. Was noch wichtiger ist: Sie ha- ben das Zuschussprogramm in zwei Hälften geteilt: eine für den Abriss, die andere für die Aufwertung. Wir sagen: Diese formale Teilung ist falsch. Nun werden Sie mir zu- rufen, dass diese formale Teilung nur auf Landesebene einzuhalten ist, in den Gemeinden kann davon abgewi- chen werden. Nur: Mathematiker oder Ingenieure haben an Ihrem Programm nicht mitformuliert – nehmen wir den extremsten Fall: Alle Gemeinden weichen so ab, dass sie die Mittel zu hundert Prozent für den Abriss einsetzen. Dann können Sie die formale Teilung auf Landesebene nicht gewährleisten. Ihre Programmformulierungen sind also letztlich nichts anderes als „Petersilie“. Nein, unser Vorschlag ist der praktikable: Der Anteil der Abrissmittel innerhalb des Zuschussprogramms muss sich in jedem Fall nach der für die jeweilige Gemeinde er- forderlichen Wohnungsbestandsanpassung richten! In ei- ner Gemeinde kann der Abrissanteil niedriger als die Hälfte sein, in der anderen höher. Und das Allerwichtigste: Die Höhe der Abrisspau- schale ist so zu bemessen, dass damit die Finanzierung des Rückbaus gewährleistet werden kann und keine zu- sätzliche Kreditaufnahme erfolgen muss. Sie haben den Abrisszuschuss im Grundsatz – undifferenziert und wie- der queerbeet – auf insgesamt 120 DM/qm bemessen. Die Kosten sind aber auch hier zwischen den Gemeinden und innerhalb der Gemeinden und Gebäude unterschiedlich, weshalb sich eine formal festgelegte gleiche hohe Pau- schale verbietet. Außerdem geben Sie im Kabinettsbe- schluss selbst zu, dass die Zuschüsse für die erforderli- chen Rückbaumaßnahmen nicht ausreichen und daher die Wohnungsunternehmen in aller Regel auf Kredite ange- wiesen sind. Es ist aber völlig inakzeptabel, den bis zur Dachrinne verschuldeten Wohnungsunternehmen zuzu- muten, sich erneut zu verschulden. Fünftens. Wir wollen die Investitionszulage für den Neubau von Mietwohnungen gestrichen wissen, sie las- sen diese „auslaufen“. Hätten Sie die Streichung dieser In- vestitionszulage rechtzeitig in Angriff genommen, hätten Sie weniger ausgeben müssen und mehr Mittel zur Verfü- gung, die fürs Stadtumbauprogramm einzusetzen gewe- sen wären. Sechstens. Wir begrüßen die Erhöhung der Investiti- onszulage in innerstädtisch definierten Gebieten und bei definierten Gebäuden. Außerhalb dieser Gebiete und außerhalb dieser Gebäude aber, schlagen wir vor, dass die Investitionszulage wie bisher – mit dem alten Selbstbehalt – fortgeführt werden soll. Sie haben mittlerweile den Selbstbehalt flächen- deckend erhöht. Das Problem ist doch, dass sich durch die exorbitante Anhebung des Selbstbehaltes „normale“ In- vestitionen in Mietwohnungen außerhalb der definierten Gebiete und Gebäude zulagenmäßig nicht mehr rechnen und dadurch ein hoher Investitionsverlust zu befürchten ist. Zwischenzeitlich hatten wir Ihnen mit einem Ände- rungsantrag zum Steueränderungsgesetz einen Kompro- miss angeboten: Die bisherige Investitionszulage soll überall dort fortgelten, wo Quartiere einem Stadtentwick- lungskonzept nicht entgegenstehen. Wir waren Ihnen also entgegengekommen; Sie haben auch diesen Vorschlag nicht gewollt. Die erhöhte innerstädtische Investitionszu- lage finanzieren Sie mit dem flächendeckenden erhöhtem Selbstbehalt. Es finanzieren also jene Wohnungsunter- nehmen, die von dieser Zulage das Wenigste haben und denen Ihr Programm eigentlich helfen sollte. Siebtens. Nicht zuletzt fordern wir – wie die Experten- kommission, auf deren Vorschläge Sie doch eigentlich hören wollten, deshalb hatten Sie diese ja eingesetzt – die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20809 (C) (D) (A) (B) Umkehr der Eigenheimzulage von Neubau und Bestand. Es ist besonders traurig, dass Sie nicht die politische Traute hatten, diese Umkehr – quasi passend für die ost- deutsche Situation – einzuführen. Stattdessen erfinden Sie ein Wohneigentumsprogramm, bei dem im günstigsten Fall ein Erwerber eines heruntergekommenen Althauses 10 000 mehr erhält als beim Neubau eines Eigenheims. Wäre ich in der Entscheidungslage, ich würde mich bei diesem geringen Unterschied für den Neuwagen und nicht für den Gebrauchtwagen entscheiden. Sie selbst rechnen folgerichtig nur mit 3 000 bis 4 000 Förderfällen pro Jahr für alle neuen Länder – eine Größenordnung, wie sie al- lein eine Großstadt wie Leipzig gebrauchen könnte. Das Wohneigentumsprogramm finanzieren Sie aus der Ab- schaffung der Investitionszulage für Selbstnutzer; also auch hier kein „neues“ Geld. Zusammenfasst: Ihr so gepriesenes Stadtumbaupro- gramm Ost entpuppt sich bei näherer Betrachtung als mehr Schein als Sein. Als deutlich weniger attraktiv wie es auf den ersten Blick erscheint: Es wird zum allergröß- ten Teil finanziert aus auch weiter dringend benötigten Ost-Programmen bzw. von den Wohnungsunternehmen selbst – erhöhter, flächendeckender Selbstbehalt, – und den Selbstnutzern, (Abschaffung I-Zulage Selbstnutzer!). Die Katze beißt sich in den Schwanz. Sein Umfang von 5 Milliarden ist zumindest in der Po- sition der 1 Milliarde ostdeutsche Kommunen lediglich virtuelles Geld. Gerade ostdeutsche Gemeinden, und un- ter ihnen wiederum gerade jene mit hohem Leerstand, sind derart finanzschwach, dass Sie diese eine Milliarde in den Wind schreiben können. Die Barmittel, die ab 2002 für Abriss und Aufwertung bereitstehen, sind viel zu gering. Ihre gewählte Art der Ausreichung der Barmittel beginnt bei niedrigen Beträ- gen, die erst über Jahre allmählich ansteigen. Es kommt aber darauf an, so schnell als möglich so viel als möglich nicht mehr benötigte Wohnungen abzureißen. Erstens, weil wegen der natürlichen Entwicklung die Bevölkerung zügig weiter sinkt und dies auch durch den Anstieg der Haushalte nicht aufgefangen wird. Zweitens, weil wegen der historisch niedrigen Geburtenzahl Anfang der Neun- ziger ab 2010 bereits mit der zweiten Leerstandswelle in Höhe einer weiteren Million Wohnungen zu rechnen ist. Es müsste also gerade umgekehrt vorgegangen werden: Jetzt ausreichend Barmittel, die im Laufe der Jahre all- mählich sinken. Sie aber handeln so nicht. Sie schieben den Abriss vor sich her und laufen damit Gefahr, mit der ersten, noch nicht abgetragenen Leerstandswelle in die zweite zu geraten. Unser zweiter Antrag beabsichtigt die Entlastung der Wohnungsunternehmen von den Altschulden auf abgeris- sene bzw. abzureißende Wohnungen. Wir sind damit recht bescheiden. Denn Schritt für Schritt sind wir in unseren Forderungen zurückgegangen. Von der Entlastung aller Altschulden über die Entlastung der Altschulden auf dau- erhaft leer stehendem Wohnraum bis hin zur heutigen For- derung auf Übernahme der Altschulden auf abgerissene bzw. anzureißende Wohnungen. Übrigens nunmehr auch Forderung der ostdeutschen Ministerpräsidenten. Es ist ja auch total absurd, dass die Unternehmen auf eine Wohnung, die gar nicht mehr da ist, den Kapitaldienst für die Altschulden leisten müssen. Alle Bemühungen ih- res unzulänglichen Stadtumbauprogramms laufen damit regelrecht ins Leere. Einerseits wollen Sie die Unterneh- men entlasten, andererseits wird diese Entlastung durch den Altschuldendienst wieder aufgefressen. Und das Problematischste: Mit den verbleibenden Ge- bäuden (die noch dazu in ihrem Wert deutlich verloren ha- ben) sind die Altschuldenkredite gar nicht mehr gesichert; die Banken verlangen anderweitige Sicherheiten, die die Wohnungsunternehmen aber gar nicht geben können, weil sie diese nicht haben. Nebenbei gesagt, sehe ich dort einen der Gründe, weshalb die Schwierigkeiten der Woh- nungsunternehmen mit den Banken so angewachsen sind, weshalb die Kreditinstitute sich nicht oder nur sehr, sehr zögerlich mit eigenem Anteil am Stadtumbau Ost beteili- gen. Alles in allem stehen Sie beim Stadtumbau Ost erst am Anfang. Es ist aber bereits fünf nach zwölf. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts: Verordnung über die Entsorgung von ge- werblichen Siedlungsabfällen und von bestimmten Bau- und Abbruchabfällen (Tagesordnungspunkt 30) Rainer Brinkmann (Detmold) (SPD): Über die Ab- fallwirtschaft wird in Deutschland wieder geredet und das ist auch gut so. Es wird nicht deswegen über die gegen- wärtige und zukünftige Abfallpolitik gesprochen, weil es neue Erkenntnisse über toxische Emissionen oder ma- fiöse Skandale gäbe – nein, es wird über Umweltanfor- derungen und ordnungsrechtliche Rahmenbedingungen gesprochen. Die Abfallwirtschaft in Deutschland hat in den letzten Jahren im internationalen Vergleich viele Fortschritte er- zielt. Es sind eine Vielzahl neuer und anspruchsvoller Technologien entstanden. So können selbst komplexeste Abfälle auf höchstem Niveau verwertet werden. Jedoch sind solche Prozesse mit teilweise hohen Kosten verbun- den. Daraus ist erheblicher Diskussions- und Regelungs- bedarf entstanden, weil Ökodumping, Scheinverwertung und Mülltourismus immer stärker um sich greifen und zu- gleich die Planungs- und Rechtssicherheit der entsor- gungspflichtigen Körperschaften ebenso gefährdet sind wie die berechenbare Stabilität der Abfallgebühren für die Bürgerinnen und Bürger. Das sind die eigentlichen Pro- bleme, die von Flensburg bis Passau und von Aachen bis Cottbus die Bürgerinnen und Bürger und die Verantwort- lichen beschäftigen. Die Dualität in der Abfallwirtschaft hat sich bewährt, doch soll diese – wenn es nach den Vorstellungen einiger weniger randgruppenständiger Wirtschaftsvertreter geht – zugunsten einer vollständigen Liberalisierung der Abfall- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120810 (C) (D) (A) (B) wirtschaft aufgegeben werden. Um es einmal klar zu be- schreiben, wie die Situation heute häufig aussieht: Da werden Gewerbeabfälle auf dem freien Markt akquiriert, um sie anschließend nach dem Aussortieren einer Cola- Dose und eines Holzbalkens einer Beseitigungsanlage zuzuführen. Gegenüber den privaten Haushalten ergibt sich ein kleiner aber feiner Unterschied: Die Kosten wer- den etwa die Hälfte oder auch nur ein Drittel der sat- zungsmäßig anzuliefernden Müllmengen betragen. Um die Beschreibung komplett zu machen, wird dieser Abfall dann auch noch einige hundert Kilometer in die billigsten Deponien transportiert, die nicht gerade den höchsten Umweltanforderungen genügen. Und ein Sah- nehäubchen erlauben sich einige besonders kreative Un- ternehmen auch noch, indem sie sich Wege und Möglich- keiten verschafft haben, um ihr wertvolles Wirtschaftsgut – was wir gemeinhin und völlig respektlos Abfall nennen – in das benachbarte Ausland exportieren zu können. Öko- dumping, Mülltourismus und Scheinverwertung sind also keine Schlagwörter, sondern bitterste Realität auf Grund- lage eines Gesetzes, das die alte Kohl-Regierung als großartigen Erfolg ihrer Umweltpolitik gefeiert hat und auch heute noch einige Vertreter der konservativ-liberalen Opposition loben. Ich rate Ihnen, meine Damen und Her- ren: Fahren sie einmal durchs Land und sprechen sie mit den zuständigen Verantwortlichen in den entsorgungs- pflichtigen Gebietskörperschaften! Ich habe dies in den letzten Wochen und Monaten mehrmals gemacht und habe dort immer wieder volle Unterstützung für unser Vorhaben erfahren. Darum ist diese Gewerbeabfallverordnung längst über- fällig. Es ist ein ökologisch ehrgeiziges Vorhaben und ord- nungspolitisch dringend geboten. Wir werden drei Veränderungen erzielen, die wichtig sind. Erstens. Die längst überfällige Definition des Haus- mülls erfolgt so, dass endgültig sichergestellt wird, dass Hausmüll auch dann Hausmüll ist, wenn er in einer ge- werblichen Wohnanlage anfällt. Zweitens. Sortieranla- gen, die als Vorbehandlungsanlagen eingestuft sind, müs- sen eine Verwertungsquote von mindestens 85 Prozent erreichen. Drittens. Jeder Betrieb in Deutschland muss in Zukunft eine Restmülltonne vorhalten, weil auch in Be- trieben hausmüllähnlicher Abfall anfällt – und sei es nur der Kehricht und die Sozialraumabfälle. Das ist die Antwort auf das gegenwärtige Chaos und die teilweise anarchischen und mafiösen Zustände in der Abfallwirtschaft. Aber es gibt ja Herrschaften in dieser Republik, die wollen eine ganz andere Lösung. Diese heißt dann Privatisierung respektive vollständige Libera- lisierung. Hierzu liegt dem Parlament ja auch ein entspre- chender Antrag einer kleinen Oppositionspartei vor. Einen entlarvenderen Antrag habe ich in meinem Leben selten gesehen. Das, was in diesem Antrag gefordert wird, ist nicht nur die Ermöglichung von Rosinenpickerei – nein, es ist geradezu eine Aufforderung zur Rosinen- pickerei durch die private Entsorgungswirtschaft, wäh- rend die Kommunen weiterhin das Risiko tragen sollen. An die Autoren gewandt, zeige ich Ihnen hier noch einmal die Konsequenzen Ihres Antrages auf: Die Bürge- rinnen und Bürger sollen die Zeche zahlen. Denn nur für den Fall, dass Sie sich nicht richtig auskennen im Ge- bührenrecht: Gebührenhaushalte müssen kostendeckend sein. Und die Kosten für die Nachsorge von Deponien ist eine Angelegenheit der Abfallwirtschaft. Wollen Sie denn diese Kosten von denen für die Abfallbeseitigung tren- nen? Es ist doch heute schon ein Skandal, dass die privaten Haushalte über ihre Gebühren den Gewerbeabfall sub- ventionieren. Ich warte im Übrigen auf die erste Klage ei- nes Haushaltes gegen den Gebührenbescheid seiner Kom- mune. Den Ausgang dieses Gerichtsverfahrens werde ich dann allerdings voraussagen. Nicht voraussagen können wir derzeit allerdings ein Gerichtsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof im so genannten Luxemburg-Streit. Sollte die Kommission in diesem Streit gewinnen, dann sehe ich allerdings schwarz für die kommunale Abfallwirtschaft und für die Umweltstandards, die wir in jahrelangen Bemühungen endlich erreicht haben. Damit muss dann auch für unser Land die Frage der kommunalen Daseinsvorsorge noch einmal geklärt wer- den. Wer die Abfallbeseitigung aus der kommunalen Da- seinsvorsorge herausnehmen will, der hat nun wirklich keine Ahnung von Kommunalpolitik, der redet wie der Blinde von der Farbe. Aber was sollen wir auch von einer Partei erwarten, die außer neoliberalen Ideologien nichts zu bieten hat und die sich für die Belastungen der Bürger nicht kümmert, solange der Profit auf Kosten der Allge- meinheit erwirtschaftet wird? Was wir in der Abfallwirtschaft brauchen, sind Verläss- lichkeit, Planungs- und Rechtssicherheit und kreative und phantasievolle Lösungen für die Zukunft. Dass diese eu- roparechtlich abgesichert sein müssen, versteht sich von selbst. Aber wir verfolgen auch mit großem Interesse die gegenwärtigen Diskussionen innerhalb der Kommission, die unseren Auffassungen sehr entgegen kommen. Ein Blick über die Grenzen erleichtert auch die Lösung in anderen Fragen der Abfallpolitik. So werden wir uns Gedanken machen müssen, ob die österreichische Lösung einer Deponieabgabe zur Finanzierung der Altlasten- sanierung nicht auch eine Möglichkeit für uns darstellen könnte. Dieses ist auch im Hinblick auf die beabsichtigten Schließungen der meisten Deponien im Jahre 2005 von größtem Interesse. Ich halte noch einmal fest: Die Gewerbeabfallverord- nung bringt eine Verbesserung bei der Verwertung von ge- werblichen Siedlungsabfällen durch höhere umweltpoli- tische Vorgaben, eine bessere Regelung zur Trennung und Vorbehandlung von gemischten Abfällen, eine hochwer- tige Verwertung von gewerblichen Siedlungsabfällen. Darum ist diese Verordnung ein richtiger Schritt, auch wenn sie noch verbesserungsfähig ist. Wir werden den derzeit diskutierten Veränderungsvorschlägen des Bun- desrates positiv gegenüberstehen. Georg Girisch (CDU/CSU): Wir sprechen hier und heute über die Verordnung über die Entsorgung von ge- werblichen Siedlungsabfällen und von bestimmten Bau- und Abbruchabfällen der Bundesregierung, der vor dem Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20811 (C) (D) (A) (B) In-Kraft-Treten der Bundestag zustimmen muss. Das Ziel der vorliegenden Verordnung ist, aufgetretene oder ver- mutete Missbräuche des Kreislaufwirtschafts- und Ab- fallgesetzes zur billigen Abfallbeseitigung unter Umge- hung des Gesetzes in der Zukunft zu verhindern. Selbstverständlich ist auch die CDU/CSU der Auffas- sung, dass der Vollzug dieses aus dem Jahr 1994 stam- menden Gesetzes wichtig ist: Das Gesetz ist damals er- lassen worden, um die ordnungsgemäße Verwertung oder Beseitigung von Abfällen zu regeln. Ziel war es nicht, dass diese Regelungen umgangen werden – durch die so- genannte „Scheinverwertung“. Leider sind in der hier vorgelegten Entwurfsfassung der Gewerbeabfallverordnung einige schwerwiegende Mängel enthalten, die ich kritisieren muss: Erstens. Die Begriffsbestimmungen sind in der Ver- ordnung nicht eindeutig und nicht vollständig beschrie- ben. Zum Beispiel entspricht die Definition der „ge- mischten Siedlungsabfälle aus dem Gewerbe“ nicht der Begriffsbestimmung des EU-Abfallsrechts und des Kreis- laufwirtschafts- und Abfallgesetz. Zweitens. Der Stoffstromansatz ist nicht hinreichend konsequent umgesetzt und beinhaltet eine Vielzahl von Umgehungsmöglichkeiten. Es fehlt zum Beispiel eine wirklich einheitliche Linie hinsichtlich der abfallerzeu- ger- und anlagenbetreiberbezogenen Vorschriften. Drittens. Die seuchenhygienischen Vorschriften sind nicht ausreichend berücksichtigt. Viertens. Das Kriterium der „wirtschaftlichen Unzu- mutbarkeit“ wird in der Praxis für große Unsicherheiten sorgen. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff wird die Ge- richte beschäftigen, wenn damit nicht eine Andienungs- pflicht an den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger verbunden wird. Fünftens. Das Kriterium des Entwurfs, was „geringe Mengen“ für eine Befreiung von der Getrennthaltung sind, ist ebenfalls für die Praxis untauglich. Sechstens. Die in der Verordnung vorgesehene gene- relle Ausgrenzung von Gemischen mit organischem An- teil schießt über das Ziel weit hinaus – Stichwort Stabilat- Verfahren. Siebtens. Die Schlüssigkeit der vorgegebenen „Sorten- reinheit“ der Verordnung hält einer näheren Betrachtung nicht wirklich stand. Achtens. Die Überwachung der Getrennthaltungs- pflicht durch die Behörden der Länder und Kommunen ist nicht ausreichend klar formuliert. Dies verleitet deshalb regelrecht zum Missbrauch. Wichtig wäre zum Beispiel, dass es auch weiterhin den Überwachungsbehörden er- laubt bleibt, jederzeit zusätzliche überraschende Kontrol- len durchzuführen oder anzuordnen. Neuntens. Die vorgesehenen Erleichterungen zuguns- ten der Entsorgungsfachbetriebe sehe ich vor dem Hinter- grund steigender Umweltdelikte als problematisch an. Auch diese Betriebe müssen vorsorglich ein Mindestmaß an Kontrolldichte spüren, damit sie nicht in Versuchung kommen, von dem bisherigen richtigen Weg abzuwei- chen. Zehntens. Die Verwertung von Abfall als Sekundär- rohstoff durch die Entsorgungswirtschaft statt wie bisher als Hausmüll wird faktisch zu mehr Schadstoffausstoß führen. Damit droht bei dem harten Wettbewerb, der be- reits auf diesem Markt herrscht, eine Form von Ökodum- ping, die nicht gewollt sein kann. Elftens. Die Verpflichtung für die Abfallerzeuger, im angemessenen Umfang Restabfallbehälter des öffentlich- rechtlichen Entsorgungsträgers vorzuhalten, ist in der Verordnung nicht ausreichend rechtssicher formuliert. Abschließend ist festzuhalten: Der Schwerpunkt in der Abfallpolitik muss sein und ist die Abfallvermeidung. Dazu trägt diese Verordnung nicht nur wenig bei, sondern sie enthält auch Anreize, die in der Praxis dazu führen werden: „Lieber mehr verwerten und mehr verursachen, als Abfall vermeiden!“ Das wichtige Ziel der Schadstoffentfrachtung ist nicht in der Verordnung enthalten. Der Entwurf ist nicht mehr auf der Höhe der Zeit, wie das Kriterium der 85-prozentigen Sortierquote be- weist, Stichwort: Stabilat-Verfahren – Beispiel: Schwarze Pumpe. Wer glaubt außerhalb des BMU denn heute noch daran, dass allein die Sortierungsquote den ökologischen Wert wirklich bestimmen kann, wenn man weiß, dass zum Beispiel der Wasseraustrag unberücksichtigt bleibt? Da- durch werden moderne und ökologisch vorteilige Verfah- ren unnötig verhindert. Dennoch sucht man in der Ver- ordnung nach Qualitätskriterien über die Sortierquote hinaus vergeblich. Diese vorgelegte Verordnung ist derart praxisfremd, dass sie vollzugsuntauglich ist. Wie soll mit Fehleinwür- fen umgegangen werden? Wer kann ausschließen, dass trotz Sorgfaltspflicht in der Praxis Fehlwürfe vorkom- men? Wie soll die Verunreinigung in der Praxis erkannt werden – Kontrollverfahren? Kann dies zeitnah gesche- hen? An wen kann dann der Abfall zurückgewiesen wer- den und wer trägt die Kosten? Diese Verordnung erzeugt entweder höhere Verwal- tungskosten bei den kommunalen Umweltämtern oder – falls die Kostenneutralitätsvermutung des Entwurfs zu- trifft – handelt es sich dabei um einen Papiertiger, der nicht effektiv kontrolliert wird. Denn: Wer die Einhaltung aller Vorgaben dieses Entwurfes tatsächlich effektiv und flächendeckend kontrollieren will, braucht dafür mehr Personal und Geld. Durch die vielen handwerklichen Fehler und Unge- nauigkeiten im Entwurf wird es keinen ländereinheitli- chen Vollzug geben können. Es wird eine Zweiklassengesellschaft beim Gewerbe- müll geschaffen werden. Höhere Standards im Inland – keinerlei neue Standards bei Exporten durch diese Vor- lage. Soll so eine grenzüberschreitende, nachhaltige Um- weltpolitik aussehen? Oder wird dies nicht zu einem Öko- dumping durch bereits bestehende Anlagen im Ausland führen? Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120812 (C) (D) (A) (B) Umweltverschmutzung macht nicht an der Grenze Halt. Deshalb sollten wir rasch ein Exportverbot für Abfallexporte schaffen, wenn im Zielland nicht ver- gleichbare Ökostandards wie bei uns gelten. Art. 29 in Verbindung mit Art. 86 des EG-Vertrags bietet hierzu aus- reichende Handhabe. Obwohl wir, die Union, die generelle Notwendigkeit einer Gewerbeabfallverordnung – gerade zur Vermeidung der Scheinverwertung – bejahen, empfehle ich, der Ver- ordnung der Bundesregierung aufgrund der aufgezeigten und weiterer Schwächen in der vorgelegten Form die Zu- stimmung zu verweigern. Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie alle haben vom Mülltourismus quer durch Europa gehört: 1 000 Tonnen kommen täglich aus Italien nach Deutschland. Weitere Mengen sind beantragt. Dies zeigt eines deutlich: Hätten die Damen und Herren von der Op- position den Kommunen und privaten Abfallentsorgern mehr Planungssicherheit geschaffen, gäbe es diesen öko- logischen Unsinn heute nicht. Mit der heute vorgelegten Gewerbeabfallverordnung schafft die rot-grüne Bundesregierung eben diese Pla- nungssicherheit. Denn die privaten und öffentlichen Ab- fallentsorger müssen die Kapazität ihrer Anlagen richtig planen können. Es geht um einige Millionen Tonnen Ge- werbeabfall, der sortiert, zerkleinert, verdichtet und pelle- tiert werden muss, damit er verwertet werden kann. Die Anlagen müssen laufen – und dürfen nicht leer stehen. Denn falsch konzeptionierte, nicht ausgelastet Anlagen locken sehr leicht durch Dumpingpreise Müll an. Dem Mülltourismus wird Tür und Tor geöffnet. Die neue Verordnung verlangt die Verwertung von ge- werblichen Siedlungsabfällen und von bestimmten Bau- und Abbruchabfällen. Reste von Kunststoffen und Me- tallrohren, von Holz, Glas und Papier, die beispielsweise beim Bau oder bei der Renovierung eines Hauses anfal- len, müssen direkt getrennt werden. Bei über 300 000 ge- bauten oder renovierten Häusern pro Jahr ergibt allein die- ser Bereich eine gewaltige Menge Abfall. Die vorliegende Verordnung macht Schluss mit dem großen Container, in dem sich alles findet: vom Baumate- rial über Büroabfall bis zum Essensrest. Wir streben eine möglichst sortenreine Abfalltrennung an. Vorbehand- lungsanlagen für gemischte gewerbliche Siedlungsabfälle müssen künftig eine Verwertungsquote von 85 Prozent er- reichen. Zusätzlich sind auch Anforderungen entspre- chende Kontrollen enthalten. Dadurch wird sichergestellt, dass eine umweltgerechte Verwertung nicht schon auf- grund von Fehlwürfen, Schadstoffbelastungen oder un- zulässigen Vermischungen mit anderen Abfällen schei- tert. Damit schieben wir der Scheinverwertung von Abfäl- len einen Riegel vor. Bisher können Gewerbe und Indus- trie, private und öffentliche Einrichtungen allen Abfall zusammenwerfen – Papier aus Büros, Küchenabfälle und Abfälle aus der Werkstatt. Sie deklarieren ihn als Verwer- tungsabfall – obwohl nur ein minimaler Anteil tatsächlich verwertet wird. Das meiste landet auf der kostengünstigs- ten Deponie. Das hat mit dem zugrunde liegenden Stoff- kreislaufgedanken wirklich nichts mehr zu tun, besonders da nicht nur Deponiealtlasten für nachfolgende Genera- tionen geschaffen werden, sondern auch Wertstoffe verlo- ren gehen. Mit der neuen Gewerbeabfallverordnung werden alle Gewerbebetriebe verpflichtet, für ihren Restmüll die öf- fentlich-rechtlichen Entsorgungsträger zu nutzen. Damit wird auch die Verunreinigung der Wertstoffe durch man- gelnde Mülltrennung verhindert. Diese Verordnung ist auch bürgerfreundlich. Das bis- herige Verfahren benachteiligte Familien. Denn anders als die Großkunden sind die privaten Haushalte auf den ört- lichen Entsorger angewiesen. Beim Bürger kann kassiert werden, um das kommunale Entsorgungsunternehmen trotz der Dumpingpreise für Großkunden rentabel zu hal- ten. Das bedeutet, dass die privaten Haushalte in steigen- dem Maße die Kosten einer Entsorgungsstruktur tragen, die für alle Abfallentsorger geschaffen wurde. Das kann nicht der richtige Weg sein. Die Verordnung schafft die Voraussetzung für nachhal- tigen Wettbewerb. Jahrelang hat die jetzige Opposition ausgerechnet die vorbildlichen Versorger benachteiligt, die in moderne Trenn- und Verwertungsanlagen investiert haben. Wir dagegen arbeiten mit ökologisch fortschrittli- chen Kräften zusammen und schaffen ihnen faire Wettbe- werbsbedingungen. Die Verordnung entspricht dem europäischen Recht. Sie wurde von der Europäischen Kommission im Juli 2001 notifiziert. Wir haben innerhalb der EU zwar Wa- renverkehrsfreiheit, dennoch ist die Anwendung der Ge- werbeabfallverordnung möglich, weil sie der EG-Abfall- verbringungsverordnung nicht zuwiderläuft. Zusätzlich wird mit der Gewerbeabfallverordnung ein Anstoß für eine EU-weite Regelung gegeben. Dies wird zum Beispiel vom Naturschutzbund Deutschland als wichtiger Impuls begrüßt. Wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen, kann die Verordnung zügig in Kraft treten. Sie ist ein wichtiger Baustein einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft, die wir noch durch eine Reihe weiterer Verordnungen ergänzen werden. Birgit Homburger (FDP): Hintergrund der heutigen Debatte ist die grundsätzliche Erfolgsgeschichte des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes (KrW-/AbfG). Es hat dazu geführt, dass heute nicht mehr vom Entsor- gungsnotstand, sondern vom Kampf um den Müll die Rede ist. Dieser Erfolgsgeschichte wird mit der GewAbfV kein neues Kapitel hinzugefügt. Vorgebliches Ziel der Verordnung ist es, die „umwelt- verträgliche Verwertung und die Beseitigung von Sied- lungsabfällen aus dem Gewerbe sicherzustellen“. Zu die- sem Zweck verschärft der Verordnungsentwurf die Anforderungen bei der betrieblichen Abfallentsorgung, indem er neben umfangreichen und komplizierten Ge- trennthaltungspflichten für Abfälle Verwertungsquoten für Betreiber von Behandlungs- und Verwertungsanlagen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20813 (C) (D) (A) (B) und Dokumentationspflichten regelt. Das führt im Ergeb- nis zu einer deutlichen Erhöhung der Kosten. Angesichts der mangelnden Praktikabilität der strikten Vorgaben zur Getrennthaltung, beschränkt sich der Ver- ordnungsentwurf auf die Fälle, in denen eine Getrennt- haltung technisch möglich und wirtschaftlich zumutbar ist. Dies zeigt, dass die Bundesregierung von vornherein damit rechnet, dass die Vorgaben der GewAbfV nicht ein- gehalten werden können und die Abfälle gerade nicht ord- nungsgemäß und schadlos verwertet, sondern beseitigt werden. Zwei Konsequenzen der Verordnung sind abzu- sehen: Die Menge an Gewerbeabfall wird wachsen, die unbehandelt den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträ- gern angedient und dann deponiert oder verbrannt wird. Abfälle zur Verwertung, die bekanntlich unter die Waren- verkehrsfreiheit des EG-Vertrags fallen, werden vermehrt in das europäische Ausland exportiert und damit niedri- geren Umweltstandards unterstellt. Im Ergebnis bedeutet das nicht mehr, sondern weniger Umweltschutz. Es drängt sich daher der Eindruck auf, dass mit dem vorgelegten Verordnungsentwurf diejenigen kommunalen Deponiebetreiber entlastet werden sollen, die ihre Depo- nien nicht oder nicht rechtzeitig an die Vorgaben der Abfallablagerungsverordnung anpassen werden. Un- berücksichtigt bleibt zudem, dass die deutsche Entsor- gungswirtschaft massiv in Verwertungsanlagen investiert hat, die eine ordnungsgemäße und schadlose hochwertige Verwertung der Abfälle ermöglichen. Diese Anlagen müs- sen ausgelastet sein, damit sie rentabel betrieben werden können. Entscheidend ist aber nicht, wer die Abfälle entsorgt, sondern dass diese umweltverträglich entsorgt werden. Das KrW-/AbfG nimmt bezüglich der Abfallverwertung den Abfallerzeuger in die Pflicht. Er soll die Verwertung grundsätzlich eigenverantwortlich durchführen und dabei – auch europaweit – alle technisch machbaren und wirt- schaftlich zumutbaren Verwertungsmöglichkeiten aus- schöpfen. Die deutsche Wirtschaft ist dieser Aufgabe überwiegend nachgekommen. Eine Problematik des Abfallrechts besteht nach wie vor darin, dass es bislang nicht gelungen ist, im Gesetz bzw. untergesetzlichen Regelwerk zum KrW-/AbfG eine prak- tikable Abgrenzung der Abfälle zur Verwertung von den- jenigen zur Beseitigung vorzunehmen. Dieses Problem löst die Bundesregierung aber auch mit dem vorliegenden Verordnungsentwurf nicht. Deshalb besteht weiter Hand- lungsbedarf, der in einer Überarbeitung des KrW-/AbfG unter Berücksichtigung aller Entwicklungen der letzten Jahre münden muss. Da die GewAbfV absehbar ökologische Verschlechte- rungen in der deutschen Abfallwirtschaft bewirken wird, lehnt die FDP den vorgelegten Entwurf ab. Rolf Kutzmutz (PDS): Mit der vorliegenden Verord- nung sollen die schadlose und möglichst hochwertige Ver- wertung von gewerblichen Siedlungsabfällen und von be- stimmten Bau- und Siedlungsabfällen und von bestimmten Bau- und Abbruchabfällen sichergestellt werden. Dabei soll insbesondere die so genannte Scheinverwertung durch Anforderungen an die Umweltverträglichkeit der Verwer- tung verhindert werden. Der Verordnungsentwurf der Bundesregierung sichert tatsächlich eine qualitativ höhere Verwertung von ge- werblichen Siedlungsabfällen. Dies ist allgemein unstrit- tig. Hier herrschte lange eine grauer Markt, der vielfach an schnellem Profit statt an qualitativer Abfallentsorgung ausgerichtet war. Hauptstreitpunkt zwischen dem BMU auf der einen Seite und den Ländern und Kommunen auf der anderen Seite ist die Überlassungspflicht für hausmüllähnliche Gewerbeabfälle. Wer bekommt dieses Stück vom „Müll- Kuchen“? Die privaten Entsorger oder die öffentlich- rechtliche Abfallentsorgung? Beide Seiten haben um- fangreiche Kapazitäten aufgebaut. Hier geht es also richtig um Geld, vor allem um das der Bürgerinnen und Bürger, die zwangsläufig über dann entstandene kommu- nale Überkapazitäten mittels Müllgebühren kräftig zur Kasse gebeten werden. Bisher war es so: Betriebe, die ihren Abfall nicht selbst in eigenen Anlagen beseitigen können, sowie andere, nicht private Institutionen wie Altenheime, Schulen etc. mussten die Abfälle öffentlich-rechtlichen Entsorgungs- trägern überlassen. Dieser Teil des Mülls wurde gemein- hin als „hausmüllähnlicher Gewerbeabfall“ bezeichnet. Im Verordnungsentwurf wird nun der EU-Begriff „ge- werbliche Siedlungsabfälle“ eingeführt. In § 2 wird dieser definiert als „Abfälle aus anderen Herkunftsbereichen als privaten Haushaltungen“. Damit gehen diese Abfälle durch die Logik des Verordnungsentwurfes künftig weit- gehend an die private Entsorgungswirtschaft. Dies sehen die Kommunen mit Recht als weiteren An- griff auf die Überlassungspflicht an. Schließlich wurden in der Vergangenheit immer mehr Abfallfraktionen den öf- fentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern entzogen. Übrig blieben nur der Hausmüll und der hausmüllähnliche Ge- werbeabfall. Letzterer würde nun nach der neuen Verord- nung gänzlich für die kommunale Abfallentsorgung weg- brechen. Die Folge: umfangreiche Investitionen, die in der Vergangenheit von den Kommunen im Vertrauen auf die künftig anfallenden Abfallströme – zu deren Beseitigung sie ja verpflichtet waren – getätigt wurden, wären in den Sand gesetzt. Damit müssten sich zwangsläufig die Ab- fallgebühren erhöhen, weil sich die Fixkosten der kom- munalen Anlagen auf weniger Abfälle verteilten. Diesen Zusammenhang sehen auch die Länder, die wahrscheinlich im Bundesrat geschlossen gegen den Ver- ordnungsentwurf stimmen werden. Umfangreiche Ände- rungsanträge einzelner Länder wurden schon angekün- digt. Fazit: Die vorgelegte Verordnung hat einen janusköp- figen Charakter. Die Kriterien für eine hochwertige Ver- wertung erschweren zumindest die profitable und wenig umweltgerechte Scheinverwertung der Vergangenheit. Das ist zu begrüßen. Andererseits wird der kommunalen Abfallentsorgung mit der einseitigen Bevorzugung der privaten Entsorger schwer zugesetzt, wenn nicht der Ga- raus gemacht. Damit ist die Verordnung insgesamt nicht zustimmungsfähig. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120814 (C) (D) (A) (B) Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der für die Kostengesetze nach dem Eini- gungsvertrag geltenden Ermäßigungssätze für den Teil des Landes Berlin, in dem das Grundgesetz vor dem 3. Oktober 1990 nicht galt (Ermäßigungssatz-Aufhebungsgesetz Ber- lin – KostGErmAufhGBln) – der Beschlussempfehlung und des Berichts: Ende der doppelten Benachteiligung für die Rechtsanwälte in den neuen Ländern (Tagesordnungspunkt 31 a und b) Christine Lambrecht (SPD): Ziel der Deutschen Wiedervereinigung und Aufgabe nach dem Einigungsver- trag ist für uns alle die Anpassung der Lebensverhältnisse in den alten und neuen Bundesländern. Dass dies noch nicht für alle in allen Bereichen erreicht worden ist, muss ich hier wohl nicht ausdrücklich betonen. Dies ist auf unterschiedliche Faktoren zurückzuführen, unter anderem natürlich auch mit der wirtschaftlichen Si- tuation der DDR zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung. Dieser unterschiedlichen Situation wird in vielen Berei- chen durch unterschiedliche Vergütung von Arbeitskräften Rechnung getragen. Es wird ihr aber auch Rechnung getra- gen durch unterschiedliche Gebührenordnungen, die in den neuen Ländern niedriger liegen als in den alten. Ein Beispiel – aber eben auch nur eines von vielen – ist die unterschiedliche Regelung in der Gebührenord- nung für Rechtsanwälte. Hier liegt der Gebührensatz bei 90 Prozent des Satzes in den alten Bundesländern. Wir haben heute einen Antrag der FDP zu beraten, der vorsieht, sowohl die Rechtsanwaltsgebühren als auch die Gerichtskosten in den alten und neuen Bundesländern an- zupassen und den bisherigen Gebührenabschlag in den neuen Ländern von 10 Prozent aufzuheben. Es ist bezeichnend, dass die FDP ausgerechnet hier ihr Gerechtigkeitsgefühl entdeckt. Sie interessiert sich nicht für den Krankenpfleger oder die Polizistin, die lediglich 80 Prozent der West-Bezüge bekommen. Nein, es sind die Rechtsanwälte – und das sage ich als Kollegin –, deren Ungleichbehandlung der FDP auf der Seele brennt. Da ist es nicht von Interesse, dass der Man- dant in Dresden, der nach dem Willen der FDP 100 Pro- zent der Gebühren zahlen soll, lediglich 80 Prozent Ge- halt bekommt. Ich will es mal deutlicher ausdrücken: Wer weniger verdient, kann auch nicht die vollen Rechtsanwaltsge- bühren bezahlen. Selbstverständlich müssen mittelfristig Ungleichbe- handlungen in den neuen Bundesländern abgebaut wer- den. Es interessiert die FDP im Übrigen auch nicht, dass der Anwalt bei Gericht auch nur lediglich 90 Prozent der Gebühren bezahlt. Darüber hinaus würde eine solche sofortige Angleichung auch den Interessen der Länder widersprechen. Die Länder- vertreter haben dies in vorangegangenen Beratungen auch deutlich gemacht. Eine sofortige Anhebung hätte nämlich unwillkürlich zur Folge, dass die Länderhaushalte durch steigende Prozeßkostenhilfe belastet werden würden. Wir halten es nicht für sinnvoll, hier auf der Bundes- ebene eine politische Entscheidung gegen den Willen der neuen Länder zu treffen. Deshalb lehnen wir den FDP- Antrag ab. Nichtsdestotrotz wird die Bundesregierung von uns gebeten zu überprüfen, inwieweit im Zuge der Strukturreform der Rechtsanwaltsgebühren bestehende Ungleichheiten stufenweise aufgehoben werden können. Und ich bin sicher, dass die Bundesregierung dieser Prüf- bitte auch nachkommen wird. Ich freue mich, dass alle Kolleginnen und Kollegen im Rechtsausschuss sich einem entsprechenden Ent- schließungsantrag angeschlossen haben. Völlig anders sieht die Situation in Berlin aus. Hier ist es einfach nicht erträglich und nicht zu vermitteln, warum der Anwalt am einen Ende der Sonnenallee für die gleiche Leistung weniger Gebühren erhalten soll als der am an- deren Ende der Sonnenallee. Auch haben sich die Lebensverhältnisse in Berlin we- sentlich anders angeglichen als im Rest der neuen Bun- desländer. Hier ist die Forderung „gleicher Lohn für glei- che Arbeit“, zum Beispiel im öffentlichen Dienst, wesentlich weiter umgesetzt. Marzahn und Hellersdorf zum Beispiel gehören zu den einkommensstarken Bezirken in Berlin, während Neukölln oder Friedrichshain-Kreuzberg hier längst am unteren Ende liegen. Außerdem gibt es mit Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg längst Bezirke, die nicht mehr nach „Ost“ und „West“ zu trennen sind. Hier die Kostengrenze aus dem Einigungsvertrag auf- zuheben ist Ziel einer Bundesratsinitiative, die von den Ländern breit getragen wird. Die Bundesratsinitiative auf Angleichung der Ge- bührensätze für das Land Berlin werden wir aus den gegebenen Gründen unterstützen. Ich fordere die Kolle- ginnen und Kollegen aus der CDU/CSU und der FDP- Fraktion auf, ihre Verweigerungshaltung hier noch einmal zu überdenken. Es kann keine Rede davon sein, das hier der Gleichbe- handlungsgrundsatz verletzt werden würde. Die Situation in Berlin stellt sich eben wie bereits dargestellt anders als in den Flächenländern dar. Aber diese Aufhebung muss bis auf weiteres auf Ber- lin begrenzt bleiben. Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Die Angleichung der Lebensverhältnisse in den neuen Bundesländern an den Standard in den alten Bundesländern war, ist und bleibt eine der herausragenden politischen Aufgaben in Deutschland. „Bleibt“ deswegen, weil dieses Ziel leider auch zwölf Jahre nach der Wiedervereinigung noch nicht erreicht ist. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20815 (C) (D) (A) (B) Gerade weil dies so ist, müssen wir darauf achten, nicht aus Ungeduld oder Übereiltheit von der Gerechtigkeits- vorstellung des Einigungsvertrages abzurücken. Weder einzelne Berufsgruppen noch einzelne Bundesländer dür- fen bevorzugt behandelt werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Entwicklung in diesen Bundesländern eine Andersbehandlung nicht rechtfertigt oder diese An- dersbehandlung zu Benachteiligungen der betroffenen Bevölkerung führen würde. Aus diesem Grunde wird die CDU/CSU-Bundestags- fraktion heute weder dem Ermäßigungssatz-Aufhebungs- gesetz Berlin noch dem Antrag der FDP „Ende der dop- pelten Benachteiligung für die Rechtsanwälte in den neuen Ländern“ zustimmen. In der Begründung des Bundesratsentwurfes heißt es auf Seite 6: „Im Ergebnis wurde immer wieder, zuletzt im Verlaufe des Jahres 2000, übereinstimmend festgestellt, dass eine weitere Reduzierung oder gar Aufhebung im Verordnungswege“ – gemeint sind die Ermäßigungssätze auf Anwalts- und Justizgebühren – „gegenwärtig und auf Sicht nicht möglich wäre, da sich die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht entsprechend entwickelt hätten bzw. in absehbarer Zeit entwickeln würden. Vor allem sei nach wie vor ein deutliches Einkommensgefälle zwischen Ost und West festzustellen.“ Die wirtschaftlichen Verhältnisse lassen eine Aufhe- bung nicht zu; eine bessere Begründung für die Ableh- nung des Gesetzentwurfes und des Antrages gibt es nicht. Der Gebührenabschlag soll den abweichenden Verhält- nissen, insbesondere den Vermögens- und Einkommens- verhältnissen in den neuen Ländern, Rechnung tragen. Lassen die wirtschaftlichen Verhältnisse eine Aufhebung nicht zu, müssen wir die Finger von einer solchen Aufhe- bung lassen. Wir dürfen nicht – wie beabsichtigt – den Kunstgriff eines formellen Bundesgesetzes wählen, um die eigentliche Ermächtigungsgrundlage für die Bundes- justizministerin, deren Voraussetzungen eindeutig nicht vorliegen, zu umgehen. Es sprechen aber noch weitere Gründe insbesondere gegen eine isolierte Aufhebung der Ermäßigungssätze für das Land Berlin, gegen eine Insellösung. Was wäre diese Insellösung für ein Signal für die anderen neuen Bundesländer? Die Voraussetzungen für eine Aufhebung des Gebührenabschlages liegen zwar nicht vor, aber für Berlin machen wir das trotzdem. Das würde einerseits signalisieren: Berlin wird entgegen der Gerechtigkeits- vorstellung des Einigungsvertrages ohne zwingende Gründe bevorzugt. Andererseits hieße das, den zweiten Schritt – die Aufhebung – vor dem ersten Schritt – einer entsprechenden wirtschaftlichen Entwicklung –, der Vo- raussetzung für diesen zweiten Schritt ist und im Inte- resse unserer ostdeutschen Mitbürger auch bleiben sollte, zu tun. Mit der Aufhebung würde ein einzelner Berufsstand, die Rechtsanwaltschaft, – und die Justizverwaltung des Landes Berlin – vor allen anderen Berufsgruppen bevor- zugt. Als Beispiel möchte ich nur die Angestellten im Öf- fentlichen Dienst nennen, die im Ostteil der Stadt weiter- hin mit BAT-Ost bezahlt werden, aber mit der Erhöhung der Anwaltsgebühren und der Justizgebühren gleich in zweifacher Hinsicht zur Kasse gebeten würden. Damit will ich die Probleme, die sich aus der Sonder- stellung Berlins unter den neuen Bundesländern ergeben, gar nicht hinwegreden: Die schnell voranschreitende Vermischung der Bevölkerung aus beiden Teilen der Stadt, die mit den unterschiedlichen Gebühren verbunde- nen Mandatenwanderungen zwischen Ost und West, Notariatstourismus, eine faktische Beschränkung der Niederlassungsfreiheit etc. Auch die Probleme der An- waltschaft in den anderen neuen Bundesländern lassen sich nicht hinwegdiskutieren. Eine Ungerechtigkeit kann jedoch keine andere Ungerechtigkeit rechtfertigen oder gar begründen. Wenn diese Probleme gelöst werden sol- len, muss eine Gesamtlösung gefunden werden. Hierzu hat die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion konkrete Vor- schläge unterbreitet. Wir haben am vergangenen Mittwoch im Rechtsaus- schuss einstimmig beschlossen, die Bundesregierung zu bitten, gemeinsam mit den betroffenen Ländern zu prüfen, ob im Zuge der Strukturreform der Rechtsanwaltsge- bühren eine (stufenweise) Aufhebung der im Einigungs- vertrag für die Justizkosten und Rechtsanwaltsgebühren vorgesehenen Ermäßigungssätze erfolgen kann. Mehr lässt der Anpassungsstand der Lebensverhältnisse in den neuen Bundesländern derzeit nicht zu. Lassen Sie uns an der Gerechtigkeitsvorstellung des Einigungsvertrages festhalten und weiter gemeinsam da- ran arbeiten, die unterschiedlichen Lebensverhältnisse in den alten und neuen Bundesländern zügig anzugleichen. Einzelkorrekturen, die mehr Ungerechtigkeiten schaffen als sie beseitigen, führen hier nicht weiter. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der zehnprozentige Abschlag auf Anwalts- und andere Justizgebühren war in Ostdeutschland durch das dort insgesamt meist niedrigere Einkommens- und Kos- tenniveau gerechtfertigt. Das galt auch für den Teil des Beitrittsgebietes. Aber die Verhältnisse in Ostdeutschland haben sich in den zehn Jahren seit der Vereinigung erheb- lich verändert. Noch erheblicher haben sich die Verhält- nisse in Ostberlin verändert. Innerhalb der Stadt Berlin macht es überhaupt keinen Sinn mehr, Ost- und Westber- lin zu unterscheiden. Sogar die meisten Berliner haben in- zwischen Probleme, jeweils zu sagen, ob sie sich noch im früheren Ost- oder Westteil befinden. Die Grenzen sind verwischt; die Lebensverhältnisse haben sich weitgehend angeglichen. Da ist es nicht mehr zu rechtfertigen, in ei- nem Bezirk andere Anwaltsgebühren oder Gerichtskosten anzusetzen als im anderen Bezirk. Deshalb schaffen wir jetzt eine einheitliche Regelung für ganz Berlin. Wir neh- men damit die Angleichung zur Kenntnis. Anders verhält es sich aber noch mit den anderen Ost- bundesländern, hier gibt es durchaus noch Unterschiede im Einkommens- und Preisniveau zu Westbundesländern. Des- halb ist der Unterschied der gesetzlichen Gebühren gerade noch zu rechtfertigen. Aber wir hinterfragen dies und der Rechtsausschuss hat beschlossen, jetzt zeitnah zu prüfen, ob eine stufenweise Angleichung richtig und zu vertreten ist. Deshalb wird die Bundesregierung gemeinsam mit den be- troffenen Bundesländern prüfen, ob zum Ausgleich zwi- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120816 (C) (D) (A) (B) schenzeitlicher Kostenerhöhungen sowie zur Angleichung des Gebührenniveaus in Ost- und Westdeutschland im Zuge der Strukturreform der Rechtsanwaltsgebühren eine stufen- weise Anhebung der im Einigungsvertrag für die Justizkos- ten vorgesehenen Ermäßigungssätze erfolgt. Dabei wird auch das kürzlich vorgelegte Votum der vom BMJ einge- setzten Expertenkommission zu den Anwaltsgebühren handlungsleitend sein. Ich werde mich dafür einsetzen, dass diese Prüfung und Neuregelung zügig erfolgt, auch weil ich als Anwalt persönlich großes Verständnis für das Anliegen habe. Rainer Funke (FDP): Lassen Sie mich eingangs sa- gen, dass wir es durchaus für richtig halten, dass auch die Ostberliner Anwaltskollegen nicht mehr den Gebührenab- schlag von 10 Prozent hinnehmen sollen. Wenn wir den- noch gegen die Aufhebung des Gebührenabschlags für Ostberliner Anwälte stimmen, dann nicht, um diesen Kol- legen zu schaden, sondern weil wir zwölf Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung der Auffassung sind, dass generell Abschläge für Anwaltsgebühren und Justizkosten in den neuen Bundesländern aufgehoben werden sollen. Aufgrund der gegebenen Sach- und Rechtslage hätte die Bundesjustizministerin – wie von ihr im Frühjahr 2000 vor der Anwaltschaft angekündigt – schon längst durch eine Rechtsverordnung, die sie allein in eigener Verantwortung erlassen könnte, diesen Gebührenab- schlag aufheben können. Davor hat sie sich gedrückt und will diese Verantwortung auf Bundestag und Bundesrat abwälzen. Ein Gebührenabschlag lässt sich auch heute nicht mehr rechtfertigen, schließlich sind die Bürokosten – also die festen Kosten der Anwaltschaft für Büro-, Per- sonal- und Sachausstattung – in den neuen Bundesländern genauso hoch wie zum Beispiel in den Flächenstaaten der alten Bundesrepublik. Hinzu kommt, dass die Streitwerte in den neuen Bundesländern regelmäßig niedriger sind als in den alten Bundesländern. Die Anwälte in den neuen Bundesländern werden also zweimal benachteiligt: ein- mal durch den Abschlag und ein zweites Mal durch nied- rigere Streitwerte. Auf einen Umstand möchte ich noch besonders auf- merksam machen. Überörtliche Sozietäten, die sowohl in den alten als auch in den neuen Bundesländern tätig sind, können sich dem Abschlag hinsichtlich ihrer Anwaltsge- bühren ohne Schwierigkeit entziehen, während aus- schließlich in den neuen Bundesländern zugelassene Kol- legen den Abschlag hinnehmen müssen. Dies ist nicht nur ungerecht, sondern begegnet auch verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Gleichheitsgrundsatz ist in einer anderen Weise nicht gewahrt und demgemäß das Gesetz nicht ver- fassungsmäßig, weil ein sachlicher Grund für die Insellö- sung, also der Herausnahme Ostberlins aus dem Gebüh- renabschlag, nicht gerechtfertigt ist. Es ist überhaupt nicht einsichtig, warum Gebührenabschläge in Ostberlin aufge- hoben werden, während in Potsdam oder in Zeuthen, also teilweise auf der anderen Straßenseite im Großraum Ber- lin, diese Gebührenabschläge weiter vorgenommen wer- den müssen. Alles in allem ist dies ein verkorkstes und sogar verfassungswidriges Gesetz. Die Bundesjustizministerin sollte stattdessen den Mut haben, durch Ministerverord- nung diesem unberechtigten Gebührenabschlag ein Ende zu bereiten. Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Bei den beiden heute zur Debatte stehenden Gesetzentwürfen weiß ich nicht so recht, welcher Lebensweisheit ich folgen soll: Alles oder Nichts oder der Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach? Als PDS-Abgeordnete halte ich es welt- anschaulich gesehen allerdings mehr mit den Interessen. Und danach wäre die Antwort eigentlich ganz einfach. Als Rechtsanwältin aus Ostberlin begrüße ich natürlich den Gesetzentwurf des Bundesrates, der die Aufhebung der Benachteiligung für meine Berufsgruppe in meiner Stadt fordert. Aber im Ernst: Für mich ist der Antrag der FDP der einzig richtige, da er eine Aufhebung der „doppelten“ Benachteiligung bei Rechtsanwälten in allen neuen Bun- desländern fordert. Und das Beste wäre, wenn es nach über zehn Jahren Einheit überhaupt keine „Ostabschläge“ mehr geben würde, wie sie noch im öffentlichen Dienst oder aber auch bei bestimmten Berufsgruppen wie den Notaren, den Ärzten und Zahnärzten – bei Privatversi- cherten, um nur einige zu nennen – weiterhin bestehen. Diese Ungleichbehandlung ist sachlich nicht mehr zu vermitteln. Weniger Geld bei gleichen Sach- und Personal- kosten für dieselbe Arbeit zu erhalten ist schlichtweg unge- recht und frustrierend. Die Lebensverhältnisse und insbe- sondere die Kostenstruktur bei Freiberuflern haben sich mittlerweile so weit angeglichen, dass die Gebührener- mäßigung aus keinem sachlichen Grund mehr gerechtfer- tigt ist. Ich finde es schon erstaunlich, wenn die Justizministe- rinnen und Justizminister der neuen Bundesländer diesen Sonderweg Berlins mittragen, die Anwälte in ihren eige- nen Ländern jedoch mit Hinweis auf noch bestehende Ein- kommensunterschiede leer ausgehen lassen. Und auch die Stellungnahme der Regierung zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates, die sich auf den Satz beschränkt, „Die Bun- desregierung erhebt gegen den Entwurf keine Bedenken“, lässt nicht einmal das Bestreben erkennen, in absehbarer Zeit bundeseinheitlich gleiche Gebühren einzuführen. Dass insbesondere die Regierungen Brandenburgs, Mecklenburg-Vorpommerns, Sachsens sowie Sachsen- Anhalts eine Gebührenangleichung ablehnen, ist beschä- mend und nicht durch finanzielle Erwägungen zu recht- fertigen, zumal ja auch Abschläge für weitere Kosten – wie Gerichtskosten – zeitgleich fallen. Dadurch werden erhebliche Mehreinnahmen in die Justizkasse gespült, die zusätzliche Kosten für Prozesskostenhilfe zumindest kompensieren. Die kleine Berliner Lösung ist sicher besser als gar keine Lösung. Doch froh macht sie mich nicht. Ob da- durch eine schnellere Angleichung in den übrigen neuen Bundesländern zustande kommt, ist zu hoffen, jedoch kei- nesfalls sicher. Von den Anwälten in den neuen Bundes- ländern ist jedenfalls gehöriger Druck zu erwarten. Um den leidigen Gebührenabschlag elf Jahre nach der deut- schen Einheit in einem ersten Schritt wenigstens territo- rial begrenzt zu Fall zu bringen, werden wir dem Gesetz- entwurf der Regierungskoalition zustimmen. Zufrieden sind wir mit dieser halben Lösung – oder besser: 1/6-Lö- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20817 (C) (D) (A) (B) sung – jedoch nicht und werden das über unsere Zustim- mung zu dem Antrag der FDP zum Ausdruck bringen. Anlage 10 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 770. Sitzung am 30. No- vember 2001 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen, bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Ab- satz 2 Grundgesetz nicht zu stellen: – Zweites Gesetz zur Änderung des Saatgutverkehrs- gesetzes – Gesetz zu Einführung und Verwendung eines Kenn- zeichens für Erzeugnisse des ökologischen Landbaus (Öko-Kennzeichengesetz – ÖkoKennzG –) – Gesetz zur Reform der arbeitsmarktpolitischen In- strumente (Job-AQTIV-Gesetz) – Gesetz zur Änderung des Gesetzes zu dem Überein- kommen vom 18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau – Gesetz zur der Entschließung vom 22. Mai 1995 zur Änderung des Übereinkommens vom 18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminie- rung der Frau – Gesetz zu dem Fakultativprotokoll vom 6. Oktober 1999 zum Übereinkommen vom 18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau – Gesetz zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Steuer- änderungsgesetz 2001 – StÄndG 2001) – Gesetz zur Finanzierung der Terrorbekämpfung – Erstes Gesetz zur Änderung des Vereinsgesetzes – Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unterneh- mensübernahmen – Gesetz zur Neuordnung des Schuldbuchrechts des Bundes und der Rechtsgrundlagen der Bundesschul- denverwaltung (Bundeswertpapierverwaltungs- gesetz – BWpVerwG) – Zweites Gesetz zur Änderung des Medizinproduk- tegesetzes (2. MPG-ÄndG) – Gesetz zur Reform des Risikostrukturausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung – Gesetz zur Ergänzung der Leistungen bei häuslicher Pflege von Pflegebdürftigen mit erheblichem allge- meinem Betreuungsbedarf (Pflegeleistungs-Ergän- zungsgesetz – PflEG) – Sechstes Gesetz zur Änderung besoldungsrechtlicher Vorschriften (Sechstes Besoldungsänderungsgesetz – 6. BesÄndG) – Erstes Gesetz zurÄnderung des Wahlstatistikgeset- zes – Gesetz zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewoh- nung bei Trennung – Siebtes Gesetz zur Änderung der Pfändungsfrei- grenzen – Gesetz zur Einführung des Euro in Rechtspflegege- setzen und in Gesetzen des Straf- und Ordnungs- widrigkeitsrechts, zur Änderung der Mahnvor- druckverordnungen sowie zur Änderung weiterer Gesetze – Gesetz über elektronische Register und Justizkos- ten für Telekommunikation – ERJuKoG – – Gesetz zur Umstellung von Vorschriften aus den Bereichen des Verkehrs-, Bau- und Wohnungswe- sen sowie der Familie, Senioren, Frauen und Ju- gend auf den Euro (Zehntes Euro-Einführungs- gesetz – 10. EuroEG) – Gesetz über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr (Elektronischer Ge- schäftsverkehr-Gesetz – EGG) – Gesetz zu dem Abkommen vom 12. Juli 2001 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China über Sozialversicherung – Gesetz zu dem Abkommen vom 19. April 2001 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und be- stimmter anderer Steuern, zur Verhinderung der Steuerverkürzung und zurAmtshilfe in Steuersachen – Gesetz zu dem Abkommen vom 8. März 2001 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und Malta zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Ver- mögen – Gesetz zur Änderung des Übereinkommens vom 14. Juli 1967 zur Errichtung der Weltoranisation für geistiges Eigentum – Gesetz zur Änderung des Gaststättengesetzes und der Gewerbeordnung – Gesetz zur Bekämpfung von Steuerverkürzungen bei der Umsatzsteuer und zur Änderung anderer Steuer- gesetze (Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz – StVBG) Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie- ßung gefasst: Der Bundesrat hat dem Steuerverkürzungsbekämpfungs- gesetz im Hinblick auf die damit verbundene Zielsetzung der Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs zugestimmt. Der Bundesrat erwartet aber, dass die erst am Ende der Beratun- gen in das Gesetz aufgenommenen organschaftlichen Son- derregelungen für die Versicherungswirtschaft, die mit der Zielsetzung dieses Gesetzes nichts zu tun haben, im Rah- men des Gesetzgebungsverfahrens zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts überprüft werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120818 (C) (D) (A) (B) Der Bundesrat hat in seiner 770. Sitzung am 30. No- vember 2001 beschlossen, der Bundesregierung wegen der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes für das Haushaltjahr 2000 (Jahresrechnung 2000) aufgrund der Bemerkungen des Bundesrechnungs- hofes Entlastung gemäß Artikel 114 des Grundgesetzes und § 114 der Bundeshaushaltsordnung zu erteilen. Der Vermittlungsausschuss hat in seiner 14. Sitzung am 6. Dezember 2001 folgenden Einigungsvorschlag be- schlossen: Das vom Deutschen Bundestag in seiner 199. Sitzung am 9. November 2001 beschlossene Gesetz zur Neuausrichtung der Bundeswehr (Bundeswehr- neuausrichtungsgesetz) – Drucksachen 14/6881, 14/7089, 14/7235, 14/7372, 14/7746 – wird bestätigt. Der Vorsitzende des folgenden Ausschusses hat mitge- teilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Ge- schäftsordnung von einer Berichterstattung zu der nach- stehenden Vorlage absieht: Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2001 Unterrichtung gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 HG2001 über eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 60 02 Titel 540 01 (Münzausgaben) – Drucksachen 14/7263, 14/7413 Nr. 8 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- gen beziehungsweise Unterrichtungen durch das europä- ische Parlament zur Kenntniss genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Haushaltsausschuss Drucksache 14/6908 Nr. 2.2 Drucksache 14/7000 Nr. 2.9 Drucksache 14/7129 Nr. 2.3 Drucksache 14/7129 Nr. 2.14 Ausschuss fürWirtschaft und Technologie Drucksache 14/4441 Nr. 1.32 Drucksache 14/4441 Nr. 1.33 Drucksache 14/4441 Nr. 1.34 Drucksache 14/4570 Nr. 2.2 Drucksache 14/4570 Nr. 2.3 Drucksache 14/7000 Nr. 2.21 Drucksache 14/7000 Nr. 2.33 Drucksache 14/7000 Nr. 2.35 Drucksache 14/7000 Nr. 2.36 Drucksache 14/7000 Nr. 2.50 Drucksache 14/7000 Nr. 2.51 Drucksache 14/7000 Nr. 2.52 Drucksache 14/7000 Nr. 2.55 Drucksache 14/7129 Nr. 2.26 Drucksache 14/7129 Nr. 2.30 Drucksache 14/7129 Nr. 2.38 Drucksache 14/7129 Nr. 2.41 Drucksache 14/7129 Nr. 2.45 Drucksache 14/7129 Nr. 2.46 Drucksache 14/7129 Nr. 2.51 Drucksache 14/7129 Nr. 2.54 Drucksache 14/7129 Nr. 2.57 Drucksache 14/7129 Nr. 2.59 Drucksache 14/7129 Nr. 2.61 Drucksache 14/7129 Nr. 2.68 Drucksache 14/7129 Nr. 2.69 Drucksache 14/7197 Nr. 2.7 Drucksache 14/7197 Nr. 2.11 Drucksache 14/7197 Nr. 2.22 Drucksache 14/7197 Nr. 2.26 Drucksache 14/7197 Nr. 2.27 Drucksache 14/7197 Nr. 2.31 Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 14/7129 Nr. 2.32 Drucksache 14/7129 Nr. 2.33 Drucksache 14/7129 Nr. 2.34 Drucksache 14/7129 Nr. 2.35 Drucksache 14/7129 Nr. 2.36 Drucksache 14/7129 Nr. 2.37 Drucksache 14/7129 Nr. 2.39 Drucksache 14/7129 Nr. 2.42 Drucksache 14/7129 Nr. 2.49 Drucksache 14/7129 Nr. 2.52 Drucksache 14/7129 Nr. 2.53 Drucksache 14/7129 Nr. 2.55 Drucksache 14/7129 Nr. 2.56 Drucksache 14/7129 Nr. 2.60 Drucksache 14/7129 Nr. 2.62 Drucksache 14/7129 Nr. 2.63 Drucksache 14/7197 Nr. 2.18 Drucksache 14/7197 Nr. 2.19 Drucksache 14/7197 Nr. 2.20 Drucksache 14/7197 Nr. 2.21 Drucksache 14/7197 Nr. 2.23 Drucksache 14/7197 Nr. 2.24 Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Drucksache 14/5610 Nr. 1.11 Drucksache 14/6026 Nr. 2.33 Drucksache 14/7000 Nr. 2.1 Ausschuss für Gesundheit Drucksache 14/6908 Nr. 2.13 Drucksache 14/6908 Nr. 2.14 Drucksache 14/7129 Nr. 2.66 Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Drucksache 14/6026 Nr. 2.9 Drucksache 14/6116 Nr. 1.2 Drucksache 14/6214 Nr. 2.3 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 14/5503 Nr. 2.14 Drucksache 14/5610 Nr. 2.36 Drucksache 14/6615 Nr. 2.5 Drucksache 14/6908 Nr. 2.9 Drucksache 14/7000 Nr. 1.1 Drucksache 14/7000 Nr. 1.2 Drucksache 14/7000 Nr. 1.3 Drucksache 14/7000 Nr. 1.4 Drucksache 14/7000 Nr. 1.5 Drucksache 14/7000 Nr. 1.6 Drucksache 14/7000 Nr. 1.7 Drucksache 14/7000 Nr. 1.8 Drucksache 14/7000 Nr. 1.9 Drucksache 14/7000 Nr. 1.10 Drucksache 14/7000 Nr. 1.11 Drucksache 14/7000 Nr. 1.12 Drucksache 14/7000 Nr. 1.13 Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Drucksache 14/6615 Nr. 2.14 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20819 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420900000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Es ist etwas kühl hier. Ich habe mich gerade erkundigt,
woran das liegt. Durch ein Wunder der Technik waren
heute früh um 7.30 Uhr alle Fenster auf. Ein Fenster lässt
sich auch jetzt noch nicht schließen, habe ich gehört; es
wird aber daran gearbeitet.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Soziale Kälte!)


Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich
auf Folgendes hinweisen: Der Ältestenrat hat in seiner
gestrigen Sitzung vereinbart, dass am Donnerstag, dem
20. Dezember 2001, um 9.00 Uhr eine Plenarsitzung zur
Beratung des Antrags der Bundesregierung zur Betei-
ligung der Bundeswehr an einer UN-mandatierten in-
ternationalen Sicherheitspräsenz in Kabul und Um-
gebung unter der Voraussetzung stattfindet, dass eine
Entscheidung des UN-Sicherheitsrates sowie der darauf
beruhende Kabinettsbeschluss rechtzeitig vorliegen.

Die betroffenen Ausschüsse sollen bereits am Mitt-
woch, dem 19. Dezember, Gelegenheit erhalten, im Wege
der Selbstbefassung über den Antrag zu beraten. Näheres
entnehmen Sie bitte der Amtlichen Mitteilung, die Sie
heute in Ihren Fächern vorfinden.

Ich rufe Zusatzpunkt 18 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-

(Vermittlungsausschuss)

Rechtsverhältnisse von Prostituierten (Prostitu-
tionsgesetz – ProstG)
– Drucksachen 14/5958, 14/7174, 14/7524,
14/7748 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Ludwig Stiegler

Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? –
Wird das Wort zu Erklärungen gewünscht? – Das ist nicht
der Fall.

Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer stimmt für
die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses
auf Drucksache 14/7748? – Wer stimmt dagegen? –
Stimmenthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und
PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU angenommen.

Ich rufe Zusatzpunkt 19 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-

(Vermittlungsausschuss)

Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes
– Drucksachen 14/7283, 14/7476, 14/7745,
14/7749 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Jörg van Essen

Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Das
ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen ge-
wünscht? – Das ist auch nicht der Fall.

Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermitt-
lungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Ge-
schäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundes-
tag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist.
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermitt-
lungsausschusses auf Drucksache 14/7749? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
einstimmig angenommen.

Ich rufe Zusatzpunkt 20 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-

(Vermittlungsausschuss)

Strafprozessordnung
– Drucksachen 14/5166, 14/6576, 14/7015,
14/7776 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Ludwig Stiegler

20701


(C)



(D)



(A)



(B)


209. Sitzung

Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001

Beginn: 9.00 Uhr

Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Das
ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen ge-
wünscht? – Auch das ist nicht der Fall.

Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermitt-
lungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Ge-
schäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundes-
tag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist.
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermitt-
lungsausschusses auf Drucksache 14/7776? – Gegen-
probe! – Stimmenthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen
der PDS-Fraktion angenommen.

Ich rufe Zusatzpunkt 21 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-

(Vermittlungsausschuss)

Professorenbesoldung (Professorenbesoldungs-
reformgesetz – ProfBesReformG)
– Drucksachen 14/6852, 14/7356, 14/7743,
14/7777 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Ludwig Stiegler

Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Das
ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen ge-
wünscht? – Auch das ist nicht der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für die
Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf
Drucksache 14/7777? – Wer stimmt dagegen? – Stimm-
enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die
Grünen gegen die Stimmen von FDP und PDS ange-
nommen.

Ich rufe Zusatzpunkt 22 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-

(Vermittlungsausschuss)

des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess

(RmBereinVpG)

– Drucksachen 14/6393, 14/6854, 14/7474,
14/7744, 14/7779 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Ludwig Stiegler

Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Das
ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen ge-
wünscht? – Das ist nicht der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsaus-
schuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsord-
nung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag über die
Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für
die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses
auf Drucksache 14/7779? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig
angenommen.

Ich rufe Zusatzpunkt 23 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-

(Vermittlungsausschuss)

Unternehmensteuerrechts (Unternehmensteuer-
fortentwicklungsgesetz – UntStFG)
– Drucksachen 14/6882, 14/7084, 14/7343,
14/7344, 14/77442, 14/7780 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Joachim Poß

Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? –
Bitte schön, Kollege Poß.


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1420900100
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Nachdem offenkundig auf Wunsch der FDP
zu diesem Punkt diskutiert werden soll, will ich auf das
Vermittlungsergebnis kurz eingehen. Das Unternehmen-
steuerfortentwicklungsgesetz ist Bestandteil eines großen
Paketes von sieben Gesetzen, das dem Vermittlungsaus-
schuss vorlag. Dieses Gesetz war politisch sicherlich das
wichtigste. Das Vermittlungsergebnis zeichnet sich mei-
nes Erachtens durch drei Punkte aus:

Erstens. Die bereits vorhandenen guten steuerlichen
Rahmenbedingungen für den Mittelstand werden weiter
verbessert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der FDP)


Zweitens. Die steuerliche Einnahmebasis der Kom-
munen wird stabilisiert.

Drittens. Der Gefahr missbräuchlicher Steuergestal-
tung wird entgegengewirkt.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das Chaos setzt sich fort!)


Mit der nun vorgesehenen Reinvestitionsrücklage
und einer Verzehnfachung des Betrages von 50 000 Euro
auf 500 000 Euro wird ein ganz deutlicher Akzent zuguns-
ten mittelständischer Unternehmen gesetzt. Die Wie-
deranlagefrist für Übertragungen auf Gebäude wird auf
vier Jahre verlängert; ansonsten verbleibt es bei dem Zeit-
raum von zwei Jahren.

Bei dieser Maßnahme handelt es sich mangels Ver-
gleichbarkeit nicht um die Gleichbehandlung von Perso-
nenunternehmen und Kapitalgesellschaften, sondern
durch diese Aufstockung und die Fristverlängerung wer-
den nun größere Teile des Mittelstandes, insbesondere
größere Mittelständler, begünstigt.

Neben den bereits im Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung vorgesehenen Regelungen zur Verbesserung der Ein-
nahmebasis der Kommunen hat der Vermittlungsaus-
schuss den Städten und Gemeinden eine Einnahmequelle
erhalten, indem er sich auf eine Gewerbesteuerpflicht auf
Dividendeneinnahmen aus Streubesitz verständigt hat.
Diese Maßnahme dient allein zur Sicherung der kommu-
nalen Einnahmebasis und sollte im Rahmen der in der
nächsten Legislaturperiode beabsichtigten kommunalen

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Präsident Wolfgang Thierse
20702


(C)



(D)



(A)



(B)


Finanzreform auf den Prüfstand gestellt werden. Insge-
samt können die Kommunen durch den Bundestags-
beschluss und das Vermittlungsergebnis mit Mehreinnah-
men von über 750 Millionen Euro rechnen.

In der Frage der so genannten Behaltefristen bei der
Umstrukturierung von Personenunternehmen ist der
gefundene Kompromiss insgesamt vertretbar, auch aus
Sicht der SPD-Bundestagsfraktion, weil die Gefahr
missbräuchlicher Steuergestaltung vermindert wird. Wirt-
schaftlich vernünftige Umstrukturierungen bei Personen-
unternehmen finden auf längere Sicht eben nur statt, wenn
der Betrieb fortgeführt werden soll.

Insgesamt also, meine Damen und Herren, war dieser
Tag, an dem dieses Ergebnis des Vermittlungsausschusses
erzielt wurde, ein guter Tag für den sich wirtschaft-
lich betätigenden Mittelstand in der Bundesrepublik
Deutschland.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420900200
Jetzt kommt eine
Runde mit Erklärungen der Fraktionen. Für die Fraktion
der PDS Kollege Peter Rauen.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

– Die Kälte, die Kälte! Ich bitte um Entschuldigung.

Für die Fraktion der CDU/CSU Herr Kollege Peter
Rauen.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das sind die Berliner Verhältnisse hier!)



Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1420900300
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin zunächst dank-
bar für die Klarstellung, für wen ich die Erklärung abge-
ben darf.

Ich darf erklären, dass die CDU/CSU dem Vermitt-
lungsergebnis zustimmt. Es müssen aber einige Dinge
klargestellt werden. Wir haben über ein Unternehmen-
steuerfortentwicklungsgesetz diskutiert. Davon kann ei-
gentlich nicht die Rede sein; denn es handelt sich viel-
mehr um ein Reparaturgesetz. Das erleben wir ja jetzt
schon zum wiederholten Male.

Wir begrüßen aber, dass Personengesellschaften beim
Umstrukturieren jetzt weitestgehend wieder so behandelt
werden wie vor dem verunglückten Gesetz von 1999. So
wird wieder eine Reinvestitionsrücklage bei der Veräuße-
rung von Kapitalerlösen in Höhe von 500 000 Euro aner-
kannt, die innerhalb von vier Jahren in Gebäude und in-
nerhalb von zwei Jahren in bewegliches Anlagevermögen
steuerfrei angelegt werden kann.

Es wurde der alte Zustand der Realteilung und des
Mitunternehmererlassesmit dem Schönheitsfehler wie-
der hergestellt, dass jetzt im Gegensatz zu früher eine
dreijährige Behaltefrist vorgesehen wird.

In Zukunft wird es auch möglich sein, dass bei Be-
triebsübergängen an einen Nachfolger das Sondervermö-
gen vom Betriebsinhaber sowohl gehalten als auch steu-
erfrei reinvestiert werden kann.

Von einem Fortentwicklungsgesetz kann deshalb nicht
die Rede sein, weil die A-Seite die Möglichkeit, Betriebs-
ausgaben abzuziehen, wieder eingesammelt hat. Es war
der Wirtschaft versprochen worden, Betriebsausgaben bei
der Veräußerung von Kapitalbeteiligungen wieder geltend
machen zu können.

Auch die Freistellung der Betriebe von der Grund-
erwerbsteuer bei konzerninternen Umstrukturierungen
wurde wieder eingesammelt. Man hat auch eine Rolle
rückwärts getan, indem man steuerfreie Dividenden wie-
der besteuert, indem sie der Gewerbeertragsteuer unter-
liegen sollen. Vor dem Hintergrund wegbrechender Ein-
nahmen bei den Gemeinden begrüßen wir dieses.

Nichtsdestotrotz bleibt festzustellen, dass es sich hier
um ein Reparaturgesetz für verunglückte Gesetzgebung
aus der Vergangenheit handelt. Man hat auch bei der Ver-
handlung gesehen, dass die Regierung bei ihrer
Steuergesetzgebung vorne bei und hinten wider ist.

Wir stimmen zu, weil eine von uns seit langem erho-
bene Forderung wahrgemacht wurde, nämlich einige un-
mögliche Bedingungen bei der Umstrukturierung von
Personengesellschaften zurückzunehmen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420900400
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Kristin Heyne.


Kristin Heyne (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420900500
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Es waren ja aus-
führliche Verhandlungen über etliche Stunden im Ver-
mittlungsausschuss. Ich bin froh, dass wir einen Kompro-
miss gefunden haben, der von einer breiten Mehrheit hier
im Hause getragen wird. So kann der Notwendigkeit ent-
sprochen werden, dass das veränderte Unterneh-
mensteuerrecht zu Beginn des nächsten Jahres in Kraft
treten kann. Damit schaffen wir in einer konjunkturell
schwierigen Lage deutlich bessere Rahmenbedingungen
für den Mittelstand.

Die Union hat im Vermittlungsausschuss den Weg für
die notwendigen Umstrukturierungsmaßnahmen frei-
gemacht. Leider konnte die FDP sich nicht dazu durch-
ringen.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!)

Deswegen haben wir ja heute hier auch noch dieses kleine
Nachspiel.

Der Vorwurf von Steuererhöhungen, der vonseiten der
FDP erhoben wird, hat mit der Realität dieses Gesetzes
wirklich nichts zu tun.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Dann schauen Sie sich das Gesetz einmal an!)


Er dient allein zur Profilierung dieser kleinen Partei. So
platt würde ihn sonst niemand erheben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Joachim Poß

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(C)



(D)



(A)



(B)


Einen solchen Vorwurf kann auch nur jemand erheben,
der auf Landes- und Kommunalebene kaum bis gar nicht
Regierungsverantwortung übernimmt.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das ist bei den Grünen so!)


Natürlich mussten wir bei dem Ergebnis gegeneinander
abwägen, was der Mittelstand braucht und was unsere
Kommunen und Länder brauchen.

Lieber Kollege Rauen, mit Blick auf den Mittelstand
sprechen Sie davon, dass es sich um ein Reparaturgesetz
handle, mit dem wieder gutgemacht werden solle, was in
anderen Gesetzen zuvor in Ihren Augen schlecht geregelt
worden sei. Lassen Sie mich noch einmal ganz deutlich
sagen: Von einer Benachteiligung des Mittelstands ge-
genüber Kapitalgesellschaften kann nicht die Rede sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Aber sicher!)


In einem Personenunternehmen zahlt der Unternehmer
schon im Jahr 2001 bei einem Gewinn von 100 000 DM
über 18 000 DM weniger Steuern als eine Kapitalgesell-
schaft. Bis 2005 wird der Abstand zugunsten der kleinen
und mittleren Personenunternehmen noch Schritt für
Schritt weiter verkleinert. Im Jahr 2005 wird die einer
Körperschaft entsprechende durchschnittliche Gesamtbe-
lastung von 38,5 Prozent von einem ledigen Personen-
unternehmer erst bei einem Einkommen von 250 000 DM
und von einem verheirateten Unternehmer erst bei einem
Einkommen von 480 000 DM erreicht. Ein solches Ein-
kommen erlangen nur etwa 5 Prozent der mittelständi-
schen Unternehmen. Beachten Sie doch, wie die Realität
bei den Mittelständlern aussieht. Das ist schon jetzt deut-
lich besser, als es zu Ihren Zeiten war.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Warum sind sie dann alle so begeistert?)


Mit dem vorliegenden, im Vermittlungsausschuss er-
arbeiteten Steuerkompromiss werden lediglich die
Großunternehmen ein bisschen weniger stark entlastet,
als ursprünglich vorgesehen war.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Aha!)

Wenn das der Maßstab der FDP ist, dann wird klar, wer
hier für Mittelstandspolitik steht. Das tut die FDP schon
lange nicht mehr.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Ach, Frau Heyne, geht es noch ein bisschen billiger?)


– Wollen wir doch einmal sehen, was gleich von Ihnen
kommt.

Ich möchte noch auf einige Punkte dieses Steuerkom-
promisses hinweisen, um deutlich zu machen, dass es hier
um den Mittelstand geht. Sehr wichtig ist den Grünen die
jetzt eingeführte Reinvestitionsrücklage – sie gab es bis-
her auch nicht –, um auch bei der Veräußerung von Betei-
ligungen zu einer Gleichbehandlung von Kapitalgesell-

schaften und Personenunternehmen zu kommen. Ich bin
natürlich sehr froh darüber, dass es gelungen ist, diese
Rücklage deutlich auf 500 000 Euro anzuheben, sodass es
hier praktisch keine Begrenzung mehr gibt. Auch wurde
der Zeitraum bis zur Reinvestition bei Gebäuden in ange-
messener Weise auf vier Jahre verlängert. Dass man einen
solchen Zeitraum vorschreiben muss, hat niemand be-
stritten; anderenfalls eröffnete man eine neue Steuerlücke.
Das wollen wir nicht.

Die Kommunen können durch den Kompromiss im
nächsten Jahr 260 Millionen Euro zusätzlich erlösen. Ins-
gesamt erzielen sie aufgrund dieses Gesetzes 700 Milli-
onen Euro. Es ist uns sehr wichtig gewesen, die Balance
zu den Kommunen aufrechtzuerhalten. Weitere Vergüns-
tigungen müssen wir bei der geplanten Gemeindefinanz-
reform schaffen.

Bund und Länder haben gemeinsam ihre Verantwor-
tung für die Kommunen dadurch wahrgenommen, dass
Dividenden im Streubesitz jetzt auch unter 10 Prozent ge-
werbesteuerpflichtig sind. Die Veräußerungsgewinne
– das ist ein Kernstück unserer Unternehmensteuerreform –
bleiben vollständig steuerfrei.

Meine Damen und Herren, wir werden weiterhin eine
konsequente Mittelstandsförderung betreiben und diese
solide gegenfinanzieren; denn mittelstandsfreundliche
Politik ist auch an eine solide Haushaltspolitik gebunden.
Gerade der Mittelstand braucht die kommunale Infra-
struktur. Darauf werden wir weiterhin achten.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420900600
Für die FDP-Fraktion
erteile ich dem Kollegen Carl-Ludwig Thiele das Wort.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1420900700
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu der Steuer-
und Abgabenerhöhung in Höhe von netto 26 Milliar-
den DM im nächsten Jahr kommt durch dieses Ergebnis
des Vermittlungsausschusses eine steuerliche Mehrbelas-
tung der Arbeitsplätze und der Wirtschaft von knapp
1 Milliarde DM hinzu. Dies hält die FDP für falsch; des-
halb lehnt die FDP dieses Gesetz ab.


(Beifall bei der FDP)

Die finanziellen Auswirkungen des Gesetzes werden

im Finanztableau mit einer Mehrbelastung von 140 Milli-
onen Euro dargestellt. Hinzu kommen aber die Verschlech-
terungen bei der Neuregelung des Mitunternehmererlas-
ses und der Realteilung, die – das war zuvor zwischen
Bund und Ländern einvernehmlich abgestimmt – zu einer
Mehrbelastung von 300 Millionen Euro führen. Mir ist un-
verständlich, warum zwar die Verschlechterungen in das
Finanztableau aufgenommen worden sind, nun aber nicht
mehr beziffert sind; denn mit den ausgewiesenen und
fälschlicherweise nicht bezifferten Verschlechterungen in
Höhe von weiteren 300 Millionen Euro kommen wir
durch dieses Gesetz auf eine Verschlechterung in Höhe
von insgesamt 440 Millionen Euro. Das sind rund

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Kristin Heyne
20704


(C)



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(B)


900 Millionen DM. Diese Zusatzbelastung von knapp
1 Milliarde DM können wir angesichts der derzeitigen
konjunkturellen Lage, in der wir uns befinden, überhaupt
nicht gebrauchen.


(Beifall bei der FDP)

Bei diesem Gesetz ging es ursprünglich um das be-

scheidende Ziel, der seit Anfang 2001 geltenden Unter-
nehmensteuerreform an ein paar Stellen einen Feinschliff
zu verpassen. Davon ist aber nichts übrig geblieben. Wir
erleben nur noch Steuererhöhungen, Nachbesserungen
und Chaos.

Das Prunkstück dieses Gesetzentwurfs, die Reinvesti-
tionsrücklage zugunsten von Personenunternehmen für
Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalge-
sellschaften, wird dem normalen Handwerksbetrieb und
dem Mittelständler wenig helfen, weil er eben keine Fi-
nanzanlagen in seinem Betriebsvermögen hält. Ich möchte
bemerken, Herr Präsident, dass es im Saal sehr kalt ist.

Im Gesetzentwurf war die Wiederherstellung des
Mitunternehmererlasses mit einer Sperrfrist von sieben
Jahren vorgesehen. Der Bundestag hat dieses ohne jede
Frist beschlossen. Die SPD-Länder haben eine Frist von
fünf Jahren gefordert. Herausgekommen ist eine Frist von
drei Jahren ab Abgabe der Steuererklärung. Das ist ein
ganz neuer Tatbestand, den wir bislang im Steuerrecht
überhaupt noch nicht hatten. Die Frist beträgt faktisch vier
bis fünf Jahre. Dieses Beispiel zeigt: Dieser Gesetzge-
bung liegt überhaupt keine Konzeption zugrunde. Sie ist
pures Chaos.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dieses ist keine Politik der ruhigen Hand, sondern der zit-
ternden Hand von Rot-Grün und Ausdruck einer deutlich
erkennbar verfehlten Steuer- und Wirtschaftspolitik.

Wer soll diese chaotische Steuergesetzgebung noch
verstehen und nachvollziehen können? Heute, am 14. De-
zember, beschließt der Bundestag. In der nächsten Woche,
am 20. Dezember, beschließt der Bundesrat. Dieses Ge-
setz soll aber in Teilen schon rückwirkend ab dem 1. Ja-
nuar 2001, also rückwirkend für dieses Jahr, gelten. Wie
soll sich jemand auf die Steuergesetzgebung verlassen
können, wenn man hinsichtlich der Fristen überhaupt
keine Rücksichten nimmt und teilweise unechte Rück-
wirkungen vorsieht? Das kann nicht richtig sein. Auch aus
diesem Grunde lehnen wir das ab.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Für Rot-Grün, Finanzminister Eichel und auch für Sie,
Frau Heyne, gilt: Die Bürger nehmen die Ergebnisse aller
so genannten Steuerreformen in ihrem Geldbeutel nicht
als Entlastung, sondern ausschließlich als Belastung
wahr. Wir brauchen aber im nächsten Jahr keine Netto-
Steuer- und Abgabenerhöhung in Höhe von 26 Milliar-
den DM plus 1 Milliarde DM aus diesem Gesetz. Wir
brauchen in Deutschland vielmehr eine Steuerentlastung.


(Beifall bei der FDP)


Das Flickwerk von Nachbesserungen von Rot-Grün
muss endlich ein Ende haben. Die FDP fordert daher eine
klare Steuerentlastungspolitik für Bürger und Wirtschaft,
weil nur so Wachstum und Arbeitsplätze entstehen kön-
nen. Das ist die Aufgabe, der wir uns stellen müssen. Es
darf an diesen Stellen keine untauglichen Nachbesse-
rungsversuche geben.

Der Beifall in der Öffentlichkeit ist gering. Auch die
FDP stimmt in diesen Beifall nicht ein und lehnt das Ver-
mittlungsergebnis ab. Wer eine andere Steuerpolitik for-
dert, der muss auch zu einer anderen Steuerpolitik stehen.


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420900800
Für die PDS-Fraktion
erteile ich der Kollegin Barbara Höll das Wort.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Frau Höll, fragen Sie doch mal, wo das Finanzministerium bei diesem wichtigen Thema ist! Das ist noch nicht moniert worden!)



Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1420900900
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Es ist schon eine etwas abstruse Si-
tuation: Wir diskutieren ein Vermittlungsergebnis, also
das, was im Gesetz von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
nachgebessert werden musste. Sie selber aber feiern die-
ses Ergebnis als großen Erfolg. Entweder waren Sie vor-
her nicht so klug und konnten daher diese Punkte nicht
von vornherein ins Gesetz hineinschreiben oder es ist
nicht ganz allein Ihr Anliegen.


(Beifall bei der PDS – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das Finanzministerium ist noch nicht einmal da!)


– Das Finanzministerium ist nicht da.

(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Doch! – Horst Kubatschka [SPD]: Sie sollten der CDU/CSU nicht alles glauben!)


– Guten Morgen, Frau Hendricks. Es wäre vielleicht bes-
ser, wenn es nicht vertreten wäre, weil dieses Ergebnis des
Vermittlungsausschusses in großer Deutlichkeit zeigt,
dass die Steuerpolitik der rot-grünen Regierung tatsäch-
lich systemlos, sozial ungerecht und chaotisch ist.

Der zentrale Punkt der Unternehmensteuerreform
wurde leider beibehalten und konnte nicht mehr korrigiert
werden: die Steuerfreiheit der Gewinne aus Veräuße-
rungen von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften.
Hier hat Rot-Grün auf Einnahmen in Milliardenhöhe ver-
zichtet, ohne auf irgendeine Art und Weise sicherzustel-
len, dass die Kapitalgesellschaften mit den eingesparten
Steuern – Sie erlassen sie ihnen ja – wirtschaftlich tätig
werden. Das ist wirklich ein riesiger Skandal. Sie ver-
zichten auf Steuereinnahmen und zwingen die Unterneh-
men nicht, dieses Geld zielgerichtet für Investitionen
einzusetzen.


(Beifall bei der PDS)

Bei Ihrer versuchten Nachbesserung für Personenun-

ternehmen haben Sie darauf nicht verzichtet. Auch das ist

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Carl-Ludwig Thiele

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(C)



(D)



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(B)


eine Ungleichbehandlung zwischen Kapitalgesellschaf-
ten und Personenunternehmen.

Die Reinvestitionsrücklage für Gewinne aus der Ver-
äußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften durch
Personengesellschaften wurde dahin gehend neu defi-
niert, dass die Bedingungen bezüglich des Verkaufs und
Kaufs von beweglichen und unbeweglichen Wirtschafts-
gütern etwas anders gefasst wurden. Gleichzeitig haben
Sie vereinbart, dass die Grenze der steuerfreien Gewinne
dann von 150 000 Euro auf 500 000 Euro erhöht werden
soll. 500 000 Euro Gewinn! Ist das noch eine Förderung
von Kleinst-, Klein- und mittelständischen Unternehmen?
Davon können, zumindest in den neuen Bundesländern,
nur noch Großbetriebe in der Hand eines Unternehmers
profitieren. Das hat nichts mit Mittelstandsförderung zu
tun. Das muss ganz klar gesagt werden.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der FDP)


Diese Regelung kostet Sie natürlich Geld. Es war not-
wendig, den Kommunen hier zumindest ein Stück weit
entgegenzukommen. Sie haben es in Ihrer Regierungszeit
nicht geschafft, die grundlegende Finanzmisere der Kom-
munen, ob in Ost oder in West, überhaupt anzugehen. Es
gingen ganz viele gesetzliche Regelungen auf Kosten der
Kommunen. Hier versuchen Sie, zumindest eine geringe
Gegenfinanzierung zu vereinbaren.

Dem können wir zustimmen. Aber die grundlegende
Regelung im Unternehmensteuerfortentwicklungsgesetz,
dass die Gewerbesteuerumlage, also der Anteil der
Steuereinnahmen der Kommunen, die an die Länder und
an den Bund abzuführen sind, von 20 Prozent auf 28 Pro-
zent erhöht wird, ist beibehalten worden, und das, obwohl
die Gewerbesteuereinnahmen in den Kommunen in Ost
und West in diesem Jahr massiv nach unten gehen, in den
alten Bundesländern um 11,7 Prozent, in den neuen Bun-
desländern sogar um 13,5 Prozent. – Aus diesen Gründen
können wir dem Vermittlungsergebnis nicht zustimmen.

Lassen Sie mich Folgendes zum Thema Behaltefris-
ten sagen. Herr Thiele hat zu Recht darauf hingewiesen:
Das ist ein neues Thema, das hier völlig überraschend
geändert wurde. Finanzielle Auswirkungen sind im Fi-
nanztableau nicht ausgewiesen. Aber zumindest die Fi-
nanzpolitiker wissen schon heute – sie gehen sehenden
Auges dort hinein –, dass die Steuerberater sehr wohl un-
ter großem Beratungsdruck stehen, weil genau diese
Regelung, die Herabsetzung der Behaltefristen, unge-
heure Möglichkeiten eröffnen wird, um Steuerspar-
modelle auszuweiten. Wir können erwarten, dass es aus
diesem Grunde in den nächsten Jahren wieder zu Steuer-
ausfällen kommen wird. Rot-Grün wird dann wieder sa-
gen, dass das überhaupt nicht zu verstehen ist, dass das
völlig unerwartet kommt und dass es ihnen herzlich Leid
tut.

Das ist eine unsolide Finanzpolitik, die wir als PDS so
nicht mittragen können.


(Joachim Poß [SPD]: Da bin ich ja beruhigt! Ich wäre beunruhigt, wenn Sie zustimmen würden!)


Wir stehen für eine solide Politik mit gegenfinanzierten und
zielgerichteten Maßnahmen auch für kleine und mittelstän-
dische Unternehmen und wollen nicht immer nur Steuer-
entlastungen für die Großkonzerne. In diese Richtung set-
zen Sie nämlich die unsoziale Verteilungspolitik fort.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420901000
Wir kommen zur Ab-
stimmung. Der Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10
Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, dass
im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemein-
sam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlussemp-
fehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache
14/7780? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD,
CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stim-
men von FDP und PDS angenommen.

Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 19 a bis
19 d – Beratung mehrerer Vorlagen zur Kernenergiepoli-
tik – auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur geordneten Beendigung der Kern-
energienutzung zur gewerblichen Erzeugung
von Elektrizität

– Drucksache 14/6890 –

(Erste Beratung 190. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur geordneten Beendigung der Kern-
energienutzung zur gewerblichen Erzeugung
von Elektrizität

– Drucksache 14/7261 –

(Erste Beratung 205. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (16. Ausschuss)

– Drucksache 14/7825 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Kubatschka
Dr. Paul Laufs
Michaele Hustedt
Birgit Homburger
Dr. Winfried Wolf

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem An-
trag der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Kurt-
Dieter Grill, Cajus Caesar, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Kernenergieausstieg ohne Konzept für Energie-
politik und Entsorgung
– Drucksachen 14/6886, 14/7825 –

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Barbara Höll
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(A)



(B)


Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Kubatschka
Dr. Paul Laufs
Michaele Hustedt
Birgit Homburger
Dr. Winfried Wolf

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem An-
trag der Abgeordneten Kurt-Dieter Grill, Gunnar
Uldall, Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach), weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Deutschland muss weiterhin in der Reaktor-
sicherheitsentwicklung eine führende Rolle ein-
nehmen – Zusagen an Frankreich müssen ein-
gehalten werden
– Drucksachen 14/1212, 14/3327 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Kubatschka
Kurt-Dieter Grill
Michaele Hustedt
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem An-
trag der Abgeordneten Kurt-Dieter Grill,
Dr. Peter Paziorek, Cajus Caesar, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Zukunft der nuklearen Entsorgung –
Entsorgungskonzept jetzt vorlegen
– Drucksachen 14/4644, 14/6030 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Kubatschka
Kurt-Dieter Grill
Michaele Hustedt
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

Zum Gesetzentwurf zur Beendigung der Kernenergie-
nutzung liegen Entschließungsanträge der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen, der Fraktion der
FDP und der Fraktion der PDS vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Horst Kubatschka, SPD-Fraktion.


Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1420901100
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal eine
kurze Bemerkung zur aktuellen Situation im Bundestag:


(Dr. Peter Struck [SPD]: Genau!)

Die Technik spielt verrückt und die Abgeordneten frieren.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit hoher Wahrscheinlichkeit war es nicht vorgesehen,
dass bei kaltem Wetter die Fenster die Nacht über geöff-
net werden. Das sollte den Technikgläubigen eine War-
nung sein und zum Nachdenken anregen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Meine Damen und Herren, heute wird ein Schlussstein
zu einem wichtigen Reformwerk der rot-grünen Koalition
gesetzt. Nach 42 Jahren der Förderung der Kernenergie
beginnen wir mit dem mittelfristigen Ausstieg aus dieser
Energieart. Die Nutzung der Kernenergie hat die Gesell-
schaft in den letzten Jahrzehnten gespalten. Die Terror-
anschläge des 11. September dieses Jahres haben belegt,
wie hochempfindlich Industriegesellschaften sind. Es gibt
ein ganzes Bündel von Gründen dafür, den Ausstieg aus
der Kernenergie durchzuführen. Ich möchte einige noch
einmal in Erinnerung bringen.

Ein Restrisiko wird immer bestehen. Dieses Rest-
risiko ist zwar minimal, aber ein etwaiger Unfall hat eine
maximale Auswirkung. Es gibt weltweit kein Endlager.
Bei der Nutzung der Kernenergie entsteht waffenfähiges
Material. Atombomben sind seit 56 Jahren der Inbegriff
menschlicher Albträume. Nach dem Ende des Kalten
Krieges waren solche Albträume mehr und mehr aus un-
serem Bewusstsein verschwunden. Nach dem 11. Sep-
tember hat Präsident Bush mehr Anstrengungen gegen die
weltweite Proliferation gefordert.

Die benötigten Rohstoffe sind endlich; die Reichweite,
auch bei Uran, ist absehbar. Wir haben es mit einer Tech-
nik zu tun, bei der Fehler unermessliche Folgen haben.
Aus diesen Gründen ist die große Hoffnung auf techni-
sche Entwicklungen, auf Fortschritte in der Technik, eine
Hoffnung, die uns nicht weiterführt. Der absolut sichere
oder inhärente Reaktor ist nach wie vor ein Traum der
Techniker, der sich nicht erfüllen wird. Die Transmutation
besteht auf dem Papier. Es ist fraglich, ob sie ein erfolg-
reicher Weg ist. Frankreich räumt ihr keine Chance ein.

Die zehnte Novelle zum Atomgesetz bringt folgende
Änderungen: Der Förderungszweck, der seit 1959, also
seit 42 Jahren, bestanden hat, wird aufgehoben. Stattdes-
sen setzen wir auf eine sichere Beendigung der Nutzung
der Kernenergie. Die Berechtigung des Leistungsbetriebs
bei Kernkraftwerken erlischt, wenn eine festgesetzte
Elektrizitätsmenge produziert wurde. Diese produzierte
Elektrizitätsmenge entspricht einer durchschnittlichen
Laufzeit der Kernkraftwerke von 32 Jahren.

Der Bundestag geht davon aus, dass die Kernkraft-
werke diese Strommenge zügig produzieren und die
Strommenge abarbeiten. Eine Kaltreserve AKW wird es
laut Betreiber nicht geben.

Wir werden keine weiteren Neubauten von Kernkraft-
werken zulassen,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


auch keine Neubauten für Prozesswärme und Wärme, wie
sie plötzlich auftauchen. Sie liegen jenseits jeder wirt-
schaftlichen Vernunft.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Präsident Wolfgang Thierse

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(C)



(D)



(A)



(B)


Ab dem 1. Juli 2005 werden wir außerdem die Abgabe
von abgebrannten Brennelementen zur Wiederaufberei-
tung beenden. Auch dies ist ein wichtiger Schritt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Statt aufzuarbeiten und damit große Mengen von waffen-
fähigem Material zu erzeugen, werden wir die direkte
Endlagerung durchführen. Die direkte Endlagerung ist
auch preiswerter als die Wiederaufbereitung.

Um unnötige Transporte, die bekanntlich gesellschaft-
lich sehr umstritten sind, zu minimieren, werden wir an
den Standorten Zwischenlager schaffen. Diese Zwi-
schenlager sind vor Ort heiß umstritten. Es gibt manche
Sankt-Florians-Jünger, die zwar den Betrieb der Kern-
kraftwerke gutheißen, aber gegen die Zwischenlager sind.
Dazu kommt, dass von unseriösen Politikern – auch und
vor allem aus Bayern –


(Peter Dreßen [SPD]: Und Baden-Württemberg!)


und Verbandsvertretern die Angst geschürt wird, es ent-
stünden quasi Endlager. Dies ist nicht der Fall. Die Zwi-
schenlager sind von den Betreibern nur für einen Zeit-
raum von 40 Jahren beantragt.


(Zuruf von der CDU/CSU: „Nur“!)

Das Bundesamt für Strahlenschutz wird die Zwischen-
lager auch nur für 40 Jahre genehmigen.


(Zuruf von der CDU/CSU: „Nur“!)

Aus diesem Grund mussten wir keine Regelung über die
Zwischenlagerdauer ins Gesetz schreiben. Die Genehmi-
gungsbehörde muss gegebenenfalls in die Lage versetzt
werden, die Zwischenlagergröße an der produzierten
Strommenge zu orientieren.

Des Weiteren ist in der zehnten Novelle vorgesehen,
dass periodische Sicherheitsüberprüfungen stattfinden.
Damit wird der Sicherheitsstand der Anlagen erhöht. Es
ist schon erstaunlich, dass der Gesetzgeber damals in sei-
ner Euphorie für die Kernkraft diese periodischen Sicher-
heitsüberprüfungen nicht vorgesehen hat.

Wir werden außerdem die Deckungsreserve erhöhen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei dieser hoch-

riskanten Technik darf es keinerlei Abstriche an der
Sicherheit geben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Sicherheit der Bevölkerung muss das oberste Gebot
beim Betrieb der Anlagen sein. Der Kollege Ruck hat bei
der letzten Diskussion über die Kernkraft in diesem Ho-
hen Haus den Atomausstieg als Torpedo gegen die Si-
cherheit der Kernkraftwerke bezeichnet. Wer so spricht,
hat kein Vertrauen in die Atomaufsicht der Länder und des
Bundes und müsste eigentlich für das sofortige Abschal-
ten der Kernkraftwerke eintreten. Für die Sicherheit bis
zum Abschalten der letzten Atomkraftwerke sind zuerst
die Betreiber und dann die Aufsicht verantwortlich. Das

aufsichtsrechtliche Instrumentarium reicht so wie bisher
aus.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kritiker des Kern-
kraftausstieges monieren auch die in ihren Augen lange
Laufzeit von 32 Jahren. Wer so argumentiert, hat nicht
zur Kenntnis genommen, dass bei uns die Atomkraft-
werke eine unbefristete Betriebsgenehmigung haben.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420901200
Kollege Kubatschka,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?


Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1420901300
Ja, natürlich.

(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Morgenstund hat Gold im Mund!)



Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1420901400
Herr Kollege Kubatschka,
Sie haben eben darauf verwiesen, dass verschiedene Ver-
bände, aber auch andere Mitbürger Angst wegen der Zwi-
schenlagerung schürten. Erinnere ich mich richtig, dass
Sie vor einigen Jahren der Hauptschürer waren,


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

dass Sie entschieden dagegen gekämpft und die entspre-
chende Politik immer angeprangert haben? Was hat Ihren
plötzlichen Sinneswandel herbeigeführt, sodass Sie sich
nun anders äußern als damals?


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Sehr gut!)



Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1420901500
Herr Kollege, Sie erinnern
sich an Äußerungen, die ich vor Jahren gemacht habe.


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Und Sie haben sie vergessen!)


Ich habe mich in Landshut, zehn Kilometer von zwei
Kernkraftwerken entfernt – ich kann aus meinem Haus,
aus meinem Zimmer die Kühlfahne sehen –,


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Och!)


natürlich dafür ausgesprochen, dass wir keine dezentra-
len Zwischenlager errichten. Ich habe aber gleichzeitig
gesagt: Ich bin in diesem Fall ein Sankt-Florians-Politi-
ker. Dazu habe ich mich bekannt. Ich habe gesagt: Ich ver-
trete die Interessen dieses Raumes; deswegen wäre es mir
lieber, wenn es woanders gebaut würde.


(Lachen und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es gibt aber auch andere Argumente, Herr Kollege. Wir
wollen die Transporte minimieren. Sie sind gesellschaft-
lich umstritten. Mit der dezentralen Zwischenlagerung
können wir die Transporte minimieren. Das ist ein guter
Weg.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Horst Kubatschka
20708


(C)



(D)



(A)



(B)


Denn es wäre sinnlos, zum Beispiel nach Gorleben zu
transportieren, wenn das Zwischenlager Gorleben gar
nicht in Betrieb kommt,


(Walter Hirche [FDP]: Das Zwischenlager ist in Betrieb!)


weil es die Standzeit von 1 Million Jahren nicht bietet.
Dann müsste der Atommüll von dort wieder abtranspor-
tiert werden. Mit den dezentralen Zwischenlagern können
wir Transporte minimieren.

Bei der ganzen Sache wird auch vergessen, dass die
Bundesregierung – damals noch unter gelb-roter Verant-
wortung – und ein Ministerpräsident Franz Josef Strauß
bereits 1980 gesagt haben, dass weitere Zwischenlager
notwendig sind, weil die jetzigen nicht ausreichen. Zwi-
schenlager mussten also gebaut werden.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Genau das haben wir gesagt! – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: „Nur nicht bei mir!“)


– Nur nicht bei mir, natürlich.

(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)


Das ist doch, Herr Kollege Schauerte, das Problem: dass
wir vor Ort eine Ablehnung haben. Die Leute, die von
vornherein gegen die Kernenergie sind, sagen: Wir sind
für die Abschaltung der Anlagen, wir sind gegen die Zwi-
schenlager. Das ist für mich logisch. Aber die CSU-Poli-
tik, sich gegen Zwischenlager zu wenden und gleichzeitig
unbegrenzt Kernkraftwerke betreiben zu wollen, ist nach
meiner Meinung der Skandal.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Peter Dreßen [SPD]: Und noch neue bauen!)


Ich bin immer für ein möglichst schnelles Ende der
Kernkraft gewesen. Bei einer solchen Lösung – das gebe
ich zu, und das vertrete ich draußen – muss ich teilweise
gegen die Interessen meines Raumes handeln.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Hier spricht ein wahrer Held!)


Ich stehe das auch durch und halte es letzten Endes in der
Gesamtsicht für richtig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der geplante unbe-
fristete Betrieb von Kernkraftwerken war damals nur in
einer Zeit der Kernenergie-Euphorie möglich. Deutsch-
land wird wahrscheinlich das Land sein, das sich als ers-
tes komplett aus der Kernenergie verabschiedet und damit
ein Beispiel setzt. Aber wir sind ja nicht allein in Europa.
Die Mehrheit der EU-Länder ist auch bereits ausgestiegen
oder wird aussteigen.

Es wird auch immer wieder argumentiert, dass
Deutschland eine zukunftsträchtige Technik verbieten
wolle. Die Kernenergie ist aber nicht zukunftsfähig. Das
habe ich eingangs ausgeführt. Die Industrie selbst hat sich
aus der Kernenergie verabschiedet.


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: So ein Schmarren!)


– Nein, das ist kein Schmarren! Sie kennen die Zahlen
nicht, Herr Ruck. Seit 1980, also seit 21 Jahren, ist in
Deutschland kein Kernkraftwerk mehr bestellt worden.


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: So ein Wunder!)


Keine Firma stellt mehr Kernkraftwerke in Deutschland
her. Dafür sind in Deutschland die Windenergie und die
Photovoltaik eine Hoffnung geworden – dank der Politik
der Bundesregierung –,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


und es wurden zahllose Arbeitsplätze geschaffen.
Das Auslaufen der Kernenergie in einer mittelfristigen

Zeitspanne bietet aber auch gleichzeitig die Möglichkeit
und die große Chance, die Energiewende bei uns zu voll-
ziehen. Mit dem Dreiklang „Energiesparen, rationeller
Energieeinsatz und erneuerbare Energien“ müssen wir die
Energieversorgung bei uns auf neue Füße stellen und neue
Strukturen schaffen. Wir haben die drei rot-grünen Regie-
rungsjahre bereits genutzt, um vor dem Ausstieg aus der
Kernenergie den Einstieg in die Energiewende auf den
Weg zu bringen. Dieser Weg wird politisch nicht einfach
sein. Querschüsse werden erfolgen. Wir werden damit
aber Arbeitsplätze schaffen und unsere Energieversor-
gung nachhaltig machen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der zehnten No-
velle des Atomgesetzes legen wir auch einen Entschlie-
ßungsantrag der Regierungskoalition vor. Aus diesem
Entschließungsantrag möchte ich nur einen Punkt heraus-
greifen: Wir fordern den Bundesminister auf, in der nächs-
ten Legislaturperiode einen nationalen Entsorgungsplan
vorzulegen. Dieser Entsorgungsplan muss fortgeschrieben
werden. Alle vier Jahre muss die Regierung vor dem Parla-
ment Rechenschaft ablegen, wie weit wir in der Frage ei-
nes nationalen Endlagers gekommen sind. Wir brauchen
ein dauerhaft sicheres Endlager in tiefen geologischen
Schichten in Deutschland. Diesen nach Jahrzehnten der
Kernenergienutzung immer noch fehlenden Schlussstein
müssen alle Beteiligten mit Nachdruck und in gemeinsa-
mer Verantwortung so bald wie möglich setzen.

Mit diesem Gesetz haben wir den Ausstieg aus der
Kernenergie eingeleitet. Es ist absehbar, wann in
Deutschland das erste Kernkraftwerk seinen Leistungsbe-
trieb einstellen wird. Voraussichtlich wird das im Jahre
2003 das Kernkraftwerk in Stade sein. Es ist aber auch
vorhersehbar, wann in Deutschland das letzte Kernkraft-
werk seinen Betrieb einstellt.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Bitte nicht festlegen, Herr Kollege!)


Ein großes Reformwerk von Rot-Grün ist eingeleitet.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Die SPD-Fraktion wird den Ausstieg aus der Kernenergie
weiterhin kritisch begleiten und unterstützen.

Ich danke für das Interesse.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Horst Kubatschka

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Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420901600
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Klaus Lippold, CDU/CSU-Fraktion.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Es bleibt einem heute Morgen aber auch nichts erspart!)



Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1420901700
Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die
Entscheidung über den Atomausstieg stellt ein wesentli-
ches Stück Energiepolitik dar und ist von großer Bedeu-
tung. Das macht deutlich, dass wir uns mit der Energie-
politik dieser Regierung generell auseinander setzen
müssen, insbesondere vor dem Hintergrund, was sie für
die derzeitige wirtschaftliche Situation und für die wei-
tere Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland be-
deutet. Man muss ganz nüchtern sehen, dass es im Mo-
ment die Tendenz zur Rezession gibt und dass die
Arbeitslosigkeit steigt; in absehbarer Zeit wird es 4,5 Mil-
lionen Arbeitslose geben. Das steht im Widerspruch zum
Kanzlerwort.


(Zuruf des Abg. Peter Dreßen [SPD])

Wie wirkt nun – vor dem Hintergrund dieses Kanzler-
wortes – die Energiepolitik dieser Koalition auf die wirt-
schaftliche Entwicklung?

Ich will ganz deutlich sagen: Das, was Sie eingeleitet
haben, führt zu einer ganzen Reihe von zusätzlichen
Belastungen, die ich nur ganz kurz ansprechen möchte:
Im Bereich der Kraft-Wärme-Kopplung wird es zusätzli-
che Belastungen für die Verbraucher und die Wirtschaft
von 8 Milliarden DM geben und im Bereich der Solar-
energie steigen die Belastungen für die Verbraucher und
die Wirtschaft um 9 Milliarden DM.


(Monika Ganseforth [SPD]: Das ist doch gar nicht wahr!)


– Entschuldigung, dann müssen Sie den Energiebericht
Ihres Wirtschaftsministers lesen; denn er hat zusätzlich
hineingeschrieben, dass es in diesem Bereich, wenn die
Entwicklung so weitergeht und die Belastungen im inter-
nationalen Vergleich zusätzlich darauf gesattelt werden,
zu einem Um- bzw. Abkippen kommen kann. Das muss
man sehen; denn das ist die Tendenz. – Die Belastungen
hören nicht auf, die nächste Stufe der Ökosteuer zeichnet
sich ab. Dadurch ergeben sich Belastungen von weiteren
5 Milliarden DM. Rechnet man das hinzu, was Sie uns
bisher schon zugemutet haben, kommen auf die deutsche
Wirtschaft Belastungen von insgesamt 35 Milliarden DM
zu.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich gehe jetzt auf das ein, was im Energiebericht Ih-

res Wirtschaftsministers, den das Kanzleramt aus Grün-
den, denen nachzugehen wäre, erst einmal für Monate
storniert hat, nachzulesen ist: Er warnt davor, dass das von
Ihnen verfolgte Energieszenario in den nächsten 20 Jah-
ren eine zusätzliche Belastung von 500Milliarden DM für
die deutsche Wirtschaft mit sich bringen wird. Das steht
im Energiebericht des Bundeswirtschaftsministers
Müller!

Sie haben sich damit kritisch auseinander gesetzt, es
aber nicht widerlegt. Müller hat gesagt, dass man sehr
wohl sehen müsse, was das für die Wettbewerbsfähig-
keit der deutschen Wirtschaft bedeute. Dies sei in der Ko-
alition so weder diskutiert, analysiert noch abschließend
beraten worden. Das heißt, Sie machen Schnellschüsse,
ohne sich genau zu überlegen, welche Konsequenzen da-
raus resultieren.


(Zuruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD])

Da sich der Wirtschaftsminister nur mit den Konse-

quenzen für die Wirtschaft und nicht mit denen für die
Verbraucher auseinander gesetzt hat, sage ich Ihnen:
Diese 500Milliarden DM werden sich in zusätzlichen Be-
lastungen für den Verbraucher in Höhe von jährlich
3 000DM niederschlagen. Sie muten dem Verbraucher zu,
dass er zwar gelegentlich kleinste Entlastungen erhält,
aber durch die Ökosteuer und in allen anderen Bereichen
belastet wird. Sie gefährden Arbeitsplätze und unterstüt-
zen die Tendenz im Arbeitsmarktbereich, die weiterhin
auf eine wachsende Arbeitslosigkeit hindeutet. Das heißt,
die Fehlentwicklungen, die wir beobachten, werden ver-
schärft.

Was bedeutet das – neben der wirtschaftlichen Ent-
wicklung – für den Klimaschutz? Mit dem Ausstieg aus
der Kernenergie müssen Sie eine CO2-Reduktion in Höhevon rund 100Millionen Tonnen ersetzen. Sie glauben, Sie
könnten das allein durch eine Energiewende und eine Ef-
fizienzrevolution. Auch hier setzt der Wirtschaftsminister
in seinem Bericht ein Fragezeichen.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wo ist er eigentlich?)


Er zweifelt an, dass – erstens vor dem Hintergrund Ihrer
Politik im Steinkohlen- und Braunkohlenbereich und
zweitens vor dem Hintergrund Ihrer Politik im Kernener-
giebereich – die von Ihnen vorgesehenen Ziele überhaupt
zu halten sind. Das heißt, nicht ich, sondern der Wirt-
schaftsminister zweifelt an. Das Klimaschutzziel wird
durch Ihre Politik infrage gestellt; es ist so nicht haltbar.

Was bedeutet unser Ausstieg aus der Kernenergie ge-
nerell für die Sicherheit von Kernenergie? Auch wenn
wir aussteigen, wird es die Kernenergie um uns herum
weiterhin geben. Das bedeutet: Die Kraftwerke mit der
höchsten Sicherheit werden nach Ihren Vorstellungen ab-
geschaltet, während die Kraftwerke um uns herum – sie
weisen eine wesentlich geringere Sicherheit auf – am
Netz bleiben. Was für ein Beitrag zur internationalen Si-
cherheitsphilosophie ist das? Die Kernkraftwerke, die
schlechter sind als unsere, bleiben, die sicheren werden
abgeschaltet.

Ein Treppenwitz der Weltgeschichte ist, dass Sie darü-
ber hinaus auch noch den Export von Kernenergieanlagen
in Dritte-Welt-Länder gestatten, damit dort Kernkraft-
werke weiterhin gebaut werden können. Was soll das? In
Deutschland sagen Sie Nein, in den Dritte-Welt-Ländern
Ja. Das ist keine Philosophie, die trägt, und keine Grund-
lage für eine vernünftige wirtschaftliche Entwicklung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120710


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Wir müssen sehen, dass das Ziel der Versorgungs-
sicherheit dadurch ebenso beeinträchtigt wird. Wir gehen
davon aus, dass wir mit der Kernenergie Möglichkeiten
haben, Energierohstoffe gut, preiswert und relativ einfach
zu lagern. Wenn wir darauf verzichten, ist ein weiterer Teil
des Energiemixes gefährdet. Die Versorgungssicherheit
ist gefährdet; die Importabhängigkeit nimmt zu.

Was sagt Ihr Wirtschaftsminister zu dem Gesamtbe-
reich in seinem Energiebericht?


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wo ist er eigentlich? – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Ja, wo ist er?)


Das ist immer so.

(Zuruf von der CDU/CSU: Er darf nicht mehr kommen!)

Er verlautbart nach draußen wunderschöne Dinge. Wirt-
schaftler glauben ihm, dass er etwas umsetzen wird. Wenn
es darum geht, durchzukämpfen, was er umsetzen wollte,
fällt er um oder ist nicht da.

Ich will aber in diesem Zusammenhang ganz deutlich
sagen: Der Wirtschaftsminister hat zu Recht darauf hin-
gewiesen, dass wir den Stromerzeugungsstandort Bun-
desrepublik Deutschland durch Ihre Vorgehensweise ten-
denziell gefährden. Das bedeutet, dass wir nicht nur
höhere Energiepreise haben und damit unsere Wettbe-
werbsfähigkeit beeinträchtigen werden, sondern wir ge-
fährden nach Aussage Ihres, nicht unseres Wirtschaftsmi-
nisters den Produktionsstandort für Strom in der
Bundesrepublik Deutschland. Das heißt: Gefährdung und
Wegfall weiterer Arbeitsplätze. Das lassen wir in dieser
Form so nicht durchgehen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Überheben Sie sich aber nicht!)


Ich sage ganz klar und eindeutig: Herr Trittin, Sie
freuen sich zu früh. Wir werden das, was Sie als dauer-
haften Kernenergieausstieg bezeichnen, wieder rückgän-
gig machen.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 2020!)


Wir werden dadurch einen Beitrag leisten, zu einer we-
sentlich besseren Situation zu kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Kanzlerkandidat ist ja noch gar nicht geboren!)


Es ist deutlich zu sehen: Die Effizienzrevolution, die
Sie angesprochen haben, ist als Alternative so nicht rea-
lisierbar. Das, was in den vergangenen Jahren an Effi-
zienzsteigerung geleistet wurde – so der Energiebericht
des Bundeswirtschaftsministers –, ist unter der CDU/
CSU-Regierung geleistet worden. Unter der CDU/CSU-
Regierung gab es die höchste Energieeffizienzrate in Eu-
ropa und der OECD. Dem haben Sie bislang noch nichts
hinzufügen können. Sie halten an bestimmten Positionen
fest, die wir aufgebaut haben. Früher haben Sie gesagt,
unsere Klimaschutzziele seien zu gering. Heute überneh-

men Sie sie und vertreten dies in Verbindung mit dem
Kernenergieausstieg als fortschrittliche Politik. So lässt
sich dies nicht machen und darstellen.

Lassen Sie mich noch eines zu der Frage sagen: Wie
sieht die Wirtschaft die Position, die Sie vertreten? Da
wird ganz eindeutig argumentiert: Es ist die Auffassung
führender Wirtschaftskreise, dass der Ausstieg aus der
Kernenergie und die im Reduktionsszenario angenom-
mene Verdrängung heimischer Steinkohle und Braun-
kohle die Versorgungsrisiken erhöhen, die Wettbewerbs-
fähigkeit belasten und gleichzeitig Arbeitsplätze
gefährdet. Deshalb wird von der Wirtschaft eine Wende
Ihrer Energiepolitik eingefordert, die für falsch gehalten
wird. Ich meine, Sie sollten auf diesen neutralen Sachver-
stand hören und überdenken, was Sie jetzt vorhaben.


(Christoph Matschie [SPD]: Die Wirtschaft ist nicht nur die Atomwirtschaft! Es gibt auch noch andere!)


Der vorgesehene Ausstieg ist energiepolitisch und si-
cherheitspolitisch verfehlt und umweltpolitisch kontra-
produktiv. Das heißt, von dem magischen Dreieck, das der
Wirtschaftsminister in seinem Energiebericht angespro-
chen und als strategisches Zieldreieck benannt hat, sind
alle drei Positionen stark verletzt oder gefährdet. Lassen
Sie diese Vorgehensweise sein! Da Sie davon in Ihrer stör-
rischen Art aber nicht abzubringen sind, bleiben wir da-
bei: Wir werden das rückgängig machen, was Sie versu-
chen, in Szene zu setzen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420901800
Ich erteile der Kolle-
gin Michaele Hustedt, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420901900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Grü-
nen war der Ausstieg aus der Atomkraft ein Grün-
dungsthema. Wir sind unter anderem aus der Anti-AKW-
Bewegung entstanden. Viele von uns waren in Brokdorf,
in Grohnde, in Wackersdorf, in Wyhl oder im Wendland
und haben dort demonstriert.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben ja ein richtiges Langzeitgedächtnis! – Zurufe von der SPD)


– Auch einige von der SPD waren dabei. Später waren es
dann ein paar mehr.


(Horst Kubatschka [SPD]: In Wackersdorf waren wir in der Mehrheit!)


Aber für die Grünen ist es ein besonderes Thema. Die
PDS geht mit dem Atomausstieg taktisch um. Die SPD hat
später gelernt. Für uns war das ein Gründungsthema. Des-
wegen ist das ein ganz großer Tag für uns.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)


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Wir haben ein großes Reformprojekt auf den Weg ge-
bracht. Wir fangen an, den großen Fehler der Vergangen-
heit, in die Atomkraft überhaupt eingestiegen zu sein, zu
korrigieren.

Da Herr Solms den Unterschied zwischen Restlaufzei-
ten und Gesamtlaufzeiten noch nicht verstanden hat, sage
ich deutlich: In der nächsten Legislaturperiode werden die
ersten Atomkraftwerke aufgrund des Konsensbeschlusses
und aufgrund dieses Gesetzes vom Netz gehen. Nach
circa 12 Jahren wird ungefähr die Hälfte aller heute be-
triebenen Atomkraftwerke nicht mehr am Netz sein und
nach circa 20 Jahren wird in Deutschland kein Atom-
kraftwerk mehr betrieben werden. Damit ist Deutschland
das Land, das im weltweiten Vergleich am schnellsten aus
der Atomkraft aussteigt. Ich finde, das ist ein Grund, stolz
zu sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Walter Hirche [FDP]: Das Gegenteil ist wahr!)


Herr Lippold, Sie haben angekündigt, den Atomaus-
stieg rückgängig machen zu wollen. In diesem Zusam-
menhang muss ich Ihnen sagen: Die Totenglöckchen für
die Atomenergie haben schon lange vorher geläutet. 1982
– also vor 20 Jahren – hat man das letzte AKW gebaut.
Seitdem gibt es keinen Antrag mehr zum Bau eines neuen
AKWs; auch in der Regierungszeit von CDU/CSU und
FDP wurde kein Antrag gestellt.


(Walter Hirche [FDP]: Weil wir genug Kapazität haben!)


– Herr Hirche, das gilt ja nicht nur für Deutschland. Das
gilt für ganz Europa.

Wir haben damit schon lange einen Fadenriss, und
zwar aufgrund der Überlegung der Industrie, dass sich die
Atomtechnologie wirtschaftlich nicht rechnet und in
Deutschland nicht akzeptiert wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420902000
Kollegin Hustedt, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lippold?


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420902100

Ja.


Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1420902200
Frau
Kollegin Hustedt, ist es richtig, das der Bundeswirt-
schaftsminister in verschiedenen Diskussionsrunden und
in verschiedenen Verlautbarungen deutlich gemacht hat,
dass die Option Kernenergie auch in Zukunft gewähr-
leistet sein muss, und dass das im Grunde genommen
nichts anderes bedeutet, als dass auch er sagt, in Zukunft
könne Kernenergie in unterschiedlicher Form vermutlich
wieder ausgesprochen sinnvoll eingesetzt werden? Kriti-
sieren Sie also Ihren Bundeswirtschaftsminister, dem Sie
bei der Vorlage seines Energieberichts vorgeworfen ha-
ben, er würde sich nur für eine Vorstandsposition bei Eon
interessieren?


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420902300

Ich glaube, es besteht ein Unterschied. Wir verbieten nicht
die Forschung; die Industrie kann weiter forschen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Wozu? – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Im Sandkasten!)


Selbstverständlich kann die Entscheidung bei anderen
Mehrheitsverhältnissen auch rückgängig gemacht wer-
den. Herr Müller – das ist der Unterschied zu Ihnen – will
die Entscheidung aber nicht rückgängig machen. Sie ha-
ben angekündigt, Sie wollten den Beschluss rückgängig
machen. Sie stehen aber völlig allein da. Auch die Indus-
trie möchte die Entscheidung nicht rückgängig machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben seit über 20 Jahren kein AKWmehr gebaut.
Es war zu Zeiten einer schwarz-gelben Koalition, als Herr
Pilz von Veba zu Herrn Kohl gegangen ist und mit der Be-
gründung, es gebe für die Kernenergie in Deutschland an-
scheinend keine Akzeptanz, um Energiekonsensge-
spräche gebeten hat und dargelegt hat, die Industrie sei für
ein geordnetes Auslaufen der Nutzung von Kernenergie.

Daraus schließe ich, dass die Industrie die von dieser
Regierung getroffene Entscheidung nicht rückgängig ma-
chen will und dass nur Sie ideologisch an der Atomkraft
festhalten wollen. Alle anderen in dieser Republik haben
eingesehen, dass die Nutzung der Atomkraft ein Irrtum
war, der nun geordnet behoben werden soll.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie führen als weiteres Argument jetzt immer an, bei
den Restlaufzeiten sei die Sicherheit nicht mehr gewähr-
leistet. Ich wäre mit einem solchen Argument sehr vor-
sichtig. Von den Betreibern höre ich solche Argumente
nicht. Verantwortlich für die Sicherheit von Atomkraft-
werken ist nicht die Bundesregierung, sondern der jewei-
lige Betreiber. Wenn die Sicherheit nicht gewährleistet ist,
darf der jeweilige Betreiber die gefährliche Technologie
nicht mehr nutzen. Deswegen wäre ich mit einem solchen
Argument sehr vorsichtig.

Ich gehe davon aus, dass wir in unserem Gesetz einen
dynamischen Sicherheitsstandard haben, der sich nach
dem Stand der Technik entwickeln wird. Wenn ein solcher
Standard nicht gewährleistet werden könnte, wäre es un-
verantwortlich – das sehen die Betreiber genauso wie ich –,
diese Anlagen weiter zu betreiben.

Es wird natürlich auch eine Diskussion über die Frage
geben müssen: Welche Konsequenzen ziehen wir aus dem
11. September? Ich finde es sehr gut, dass das Umwelt-
ministerium sehr schnell reagiert hat und entsprechende
Überprüfungen in Auftrag gegeben hat, die wir Anfang
nächsten Jahres auswerten werden. Aber schon jetzt ist
klar: Einen absoluten Schutz vor solchen Terroranschlä-
gen wie dem vom 11. September kann und wird es nicht
geben. Solche Anschläge können leider nicht ausge-
schlossen werden. Wer bereit ist, Flugzeuge zu entführen
und 5 000 Menschen zu töten, der kann durchaus auch be-
reit sein, ein AKWvon innen oder von außen anzugreifen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Michaele Hustedt
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Das muss einem große Sorgen machen. Das hat nichts mit
Panikmache zu tun.

Absolute Sicherheit lässt sich zwar nicht garantieren.
Aber angesichts der Tatsache, dass es auch in anderen Be-
reichen keine absolute Sicherheit gibt – zum Beispiel gibt
es auch keine gegen Flugzeugentführungen –, können wir
über relative Sicherheit nachdenken. Es deutet sich schon
jetzt an, dass es Unterschiede zwischen den AKWs im
Hinblick auf die Lage und vor allem auf die Sicherheits-
standards gibt. Manche Anlagen sind überhaupt nicht ge-
gen Flugzeugabstürze gesichert. Andere Anlagen sind da-
gegen schon besser gesichert. Ich glaube, hier müssen wir
ansetzen: Die älteren Anlagen müssen genauer untersucht
werden. Es ist zu überlegen, ob wir nicht durch ein fle-
xibles Vorgehen – denkbar wären je nach Anlagentyp kür-
zere oder längere Laufzeiten – die älteren Atomkraft-
werke schon früher vom Netz bekommen, um die relative
Sicherheit zu erhöhen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Abschließend möchte ich noch ein paar Worte zum Zu-
sammenhang zwischen Atomausstieg und Klimaschutz
sagen. Man darf sich nichts vormachen: Eine Reduktion
des Umfangs der CO2-Emissionen um 25 Prozent ist dochnicht das Ende. Bedenken Sie: Klimaschutzziele sind
doch keine grüne Marotte, sondern eine naturwissen-
schaftlich begründete Notwendigkeit, wenn wir unseren
blauen Planeten bewahren wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn wir darüber hinausgehende ambitionierte Ziele
verwirklichen wollen – die UN fordert, dass die Industrie-
nationen bis 2050 den Umfang ihrer CO2-Emissionen um80 Prozent reduzieren –, dann ist klar, dass man das nicht
auf ausgelatschten Pfaden, mit alten Technologien, errei-
chen kann. Wir brauchen vielmehr eine völlig neue Struk-
tur, eine völlig neue Herangehensweise und völlig neue
Technologien für unsere Energiewirtschaft. Das bedeutet,
dass wir eine dezentrale Energiewirtschaft brauchen,
deren erstes Ziel es sein muss, vor Ort so viel Energie wie
möglich einzusparen. Ich nenne nur die Stichwörter
„Nullenergiehaus“ und „Nullemissionenfabrik“.

Des Weiteren muss vor Ort möglichst viel Energie
durch Nutzung regenerativer Energieträger wie Bio-
masse, Wind und durch Geothermie produziert werden.


(Walter Hirche [FDP]: Das hilft der Industrie überhaupt nicht!)


– Auch der Industrie kann das selbstverständlich helfen,
weil durch dezentrale Einheiten, die mit Brennstoffzellen
und Mikroturbinen arbeiten und die in virtuellen Kraft-
werken zusammengeschaltet werden, auch der Grund-
und Spitzenlastbereich abgedeckt werden kann.


(Walter Hirche [FDP]: Wir haben morgen eine virtuelle Wirtschaft, wenn Sie so weitermachen! Aber die Arbeitslosen sind real!)


RWE zum Beispiel ist mit ersten großen Pilotprojekten in
diese neuen Technologien eingestiegen. Nur Sie, die Sie

auf alte Kohle- und Atomtechnologien fixiert sind, wollen
die innovativen Technologien nicht zur Kenntnis nehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Struktur der Zukunft besteht darin, vor Ort Energie
einzusparen – ein Einsparpotenzial von 30 bis 40 Prozent
ist möglich – und in dezentralen Einheiten umweltfreund-
lich zu produzieren. Diese Struktur ist wirtschaftlich
innovativ, modern und umweltfreundlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Walter Hirche [FDP]: Warum meinen Sie, dass kein Wirtschaftspolitiker der Fraktionen der SPD und der Grünen hier sitzt? – Zuruf von der CDU/CSU: Wenn man wüsste, was man redet, wäre es ja gut!)


– Das sagen Sie der Richtigen! In diesem Haus würde
außer Ihnen niemand meine Kompetenz in der Energie-
politik bezweifeln.

Ich sage Ihnen Folgendes: Wer auf altbekannte Pfade
setzt, wer zum Beispiel sagt, dass wir auf die Kohle set-
zen müssten, der wird einen wesentlich teureren Weg ein-
schlagen. Noch immer werden im Bund und in den Län-
dern zusammen 8 Milliarden DM pro Jahr für
Steinkohlesubventionen ausgegeben. So teuer ist keine
Klimaschutzstrategie. Laut VIK, dem Verband der
Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft, verursachen
das EEG und die Förderung der KWK zusammen ledig-
lich Mehrkosten in Höhe von 0,2 Pfennig pro Kilowatt-
stunde. Damit haben wir im Bereich der erneuerbaren
Energien schon 120 000 neue Arbeitsplätze geschaffen,
also in einer Zukunftsbranche, die große Exportchancen
hat.

Durch unsere Politik beweisen wir, dass Klimaschutz
durchaus eine Strategie für wirtschaftlichen Erfolg sein
kann. Damit regen wir Innovationen an, schaffen Arbeits-
plätze und schützen gleichzeitig unsere Umwelt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420902400
Kollegin Hustedt, las-
sen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grill zu?


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420902500

Ja, legen Sie los, Herr Grill.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420902600
Herr Grill, bitte.


Kurt-Dieter Grill (CDU):
Rede ID: ID1420902700
Frau Kollegin
Hustedt, richtet sich die Kritik, die Sie zur Kohlepolitik
und zum Bau von Großkraftwerken geäußert haben, auch
an den Bundeskanzler, der sich für den Bau von Groß-
kraftwerken auf Steinkohle- und Braunkohlebasis erst
kürzlich wieder ausgesprochen hat?


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420902800

Fakt ist, dass die SPD zur Kohlepolitik ein Stück weit eine

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Michaele Hustedt

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andere Position als wir Grüne vertritt. Das ist doch keine
Neuigkeit.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für den Grill ist das schon eine Neuigkeit!)


Jeder – auch wir – weiß, dass das so ist. Betrachten Sie die
Politik der rot-grünen Bundesregierung! Was haben wir
gemacht? Wir haben ein Gesetz zur Förderung der erneu-
erbaren Energien auf den Weg gebracht, das weltweit die
beste Förderung erneuerbarer Energien darstellt und eine
ungeheure Dynamik hervorgerufen hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben eine Energieeinsparverordnung auf den Weg
gebracht, die vorschreibt, dass bei Neubauten ein Drittel
weniger Energie eingesetzt werden soll. Wir haben – trotz
der engen Haushaltslage – ein Altbausanierungspro-
gramm, mit dem wir 300 000 Altbauten sanieren werden,
auf den Weg gebracht.


(Monika Ganseforth [SPD]: Das 100 000-Dächer-Programm!)


Wir haben ein Gesetz zur Förderung der
Kraft-Wärme-Kopplung auf den Weg gebracht, um effizi-
ente Technologien im Bereich der fossilen Energien, in-
klusive der Brennstoffzelle, zu fördern.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Walter Hirche [FDP]: Und wenn der Kanzler ein neues Großkraftwerk eröffnet, laufen Sie im Schlepptau hinterher!)


Das ist die gemeinsame rot-grüne Energiepolitik. Ich
finde, damit kann man sich sehen lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist der eindrucksvollste Beweis der PISA-Studie!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420902900
Ich erteile das Wort
der Kollegin Birgit Homburger, FDP-Fraktion.


Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1420903000
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Mit dem Gesetz zur geordneten
Beendigung der Kernenergienutzung diskutieren wir heute
den so genannten Atomausstieg und schließen diese De-
batte damit vorläufig ab. Trotzdem bleiben viele Fragen
offen, die die Bundesregierung nach wie vor nicht beant-
wortet hat. Im Zentrum steht die Frage, wie die rot-grüne
Bundesregierung die Energieversorgung eines Industrie-
landes wie der Bundesrepublik Deutschland bei gleichzei-
tiger Erreichung des Klimaschutzziels sicherstellen will.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist nicht nur eine nationale, sondern auch eine in-
ternationale Frage, weil die Bundesrepublik Deutschland
internationale Verpflichtungen beim Klimaschutz über-
nommen hat. Deshalb haben wir vonseiten der FDPmehr-
fach darauf hingewiesen, dass man, wenn man den Aus-

stoß an Treibhausgasen wirklich verringern will, ein
schlüssiges Energiekonzept braucht. Genau daran fehlt es.
An kaum einer Stelle zeigen sich die Kurzsichtigkeit und
die Konzeptionslosigkeit rot-grüner Politik so deutlich
wie bei der Energieversorgung und beim Klimaschutz.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das wurde bestätigt, als der Wirtschaftsminister – es ist
bemerkenswert, dass das Wirtschaftsministerium es nicht
für nötig erachtet, einen Vertreter zu schicken;


(Zuruf von der FDP: Allerdings! Schon wieder!)


das zeigt, welche Bedeutung man dem beimisst – vor we-
nigen Tagen den Energiebericht vorgestellt hat. Dieser
Bericht hat erneut bestätigt, dass ein Ausstieg aus der
Kernenergie auf Kosten des Klimaschutzes gehen wird.


(Ulrich Kelber [SPD]: Quatsch!)

– Natürlich, Herr Kollege Kelber. Der Bericht zeigt zwei
Szenarien auf: Das eine Szenario geht davon aus, dass
man auf Gas und Kohle ausweicht; das andere Szenario
geht davon aus, dass man auf Gas und erneuerbare Ener-
gien ausweicht. Beide Szenarien gehen also davon aus,
dass Gas als fossiler Energieträger massiv genutzt wird.
Daher muss die Nutzung dieser Energieträger ausgewei-
tet werden, wenn Sie die Kernenergie ersetzen wollen.
Das geht voll zulasten des Klimaschutzziels.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Walter Hirche [FDP]: Und verursacht volkswirtschaftliche Kosten in ungeheurer Höhe! – Ulrich Kelber [SPD]: Sie haben ihn nicht gelesen!)


– Ich habe den Bericht sogar am Platz liegen.

(Ulrich Kelber [SPD]: Lesen müssen Sie ihn, nicht am Platz haben!)

– Ich kann ihn Ihnen vorlesen, wenn Ihnen das hilft.

Frau Kollegin Hustedt, es ist bemerkenswert, wenn Sie
mit Blick auf den Zwischenruf des Kollegen Hirche fest-
stellen, dass wir auf Kohle setzen. Wenn sich jemand für
den Abbau von Subventionen bei der Kohle eingesetzt
hat, dann ist es die FDP.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Was ist mit Herrn Möllemann?)


Es ist aber nicht nur der Bärendienst am Klimaschutz,
den wir bei diesem Gesetzentwurf kritisieren. Was heißt
denn eigentlich Atomausstieg?, müssen Sie sich fragen
lassen. Ihre Wähler haben doch längst gemerkt – das wis-
sen Sie ganz genau –, dass das, was Sie als Atomausstieg
verkaufen wollen, in Wahrheit der Weiterbetrieb der
Kernkraftwerke über Jahrzehnte ist. Der so genannte
Atomausstieg – das müssen Sie sich sagen lassen, Herr
Trittin – ist eine Fata Morgana für die grüne Klientel und
Sie betätigen sich als Illusionskünstler.


(Beifall bei der FDP und der PDS – Horst Kubatschka [SPD]: Warum kämpfen Sie denn dagegen?)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Michaele Hustedt
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(B)


Wenn die Kernenergie nach Ihrer Meinung so unverant-
wortbar riskant ist, Herr Kubatschka, und wenn es, wie
das in Ihrem Entschließungsantrag behauptet wird, um
den Schutz des Lebens und der Umwelt geht, dann kann
ich Ihnen nur raten: Stimmen Sie dem Entschließungsan-
trag der PDS zu und machen Sie den Atomausstieg sofort!
Das wäre eine konsequente Haltung.


(Beifall bei der FDP und der PDS)

Das tun Sie aber natürlich nicht, und zwar deswegen

nicht, weil Sie ganz genau wissen, dass Sie auf die Nut-
zung der Kernenergie angewiesen sind; sonst würden Sie
eine konsequentere Haltung an den Tag legen. Sie wissen
ganz genau, was es bedeutet, wenn Sie das täten. Dann
würde Strom aus anderen Ländern importiert,


(Zuruf von der SPD: Das ist doch gar nicht das Problem!)


und zwar aus Kernkraftwerken, oder Sie müssten massiv
auf fossile Energieträger zurückgreifen und das Klima-
schutzziel gänzlich aufgeben. Solange Kernenergie wirt-
schaftlich produziert werden kann,


(Ulrich Kelber [SPD]: Sie wird schon jetzt subventioniert!)


wird sie produziert werden und wird auch nach Deutsch-
land kommen. Das Problem besteht dann nur darin, dass
sie nicht mehr aus sicheren deutschen Kernkraftwerken
kommt, sondern aus Kernkraftwerken in angrenzenden
Ländern, auf die Sie keinen Einfluss mehr haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Was sagen Sie zur Subvention, die für Atomstrom stattfindet?)


Wir haben in unserer unmittelbaren Nachbarschaft unge-
fähr 100 kerntechnische Anlagen. Sie ignorieren das. Sie
versuchen im Übrigen, Ihre Wählerinnen und Wähler für
dumm zu verkaufen. Die Folgen Ihrer Politik sind deswe-
gen auch verheerend.

Die anderen Länder – das müssten Sie sich schon ein-
mal angucken – beschreiten einen völlig anderen Weg.


(Horst Kubatschka [SPD]: Das stimmt nicht! Sie nehmen auch nur einige Länder wahr, die Ihnen passen!)


Sie treiben die technologische Entwicklung voran. An der
Verbesserung der Sicherheit moderner Reaktoren wird
laufend wissenschaftlich gearbeitet. Ich nenne nur Stich-
worte: Transmutationsverfahren oder Entwicklung von
Verfahren mit geringerem radioaktiven Abfall. Das be-
schäftigt die internationale Forschung und Entwicklung.


(Horst Kubatschka [SPD]: Frau Kollegin, denken Sie an die Fenster des Bundestags!)


Deswegen unterstützt die FDP mit allem Nachdruck die
Forderung, dass es keine Abstriche bei der Sicherheit
kerntechnischer Anlagen geben darf.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Walter Hirche [FDP]: Selbstverständlich! – Horst Kubatschka [SPD]: Das stimmt!)


Frau Kollegin Hustedt, Sie weisen darauf hin, dass ein
Kernkraftwerk, das nicht sicher ist, nicht betrieben wer-
den darf. Ich sage dazu: Das ist heute schon Fakt. Wenn
nämlich ein Kernkraftwerk den Bestimmungen nicht ent-
spricht und die Sicherheitsvorschriften nicht eingehalten
werden, dann wird diesem Kernkraftwerk die Betriebsge-
nehmigung entzogen. Das ist heute geltendes Recht.


(Ulrich Kelber [SPD]: Wie in Philippsburg bei der CDU/FDP-Regierung!)


Deswegen ist die Tatsache, dass eine Betriebsgeneh-
migung bisher nicht entzogen worden ist, der Beweis
dafür, dass auch die rot-grüne Bundesregierung diese
Technologie für sicher hält.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Was sagt Sankt Florian dazu?)


Dann will ich noch einer Legendenbildung vorbeugen,
Herr Kollege Kubatschka. Sie haben vorhin so davon ge-
schwärmt, dass Sie die periodische Sicherheitsüberprü-
fung per Gesetz einführen. In der Tat wird das jetzt
gesetzlich geregelt und festgeschrieben. An dieser Stelle
finden Sie uns auch an Ihrer Seite.


(Horst Kubatschka [SPD]: Das ist ja was!)

Ich weise aber einfach darauf hin, dass es die Sicher-
heitsüberprüfungen auch bisher schon gab.


(Horst Kubatschka [SPD]: Nicht dieser Art!)

Sie schreiben lediglich den bisherigen Zustand fest.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Horst Kubatschka [SPD]: Das stimmt nicht!)


Deswegen ist es für uns wichtig, noch einmal festzuhal-
ten, dass es mit dem, was Sie machen, nicht ein Mehr an
Sicherheit gibt.

Im Übrigen schreiben Sie im Vorspann Ihres Gesetz-
entwurfs selber, dass Sie für den verbleibenden Zeitraum
des Betriebs der Kernkraftwerke das hohe Sicherheitsni-
veau erhalten wollen. Jetzt frage ich Herrn Minister Trittin
einmal, was er eigentlich dafür tut.


(Horst Kubatschka [SPD]: Zum Beispiel Philippsburg nachbessern!)


Was ist denn jetzt eigentlich der Zustand? Sie haben
keine klare energiepolitische Alternative. Trotzdem ver-
bieten Sie mit diesem Gesetzentwurf eine Technologie
und hängen Deutschland von der internationalen Ent-
wicklung ab.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Walter Hirche [FDP]: Wie beim Transrapid!)


Damit erreichen Sie einen dramatischen Kompetenzver-
lust und einen schweren Schaden für die internationale
Kooperation zwischen Deutschland und den Partnerlän-
dern. Der deutsche Einfluss in internationalen Gremien
wird schwinden. In den Fragen, wie man Kernkraftwerke
sicherer machen und die Menge radioaktiven Abfalls re-
duzieren kann, wird Deutschland künftig schlichtweg
nichts mehr zu melden haben. Das ist das Ergebnis Ihrer
Politik.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Birgit Homburger

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Wir haben in der Anhörung gehört,

(Walter Hirche [FDP]: Sankt Florian Kubatschka, das haben wir vorhin gehört!)


dass es in Deutschland zwischenzeitlich für diesen Be-
reich ein Viertel weniger Lehrstühle gibt, dass die Zahl
der Ausbildungsreaktoren innerhalb von zehn Jahren von
14 auf vier zurückgeschraubt worden ist. Das ist die Wir-
kung, die Sie erzielen. Sie werden mit dieser Politik an
deutschen Hochschulen eine Wüstenlandschaft hinterlas-
sen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen bei der SPD – Horst Kubatschka [SPD]: Sie kennen die deutschen Hochschulen anscheinend nicht!)


Dabei brauchen wir nichts mehr als kerntechnische
Kompetenz: bei den Kraftwerksbetreibern, bei den Auf-
sichtsbehörden der Länder, beim Bundesamt für Strahlen-
schutz und auch beim Umweltministerium. In all diesen
Bereichen brauchen Sie Personal.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Was ist aus der FDP geworden! Ich kann mal aus alten Beschlüssen von früher zitieren! Da hat der Hirche auch noch Beiträge für den Ausstieg geliefert!)


Es wird geschätzt, dass wir bis zum Jahre 2010 ungefähr
1 000 solcher Fachkräfte brauchen. 1999 gab es in diesem
Bereich insgesamt 65 Hochschulabsolventen. Die Zahl
für 2000 wird noch geringer sein. Herr Minister Trittin,
das ist Ihr trauriger Beitrag zur Sicherheit kerntechnischer
Anlagen und zur Zukunftsfähigkeit Deutschlands als
Standort für Wissenschaft und Forschung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Auch wenn die Frage des Baus weiterer Kernkraft-

werke in Deutschland derzeit nicht aktuell ist, muss die
Option zur künftigen Nutzung der Kernenergie offen ge-
halten werden. Forschung und Entwicklung in diesem Be-
reich müssen weitergeführt werden, weil nur so ein siche-
rer Weiterbetrieb der Anlagen gewährleistet werden kann.

Im Übrigen war Deutschland immer das Land, das
auch international dafür gesorgt hat, dass die Sicherheits-
standards steigen. Auch diese Aufgabe können wir künf-
tig nicht mehr wahrnehmen.


(Christoph Matschie [SPD]: Aber natürlich und das werden wir auch!)


Es gibt noch einen weiteren Punkt, den ich aber nicht
mehr im Detail ausführen kann,


(Christoph Matschie [SPD]: Dann machen Sie einen Punkt! – Weiterer Zuruf von der SPD: Und tschüss!)


nämlich die Entsorgung. Sie haben kein Entsorgungskon-
zept. Das haben wir mehrfach diskutiert. Auch hier ver-
suchen Sie, den Leuten etwas vorzugaukeln. Aus all die-
sen Gründen sieht die FDP zum gegenwärtigen Zeitpunkt
keine Alternative dazu, die Kernenergie in Deutschland
als Übergangsenergie weiterhin zu nutzen. Deshalb leh-

nen wir Ihren Gesetzentwurf ab und fordern Sie auf, dem
Deutschen Bundestag ein Konzept vorzulegen, das die
Energieversorgung sicherstellt und gleichzeitig dazu
beiträgt, das Klimaschutzziel zu erreichen, und das der
Verantwortung Deutschlands gerecht wird.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420903100
Ich erteile dem Kolle-
gen Winfried Wolf, PDS-Fraktion, das Wort.


Dr. Winfried Wolf (PDS):
Rede ID: ID1420903200
Sehr geehrter Präsident!
Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass die
Abgeordneten von CDU/CSU und FDP die Debatte sehr
kurzatmig führen. Ich glaube vor allem, dass die Vertrete-
rin der Grünen und der SPD-Vertreter die Debatte taktisch
führen.

Ich möchte noch einmal nüchtern, ernst und verant-
wortungsbewusst feststellen: „Energiewirtschaft auf Ba-
sis von Atomkraft hat keine Zukunft. Sie ist riskant und
voller Zynismus gegenüber unseren Kindern und Kindes-
kindern. Die Stromversorgung in Deutschland wäre auch
sichergestellt, wenn alle Reaktoren mit Atomkraft sofort
abgestellt würden.“ – Das ist ein Zitat aus dem Programm
der Grünen für die Bundestagswahl 1998 und nicht aus
früheren Zeiten.

Diese Einsichten, die hier im Programm der Grünen
1998 festgehalten wurden, sind in den Auseinanderset-
zungen gewonnen worden, die die Kollegin Hustedt ge-
nannt hat: in den Kämpfen von Brokdorf, Grohnde,
Wackersdorf, Kalkar bis hin zu Gorleben und dem Wend-
land. Das heißt, dass die Grünen sicherlich ein Produkt
dieser Bewegung sind. Das heißt aber auch, dass die an-
deren Parteien sich dem nie entziehen konnten. So musste
zum Beispiel die CDU-Regierung in Niedersachsen unter
Albrecht sagen: Ein Endlager ist in Niedersachsen nicht
durchsetzbar. Die Bayerische Staatsregierung musste sa-
gen: Wackersdorf ist nicht durchsetzbar. Die NRW-Re-
gierung musste sagen: Kalkar ist nicht durchsetzbar.

Das oberste Gericht in unserem Land, das Bundesver-
fassungsgericht in Karlsruhe, hat dem im Jahre 1978 mit
dem Kalkar-Urteil Rechnung getragen. Die Essenz in
drei Punkten:

Erstens wurde gesagt: Wenn es zu einer Katastrophe
kommt, ist das Ausmaß von Schäden bei Atomkraftwer-
ken so groß, dass anders als bei sonstigen risikoträchtigen
Industrieanlagen zu verfahren ist. Hier geht der Schutz
des Lebens vor dem Schutz des Eigentums.

Zweitens wurde festgestellt: Unfälle in Atomreaktoren
mit Kernschmelze müssen technisch ausgeschlossen wer-
den. Geht das nicht, müssen Atomanlagen abgeschaltet
werden und dürfen keine neuen Betriebsgenehmigungen
erteilt werden.

Drittens wurde festgestellt: Das Restrisiko kann defi-
niert werden. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe
hat gesagt, dass nur Szenarien „jenseits der Schwelle
praktischer Vernunft“, also hypothetische Ereignisse, ak-
zeptabel sind und dass alles andere technisch ausge-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Birgit Homburger
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schlossen werden muss oder entsprechende Anlagen nicht
akzeptierbar sind.

Spätestens seit der Risikostudie wissen wir, dass die
Wahrscheinlichkeit für einen Reaktorunfall bei 2 Prozent
in 30 Jahren bei 19 Atomkraftwerken liegt. Das ist eine
sehr hohe Wahrscheinlichkeit. Dieses Risiko wurde spä-
testens mit dem Fast-GAU in Harrisburg im Jahr 1979
und mit der Atomkatastrophe in Tschernobyl im Jahr 1986
ganz deutlich unterstrichen. Das heißt, Kollege
Kubatschka, dass Sankt Florian überall und nicht nur ir-
gendwo in Landshut ist. Es stimmt also, was die Mehrheit
der Bevölkerung meint, dass Atomkraftwerke generell ab-
geschaltet werden müssen.


(Beifall bei der PDS)

Diese Ausgangslage hatten wir bereits im Jahr 1998,

als Rot-Grün gewählt wurde. Die Frage ist natürlich: Was
ist die Bilanz dreieinhalb Jahre später? Wir stellen fest,
Herr Minister Trittin, dass wir dreieinhalb Jahre ein „Wei-
ter so!“ erlebt haben, zum Teil mit massivem Polizei-
einsatz im Wendland. Wir stellen fest, dass das Ausstiegs-
gesetz genau so ist, wie die Kollegin Homburger gesagt
hat. Es regelt im Grunde für 20 und mehr Jahre ein „Wei-
ter so!“. Drei, vier oder fünf Legislaturperioden kann
„weiter so“ gemacht oder das Rad wieder zurückgedreht
werden. Für die Konzerne gibt es durch übertragbare Pro-
duktionsrechte und eine extreme Unterversicherung der
Atomkraftwerke sogar noch ein Zuckerl oben drauf, wo-
mit Atomstrom noch einmal billiger gemacht wird. Das
ist auch der Hintergrund dafür, dass die Kraft-Wärme-
Kopplung gegenüber der Atomkraft nicht konkurrenz-
fähig ist. In meinem Wahlkreis in Mannheim zum Bei-
spiel ist Kraft-Wärme-Kopplung konkret gefährdet, weil
Electricité de France und Energieversorgung Baden-
Württemberg Atomstrom aus Frankreich nach Mannheim
leiten werden.

Wenn man sich die Praxis in Atomkraftwerken an-
sieht, die eine systematische Verletzung elementarer Si-
cherheitsregeln dokumentiert, wenn man bedenkt, dass
der damalige Staatsminister Fischer im Jahr 1994 im Bun-
destag dargelegt hat, was alles im Block A in Biblis pas-
siert ist, wenn man sich überlegt, was von Ihnen, Herr
Trittin, im Oktober dieses Jahres in Bezug auf Philipps-
burg festgestellt wurde, wo nach zwei Wochen Betrieb in
drei von vier Notkühlbecken das Bor, ein wichtiger Zu-
satzstoff, wenn es um die Sicherheit geht, gefehlt hat und
wo eine Überprüfung durch Ihr Ministerium ergab, dass
dort 17 Jahre lang mit voller Absicht gegen Vorschriften
im Betriebshandbuch verstoßen wurde, wird klar, dass
diese Missachtung von elementaren Sicherheitsvorschrif-
ten in den vorhandenen Atomkraftwerken gang und gäbe
ist.

Herr Trittin, vor einigen Wochen konnten Sie noch das
Management von Philippsburg nach Berlin zitieren. Da-
mit wird eine Entwicklung hin zu mehr Unsicherheit do-
kumentiert, weil demnächst Philippsburg zur Electricité
de France gehören wird und es nicht mehr so einfach sein
wird, den Manager aus Paris nach Berlin zu zitieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es stellt sich die
Frage, warum die Bundesregierung ihre eigenen Zielset-

zungen nicht realisiert, und ich frage, ob das Folgende zu-
treffen könnte, dass nämlich „diese Bundesregierung sich
einer Energielobby unterworfen hat, die auf der Basis ei-
ner zentralistischen Großkraftwerkstruktur ihre Macht ab-
gesichert hat“. Das Zitat habe ich wiederum dem Pro-
gramm der Grünen aus dem Jahr 1998 entnommen.


(Beifall bei der PDS – Zuruf von der SPD: Jetzt haben Sie uns aber erwischt!)


Ich glaube, dass man nach den September-Terrorakten
sicherlich neu diskutieren muss, möchte aber auch beto-
nen, dass es das, was im September in New York und Was-
hington passiert ist, zum Teil auch vorher schon gab. Es
gab Bombenanschläge auf französische AKWs in den Jah-
ren 1975 und 1976. Am 11. November 1972 wurde in den
USA eine Verkehrsmaschine entführt, die auf ein Atom-
kraftwerk abstürzen sollte, und die USA haben das durch
die Zahlung von 10 Millionen Dollar Lösegeld verhindert.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hat einen ehr-
lichen Satz, der lautet: Diese Regelungen dienen der „Be-
friedung eines tief greifenden gesellschaftlichen Kon-
flikts“. Ich sagte schon: Die Regelungen heißen im
Grunde „Weiter so!“, der Konflikt in der gesamten Ge-
sellschaft ist real. Aber im Grunde ist es so, dass Ihr „Wei-
ter so!“ nicht den gesellschaftlichen Konflikt regelt, son-
dern konkret nur individuelle Karriereposten realisiert.

Wir fordern deswegen, dass eine wirkliche Befriedung
in der Gesellschaft stattfindet. Wir fordern deshalb die
Vorlage eines Gesetzes für einen schnellstmöglichen Aus-
stieg aus der Atomkraft. Wir stimmen darin mit den Um-
welt- und Naturschutzverbänden wie IPPNW, Greenpe-
ace, BUND, DNR und Robin Wood überein.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420903300
Kollege Wolf, Sie
müssen zum Ende kommen.


Dr. Winfried Wolf (PDS):
Rede ID: ID1420903400
Ich bin beim letzten Satz,
Herr Präsident. – Das heißt auch, dass man damit den
Mehrheitsverhältnissen in der deutschen Bevölkerung
Rechnung trägt, die davon ausgeht, dass dieses Restrisiko
unerträglich und nicht akzeptabel und zynisch ist.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420903500
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Michael Müller, SPD-Fraktion.


Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1420903600
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Am 20. Oktober 1998 hat die
rot-grüne Regierung vereinbart, zu einem geordneten
Ausstieg zu kommen und diesen umfassend und unum-
kehrbar zu regeln.


(Walter Hirche [FDP]: Unumkehrbar ist Gott sei Dank nichts!)


Im Gegensatz zu Ihren Ausführungen, Herr Lippold – ich
kann auch Herrn Hirche ergänzend nennen –, ist fest-
zustellen, dass die reale Auseinandersetzung in der
Bundesrepublik darum geht: Gibt es ein Auslaufen der

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Winfried Wolf

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(C)



(D)



(A)



(B)


Atomenergie oder einen geordneten Ausstieg? Dazu sa-
gen wir: Der geordnete Ausstieg ist auf jeden Fall nicht
nur notwendig, sondern auch politisch und wirtschaftlich
sinnvoller.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie glauben doch nicht im Ernst, in Deutschland könnte
noch einmal ein neues Atomkraftwerk gebaut werden;
erst recht nicht vor dem Hintergrund der von Ihnen mit Ih-
rer damaligen Mehrheit beschlossenen Atomgesetzno-
velle von 1993/94, in der Sicherheitskriterien festgelegt
werden, die technisch nicht erfüllt werden können. Von
was reden Sie eigentlich?

Meine Damen und Herren, wir sind am Ende eines teu-
ren und riskanten Irrtums angekommen, eines Irrtums, der
die Bevölkerung gespalten hat und leider auch die Zukunft
noch dauerhaft belasten wird. Wir sind am Ende eines
Weges, an dessen Anfang die Bombe stand. Am 3. Dezem-
ber 1942 begann er mit dem Reaktor von Fermi in Chicago,
in kürzester Zeit folgten die Atombombe und die Katastro-
phen von Hiroschima und Nagasaki. Hier wurden die
Grundlagen für das Atomprogramm gelegt, aus dem dann
1953 durch Eisenhower das Programm „Atom für den Frie-
den“ hervorging. 1961 begann dann in der Bundesrepublik
die Atomenergienutzung mit der Netzsynchronisation des
Versuchsreaktors in Kahl. Dieser eingeschlagene Weg geht
jetzt glücklicherweise zu Ende. In Wahrheit gibt es für ihn
in der Bevölkerung schon lange keine Mehrheit mehr. End-
lich sind wir in der Lage, auch den Mehrheiten, die in der
Bevölkerung schon lange vorherrschen, politisch Ausdruck
zu verleihen. Das ist ein Fortschritt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist bedauerlich, dass auf diesem Weg Harrisburg und
Tschernobyl stehen mussten. Man darf den Blick sogar
nicht auf diese beiden Unfälle reduzieren. Alleine zwi-
schen 1992 und 1995 gab es in der ehemaligen Sowjet-
union 380 schwere Zwischenfälle in Atomkraftwerken.
Der Aussage, das liege an der maroden Technik des
Ostens, ist der Hinweis entgegenzusetzen, dass in den
90er-Jahren auch mindestens zehn schwere Unfälle in den
Atomkraftwerken Japans zu verzeichnen waren. Dieses
Land ist nun wirklich nicht rückständig. Die Wahrheit ist:
Diese Technologie kann aus Sicherheitsgründen auf Dauer
nicht verantwortet werden; denn die Schäden eines mögli-
chen Unfalls sind unvertretbar, weil sie in der zeitlichen
und räumlichen Dimension quasi unbegrenzt bleiben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Meine Damen und Herren, wir haben um den Fahrplan
für den Ausstieg hart gerungen. Es gibt keinen Zweifel,
dass die Koalitionsfraktionen es sehr viel lieber sehr viel
schneller gehabt hätten. Im Kern handelt es sich bei vie-
len AKWs auch nur um ein Auslaufen; auch das muss man
sehen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Trotzdem handelt es sich vor dem Hintergrund der Ausei-
nandersetzung mit einer Branche, die wie keine andere in
der Bundesrepublik in den letzten Jahrzehnten gesetzlich
und ökonomisch privilegiert wurde, um einen großen
Kraftakt. Auf den Erfolg im Kraftakt können wir somit
stolz sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wie kein anderer Bereich stand die Atomwirtschaft
schon immer etwas außerhalb der normalen marktwirt-
schaftlichen Ordnung. Sie ist immer in besonderer Weise
abgesichert worden. Deshalb war es umso schwerer, hier
Veränderungen einzuleiten. Wir bedauern das, aber wir
haben trotzdem einen Weg gefunden, der dadurch schlüs-
sig wird, dass Ausstieg und Einstieg in einem engen Zu-
sammenhang stehen.

Meine Damen und Herren, der Ausstieg aus derAtom-
energie ist keine Willkür und auch keine neue Belastung.
Er ist eine ökonomische, ökologische und politische Not-
wendigkeit, zu der wir stehen. Im Übrigen ist die Bun-
desrepublik auf diesem Gebiet kein Exotenland. Viele
Länder steigen aus der Atomenergie aus. Denken Sie nur
an die USA: Von den großen Plänen, die Herr Cheney
noch vor kurzer Zeit verkündet hat, ist nichts übrig ge-
blieben. Im Gegenteil, jeder, der über den Tag hinaus-
schaut, weiß, dass wir in Zukunft ein Energiesystem brau-
chen, das vor allem mit der heutigen verschwenderischen
Energieversorgung bricht und auf Dauer risikoarm ist.
Das hat nicht zuletzt der 11. September gezeigt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nirgendwo auf der Welt ist die Entsorgung geregelt,
nirgendwo auf der Welt kann man sich vor militärischem
Missbrauch der Atomtechnologie schützen und nirgend-
wo auf der Welt gibt es eine Logik, die zum Klimaschutz
kommt, wenn sie an verschwenderischen Strukturen fest-
hält. Es war doch eine der wesentlichen Erkenntnisse der
Klimaberichte, dass es nicht um einen Austausch von
Energieträgern geht, sondern dass ein verschwenderi-
sches System nicht durch ein anderes verschwenderisches
System ersetzt werden darf. Es geht um einen völligen
Bruch der Energielogik, die ins Zentrum stellt, mit mög-
lichst wenig Energie auszukommen. Dies ist ein ganz an-
derer Gedankenansatz, den aber viele anscheinend bis
heute noch nicht begriffen haben. Das ist moderne Ener-
giepolitik; diesen Weg wollen wir gehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Frau Homburger, auf diesem Weg war Ihre Partei auch
schon einmal wesentlich weiter. Ich erinnere nur an Ihre
Beschlüsse zum Ausstieg. Aber das ist wohl – wie soll ich
es sagen? – bei einer so flexiblen Partei ein Teil ihrer Fle-
xibilität.


(Birgit Homburger [FDP]: Na, na, na!)

Meine Damen und Herren, die schwierige Aufgabe, vor

der wir heute stehen, muss natürlich auch vor dem Hinter-
grund der gewaltigen Überkapazitäten gesehen werden. In
dieser Auseinandersetzung geht es nicht allein um unter-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Michael Müller (Düsseldorf)

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(A)



(B)


schiedliche Energiepolitiken, sondern auch um erhebliche
Machtinteressen. Abgeschriebene Atomkraftwerke sind
für viele ein Goldesel, den man erhalten will. Darin liegt
ein großes Problem, nicht in der Technikgläubigkeit. Ge-
nau dadurch ist die Politik gefordert. Dem kommen wir
nach, indem wir eine neue Energiestruktur aufbauen.


(Zuruf des Abg. Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU])


Die Atomwirtschaft ist im Kern ein Teil des Energie-
systems des letzten Jahrhunderts, das auf großen Kraft-
werken mit umfangreichen Netzstrukturen und Lastzen-
tren zur Verteilung der Energie aufbaut. Wofür haben wir
denn den technischen Fortschritt bei den Informations-
technologien, wenn nicht dazu, dezentrale, kleine, sehr
viel umweltverträglichere und effizientere Strukturen
miteinander zu vernetzen und zu koppeln? Das ist die ei-
gentliche Chance unserer Zeit: mit der gewaltigen Ener-
gie- und Ressourcenabhängigkeit brechen, die auf Dauer
weder ökonomisch noch beschäftigungspolitisch oder
ökologisch sinnvoll ist.

Wir haben heute die Chance dazu. Wäre die Atom-
energie alternativlos, wäre die Situation anders, aber sie
ist nicht alternativlos. Im Gegenteil: Wir haben die
Chance, ein modernes Energiesystem auf der Basis von
Solarwirtschaft und Effizienzstrategien aufzubauen. Wir
können es aber nur aufbauen, wenn wir mit der heutigen
Struktur brechen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, hier wurde mehrfach der
Energiebericht angesprochen. In der Tat kommt die Ener-
giestudie, die für das Bundeswirtschaftsministerium ge-
macht wurde, bis zum Jahre 2030 zu einer Kostenbelas-
tung von 500 Milliarden DM, wobei man hinzufügen
muss, dass zwei Drittel dieser Kosten auf den Verkehrs-
sektor entfallen. Ich hätte erwartet, dass das vorhin offen
gelegt worden wäre. Interessant ist aber, dass dasselbe
Ministerium vor einem Jahr eine Klimaschutzstudie auch
unter der Annahme des Ausstiegs aus der Atomenergie ge-
macht hat, die nicht nur zu einer CO2-Reduktion um45 Prozent kommt, sondern wirtschaftlich in der Gesamt-
rechnung sogar ein Plus errechnet.


(Walter Hirche [FDP]: Die kommen eben auch zu neuen Erkenntnissen, Herr Müller!)


– Nein, das Entscheidende ist, wie man solche Szenarien
anlegt. Das eine Szenario beruht auf der Hochrechnung
der gegenwärtigen Situation in die Zukunft und dem
bloßen Zusammenrechnen der mit dem Ausstieg verbun-
denen Kosten. Das ökologische Szenario basiert auf der
Frage, wie aktive Energiepolitik betrieben werden kann.
Wir wollen eine aktive Energiepolitik betreiben. Das ist
der entscheidende Unterschied zwischen uns.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie müssen deshalb auf die Wenn-dann-Beziehungen
achten. Bei diesen Wenn-dann-Beziehungen kommt es
darauf an, was die Politik leisten kann. Alle weltweiten
Untersuchungen von Szenarien kommen zu dem Ergeb-
nis, dass erst der Ausstieg aus der Atomenergie – man ist
sich dabei im Klaren darüber, dass bei einem Ausstieg die

CO2-Belastungen kurzfristig ansteigen können – die Dy-namik für Einsparungen, Effizienz und Solartechnik in
Gang setzen kann. Das ist der entscheidende Unterschied.
Wir wollen diese neue Dynamik und diese neue Logik in
Gang setzen. Dies tun wir mit unserer Energiepolitik. Das
zeigt sich nicht nur am Atomausstieg, sondern auch an un-
seren anderen Programmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dies ist ein Konzept für einen neuen Fortschritt, den
wir für richtig halten. Mit diesem Fortschritt soll versucht
werden, die Risiken in einer verwundbaren Welt zu mini-
mieren. Deswegen danken wir allen, die sich an dieser Ar-
beit beteiligt haben. Lassen Sie mich in diesem Zusam-
menhang auch die Anti-Atomkraft-Bewegung erwähnen,
der wir ebenfalls zu danken haben.

In einem Punkt können Sie sicher sein: Gemeinsam
werden wir stark genug sein, um einen idiotischen Wie-
dereinstieg zu verhindern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420903700
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich dem Kollegen Hirche das Wort.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat keine Redezeit bekommen!)



Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1420903800
Herr Präsident! Herr Kollege
Müller, der Vorwurf, der sich in dieser Auseinanderset-
zung nach dem Energiebericht der Bundesregierung – ich
betone: Energiebericht der Bundesregierung – an Sie rich-
tet, ist, dass Sie Ihre Politik ohne Rücksicht auf die volks-
wirtschaftlichen Kosten betreiben. Ich habe immer ge-
sagt – dazu stehen wir auch –: In einem Marktprozess
müssen sich Energieträger an ihren Kosten beweisen.
Wenn eine Energieform dem Vergleich nicht standhält
– durchaus nach Internalisierung externer Kosten; auch
darüber müssen wir reden –, dann wird sie sich auf dem
Markt nicht behaupten können.

Die Tatsache, dass Sie ein Gesetz verabschieden, ist
Beweis genug dafür, dass Sie wissen, dass die Kernener-
gie ohne dieses Gesetz eine echte Wettbewerbschance
auch in der Zukunft hätte. Sonst würden nicht die Dis-
kussionen in Schweden, in Finnland und in einem auf-
strebenden Land wie Südafrika anders sein. Dort sind der-
zeit 20 Reaktoren zu 110 Megawatt ausgeschrieben. An
der Ausschreibung beteiligen sich leider keine deutschen
Unternehmen; es bieten nur amerikanische Unternehmen
aus dem Kernenergiebereich mit.

Wie auch immer die Situation ist: Sie versuchen – das
haben Sie zum Schluss deutlich gemacht –, die Bedin-
gungen erst politisch zu verschlechtern und einen Ener-
gieträger ins Gerede zu bringen, um dann anschließend zu
sagen, er sei nicht wirtschaftlich.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es!)

Gleichzeitig mobilisieren Sie Milliardenbeträge an
Subventionen, die die deutsche Volkswirtschaft für

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Michael Müller (Düsseldorf)


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wettbewerbsfähige Arbeitsplätze und nicht für subventio-
nierte Arbeitsplätze bräuchte.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie mobilisieren dieses Geld zulasten der Arbeitsplätze
und damit zulasten der Industrie und der Konsumenten.
Das sind Milliardenbeträge, die der deutschen Volkswirt-
schaft verloren gehen.

Stellen Sie sich doch dem Prozess, mit dem Deutsch-
land bisher seine Wettbewerbsfähigkeit in der Welt be-
haupten konnte, nämlich der sozialen Marktwirtschaft mit
ihren offenen Entscheidungsprozessen! Sie versuchen
aber mit eigenen Ideen und Staatsdirigismus, die Ent-
wicklung in eine ganz bestimmte Richtung zu lenken.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Atomenergie war der größte Staatsdirigismus!)


Ich will abschließend sagen: Ich bin nur froh, dass es
nichts gibt, was unumkehrbar ist. Die künftige Generation
wird über die Entwicklung neu entscheiden können. Das
ist das Hauptergebnis heute.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420903900
Herr Kollege Müller,
Sie haben Gelegenheit zu einer Erwiderung.


Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1420904000
Herr Hirche, an-
gesichts Ihrer Rede weiß ich, warum sich Ludwig Erhard
von den Freien Marktwirtschaftlern durch die soziale
Marktwirtschaft abgegrenzt hat. Es ist heute wichtig, eine
soziale und ökologische Marktwirtschaft zu betreiben.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich finde es schon erstaunlich, wenn man die Konzen-
trationsprozesse in diesem sehr mächtigen Industriekom-
plex schlichtweg als Wettbewerb bezeichnet. Dazu gehört
wirklich viel Mut.

Ich bleibe dabei, dass vor dem Hintergrund der großen
Herausforderungen der Zukunft, die vor allen Dingen
darin liegen, Vermeidungskosten zu mobilisieren, dezen-
trale moderne Technologien zu entwickeln, die Natur und
die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen sowie
sinnvolle Formen von Innovationen zu ermöglichen, un-
ser Weg der Modernisierung besser ist als der des bloßen
Festschreibens. Mit Ihrem Weg werden Sie scheitern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420904100
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Paul Laufs, CDU/CSU-Fraktion.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Der versteht wenigstens etwas von der Sache!)



Prof. Dr. Paul Laufs (CDU):
Rede ID: ID1420904200
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich möchte eine Vorbemerkung ma-

chen. Dies ist eine weitere beklemmende Stunde des par-
lamentarischen Niedergangs.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD – Horst Kubatschka [SPD]: Herr Laufs, etwas sachlicher! Das ist nicht Ihr Niveau! )


Es wird ein Gesetz verabschiedet, das zwischen Kanzler-
amt und Stromkonzernen auf Punkt und Komma ausge-
handelt wurde und Bestandteil eines Vertrages ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das höchste Verfassungsorgan der Bundesrepublik
Deutschland wird auf eine belanglose Notarsfunktion her-
abgewürdigt. Das Gesetzgebungsverfahren war eine Farce.


(Zuruf von der FDP: Nicht nur da!)

Im federführenden Umweltausschuss sind die einzelnen
Vorschriften schon gar nicht zur Beratung aufgerufen
worden.


(Horst Kubatschka [SPD]: Das hätten Sie ja verlangen können! Sie haben das aber nicht verlangt!)


Wir sehen deshalb keinen Sinn darin, einzelne Bestim-
mungen kritisch zu würdigen, so widersprüchlich, unlo-
gisch und verfehlt sie auch immer sind.

Die CDU/CSU-Fraktion lehnt diese Atomgesetz-
novelle vom Grundsatz her entschieden ab.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Überraschung!)


Es ist Aufgabe des Staates, den Ordnungsrahmen mit An-
forderungen des Umweltschutzes und der Anlagensicher-
heit vorzugeben und nicht, wie es hier geschieht, ganze
Technologien ohne jede Differenzierung zu verbieten.


(Ulrich Kelber [SPD]: Das ist falsch! Wir machen woanders auch Verbot von Technologie!)


Ob und wann eine Energietechnik genutzt wird, soll allein
denen überlassen bleiben, die in diesem Ordnungsrahmen
im Wettbewerb am Markt tätig sind.

Mit dem Gesetz zur Beendigung der Kernenergienut-
zung soll die Anti-AKW-Bewegung ihr Ziel in Deutsch-
land erreichen. Diese Bewegung hat ihren Ursprung im
Welt- und Lebensgefühl der revoltierenden Studenten der
60er- und 70er-Jahre.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Nein! Überhaupt nicht!)


– Lieber Herr Müller, ich erinnere mich genau, was da-
mals auf den Straßen los war. Ich gehörte nicht zu denje-
nigen, die Steine geworfen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Ich auch nicht! Was soll denn das? Das ist unglaublich! – Horst Kubatschka [SPD]: Unterstellungen! – Ulrich Kelber [SPD]: Ihr Fraktionsvorsitzender hat sogar Mülltonnen geworfen und ist im Sauerland Moped gefahren!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Walter Hirche
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(A)



(B)


Dieses Lebensgefühl war von der durchgängigen Verur-
teilung der bundesrepublikanischen Wirklichkeit geprägt
und insbesondere getragen von einer radikalen Absage an
die hoch technisierte Industriegesellschaft. In der Anti-
AKW-Bewegung fand diese emotionale Befindlichkeit
ihren symbolträchtigen Ausdruck. Sie wurde in dem
Maße auch zum Medienphänomen, wie Aktions- und De-
monstrationsformen entwickelt wurden, auf die Bildme-
dien begierig ansprechen.

Wie die Kollegin Hustedt gerade ausgeführt hat, wurde
im Gründungsprozess der grünen Partei der Antiatompro-
test zu einer Grundsäule. Man konnte und kann nicht für
Atomkraft und zugleich Mitglied der grünen Partei sein.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Alle Abwägungen und Differenzierungen sind zuguns-
ten einer kompromisslosen Eindeutigkeit aufgegeben.
Gut und Böse sind klar geschieden. Und so schürt Rot-
Grün bei jedem auch noch so kleinen Anlass mit Fleiß und
Hingabe die Furcht vor dem Atom. Jede Aufnahme von
Daten und Ereignissen erfolgt nach Maßgabe der schon
getroffenen Vorentscheidung.

Ihre unglaubliche Polemik, Herr Kollege Müller, die
friedliche Nutzung der Kernenergie in einen direkten Zu-
sammenhang mit der Atombombe zu setzen, zeigt, wie
schwach und ideologiegebunden Ihre Argumente heute
sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind doch die personifizierte Ideologie!)


Im Herbst 1999 haben viele Hundert Wissenschaftler
und Hochschullehrer der Bundesregierung vergeblich ein
Dialogangebot unterbreitet, um auf der politischen Ebene
die gewaltigen Fortschritte bei der Reaktorsicherheit und
der Neuentwicklung von Reaktortypen, bei denen gravie-
rende radioaktive Freisetzungen naturgesetzlich unmöglich
sind, sowie wissenschaftliche Fortschritte bei alternativen
Entsorgungstechniken darzustellen. Die Bundesregierung
antwortete auf meine parlamentarische Anfrage kurz und
knapp, die Ausstiegsentscheidung stehe nicht mehr zur Dis-
position. Das ist wahr. Die Wirklichkeit ist der eigentliche
Feind der Ideologie. Durch selektive Wahrnehmung wird
einfach ausgeblendet, was das Vorurteil stören könnte.
Demut vor der Sache, die Sachlichkeit erst ermöglicht, ist
Ideologen wesensfremd.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein zentrales Problem in unserem Land besteht darin,

dass wesentliche naturwissenschaftlich-technische und
wirtschaftliche Grundtatbestände nicht mehr zur Kenntnis
genommen werden.


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: So ist es!)

So ist es unausweichlich, dass in der Begründung zum
Gesetzentwurf Behauptungen aufgestellt werden, die
nicht erläutert werden und rational nicht nachvollziehbar
sind.

Besonders ärgerlich ist angesichts einer engen wissen-
schaftlichen Zusammenarbeit mit Kernenergie nutzenden
Staaten wie Frankreich, USA, Japan und anderen, dass die
Bundesregierung trotz des von ihr ausdrücklich bestä-
tigten hohen deutschen Sicherheitsstandards erklärt, eine
Neubewertung der Risiken lasse die Kernenergienutzung
auf Dauer nicht zu, und diese Neubewertung den deut-
schen und ausländischen Wissenschaftlern überhaupt
nicht verdeutlicht und begründet.

Im Übrigen passen die Vorschriften des Gesetzent-
wurfs mit der Unterstellung eines intolerabel hohen Risi-
kos nicht zusammen. Wie könnten sonst noch Laufzeiten
bis 2020 zugelassen werden?


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Da haben Sie Recht!)


Wie könnten sonst die vereinbarten Reststrommengen,
die noch erzeugt werden dürfen, ziemlich genau der ge-
samten Stromproduktion bis heute in allen deutschen
Kernkraftwerken zusammen entsprechen?

Wenn die ganze Angelegenheit nicht so kläglich wäre,
könnte man ausgesprochen begrüßen, dass die rot-grüne
Bundesregierung den von staatlichen Interventionen un-
gestörten Betrieb vieler Kernkraftwerke sowie die
erforderlichen Atomtransporte noch über Jahrzehnte hi-
naus garantiert. Genau hier ist das Junktim, das die Wirt-
schaft, die dem Atomausstieg genau wie wir widerspricht


(Horst Kubatschka [SPD]: Aber anders handelt! 21 Jahre kein Kernkraftwerk!)


– sie ist dazu gepresst worden, schlicht und einfach –,

(Christoph Matschie [SPD]: Die Wirtschaft hat das unterschrieben, Herr Laufs!)

veranlasst hat, diesen Vertrag mit der Bundesregierung zu
schließen.

Wir stellen fest: Es gibt weder neue Erkenntnisse über
Risiken noch Tatsachen noch neue Bewertungsmaßstäbe,
die eine Beendigung der Kernenergienutzung mit den ho-
hen deutschen Sicherheitsstandards nahe legen könnten.
In jüngster Vergangenheit ist vielmehr durch aufwendige
sicherheitstechnische Nachrüstung der deutschen Kern-
kraftwerke sichergestellt worden, dass auch bei schweren
Störfällen und zusätzlich unterstelltem Ausfall der
Sicherheitseinrichtungen keine großen Freisetzungen
ionisierender Strahlen, also keine Unfälle mit unabsehba-
ren Folgen, auftreten können. Hinweise auf Tschernobyl,
Herr Wolf, sind schon deshalb falsch, weil dort eine völ-
lig andere Reaktorphysik, eine gänzlich andersartige Be-
triebsweise und so gut wie keine Sicherheitstechnik ein-
gesetzt waren.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420904300
Kollege Laufs, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kelber?


Prof. Dr. Paul Laufs (CDU):
Rede ID: ID1420904400
Bitte.


Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1420904500
Herr Laufs, können Sie mir
bestätigen, dass noch vier Wochen vor dem GAU in
Tschernobyl in den Fachmagazinen in Deutschland die

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Paul Laufs

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Einführung der dortigen Technologie auch für Deutsch-
land gefordert wurde?


Prof. Dr. Paul Laufs (CDU):
Rede ID: ID1420904600
Das kann ich nicht be-
stätigen.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Das ist aber so! Lesen Sie das Interview mit Herrn Dick!)


Ich kann nur sagen, dass in solchen Magazinen berichtet
worden ist, was Kernphysiker aus Russland gesagt haben.
Es ist von deutscher Seite nicht geprüft worden, ob diese
Behauptungen der Wirklichkeit entsprachen.

Was die Entsorgung radioaktiver Abfälle betrifft, so
spricht nichts in der Sache dagegen, dass das frühere deut-
sche Entsorgungskonzept technisch und sicherheitstech-
nisch realisierbar und bereits weit fortgeschritten ist. Seit
drei Jahren warten wir darauf, dass die Bundesregierung
ihre Zweifel an der Eignung Gorlebens konkretisiert. Es
kommt aber nichts; es werden nur Zweifel zum Ausdruck
gebracht, die nicht begründet werden.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das werden wir noch sehen! – Monika Ganseforth [SPD]: Es gibt Gutachten, natürlich!)


Es ist zutiefst unverantwortlich und moralisch verwerf-
lich, dass die rot-grüne Bundesregierung ohne wirkliche
sachliche Begründung die Arbeiten in Gorleben gestoppt
und die Genehmigung des Endlagers Konrad auf die lange
Bank geschoben hat. Sie belastet damit kommende Gene-
rationen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP– HansChristian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Gegenteil ist richtig!)


Zum Klimaschutz, einem wesentlichen Aspekt einer
nachhaltigen Entwicklung, ist anzumerken, dass die
Kernkraft ein sehr großes technisch und wirtschaftlich
nutzbares Potenzial CO2-freier Stromerzeugung hat.Dass der Atomausstieg, wie von der Bundesregierung be-
hauptet, Anreize zur Umstrukturierung der Energiever-
sorgung, auch zur Erreichung der Klimaschutzziele,
schaffen werde, wird nicht verdeutlicht und bleibt gänz-
lich schleierhaft.

Auf meine parlamentarische Anfrage antwortete die
Bundesregierung vor wenigen Tagen, dass je nach unter-
stellter Substitution der Kernenergie in den Jahren bis
2020 durch Einsatz vorhandener oder neu zu errichtender
GuD-Anlagen auf Erdgasbasis sowie durch den Einsatz
von Steinkohle- und Braunkohlekraftwerke CO2-Zusatz-emissionen von jährlich bis zu 74 Millionen Tonnen – mit
rasch steigender Tendenz – entstehen werden. Dies gilt
nur für höchste Wirkungsgrade und enorme Effizienzstei-
gerungen bei der Energienutzung, die hier unterstellt wer-
den.

Wenn dagegen statt neuer Erdgas- und Kohlekraft-
werke mit massiven staatlichen Eingriffen gleichzeitig re-
generative Energien und das ehrgeizige Klimaschutzziel
durchgesetzt werden sollen – das hat Kollege Lippold

schon gesagt –, dann muss die deutsche Volkswirtschaft,
wie im Energiebericht der Bundesregierung dargelegt
wird, zusätzliche Kosten von 500 Milliarden DM auf-
bringen. Das würde die Energiekostenrechnung des
durchschnittlichen privaten Haushalts um zwei Drittel
oder real um 3 000DM jährlich erhöhen. Das ist die Wahr-
heit.


(Monika Ganseforth [SPD]: Nein!)

Dies sollten Sie der Bevölkerung in Ihren bunten Werbe-
broschüren und in Ihren Inseraten sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir kommen zu folgendem Ergebnis: Das vorliegende
Ausstiegsgesetz ist ohne rational vernünftige und nach-
vollziehbare Begründung. Es gehört zur ideologischen
Restmasse der kulturpessimistischen 68er- bis 78er-Be-
wegung.


(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Neue Mehrheiten können diesen Unsinn rückgängig ma-
chen. Ich sage Ihnen: Der politische Wechsel in Deutsch-
land wird stattfinden,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

lange bevor Rot-Grün das destruktive Werk des Ausstiegs
verwirklichen kann.


(Horst Kubatschka [SPD]: Zusammen mit der Kernindustrie!)


Darauf freuen wir uns.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Horst Kubatschka [SPD]: Herr Laufs, das war unseriös! – Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dinosaurier!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420904700
Ich erteile dem Bun-
desminister Jürgen Trittin das Wort.

Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Bevor ich mich den anregenden Gedan-
ken widme,


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

wie es uns als Restgrößen einer kulturpessimistischen Be-
wegung gelingen konnte, die deutsche Energiewirtschaft
dazu zu erpressen, dass sie den Atomausstieg akzeptiert
– wenn ich Herrn Laufs richtig verstanden habe –, möchte
ich eine Bemerkung zu dem machen, was mir aufgefallen
ist: Herr Laufs verwendet genau die gleichen Argumente
wie Herr Wolf. Das gibt mir zu denken.


(Dr. Paul Laufs [CDU/CSU]: Sie haben nicht zugehört! – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Können Sie eigentlich einmal normal sein?)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Ulrich Kelber
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(C)



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Denn an der Tatsache, dass die Bundesrepublik Deutsch-
land, obwohl wir in der Grundversorgung einen beacht-
lichen Anteil an Atomstrom haben, so schnell wie kein an-
deres europäisches Land aussteigt, führen diese
Argumente nicht vorbei.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir sind dabei nicht allein. Die Mehrheit der Mitglied-
staaten der Europäischen Union ist auf dem Weg, aus der
Atomenergie auszusteigen.


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Unsinn!)

Sie kündigen an, dass Sie den Atomausstieg rückgän-

gig machen wollen, nachdem Sie die nächste Bundes-
tagswahl gewonnen haben.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen die erst einmal gewinnen!)


Lassen Sie uns doch einmal, bevor wir über Rücknahmen
und Ähnliches sprechen, fragen: Ist denn die Kanzlerkan-
didatin oder der Kanzlerkandidat, mit dem Sie das durch-
setzen möchten, schon geboren?


(Dr. Paul Laufs [CDU/CSU]: Oje! Mit diesem billigen Argument müssen Sie hier kommen!)


Lieber Herr Laufs, bleiben wir bei den Tatsachen. Wir
beenden die Nutzung der Atomenergie. Wir verbieten
den Bau neuer Atomkraftwerke. Wir sehen eine durch-
schnittliche Restlaufzeit von heute elf Jahren vor. Wir be-
enden die Müllvermehrung durch Wiederaufarbeitung
und den Unsinn, tonnenweise Atommüll dreimal quer
durch Europa zu transportieren, obwohl ein Transport
doch ausreichen würde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das geht natürlich nicht ohne Zielkonflikte. Ich habe
gerade ein Bürgerbegehren von Niederaichbach zur
Kenntnis genommen, in dem vorgeschlagen wird, zur
Verhinderung eines Zwischenlagers das Kraftwerks-
gelände zu einem Zentrum für erneuerbare Energien um-
zugestalten. Dummerweise hat dieses Bürgerbegehren ei-
nes vergessen: vorher die Stilllegung der Anlage, die dort
läuft, zu fordern.


(Horst Kubatschka [SPD]: Das wollen die auch nicht!)


– Das wollen sie nicht.
Dazu sage ich Ihnen: Auch hier bedeutet der Atom-

konsens einen großen Schritt nach vorn. Wir machen
nämlich Schluss damit, dass mit der Produktion von
Strom durch Atomenergie im Süden Geld verdient wird
und Steuern einkassiert werden, anschließend der Müll
nach Nordrhein-Westfalen und nach Niedersachsen ver-
bracht wird, die sich dann um die Abfälle zu kümmern ha-
ben. Wir sorgen damit für ein Stück Lastenverteilung zwi-
schen Nord und Süd.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Auch dies geht nicht ohne Konflikte ab. Aber unser
Eindruck ist: Wir sind dabei, ein gewaltiges Konfliktpo-
tenzial abzubauen und einen Konflikt, der über Jahre hin-
weg mit Polizei, mit Wasserwerfern und Ähnlichem aus-
getragen wurde, auf das zurückzuführen, was getan
werden sollte,


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie waren doch mit dabei! – Ulrike Flach [FDP]: Sie standen doch in der ersten Reihe!)


nämlich die Abarbeitung eines politischen Konfliktes in
politischer Form vorzunehmen und damit ein Stück Kon-
sens in dieser Gesellschaft zu schaffen.


(Walter Hirche [FDP]: Seit Sie Nadelstreifen anhaben, müssen Sie auch auf der anderen Seite stehen!)


– Herr Hirche, Sie sollten sich eine andere Brille aufset-
zen. Mein Anzug heute verfügt über keinen einzigen
Streifen, auch keinen Nadelstreifen. Aber es freut mich,
dass er Ihnen gefällt.


(Heiterkeit bei der SPD)

Meine Damen und Herren, Fakt ist, dass Atomkraft-

werke die offene Gesellschaft sehr verwundbar machen,
verwundbarer, als wir alle es uns wünschen. Übrigens
halte ich es auch unter diesem Aspekt für richtig, dass wir
eine Energiewende eingeleitet haben, die gerade auf er-
neuerbare Energien und auf mehr Energieeffizienz setzt.
In keinem Windfeld kann es durch Fahrlässigkeit zu einer
Kernschmelze kommen.

Wenn wir über Sicherheit von Energieversorgung in der
Bundesrepublik Deutschland, über Versorgungssicherheit,
über Verminderung von Importabhängigkeit, reden, dann
können wir nicht Importprodukte wie Kohle, Gas, Öl und
Uran gegeneinander ausspielen, sondern dann gibt es eine
ganz einfache Grundweisheit: Das, was uns am zuverläs-
sigsten von Energieimporten unabhängig macht, ist die Nut-
zung erneuerbarer Energien; denn sie sind hier verfügbar.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Meine Damen und Herren, wir müssen dies tun, wenn
wir dem Klimawandel begegnen wollen. Das ist der
Grund, warum wir gegen Ihren wütenden Widerstand
beim Erneuerbare-Energien-Gesetz – und wir werden es
auch bei den Regelungen zur Kraft-Wärme-Koppelung
erleben – sagen: Wir wollen den Anteil der erneuerbaren
Energien bis 2010 verdoppeln. Wir wollen mehr Energie-
effizienz. Wo waren Sie denn, als wir die hoch effizienten
Gas-und-Dampf-Kraftwerke von ihrer steuerlichen Be-
nachteiligung gegenüber Atomkraftwerken und gegen-
über Kohlekraftwerken befreit haben?


(Birgit Homburger [FDP]: Was war das für ein Kompromiss, Herr Trittin!)


Da haben Sie dagegen gestimmt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Und was ist heute der Fall? Was glauben Sie denn, wo-

her die Gasturbinen kommen, mit denen in Kalifornien
die Energiekrise bekämpft wird? Sie wird nicht mit

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Bundesminister Jürgen Trittin

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Atomkraftwerken bekämpft. Sie wird mit Gasturbinen be-
seitigt, die in Deutschland entwickelt und konstruiert wor-
den sind, weil wir hier die Bedingungen dafür geschaffen
haben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Herr Lippold, Sie haben völlig Recht: Wenn wir über
Energiepolitik reden, dann reden wir über Wirtschaftspo-
litik und über Arbeitsmarktzahlen. Aber dann erlauben Sie
mir doch den Hinweis darauf – er ist nicht hier, aber ich
sah ihn heute Morgen –: Wie war es denn, als Herr
Rexrodt die Verantwortung für die Wirtschaftspolitik
hatte? Damals verließ der letzte Photovoltaikhersteller
Deutschland, weil es hier keinen Markt mehr dafür gab.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der FDP: Falsch!)


Wir werden demnächst die vierte neue Solarfabrik in Ha-
meln eröffnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Paul Laufs [CDU/CSU]: Und die Kilowattstunde mit 1,50 DM subventionieren!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420904800
Kollege Trittin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grill?

Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit: Ja, gern.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er will alles über Solarfabriken wissen! Das muss man ihm noch einmal erklären!)



Kurt-Dieter Grill (CDU):
Rede ID: ID1420904900
Nein, ich bin nicht
scharf darauf. – Herr Trittin, würden Sie zur Kenntnis
nehmen, dass unter Minister Jürgen Rüttgers die Grund-
steinlegung für zwei Solarzellenfabriken, eine in Bayern
und eine in Nordrhein-Westfalen, stattgefunden hat?


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das weiß er doch nicht mehr! Er hat doch nur ein Kurzzeitgedächtnis!)


Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit: Selbstverständlich nehme
ich das zur Kenntnis. Ich habe Ihnen den Fall der Unter-
nehmen geschildert, die hier waren.

In Antwort auf Ihre Frage sage ich Ihnen, lieber Herr
Grill, noch: Als wir diesen Laden übernommen haben,


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Was, den „Laden“? – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


als wir diese Regierung übernommen haben,

(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Ja, ja!)


haben wir einen Laden vorgefunden,

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


bei dem die Förderung erneuerbarer Energien im Bundes-
haushalt gerade einmal 18 Millionen DM betragen hat.
Wenn Sie sich den neuen Haushalt anschauen, dann wer-
den Sie feststellen, dass dieser Betrag heute bei 500 Mil-
lionen liegt. Das haben wir aus Ihrem Laden gemacht: Wir
haben die Energiewende eingeleitet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich will noch auf einen weiteren Punkt zu sprechen
kommen. Klimaschutz wird nicht möglich sein, wenn
nicht dezentrale, hoch effiziente Techniken gefördert
werden. Die Ausphasung von Großkraftwerken niedriger
Effizienz ist die Voraussetzung für eine jede Energiepoli-
tik der Zukunft.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Wenn Sie das übersetzen in die Frage, was das für die
Arbeitsplätze bedeutet, dann stelle ich, gerade vor dem
Hintergrund der Äußerung von Herr Lippold, fest: Im Be-
reich der erneuerbaren Energien arbeiten heute zwischen
70 000 und 80 000 Menschen. Dies hat damit zu tun, dass
diese Regierung dafür Sorge getragen hat, dass bei den er-
neuerbaren Energien ein beispielloser Boom stattgefun-
den hat, gegen Ihre Blockadeversuche.


(Dr. Paul Laufs [CDU/CSU]: Durch beispiellose Subvention!)


Das sind mehr Arbeitsplätze, als Ihre kulturpessimisti-
schen Ausführungen, sehr geehrter Herr Laufs, in dem
Bereich der Atomenergie je erlaubt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Walter Hirche [FDP]: Das sind ausschließlich subventionierte Arbeitsplätze und keine wettbewerbsfähigen! Die wettbewerbsfähigen machen Sie kaputt!)


Deswegen, meine Damen und Herren, ist heute ein er-
freulicher Tag. Wir machen deutlich: Die Atomenergie ist
ein Konzept der Vergangenheit. Wir sollten uns nicht
mehr mit Fragen der Vergangenheit auseinander setzen,
wir sollten uns der Zukunft zuwenden. Die Zukunft ist er-
neuerbar, sie ist effizient, sie ist dezentral. Deswegen ist
die Energiewende das Modell der Zukunft. Damit sind wir
heute einen ganzen Schritt weitergekommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420905000
Das Wort zu ei-
ner Kurzintervention erhält jetzt die Kollegin Homburger.


Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1420905100
Herr Trittin, ich habe mich
zu einer Kurzintervention gemeldet, weil Sie hier und
heute nicht zum ersten Mal davon gesprochen haben, dass
Sie als rot-grüne Bundesregierung einen „Laden“ über-
nommen hätten.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: Bin Laden! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Einen heruntergewirtschafteten, um es genauer zu sagen!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Bundesminister Jürgen Trittin
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Ich finde das eine Art und Weise des Umgangs mit Ver-
antwortung – es handelt sich immerhin um die Bundes-
regierung der Bundesrepublik Deutschland –, die dem
Amt nicht angemessen ist.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Dieses flegelhafte und arrogante Verhalten, das Sie hier
immer wieder an den Tag legen, werden sich die Men-
schen draußen merken.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Sabine Bergmann-Pohl [CDU/CSU]: Keine Kinderstube! – Zuruf von der CDU/CSU: Bin Laden!)


Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Wenn mir jetzt aus der
CDU/CSU-Fraktion „Bin Laden!“ zugerufen wird, dann
haben wir ein Niveau der Debatte erreicht, das der Ein-
wendung von Frau Homburger, mit Verlaub – ich wollte
ihr ernst antworten –, nicht gerecht wird.

Ich habe meine Wortwahl ausdrücklich bezogen auf
den Zustand, in dem wir die Bundesregierung übernom-
men haben.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Sie sind ein Flegel!)


Dass dieser Zustand nicht Unterstützung, Applaus und
Zustimmung erfahren hat, haben Sie am 23. September
1998 erlebt.


(Detlef Parr [FDP]: Was ist es denn heute? Ein Ramschladen?)


Sie sind nämlich seinerzeit für Ihre ungenügende Politik
abgewählt worden. Dass Sie die zentralen Fragen der
Energiepolitik in diesem Lande nicht gelöst haben, war ei-
ner der Gründe dafür, dass Sie abgewählt worden sind.
Deswegen haben wir mit dem, was Sie hinterlassen ha-
ben, einen Laden vorgefunden, den wir erst einmal wie-
der zu einer ordentlichen Bundesregierung machen muss-
ten. Das ist uns ganz gut gelungen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Unverschämtheit! – Detlef Parr [FDP]: Er ist der Ladenhüter!)


– Sie können gerne weiter dazwischenrufen. Aber ange-
sichts der Tatsache, dass Ihre Regierung so exzellent or-
ganisiert war, dass Sie, bevor wir an die Regierung ge-
kommen sind, meterweise Akten und megabyteweise
Festplatten beseitigen mussten, wäre ich an Ihrer Stelle
sehr, sehr vorsichtig damit, andere Leute über politischen
Stil zu belehren. Sie mit Ihren Aktionen haben es gerade
nötig!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420905200
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Christian Ruck.


Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1420905300
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es in
der Tat beschämend, Herr Trittin, wie Sie hier auftreten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es ist nicht nur Ihr Geschrei, sondern es ist zum wieder-
holten Male passiert, dass Sie sich hier aufführen, als hät-
ten Sie vor diesem Bundestag überhaupt keinen Respekt.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Hat er auch nicht! Es ist ein Flegel!)


Es ist auch nicht das erste Mal, dass Sie in einer Kette von
Unwahrheiten unsere eigenen Leute beleidigen. Ich weise
das mit aller Entschiedenheit zurück.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das Thema selbst ist wirklich ein sehr ernstes Thema

und hat einen anderen Diskussionsstil verdient. Die Kol-
legen von Rot-Grün werden heute gegen unsere Stimmen
mit ihrer Mehrheit dieses Atomausstiegsgesetz be-
schließen und damit auch das Verfahren für diese Legis-
laturperiode beenden. Aber die Diskussion um die Kern-
energie beenden Sie damit nicht; denn das „große
Reformwerk“, wie Herr Kubatschka gesagt hat, löst keine
Probleme, aber es schafft neue.

Problem Nummer eins – es ist schon genannt worden –
sind die ökonomischen Folgen. Es kommen in der Tat gi-
gantische Kosten auf Wirtschaft und Haushalte zu. Die oft
zitierten 500 Milliarden DM Ausstiegskosten im Energie-
bericht von Wirtschaftsminister Müller sind erstens noch
schöngerechnet und zweitens nur die Spitze des Eisbergs.
Es sind nur die Zusatzkosten für zusätzlichen Klima-
schutz.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Stimmt gar nicht!)


Wenn Sie diese Kosten letztendlich auf die Haushalte in
Deutschland konkret herunterbrechen, dann wird sich
auch das als Fata Morgana erweisen, was Sie immer be-
haupten, dass nämlich die Mehrheit der Bevölkerung hin-
ter dem Ausstieg steht.

Auch ist wenig glaubwürdig, wenn Sie bei der Ent-
wicklung derArbeitsplätze gerade im regenerativen Be-
reich immer wieder mit Zahlenspielereien beginnen. Hier
überschlagen sich wirklich die Prognosen: Die einen sind
bei 200 000, die anderen sind schon bei 500 000 Arbeits-
plätzen. Aber dafür gibt es keine seriösen Berechnungen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Sie müssen nur einmal die Zahlen zusammenzählen!)


Herr Kelber, viele dieser Arbeitsplätze entstehen nicht im
freien Wettbewerb. Wenn ich eine Kilowattstunde aus
Photovoltaik mit 1,48 DM subventionieren muss, dann
stehen diese Arbeitsplätze auf tönernen Füßen.

Aber ganz real und konkret ist der Verlust der Arbeits-
plätze in der Kernenergie. Das hat die zuständige Ge-
werkschaft bei unserer Anhörung genauso gesehen. Sie
fand das überhaupt nicht lustig. Noch eines ist ganz kon-
kret und real: Der Ausstieg gerade aus der Energiepro-
duktion mit den niedrigsten Gestehungskosten wird

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Birgit Homburger

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natürlich hierzulande die Energiepreise in die Höhe trei-
ben.


(Horst Kubatschka [SPD]: Wenn sie abgeschrieben sind, Herr Kollege!)


Auch das, Herr Kubatschka, wird Arbeitsplätze kosten,
und zwar in allen Wirtschaftsbereichen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Im Ergebnis machen Sie eines: Sie machen wettbewerbs-
fähige Arbeitsplätze kaputt und ersetzen sie durch sub-
ventionierte. Das ist wirklich eine Wirtschaftspolitik von
gestern. Das ist ein ökonomischer Schildbürgerstreich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Es wird durch Wiederholung nicht richtiger!)


Problem Nummer zwei Herr Kelber, ist der Klima-
schutz. Es ist natürlich richtig, dass die Kernkraftwerke
nicht für den Klimaschutz erfunden wurden. Aber es ist
trotzdem C02-freie Energie.


(Horst Kubatschka [SPD]: Nein, überhaupt nicht! – Ulrike Mehl [SPD]: Das wissen Sie doch!)


Wenn ich mir dieses Gewürge in Bonn und Marrakesch
mit den wirklich minimalen Ergebnissen vor Augen halte,
wenn ich die Forderung der Klimaforscher ernst nehme,
dass unsere Reduktionsziele bis 2005 oder 2012 erst der
Anfang sein können, wenn ich mir anschaue, wie die
Weltbevölkerung rapide steigt und der Energiebedarf in
vielen Entwicklungs- und Schwellenländern zunimmt,
dann sehe ich wirklich keine Chance, dass wir diese ge-
waltige Herausforderung national und international mit
einem Ausstieg aus der Kernenergie bewältigen können.

Auch Sie von Rot-Grün sehen diese Chance nicht. Das
gibt Wirtschaftsminister Müller unumwunden zu. Er ist
immerhin Mitglied dieser Bundesregierung. Für den
Kanzler Schröder ist das ganz einfach: Er hat die Kern-
kraftwerke geistig schon durch Kohle ersetzt. Frau
Hustedt, ich kann mich sehr gut erinnern, wer an der
Spitze der Steinkohlekumpels in Bonn damals marschiert
ist. Wissen Sie, wer das war? – Das war Joschka.


(Beifall bei der CDU/CSU – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNISS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat funktioniert!)


Auch wir wollen – ich sage das ganz klar und deut-
lich – eine Verdoppelung des Anteils der regenerativen
Energien. Das ist ein ehrgeiziges Ziel, es ist aber kein
Ersatz für die Kernkraft.


(Horst Kubatschka [SPD]: Wir machen es! Sie sprechen nur darüber!)


– Herr Kubatschka, wir brauchen beides, nämlich die
Kernkraft und die regenerativen Energien.


(Beifall bei der CDU/CSU – Horst Kubatschka [SPD]: Wir brauchen Sparer, Rationalisierung und erneuerbare Energien!)


Da der Trittin völlig daneben gequasselt hat, möchte
ich daran erinnern: Das Stromeinspeisungsgesetz haben
wir zusammen gemacht. Das war noch unter unserer Re-
gierung. Sie können doch nicht von uns verlangen, dass
wir beim EEG zu jedem Unsinn Ja und Amen sagen, auch
wenn richtigerweise etwas geregelt werden muss. Dann
könnten Sie ja die Opposition abschaffen.


(Horst Kubatschka [SPD]: Das wollen wir auch nicht! Ein bisschen Opposition!)


So etwas lassen wir mit uns natürlich nicht machen.
Das Problem Nummer drei ist die nukleare Sicher-

heit.

(Horst Kubatschka [SPD]: Das lösen Sie nicht!)

Sie wollen mit dem Ausstiegsgesetz Deutschland und die
Welt sicherer machen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Die
überflüssigen Zwischenlager sind ein weiterer Unsicher-
heitsfaktor, Stichwort: Proliferation.


(Horst Kubatschka [SPD]: Zwischenlager sind nicht überflüssig!)


Auch die so wichtige Klärung der Frage der Endlagerung
haben Sie auf unbestimmte Zeit verschoben.


(Horst Kubatschka [SPD]: Auch nicht! 2030!)

Das größte Sicherheitsrisiko – ich möchte das ganz
deutlich sagen – ist natürlich das Neubauverbot. Es gibt
überhaupt keine Zweifel: Das ist ein technologischer Fa-
denriss. Deutschland klinkt sich damit aus der Weiterent-
wicklung von Kernreaktoren mit einem höheren Sicher-
heitsstandard – zum Beispiel dem EPR – aus.

Sie provozieren damit den Untergang der höchsten
Sicherheitskompetenz in der Welt, und zwar zu einem
Zeitpunkt, da weltweit 90 Reaktoren im Bau oder in Be-
trieb sind. Wenn Trittin gesagt hat, Europa sei auf dem
Marsch in den Ausstieg, so ist das ein Unsinn. Das ist
überhaupt nicht wahr. Selbst Italien, das immer so groß
tönt, bezieht Atomstrom aus Frankreich.


(Ulrich Kelber [SPD]: Schweden! – Horst Kubatschka [SPD]: Belgien! – Ulrich Kelber [SPD]: Niederlande!)


Frau Hustedt, Ihr Argument, es dürfe weiter geforscht
werden, ist reine Heuchelei. In Wirklichkeit versuchen
Sie in der deutschen Wissenschaft ein Denkverbot durch-
zusetzen. Das sieht man an dem Briefwechsel des BMU
mit dem Wirtschaftsministerium, das verpflichtet werden
soll, aus internationalen Kooperationen auszusteigen. Ei-
nes ist doch klar: Wer an nichts Neues denken darf, kann
auch das Alte nicht verbessern.

Besonders pervers wird das am Beispiel des Hochtem-
peraturreaktors. Wir haben darüber im Ausschuss dis-
kutiert.


(Horst Kubatschka [SPD]: Den haben Sie doch eingestellt!)


– Ja, das gebe ich zu; übrigens nicht nur wir, das waren
alle. Herr Kubatschka, ich habe da keine Probleme, ich

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Dr. Christian Ruck
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kann Ihnen vorbeten, wie das gelaufen ist. Aber das wis-
sen Sie vielleicht auch.

Der HTR ist vor jeder Kernschmelze sicher,

(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Es funktioniert nur nicht!)

er ist auf hohem Niveau, idiotensicher in der Bedienung
und erleichtert das Problem der Endlagerung.


(Horst Kubatschka [SPD]: Er brennt bloß gelegentlich!)


Eine Studie des MIT in Boston aus jüngster Zeit hat nach-
gewiesen, dass eine solche Anlage, mit Gasturbinen kom-
biniert, die beste Perspektive einer nuklearen Option ist,
und zwar in allen Bereichen: Sicherheit, Wirkungsgrad und
Betriebskosten. Man kann ihn auch unter der Erde bauen.
Das hat auch Professor Seiler vom Öko-Institut im Darm-
stadt bei unserer Anhörung im Ergebnis bestätigt. Darüber
reden Sie aber nicht, weil es Ihnen nicht ins Konzept passt.


(Horst Kubatschka [SPD]: Darüber redet auch die Industrie nicht!)


– Das stimmt nicht, Herr Kubatschka.

(Horst Kubatschka [SPD]: Warum jammern Sie denn so?)

Das Ergebnis Ihrer Politik ist, dass die deutschen Kern-
kraftwerke erst einmal ungeniert weiterlaufen und das Si-
cherheitsniveau in Deutschland und weltweit sinkt.


(Horst Kubatschka [SPD]: Dann versagt die bayerische Aufsicht!)


Sie haben vor einigen Tagen im Ausschuss beschworen
– ich glaube sogar, das waren Sie, Herr Kubatschka –,
man dürfe das Thema nicht ideologisch befrachten. Das
ist ein guter Vorschlag, der sich aber vor allem gegen Sie
richtet. Natürlich kann jeder sagen: Ich wäge die Risiken
ab und bin deswegen gegen Kernkraft. Sie aber haben es
zu weit getrieben. Sie sind nämlich bereit, für ein politi-
sches Markenzeichen jeden ökonomischen und ökologi-
schen Preis zu zahlen und nehmen dabei ungeniert Ab-
striche an der Sicherheit in Kauf. Eine wirkliche
Diskussion um Strahlengefahren findet bei Ihnen längst
nicht mehr statt. Solche Probleme kümmern Sie nämlich
nicht mehr. Ich nehme als Beispiel den BMU-Bericht über
die Gefahren des Radon aus der Erde. An dieser Strah-
lung sterben jedes Jahr in der Bundesrepublik 2 000 Men-
schen. Sie spielen bei jedem Castortransport verrückt,
während Sie die wirklichen Probleme nicht angehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist Ideologie. Das ist der eigentliche Skandal Ihrer
Atom- und Energiepolitik.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420905400
Herr Abgeord-
neter, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit. Sie haben sie
schon weit überschritten.


Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1420905500
Jawohl. – Sie sind
gegenüber Fachargumenten taub geworden und betreiben
die Durchsetzung Ihrer Ideologie mit der Brechstange.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wir machen die ganze Sache seit vielen Jahren! Was soll diese Zuspitzung? Das ist doch Unsinn!)


Damit haben Sie das Ansehen unserer Wirtschaft, unserer
Wissenschaft und auch unserer Demokratie beschädigt.
Deswegen bleibt dieser Punkt auch auf der Tagesordnung,
und zwar so lange, bis wir die Probleme wirklich lösen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420905600
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Christoph Matschie.


Christoph Matschie (SPD):
Rede ID: ID1420905700
Frau Präsidentin! Werte
Kolleginnen und Kollegen! Nach den sehr stark emotio-
nal und vielleicht auch etwas kulturpessimistisch gepräg-
ten Reden der Opposition möchte ich gern zu ein paar
Sachargumenten zurückkommen. Ich glaube, dass wir
über die Sicherheitsfrage schon auf einem viel höheren
Niveau diskutiert haben, als Sie das vorhin getan haben.
Dass Ihr Antrag in den zur Diskussion stehenden Fragen
sehr oberflächlich und ideologisch geprägt ist, zeigt zum
Beispiel, dass Sie in Ihrem Antrag rundweg behaupten,
der Ausstieg aus der Atomenergie sei sicherheitstechnisch
nicht begründet und der Betrieb der Atomkraftwerke sei
auch nach Meinung international renommierter Experten
in vollem Umfang verantwortbar.

Lassen Sie mich kurz das zitieren, was der Sachver-
ständigenrat für Umweltfragen, der noch unter der Regie-
rung Kohl berufen wurde, dazu in seinem „Umweltgut-
achten 2000“ ausführt – ich hoffe, dass Sie wenigstens
den Argumenten der Sachverständigen, die Sie selber be-
rufen haben, folgen können –:

Der Umweltrat hält aufgrund der Charakteristiken
bestrahlter Brennelemente und der darin begrün-
deten, in weiten Teilen ungelösten Entsorgungspro-
bleme eine weitere Nutzung der Atomenergie für
nicht verantwortbar.

Ich stelle fest: Die Sachverständigen, die Sie berufen ha-
ben, halten eine weitere Nutzung der Kernenergie für
nicht verantwortbar. Dann sollte man sich zumindest ein-
mal die Mühe machen, sich mit solchen Argumenten aus-
einander zu setzen, und nicht einfach ein gegebenes Si-
cherheitsniveau unterstellen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Christian Ruck [CDU/ CSU]: Das haben wir doch! So etwas können Sie doch nicht einfach behaupten! – Dr. Paul Laufs [CDU/CSU]: Unterstellen Sie nicht solche Dinge!)


– Auf Sie, Herr Laufs, gehe ich gleich noch ein. – Das geht
so weit, dass Frau Homburger hier behauptet, die Tat-
sache, dass Atomkraftwerke betrieben und nicht abge-
schaltet werden, beweise ihre Sicherheit. Das ist doch ab-
surd, Frau Homburger.


(Birgit Homburger [FDP]: Ich habe nur in der Logik von Frau Hustedt argumentiert!)


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Dr. Christian Ruck

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Das Einzige, was das beweist, ist, dass die Atomkraft-
werke nach den von uns vorgegebenen Sicherheitsstan-
dards betrieben werden, dass diese Standards also einge-
halten werden. Das beweist aber nicht, dass absolute
Sicherheit besteht. Eine solche Sicherheit ist bei dieser
Technologie doch überhaupt nicht zu gewährleisten, Frau
Homburger.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Walter Hirche [FDP]: Natürlich! Sonst müsste die Bundesregierung die Schließung veranlassen!)


– Nein, sie müsste nicht die Schließung veranlassen.

(Walter Hirche [FDP]: Doch, Herr Matschie! Reden Sie nicht drum herum!)

– Nein. Wir haben versucht, durch Verschärfung der Si-
cherheitsvorschriften die Restrisiken zu minimieren. Aber
das heißt doch nicht, dass es keine Restrisiken gibt, über
die wir diskutieren müssen.


(Birgit Homburger [FDP]: Das müssen Sie Frau Hustedt sagen, nicht uns!)


Bei keinem Atomkraftwerk, so heißt es in dem Gutachten
des Sachverständigenrates, sei die Möglichkeit einer
Kernschmelze ausgeschlossen. Das ist das Restrisiko,
mit dem wir umzugehen haben und das wir nicht einfach
negieren können, wenn wir über die Nutzung der Atom-
energie diskutieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Paul Laufs [CDU/CSU]: Wie in Harrisburg muss das nicht zu unabsehbaren Schäden führen!)


Der Sachverständigenrat für Umweltfragen empfiehlt
nach seiner Analyse – weil er die weitere Nutzung der
Atomenergie für nicht verantwortbar hält; das sage ich vor
allen Dingen an Ihre Adresse, Herr Wolf –, „Möglich-
keiten einer entschädigungsfreien Beendigung der Nut-
zung der Atomenergie im Wege einer konsensualen Lö-
sung mit den Betreibern zu suchen“. Genau dies haben wir
getan. Auch der Sachverständigenrat sagt nicht: Weil das
so ist, müsst ihr die Atomkraftwerke sofort abschalten. Er
sagt vielmehr: Hier geht es im Rahmen eines gesamt-
gesellschaftlichen Prozesses der Abwägung zwischen
Sicherheitsfragen, ökonomischen Fragen und gesell-
schaftlicher Akzeptanz darum, einen ökonomisch mach-
baren und finanziell verantwortbaren Weg zu finden. Ge-
nau das haben wir getan, Herr Kollege Wolf.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dabei darf man nicht vergessen, dass die Nutzung der
Atomenergie nie nur eine Frage der marktwirtschaftlichen
Durchsetzbarkeit – es geht um die Preise, die auf dem
Markt erzielt werden können – gewesen ist. Die Nutzung
der Atomenergie ist immer auch eine Frage der poli-
tischen Akzeptanz gewesen. Sie wissen so gut wie ich,
dass seit Jahren in der Bundesrepublik Deutschland eine
stabile Mehrheit gegen die dauerhafte Nutzung der Atom-
energie in Deutschland ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In den letzten Jahren war das Verhältnis so, dass etwa
70 Prozent gegen und 30 Prozent für die Nutzung der
Atomenergie waren.


(Dr. Paul Laufs [CDU/CSU]: Nicht in BadenWürttemberg, wo wir sehr viel Atomstrom haben! Nicht bei uns!)


– Herr Laufs, jetzt komme ich zu Ihnen: Das hat schon zu
Beginn der 90er-Jahre dazu geführt, dass die Industrie auf
die Politik zugegangen ist und vorgeschlagen hat, mitei-
nander zu reden, um zu versuchen, einen partei- und frak-
tionsübergreifenden Konsens mit der Politik über Ener-
giefragen zustande zu bringen. Wissen Sie, was das
Ergebnis war?


(Dr. Paul Laufs [CDU/CSU]: Dass Sie ausgestiegen sind! Sie sind raus aus den Gesprächen!)


Das Ergebnis war, dass man mit der Industrie vereinbart
hat, Restlaufzeiten der bestehenden Kraftwerke vorzu-
sehen und den Neubau von Kraftwerken nur noch zu ge-
nehmigen, wenn dafür eine Zweidrittelmehrheit im Bun-
destag vorliegt. Das war das damalige Gesprächsergebnis.


(Dr. Paul Laufs [CDU/CSU]: Das ist doch Unsinn!)


Sie machen sich völlig unglaubwürdig, wenn Sie heute
behaupten, wir wollten eine bestimmte Technologie ver-
bieten; denn auch Sie haben damals versucht, mit der In-
dustrie eine solche Verständigung zu erzielen. Dass wir,
die SPD, uns an diesem Handel damals nicht beteiligt ha-
ben, ist ein ganz anderes Thema, über das wir an dieser
Stelle gar nicht diskutieren müssen.


(Dr. Paul Laufs [CDU/CSU]: Das sind doch Märchen, die Sie hier erzählen! Lauter Behauptungen und Unterstellungen! Das ist doch Quatsch!)


– Herr Laufs, da Sie sich so erregen,

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie müssten mal sehen, wenn er wirklich erregt ist!)


möchte ich Sie im Hinblick auf den politischen Hinter-
grund und die Akzeptanz in der Bevölkerung darauf hin-
weisen, dass beispielsweise „Forsa“ in einer entsprechen-
den Auswertung schreibt:

Vor allem jüngere Personen

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das trifft ja für Herrn Laufs nicht zu!)

mit formal höherer Bildung sprechen sich für einen
Atomausstieg aus.

Vielleicht sollte Ihnen auch das ein bisschen zu denken
geben, Herr Laufs.


(Dr. Paul Laufs [CDU/CSU]: In BadenWürttemberg ist das nicht so!)


Wenn man die Nutzung der Atomenergie beenden will,
dann muss man sich natürlich den Fragen stellen: Tun wir
das isoliert? Was machen die anderen? Ich wiederhole:

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Christoph Matschie
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Von den 16EU-Staaten nutzen gegenwärtig noch acht die
Atomenergie.


(Dr. Paul Laufs [CDU/CSU]: Aber die größten!)


Von diesen acht haben fünf den Ausstieg beschlossen oder
angekündigt. Das heißt, es gibt nur noch drei EU-Staaten,
die an der unbegrenzten Nutzung der Atomenergie fest-
halten.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die bauen auch keine mehr!)


Es geht hierbei also überhaupt nicht um einen isolierten
Weg, sondern um ein in der Europäischen Union weit ver-
breitetes Vorgehen, mit dem wir uns in Einklang befinden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Natürlich muss man auch darüber diskutieren, ob sich
daraus Nachteile für den Klimaschutz ergeben. Das ist
eine sehr ernste Frage. Selbstverständlich ist es nicht ohne
weiteres möglich, diesen Energieträger zu ersetzen; viel-
mehr muss man eine politische Anstrengung unterneh-
men, damit die Beendigung der Nutzung der Atomenergie
klimapolitisch verträglich geschehen kann. Auch an die-
sem Punkt möchte ich Ihnen die Empfehlung des von Ih-
nen selbst berufenen Sachverständigenrates ins Gedächt-
nis rufen.


(Dr. Paul Laufs [CDU/CSU]: Ach! Hören Sie doch damit einmal auf!)


Im Umweltgutachten 2000 des Sachverständigenrats – es
hat übrigens den Titel „Schritte ins nächste Jahrtausend“ –
heißt es:

Klimapolitischer Handlungsbedarf kann kein Argu-
ment gegen eine Beendigung der Nutzung der Atom-
energie sein.

Das ist die Empfehlung der Sachverständigen, die Sie be-
rufen haben. Wir müssen Klimapolitik auch mit dem
Atomausstieg durchsetzen, und zwar mit einer höheren
Energieeffizienz und mit dem massiven Ausbau erneuer-
barer Energien. Wir haben uns auf genau diesen Weg be-
geben – gegen Ihre Widerstände, Herr Kollege Laufs.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Paul Laufs [CDU/CSU]: Leider haben Sie nicht gesagt, wie das aussehen soll!)


Ich erinnere an Folgendes: Als wir hier über das Er-
neuerbare-Energien-Gesetz abgestimmt haben, haben Sie
dagegengestimmt, Kollege Laufs.


(Dr. Paul Laufs [CDU/CSU]: Weil das riesige Dauersubventionen bedeutet!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420905800
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Hirche?


Christoph Matschie (SPD):
Rede ID: ID1420905900
Ja, gern.


Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1420906000
Herr Kollege Matschie, ist Ih-
nen – vielleicht nach Lektüre des Energieberichts des
Bundeswirtschaftsministers – bekannt, dass die Bundes-
republik Deutschland selbst bei einer Senkung ihrer
Treibhausgasemissionen um 40 Prozent, pro Kopf gese-
hen, immer noch so viel Emissionen wie Frankreich heute
hat, das auf die Kernenergie setzt? Wie wollen Sie den von
Ihnen eingeschlagenen Weg bewerkstelligen?


Christoph Matschie (SPD):
Rede ID: ID1420906100
Herr Kollege Hirche,
Ihre Überlegung setzt voraus, dass wir mit der Kernener-
gie die Energiefragen der Zukunft lösen könnten. Das Kli-
maproblem besteht nicht für die nächsten 15 oder
20 Jahre, sondern viel länger. Wir müssen die Frage be-
antworten: Kann die Kernenergie das Klimaproblem lö-
sen? Gegenwärtig gibt es weltweit 440 Kernkraftwerke,
die einen Beitrag zum Primärenergieverbrauch von etwa
7 Prozent leisten. Wie stellen Sie sich angesichts dieser
Tatsache die Welt vor, die versucht, ihr Energieproblem
über die Kernkraft zu lösen, Herr Hirche?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bin davon überzeugt, dass wir andere Wege finden
müssen. Die Kernkraft ist keine nachhaltige Energie. Die
Zukunft liegt in Effizienztechnologien. Die Zukunft liegt
bei der Nutzung erneuerbarer Energien. Wir machen uns
frühzeitig auf den Weg. Das bedeutet einen technolo-
gischen Fortschritt für die Bundesrepublik Deutschland.


(Dr. Paul Laufs [CDU/CSU]: Überzeugen Sie erst mal Ihren Wirtschaftsminister!)


Ich möchte an dieser Stelle noch einmal das Motto des
Sachverständigenrats aufgreifen, Herr Kollege Laufs: Mit
dieser Entscheidung heute machen wir einen Schritt ins
21. Jahrhunderts, einen Schritt ins neue Jahrtausend. Sie
dagegen halten an der Ideologie des 20. Jahrhunderts und
den Träumen von technischer Machbarkeit fest.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420906200
Danke schön. –
Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie
von der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe eines
Gesetzes zur geordneten Beendigung der Kernenergie-
nutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität,
Drucksachen 14/6890 und 14/7261. Der Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt
unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 14/7825, die genannten Gesetzentwürfe als Gesetz
zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur
gewerblichen Erzeugung von Elektrizität anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-
ratung mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU, FDPund PDS
angenommen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Christoph Matschie

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Wir kommen zur
Dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten
Opposition angenommen worden.


(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] überreicht Bundesminister Trittin einen Strauß Sonnenblumen)


Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck-
sache 14/7840? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Ko-
alitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Op-
position angenommen worden.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 14/7841? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die
Stimmen von FDP und CDU/CSU abgelehnt.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der PDS auf Drucksache 14/7842? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS,
die zugestimmt hat, abgelehnt worden.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der
Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Kernenergieaus-
stieg ohne Konzept für Energiepolitik und Entsorgung“.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussem-
pfehlung, den Antrag abzulehnen. Wer stimmt für diesen
Teil der Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die
Stimmen von FDP und CDU/CSU angenommen worden.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der
Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Deutschland muss
weiterhin in der Reaktorsicherheitsentwicklung eine
führende Rolle einnehmen – Zusagen an Frankreich
müssen eingehalten werden“. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen worden.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der
CDU/CSU-Fraktion mit dem Titel „Zukunft der nuklearen
Entsorgung – Entsorgungskonzept jetzt vorlegen“: Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/4644

abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grü-
nen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP
angenommen. Damit sind wir am Ende dieser Abstim-
mung.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf:
a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-

nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Einführung des diagnoseorientierten

(Fallpauschalengesetz – FPG)

– Drucksache 14/6893 –

(Erste Beratung 189. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Einführung des diagnoseorientierten
Fallpauschalensystems für Krankenhäuser

(Fallpauschalengesetz – FPG)

– Drucksachen 14/7421, 14/7461 –

(Erste Beratung 201. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14. Ausschuss)

– Drucksachen 14/7824, 14/7862 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Hans Georg Faust

b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Begrenzung der Arzneimittelausgaben der gesetz-

(Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz – AABG)

– Drucksache 14/7144 –

(Erste Beratung 196. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

schusses für Gesundheit (14. Ausschuss)

– Drucksache 14/7827 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Wolf Bauer


(8. Ausschuss)

– Drucksache 14/7855 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Luther
Jürgen Koppelin
Dr. Uwe-Jens Rössel
Walter Schöler
Franziska Eichstädt-Bohlig

Zum Gesetzentwurf zur Einführung des Fallpauscha-
lensystems liegen Entschließungsanträge der Fraktionen
der CDU/CSU und der FDP vor.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
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(C)



(D)



(A)



(B)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundes-
ministerin Ulla Schmidt.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1420906300
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heute
zu verabschiedenden Gesetzentwürfe sind ein weiterer
Schritt auf dem Weg hin


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Zu höheren Beiträgen!)


zu unserem Ziel „Qualität sichern – Wirtschaftlichkeit
stärken“.

Mit dem Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz
und dem Budgetablösegesetz reagieren wir auf die Aus-
gabensteigerung im Arzneimittelbereich. Das Arzneimit-
telausgaben-Begrenzungsgesetz hat drei strukturelle Ver-
änderungskomponenten. Das sind erstens die verstärkte
Anwendung der Aut-idem-Regelung, zweitens die Verän-
derung der Krankenhausentlassberichte und drittens die
Bewertung des therapeutischen Nutzens eines Medika-
mentes im Verhältnis zu seinem Preis.

Bei der Aut-idem-Regelung gehen wir davon aus,
dass ein Arzt oder eine Ärztin lediglich dann einen Wirk-
stoff verschreibt, wenn sie selber verantworten, dass das
entsprechende Medikament mit diesem Wirkstoff nach
dem günstigsten Preis ausgesucht werden kann,


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Bitte?)

dass der Arzt selbst ein preisgünstiges Arzneimittel ver-
ordnet oder dass der Arzt durch Ankreuzen deutlich
macht, dass er auf der Abgabe eines bestimmten Medika-
mentes besteht. Mit dieser Regelung wollen wir im kom-
menden Jahr 400 bis 500 Millionen DM einsparen. Dies
wird dazu beitragen, dass auf Dauer auch innovative Arz-
neimittel bezahlt werden können und diese auch den Mit-
gliedern der gesetzlichen Krankenkassen zur Verfügung
stehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn die Versicherten wollen, dass sie im Krankheits-
fall neue Medikamente erhalten, selbst wenn sie sehr teuer
sind – was viele der Innovationen sind –, müssen alle ak-
zeptieren, dass in all den Fällen, in denen es ein wir-
kungsgleiches, aber preiswerteres Medikament gibt, die
Solidargemeinschaft immer nur die kostengünstigere Al-
ternative ersetzen kann. Diese muss dann auch gewählt
werden, wie dies jeder in seinem privaten Bereich auch
tun würde.


(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Wir wollen Innovationen, wir wollen, dass

geforscht wird. Das heißt aber nicht, dass auf Dauer alles,
was patentgeschützt ist, frei von jeder Preisgestaltung ist.
Deshalb werden wir den Bundesausschuss mit diesem
Gesetz beauftragen, neue Medikamente und patentge-
schützte Medikamente daraufhin zu überprüfen, ob sie

tatsächlich einen erhöhten therapeutischen Nutzen gegen-
über schon im Verkehr befindlichen Generika aufweisen
oder wie hoch der therapeutische Nutzen ist.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Also ein zugelassenes Medikament wird noch einmal geprüft!)


Ich sage ganz klar: Ein Medikament, das nur einen um
10 Prozent höheren Nutzen gegenüber anderen kosten-
günstigeren Medikamenten hat, darf auch im Preis nur
10 Prozent höher liegen. Es gibt keine Berechtigung der In-
dustrie, einen um 300 Prozent höheren Preis zu verlangen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Drittens. Ich halte es für notwendig, dass die Kranken-
häuser, die während der stationären Behandlung auch
Arzneimittel verordnen, die Patienten und Patientinnen in
den Krankenhausentlassberichten auf wirkstoff- und
wirkungsgleiche kostengünstigere Alternativen hinwei-
sen, damit hier schon die Voraussetzungen dafür geschaf-
fen werden, dass die Patienten und Patientinnen mitma-
chen und bereit sind, diesen Weg zu gehen. Nur so werden
wir auf Dauer die Arzneimittel noch bezahlen können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die zweite Komponente des Gesetzes betrifft die Ein-

sparmöglichkeiten, die direkte finanzielle Entlastung der
Krankenkassen. Da haben wir


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Einmal die 400-Millionen-Spende! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ablass!)


zum einen die freiwillige Vereinbarung, dass die for-
schenden Arzneimittelhersteller eine Geldleistung von
400 Millionen DM an die Krankenkassen zahlen.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Bakschisch!)

– Es ist kein Bakschisch, Kollege Merz. Ich habe das ges-
tern schon gehört und ich meine,


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ich bleibe dabei: Das ist Bakschisch! Käuflich!)


dass Sie Äußerungen wie Bakschisch von Ihrer Seite aus
zurückziehen sollten. Ich will hier nicht auf andere Dinge
eingehen,


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das tun Sie doch mal!)


weil das nicht meine Art ist.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid[ [CDU/ CSU]: Sie haben es trotzdem gemacht!)


Worum geht es bei den 400 Millionen DM?

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Auf welches Konto sollen die denn eingezahlt werden?)


Ich war von Anfang an der Auffassung, dass die for-
schende Pharmaindustrie einen Beitrag leisten müsste.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Hat die überzogene Preise?)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

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Da sie das nicht freiwillig tun wollte, haben wir gesagt:
Dann werden wir sie gesetzlich dazu verpflichten.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Machen Sie es doch!)


Aber die forschende Pharmaindustrie und ihre Unterneh-
men – immerhin 38 Unternehmen mit rund 80 000 Be-
schäftigten – haben mir versichern können, dass ein Preis-
abschlag nachweislich nicht nur Auswirkungen auf das
Inland, sondern dass er auch Auswirkungen auf ihre Re-
ferenzpreise im Ausland hätte.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Das wussten wir doch vorher!)


Wir haben deshalb gemeinsam mit den Beschäftigten nach
einem Weg gesucht und sind zu dem Ergebnis gekommen,
dass die forschenden Pharmaunternehmen eine Geldleis-
tung zahlen und damit dazu beitragen, den Kostenanstieg
in der gesetzlichen Krankenversicherung zu verringern,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Jetzt sind es Betriebsausgaben, und die Hälfte zahlt der Eigner!)


dass das aber nicht Ursache für den Abbau von Arbeits-
plätzen sein darf. Bei dieser Frage, Herr Kollege Merz,
geht es auch um die 80 000 Beschäftigten in den pharma-
zeutischen Unternehmen.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ist das eine Steuer? Oder was ist das? – Dr. Dieter Thomae [FDP]: Ist das eine Steuer? – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Eine Zusatzsteuer!)


– Das ist keine Steuer, das ist auch keine Zusatzsteuer,

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sondern was dann?)

sondern das ist eine Geldleistung, die die forschende
Pharmaindustrie an die Krankenkassen zahlt,


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Als was denn?)

damit dort der Ausgabenanstieg begrenzt werden kann.


(Beifall bei der SPD – Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Die den Versicherten zugute kommt!)


Eine weitere Geldleistung ist der Apothekenrabatt.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist Ihnen abgekauft worden!)

Die Erhöhung des Apothekenrabatts um 1 Prozent soll
dazu beitragen, im kommenden Jahr 400 bis 500 Milli-
onen DM einzusparen. Wir halten es für erforderlich, dass
diese Regelung wirksam wird, sobald die technischen
Voraussetzungen dafür geschaffen sind.

Obwohl der Bundesrat der Fristverkürzung nicht zuge-
stimmt hat,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Mit 16:0!)

sondern das Gesetz erst in der Sitzung am 1. Februar be-
raten wird,


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Was sagt Herr Gerster aus Rheinland-Pfalz dazu?)


gehen wir davon aus, dass die Apotheken nach der heuti-
gen Verabschiedung des Gesetzes in zweiter und dritter
Lesung sehr genau wissen, dass sie diesen neuen Rabatt
ab Februar zahlen müssen. Sie können jetzt mit den Vor-
bereitungen beginnen, sodass wir nach dem 1. Februar
keine Zeitverzögerung mehr in Kauf nehmen müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Warum ist das denn im Bundesrat von allen Ihren Gesundheitsministern abgelehnt worden?)


– Das ist eine technische Frage, Herr Kollege Merz.

(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)


In der Frage stehe ich in engem Kontakt mit den Gesund-
heitsministern. Deshalb weiß ich das. Wir werden darüber
am 1. Februar beraten und wir werden zusammen mit den
bereits verabschiedeten 750 Millionen DM im Bereich
der Festbeträge ein Einsparvolumen zwischen 2,5 und
3 Milliarden DM auf den Weg bringen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Die Sachverständigen sagen: Höchstens 1 Milliarde DM!)


Das ist genau der Betrag, um den die Arzneimittelausga-
ben in diesem Jahr gestiegen sind und am Gesamtdefizit
teilhaben. Wir werden sehen, wie das umgesetzt wird.

Eines ist klar: Wir setzen darauf, dass dies funktioniert,
dass die Organe der Selbstverwaltung ihre Arbeit zügig
beginnen und auch die Ärzte und Ärztinnen diese Rege-
lung akzeptieren und selber überlegen, was denn wirt-
schaftlicher und kostengünstiger angeboten werden kann,
damit ihre Patientinnen und Patienten dann, wenn sie
wirklich krank sind, an einer guten, qualitativ hoch ste-
henden Arzneimittelversorgung teilhaben.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sie sind mitten drin in der Zweiklassenmedizin!)


Da ja alle immer im Interesse der Patientinnen und Pati-
enten handeln und deren Wohl im Auge haben,


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Zweiklassenmedizin!)


sind jetzt alle aufgefordert, daran mitzuwirken, dass auch in
Zukunft jeder das Medikament bekommt, das er braucht,
um gesund zu werden oder seine Schmerzen zu lindern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie versprechen KaDeWe und geben Aldi!)


Das zweite Gesetz, über das wir heute reden, nämlich
die Einführung der Fallpauschalen in den Krankenhäu-
sern, folgt auch dem Grundsatz: Qualität sichern und
Wirtschaftlichkeit stärken.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Und Kosten erhöhen!)


Sie wissen, dass sich die Krankenhauslandschaft verän-
dern wird, weil in Zukunft keine Gelder mehr für das Vor-
halten von Bettgestellen bezahlt werden, sondern medizi-
nische Leistungen verglichen und dementsprechend

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Bundesministerin Ulla Schmidt
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bezahlt werden. Auf Ihre Vorhaltung, dass die Zeitspanne
bis zum Jahre 2007 für diese Umstellung viel zu kurz be-
messen ist, halte ich Ihnen entgegen: Wir werden nie eine
Reform auf den Weg bringen, wenn man in dem
Schneckentempo vorangeht, wie es auch heute Ihre Frak-
tion wieder vorschlägt.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: 16 Jahre geschlafen und jetzt so tun als ob!)


Bei unserem Vorgehen haben die Krankenhäuser bis
2007 die Möglichkeit, sich umzustellen und interdiszi-
plinäre Diagnose- und Behandlungsverfahren auf den
Weg zu bringen. Dafür müssen sie neben der medizini-
schen Leistung, die sie erbringen, auch ein vernünftiges
Personal- und Zeitmanagement einführen.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Bei Ihnen passt nichts zusammen!)


Beides muss zusammengehen: die optimale Behandlung
der Kranken und eine optimale Organisation des Kran-
kenhausbetriebes.

Ich bin froh, dass wir mit diesem Fallpauschalengesetz
ein Gesetz auf den Weg bringen, das den Krankenhäusern
Anreize dafür gibt, das geltende Arbeitszeitgesetz umzu-
setzen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie müssen als Erstes Ihr Budget abschaffen!)


Für die Krankenhäuser, die diesen Weg gehen und deshalb
mehr Personal einsetzen müssen, stehen 200 Millionen
DM zur Verfügung.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Wo denn?)

Das, was wir heute auf den Weg bringen, wird die

Krankenhauslandschaft wirklich sehr verändern.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das glaube ich auch! – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Die Dame ist ziemlich von der Rolle! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das war eine schöne Abschiedsrede!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420906400
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hans Georg Faust.


Dr. Hans Georg Faust (CDU):
Rede ID: ID1420906500
Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin,
Sie haben eben gesagt, Sie wollten mit 200Millionen DM
dafür sorgen, dass das Arbeitszeitgesetz in den bundes-
deutschen Krankenhäusern eingehalten werden kann.
Denken Sie bitte auch an das Urteil des Europäischen Ge-
richtshofes und daran, dass mit diesen 200 Millionen DM
natürlich nicht die Konsequenzen beseitigt werden kön-
nen, die durch die Überlastung der Ärzte im Nachtdienst
entstehen und zum Teil in Gefährdungen der Patienten
münden.


(Horst Schmidbauer [Nürnberg] [SPD]: Aber der richtige Einstieg wird gemacht! – Regina Schmidt-Zadel [SPD]: 16 Jahre nichts gemacht!)


Meine Damen und Herren, in den 2 242 Krankenhäu-
sern in Deutschland behandeln, pflegen und betreuen
1,1 Millionen Mitarbeiter jährlich 16,5 Millionen Patien-
ten. Dies geschieht mit hervorragenden Ärzten, Forschern
und Wissenschaftlern in gewachsenen Strukturen, in einer
Krankenhauslandschaft, die sich aus den besten Traditio-
nen deutscher Medizingeschichte entwickelt hat. An de-
ren Erfolge wollen wir zugunsten und zum Wohle unserer
Patienten auch in der Zukunft anknüpfen können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Zur elementaren Daseinsvorsorge gehört im Bewusst-
sein der Bevölkerung die wohnortnahe stationäre Ver-
sorgung, aber auch zunehmend die moderne, ressourcen-
intensive Spezialleistung und im Extremfall die
aufwendige, viele medizinische Disziplinen umfassende
innovative Behandlung. Dafür geben die Krankenkassen
in der Tat erhebliche Summen aus: 87 Milliarden DM.

In dieser Situation startet die Bundesregierung – allen
voran Sie, Frau Ministerin Schmidt – einen flächen-
deckenden Großversuch, der in wenigen Jahren – das ha-
ben Sie korrekt ausgedrückt, aber vielleicht nicht so ge-
meint – die deutsche Krankenhauslandschaft dramatisch
verändern wird. Sie wollen in fünf Jahren und 16 Tagen
– ab heute gerechnet – ein umfassendes leistungsorien-
tiertes Entgeltsystem für die Leistungen der Krankenhäu-
ser einführen. Kein Land der Welt hat den Mut zu einem
solchen Großversuch aufgebracht, ein umfassendes,
scharfes Preissystem einzuführen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Zu 100 Prozent!)


Vor allen Dingen hat kein Land der Welt derart kurze
Zeiträume für Einführung und Anpassung vorgesehen.
Denken Sie einmal daran, wie lange in den Vereinigten
Staaten die Entwicklung des Fallpauschalensystems ge-
dauert hat.


(Horst Seehofer [CDU/CSU]: Das ist unverantwortlich!)


Es ist unbestritten, dass auch der Krankenhausbereich
eine Steigerung der Effizienz braucht. Es ist auch sicher
richtig, dass sauber kalkulierte Preise ein Weg sind, den
notwendigen Wettbewerb im Krankenhausbereich zu för-
dern.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Immerhin ein guter Ansatz, Herr Dr. Faust!)


In dieser Erkenntnis wäre mit uns eine umfassende Rege-
lung zu machen – dazu haben wir ja einen Entschließungs-
antrag vorgelegt –, das bisherige, von Horst Seehofer
eingeführte Fallpauschalensystem für 25 Prozent der Leis-
tungen deutlich nach oben zu erweitern,


(Horst Schmidbauer [Nürnberg] [SPD]: Das ist doch nur Rosinenpickerei!)


in vertretbaren Zeiträumen evolutionär fortzuentwickeln
und dann zu schauen, wie weit das System trägt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Bundesministerin Ulla Schmidt

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Die Experten haben es Ihnen in der Anhörung doch
schon gesagt: 20 bis 40 Prozent lassen sich nicht abbilden.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Wer hat das gesagt? – Gegenruf des Abg. Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Die Fachleute!)


– Die Experten in der Anhörung.
Meine Damen und Herren, ich zitiere einmal aus der

Begründung Ihres Gesetzentwurfs:
Das neue Entgeltsystem soll das Leistungsgeschehen
im Krankenhausbereich transparenter machen, die
Wirtschaftlichkeit fördern und ... Fehlanreize insbe-
sondere zur Verlängerung der Verweildauer beseiti-
gen. Die direkte Verknüpfung der erbrachten Leis-
tungen mit der Vergütung soll dazu beitragen, dass
die Ressourcen krankenhausintern wie auch kran-
kenhausübergreifend

– ich betone: krankenhausübergreifend –
bedarfsgerechter und effizienter eingesetzt werden.

Würden Sie bei der Aufzählung dessen, was Sie an-
streben, nicht auch die Verweildauerverkürzung ver-
schämt eingestehen, wäre das alles wunderbar: Der rich-
tige Patient erhielte zur richtigen Zeit die richtige
Behandlung in der richtigen Einrichtung. Doch weil Sie,
Frau Ministerin Schmidt, mit dem Fallpauschalengesetz
nur den Krankenhaussektor angehen, da die sektoren-
übergreifenden Ansätze – ich erinnere nur an die §§ 140 a
bis h, 115 b SGB V usw. – alle nicht funktionieren, sieht
die tatsächliche Entwicklung anders aus: Mehr Patienten,
ältere und vielfach kranke, müssen schneller in weniger
Krankenhäusern von noch mehr unter der Leistungsver-
dichtung leidenden Schwestern, Pflegern und Ärzten be-
handelt werden.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So ist es!)

Den Verantwortlichen war dies im Gesetzgebungsverfah-
ren auch klar; dies zeigt die Passage über die flexible An-
passung der Leistungsstrukturen.

Was heißt denn in der Begründung des Gesetzentwurfs,
die Spezialisierung werde voranschreiten? Das bedeutet,
dass das kleine, kommunale Krankenhaus mit seiner
wohnortnahen Breitenversorgung chancenlos wird und
sich entweder in eine Spezialklinik umwandelt oder dem
Wettbewerb zum Opfer fällt. Sie umschreiben das vor-
nehm so:


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Die Landschaft wird sich verändern!)


Auch die Zunahme frei werdender Bettenkapazitäten
infolge der Verweildauerverkürzung wird Gegen-
stand von Anpassungsreaktionen sein.

Anpassungsreaktion bedeutet: Krankenhaus geschlossen,
Betten nicht mehr da.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Nach der viel beachteten Andersen-Studie wird in den
nächsten 14 Jahren jedes vierte Krankenhaus zu schließen
sein.

Die Ablehnung unserer Fraktion gründet sich – neben
den allgemeinen Bedenken – auf drei Problemkreise. Ers-
tens. Der Zeitplan zur Einführung der DRGs ist schon
jetzt über den Haufen geworfen. Daran ändert sich auch
dadurch nichts, dass Sie dem Vorschlag der Deutschen
Krankenhausgesellschaft gefolgt sind, die Optionsmög-
lichkeit einzuführen. Im Übrigen befindet sich die Kran-
kenhausgesellschaft schon deutlich auf dem Rückzug,
weil Sie, Frau Ministerin, für die Tatsache, dass bis Mitte
2002 in vielen Bereichen keine deutschen Relativge-
wichte vorliegen, australische Relativgewichte einführen
wollen. Mit den Ersatzteilen eines Landrovers können Sie
aber keinen VW zum Laufen bringen, auch wenn Sie die
Teile nach und nach austauschen wollen.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Für eine Verlängerung des Zeitplans plädiert natürlich

auch der Marburger Bund, der in seiner Stellungnahme
auch auf die Probleme hinweist, die wir mit der Arbeits-
zeitregelung haben. Das letzte Arbeitsgerichtsurteil in
Herne vom 11. Dezember besagt, Bereitschaftsdienst sei
Arbeitszeit. Es nützt nichts: Sie werden viel mehr als die
100 Millionen Euro in das Krankenhaus stecken müssen.

Zweitens. Die Verankerung der Fallpauschalen im Ge-
samtsystem ist nicht gegeben. Wir bekommen Leistungs-
verschiebungen infolge von Verweildauerverkürzun-
gen. Das ist natürlich auch gewollt. Medizinisch spricht
in der Tat nichts dagegen, dass das Krankenhaus einen Pa-
tienten für eine Gelenkoperation am Bein am Opera-
tionstag stationär aufnimmt, sofern er nüchtern kommt,
und ihn nach ein bis zwei Tagen, wenn auch mit der Ver-
pflichtung zur Bettruhe, nach Hause entlässt. Aber belas-
tet wird der ambulante Bereich mit Voruntersuchungen,
Labor, EKG und Röntgenaufnahmen und der nachgeord-
nete Bereich. Das ist der Fall, wenn der niedergelassene
Arzt zulasten seines Budgets oder – in Zukunft – seiner
Richtgrößen die teuren Heparinspritzen zur Verhinderung
einer Thrombose geben muss. Genau das sind die Effekte,
deren Auswirkungen berücksichtigt werden müssen.

Drittens. Die Letztverantwortung der Länder und der
Kommunen für die Sicherstellung der Krankenhaus-
versorgung wird weiter ausgehöhlt. Da reicht es nicht
aus, Frau Ministerin, über ein erweitertes Lockangebot
den Ländern weitere individuelle Gestaltungsrechte beim
Sicherungszuschlag zu gewähren, wenn nach wie vor
über die Tatsache, ob und in welcher Höhe ein Zuschlag
erteilt wird, von den Vertragsparteien vor Ort verhandelt
werden muss. Wenn dann die Zuschläge noch über den
Weg eines kollektiven Ausgleichs von den Krankenhäu-
sern, die gar keine Zuschläge erhalten haben, mitbezahlt
werden müssen, dann gerät dieses System vollends in eine
Schieflage.


(Beifall bei der CDU/CSU)

An dieser Stelle ein Wort zum Entschließungsantrag

der FDP, mit dessen Zielsetzung und Feststellungen wir in
wichtigen Teilen übereinstimmen, besonders da, wo mas-
sive Kritik an einem DRG-System im Budgetkorsett ge-
äußert wird. Wir teilen aber nicht die Auffassung zur
Krankenhausplanung als skizzenhafte Rahmenplanung
auf der einen Seite, auch nicht die zu Zuschüssen der

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Hans Georg Faust
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Kommunen an die Krankenhäuser auf der anderen Seite,
die sich auf einen dann kaum begründbaren Sicherstel-
lungsauftrag gründen sollen und die mit einer monisti-
schen Krankenhausfinanzierung verbunden sind, bei der
ebenfalls nicht klar ist, wer letztlich für die materielle
Ausgestaltung des Investitionsanteils der DRGs verant-
wortlich ist.

Diesem unzureichenden Gesetzentwurf der Regie-
rungskoalitionen mit vielen Änderungsanträgen die Geh-
stützen zu geben, dass er laufen kann, hätte einen mit
Blick auf die Einführung eines sich selbst steuernden
leistungsorientierten Fallpauschalensystems unter Be-
rücksichtigung des Versorgungsbedarfs gereizt. Das gebe
ich zu. Aber das war aus einem ganz einfachen Grund
nicht möglich: Der Fehlansatz war aus dem Gesetzent-
wurf nicht herauszubekommen. Dieser Fehlansatz ist die
DRG-Einführung, die Einführung des Fallpauschalen-
systems unter Budgetbedingungen.

Daraus ergeben sich die eigentlichen unheilvollen
Konsequenzen wie die Absenkung der Relativgewichte
bei Fallzahlsteigerungen, die Absenkung des Basisfall-
wertes, wenn die Ausgabenentwicklung über der Verän-
derungsrate liegt, und Mengenvereinbarungen bei Fest-
preisen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Also verfallende Preise!)


Preisverfall oder die Unterversorgung von Patienten,

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Qualitätsverfall!)


floatende Krankenhausfallwerte oder Rationierung durch
Mengenbegrenzung und dann am Ende auch noch die Ge-
fahr der Selektion von Patienten unter eiskalten Kosten-
Nutzen-Gesichtspunkten in deutschen Krankenhäusern –


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das ist die soziale Kälte!)


das ist mit der CDU/CSU-Fraktion trotz des Verspre-
chens, dass es sich um ein lernendes System handelt, nicht
zu machen. Das lernende System, Frau Ministerin, wird
die Prüfungen in der Krankenhauswirklichkeit nicht be-
stehen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Es wäre besser, wir hätten eine lernende Verwaltung!)


Wir lehnen den Gesetzentwurf wegen der Risiken und
Nebenwirkungen ab.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Dieter Thomae [FDP])



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420906600
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ekin Deligöz.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420906700
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nun fällt
der Opposition in diesem Bereich keine bessere Kritik ein,
als Hypothesen aufzustellen, zu spekulieren, mit Wenn-
Dann-Sätzen zu argumentieren, zu sagen, was kommen

könnte, und Behauptungen aufzustellen, die sie nicht be-
legen kann.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Waren Sie überhaupt schon einmal im Ausschuss?)


Sicher ist nur eines – darüber kann ich mich auch in-
formieren, ohne im Ausschuss zu sein –,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Ach so!)


dass in den Jahren 1985 bis 1995 die Beitragssätze in der
Sozialversicherung um 17 Prozent, nämlich von 35,1 auf
42 Prozent, gestiegen sind.

Nachdem Sie so lange in diesem Bereich untätig wa-
ren, wundert es mich, dass Sie sich wegen der Beitrags-
sätze so besorgt zeigen; denn Sie haben Reformvorhaben
in diesem Bereich bisher immer konsequent abgelehnt.
Wir haben uns seit dem Regierungsantritt bemüht, stei-
gende Beiträge in der Renten- und Krankenversicherung
erst zu verhindern


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Wo ist das Ergebnis? – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ein Beitragssatzpunkt höher!)


und dann die Beiträge zu reduzieren, um damit zur Sen-
kung der Lohnnebenkosten beizutragen. Das war die Auf-
gabe dieser Regierung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der stationäre Sektor verschlingt 92 Milliarden DM

und damit ein Drittel der gesamten GKV-Ausgaben. Hier
brauchen wir vor allem mehr Effizienz, mehr Wirtschaft-
lichkeit und größeres Kostenbewusstsein. Deshalb ordnen
wir mit diesem Gesetz die Krankenhausfinanzierung
langfristig neu, und zwar durch ein System, das sich schon
in anderen Ländern bewährt hat.

Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Es gibt kein
Land, in dem es hundertprozentig umgesetzt
worden ist! Das stimmt eben nicht!)

Das bedeutet aber nicht, dass wir ein anderes System eins
zu eins übernehmen. Die DRGs, wie sie in Australien bei
Krokodilbissen angewendet werden, werden wir zum
Beispiel nicht übernehmen.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Aha!)

Der Blick auf andere Länder, die schon sehr lange mit

Fallpauschalen arbeiten, zeigt uns, dass die hier vorge-
brachte Kritik nicht berechtigt ist. So wird zum Beispiel
behauptet, die Einführung der DRGs zwinge vor allem
kleinere Krankenhäuser zur Schließung. Eine Studie des
amerikanischen Gesundheitsministeriums von 1991 da-
gegen besagt, die DRG-Vergütung sei kein Grund zur
Schließung von Krankenhäusern gewesen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420906800
Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
Zöller?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Hans Georg Faust

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Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420906900
Nein,
Sie können hinterher eine Kurzintervention machen.
Dann antworte ich darauf.

Auch die Behauptung, die DRGs würden über kurz
oder lang zu einer Mengenausweitung führen, lässt sich
durch die Erfahrungen in den USA nicht bestätigen. Das
gilt ebenso für den Vorwurf, durch die Einführung eines
Fallpauschalensystems werde es zu einer abnehmenden
Qualität kommen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Geben Sie Ihre Rede doch zu Protokoll! Wir lesen sie dann nach!)


Eines aber hat die Studie in den USA mit Sicherheit ge-
zeigt: Die Kostensteigerung in der stationären Behand-
lung konnte ohne Qualitätseinschränkung abgebremst
werden.

Das seit 1996 praktizierte Mischsystem von Fallpau-
schalen und Sonderentgelten auf der einen Seite und ta-
gesgleichen Pflegesätzen auf der anderen Seite für den
Krankenhausbesuch hat sich nicht als sinnvoll erwiesen.
Wir haben uns mit diesem Gesetz zum Ziel gesetzt, vom
Selbstkostendeckungsprinzip und von kostenorientierten
Budgets hin zu einem leistungsorientierten Finanzie-
rungssystem zu kommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Dieter Thomae [FDP]: Aha! Wann? – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Warum nehmen Sie denn die Istkosten?)


Das neue System wird die Leistungsabgabe im Kranken-
haus transparenter und effizienter machen. Darüber hi-
naus werden die Fallpauschalen Fehlanreize beseitigen,
weil dieses System an der Bedarfsgerechtigkeit ansetzt.

Das Fallpauschalensystem hat vor allen Dingen den
Vorteil, dass wir zu einer regional gleichen Vergütung
kommen. Aber auch die Verweildauer in den Kranken-
häusern wird sich verkürzen. Jeder von uns kennt das: Bis
zur ersten Behandlung verbringt der eine oder andere Pa-
tient zunächst einmal das Wochenende im Krankenhaus.


(Lachen bei der CDU/CSU)

In diesem Gesetz hat auch die Qualitätssicherung einen

hohen Stellenwert. Wir haben ein lernendes System ein-
gebaut,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Eine lernende Regierung wäre besser!)


in dem systematische Beobachtungen und Überprüfungen
durchgeführt und die notwendigen Schlussfolgerungen
für weitere Anpassungen und Entwicklungen des Fall-
pauschalensystems gezogen werden.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420907000
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Faust? Oder gestatten
Sie gar keine Zwischenfragen?


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420907100
Ich ge-
statte keine Zwischenfragen.

Wir sehen deshalb eine Übergangsphase bis zum
Jahr 2006 vor. Die zweijährige so genannte budgetneu-
trale Einführungsphase in den Jahren 2003 und 2004 in
Höhe der Krankenhausbudgets ermöglicht es den einzel-
nen Krankenhäusern, sich auf die Veränderungen der Ein-
nahmen einzustellen.

Mit der Einführung des Fallpauschalensystems betre-
ten wir kein Neuland. Wir haben bereits mit der Gesund-
heitsreform den Weg in diesem Bereich geebnet. Das jetzt
zu beschließende Gesetz ist nur eine logische Konsequenz
aus § 17 der Gesundheitsreform 2000. Andrea Fischer als
Ministerin hat diese mutige und tief greifende Verände-
rung in der Krankenhausfinanzierung begonnen, die wir
heute hier verabschieden werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ihr gebt ihr den Rest!)


Auch der Sachverständigenrat sieht in der Einführung
des Fallpauschalensystems die Chance zur Steigerung der
Effizienz, der Wirtschaftlichkeit und vor allem der Qua-
litätssicherung.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wenn es nicht hundertprozentig umgesetzt wird, richtig!)


Wir zeigen mit dieser Reform: Wir meinen es ernst mit der
Reform des Gesundheitswesens, die noch viel stärker und
konsequenter als bisher angegangen werden muss.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Dann werden die Beiträge steigen!)


Wenn wir das Fallpauschalensystem beschließen, dann
ist klar, dass wir damit auch die Spezialisierung der
Krankenhäuser stärken. Hier müssen wir uns auch ent-
scheiden: Wollen wir eine Vielzahl von Krankenhäusern,
die alles machen, oder wollen wir den Ausbau von Kom-
petenzzentren, die sich in Zukunft auf die Behandlung
von bestimmten Krankheiten konzentrieren werden?
Diese werden allein durch die Erfahrung, die sie sammeln
können, besser sein, als es jedes Kreiskrankenhaus
zwangsläufig sein kann.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Die Wohnortnähe spielt keine Rolle mehr!)


Auch in Zukunft wird dennoch eine flächendeckende
medizinische Versorgung gewährleistet sein;


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie haben doch gerade gesagt, Sie wollen es zentralisieren!)


denn der Gesetzentwurf sieht die Möglichkeit der Verein-
barung von Zuschlägen zur Sicherung der medizinischen
Versorgung der Bevölkerung vor. Die Möglichkeiten zur
integrierten Versorgung durch die vor- und die nachgela-
gerte Versorgung werden demnächst intensiver genutzt
werden. Auch das ist eine Folge der Einführung der
DRGs. Dies ist eine richtige Weichenstellung; denn wir
brauchen – das sollte uns allen klar sein – im Gesund-
heitssystem eine intensivere und verbesserte Zusammen-
arbeit der verschiedenen Leistungsträger.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120736


(C)



(D)



(A)



(B)


Dazu gehört die Stärkung der Rolle des Hausarztes,
aber vor allem mehr Transparenz. Transparenz bedeutet
nicht in erster Linie Transparenz für die Versicherungen
und Verbände, sondern vor allem für die Patienten und die
Versicherten.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Dann fangen Sie doch mal an!)


Noch ein Wort zum Arzneimittelausgaben-Begren-
zungsgesetz. Um die GKV zukunftsfähig zu machen, be-
darf es der Zusammenarbeit aller Beteiligten. So sorgen
im Bereich der stationären Versorgung die zuständigen
Spitzenverbände durch die Entwicklung des heute disku-
tierten Fallpauschalensystems für mehr Transparenz in
den Ausgabenströmen der GKV. Auf der Grundlage
des Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetzes beteiligt
sich nach vorheriger Absprache nun auch der pharmazeu-
tische Bereich an der Konsolidierung der gesetzlichen
Krankenversicherung. Aber das ist noch nicht alles. Auch
die Ärzte und die Apotheker werden sich in Zukunft an
der Erschließung von Wirtschaftlichkeitsreserven beteili-
gen, und das in einer Form, die weder die Therapiefreiheit
noch die medizinische Versorgung der Patientinnen und
Patienten gefährdet. Wir geben damit den Apothekern und
den Ärzten ein Instrument an die Hand, mit dem sie zu-
verlässig wirtschaftlich Medikamente verordnen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie wollen sogar noch Versandhandel! Was hat das mit Sicherheit zu tun?)


Die entstehende Markttransparenz, die es in
Deutschland noch nie gab, ist eine grundlegende Voraus-
setzung für einen fairen Wettbewerb. Diesen wollen hof-
fentlich nicht nur wir, sondern auch Sie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das hat es noch nie gegeben, dass jemand redet, der überhaupt nicht dabei war!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420907200
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dieter Thomae.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das wird gegen das andere eine richtige Erholung sein!)



Dr. Dieter Thomae (FDP):
Rede ID: ID1420907300
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Von den Rednern der
Regierungsfraktionen habe ich überhaupt nichts zu der
gegenwärtigen Situation im Gesundheitssystem gehört.
Die gegenwärtige Situation ist Chaos.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir haben steigende Beitragssätze, wir haben jede Woche
ein neues Gutachten, hinter das sich die Ministerin jeweils
hängt und von dem sie meint, es sei gut und irgendwann
müsse man es verwirklichen. Wir vergessen, dass die Ver-
sicherten immer höhere Beitragssätze zahlen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint!)


Ich sage Ihnen auch: Mit Ihren beiden Gesetzen wer-
den Sie keinen Erfolg haben. Das Arzneimittelausgaben-
Begrenzungsgesetz muss man parlamentarisch sehr stark
kritisieren. Ich bin überrascht, dass Sie bei einem solchen
Gesetz noch nicht einmal die Zustimmungspflichtigkeit
seitens der Länder überprüft haben. Ich kann nur hoffen,
dass hier verfassungsrechtliche Fehler gemacht worden
sind; denn das, was Sie hier gemacht haben, ist erstaun-
lich: Sie haben Basarmentalität in die Politik eingeführt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich finde es erstaunlich, dass der Umweltminister hier sol-
che Worte gebrauchen kann und Sie so etwas in Geset-
zesform gießen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich sage Ihnen voraus, Frau Ministerin: Mit diesen Be-

trägen werden Sie nicht den gewünschten Erfolg haben.
Sie sind ja sogar zu feige, den Betrag ins Gesetz zu schrei-
ben.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So ist es!)

Wenn Sie Mut hätten, hätten Sie das getan.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Aber Sie wissen, dass Sie schon jetzt verloren haben.

Dann glauben Sie, dass Sie mit der Aut-idem-Rege-
lung und dem Bundesausschuss erfolgreich sein werden.
Überlegen Sie doch einmal: Wir haben jetzt das Institut
für Arzneimittel und Medizinprodukte, das die Produkte
und deren Zulassung überprüft, eine wichtige, entschei-
dende Hürde. Dann träumen Sie – wir natürlich nicht, weil
wir das für schwachsinnig halten –


(Detlef Parr [FDP]: Albträume!)

davon, mit dem Institut eine Positivliste zu erstellen.
Außerdem soll der Bundesausschuss in der kurzen Zeit,
die ihm zur Verfügung steht, über die Wirksamkeit ent-
scheiden.

Ich kann nur fragen: In welcher Welt leben wir eigent-
lich, dass Sie solche Entscheidungen treffen?


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Die Nebenwirkungen werden ungeheuer sein!)


Damit schränken Sie die Therapiefreiheit der Ärzte zum
Nachteil der Patienten weiter ein. Das ist der entschei-
dende Punkt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie versprechen den Patienten permanent mehr und deren
Versorgung wird während Ihrer Regierungszeit ständig
schlechter.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Qualität sinkt. Das ist Ihre Politik.

Ähnlich ist es bei Ihrem Gesetz zur Einführung von
Fallpauschalen. Der Idee können wir zustimmen. Aber
es gibt einige entscheidende Fragen, die Sie nicht beant-
worten, weil Sie dazu keinen Mut haben.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Ekin Deligöz

20737


(C)



(D)



(A)



(B)


Ein echtes Preissystem liegt nicht vor.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: So ist es!)

Ich muss in aller Bescheidenheit fragen: Wie kommen Sie
auf die Idee, australische Fallpauschalen zur Grundlage
Ihrer Diskussion zu machen?


(Lachen bei der SPD – Klaus Kirschner [SPD]: Das ist die Selbstverwaltung gewesen!)


– Moment. Sie haben das massiv unterstützt.

(Walter Hirche [FDP]: Das ist Kängurupoli tik!)

Warum orientieren Sie sich nicht an Fallpauschalen,

die in Europa bzw. Amerika bereits eingeführt wurden
und sich dort bewährt haben? Darauf könnten wir ein eu-
ropäisches System aufbauen. Das ist Ihr großer Fehler.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie alle wissen, dass es in Australien überhaupt kein

Preissystem gibt.

(Horst Schmidbauer [Nürnberg] [SPD]: Selbstverständlich!)

– Nein, es gibt kein Preissystem. Dies ist in den einzelnen
Staaten von Australien überhaupt nicht realisiert. Dort
gibt es vielmehr überall Budgetierung.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420907400
Herr Kollege
Thomae, gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Dr. Dieter Thomae (FDP):
Rede ID: ID1420907500
Ja, bitte.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420907600
Bitte sehr.


Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1420907700
Herr Kollege Dr. Thomae,
da Sie ja lange genug Politiker sind, dürfte auch Ihnen be-
kannt sein, dass nicht der Gesetzgeber festgelegt hat, wel-
ches Fallpauschalensystem bzw. DRG-System gewählt
wird, sondern dass letzten Endes die Selbstverwaltung
entschieden hat, ob ein australisches oder welches System
auch immer herangezogen wird.


Dr. Dieter Thomae (FDP):
Rede ID: ID1420907800
Herr Kirschner, Sie haben
völlig Recht. Das ist Sache der Selbstverwaltung. Aber
auch Sie wissen, dass die Bundesregierung bei der Beant-
wortung der Frage mitreden kann, welches System einge-
führt wird. So abseits steht die Bundesregierung nicht.


(Beifall bei der FDP)

Sie glauben, Sie etablieren ein echtes Preissystem. Das

ist nicht der Fall. Denn all diese Fallpauschalen werden
unter dem Dach der Budgetierung formuliert. Die Kran-
kenhäuser, die sehr positive Leistungen erbringen, wer-
den gedeckelt und mit degressiven Entlohnungen be-
glückt. Die Krankenhäuser, die die erwartete Leistung
nicht erbringen, bekommen Ausgleichszahlungen.

Hinzu kommt ein entscheidender Punkt, Frau Ministe-
rin: Alles hängt von der Grundlohnsumme ab. Das heißt,
bestimmte medizinische Notwendigkeiten werden bei den
Leistungen im Krankenhaus nicht berücksichtigt. Das ist
der Fehler. In diesem Bereich wird Minderqualität gelie-
fert werden. Denn Sie schreiben die Orientierung an der
Grundlohnsumme und die Budgetierung weiter fest.


(Beifall bei der FDP)

Außerdem werden im Krankenhausbereich floatende

Punktwerte eingeführt. Damit werden Sie die Katastro-
phe, die wir heute bereits im niedergelassenen Bereich ha-
ben, auf den stationären Bereich übertragen. Das ist
Mutlosigkeit. Schlagworte haben Sie; aber die Ausformu-
lierung ist miserabel!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Ach, Thomae!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420907900
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Schmidbauer?


Dr. Dieter Thomae (FDP):
Rede ID: ID1420908000
Ja.


Horst Schmidbauer (SPD):
Rede ID: ID1420908100
Herr Kollege
Thomae, können Sie mir bitte die entsprechende Seite
oder den Abschnitt im Gesetzentwurf nennen, mit dem Sie
Ihre floatenden Punktwerte begründen?


Dr. Dieter Thomae (FDP):
Rede ID: ID1420908200
Das liegt einfach an der
Formulierung in Ihrem Gesetzentwurf. Sie sagen, die
Grundlohnsumme sei die Rahmenbedingung. Sie spre-
chen von Degression und von Ausgleichszahlungen. Da-
raus bildet sich dieses Ergebnis.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Horst Schmidbauer [Nürnberg] [SPD]: Sie haben das Gesetz nicht gelesen!)


– Lesen Sie es einmal gründlich!
Es fehlen flankierende Qualitätssicherungen. Dieses

System wird uns außerdem dazu zwingen, neue Einrich-
tungen von Betreuung zu formulieren; denn infolge Ihres
Gesetzes werden die Patienten immer schneller entlassen.
Wir müssen also neue Einrichtungen schaffen, um Über-
gänge zu ermöglichen.

Was mir große Sorge macht, ist Ihre Philosophie: Sie
wollen im Krankenhaus einen Kontrollapparat aufbauen.
Die Funktion des Medizinischen Dienstes geht mir viel zu
weit. Wir können es uns nicht leisten, immer mehr Kon-
trollen und Überwachung zu etablieren. Sprechen Sie ein-
mal im Krankenhaus mit Ärzten darüber, was dort heute
an Verwaltungsaufgaben anstatt medizinischer Leistun-
gen wahrgenommen wird! Das nimmt fast die Hälfte der
Arbeitszeit in Anspruch.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das wird nach Ihrem Gesetzeswerk noch zunehmen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Dieter Thomae
20738


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich komme zu einem weiteren ganz schwierigen Be-
reich: Der medizinische Fortschritt wird von Ihnen – ich
will nicht sagen: blockiert – aber massiv erschwert;


(Zuruf von der SPD: Ach!)

denn Sie haben in diesem Gesetz festgelegt: Für Behand-
lungsmethoden und Untersuchungsmethoden, die mit
Fallpauschalen und Sonderentgelten noch nicht zeitge-
recht vergütet werden können und die nicht nach dem Ur-
teil des Ausschusses von der Finanzierung ausgeschlos-
sen werden, können erst ab 2005 Entgelte vereinbart
werden. In der Zwischenzeit, meine Damen und Herren,
werden moderne Methoden im Krankenhaus einfach ne-
giert. Das ist hochinteressant!


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das ist doch Quatsch!)


Dies sind ganz wichtige Punkte. Ich könnte noch einen
Punkt hinzufügen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420908300
Nein, das geht
wohl nicht mehr.


Dr. Dieter Thomae (FDP):
Rede ID: ID1420908400
Sie haben die modernen
Methoden nicht schiedsstellenfähig formuliert.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420908500
Herr Kollege
Thomae, ein kurzer Schluss bitte.


Dr. Dieter Thomae (FDP):
Rede ID: ID1420908600
Ich wollte noch festhalten:
Die Innovationen im Krankenhaus werden blockiert;
denn Sie haben sie nicht schiedsstellenfähig gemacht. Sie
machen sie von den Entscheidungen der Krankenkassen
abhängig und dieser Entscheidungsweg ist viel zu wenig.


(Horst Schmidbauer [Nürnberg] [SPD]: Keine Ahnung!)


Meine Damen und Herren, unser Entschließungsantrag
geht in die richtige Richtung.


(Beifall bei der FDP)

Sie werden mit diesen Gesetzen keinen Erfolg haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wiedereinmal selbstgefällig und interessenorientiert!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420908700
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ruth Fuchs, der wir zu ihrem heu-
tigen Geburtstag gratulieren wollen.


(Beifall – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist aber unser einziger Beifall!)



Dr. Ruth Fuchs (PDS):
Rede ID: ID1420908800
Danke sehr, Frau Präsidentin.
Ich danke auch Ihnen, dass Sie mir dafür Beifall spenden,
aber Geburtstage sind kein eigenes Verdienst.

Kommen wir jetzt zu weniger erfreulichen Dingen,
also erst einmal zu dem einen Gesetz, über das wir spre-
chen wollen.

Für die Arbeit in den Krankenhäusern bedeutet der
Übergang zur Vergütung mittels diagnosebezogener Fall-
pauschalen einen tiefen Einschnitt. Der wirtschaftliche
Erfolg eines Hauses hängt dann vorrangig davon ab, in-
wieweit es gelingt, Kosten und Leistungen zu minimie-
ren. Das bedeutet: Die Patienten werden, ob man es nun
wahrhaben will oder nicht, tendenziell einem Unterver-
sorgungsrisiko ausgesetzt.

Angesichts dieses Risikos war das mangelnde Pro-
blembewusstsein für mich schon erschreckend, mit dem
das Ministerium und auch die Koalition an den ursprüng-
lichen Gesetzentwurf herangegangen sind. Aus dem Stand
heraus wurde der Übergang zu einer praktisch flächen-
deckenden Krankenhausvergütung nach Fallpauschalen
beschlossen – und das im Wissen darum, dass diese Vor-
gehensweise international ein völliges Novum darstellt.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist das!)

Für die Einführung der neuen Vergütungen sah man von
vornherein eine zu knappe Zeitspanne vor.

Nun übersehen wir nicht, dass im parlamentarischen
Verfahren Korrekturen erfolgten. So sind die Positionen
der Krankenhäuser und vor allem die Möglichkeiten der
Länder, den Sicherstellungsauftrag wahrzunehmen, er-
kennbar gestärkt worden. Zu begrüßen ist auch, dass eine
gesetzliche Verpflichtung zu mehr Qualitätssicherung und
entsprechender Begleitforschung aufgenommen wurde.
Unserer Auffassung nach ändert dies jedoch nichts an der
Tatsache, dass das Vorhaben ein beispielloses Feldexperi-
ment bleibt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Experiment am Menschen!)


Liebe Kollegin Ekin Deligöz, es ist tapfer von Ihnen,
dass Sie hier geredet haben. Aber die Rahmenbedingun-
gen sind eben nicht mit denen in den USA und nicht mit
denen in Australien vergleichbar.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


In den USA geht man in einigen Bereichen des Health
Care schon wieder ab von diesem Instrument und zurück
zu vergleichbaren Pflegesätzen. – Trotzdem: Meine Ach-
tung, dass Sie zu diesem Thema gesprochen haben!

So bleibt der Zeitplan unserer Meinung nach immer
noch unrealistisch. Auch die angestrebte Transparenz der
Qualität wird auf sich warten lassen. Die Versorgungs-
risiken für die Patienten aber bestehen vom ersten Tag an.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, die Pati-
enten, aber auch die behandelnden Ärzte benötigen mehr
Rechte, damit sie sich gegen den radikalen wirtschaft-
lichen Druck auf das medizinische Leistungsgeschehen
wehren können. Die zusätzlichen Mittel zur Verbesserung
der Arbeitszeitbedingungen, die jetzt bereitgestellt wer-
den, sind angesichts der ungünstigen Ausgangslage und
weiterer Arbeitsintensivierung nur ein Tropfen auf den
heißen Stein. Mit diesem Gesetz wird es zu einer Ökono-
misierung des medizinischen Handelns kommen. Das,
meine Damen und Herren, ist kein Ziel der PDS-Politik.


(Beifall bei der PDS)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Dieter Thomae

20739


(C)



(D)



(A)



(B)


Mit diesem Gesetz werden sich die Voraussetzungen für
eine humane, an den Interessen der Patienten orientierte
und effektive Arbeit in den Krankenhäusern verschlech-
tern. Wir lehnen dieses Gesetz deshalb ab.


(Beifall bei der PDS)

Das 4-Milliarden-Defizit der GKVen ist bekannt. Be-

kannt ist auch, dass die überproportionale Erhöhung der
Arzneimittelausgaben daran einen großen Anteil hat. Zu
den Ursachen zählt ganz sicher nicht nur die vorzeitige
Ankündigung der Budgetaufhebung durch die Ministerin.
Aus unserer Sicht haben darüber hinaus Pharmahersteller
in jüngster Zeit eine neue Welle hochpreisiger Innovatio-
nen auf den Markt gedrückt. Ich benutze das Wort „ge-
drückt“ deshalb, weil die geltende Definition innovativer
Arzneimittel leider zulässt, dass ein großer Teil dieser teu-
ren Produkte eben keinen therapeutischen Zusatznutzen
besitzt, also keine echten Innovationen darstellt.

Der von der Ministerin geplante Preisabschlag auf
patentgeschützte Mittel war deshalb aus unserer Sicht
ein begründeter und auch berechtigter Schritt.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sozialisten müssen das ja so sagen!)


Er hätte die Kassen in den nächsten zwei Jahren um knapp
1Milliarde DM entlastet. Für uns ist und bleibt es aber ein
unglaublicher Vorgang,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Da hat sie wiederum Recht!)


dass sich die Regierung diesen substanziellen Teil des Ge-
setzes für eine Einmalzahlung von 400 Millionen DM ab-
kaufen ließ. Das beeinträchtigt nicht nur seine Wirkung,
sondern besitzt auch moralische und rechtliche Dimensio-
nen, die in ihrem Umfang noch gar nicht abzusehen sind.
Was das für Folgen haben wird, werden wir an der Politik
der kommenden Zeit sehen – ich glaube, keine guten.


(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, gegen eine Aut-idem-Lö-

sung, die vom guten Willen aller Beteiligten getragen
wäre und im Einzelfall genügend Spielraum böte, ließe
sich kaum etwas einwenden. Aber wir wissen doch alle:
Die reale Arzneimittelwelt mit ihren massiven finanziel-
len Interessen ist nicht so. Die vielen Unsicherheiten, die
die Aut-idem-Regel in das komplizierte Beziehungs-
gefüge von Ärzten und Patienten, Herstellern und Apo-
thekern bringt, stehen in keinem Verhältnis zu einer mög-
lichen, aber keineswegs gesicherten Kosteneinsparung.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: So ist das!)


Alles in allem: Wir unterstützen und begrüßen Maßnah-
men zur Reduzierung der Arzneimittelausgaben. Wir halten
sie auch für notwendig, aber wir sind der Überzeugung, dass
dieses heute vorgelegte Gesetz die Probleme nicht lösen
wird, auch wenn es ein Schritt in die richtige Richtung ist.
Frau Ministerin, wir werden uns im nächsten Jahr wieder
sprechen und dann erneut über dieses Thema reden müssen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das ist wieder einmal ein Trippelschritt!)


Deshalb werden wir uns bei der Abstimmung zu diesem
Gesetz der Stimme enthalten.

Noch einmal zu den DRGs zurück; ich habe noch ein
bisschen Zeit.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420908900
Nein, ich bin
heute mit der Redezeit bei Ihnen nur besonders großzügig,
weil Sie Geburtstag haben.


Dr. Ruth Fuchs (PDS):
Rede ID: ID1420909000
Zum Entschließungsantrag
der FDP: Lieber Herr Thomae, wir beide wissen, was wir
voneinander zu halten haben und wie wir unsere jeweilige
Gesundheitspolitik beurteilen. Ihrem Antrag können wir
nicht zustimmen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Nun entschuldigen Sie sich aber nicht deswegen!)


Nun getraue ich mich noch zu sagen – ich hoffe, ich
schade Ihnen damit nicht –: Der Antrag der CDU/CSU ist
fachlich gut. Offenbar kommt Ihre Handschrift, lieber
Kollege Faust, schon sehr deutlich zum Vorschein. Aber
da sich der Grundansatz unserer Gesundheitspolitik sonst
unterscheidet und wir oftmals einen anderen Weg vor-
sehen, enthalten wir uns an der Stelle.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das ist tragisch!)


– Auf diesem Feld könnten wir in der Tat einmal Ja sagen.
Aber es könnte ja auch sein, dass Ihnen das zum Schaden
gereicht. Mit unserer Enthaltung bewahren wir Sie vor ei-
nem solchen Schaden.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Teile Ihrer Rede haben uns auch gefallen, Frau Kollegin!)


Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420909100
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Horst Schmidbauer.


Horst Schmidbauer (SPD):
Rede ID: ID1420909200
Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren! Ich beginne mit einem
Zitat:

Ich rufe den Krankenhäusern und auch den Beschäf-
tigten in den Krankenhäusern zu: Wenn wir diese
hohe Qualität in den Krankenhäusern dauerhaft er-
halten wollen, wenn wir den sozialen Schutz der
Menschen in den Krankenhäusern erhalten wollen,
dann müssen wir dafür sorgen, dass die Kranken-
hausausgaben in einer Balance mit den Zuwachs-
raten der volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
bleiben. Wenn uns dies nicht gelingen würde, würden
wir die Axt an die Wurzeln unseres Sozialsystems
und an die Funktionsfähigkeit eines qualitativ hoch-
wertigen Gesundheitssystems legen.

Jetzt kommt der entscheidende Satz:
Deshalb ist nicht das Handeln die Gefahr für die
Krankenhäuser, sondern das Nichthandeln.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Ruth Fuchs
20740


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich halte dies für ein sehr gutes Zitat.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das ist von Herrn Seehofer!)

Es stammt von Ihnen, Herr Seehofer.


(Beifall bei Abg. Regina Schmidt-Zadel [SPD] – Horst Seehofer [CDU/CSU]: Können Sie das noch einmal vorlesen?)


Die Frage ist nur, wie Sie von Ihrer eigenen Mahner-
position zu einer Bremserfunktion und von einer Hand-
lungsempfehlung zu einer Nichthandlungsempfehlung
gekommen sind. Ich denke, die eigentliche Gefahr für die
Krankenhäuser geht von Ihrem Nichthandeln aus.

Wir sagen den Patienten: Qualität wird groß geschrie-
ben.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Der PISA-Test war nicht besonders!)


Dafür aber müssen wir die Qualität sichern. Deswegen
wollen wir mit dem neuen Gesetz eine Qualitätssiche-
rungmit Biss machen. Die Krankenhäuser, die in Zukunft
die Qualität nicht einhalten, müssen mit entsprechenden
Sanktionen rechnen. Dabei gehen wir neue Wege. Wir sa-
gen nämlich: Wir müssen dafür sorgen, dass Transparenz
und Qualität in gleichem Maße zunehmen. Deswegen
wollen wir einen Katalog für planbare Behandlungen und
Operationen schaffen, der auf eine Mindestmengenerfah-
rung im Handeln aufbaut.

Wir sind dies den Menschen schuldig. Wir dürfen die
Menschen nicht weiterhin im Dunkeln lassen. Wir müs-
sen ihnen vielmehr ermöglichen, zu erfahren, welches
Krankenhaus in ihrer Region die höchsten Erfah-
rungswerte für einen bestimmten Operationsbereich hat.
Sie sollten die Chance haben, diese Informationen nicht
hinter vorgehaltener Hand zu erhalten, sondern über die
Handlungsmöglichkeiten und das Leistungsvermögen ei-
nes Krankenhauses offiziell Bescheid zu wissen.


(Beifall bei der SPD)

Wir müssen auch dafür sorgen, dass Transparenz groß

geschrieben wird.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Auch jetzt wird es schon groß geschrieben!)


Wir werden das machen. Im Gesetz ist klar geregelt, dass
wir von den Krankenhäusern einen Qualitätsbericht for-
dern. Dieser wird auf Wunsch des Bundesrates in das
Internet gestellt. Damit haben die Menschen die Chance,
sich zu informieren, sich ein eigenes Bild zu machen und
sich beraten zu lassen. Das ist der entscheidende Punkt,
auf den wir hinauswollen.

In Zukunft werden die Patientinnen und Patienten im
Mittelpunkt stehen; denn nur das Krankenhaus, das eine
andere Betriebsablaufplanung macht und ein anderes Ma-
nagement an den Tag legt, wird ein solches Leistungs-
vermögen aufweisen können, wie es das Gesetz fordert.
Davon wird der Patient profitieren.


(Beifall bei der SPD)


Wir sagen den Versicherten, dass ihre Beitragsgelder in
Zukunft effizienter eingesetzt werden.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Für mehr Bürokratie! – Dr. Dieter Thomae [FDP]: Aber dafür mehr zahlen!)


Wir werden die falschen Anreize beseitigen. Das Kran-
kenhaus wird nicht mehr nach den belegten Betten be-
zahlt, sondern nach Leistung. Wir werden dafür sorgen,
dass in den Krankenhäusern die Rosinenpickerei mit den
antiquierten amerikanischen Fallpauschalen aufhört, die
Sie immer noch hofieren. Wir wissen doch, dass dies nicht
zu einer gerechten Bewertung dessen führt, was Men-
schen in Krankenhäusern an Leistung erbringen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420909300
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Faust?


Horst Schmidbauer (SPD):
Rede ID: ID1420909400
Natürlich.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Er hat doch gerade geredet! Das war auch nicht besser! – Gegenruf des Abg. Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Was heißt „auch“?)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420909500
Man darf auch
dann Zwischenfragen stellen, wenn man schon geredet
hat. – Bitte.


Dr. Hans Georg Faust (CDU):
Rede ID: ID1420909600
Herr
Schmidbauer, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
dass bei einem festen Preissystem der Anreiz der Kos-
tenvermeidung natürlich systemimmanent ist und dass
Verweildauerverkürzungen und die Vermeidung von kos-
tenintensiven Leistungen ein Problem darstellen, das
letztendlich nur mit einem massiven Kontrollmechanis-
mus bei der Qualität zu kompensieren sein wird?


Horst Schmidbauer (SPD):
Rede ID: ID1420909700
Lieber Herr
Dr. Faust, Sie waren doch eine Woche lang in Kranken-
häusern und Instituten der USA mit mir unterwegs. Das
kann doch nicht einfach spurlos an Ihnen vorbeigegangen
sein.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Bei ihm nicht!)


Wir haben immer wieder festgestellt, dass dort, wo an
den Behandlungsaufwand für die Patientinnen und Pati-
enten hohe Anforderungen gestellt werden, keinerlei Se-
lektionsmechanismen in den USA greifen. Je komplizier-
ter und schwieriger der Fall war, umso interessanter war
er von der ökonomischen Seite. Von daher müssen wir da-
von ausgehen, dass nach den Erfahrungen in den USA, in
Australien oder Skandinavien in der Bundesrepublik die
gleichen Erfolge erzielbar sind. Ich glaube, die Menschen
in Deutschland sind nicht dümmer als die in Skandi-
navien.


(Beifall bei der SPD)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Horst Schmidbauer (Nürnberg)


20741


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir sagen aber auch den Ärztinnen und Ärzten sowie
den Pflegern: Ihre Leistung wird in Zukunft gerecht be-
wertet. Es ist entscheidend, dass wir zu einer gerechten
Bewertung der Leistung kommen. Wir müssen auch
dafür sorgen, dass die damit einhergehende Gerechtigkeit
in den Krankenhäusern umgesetzt wird. Wenn wir in Kli-
niken schauen, die bereits mit DRGs arbeiten, sehen wir,
dass es bei der Zuordnung der Finanzen und bei der Zu-
ordnung von Personal mehr Gerechtigkeit gibt. Wir wer-
den durch Zuschläge die Versorgung im ländlichen Be-
reich sicherstellen. Ich glaube, das Gesetz sieht eine
intelligente Lösung vor, die die Erreichung dieses Ziels
gewährleistet. Es sollen keine falschen Anreize geschaf-
fen, sondern es soll Sicherheit für Versorgungsaufträge er-
reicht werden.

Wir werden auch Lösungen finden, damit nicht Kran-
kenhäuser, die ausbilden, bestraft werden, indem sie
80 000 bis 100 000 DM für die Ausbildung zuschießen
müssen. Wir werden einen Fonds schaffen und damit die
Krankenhäuser, die ausbilden, belohnen, während die
Krankenhäuser, die nicht ausbilden, bezahlen müssen.
Genau darauf werden wir setzen.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das gibt es doch schon!)


Wir machen den Krankenhäusern deutlich: Nun folgt
endlich das Geld der Leistung. Viele andere im Gesund-
heitsbereich Tätige wie Ärzte wären froh, wenn sie so weit
wären wie die Krankenhäuser und auch in ihrem Bereich
das Geld der Leistung folgen würde. Wir schaffen mit
Festbeträgen Vertrauen bei den Krankenhäusern. Der zen-
trale Punkt, um die Zustimmung der Krankenhäuser zu er-
reichen, ist, dass wir mit einem Festbetragssystem anfan-
gen. Alle anderen Gesundheitsanbieter in Deutschland
wären froh, wenn sie mit Festpreisen arbeiten könnten.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Und der Budgetierung!)


Mit den Krankenhäusern gehen wir einen neuen Weg. Das
ist ein großer Vorteil, der Vertrauen schafft.

Wir werden für die gleiche Leistung den gleichen Preis
einführen. Auch solche Elemente zu schaffen gehört zu
unserem Programm. Damit stülpen wir den Krankenhäu-
sern nichts über. Wir gehen ganz sanft voran, indem wir
zunächst mit dem Schutzzaun eines Budgetanspruches für
die Jahre 2003 und 2004 beginnen.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Dann ist das ein Geschenk?)


Die nächste Übergangsstufe wollen wir bis zum
Jahre 2007 verwirklichen. Man kann es den Menschen
kaum erklären, dass wir von 2001 bis 2007 brauchen, um
ein neues Vergütungssystem vollständig einzuführen. Ich
denke, das ist wirklich ein sanfter Übergang.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das ist eher ein sanfter Abbau!)


Wir haben weiterhin versprochen: Wir sehen ein ler-
nendes System vor, weil wir wollen, dass die Kranken-
häuser an die neue Aufgabe herangeführt werden. Wir

werden auch in der Politik lernen, die Erkenntnisse, die
wir aus der Umsetzung gewinnen, bei den Nachfolgege-
setzen zu berücksichtigen. Ich denke, hiermit sind wir auf
dem richtigen Weg. Wir werden im internationalen Kon-
zert mitspielen können. Im Hinblick auf die Kranken-
häuser stehen wir zurzeit nicht gut da.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Warum kommen immer mehr Ausländer nach Deutschland und lassen sich operieren?)


Ich bin der Auffassung, wir werden im internationalen
Vergleich wieder einen guten Mittelplatz haben, wenn wir
zu ökonomischen Erfolgen hinsichtlich der Verweildauer
und der Anzahl der Betten in Deutschland kommen. Ich
denke, wir haben eine gute Chance, wenn wir Qualität
und Wirtschaftlichkeit auf einen Nenner bringen, der
uns Erfolg für die Zukunft verspricht. Wir können damit
das dickste Brett, das sich zurzeit in der Gesundheitspo-
litik stellt, bohren.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Andere tragen das vor dem Kopf!)


Wir müssen die Probleme anpacken und lösen. In die-
sem Sinne sehe ich eine gute Chance für unsere Zukunft.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420909800
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Wolf Bauer.


Dr. Wolf Bauer (CDU):
Rede ID: ID1420909900
Frau Präsidentin! Meine
Damen! Meine Herren! Ich möchte zunächst auf das ein-
gehen, was Herr Kollege Thomae angesprochen hat, näm-
lich auf die Entwicklung des Defizits in der GKV. Ich
werde immer wieder an das Jahr 1996 erinnern, als in der
Regierungszeit von CDU/CSU und FDP ein Defizit von
6 Milliarden DM abgebaut wurde. – Das ist doch nicht
wahr, Herr Kirschner.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das ruft der immer!)


Vergessen wir das.
Voraussichtlich wird 2001 und 2002 jeweils ein Defi-

zit von 4 Milliarden DM entstehen. Das betrifft also die
Zeit nach dem Regierungswechsel. Deshalb haben Sie das
zu verantworten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie haben die Zuzahlungsregelung angesprochen. Ich

möchte Ihnen sagen: Unsere Sozial- und Überforderungs-
klausel war sozialer als alles, was Sie versprochen und
nach der Wahl umgesetzt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich möchte auch noch etwas zu dem immer wieder er-

hobenen Vorwurf der Beitragssatzsteigerungen sagen.
Wenn man als Fixpunkt das Jahr 1982 nimmt, dann stellt
man fest, dass in den zwölf Jahren, in denen die SPD die
Regierung geführt hat, der Beitragssatz um 3,8 Prozent-
punkte angehoben wurde, dass aber der Beitragssatz in
den 17 Jahren, in denen die CDU/CSU die Regierung ge-
führt hat, nur um 1,62 Prozentpunkte gestiegen ist. Wenn

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Horst Schmidbauer (Nürnberg)

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man dann noch die deutsche Einheit berücksichtigt, stellt
man sogar fest, dass unter der CDU/CSU-geführten Re-
gierung fast Beitragssatzstabilität geherrscht hat. Das und
nicht das, was hier immer behauptet wird, ist wahr.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Peter Dreßen [SPD]: Ihr habt doch die Mehrkosten auf die Versicherungen abgeschoben!)


Meine Damen und Herren von der linken Seite, Sie
müssen endlich einsichtig werden und von Ihrer ideolo-
gischen Sturheit ablassen. Versuchen Sie doch einmal,
neue Instrumente einzuführen. Die Gesundheitsministe-
rin sagte noch vor wenigen Wochen, dass die Steigerung
der Ausgaben für Arzneimittel mit dem Stau zusam-
menhänge, der durch die Budgetierung entstanden sei.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Da hat sie auch Recht! – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [SPD] Das ist ja in Ordnung!)


Auch sind die Arzneimittelpreise in Deutschland laut Sta-
tistik nicht überproportional gestiegen. Sie liegen im
europäischen Vergleich sogar im unteren Drittel.

Trotz all dieser Fakten fällt Rot-Grün nichts Besseres
ein, als sich wieder einmal die Arzneimittelausgaben vor-
zuknöpfen. So entstand das jüngste Kind einer verkorks-
ten Gesundheitspolitik, das Arzneimittelausgaben-Be-
grenzungsgesetz.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das Wort ist schon furchtbar!)


Um eine Reform handelt es sich dabei nicht. Es ist ein rei-
nes Kostendämpfungsgesetz, wie folgende Maßnahmen
zeigen: Erhöhung des Apothekenrabatts von 5 auf 6 Pro-
zent, Senkung der Herstellerabgabenpreise der Pharmain-
dustrie um 4 Prozent bzw. Sonderzahlung des VFA in
Höhe von 400 Millionen DM.

Diese äußerst merkwürdige Vorgehensweise der
Regierungskoalition wirft eine ganze Reihe von interes-
santen Fragen auf. Die Fragen allgemeiner Art lauten: Soll
das Freikaufen durch pauschale Zahlungen jetzt zum
Markenzeichen dieser Bundesregierung werden?


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ja, ist es schon!)


Will Rot-Grün demnächst mit weiteren derartigen Son-
dersteuern den Wirtschaftsstandort Deutschland und seine
Bürger belasten?


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ist er schon!)

Es gibt aber auch Fragen spezieller Art: Warum wird der

Betrag von 400Millionen DM nicht im Gesetzentwurf ge-
nannt? Als Antwort haben wir gehört: nicht erforderlich!


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: „Vertrauen“ haben die gesagt!)


Wer steht in Zahlungsausfällen dafür gerade? Als Antwort
haben wir gehört:


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nicht erforderlich!)


Wird sich finden!

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)


Warum werden solche Vereinbarungen nicht schriftlich
fixiert? Als Antwort haben wir gehört: nicht notwendig!


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: So ist es!)

Warum gibt es kein Votum des BMJ? Als Antwort haben
wir gehört: Das können wir alleine.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: So ist es! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Warum gibt es eine Gesundheitsministerin? Die ist nicht notwendig!)


Gernot Kiefer von der IKK hat mit Recht festgestellt:
Es muss geklärt sein, wer was aus welchem Rechts-
grund zu tun hat.

Damit hat er doch Recht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Bleiben wir beim AABG. Laut Gesundheitsministerin
soll das Einsparvolumen bis zu 3 Milliarden DM betra-
gen. Diese Größenordnung dürfte allerdings nur ihrem
Wunschdenken entsprechen. Experten rechnen nur mit
gut 1 Milliarde DM. Die Parlamentarische Staatssekretä-
rin Schaich-Walch hat noch am 14. November dieses Jah-
res im Gesundheitsausschuss verkündet: Unabhängig
vom Angebot der Pharmaindustrie „werden wir bei aut-
idem bleiben, da es sich um eine Strukturkomponente
handelt“.

Was ist aus dieser Strukturkomponente, sozusagen
dem Herzstück des AABG, geworden? Im Gesundheits-
ausschuss haben wir eine Anhörung zu diesem Gesetz
durchgeführt. Sie war für die Koalitionsfraktionen nie-
derschmetternd.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Vernichtend! – Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)


– Gut, sogar vernichtend. – Daraufhin wurden schleunigst
einige Änderungsanträge zusammengeschustert, wie im-
mer hektisch und ohne Sorgfalt. Das kann man daran er-
kennen, dass sofort wieder Änderungsanträge zu den Än-
derungsanträgen eingebracht wurden. Die letzten
Änderungen wurden noch in der Ausschusssitzung hand-
schriftlich vorgenommen. Was dabei im Vergleich zu den
Vorstellungen des Bundesrats herausgekommen ist, ha-
ben wir eben gehört. Der Bundesrat hat einer Fristverkür-
zung nicht zugestimmt. Insofern ist die ganze Vorgehens-
weise sehr eigenartig.

Dabei wollten es die Koalitionsfraktionen mit ihren
Änderungsanträgen doch allen recht machen, frei nach
dem Motto: allen wohl und keinem wehe! Was kam bei
diesen Bemühungen heraus?

Es gab eine Beruhigungspille für die Ärzte: Zwar müs-
sen sie eine Aut-idem-Regelung hinnehmen; allerdings
tangiert sie diese nicht sonderlich, da sie sie bequem um-
gehen können; denn ihre Verordnungen brauchen nur im
unteren Drittel der Preisskala zu bleiben.

Eine Beruhigungspille gab es daneben auch für die
Apotheker: Sie bekommen endlich ihre gewünschte Aut-
idem-Regelung. Allerdings können sie damit nichts mehr
anfangen; denn sie wurde durch die Änderungsanträge

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Wolf Bauer

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der Regierungskoalition ad absurdum geführt. Sie kann
auf keinen Fall mehr als Ausgleich für die Erhöhung des
Krankenkassenrabatts von 5 auf 6 Prozent dienen.

Eine Beruhigungspille gab es auch für die Arzneimit-
telhersteller: Sie müssen ihre mühsam und kostenintensiv
aufgebauten Marketingsysteme nicht umstellen. Dafür
müssen sie aber eine für viele von ihnen tödliche Preisspi-
rale nach unten hinnehmen. Vor allem kleinere und mittel-
ständische Betriebe werden dabei auf der Strecke bleiben.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Das ist die neue Mitte!)


Aber – das gilt nicht nur in diesem Fall – die Bundesre-
gierung interessiert die Großindustrie eh stärker als die
kleinen mittelständischen Betriebe.

So geht es weiter auf dem Weg in die Zweiklassenme-
dizin. Die Gesundheitsministerin hat es so formuliert:

Ich kann nicht die einen zum Aldi schicken und die
anderen in die sechste Etage des KaDeWe.

(Zuruf von der FDP: Ich gehe auch zum Aldi!)


Kompliment für diese Einsicht! Aber offensichtlich sehen
die Sozialdemokraten die Lösung dieses Problems darin,
dass sie davon ausgehen, dass alle zu Aldi gehen müssen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Und das ist noch eine Beleidigung für Aldi!)


So einfach kann man es sich natürlich auch machen. Wie
erreicht man das? Ich will einige Beispiele nennen.

Erstens: mit einem AABG – das heute in zweiter und
dritter Lesung beraten wird – und einer Aut-idem-Rege-
lung à la SPD. Das heißt – das ist das Wichtigste –: Für
den Versicherten nur das Billigste.

Zweitens: mit einer Positivliste. Das heißt: Dem Ver-
sicherten wird vorgeschrieben, welches Medikament für
ihn das richtige ist. Also: Therapiefreiheit ade! Innovatio-
nen später! Aber: mehr Bürokratismus!

Drittens: mit einer Anhebung der Versicherungs-
pflichtgrenze. Es wäre natürlich reizvoll, jetzt darauf ein-
zugehen, in welchen Schritten Sie sie einführen wollen.
Mit Sicherheit ist es wichtig, den Versicherten eines zu sa-
gen: Durch diese Manipulation müssen sie damit rechnen,
dass ein freiwillig Versicherter 3 700 DM pro Jahr zu-
sätzlich zu seinen Versicherungsbeiträgen abführen muss.
Ich frage mich, wo das eine sozial gute Politik ist.

Viertens: Pflichtmitgliedschaft der Beamten in der
GKV. Auch das ist eines der Instrumente, die Sie anzu-
wenden versuchen.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Katastrophe!)

Fünftens – diesen Punkt muss ich wirklich noch nen-

nen, auch wenn damit einst ein amüsanter Lapsus Linguae
in der Haushaltsdebatte verbunden war –: Man wünscht
sich den „zugelassenen Patienten“; das wäre nach Ihrer
Auffassung der Idealzustand.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Peter Dreßen [SPD]: Das ist arg flach, Herr Apotheker!)


Wir hingegen bleiben bei unserer Forderung, den Ver-
sicherten mehr Mitgestaltungsmöglichkeiten zu geben
und ihre Eigenverantwortung zu stärken. Interessant ist,
dass selbst der Wirtschaftsminister dieser Regierung diese
Steuerungselemente mittlerweile als richtig anerkannt
hat:


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Der fällt ja immer um!)


Selbstbehalte, Kostenerstattung, Beitragsrückgewähr
usw.

Wir fordern auch heute wieder die Gesundheitsminis-
terin auf, nicht erst 2003 ihre Vorstellung von einer Re-
form der GKV auf den Tisch zu legen. Aber machen Sie
bitte kein Stückwerk, sondern eine echte Reform, die ei-
ner solchen Forderung gerecht wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das muss vor den Bundestagswahlen geschehen. Poli-
tik kann doch nicht so gemacht werden, dass man an die
bekannte Geschichte vom Rumpelstilzchen erinnert wird:
Eure Stimmen brauchen wir 2002; euer Geld holen wir
2003; ach wie gut, dass niemand weiß – – Welchen Na-
men Sie hier einsetzen, überlasse ich Ihnen.

Aber bevor Sie an diese interessante Aufgabe herange-
hen, wünsche ich Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest
und alles Gute für das neue Jahr.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Das war der Märchenonkel!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420910000
Dafür bedanken
sich alle.

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Carola Reimann.


Dr. Carola Reimann (SPD):
Rede ID: ID1420910100
Frau Präsidentin! Sehr
geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Wir wissen: Eine bedarfsgerechte Arzneimittelver-
sorgung und eine wirtschaftliche Therapie sind eine wich-
tige Säule unseres Gesundheitswesens.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das kann man wohl sagen!)


Es ist schon gesagt worden, dass Anstiege bei den Arz-
neimittelausgaben zu verzeichnen sind; im ersten Halb-
jahr war es ein Anstieg um 11 Prozent. Dass wir einen sol-
chen Anstieg nicht länger hinnehmen können, ist klar.
Deswegen ist das Arzneimittelausgaben-Begrenzungsge-
setz ein ganz wesentlicher Beitrag zur Entlastung der ge-
setzlichen Krankenversicherung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zentrales Element der Regelung ist die so genannte
Aut-idem-Lösung. „Aut idem“ ist Lateinisch und heißt
„oder dasselbe“. Das bedeutet, dass in Zukunft nicht mehr
der Präparatname, sondern der Wirkstoff rezeptiert wird,
so dass der Apotheker die Möglichkeit erhält, ein preis-

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Dr. Wolf Bauer
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günstiges, wirkstoffgleiches Medikament abzugeben, das
er in der Apotheke vorrätig hat. Als Ausnahmeregelung
haben wir das schon lange, nämlich für den Fall, dass an
Feiertagen und an Sonntagen der Apothekennotdienst in
Anspruch genommen wird und das verschriebene Medi-
kament in der Apotheke nicht vorrätig ist. „Aut idem“ hat
sich in der Vergangenheit als praktikabel und als sicher
erwiesen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Im Ausnahmefall, ja!)


Niemand hat beklagt, der Apotheker habe mangelnde
Kompetenz, wie man das heute hört.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Es ist ein Unterschied, ob ich eine Ausnahme mache oder ob ich es zur Regel mache!)


„Aut idem“ erschließt Wirtschaftlichkeitsreserven, die
wir nicht ungenutzt lassen wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb wollen wir das, was in Notdiensten jahrelang si-
cher praktiziert wurde, jetzt zum Regelfall machen. Dass
das geht, haben im Übrigen auch alle begriffen. Das ha-
ben die Ärzte begriffen; das haben die Apotheker begrif-
fen.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Nur noch nicht die Patienten!)


Nur Sie von der lieben Opposition haben das noch nicht
begriffen. Sie ziehen es vor, Märchen und Mythen in die
Welt zu setzen.


(Zuruf von der FDP: Rumpelstilzchen!)

– Genau, Rumpelstilzchen hatten wir schon. – Da ist zum
Beispiel das Märchen von der Therapiefreiheit. Meine
Damen und Herren von der Opposition, entgegen Ihren
Aussagen bleibt die Therapiefreiheit in vollem Umfang
erhalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Dieter Thomae [FDP]: Über die Richtgrößen eben nicht! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Über die Positivliste nicht! Was hat die Positivliste mit Therapiefreiheit zu tun?)


Wir wollen die therapeutische Freiheit des Mediziners mit
dieser Regelung überhaupt nicht begrenzen. Wenn es ein
Arzt für medizinisch notwendig hält, dann kann er „aut
idem“ nach wie vor ausschließen. Wenn der Arzt selbst
das preisgünstigere Medikament verschreibt, dann – das
wurde ja sogar schon kritisiert – entfällt die Substitution
durch den Apotheker. Schließlich ist es aber immer noch
der Arzt, der bestimmt, welcher Wirkstoff für welche The-
rapie eingesetzt wird. Dem Arzt wird da also gar nichts
weggenommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Unbestritten ist, dass der Apotheker in allen Fragen der
Pharmakologie, Toxikologie und Formulierung von Arz-
neimitteln der Experte unter allen Akteuren im Gesund-

heitswesen ist. Diese Kompetenz wollen wir in Zukunft in
vollem Umfang nutzen.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Wer haftet? – Gegenruf der Abg. Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Die dummen Fragen haben Sie schon im Ausschuss gestellt!)


– Statt immer neue Märchen zu ersinnen, sollten Sie ein-
mal in eine Apotheke gehen und sich anschauen, wie die
Realität da aussieht.

Oft gibt es für einen Wirkstoff mit der gleichen Darrei-
chungsform und der gleichen Wirkstärke mehrere – das ist
noch nett gesagt – Produkte, und zwar zu ganz unter-
schiedlichen Preisen. Ich will Ihnen einmal zwei Bei-
spiele nennen. Ich habe hier eine Liste, die auch einige
von Ihnen kennen. Diclofenac ist ein Antirheumatikum.
Wenn Sie 20 Tabletten mit 50 Milligramm brauchen,
kommen allein 37 Produktnamen zu 18 ganz unterschied-
lichen Preisen in Frage. Die Preise liegen zwischen
3,96 DM und 14,28 DM für das Originalpräparat Volta-
ren. Das ist kein Einzelfall.

Ich habe hier noch ein Beispiel: Metoprolol ist ein ty-
pisches Präparat zur Bluthochdruckbehandlung. Wenn
man 100 Tabletten zu 100 Milligramm will, so gibt es
51 Produkte zu 36 sehr unterschiedlichen Preisen. Das be-
ginnt bei 21,91 DM und geht bis zu 96,69 DM. Der Fest-
betrag liegt bei ungefähr 80 DM. Da kann mir doch nie-
mand erzählen, dass teuer immer auch besser ist. Sie
dürfen den Patienten nicht länger für dumm verkaufen.
„Teuer gleich besser“ ist an dieser Stelle doch ein Mythos.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn man dann noch bedenkt, dass doch der Wirkstoff
und nicht der Produktname für den Behandlungserfolg
verantwortlich ist, kann ich überhaupt nicht verstehen,
warum wir an alten Regelungen festhalten sollten.


(Beifall bei der SPD)

Dazu kommt Folgendes: Es gibt 51 gleichwertige Pro-

dukte und der Apotheker hat zehn bis 15 davon in der
Schublade liegen. Nun kommt der Patient mit einem Re-
zept, auf dem nicht eines dieser zehn bis 15 Produkte, son-
dern eines der anderen rezeptiert ist. Daraufhin wird die
gesamte Pharmalogistik angeschoben: Der Apotheker or-
dert das Produkt beim Großhändler. Der Großhändler
fährt das Medikament zur Apotheke.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Um 12 Uhr ist es da! Nach zwei Stunden!)


– Trotzdem muss es gefahren werden, Herr Kollege. – Der
Patient fährt ein weiteres Mal zur Apotheke oder der Apo-
theker fährt in Ausnahmefällen beim Patienten vorbei und
gibt es ab. Dabei liegen 15 wirkstoffidentische Präparate
in der Schublade des Apothekers. Dies ist doch kein effi-
zienter Einsatz von Ressourcen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Carola Reimann

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Dann wird immer die Mär vom ruinösen Wettbewerb
erzählt. Die neue Aut-idem-Lösung soll den Wettbewerb
auf dem Generikamarkt intensivieren. Eine existenz-
gefährdende Preisschlacht wollen wir aber auch nicht.
Dass wir es damit ernst meinen, haben wir in den Rege-
lungen bewiesen. Es gibt zum Beispiel drei Möglichkei-
ten, das untere Preisdrittel zu bestimmen. Das untere
Preisdrittel wird – anders, als es technisch möglich wäre;
man kann die Preise alle 14 Tage angleichen – jeweils nur
für drei Monate festgesetzt. Drei Monate bedeuten Plan-
barkeit und nicht – wie Sie gesagt haben – eine Abwärts-
spirale.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nach drei Monaten schmeißt ihr alles wieder raus!)


Außerdem werden die Grenzen des Preisdrittels nicht
durch ein Medikament, sondern durch drei Medikamente
festgelegt, sodass manipulative Strategien einzelner Her-
steller, die auf eine solche Preisschlacht hinauswollen,
vermieden werden.

Abschließend noch ein Wort zu dem Solidarbeitrag,
der 2002 von den forschenden Arzneimittelherstellern
in Höhe von 400 Millionen DM geleistet wird. Die Fra-
gen in der vergangenen Ausschusssitzung – zum Teil sind
sie von Ihnen, Herr Kollege Wolf, noch einmal wiederholt
worden – haben schon den Eindruck erweckt, dass es sich
nicht um eine Vereinbarung mit den umsatzstärksten, se-
riösen Unternehmen der Branche, sondern um Abspra-
chen mit windigen Hinterhofklitschen handelt.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420910200
Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Widmann-
Mauz?


Dr. Carola Reimann (SPD):
Rede ID: ID1420910300
Nein, angesichts der Zeit
und der vielen Tagesordnungspunkte, die wir noch zu be-
handeln haben, lasse ich die nicht zu.

Wenn Sie diesen Unternehmen so wenig über den Weg
trauen, warum übernehmen Sie dann fortwährend deren
Argumente? Das halte ich nicht für glaubwürdig. Das ist
nicht nur für mich nicht glaubwürdig, sondern auch für die
Unternehmen nicht und schon gar nicht für die Patienten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bin sicher, dass wir mit dem vorliegenden Maß-
nahmenpaket, das neben dem Solidarbeitrag und der Aut-
idem-Regelung auch noch die Anhebung des GKV-Ra-
batts der Apotheken beinhaltet, die bedarfsgerechte
Arzneimittelversorgung der Patientinnen und Patienten
gewährleisten und dabei Wirtschaftlichkeitsreserven in
der Arzneimitteltherapie mobilisieren, um die notwendige
Entlastung der Krankenkassen herbeizuführen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420910400
Es folgt eine
Kurzintervention der Kollegin Widmann-Mauz.


Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1420910500
Frau Kolle-
gin Reimann, nachdem Sie meine Zwischenfrage nicht
zugelassen haben, halte ich es für notwendig, darauf ein-
zugehen, dass Sie wieder erwähnt haben, welch großes
Einsparvolumen durch den Solidarbeitrag erbracht wer-
den soll.

Es wäre schön gewesen, wenn Sie Aussagen dazu ge-
macht hätten, wie sich das Preismoratorium, das bei der
Kanzlerrunde fest vereinbart wurde, auswirkt. Wir wissen
mittlerweile, dass es bereits Pharmahersteller gibt, die
sich nicht an dieses Preismoratorium halten. Es scheint sie
überhaupt nicht zu berühren. Sie haben in dem Entwurf
des Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetzes für die
nicht festbetragsgebundenen Arzneimittel keine entspre-
chende Regelung vorgesehen.

Es ist schön, zu wissen, dass selbst Ihr Fraktionskol-
lege Klaus Kirschner – wie wir der „Frankfurter Rund-
schau“ entnehmen können – der Meinung ist, dass dieses
gesamte Paket noch nicht rechtssicher sei. Er sagt dazu
– ich zitiere –: „Ich sehe da noch Probleme.“ Dass Sie hier
so ruhig sitzen und versuchen, die Öffentlichkeit über
diese Probleme hinwegzutäuschen, ist schon sehr beacht-
lich.

Es wäre auch schön gewesen, wenn wir heute von den
Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen et-
was dazu gehört hätten, warum sie weder eine Summe für
diesen Pharmasolidaritätsbeitrag noch den Zeitpunkt der
Zahlung in ihrem Gesetzentwurf festgelegt haben, noch
eine Verfügung oder eine gesetzliche Regelung zu dem In-
kassovorfall oder eine Regelung zur Sicherheit des Preis-
moratoriums getroffen haben.

Wie können Sie eigentlich hier vor das deutsche Volk
treten und von einem ganz großen Einsparvolumen spre-
chen, wenn Sie noch nicht einmal eine Gewähr dafür ha-
ben, geschweige denn der Durchgriff auf die einzelnen
Pharmaunternehmen gesichert ist?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Carola Reimann (SPD):
Rede ID: ID1420910600
Frau Kollegin, alle Fra-
gen sprechen eigentlich Misstrauen aus.


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

Das kann ich angesichts der Unternehmen, die diese Ver-
einbarung getroffen haben, nicht verstehen.

Was das Preismoratorium und die einzelnen Unterneh-
men angeht, würde ich Ihnen einfach raten, einmal mit
Frau Yzer zu reden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420910700
Ich schließe die
Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Einführung des diagnose-
orientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser.
Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter Nr. 1 sei-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Carola Reimann
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ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/7824, den
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Oppo-
sition angenommen worden.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben,
wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit in dritter Lesung mit dem eben festgestellten
Stimmenverhältnis angenommen worden.

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungs-
antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksa-
che 14/7843? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und
FDP bei Enthaltung der PDS abgelehnt worden.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 14/7844? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die
Stimmen der FDP abgelehnt worden, während die
CDU/CSU sich enthalten hat.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Gesundheit zu dem Gesetzentwurf der Bundes-
regierung zur Einführung des diagnoseorientierten
Fallpauschalensystems für Krankenhäuser, Drucksa-
che 14/7824. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner
Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf, also die
Drucksachen 14/7421 und 14/7461, für erledigt zu erklä-
ren. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gibt
es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist einstimmig angenommen worden.

Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Ge-
setzentwurf zur Begrenzung der Arzneimittelausgaben
der gesetzlichen Krankenversicherung. Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP ange-
nommen worden. Die PDS hat sich enthalten.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben,
wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit dem eben festgestellten Stimmenverhältnis ange-
nommen worden.

Über den Entschließungsantrag, von dem ich vorhin
gesagt habe, er hätte sich erledigt, müssen wir doch ab-

stimmen. Darauf bin ich vom Geschäftsführer hingewie-
sen worden.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/7858. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der
PDS angenommen worden.

Bevor ich die nächsten Tagesordnungspunkte aufrufe,
habe ich noch etwas aus der Debatte über den Ausstieg aus
der Kernenergie nachzuholen. Während einer Antwort
von Minister Trittin hat der Abgeordnete Hildebrecht
Braun „Bin Laden“ gerufen. Kurze Zeit später gab es
mehrere Zurufe von der CDU/CSU, und zwar ebenfalls
„Bin Laden“. Diese konnte ich nicht einzeln zuordnen.


(Walter Hirche [FDP]: Sie haben „Bin im Laden“ gerufen! – Gegenruf des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das müssen Sie nicht noch rechtfertigen! Das ist unglaublich!)


– Nein, ich selber habe es gehört, hatte aber das Problem,
diese nicht genau zuordnen zu können. – Ich glaube, wir
alle sind uns einig, dass die Persönlichkeitsrechte verletzt
werden, wenn man mit gesuchten Verbrechern verglichen
wird. Das muss ich rügen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b
sowie Zusatzpunkt 24 auf:
a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen

der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur

(Terrorismusbekämpfungsgesetz)

– Drucksache 14/7386 (neu)

(Erste Beratung 201. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus

(Terrorismusbekämpfungsgesetz)

– Drucksachen 14/7727, 14/7754 –

(Erste Beratung 207. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Innen-

ausschusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 14/7830 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Wiefelspütz
Günter Graf (Friesoythe)

Erwin Marschewski (Recklinghausen)

Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

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(C)



(D)



(A)



(B)



(8. Ausschuss)

– Drucksache 14/7856 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Koppelin
Gunter Weißgerber
Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
Oswald Metzger
Dr. Christa Luft

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Wolfgang Bosbach,
Volker Rühe, Eckart von Klaeden, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Sicherheit 21 – Was zur Bekämpfung des inter-
nationalen Terrorismus jetzt zu tun ist
– Drucksachen 14/7065 (neu), 14/7830 –
Berichterstattung: Abgeordnete Dieter
Wiefelspütz
Günter Graf (Friesoythe)

Erwin Marschewski (Recklinghausen)

Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke

ZP 24 Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra Pau,
Ulla Jelpke, Sabine Jünger, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der PDS
Bürgerrechte schützen – öffentliche Sicherheit
verbessern
– Drucksache 14/7792 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss

Zum Entwurf des Terrorismusbekämpfungsgesetzes
liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU
sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Widerspruch höre
ich nicht. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Dieter Wiefelspütz.


Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Rede ID: ID1420910800
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Verantwortliche Politik be-
ginnt damit, dass man Wirklichkeit zur Kenntnis nimmt,


(Ludwig Stiegler [SPD]: Da hat er Recht!)

und zwar auch dann, wenn sie tragisch ist, weil es, wie am
11. September, um Mord und Totschlag geht.

Der Bundesregierung und insbesondere dem Bun-
desinnenminister Otto Schily ist dafür zu danken, dass
unverzüglich nach dem 11. September das umfassendste
Sicherheitsgesetz angestoßen wurde, das es in der Ge-
schichte der Bundesrepublik Deutschland jemals gegeben
hat.


(Beifall bei der SPD)


Dies ist Ausdruck einer verantwortungsvollen Politik.
Gleich zu Anfang will ich sagen: Dies ist ein Gesetz,

das in jedem Detail uneingeschränkt rechtsstaatlich ist
und die Sicherheit in Deutschland in zentralen Bereichen
fördert. Deswegen ist es ein Gesetz, das von Kompetenz,
Gestaltungskraft und Verantwortung zeugt.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Halleluja!)

Der Bundesinnenminister hat dieses Gesetz ange-

stoßen und die Verhandlungen von den ersten Entwürfen
an geführt und begleitet. Wir haben einen außerordentlich
intensiven Beratungsprozess hinter uns gebracht, der
viele von uns sehr stark belastet hat. Ich will dem Bun-
desinnenminister, aber auch seinen Mitarbeitern und den
Koalitionsabgeordneten von Rot-Grün für diesen inten-
siven Einsatz danken. Dieses Gesetz kann sich nicht nur
sehen lassen, sondern es ist Ausdruck einer außerordent-
lich beachtlichen Leistung.

Selbstverständlich hat es öffentliche Diskussionen ge-
geben; das kann auch gar nicht anders sein. Wir haben
Wert darauf gelegt, eine große Anhörung durchzuführen;
diese war außerordentlich aufschlussreich. Es gab unter-
schiedliche öffentliche Kritik. Allerdings möchte ich be-
merken: Ich würde mir schon wünschen, dass sich man-
che Kritiker entscheiden. Die einen sagen, dass das alles
nichts bringe, und für die anderen geht es um den Aus-
verkauf von Rechtsstaatlichkeit. Man sollte sich in der
Argumentation entscheiden, was wirklich Sache ist.

Herr Kollege Stadler, wer wie die FDP das Verfahren
kritisiert, der sollte die Änderungsanträge kennen. Ihr
Entschließungsantrag ist – wenn man so will – eigentlich
überholt.


(Dr. Max Stadler [FDP]: Der vom Mittwoch ja, wir haben aber einen neuen vorgelegt!)


– Dann haben Sie möglicherweise einen Schnellschuss
abgegeben. – Es wird darauf zu achten sein, wie be-
stimmte Teile der Landesregierungen, in denen auch die
FDP vertreten ist, reagieren werden. Ich rechne mit einer
breiten Zustimmung für dieses Gesetz im Bundesrat, weil
die Bundesländer bereit sind, sich an der Herstellung von
Sicherheit zu beteiligen. Es ist nicht allein eine An-
gelegenheit des Bundes, sondern des Bundes und der
Länder gemeinsam.

Es ist auch eine besondere Leistung dieser Bundes-
regierung, dass in der Innenministerkonferenz eine Art
der Zusammenarbeit gefunden wurde, die sicherstellt,
dass Bund und Länder gemeinsam in die Lage versetzt
werden, Sicherheit zu produzieren. Deswegen haben wir
auch die Vorschläge, Hinweise und Forderungen der Län-
der nicht nur gewürdigt und geprüft, sondern sie in den
Fällen, in denen sie berechtigt waren, selbstverständlich
auch aufgegriffen.

Wenn beispielsweise – das ist nach dem 11. September
notwendig – den Nachrichtendiensten, insbesondere dem
Bundesamt für Verfassungsschutz, zusätzliche Befug-
nisse eingeräumt werden, dann ist es legitim, diese Befug-
nisse auch den Landesämtern für Verfassungsschutz ein-
zuräumen; denn sonst würde die Zusammenarbeit

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
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(D)



(A)



(B)


zwischen Bund und Ländern auf diesem Gebiet nicht
funktionieren. Deswegen haben wir diese wichtige For-
derung gern aufgegriffen; die Länder hatten mit diesem
Petitum Recht. Dies verschärft allerdings nichts, sondern
ist ein Vorgang, der die Länder in die Lage versetzt, im
selben Maße Sicherheit zu produzieren, wie es auch der
Bund in Anspruch nimmt.


( Vo r s i t z : Vizepräsidentin Petra Bläss)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich räume ein, dass

man die Schnelligkeit, mit der wir auf Ereignisse rea-
gieren, auch kritisieren kann. Den einen geht manches
zu langsam, den anderen manches zu schnell. Ich hätte
mir schon gewünscht, dass wir ein wenig mehr Zeit ge-
habt hätten, damit auch andere Kollegen, die an dem
Beratungsprozess nicht so intensiv beteiligt gewesen
sind, genauer hätten begreifen können, Herr Marsche-
wski und Herr Stadler, wie gut dieses Gesetz ist, wie gut
es auch durch viele zusätzliche Gespräche geworden ist.
Natürlich ist ein Referentenentwurf nicht das letzte
Wort. Die Anhörung hat viele zusätzliche Anregungen
gegeben.

Gerade nach den Debatten im Innenausschuss ist für
mich völlig evident, dass es im Hinblick auf Rechts-
staatlichkeit nicht den geringsten durchgreifenden Kri-
tikpunkt gibt. Herr Stadler, alle Argumente, die Sie vor-
getragen haben – Sie haben allerdings auch zugehört und
sich auf Argumentationen eingelassen –, sind nach meiner
festen Überzeugung widerlegt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es gibt nie zu viel Rechtsstaatlichkeit. Aber ich bin schon
der Auffassung, dass wir da und dort doppelte und dreifa-
che Sicherungen eingebaut haben, wo eine einfache Si-
cherung vielleicht ausgereicht hätte. Gleichwohl räume
ich ein, dass es gar nicht genug Rechtsstaatlichkeit geben
kann, weshalb eine Doppel- und Dreifachsicherung auch
gar nicht schlecht ist.

Rechtsstaatlichkeit ist keine Schwäche, sondern eine
Stärke.


(Beifall bei der SPD)

Verbrechensbekämpfung kann es nur im und mit dem
Rechtsstaat geben. Deswegen war es wichtig, dass wir in-
tensiv darum gerungen haben und aus guten Gesetzen im
Laufe der Diskussion noch bessere gemacht haben. Dafür
ist ein intensiver Beratungsprozess erforderlich.

Wie wichtig dieser Koalition und dieser Bundesregie-
rung innere Sicherheit ist, meine Damen und Herren, mer-
ken Sie an der Entscheidung des Bundesinnenministers in
Sachen Kaplan-Verein. Für die SPD-Bundestagsfraktion
erkläre ich: Das Verbot war ein notwendiger Schritt, der
deutlich macht, dass wir hier nicht nur Gesetze verab-
schieden, sondern den Gesetzen dann auch Taten folgen
lassen.


(Beifall bei der SPD)

Dazu war es eben notwendig, das Vereinsgesetz zu än-
dern, wenngleich der Anstoß dazu schon weit vor dem
11. September vom Bundesinnenminister gegeben wor-

den ist. Dies trägt jetzt Früchte. Wir alle wissen, dass Re-
pression kein Allheilmittel ist. Aber, meine Damen und
Herren, wir müssen darauf achten, dass die Regeln, die
wir alle uns in diesem Land geben, eingehalten werden.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Auch im Parlament! Auch hier!)


Wir müssen sie selbst ernst nehmen und müssen auch von
anderen einfordern, Herr Zeitlmann, dass die Gesetze ein-
gehalten werden. Gerichte bestraften Herrn Kaplan
rechtskräftig, sein Verein aber war weiterhin legal. Das
hat jetzt ein Ende. Dies war dringend an der Zeit und ist
ein Ausweis von Handlungsstärke dieser Regierung.

Ich habe betont, dass es in Sachen Rechtsstaatlichkeit
gegen dieses Gesetz nicht die geringsten Einwände geben
kann. Was die Effektivität angeht, will ich sagen, dass dies
ein Gesetz ist, das die Sicherheit in unserem Land beför-
dern wird. Ich habe gerade davon gesprochen, dass
Sicherheitspolitik damit beginnt, dass man die Wirklich-
keit zur Kenntnis nimmt und dann verantwortlich und mit
Augenmaß handelt.

Ich erlaube mir an dieser Stelle einen kleinen Hinweis,
liebe Kolleginnen und Kollegen, die wir alle mit dieser
Materie sehr vertraut sind. Es macht gelegentlich durch-
aus Sinn, einmal zu schauen, was im Ausland unternom-
men wird, und zu fragen, welche Diskussionen es gegen-
wärtig in Großbritannien oder in den Vereinigten Staaten
von Amerika gibt.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Ja, das wäre interessant! Aber da schaut ihr ja nicht hin!)


Ich will Ihnen sehr deutlich sagen: Rot-Grün und der
Bundesinnenminister Otto Schily sind ein Garant für
Rechtsstaatlichkeit und für eine effektive Verbre-
chensbekämpfung mit Augenmaß.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich denke, dass Sie alle wissen, was ich damit mit Blick
auf die – das sage ich ohne jegliche Ironie – geschätzten
Bündnispartner Großbritannien und die Vereinigten Staa-
ten von Amerika meine.

Ich wiederhole es: Eine offene Gesellschaft ist keine
schwache Gesellschaft. Rechtsstaatlichkeit ist nicht
Schwäche, sondern Stärke. Wenn wir Verbrechens-
bekämpfung mit Augenmaß durchführen, wenn wir uns
dabei unserer eigenen Werte bewusst sind und sie nicht in-
frage stellen – auch dann, wenn es gegen brutale Verbre-
cher geht –, dann sind wir stark und nicht schwach.

Ich denke, dieses Gesetz verdient Zustimmung. Ich er-
kenne an, dass sich die Union trotz aller Probleme mit
dem Verfahren und mit der Eile, mit der wir reagiert ha-
ben, zum Schluss doch noch dazu durchgerungen hat, die-
sem Gesetz zuzustimmen. Die FDP wird dies in den Län-
dern tun, Herr Stadler, hier vielleicht nicht. Dieses Gesetz
hat eine breite Zustimmung verdient.

Selbst wenn man sorgfältig und gewissenhaft arbeitet,
gibt es allerdings die eine oder andere redaktionelle Ver-
besserung. Frau Präsidentin, ich will zum Ende meiner

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
DieterWiefelspütz

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(C)



(D)



(A)



(B)


Rede kurz zu Protokoll geben, dass Art. 1 Nr. 3 Buch-
stabe c ganz korrekt heißen muss: „Nach Absatz 3 wird
folgender Absatz 4 angefügt.“ Das ist aber nur eine re-
daktionelle Sache, die ich hier erwähnen wollte.

Ich bedanke mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, für
Ihre Bereitschaft zuzuhören. Dieses Gesetz ist ein wichti-
ger Beitrag für mehr Sicherheit in Deutschland unter Be-
achtung der Rechtsstaatlichkeit.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1420910900
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Erwin Marschewski.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Jetzt hören wir den ganz neuen Erwin!)



Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1420911000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Es ist mehr als selbstverständlich und auch ver-
pflichtend für uns, dass die Union im Kampf gegen die
terroristische Bedrohung der freien Welt und unseres
Landes Gemeinsamkeit will. Der fundamentalistische,
jedes religiöse Bekenntnis missbrauchende Terrorismus
erfordert gemeinsames Handeln aller Demokraten in die-
sem Hause.

Gestern konnten wir die Bilder von Bin Laden sehen,
von den selbstzufriedenen und selbstgerechten Massen-
mördern, die sich im Mord sonnten, die lachten und die
sich bewundern ließen. Dies ist erschütternd. Deswegen
müssen wir handeln. Herr Bundesinnenminister, wir un-
terstützen Ihre Vorschläge; denn sie stärken die Dienste
und die Polizei, sie sichern die Freiheit und sie helfen, die
Terroristen zu erkennen und ihrer habhaft zu werden.

Ihre Vorschläge, Herr Bundesinnenminister, geben
mehr Einsatzmöglichkeiten gegen den Terror und sind im
Großen und Ganzen akzeptabel. Sie werden trotz oft an-
ders lautender Presseäußerungen den Rechtsstaat nicht
beeinträchtigen. Dieses Gesetz verrät nicht, wie Irregelei-
tete schreiben, totalitären Geist. Ich möchte, dass sich
diese Leute einmal das Video von gestern ansehen. Dann
würden sie zum gleichen Ergebnis kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Hier will niemand Bürgerrechte einschränken. Unser
Staat muss nur das sein, was die Union stets gefordert hat:
wehrhaft, ein wehrhafter Staat, der eines weiß: Wer Frei-
heit gegen Sicherheit ausspielt, wird beides verlieren.

Deswegen, Herr Bundesinnenminister, haben wir
schon vor ein paar Monaten gefordert, die Regelanfrage
beim Verfassungsschutz bei Einbürgerungen einzu-
führen, weil wir in Bayern gesehen haben, dass viele
Leute wegen sicherheitsrelevanter Bedenken die deutsche
Staatsbürgerschaft nicht bekommen konnten. Deswegen
haben wir als Union den Fingerabdruck in Ausweis-
papieren zur Identitätsermittlung gefordert. Deswegen
wollten wir eine Verschärfung der Vorschriften bei der

Geldwäsche und ein Ausländerzentralregistergesetz, das
insbesondere hilft, das Schlepperunwesen zu bekämpfen.

Ich will nicht nachkarten, aber Sie haben dies vor ein
paar Wochen nicht akzeptiert und haben Nein gesagt. Des-
wegen fordere ich erneut, Herr Bundesinnenminister: Wir
müssen vor allen Dingen die Dienste stärken. Das ist ganz
wichtig. Wir brauchen – das sage ich zum wiederholten
Male – eine funktionsfähige strategische Fernmeldekon-
trolle und endlich – Frau Kollegin Bonitz setzt sich be-
sonders dafür ein – ein funktionierendes System Inpol-
neu. Nur so werden wir in Deutschland mehr Sicherheit
gewährleisten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es nützen mehr Gesetze nichts, sagt mein Kollege Max

Stadtler immer, und da hat er völlig Recht, wenn Men-
schen und Mittel fehlen, Herr Bundesinnenminister. Das
weiß niemand besser als ein Mitglied der Parlamentari-
schen Kontrollkommission.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gibt es gar nicht mehr, Herr Marschewski! Parlamentarisches Kontrollgremium!)


– Ich würde mich freuen, Herr Kollege Ströbele, wenn Sie
diese Lehre annehmen würden. Sie müssten das eigentlich
wissen. Aber Sie sind auf dem besten Wege, wenn Sie
meine Rede in Ruhe anhören.

Die Lage der Dienste ist nicht gut.

(Ludwig Stiegler [SPD]: Das ist falsch! Wirk lich falsch!)

Im Gegenteil: Sie ist miserabel, und das, obwohl im Ver-
fassungsschutzbericht steht, es gebe in Deutschland
85 000 Links- und Rechtsextremisten, 60 000 Mitglieder
in extremistischen ausländischen Organisationen und
31 000 Mitglieder in islamistischen Gruppen. Deswegen
war der Personalabbau bei den Diensten ein schwerer po-
litischer Fehler. Wer den Verfassungsschutz schwächt,
der verzichtet auf wirksame Mittel im Kampf gegen Ter-
roristen und Extremisten.

Deswegen halte ich es für gut, dass die Verbotsgründe
im Vereinsgesetz erweitert werden. Extremistische Orga-
nisationen, die Spenden für terroristische Aktivitäten
sammeln, die Kämpfer rekrutieren, die Anschläge andro-
hen oder befürworten, müssen verboten werden, wie im
Fall des Kalifatsstaats völlig zu Recht, Herr Bundesin-
nenminister. Ich begrüße diese Beschlussfassung in Ihrem
Hause und Ihren Einsatz gegen diese terroristische
Gruppe ausdrücklich.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Denn das Handeln dieser Gruppen steht in unauflösli-
chem Widerspruch zum Prinzip der Volkssouveränität,
zum Gleichheitsgrundsatz, zur freiheitlich-demokrati-
schen Grundordnung schlechthin.

Es darf für Terroristen keinen Platz in Deutschland ge-
ben. Wer sich extremistisch betätigt, muss ausgewiesen
werden. Wer eine Gefahr für die innere Sicherheit in

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
DieterWiefelspütz
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(C)



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(B)


Deutschland darstellt, wer schwere Straftaten begeht, darf
durch das deutsche Asylrecht nicht geschützt sein.

Dies sage ich in vollem Einklang mit der UN-Resolu-
tion 1373 – ich zitiere –:

Demjenigen, der terroristische Handlungen plant,
begeht oder unterstützt, muss sicherer Zufluchtsort
verweigert werden.

Dies gilt es umzusetzen, meine Damen und Herren, Herr
Bundesinnenminister, weil wir die freiheitlichste Gesell-
schaftsordnung, die wir in Deutschland je hatten, erhalten
und stärken wollen.

In diesem Punkt stimme ich interessanterweise mit
dem Herrn Bundesaußenminister völlig überein, zumin-
dest, was seine Worte anbelangt. Ich zitiere die „Rheini-
sche Post“ vom 26. November, die die Worte von Herrn
Joseph Fischer aufgreift:

Die Forderungen des Bundesinnenministers
– so sagt er –

seien maßvoll und zurückhaltend – gegenüber den
UN-Formulierungen. Und doch sei ein beträchtli-
cher Teil der Koalition dagegen.

Fischer wird weiter zitiert:
Ich hätte größte Lust, die Resolution 1373 hier zur
Abstimmung zu stellen.

Ferner heißt es, eines dürfe es nicht mehr geben: Man
dürfe sich nicht mehr hindurchwurschteln bis zur nächs-
ten gequälten Ausnahmeentscheidung – wie bei Ihren Ko-
alitionsverhandlungen, so füge ich hinzu. Meine Damen
und Herren, tun Sie doch das, was der Bundesaußenminis-
ter hier von Ihnen verlangt! Verhindern Sie insbesondere
zunächst einmal die Einreise von Terroristen!

Was das angeht, bin ich ein bisschen traurig, Herr Bun-
desinnenminister. Sie haben ursprünglich den Vorschlag
gemacht, die Einreise zu verweigern, wenn Terrorismus-
verdacht besteht. Damit hatten Sie völlig Recht; denn die
jetzige Regelung ist zu eng, um uns wirksam gegen die
Einreise von Terroristen mittels Visum zu schützen.

Ich frage weiter: Was wird aus der zugesagten Kron-
zeugenregelung? Was wird daraus, Europol – denn wir
müssen ja gemeinsam handeln – zu einer bundeskrimi-
nalamtsähnlichen Einrichtung zu machen?


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Graffitisprayer nicht vergessen!)


Was die Abschiebung anbelangt: Kein Terrorist wird
nach Ihrem Gesetz leichter als bisher abgeschoben wer-
den können, weil unser Ausländerrecht, weil die Europä-
ische Menschenrechtskonvention die Abschiebung auch
von Terroristen verhindert, wenn ihnen im Ausland mög-
licherweise erniedrigende Behandlung droht. So werden
die Terroristen nach Verbüßung der Freiheitsstrafe entwe-
der rund um die Uhr von 25 Polizeibeamten bewacht wer-
den oder in der Freiheit ihr schändliches Tun fortsetzen
können. Dies wird kein Bürger verstehen. Die Bürger
werden sich anderen zuwenden, die einfachere Lösungen
anzubieten haben.

Deswegen meine dringende Empfehlung, Herr Bun-
desinnenminister – auch der Kollege Wiefelspütz hat das
angedeutet –: Führen Sie bitte Verhandlungen mit den In-
nenministern anderer Länder, etwa mit dem Labour-In-
nenminister von Großbritannien, Mr. Blunkett, mit dem
Ziel, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Schaffung
eines internationalen Strafgerichtshofs zu verhindern,
dass diese Menschen weiter Verbrechen begehen. Was in
Großbritannien rechtswidrig ist, kann in Deutschland
nicht legal sein. Wir müssen dieses Problem international
angehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Denn – da sind wir sicherlich einer Meinung – wir müs-
sen uns vor Terroristen schützen können, wenn sie unser
Leben, unsere Freiheit bedrohen. Dem Terroristen – so
steht es in der UNO-Resolution – muss jeglicher Zu-
fluchtsort verweigert werden. Mehr habe ich nicht gefor-
dert.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Bundesregierung hat den Gesetzentwurf am

11. Oktober eingebracht. Am 15. November haben wir im
Innenausschuss die Anhörung beschlossen, am 30. No-
vember haben wir sie durchgeführt. Am 12. Dezember ha-
ben wir diesen Gesetzentwurf im Innenausschuss ab-
schließend in nur einer Sitzung – wenn auch stundenlang –
beraten, mit über 20 Änderungsanträgen der Koalition,
die uns unmittelbar vor Beginn der Beratung zugegangen
waren.

Dieses Verfahren ist bei aller Eile – man mag manches
verstehen – nicht seriös. Die Beratungszeit für ein Gesetz
mit circa 100 Gesetzesänderungen war zu kurz und die
Behandlung von Parlamentariern unzumutbar.

Ich habe mir gestern in Vorbereitung dieser Rede auf-
geschrieben, das dürfe sich nicht mehr wiederholen. Aber
heute im Innenausschuss war es das Gleiche: wieder diese
Hektik, wieder diese Eile. Wir haben deshalb den Antrag
auf Feststellung der Beschlussfähigkeit gestellt. Sie wa-
ren nicht beschlussfähig. Wir haben diesen Antrag vor
zwei Tagen nicht gestellt, obwohl Sie auch am Mitt-
wochabend nicht beschlussfähig gewesen wären.


(Jörg Tauss [SPD]: Doch!)

Wir haben das deswegen nicht getan und die Beratungen
deswegen ernsthaft mit viel Einsatzbereitschaft, Anstren-
gung, Disziplin und auch Verantwortungsbereitschaft zu
Ende geführt, weil wir wie der Bundesinnenminister mei-
nen, dass die jetzige Auseinandersetzung nicht auf Tage
oder Wochen angelegt ist; sie wird vielmehr über eine sehr
lange Zeit gehen. Für die Union als Partei der Freiheit, als
Partei der Sicherheit und, Herr Bundesinnenminister, als
Partei von „law and order“ ist Verantwortungsbereitschaft
selbstverständlich.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Wo ist denn der Herr Pfahls? Ist er immer noch auf der Flucht?)


– Frau Präsidentin, können Sie diesen Schreihals nicht ab-
stellen? Ansonsten ist er ein liebenswerter Kollege; aber
es ist hier doch ein bisschen laut.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Erwin Marschewski (Recklinghausen)


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(C)



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(B)


Ich hätte mir gewünscht, die SPD hätte alle Anträge der
Union akzeptiert. Aber wir wissen aus der Erfahrung mit
der Ablehnung von Anträgen: Sie werden unsere Anträge
ohnehin ein paar Monate später beschließen. Das haben
wir heute mitgemacht. Das kennen wir. Gerade deswegen
sagen wir Ja zu Ihrem Antiterrorgesetzentwurf.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Denn wir müssen der Bedrohung unseres Landes und der
der freien Welt gemeinsam widerstehen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1420911100
Wann wir den Kolle-
gen Tauss abstellen, bestimme immer noch ich. Ich habe
ihn schon kräftiger gehört. Dies sollte Sie, Herr Tauss, je-
doch nicht zu weiteren Zwischenrufen ermuntern.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Der Kollege Tauss schwächelt am Freitag!)


Nächster Redner ist der Kollege Volker Beck für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420911200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Während
wir heute über das Sicherheitspaket II beraten, zeigt das
Sicherheitspaket I bereits erste Wirkungen. Diese Woche
hat der Bundesinnenminister die Organisation „Kali-
fatsstaat“ völlig zu Recht verbieten lassen.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das hören wir jetzt zum dritten Mal!)


Diese Möglichkeit haben wir als Koalition überhaupt erst
geschaffen. Es ist dringend notwendig, eine Organisation,
aus der heraus zu Mord aufgerufen wird und die Morde
verübt, zu verbieten.

An der Beseitigung des Religionsprivilegs im Ver-
einsgesetz gab es sehr fundamentale Kritik. Die PDS hat
sich massiv dagegen ausgesprochen. Ich habe diese Wo-
che erstaunlich wenig Kritik an dieser vernünftigen Maß-
nahme gehört. Ich hoffe, dass das vielleicht zu einem
Überdenken der vergangenen Redebeiträge zu diesem
Thema führt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Religionsfreiheit schützt vieles. Sie ist auch so et-
was wie eine Narrenfreiheit in religiösen Dingen. Aber da,
wo Menschen unter dem Mantel der Religionsfreiheit
Verbrechen planen und die Freiheitlichkeit unserer
Gesellschaft bedrohen, ist eine Grenze überschritten. Dies
ist auch keine Frage von Gesinnungsschnüffelei oder To-
leranz. Diese Form der Auseinandersetzung dürfen wir
nicht tolerieren.

Mit dem Sicherheitspakt II, mit dem Terrorismus-
bekämpfungsgesetz, ist der Koalition ein enormer Kraft-
akt gelungen. Wir garantieren den Bürgerinnen und Bür-
gern ein Maximum an Sicherheit. Zugleich wahren wir

Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und Bürgerrechte. Das
Terrorbekämpfungsgesetz ist ein austariertes, verhältnis-
mäßiges Bündel von Maßnahmen, mit denen wir die
erforderliche Balance wahren.

Drei Fragen haben die Anschläge von New York und
Washington für die Sicherheitspolitik aufgeworfen: Wel-
che Maßnahmen hätten die Anschläge am 11. September
2001 verhindern können? Welche Maßnahmen können
wir ergreifen, um eine Wiederholung unwahrscheinlich
zu machen? Welche Maßnahmen brauchen wir, um die
von den Terroristen angekündigten weiteren Anschläge
und Sabotageaktionen unwirksam oder unmöglich zu ma-
chen? Dieses Gesetz findet auf all diese Frage angemes-
sene Antworten, ohne dass jemand garantieren kann, dass
mit diesem Gesetz die Gefahren völlig ausgeräumt seien.
Aber das kann ein Rechtsstaat nie versprechen.

Auch wenn uns der 11. September eine neue Form der
Bedrohung vor Augen geführt hat, die besondere Maß-
nahmen erfordert, schlagen wir mit diesem Gesetz nicht
über die Stränge. Wir bewahren unsere rechtsstaatlichen
Grundsätze und werfen sie nicht leichtfertig über Bord.
Das ist eine wohltuende, klare rechtsstaatliche Linie in
dieser Gesetzgebung. Da unterscheiden wir uns – Kollege
Wiefelspütz hat es angesprochen – vom Kurs mancher Si-
cherheitsgesetze in den Vereinigten Staaten oder in Groß-
britannien, wo man Sondergerichte schafft oder die Euro-
päische Menschenrechtskonvention, wie dies auch Herr
Marschewski will, kündigen möchte, um auch ohne
Gerichtsurteil Personen festnehmen und gefangen halten
zu können. Ich meine, wir sollten die gemeinsame Grund-
lage von Rechtsstaatlichkeit hier in Europa auch ange-
sichts des Terrors nicht verlassen. Wir dürfen es nicht zu-
lassen, dass aufgrund der Terroranschläge wir selbst zum
Instrument der Abschaffung von Rechtsstaatlichkeit und
Freiheit in unseren Gesellschaften werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der 11. September hat eine Dimension des internatio-
nalen Terrorismus offenbart, die besondere Maßnahmen
notwendig macht, Maßnahmen, zu denen man unter nor-
malen Umständen nicht die Hand reichen würde. Das be-
deutet aber noch lange nicht Zustimmung zu jedweder
Kompetenzerweiterung für Polizei und Geheimdienste.
Das bedeutet auch nicht ein Ja zu ausufernden Auswei-
sungsmöglichkeiten für „irgendwie“ des Terrorismus
„möglicherweise“ verdächtige Ausländer. In einem
Rechtsstaat gilt: Der Verdacht ist Anlass für weitere Er-
mittlungen. Nur wenn man Belege hat, die die Aussage
rechtfertigen „Das ist ein Terrorist“, können die entspre-
chenden Sanktionen strafrechtlich wie ausländerrechtlich
folgen – und nicht aufgrund einer womöglich falschen
Verdächtigung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Meine Damen und Herren, hätten wir hier manche An-
träge der Unionsfraktion oder des Bundesrates uneinge-
schränkt übernommen, wie Sie sich das gewünscht haben,
Herr Kollege Marschewski, dann hätten wir in diesem

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Erwin Marschewski (Recklinghausen)

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Land tatsächlich ohne Not eine Einschränkung von Frei-
heitsrechten in Kauf nehmen müssen.

Dass auch die vier von der FDPmitregierten Länder im
Bundesrat eine Verdachtsausweisung von Ausländern,


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)


eine Ausweitung der Befugnisse der Geheimdienste ohne
jede parlamentarische Kontrolle, ohne entsprechende
Rechte für Betroffene wollen, das halte ich für einen sehr
bedauerlichen Vorgang. Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen von der FDP, Ihre Landesminister sägen im Bundes-
rat gemeinsam mit dem Kollegen Beckstein an den Fun-
damenten des Rechtsstaates, während Sie hier zusammen
mit dem Kollegen Möllemann „einen auf Bürgerrechte
machen“. Glaubwürdig ist diese Veranstaltung nicht. Ich
glaube, Sie haben innenpolitisch den Kompass verloren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dieter Wiefelspütz [SPD]: Herr Stadler, es ist ja entsetzlich! Wir werden noch ein paar Fragen stellen müssen!)


Ich will gar keinen Hehl daraus machen: Wir haben
selbstverständlich nicht nur die Bedenken und Anregun-
gen der Sachverständigen und Bürgerrechtler aus der An-
hörung im Innenausschuss beherzigt, sondern sind auch
vernünftigen Länderwünschen nachgekommen. Aber
wenn wir einen Strich unter das ziehen, was wir vorgelegt
haben, kann ich sagen: Der Gesetzentwurf – das ist auch
die Meinung der SPD-Fraktion – ist nach der Anhörung
noch um ein entscheidendes Stück besser geworden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Beispiel: Landesämter für Verfassungsschutz. Hier
haben wir den Länderwünschen entsprochen und die Auf-
gabenerweiterung vorgenommen, aber nur unter den glei-
chen Kontrollmechanismen, die wir dem Bundesamt zu-
muten, und nur mit den entsprechenden Rechten der
Betroffenen. Ich finde, das ist auch legitim so. Das Bun-
desamt und die Landesämter können auf gleicher Augen-
höhe verhandeln und tätig werden. Das ist angemessen.
Jede Sicherheitsmaßnahme muss auch rechtsstaatlich aus-
tariert werden.

Rechtsänderungen, die ein Horrorszenario für jeden
Bürgerrechtler bedeutet hätten, sind in diesem Gesetz
nicht Wahrheit geworden. Zum Beispiel gibt es die Vorer-
mittlungskompetenz des BKA, die in der Diskussion war,
nicht. Wir haben nur einige bürokratische Hürden abge-
baut. Diese neuen Regelungen haben wir auch noch be-
fristet, um sie nach fünf Jahren vernünftigerweise zu eva-
luieren.

Die Verdachtsausweisung von Ausländern ist nicht ge-
kommen, sondern wir stellen darauf ab, dass Tatsachen
belegen müssen, dass ein Ausländer einer Vereinigung an-
gehört, die den Terrorismus unterstützt. Es gibt keinen
großen Lausch- und Spähangriff für den Verfassungs-
schutz; aber wir haben unabweisbaren Eigenschutz für die
Beauftragten und Mitarbeiter der Ämter vorgesehen, da-
mit, wenn ihnen in der Aufgabenerfüllung ihres Dienstes

Gefahren für Leib, Leben und Freiheit drohen, der ent-
sprechende Schutz gewährt werden kann.

Wir haben keine uferlose Datenweitergabe durch den
Verfassungsschutz vorgenommen; aber wir haben bei den
sicherheits- und verteidigungspolitisch wichtigen Ein-
richtungen entsprechend dem Sicherheitsüberprüfungs-
gesetz eine Übermittlung von und eine Warnung vor Si-
cherheitsrisiken auch an private Stellen ermöglicht.

Wir haben keine unkontrollierbaren Befugnisse für die
Geheimdienste. Wir haben den Katalog von Auskunfts-
rechten des Verfassungsschutzes und der anderen Dienste
erweitert. Gleichzeitig haben wir jedoch hinreichende
parlamentarische Kontrollen und Mitteilungspflichten an
die Betroffenen vorgesehen und deutliche rechtsstaatliche
Grenzen gesetzt.

Wir haben im Passgesetz und im Gesetz über Perso-
nalausweise kein zusätzliches biometrisches Merkmal
verankert, sondern uns für ein späteres Gesetzgebungs-
verfahren vorbehalten, darüber ausführlich und besonnen
zu beraten. Aber schon heute haben wir vereinbart: Eine
bundesweite Referenzdatei für diese biometrischen Merk-
male – eine der größten Sorgen der Datenschützer bei die-
sem Thema –


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Wahnsinn! Riesige Sorgen!)


wird es nicht geben. Wir haben im Gesetzentwurf explizit
vorgesehen, dass dies verboten ist.

Ich sage, durchaus stolz auf die rot-grüne Koalition
und auf die Arbeit meiner Fraktion bei diesen Verhand-
lungen und den Beratungen im Ausschuss: Wir haben eine
Reihe von problematischen Verschärfungen, die aus Ihrer
Ecke kamen, verhindert. Bei der Herstellung von Sicher-
heit haben wir als Koalition einen klaren rechtsstaatlichen
Kurs gewahrt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie ha-
ben im Innenausschuss ja einen ausführlichen, vierseiti-
gen Antrag vorgelegt.


(Dr. Max Stadler [FDP]: Der war sehr gut!)

– Ja, er enthielt viele richtige und vernünftige Punkte. Ihr
Antrag, den Sie heute vorlegen, ist auf eine halbe Seite zu-
sammengeschrumpft. All Ihre Wünsche wurden von der
Koalition erledigt, ohne dass wir Ihren Antrag überhaupt
kannten. Bei der Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und
Bürgerrechten machen Sie uns nichts vor. Da kann man
sagen: Rot-Grün weiß, was Liberale wünschen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1420911300
Herr Kollege Beck,
gestatten Sie eine Frage der Kollegin Bonitz? – Das ist der
Fall. Bitte.


Sylvia Bonitz (CDU):
Rede ID: ID1420911400
Herr Kollege, Sie als Mit-
glied der Koalition beteiligen sich daran, dass dieses Ge-
setzespaket jetzt im Eiltempo durch den Bundestag gejagt
wird. Warum sperren Sie sich eigentlich dagegen, dass der

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Volker Beck (Köln)


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Fingerabdruck in den Pass aufgenommen und dies in das
Paket mit eingeführt wird?


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Das ist eine gute Frage, Herr Beck!)



Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420911500

Das ist eine gute Frage – auch deshalb, weil ich dadurch
die Chance bekomme, ausführlich auf dieses Thema ein-
zugehen.

Ich bin durchaus offen, was die Frage der Speicherung
eines biometrischen Merkmals in Pass- und Personalaus-
weispapieren zur Verbesserung der Identitätssicherung
zwischen Passinhaber und Pass angeht. Bislang aber be-
stehen eigentlich keine großen Sorgen bei den Polizei-
behörden – das haben Sie bei der Anhörung vom Chef des
Bayerischen Landeskriminalamtes gehört –, dass es zu
umfänglichen Fälschungen bei Pass- und Personalaus-
weisdokumenten kommt. Hier müssen wir noch einmal
genau nachschauen und das Gespräch mit den Sicher-
heitsfachleuten suchen.

Sollten wir aber ein zusätzliches biometrisches Merk-
mal einführen, dann bin ich dafür, dass wir dasjenige
Merkmal nehmen, das zum einen die höchstmögliche Si-
cherheit bei der Identitätsfeststellung gewährleistet und
zum anderen den geringstmöglichen Eingriff in die
Rechte der Bürgerinnen und Bürger bedeutet.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Dieter Wiefelspütz [SPD]: Das ist der Fingerabdruck! Genau, Herr Beck, Sie haben es begriffen!)


In keinem Fall aber will ich, dass diese Daten über eine
Referenzdatei zu anderen Zwecken als zur Identitäts-
sicherung von Passinhaber und Pass verwendet werden.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Dann müsstet ihr auch das Foto herausnehmen!)


Zu einem weiteren Punkt, den man bei einem solchen
Verfahren bedenken muss – denn schließlich geht es auch
darum, dass wir als Politiker nicht leichtfertig Steuergel-
der, die uns anvertraut sind, ausgeben –: Eine solche Maß-
nahme der biometrischen Merkmalsspeicherung macht
meines Erachtens als Investition nur dann Sinn, wenn wir
sie im gesamten Schengen-Raum einheitlich tätigen.
Denn stellen wir uns vor: Die Franzosen entscheiden sich
für die Handbiometrie, die Belgier entscheiden sich für
die Gesichtsbiometrie und wir nehmen nach Ihrem Vor-
schlag den Fingerabdruck. Dann können die Pässe vom
jeweils anderen nicht gelesen werden, weil unterschiedli-
che Lesegeräte benötigt werden. Das wäre eine totale Fehl-
investition. In solchen Fragen sollten wir die europaweite
Abstimmung suchen.

Sie wissen auch: Allein die Einführung der Passdoku-
mente dauert nicht nur zehn Jahre, sondern kostet auch
5 Milliarden DM. Bis dahin haben Sie noch kein einziges
Gerät zum Lesen der Pässe und zum Vergleichen des Pas-
ses mit dem Passinhaber angeschafft. Das kostet dann
noch einmal 5Milliarden DM, will man eine hinreichende
Kontrolldichte organisieren. Insofern hat das Parlament,
so meine ich, die Verantwortung, dass eine solche Inves-

tition in Ruhe und Besonnenheit erwogen und über diese
Frage erst dann entschieden wird, wenn man sich schlau
gemacht hat über die technischen und datenschutzrechtli-
chen Implikationen.


(Walter Hirche [FDP]: Können Sie nicht etwas ausführlicher antworten und das dann wiederholen?)


Welchen Weg wir gehen werden, das werden wir in der
Koalition, mit Ihnen und, wie ich hoffe, den europäischen
Partnern diskutieren. Eine solche Diskussion, will man sie
vernünftig führen, hätten wir bis heute nicht abschließen
können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Sylvia Bonitz [CDU/CSU] meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1420911600
Die Antwort war
äußerst ausführlich. Frau Kollegin Bonitz, ich würde Sie
bitten – auch angesichts der fortgeschrittenen Zeit –, auf
Ihre zweite Frage zu verzichten.


(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Wenn der Redner Sie zulässt?)


– Ich denke, die Antwort war ausführlich genug.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420911700

Es ist die Präsidentin, die das Wort erteilt.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1420911800
Ich glaube, die Stim-
mung im Haus ist eindeutig.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420911900

Gut.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1420912000
Ich danke für Ihre
Rücksichtnahme.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420912100

Zum Schluss: Die einzige Kritik, die von der Opposition
geblieben ist, war: Es geht ein bisschen zu schnell. In der
Tat: Wir haben ein zügiges Beratungsverfahren wählen
müssen, weil die Bundesländer, von denen heute leider
kein Vertreter da ist, gewünscht haben, dass der Entwurf
am 20. Dezember in den Bundesrat kommt. Das heißt,
dass wir diese Woche fertig werden müssen. Vergnügen
macht dies für uns als Parlamentarier nicht. Wir alle wol-
len sorgfältig beraten. Ich verstehe jeden, der dabei ein
bisschen grummelt. Das hätten wir in der Opposition auch
getan.

Hätten wir jetzt aber lange gewartet, dann hätten Sie
einfach eine andere Karte mit Kritik aus Ihrer Schachtel
gezaubert. Dann hätten Sie gesagt: Diese Koalition lässt
sich angesichts der terroristischen Bedrohung endlos Zeit,
hat interne Schwierigkeiten und ist sicherheitspolitisch

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Sylvia Bonitz
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nicht handlungsfähig, um die Sicherheit unseres Landes
ist es schlecht bestellt.

Die Tatsache, dass wir ein bisschen schneller lesen und
arbeiten müssen, als es Parlamentarier normalerweise tun,
ist das geringere Problem. Ich finde es gut, dass wir die-
ses Gesetz über die Bühne gebracht haben. Die Tatsache,
dass Sie Ihren Antrag in der Sache zurückgezogen haben,
hat gezeigt, dass wir die notwendige Balance zwischen
Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit geschafft haben. Wir
haben unsere Handlungsfähigkeit bewiesen. Es ist ein
gutes Gesetz.

Rutschen Sie alle zusammen sicher ins Jahr 2002.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1420912200
Der nächste Redner ist
der Kollege Dr. Max Stadler für die FDP-Fraktion.


Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1420912300
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Ohne Zweifel haben die Ereignisse vom
11. September uns allen die besondere Verantwortung
auferlegt, geeignete und rechtsstaatliche Maßnahmen zur
Bekämpfung des Terrorismus zu ergreifen. Die FDP hat
sich an dieser Aufgabe von Anfang an konstruktiv betei-
ligt.

Wir wissen uns mit vielen Praktikern einig, dass der
wirkungsvollste Beitrag zur Erhöhung der inneren Si-
cherheit die bessere finanzielle, personelle und technische
Ausstattung der Sicherheitsbehörden ist.


(Beifall bei der FDP – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Wohl wahr!)


Die gesetzlichen Grundlagen für eine effektive Arbeit von
Polizei, Geheimdiensten und Justiz sind allerdings längst
gelegt worden, insbesondere durch eine ausgiebige Ge-
setzgebungstätigkeit der Koalition von FDP und CDU/
CSU in den 90er-Jahren.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU])


Gleichwohl hat die FDP notwendige gesetzgeberische
Neuerungen wie etwa das so genannte Sicherheitspaket
Schily I ebenfalls unterstützt. Ich sage ausdrücklich: Wir
respektieren, dass der Bundesinnenminister und die In-
nenpolitiker von SPD und Grünen heute einen Versuch
vorlegen, in rechtsstaatlicher Weise weitere Verbesserun-
gen zur inneren Sicherheit zu beschließen.


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Haben Sie „Versuch“ gesagt? Wir machen ein Gesetz!)


Es bleibt dabei, dass der erste Entwurf, der von den Frak-
tionen von SPD und Grünen eingebracht worden ist und
der sehr wohl auch die Unterschrift von Rezzo Schlauch
und Kerstin Müller trägt, viel zu weit in Richtung „Big
Brother“ geht.


(Beifall bei der FDP)


Die Fachabteilungen des Bundesinnenministeriums
haben die Zettelkisten aus den Schubladen geholt und ge-
leert. Herausgekommen ist ein Gesetzentwurf, der wie
keiner zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland in die Grundrechte der Bürgerinnen und
Bürger eingreift. Es ist, wie Herr Wiefelspütz zu Recht
sagte, ein epochales, ein einmaliges Gesetzeswerk. Ge-
rade deswegen wäre eine besonders sorgfältige parlamen-
tarische Beratung notwendig gewesen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Gegenteil haben Sie gemacht. Sie reden an der Sa-
che vorbei, wenn Sie meinen, wir würden die Intensität
und das Tempo Ihrer Beratungen in der Koalition kritisie-
ren. Das ist nicht der Punkt. Wir kritisieren, dass Sie mit
dem von Ihnen gewählten Verfahren die Mitwirkungs-
möglichkeiten der Opposition praktisch übergangen ha-
ben. Das ist zu kritisieren.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich erinnere Sie an das Hauptwerk des Rechtsphilo-
sophen Niklas Luhmann. Es heißt „Legitimation durch
Verfahren“. Die These von Niklas Luhmann ist wie folgt
zu beschreiben: Der Inhalt einer Entscheidung ist für die
Akzeptanz einer Entscheidung nicht alleine maßgeblich,


(Beifall bei der FDP)

sondern es kommt auch darauf an, wie eine Entscheidung
zustande kommt. Ich sage für die FDP-Fraktion: So wie
Sie die Mitwirkungsrechte der Opposition übergangen ha-
ben, verliert das Gesetzeswerk durch das von Ihnen ge-
wählte Verfahren in Umkehrung des Satzes von Luhmann
seine Legitimation.


(Beifall bei der FDP)

Wenn Sie am Dienstagabend Änderungsanträge im

Umfang von 30 Seiten vorlegen, machen Sie es der Op-
position unmöglich, sich bis zur Beratung am Mittwoch
Vormittag um 9.15 Uhr mit externen und internen Exper-
ten über das zu beraten, was Sie in letzter Sekunde vorle-
gen. Für dieses unangemessene Tempo gibt es nur eine
einzige Erklärung: Sie wollten die innerhalb der Koalition
mühsam erzielte Einigung nicht durch eine gehaltvolle
Kritik der Opposition, auf die Minister Schily mit seinem
Entwurf Anspruch gehabt hätte, gefährden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die rot-grüne Koalition möchte mit der raschen Verab-
schiedung dieses Gesetzes Handlungsfähigkeit und
Stärke demonstrieren. Betrachtet man das Verfahren, hat
man den Eindruck: Es gibt in Wahrheit einen Beweis der
inneren Schwäche und Zerrissenheit der Koalition.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dieter Wiefelspütz [SPD]: Das möchte ich ein bisschen erklärt haben! – Ludwig Stiegler [SPD]: Das ist der Neid!)


Zu Recht hat Herr Beck erwähnt, dass ein Teil der Kri-
tikpunkte, die wir von der FDP formuliert hatten, in die

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Volker Beck (Köln)


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Beratungen der Koalition eingeflossen ist. Ich möchte
jetzt nicht mit kleiner Münze heimzahlen, wenn Herr
Beck sagt, die Kritikpunkte der FDP seien ihm unbekannt
gewesen. Ich war bei Ihren Verhandlungen nicht dabei,
habe allerdings gehört, unsere Kritikpunkte hätten sehr
wohl eine Rolle gespielt.


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Was? Ein Lauschangriff? Woher wissen Sie das? Das ist ja unglaublich!)


Entscheidend ist aber, was Sie jetzt vorlegen. Für uns
bleiben inhaltliche Punkte zu kritisieren, die ich wegen
der Kürze der Zeit nur stichwortartig nennen kann:

Erstens. Die Geheimdienste erhalten Zugriff auf
Kundendaten von Banken, Telekommunikationsunter-
nehmen, Post- und Luftfahrtunternehmen, und zwar ohne
dass dieser Zugriff auf Verdächtige begrenzt wäre. Das ist
ein wichtiger Kritikpunkt.

Zweitens. Wir hätten uns bei diesen Eingriffen eine
vorrangige richterliche Kontrolle gewünscht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Drittens. Bei der Benachrichtigung Betroffener stellt
sich dasselbe Problem wie beim G-10-Gesetz. In man-
chen Fällen – ich gebe zu, es handelt sich um Ausnah-
men – wird ein von einer geheimdienstlichen Überwa-
chungsmaßnahme Betroffener überhaupt nicht informiert.
Damit entfällt natürlich auch die Möglichkeit, nachträg-
lich Rechtsschutz durch ein unabhängiges Gericht zu er-
langen. Diese Tatsache kritisieren wir ausdrücklich.


(Beifall bei der FDP)

Viertens. Die für die Polizei im Zusammenhang mit der

Informationsgewinnung geltenden Vorschriften der StPO
können nunmehr umgangen werden.

Fünftens. Der Bundesnachrichtendienst erhält immer
mehr Befugnisse im Inland, obwohl seine Aufgabe die
Auslandsaufklärung ist.

Sechstens. Dass Personen, die Ausländer nach
Deutschland einladen, in bestimmten Fällen selber von
den Geheimdiensten überprüft werden, hätten wir uns in
der alten Koalition wirklich nicht vorstellen können.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dieter Wiefelspütz [SPD]: Warum denn nicht, Herr Stadler, wenn die Sicherheit in Gefahr ist?)


Letzter Punkt: Sie legen so großen Wert darauf, durch-
gesetzt zu haben, dass bei der Aufnahme von Fingerab-
drücken in Ausweispapiere keine Vergleichsdatei errich-
tet wird. Ihre Formulierung lautet: Es wird keine
bundesweite Datei eingerichtet. – Wenn Sie aber 15 Län-
derdateien zulassen und diese vernetzt werden, haben Sie
die Referenzdatei, die wir aus Datenschutzgründen ab-
lehnen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie mal die Begründung! – Dieter Wiefelspütz [SPD]: Das ist nicht erlaubt!)


Ich komme zum Schluss: Es bleiben – trotz vieler Ver-
besserungen – inhaltliche Kritikpunkte. Das Verfahren
war unzumutbar. Es liegt auf der Hand, dass wir nicht zu-
stimmen können.


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Aber die FDP in den Ländern stimmt zu!)


Herr Beck, Sie haben mich insoweit gereizt, dass ich
angesichts dessen, was die Grünen früher vertreten ha-
ben, das berühmte Bonmot von Honoré de Balzac zitiere:

Erinnerung macht das Leben schön, aber nur das
Vergessen macht es erträglich.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS – Jörg Tauss [SPD]: Ich lese Ihnen mal vor, was der Herr Flach so gesagt hat!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1420912400
Für die PDS-Fraktion
spricht die Kollegin Petra Pau.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1420912500
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Seit den Terroranschlägen vom
11. September sind drei Monate vergangen, eine Zeit, die
neues Nachdenken über die öffentliche Sicherheit hierzu-
lande und auch in unserer Fraktion auslöste. Wir haben
dies sehr intensiv getan. Wir kennen die Sorgen, die Ängs-
te und die Verunsicherung, die es in der Bevölkerung gibt.
Wir teilen sie im Wortsinne. Unstrittig ist auch: Es gibt bei
der Gefahrenvorbeugung, bei der Gefahrenabwehr und im
Katastrophenschutz – um nur drei Felder zu nennen – viel
zu tun. So weit, glaube ich, herrscht in diesem Hause über
alle Fraktionsgrenzen hinweg Konsens.

Nun reden wir aber heute abschließend über ein ganzes
Maßnahmenpaket, das häufig als Otto-Katalog II be-
zeichnet wird. Das schmeichelt sicherlich dem Herrn In-
nenminister und es klingt, als wäre es ein bestelltes
vorweihnachtliches Geschenk. In Wahrheit aber geht es
bei diesem Gesetzeswerk um den größten Eingriff in die
Verfasstheit der Bundesrepublik, den es im Namen der
inneren Sicherheit jemals gegeben hat. Daran gemessen
ist das parlamentarische Schnellschussverfahren schlicht
unangemessen – um nicht zu sagen: verantwortungslos –,
liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün.


(Beifall bei der PDS und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Das ist das erste Mal, dass ich bei der PDS Beifall klatsche!)


Nun argumentierte der Innenminister vorgestern, es
gebe UNO-Beschlüsse und die UNO dränge, sehr schnell
etwas Vernünftiges auf den Tisch zu legen. Das stimmt.
Nur liegt heute leider nichts Vernünftiges zur Beratung
und Abstimmung auf dem Tisch. Die Fachleute warnen
nicht erst seit gestern. Ich möchte an Folgendes erinnern:
Vor 14 Tagen gab es eine Anhörung zum so genannten
Antiterrorpaket. Der Innenausschuss hatte Fachleute ge-
laden. Der Innenminister war leider nicht anwesend. Das
ist heute allerdings nebensächlich. Hauptsächlich war,
dass in der Anhörung eine klare Mehrheit der Sachver-
ständigen das vorliegende Gesetzespaket skeptisch bis

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Max Stadler
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ablehnend beurteilte, vor allem weil es rechtsstaatlich be-
denklich ist und mit der Terrorismusbekämpfung nur ganz
wenig zu tun hat.


(Beifall bei der PDS)

Daran ändern die von Ihnen vorgenommenen Änderun-
gen fast nichts. Deshalb wird die PDS heute das sagen,
was nach meinem Kenntnisstand auch mancher Grüner
und manches Mitglied der SPD-Fraktion gern sagen
würde, nämlich Nein zu diesem Gesetzespaket.


(Beifall bei der PDS)

Der große Schwindel ist doch: Sie gaukeln den Bürge-

rinnen und Bürgern vor, dass Sie ihnen etwas geben wür-
den. Tatsächlich nehmen Sie ihnen aber das, was Sie
gegen den Terrorismus verteidigen wollen. Ein Kommen-
tator der „Berliner Zeitung“ schrieb: Dies ist eine „große
Grundgesetzreform“. Sein Fazit lautete:

Man kann es als Abschied von der liberalen Verfas-
sungsidee bezeichnen.


(Beifall bei der PDS)

Denn der verheißene Zugewinn an Sicherheit durch
den Staat wird mit einem signifikanten Verlust an Si-
cherheit vor dem Staat – also Freiheit – bezahlt.

Ich möchte Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von
SPD und Bündnisgrünen, sagen: Es geht auch anders. Ich
empfehle Ihnen, das nachzulesen, was in Berlin zwischen
SPD und PDS zum Thema innere Sicherheit vereinbart
wurde. Man könnte es überschreiben mit: Mehr Sicherheit,
aber nicht auf Kosten von Grund- und Freiheitsrechten.


(Beifall bei der PDS)

Ich würde Ihnen heute gerne en détail begründen,

warum wir Nein sagen, und zwar auch unter Verwendung
der intelligenzarmen Widersprüche, die Sie selbst produ-
zieren. Aber fünf Minuten Redezeit reichen dafür nicht.
Das ist unser Oppositionslos auf der linken Seite. Wir ar-
beiten daran, dass es besser wird. Ich möchte deshalb nur
noch ein Beispiel nennen, das zeigt, dass der Teufel im
Detail steckt. Das Gesetzespaket sieht Sicherheitsüber-
prüfungen für Beschäftigte in „lebenswichtigen und
verteidigungswichtigen Einrichtungen“ vor. Das kann
sinnvoll sein. Es kann aber auch für Millionen Beschäf-
tigte gefährlich werden, wenn letztendlich Geheimdienste
darüber entscheiden, wer beschäftigt wird.

Nun haben die Sachverständigen schon gemahnt, mög-
lichst genau einzuschränken, welche Bereiche und Be-
rufsgruppen gemeint sind, weil andernfalls Konflikte mit
dem EU-Recht, dem Arbeitsrecht und anderen Alltäglich-
keiten drohten. Sie, Herr Minister, meinten am vergange-
nen Mittwoch, das würden Sie nicht tun, weil Sie poten-
ziellen Terroristen nicht noch Hinweise geben wollten,
wo die Bundesrepublik verletzbar sei. Sie haben auch ge-
sagt, dass dies im Einzelnen durch die Exekutive, also
durch Sie, festgelegt werde. Alle Achtung! Ihr Vorgehen
soll Rechtssicherheit schaffen und ist offensichtlich „De-
mokratie in Ottos Vollendung“.


(Beifall bei der PDS)

Anders gefragt: Glauben Sie wirklich, dass mögliche Ter-
roristen auf eine Liste warten, aus der hervorgeht, wo die

Zivilisation verletzbar ist? Nachvollziehen können die
Beschäftigten schon gar nicht, dass sie von vornherein
wie potenzielle Terroristen behandelt werden.

Ein letztes Wort. Sie haben gestern hier ein Einwande-
rungsgesetz eingebracht. Heute stellt sich die Sinnfrage,
weil Sie sich mit diesem Gesetzesvorhaben ein Instru-
mentarium schaffen, das die Einreise und die Ausweisung
von Ausländern strenger als je zuvor reglementiert. Sie
stellen mit diesem Gesetzespaket die Fremden, um die Sie
gestern hier geworben haben, unter Generalverdacht.


(Beifall bei der PDS)

Am Mittwoch mahnten Sie, möglichst keine Maßnah-

men, die nichts mit der Terrorismusbekämpfung zu tun
haben, vorzuschlagen. Wenn Sie konsequent gewesen
wären, dann hätten Sie Ihr Paket heute zurückgezogen
und ein neues vorgelegt.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1420912600
Jetzt spricht der Bun-
desminister des Innern, Otto Schily.


Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1420912700
Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Pau, an
Ihren Ausführungen kann man sehr gut erkennen, was für
Sie die eigentliche Gefahr ist: Für Sie sind offenbar die Si-
cherheitsinstitutionen des Staates und nicht der Terroris-
mus die Gefahr.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Genauso ist es! Sehr gut!)


Sie haben hier erklärt, es gehe um die Gefahr durch den
Staat. Ich möchte wissen, in welcher Welt Sie leben.
Wahrscheinlich haben Sie noch ein bisschen Erinnerung
an die DDR. Da war es nämlich so, dass man Sorge vor
den Gefahren durch den Staat haben musste.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der PDS – Roland Claus [PDS]: Das passt ja nicht zusammen!)


Was Ihre Koalitionsvereinbarung angeht, wünsche ich
Ihnen viel Glück. Immerhin wollen Sie selbst zugestehen
– das ist bemerkenswert –, dass bestimmte Gruppierungen
Ihrer Partei weiterhin vom Verfassungsschutz beobachtet
werden. Dazu beglückwünsche ich Sie!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der PDS)


Ich bedanke mich bei allen Koalitionsfraktionen, die
unser wichtiges Vorhaben unterstützen. Ich bedanke mich
auch bei der CDU/CSU-Fraktion dafür, dass sie ihrer Ver-
antwortung in dieser Frage gerecht wird. Ich kann verste-
hen, dass die FDP-Fraktion mit Blick auf die Kürze des
Verfahrens einige Bauchschmerzen hat. Herr Kollege
Stadler – ich kenne den sachlichen Ton, den Sie norma-
lerweise an den Tag legen –,


(Roland Claus [PDS]: Vielleicht sollte man die Manuskripte bei Ihnen, Herr Minister, einreichen!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Petra Pau

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(D)



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(B)


heute sind Sie zum Teil wie der Bauchredner von Herrn
Möllemann aufgetreten. Das tut Ihnen nicht gut, Herr
Stadler.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Max Stadler [FDP]: Schwacher Gag!)


– Herr Stadler, Herr Möllemann möchte eine Art Basar-
handel veranstalten, indem ein Junktim zwischen diesem
Gesetz und dem Zuwanderungsgesetz hergestellt wird.
Das ist nicht die richtige Herangehensweise.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben es mit einem Gesetz zu tun, durch das die
Konsequenzen aus einem ganz schlimmen Ereignis und
aus einer Bedrohung, die uns wahrlich das Fürchten lehrt,
gezogen werden.


(Zuruf von der PDS: Sie lehren uns auch das Fürchten!)


Ich meine die Bedrohung durch den weltweiten islamis-
tischen Terror, die in ihrer Tiefendimension am 11. Sep-
tember erkennbar geworden ist. Wir brauchen so etwas
wie ein Langzeitgedächtnis. Wir dürfen nicht wieder in
den alten Trott zurückfallen, sondern wir müssen unsere
Wachsamkeit aufrechterhalten. Der Kollege Marschewski
hat mit Recht darauf hingewiesen, dass diese Gefahr nicht
etwa verschwunden ist, sondern fortbesteht.

Wir haben sie übrigens schon vorher kennen gelernt.
Wir haben – jedenfalls was die politische Diskussion an-
geht – weder nach den Ereignissen von Daressalam noch
nach der Festnahme von Personen, die im Dezember kurz
davor standen, im benachbarten Frankreich einen Terror-
anschlag zu begehen, die nötige Aufmerksamkeit an den
Tag gelegt. Man muss aber auch feststellen – das ist der
entscheidende Gesichtspunkt –: Wir hatten keine Kennt-
nis über die in verschiedenen Ländern getroffenen Vorbe-
reitungen dieser schrecklichen Terroranschläge in New
York und in Washington. Wir müssen uns bewusst sein,
was da angegriffen worden ist: New York ist die interna-
tionalste Stadt der Welt. Dort ist der Sitz der Vereinten Na-
tionen. Unter den Opfern waren Menschen aus mehr als
80 Nationen dieser Welt. New York, ein Symbol für den
Freiheitswillen dieser Welt, für die Demokratie in dieser
Welt, war der Zielpunkt. Viele Menschen, die unter der
Terrorherrschaft der Nazis oder unter der Terrorherrschaft
anderer totalitärer Systeme verfolgt waren, haben in New
York Zuflucht gesucht. Das ist in das Geschichtsbewusst-
sein der Menschheit tief eingegraben. Deshalb hat das
auch diese große Bedeutung.

Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Sicherheitsinsti-
tutionen zur Früherkennung solcher Aktivitäten in der
Lage sind. Dazu brauchen sie die Möglichkeit, in Finanz-
transaktionen hineinzuschauen, Reisebewegungen und
Auffälligkeiten im Verhalten von bestimmten Personen
festzustellen. Wir müssen besser in der Lage sein, Perso-
nen zu identifizieren, damit es nicht gelingen kann, sich
mit unterschiedlichen Identitäten zu tarnen. Jemandem,
dem der Aufenthalt in Deutschland untersagt wird, darf es
nicht möglich sein, unter einer anderen Identität wieder in

unser Land zurückzukehren. Ich halte das für eine pure
Selbstverständlichkeit.

Frau Pau, Sie haben gemeint, das stehe im Widerspruch
zum Zuwanderungsgesetz. Dazu will ich Ihnen Folgen-
des sagen: Das Zuwanderungsgesetz soll Terroristen nicht
ermöglichen, in unser Land zu kommen. Es soll nicht
dafür sorgen, dass Terroristen, soweit sie sich schon in un-
serem Land befinden, in unserem Land bleiben können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU])


Das sollte unter allen, die sich mit dem Thema beschäfti-
gen, doch eigentlich Konsens sein.

Nun hat es einen Streit über die Frage gegeben, mit
welchem Vokabular wir in dem Gesetzestext arbeiten. Ich
rege an, doch die Unterschiede zur Kenntnis zu nehmen,
die es zwischen der Terminologie im Polizeirecht und
derjenigen im Strafverfahren gibt. Im Strafverfahren
kennen wir den Begriff des Verdachts, der eine Abgren-
zung etwa in folgenden Fragen ermöglicht: Unter wel-
chen Voraussetzungen können Ermittlungen eingeleitet
werden? Unter welchen Voraussetzungen kann eine An-
klage erhoben werden? Unter welchen Voraussetzungen
kann jemand in Haft genommen werden?

Im Polizeirecht geht es nicht um diesen Begriff. Im Po-
lizeirecht geht es um eine Gefahrenbeurteilung. Deshalb
ist die Wortwahl, die wir jetzt getroffen haben, dem
Polizeirecht entnommen. Es geht um die Beschreibung ei-
ner Gefahr. Das steht auch in Übereinstimmung mit ande-
ren Bestimmungen, übrigens – das sage ich, damit alle das
begreifen – schon im geltenden Recht. Da steht nämlich
etwas von einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit ge-
schrieben. Das ist der Kern dieser Bestimmung.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das haben wir bereits begriffen, Herr Bundesinnenminister!)


Im Zusammenwirken aller, die daran beteiligt waren
– insbesondere bedanke ich mich beim Bundesjustizmi-
nisterium – haben wir, wie ich finde, eine gute Formel ge-
funden.

Ich möchte noch etwas zur Frage der Zuständigkeiten
des Bundeskriminalamts sagen, weil auch das heute von
Ferne her kritisiert worden ist. Herr Kollege Marschewski,
Sie haben behauptet, ich hätte mich in wichtigen Punkten
nicht durchgesetzt, das Bundeskriminalamt bleibe wegen
der Grünen „ein zahnloser Tiger“. Ich werde in Wiesbaden
ausrichten, was Sie gesagt haben. Wenn das zutrifft, dann
müsste das Bundeskriminalamt bisher ein zahnloser Tiger
gewesen sein. Diese Einschätzung kann ich mir nach der
erfolgreichen Arbeit des Bundeskriminalamts in den
zurückliegenden Jahren, gerade auch in jüngster Zeit, nun
wahrlich nicht zu Eigen machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dieter Wiefelspütz [SPD]: Kein Verhältnis zur Sicherheit, Herr Marschewski!)


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Nun zu der Frage: Wie beurteilen wir diese Befug-
nisse? Wir haben nichts anderes gemacht, als die Befug-
nisse, die das Bundeskriminalamt nach seinem Zustän-
digkeitskatalog in § 2 des Bundeskriminalamtgesetzes
bereits hat,


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: So ist es!)

so zu gestalten, dass es die Möglichkeit hat, Daten unmit-
telbar zu erheben, und nicht den Umweg über die Länder
gehen muss.

Insofern kann ich auch überhaupt nicht verstehen, was
der Richterbund – da muss ich einmal auf die Anhörung
zurückkommen – an der Stelle auszusetzen hat.


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Ich auch nicht!)

Der Richterbund fragt, wieso das BKA sozusagen unkon-
trolliert auf Länderdaten zugreifen dürfe. Das darf es
heute schon; es geht nur darum, dass es im Rahmen sei-
ner Zentralstellenfunktion unmittelbar Daten erheben
kann.

Nun muss ich Ihnen noch etwas sagen, weil einige das
Wort „Initiativermittlungen“ als Schreckensbild vor sich
hergetragen haben. Es scheint mir so zu sein, dass einige
die geltende Rechtslage nicht kennen. Vielleicht wird
nicht so oft in den Richtlinien für das Strafverfahren ge-
lesen. Tun Sie das einmal. Nehmen Sie sich einen Kom-
mentar zur Hand. Darin finden Sie die gemeinsamen
Richtlinien der Justizminister und -senatoren sowie der
Innenminister und -senatoren der Länder über die Zusam-
menarbeit von Staatsanwaltschaften und Polizei bei der
Verfolgung der organisierten Kriminalität. Dies sind al-
lerdings Richtlinien, die für den Terrorismus nicht gelten,
die aber auf der Basis des geltenden materiellen Straf-
rechts und Strafverfahrensrechts erarbeitet worden sind.

Unter Ziffer 6 unter der Überschrift „Initiativermitt-
lungen“ finden Sie folgende Definition:

Die Aufklärung und wirksame Verfolgung der orga-
nisierten Kriminalität setzt daher voraus, dass Staats-
anwaltschaft und Polizei von sich aus im Rahmen ih-
rer gesetzlichen Befugnisse Informationen gewinnen
oder bereits erhobene Informationen zusammen-
führen, um Ansätze zu weiteren Ermittlungen zu er-
halten: Initiativermittlungen.
Liegt ein Sachverhalt vor, bei dem nach kriminalisti-
scher Erfahrung die – wenn auch geringe – Wahr-
scheinlichkeit besteht, dass eine verfolgbare Straftat
begangen worden ist, besteht ein Anfangsverdacht.
Dieser löst die Strafverfolgungspflicht aus. Es ist
nicht notwendig, dass sich der Verdacht gegen eine
bestimmte Person richtet.

Weiter heißt es:
Bleibt nach Prüfung der vorliegenden Anhaltspunkte
unklar, ob ein Anfangsverdacht besteht, und sind An-
sätze für weitere Nachforschungen vorhanden, so
können die Strafverfolgungsbehörden diesen nach-
gehen. In solchen Fällen besteht allerdings keine ge-
setzliche Verfolgungspflicht.

Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt steht unter
Ziffer 6.4:

Bei Initiativermittlungen
– ein Wort also, das völlig gängig ist, hier aber in der öf-
fentlichen Diskussion zu einem großen Tohuwabohu ge-
führt hat –

liegen häufig die Elemente der Strafverfolgung und
der Gefahrenabwehr in Gemengelage vor und gehen
im Verlauf eines Verdichtungs- und Erkenntnispro-
zesses ineinander über.

Wie wahr!
Ich will Sie nur darauf hinweisen, damit Sie bemerken,

dass manche Vorbehalte, die selbst in richterlichen Krei-
sen geäußert werden, ohne Grundlage sind.

Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, den auch der
Kollege Beck, für dessen sachliche Rede ich ihm meine
ausdrückliche Anerkennung aussprechen möchte, er-
wähnt hat.


(Zurufe von der CDU/CSU)

– Das sage ich doch ganz offen. Dass wir mitunter eine
Kontroverse haben, ist doch in Ordnung oder was haben
Sie daran auszusetzen?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Weil ich die Rede nicht so sachlich finde!)


Warum soll denn nicht auch einmal in einer Koalition
über eine Sachfrage geredet werden? Dazu möchte ich
einmal den Streit zwischen Ihnen und der FDP in Erinne-
rung rufen. Darüber gibt es viel zu berichten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Zeitlmann [CDU/ CSU]: Ich sage gleich etwas dazu!)


Jetzt loben Sie Ihre Gesetzgebungsarbeit aus vergangenen
Jahren, die Sie ohne die SPD-Fraktion gar nicht zustande
gebracht hätten. Also seien Sie in diesen Fragen einmal
ganz ruhig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Aber die Rede von Beck war Quatsch!)


Ich möchte etwas zu den biometrischen Merkmalen
sagen. Ich glaube, wir waren gut beraten, dies erst einmal
nur in dem Bereich einzuführen, in dem es wirklich dring-
lich ist, nämlich bei der Visaerteilung, vor allem im Zu-
sammenhang mit Problemstaaten, damit wir hier bessere
Möglichkeiten haben, und uns in anderen Fragen ein biss-
chen mehr Zeit zu gönnen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dies passt ja eigentlich zu dem, was auch Sie immer sa-
gen: Sie wollen mehr Zeit. Selbst die CDU/CSU hat hef-
tig geklatscht, als Herr Stadler vorgetragen hat, es habe
zeitliche Probleme gegeben.

Ich möchte Sie nur auf Folgendes hinweisen, damit
Sie den Erkenntnisprozess mit uns zusammen weiter
nachvollziehen können: Heute werden schon in vielen

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Bundesminister Otto Schily

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Ländern biometrische Merkmale angewendet. In
Frankreich – ich habe das auch erst neulich erfahren,
vielleicht haben das andere schon früher gewusst; Herr
Marschewski hat das selbstverständlich alles schon ge-
wusst;


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Nein nicht alles!)


– aber fast alles – werden bei der Beantragung eines Per-
sonalausweises Fingerabdrücke genommen. Niemand hat
gehört, dass dort die Menschenrechtsvereine und ähnliche
aufgetreten sind und dies als Verletzung der Menschen-
würde angesehen haben. In den USA– das habe ich Ihnen
schon bei früherer Gelegenheit mitgeteilt – gibt es Fin-
gerabdrücke auf der „resident alien card“. In Spanien wer-
den diese bei den Antragstellungen für längerfristige Auf-
enthalte genommen.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: USA?)


– In Spanien. In den USAgibt es die „resident alien card“.
Das ist ein Ausweis für diejenigen, die in den USA eine
Arbeit aufnehmen wollen, lieber Herr Marschewski.

Aber wir werden uns mit diesen Fragen umfassend zu
beschäftigen haben, auch mit dem Hinweis, dass isolierte
Regelungen relativ wenig bringen. Da hat Herr Beck voll-
kommen Recht. Deshalb bemühen wir uns ja, auch auf der
europäischen und internationalen Ebene diese Dinge so
zu gestalten, dass ein vernünftiges Konzept daraus wird.

Wir werden uns damit beschäftigen müssen – und das
werden wir tun –, wie die modernen Techniken aussehen,
die ja nicht mehr mit Tusche arbeiten. Heute geht es um
Scannen oder Digitalisieren. Die Kosten sind übrigens gar
nicht so hoch, Herr Beck. Sie sollten mit den übertriebenen
Volumina, die Sie hier vorgetragen haben, vorsichtig sein.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie jetzt Sonderangebote in petto? – Dieter Wiefelspütz [SPD]: Das musste einmal kritisiert werden! Das ist äußerst unseriös! Seien Sie mal ganz zurückhaltend bei diesen Fragen. Man muss Fragen nach der technischen Gewinnung, der Übermittlung und der Speicherung der Fingerabdrücke stellen. Alles das macht natürlich nur Sinn, wenn Sie auch einen Abgleichungsmodus finden, der die optimale Nutzung solcher Techniken ermöglicht. Jedenfalls müssen wir nicht nur erreichen, dass Fälschungen erkennbar sind, sondern wir müssen auch verhindern, dass echte Dokumente zur Tarnung benutzt werden, um mit ihnen schlimmen Dingen nachzugehen. Meine Damen und Herren, ich glaube, dass wir auch im internationalen Rahmen mit unseren Maßnahmen sehr gut aufgestellt sind. Heute war der Attorney General John Ashcroft bei mir zu Gast. Ich glaube, dass wir gerade im Blick auf die UNO-Sicherheitsresolution damit zufrieden sein können, wie weit wir bei unseren Maßnahmen gekommen sind, übrigens nicht nur bei gesetzlichen Maßnahmen, sondern auch bei der Ausstattung unserer Sicherheitsbehörden mit Personalund Sachmitteln. Herr Marschewski, Sie haben gesagt, wir hätten Personal zurückgeführt. Das ist falsch. Wir haben, obwohl wir von Ihnen eine gewaltige Schuldenlast geerbt haben, die Ausgaben im Sicherheitsbereich kontinuierlich erhöht und sie jetzt noch einmal mit 500 Millionen besonders aufgestockt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das haben Sie in Ihrer ganzen Regierungszeit nicht ge-
schafft.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Nein, nein! Da muss ich leider widersprechen!)


Wir werden der Überprüfung, die der Ausschuss der UNO
vornehmen wird, also in Ruhe entgegensehen können.

Lassen Sie mich ein letztes Wort sagen: Wir sollten bei
Gegensatzbildungen mit befreundeten Staaten vorsichtig
sein. Mein Freund, der britische Innenminister David
Blankett, ist ein Mann des Rechtsstaates


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Völlig richtig!)


und niemand sollte auf den Gedanken kommen, ihn in ir-
gendeinen Verdacht zu bringen, das sei anders.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Das sehe ich auch so! Ich war vor einer Woche da!)


Ich glaube, die Frage, die Herr Marschewski aufge-
worfen hat, ist der Prüfung wert.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Ich mache auch einen Strich!)


– Wenn Sie das wollen, müssen Sie einen Antrag vorle-
gen, dass Sie sich von der Menschenrechtskonvention
verabschieden und sie in den Papierkorb werfen wollen.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Nein, nein!)


Ich bin gespannt, welche Anträge Sie vorlegen werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das wollen wir ja nicht!)

Ich stehe zur Europäischen Menschenrechtskonvention,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

aber wir werden uns mit der Frage beschäftigen müssen,
was mit Personen geschieht, die unter Terrorismusver-
dacht stehen, die bei uns leben, nicht der hiesigen Ge-
richtsbarkeit unterliegen und international zur Fahndung
ausgeschrieben sind. Wie ist es in solchen Fällen mit den
entsprechenden Auslieferungsbestimmungen? Wo kön-
nen diese Personen vor Gericht gestellt werden? Die bes-
te Lösung in solchen Fällen ist in der Tat ein internationa-
ler Strafgerichtshof.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


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Aber auch dann werden wir der Frage nicht ausweichen
können: Wo werden sie vorläufig untergebracht und wo
werden sie nach einer Verurteilung endgültig unterge-
bracht?


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Die Frage bleibt! Völlig richtig!)


Der Frage können wir gerechterweise und ehrlicherweise
nicht ausweichen. Ich denke, darüber werden wir noch zu
diskutieren haben.

Ich möchte meinen Dank wiederholen. Der Dank gilt
auch denen, die heute nicht zustimmen, weil ich weiß
– ich bin ja selber ein engagierter Parlamentarier –, wie
schwer es ist, innerhalb kurzer Fristen solche Gesetzes-
texte angemessen zu prüfen. Ich bedanke mich bei allen,
die das auf sich genommen haben. Ich hoffe, dass wir
auch in der kommenden Woche mit einem epochalen Ge-
setzeswerk – wie Sie es gesagt haben – zu einem guten
Ende kommen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1420912800
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich dem Kollegen Jürgen Koppelin das
Wort.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1420912900
Herr Bundesinnenminister,
Sie haben in Ihrer Rede Äußerungen zu meinem Kollegen
Max Stadler getan, die ich so nicht stehen lassen möchte.
Ich denke, Sie sollten sie zurücknehmen. Sie haben den
Kollegen Max Stadler als Bauchredner – ich wiederhole
das, was Sie gesagt haben – des stellvertretenden FDP-
Bundesvorsitzenden Jürgen Möllemann bezeichnet.

Herr Bundesinnenminister, nehmen Sie einfach zur
Kenntnis: Die FDP-Bundestagsfraktion hat bei ihrer Sit-
zung am Dienstag auch diese Sitzung heute vorbereitet.
Wir haben eine intensive Diskussion geführt, allerdings
nicht im Beisein von Herrn Möllemann, wenn Ihnen das
etwas hilft. Der Kollege Stadler hat sich an unserer Dis-
kussion federführend beteiligt. Auch Sie kennen sicher-
lich die sehr sachbezogene Art des Kollegen Stadler. Sie
haben es ja auch angedeutet. Ich denke, Sie sollten solche
Herabsetzungen nicht vornehmen.

Wenn es Sie stört, dass der Kollege Möllemann, der
Kollege Stadler und die FDP-Bundestagsfraktion in die-
ser Sache einer Meinung sind – das mag Sie ja stören –,
dann tut es uns Leid. Wir sind aber in diesem Punkt nun
einmal einer Meinung. Der Kollege Stadler – ich will das
noch einmal ausführlich sagen – hat das vorgetragen, was
wir in der FDP-Bundestagsfraktion beraten und ent-
schieden haben. Sie sollten diese Herabsetzung lassen.
Ich vermute, dass Sie es nicht so gemeint haben. So ken-
nen wir Sie ja auch.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Roland Claus [PDS] – Zurufe von der SPD: Oh!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1420913000
Zur Erwiderung Herr
Bundesminister Schily.


Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1420913100
Lieber Kol-
lege Koppelin, ich kenne Herrn Stadler als einen wirklich
vorzüglichen und sachlichen Kollegen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Es war nun wirklich nicht als Herabsetzung gemeint, es
war der Versuch eines Scherzes. Er scheint bei Ihnen nicht
als Scherz angekommen zu sein. Belassen wir es also bei
dem Scherz. Wenn Sie es als Herabsetzung empfunden
haben, nehme ich das gerne zurück. Sie wissen, dass ich
Herrn Stadler besonders schätze; das gilt auch über alle
politischen Gegensätze hinweg.

Der Scherz wird also zurückgenommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1420913200
Letzter Redner in un-
serer Debatte ist der Kollege Wolfgang Zeitlmann für die
CDU/CSU-Fraktion.


Wolfgang Zeitlmann (CSU):
Rede ID: ID1420913300
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister
Schily, Sie dürfen mich in Zukunft jederzeit Bauchredner
irgendeines CSU-Innenpolitikers nennen.


(Jörg Tauss [SPD]: Stoiber!)

Ich habe damit kein Problem. Das Problem liegt wohl
mehr in der Person begründet, von der er, wie Sie sagten,
der Bauchredner sein sollte.

Zur Terrorismusbekämpfung sage ich vorab: Wir hat-
ten seit dem 11. September drei Monate Zeit gehabt, aber
erst am 15. November war die erste Lesung dieses Geset-
zes. Das heißt auf gut Deutsch: Zwei Monate hat die Re-
gierung gebrütet, dann hat sie es hier eingebracht, den ver-
bliebenen Monat hat die Koalition über den Vorschlag der
Exekutive gebrütet und dann sollte der Innenausschuss
das im Grunde innerhalb eines Tages abnicken. Da hatte
Heribert Prantl, wohl das erste Mal, Recht, als er sagte:
Der Gesetzgeber verkommt zum Paketträger. Dieses Vor-
gehen ist nicht nur zutiefst unparlamentarisch, sondern
ich halte es auch für eine Unverschämtheit und für eine
Missachtung der Parlamentarier, dass man ihnen zumutet,
ein wichtiges Gesetz innerhalb nur einer Sitzung eines
Fachausschusses durchzupauken.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich will einmal mit dem an-

fangen, was jeder von Ihnen heute früh oder heute Nacht
wahrscheinlich schon mitbekommen hat, nämlich diesen
schrecklichen Videofilm, in dem sich der Verbrecher Bin
Laden damit brüstet, dass er mit einem solchen „Erfolg“
nicht gerechnet hat. Im Zusammenhang mit diesem Video
wird berichtet, dass es Anhaltspunkte gebe, dass wohl mit
weiteren Aggressionen gerechnet werden muss. Man
kann eigentlich nur beten, dass uns, der freien und zivili-
sierten Welt, ein weiterer Schlag erspart bleibt. Aber ich

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Bundesminister Otto Schily

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fürchte, dass die Brutalität dieser Truppe uns hier noch des
Öfteren zusammenführen wird. In diesem Lichte ist zu be-
sorgen, dass manche der Bedenken, die heute hier an-
klangen und besagten, dass unser Staat in eine Schieflage
gerate, dass die Organe der Sicherheit zu viele Kompe-
tenzen bekämen und dass die Freiheit in Gefahr sei, ganz
schnell verflogen sein werden. Ich habe manchmal das
Gefühl, dass einige Mitglieder dieses Hauses weit in der
Vergangenheit leben. Im Hinblick auf diejenigen, die
noch bis vor zwölf Jahren in einer Diktatur lebten, habe
ich Verständnis. Aber für uns im westlichen Teil unseres
Landes ist es kaum vorstellbar, dass nach 50 Jahren die
Bürgerrechte und Freiheitsrechte tangiert sein könnten.

Die Dimension dessen, worum es geht, ist noch nicht
von allen verstanden worden. Es geht um Terrorismus-
bekämpfung. Herr Minister Schily, Sie haben sich eben
in Ihren Äußerungen selbst einen Bärendienst erwiesen,
als Sie vorgelesen haben, dass die Regeln der Innenminis-
ter- und Justizministerkonferenz zur organisierten Krimi-
nalität beim Terrorismus keine Anwendung fänden. Das
muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Es
wird eine Unterscheidung zwischen dem, was wir gegen
organisierte Kriminalität einsetzen – –


(Widerspruch von Bundesminister Otto Schily)


– Ich kritisiere das ja nicht; ich gebe nur Denkanstöße.
Man darf in der praktischen Konsequenz nicht zwischen
beiden Gefahren unterscheiden.

Meine Damen und Herren, wir müssen einmal mit ei-
ner Sprachverwirrung aufräumen, der wir vielleicht alle
ein bisschen unterliegen, der Vorstellung nämlich, Terro-
rismus sei eine abgeschwächte Form der Kriminalität. Zu
dieser Vorstellung trägt sicherlich bei, dass weltweit im-
mer wieder zu beobachten ist, dass Terroristen von ges-
tern Staatspräsidenten von heute werden, und dass es auch
schon Terroristen gegeben hat, die den Friedensnobelpreis
bekommen haben; ich deute das nur an, ohne Namen zu
nennen. Sie merken, worauf ich hinaus will: Was ist ein
Terrorist? Nach meiner Definition ist ein Terrorist ein po-
litisch motivierter Verbrecher,


(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


ein Gewalttäter und Krimineller, sonst gar nichts.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dies bedeutet, dass ich unsere Sicherheitsorgane mit
allen zur Verfügung stehenden gesetzlichen Mitteln aus-
statten muss, ob das nun das Instrument des Generalver-
dachtes oder die Aufnahme des Fingerabdrucks in den
Pass ist. Ich kann nicht verstehen, dass sich manche von
solchen Lappalien beschwert fühlen. Sie werden Otto
Normalverbraucher nicht erklären können, dass diese Re-
publik in Gefahr sei, man aber mit solchen Instrumenten
vorsichtig sein müsse. Dem kleinen Mann auf der Straße
ist es völlig wurscht, ob in seinem Pass, in dem ohnehin
ein Foto von ihm ist, auch die Abdrücke von zehn Fingern
enthalten sind. Vom elften Finger will ich gar nicht reden.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1420913400
Herr Kollege
Zeitlmann, bevor Sie zum zwölften Finger kommen, frage
ich Sie, ob Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Otto
Schily zulassen.


Wolfgang Zeitlmann (CSU):
Rede ID: ID1420913500
Nein. – Herr
Minister Schily, ich sage Ihnen auch, warum ich die Zwi-
schenfrage nicht zulasse: Wer mir als Oppositionspoliti-
ker in der Ausschussberatung kaum Raum gibt, kann nicht
die Plenardebatte zum Dialog mit mir nutzen wollen. Ma-
chen Sie beim nächsten Mal eine gescheite Innenaus-
schusssitzung, kommen Sie frühzeitig und kommen Sie
auch zur Anhörung, dann können wir intensiv darüber
sprechen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ilse Janz [SPD]: Die Ausschusssitzung ist Angelegenheit des Parlaments, nicht der Regierung!)


Meine Damen und Herren, Terrorismusbekämpfung
darf nicht anders als Kriminalitätsbekämpfung gesehen
werden. Wir müssen unseren Sicherheitsorganen deutlich
machen, dass wir voll hinter ihnen stehen. Es gibt keinen
Grund zu Misstrauen, es besteht nicht die Gefahr, dass un-
sere Dienste uns in eine undemokratische Ecke manöv-
rierten.

Einen Punkt halte ich für sehr bedenklich: In Ihrem Ge-
setz können Sie sehr wohl die biometrischen Merkmale
vorschreiben. Nach jetziger Rechtslage planen Sie aber
eine Änderung des Passgesetzes, nach der in die Pässe von
Deutschen – das halte ich für richtig – weitere Merkmale
aufgenommen werden sollen, haben aber nichts vorgese-
hen, um die 7Millionen Ausländer passrechtlich gleich zu
behandeln. Ich warne davor. Sie haben nur eine Regelung
im Ausländerrecht, dass für zukünftige Fälle der Neuer-
teilung einer Aufenthaltsgenehmigung solche biome-
trischen Merkmale erfasst werden können.

Meine Damen und Herren, es fällt mir noch eine Be-
sonderheit auf – damit komme ich zum Ende –, nämlich
die, dass Sie bei der Einreise den kleinen Visa-Beamten in
Kiew, im Jemen oder wo auch immer auf der Welt mit
unserer Rechtsproblematik belasten. Sie sagen nicht ein-
fach, dass die Einreise nach Deutschland bei dem gerings-
ten Anfangsverdacht verweigert wird. Bei der Dimension
der Gefahr wäre es doch normal, zu sagen, dass uns der
kleinste Anfangsverdacht daran hindert, jemanden, der
möglicherweise ein Terrorist ist, ins Land zu lassen.


(Zuruf des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Ich sage ganz deutlich, dass ich die Grenze zu einem An-
fangsverdacht verschieben will.

Sie können dem kleinen Beamten nicht zumuten, die
feine Unterscheidung zwischen dem Belegen von Tatsa-
chen und dem Beweisen von Tatsachen zu treffen. Diese
saubere Grenzziehung schafft er nicht. Er muss außer-
dem mit einem anschließenden Verfahren vor dem
Verwaltungsgericht rechnen. Es ist übrigens eine deutsche
Besonderheit, dass man sich ein Visum erstreiten kann.
Ich höre, dass es das in anderen freiheitlichen Ländern
kaum gibt. Angesichts Ihrer Vorstellung, dass es dem klei-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Wolfgang Zeitlmann
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(A)



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nen Beamten möglich sein soll, zu sagen: „Ich sehe zwar
den Anfangsverdacht, aber der reicht nicht für das Bele-
gen von Tatsachen aus und deswegen darf die Person ein-
reisen“, wünsche ich Ihnen viel Vergnügen.

Es wäre auch noch einiges dazu zu sagen, dass Sie,
Herr Beck, den Ländern Auflagen machen wollen, wie sie
zu kontrollieren haben. Das ist ein eigenartiges Demokra-
tieverständnis. Ich möchte Sie einmal hören, wenn uns
Europa mit einem Gesetz vorschreiben würde, wie die
Kontrollen zu regeln sind und wer was anordnen darf. Sie
werden doch zu den eigenen Genossen so viel Vertrauen
haben, dass sie es vor Ort regeln können. Ich möchte den
Ländern keine Vorschriften machen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer die Befugnisse hat, hat auch die Verantwortung!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1420913600
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie
von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwürfe
zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Es han-
delt sich um die Drucksachen 14/7386 (neu), 14/7727 und
14/7830. Ich verweise darauf, dass es nach § 31 der Ge-
schäftsordnung zwei schriftliche Erklärungen zur Abstim-
mung gibt, nämlich von der Kollegin Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger1) und von dem Kollegen Dr. Norbert
Lammert.2)

Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner
Beschlussempfehlung, die genannten Gesetzentwürfe als
Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus
in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein
Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Druck-
sache 14/7861 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer
stimmt für diesen Änderungsantrag der CDU/CSU-Frak-
tion? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der CDU/CSU-
Fraktion abgelehnt.

Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung mit der vorhin von dem Berichterstat-
ter vorgetragenen Berichtigung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und der PDS-Frak-
tion angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetz zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit
gegen die Stimmen von FDP-Fraktion und PDS-Fraktion

bei einer Enthaltung aus der CDU/CSU-Fraktion ange-
nommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache
14/7860. Wer stimmt für den Antrag der FDP? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungs-
antrag ist gegen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Ent-
haltung der PDS-Fraktion abgelehnt.

Ich rufe jetzt die Beschlussempfehlung des Innenaus-
schusses zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit
dem Titel „Sicherheit 21 – Was zur Bekämpfung des in-
ternationalen Terrorismus jetzt zu tun ist“, Drucksache
14/7830 auf. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner
Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache
14/7065 (neu) abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der
CDU/CSU-Fraktion angenommen.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/7792 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und b auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten

Dr. Norbert Röttgen, Manfred Grund, Norbert
Hauser (Bonn), weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengeset-
zes
– Drucksache 14/7441 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für. Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Rechtsausschuss

b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zurÄn-
derung des Parteiengesetzes
– Drucksache 14/7778 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Rechtsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Debatte eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die SPD-
Fraktion ist der Kollege Wilhelm Schmidt. – Herr Kol-
lege, bitte warten Sie, bis diejenigen Kolleginnen und
Kollegen, die uns unbedingt verlassen wollen, gegangen
sind.


Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1420913700
Frau Präsiden-
tin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Wolfgang Zeitlmann

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1) Anlage 2
2) Anlage 3

Kollegen! Ich hoffe natürlich nicht, dass der Saal trotz der
späten Zeit, zu der wir uns am Freitag Nachmittag mit die-
sem Thema beschäftigen, gleich leer ist; denn es geht um
die Finanzierung der Parteien in Deutschland, ein
Thema, das uns alle angeht. Dies ist die Basis dafür, dass
wir in der Demokratie, in diesem System weiterhin stabile
Grundlagen haben, die wir brauchen, um unsere demo-
kratische Arbeit, die verfassungsmäßig abgesichert ist,
wahrzunehmen.

Die Überschrift in der „Süddeutschen Zeitung“ lautete
vor wenigen Tagen, nachdem meine Fraktion ihren Ge-
setzentwurf vorgestellt hatte: „Bei falscher Partei-Bilanz
droht Haft“. Genau das will ich hier als einen Eckwert be-
kräftigen, den wir in der Debatte durchzusetzen versu-
chen. Unser Gesetzentwurf ist, neben all den Dingen, die
ohnehin zu regeln sind und die von allen ins Auge gefasst
sind, darüber hinaus durch zwei besonderen Punkte ge-
kennzeichnet, nämlich dass wir die Konsequenzen aus
dem Parteispendenskandal der CDU zu ziehen versuchen
und dass der Bundestagspräsident eine unabhängige
Kommission eingesetzt hat, die uns für die Beratung die-
ses neuen Parteiengesetzes eine ganze Menge an Materia-
lien zur Verfügung gestellt hat.

Ich danke dieser Kommission an dieser Stelle aus-
drücklich dafür, dass sie sich dieser umfangreichen Arbeit
unterzogen hat. Dadurch, dass wir uns mit unserem Ge-
setzentwurf weitestgehend an den Vorlagen und Vorschlä-
gen der Kommission orientieren, wird die Wertschätzung
für das Ergebnis der Arbeit dieser Kommission zum Aus-
druck gebracht. Herzlichen Dank dafür!

Dass wir in dieser Zeit auch darum ringen, die Konse-
quenzen aus dem Parteispendenskandal zu ziehen, den
die CDU in dieser Zeit nicht bereit ist aufzudecken, kenn-
zeichnet, so glaube ich, das Bemühen darum, die Belas-
tungen für das Parteiensystem und damit auch die Belas-
tungen für die Demokratie in diesem Lande möglichst
abzubauen, und zwar möglichst einvernehmlich.

Ich komme auf einige wenige Eckwerte zu sprechen,
die wir im Gesetz durchzusetzen versuchen und dann auf
den anschließend vorzustellenden Gesetzentwurf der
CDU/CSU hier im Hause. Es gibt zwischen diesen beiden
Entwürfen nämlich gravierende Unterschiede.

Zu den Eckwerten. Wir, die Koalition, führen in unse-
rem Gesetzentwurf einen neuen Straftatbestand für vor-
sätzlich falsche Rechnungslegung ein.


(Beifall bei der SPD)

Das halte ich für besonders gravierend. Wenn dieser zu
den Zeiten, als die CDU und die CSU, die CDU insbe-
sondere, durch Herrn Kohl, Herrn Kanther, Herrn Koch
und viele andere ihre Umwegfinanzierung und ihre Ver-
schleierung von Parteifinanzierung vorgenommen haben,
gegolten hätte, dann würden sich diese Herren wahr-
scheinlich nicht erfolgreich um die Erkenntnisfindung
und die Aufklärung ihrer Machenschaften drücken kön-
nen. Sie wären dann nach dem Strafgesetzbuch und nach
diesem Gesetz strafbar.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir lassen es nicht zu, dass das so weiter läuft, wie man
es auch gestern wieder im Untersuchungsausschuss sehen
konnte, wo sich gerade diese Leute, Kohl und Co., erneut
gedrückt haben, zur Aufklärung dieses Parteispenden-
skandals beizutragen. Wir missbilligen dies ausdrücklich.


(Beifall bei der SPD)

Ich sage es von dieser Stelle: Kohl hat in diesem Parla-
ment nichts mehr zu suchen.


(Beifall bei der SPD – Manfred Grund [CDU/ CSU]: Das steht Ihnen gar nicht zu! Das geht Sie einen Dreck an! – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Euer Demokratieverständnis haben wir erlebt! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


– Sie werden mich nicht davon abbringen, dass ich das
was ich von der Sache politisch halte, hier deutlich sage.
Die Entscheidung, ob es mich einen Dreck angeht, müs-
sen Sie mir schon selbst überlassen. Ihre Reaktion kenn-
zeichnet aber wieder Ihre persönliche Einstellung zu die-
sem Skandal, den Sie an dieser Stelle nach wie vor,
übrigens auch durch Ihren Entwurf, zu vertuschen und zu
verschleiern versuchen. Die Form, wie Sie das vorbrin-
gen, ist auch wieder typisch für Sie. Das lassen wir nicht
durchgehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir werden mit der Offenlegung mehr Transparenz in
die Parteienfinanzierung hineinbringen. Das war immer
unser erklärter Wille. Als die Mehrheit von CDU/CSU das
Gesetz 1994 zum letzten Mal geändert hat, ist das nicht in
dem Maße, wie es heute notwendig ist, geschehen. Darum
werden wir dies zugunsten von mehr Transparenz ändern.

Wir werden auch die Anforderungen an die Wirt-
schaftsprüfer erhöhen, im Andenken an das, was Herr
Weyrauch Ihnen angetan hat, vielleicht auch mit Ihrem
Wissen; aber das will ich hier nicht behaupten.

Von daher glaube ich schon, dass das, was wir vorle-
gen, eine wichtige Grundlage für mehr Transparenz sein
wird.

Sie hingegen werden mit Ihrem Gesetzentwurf den An-
sprüchen, die die unabhängige Kommission an uns alle
gerichtet hat, nicht gerecht. Sie wollen den Unwertgehalt
Ihrer Arbeit und Ihrer Vorgehensweise wieder verniedli-
chen und vertuschen. Sie wollen den Bundestagsprä-
sidenten als Mittel verwaltende und beaufsichtigende
Behörde diskriminieren und diffamieren.


(Jörg Tauss [SPD]: Skandalös!)

Auch dies lassen wir nicht zu.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich sage für die Koalition und die SPD in diesem Hause
sehr nachdrücklich, dass es an Enteignung grenzt, was Sie
in Ihrem Gesetzentwurf zum Beispiel hinsichtlich der Be-
wertung und Behandlung von parteieigenem Vermögen
vorhaben. Sie werden, weil Sie nicht mit Geld umgehen
können, übrigens auch nicht in der Lage sein, uns aufzu-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

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zeigen, dass wir in irgendeiner Form staatlich unrechtlich
gehandelt haben. Im Gegenteil, wir haben unser Partei-
vermögen, unsere Beteiligungen immer offen gelegt, im
Rahmen der Gesetze allemal,


(Beifall bei der SPD)

und wir werden das in Zukunft noch transparenter machen
als bisher.

Dieser Wert wird ein ganz besonders wichtiger sein.
Sie werden nicht in der Lage sein, davon abzulenken, was
Sie mit Ihrem Parteispendenskandal am Hacken haben.
Die SPD wird das, was sie, auch durch die Bemühungen
und die aktive Arbeit in der Arbeiterbewegung zwischen
den beiden Weltkriegen, zusammengebracht hat, nicht
noch einmal weggeben. Wir werden darauf achten, dass
dieses Vermögen, diese Beteiligungen in unserer Hand
bleiben. Alle sollen wissen, was wir von dem Ganzen hal-
ten. Wir sind selbstbewusst genug, wir können damit um-
gehen und die Öffentlichkeit soll das auch so werten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1420913800
Nächster Redner ist
für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr. Norbert
Röttgen.


Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1420913900
Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn in diesem
Hause, wenn in unserem Land über die Parteienfinanzie-
rung gesprochen wird, erwarten die Bürger nur eines,
nämlich Konsequenzen.


(Jörg Tauss [SPD]: Aufklärung!)

Sie erwarten, dass etwas geschieht.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ja, natürlich! Aufklärung durch Herrn Kohl!)


Sie erwarten Konsequenzen aus den Verstößen, die vor-
gekommen sind, auch bei der CDU.


(Lachen bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Nur bei der CDU!)


– Auch Sie haben gegen das Parteiengesetz verstoßen. Da-
raus müssen Konsequenzen gezogen werden. Die Bürger
sind nicht damit zufrieden, dass es zu der parteipolitischen
Instrumentalisierung dieser Verstöße durch die SPD,
durch den politischen Gegner, kommt.


(Jörg Tauss [SPD]: Häng’s mal tiefer!)

Ihr Interesse ist doch, politisches Kapital aus dieser Ge-
schichte zu schlagen, nicht, die Situation zu verbessern.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ilse Janz [SPD]: Sie vertuschen doch weiterhin! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Haben wir gegen die Vorschriften verstoßen oder ihr? – Ilse Janz [SPD]: Es wird nicht aufgeklärt durch die CDU!)


– Ich schlage vor, dass wir uns darüber unterhalten, dass
wir uns austauschen, dass wir miteinander argumentieren.
Schreien können Sie vielleicht auf Ihren eigenen Ver-
sammlungen.


(Ilse Janz [SPD]: Sie sind doch nicht unser Oberlehrer! Unglaublich!)


Hier ist der Ort der Diskussion. Sie sollten sie pflegen,
auch wenn Sie sich bei diesem Thema scheuen.


(Ilse Janz [SPD]: Arroganter Heini!)

Es gilt auch, Konsequenzen aus einem schlechten Par-

teiengesetz zu ziehen, das wir haben. Das geltende Par-
teiengesetz hat sich nicht bewährt. Es ist widersprüchlich,
unklar, ungenau, lückenhaft;


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? – Zuruf von der SPD: Nur Sie haben es missbraucht! Oder haben Sie sich daran gehalten?)


es setzt das Transparenzgebot des Grundgesetzes nicht
um. Das ist das einhellige Urteil aller Experten. Es ist im
Wesentlichen, bis auf die Korrekturen, die das Bundes-
verfassungsgericht immer wieder vorgenommen hat, ein
Recht der Parteischatzmeister. Sie wollen weitgehend,
dass das so bleibt. Wir sagen: Damit muss Schluss sein.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie haben ja gar keinen Schatzmeister! Die laufen Ihnen doch reihenweise weg!)


Das einhellige Urteil aller Experten ist also, dass es ein
schlechtes Gesetz ist, ein Gesetz, das dem Grundgesetz
nicht gerecht wird. Aber was verkünden Sie in Ihrem Eck-
punktepapier? – Sie sagen, dieses Gesetz habe sich be-
währt. Sie können gar nicht so blind sein, dass Sie die Wi-
dersprüchlichkeiten, die Verfassungswidrigkeit dieses
Gesetzes nicht wahrnehmen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das doch beschlossen!)


Sie behaupten dennoch, dass sich dieses Gesetz bewährt
habe. Dies ist eine politische Erklärung der SPD und –
leider auch – der Grünen. Sie sind von einer symbolischen
Ausnahme abgesehen und im Unterschied zu dem, was
alle anderen fordern, nicht bereit, ernsthafte strukturelle
Konsequenzen zu ziehen. Der Unterschied zwischen der
CDU/CSU auf der einen und der SPD und den Grünen auf
der anderen Seite ist: Wir haben einen Gesetzentwurf vor-
gelegt, der umfassende Konsequenzen zieht. Sie tun das
nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Nennen Sie einmal die Spender!)


Ich will Ihnen zusammenfassend sagen, was hinsicht-
lich einer Reform des Parteiengesetzes geschehen muss:
erstens, eine umfassende Rechnungslegung nach einem
definierten handelsrechtlichen Standard; zweitens, ein
lückenloses Sanktionensystem;


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ja, sehr gut!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Wilhelm Schmidt (Salzgitter)


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drittens, eine Begrenzung der Parteien auf ihre eigentliche
Aufgabe, die Mitwirkung an der politischen Willens-
bildung.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ja, ja! Das hätten Sie gerne!)


Das ist nach dem Grundgesetz Auftrag und Aufgabe der
Parteien. Ihre Aufgabe ist es nicht, sich als Unternehmer
zu betätigen. Sie sollten keine Pressekonzerne unterhalten
bzw. Unternehmensbeteiligungen besitzen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Seitdem Sie erfolglos sind, kommen Sie auf diesen Trichter! – Jörg Tauss [SPD]: Nur Neid!)


– Seien Sie ganz ruhig.
Ich will Ihnen nun nachweisen, dass Sie in Ihrem Ge-

setzentwurf keine einzige dieser gebotenen elementaren
Konsequenzen ziehen.


(Wilhelm Schmidt lich!)


Wir ziehen diese Konsequenzen. Sie ziehen sie nicht. Sie
täuschen die Öffentlichkeit in dieser Hinsicht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch Verleumdung, was Sie gerade betreiben!)


Die Rechnungslegung ist das wichtigste Instrument
der Transparenz.


(Inge Wettig-Danielmeier [SPD]: Deswegen machen Sie es auch! – Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Das haben wir bei Kanther gesehen!)


Alle Sanktionen wirken nicht, wenn Sie im Gesetz keine
Offenlegungspflichten formulieren.


(Jörg Tauss [SPD]: Wo sind die 100 000 DM?)

Das geltende Recht hat, für Laien nicht erkennbar, durch
seine Widersprüchlichkeiten und seine Ungenauigkeiten
wie ein Transparenzpanzer gewirkt.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Schröder ist der Berlusconi der SPD! Medienmogul!)


Genau an dieser Panzerwirkung der Rechnungslegungs-
vorschriften, die das Gegenteil von dem bewirken, was sie
nach Meinung der Bürger bewirken sollten, würde sich
nach dem Koalitionsentwurf nichts ändern. Das ist auch
das Urteil der Experten.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist Unsinn!)


Die Begriffe, die Sie nebeneinander verwenden, näm-
lich Einnahmen- und Ausgabenrechnung, Vermögensbi-
lanz, Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung sowie
der Generalverweis auf das HGB – nichts wird spezifi-
ziert –, widersprechen sich elementar.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch die Differenzierung! Sie verstehen überhaupt nichts!)


Das ist kein handhabbares Recht. Wir werden im Innen-
ausschuss – ich kündige das schon einmal an – eine Sach-
verständigenanhörung zu diesem Thema beantragen. Er-
freulicherweise hat sich die Wirtschaftsprüferkammer
dieses Themas angenommen. Sie werden an dieser Stelle
enttarnt und entlarvt werden.


(Lachen bei der SPD – Reinhold Hemker [SPD]: „Haltet den Dieb“! Es ist nicht zu fassen!)


Denn es ist die alte Methode: ein Mischmasch an Rech-
nungslegungsvorschriften, der nicht praktikabel, nicht
kontrollierbar und auch nicht sanktionierbar ist.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Die Sozialisten haben immer Mischmasch gemacht!)


Weiterhin müssen keine Zeitwerte angegeben werden.
Das Vermögen muss nicht offen gelegt werden. Im We-
sentlichen sollen Nominalwerte angegeben werden. Die
Buchwerte betragen allein bei ihrer Presseholding mit-
samt ihren Töchtern rund 120 Millionen DM.


(Jörg Tauss [SPD]: Wer sind Ihre Spender? Das wollen wir wissen!)


Frau Wettig-Danielmeier, Ihre Schatzmeisterin, die
sich sehr aktiv um dieses Gesetzgebungsvorhaben
bemüht, hat im Untersuchungsausschuss angeben müs-
sen,


(Inge Wettig-Danielmeier [SPD]: Es ist ganz sinnvoll, wenn jemand etwas von der Sache versteht!)


dass die wahren wirtschaftlichen Verhältnisse bei rund
0,75 Milliarden DM liegen. Das ist ein Vielfaches von
dem, was Sie gegenüber den Bürgern in Bezug auf Ihr
wahres wirtschaftliches Vermögen angeben wollen. Sie
sind nicht bereit, den Bürgern mit offenem Visier entge-
genzutreten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich muss es leider hier so deutlich sagen: Ihrem Ge-

setzentwurf liegt ein ganz bestimmtes Strickmuster zu-
grunde. Unter dem Deckmantel der Diffamierung des po-
litischen Gegners verfolgen Sie Ihre wirtschaftlichen
Interessen schamlos weiter.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Nach dem Motto: Es bleibt immer etwas hängen!)


Sie wollen weiterhin Ihre Schäfchen ins Trockene brin-
gen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie waren doch die Kriminellen, nicht wir! Wer waren denn die Kriminellen?)


Auch in Ihrem Gesetzentwurf besteht ein Sanktionen-
defizit.Auffälligerweise besteht für Falschangaben in der
Vermögensbilanz und dem Erläuterungsteil – das betrifft
Ihre Unternehmensbeteiligungen – keine Sanktions-
pflicht. An dieser Stelle hat Ihr Sanktionensystem auffäl-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Norbert Röttgen
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ligerweise eine Lücke. Wir haben ein lückenloses Sank-
tionensystem vorgeschlagen.


(Inge Wettig-Danielmeier [SPD]: Das findet gar nicht erst statt! – Ilse Janz [SPD]: Das machen wir! Ihre Aufklärung ist fantastisch!)


– Ich kann die Tatsache, dass Sie überrascht darüber sind,
dass wir Ihren Gesetzentwurf genau studiert haben, nur so
interpretieren, dass Sie Ihren Gesetzentwurf nicht kennen.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Die SPD benachteiligt den Mittelstand, weil sie Großunternehmerin ist!)


Sie schlagen vor – abstrus –: Der Bundespräsident soll in
Zukunft nicht mehr jährlich über die Vermögenslage der
Parteien berichten, sondern umfassend nur noch alle zwei
Jahre.


(Jörg Tauss [SPD]: Dann habt ihr Zeit!)

Ist Ihr Eindruck, dass die Bürger beklagen, sie hätten zu
viel Informationen über Parteifinanzen? Wir bestehen auf
dem jährlichen Bericht. Sie wollen weniger Informatio-
nen schaffen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die Bürger wollen Aufklärung über Ihren Skandal! – Ilse Janz [SPD]: Klären Sie endlich Ihren Skandal auf!)


Ein weiterer abstruser Vorschlag der SPD – das hat die
Öffentlichkeit noch nicht zur Kenntnis genommen – ist
die Neuregelung, dass in Zukunft auch ausländische Un-
ternehmen in Deutschland spenden dürfen


(Inge Wettig-Danielmeier [SPD]: Europäische!)


– dass Unternehmen des europäischen Auslandes auch in
Deutschland an Parteien spenden dürfen. Ich frage dieses
Haus in allem Ernst: Wollen wir wirklich, dass Unterneh-
men des europäischen Auslandes sich in Deutschland Par-
teien halten, unterhalten, finanzieren können? Wollen wir
das im Ernst?


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wer ist denn in die Leuna-Affäre verwickelt? Wir doch nicht!)


Wir sind mit dem Bundesverfassungsgericht der Auffas-
sung, dass Spenden etwas mit staatsbürgerlichem Enga-
gement zu tun hat.


(Wilhelm Schmidt Aquitaine lässt grüßen!)


Das werden wir an dieser Stelle nicht mitmachen. Ich
warne Sie vor diesem Weg! Das hat etwas mit dem staats-
bürgerlichen Engagement eines Bürgers, eines deutschen
Unternehmens zu tun. Aber dass nun ausländische Unter-
nehmen – auch wenn es solche des europäischen Auslands
sind – hier durch unbegrenzte finanzielle Spenden Ein-
fluss auf die innenpolitische Auseinandersetzung nehmen
dürfen, das darf doch nicht wahr sein!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Thema bringt mich zu einem weiteren wichtigen
Thema


(Jörg Tauss [SPD]: Solche Heuchelei! Unglaublich! – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/ CSU]: Rot-China spendet dann für die PDS und die SPD!)


und zu einer Problematik: die wirtschaftliche Beteiligung
der Parteien an Unternehmen und insbesondere an Pres-
seunternehmen. Meine Damen und Herren, ich muss
zunächst den Versuch der SPD zurückweisen, dieses
Thema zu tabuisieren. Darüber wollen Sie ja nicht reden.


(Lachen bei der SPD)

Nur weil die SPD eine milliardenschwere Unternehmer-
partei ist, besteht kein Grund für alle anderen, darüber
nicht zu reden. Das müssen Sie sich leider schon gefallen
lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie beugen die Wahrheit! Hauptsache, es bleibt etwas hängen!)


Bei der wirtschaftlichen Betätigung von Parteien ist
eine Grundsatzfrage unserer Parteiendemokratie aufge-
worfen.


(Jörg Tauss [SPD]: Weil ihr selber nichts mehr habt!)


Es geht um die Fragen von Macht, der Grenzen von Macht
der Parteien, um Gewaltenteilung, Chancengleichheit


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist so lächerlich!)


und Kontrollierbarkeit von Parteien durch die Presse.

(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Ge nau!)

Was bedeutet es eigentlich, wenn die zurzeit größte Re-

gierungspartei des Landes gleichzeitig eine milliarden-
schwere Unternehmerpartei ist, gleichzeitig einen der
größten Pressekonzerne des Landes darstellt?


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch unglaublich!)


– Ja, so ist es!
Was heißt es eigentlich, wenn, wie im Fall der SPD,


(Jörg Tauss [SPD]: Kabarett!)

staatliche Macht, politische Macht, wirtschaftliche Macht
und publizistische Macht in einer Hand vereinigt sind?


(Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Rede doch mal mit dem Kohl-Freund Kirch! Reden Sie mit Springer und Kirch!)


Wollen die Bürger das? Wollen die Bürger Parteien,

(Ilse Janz [SPD]: Die Bürger wollen wissen, was Kohl gemacht hat!)

die überall in der Gesellschaft krakenartig in Staat und
Gesellschaft ihre Macht ausbreiten? Ich glaube, dass wir
das nicht wollen können. Und wenn Sie es schon machen,

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Norbert Röttgen

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meine Damen und Herren, dann fordern wir von Ihnen:
Kämpfen Sie wenigstens mit offenem Visier!


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Machen wir! – Jörg Tauss [SPD]: Kirch: Spenden und Medienmogul! Lieber Mann!)


Sagen Sie den Lesern Ihrer Tageszeitungen, woran Sie be-
teiligt sind. Sagen Sie es den Lesern des „Nordbayeri-
schen Kuriers“, der „Neuen Presse Coburg“, der „Fran-
kenpost“, der „Lausitzer Rundschau“,


(Jörg Tauss [SPD]: Überall Mehrheiten!)

des „Göttinger Tageblatts“, der „Hannoverschen Allge-
meinen Zeitung“, der „Neuen Presse“, der „Neuen West-
fälischen“, der „Westfälischen Rundschau“, der „NRZ“,
des „Trierischen Volksfreundes“, des „Pfälzischen Mer-
kur“,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Haben Sie auch gesagt, in welcher Größenordnung!)


der „Saarbrücker Zeitung“, der „Sächsischen Zeitung“,
der „Dresdener Morgenpost“, der „Morgenpost am Sonn-
tag“, der „Leipziger Volkszeitung“, der „Südthüringer
Zeitung“, des „Freien Wortes Suhl“.

Meine Damen und Herren, das waren die Beteiligun-
gen der SPD an Medien-, an Presseunternehmen.


(Wilhelm Schmidt ist gut so! – Inge Wettig-Danielmeier [SPD]: Das ist wiederum falsch!)


– Das ist die Information der „Welt“ vom 9. März 2000.
Das gebe ich zu.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Der „Welt“, ja! – Lachen bei der SPD!)


Korrigieren Sie es: Es ist eine Tagesauflage von 2,5 Mil-
lionen Exemplaren. Es kann sein, dass sich die eine oder
andere Zeitung ausgetauscht hat.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Es kommt nicht darauf an! Hauptsache, es bleibt etwas hängen!)


Aber Sie wollen doch nicht bestreiten, dass Sie einer der
größten Pressekonzerne des Landes sind, und das kann so
nicht akzeptiert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es ist doch auch kein Zufall, dass Sie diese Aktivitäten

durch ein fein gesponnenes System von Treuhandgesell-
schaften gegenüber der Öffentlichkeit abschotten.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wer hat denn nun den Parteispendenskandal: Sie oder wir?)


Sie unterhalten ein System organisierter Tarnung und Ab-
schottung gegenüber den Bürgern und Sie wollen dieses
System fortsetzen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unsinn!)


Das ist die Wahrheit der Interessen, die Sie mit diesem
Gesetz verfolgen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ilse Janz [SPD]: Sie halten die Rede für Herrn Kohl!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1420914000
Herr Kollege Röttgen,
die Wahrheit ist, dass Ihre Redezeit jetzt abgelaufen ist.


Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1420914100
Ich komme zum
Ende. – Einer der Fortschritte ist allerdings – dies ist ein
Novum in der Geschichte der Parteiengesetzgebung –,
dass nicht der Konsens am Anfang stand.


(Jörg Tauss [SPD]: So etwas Peinliches! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie haben sich doch verweigert! Sie sind nicht gekommen!)


– Ich begrüße, dass wir nicht von Anfang an im Konsens
sind. Das ist nämlich auch sonst bei der Gesetzgebung
nicht der Fall. Wir wollen Wettbewerb.


(Jörg Tauss [SPD]: Vertuschen wollen Sie!)

Parteiengesetzgebung ist Gesetzgebung in eigener Sache.
Darum fängt die Transparenz beim Verfahren an: Die Be-
ratung darf nicht in den Hinterzimmern der Parteischatz-
meister erfolgen.

Wir stehen alle in der Verantwortung, Vertrauen
zurückzugewinnen – Sie genauso wie wir.


(Jörg Tauss [SPD]: Sie haben es verloren!)

Wir haben dazu einen glaubwürdigen, umfassenden Ge-
setzentwurf vorgelegt.


(Beifall des Abg. Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU])


Dass wir darüber streiten, ist gut, ist ein Fortschritt.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Setzen Sie sich hin!)

Sie aber werden die Täuschung und die Tarnung, die Sie
mit Ihrem Entwurf betreiben, nicht durchhalten können.
Wir werden Sie entlarven; darauf können Sie Gift nehmen.

Danke sehr.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Lachen bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Entlarvend! So wie Sie es im Untersuchungsausschuss auch gemacht haben! – Jürgen Koppelin [FDP]: Wenn man sich Ihr Geschrei anhört, muss es schon weh getan haben! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie nun nicht auch noch! – Jürgen Koppelin [FDP]: Die SPD hat pausenlos geschrien!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1420914200
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort der Kollege
Christian Ströbele.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Norbert Röttgen
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(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

legen! Herr Kollege Röttgen, Sie machen Ihr Gesetz, das
unter dem Vorsitzenden Helmut Kohl erlassen worden ist,
schlecht.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das ist von allen Fraktionen einstimmig beschlossen worden und wird nun kritisiert! Helmut Kohl ist doch nicht der Gesetzgeber, das Parlament ist der Gesetzgeber!)


Schlecht aber ist nicht dieses Gesetz, sondern schlecht
sind die, die sich nicht daran halten, die das Gesetz vor-
sätzlich brechen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Weil in der Öffentlichkeit nun klar ist, dass es in der
CDU einige gibt, die sich an geltende Gesetze bis heute
nicht halten, und weil Konsequenzen aus dem Parteispen-
denskandal der CDU zu ziehen sind, müssen wir ganz
schnell unseren ersten Entwurf zur Änderung des Partei-
engesetzes vorlegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir wollen nicht länger hinnehmen, Herr Kollege
Röttgen, dass der Altbundeskanzler durch die Lande
zieht, vor Untersuchungsausschüsse tritt und das Gesetz
in fortgesetzter Handlung immer weiter bricht.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Er bricht kein Gesetz!)


Das wollen wir der Bevölkerung nicht zumuten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Deshalb wollen wir in diesem neuen Gesetz die Bestim-
mung aufnehmen, dass sich jemand, der das Gesetz vor-
sätzlich bricht und dies auch zugesteht, in Zukunft nicht
mehr mit Millionenbeträgen, die er möglicherweise wie-
der von anonymen Spendern eintreiben könnte, freikau-
fen kann, sondern dann vor dem Strafrichter verantwor-
ten muss.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Denn niemand in diesem Lande versteht, dass jemand, der
eine falsche Steuererklärung abgibt, sich strafbar machen
kann, während jemand, der das Parteiengesetz, welches er
im Deutschen Bundestag selber mit durchgesetzt hat, vor-
sätzlich bricht, so davonkommen kann, wie das bei Herrn
Dr. Kohl der Fall ist.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Im Übrigen wollen Sie ja bis heute keine Strafbestim-

mung. Sie wollen weiterhin die Möglichkeit eröffnen,
sich bei vorsätzlichen Verstößen gegen das Parteiengesetz
freizukaufen, nämlich indem die Gelder dann an den Bun-
destagspräsidenten abgeführt werden. Diese Philosophie,
die Sie beibehalten wollen, haben wir nicht. Wir wollen
etwas Neues, etwas Besseres.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Nun zu einem Punkt, von dem wir überhaupt nicht be-
troffen sind: Es ist richtig, dass das Grundgesetz vor-
schreibt – dieses Parteiengesetz bisher leider nicht –, dass
Rechenschaft auch über Vermögen und über Einkommen
aus Vermögen abgelegt werden muss. Die Bürgerin, der
Bürger muss wissen können: Welche Partei hat welche
Beteiligung, verfügt über welches Vermögen, erzielt wel-
ches Einkommen aus welchem Vermögen? Damit die
Bürgerinnen und Bürger das in Zukunft wissen können,
deshalb schreiben wir das jetzt so in das Gesetz hinein:


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Jedes Jahr muss Rechenschaft darüber abgelegt werden
und alle fünf Jahre muss offenbart werden – und zwar tes-
tiert –, was die Vermögensbeteiligung in Heller und Pfen-
nig bzw. in Euro und Cent wert ist.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!)


– Doch, das schreiben wir in das Gesetz hinein.

(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Nicht nach dem Zeitwert, nach dem Buchwert!)

Herr Kollege Röttgen, es stimmt auch nicht, dass je-

mand, der falsche Angaben macht, dann so davonkommt.

(Inge Wettig-Danielmeier [SPD]: Gucken Sie in das Handelsgesetzbuch!)

Nein, schauen Sie einmal in den Gesetzentwurf hinein,
was wir unter § 31 d einfügen wollen: Jede vorsätzlich
falsche Rechnungslegung soll unter Strafe gestellt werden
und mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren belegt werden
können. Das heißt, wir können sicher sein, dass die Bür-
gerinnen und Bürger in Zukunft wissen, wie hoch das Ver-
mögen ist und welche Einkommen aus welchen Vermö-
gen erzielt werden.

Herr Kollege Röttgen, geben Sie an Ihre Freunde bei
der CDU in Hessen weiter: In Zukunft müssen auch Ver-
mächtnisse und Erbschaften genau benannt werden. Es
genügt nicht, dies einfach zu schreiben, sondern wir und
die Bürgerinnen und Bürger wollen wissen, wer der Erb-
lasser war und wo er gewohnt hat, damit sich alle ein Bild
machen können, ob das überhaupt stimmt oder ob nicht
wieder solche Machenschaften dahinter stecken, wie das
die CDU in Hessen praktiziert hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir wollen, dass in Zukunft diese Koffer mit gebün-
deltem Barem nicht mehr im Land herumgereicht werden,
jedenfalls nicht mehr mit Parteispenden.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das ist doch gar kein Streitthema!)


Deshalb wollen wir Barspenden auf 1 000 Euro be-
schränken. Daher wollen wir auch, dass Spenden in Höhe
von 50 000 Euro oder höher zeitnah veröffentlicht werden
müssen. Es darf nicht sein, dass man Jahre später, so wie
Sie das bei der Ehlerding-Spende gemacht haben, ir-
gendwo eine Spende aus dem Schreibtisch herausholen
und sagen: Da war doch noch etwas. In Zukunft müssen
Sie, wenn dieses Gesetz in Kraft ist, zeitnah sagen: Wir

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haben 50 000 Euro von dem oder dem bekommen. Die
Bürgerinnen und Bürger können dann ihr Wahlverhalten
danach ausrichten, wenn sie wissen, dass Herr und Frau
Ehlerding wenige Tage vor einer Bundestagswahl
5,9 Millionen DM an die CDU gespendet haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie wissen dann, in welcher Weise Regierungspolitik
in der Bundesrepublik Deutschland unter der Regierung
Kohl käuflich gewesen sein könnte.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Sie war nicht käuflich! Unterlassen Sie diese Behauptung!)


Darüber sollen sie sich ein Bild machen können, um ihr
Wahlverhalten entsprechend ausrichten zu können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Manfred Grund [CDU/CSU]: Reine Diffamierung!)


Deshalb ist dieses Gesetz, so wie wir es vorgelegt haben,
richtig und wichtig. Aber ich sage Ihnen: Das ist der erste
Schritt. Der Untersuchungsausschuss ist mit seiner Arbeit
noch nicht am Ende.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Er hat nichts herausgefunden!)


Im nächsten Sommer werden wir nachlegen. Da können
Sie sicher sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Manfred Grund [CDU/CSU]: Zwei Jahre lang diffamieren und nichts herausgefunden! Null!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1420914300
Jetzt spricht der Herr
Kollege Dr. Max Stadler für die FDP-Fraktion.


Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1420914400
Frau Präsidentin! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Ströbele,
wenn ich es richtig in Erinnerung habe, hat sogar der Vor-
sitzende des Untersuchungsausschusses konzediert, dass
zum Beispiel der Vorwurf, Panzerlieferungen nach Saudi-
Arabien seien gekauft worden, in dem Untersuchungs-
ausschuss nicht bewiesen sei.


(Jörg Tauss [SPD]: Politische Korruption ist bewiesen!)


Das gilt insgesamt für den Vorwurf der Korruption ge-
gen die Regierung, die von CDU/CSU und FDP gebildet
worden ist.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Pfahls ist möglicherweise bestochen worden! Das war immerhin ein Staatssekretär!)


Ich möchte Sie daher bitten, in die Diskussion um das Par-
teiengesetz nicht diesen Zungenschlag hineinzubringen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Mein eigener Bedarf und mein eigenes Potenzial an

Polemik ist heute schon durch die Diskussion um

Schily II erschöpft. Ich habe übrigens aus den Erfahrun-
gen des Untersuchungsausschusses den Eindruck: Auch
die Bevölkerung will nicht, dass wir uns mit dem Thema
Parteiengesetz polemisch befassen.


(Beifall bei der FDPund der CDU/CSU – sowie Zustimmung des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD] – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Herr Röttgen macht Polemik und klatscht bei dieser Bemerkung! Das ist Heuchelei!)


Vielmehr lautet die häufigste Frage, die man gestellt be-
kommt: Seid ihr im Bundestag in der Lage, die Folgerun-
gen aus den Erkenntnissen des Untersuchungsaus-
schusses zu ziehen und ein neues Parteiengesetz
gemeinsam zu beschließen? Das ist das, was von uns ver-
langt wird.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Norbert Röttger CDU/CSU)

gitter] [SPD]: Das wäre schön!)

Die FDP hat daher eigene Vorschläge dazu vorgelegt,
die übrigens in vielen Teilen eher mit dem Entwurf der
SPD


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und der Grünen!)


als mit dem der Union übereinstimmen. Allerdings müs-
sen wir in einem entscheidenden Punkt bei der SPD noch
dafür werben, dass die eigenen Interessen gegenüber dem
übergeordneten Prinzip hintangestellt werden.


(Ulrich Heinrich [FDP]: Sehr vornehm ausgedrückt!)


Unternehmensbeteiligungen von Parteien sind und
bleiben problematisch, besonders wenn sie den Medien-
bereich betreffen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das ist ein gewaltenteilerisches Problem;


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wie kann das ein Gewaltenteilungsproblem sein?)


denn die vierte Gewalt, wie sie immer genannt wird, kann
doch die Politik nicht wirksam kontrollieren, wenn sie sel-
ber im Eigentum einer politischen Partei steht. Das passt
nicht zusammen und muss geändert werden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch rechtlich gar nicht haltbar, was Sie sagen!)


Bei der Frage der Saldierung und der Gesamttranspa-
renz der Vermögensbeteiligungen werden wir uns so-
wieso einigen können. Das wird nicht das Thema sein.
Wir, die FDP, sprechen uns dafür aus, dass es künftig klare
strafbewehrte Sanktionen im Parteiengesetz gibt. Es muss
ein wirksames Instrumentarium geschaffen werden. Ich
bin der Auffassung – um noch einmal auf die Rolle der
Medien zu kommen –: Jedes Gesetz, das noch so gut von
uns gemeint ist, kann bei bösem Willen umgangen wer-
den. Der Wächterrolle der vierten Gewalt kommt daher in

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Hans-Christian Ströbele
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diesem Zusammenhang eine so große Bedeutung zu, dass
wir sie dem Einfluss der Politik entziehen wollen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich gebe ganz offen zu: Die FDP will am System der
staatlichen Teilfinanzierung der Parteien grundsätzlich
nicht rütteln. Wir brauchen neben der staatlichen Finan-
zierung, die auch dem Chancenausgleich dient, und den
Mitgliedsbeiträgen, die von vielen Tausenden Mitgliedern
in allen Parteien in selbstloser Weise geleistet werden,
eine teilweise Finanzierung durch Spenden. Die steuerli-
chen Regelungen zur Absetzbarkeit von Spenden sind un-
serer Meinung nach alles in allem in der Vergangenheit in
Ordnung gewesen. Sie sollten aber vielleicht doch an die
neuen Regelungen des Stiftungssteuerrechts angeglichen
werden. Mit dieser Idee könnten wir bei diesem Thema
vielleicht zu einem Konsens kommen.

Im Übrigen ist es notwendig, die vielen bürokratischen
und unübersichtlichen Vorschriften des bestehenden Par-
teiengesetzes zu vereinfachen, denn es ist bei dem, was
wir unseren Mitgliedern zumuten, schwierig, in einem
Ortsverband oder Kreisverband Schatzmeister zu sein.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Transparenz ist das oberste Gebot. Das ist ein Stich-
wort für die weiteren Beratungen.

Ich führe als letzten Punkt – meine Redezeit ist schon
fast abgelaufen – an: Wir müssen die Frage angehen, wie
es mit Spenden zu halten ist, die nicht in Erwartung eines
Vorteils geleistet werden – solche sind ohnehin verboten –,
sondern die offenkundig nach Eintritt eines Vorteils oder
in engem Zusammenhang damit geleistet werden.


(Inge Wettig-Danielmeier [SPD]: Das ist bei uns geregelt!)


Es kann doch nicht richtig sein, dass diese erlaubt bleiben.
Allerletzter Punkt: Es bedarf insgesamt einer geeigne-

ten Kontrolle. Wir meinen, diese sollte nicht durch den
Bundestagspräsidenten ausgeübt werden – er gerät sonst
in die Gefahr, Partei zu sein –; die übergeordnete, neutrale
Institution des Bundespräsidenten erscheint uns hierfür
besser geeignet.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulrich Heinrich [FDP]: Sehr sachliche Rede!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1420914500
Jetzt spricht für die
PDS-Fraktion die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler.


Dr. Evelyn Kenzler (PDS):
Rede ID: ID1420914600
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute darangehen,
das Parteiengesetz zu ändern, wissen wir, dass wir in ei-
gener Sache verhandeln. Wir sind deshalb gefordert, uns
selbst den Spiegel vorzuhalten. Bei der Änderung des Par-
teiengesetzes muss ein deutlicher Schritt zu mehr Selbst-
kontrolle und Selbstbeschränkung gemacht werden. Das

ist angesichts des Glaubwürdigkeitstiefs der Politik mehr
als notwendig.

Im Kern geht es um mehr Ehrlichkeit und mehr
Transparenz bei der Parteienfinanzierung. Dass Rechts-
verletzungen, Selbstbedienungsmentalität oder der Ein-
druck unlauteren Verhaltens das Image aller Parteien nach-
haltig beschädigen, hat fast schon jede Partei schmerzhaft
spüren müssen. Die Parteispendenaffäre der CDU stellt
dabei einen vorläufigen traurigen Höhepunkt dar.

Es ist deshalb für alle Parteien von immenser Bedeu-
tung, dass wir noch in dieser Wahlperiode nicht nur kos-
metische, sondern grundlegende Änderungen des Partei-
engesetzes verabschieden werden. Das heißt, es müssen
die notwendigen Konsequenzen aus der Parteispendenaf-
färe gezogen werden, es dürfen aber auch Fragen der Bi-
lanzierung und Rechnungslegung nicht ausgespart wer-
den, um insgesamt ein höheres Maß an Offenheit,
Transparenz und Kontrolle zu erreichen.

Man könnte natürlich wieder eine große parteipoliti-
sche Welle in der Hoffnung schlagen, im bereits begon-
nenen Vorwahlkampf zu punkten und sich gegenseitig
vorzuführen. Damit wurde bereits im Verlauf der heutigen
ersten Lesung munter begonnen. Man kann sich anderer-
seits interfraktionell auf einen faulen Kompromiss nach
dem Motto einigen: Lässt du mir meine Unternehmens-
spenden in Millionenhöhe, drücke ich ein Auge bei deiner
wirtschaftlichen Bilanzierung zu. Beides wird am Ende
keiner Partei nutzen. Dem Ansehen aller wird jedoch wei-
terer Schaden zugefügt.

Dem Gesetzentwurf der Regierungsparteien, der viele
Punkte aus dem Bericht der Parteienfinanzierungs-
kommission aufgegriffen hat, ist das Bemühen um eine
vernünftige Lösung anzumerken. Das betrifft zum Bei-
spiel die Aufnahme eines neuen Straftatbestandes für vor-
sätzlich falsche Rechnungslegung, die Präzisierung
finanzieller Sanktionen für fehlerhafte Rechenschafts-
berichte oder auch das Verbot von Spenden öffentlicher
Unternehmen.

Allerdings geht uns der Entwurf noch nicht weit genug.
Meine Fraktion hatte bereits im Frühjahr letzten Jahres wei-
ter gehende Gesetzesvorschläge zum Verbot von Spenden
durch juristische Personen oder auch zur Begrenzung der
Höhe der Spenden sowie zu weiter gehenden strafrechtli-
chen Sanktionen gemacht. Wir werden diese Vorschläge in
die parlamentarische Diskussion wieder einbringen.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Ich habe mir auch mit Interesse den Gesetzentwurf der
CDU/CSU und die Vorschläge der FDP angesehen und
halte einiges davon für durchaus überlegens- und aufneh-
menswert.


(Rolf Kutzmutz [PDS]: So sind wir!)

Allerdings ist es schon verwunderlich, dass gerade die
CDU/CSU, die sonst bei fast jedem gesellschaftlichen Pro-
blem nach schwereren Strafen ruft, beim Parteiengesetz
eine auffallende Zurückhaltung an den Tag legt.


(Beifall bei der PDS – Jörg Tauss [SPD]: Das ist nicht verwunderlich!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Max Stadler

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Ich halte es vor dem Hintergrund der besonderen Situa-
tion, in der wir uns befinden, für notwendig, ohne partei-
politische Scheuklappen die sachgerechten Vorschläge
aller Parteien zusammenzutragen. Das wäre der Versuch,
gemeinsam ein Stück verloren gegangener politischer
Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Allerdings ist meine
Hoffnung nach der jetzigen Lesung nicht allzu groß.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1420914700
Als letzte
Rednerin in dieser Debatte hat das Wort die Kollegin Inge
Wettig-Danielmeier von der SPD-Fraktion.


Inge Wettig-Danielmeier (SPD):
Rede ID: ID1420914800
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Meine Damen und Herren von
der Fraktion der CDU/CSU, ich möchte Ihnen ein Kom-
pliment zu Ihrem dreisten und geschickten Gegenangriff
auf die SPD machen. Obwohl Ihre Leute Koffergeschäfte
gemacht, Schwarzkonten geführt und Rechenschaftsbe-
richte gefälscht haben, konnten Sie in Teilen der Öffent-
lichkeit – glücklicherweise war es nur ein kleiner Teil –
den Eindruck erwecken, nicht die CDU, sondern die SPD
verdunkle ihre Einnahmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das ist doch auch richtig! – Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Bis auf den heutigen Tag! Sie wollen weitermachen! Das ist das Entscheidende!)


Immer wieder wird behauptet – das war auch auf dem
Dresdener Parteitag der CDU der Fall –, die SPD weigere
sich, ihr Finanzsystem offen zu legen.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das ist doch richtig!)


Einige Ihrer Vertreter sind sogar in Gerichtsurteilen da-
rüber belehrt worden, dass ihren Behauptungen die Be-
weise fehlen, dass sie falsche Aussagen gemacht haben.
Dennoch werden diese Behauptungen ständig wiederholt.
Auch Herr Röttgen hat eine ganze Latte von Behauptun-
gen aufgestellt, die sich bereits – so ist es gerichtlich fest-
gestellt worden – als falsch erwiesen haben.


(Beifall bei der SPD – Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Nennen Sie ein einziges Beispiel!)


– Ich meine zum Beispiel die „Saarbrücker Zeitung“ und
den „Trierischen Volksfreund“. Ich erinnere mich nicht
mehr an alle Zeitungen. Jedenfalls haben Sie ständig
falsche Behauptungen aufgestellt.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Wie viele Zeitungen meinen Sie denn?)


– Mein verehrter Kollege, Sie können das alles in unseren
Rechenschaftsberichten von 1999 und 2000 nachlesen.
Dort steht alles drin.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Tragen Sie das bei der Gelegenheit doch einmal hier vor! – Jörg Tauss [SPD]: PISA lässt grüßen!)


Zur Offenlegung des Vermögens erkläre ich: Wir
übererfüllen die Anforderungen des jetzigen Parteienge-
setzes bei weitem.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben keine Probleme damit, noch höhere Verpflich-
tungen zu erfüllen. Aber wir sind gegen ein Sonderrecht
für Parteien.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Dann stimmen Sie doch unserem Gesetzentwurf zu!)


Wir haben nichts dagegen, wenn unsere Beteiligung zu-
sätzlich im Impressum einer Zeitung ausgewiesen werden
soll. Aber dann müssen auch Bindungen an die CDU/CSU
deutlich werden,


(Beifall bei der SPD)

zum Beispiel die Bindung an den Verein Unionspresse.
Wie soll die Bindung der Leo Kirch Media an CDU und
CSU in der Öffentlichkeit behandelt werden?


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das können wir gern machen!)


Gerade jetzt können wir beobachten, wie der bayerische
Ministerpräsident um den wankenden Kirch-Konzern zit-
tert. Dabei geht es doch nicht nur um Milliardenkredite,
sondern auch um den drohenden Einflussverlust.

In normalen Zeiten werden die Regeln der Demokratie
und für den Umgang der politischen Parteien und Frak-
tionen miteinander im Konsens vereinbart.


(Zuruf von der CDU/CSU: Aber nicht bei RotGrün!)


– Hier sollten Sie ruhig sein; denn Ihre Partei hat mehr-
fach versucht, auf ihren ehemaligen Koalitionspartner
Einfluss zu nehmen. Das ist wohl nicht gelungen.

Das ist so bei den Wahlgesetzen, bei den Regeln für
Abgeordnete und bei Fraktionsgesetzen. So sollte es auch
beim Parteiengesetz sein. Wenn man sich nicht auf demo-
kratische Grundregeln verständigt, steht es schlecht um
die demokratische Kultur in einem Land.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das hat bestimmt etwas mit der PISA-Studie zu tun!)


Aber Ihre Regelverletzungen lassen Sie handeln wie trot-
zige Kinder, die sagen: Der da war es. Gesprächen – das
gilt insbesondere für die CDU – verschließen Sie sich. Sie
legen einen Gesetzentwurf vor, der ein Beweis dafür ist,
dass Sie keine Lehren aus der Vergangenheit gezogen ha-
ben, und der noch nicht einmal Ihren eigenen Interessen
dient. Das ist ganz besonders bemerkenswert.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das können Sie nicht verstehen, was?)


Sie haben das Kunststück fertig gebracht, einen Entwurf
vorzulegen, der CDU und CSU gravierend schlechter stel-
len würde, und das, obwohl CDU und CSU unterschied-
liche Strukturen und damit unterschiedliche Interessen
haben.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Evelyn Kenzler
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Wir haben in Deutschland – so sehen es andere – ein
vorbildliches Parteiengesetz. Parteien sind durch das
deutsche Finanzierungssystem unabhängiger als in vielen
anderen Ländern, weil sie weder vom Staat noch von der
Wirtschaft einseitig abhängig sind, sondern weil die
Beiträge ihrer Mitglieder einen großen Teil ihrer Einnah-
men ausmachen. Offensichtlich brauchen wir aber noch
klarere Regeln, noch mehr Offenheit, noch mehr Kon-
trolle und im Zweifel auch Strafen,


(Beifall bei der SPD)

wenn vom Volk gewählte Mitglieder des Parlaments die
von ihnen selbst verabschiedeten Gesetze verletzen.

Wir brauchen Sanktionen. Genau das schlagen SPD
und Grüne vor, nachdem wir mehrfach versucht haben,
mit den anderen Fraktionen darüber ins Gespräch zu kom-
men. Dabei berücksichtigen wir, dass sich die FDP anders
finanziert als die SPD und diese ihre Mittel wiederum an-
ders als Grüne, CDU oder PDS erwirtschaftet. Wir schnei-
den CSU, FDP und CDU die Spenden nicht ab, die sie
reichlicher als andere Parteien erhalten.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Sie bekommen doch viel mehr Spenden als wir!)


Wir verschließen also die Finanzquellen der anderen Par-
teien nicht.

Sie haben von einem umfassenden, glaubwürdigen Ge-
setzentwurf der CDU/CSU gesprochen.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: So ist es!)

Ihre Schatzmeister werden sich freuen, wie viel Geld sie
bei diesem Rechenspiel verlieren. Sie haben die wichtigs-
ten Forderungen der Kommission aber nicht umgesetzt.
Das gilt in erster Linie für die Voraussetzung, dass der
Rechenschaftsbericht richtig sein muss, damit man
staatliche Mittel erhalten kann. Da haben Sie sich eindeu-
tig verweigert.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Lesen Sie einmal den Gesetzentwurf!)


Außerdem haben Sie die Möglichkeit einer Ad-hoc-
Rechenschaftspflicht abgelehnt. Wir sagen: 50 000 Euro
müssen sofort gemeldet werden. Sie haben das Verbot
nachträglicher Einflussspenden nicht aufgenommen. Sie
haben die Verpflichtung zur Weiterleitung von Spenden
von Abgeordneten nicht aufgenommen. Sie haben die ge-
sonderte Ausweisung der Mandatsträgerbeiträge nicht
aufgenommen.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Die sind verfassungsrechtlich sehr problematisch! Das ist der Grund!)


Das Spendenannahmeverbot wurde nicht auf die Frak-
tionen, die auf kommunaler Ebene tätig sind, erweitert.
Die Fünfprozentgrenze für sonstige Einnahmen wurde
nicht gesenkt. Eine Kodifizierung des Mehraugenprinzips
bei der Rechenschaftslegung wurde nicht vorgesehen.
Ihre Vorsitzenden und Vorstände bleiben bei der Rechen-
schaftslegung außen vor. Die Ausschlussgründe für Prü-
fer wurden nicht präzisiert.

Ich könnte fortfahren. Sie haben mehr als 20 der wich-
tigsten Vorgaben des Kommissionsberichts – nicht erfüllt.
Damit haben Sie die Rechenschaftspflicht im Grunde
nicht wirklich erfüllt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das müssen Sie spezifizieren!)


Sie werfen uns vor, dass der Generalverweis auf das
Handelsrecht nicht ausgeführt worden sei. Schauen Sie
sich doch einmal den § 24 des Parteiengesetzes an! Eine
lückenlosere Auflistung dessen, was im Rechenschaftsbe-
richt vorgelegt werden muss, hat es bisher nirgends gege-
ben und gibt es bei Ihnen sowieso nicht.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1420914900
Frau Kol-
legin, kommen Sie bitte zum Schluss.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das wird auch Zeit!)



Inge Wettig-Danielmeier (SPD):
Rede ID: ID1420915000
Ja, ich komme zum
Schluss. – Ihr Gesetzentwurf verlangt die Aufgabe unse-
rer unternehmerischen Tätigkeit. Diese Forderung wird
uns in den Ausschussberatungen sicherlich beschäftigen.
Sie wissen, dass wir seit vielen Jahren keinerlei Einfluss
mehr auf die Redaktionsarbeit – außer beim „Vorwärts“;


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Rückwärts!)


dort ist die Konstellation anders – ausüben.
Sie sollen schon heute im Hinblick auf die Ausschuss-

arbeit wissen: Wir sind in unserer Parteigeschichte drei-
mal durch politische Aktionen enteignet worden: durch
das Sozialistengesetz, durch die Nazis und durch die
Zwangsvereinigung im Jahre 1946. Unser Vermögen ist
ehrlich erworben. Wir werden von der Wirtschaft nicht in
dem Maße wie Sie unterstützt. Wir vermehren es durch le-
gale unternehmerische Tätigkeit. Glauben Sie nicht, dass
wir diese über hundertjährige Geschichte durch einen kal-
ten Gesetzesakt beseitigen lassen!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1420915100
Ich
schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überwei-
sung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/7441 und
14/7778 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Modulation von Direktzahlungen im Rahmen der
gemeinsamen Agrarpolitik (Modulationsgesetz)

– Drucksache 14/7252 –

(Erste Beratung 198. Sitzung)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Inge Wettig-Danielmeier

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Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft (10. Ausschuss)

– Drucksache 14/7812 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Bleser

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
FDP vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Zunächst hat für die Bun-
desregierung die Bundesministerin Künast das Wort.

Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Der Bundestag kann heute ei-
nen ganz entscheidenden Schritt in die Zukunft unserer
Landwirtschaft und – darauf kommt es auch an – in die
Zukunft unserer ländlichen Räume machen. 80 Prozent
der bundesrepublikanischen Fläche sind ländliche
Räume, also Gebiete, die land- oder forstwirtschaftlich
bearbeitet werden. Schon seit Jahren wird in der Land-
wirtschaftspolitik davon geredet, dass wir von der klassi-
schen Marktstützung grundsätzlich wegkommen und zu
einer integrierten Politik für den ländlichen Raum kom-
men müssen. Das wurde sogar von Teilen der Opposition,
nämlich den Liberalen, immer wieder gefordert.


(Ulrich Heinrich [FDP]: Das wird auch heute noch gefordert!)


Bislang ist allerdings wenig passiert. Nach wie vor wird
viel Geld für die Marktpolitik ausgegeben.

Mit dem Einstieg in die Modulation geben wir auch ein
Signal nach Brüssel. Wir tun mehr für die zweite Säule der
gemeinsamen Agrarpolitik. Wir nutzen die Möglichkei-
ten, die uns die Agenda 2000 bietet. Andere Mitgliedstaa-
ten und die Kommission werden das genau registrieren.
Es geht ja auch um gute Argumente für die obligatorische
Einführung der Modulation bei der Halbzeitbilanz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es gibt noch einen weiteren Aspekt, nämlich den glo-
balen. Mit der nächsten WTO-Runde – das wird vielen
hier schon aufgefallen sein – stehen – da beißt die Maus
keinen Faden ab – weitere Einschnitte bei den klassischen
Agrarsubventionen ins Haus. Wenn wir bestimmte Finan-
zierungen für die Landwirtschaft erhalten wollen, müssen
wir sie – um es einmal in der Sprache der WTO zu sagen –
green-box-fähig machen. Das bezeichnet zum Beispiel
den Bereich der zweiten Säule der Agenda 2000:
Agrarumweltmaßnahmen. Genau das wollen wir, um Fi-
nanzhilfen für die Landwirtschaft in Deutschland lang-
fristig überhaupt noch zu erhalten.

Deshalb steuern wir um. Wir haben in dem Entwurf ein
Modulationsmodell vorgelegt, das wirklich keinen über-
fordert, das sozusagen zum Üben ist.


(Zuruf des Abg. Ulrich Heinrich [FDP])


– Wenn Sie hier dazwischenrufen, dann sorgen Sie doch
einmal dafür, dass da, wo die FDP in der Regierung ist,
auch mit Ja gestimmt wird! Sie können gern versuchen,
im Bundesrat die Prozentzahl noch zu erhöhen. Ich glaube
nur nicht, dass die FDP andernorts der gleichen Meinung
ist wie die FDP-Fraktion im Bundestag.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das wollten die Grünen in SchleswigHolstein doch auch nicht!)


Wir haben einen Kürzungssatz von 2 Prozent vorge-
sehen. Wir haben ihn mit einem Freibetrag von 10 000
Euro kombiniert. Der ist hoch genug, damit er der bäuer-
lichen Landwirtschaft, kleineren Betrieben also, nicht zu
wehtut und die Betriebe erhalten bleiben. Er ist niedrig ge-
nug, um Betrieben in anderen Regionen, zum Beispiel in
den neuen Bundesländern, nicht zu viel an Belastung auf-
zuladen.

Hier wird manchmal der Eindruck vermittelt, als ob
damit die Finanzmittel für die Bauern verloren wären. Das
ist falsch.


(Zuruf von der CDU/CSU: Bei Ihnen verlieren die Bauern immer!)


Tatsache ist nämlich, dass dieses Geld gezielt für Maß-
nahmen im ländlichen Raum eingesetzt wird. Von Bund
und Ländern wird sogar noch etwas draufgelegt. Am Ende
steht den Bauern mehr Einkommen zur Verfügung. Das
Geld steht nur nicht mehr für die massenhafte Produktion
von Rindfleisch zur Verfügung, das wir dann für teures
Steuerzahlergeld aufkaufen und zum Teil nach Nordkorea
transportieren oder, wie es in der Vergangenheit schon der
Fall gewesen ist, schlicht und einfach verbrennen.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Sie haben doch festgelegt, wie hoch die Rindfleischproduktion ist! Das ist doch verlogen! Rot-Grün hat das doch festgelegt!)


Das Geld steht dann für das Umfeld der Landwirt-
schaft, für Agrarumweltmaßnahmen zur Verfügung. Sie
sind WTO-kompatibel. Sie sind von der WTO abgesi-
chert. Wir verfahren nach einem neuen Prinzip: keine
staatliche Leistung ohne messbare Gegenleistung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben in Übereinstimmung mit den Ländern be-

reits erste Schritte gemacht. In der letzten Woche haben
wir bei der PLANAK-Sitzung die Fördergrundsätze
für die Agrarstrukturförderung 2002 und damit auch
Eckpunkte für die Verwendung der Modulationsgelder
beschlossen. Fördermittel soll es für umwelt- und tier-
gerechte Haltung sowie für extensive und umweltfreund-
liche Produktionsverfahren im Ackerbau und in der
Grünlandbewirtschaftung geben. Wir haben uns auch Ge-
danken darüber gemacht, welche Hilfe wir den Landwir-
ten in Gegenden mit hoher Viehdichte anbieten können.
Dafür gibt es nun den Fördertatbestand „Verminderung
des Viehbesatzes in Gegenden mit hoher Viehdichte“.
Diese Eckpunkte werden wir in den nächsten Monaten zu
konkreten Maßnahmen für den Rahmenplan 2003 ausar-
beiten, damit man früh genug Bescheid weiß, was pas-
siert.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
20774


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir haben uns darauf verständigt, dass die Mittel je-
weils vorrangig in dem Land wieder eingesetzt werden, in
dem sie durch Kürzungen angefallen sind.

Wir haben uns auch mit der Frage des Verwaltungs-
aufwandes auseinander gesetzt. Ich weiß, dass auf die
Behörden zusätzliche Arbeit zukommen wird. Dies hängt
vor allem mit dem Freibetrag zusammen, der aber Kern-
element des gefundenen Kompromisses ist. In solchen
wie in vielen anderen Dingen geht es am Ende nicht ohne
Kompromiss, der beiden Seiten, der Agrarstruktur in Ost
und West der Bundesrepublik, Rechnung trägt. Insofern
kann man den Kompromiss, den wir gefunden haben, ak-
zeptieren.

Am Ende geht es um 12 Millionen Euro bei einer
Bund-Länder-Finanzierung mit einer Aufteilung von
60:40. Es geht um nicht mehr. Ich hoffe, dass deshalb alle
Bundesländer, die sich jetzt noch sperren – –


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Wie bitte? Worum geht es?)


– Es geht – wenn Sie noch einmal zuhören möchten, Herr
Carstensen – um 12 Millionen Euro bei einer Bund-Län-
der-Finanzierung, die am Ende in einem Verhältnis von
60:40 aufgeteilt wird.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Was? – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Auch die neuen Bundesländer? – Marita Sehn [FDP]: Das verstehe ich nicht!)


Es sind also 12 Millionen Euro, verteilt auf 16 Länder.
Das ist unsere Rechnung. Sie können es gern anders vor-
rechnen, wenn Sie möchten.

Wenn man sich all die Argumente ansieht – Verwal-
tungsaufwand, das Umsteuern, das am Ende praktiziert
werden muss –, kann man eines sagen: Die Modulation ist
auf einem guten Weg. Sie richtet sich nicht gegen die
Landwirtschaft, sondern ist am Ende zukunftsfähige,
praktische Politik für den ländlichen Raum.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Lassen Sie Herrn Thalheim sprechen, der weiß es genauer! – Marita Sehn [FDP]: Das meinen Sie aber nicht ernst! Vielleicht hätten Sie doch in der Anhörung dabei sein sollen!)


Sie wird eines schaffen: Sie wird Natur, Umwelt und Tier-
schutz stärken. Sie fördert eine nachhaltige Landwirt-
schaft. Sie ist ausgewogen und gerecht und – weil wir uns
alle mit der WTO auseinander setzen müssen – so gere-
gelt, dass über diese Variante Gelder für die Landwirt-
schaft behalten werden und nicht irgendwann in der inter-
nationalen Debatte dem Streichungsstift anheim fallen.

Deshalb kann ich nur sagen: Wer will, dass der ländli-
che Raum eine Zukunft hat, der muss sich mit genau die-
sen Dingen beschäftigen und an dieser Stelle eine Leis-
tung vollbringen: dem Gesetz zustimmen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Marita Sehn [FDP]: Die Rede war nicht sehr gut!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1420915200
Das Wort
hat jetzt der Kollege Peter Harry Carstensen von der
CDU/CSU-Fraktion.


Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1420915300
Herr
Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der
letzten Woche haben wir sehr häufig über PISA gespro-
chen. Ich kann mir nicht helfen: Jedes Mal, wenn ich das
Wort gehört habe, habe ich an Sie gedacht, liebe Frau Mi-
nisterin.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Sie haben gerade eine Zahl genannt, die nicht stimmt,
nämlich die 12 Millionen Euro, die in einem Verhältnis
von 60:40 finanziert werden. Lassen Sie sich das einmal
richtig aufschreiben. Der Betrag von 12 Millionen Euro
– man muss dem Ministerium vielleicht einmal einen Hin-
weis geben – ist der Länderanteil. Sie geben aus dem Mi-
nisterium zwar viel zu wenig, aber doch noch ein bisschen
mehr.

Es mag daran liegen, dass man in der Weihnachtszeit
seinen Magen häufig ein wenig mit Gänsebraten und
Knödeln oder anderen Dingen überlastet, was am Abend
angenehm ist, aber in den Morgenstunden dazu führen
kann, dass man träumt. Ich habe heute Nacht geträumt


(Zurufe von der SPD: Ah!)

– auch wieder von PISA –, dass man den Lehrern 2 Pro-
zent ihres Gehalts nimmt, staatliche Mittel in gleicher
Höhe dazugibt und dieses Geld zur Verbesserung der
Schulsituation einsetzt. Was meinen Sie wohl, welch ei-
nen Sturm der Entrüstung es geben würde. Mit Lehrern
könnte man das nicht machen, aber mit Bauern macht man
es. Man zieht ihnen 2 Prozent ab und packt nicht einmal
2 Prozent dazu.


(Zuruf des Abg. Matthias Weisheit [SPD])

– Du bist doch jetzt im Bundestag. Bei dir zieht man doch
gar nichts ab. Weshalb regst du dich denn jetzt auf?

Lieber Matthias, es war die Politik der SPD, in den
80er-Jahren definiert und in den 90er-Jahren beschlossen,
in der es hieß: Wir müssen herunter von der hohen Preis-
stützung und wir müssen zu Direktzahlungen an die Be-
triebe kommen. Diese Direktzahlungen sind inzwischen
zu einkommensrelevanten Zahlungen geworden.


(Marita Sehn [FDP]: So ist es!)

Von diesem Geld zieht ihr 2 Prozent ab. Da beißt ja wohl
keine Maus den Faden ab.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn wir so etwas bei den Lehrern machen würden, gäbe
es einen Sturm der Entrüstung, aber bei den Bauern kann
man das ja gerne machen.

Man fragt sich natürlich: Wozu dient diese Modula-
tion? Ich habe selten eine Anhörung erlebt wie die in der
letzten Woche, in der ein Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung so wenig Unterstützung fand. Es gab unterschied-
liche Meinungen, ob man für oder gegen Modulation ist,

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Bundesministerin Renate Künast

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aber für den Gesetzentwurf haben sich nur zwei ausge-
sprochen, der NABU und das Land Nordrhein-Westfalen
mit Herrn Griese, der ja wohl auch von den Grünen
kommt. Bei NABU habe ich kein Verständnis dafür, dass
man bei den Pipifaxmitteln, die zur Verfügung gestellt
werden, plötzlich das große Juchhei anstimmt und sagt:
Hosianna, hier wird endlich einmal etwas für den Um-
weltschutz in der Landwirtschaft getan! Zur Richtlinie
20/78 und zu anderen Maßnahmen der Länder hat man
sich überhaupt nicht geäußert, sondern man hat bloß ge-
mosert, es sei zu wenig. Das hat nichts mit partei-
unabhängigen Verbänden zu tun.


(Marita Sehn [FDP]: Hat es auch nicht!)

Meine Damen und Herren, was ist eine Modulation?

Eine Modulation ist in diesem Fall ein neues Kapitel im
Buch von Gerhard Schröder, das ja wohl „Wie verspro-
chen, so gebrochen“ heißen soll. Ich kann mich gut daran
erinnern, dass Karl-Heinz Funke


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Auch Gerhard Schröder!)


– auch Gerhard Schröder – hier gestanden und die Ergeb-
nisse des Berliner Gipfels vorgetragen hat. Er hat gesagt:
Wir sind stolz darauf, dass wir zwei Dinge durchgesetzt
haben, dass es erstens kein „cross compliance“ und zwei-
tens keine Modulation gibt. Nachdem er nicht mehr da ist,
vergisst man das und beginnt mit Modulation.

Modulation ist die Einführung einer Finanzierung
staatlicher Aufgaben mit Mitteln des Bauern. Der Staats-
sekretär hat im Ausschuss gesagt – Sie haben es gerade
auch erläutert –, die Modulation solle dazu dienen, Vor-
leistungen für die Reformen der WTO und die Osterwei-
terung zu erbringen. Das ist wirklich lächerlich, wenn
man sich die Summen ansieht. Hören Sie gut zu, Frau
Ministerin – vielleicht sollten Sie sich die Zahlen auf-
schreiben; das sind nämlich die richtigen –: 105Millionen
Abzüge wird es bei den Bauern geben, vom Bund werden
36,6 Millionen und von den Ländern 24,4 Millionen da-
zugezahlt. Das sind die 12 Millionen Euro. Das ist der
Plan der Bundesregierung, wobei es ja noch eine Diskus-
sion über die Finanzierung gibt. Darüber habe ich mit In-
teresse im letzten „Ernährungsdienst“ gelesen. Dieses ist
ja keine gleichmäßig verteilte Finanzierung. Es steht Ih-
nen übrigens völlig frei, Ihre Mittel aufstocken, damit wir
zu einer Finanzierung kommen, bei der 50 Prozent von
den Bauern und 50 Prozent vom Staat geleistet werden.

Für mich ist es unverständlich, wie Sie dieses Gesetz
als eine Stärkung der zweiten Säule der Agrarpolitik ver-
stehen können. Auch die Länder wehren sich dagegen. In
Rheinland-Pfalz werden nicht 2 Prozent, sondern auf-
grund der Freibetragsregelung nur 0,5 Prozent moduliert,
sodass das Land Rheinland-Pfalz für den Verwaltungs-
aufwand mehr ausgeben wird als für die Mittel, die es im
Rahmen der Modulation zur Verfügung stellen wird.


(Ulrich Heinrich [FDP]: Das muss man sich mal vorstellen! – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Wir gehen in die Bürokratie! Das Biotop Bürokratie!)


Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen.
Es ist doch lächerlich, davon zu sprechen, diese Mittel
seien vorbereitend für die WTO-Verhandlungen und für
die Osterweiterung. Das ist auch deswegen lächerlich,
weil Vorleistungen von der EU erwartet werden. Die EU
kann keine Vorleistungen für die WTO-Verhandlungen
geben; für die Osterweiterung gilt genau das Gleiche.

Was sind denn die wahren Ziele? Mehr Umwelt-
schutz? – Kein Stück. Das können die Länder viel besser
allein und das haben sie bisher allein viel besser gemacht.


(Marita Sehn [FDP]: Sehr richtig!)

Sie sollten sich im Vergleich zu den Zahlen, die im Mo-
ment im Raum stehen, die Summen ansehen, die in den
letzten Jahren für den Umweltschutz in der Landwirt-
schaft ausgegeben worden sind. Ich lese Ihnen einmal
vor, was die Länder ausgegeben haben, als nicht modu-
liert wurde, als den Bauern nichts weggenommen wurde,
sondern als sie „fresh money“ aus eigenen Mitteln und aus
EU-Mitteln eingesetzt haben, weil sie geschickt verhan-
delt haben. Sie sollten denen dankbar sein, weil sie durch
Zuteilung der Mittel dafür gesorgt haben, dass die Bun-
desrepublik Deutschland eine gute Ausgangsposition für
die zweite Säule der Agrarpolitik innehat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das ist auch der Grund, warum Großbritannien die

Modulation jetzt so schnell übernommen hat, weil man
eben nicht die Mittel gemäß der 20/78er-Richtlinie he-
rausgegeben hat. Wenn Sie es sich ansehen, dann erken-
nen Sie, dass Schleswig-Holstein zwischen 1993 und
1999 35 Millionen DM für Agrar- und Umweltmaßnah-
men ausgegeben hat,


(Marita Sehn [FDP]: Das ist aber wenig! Wer ist denn da zuständig?)


Nordrhein-Westfalen 68 Millionen DM – das ist wirklich
„üppig“ –


(Marita Sehn [FDP]: Dieses große Land?)

und Niedersachsen 93 Millionen DM. Das waren die
Flächenländer mit den niedrigsten Ausgaben. Auf der an-
deren Seite finde ich Sachsen mit 524 Millionen DM,
Baden-Württemberg mit 1 Milliarde DM und Bayern mit
2 Milliarden DM.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Rot-Grün sollte sich schämen!)


Wenn Sie sich die Zahlen anschauen, die in diesem und
im nächsten Jahr ausgegeben werden, dann stellen Sie
fest, dass in Bayern 800 Millionen DM für Umweltmaß-
nahmen ausgegeben werden. Wissen Sie was? – Die pfei-
fen auf die 5 Millionen DM, die sie noch dazubekommen,
weil sie mit denen so gut wie nichts machen können; sie
wissen nämlich, dass sie dafür den Bauern vorher etwas
wegnehmen müssen. Sie können das alleine viel besser.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Baden-Württemberg gibt im nächsten Jahr 250 DM je

Hektar für Umweltmaßnahmen aus. Durch das heute zu
beschließende Modulationsgesetz kämen in diesem Land

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Peter H. Carstensen (Nordstrand)

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2,50 DM hinzu. Es ist lächerlich, sich darüber in dieser
Form zu unterhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist für die Hühner!)


Geben Sie Vorleistungen für die Blue Box? – Nein. Ich
stimme Ihnen zwar zu, wenn Sie sagen, dass es nach der
Sitzung der WTO und nach der Osterweiterung weniger
Direktzahlungen gibt. Gleichzeitig sagen Sie aber, dass
wir dafür sorgen müssen, dass auf anderem Wege Geld in
die Landwirtschaft kommt. Sie sollten erst einmal überle-
gen, ob Sie mehr Wettbewerbsfähigkeit der Landwirt-
schaft nicht dadurch erreichen können, dass Sie die Land-
wirte in Deutschland mit weniger Auflagen belasten und
somit die Kosten für sie reduzieren. Überlegen Sie doch
bitte einmal, was Sie zum Beispiel beim Agrardiesel und
bei den Zuschüssen zur Altersversorgung machen könn-
ten. Das alles sind Dinge, die keinen Menschen bei der
WTO interessieren. Ob Sie 2 Pfennig Dieselsteuer erhe-
ben, 1 DM oder auch gar nichts, interessiert dort keinen
Menschen. Änderungen hierbei führen aber zu einer ver-
besserten Wettbewerbsfähigkeit der landwirtschaftlichen
Betriebe.

Sich hier hinzustellen und zu sagen, hierzu wird es
nicht kommen – das haben Sie in der Einbringungsrede
zum Haushalt gemacht –, aber gleichzeitig zu sagen, dass
in zehn bis 15 Jahren die Agrarsubventionen auf Null
heruntergefahren werden, ist schon komisch. Sie haben
auch davon gesprochen, dass man von den Beihilfen weg-
kommen müsse und Deutschland werde kein Bremser
sein. Wenn Sie die Situation so sehen, dann sorgen Sie
bitte auch dafür, dass die landwirtschaftlichen Betriebe
wettbewerbsfähig wirtschaften können. Wenn die Bei-
hilfen tatsächlich gesenkt werden,


(Beifall der Abg. Marita Sehn [FDP])

dann nur Zug um Zug im Gleichklang mit der Abschaf-
fung von Auflagen und Belastungen der Betriebe. Anders
bekommen Sie das nicht hin.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie haben von mehr Geld für die Landwirtschaft ge-

sprochen. Es war schon erstaunlich, wie Sie sich zwingen
mussten, Erklärungen zu finden. Es ist schon erstaunlich
und auch ehrlich, dass der Staatssekretär Griese in der An-
hörung gesagt hat, dass kurzfristig nicht mehr Geld für die
Landwirtschaft zur Verfügung gestellt wird, sondern we-
niger. Vielleicht hat er den Unterschied zwischen Umsatz
und Gewinn in der Landwirtschaft begriffen.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Er lügt nicht!)


Die Landwirte leben nicht vom Umsatz, sondern von den
Gewinnen. Ihre Methode, neue Auflagen zu machen, führt
zu Mehrkosten, die Sie dann ein wenig ausgleichen wol-
len. Das kann nicht der Sinn sein. Vor allen Dingen ist dies
nicht die richtige Methode, um für die Landwirtschaft et-
was tun zu können.

Mehr Umweltschutz? – Nein. Mehr Vorleistungen für
die WTO? – Nein. Mehr Geld in der Landwirtschaft? –
Nein. Mehr Auflagen? – Ja. Mehr Bürokratie? – Ja. Ich

frage Sie: Wie können Sie mit solchen Vorschlägen über-
haupt kokettieren und dafür eintreten? Das liegt wohl ers-
tens daran, dass Sie von Landwirtschaft und von den Ab-
läufen in der Landwirtschaft keine Ahnung haben. Das
kann man Ihnen nicht vorwerfen, Frau Ministerin.
Was ich Ihnen aber vorwerfe, ist, dass Sie inzwischen kein
Gefühl und kein Herz für die Bauern mehr haben.

Dasselbe gilt für die Fischer. Gestern habe ich erfahren,
dass am Montag in Brüssel der Fischereirat über die Fang-
quoten verhandeln wird. Sie aber schicken Ihren besten
Mann, den Experten für Quotenverhandlungen, mit
Staatssekretär Berninger zu Gesprächen über den Walfang
nach Japan statt nach Brüssel. Das ist ein Stück aus dem
Tollhaus.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1420915400
Herr Kol-
lege Carstensen, kommen Sie bitte zum Schluss.


Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1420915500
Ich
komme zum Schluss.

Dies entspricht im Grunde genommen dem, was wahr-
scheinlich auch Sie in der Zeitschrift „top agrar“ gelesen
haben:

Schlechte Schulnoten für Künast
Die Schülerin Renate Künast hat das Klassenziel
nicht erreicht. Ihre Leistungen werden mit der
Durchschnittsnote mangelhaft (4,73) benotet. Eine
Versetzung ist undenkbar.

(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das ist noch schlimmer als PISA!)

Im letzten Punkt stimme ich dem Artikelschreiber nicht
zu. Ich würde mich freuen, wenn Sie, Frau Künast, ver-
setzt würden, und zwar auf einen anderen Posten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1420915600
Das Wort
hat die Kollegin Waltraud Wolff von der SPD-Fraktion.


Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1420915700
Sehr geehrter
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Peter Harry
Carstensen, Sie waren sehr blumig und sehr bildhaft. So
kennen wir unseren Ausschussvorsitzenden.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Sehr gut, nicht? – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Bis dahin ist das noch ein Kompliment von meiner
Seite.

Der PISA-Traum am Anfang Ihrer Rede war wahrlich
nur ein Traum. In Anspielung auf Ihre Vorstellung, wir
könnten den Lehrern einmal 2 Prozent ihres Gehaltes
wegnehmen, sage ich Ihnen ganz deutlich: Wir nehmen
den Bauern nicht 2 Prozent ihres Gehaltes weg. Sie
sollten nicht vergessen, dass es sich um Prämien, um

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Peter H. Carstensen (Nordstrand)


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Subventionen handelt, die aus Brüssel kommen. Es wird
doch wohl niemand hier im Raum behaupten wollen, dass
es ein verbrieftes Recht auf solche Zuschüsse gibt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – HeinrichWilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Aber es gibt Zusagen von der SPD!)


– Man hat keinen gesetzlichen Anspruch auf Prämien oder
Subventionen; deren Auszahlung kann sich von Jahr zu
Jahr ändern.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Es ist gut, dass Sie das sagen! Das werde ich verwenden!)


Wir müssen europaweit denken. In Ihrer Rede zielten
Sie aber nur auf Deutschland ab. Das zeigt ganz deutlich,
dass die Maßstäbe, die Sie anlegen, falsch sind. Wenn wir
für den Berufsstand – ich habe ein Herz für die Bauern


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Seit wann denn das?)


und möchte das auch meiner Ministerin nicht abspre-
chen – zukunftsweisend arbeiten wollen, wozu auch das
Modulationsgesetz gehört, dann können wir nicht nur in
den Grenzen von Deutschland denken. Dann müssen wir
an die Europäische Union, an die Osterweiterung und an
die WTO denken.

Nun möchte ich aber zu meiner Rede kommen, in der
ich sicherlich auch manche Frage beantworten werde, die
Sie aufgeworfen haben. Zu den Zahlen brauche ich jetzt
nicht mehr viel zu sagen; dazu ist von beiden Vorrednern
schon alles gesagt worden.

Die Diskussionen, die wir in der letzten Zeit zum
Thema Modulation geführt haben, zeigen mir ganz ein-
deutig, dass wir auf dem richtigen Weg sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie bestärken mich in der Auffassung, dass es richtig ist,
Modulation auch in Deutschland einzuführen.

Insgesamt steht ein Mittelvolumen von jährlich 85Mil-
lionen Euro zur Verfügung, das für Agrarumweltmaßnah-
men und für umwelt- und tiergerechte Haltungsverfahren
genutzt werden kann.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1420915800
Frau Kol-
legin Wolff, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Heinrich?


Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1420915900
Nein, erst ein-
mal nicht. Das können wir vielleicht nachher noch ma-
chen, Herr Heinrich.


(Zurufe von der SPD: Gar nicht!)

Wir werden den Bauern nicht 2 Prozent für nichts strei-

chen, sondern wollen zukunftsorientiert investieren. Die
Bauern müssen die Zukunft bestehen, wobei wir Ihnen
helfen wollen.

Unser Gesetz wird 2003 in Kraft treten. Zur Vorberei-
tung ist also genügend Zeit vorhanden.

Einige Kritiker sagen, für die betroffenen Landwirte
seien die Kürzungen der Direktzahlungen zu hoch, andere
meinen, Kürzungen seien überhaupt nicht angebracht.
Außerdem habe die zweite Säule bereits einen beachtli-
chen Umfang. Herr Carstensen ist schon darauf eingegan-
gen, dass sie in den südlichen Bundesländern schon so aus-
geweitet ist, dass man dieses Geld dort gar nicht braucht.
Einige Kritiker machten deutlich, dass aus ihrer Sicht eine
Kürzung der Direktzahlungen um 2 Prozent eigentlich nur
Peanuts sei, weshalb sich die Einführung der Modulation
nicht lohne. Angesichts dessen frage ich mich, was das ei-
gentlich soll. Will man die Modulation nicht, weil sie die
Landwirtschaft überfordert, oder will man sie nicht, weil
die Kürzungen als zu gering erscheinen?


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Beides nicht! – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Ihr wolltet zunächst noch nicht einmal die Modulation!)


Vertreter der süddeutschen Länder geben zu verstehen,
dass sie die Modulation zwar nicht wollen, aber dass es ih-
nen keine Schwierigkeiten bereiten würde, die Mittel zu
verwenden. Die Programme liegen quasi schon in der
Schublade. Ich finde diese Diskussion destruktiv, absolut
falsch und sehr plakativ.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie halten uns auch immer wieder vor, dass nach den
Beschlüssen zur Agenda 2000 im Jahre 1999 in Deutsch-
land mit Bedacht von der Modulation abgesehen wurde.
Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern. Es war zu
diesem Zeitpunkt auch richtig. Heute sieht es aber anders
aus. Wir haben vor einem Jahr gesehen, wie das Vertrauen
in unsere Landwirtschaft erschüttert wurde. Genau aus
diesem Grund setzen wir konsequent eine umwelt-, tier-
und verbraucherorientierte Politik um.

Damit man einmal sieht, worum es hier eigentlich geht,

(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Worum geht es denn?)

verweise ich an dieser Stelle zum Beispiel auf das Verfüt-
terungsverbot von Tiermehl, auf die Ausrichtung der In-
vestitionsförderung in der Landwirtschaft, auf tier- und
umweltgerechte Haltungssysteme, auf das Bundesnatur-
schutzgesetz sowie auf die Einführung des neuen Biosie-
gels. Das sind nur einige Beispiele.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das meiste gegen die Landwirtschaft!)


Ich könnte diese Reihe noch unendlich fortführen.
Nun kommt ein Kernstück für die Zukunft: Das Gesetz

zur Modulation ist ein wichtiger Bestandteil unserer Poli-
tik, weil es nämlich die Landwirtschaft nachhaltig fördert
und auch die ländlichen Räume zum Inhalt hat.


(Marita Sehn [FDP]: Frau Wolff, das wissen Sie doch viel besser!)


Einigen Vertretern der Agrarbranche fällt es immer noch
schwer, den neuen Kurs der Bundesregierung zu akzep-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Waltraud Wolff (Wolmirstedt)

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tieren. Das ist logisch; denn an Gewohntem hält man
gerne fest. Aber dies politisch zu unterstützen wäre ver-
antwortungslos. Also bleibt es dabei: Für den Agrarbe-
reich selber ist eine Umorientierung elementar. Das weiß
auch die Opposition.

Kommissar Fischler hat unmissverständlich zum Aus-
druck gebracht, dass die Halbzeitbewertung im Jahre
2003 EU-weit dazu genutzt werden soll, die Umschich-
tung der Mittel aus der ersten Säule – sprich: die Mittel
für die Marktpolitik – in die zweite Säule zur Förderung
des ländlichen Raumes zu nutzen. Zum jetzigen Zeitpunkt
ist die Einführung der Modulation in Höhe von 2 Prozent
genau richtig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir machen mit dem neuen System Erfahrungen und
geben den Landwirten sowie den Bundesländern Zeit,
sich den veränderten Gegebenheiten anzupassen.
Deutschland hat die Chance, eine EU-weite Modulation
mitzugestalten. Es spricht vieles dafür, dass die EU-
weite Modulation zur Pflicht wird. Wir können und wir
wollen auch nicht in Deutschland dieses Problem aussit-
zen und auf eine Lösung warten.

So mancher CDU-Kollege sagt im direkten Gespräch:
Modulation – ja. Aber doch nicht jetzt. – Was heißt das
denn eigentlich? Wer mitgestalten will, der muss handeln
und darf nicht abwarten. Wir wissen doch nur zu gut, dass
die Höhe der Direktzahlungen an die Landwirtschaft kein
verbrieftes Recht ist, Herr Carstensens.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Bei der SPD bestimmt nicht!)


Wir sollten deshalb sehr sorgsam damit umgehen. Der
Bundesrat muss diesem Gesetz zustimmen.

Ich bin in Sachsen-Anhalt zu Hause und weiß ganz ge-
nau, wie dort die Situation in den Betrieben ist.


(Jörg van Essen [FDP]: Sachsen-Anhalt ist am Ende!)


Wir haben viele Diskussionen vor Ort und auch mit Fach-
leuten geführt und waren einhellig der Meinung, dass das
Modulationsgesetz und die Regelungen zur Aufhebung
der 90-Tier-Grenze in der Vierten Verordnung zur Ände-
rung der Rinder- und Schafprämienverordnung nicht zu-
sammengehören, aber im Zusammenhang zu sehen sind.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Sie modulieren doch auch da! Sie haben zugestimmt!)


Übermäßige Härten dürfen nicht entstehen; das war un-
ser Ziel. Aus diesem Grunde bin ich besonders froh, dass
unsere intensiven Bemühungen Erfolg hatten. Im Einver-
nehmen mit Frau Bundesministerin Künast haben wir ent-
scheidende Verbesserungen für die rinderhaltenden Be-
triebe erreicht. Vielen Dank, Frau Künast, an dieser Stelle.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das sehen die Rinderhalter ein bisschen anders!)


Ein weiterer Punkt war der Freibetrag von 10000 Euro,
der in vielen alten Bundesländern ein wichtiger Faktor ist.
Wir sind dem auch nachgekommen. Doch jetzt werden
wir mit dem Argument erschlagen, dass der Verwaltungs-
aufwand zu hoch sei.


(Beifall der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Lassen Sie es sich noch einmal gesagt sein: Entweder gibt
es einen Freibetrag – dann haben wir einen höheren Ver-
waltungsaufwand – oder wir lassen es mit der Freibe-
tragsgrenze. Was wollen Sie eigentlich? Ich habe als Kind
den Spruch gehört: Wer das eine will, muss das andere
mögen. Anders gesagt, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Opposition: Vielleicht hätten Sie besser vorher
überlegt, was Sie mit Ihren Forderungen anrichten, und
wären an dieser Stelle ein bisschen kleinlauter.

Wir werden die Modulation einführen; daran – das
Sprichwort ist heute bereits gefallen, ich sage es dennoch
noch einmal – beißt die Maus keinen Faden ab. Sie wis-
sen genauso gut wie wir, dass dieses Gesetz von uns auch
zustimmungsfrei gestaltet werden könnte. In dem Fall
würde diese Freibetragsgrenze fallen. Ich bin, wie ich im-
mer wieder deutlich mache, für Chancengleichheit in Ost
und West. Von daher hätte ich keine großen Probleme
damit, wenn wir das alleine beschließen und die Frei-
betragsgrenze fällt. Ich glaube aber, dass hier vielleicht
ein Kompromiss zu schließen wäre.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich appelliere daher an die Vertreter des Bundesrates: Ver-
geuden Sie nicht die mit der Bundesregierung erzielten
Verhandlungsergebnisse! Stimmen Sie in der nächsten
Woche zu!

Ich bin der Meinung, dass alle Beteiligten genügend
Zeit haben, um sich auf die neuen Gegebenheiten vorzu-
bereiten. Der PLANAK-Ausschuss hat die Eckpunkte
der Maßnahmen festgelegt, die man mit den Modulati-
onsmitteln durchführen kann. Das zeigt uns, dass Modu-
lation nicht mehr abstrakt ist, sondern konkrete Formen
annimmt.

Meine Damen und Herren, ich fordere Sie heute von
dieser Stelle aus eindringlich auf: Nutzen wir die Zeit, um
gemeinsam, Bund und Länder, für mehr Umweltschutz,
eine Stärkung der ländlichen Räume und die Interessen
unserer Landwirtschaft zu sorgen!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1420916000
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Marita Sehn von der
FDP-Fraktion das Wort.


Marita Sehn (FDP):
Rede ID: ID1420916100
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Liebe Frau Wolff, wenn man sich da-
ran erinnert, wie Herr Funke damals, als er die Modula-
tion abgelehnt hat, von Ihnen umjubelt wurde, kann man
sich nur wundern, wie Sie sich heute wie ein Hahn im

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Waltraud Wolff (Wolmirstedt)


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Winde drehen. Das ist schon ein besonderes Stück, das Sie
sich hier leisten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wenn die Modulation die Agrarwende sein soll, von

der Sie, Frau Wolff, gesprochen haben, dann ist die Agrar-
wende vor allem eines: eine Beschäftigungsmaßnahme
für die Agrarbürokratie.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Von einem investierten Euro kommen in der Modulation
– das hat uns der Landesvertreter aus Baden-Württemberg
vor Augen geführt – beim Landwirt letztendlich 40 Cent
an. Rheinland-Pfalz – Herr Carstensen hat das eben er-
läutert – legt sogar noch drauf. Das ist kein Glanzstück.
Die Modulation ist der Tropf, der eine aufgeblähte Büro-
kratie am Leben hält.

Die Steuergelder kommen nicht denen zugute, denen
die Bürger helfen wollen, nämlich den Bauern. Das Geld
unserer Bürger wird für die Alimentierung einer aus-
ufernden Agrarbürokratie zweckentfremdet. Das ist nicht
das, was die Bürger wollen, und schon gar nicht das, was
den Bauern helfen wird, Frau Künast.

Die Modulation fördert nicht nur Bürokratie, sondern
ist obendrein ökologisch unsinnig. Mit der Vorschrift,
dass Modulationsgelder nur für neue Programme verwen-
det werden dürfen, benachteiligt die Bundesregierung vor
allem die Länder, die bereits umfangreiche Agrarumwelt-
programme eingeführt haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

So setzt Rheinland-Pfalz bereits seit 1993 jährlich etwa
50 Millionen DM ein, um auf 20 Prozent der landwirt-
schaftlichen Nutzfläche eine umweltschonende Form
der Landbewirtschaftung zu fördern.

Sie wollen wissen, wie Sie mit der umweltschonen-
den Landwirtschaft in zehn Jahren einen Anteil von
20 Prozent erreichen können, Frau Künast? Rheinland-
Pfalz hat die Lösung, schon heute und ohne dieses
ganze Agrarwendenbrimborium. Schauen Sie sich ein-
mal unsere liberale Politik in Rheinland-Pfalz an! Dann
stellen Sie fest: Es gibt eine Alternative zu dem Einstieg
in die künastsche Agrarplanwirtschaft. Der Erfolg
des Förderprogrammes „Umweltschonende Landwirt-
schaft“ hängt entscheidend von dem Zusammenspiel
der mehr als 30 verschiedenen Unterprogramme ab. Das
rheinland-pfälzische Förderprogramm ist sorgfältig
aufeinander abgestimmt. Da können jetzt nicht einfach
inflationär neue Programme aus dem Boden gestampft
werden. Der grüne Elefant sollte sich aus diesem agrar-
politischen Porzellanladen fern halten; denn die Scher-
ben, die dabei sonst anfallen, bringen niemandem Glück
und Freude.

Dass sich Länder wie Nordrhein-Westfalen mit der
Einführung neuer Agrarumweltprogramme leichter tun,
ist logisch. Schließlich ist dort die Förderung einer um-
weltschonenden Landbewirtschaftung etwas ganz Neues,
wie wir am Montag gelernt haben.

Die Grünen reden von der umweltschonenden Land-
wirtschaft, die FDP setzt sie um. Das ist die Realität.


(Beifall bei der FDP – Matthias Weisheit [SPD]: Oh!)


– Ja, lieber Matthias Weisheit, das ist leider die Wahrheit;
übrigens geschieht dies gemeinsam mit der SPD in Rhein-
land-Pfalz. An der Stelle wäre, glaube ich, auch einmal ein
Applaus von der SPD angebracht.

Während Frau Künast als agrarpolitischer Don
Quichotte auf immer neue Feindbilder losstürmt – einmal
ist es die Gentechnik, dann ist es die konventionelle Land-
wirtschaft, ein anderes Mal ist es die Europäische Union –,
arbeiten wir Liberale ruhig, sachlich und zielorientiert da-
ran, Ökologie und Ökonomie in der Landwirtschaft in
Einklang zu bringen.


(Beifall bei der FDP – Ulrich Heinrich [FDP]: Miteinander und nicht gegeneinander!)


Aber dies geht natürlich nicht, wenn man nach grüner Ma-
nier versucht, Probleme von heute mit Methoden von ges-
tern zu lösen. Die FDP steht für eine moderne Landwirt-
schaft und nicht für eine grüne Agrarromantik.

Die Modulation erfolgt zum falschen Zeitpunkt; 2003
kommt die gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen
Union ohnehin auf den Prüfstand.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Dann warten wir wieder alles ab!)


Sie ist ökonomischer Blödsinn, Frau Wolff, da mindestens
60 Prozent der Gelder in der Bürokratie verbleiben. Sie
ist ökologisch verfehlt. Sie bevorzugt die ökologischen
Spätzünder, zum Beispiel Nordrhein-Westfalen, gegen-
über den Ländern, die schon frühzeitig in eine umwelt-
schonende Landwirtschaft investiert haben.

Kurz: Die Modulation ist schnell gemacht und schlecht
durchdacht. 60 Prozent der Modulationsgelder für eine
aufgeblähte Agrarbürokratie, fette Knete für einen fetten
Staat – das ist die Politik von Rot-Grün. Das ist mit den
Liberalen nicht zu machen.


(Susanne Kastner [SPD]: Das ist Ihr Standardsatz! In jeder Rede zweimal!)


Wir lehnen das Modulationsgesetz der Bundesregierung
deshalb ab.

Schönen Dank.

(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1420916200
Jetzt hat
die Kollegin Kersten Naumann von der PDS-Fraktion das
Wort.


Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1420916300
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Wenn die Politiker und die Landwirte
nicht gemeinsam die Umwandlung eines Teils der EU-Di-
rektzahlungen zügig in Angriff nehmen, dann modulieren
wir uns selbst ins Abseits.


(Beifall bei der PDS)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Marita Sehn
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Das kann doch nicht unser Ziel sein. Deshalb wird die
PDS dem Gesetzentwurf zustimmen.


(Marita Sehn [FDP]: Frau Naumann, das kann aber nicht sein! Das müssen Sie Ihren Landwirten mal erklären!)


Einige glauben, dass die Neuausrichtung der Agrar-
politik eine alleinige Frage der deutschen Landwirtschaft
ist. Sehen wir uns doch einfach in den anderen Ländern
um, die bereits Modulationsmaßnahmen eingeleitet ha-
ben, und lernen wir aus deren Erfahrungen. Denn Fakt ist
doch: Die Landwirtschaft muss sich zunehmend auf ver-
änderte Bedingungen einstellen. Diese werden durch die
Agenda 2000, durch die Globalisierung des Welthandels,
durch die EU-Osterweiterung und nicht zuletzt durch die
veränderten Verbraucheransprüche bestimmt. Die Chan-
cen sind jetzt zu nutzen; die Erfahrungen mit der Modu-
lation sind in Deutschland selbst zu machen. Eine Ab-
wartehaltung bringt überhaupt keinen Erkenntnisgewinn.
Es nützt nichts, wenn sich der Bauernverband dem Pro-
zess entgegenstellt. Schließlich wurde die gesamte Agrar-
reform von ihm mit auf den Weg gebracht.

Die Anhörung am Montag hat trotz aller unterschied-
lichen Argumente bestätigt, dass sich die Bundesländer
und die Betriebe der Herausforderung stellen. Sie wollen
die Voraussetzung dafür schaffen, dass Direktzahlungen
dem ländlichen Raum und der Landwirtschaft in einer an-
deren Form auch in Zukunft erhalten bleiben. Die Akzep-
tanz dafür wird jedoch nur erreicht, wenn ein Teil des Fi-
nanzflusses für gesellschaftlich notwendige Leistungen,
die sich auf dem Markt nicht verwerten lassen, eingesetzt
wird.

Die Stärkung der zweiten Säule der Agrarpolitik redu-
ziert die staatliche Marktregulierung und erhöht die Ver-
antwortung der Gesellschaft für Natur und Umwelt. Wir
müssen aber auch den Bedürfnissen der Menschen Rech-
nung tragen. Es stellt sich doch die Frage: Werden die
Verbraucher künftig auch dann landwirtschaftliche Er-
zeugnisse und Leistungen honorieren, wenn sie nicht aus
artgerechter Tierhaltung kommen oder nicht dem Nach-
haltigkeitsprinzip entsprechen? Die Erwartungen an die
Berücksichtigung der Umweltbelange, an eine nachhal-
tige landwirtschaftliche Produktionsweise und an die Ent-
wicklung des ländlichen Raums sollten nicht unterschätzt
werden. Deshalb muss bei der Umsetzung der Modulation
auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den ökonomi-
schen, sozialen und ökologischen Prozessen geachtet
werden. Denn die Umschichtung der Direktzahlungen
muss dazu beitragen, dass Arbeitsplätze im ländlichen
Raum und in der Agrarwirtschaft langfristig gesichert
werden und dass Einkommen und Vergütung der in der
Landwirtschaft Tätigen mit der gesamtgesellschaftlichen
Entwicklung Schritt halten.

Wir haben allerdings kein Verständnis dafür, dass die
Vorruhestandsregelung in der alleinigen Entscheidungs-
befugnis der Länder liegen soll; denn das würde zu unter-
schiedlichen sozialen Rahmenbedingungen führen.

Nach wie vor ist die Kofinanzierung durch die Länder
ein Unsicherheitsfaktor. Hierzu sind sichere Vereinba-

rungen zwischen dem Bund und den Ländern herbei-
zuführen.

Die Bundesregierung ist in der Verantwortung, alles zu
tun, damit es nicht zu einer Ungleichbehandlung der
Landwirtschaftsbetriebe in den verschiedenen Ländern
kommt.

Wie definiert sich Modulation in der Musik: „Über-
gang von einer Tonart in die andere“ und „Das Abstimmen
von Tonstärke und Klangfarbe“. Ich wünsche den Land-
wirten und den Politikern, dass sie beim Übergang die
richtige Tonstärke und Klangfarbe treffen, damit ein har-
monisches Modulationskonzert entsteht.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1420916400
Ich
schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Modulation von Direktzahlungen im Rahmen der ge-
meinsamen Agrarpolitik, Drucksachen 14/7252 und
14/7812. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der PDS-Fraktion ge-
gen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit mit gleichem Mehrheitsverhältnis angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der FDP auf Druck-
sache 14/7847. Wer stimmt für diesen Entschließungs-
antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP abgelehnt.

Es ist beantragt worden, die Reden zu allen folgenden
Tagesordnungspunkten zu Protokoll zu geben1). Ich frage
Sie, ob Sie damit einverstanden sind. – Das ist der Fall.

Ich rufe als Nächstes Tagesordnungspunkt 24 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Detlef Parr, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, weiteren Abgeord-
neten und der Fraktion der FDP eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Präim-

(Präimplantationsdiagnostikgesetz – PräimpG)

– Drucksache 14/7415 –

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Kersten Naumann

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1) Anlagen 4 bis 9

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/7415 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Vorlage
federführend im Rechtsausschuss beraten werden soll.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Karl-
Josef Laumann, Horst Seehofer, Brigitte
Baumeister, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU
Arbeit statt Sozialhilfe – Hin zu einer Kultur
von Geben und Nehmen
– Drucksache 14/7443 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/7443 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 28 sowie Zusatzpunkt 25
auf:
28. Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerda

Hasselfeldt, Heinz Seiffert, Klaus Riegert, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Übergangslösung für Umsatzbesteuerung von
Sportanlagen
– Drucksache 14/7285 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Sportausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss

ZP 25 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Klaus
Kinkel, Carl-Ludwig Thiele, Hildebrecht Braun

(Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion der FDP
Umsatzbesteuerung von Sportanlagen wirt-
schaftlich gestalten
– Drucksache 14/7813 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Innenausschuss

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/7285 und 14/7813 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.

Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 29 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen (15. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Karlheinz
Guttmacher, Hans-Michael Goldmann, Horst
Friedrich (Bayreuth), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
Mehr Eigentum, mehr private Anbieter und
zielgenaue Hilfen zum Strukturwandel am
Wohnungsmarkt in den neuen Bundeslän-
dern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Christine
Ostrowski, Maritta Böttcher, Dr. Ruth Fuchs,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Vorschläge der Bund-Länder-Arbeitsgruppe
„Wohnungsleerstand Ost“ sachgerecht modi-
fizieren und umsetzen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Christine
Ostrowski, Maritta Böttcher, Dr. Ruth Fuchs,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Altschuldenbefreiung für abzureißende bzw.
rückzubauende Wohnungen

– Drucksachen 14/6055, 14/6848, 14/6849,
14/7449 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Peter Danckert

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf Druck-
sache 14/7449. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 sei-
ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages
der Fraktion der FDPauf Drucksache 14/6055 mit dem Ti-
tel „Mehr Eigentum, mehr private Anbieter und zielge-
naue Hilfen zum Strukturwandel am Wohnungsmarkt in
den neuen Bundesländern“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die
Stimmen der FDP bei Enthaltung der CDU/CSU ange-
nommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen die
Ablehnung des Antrags der Fraktion der PDS auf Druck-
sache 14/6848 mit dem Titel: „Vorschläge der Bund-Län-
der-Arbeitsgruppe‚ Wohnungsleerstand Ost‘ sachgerecht
modifizieren und umsetzen“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU- und der
FDP-Fraktion gegen die Stimmen der PDS-Fraktion an-
genommen.

Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/6849 mit dem Titel: „Altschul-
denbefreiung für abzureißende bzw. rückzubauende Woh-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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nungen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der FDP gegen
die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Ver-
ordnung der Bundesregierung
Verordnung über die Entsorgung von gewerb-
lichen Siedlungsabfällen und von bestimmten
Bau- und Abbruchabfällen
– Drucksachen 14/7328, 14/7514 Nr. 2.2, 14/7828 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Rainer Brinkmann (Detmold)

Georg Girisch
Michaele Hustedt
Birgit Homburger

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
FDP vor.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf
Drucksache 14/7828 zu der Verordnung der Bundesregie-
rung über die Entsorgung von gewerblichen Siedlungsab-
fällen und von bestimmten Bau- und Abbruchabfällen.
Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung der Bundesre-
gierung auf Drucksache 14/7328 zuzustimmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegen-
stimmen von CDU/CSU und FDP und Enthaltung der
PDS-Fraktion angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der FDP auf Druck-
sache 14/7859. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der PDS-Fraktion bei Zustimmung
der FDP-Fraktion und Enthaltung der CDU/CSU-Frak-
tion abgelehnt.

Ich rufe Tagesordnungspunkte 31 a und 31 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat

eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhe-
bung der für die Kostengesetze nach dem Eini-
gungsvertrag geltenden Ermäßigungssätze für den
Teil des Landes Berlin, in dem das Grundgesetz

(Ermäßigungs-Aufhebungsgesetz Berlin – KostGErmAufhGBln)

– Drucksache 14/6477 –

(Erste Beratung 190. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/7817 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Christine Lambrecht
Andrea Voßhoff
Dr. Norbert Röttgen
Hans-Christian Ströbele
Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer Funke,
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Jörg van Essen,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP
Ende der doppelten Benachteiligung für die
Rechtsanwälte in den neuen Ländern
– Drucksachen 14/3485, 14/7817 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Christine Lambrecht
Andrea Voßhoff
Dr. Norbert Röttgen
Hans-Christian Ströbele
Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler

Zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates liegt ein Än-
derungsantrag der Fraktion der FDP vor.

Zunächst zu Tagesordnungspunkt 31 a: Wir kommen zur
Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Ent-
wurf eines Ermäßigungssatz-Aufhebungsgesetzes Berlin,
Drucksache 14/6477. Der Rechtsausschuss empfiehlt un-
ter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 14/7817, den Gesetzentwurf anzunehmen.

Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDPvor,
über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Än-
derungsantrag auf Drucksache 14/7857? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der CDU/
CSU-Fraktion bei Zustimmung der FDP- und der PDS-
Fraktion abgelehnt.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-
ratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
PDS-Fraktion gegen die Stimmen von CDU/CSU- und
FDP-Fraktion angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen.

Tagesordnungspunkt 31 b: Beschlussempfehlung des
Rechtssausschusses auf Drucksache 14/7817 zu dem An-
trag der Fraktion der FDP mit dem Titel: „Ende der dop-
pelten Benachteiligung für die Rechtsanwälte in den
neuen Ländern“.

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be-
schlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 14/3485
abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? –

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

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Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-
schlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU bei Gegenstim-
men von FDP- und PDS-Fraktion.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages ein auf Donnerstag, den 20. Dezember 2001, 9 Uhr,

zur Beratung des Antrags der Bundesregierung zur Betei-
ligung der Bundeswehr an einer UN-mandatierten inter-
nationalen Sicherheitspräsenz in Kabul und Umgebung.
Dies steht unter dem Vorbehalt, dass eine Entscheidung
des UN-Sicherheitsrates sowie der darauf beruhende Ka-
binettsbeschluss rechtzeitig vorliegen.

Die Sitzung ist geschlossen.