Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Es ist etwas kühl hier. Ich habe mich gerade erkundigt,
woran das liegt. Durch ein Wunder der Technik waren
heute früh um 7.30 Uhr alle Fenster auf. Ein Fenster lässt
sich auch jetzt noch nicht schließen, habe ich gehört; es
wird aber daran gearbeitet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich
auf Folgendes hinweisen: Der Ältestenrat hat in seiner
gestrigen Sitzung vereinbart, dass am Donnerstag, dem
20. Dezember 2001, um 9.00 Uhr eine Plenarsitzung zur
Beratung des Antrags der Bundesregierung zur Betei-
ligung der Bundeswehr an einer UN-mandatierten in-
ternationalen Sicherheitspräsenz in Kabul und Um-
gebung unter der Voraussetzung stattfindet, dass eine
Entscheidung des UN-Sicherheitsrates sowie der darauf
beruhende Kabinettsbeschluss rechtzeitig vorliegen.
Die betroffenen Ausschüsse sollen bereits am Mitt-
woch, dem 19. Dezember, Gelegenheit erhalten, im Wege
der Selbstbefassung über den Antrag zu beraten. Näheres
entnehmen Sie bitte der Amtlichen Mitteilung, die Sie
heute in Ihren Fächern vorfinden.
Ich rufe Zusatzpunkt 18 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-
Rechtsverhältnisse von Prostituierten (Prostitu-
tionsgesetz – ProstG)
– Drucksachen 14/5958, 14/7174, 14/7524,
14/7748 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Ludwig Stiegler
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? –
Wird das Wort zu Erklärungen gewünscht? – Das ist nicht
der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer stimmt für
die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses
auf Drucksache 14/7748? – Wer stimmt dagegen? –
Stimmenthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und
PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 19 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-
Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes
– Drucksachen 14/7283, 14/7476, 14/7745,
14/7749 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Jörg van Essen
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Das
ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen ge-
wünscht? – Das ist auch nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermitt-
lungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Ge-
schäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundes-
tag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist.
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermitt-
lungsausschusses auf Drucksache 14/7749? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
einstimmig angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 20 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-
Strafprozessordnung
– Drucksachen 14/5166, 14/6576, 14/7015,
14/7776 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Ludwig Stiegler
20701
209. Sitzung
Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Beginn: 9.00 Uhr
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Das
ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen ge-
wünscht? – Auch das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermitt-
lungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Ge-
schäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundes-
tag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist.
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermitt-
lungsausschusses auf Drucksache 14/7776? – Gegen-
probe! – Stimmenthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen
der PDS-Fraktion angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 21 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-
Professorenbesoldung (Professorenbesoldungs-
reformgesetz – ProfBesReformG)
– Drucksachen 14/6852, 14/7356, 14/7743,
14/7777 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Ludwig Stiegler
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Das
ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen ge-
wünscht? – Auch das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für die
Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf
Drucksache 14/7777? – Wer stimmt dagegen? – Stimm-
enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die
Grünen gegen die Stimmen von FDP und PDS ange-
nommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 22 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-
des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess
– Drucksachen 14/6393, 14/6854, 14/7474,
14/7744, 14/7779 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Ludwig Stiegler
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Das
ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen ge-
wünscht? – Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsaus-
schuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsord-
nung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag über die
Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für
die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses
auf Drucksache 14/7779? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig
angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 23 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-
Unternehmensteuerrechts (Unternehmensteuer-
fortentwicklungsgesetz – UntStFG)
– Drucksachen 14/6882, 14/7084, 14/7343,
14/7344, 14/77442, 14/7780 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Joachim Poß
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? –
Bitte schön, Kollege Poß.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Nachdem offenkundig auf Wunsch der FDP
zu diesem Punkt diskutiert werden soll, will ich auf das
Vermittlungsergebnis kurz eingehen. Das Unternehmen-
steuerfortentwicklungsgesetz ist Bestandteil eines großen
Paketes von sieben Gesetzen, das dem Vermittlungsaus-
schuss vorlag. Dieses Gesetz war politisch sicherlich das
wichtigste. Das Vermittlungsergebnis zeichnet sich mei-
nes Erachtens durch drei Punkte aus:
Erstens. Die bereits vorhandenen guten steuerlichen
Rahmenbedingungen für den Mittelstand werden weiter
verbessert.
Zweitens. Die steuerliche Einnahmebasis der Kom-
munen wird stabilisiert.
Drittens. Der Gefahr missbräuchlicher Steuergestal-
tung wird entgegengewirkt.
Mit der nun vorgesehenen Reinvestitionsrücklage
und einer Verzehnfachung des Betrages von 50 000 Euro
auf 500 000 Euro wird ein ganz deutlicher Akzent zuguns-
ten mittelständischer Unternehmen gesetzt. Die Wie-
deranlagefrist für Übertragungen auf Gebäude wird auf
vier Jahre verlängert; ansonsten verbleibt es bei dem Zeit-
raum von zwei Jahren.
Bei dieser Maßnahme handelt es sich mangels Ver-
gleichbarkeit nicht um die Gleichbehandlung von Perso-
nenunternehmen und Kapitalgesellschaften, sondern
durch diese Aufstockung und die Fristverlängerung wer-
den nun größere Teile des Mittelstandes, insbesondere
größere Mittelständler, begünstigt.
Neben den bereits im Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung vorgesehenen Regelungen zur Verbesserung der Ein-
nahmebasis der Kommunen hat der Vermittlungsaus-
schuss den Städten und Gemeinden eine Einnahmequelle
erhalten, indem er sich auf eine Gewerbesteuerpflicht auf
Dividendeneinnahmen aus Streubesitz verständigt hat.
Diese Maßnahme dient allein zur Sicherung der kommu-
nalen Einnahmebasis und sollte im Rahmen der in der
nächsten Legislaturperiode beabsichtigten kommunalen
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Präsident Wolfgang Thierse
20702
Finanzreform auf den Prüfstand gestellt werden. Insge-
samt können die Kommunen durch den Bundestags-
beschluss und das Vermittlungsergebnis mit Mehreinnah-
men von über 750 Millionen Euro rechnen.
In der Frage der so genannten Behaltefristen bei der
Umstrukturierung von Personenunternehmen ist der
gefundene Kompromiss insgesamt vertretbar, auch aus
Sicht der SPD-Bundestagsfraktion, weil die Gefahr
missbräuchlicher Steuergestaltung vermindert wird. Wirt-
schaftlich vernünftige Umstrukturierungen bei Personen-
unternehmen finden auf längere Sicht eben nur statt, wenn
der Betrieb fortgeführt werden soll.
Insgesamt also, meine Damen und Herren, war dieser
Tag, an dem dieses Ergebnis des Vermittlungsausschusses
erzielt wurde, ein guter Tag für den sich wirtschaft-
lich betätigenden Mittelstand in der Bundesrepublik
Deutschland.
Jetzt kommt eine
Runde mit Erklärungen der Fraktionen. Für die Fraktion
der PDS Kollege Peter Rauen.
– Die Kälte, die Kälte! Ich bitte um Entschuldigung.
Für die Fraktion der CDU/CSU Herr Kollege Peter
Rauen.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin zunächst dank-
bar für die Klarstellung, für wen ich die Erklärung abge-
ben darf.
Ich darf erklären, dass die CDU/CSU dem Vermitt-
lungsergebnis zustimmt. Es müssen aber einige Dinge
klargestellt werden. Wir haben über ein Unternehmen-
steuerfortentwicklungsgesetz diskutiert. Davon kann ei-
gentlich nicht die Rede sein; denn es handelt sich viel-
mehr um ein Reparaturgesetz. Das erleben wir ja jetzt
schon zum wiederholten Male.
Wir begrüßen aber, dass Personengesellschaften beim
Umstrukturieren jetzt weitestgehend wieder so behandelt
werden wie vor dem verunglückten Gesetz von 1999. So
wird wieder eine Reinvestitionsrücklage bei der Veräuße-
rung von Kapitalerlösen in Höhe von 500 000 Euro aner-
kannt, die innerhalb von vier Jahren in Gebäude und in-
nerhalb von zwei Jahren in bewegliches Anlagevermögen
steuerfrei angelegt werden kann.
Es wurde der alte Zustand der Realteilung und des
Mitunternehmererlassesmit dem Schönheitsfehler wie-
der hergestellt, dass jetzt im Gegensatz zu früher eine
dreijährige Behaltefrist vorgesehen wird.
In Zukunft wird es auch möglich sein, dass bei Be-
triebsübergängen an einen Nachfolger das Sondervermö-
gen vom Betriebsinhaber sowohl gehalten als auch steu-
erfrei reinvestiert werden kann.
Von einem Fortentwicklungsgesetz kann deshalb nicht
die Rede sein, weil die A-Seite die Möglichkeit, Betriebs-
ausgaben abzuziehen, wieder eingesammelt hat. Es war
der Wirtschaft versprochen worden, Betriebsausgaben bei
der Veräußerung von Kapitalbeteiligungen wieder geltend
machen zu können.
Auch die Freistellung der Betriebe von der Grund-
erwerbsteuer bei konzerninternen Umstrukturierungen
wurde wieder eingesammelt. Man hat auch eine Rolle
rückwärts getan, indem man steuerfreie Dividenden wie-
der besteuert, indem sie der Gewerbeertragsteuer unter-
liegen sollen. Vor dem Hintergrund wegbrechender Ein-
nahmen bei den Gemeinden begrüßen wir dieses.
Nichtsdestotrotz bleibt festzustellen, dass es sich hier
um ein Reparaturgesetz für verunglückte Gesetzgebung
aus der Vergangenheit handelt. Man hat auch bei der Ver-
handlung gesehen, dass die Regierung bei ihrer
Steuergesetzgebung vorne bei und hinten wider ist.
Wir stimmen zu, weil eine von uns seit langem erho-
bene Forderung wahrgemacht wurde, nämlich einige un-
mögliche Bedingungen bei der Umstrukturierung von
Personengesellschaften zurückzunehmen.
Schönen Dank.
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Kristin Heyne.
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Es waren ja aus-
führliche Verhandlungen über etliche Stunden im Ver-
mittlungsausschuss. Ich bin froh, dass wir einen Kompro-
miss gefunden haben, der von einer breiten Mehrheit hier
im Hause getragen wird. So kann der Notwendigkeit ent-
sprochen werden, dass das veränderte Unterneh-
mensteuerrecht zu Beginn des nächsten Jahres in Kraft
treten kann. Damit schaffen wir in einer konjunkturell
schwierigen Lage deutlich bessere Rahmenbedingungen
für den Mittelstand.
Die Union hat im Vermittlungsausschuss den Weg für
die notwendigen Umstrukturierungsmaßnahmen frei-
gemacht. Leider konnte die FDP sich nicht dazu durch-
ringen.
Deswegen haben wir ja heute hier auch noch dieses kleine
Nachspiel.
Der Vorwurf von Steuererhöhungen, der vonseiten der
FDP erhoben wird, hat mit der Realität dieses Gesetzes
wirklich nichts zu tun.
Er dient allein zur Profilierung dieser kleinen Partei. So
platt würde ihn sonst niemand erheben.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Joachim Poß
20703
Einen solchen Vorwurf kann auch nur jemand erheben,
der auf Landes- und Kommunalebene kaum bis gar nicht
Regierungsverantwortung übernimmt.
Natürlich mussten wir bei dem Ergebnis gegeneinander
abwägen, was der Mittelstand braucht und was unsere
Kommunen und Länder brauchen.
Lieber Kollege Rauen, mit Blick auf den Mittelstand
sprechen Sie davon, dass es sich um ein Reparaturgesetz
handle, mit dem wieder gutgemacht werden solle, was in
anderen Gesetzen zuvor in Ihren Augen schlecht geregelt
worden sei. Lassen Sie mich noch einmal ganz deutlich
sagen: Von einer Benachteiligung des Mittelstands ge-
genüber Kapitalgesellschaften kann nicht die Rede sein.
In einem Personenunternehmen zahlt der Unternehmer
schon im Jahr 2001 bei einem Gewinn von 100 000 DM
über 18 000 DM weniger Steuern als eine Kapitalgesell-
schaft. Bis 2005 wird der Abstand zugunsten der kleinen
und mittleren Personenunternehmen noch Schritt für
Schritt weiter verkleinert. Im Jahr 2005 wird die einer
Körperschaft entsprechende durchschnittliche Gesamtbe-
lastung von 38,5 Prozent von einem ledigen Personen-
unternehmer erst bei einem Einkommen von 250 000 DM
und von einem verheirateten Unternehmer erst bei einem
Einkommen von 480 000 DM erreicht. Ein solches Ein-
kommen erlangen nur etwa 5 Prozent der mittelständi-
schen Unternehmen. Beachten Sie doch, wie die Realität
bei den Mittelständlern aussieht. Das ist schon jetzt deut-
lich besser, als es zu Ihren Zeiten war.
Mit dem vorliegenden, im Vermittlungsausschuss er-
arbeiteten Steuerkompromiss werden lediglich die
Großunternehmen ein bisschen weniger stark entlastet,
als ursprünglich vorgesehen war.
Wenn das der Maßstab der FDP ist, dann wird klar, wer
hier für Mittelstandspolitik steht. Das tut die FDP schon
lange nicht mehr.
– Wollen wir doch einmal sehen, was gleich von Ihnen
kommt.
Ich möchte noch auf einige Punkte dieses Steuerkom-
promisses hinweisen, um deutlich zu machen, dass es hier
um den Mittelstand geht. Sehr wichtig ist den Grünen die
jetzt eingeführte Reinvestitionsrücklage – sie gab es bis-
her auch nicht –, um auch bei der Veräußerung von Betei-
ligungen zu einer Gleichbehandlung von Kapitalgesell-
schaften und Personenunternehmen zu kommen. Ich bin
natürlich sehr froh darüber, dass es gelungen ist, diese
Rücklage deutlich auf 500 000 Euro anzuheben, sodass es
hier praktisch keine Begrenzung mehr gibt. Auch wurde
der Zeitraum bis zur Reinvestition bei Gebäuden in ange-
messener Weise auf vier Jahre verlängert. Dass man einen
solchen Zeitraum vorschreiben muss, hat niemand be-
stritten; anderenfalls eröffnete man eine neue Steuerlücke.
Das wollen wir nicht.
Die Kommunen können durch den Kompromiss im
nächsten Jahr 260 Millionen Euro zusätzlich erlösen. Ins-
gesamt erzielen sie aufgrund dieses Gesetzes 700 Milli-
onen Euro. Es ist uns sehr wichtig gewesen, die Balance
zu den Kommunen aufrechtzuerhalten. Weitere Vergüns-
tigungen müssen wir bei der geplanten Gemeindefinanz-
reform schaffen.
Bund und Länder haben gemeinsam ihre Verantwor-
tung für die Kommunen dadurch wahrgenommen, dass
Dividenden im Streubesitz jetzt auch unter 10 Prozent ge-
werbesteuerpflichtig sind. Die Veräußerungsgewinne
– das ist ein Kernstück unserer Unternehmensteuerreform –
bleiben vollständig steuerfrei.
Meine Damen und Herren, wir werden weiterhin eine
konsequente Mittelstandsförderung betreiben und diese
solide gegenfinanzieren; denn mittelstandsfreundliche
Politik ist auch an eine solide Haushaltspolitik gebunden.
Gerade der Mittelstand braucht die kommunale Infra-
struktur. Darauf werden wir weiterhin achten.
Vielen Dank.
Für die FDP-Fraktion
erteile ich dem Kollegen Carl-Ludwig Thiele das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu der Steuer-
und Abgabenerhöhung in Höhe von netto 26 Milliar-
den DM im nächsten Jahr kommt durch dieses Ergebnis
des Vermittlungsausschusses eine steuerliche Mehrbelas-
tung der Arbeitsplätze und der Wirtschaft von knapp
1 Milliarde DM hinzu. Dies hält die FDP für falsch; des-
halb lehnt die FDP dieses Gesetz ab.
Die finanziellen Auswirkungen des Gesetzes werden
im Finanztableau mit einer Mehrbelastung von 140 Milli-
onen Euro dargestellt. Hinzu kommen aber die Verschlech-
terungen bei der Neuregelung des Mitunternehmererlas-
ses und der Realteilung, die – das war zuvor zwischen
Bund und Ländern einvernehmlich abgestimmt – zu einer
Mehrbelastung von 300 Millionen Euro führen. Mir ist un-
verständlich, warum zwar die Verschlechterungen in das
Finanztableau aufgenommen worden sind, nun aber nicht
mehr beziffert sind; denn mit den ausgewiesenen und
fälschlicherweise nicht bezifferten Verschlechterungen in
Höhe von weiteren 300 Millionen Euro kommen wir
durch dieses Gesetz auf eine Verschlechterung in Höhe
von insgesamt 440 Millionen Euro. Das sind rund
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Kristin Heyne
20704
900 Millionen DM. Diese Zusatzbelastung von knapp
1 Milliarde DM können wir angesichts der derzeitigen
konjunkturellen Lage, in der wir uns befinden, überhaupt
nicht gebrauchen.
Bei diesem Gesetz ging es ursprünglich um das be-
scheidende Ziel, der seit Anfang 2001 geltenden Unter-
nehmensteuerreform an ein paar Stellen einen Feinschliff
zu verpassen. Davon ist aber nichts übrig geblieben. Wir
erleben nur noch Steuererhöhungen, Nachbesserungen
und Chaos.
Das Prunkstück dieses Gesetzentwurfs, die Reinvesti-
tionsrücklage zugunsten von Personenunternehmen für
Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalge-
sellschaften, wird dem normalen Handwerksbetrieb und
dem Mittelständler wenig helfen, weil er eben keine Fi-
nanzanlagen in seinem Betriebsvermögen hält. Ich möchte
bemerken, Herr Präsident, dass es im Saal sehr kalt ist.
Im Gesetzentwurf war die Wiederherstellung des
Mitunternehmererlasses mit einer Sperrfrist von sieben
Jahren vorgesehen. Der Bundestag hat dieses ohne jede
Frist beschlossen. Die SPD-Länder haben eine Frist von
fünf Jahren gefordert. Herausgekommen ist eine Frist von
drei Jahren ab Abgabe der Steuererklärung. Das ist ein
ganz neuer Tatbestand, den wir bislang im Steuerrecht
überhaupt noch nicht hatten. Die Frist beträgt faktisch vier
bis fünf Jahre. Dieses Beispiel zeigt: Dieser Gesetzge-
bung liegt überhaupt keine Konzeption zugrunde. Sie ist
pures Chaos.
Dieses ist keine Politik der ruhigen Hand, sondern der zit-
ternden Hand von Rot-Grün und Ausdruck einer deutlich
erkennbar verfehlten Steuer- und Wirtschaftspolitik.
Wer soll diese chaotische Steuergesetzgebung noch
verstehen und nachvollziehen können? Heute, am 14. De-
zember, beschließt der Bundestag. In der nächsten Woche,
am 20. Dezember, beschließt der Bundesrat. Dieses Ge-
setz soll aber in Teilen schon rückwirkend ab dem 1. Ja-
nuar 2001, also rückwirkend für dieses Jahr, gelten. Wie
soll sich jemand auf die Steuergesetzgebung verlassen
können, wenn man hinsichtlich der Fristen überhaupt
keine Rücksichten nimmt und teilweise unechte Rück-
wirkungen vorsieht? Das kann nicht richtig sein. Auch aus
diesem Grunde lehnen wir das ab.
Für Rot-Grün, Finanzminister Eichel und auch für Sie,
Frau Heyne, gilt: Die Bürger nehmen die Ergebnisse aller
so genannten Steuerreformen in ihrem Geldbeutel nicht
als Entlastung, sondern ausschließlich als Belastung
wahr. Wir brauchen aber im nächsten Jahr keine Netto-
Steuer- und Abgabenerhöhung in Höhe von 26 Milliar-
den DM plus 1 Milliarde DM aus diesem Gesetz. Wir
brauchen in Deutschland vielmehr eine Steuerentlastung.
Das Flickwerk von Nachbesserungen von Rot-Grün
muss endlich ein Ende haben. Die FDP fordert daher eine
klare Steuerentlastungspolitik für Bürger und Wirtschaft,
weil nur so Wachstum und Arbeitsplätze entstehen kön-
nen. Das ist die Aufgabe, der wir uns stellen müssen. Es
darf an diesen Stellen keine untauglichen Nachbesse-
rungsversuche geben.
Der Beifall in der Öffentlichkeit ist gering. Auch die
FDP stimmt in diesen Beifall nicht ein und lehnt das Ver-
mittlungsergebnis ab. Wer eine andere Steuerpolitik for-
dert, der muss auch zu einer anderen Steuerpolitik stehen.
Für die PDS-Fraktion
erteile ich der Kollegin Barbara Höll das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Es ist schon eine etwas abstruse Si-
tuation: Wir diskutieren ein Vermittlungsergebnis, also
das, was im Gesetz von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
nachgebessert werden musste. Sie selber aber feiern die-
ses Ergebnis als großen Erfolg. Entweder waren Sie vor-
her nicht so klug und konnten daher diese Punkte nicht
von vornherein ins Gesetz hineinschreiben oder es ist
nicht ganz allein Ihr Anliegen.
– Das Finanzministerium ist nicht da.
– Guten Morgen, Frau Hendricks. Es wäre vielleicht bes-
ser, wenn es nicht vertreten wäre, weil dieses Ergebnis des
Vermittlungsausschusses in großer Deutlichkeit zeigt,
dass die Steuerpolitik der rot-grünen Regierung tatsäch-
lich systemlos, sozial ungerecht und chaotisch ist.
Der zentrale Punkt der Unternehmensteuerreform
wurde leider beibehalten und konnte nicht mehr korrigiert
werden: die Steuerfreiheit der Gewinne aus Veräuße-
rungen von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften.
Hier hat Rot-Grün auf Einnahmen in Milliardenhöhe ver-
zichtet, ohne auf irgendeine Art und Weise sicherzustel-
len, dass die Kapitalgesellschaften mit den eingesparten
Steuern – Sie erlassen sie ihnen ja – wirtschaftlich tätig
werden. Das ist wirklich ein riesiger Skandal. Sie ver-
zichten auf Steuereinnahmen und zwingen die Unterneh-
men nicht, dieses Geld zielgerichtet für Investitionen
einzusetzen.
Bei Ihrer versuchten Nachbesserung für Personenun-
ternehmen haben Sie darauf nicht verzichtet. Auch das ist
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Carl-Ludwig Thiele
20705
eine Ungleichbehandlung zwischen Kapitalgesellschaf-
ten und Personenunternehmen.
Die Reinvestitionsrücklage für Gewinne aus der Ver-
äußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften durch
Personengesellschaften wurde dahin gehend neu defi-
niert, dass die Bedingungen bezüglich des Verkaufs und
Kaufs von beweglichen und unbeweglichen Wirtschafts-
gütern etwas anders gefasst wurden. Gleichzeitig haben
Sie vereinbart, dass die Grenze der steuerfreien Gewinne
dann von 150 000 Euro auf 500 000 Euro erhöht werden
soll. 500 000 Euro Gewinn! Ist das noch eine Förderung
von Kleinst-, Klein- und mittelständischen Unternehmen?
Davon können, zumindest in den neuen Bundesländern,
nur noch Großbetriebe in der Hand eines Unternehmers
profitieren. Das hat nichts mit Mittelstandsförderung zu
tun. Das muss ganz klar gesagt werden.
Diese Regelung kostet Sie natürlich Geld. Es war not-
wendig, den Kommunen hier zumindest ein Stück weit
entgegenzukommen. Sie haben es in Ihrer Regierungszeit
nicht geschafft, die grundlegende Finanzmisere der Kom-
munen, ob in Ost oder in West, überhaupt anzugehen. Es
gingen ganz viele gesetzliche Regelungen auf Kosten der
Kommunen. Hier versuchen Sie, zumindest eine geringe
Gegenfinanzierung zu vereinbaren.
Dem können wir zustimmen. Aber die grundlegende
Regelung im Unternehmensteuerfortentwicklungsgesetz,
dass die Gewerbesteuerumlage, also der Anteil der
Steuereinnahmen der Kommunen, die an die Länder und
an den Bund abzuführen sind, von 20 Prozent auf 28 Pro-
zent erhöht wird, ist beibehalten worden, und das, obwohl
die Gewerbesteuereinnahmen in den Kommunen in Ost
und West in diesem Jahr massiv nach unten gehen, in den
alten Bundesländern um 11,7 Prozent, in den neuen Bun-
desländern sogar um 13,5 Prozent. – Aus diesen Gründen
können wir dem Vermittlungsergebnis nicht zustimmen.
Lassen Sie mich Folgendes zum Thema Behaltefris-
ten sagen. Herr Thiele hat zu Recht darauf hingewiesen:
Das ist ein neues Thema, das hier völlig überraschend
geändert wurde. Finanzielle Auswirkungen sind im Fi-
nanztableau nicht ausgewiesen. Aber zumindest die Fi-
nanzpolitiker wissen schon heute – sie gehen sehenden
Auges dort hinein –, dass die Steuerberater sehr wohl un-
ter großem Beratungsdruck stehen, weil genau diese
Regelung, die Herabsetzung der Behaltefristen, unge-
heure Möglichkeiten eröffnen wird, um Steuerspar-
modelle auszuweiten. Wir können erwarten, dass es aus
diesem Grunde in den nächsten Jahren wieder zu Steuer-
ausfällen kommen wird. Rot-Grün wird dann wieder sa-
gen, dass das überhaupt nicht zu verstehen ist, dass das
völlig unerwartet kommt und dass es ihnen herzlich Leid
tut.
Das ist eine unsolide Finanzpolitik, die wir als PDS so
nicht mittragen können.
Wir stehen für eine solide Politik mit gegenfinanzierten und
zielgerichteten Maßnahmen auch für kleine und mittelstän-
dische Unternehmen und wollen nicht immer nur Steuer-
entlastungen für die Großkonzerne. In diese Richtung set-
zen Sie nämlich die unsoziale Verteilungspolitik fort.
Danke.
Wir kommen zur Ab-
stimmung. Der Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10
Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, dass
im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemein-
sam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlussemp-
fehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache
14/7780? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD,
CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stim-
men von FDP und PDS angenommen.
Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 19 a bis
19 d – Beratung mehrerer Vorlagen zur Kernenergiepoli-
tik – auf:
a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur geordneten Beendigung der Kern-
energienutzung zur gewerblichen Erzeugung
von Elektrizität
– Drucksache 14/6890 –
– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur geordneten Beendigung der Kern-
energienutzung zur gewerblichen Erzeugung
von Elektrizität
– Drucksache 14/7261 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit
– Drucksache 14/7825 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Kubatschka
Dr. Paul Laufs
Michaele Hustedt
Birgit Homburger
Dr. Winfried Wolf
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit zu dem An-
trag der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Kurt-
Dieter Grill, Cajus Caesar, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Kernenergieausstieg ohne Konzept für Energie-
politik und Entsorgung
– Drucksachen 14/6886, 14/7825 –
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Barbara Höll
20706
Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Kubatschka
Dr. Paul Laufs
Michaele Hustedt
Birgit Homburger
Dr. Winfried Wolf
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit zu dem An-
trag der Abgeordneten Kurt-Dieter Grill, Gunnar
Uldall, Dr. Klaus W. Lippold , weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Deutschland muss weiterhin in der Reaktor-
sicherheitsentwicklung eine führende Rolle ein-
nehmen – Zusagen an Frankreich müssen ein-
gehalten werden
– Drucksachen 14/1212, 14/3327 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Kubatschka
Kurt-Dieter Grill
Michaele Hustedt
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit zu dem An-
trag der Abgeordneten Kurt-Dieter Grill,
Dr. Peter Paziorek, Cajus Caesar, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Zukunft der nuklearen Entsorgung –
Entsorgungskonzept jetzt vorlegen
– Drucksachen 14/4644, 14/6030 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Kubatschka
Kurt-Dieter Grill
Michaele Hustedt
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter
Zum Gesetzentwurf zur Beendigung der Kernenergie-
nutzung liegen Entschließungsanträge der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen, der Fraktion der
FDP und der Fraktion der PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Horst Kubatschka, SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal eine
kurze Bemerkung zur aktuellen Situation im Bundestag:
Die Technik spielt verrückt und die Abgeordneten frieren.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit war es nicht vorgesehen,
dass bei kaltem Wetter die Fenster die Nacht über geöff-
net werden. Das sollte den Technikgläubigen eine War-
nung sein und zum Nachdenken anregen.
Meine Damen und Herren, heute wird ein Schlussstein
zu einem wichtigen Reformwerk der rot-grünen Koalition
gesetzt. Nach 42 Jahren der Förderung der Kernenergie
beginnen wir mit dem mittelfristigen Ausstieg aus dieser
Energieart. Die Nutzung der Kernenergie hat die Gesell-
schaft in den letzten Jahrzehnten gespalten. Die Terror-
anschläge des 11. September dieses Jahres haben belegt,
wie hochempfindlich Industriegesellschaften sind. Es gibt
ein ganzes Bündel von Gründen dafür, den Ausstieg aus
der Kernenergie durchzuführen. Ich möchte einige noch
einmal in Erinnerung bringen.
Ein Restrisiko wird immer bestehen. Dieses Rest-
risiko ist zwar minimal, aber ein etwaiger Unfall hat eine
maximale Auswirkung. Es gibt weltweit kein Endlager.
Bei der Nutzung der Kernenergie entsteht waffenfähiges
Material. Atombomben sind seit 56 Jahren der Inbegriff
menschlicher Albträume. Nach dem Ende des Kalten
Krieges waren solche Albträume mehr und mehr aus un-
serem Bewusstsein verschwunden. Nach dem 11. Sep-
tember hat Präsident Bush mehr Anstrengungen gegen die
weltweite Proliferation gefordert.
Die benötigten Rohstoffe sind endlich; die Reichweite,
auch bei Uran, ist absehbar. Wir haben es mit einer Tech-
nik zu tun, bei der Fehler unermessliche Folgen haben.
Aus diesen Gründen ist die große Hoffnung auf techni-
sche Entwicklungen, auf Fortschritte in der Technik, eine
Hoffnung, die uns nicht weiterführt. Der absolut sichere
oder inhärente Reaktor ist nach wie vor ein Traum der
Techniker, der sich nicht erfüllen wird. Die Transmutation
besteht auf dem Papier. Es ist fraglich, ob sie ein erfolg-
reicher Weg ist. Frankreich räumt ihr keine Chance ein.
Die zehnte Novelle zum Atomgesetz bringt folgende
Änderungen: Der Förderungszweck, der seit 1959, also
seit 42 Jahren, bestanden hat, wird aufgehoben. Stattdes-
sen setzen wir auf eine sichere Beendigung der Nutzung
der Kernenergie. Die Berechtigung des Leistungsbetriebs
bei Kernkraftwerken erlischt, wenn eine festgesetzte
Elektrizitätsmenge produziert wurde. Diese produzierte
Elektrizitätsmenge entspricht einer durchschnittlichen
Laufzeit der Kernkraftwerke von 32 Jahren.
Der Bundestag geht davon aus, dass die Kernkraft-
werke diese Strommenge zügig produzieren und die
Strommenge abarbeiten. Eine Kaltreserve AKW wird es
laut Betreiber nicht geben.
Wir werden keine weiteren Neubauten von Kernkraft-
werken zulassen,
auch keine Neubauten für Prozesswärme und Wärme, wie
sie plötzlich auftauchen. Sie liegen jenseits jeder wirt-
schaftlichen Vernunft.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Präsident Wolfgang Thierse
20707
Ab dem 1. Juli 2005 werden wir außerdem die Abgabe
von abgebrannten Brennelementen zur Wiederaufberei-
tung beenden. Auch dies ist ein wichtiger Schritt.
Statt aufzuarbeiten und damit große Mengen von waffen-
fähigem Material zu erzeugen, werden wir die direkte
Endlagerung durchführen. Die direkte Endlagerung ist
auch preiswerter als die Wiederaufbereitung.
Um unnötige Transporte, die bekanntlich gesellschaft-
lich sehr umstritten sind, zu minimieren, werden wir an
den Standorten Zwischenlager schaffen. Diese Zwi-
schenlager sind vor Ort heiß umstritten. Es gibt manche
Sankt-Florians-Jünger, die zwar den Betrieb der Kern-
kraftwerke gutheißen, aber gegen die Zwischenlager sind.
Dazu kommt, dass von unseriösen Politikern – auch und
vor allem aus Bayern –
und Verbandsvertretern die Angst geschürt wird, es ent-
stünden quasi Endlager. Dies ist nicht der Fall. Die Zwi-
schenlager sind von den Betreibern nur für einen Zeit-
raum von 40 Jahren beantragt.
Das Bundesamt für Strahlenschutz wird die Zwischen-
lager auch nur für 40 Jahre genehmigen.
Aus diesem Grund mussten wir keine Regelung über die
Zwischenlagerdauer ins Gesetz schreiben. Die Genehmi-
gungsbehörde muss gegebenenfalls in die Lage versetzt
werden, die Zwischenlagergröße an der produzierten
Strommenge zu orientieren.
Des Weiteren ist in der zehnten Novelle vorgesehen,
dass periodische Sicherheitsüberprüfungen stattfinden.
Damit wird der Sicherheitsstand der Anlagen erhöht. Es
ist schon erstaunlich, dass der Gesetzgeber damals in sei-
ner Euphorie für die Kernkraft diese periodischen Sicher-
heitsüberprüfungen nicht vorgesehen hat.
Wir werden außerdem die Deckungsreserve erhöhen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei dieser hoch-
riskanten Technik darf es keinerlei Abstriche an der
Sicherheit geben.
Die Sicherheit der Bevölkerung muss das oberste Gebot
beim Betrieb der Anlagen sein. Der Kollege Ruck hat bei
der letzten Diskussion über die Kernkraft in diesem Ho-
hen Haus den Atomausstieg als Torpedo gegen die Si-
cherheit der Kernkraftwerke bezeichnet. Wer so spricht,
hat kein Vertrauen in die Atomaufsicht der Länder und des
Bundes und müsste eigentlich für das sofortige Abschal-
ten der Kernkraftwerke eintreten. Für die Sicherheit bis
zum Abschalten der letzten Atomkraftwerke sind zuerst
die Betreiber und dann die Aufsicht verantwortlich. Das
aufsichtsrechtliche Instrumentarium reicht so wie bisher
aus.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kritiker des Kern-
kraftausstieges monieren auch die in ihren Augen lange
Laufzeit von 32 Jahren. Wer so argumentiert, hat nicht
zur Kenntnis genommen, dass bei uns die Atomkraft-
werke eine unbefristete Betriebsgenehmigung haben.
Kollege Kubatschka,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?
Ja, natürlich.
Herr Kollege Kubatschka,
Sie haben eben darauf verwiesen, dass verschiedene Ver-
bände, aber auch andere Mitbürger Angst wegen der Zwi-
schenlagerung schürten. Erinnere ich mich richtig, dass
Sie vor einigen Jahren der Hauptschürer waren,
dass Sie entschieden dagegen gekämpft und die entspre-
chende Politik immer angeprangert haben? Was hat Ihren
plötzlichen Sinneswandel herbeigeführt, sodass Sie sich
nun anders äußern als damals?
Herr Kollege, Sie erinnern
sich an Äußerungen, die ich vor Jahren gemacht habe.
Ich habe mich in Landshut, zehn Kilometer von zwei
Kernkraftwerken entfernt – ich kann aus meinem Haus,
aus meinem Zimmer die Kühlfahne sehen –,
natürlich dafür ausgesprochen, dass wir keine dezentra-
len Zwischenlager errichten. Ich habe aber gleichzeitig
gesagt: Ich bin in diesem Fall ein Sankt-Florians-Politi-
ker. Dazu habe ich mich bekannt. Ich habe gesagt: Ich ver-
trete die Interessen dieses Raumes; deswegen wäre es mir
lieber, wenn es woanders gebaut würde.
Es gibt aber auch andere Argumente, Herr Kollege. Wir
wollen die Transporte minimieren. Sie sind gesellschaft-
lich umstritten. Mit der dezentralen Zwischenlagerung
können wir die Transporte minimieren. Das ist ein guter
Weg.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Horst Kubatschka
20708
Denn es wäre sinnlos, zum Beispiel nach Gorleben zu
transportieren, wenn das Zwischenlager Gorleben gar
nicht in Betrieb kommt,
weil es die Standzeit von 1 Million Jahren nicht bietet.
Dann müsste der Atommüll von dort wieder abtranspor-
tiert werden. Mit den dezentralen Zwischenlagern können
wir Transporte minimieren.
Bei der ganzen Sache wird auch vergessen, dass die
Bundesregierung – damals noch unter gelb-roter Verant-
wortung – und ein Ministerpräsident Franz Josef Strauß
bereits 1980 gesagt haben, dass weitere Zwischenlager
notwendig sind, weil die jetzigen nicht ausreichen. Zwi-
schenlager mussten also gebaut werden.
– Nur nicht bei mir, natürlich.
Das ist doch, Herr Kollege Schauerte, das Problem: dass
wir vor Ort eine Ablehnung haben. Die Leute, die von
vornherein gegen die Kernenergie sind, sagen: Wir sind
für die Abschaltung der Anlagen, wir sind gegen die Zwi-
schenlager. Das ist für mich logisch. Aber die CSU-Poli-
tik, sich gegen Zwischenlager zu wenden und gleichzeitig
unbegrenzt Kernkraftwerke betreiben zu wollen, ist nach
meiner Meinung der Skandal.
Ich bin immer für ein möglichst schnelles Ende der
Kernkraft gewesen. Bei einer solchen Lösung – das gebe
ich zu, und das vertrete ich draußen – muss ich teilweise
gegen die Interessen meines Raumes handeln.
Ich stehe das auch durch und halte es letzten Endes in der
Gesamtsicht für richtig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der geplante unbe-
fristete Betrieb von Kernkraftwerken war damals nur in
einer Zeit der Kernenergie-Euphorie möglich. Deutsch-
land wird wahrscheinlich das Land sein, das sich als ers-
tes komplett aus der Kernenergie verabschiedet und damit
ein Beispiel setzt. Aber wir sind ja nicht allein in Europa.
Die Mehrheit der EU-Länder ist auch bereits ausgestiegen
oder wird aussteigen.
Es wird auch immer wieder argumentiert, dass
Deutschland eine zukunftsträchtige Technik verbieten
wolle. Die Kernenergie ist aber nicht zukunftsfähig. Das
habe ich eingangs ausgeführt. Die Industrie selbst hat sich
aus der Kernenergie verabschiedet.
– Nein, das ist kein Schmarren! Sie kennen die Zahlen
nicht, Herr Ruck. Seit 1980, also seit 21 Jahren, ist in
Deutschland kein Kernkraftwerk mehr bestellt worden.
Keine Firma stellt mehr Kernkraftwerke in Deutschland
her. Dafür sind in Deutschland die Windenergie und die
Photovoltaik eine Hoffnung geworden – dank der Politik
der Bundesregierung –,
und es wurden zahllose Arbeitsplätze geschaffen.
Das Auslaufen der Kernenergie in einer mittelfristigen
Zeitspanne bietet aber auch gleichzeitig die Möglichkeit
und die große Chance, die Energiewende bei uns zu voll-
ziehen. Mit dem Dreiklang „Energiesparen, rationeller
Energieeinsatz und erneuerbare Energien“ müssen wir die
Energieversorgung bei uns auf neue Füße stellen und neue
Strukturen schaffen. Wir haben die drei rot-grünen Regie-
rungsjahre bereits genutzt, um vor dem Ausstieg aus der
Kernenergie den Einstieg in die Energiewende auf den
Weg zu bringen. Dieser Weg wird politisch nicht einfach
sein. Querschüsse werden erfolgen. Wir werden damit
aber Arbeitsplätze schaffen und unsere Energieversor-
gung nachhaltig machen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der zehnten No-
velle des Atomgesetzes legen wir auch einen Entschlie-
ßungsantrag der Regierungskoalition vor. Aus diesem
Entschließungsantrag möchte ich nur einen Punkt heraus-
greifen: Wir fordern den Bundesminister auf, in der nächs-
ten Legislaturperiode einen nationalen Entsorgungsplan
vorzulegen. Dieser Entsorgungsplan muss fortgeschrieben
werden. Alle vier Jahre muss die Regierung vor dem Parla-
ment Rechenschaft ablegen, wie weit wir in der Frage ei-
nes nationalen Endlagers gekommen sind. Wir brauchen
ein dauerhaft sicheres Endlager in tiefen geologischen
Schichten in Deutschland. Diesen nach Jahrzehnten der
Kernenergienutzung immer noch fehlenden Schlussstein
müssen alle Beteiligten mit Nachdruck und in gemeinsa-
mer Verantwortung so bald wie möglich setzen.
Mit diesem Gesetz haben wir den Ausstieg aus der
Kernenergie eingeleitet. Es ist absehbar, wann in
Deutschland das erste Kernkraftwerk seinen Leistungsbe-
trieb einstellen wird. Voraussichtlich wird das im Jahre
2003 das Kernkraftwerk in Stade sein. Es ist aber auch
vorhersehbar, wann in Deutschland das letzte Kernkraft-
werk seinen Betrieb einstellt.
Ein großes Reformwerk von Rot-Grün ist eingeleitet.
Die SPD-Fraktion wird den Ausstieg aus der Kernenergie
weiterhin kritisch begleiten und unterstützen.
Ich danke für das Interesse.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Horst Kubatschka
20709
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Klaus Lippold, CDU/CSU-Fraktion.
Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die
Entscheidung über den Atomausstieg stellt ein wesentli-
ches Stück Energiepolitik dar und ist von großer Bedeu-
tung. Das macht deutlich, dass wir uns mit der Energie-
politik dieser Regierung generell auseinander setzen
müssen, insbesondere vor dem Hintergrund, was sie für
die derzeitige wirtschaftliche Situation und für die wei-
tere Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland be-
deutet. Man muss ganz nüchtern sehen, dass es im Mo-
ment die Tendenz zur Rezession gibt und dass die
Arbeitslosigkeit steigt; in absehbarer Zeit wird es 4,5 Mil-
lionen Arbeitslose geben. Das steht im Widerspruch zum
Kanzlerwort.
Wie wirkt nun – vor dem Hintergrund dieses Kanzler-
wortes – die Energiepolitik dieser Koalition auf die wirt-
schaftliche Entwicklung?
Ich will ganz deutlich sagen: Das, was Sie eingeleitet
haben, führt zu einer ganzen Reihe von zusätzlichen
Belastungen, die ich nur ganz kurz ansprechen möchte:
Im Bereich der Kraft-Wärme-Kopplung wird es zusätzli-
che Belastungen für die Verbraucher und die Wirtschaft
von 8 Milliarden DM geben und im Bereich der Solar-
energie steigen die Belastungen für die Verbraucher und
die Wirtschaft um 9 Milliarden DM.
– Entschuldigung, dann müssen Sie den Energiebericht
Ihres Wirtschaftsministers lesen; denn er hat zusätzlich
hineingeschrieben, dass es in diesem Bereich, wenn die
Entwicklung so weitergeht und die Belastungen im inter-
nationalen Vergleich zusätzlich darauf gesattelt werden,
zu einem Um- bzw. Abkippen kommen kann. Das muss
man sehen; denn das ist die Tendenz. – Die Belastungen
hören nicht auf, die nächste Stufe der Ökosteuer zeichnet
sich ab. Dadurch ergeben sich Belastungen von weiteren
5 Milliarden DM. Rechnet man das hinzu, was Sie uns
bisher schon zugemutet haben, kommen auf die deutsche
Wirtschaft Belastungen von insgesamt 35 Milliarden DM
zu.
Ich gehe jetzt auf das ein, was im Energiebericht Ih-
res Wirtschaftsministers, den das Kanzleramt aus Grün-
den, denen nachzugehen wäre, erst einmal für Monate
storniert hat, nachzulesen ist: Er warnt davor, dass das von
Ihnen verfolgte Energieszenario in den nächsten 20 Jah-
ren eine zusätzliche Belastung von 500Milliarden DM für
die deutsche Wirtschaft mit sich bringen wird. Das steht
im Energiebericht des Bundeswirtschaftsministers
Müller!
Sie haben sich damit kritisch auseinander gesetzt, es
aber nicht widerlegt. Müller hat gesagt, dass man sehr
wohl sehen müsse, was das für die Wettbewerbsfähig-
keit der deutschen Wirtschaft bedeute. Dies sei in der Ko-
alition so weder diskutiert, analysiert noch abschließend
beraten worden. Das heißt, Sie machen Schnellschüsse,
ohne sich genau zu überlegen, welche Konsequenzen da-
raus resultieren.
Da sich der Wirtschaftsminister nur mit den Konse-
quenzen für die Wirtschaft und nicht mit denen für die
Verbraucher auseinander gesetzt hat, sage ich Ihnen:
Diese 500Milliarden DM werden sich in zusätzlichen Be-
lastungen für den Verbraucher in Höhe von jährlich
3 000DM niederschlagen. Sie muten dem Verbraucher zu,
dass er zwar gelegentlich kleinste Entlastungen erhält,
aber durch die Ökosteuer und in allen anderen Bereichen
belastet wird. Sie gefährden Arbeitsplätze und unterstüt-
zen die Tendenz im Arbeitsmarktbereich, die weiterhin
auf eine wachsende Arbeitslosigkeit hindeutet. Das heißt,
die Fehlentwicklungen, die wir beobachten, werden ver-
schärft.
Was bedeutet das – neben der wirtschaftlichen Ent-
wicklung – für den Klimaschutz? Mit dem Ausstieg aus
der Kernenergie müssen Sie eine CO2-Reduktion in Höhevon rund 100Millionen Tonnen ersetzen. Sie glauben, Sie
könnten das allein durch eine Energiewende und eine Ef-
fizienzrevolution. Auch hier setzt der Wirtschaftsminister
in seinem Bericht ein Fragezeichen.
Er zweifelt an, dass – erstens vor dem Hintergrund Ihrer
Politik im Steinkohlen- und Braunkohlenbereich und
zweitens vor dem Hintergrund Ihrer Politik im Kernener-
giebereich – die von Ihnen vorgesehenen Ziele überhaupt
zu halten sind. Das heißt, nicht ich, sondern der Wirt-
schaftsminister zweifelt an. Das Klimaschutzziel wird
durch Ihre Politik infrage gestellt; es ist so nicht haltbar.
Was bedeutet unser Ausstieg aus der Kernenergie ge-
nerell für die Sicherheit von Kernenergie? Auch wenn
wir aussteigen, wird es die Kernenergie um uns herum
weiterhin geben. Das bedeutet: Die Kraftwerke mit der
höchsten Sicherheit werden nach Ihren Vorstellungen ab-
geschaltet, während die Kraftwerke um uns herum – sie
weisen eine wesentlich geringere Sicherheit auf – am
Netz bleiben. Was für ein Beitrag zur internationalen Si-
cherheitsphilosophie ist das? Die Kernkraftwerke, die
schlechter sind als unsere, bleiben, die sicheren werden
abgeschaltet.
Ein Treppenwitz der Weltgeschichte ist, dass Sie darü-
ber hinaus auch noch den Export von Kernenergieanlagen
in Dritte-Welt-Länder gestatten, damit dort Kernkraft-
werke weiterhin gebaut werden können. Was soll das? In
Deutschland sagen Sie Nein, in den Dritte-Welt-Ländern
Ja. Das ist keine Philosophie, die trägt, und keine Grund-
lage für eine vernünftige wirtschaftliche Entwicklung.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120710
Wir müssen sehen, dass das Ziel der Versorgungs-
sicherheit dadurch ebenso beeinträchtigt wird. Wir gehen
davon aus, dass wir mit der Kernenergie Möglichkeiten
haben, Energierohstoffe gut, preiswert und relativ einfach
zu lagern. Wenn wir darauf verzichten, ist ein weiterer Teil
des Energiemixes gefährdet. Die Versorgungssicherheit
ist gefährdet; die Importabhängigkeit nimmt zu.
Was sagt Ihr Wirtschaftsminister zu dem Gesamtbe-
reich in seinem Energiebericht?
Das ist immer so.
Er verlautbart nach draußen wunderschöne Dinge. Wirt-
schaftler glauben ihm, dass er etwas umsetzen wird. Wenn
es darum geht, durchzukämpfen, was er umsetzen wollte,
fällt er um oder ist nicht da.
Ich will aber in diesem Zusammenhang ganz deutlich
sagen: Der Wirtschaftsminister hat zu Recht darauf hin-
gewiesen, dass wir den Stromerzeugungsstandort Bun-
desrepublik Deutschland durch Ihre Vorgehensweise ten-
denziell gefährden. Das bedeutet, dass wir nicht nur
höhere Energiepreise haben und damit unsere Wettbe-
werbsfähigkeit beeinträchtigen werden, sondern wir ge-
fährden nach Aussage Ihres, nicht unseres Wirtschaftsmi-
nisters den Produktionsstandort für Strom in der
Bundesrepublik Deutschland. Das heißt: Gefährdung und
Wegfall weiterer Arbeitsplätze. Das lassen wir in dieser
Form so nicht durchgehen.
Ich sage ganz klar und eindeutig: Herr Trittin, Sie
freuen sich zu früh. Wir werden das, was Sie als dauer-
haften Kernenergieausstieg bezeichnen, wieder rückgän-
gig machen.
Wir werden dadurch einen Beitrag leisten, zu einer we-
sentlich besseren Situation zu kommen.
Es ist deutlich zu sehen: Die Effizienzrevolution, die
Sie angesprochen haben, ist als Alternative so nicht rea-
lisierbar. Das, was in den vergangenen Jahren an Effi-
zienzsteigerung geleistet wurde – so der Energiebericht
des Bundeswirtschaftsministers –, ist unter der CDU/
CSU-Regierung geleistet worden. Unter der CDU/CSU-
Regierung gab es die höchste Energieeffizienzrate in Eu-
ropa und der OECD. Dem haben Sie bislang noch nichts
hinzufügen können. Sie halten an bestimmten Positionen
fest, die wir aufgebaut haben. Früher haben Sie gesagt,
unsere Klimaschutzziele seien zu gering. Heute überneh-
men Sie sie und vertreten dies in Verbindung mit dem
Kernenergieausstieg als fortschrittliche Politik. So lässt
sich dies nicht machen und darstellen.
Lassen Sie mich noch eines zu der Frage sagen: Wie
sieht die Wirtschaft die Position, die Sie vertreten? Da
wird ganz eindeutig argumentiert: Es ist die Auffassung
führender Wirtschaftskreise, dass der Ausstieg aus der
Kernenergie und die im Reduktionsszenario angenom-
mene Verdrängung heimischer Steinkohle und Braun-
kohle die Versorgungsrisiken erhöhen, die Wettbewerbs-
fähigkeit belasten und gleichzeitig Arbeitsplätze
gefährdet. Deshalb wird von der Wirtschaft eine Wende
Ihrer Energiepolitik eingefordert, die für falsch gehalten
wird. Ich meine, Sie sollten auf diesen neutralen Sachver-
stand hören und überdenken, was Sie jetzt vorhaben.
Der vorgesehene Ausstieg ist energiepolitisch und si-
cherheitspolitisch verfehlt und umweltpolitisch kontra-
produktiv. Das heißt, von dem magischen Dreieck, das der
Wirtschaftsminister in seinem Energiebericht angespro-
chen und als strategisches Zieldreieck benannt hat, sind
alle drei Positionen stark verletzt oder gefährdet. Lassen
Sie diese Vorgehensweise sein! Da Sie davon in Ihrer stör-
rischen Art aber nicht abzubringen sind, bleiben wir da-
bei: Wir werden das rückgängig machen, was Sie versu-
chen, in Szene zu setzen.
Herzlichen Dank.
Ich erteile der Kolle-
gin Michaele Hustedt, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Grü-
nen war der Ausstieg aus der Atomkraft ein Grün-
dungsthema. Wir sind unter anderem aus der Anti-AKW-
Bewegung entstanden. Viele von uns waren in Brokdorf,
in Grohnde, in Wackersdorf, in Wyhl oder im Wendland
und haben dort demonstriert.
– Auch einige von der SPD waren dabei. Später waren es
dann ein paar mehr.
Aber für die Grünen ist es ein besonderes Thema. Die
PDS geht mit dem Atomausstieg taktisch um. Die SPD hat
später gelernt. Für uns war das ein Gründungsthema. Des-
wegen ist das ein ganz großer Tag für uns.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Klaus W. Lippold
20711
Wir haben ein großes Reformprojekt auf den Weg ge-
bracht. Wir fangen an, den großen Fehler der Vergangen-
heit, in die Atomkraft überhaupt eingestiegen zu sein, zu
korrigieren.
Da Herr Solms den Unterschied zwischen Restlaufzei-
ten und Gesamtlaufzeiten noch nicht verstanden hat, sage
ich deutlich: In der nächsten Legislaturperiode werden die
ersten Atomkraftwerke aufgrund des Konsensbeschlusses
und aufgrund dieses Gesetzes vom Netz gehen. Nach
circa 12 Jahren wird ungefähr die Hälfte aller heute be-
triebenen Atomkraftwerke nicht mehr am Netz sein und
nach circa 20 Jahren wird in Deutschland kein Atom-
kraftwerk mehr betrieben werden. Damit ist Deutschland
das Land, das im weltweiten Vergleich am schnellsten aus
der Atomkraft aussteigt. Ich finde, das ist ein Grund, stolz
zu sein.
Herr Lippold, Sie haben angekündigt, den Atomaus-
stieg rückgängig machen zu wollen. In diesem Zusam-
menhang muss ich Ihnen sagen: Die Totenglöckchen für
die Atomenergie haben schon lange vorher geläutet. 1982
– also vor 20 Jahren – hat man das letzte AKW gebaut.
Seitdem gibt es keinen Antrag mehr zum Bau eines neuen
AKWs; auch in der Regierungszeit von CDU/CSU und
FDP wurde kein Antrag gestellt.
– Herr Hirche, das gilt ja nicht nur für Deutschland. Das
gilt für ganz Europa.
Wir haben damit schon lange einen Fadenriss, und
zwar aufgrund der Überlegung der Industrie, dass sich die
Atomtechnologie wirtschaftlich nicht rechnet und in
Deutschland nicht akzeptiert wird.
Kollegin Hustedt, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lippold?
Ja.
Frau
Kollegin Hustedt, ist es richtig, das der Bundeswirt-
schaftsminister in verschiedenen Diskussionsrunden und
in verschiedenen Verlautbarungen deutlich gemacht hat,
dass die Option Kernenergie auch in Zukunft gewähr-
leistet sein muss, und dass das im Grunde genommen
nichts anderes bedeutet, als dass auch er sagt, in Zukunft
könne Kernenergie in unterschiedlicher Form vermutlich
wieder ausgesprochen sinnvoll eingesetzt werden? Kriti-
sieren Sie also Ihren Bundeswirtschaftsminister, dem Sie
bei der Vorlage seines Energieberichts vorgeworfen ha-
ben, er würde sich nur für eine Vorstandsposition bei Eon
interessieren?
Ich glaube, es besteht ein Unterschied. Wir verbieten nicht
die Forschung; die Industrie kann weiter forschen.
Selbstverständlich kann die Entscheidung bei anderen
Mehrheitsverhältnissen auch rückgängig gemacht wer-
den. Herr Müller – das ist der Unterschied zu Ihnen – will
die Entscheidung aber nicht rückgängig machen. Sie ha-
ben angekündigt, Sie wollten den Beschluss rückgängig
machen. Sie stehen aber völlig allein da. Auch die Indus-
trie möchte die Entscheidung nicht rückgängig machen.
Wir haben seit über 20 Jahren kein AKWmehr gebaut.
Es war zu Zeiten einer schwarz-gelben Koalition, als Herr
Pilz von Veba zu Herrn Kohl gegangen ist und mit der Be-
gründung, es gebe für die Kernenergie in Deutschland an-
scheinend keine Akzeptanz, um Energiekonsensge-
spräche gebeten hat und dargelegt hat, die Industrie sei für
ein geordnetes Auslaufen der Nutzung von Kernenergie.
Daraus schließe ich, dass die Industrie die von dieser
Regierung getroffene Entscheidung nicht rückgängig ma-
chen will und dass nur Sie ideologisch an der Atomkraft
festhalten wollen. Alle anderen in dieser Republik haben
eingesehen, dass die Nutzung der Atomkraft ein Irrtum
war, der nun geordnet behoben werden soll.
Sie führen als weiteres Argument jetzt immer an, bei
den Restlaufzeiten sei die Sicherheit nicht mehr gewähr-
leistet. Ich wäre mit einem solchen Argument sehr vor-
sichtig. Von den Betreibern höre ich solche Argumente
nicht. Verantwortlich für die Sicherheit von Atomkraft-
werken ist nicht die Bundesregierung, sondern der jewei-
lige Betreiber. Wenn die Sicherheit nicht gewährleistet ist,
darf der jeweilige Betreiber die gefährliche Technologie
nicht mehr nutzen. Deswegen wäre ich mit einem solchen
Argument sehr vorsichtig.
Ich gehe davon aus, dass wir in unserem Gesetz einen
dynamischen Sicherheitsstandard haben, der sich nach
dem Stand der Technik entwickeln wird. Wenn ein solcher
Standard nicht gewährleistet werden könnte, wäre es un-
verantwortlich – das sehen die Betreiber genauso wie ich –,
diese Anlagen weiter zu betreiben.
Es wird natürlich auch eine Diskussion über die Frage
geben müssen: Welche Konsequenzen ziehen wir aus dem
11. September? Ich finde es sehr gut, dass das Umwelt-
ministerium sehr schnell reagiert hat und entsprechende
Überprüfungen in Auftrag gegeben hat, die wir Anfang
nächsten Jahres auswerten werden. Aber schon jetzt ist
klar: Einen absoluten Schutz vor solchen Terroranschlä-
gen wie dem vom 11. September kann und wird es nicht
geben. Solche Anschläge können leider nicht ausge-
schlossen werden. Wer bereit ist, Flugzeuge zu entführen
und 5 000 Menschen zu töten, der kann durchaus auch be-
reit sein, ein AKWvon innen oder von außen anzugreifen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Michaele Hustedt
20712
Das muss einem große Sorgen machen. Das hat nichts mit
Panikmache zu tun.
Absolute Sicherheit lässt sich zwar nicht garantieren.
Aber angesichts der Tatsache, dass es auch in anderen Be-
reichen keine absolute Sicherheit gibt – zum Beispiel gibt
es auch keine gegen Flugzeugentführungen –, können wir
über relative Sicherheit nachdenken. Es deutet sich schon
jetzt an, dass es Unterschiede zwischen den AKWs im
Hinblick auf die Lage und vor allem auf die Sicherheits-
standards gibt. Manche Anlagen sind überhaupt nicht ge-
gen Flugzeugabstürze gesichert. Andere Anlagen sind da-
gegen schon besser gesichert. Ich glaube, hier müssen wir
ansetzen: Die älteren Anlagen müssen genauer untersucht
werden. Es ist zu überlegen, ob wir nicht durch ein fle-
xibles Vorgehen – denkbar wären je nach Anlagentyp kür-
zere oder längere Laufzeiten – die älteren Atomkraft-
werke schon früher vom Netz bekommen, um die relative
Sicherheit zu erhöhen.
Abschließend möchte ich noch ein paar Worte zum Zu-
sammenhang zwischen Atomausstieg und Klimaschutz
sagen. Man darf sich nichts vormachen: Eine Reduktion
des Umfangs der CO2-Emissionen um 25 Prozent ist dochnicht das Ende. Bedenken Sie: Klimaschutzziele sind
doch keine grüne Marotte, sondern eine naturwissen-
schaftlich begründete Notwendigkeit, wenn wir unseren
blauen Planeten bewahren wollen.
Wenn wir darüber hinausgehende ambitionierte Ziele
verwirklichen wollen – die UN fordert, dass die Industrie-
nationen bis 2050 den Umfang ihrer CO2-Emissionen um80 Prozent reduzieren –, dann ist klar, dass man das nicht
auf ausgelatschten Pfaden, mit alten Technologien, errei-
chen kann. Wir brauchen vielmehr eine völlig neue Struk-
tur, eine völlig neue Herangehensweise und völlig neue
Technologien für unsere Energiewirtschaft. Das bedeutet,
dass wir eine dezentrale Energiewirtschaft brauchen,
deren erstes Ziel es sein muss, vor Ort so viel Energie wie
möglich einzusparen. Ich nenne nur die Stichwörter
„Nullenergiehaus“ und „Nullemissionenfabrik“.
Des Weiteren muss vor Ort möglichst viel Energie
durch Nutzung regenerativer Energieträger wie Bio-
masse, Wind und durch Geothermie produziert werden.
– Auch der Industrie kann das selbstverständlich helfen,
weil durch dezentrale Einheiten, die mit Brennstoffzellen
und Mikroturbinen arbeiten und die in virtuellen Kraft-
werken zusammengeschaltet werden, auch der Grund-
und Spitzenlastbereich abgedeckt werden kann.
RWE zum Beispiel ist mit ersten großen Pilotprojekten in
diese neuen Technologien eingestiegen. Nur Sie, die Sie
auf alte Kohle- und Atomtechnologien fixiert sind, wollen
die innovativen Technologien nicht zur Kenntnis nehmen.
Die Struktur der Zukunft besteht darin, vor Ort Energie
einzusparen – ein Einsparpotenzial von 30 bis 40 Prozent
ist möglich – und in dezentralen Einheiten umweltfreund-
lich zu produzieren. Diese Struktur ist wirtschaftlich
innovativ, modern und umweltfreundlich.
– Das sagen Sie der Richtigen! In diesem Haus würde
außer Ihnen niemand meine Kompetenz in der Energie-
politik bezweifeln.
Ich sage Ihnen Folgendes: Wer auf altbekannte Pfade
setzt, wer zum Beispiel sagt, dass wir auf die Kohle set-
zen müssten, der wird einen wesentlich teureren Weg ein-
schlagen. Noch immer werden im Bund und in den Län-
dern zusammen 8 Milliarden DM pro Jahr für
Steinkohlesubventionen ausgegeben. So teuer ist keine
Klimaschutzstrategie. Laut VIK, dem Verband der
Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft, verursachen
das EEG und die Förderung der KWK zusammen ledig-
lich Mehrkosten in Höhe von 0,2 Pfennig pro Kilowatt-
stunde. Damit haben wir im Bereich der erneuerbaren
Energien schon 120 000 neue Arbeitsplätze geschaffen,
also in einer Zukunftsbranche, die große Exportchancen
hat.
Durch unsere Politik beweisen wir, dass Klimaschutz
durchaus eine Strategie für wirtschaftlichen Erfolg sein
kann. Damit regen wir Innovationen an, schaffen Arbeits-
plätze und schützen gleichzeitig unsere Umwelt.
Kollegin Hustedt, las-
sen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grill zu?
Ja, legen Sie los, Herr Grill.
Herr Grill, bitte.
Frau Kollegin
Hustedt, richtet sich die Kritik, die Sie zur Kohlepolitik
und zum Bau von Großkraftwerken geäußert haben, auch
an den Bundeskanzler, der sich für den Bau von Groß-
kraftwerken auf Steinkohle- und Braunkohlebasis erst
kürzlich wieder ausgesprochen hat?
Fakt ist, dass die SPD zur Kohlepolitik ein Stück weit eine
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Michaele Hustedt
20713
andere Position als wir Grüne vertritt. Das ist doch keine
Neuigkeit.
Jeder – auch wir – weiß, dass das so ist. Betrachten Sie die
Politik der rot-grünen Bundesregierung! Was haben wir
gemacht? Wir haben ein Gesetz zur Förderung der erneu-
erbaren Energien auf den Weg gebracht, das weltweit die
beste Förderung erneuerbarer Energien darstellt und eine
ungeheure Dynamik hervorgerufen hat.
Wir haben eine Energieeinsparverordnung auf den Weg
gebracht, die vorschreibt, dass bei Neubauten ein Drittel
weniger Energie eingesetzt werden soll. Wir haben – trotz
der engen Haushaltslage – ein Altbausanierungspro-
gramm, mit dem wir 300 000 Altbauten sanieren werden,
auf den Weg gebracht.
Wir haben ein Gesetz zur Förderung der
Kraft-Wärme-Kopplung auf den Weg gebracht, um effizi-
ente Technologien im Bereich der fossilen Energien, in-
klusive der Brennstoffzelle, zu fördern.
Das ist die gemeinsame rot-grüne Energiepolitik. Ich
finde, damit kann man sich sehen lassen.
Ich erteile das Wort
der Kollegin Birgit Homburger, FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Mit dem Gesetz zur geordneten
Beendigung der Kernenergienutzung diskutieren wir heute
den so genannten Atomausstieg und schließen diese De-
batte damit vorläufig ab. Trotzdem bleiben viele Fragen
offen, die die Bundesregierung nach wie vor nicht beant-
wortet hat. Im Zentrum steht die Frage, wie die rot-grüne
Bundesregierung die Energieversorgung eines Industrie-
landes wie der Bundesrepublik Deutschland bei gleichzei-
tiger Erreichung des Klimaschutzziels sicherstellen will.
Das ist nicht nur eine nationale, sondern auch eine in-
ternationale Frage, weil die Bundesrepublik Deutschland
internationale Verpflichtungen beim Klimaschutz über-
nommen hat. Deshalb haben wir vonseiten der FDPmehr-
fach darauf hingewiesen, dass man, wenn man den Aus-
stoß an Treibhausgasen wirklich verringern will, ein
schlüssiges Energiekonzept braucht. Genau daran fehlt es.
An kaum einer Stelle zeigen sich die Kurzsichtigkeit und
die Konzeptionslosigkeit rot-grüner Politik so deutlich
wie bei der Energieversorgung und beim Klimaschutz.
Das wurde bestätigt, als der Wirtschaftsminister – es ist
bemerkenswert, dass das Wirtschaftsministerium es nicht
für nötig erachtet, einen Vertreter zu schicken;
das zeigt, welche Bedeutung man dem beimisst – vor we-
nigen Tagen den Energiebericht vorgestellt hat. Dieser
Bericht hat erneut bestätigt, dass ein Ausstieg aus der
Kernenergie auf Kosten des Klimaschutzes gehen wird.
– Natürlich, Herr Kollege Kelber. Der Bericht zeigt zwei
Szenarien auf: Das eine Szenario geht davon aus, dass
man auf Gas und Kohle ausweicht; das andere Szenario
geht davon aus, dass man auf Gas und erneuerbare Ener-
gien ausweicht. Beide Szenarien gehen also davon aus,
dass Gas als fossiler Energieträger massiv genutzt wird.
Daher muss die Nutzung dieser Energieträger ausgewei-
tet werden, wenn Sie die Kernenergie ersetzen wollen.
Das geht voll zulasten des Klimaschutzziels.
– Ich habe den Bericht sogar am Platz liegen.
– Ich kann ihn Ihnen vorlesen, wenn Ihnen das hilft.
Frau Kollegin Hustedt, es ist bemerkenswert, wenn Sie
mit Blick auf den Zwischenruf des Kollegen Hirche fest-
stellen, dass wir auf Kohle setzen. Wenn sich jemand für
den Abbau von Subventionen bei der Kohle eingesetzt
hat, dann ist es die FDP.
Es ist aber nicht nur der Bärendienst am Klimaschutz,
den wir bei diesem Gesetzentwurf kritisieren. Was heißt
denn eigentlich Atomausstieg?, müssen Sie sich fragen
lassen. Ihre Wähler haben doch längst gemerkt – das wis-
sen Sie ganz genau –, dass das, was Sie als Atomausstieg
verkaufen wollen, in Wahrheit der Weiterbetrieb der
Kernkraftwerke über Jahrzehnte ist. Der so genannte
Atomausstieg – das müssen Sie sich sagen lassen, Herr
Trittin – ist eine Fata Morgana für die grüne Klientel und
Sie betätigen sich als Illusionskünstler.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Michaele Hustedt
20714
Wenn die Kernenergie nach Ihrer Meinung so unverant-
wortbar riskant ist, Herr Kubatschka, und wenn es, wie
das in Ihrem Entschließungsantrag behauptet wird, um
den Schutz des Lebens und der Umwelt geht, dann kann
ich Ihnen nur raten: Stimmen Sie dem Entschließungsan-
trag der PDS zu und machen Sie den Atomausstieg sofort!
Das wäre eine konsequente Haltung.
Das tun Sie aber natürlich nicht, und zwar deswegen
nicht, weil Sie ganz genau wissen, dass Sie auf die Nut-
zung der Kernenergie angewiesen sind; sonst würden Sie
eine konsequentere Haltung an den Tag legen. Sie wissen
ganz genau, was es bedeutet, wenn Sie das täten. Dann
würde Strom aus anderen Ländern importiert,
und zwar aus Kernkraftwerken, oder Sie müssten massiv
auf fossile Energieträger zurückgreifen und das Klima-
schutzziel gänzlich aufgeben. Solange Kernenergie wirt-
schaftlich produziert werden kann,
wird sie produziert werden und wird auch nach Deutsch-
land kommen. Das Problem besteht dann nur darin, dass
sie nicht mehr aus sicheren deutschen Kernkraftwerken
kommt, sondern aus Kernkraftwerken in angrenzenden
Ländern, auf die Sie keinen Einfluss mehr haben.
Wir haben in unserer unmittelbaren Nachbarschaft unge-
fähr 100 kerntechnische Anlagen. Sie ignorieren das. Sie
versuchen im Übrigen, Ihre Wählerinnen und Wähler für
dumm zu verkaufen. Die Folgen Ihrer Politik sind deswe-
gen auch verheerend.
Die anderen Länder – das müssten Sie sich schon ein-
mal angucken – beschreiten einen völlig anderen Weg.
Sie treiben die technologische Entwicklung voran. An der
Verbesserung der Sicherheit moderner Reaktoren wird
laufend wissenschaftlich gearbeitet. Ich nenne nur Stich-
worte: Transmutationsverfahren oder Entwicklung von
Verfahren mit geringerem radioaktiven Abfall. Das be-
schäftigt die internationale Forschung und Entwicklung.
Deswegen unterstützt die FDP mit allem Nachdruck die
Forderung, dass es keine Abstriche bei der Sicherheit
kerntechnischer Anlagen geben darf.
Frau Kollegin Hustedt, Sie weisen darauf hin, dass ein
Kernkraftwerk, das nicht sicher ist, nicht betrieben wer-
den darf. Ich sage dazu: Das ist heute schon Fakt. Wenn
nämlich ein Kernkraftwerk den Bestimmungen nicht ent-
spricht und die Sicherheitsvorschriften nicht eingehalten
werden, dann wird diesem Kernkraftwerk die Betriebsge-
nehmigung entzogen. Das ist heute geltendes Recht.
Deswegen ist die Tatsache, dass eine Betriebsgeneh-
migung bisher nicht entzogen worden ist, der Beweis
dafür, dass auch die rot-grüne Bundesregierung diese
Technologie für sicher hält.
Dann will ich noch einer Legendenbildung vorbeugen,
Herr Kollege Kubatschka. Sie haben vorhin so davon ge-
schwärmt, dass Sie die periodische Sicherheitsüberprü-
fung per Gesetz einführen. In der Tat wird das jetzt
gesetzlich geregelt und festgeschrieben. An dieser Stelle
finden Sie uns auch an Ihrer Seite.
Ich weise aber einfach darauf hin, dass es die Sicher-
heitsüberprüfungen auch bisher schon gab.
Sie schreiben lediglich den bisherigen Zustand fest.
Deswegen ist es für uns wichtig, noch einmal festzuhal-
ten, dass es mit dem, was Sie machen, nicht ein Mehr an
Sicherheit gibt.
Im Übrigen schreiben Sie im Vorspann Ihres Gesetz-
entwurfs selber, dass Sie für den verbleibenden Zeitraum
des Betriebs der Kernkraftwerke das hohe Sicherheitsni-
veau erhalten wollen. Jetzt frage ich Herrn Minister Trittin
einmal, was er eigentlich dafür tut.
Was ist denn jetzt eigentlich der Zustand? Sie haben
keine klare energiepolitische Alternative. Trotzdem ver-
bieten Sie mit diesem Gesetzentwurf eine Technologie
und hängen Deutschland von der internationalen Ent-
wicklung ab.
Damit erreichen Sie einen dramatischen Kompetenzver-
lust und einen schweren Schaden für die internationale
Kooperation zwischen Deutschland und den Partnerlän-
dern. Der deutsche Einfluss in internationalen Gremien
wird schwinden. In den Fragen, wie man Kernkraftwerke
sicherer machen und die Menge radioaktiven Abfalls re-
duzieren kann, wird Deutschland künftig schlichtweg
nichts mehr zu melden haben. Das ist das Ergebnis Ihrer
Politik.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Birgit Homburger
20715
Wir haben in der Anhörung gehört,
dass es in Deutschland zwischenzeitlich für diesen Be-
reich ein Viertel weniger Lehrstühle gibt, dass die Zahl
der Ausbildungsreaktoren innerhalb von zehn Jahren von
14 auf vier zurückgeschraubt worden ist. Das ist die Wir-
kung, die Sie erzielen. Sie werden mit dieser Politik an
deutschen Hochschulen eine Wüstenlandschaft hinterlas-
sen.
Dabei brauchen wir nichts mehr als kerntechnische
Kompetenz: bei den Kraftwerksbetreibern, bei den Auf-
sichtsbehörden der Länder, beim Bundesamt für Strahlen-
schutz und auch beim Umweltministerium. In all diesen
Bereichen brauchen Sie Personal.
Es wird geschätzt, dass wir bis zum Jahre 2010 ungefähr
1 000 solcher Fachkräfte brauchen. 1999 gab es in diesem
Bereich insgesamt 65 Hochschulabsolventen. Die Zahl
für 2000 wird noch geringer sein. Herr Minister Trittin,
das ist Ihr trauriger Beitrag zur Sicherheit kerntechnischer
Anlagen und zur Zukunftsfähigkeit Deutschlands als
Standort für Wissenschaft und Forschung.
Auch wenn die Frage des Baus weiterer Kernkraft-
werke in Deutschland derzeit nicht aktuell ist, muss die
Option zur künftigen Nutzung der Kernenergie offen ge-
halten werden. Forschung und Entwicklung in diesem Be-
reich müssen weitergeführt werden, weil nur so ein siche-
rer Weiterbetrieb der Anlagen gewährleistet werden kann.
Im Übrigen war Deutschland immer das Land, das
auch international dafür gesorgt hat, dass die Sicherheits-
standards steigen. Auch diese Aufgabe können wir künf-
tig nicht mehr wahrnehmen.
Es gibt noch einen weiteren Punkt, den ich aber nicht
mehr im Detail ausführen kann,
nämlich die Entsorgung. Sie haben kein Entsorgungskon-
zept. Das haben wir mehrfach diskutiert. Auch hier ver-
suchen Sie, den Leuten etwas vorzugaukeln. Aus all die-
sen Gründen sieht die FDP zum gegenwärtigen Zeitpunkt
keine Alternative dazu, die Kernenergie in Deutschland
als Übergangsenergie weiterhin zu nutzen. Deshalb leh-
nen wir Ihren Gesetzentwurf ab und fordern Sie auf, dem
Deutschen Bundestag ein Konzept vorzulegen, das die
Energieversorgung sicherstellt und gleichzeitig dazu
beiträgt, das Klimaschutzziel zu erreichen, und das der
Verantwortung Deutschlands gerecht wird.
Ich erteile dem Kolle-
gen Winfried Wolf, PDS-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Präsident!
Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass die
Abgeordneten von CDU/CSU und FDP die Debatte sehr
kurzatmig führen. Ich glaube vor allem, dass die Vertrete-
rin der Grünen und der SPD-Vertreter die Debatte taktisch
führen.
Ich möchte noch einmal nüchtern, ernst und verant-
wortungsbewusst feststellen: „Energiewirtschaft auf Ba-
sis von Atomkraft hat keine Zukunft. Sie ist riskant und
voller Zynismus gegenüber unseren Kindern und Kindes-
kindern. Die Stromversorgung in Deutschland wäre auch
sichergestellt, wenn alle Reaktoren mit Atomkraft sofort
abgestellt würden.“ – Das ist ein Zitat aus dem Programm
der Grünen für die Bundestagswahl 1998 und nicht aus
früheren Zeiten.
Diese Einsichten, die hier im Programm der Grünen
1998 festgehalten wurden, sind in den Auseinanderset-
zungen gewonnen worden, die die Kollegin Hustedt ge-
nannt hat: in den Kämpfen von Brokdorf, Grohnde,
Wackersdorf, Kalkar bis hin zu Gorleben und dem Wend-
land. Das heißt, dass die Grünen sicherlich ein Produkt
dieser Bewegung sind. Das heißt aber auch, dass die an-
deren Parteien sich dem nie entziehen konnten. So musste
zum Beispiel die CDU-Regierung in Niedersachsen unter
Albrecht sagen: Ein Endlager ist in Niedersachsen nicht
durchsetzbar. Die Bayerische Staatsregierung musste sa-
gen: Wackersdorf ist nicht durchsetzbar. Die NRW-Re-
gierung musste sagen: Kalkar ist nicht durchsetzbar.
Das oberste Gericht in unserem Land, das Bundesver-
fassungsgericht in Karlsruhe, hat dem im Jahre 1978 mit
dem Kalkar-Urteil Rechnung getragen. Die Essenz in
drei Punkten:
Erstens wurde gesagt: Wenn es zu einer Katastrophe
kommt, ist das Ausmaß von Schäden bei Atomkraftwer-
ken so groß, dass anders als bei sonstigen risikoträchtigen
Industrieanlagen zu verfahren ist. Hier geht der Schutz
des Lebens vor dem Schutz des Eigentums.
Zweitens wurde festgestellt: Unfälle in Atomreaktoren
mit Kernschmelze müssen technisch ausgeschlossen wer-
den. Geht das nicht, müssen Atomanlagen abgeschaltet
werden und dürfen keine neuen Betriebsgenehmigungen
erteilt werden.
Drittens wurde festgestellt: Das Restrisiko kann defi-
niert werden. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe
hat gesagt, dass nur Szenarien „jenseits der Schwelle
praktischer Vernunft“, also hypothetische Ereignisse, ak-
zeptabel sind und dass alles andere technisch ausge-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Birgit Homburger
20716
schlossen werden muss oder entsprechende Anlagen nicht
akzeptierbar sind.
Spätestens seit der Risikostudie wissen wir, dass die
Wahrscheinlichkeit für einen Reaktorunfall bei 2 Prozent
in 30 Jahren bei 19 Atomkraftwerken liegt. Das ist eine
sehr hohe Wahrscheinlichkeit. Dieses Risiko wurde spä-
testens mit dem Fast-GAU in Harrisburg im Jahr 1979
und mit der Atomkatastrophe in Tschernobyl im Jahr 1986
ganz deutlich unterstrichen. Das heißt, Kollege
Kubatschka, dass Sankt Florian überall und nicht nur ir-
gendwo in Landshut ist. Es stimmt also, was die Mehrheit
der Bevölkerung meint, dass Atomkraftwerke generell ab-
geschaltet werden müssen.
Diese Ausgangslage hatten wir bereits im Jahr 1998,
als Rot-Grün gewählt wurde. Die Frage ist natürlich: Was
ist die Bilanz dreieinhalb Jahre später? Wir stellen fest,
Herr Minister Trittin, dass wir dreieinhalb Jahre ein „Wei-
ter so!“ erlebt haben, zum Teil mit massivem Polizei-
einsatz im Wendland. Wir stellen fest, dass das Ausstiegs-
gesetz genau so ist, wie die Kollegin Homburger gesagt
hat. Es regelt im Grunde für 20 und mehr Jahre ein „Wei-
ter so!“. Drei, vier oder fünf Legislaturperioden kann
„weiter so“ gemacht oder das Rad wieder zurückgedreht
werden. Für die Konzerne gibt es durch übertragbare Pro-
duktionsrechte und eine extreme Unterversicherung der
Atomkraftwerke sogar noch ein Zuckerl oben drauf, wo-
mit Atomstrom noch einmal billiger gemacht wird. Das
ist auch der Hintergrund dafür, dass die Kraft-Wärme-
Kopplung gegenüber der Atomkraft nicht konkurrenz-
fähig ist. In meinem Wahlkreis in Mannheim zum Bei-
spiel ist Kraft-Wärme-Kopplung konkret gefährdet, weil
Electricité de France und Energieversorgung Baden-
Württemberg Atomstrom aus Frankreich nach Mannheim
leiten werden.
Wenn man sich die Praxis in Atomkraftwerken an-
sieht, die eine systematische Verletzung elementarer Si-
cherheitsregeln dokumentiert, wenn man bedenkt, dass
der damalige Staatsminister Fischer im Jahr 1994 im Bun-
destag dargelegt hat, was alles im Block A in Biblis pas-
siert ist, wenn man sich überlegt, was von Ihnen, Herr
Trittin, im Oktober dieses Jahres in Bezug auf Philipps-
burg festgestellt wurde, wo nach zwei Wochen Betrieb in
drei von vier Notkühlbecken das Bor, ein wichtiger Zu-
satzstoff, wenn es um die Sicherheit geht, gefehlt hat und
wo eine Überprüfung durch Ihr Ministerium ergab, dass
dort 17 Jahre lang mit voller Absicht gegen Vorschriften
im Betriebshandbuch verstoßen wurde, wird klar, dass
diese Missachtung von elementaren Sicherheitsvorschrif-
ten in den vorhandenen Atomkraftwerken gang und gäbe
ist.
Herr Trittin, vor einigen Wochen konnten Sie noch das
Management von Philippsburg nach Berlin zitieren. Da-
mit wird eine Entwicklung hin zu mehr Unsicherheit do-
kumentiert, weil demnächst Philippsburg zur Electricité
de France gehören wird und es nicht mehr so einfach sein
wird, den Manager aus Paris nach Berlin zu zitieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es stellt sich die
Frage, warum die Bundesregierung ihre eigenen Zielset-
zungen nicht realisiert, und ich frage, ob das Folgende zu-
treffen könnte, dass nämlich „diese Bundesregierung sich
einer Energielobby unterworfen hat, die auf der Basis ei-
ner zentralistischen Großkraftwerkstruktur ihre Macht ab-
gesichert hat“. Das Zitat habe ich wiederum dem Pro-
gramm der Grünen aus dem Jahr 1998 entnommen.
Ich glaube, dass man nach den September-Terrorakten
sicherlich neu diskutieren muss, möchte aber auch beto-
nen, dass es das, was im September in New York und Was-
hington passiert ist, zum Teil auch vorher schon gab. Es
gab Bombenanschläge auf französische AKWs in den Jah-
ren 1975 und 1976. Am 11. November 1972 wurde in den
USA eine Verkehrsmaschine entführt, die auf ein Atom-
kraftwerk abstürzen sollte, und die USA haben das durch
die Zahlung von 10 Millionen Dollar Lösegeld verhindert.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hat einen ehr-
lichen Satz, der lautet: Diese Regelungen dienen der „Be-
friedung eines tief greifenden gesellschaftlichen Kon-
flikts“. Ich sagte schon: Die Regelungen heißen im
Grunde „Weiter so!“, der Konflikt in der gesamten Ge-
sellschaft ist real. Aber im Grunde ist es so, dass Ihr „Wei-
ter so!“ nicht den gesellschaftlichen Konflikt regelt, son-
dern konkret nur individuelle Karriereposten realisiert.
Wir fordern deswegen, dass eine wirkliche Befriedung
in der Gesellschaft stattfindet. Wir fordern deshalb die
Vorlage eines Gesetzes für einen schnellstmöglichen Aus-
stieg aus der Atomkraft. Wir stimmen darin mit den Um-
welt- und Naturschutzverbänden wie IPPNW, Greenpe-
ace, BUND, DNR und Robin Wood überein.
Kollege Wolf, Sie
müssen zum Ende kommen.
Ich bin beim letzten Satz,
Herr Präsident. – Das heißt auch, dass man damit den
Mehrheitsverhältnissen in der deutschen Bevölkerung
Rechnung trägt, die davon ausgeht, dass dieses Restrisiko
unerträglich und nicht akzeptabel und zynisch ist.
Danke schön.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Michael Müller, SPD-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Am 20. Oktober 1998 hat die
rot-grüne Regierung vereinbart, zu einem geordneten
Ausstieg zu kommen und diesen umfassend und unum-
kehrbar zu regeln.
Im Gegensatz zu Ihren Ausführungen, Herr Lippold – ich
kann auch Herrn Hirche ergänzend nennen –, ist fest-
zustellen, dass die reale Auseinandersetzung in der
Bundesrepublik darum geht: Gibt es ein Auslaufen der
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Winfried Wolf
20717
Atomenergie oder einen geordneten Ausstieg? Dazu sa-
gen wir: Der geordnete Ausstieg ist auf jeden Fall nicht
nur notwendig, sondern auch politisch und wirtschaftlich
sinnvoller.
Sie glauben doch nicht im Ernst, in Deutschland könnte
noch einmal ein neues Atomkraftwerk gebaut werden;
erst recht nicht vor dem Hintergrund der von Ihnen mit Ih-
rer damaligen Mehrheit beschlossenen Atomgesetzno-
velle von 1993/94, in der Sicherheitskriterien festgelegt
werden, die technisch nicht erfüllt werden können. Von
was reden Sie eigentlich?
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende eines teu-
ren und riskanten Irrtums angekommen, eines Irrtums, der
die Bevölkerung gespalten hat und leider auch die Zukunft
noch dauerhaft belasten wird. Wir sind am Ende eines
Weges, an dessen Anfang die Bombe stand. Am 3. Dezem-
ber 1942 begann er mit dem Reaktor von Fermi in Chicago,
in kürzester Zeit folgten die Atombombe und die Katastro-
phen von Hiroschima und Nagasaki. Hier wurden die
Grundlagen für das Atomprogramm gelegt, aus dem dann
1953 durch Eisenhower das Programm „Atom für den Frie-
den“ hervorging. 1961 begann dann in der Bundesrepublik
die Atomenergienutzung mit der Netzsynchronisation des
Versuchsreaktors in Kahl. Dieser eingeschlagene Weg geht
jetzt glücklicherweise zu Ende. In Wahrheit gibt es für ihn
in der Bevölkerung schon lange keine Mehrheit mehr. End-
lich sind wir in der Lage, auch den Mehrheiten, die in der
Bevölkerung schon lange vorherrschen, politisch Ausdruck
zu verleihen. Das ist ein Fortschritt.
Es ist bedauerlich, dass auf diesem Weg Harrisburg und
Tschernobyl stehen mussten. Man darf den Blick sogar
nicht auf diese beiden Unfälle reduzieren. Alleine zwi-
schen 1992 und 1995 gab es in der ehemaligen Sowjet-
union 380 schwere Zwischenfälle in Atomkraftwerken.
Der Aussage, das liege an der maroden Technik des
Ostens, ist der Hinweis entgegenzusetzen, dass in den
90er-Jahren auch mindestens zehn schwere Unfälle in den
Atomkraftwerken Japans zu verzeichnen waren. Dieses
Land ist nun wirklich nicht rückständig. Die Wahrheit ist:
Diese Technologie kann aus Sicherheitsgründen auf Dauer
nicht verantwortet werden; denn die Schäden eines mögli-
chen Unfalls sind unvertretbar, weil sie in der zeitlichen
und räumlichen Dimension quasi unbegrenzt bleiben.
Meine Damen und Herren, wir haben um den Fahrplan
für den Ausstieg hart gerungen. Es gibt keinen Zweifel,
dass die Koalitionsfraktionen es sehr viel lieber sehr viel
schneller gehabt hätten. Im Kern handelt es sich bei vie-
len AKWs auch nur um ein Auslaufen; auch das muss man
sehen.
Trotzdem handelt es sich vor dem Hintergrund der Ausei-
nandersetzung mit einer Branche, die wie keine andere in
der Bundesrepublik in den letzten Jahrzehnten gesetzlich
und ökonomisch privilegiert wurde, um einen großen
Kraftakt. Auf den Erfolg im Kraftakt können wir somit
stolz sein.
Wie kein anderer Bereich stand die Atomwirtschaft
schon immer etwas außerhalb der normalen marktwirt-
schaftlichen Ordnung. Sie ist immer in besonderer Weise
abgesichert worden. Deshalb war es umso schwerer, hier
Veränderungen einzuleiten. Wir bedauern das, aber wir
haben trotzdem einen Weg gefunden, der dadurch schlüs-
sig wird, dass Ausstieg und Einstieg in einem engen Zu-
sammenhang stehen.
Meine Damen und Herren, der Ausstieg aus derAtom-
energie ist keine Willkür und auch keine neue Belastung.
Er ist eine ökonomische, ökologische und politische Not-
wendigkeit, zu der wir stehen. Im Übrigen ist die Bun-
desrepublik auf diesem Gebiet kein Exotenland. Viele
Länder steigen aus der Atomenergie aus. Denken Sie nur
an die USA: Von den großen Plänen, die Herr Cheney
noch vor kurzer Zeit verkündet hat, ist nichts übrig ge-
blieben. Im Gegenteil, jeder, der über den Tag hinaus-
schaut, weiß, dass wir in Zukunft ein Energiesystem brau-
chen, das vor allem mit der heutigen verschwenderischen
Energieversorgung bricht und auf Dauer risikoarm ist.
Das hat nicht zuletzt der 11. September gezeigt.
Nirgendwo auf der Welt ist die Entsorgung geregelt,
nirgendwo auf der Welt kann man sich vor militärischem
Missbrauch der Atomtechnologie schützen und nirgend-
wo auf der Welt gibt es eine Logik, die zum Klimaschutz
kommt, wenn sie an verschwenderischen Strukturen fest-
hält. Es war doch eine der wesentlichen Erkenntnisse der
Klimaberichte, dass es nicht um einen Austausch von
Energieträgern geht, sondern dass ein verschwenderi-
sches System nicht durch ein anderes verschwenderisches
System ersetzt werden darf. Es geht um einen völligen
Bruch der Energielogik, die ins Zentrum stellt, mit mög-
lichst wenig Energie auszukommen. Dies ist ein ganz an-
derer Gedankenansatz, den aber viele anscheinend bis
heute noch nicht begriffen haben. Das ist moderne Ener-
giepolitik; diesen Weg wollen wir gehen.
Frau Homburger, auf diesem Weg war Ihre Partei auch
schon einmal wesentlich weiter. Ich erinnere nur an Ihre
Beschlüsse zum Ausstieg. Aber das ist wohl – wie soll ich
es sagen? – bei einer so flexiblen Partei ein Teil ihrer Fle-
xibilität.
Meine Damen und Herren, die schwierige Aufgabe, vor
der wir heute stehen, muss natürlich auch vor dem Hinter-
grund der gewaltigen Überkapazitäten gesehen werden. In
dieser Auseinandersetzung geht es nicht allein um unter-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Michael Müller
20718
schiedliche Energiepolitiken, sondern auch um erhebliche
Machtinteressen. Abgeschriebene Atomkraftwerke sind
für viele ein Goldesel, den man erhalten will. Darin liegt
ein großes Problem, nicht in der Technikgläubigkeit. Ge-
nau dadurch ist die Politik gefordert. Dem kommen wir
nach, indem wir eine neue Energiestruktur aufbauen.
Die Atomwirtschaft ist im Kern ein Teil des Energie-
systems des letzten Jahrhunderts, das auf großen Kraft-
werken mit umfangreichen Netzstrukturen und Lastzen-
tren zur Verteilung der Energie aufbaut. Wofür haben wir
denn den technischen Fortschritt bei den Informations-
technologien, wenn nicht dazu, dezentrale, kleine, sehr
viel umweltverträglichere und effizientere Strukturen
miteinander zu vernetzen und zu koppeln? Das ist die ei-
gentliche Chance unserer Zeit: mit der gewaltigen Ener-
gie- und Ressourcenabhängigkeit brechen, die auf Dauer
weder ökonomisch noch beschäftigungspolitisch oder
ökologisch sinnvoll ist.
Wir haben heute die Chance dazu. Wäre die Atom-
energie alternativlos, wäre die Situation anders, aber sie
ist nicht alternativlos. Im Gegenteil: Wir haben die
Chance, ein modernes Energiesystem auf der Basis von
Solarwirtschaft und Effizienzstrategien aufzubauen. Wir
können es aber nur aufbauen, wenn wir mit der heutigen
Struktur brechen.
Meine Damen und Herren, hier wurde mehrfach der
Energiebericht angesprochen. In der Tat kommt die Ener-
giestudie, die für das Bundeswirtschaftsministerium ge-
macht wurde, bis zum Jahre 2030 zu einer Kostenbelas-
tung von 500 Milliarden DM, wobei man hinzufügen
muss, dass zwei Drittel dieser Kosten auf den Verkehrs-
sektor entfallen. Ich hätte erwartet, dass das vorhin offen
gelegt worden wäre. Interessant ist aber, dass dasselbe
Ministerium vor einem Jahr eine Klimaschutzstudie auch
unter der Annahme des Ausstiegs aus der Atomenergie ge-
macht hat, die nicht nur zu einer CO2-Reduktion um45 Prozent kommt, sondern wirtschaftlich in der Gesamt-
rechnung sogar ein Plus errechnet.
– Nein, das Entscheidende ist, wie man solche Szenarien
anlegt. Das eine Szenario beruht auf der Hochrechnung
der gegenwärtigen Situation in die Zukunft und dem
bloßen Zusammenrechnen der mit dem Ausstieg verbun-
denen Kosten. Das ökologische Szenario basiert auf der
Frage, wie aktive Energiepolitik betrieben werden kann.
Wir wollen eine aktive Energiepolitik betreiben. Das ist
der entscheidende Unterschied zwischen uns.
Sie müssen deshalb auf die Wenn-dann-Beziehungen
achten. Bei diesen Wenn-dann-Beziehungen kommt es
darauf an, was die Politik leisten kann. Alle weltweiten
Untersuchungen von Szenarien kommen zu dem Ergeb-
nis, dass erst der Ausstieg aus der Atomenergie – man ist
sich dabei im Klaren darüber, dass bei einem Ausstieg die
CO2-Belastungen kurzfristig ansteigen können – die Dy-namik für Einsparungen, Effizienz und Solartechnik in
Gang setzen kann. Das ist der entscheidende Unterschied.
Wir wollen diese neue Dynamik und diese neue Logik in
Gang setzen. Dies tun wir mit unserer Energiepolitik. Das
zeigt sich nicht nur am Atomausstieg, sondern auch an un-
seren anderen Programmen.
Dies ist ein Konzept für einen neuen Fortschritt, den
wir für richtig halten. Mit diesem Fortschritt soll versucht
werden, die Risiken in einer verwundbaren Welt zu mini-
mieren. Deswegen danken wir allen, die sich an dieser Ar-
beit beteiligt haben. Lassen Sie mich in diesem Zusam-
menhang auch die Anti-Atomkraft-Bewegung erwähnen,
der wir ebenfalls zu danken haben.
In einem Punkt können Sie sicher sein: Gemeinsam
werden wir stark genug sein, um einen idiotischen Wie-
dereinstieg zu verhindern.
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich dem Kollegen Hirche das Wort.
Herr Präsident! Herr Kollege
Müller, der Vorwurf, der sich in dieser Auseinanderset-
zung nach dem Energiebericht der Bundesregierung – ich
betone: Energiebericht der Bundesregierung – an Sie rich-
tet, ist, dass Sie Ihre Politik ohne Rücksicht auf die volks-
wirtschaftlichen Kosten betreiben. Ich habe immer ge-
sagt – dazu stehen wir auch –: In einem Marktprozess
müssen sich Energieträger an ihren Kosten beweisen.
Wenn eine Energieform dem Vergleich nicht standhält
– durchaus nach Internalisierung externer Kosten; auch
darüber müssen wir reden –, dann wird sie sich auf dem
Markt nicht behaupten können.
Die Tatsache, dass Sie ein Gesetz verabschieden, ist
Beweis genug dafür, dass Sie wissen, dass die Kernener-
gie ohne dieses Gesetz eine echte Wettbewerbschance
auch in der Zukunft hätte. Sonst würden nicht die Dis-
kussionen in Schweden, in Finnland und in einem auf-
strebenden Land wie Südafrika anders sein. Dort sind der-
zeit 20 Reaktoren zu 110 Megawatt ausgeschrieben. An
der Ausschreibung beteiligen sich leider keine deutschen
Unternehmen; es bieten nur amerikanische Unternehmen
aus dem Kernenergiebereich mit.
Wie auch immer die Situation ist: Sie versuchen – das
haben Sie zum Schluss deutlich gemacht –, die Bedin-
gungen erst politisch zu verschlechtern und einen Ener-
gieträger ins Gerede zu bringen, um dann anschließend zu
sagen, er sei nicht wirtschaftlich.
Gleichzeitig mobilisieren Sie Milliardenbeträge an
Subventionen, die die deutsche Volkswirtschaft für
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Michael Müller
20719
wettbewerbsfähige Arbeitsplätze und nicht für subventio-
nierte Arbeitsplätze bräuchte.
Sie mobilisieren dieses Geld zulasten der Arbeitsplätze
und damit zulasten der Industrie und der Konsumenten.
Das sind Milliardenbeträge, die der deutschen Volkswirt-
schaft verloren gehen.
Stellen Sie sich doch dem Prozess, mit dem Deutsch-
land bisher seine Wettbewerbsfähigkeit in der Welt be-
haupten konnte, nämlich der sozialen Marktwirtschaft mit
ihren offenen Entscheidungsprozessen! Sie versuchen
aber mit eigenen Ideen und Staatsdirigismus, die Ent-
wicklung in eine ganz bestimmte Richtung zu lenken.
Ich will abschließend sagen: Ich bin nur froh, dass es
nichts gibt, was unumkehrbar ist. Die künftige Generation
wird über die Entwicklung neu entscheiden können. Das
ist das Hauptergebnis heute.
Herr Kollege Müller,
Sie haben Gelegenheit zu einer Erwiderung.
Herr Hirche, an-
gesichts Ihrer Rede weiß ich, warum sich Ludwig Erhard
von den Freien Marktwirtschaftlern durch die soziale
Marktwirtschaft abgegrenzt hat. Es ist heute wichtig, eine
soziale und ökologische Marktwirtschaft zu betreiben.
Ich finde es schon erstaunlich, wenn man die Konzen-
trationsprozesse in diesem sehr mächtigen Industriekom-
plex schlichtweg als Wettbewerb bezeichnet. Dazu gehört
wirklich viel Mut.
Ich bleibe dabei, dass vor dem Hintergrund der großen
Herausforderungen der Zukunft, die vor allen Dingen
darin liegen, Vermeidungskosten zu mobilisieren, dezen-
trale moderne Technologien zu entwickeln, die Natur und
die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen sowie
sinnvolle Formen von Innovationen zu ermöglichen, un-
ser Weg der Modernisierung besser ist als der des bloßen
Festschreibens. Mit Ihrem Weg werden Sie scheitern.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Paul Laufs, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich möchte eine Vorbemerkung ma-
chen. Dies ist eine weitere beklemmende Stunde des par-
lamentarischen Niedergangs.
Es wird ein Gesetz verabschiedet, das zwischen Kanzler-
amt und Stromkonzernen auf Punkt und Komma ausge-
handelt wurde und Bestandteil eines Vertrages ist.
Das höchste Verfassungsorgan der Bundesrepublik
Deutschland wird auf eine belanglose Notarsfunktion her-
abgewürdigt. Das Gesetzgebungsverfahren war eine Farce.
Im federführenden Umweltausschuss sind die einzelnen
Vorschriften schon gar nicht zur Beratung aufgerufen
worden.
Wir sehen deshalb keinen Sinn darin, einzelne Bestim-
mungen kritisch zu würdigen, so widersprüchlich, unlo-
gisch und verfehlt sie auch immer sind.
Die CDU/CSU-Fraktion lehnt diese Atomgesetz-
novelle vom Grundsatz her entschieden ab.
Es ist Aufgabe des Staates, den Ordnungsrahmen mit An-
forderungen des Umweltschutzes und der Anlagensicher-
heit vorzugeben und nicht, wie es hier geschieht, ganze
Technologien ohne jede Differenzierung zu verbieten.
Ob und wann eine Energietechnik genutzt wird, soll allein
denen überlassen bleiben, die in diesem Ordnungsrahmen
im Wettbewerb am Markt tätig sind.
Mit dem Gesetz zur Beendigung der Kernenergienut-
zung soll die Anti-AKW-Bewegung ihr Ziel in Deutsch-
land erreichen. Diese Bewegung hat ihren Ursprung im
Welt- und Lebensgefühl der revoltierenden Studenten der
60er- und 70er-Jahre.
– Lieber Herr Müller, ich erinnere mich genau, was da-
mals auf den Straßen los war. Ich gehörte nicht zu denje-
nigen, die Steine geworfen haben.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Walter Hirche
20720
Dieses Lebensgefühl war von der durchgängigen Verur-
teilung der bundesrepublikanischen Wirklichkeit geprägt
und insbesondere getragen von einer radikalen Absage an
die hoch technisierte Industriegesellschaft. In der Anti-
AKW-Bewegung fand diese emotionale Befindlichkeit
ihren symbolträchtigen Ausdruck. Sie wurde in dem
Maße auch zum Medienphänomen, wie Aktions- und De-
monstrationsformen entwickelt wurden, auf die Bildme-
dien begierig ansprechen.
Wie die Kollegin Hustedt gerade ausgeführt hat, wurde
im Gründungsprozess der grünen Partei der Antiatompro-
test zu einer Grundsäule. Man konnte und kann nicht für
Atomkraft und zugleich Mitglied der grünen Partei sein.
Alle Abwägungen und Differenzierungen sind zuguns-
ten einer kompromisslosen Eindeutigkeit aufgegeben.
Gut und Böse sind klar geschieden. Und so schürt Rot-
Grün bei jedem auch noch so kleinen Anlass mit Fleiß und
Hingabe die Furcht vor dem Atom. Jede Aufnahme von
Daten und Ereignissen erfolgt nach Maßgabe der schon
getroffenen Vorentscheidung.
Ihre unglaubliche Polemik, Herr Kollege Müller, die
friedliche Nutzung der Kernenergie in einen direkten Zu-
sammenhang mit der Atombombe zu setzen, zeigt, wie
schwach und ideologiegebunden Ihre Argumente heute
sind.
Im Herbst 1999 haben viele Hundert Wissenschaftler
und Hochschullehrer der Bundesregierung vergeblich ein
Dialogangebot unterbreitet, um auf der politischen Ebene
die gewaltigen Fortschritte bei der Reaktorsicherheit und
der Neuentwicklung von Reaktortypen, bei denen gravie-
rende radioaktive Freisetzungen naturgesetzlich unmöglich
sind, sowie wissenschaftliche Fortschritte bei alternativen
Entsorgungstechniken darzustellen. Die Bundesregierung
antwortete auf meine parlamentarische Anfrage kurz und
knapp, die Ausstiegsentscheidung stehe nicht mehr zur Dis-
position. Das ist wahr. Die Wirklichkeit ist der eigentliche
Feind der Ideologie. Durch selektive Wahrnehmung wird
einfach ausgeblendet, was das Vorurteil stören könnte.
Demut vor der Sache, die Sachlichkeit erst ermöglicht, ist
Ideologen wesensfremd.
Ein zentrales Problem in unserem Land besteht darin,
dass wesentliche naturwissenschaftlich-technische und
wirtschaftliche Grundtatbestände nicht mehr zur Kenntnis
genommen werden.
So ist es unausweichlich, dass in der Begründung zum
Gesetzentwurf Behauptungen aufgestellt werden, die
nicht erläutert werden und rational nicht nachvollziehbar
sind.
Besonders ärgerlich ist angesichts einer engen wissen-
schaftlichen Zusammenarbeit mit Kernenergie nutzenden
Staaten wie Frankreich, USA, Japan und anderen, dass die
Bundesregierung trotz des von ihr ausdrücklich bestä-
tigten hohen deutschen Sicherheitsstandards erklärt, eine
Neubewertung der Risiken lasse die Kernenergienutzung
auf Dauer nicht zu, und diese Neubewertung den deut-
schen und ausländischen Wissenschaftlern überhaupt
nicht verdeutlicht und begründet.
Im Übrigen passen die Vorschriften des Gesetzent-
wurfs mit der Unterstellung eines intolerabel hohen Risi-
kos nicht zusammen. Wie könnten sonst noch Laufzeiten
bis 2020 zugelassen werden?
Wie könnten sonst die vereinbarten Reststrommengen,
die noch erzeugt werden dürfen, ziemlich genau der ge-
samten Stromproduktion bis heute in allen deutschen
Kernkraftwerken zusammen entsprechen?
Wenn die ganze Angelegenheit nicht so kläglich wäre,
könnte man ausgesprochen begrüßen, dass die rot-grüne
Bundesregierung den von staatlichen Interventionen un-
gestörten Betrieb vieler Kernkraftwerke sowie die
erforderlichen Atomtransporte noch über Jahrzehnte hi-
naus garantiert. Genau hier ist das Junktim, das die Wirt-
schaft, die dem Atomausstieg genau wie wir widerspricht
– sie ist dazu gepresst worden, schlicht und einfach –,
veranlasst hat, diesen Vertrag mit der Bundesregierung zu
schließen.
Wir stellen fest: Es gibt weder neue Erkenntnisse über
Risiken noch Tatsachen noch neue Bewertungsmaßstäbe,
die eine Beendigung der Kernenergienutzung mit den ho-
hen deutschen Sicherheitsstandards nahe legen könnten.
In jüngster Vergangenheit ist vielmehr durch aufwendige
sicherheitstechnische Nachrüstung der deutschen Kern-
kraftwerke sichergestellt worden, dass auch bei schweren
Störfällen und zusätzlich unterstelltem Ausfall der
Sicherheitseinrichtungen keine großen Freisetzungen
ionisierender Strahlen, also keine Unfälle mit unabsehba-
ren Folgen, auftreten können. Hinweise auf Tschernobyl,
Herr Wolf, sind schon deshalb falsch, weil dort eine völ-
lig andere Reaktorphysik, eine gänzlich andersartige Be-
triebsweise und so gut wie keine Sicherheitstechnik ein-
gesetzt waren.
Kollege Laufs, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kelber?
Bitte.
Herr Laufs, können Sie mir
bestätigen, dass noch vier Wochen vor dem GAU in
Tschernobyl in den Fachmagazinen in Deutschland die
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Paul Laufs
20721
Einführung der dortigen Technologie auch für Deutsch-
land gefordert wurde?
Das kann ich nicht be-
stätigen.
Ich kann nur sagen, dass in solchen Magazinen berichtet
worden ist, was Kernphysiker aus Russland gesagt haben.
Es ist von deutscher Seite nicht geprüft worden, ob diese
Behauptungen der Wirklichkeit entsprachen.
Was die Entsorgung radioaktiver Abfälle betrifft, so
spricht nichts in der Sache dagegen, dass das frühere deut-
sche Entsorgungskonzept technisch und sicherheitstech-
nisch realisierbar und bereits weit fortgeschritten ist. Seit
drei Jahren warten wir darauf, dass die Bundesregierung
ihre Zweifel an der Eignung Gorlebens konkretisiert. Es
kommt aber nichts; es werden nur Zweifel zum Ausdruck
gebracht, die nicht begründet werden.
Es ist zutiefst unverantwortlich und moralisch verwerf-
lich, dass die rot-grüne Bundesregierung ohne wirkliche
sachliche Begründung die Arbeiten in Gorleben gestoppt
und die Genehmigung des Endlagers Konrad auf die lange
Bank geschoben hat. Sie belastet damit kommende Gene-
rationen.
Zum Klimaschutz, einem wesentlichen Aspekt einer
nachhaltigen Entwicklung, ist anzumerken, dass die
Kernkraft ein sehr großes technisch und wirtschaftlich
nutzbares Potenzial CO2-freier Stromerzeugung hat.Dass der Atomausstieg, wie von der Bundesregierung be-
hauptet, Anreize zur Umstrukturierung der Energiever-
sorgung, auch zur Erreichung der Klimaschutzziele,
schaffen werde, wird nicht verdeutlicht und bleibt gänz-
lich schleierhaft.
Auf meine parlamentarische Anfrage antwortete die
Bundesregierung vor wenigen Tagen, dass je nach unter-
stellter Substitution der Kernenergie in den Jahren bis
2020 durch Einsatz vorhandener oder neu zu errichtender
GuD-Anlagen auf Erdgasbasis sowie durch den Einsatz
von Steinkohle- und Braunkohlekraftwerke CO2-Zusatz-emissionen von jährlich bis zu 74 Millionen Tonnen – mit
rasch steigender Tendenz – entstehen werden. Dies gilt
nur für höchste Wirkungsgrade und enorme Effizienzstei-
gerungen bei der Energienutzung, die hier unterstellt wer-
den.
Wenn dagegen statt neuer Erdgas- und Kohlekraft-
werke mit massiven staatlichen Eingriffen gleichzeitig re-
generative Energien und das ehrgeizige Klimaschutzziel
durchgesetzt werden sollen – das hat Kollege Lippold
schon gesagt –, dann muss die deutsche Volkswirtschaft,
wie im Energiebericht der Bundesregierung dargelegt
wird, zusätzliche Kosten von 500 Milliarden DM auf-
bringen. Das würde die Energiekostenrechnung des
durchschnittlichen privaten Haushalts um zwei Drittel
oder real um 3 000DM jährlich erhöhen. Das ist die Wahr-
heit.
Dies sollten Sie der Bevölkerung in Ihren bunten Werbe-
broschüren und in Ihren Inseraten sagen.
Wir kommen zu folgendem Ergebnis: Das vorliegende
Ausstiegsgesetz ist ohne rational vernünftige und nach-
vollziehbare Begründung. Es gehört zur ideologischen
Restmasse der kulturpessimistischen 68er- bis 78er-Be-
wegung.
Neue Mehrheiten können diesen Unsinn rückgängig ma-
chen. Ich sage Ihnen: Der politische Wechsel in Deutsch-
land wird stattfinden,
lange bevor Rot-Grün das destruktive Werk des Ausstiegs
verwirklichen kann.
Darauf freuen wir uns.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile dem Bun-
desminister Jürgen Trittin das Wort.
Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Bevor ich mich den anregenden Gedan-
ken widme,
wie es uns als Restgrößen einer kulturpessimistischen Be-
wegung gelingen konnte, die deutsche Energiewirtschaft
dazu zu erpressen, dass sie den Atomausstieg akzeptiert
– wenn ich Herrn Laufs richtig verstanden habe –, möchte
ich eine Bemerkung zu dem machen, was mir aufgefallen
ist: Herr Laufs verwendet genau die gleichen Argumente
wie Herr Wolf. Das gibt mir zu denken.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Ulrich Kelber
20722
Denn an der Tatsache, dass die Bundesrepublik Deutsch-
land, obwohl wir in der Grundversorgung einen beacht-
lichen Anteil an Atomstrom haben, so schnell wie kein an-
deres europäisches Land aussteigt, führen diese
Argumente nicht vorbei.
Wir sind dabei nicht allein. Die Mehrheit der Mitglied-
staaten der Europäischen Union ist auf dem Weg, aus der
Atomenergie auszusteigen.
Sie kündigen an, dass Sie den Atomausstieg rückgän-
gig machen wollen, nachdem Sie die nächste Bundes-
tagswahl gewonnen haben.
Lassen Sie uns doch einmal, bevor wir über Rücknahmen
und Ähnliches sprechen, fragen: Ist denn die Kanzlerkan-
didatin oder der Kanzlerkandidat, mit dem Sie das durch-
setzen möchten, schon geboren?
Lieber Herr Laufs, bleiben wir bei den Tatsachen. Wir
beenden die Nutzung der Atomenergie. Wir verbieten
den Bau neuer Atomkraftwerke. Wir sehen eine durch-
schnittliche Restlaufzeit von heute elf Jahren vor. Wir be-
enden die Müllvermehrung durch Wiederaufarbeitung
und den Unsinn, tonnenweise Atommüll dreimal quer
durch Europa zu transportieren, obwohl ein Transport
doch ausreichen würde.
Das geht natürlich nicht ohne Zielkonflikte. Ich habe
gerade ein Bürgerbegehren von Niederaichbach zur
Kenntnis genommen, in dem vorgeschlagen wird, zur
Verhinderung eines Zwischenlagers das Kraftwerks-
gelände zu einem Zentrum für erneuerbare Energien um-
zugestalten. Dummerweise hat dieses Bürgerbegehren ei-
nes vergessen: vorher die Stilllegung der Anlage, die dort
läuft, zu fordern.
– Das wollen sie nicht.
Dazu sage ich Ihnen: Auch hier bedeutet der Atom-
konsens einen großen Schritt nach vorn. Wir machen
nämlich Schluss damit, dass mit der Produktion von
Strom durch Atomenergie im Süden Geld verdient wird
und Steuern einkassiert werden, anschließend der Müll
nach Nordrhein-Westfalen und nach Niedersachsen ver-
bracht wird, die sich dann um die Abfälle zu kümmern ha-
ben. Wir sorgen damit für ein Stück Lastenverteilung zwi-
schen Nord und Süd.
Auch dies geht nicht ohne Konflikte ab. Aber unser
Eindruck ist: Wir sind dabei, ein gewaltiges Konfliktpo-
tenzial abzubauen und einen Konflikt, der über Jahre hin-
weg mit Polizei, mit Wasserwerfern und Ähnlichem aus-
getragen wurde, auf das zurückzuführen, was getan
werden sollte,
nämlich die Abarbeitung eines politischen Konfliktes in
politischer Form vorzunehmen und damit ein Stück Kon-
sens in dieser Gesellschaft zu schaffen.
– Herr Hirche, Sie sollten sich eine andere Brille aufset-
zen. Mein Anzug heute verfügt über keinen einzigen
Streifen, auch keinen Nadelstreifen. Aber es freut mich,
dass er Ihnen gefällt.
Meine Damen und Herren, Fakt ist, dass Atomkraft-
werke die offene Gesellschaft sehr verwundbar machen,
verwundbarer, als wir alle es uns wünschen. Übrigens
halte ich es auch unter diesem Aspekt für richtig, dass wir
eine Energiewende eingeleitet haben, die gerade auf er-
neuerbare Energien und auf mehr Energieeffizienz setzt.
In keinem Windfeld kann es durch Fahrlässigkeit zu einer
Kernschmelze kommen.
Wenn wir über Sicherheit von Energieversorgung in der
Bundesrepublik Deutschland, über Versorgungssicherheit,
über Verminderung von Importabhängigkeit, reden, dann
können wir nicht Importprodukte wie Kohle, Gas, Öl und
Uran gegeneinander ausspielen, sondern dann gibt es eine
ganz einfache Grundweisheit: Das, was uns am zuverläs-
sigsten von Energieimporten unabhängig macht, ist die Nut-
zung erneuerbarer Energien; denn sie sind hier verfügbar.
Meine Damen und Herren, wir müssen dies tun, wenn
wir dem Klimawandel begegnen wollen. Das ist der
Grund, warum wir gegen Ihren wütenden Widerstand
beim Erneuerbare-Energien-Gesetz – und wir werden es
auch bei den Regelungen zur Kraft-Wärme-Koppelung
erleben – sagen: Wir wollen den Anteil der erneuerbaren
Energien bis 2010 verdoppeln. Wir wollen mehr Energie-
effizienz. Wo waren Sie denn, als wir die hoch effizienten
Gas-und-Dampf-Kraftwerke von ihrer steuerlichen Be-
nachteiligung gegenüber Atomkraftwerken und gegen-
über Kohlekraftwerken befreit haben?
Da haben Sie dagegen gestimmt.
Und was ist heute der Fall? Was glauben Sie denn, wo-
her die Gasturbinen kommen, mit denen in Kalifornien
die Energiekrise bekämpft wird? Sie wird nicht mit
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Bundesminister Jürgen Trittin
20723
Atomkraftwerken bekämpft. Sie wird mit Gasturbinen be-
seitigt, die in Deutschland entwickelt und konstruiert wor-
den sind, weil wir hier die Bedingungen dafür geschaffen
haben.
Herr Lippold, Sie haben völlig Recht: Wenn wir über
Energiepolitik reden, dann reden wir über Wirtschaftspo-
litik und über Arbeitsmarktzahlen. Aber dann erlauben Sie
mir doch den Hinweis darauf – er ist nicht hier, aber ich
sah ihn heute Morgen –: Wie war es denn, als Herr
Rexrodt die Verantwortung für die Wirtschaftspolitik
hatte? Damals verließ der letzte Photovoltaikhersteller
Deutschland, weil es hier keinen Markt mehr dafür gab.
Wir werden demnächst die vierte neue Solarfabrik in Ha-
meln eröffnen.
Kollege Trittin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grill?
Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit: Ja, gern.
Nein, ich bin nicht
scharf darauf. – Herr Trittin, würden Sie zur Kenntnis
nehmen, dass unter Minister Jürgen Rüttgers die Grund-
steinlegung für zwei Solarzellenfabriken, eine in Bayern
und eine in Nordrhein-Westfalen, stattgefunden hat?
Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit: Selbstverständlich nehme
ich das zur Kenntnis. Ich habe Ihnen den Fall der Unter-
nehmen geschildert, die hier waren.
In Antwort auf Ihre Frage sage ich Ihnen, lieber Herr
Grill, noch: Als wir diesen Laden übernommen haben,
als wir diese Regierung übernommen haben,
haben wir einen Laden vorgefunden,
bei dem die Förderung erneuerbarer Energien im Bundes-
haushalt gerade einmal 18 Millionen DM betragen hat.
Wenn Sie sich den neuen Haushalt anschauen, dann wer-
den Sie feststellen, dass dieser Betrag heute bei 500 Mil-
lionen liegt. Das haben wir aus Ihrem Laden gemacht: Wir
haben die Energiewende eingeleitet.
Ich will noch auf einen weiteren Punkt zu sprechen
kommen. Klimaschutz wird nicht möglich sein, wenn
nicht dezentrale, hoch effiziente Techniken gefördert
werden. Die Ausphasung von Großkraftwerken niedriger
Effizienz ist die Voraussetzung für eine jede Energiepoli-
tik der Zukunft.
Wenn Sie das übersetzen in die Frage, was das für die
Arbeitsplätze bedeutet, dann stelle ich, gerade vor dem
Hintergrund der Äußerung von Herr Lippold, fest: Im Be-
reich der erneuerbaren Energien arbeiten heute zwischen
70 000 und 80 000 Menschen. Dies hat damit zu tun, dass
diese Regierung dafür Sorge getragen hat, dass bei den er-
neuerbaren Energien ein beispielloser Boom stattgefun-
den hat, gegen Ihre Blockadeversuche.
Das sind mehr Arbeitsplätze, als Ihre kulturpessimisti-
schen Ausführungen, sehr geehrter Herr Laufs, in dem
Bereich der Atomenergie je erlaubt haben.
Deswegen, meine Damen und Herren, ist heute ein er-
freulicher Tag. Wir machen deutlich: Die Atomenergie ist
ein Konzept der Vergangenheit. Wir sollten uns nicht
mehr mit Fragen der Vergangenheit auseinander setzen,
wir sollten uns der Zukunft zuwenden. Die Zukunft ist er-
neuerbar, sie ist effizient, sie ist dezentral. Deswegen ist
die Energiewende das Modell der Zukunft. Damit sind wir
heute einen ganzen Schritt weitergekommen.
Das Wort zu ei-
ner Kurzintervention erhält jetzt die Kollegin Homburger.
Herr Trittin, ich habe mich
zu einer Kurzintervention gemeldet, weil Sie hier und
heute nicht zum ersten Mal davon gesprochen haben, dass
Sie als rot-grüne Bundesregierung einen „Laden“ über-
nommen hätten.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Bundesminister Jürgen Trittin
20724
Ich finde das eine Art und Weise des Umgangs mit Ver-
antwortung – es handelt sich immerhin um die Bundes-
regierung der Bundesrepublik Deutschland –, die dem
Amt nicht angemessen ist.
Dieses flegelhafte und arrogante Verhalten, das Sie hier
immer wieder an den Tag legen, werden sich die Men-
schen draußen merken.
Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Wenn mir jetzt aus der
CDU/CSU-Fraktion „Bin Laden!“ zugerufen wird, dann
haben wir ein Niveau der Debatte erreicht, das der Ein-
wendung von Frau Homburger, mit Verlaub – ich wollte
ihr ernst antworten –, nicht gerecht wird.
Ich habe meine Wortwahl ausdrücklich bezogen auf
den Zustand, in dem wir die Bundesregierung übernom-
men haben.
Dass dieser Zustand nicht Unterstützung, Applaus und
Zustimmung erfahren hat, haben Sie am 23. September
1998 erlebt.
Sie sind nämlich seinerzeit für Ihre ungenügende Politik
abgewählt worden. Dass Sie die zentralen Fragen der
Energiepolitik in diesem Lande nicht gelöst haben, war ei-
ner der Gründe dafür, dass Sie abgewählt worden sind.
Deswegen haben wir mit dem, was Sie hinterlassen ha-
ben, einen Laden vorgefunden, den wir erst einmal wie-
der zu einer ordentlichen Bundesregierung machen muss-
ten. Das ist uns ganz gut gelungen.
– Sie können gerne weiter dazwischenrufen. Aber ange-
sichts der Tatsache, dass Ihre Regierung so exzellent or-
ganisiert war, dass Sie, bevor wir an die Regierung ge-
kommen sind, meterweise Akten und megabyteweise
Festplatten beseitigen mussten, wäre ich an Ihrer Stelle
sehr, sehr vorsichtig damit, andere Leute über politischen
Stil zu belehren. Sie mit Ihren Aktionen haben es gerade
nötig!
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Christian Ruck.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es in
der Tat beschämend, Herr Trittin, wie Sie hier auftreten.
Es ist nicht nur Ihr Geschrei, sondern es ist zum wieder-
holten Male passiert, dass Sie sich hier aufführen, als hät-
ten Sie vor diesem Bundestag überhaupt keinen Respekt.
Es ist auch nicht das erste Mal, dass Sie in einer Kette von
Unwahrheiten unsere eigenen Leute beleidigen. Ich weise
das mit aller Entschiedenheit zurück.
Das Thema selbst ist wirklich ein sehr ernstes Thema
und hat einen anderen Diskussionsstil verdient. Die Kol-
legen von Rot-Grün werden heute gegen unsere Stimmen
mit ihrer Mehrheit dieses Atomausstiegsgesetz be-
schließen und damit auch das Verfahren für diese Legis-
laturperiode beenden. Aber die Diskussion um die Kern-
energie beenden Sie damit nicht; denn das „große
Reformwerk“, wie Herr Kubatschka gesagt hat, löst keine
Probleme, aber es schafft neue.
Problem Nummer eins – es ist schon genannt worden –
sind die ökonomischen Folgen. Es kommen in der Tat gi-
gantische Kosten auf Wirtschaft und Haushalte zu. Die oft
zitierten 500 Milliarden DM Ausstiegskosten im Energie-
bericht von Wirtschaftsminister Müller sind erstens noch
schöngerechnet und zweitens nur die Spitze des Eisbergs.
Es sind nur die Zusatzkosten für zusätzlichen Klima-
schutz.
Wenn Sie diese Kosten letztendlich auf die Haushalte in
Deutschland konkret herunterbrechen, dann wird sich
auch das als Fata Morgana erweisen, was Sie immer be-
haupten, dass nämlich die Mehrheit der Bevölkerung hin-
ter dem Ausstieg steht.
Auch ist wenig glaubwürdig, wenn Sie bei der Ent-
wicklung derArbeitsplätze gerade im regenerativen Be-
reich immer wieder mit Zahlenspielereien beginnen. Hier
überschlagen sich wirklich die Prognosen: Die einen sind
bei 200 000, die anderen sind schon bei 500 000 Arbeits-
plätzen. Aber dafür gibt es keine seriösen Berechnungen.
Herr Kelber, viele dieser Arbeitsplätze entstehen nicht im
freien Wettbewerb. Wenn ich eine Kilowattstunde aus
Photovoltaik mit 1,48 DM subventionieren muss, dann
stehen diese Arbeitsplätze auf tönernen Füßen.
Aber ganz real und konkret ist der Verlust der Arbeits-
plätze in der Kernenergie. Das hat die zuständige Ge-
werkschaft bei unserer Anhörung genauso gesehen. Sie
fand das überhaupt nicht lustig. Noch eines ist ganz kon-
kret und real: Der Ausstieg gerade aus der Energiepro-
duktion mit den niedrigsten Gestehungskosten wird
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Birgit Homburger
20725
natürlich hierzulande die Energiepreise in die Höhe trei-
ben.
Auch das, Herr Kubatschka, wird Arbeitsplätze kosten,
und zwar in allen Wirtschaftsbereichen.
Im Ergebnis machen Sie eines: Sie machen wettbewerbs-
fähige Arbeitsplätze kaputt und ersetzen sie durch sub-
ventionierte. Das ist wirklich eine Wirtschaftspolitik von
gestern. Das ist ein ökonomischer Schildbürgerstreich.
Problem Nummer zwei Herr Kelber, ist der Klima-
schutz. Es ist natürlich richtig, dass die Kernkraftwerke
nicht für den Klimaschutz erfunden wurden. Aber es ist
trotzdem C02-freie Energie.
Wenn ich mir dieses Gewürge in Bonn und Marrakesch
mit den wirklich minimalen Ergebnissen vor Augen halte,
wenn ich die Forderung der Klimaforscher ernst nehme,
dass unsere Reduktionsziele bis 2005 oder 2012 erst der
Anfang sein können, wenn ich mir anschaue, wie die
Weltbevölkerung rapide steigt und der Energiebedarf in
vielen Entwicklungs- und Schwellenländern zunimmt,
dann sehe ich wirklich keine Chance, dass wir diese ge-
waltige Herausforderung national und international mit
einem Ausstieg aus der Kernenergie bewältigen können.
Auch Sie von Rot-Grün sehen diese Chance nicht. Das
gibt Wirtschaftsminister Müller unumwunden zu. Er ist
immerhin Mitglied dieser Bundesregierung. Für den
Kanzler Schröder ist das ganz einfach: Er hat die Kern-
kraftwerke geistig schon durch Kohle ersetzt. Frau
Hustedt, ich kann mich sehr gut erinnern, wer an der
Spitze der Steinkohlekumpels in Bonn damals marschiert
ist. Wissen Sie, wer das war? – Das war Joschka.
Auch wir wollen – ich sage das ganz klar und deut-
lich – eine Verdoppelung des Anteils der regenerativen
Energien. Das ist ein ehrgeiziges Ziel, es ist aber kein
Ersatz für die Kernkraft.
– Herr Kubatschka, wir brauchen beides, nämlich die
Kernkraft und die regenerativen Energien.
Da der Trittin völlig daneben gequasselt hat, möchte
ich daran erinnern: Das Stromeinspeisungsgesetz haben
wir zusammen gemacht. Das war noch unter unserer Re-
gierung. Sie können doch nicht von uns verlangen, dass
wir beim EEG zu jedem Unsinn Ja und Amen sagen, auch
wenn richtigerweise etwas geregelt werden muss. Dann
könnten Sie ja die Opposition abschaffen.
So etwas lassen wir mit uns natürlich nicht machen.
Das Problem Nummer drei ist die nukleare Sicher-
heit.
Sie wollen mit dem Ausstiegsgesetz Deutschland und die
Welt sicherer machen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Die
überflüssigen Zwischenlager sind ein weiterer Unsicher-
heitsfaktor, Stichwort: Proliferation.
Auch die so wichtige Klärung der Frage der Endlagerung
haben Sie auf unbestimmte Zeit verschoben.
Das größte Sicherheitsrisiko – ich möchte das ganz
deutlich sagen – ist natürlich das Neubauverbot. Es gibt
überhaupt keine Zweifel: Das ist ein technologischer Fa-
denriss. Deutschland klinkt sich damit aus der Weiterent-
wicklung von Kernreaktoren mit einem höheren Sicher-
heitsstandard – zum Beispiel dem EPR – aus.
Sie provozieren damit den Untergang der höchsten
Sicherheitskompetenz in der Welt, und zwar zu einem
Zeitpunkt, da weltweit 90 Reaktoren im Bau oder in Be-
trieb sind. Wenn Trittin gesagt hat, Europa sei auf dem
Marsch in den Ausstieg, so ist das ein Unsinn. Das ist
überhaupt nicht wahr. Selbst Italien, das immer so groß
tönt, bezieht Atomstrom aus Frankreich.
Frau Hustedt, Ihr Argument, es dürfe weiter geforscht
werden, ist reine Heuchelei. In Wirklichkeit versuchen
Sie in der deutschen Wissenschaft ein Denkverbot durch-
zusetzen. Das sieht man an dem Briefwechsel des BMU
mit dem Wirtschaftsministerium, das verpflichtet werden
soll, aus internationalen Kooperationen auszusteigen. Ei-
nes ist doch klar: Wer an nichts Neues denken darf, kann
auch das Alte nicht verbessern.
Besonders pervers wird das am Beispiel des Hochtem-
peraturreaktors. Wir haben darüber im Ausschuss dis-
kutiert.
– Ja, das gebe ich zu; übrigens nicht nur wir, das waren
alle. Herr Kubatschka, ich habe da keine Probleme, ich
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Christian Ruck
20726
kann Ihnen vorbeten, wie das gelaufen ist. Aber das wis-
sen Sie vielleicht auch.
Der HTR ist vor jeder Kernschmelze sicher,
er ist auf hohem Niveau, idiotensicher in der Bedienung
und erleichtert das Problem der Endlagerung.
Eine Studie des MIT in Boston aus jüngster Zeit hat nach-
gewiesen, dass eine solche Anlage, mit Gasturbinen kom-
biniert, die beste Perspektive einer nuklearen Option ist,
und zwar in allen Bereichen: Sicherheit, Wirkungsgrad und
Betriebskosten. Man kann ihn auch unter der Erde bauen.
Das hat auch Professor Seiler vom Öko-Institut im Darm-
stadt bei unserer Anhörung im Ergebnis bestätigt. Darüber
reden Sie aber nicht, weil es Ihnen nicht ins Konzept passt.
– Das stimmt nicht, Herr Kubatschka.
Das Ergebnis Ihrer Politik ist, dass die deutschen Kern-
kraftwerke erst einmal ungeniert weiterlaufen und das Si-
cherheitsniveau in Deutschland und weltweit sinkt.
Sie haben vor einigen Tagen im Ausschuss beschworen
– ich glaube sogar, das waren Sie, Herr Kubatschka –,
man dürfe das Thema nicht ideologisch befrachten. Das
ist ein guter Vorschlag, der sich aber vor allem gegen Sie
richtet. Natürlich kann jeder sagen: Ich wäge die Risiken
ab und bin deswegen gegen Kernkraft. Sie aber haben es
zu weit getrieben. Sie sind nämlich bereit, für ein politi-
sches Markenzeichen jeden ökonomischen und ökologi-
schen Preis zu zahlen und nehmen dabei ungeniert Ab-
striche an der Sicherheit in Kauf. Eine wirkliche
Diskussion um Strahlengefahren findet bei Ihnen längst
nicht mehr statt. Solche Probleme kümmern Sie nämlich
nicht mehr. Ich nehme als Beispiel den BMU-Bericht über
die Gefahren des Radon aus der Erde. An dieser Strah-
lung sterben jedes Jahr in der Bundesrepublik 2 000 Men-
schen. Sie spielen bei jedem Castortransport verrückt,
während Sie die wirklichen Probleme nicht angehen.
Das ist Ideologie. Das ist der eigentliche Skandal Ihrer
Atom- und Energiepolitik.
Herr Abgeord-
neter, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit. Sie haben sie
schon weit überschritten.
Jawohl. – Sie sind
gegenüber Fachargumenten taub geworden und betreiben
die Durchsetzung Ihrer Ideologie mit der Brechstange.
Damit haben Sie das Ansehen unserer Wirtschaft, unserer
Wissenschaft und auch unserer Demokratie beschädigt.
Deswegen bleibt dieser Punkt auch auf der Tagesordnung,
und zwar so lange, bis wir die Probleme wirklich lösen.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Christoph Matschie.
Frau Präsidentin! Werte
Kolleginnen und Kollegen! Nach den sehr stark emotio-
nal und vielleicht auch etwas kulturpessimistisch gepräg-
ten Reden der Opposition möchte ich gern zu ein paar
Sachargumenten zurückkommen. Ich glaube, dass wir
über die Sicherheitsfrage schon auf einem viel höheren
Niveau diskutiert haben, als Sie das vorhin getan haben.
Dass Ihr Antrag in den zur Diskussion stehenden Fragen
sehr oberflächlich und ideologisch geprägt ist, zeigt zum
Beispiel, dass Sie in Ihrem Antrag rundweg behaupten,
der Ausstieg aus der Atomenergie sei sicherheitstechnisch
nicht begründet und der Betrieb der Atomkraftwerke sei
auch nach Meinung international renommierter Experten
in vollem Umfang verantwortbar.
Lassen Sie mich kurz das zitieren, was der Sachver-
ständigenrat für Umweltfragen, der noch unter der Regie-
rung Kohl berufen wurde, dazu in seinem „Umweltgut-
achten 2000“ ausführt – ich hoffe, dass Sie wenigstens
den Argumenten der Sachverständigen, die Sie selber be-
rufen haben, folgen können –:
Der Umweltrat hält aufgrund der Charakteristiken
bestrahlter Brennelemente und der darin begrün-
deten, in weiten Teilen ungelösten Entsorgungspro-
bleme eine weitere Nutzung der Atomenergie für
nicht verantwortbar.
Ich stelle fest: Die Sachverständigen, die Sie berufen ha-
ben, halten eine weitere Nutzung der Kernenergie für
nicht verantwortbar. Dann sollte man sich zumindest ein-
mal die Mühe machen, sich mit solchen Argumenten aus-
einander zu setzen, und nicht einfach ein gegebenes Si-
cherheitsniveau unterstellen.
– Auf Sie, Herr Laufs, gehe ich gleich noch ein. – Das geht
so weit, dass Frau Homburger hier behauptet, die Tat-
sache, dass Atomkraftwerke betrieben und nicht abge-
schaltet werden, beweise ihre Sicherheit. Das ist doch ab-
surd, Frau Homburger.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Christian Ruck
20727
Das Einzige, was das beweist, ist, dass die Atomkraft-
werke nach den von uns vorgegebenen Sicherheitsstan-
dards betrieben werden, dass diese Standards also einge-
halten werden. Das beweist aber nicht, dass absolute
Sicherheit besteht. Eine solche Sicherheit ist bei dieser
Technologie doch überhaupt nicht zu gewährleisten, Frau
Homburger.
– Nein, sie müsste nicht die Schließung veranlassen.
– Nein. Wir haben versucht, durch Verschärfung der Si-
cherheitsvorschriften die Restrisiken zu minimieren. Aber
das heißt doch nicht, dass es keine Restrisiken gibt, über
die wir diskutieren müssen.
Bei keinem Atomkraftwerk, so heißt es in dem Gutachten
des Sachverständigenrates, sei die Möglichkeit einer
Kernschmelze ausgeschlossen. Das ist das Restrisiko,
mit dem wir umzugehen haben und das wir nicht einfach
negieren können, wenn wir über die Nutzung der Atom-
energie diskutieren.
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen empfiehlt
nach seiner Analyse – weil er die weitere Nutzung der
Atomenergie für nicht verantwortbar hält; das sage ich vor
allen Dingen an Ihre Adresse, Herr Wolf –, „Möglich-
keiten einer entschädigungsfreien Beendigung der Nut-
zung der Atomenergie im Wege einer konsensualen Lö-
sung mit den Betreibern zu suchen“. Genau dies haben wir
getan. Auch der Sachverständigenrat sagt nicht: Weil das
so ist, müsst ihr die Atomkraftwerke sofort abschalten. Er
sagt vielmehr: Hier geht es im Rahmen eines gesamt-
gesellschaftlichen Prozesses der Abwägung zwischen
Sicherheitsfragen, ökonomischen Fragen und gesell-
schaftlicher Akzeptanz darum, einen ökonomisch mach-
baren und finanziell verantwortbaren Weg zu finden. Ge-
nau das haben wir getan, Herr Kollege Wolf.
Dabei darf man nicht vergessen, dass die Nutzung der
Atomenergie nie nur eine Frage der marktwirtschaftlichen
Durchsetzbarkeit – es geht um die Preise, die auf dem
Markt erzielt werden können – gewesen ist. Die Nutzung
der Atomenergie ist immer auch eine Frage der poli-
tischen Akzeptanz gewesen. Sie wissen so gut wie ich,
dass seit Jahren in der Bundesrepublik Deutschland eine
stabile Mehrheit gegen die dauerhafte Nutzung der Atom-
energie in Deutschland ist.
In den letzten Jahren war das Verhältnis so, dass etwa
70 Prozent gegen und 30 Prozent für die Nutzung der
Atomenergie waren.
– Herr Laufs, jetzt komme ich zu Ihnen: Das hat schon zu
Beginn der 90er-Jahre dazu geführt, dass die Industrie auf
die Politik zugegangen ist und vorgeschlagen hat, mitei-
nander zu reden, um zu versuchen, einen partei- und frak-
tionsübergreifenden Konsens mit der Politik über Ener-
giefragen zustande zu bringen. Wissen Sie, was das
Ergebnis war?
Das Ergebnis war, dass man mit der Industrie vereinbart
hat, Restlaufzeiten der bestehenden Kraftwerke vorzu-
sehen und den Neubau von Kraftwerken nur noch zu ge-
nehmigen, wenn dafür eine Zweidrittelmehrheit im Bun-
destag vorliegt. Das war das damalige Gesprächsergebnis.
Sie machen sich völlig unglaubwürdig, wenn Sie heute
behaupten, wir wollten eine bestimmte Technologie ver-
bieten; denn auch Sie haben damals versucht, mit der In-
dustrie eine solche Verständigung zu erzielen. Dass wir,
die SPD, uns an diesem Handel damals nicht beteiligt ha-
ben, ist ein ganz anderes Thema, über das wir an dieser
Stelle gar nicht diskutieren müssen.
– Herr Laufs, da Sie sich so erregen,
möchte ich Sie im Hinblick auf den politischen Hinter-
grund und die Akzeptanz in der Bevölkerung darauf hin-
weisen, dass beispielsweise „Forsa“ in einer entsprechen-
den Auswertung schreibt:
Vor allem jüngere Personen
mit formal höherer Bildung sprechen sich für einen
Atomausstieg aus.
Vielleicht sollte Ihnen auch das ein bisschen zu denken
geben, Herr Laufs.
Wenn man die Nutzung der Atomenergie beenden will,
dann muss man sich natürlich den Fragen stellen: Tun wir
das isoliert? Was machen die anderen? Ich wiederhole:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Christoph Matschie
20728
Von den 16EU-Staaten nutzen gegenwärtig noch acht die
Atomenergie.
Von diesen acht haben fünf den Ausstieg beschlossen oder
angekündigt. Das heißt, es gibt nur noch drei EU-Staaten,
die an der unbegrenzten Nutzung der Atomenergie fest-
halten.
Es geht hierbei also überhaupt nicht um einen isolierten
Weg, sondern um ein in der Europäischen Union weit ver-
breitetes Vorgehen, mit dem wir uns in Einklang befinden.
Natürlich muss man auch darüber diskutieren, ob sich
daraus Nachteile für den Klimaschutz ergeben. Das ist
eine sehr ernste Frage. Selbstverständlich ist es nicht ohne
weiteres möglich, diesen Energieträger zu ersetzen; viel-
mehr muss man eine politische Anstrengung unterneh-
men, damit die Beendigung der Nutzung der Atomenergie
klimapolitisch verträglich geschehen kann. Auch an die-
sem Punkt möchte ich Ihnen die Empfehlung des von Ih-
nen selbst berufenen Sachverständigenrates ins Gedächt-
nis rufen.
Im Umweltgutachten 2000 des Sachverständigenrats – es
hat übrigens den Titel „Schritte ins nächste Jahrtausend“ –
heißt es:
Klimapolitischer Handlungsbedarf kann kein Argu-
ment gegen eine Beendigung der Nutzung der Atom-
energie sein.
Das ist die Empfehlung der Sachverständigen, die Sie be-
rufen haben. Wir müssen Klimapolitik auch mit dem
Atomausstieg durchsetzen, und zwar mit einer höheren
Energieeffizienz und mit dem massiven Ausbau erneuer-
barer Energien. Wir haben uns auf genau diesen Weg be-
geben – gegen Ihre Widerstände, Herr Kollege Laufs.
Ich erinnere an Folgendes: Als wir hier über das Er-
neuerbare-Energien-Gesetz abgestimmt haben, haben Sie
dagegengestimmt, Kollege Laufs.
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Hirche?
Ja, gern.
Herr Kollege Matschie, ist Ih-
nen – vielleicht nach Lektüre des Energieberichts des
Bundeswirtschaftsministers – bekannt, dass die Bundes-
republik Deutschland selbst bei einer Senkung ihrer
Treibhausgasemissionen um 40 Prozent, pro Kopf gese-
hen, immer noch so viel Emissionen wie Frankreich heute
hat, das auf die Kernenergie setzt? Wie wollen Sie den von
Ihnen eingeschlagenen Weg bewerkstelligen?
Herr Kollege Hirche,
Ihre Überlegung setzt voraus, dass wir mit der Kernener-
gie die Energiefragen der Zukunft lösen könnten. Das Kli-
maproblem besteht nicht für die nächsten 15 oder
20 Jahre, sondern viel länger. Wir müssen die Frage be-
antworten: Kann die Kernenergie das Klimaproblem lö-
sen? Gegenwärtig gibt es weltweit 440 Kernkraftwerke,
die einen Beitrag zum Primärenergieverbrauch von etwa
7 Prozent leisten. Wie stellen Sie sich angesichts dieser
Tatsache die Welt vor, die versucht, ihr Energieproblem
über die Kernkraft zu lösen, Herr Hirche?
Ich bin davon überzeugt, dass wir andere Wege finden
müssen. Die Kernkraft ist keine nachhaltige Energie. Die
Zukunft liegt in Effizienztechnologien. Die Zukunft liegt
bei der Nutzung erneuerbarer Energien. Wir machen uns
frühzeitig auf den Weg. Das bedeutet einen technolo-
gischen Fortschritt für die Bundesrepublik Deutschland.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal das Motto des
Sachverständigenrats aufgreifen, Herr Kollege Laufs: Mit
dieser Entscheidung heute machen wir einen Schritt ins
21. Jahrhunderts, einen Schritt ins neue Jahrtausend. Sie
dagegen halten an der Ideologie des 20. Jahrhunderts und
den Träumen von technischer Machbarkeit fest.
Danke schön. –
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie
von der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe eines
Gesetzes zur geordneten Beendigung der Kernenergie-
nutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität,
Drucksachen 14/6890 und 14/7261. Der Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt
unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 14/7825, die genannten Gesetzentwürfe als Gesetz
zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur
gewerblichen Erzeugung von Elektrizität anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-
ratung mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU, FDPund PDS
angenommen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Christoph Matschie
20729
Wir kommen zur
Dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten
Opposition angenommen worden.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck-
sache 14/7840? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Ko-
alitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Op-
position angenommen worden.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 14/7841? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die
Stimmen von FDP und CDU/CSU abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der PDS auf Drucksache 14/7842? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS,
die zugestimmt hat, abgelehnt worden.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der
Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Kernenergieaus-
stieg ohne Konzept für Energiepolitik und Entsorgung“.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussem-
pfehlung, den Antrag abzulehnen. Wer stimmt für diesen
Teil der Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die
Stimmen von FDP und CDU/CSU angenommen worden.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der
Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Deutschland muss
weiterhin in der Reaktorsicherheitsentwicklung eine
führende Rolle einnehmen – Zusagen an Frankreich
müssen eingehalten werden“. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen worden.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der
CDU/CSU-Fraktion mit dem Titel „Zukunft der nuklearen
Entsorgung – Entsorgungskonzept jetzt vorlegen“: Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/4644
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grü-
nen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP
angenommen. Damit sind wir am Ende dieser Abstim-
mung.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf:
a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Einführung des diagnoseorientierten
– Drucksache 14/6893 –
– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Einführung des diagnoseorientierten
Fallpauschalensystems für Krankenhäuser
– Drucksachen 14/7421, 14/7461 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit
– Drucksachen 14/7824, 14/7862 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Hans Georg Faust
b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Begrenzung der Arzneimittelausgaben der gesetz-
– Drucksache 14/7144 –
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Gesundheit
– Drucksache 14/7827 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Wolf Bauer
– Drucksache 14/7855 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Luther
Jürgen Koppelin
Dr. Uwe-Jens Rössel
Walter Schöler
Franziska Eichstädt-Bohlig
Zum Gesetzentwurf zur Einführung des Fallpauscha-
lensystems liegen Entschließungsanträge der Fraktionen
der CDU/CSU und der FDP vor.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
20730
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundes-
ministerin Ulla Schmidt.
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heute
zu verabschiedenden Gesetzentwürfe sind ein weiterer
Schritt auf dem Weg hin
zu unserem Ziel „Qualität sichern – Wirtschaftlichkeit
stärken“.
Mit dem Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz
und dem Budgetablösegesetz reagieren wir auf die Aus-
gabensteigerung im Arzneimittelbereich. Das Arzneimit-
telausgaben-Begrenzungsgesetz hat drei strukturelle Ver-
änderungskomponenten. Das sind erstens die verstärkte
Anwendung der Aut-idem-Regelung, zweitens die Verän-
derung der Krankenhausentlassberichte und drittens die
Bewertung des therapeutischen Nutzens eines Medika-
mentes im Verhältnis zu seinem Preis.
Bei der Aut-idem-Regelung gehen wir davon aus,
dass ein Arzt oder eine Ärztin lediglich dann einen Wirk-
stoff verschreibt, wenn sie selber verantworten, dass das
entsprechende Medikament mit diesem Wirkstoff nach
dem günstigsten Preis ausgesucht werden kann,
dass der Arzt selbst ein preisgünstiges Arzneimittel ver-
ordnet oder dass der Arzt durch Ankreuzen deutlich
macht, dass er auf der Abgabe eines bestimmten Medika-
mentes besteht. Mit dieser Regelung wollen wir im kom-
menden Jahr 400 bis 500 Millionen DM einsparen. Dies
wird dazu beitragen, dass auf Dauer auch innovative Arz-
neimittel bezahlt werden können und diese auch den Mit-
gliedern der gesetzlichen Krankenkassen zur Verfügung
stehen.
Wenn die Versicherten wollen, dass sie im Krankheits-
fall neue Medikamente erhalten, selbst wenn sie sehr teuer
sind – was viele der Innovationen sind –, müssen alle ak-
zeptieren, dass in all den Fällen, in denen es ein wir-
kungsgleiches, aber preiswerteres Medikament gibt, die
Solidargemeinschaft immer nur die kostengünstigere Al-
ternative ersetzen kann. Diese muss dann auch gewählt
werden, wie dies jeder in seinem privaten Bereich auch
tun würde.
Zweitens. Wir wollen Innovationen, wir wollen, dass
geforscht wird. Das heißt aber nicht, dass auf Dauer alles,
was patentgeschützt ist, frei von jeder Preisgestaltung ist.
Deshalb werden wir den Bundesausschuss mit diesem
Gesetz beauftragen, neue Medikamente und patentge-
schützte Medikamente daraufhin zu überprüfen, ob sie
tatsächlich einen erhöhten therapeutischen Nutzen gegen-
über schon im Verkehr befindlichen Generika aufweisen
oder wie hoch der therapeutische Nutzen ist.
Ich sage ganz klar: Ein Medikament, das nur einen um
10 Prozent höheren Nutzen gegenüber anderen kosten-
günstigeren Medikamenten hat, darf auch im Preis nur
10 Prozent höher liegen. Es gibt keine Berechtigung der In-
dustrie, einen um 300 Prozent höheren Preis zu verlangen.
Drittens. Ich halte es für notwendig, dass die Kranken-
häuser, die während der stationären Behandlung auch
Arzneimittel verordnen, die Patienten und Patientinnen in
den Krankenhausentlassberichten auf wirkstoff- und
wirkungsgleiche kostengünstigere Alternativen hinwei-
sen, damit hier schon die Voraussetzungen dafür geschaf-
fen werden, dass die Patienten und Patientinnen mitma-
chen und bereit sind, diesen Weg zu gehen. Nur so werden
wir auf Dauer die Arzneimittel noch bezahlen können.
Die zweite Komponente des Gesetzes betrifft die Ein-
sparmöglichkeiten, die direkte finanzielle Entlastung der
Krankenkassen. Da haben wir
zum einen die freiwillige Vereinbarung, dass die for-
schenden Arzneimittelhersteller eine Geldleistung von
400 Millionen DM an die Krankenkassen zahlen.
– Es ist kein Bakschisch, Kollege Merz. Ich habe das ges-
tern schon gehört und ich meine,
dass Sie Äußerungen wie Bakschisch von Ihrer Seite aus
zurückziehen sollten. Ich will hier nicht auf andere Dinge
eingehen,
weil das nicht meine Art ist.
Worum geht es bei den 400 Millionen DM?
Ich war von Anfang an der Auffassung, dass die for-
schende Pharmaindustrie einen Beitrag leisten müsste.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
20731
Da sie das nicht freiwillig tun wollte, haben wir gesagt:
Dann werden wir sie gesetzlich dazu verpflichten.
Aber die forschende Pharmaindustrie und ihre Unterneh-
men – immerhin 38 Unternehmen mit rund 80 000 Be-
schäftigten – haben mir versichern können, dass ein Preis-
abschlag nachweislich nicht nur Auswirkungen auf das
Inland, sondern dass er auch Auswirkungen auf ihre Re-
ferenzpreise im Ausland hätte.
Wir haben deshalb gemeinsam mit den Beschäftigten nach
einem Weg gesucht und sind zu dem Ergebnis gekommen,
dass die forschenden Pharmaunternehmen eine Geldleis-
tung zahlen und damit dazu beitragen, den Kostenanstieg
in der gesetzlichen Krankenversicherung zu verringern,
dass das aber nicht Ursache für den Abbau von Arbeits-
plätzen sein darf. Bei dieser Frage, Herr Kollege Merz,
geht es auch um die 80 000 Beschäftigten in den pharma-
zeutischen Unternehmen.
– Das ist keine Steuer, das ist auch keine Zusatzsteuer,
sondern das ist eine Geldleistung, die die forschende
Pharmaindustrie an die Krankenkassen zahlt,
damit dort der Ausgabenanstieg begrenzt werden kann.
Eine weitere Geldleistung ist der Apothekenrabatt.
Die Erhöhung des Apothekenrabatts um 1 Prozent soll
dazu beitragen, im kommenden Jahr 400 bis 500 Milli-
onen DM einzusparen. Wir halten es für erforderlich, dass
diese Regelung wirksam wird, sobald die technischen
Voraussetzungen dafür geschaffen sind.
Obwohl der Bundesrat der Fristverkürzung nicht zuge-
stimmt hat,
sondern das Gesetz erst in der Sitzung am 1. Februar be-
raten wird,
gehen wir davon aus, dass die Apotheken nach der heuti-
gen Verabschiedung des Gesetzes in zweiter und dritter
Lesung sehr genau wissen, dass sie diesen neuen Rabatt
ab Februar zahlen müssen. Sie können jetzt mit den Vor-
bereitungen beginnen, sodass wir nach dem 1. Februar
keine Zeitverzögerung mehr in Kauf nehmen müssen.
– Das ist eine technische Frage, Herr Kollege Merz.
In der Frage stehe ich in engem Kontakt mit den Gesund-
heitsministern. Deshalb weiß ich das. Wir werden darüber
am 1. Februar beraten und wir werden zusammen mit den
bereits verabschiedeten 750 Millionen DM im Bereich
der Festbeträge ein Einsparvolumen zwischen 2,5 und
3 Milliarden DM auf den Weg bringen.
Das ist genau der Betrag, um den die Arzneimittelausga-
ben in diesem Jahr gestiegen sind und am Gesamtdefizit
teilhaben. Wir werden sehen, wie das umgesetzt wird.
Eines ist klar: Wir setzen darauf, dass dies funktioniert,
dass die Organe der Selbstverwaltung ihre Arbeit zügig
beginnen und auch die Ärzte und Ärztinnen diese Rege-
lung akzeptieren und selber überlegen, was denn wirt-
schaftlicher und kostengünstiger angeboten werden kann,
damit ihre Patientinnen und Patienten dann, wenn sie
wirklich krank sind, an einer guten, qualitativ hoch ste-
henden Arzneimittelversorgung teilhaben.
Da ja alle immer im Interesse der Patientinnen und Pati-
enten handeln und deren Wohl im Auge haben,
sind jetzt alle aufgefordert, daran mitzuwirken, dass auch in
Zukunft jeder das Medikament bekommt, das er braucht,
um gesund zu werden oder seine Schmerzen zu lindern.
Das zweite Gesetz, über das wir heute reden, nämlich
die Einführung der Fallpauschalen in den Krankenhäu-
sern, folgt auch dem Grundsatz: Qualität sichern und
Wirtschaftlichkeit stärken.
Sie wissen, dass sich die Krankenhauslandschaft verän-
dern wird, weil in Zukunft keine Gelder mehr für das Vor-
halten von Bettgestellen bezahlt werden, sondern medizi-
nische Leistungen verglichen und dementsprechend
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Bundesministerin Ulla Schmidt
20732
bezahlt werden. Auf Ihre Vorhaltung, dass die Zeitspanne
bis zum Jahre 2007 für diese Umstellung viel zu kurz be-
messen ist, halte ich Ihnen entgegen: Wir werden nie eine
Reform auf den Weg bringen, wenn man in dem
Schneckentempo vorangeht, wie es auch heute Ihre Frak-
tion wieder vorschlägt.
Bei unserem Vorgehen haben die Krankenhäuser bis
2007 die Möglichkeit, sich umzustellen und interdiszi-
plinäre Diagnose- und Behandlungsverfahren auf den
Weg zu bringen. Dafür müssen sie neben der medizini-
schen Leistung, die sie erbringen, auch ein vernünftiges
Personal- und Zeitmanagement einführen.
Beides muss zusammengehen: die optimale Behandlung
der Kranken und eine optimale Organisation des Kran-
kenhausbetriebes.
Ich bin froh, dass wir mit diesem Fallpauschalengesetz
ein Gesetz auf den Weg bringen, das den Krankenhäusern
Anreize dafür gibt, das geltende Arbeitszeitgesetz umzu-
setzen.
Für die Krankenhäuser, die diesen Weg gehen und deshalb
mehr Personal einsetzen müssen, stehen 200 Millionen
DM zur Verfügung.
Das, was wir heute auf den Weg bringen, wird die
Krankenhauslandschaft wirklich sehr verändern.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hans Georg Faust.
Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin,
Sie haben eben gesagt, Sie wollten mit 200Millionen DM
dafür sorgen, dass das Arbeitszeitgesetz in den bundes-
deutschen Krankenhäusern eingehalten werden kann.
Denken Sie bitte auch an das Urteil des Europäischen Ge-
richtshofes und daran, dass mit diesen 200 Millionen DM
natürlich nicht die Konsequenzen beseitigt werden kön-
nen, die durch die Überlastung der Ärzte im Nachtdienst
entstehen und zum Teil in Gefährdungen der Patienten
münden.
Meine Damen und Herren, in den 2 242 Krankenhäu-
sern in Deutschland behandeln, pflegen und betreuen
1,1 Millionen Mitarbeiter jährlich 16,5 Millionen Patien-
ten. Dies geschieht mit hervorragenden Ärzten, Forschern
und Wissenschaftlern in gewachsenen Strukturen, in einer
Krankenhauslandschaft, die sich aus den besten Traditio-
nen deutscher Medizingeschichte entwickelt hat. An de-
ren Erfolge wollen wir zugunsten und zum Wohle unserer
Patienten auch in der Zukunft anknüpfen können.
Zur elementaren Daseinsvorsorge gehört im Bewusst-
sein der Bevölkerung die wohnortnahe stationäre Ver-
sorgung, aber auch zunehmend die moderne, ressourcen-
intensive Spezialleistung und im Extremfall die
aufwendige, viele medizinische Disziplinen umfassende
innovative Behandlung. Dafür geben die Krankenkassen
in der Tat erhebliche Summen aus: 87 Milliarden DM.
In dieser Situation startet die Bundesregierung – allen
voran Sie, Frau Ministerin Schmidt – einen flächen-
deckenden Großversuch, der in wenigen Jahren – das ha-
ben Sie korrekt ausgedrückt, aber vielleicht nicht so ge-
meint – die deutsche Krankenhauslandschaft dramatisch
verändern wird. Sie wollen in fünf Jahren und 16 Tagen
– ab heute gerechnet – ein umfassendes leistungsorien-
tiertes Entgeltsystem für die Leistungen der Krankenhäu-
ser einführen. Kein Land der Welt hat den Mut zu einem
solchen Großversuch aufgebracht, ein umfassendes,
scharfes Preissystem einzuführen.
Vor allen Dingen hat kein Land der Welt derart kurze
Zeiträume für Einführung und Anpassung vorgesehen.
Denken Sie einmal daran, wie lange in den Vereinigten
Staaten die Entwicklung des Fallpauschalensystems ge-
dauert hat.
Es ist unbestritten, dass auch der Krankenhausbereich
eine Steigerung der Effizienz braucht. Es ist auch sicher
richtig, dass sauber kalkulierte Preise ein Weg sind, den
notwendigen Wettbewerb im Krankenhausbereich zu för-
dern.
In dieser Erkenntnis wäre mit uns eine umfassende Rege-
lung zu machen – dazu haben wir ja einen Entschließungs-
antrag vorgelegt –, das bisherige, von Horst Seehofer
eingeführte Fallpauschalensystem für 25 Prozent der Leis-
tungen deutlich nach oben zu erweitern,
in vertretbaren Zeiträumen evolutionär fortzuentwickeln
und dann zu schauen, wie weit das System trägt.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Bundesministerin Ulla Schmidt
20733
Die Experten haben es Ihnen in der Anhörung doch
schon gesagt: 20 bis 40 Prozent lassen sich nicht abbilden.
– Die Experten in der Anhörung.
Meine Damen und Herren, ich zitiere einmal aus der
Begründung Ihres Gesetzentwurfs:
Das neue Entgeltsystem soll das Leistungsgeschehen
im Krankenhausbereich transparenter machen, die
Wirtschaftlichkeit fördern und ... Fehlanreize insbe-
sondere zur Verlängerung der Verweildauer beseiti-
gen. Die direkte Verknüpfung der erbrachten Leis-
tungen mit der Vergütung soll dazu beitragen, dass
die Ressourcen krankenhausintern wie auch kran-
kenhausübergreifend
– ich betone: krankenhausübergreifend –
bedarfsgerechter und effizienter eingesetzt werden.
Würden Sie bei der Aufzählung dessen, was Sie an-
streben, nicht auch die Verweildauerverkürzung ver-
schämt eingestehen, wäre das alles wunderbar: Der rich-
tige Patient erhielte zur richtigen Zeit die richtige
Behandlung in der richtigen Einrichtung. Doch weil Sie,
Frau Ministerin Schmidt, mit dem Fallpauschalengesetz
nur den Krankenhaussektor angehen, da die sektoren-
übergreifenden Ansätze – ich erinnere nur an die §§ 140 a
bis h, 115 b SGB V usw. – alle nicht funktionieren, sieht
die tatsächliche Entwicklung anders aus: Mehr Patienten,
ältere und vielfach kranke, müssen schneller in weniger
Krankenhäusern von noch mehr unter der Leistungsver-
dichtung leidenden Schwestern, Pflegern und Ärzten be-
handelt werden.
Den Verantwortlichen war dies im Gesetzgebungsverfah-
ren auch klar; dies zeigt die Passage über die flexible An-
passung der Leistungsstrukturen.
Was heißt denn in der Begründung des Gesetzentwurfs,
die Spezialisierung werde voranschreiten? Das bedeutet,
dass das kleine, kommunale Krankenhaus mit seiner
wohnortnahen Breitenversorgung chancenlos wird und
sich entweder in eine Spezialklinik umwandelt oder dem
Wettbewerb zum Opfer fällt. Sie umschreiben das vor-
nehm so:
Auch die Zunahme frei werdender Bettenkapazitäten
infolge der Verweildauerverkürzung wird Gegen-
stand von Anpassungsreaktionen sein.
Anpassungsreaktion bedeutet: Krankenhaus geschlossen,
Betten nicht mehr da.
Nach der viel beachteten Andersen-Studie wird in den
nächsten 14 Jahren jedes vierte Krankenhaus zu schließen
sein.
Die Ablehnung unserer Fraktion gründet sich – neben
den allgemeinen Bedenken – auf drei Problemkreise. Ers-
tens. Der Zeitplan zur Einführung der DRGs ist schon
jetzt über den Haufen geworfen. Daran ändert sich auch
dadurch nichts, dass Sie dem Vorschlag der Deutschen
Krankenhausgesellschaft gefolgt sind, die Optionsmög-
lichkeit einzuführen. Im Übrigen befindet sich die Kran-
kenhausgesellschaft schon deutlich auf dem Rückzug,
weil Sie, Frau Ministerin, für die Tatsache, dass bis Mitte
2002 in vielen Bereichen keine deutschen Relativge-
wichte vorliegen, australische Relativgewichte einführen
wollen. Mit den Ersatzteilen eines Landrovers können Sie
aber keinen VW zum Laufen bringen, auch wenn Sie die
Teile nach und nach austauschen wollen.
Für eine Verlängerung des Zeitplans plädiert natürlich
auch der Marburger Bund, der in seiner Stellungnahme
auch auf die Probleme hinweist, die wir mit der Arbeits-
zeitregelung haben. Das letzte Arbeitsgerichtsurteil in
Herne vom 11. Dezember besagt, Bereitschaftsdienst sei
Arbeitszeit. Es nützt nichts: Sie werden viel mehr als die
100 Millionen Euro in das Krankenhaus stecken müssen.
Zweitens. Die Verankerung der Fallpauschalen im Ge-
samtsystem ist nicht gegeben. Wir bekommen Leistungs-
verschiebungen infolge von Verweildauerverkürzun-
gen. Das ist natürlich auch gewollt. Medizinisch spricht
in der Tat nichts dagegen, dass das Krankenhaus einen Pa-
tienten für eine Gelenkoperation am Bein am Opera-
tionstag stationär aufnimmt, sofern er nüchtern kommt,
und ihn nach ein bis zwei Tagen, wenn auch mit der Ver-
pflichtung zur Bettruhe, nach Hause entlässt. Aber belas-
tet wird der ambulante Bereich mit Voruntersuchungen,
Labor, EKG und Röntgenaufnahmen und der nachgeord-
nete Bereich. Das ist der Fall, wenn der niedergelassene
Arzt zulasten seines Budgets oder – in Zukunft – seiner
Richtgrößen die teuren Heparinspritzen zur Verhinderung
einer Thrombose geben muss. Genau das sind die Effekte,
deren Auswirkungen berücksichtigt werden müssen.
Drittens. Die Letztverantwortung der Länder und der
Kommunen für die Sicherstellung der Krankenhaus-
versorgung wird weiter ausgehöhlt. Da reicht es nicht
aus, Frau Ministerin, über ein erweitertes Lockangebot
den Ländern weitere individuelle Gestaltungsrechte beim
Sicherungszuschlag zu gewähren, wenn nach wie vor
über die Tatsache, ob und in welcher Höhe ein Zuschlag
erteilt wird, von den Vertragsparteien vor Ort verhandelt
werden muss. Wenn dann die Zuschläge noch über den
Weg eines kollektiven Ausgleichs von den Krankenhäu-
sern, die gar keine Zuschläge erhalten haben, mitbezahlt
werden müssen, dann gerät dieses System vollends in eine
Schieflage.
An dieser Stelle ein Wort zum Entschließungsantrag
der FDP, mit dessen Zielsetzung und Feststellungen wir in
wichtigen Teilen übereinstimmen, besonders da, wo mas-
sive Kritik an einem DRG-System im Budgetkorsett ge-
äußert wird. Wir teilen aber nicht die Auffassung zur
Krankenhausplanung als skizzenhafte Rahmenplanung
auf der einen Seite, auch nicht die zu Zuschüssen der
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Hans Georg Faust
20734
Kommunen an die Krankenhäuser auf der anderen Seite,
die sich auf einen dann kaum begründbaren Sicherstel-
lungsauftrag gründen sollen und die mit einer monisti-
schen Krankenhausfinanzierung verbunden sind, bei der
ebenfalls nicht klar ist, wer letztlich für die materielle
Ausgestaltung des Investitionsanteils der DRGs verant-
wortlich ist.
Diesem unzureichenden Gesetzentwurf der Regie-
rungskoalitionen mit vielen Änderungsanträgen die Geh-
stützen zu geben, dass er laufen kann, hätte einen mit
Blick auf die Einführung eines sich selbst steuernden
leistungsorientierten Fallpauschalensystems unter Be-
rücksichtigung des Versorgungsbedarfs gereizt. Das gebe
ich zu. Aber das war aus einem ganz einfachen Grund
nicht möglich: Der Fehlansatz war aus dem Gesetzent-
wurf nicht herauszubekommen. Dieser Fehlansatz ist die
DRG-Einführung, die Einführung des Fallpauschalen-
systems unter Budgetbedingungen.
Daraus ergeben sich die eigentlichen unheilvollen
Konsequenzen wie die Absenkung der Relativgewichte
bei Fallzahlsteigerungen, die Absenkung des Basisfall-
wertes, wenn die Ausgabenentwicklung über der Verän-
derungsrate liegt, und Mengenvereinbarungen bei Fest-
preisen.
Preisverfall oder die Unterversorgung von Patienten,
floatende Krankenhausfallwerte oder Rationierung durch
Mengenbegrenzung und dann am Ende auch noch die Ge-
fahr der Selektion von Patienten unter eiskalten Kosten-
Nutzen-Gesichtspunkten in deutschen Krankenhäusern –
das ist mit der CDU/CSU-Fraktion trotz des Verspre-
chens, dass es sich um ein lernendes System handelt, nicht
zu machen. Das lernende System, Frau Ministerin, wird
die Prüfungen in der Krankenhauswirklichkeit nicht be-
stehen.
Wir lehnen den Gesetzentwurf wegen der Risiken und
Nebenwirkungen ab.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ekin Deligöz.
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nun fällt
der Opposition in diesem Bereich keine bessere Kritik ein,
als Hypothesen aufzustellen, zu spekulieren, mit Wenn-
Dann-Sätzen zu argumentieren, zu sagen, was kommen
könnte, und Behauptungen aufzustellen, die sie nicht be-
legen kann.
Sicher ist nur eines – darüber kann ich mich auch in-
formieren, ohne im Ausschuss zu sein –,
dass in den Jahren 1985 bis 1995 die Beitragssätze in der
Sozialversicherung um 17 Prozent, nämlich von 35,1 auf
42 Prozent, gestiegen sind.
Nachdem Sie so lange in diesem Bereich untätig wa-
ren, wundert es mich, dass Sie sich wegen der Beitrags-
sätze so besorgt zeigen; denn Sie haben Reformvorhaben
in diesem Bereich bisher immer konsequent abgelehnt.
Wir haben uns seit dem Regierungsantritt bemüht, stei-
gende Beiträge in der Renten- und Krankenversicherung
erst zu verhindern
und dann die Beiträge zu reduzieren, um damit zur Sen-
kung der Lohnnebenkosten beizutragen. Das war die Auf-
gabe dieser Regierung.
Der stationäre Sektor verschlingt 92 Milliarden DM
und damit ein Drittel der gesamten GKV-Ausgaben. Hier
brauchen wir vor allem mehr Effizienz, mehr Wirtschaft-
lichkeit und größeres Kostenbewusstsein. Deshalb ordnen
wir mit diesem Gesetz die Krankenhausfinanzierung
langfristig neu, und zwar durch ein System, das sich schon
in anderen Ländern bewährt hat.
Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Es gibt kein
Land, in dem es hundertprozentig umgesetzt
worden ist! Das stimmt eben nicht!)
Das bedeutet aber nicht, dass wir ein anderes System eins
zu eins übernehmen. Die DRGs, wie sie in Australien bei
Krokodilbissen angewendet werden, werden wir zum
Beispiel nicht übernehmen.
Der Blick auf andere Länder, die schon sehr lange mit
Fallpauschalen arbeiten, zeigt uns, dass die hier vorge-
brachte Kritik nicht berechtigt ist. So wird zum Beispiel
behauptet, die Einführung der DRGs zwinge vor allem
kleinere Krankenhäuser zur Schließung. Eine Studie des
amerikanischen Gesundheitsministeriums von 1991 da-
gegen besagt, die DRG-Vergütung sei kein Grund zur
Schließung von Krankenhäusern gewesen.
Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
Zöller?
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Hans Georg Faust
20735
Nein,
Sie können hinterher eine Kurzintervention machen.
Dann antworte ich darauf.
Auch die Behauptung, die DRGs würden über kurz
oder lang zu einer Mengenausweitung führen, lässt sich
durch die Erfahrungen in den USA nicht bestätigen. Das
gilt ebenso für den Vorwurf, durch die Einführung eines
Fallpauschalensystems werde es zu einer abnehmenden
Qualität kommen.
Eines aber hat die Studie in den USA mit Sicherheit ge-
zeigt: Die Kostensteigerung in der stationären Behand-
lung konnte ohne Qualitätseinschränkung abgebremst
werden.
Das seit 1996 praktizierte Mischsystem von Fallpau-
schalen und Sonderentgelten auf der einen Seite und ta-
gesgleichen Pflegesätzen auf der anderen Seite für den
Krankenhausbesuch hat sich nicht als sinnvoll erwiesen.
Wir haben uns mit diesem Gesetz zum Ziel gesetzt, vom
Selbstkostendeckungsprinzip und von kostenorientierten
Budgets hin zu einem leistungsorientierten Finanzie-
rungssystem zu kommen.
Das neue System wird die Leistungsabgabe im Kranken-
haus transparenter und effizienter machen. Darüber hi-
naus werden die Fallpauschalen Fehlanreize beseitigen,
weil dieses System an der Bedarfsgerechtigkeit ansetzt.
Das Fallpauschalensystem hat vor allen Dingen den
Vorteil, dass wir zu einer regional gleichen Vergütung
kommen. Aber auch die Verweildauer in den Kranken-
häusern wird sich verkürzen. Jeder von uns kennt das: Bis
zur ersten Behandlung verbringt der eine oder andere Pa-
tient zunächst einmal das Wochenende im Krankenhaus.
In diesem Gesetz hat auch die Qualitätssicherung einen
hohen Stellenwert. Wir haben ein lernendes System ein-
gebaut,
in dem systematische Beobachtungen und Überprüfungen
durchgeführt und die notwendigen Schlussfolgerungen
für weitere Anpassungen und Entwicklungen des Fall-
pauschalensystems gezogen werden.
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Faust? Oder gestatten
Sie gar keine Zwischenfragen?
Ich ge-
statte keine Zwischenfragen.
Wir sehen deshalb eine Übergangsphase bis zum
Jahr 2006 vor. Die zweijährige so genannte budgetneu-
trale Einführungsphase in den Jahren 2003 und 2004 in
Höhe der Krankenhausbudgets ermöglicht es den einzel-
nen Krankenhäusern, sich auf die Veränderungen der Ein-
nahmen einzustellen.
Mit der Einführung des Fallpauschalensystems betre-
ten wir kein Neuland. Wir haben bereits mit der Gesund-
heitsreform den Weg in diesem Bereich geebnet. Das jetzt
zu beschließende Gesetz ist nur eine logische Konsequenz
aus § 17 der Gesundheitsreform 2000. Andrea Fischer als
Ministerin hat diese mutige und tief greifende Verände-
rung in der Krankenhausfinanzierung begonnen, die wir
heute hier verabschieden werden.
Auch der Sachverständigenrat sieht in der Einführung
des Fallpauschalensystems die Chance zur Steigerung der
Effizienz, der Wirtschaftlichkeit und vor allem der Qua-
litätssicherung.
Wir zeigen mit dieser Reform: Wir meinen es ernst mit der
Reform des Gesundheitswesens, die noch viel stärker und
konsequenter als bisher angegangen werden muss.
Wenn wir das Fallpauschalensystem beschließen, dann
ist klar, dass wir damit auch die Spezialisierung der
Krankenhäuser stärken. Hier müssen wir uns auch ent-
scheiden: Wollen wir eine Vielzahl von Krankenhäusern,
die alles machen, oder wollen wir den Ausbau von Kom-
petenzzentren, die sich in Zukunft auf die Behandlung
von bestimmten Krankheiten konzentrieren werden?
Diese werden allein durch die Erfahrung, die sie sammeln
können, besser sein, als es jedes Kreiskrankenhaus
zwangsläufig sein kann.
Auch in Zukunft wird dennoch eine flächendeckende
medizinische Versorgung gewährleistet sein;
denn der Gesetzentwurf sieht die Möglichkeit der Verein-
barung von Zuschlägen zur Sicherung der medizinischen
Versorgung der Bevölkerung vor. Die Möglichkeiten zur
integrierten Versorgung durch die vor- und die nachgela-
gerte Versorgung werden demnächst intensiver genutzt
werden. Auch das ist eine Folge der Einführung der
DRGs. Dies ist eine richtige Weichenstellung; denn wir
brauchen – das sollte uns allen klar sein – im Gesund-
heitssystem eine intensivere und verbesserte Zusammen-
arbeit der verschiedenen Leistungsträger.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120736
Dazu gehört die Stärkung der Rolle des Hausarztes,
aber vor allem mehr Transparenz. Transparenz bedeutet
nicht in erster Linie Transparenz für die Versicherungen
und Verbände, sondern vor allem für die Patienten und die
Versicherten.
Noch ein Wort zum Arzneimittelausgaben-Begren-
zungsgesetz. Um die GKV zukunftsfähig zu machen, be-
darf es der Zusammenarbeit aller Beteiligten. So sorgen
im Bereich der stationären Versorgung die zuständigen
Spitzenverbände durch die Entwicklung des heute disku-
tierten Fallpauschalensystems für mehr Transparenz in
den Ausgabenströmen der GKV. Auf der Grundlage
des Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetzes beteiligt
sich nach vorheriger Absprache nun auch der pharmazeu-
tische Bereich an der Konsolidierung der gesetzlichen
Krankenversicherung. Aber das ist noch nicht alles. Auch
die Ärzte und die Apotheker werden sich in Zukunft an
der Erschließung von Wirtschaftlichkeitsreserven beteili-
gen, und das in einer Form, die weder die Therapiefreiheit
noch die medizinische Versorgung der Patientinnen und
Patienten gefährdet. Wir geben damit den Apothekern und
den Ärzten ein Instrument an die Hand, mit dem sie zu-
verlässig wirtschaftlich Medikamente verordnen können.
Die entstehende Markttransparenz, die es in
Deutschland noch nie gab, ist eine grundlegende Voraus-
setzung für einen fairen Wettbewerb. Diesen wollen hof-
fentlich nicht nur wir, sondern auch Sie.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dieter Thomae.
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Von den Rednern der
Regierungsfraktionen habe ich überhaupt nichts zu der
gegenwärtigen Situation im Gesundheitssystem gehört.
Die gegenwärtige Situation ist Chaos.
Wir haben steigende Beitragssätze, wir haben jede Woche
ein neues Gutachten, hinter das sich die Ministerin jeweils
hängt und von dem sie meint, es sei gut und irgendwann
müsse man es verwirklichen. Wir vergessen, dass die Ver-
sicherten immer höhere Beitragssätze zahlen.
Ich sage Ihnen auch: Mit Ihren beiden Gesetzen wer-
den Sie keinen Erfolg haben. Das Arzneimittelausgaben-
Begrenzungsgesetz muss man parlamentarisch sehr stark
kritisieren. Ich bin überrascht, dass Sie bei einem solchen
Gesetz noch nicht einmal die Zustimmungspflichtigkeit
seitens der Länder überprüft haben. Ich kann nur hoffen,
dass hier verfassungsrechtliche Fehler gemacht worden
sind; denn das, was Sie hier gemacht haben, ist erstaun-
lich: Sie haben Basarmentalität in die Politik eingeführt.
Ich finde es erstaunlich, dass der Umweltminister hier sol-
che Worte gebrauchen kann und Sie so etwas in Geset-
zesform gießen.
Ich sage Ihnen voraus, Frau Ministerin: Mit diesen Be-
trägen werden Sie nicht den gewünschten Erfolg haben.
Sie sind ja sogar zu feige, den Betrag ins Gesetz zu schrei-
ben.
Wenn Sie Mut hätten, hätten Sie das getan.
Aber Sie wissen, dass Sie schon jetzt verloren haben.
Dann glauben Sie, dass Sie mit der Aut-idem-Rege-
lung und dem Bundesausschuss erfolgreich sein werden.
Überlegen Sie doch einmal: Wir haben jetzt das Institut
für Arzneimittel und Medizinprodukte, das die Produkte
und deren Zulassung überprüft, eine wichtige, entschei-
dende Hürde. Dann träumen Sie – wir natürlich nicht, weil
wir das für schwachsinnig halten –
davon, mit dem Institut eine Positivliste zu erstellen.
Außerdem soll der Bundesausschuss in der kurzen Zeit,
die ihm zur Verfügung steht, über die Wirksamkeit ent-
scheiden.
Ich kann nur fragen: In welcher Welt leben wir eigent-
lich, dass Sie solche Entscheidungen treffen?
Damit schränken Sie die Therapiefreiheit der Ärzte zum
Nachteil der Patienten weiter ein. Das ist der entschei-
dende Punkt.
Sie versprechen den Patienten permanent mehr und deren
Versorgung wird während Ihrer Regierungszeit ständig
schlechter.
Die Qualität sinkt. Das ist Ihre Politik.
Ähnlich ist es bei Ihrem Gesetz zur Einführung von
Fallpauschalen. Der Idee können wir zustimmen. Aber
es gibt einige entscheidende Fragen, die Sie nicht beant-
worten, weil Sie dazu keinen Mut haben.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Ekin Deligöz
20737
Ein echtes Preissystem liegt nicht vor.
Ich muss in aller Bescheidenheit fragen: Wie kommen Sie
auf die Idee, australische Fallpauschalen zur Grundlage
Ihrer Diskussion zu machen?
– Moment. Sie haben das massiv unterstützt.
Warum orientieren Sie sich nicht an Fallpauschalen,
die in Europa bzw. Amerika bereits eingeführt wurden
und sich dort bewährt haben? Darauf könnten wir ein eu-
ropäisches System aufbauen. Das ist Ihr großer Fehler.
Sie alle wissen, dass es in Australien überhaupt kein
Preissystem gibt.
– Nein, es gibt kein Preissystem. Dies ist in den einzelnen
Staaten von Australien überhaupt nicht realisiert. Dort
gibt es vielmehr überall Budgetierung.
Herr Kollege
Thomae, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte.
Bitte sehr.
Herr Kollege Dr. Thomae,
da Sie ja lange genug Politiker sind, dürfte auch Ihnen be-
kannt sein, dass nicht der Gesetzgeber festgelegt hat, wel-
ches Fallpauschalensystem bzw. DRG-System gewählt
wird, sondern dass letzten Endes die Selbstverwaltung
entschieden hat, ob ein australisches oder welches System
auch immer herangezogen wird.
Herr Kirschner, Sie haben
völlig Recht. Das ist Sache der Selbstverwaltung. Aber
auch Sie wissen, dass die Bundesregierung bei der Beant-
wortung der Frage mitreden kann, welches System einge-
führt wird. So abseits steht die Bundesregierung nicht.
Sie glauben, Sie etablieren ein echtes Preissystem. Das
ist nicht der Fall. Denn all diese Fallpauschalen werden
unter dem Dach der Budgetierung formuliert. Die Kran-
kenhäuser, die sehr positive Leistungen erbringen, wer-
den gedeckelt und mit degressiven Entlohnungen be-
glückt. Die Krankenhäuser, die die erwartete Leistung
nicht erbringen, bekommen Ausgleichszahlungen.
Hinzu kommt ein entscheidender Punkt, Frau Ministe-
rin: Alles hängt von der Grundlohnsumme ab. Das heißt,
bestimmte medizinische Notwendigkeiten werden bei den
Leistungen im Krankenhaus nicht berücksichtigt. Das ist
der Fehler. In diesem Bereich wird Minderqualität gelie-
fert werden. Denn Sie schreiben die Orientierung an der
Grundlohnsumme und die Budgetierung weiter fest.
Außerdem werden im Krankenhausbereich floatende
Punktwerte eingeführt. Damit werden Sie die Katastro-
phe, die wir heute bereits im niedergelassenen Bereich ha-
ben, auf den stationären Bereich übertragen. Das ist
Mutlosigkeit. Schlagworte haben Sie; aber die Ausformu-
lierung ist miserabel!
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Schmidbauer?
Ja.
Herr Kollege
Thomae, können Sie mir bitte die entsprechende Seite
oder den Abschnitt im Gesetzentwurf nennen, mit dem Sie
Ihre floatenden Punktwerte begründen?
Das liegt einfach an der
Formulierung in Ihrem Gesetzentwurf. Sie sagen, die
Grundlohnsumme sei die Rahmenbedingung. Sie spre-
chen von Degression und von Ausgleichszahlungen. Da-
raus bildet sich dieses Ergebnis.
– Lesen Sie es einmal gründlich!
Es fehlen flankierende Qualitätssicherungen. Dieses
System wird uns außerdem dazu zwingen, neue Einrich-
tungen von Betreuung zu formulieren; denn infolge Ihres
Gesetzes werden die Patienten immer schneller entlassen.
Wir müssen also neue Einrichtungen schaffen, um Über-
gänge zu ermöglichen.
Was mir große Sorge macht, ist Ihre Philosophie: Sie
wollen im Krankenhaus einen Kontrollapparat aufbauen.
Die Funktion des Medizinischen Dienstes geht mir viel zu
weit. Wir können es uns nicht leisten, immer mehr Kon-
trollen und Überwachung zu etablieren. Sprechen Sie ein-
mal im Krankenhaus mit Ärzten darüber, was dort heute
an Verwaltungsaufgaben anstatt medizinischer Leistun-
gen wahrgenommen wird! Das nimmt fast die Hälfte der
Arbeitszeit in Anspruch.
Das wird nach Ihrem Gesetzeswerk noch zunehmen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Dieter Thomae
20738
Ich komme zu einem weiteren ganz schwierigen Be-
reich: Der medizinische Fortschritt wird von Ihnen – ich
will nicht sagen: blockiert – aber massiv erschwert;
denn Sie haben in diesem Gesetz festgelegt: Für Behand-
lungsmethoden und Untersuchungsmethoden, die mit
Fallpauschalen und Sonderentgelten noch nicht zeitge-
recht vergütet werden können und die nicht nach dem Ur-
teil des Ausschusses von der Finanzierung ausgeschlos-
sen werden, können erst ab 2005 Entgelte vereinbart
werden. In der Zwischenzeit, meine Damen und Herren,
werden moderne Methoden im Krankenhaus einfach ne-
giert. Das ist hochinteressant!
Dies sind ganz wichtige Punkte. Ich könnte noch einen
Punkt hinzufügen.
Nein, das geht
wohl nicht mehr.
Sie haben die modernen
Methoden nicht schiedsstellenfähig formuliert.
Herr Kollege
Thomae, ein kurzer Schluss bitte.
Ich wollte noch festhalten:
Die Innovationen im Krankenhaus werden blockiert;
denn Sie haben sie nicht schiedsstellenfähig gemacht. Sie
machen sie von den Entscheidungen der Krankenkassen
abhängig und dieser Entscheidungsweg ist viel zu wenig.
Meine Damen und Herren, unser Entschließungsantrag
geht in die richtige Richtung.
Sie werden mit diesen Gesetzen keinen Erfolg haben.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ruth Fuchs, der wir zu ihrem heu-
tigen Geburtstag gratulieren wollen.
Danke sehr, Frau Präsidentin.
Ich danke auch Ihnen, dass Sie mir dafür Beifall spenden,
aber Geburtstage sind kein eigenes Verdienst.
Kommen wir jetzt zu weniger erfreulichen Dingen,
also erst einmal zu dem einen Gesetz, über das wir spre-
chen wollen.
Für die Arbeit in den Krankenhäusern bedeutet der
Übergang zur Vergütung mittels diagnosebezogener Fall-
pauschalen einen tiefen Einschnitt. Der wirtschaftliche
Erfolg eines Hauses hängt dann vorrangig davon ab, in-
wieweit es gelingt, Kosten und Leistungen zu minimie-
ren. Das bedeutet: Die Patienten werden, ob man es nun
wahrhaben will oder nicht, tendenziell einem Unterver-
sorgungsrisiko ausgesetzt.
Angesichts dieses Risikos war das mangelnde Pro-
blembewusstsein für mich schon erschreckend, mit dem
das Ministerium und auch die Koalition an den ursprüng-
lichen Gesetzentwurf herangegangen sind. Aus dem Stand
heraus wurde der Übergang zu einer praktisch flächen-
deckenden Krankenhausvergütung nach Fallpauschalen
beschlossen – und das im Wissen darum, dass diese Vor-
gehensweise international ein völliges Novum darstellt.
Für die Einführung der neuen Vergütungen sah man von
vornherein eine zu knappe Zeitspanne vor.
Nun übersehen wir nicht, dass im parlamentarischen
Verfahren Korrekturen erfolgten. So sind die Positionen
der Krankenhäuser und vor allem die Möglichkeiten der
Länder, den Sicherstellungsauftrag wahrzunehmen, er-
kennbar gestärkt worden. Zu begrüßen ist auch, dass eine
gesetzliche Verpflichtung zu mehr Qualitätssicherung und
entsprechender Begleitforschung aufgenommen wurde.
Unserer Auffassung nach ändert dies jedoch nichts an der
Tatsache, dass das Vorhaben ein beispielloses Feldexperi-
ment bleibt.
Liebe Kollegin Ekin Deligöz, es ist tapfer von Ihnen,
dass Sie hier geredet haben. Aber die Rahmenbedingun-
gen sind eben nicht mit denen in den USA und nicht mit
denen in Australien vergleichbar.
In den USA geht man in einigen Bereichen des Health
Care schon wieder ab von diesem Instrument und zurück
zu vergleichbaren Pflegesätzen. – Trotzdem: Meine Ach-
tung, dass Sie zu diesem Thema gesprochen haben!
So bleibt der Zeitplan unserer Meinung nach immer
noch unrealistisch. Auch die angestrebte Transparenz der
Qualität wird auf sich warten lassen. Die Versorgungs-
risiken für die Patienten aber bestehen vom ersten Tag an.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, die Pati-
enten, aber auch die behandelnden Ärzte benötigen mehr
Rechte, damit sie sich gegen den radikalen wirtschaft-
lichen Druck auf das medizinische Leistungsgeschehen
wehren können. Die zusätzlichen Mittel zur Verbesserung
der Arbeitszeitbedingungen, die jetzt bereitgestellt wer-
den, sind angesichts der ungünstigen Ausgangslage und
weiterer Arbeitsintensivierung nur ein Tropfen auf den
heißen Stein. Mit diesem Gesetz wird es zu einer Ökono-
misierung des medizinischen Handelns kommen. Das,
meine Damen und Herren, ist kein Ziel der PDS-Politik.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Dieter Thomae
20739
Mit diesem Gesetz werden sich die Voraussetzungen für
eine humane, an den Interessen der Patienten orientierte
und effektive Arbeit in den Krankenhäusern verschlech-
tern. Wir lehnen dieses Gesetz deshalb ab.
Das 4-Milliarden-Defizit der GKVen ist bekannt. Be-
kannt ist auch, dass die überproportionale Erhöhung der
Arzneimittelausgaben daran einen großen Anteil hat. Zu
den Ursachen zählt ganz sicher nicht nur die vorzeitige
Ankündigung der Budgetaufhebung durch die Ministerin.
Aus unserer Sicht haben darüber hinaus Pharmahersteller
in jüngster Zeit eine neue Welle hochpreisiger Innovatio-
nen auf den Markt gedrückt. Ich benutze das Wort „ge-
drückt“ deshalb, weil die geltende Definition innovativer
Arzneimittel leider zulässt, dass ein großer Teil dieser teu-
ren Produkte eben keinen therapeutischen Zusatznutzen
besitzt, also keine echten Innovationen darstellt.
Der von der Ministerin geplante Preisabschlag auf
patentgeschützte Mittel war deshalb aus unserer Sicht
ein begründeter und auch berechtigter Schritt.
Er hätte die Kassen in den nächsten zwei Jahren um knapp
1Milliarde DM entlastet. Für uns ist und bleibt es aber ein
unglaublicher Vorgang,
dass sich die Regierung diesen substanziellen Teil des Ge-
setzes für eine Einmalzahlung von 400 Millionen DM ab-
kaufen ließ. Das beeinträchtigt nicht nur seine Wirkung,
sondern besitzt auch moralische und rechtliche Dimensio-
nen, die in ihrem Umfang noch gar nicht abzusehen sind.
Was das für Folgen haben wird, werden wir an der Politik
der kommenden Zeit sehen – ich glaube, keine guten.
Meine Damen und Herren, gegen eine Aut-idem-Lö-
sung, die vom guten Willen aller Beteiligten getragen
wäre und im Einzelfall genügend Spielraum böte, ließe
sich kaum etwas einwenden. Aber wir wissen doch alle:
Die reale Arzneimittelwelt mit ihren massiven finanziel-
len Interessen ist nicht so. Die vielen Unsicherheiten, die
die Aut-idem-Regel in das komplizierte Beziehungs-
gefüge von Ärzten und Patienten, Herstellern und Apo-
thekern bringt, stehen in keinem Verhältnis zu einer mög-
lichen, aber keineswegs gesicherten Kosteneinsparung.
Alles in allem: Wir unterstützen und begrüßen Maßnah-
men zur Reduzierung der Arzneimittelausgaben. Wir halten
sie auch für notwendig, aber wir sind der Überzeugung, dass
dieses heute vorgelegte Gesetz die Probleme nicht lösen
wird, auch wenn es ein Schritt in die richtige Richtung ist.
Frau Ministerin, wir werden uns im nächsten Jahr wieder
sprechen und dann erneut über dieses Thema reden müssen.
Deshalb werden wir uns bei der Abstimmung zu diesem
Gesetz der Stimme enthalten.
Noch einmal zu den DRGs zurück; ich habe noch ein
bisschen Zeit.
Nein, ich bin
heute mit der Redezeit bei Ihnen nur besonders großzügig,
weil Sie Geburtstag haben.
Zum Entschließungsantrag
der FDP: Lieber Herr Thomae, wir beide wissen, was wir
voneinander zu halten haben und wie wir unsere jeweilige
Gesundheitspolitik beurteilen. Ihrem Antrag können wir
nicht zustimmen.
Nun getraue ich mich noch zu sagen – ich hoffe, ich
schade Ihnen damit nicht –: Der Antrag der CDU/CSU ist
fachlich gut. Offenbar kommt Ihre Handschrift, lieber
Kollege Faust, schon sehr deutlich zum Vorschein. Aber
da sich der Grundansatz unserer Gesundheitspolitik sonst
unterscheidet und wir oftmals einen anderen Weg vor-
sehen, enthalten wir uns an der Stelle.
– Auf diesem Feld könnten wir in der Tat einmal Ja sagen.
Aber es könnte ja auch sein, dass Ihnen das zum Schaden
gereicht. Mit unserer Enthaltung bewahren wir Sie vor ei-
nem solchen Schaden.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Horst Schmidbauer.
Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren! Ich beginne mit einem
Zitat:
Ich rufe den Krankenhäusern und auch den Beschäf-
tigten in den Krankenhäusern zu: Wenn wir diese
hohe Qualität in den Krankenhäusern dauerhaft er-
halten wollen, wenn wir den sozialen Schutz der
Menschen in den Krankenhäusern erhalten wollen,
dann müssen wir dafür sorgen, dass die Kranken-
hausausgaben in einer Balance mit den Zuwachs-
raten der volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
bleiben. Wenn uns dies nicht gelingen würde, würden
wir die Axt an die Wurzeln unseres Sozialsystems
und an die Funktionsfähigkeit eines qualitativ hoch-
wertigen Gesundheitssystems legen.
Jetzt kommt der entscheidende Satz:
Deshalb ist nicht das Handeln die Gefahr für die
Krankenhäuser, sondern das Nichthandeln.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Ruth Fuchs
20740
Ich halte dies für ein sehr gutes Zitat.
Es stammt von Ihnen, Herr Seehofer.
Die Frage ist nur, wie Sie von Ihrer eigenen Mahner-
position zu einer Bremserfunktion und von einer Hand-
lungsempfehlung zu einer Nichthandlungsempfehlung
gekommen sind. Ich denke, die eigentliche Gefahr für die
Krankenhäuser geht von Ihrem Nichthandeln aus.
Wir sagen den Patienten: Qualität wird groß geschrie-
ben.
Dafür aber müssen wir die Qualität sichern. Deswegen
wollen wir mit dem neuen Gesetz eine Qualitätssiche-
rungmit Biss machen. Die Krankenhäuser, die in Zukunft
die Qualität nicht einhalten, müssen mit entsprechenden
Sanktionen rechnen. Dabei gehen wir neue Wege. Wir sa-
gen nämlich: Wir müssen dafür sorgen, dass Transparenz
und Qualität in gleichem Maße zunehmen. Deswegen
wollen wir einen Katalog für planbare Behandlungen und
Operationen schaffen, der auf eine Mindestmengenerfah-
rung im Handeln aufbaut.
Wir sind dies den Menschen schuldig. Wir dürfen die
Menschen nicht weiterhin im Dunkeln lassen. Wir müs-
sen ihnen vielmehr ermöglichen, zu erfahren, welches
Krankenhaus in ihrer Region die höchsten Erfah-
rungswerte für einen bestimmten Operationsbereich hat.
Sie sollten die Chance haben, diese Informationen nicht
hinter vorgehaltener Hand zu erhalten, sondern über die
Handlungsmöglichkeiten und das Leistungsvermögen ei-
nes Krankenhauses offiziell Bescheid zu wissen.
Wir müssen auch dafür sorgen, dass Transparenz groß
geschrieben wird.
Wir werden das machen. Im Gesetz ist klar geregelt, dass
wir von den Krankenhäusern einen Qualitätsbericht for-
dern. Dieser wird auf Wunsch des Bundesrates in das
Internet gestellt. Damit haben die Menschen die Chance,
sich zu informieren, sich ein eigenes Bild zu machen und
sich beraten zu lassen. Das ist der entscheidende Punkt,
auf den wir hinauswollen.
In Zukunft werden die Patientinnen und Patienten im
Mittelpunkt stehen; denn nur das Krankenhaus, das eine
andere Betriebsablaufplanung macht und ein anderes Ma-
nagement an den Tag legt, wird ein solches Leistungs-
vermögen aufweisen können, wie es das Gesetz fordert.
Davon wird der Patient profitieren.
Wir sagen den Versicherten, dass ihre Beitragsgelder in
Zukunft effizienter eingesetzt werden.
Wir werden die falschen Anreize beseitigen. Das Kran-
kenhaus wird nicht mehr nach den belegten Betten be-
zahlt, sondern nach Leistung. Wir werden dafür sorgen,
dass in den Krankenhäusern die Rosinenpickerei mit den
antiquierten amerikanischen Fallpauschalen aufhört, die
Sie immer noch hofieren. Wir wissen doch, dass dies nicht
zu einer gerechten Bewertung dessen führt, was Men-
schen in Krankenhäusern an Leistung erbringen.
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Faust?
Natürlich.
Man darf auch
dann Zwischenfragen stellen, wenn man schon geredet
hat. – Bitte.
Herr
Schmidbauer, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
dass bei einem festen Preissystem der Anreiz der Kos-
tenvermeidung natürlich systemimmanent ist und dass
Verweildauerverkürzungen und die Vermeidung von kos-
tenintensiven Leistungen ein Problem darstellen, das
letztendlich nur mit einem massiven Kontrollmechanis-
mus bei der Qualität zu kompensieren sein wird?
Lieber Herr
Dr. Faust, Sie waren doch eine Woche lang in Kranken-
häusern und Instituten der USA mit mir unterwegs. Das
kann doch nicht einfach spurlos an Ihnen vorbeigegangen
sein.
Wir haben immer wieder festgestellt, dass dort, wo an
den Behandlungsaufwand für die Patientinnen und Pati-
enten hohe Anforderungen gestellt werden, keinerlei Se-
lektionsmechanismen in den USA greifen. Je komplizier-
ter und schwieriger der Fall war, umso interessanter war
er von der ökonomischen Seite. Von daher müssen wir da-
von ausgehen, dass nach den Erfahrungen in den USA, in
Australien oder Skandinavien in der Bundesrepublik die
gleichen Erfolge erzielbar sind. Ich glaube, die Menschen
in Deutschland sind nicht dümmer als die in Skandi-
navien.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Horst Schmidbauer
20741
Wir sagen aber auch den Ärztinnen und Ärzten sowie
den Pflegern: Ihre Leistung wird in Zukunft gerecht be-
wertet. Es ist entscheidend, dass wir zu einer gerechten
Bewertung der Leistung kommen. Wir müssen auch
dafür sorgen, dass die damit einhergehende Gerechtigkeit
in den Krankenhäusern umgesetzt wird. Wenn wir in Kli-
niken schauen, die bereits mit DRGs arbeiten, sehen wir,
dass es bei der Zuordnung der Finanzen und bei der Zu-
ordnung von Personal mehr Gerechtigkeit gibt. Wir wer-
den durch Zuschläge die Versorgung im ländlichen Be-
reich sicherstellen. Ich glaube, das Gesetz sieht eine
intelligente Lösung vor, die die Erreichung dieses Ziels
gewährleistet. Es sollen keine falschen Anreize geschaf-
fen, sondern es soll Sicherheit für Versorgungsaufträge er-
reicht werden.
Wir werden auch Lösungen finden, damit nicht Kran-
kenhäuser, die ausbilden, bestraft werden, indem sie
80 000 bis 100 000 DM für die Ausbildung zuschießen
müssen. Wir werden einen Fonds schaffen und damit die
Krankenhäuser, die ausbilden, belohnen, während die
Krankenhäuser, die nicht ausbilden, bezahlen müssen.
Genau darauf werden wir setzen.
Wir machen den Krankenhäusern deutlich: Nun folgt
endlich das Geld der Leistung. Viele andere im Gesund-
heitsbereich Tätige wie Ärzte wären froh, wenn sie so weit
wären wie die Krankenhäuser und auch in ihrem Bereich
das Geld der Leistung folgen würde. Wir schaffen mit
Festbeträgen Vertrauen bei den Krankenhäusern. Der zen-
trale Punkt, um die Zustimmung der Krankenhäuser zu er-
reichen, ist, dass wir mit einem Festbetragssystem anfan-
gen. Alle anderen Gesundheitsanbieter in Deutschland
wären froh, wenn sie mit Festpreisen arbeiten könnten.
Mit den Krankenhäusern gehen wir einen neuen Weg. Das
ist ein großer Vorteil, der Vertrauen schafft.
Wir werden für die gleiche Leistung den gleichen Preis
einführen. Auch solche Elemente zu schaffen gehört zu
unserem Programm. Damit stülpen wir den Krankenhäu-
sern nichts über. Wir gehen ganz sanft voran, indem wir
zunächst mit dem Schutzzaun eines Budgetanspruches für
die Jahre 2003 und 2004 beginnen.
Die nächste Übergangsstufe wollen wir bis zum
Jahre 2007 verwirklichen. Man kann es den Menschen
kaum erklären, dass wir von 2001 bis 2007 brauchen, um
ein neues Vergütungssystem vollständig einzuführen. Ich
denke, das ist wirklich ein sanfter Übergang.
Wir haben weiterhin versprochen: Wir sehen ein ler-
nendes System vor, weil wir wollen, dass die Kranken-
häuser an die neue Aufgabe herangeführt werden. Wir
werden auch in der Politik lernen, die Erkenntnisse, die
wir aus der Umsetzung gewinnen, bei den Nachfolgege-
setzen zu berücksichtigen. Ich denke, hiermit sind wir auf
dem richtigen Weg. Wir werden im internationalen Kon-
zert mitspielen können. Im Hinblick auf die Kranken-
häuser stehen wir zurzeit nicht gut da.
Ich bin der Auffassung, wir werden im internationalen
Vergleich wieder einen guten Mittelplatz haben, wenn wir
zu ökonomischen Erfolgen hinsichtlich der Verweildauer
und der Anzahl der Betten in Deutschland kommen. Ich
denke, wir haben eine gute Chance, wenn wir Qualität
und Wirtschaftlichkeit auf einen Nenner bringen, der
uns Erfolg für die Zukunft verspricht. Wir können damit
das dickste Brett, das sich zurzeit in der Gesundheitspo-
litik stellt, bohren.
Wir müssen die Probleme anpacken und lösen. In die-
sem Sinne sehe ich eine gute Chance für unsere Zukunft.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Wolf Bauer.
Frau Präsidentin! Meine
Damen! Meine Herren! Ich möchte zunächst auf das ein-
gehen, was Herr Kollege Thomae angesprochen hat, näm-
lich auf die Entwicklung des Defizits in der GKV. Ich
werde immer wieder an das Jahr 1996 erinnern, als in der
Regierungszeit von CDU/CSU und FDP ein Defizit von
6 Milliarden DM abgebaut wurde. – Das ist doch nicht
wahr, Herr Kirschner.
Vergessen wir das.
Voraussichtlich wird 2001 und 2002 jeweils ein Defi-
zit von 4 Milliarden DM entstehen. Das betrifft also die
Zeit nach dem Regierungswechsel. Deshalb haben Sie das
zu verantworten.
Sie haben die Zuzahlungsregelung angesprochen. Ich
möchte Ihnen sagen: Unsere Sozial- und Überforderungs-
klausel war sozialer als alles, was Sie versprochen und
nach der Wahl umgesetzt haben.
Ich möchte auch noch etwas zu dem immer wieder er-
hobenen Vorwurf der Beitragssatzsteigerungen sagen.
Wenn man als Fixpunkt das Jahr 1982 nimmt, dann stellt
man fest, dass in den zwölf Jahren, in denen die SPD die
Regierung geführt hat, der Beitragssatz um 3,8 Prozent-
punkte angehoben wurde, dass aber der Beitragssatz in
den 17 Jahren, in denen die CDU/CSU die Regierung ge-
führt hat, nur um 1,62 Prozentpunkte gestiegen ist. Wenn
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Horst Schmidbauer
20742
man dann noch die deutsche Einheit berücksichtigt, stellt
man sogar fest, dass unter der CDU/CSU-geführten Re-
gierung fast Beitragssatzstabilität geherrscht hat. Das und
nicht das, was hier immer behauptet wird, ist wahr.
Meine Damen und Herren von der linken Seite, Sie
müssen endlich einsichtig werden und von Ihrer ideolo-
gischen Sturheit ablassen. Versuchen Sie doch einmal,
neue Instrumente einzuführen. Die Gesundheitsministe-
rin sagte noch vor wenigen Wochen, dass die Steigerung
der Ausgaben für Arzneimittel mit dem Stau zusam-
menhänge, der durch die Budgetierung entstanden sei.
Auch sind die Arzneimittelpreise in Deutschland laut Sta-
tistik nicht überproportional gestiegen. Sie liegen im
europäischen Vergleich sogar im unteren Drittel.
Trotz all dieser Fakten fällt Rot-Grün nichts Besseres
ein, als sich wieder einmal die Arzneimittelausgaben vor-
zuknöpfen. So entstand das jüngste Kind einer verkorks-
ten Gesundheitspolitik, das Arzneimittelausgaben-Be-
grenzungsgesetz.
Um eine Reform handelt es sich dabei nicht. Es ist ein rei-
nes Kostendämpfungsgesetz, wie folgende Maßnahmen
zeigen: Erhöhung des Apothekenrabatts von 5 auf 6 Pro-
zent, Senkung der Herstellerabgabenpreise der Pharmain-
dustrie um 4 Prozent bzw. Sonderzahlung des VFA in
Höhe von 400 Millionen DM.
Diese äußerst merkwürdige Vorgehensweise der
Regierungskoalition wirft eine ganze Reihe von interes-
santen Fragen auf. Die Fragen allgemeiner Art lauten: Soll
das Freikaufen durch pauschale Zahlungen jetzt zum
Markenzeichen dieser Bundesregierung werden?
Will Rot-Grün demnächst mit weiteren derartigen Son-
dersteuern den Wirtschaftsstandort Deutschland und seine
Bürger belasten?
Es gibt aber auch Fragen spezieller Art: Warum wird der
Betrag von 400Millionen DM nicht im Gesetzentwurf ge-
nannt? Als Antwort haben wir gehört: nicht erforderlich!
Wer steht in Zahlungsausfällen dafür gerade? Als Antwort
haben wir gehört:
Wird sich finden!
Warum werden solche Vereinbarungen nicht schriftlich
fixiert? Als Antwort haben wir gehört: nicht notwendig!
Warum gibt es kein Votum des BMJ? Als Antwort haben
wir gehört: Das können wir alleine.
Gernot Kiefer von der IKK hat mit Recht festgestellt:
Es muss geklärt sein, wer was aus welchem Rechts-
grund zu tun hat.
Damit hat er doch Recht.
Bleiben wir beim AABG. Laut Gesundheitsministerin
soll das Einsparvolumen bis zu 3 Milliarden DM betra-
gen. Diese Größenordnung dürfte allerdings nur ihrem
Wunschdenken entsprechen. Experten rechnen nur mit
gut 1 Milliarde DM. Die Parlamentarische Staatssekretä-
rin Schaich-Walch hat noch am 14. November dieses Jah-
res im Gesundheitsausschuss verkündet: Unabhängig
vom Angebot der Pharmaindustrie „werden wir bei aut-
idem bleiben, da es sich um eine Strukturkomponente
handelt“.
Was ist aus dieser Strukturkomponente, sozusagen
dem Herzstück des AABG, geworden? Im Gesundheits-
ausschuss haben wir eine Anhörung zu diesem Gesetz
durchgeführt. Sie war für die Koalitionsfraktionen nie-
derschmetternd.
– Gut, sogar vernichtend. – Daraufhin wurden schleunigst
einige Änderungsanträge zusammengeschustert, wie im-
mer hektisch und ohne Sorgfalt. Das kann man daran er-
kennen, dass sofort wieder Änderungsanträge zu den Än-
derungsanträgen eingebracht wurden. Die letzten
Änderungen wurden noch in der Ausschusssitzung hand-
schriftlich vorgenommen. Was dabei im Vergleich zu den
Vorstellungen des Bundesrats herausgekommen ist, ha-
ben wir eben gehört. Der Bundesrat hat einer Fristverkür-
zung nicht zugestimmt. Insofern ist die ganze Vorgehens-
weise sehr eigenartig.
Dabei wollten es die Koalitionsfraktionen mit ihren
Änderungsanträgen doch allen recht machen, frei nach
dem Motto: allen wohl und keinem wehe! Was kam bei
diesen Bemühungen heraus?
Es gab eine Beruhigungspille für die Ärzte: Zwar müs-
sen sie eine Aut-idem-Regelung hinnehmen; allerdings
tangiert sie diese nicht sonderlich, da sie sie bequem um-
gehen können; denn ihre Verordnungen brauchen nur im
unteren Drittel der Preisskala zu bleiben.
Eine Beruhigungspille gab es daneben auch für die
Apotheker: Sie bekommen endlich ihre gewünschte Aut-
idem-Regelung. Allerdings können sie damit nichts mehr
anfangen; denn sie wurde durch die Änderungsanträge
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Wolf Bauer
20743
der Regierungskoalition ad absurdum geführt. Sie kann
auf keinen Fall mehr als Ausgleich für die Erhöhung des
Krankenkassenrabatts von 5 auf 6 Prozent dienen.
Eine Beruhigungspille gab es auch für die Arzneimit-
telhersteller: Sie müssen ihre mühsam und kostenintensiv
aufgebauten Marketingsysteme nicht umstellen. Dafür
müssen sie aber eine für viele von ihnen tödliche Preisspi-
rale nach unten hinnehmen. Vor allem kleinere und mittel-
ständische Betriebe werden dabei auf der Strecke bleiben.
Aber – das gilt nicht nur in diesem Fall – die Bundesre-
gierung interessiert die Großindustrie eh stärker als die
kleinen mittelständischen Betriebe.
So geht es weiter auf dem Weg in die Zweiklassenme-
dizin. Die Gesundheitsministerin hat es so formuliert:
Ich kann nicht die einen zum Aldi schicken und die
anderen in die sechste Etage des KaDeWe.
Kompliment für diese Einsicht! Aber offensichtlich sehen
die Sozialdemokraten die Lösung dieses Problems darin,
dass sie davon ausgehen, dass alle zu Aldi gehen müssen.
So einfach kann man es sich natürlich auch machen. Wie
erreicht man das? Ich will einige Beispiele nennen.
Erstens: mit einem AABG – das heute in zweiter und
dritter Lesung beraten wird – und einer Aut-idem-Rege-
lung à la SPD. Das heißt – das ist das Wichtigste –: Für
den Versicherten nur das Billigste.
Zweitens: mit einer Positivliste. Das heißt: Dem Ver-
sicherten wird vorgeschrieben, welches Medikament für
ihn das richtige ist. Also: Therapiefreiheit ade! Innovatio-
nen später! Aber: mehr Bürokratismus!
Drittens: mit einer Anhebung der Versicherungs-
pflichtgrenze. Es wäre natürlich reizvoll, jetzt darauf ein-
zugehen, in welchen Schritten Sie sie einführen wollen.
Mit Sicherheit ist es wichtig, den Versicherten eines zu sa-
gen: Durch diese Manipulation müssen sie damit rechnen,
dass ein freiwillig Versicherter 3 700 DM pro Jahr zu-
sätzlich zu seinen Versicherungsbeiträgen abführen muss.
Ich frage mich, wo das eine sozial gute Politik ist.
Viertens: Pflichtmitgliedschaft der Beamten in der
GKV. Auch das ist eines der Instrumente, die Sie anzu-
wenden versuchen.
Fünftens – diesen Punkt muss ich wirklich noch nen-
nen, auch wenn damit einst ein amüsanter Lapsus Linguae
in der Haushaltsdebatte verbunden war –: Man wünscht
sich den „zugelassenen Patienten“; das wäre nach Ihrer
Auffassung der Idealzustand.
Wir hingegen bleiben bei unserer Forderung, den Ver-
sicherten mehr Mitgestaltungsmöglichkeiten zu geben
und ihre Eigenverantwortung zu stärken. Interessant ist,
dass selbst der Wirtschaftsminister dieser Regierung diese
Steuerungselemente mittlerweile als richtig anerkannt
hat:
Selbstbehalte, Kostenerstattung, Beitragsrückgewähr
usw.
Wir fordern auch heute wieder die Gesundheitsminis-
terin auf, nicht erst 2003 ihre Vorstellung von einer Re-
form der GKV auf den Tisch zu legen. Aber machen Sie
bitte kein Stückwerk, sondern eine echte Reform, die ei-
ner solchen Forderung gerecht wird.
Das muss vor den Bundestagswahlen geschehen. Poli-
tik kann doch nicht so gemacht werden, dass man an die
bekannte Geschichte vom Rumpelstilzchen erinnert wird:
Eure Stimmen brauchen wir 2002; euer Geld holen wir
2003; ach wie gut, dass niemand weiß – – Welchen Na-
men Sie hier einsetzen, überlasse ich Ihnen.
Aber bevor Sie an diese interessante Aufgabe herange-
hen, wünsche ich Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest
und alles Gute für das neue Jahr.
Vielen Dank.
Dafür bedanken
sich alle.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Carola Reimann.
Frau Präsidentin! Sehr
geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Wir wissen: Eine bedarfsgerechte Arzneimittelver-
sorgung und eine wirtschaftliche Therapie sind eine wich-
tige Säule unseres Gesundheitswesens.
Es ist schon gesagt worden, dass Anstiege bei den Arz-
neimittelausgaben zu verzeichnen sind; im ersten Halb-
jahr war es ein Anstieg um 11 Prozent. Dass wir einen sol-
chen Anstieg nicht länger hinnehmen können, ist klar.
Deswegen ist das Arzneimittelausgaben-Begrenzungsge-
setz ein ganz wesentlicher Beitrag zur Entlastung der ge-
setzlichen Krankenversicherung.
Zentrales Element der Regelung ist die so genannte
Aut-idem-Lösung. „Aut idem“ ist Lateinisch und heißt
„oder dasselbe“. Das bedeutet, dass in Zukunft nicht mehr
der Präparatname, sondern der Wirkstoff rezeptiert wird,
so dass der Apotheker die Möglichkeit erhält, ein preis-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Wolf Bauer
20744
günstiges, wirkstoffgleiches Medikament abzugeben, das
er in der Apotheke vorrätig hat. Als Ausnahmeregelung
haben wir das schon lange, nämlich für den Fall, dass an
Feiertagen und an Sonntagen der Apothekennotdienst in
Anspruch genommen wird und das verschriebene Medi-
kament in der Apotheke nicht vorrätig ist. „Aut idem“ hat
sich in der Vergangenheit als praktikabel und als sicher
erwiesen.
Niemand hat beklagt, der Apotheker habe mangelnde
Kompetenz, wie man das heute hört.
„Aut idem“ erschließt Wirtschaftlichkeitsreserven, die
wir nicht ungenutzt lassen wollen.
Deshalb wollen wir das, was in Notdiensten jahrelang si-
cher praktiziert wurde, jetzt zum Regelfall machen. Dass
das geht, haben im Übrigen auch alle begriffen. Das ha-
ben die Ärzte begriffen; das haben die Apotheker begrif-
fen.
Nur Sie von der lieben Opposition haben das noch nicht
begriffen. Sie ziehen es vor, Märchen und Mythen in die
Welt zu setzen.
– Genau, Rumpelstilzchen hatten wir schon. – Da ist zum
Beispiel das Märchen von der Therapiefreiheit. Meine
Damen und Herren von der Opposition, entgegen Ihren
Aussagen bleibt die Therapiefreiheit in vollem Umfang
erhalten.
Wir wollen die therapeutische Freiheit des Mediziners mit
dieser Regelung überhaupt nicht begrenzen. Wenn es ein
Arzt für medizinisch notwendig hält, dann kann er „aut
idem“ nach wie vor ausschließen. Wenn der Arzt selbst
das preisgünstigere Medikament verschreibt, dann – das
wurde ja sogar schon kritisiert – entfällt die Substitution
durch den Apotheker. Schließlich ist es aber immer noch
der Arzt, der bestimmt, welcher Wirkstoff für welche The-
rapie eingesetzt wird. Dem Arzt wird da also gar nichts
weggenommen.
Unbestritten ist, dass der Apotheker in allen Fragen der
Pharmakologie, Toxikologie und Formulierung von Arz-
neimitteln der Experte unter allen Akteuren im Gesund-
heitswesen ist. Diese Kompetenz wollen wir in Zukunft in
vollem Umfang nutzen.
– Statt immer neue Märchen zu ersinnen, sollten Sie ein-
mal in eine Apotheke gehen und sich anschauen, wie die
Realität da aussieht.
Oft gibt es für einen Wirkstoff mit der gleichen Darrei-
chungsform und der gleichen Wirkstärke mehrere – das ist
noch nett gesagt – Produkte, und zwar zu ganz unter-
schiedlichen Preisen. Ich will Ihnen einmal zwei Bei-
spiele nennen. Ich habe hier eine Liste, die auch einige
von Ihnen kennen. Diclofenac ist ein Antirheumatikum.
Wenn Sie 20 Tabletten mit 50 Milligramm brauchen,
kommen allein 37 Produktnamen zu 18 ganz unterschied-
lichen Preisen in Frage. Die Preise liegen zwischen
3,96 DM und 14,28 DM für das Originalpräparat Volta-
ren. Das ist kein Einzelfall.
Ich habe hier noch ein Beispiel: Metoprolol ist ein ty-
pisches Präparat zur Bluthochdruckbehandlung. Wenn
man 100 Tabletten zu 100 Milligramm will, so gibt es
51 Produkte zu 36 sehr unterschiedlichen Preisen. Das be-
ginnt bei 21,91 DM und geht bis zu 96,69 DM. Der Fest-
betrag liegt bei ungefähr 80 DM. Da kann mir doch nie-
mand erzählen, dass teuer immer auch besser ist. Sie
dürfen den Patienten nicht länger für dumm verkaufen.
„Teuer gleich besser“ ist an dieser Stelle doch ein Mythos.
Wenn man dann noch bedenkt, dass doch der Wirkstoff
und nicht der Produktname für den Behandlungserfolg
verantwortlich ist, kann ich überhaupt nicht verstehen,
warum wir an alten Regelungen festhalten sollten.
Dazu kommt Folgendes: Es gibt 51 gleichwertige Pro-
dukte und der Apotheker hat zehn bis 15 davon in der
Schublade liegen. Nun kommt der Patient mit einem Re-
zept, auf dem nicht eines dieser zehn bis 15 Produkte, son-
dern eines der anderen rezeptiert ist. Daraufhin wird die
gesamte Pharmalogistik angeschoben: Der Apotheker or-
dert das Produkt beim Großhändler. Der Großhändler
fährt das Medikament zur Apotheke.
– Trotzdem muss es gefahren werden, Herr Kollege. – Der
Patient fährt ein weiteres Mal zur Apotheke oder der Apo-
theker fährt in Ausnahmefällen beim Patienten vorbei und
gibt es ab. Dabei liegen 15 wirkstoffidentische Präparate
in der Schublade des Apothekers. Dies ist doch kein effi-
zienter Einsatz von Ressourcen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Carola Reimann
20745
Dann wird immer die Mär vom ruinösen Wettbewerb
erzählt. Die neue Aut-idem-Lösung soll den Wettbewerb
auf dem Generikamarkt intensivieren. Eine existenz-
gefährdende Preisschlacht wollen wir aber auch nicht.
Dass wir es damit ernst meinen, haben wir in den Rege-
lungen bewiesen. Es gibt zum Beispiel drei Möglichkei-
ten, das untere Preisdrittel zu bestimmen. Das untere
Preisdrittel wird – anders, als es technisch möglich wäre;
man kann die Preise alle 14 Tage angleichen – jeweils nur
für drei Monate festgesetzt. Drei Monate bedeuten Plan-
barkeit und nicht – wie Sie gesagt haben – eine Abwärts-
spirale.
Außerdem werden die Grenzen des Preisdrittels nicht
durch ein Medikament, sondern durch drei Medikamente
festgelegt, sodass manipulative Strategien einzelner Her-
steller, die auf eine solche Preisschlacht hinauswollen,
vermieden werden.
Abschließend noch ein Wort zu dem Solidarbeitrag,
der 2002 von den forschenden Arzneimittelherstellern
in Höhe von 400 Millionen DM geleistet wird. Die Fra-
gen in der vergangenen Ausschusssitzung – zum Teil sind
sie von Ihnen, Herr Kollege Wolf, noch einmal wiederholt
worden – haben schon den Eindruck erweckt, dass es sich
nicht um eine Vereinbarung mit den umsatzstärksten, se-
riösen Unternehmen der Branche, sondern um Abspra-
chen mit windigen Hinterhofklitschen handelt.
Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Widmann-
Mauz?
Nein, angesichts der Zeit
und der vielen Tagesordnungspunkte, die wir noch zu be-
handeln haben, lasse ich die nicht zu.
Wenn Sie diesen Unternehmen so wenig über den Weg
trauen, warum übernehmen Sie dann fortwährend deren
Argumente? Das halte ich nicht für glaubwürdig. Das ist
nicht nur für mich nicht glaubwürdig, sondern auch für die
Unternehmen nicht und schon gar nicht für die Patienten.
Ich bin sicher, dass wir mit dem vorliegenden Maß-
nahmenpaket, das neben dem Solidarbeitrag und der Aut-
idem-Regelung auch noch die Anhebung des GKV-Ra-
batts der Apotheken beinhaltet, die bedarfsgerechte
Arzneimittelversorgung der Patientinnen und Patienten
gewährleisten und dabei Wirtschaftlichkeitsreserven in
der Arzneimitteltherapie mobilisieren, um die notwendige
Entlastung der Krankenkassen herbeizuführen.
Ich danke Ihnen.
Es folgt eine
Kurzintervention der Kollegin Widmann-Mauz.
Frau Kolle-
gin Reimann, nachdem Sie meine Zwischenfrage nicht
zugelassen haben, halte ich es für notwendig, darauf ein-
zugehen, dass Sie wieder erwähnt haben, welch großes
Einsparvolumen durch den Solidarbeitrag erbracht wer-
den soll.
Es wäre schön gewesen, wenn Sie Aussagen dazu ge-
macht hätten, wie sich das Preismoratorium, das bei der
Kanzlerrunde fest vereinbart wurde, auswirkt. Wir wissen
mittlerweile, dass es bereits Pharmahersteller gibt, die
sich nicht an dieses Preismoratorium halten. Es scheint sie
überhaupt nicht zu berühren. Sie haben in dem Entwurf
des Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetzes für die
nicht festbetragsgebundenen Arzneimittel keine entspre-
chende Regelung vorgesehen.
Es ist schön, zu wissen, dass selbst Ihr Fraktionskol-
lege Klaus Kirschner – wie wir der „Frankfurter Rund-
schau“ entnehmen können – der Meinung ist, dass dieses
gesamte Paket noch nicht rechtssicher sei. Er sagt dazu
– ich zitiere –: „Ich sehe da noch Probleme.“ Dass Sie hier
so ruhig sitzen und versuchen, die Öffentlichkeit über
diese Probleme hinwegzutäuschen, ist schon sehr beacht-
lich.
Es wäre auch schön gewesen, wenn wir heute von den
Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen et-
was dazu gehört hätten, warum sie weder eine Summe für
diesen Pharmasolidaritätsbeitrag noch den Zeitpunkt der
Zahlung in ihrem Gesetzentwurf festgelegt haben, noch
eine Verfügung oder eine gesetzliche Regelung zu dem In-
kassovorfall oder eine Regelung zur Sicherheit des Preis-
moratoriums getroffen haben.
Wie können Sie eigentlich hier vor das deutsche Volk
treten und von einem ganz großen Einsparvolumen spre-
chen, wenn Sie noch nicht einmal eine Gewähr dafür ha-
ben, geschweige denn der Durchgriff auf die einzelnen
Pharmaunternehmen gesichert ist?
Frau Kollegin, alle Fra-
gen sprechen eigentlich Misstrauen aus.
Das kann ich angesichts der Unternehmen, die diese Ver-
einbarung getroffen haben, nicht verstehen.
Was das Preismoratorium und die einzelnen Unterneh-
men angeht, würde ich Ihnen einfach raten, einmal mit
Frau Yzer zu reden.
Ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Einführung des diagnose-
orientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser.
Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter Nr. 1 sei-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Carola Reimann
20746
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/7824, den
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Oppo-
sition angenommen worden.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben,
wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit in dritter Lesung mit dem eben festgestellten
Stimmenverhältnis angenommen worden.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungs-
antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksa-
che 14/7843? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und
FDP bei Enthaltung der PDS abgelehnt worden.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 14/7844? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die
Stimmen der FDP abgelehnt worden, während die
CDU/CSU sich enthalten hat.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Gesundheit zu dem Gesetzentwurf der Bundes-
regierung zur Einführung des diagnoseorientierten
Fallpauschalensystems für Krankenhäuser, Drucksa-
che 14/7824. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner
Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf, also die
Drucksachen 14/7421 und 14/7461, für erledigt zu erklä-
ren. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gibt
es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist einstimmig angenommen worden.
Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Ge-
setzentwurf zur Begrenzung der Arzneimittelausgaben
der gesetzlichen Krankenversicherung. Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP ange-
nommen worden. Die PDS hat sich enthalten.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben,
wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit dem eben festgestellten Stimmenverhältnis ange-
nommen worden.
Über den Entschließungsantrag, von dem ich vorhin
gesagt habe, er hätte sich erledigt, müssen wir doch ab-
stimmen. Darauf bin ich vom Geschäftsführer hingewie-
sen worden.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/7858. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der
PDS angenommen worden.
Bevor ich die nächsten Tagesordnungspunkte aufrufe,
habe ich noch etwas aus der Debatte über den Ausstieg aus
der Kernenergie nachzuholen. Während einer Antwort
von Minister Trittin hat der Abgeordnete Hildebrecht
Braun „Bin Laden“ gerufen. Kurze Zeit später gab es
mehrere Zurufe von der CDU/CSU, und zwar ebenfalls
„Bin Laden“. Diese konnte ich nicht einzeln zuordnen.
– Nein, ich selber habe es gehört, hatte aber das Problem,
diese nicht genau zuordnen zu können. – Ich glaube, wir
alle sind uns einig, dass die Persönlichkeitsrechte verletzt
werden, wenn man mit gesuchten Verbrechern verglichen
wird. Das muss ich rügen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b
sowie Zusatzpunkt 24 auf:
a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
– Drucksache 14/7386 –
– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus
– Drucksachen 14/7727, 14/7754 –
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Innen-
ausschusses
– Drucksache 14/7830 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Wiefelspütz
Günter Graf
Erwin Marschewski
Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
20747
– Drucksache 14/7856 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Koppelin
Gunter Weißgerber
Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
Oswald Metzger
Dr. Christa Luft
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses zu dem
Antrag der Abgeordneten Wolfgang Bosbach,
Volker Rühe, Eckart von Klaeden, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Sicherheit 21 – Was zur Bekämpfung des inter-
nationalen Terrorismus jetzt zu tun ist
– Drucksachen 14/7065 , 14/7830 –
Berichterstattung: Abgeordnete Dieter
Wiefelspütz
Günter Graf
Erwin Marschewski
Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke
ZP 24 Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra Pau,
Ulla Jelpke, Sabine Jünger, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der PDS
Bürgerrechte schützen – öffentliche Sicherheit
verbessern
– Drucksache 14/7792 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Zum Entwurf des Terrorismusbekämpfungsgesetzes
liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU
sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Widerspruch höre
ich nicht. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Dieter Wiefelspütz.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Verantwortliche Politik be-
ginnt damit, dass man Wirklichkeit zur Kenntnis nimmt,
und zwar auch dann, wenn sie tragisch ist, weil es, wie am
11. September, um Mord und Totschlag geht.
Der Bundesregierung und insbesondere dem Bun-
desinnenminister Otto Schily ist dafür zu danken, dass
unverzüglich nach dem 11. September das umfassendste
Sicherheitsgesetz angestoßen wurde, das es in der Ge-
schichte der Bundesrepublik Deutschland jemals gegeben
hat.
Dies ist Ausdruck einer verantwortungsvollen Politik.
Gleich zu Anfang will ich sagen: Dies ist ein Gesetz,
das in jedem Detail uneingeschränkt rechtsstaatlich ist
und die Sicherheit in Deutschland in zentralen Bereichen
fördert. Deswegen ist es ein Gesetz, das von Kompetenz,
Gestaltungskraft und Verantwortung zeugt.
Der Bundesinnenminister hat dieses Gesetz ange-
stoßen und die Verhandlungen von den ersten Entwürfen
an geführt und begleitet. Wir haben einen außerordentlich
intensiven Beratungsprozess hinter uns gebracht, der
viele von uns sehr stark belastet hat. Ich will dem Bun-
desinnenminister, aber auch seinen Mitarbeitern und den
Koalitionsabgeordneten von Rot-Grün für diesen inten-
siven Einsatz danken. Dieses Gesetz kann sich nicht nur
sehen lassen, sondern es ist Ausdruck einer außerordent-
lich beachtlichen Leistung.
Selbstverständlich hat es öffentliche Diskussionen ge-
geben; das kann auch gar nicht anders sein. Wir haben
Wert darauf gelegt, eine große Anhörung durchzuführen;
diese war außerordentlich aufschlussreich. Es gab unter-
schiedliche öffentliche Kritik. Allerdings möchte ich be-
merken: Ich würde mir schon wünschen, dass sich man-
che Kritiker entscheiden. Die einen sagen, dass das alles
nichts bringe, und für die anderen geht es um den Aus-
verkauf von Rechtsstaatlichkeit. Man sollte sich in der
Argumentation entscheiden, was wirklich Sache ist.
Herr Kollege Stadler, wer wie die FDP das Verfahren
kritisiert, der sollte die Änderungsanträge kennen. Ihr
Entschließungsantrag ist – wenn man so will – eigentlich
überholt.
– Dann haben Sie möglicherweise einen Schnellschuss
abgegeben. – Es wird darauf zu achten sein, wie be-
stimmte Teile der Landesregierungen, in denen auch die
FDP vertreten ist, reagieren werden. Ich rechne mit einer
breiten Zustimmung für dieses Gesetz im Bundesrat, weil
die Bundesländer bereit sind, sich an der Herstellung von
Sicherheit zu beteiligen. Es ist nicht allein eine An-
gelegenheit des Bundes, sondern des Bundes und der
Länder gemeinsam.
Es ist auch eine besondere Leistung dieser Bundes-
regierung, dass in der Innenministerkonferenz eine Art
der Zusammenarbeit gefunden wurde, die sicherstellt,
dass Bund und Länder gemeinsam in die Lage versetzt
werden, Sicherheit zu produzieren. Deswegen haben wir
auch die Vorschläge, Hinweise und Forderungen der Län-
der nicht nur gewürdigt und geprüft, sondern sie in den
Fällen, in denen sie berechtigt waren, selbstverständlich
auch aufgegriffen.
Wenn beispielsweise – das ist nach dem 11. September
notwendig – den Nachrichtendiensten, insbesondere dem
Bundesamt für Verfassungsschutz, zusätzliche Befug-
nisse eingeräumt werden, dann ist es legitim, diese Befug-
nisse auch den Landesämtern für Verfassungsschutz ein-
zuräumen; denn sonst würde die Zusammenarbeit
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
20748
zwischen Bund und Ländern auf diesem Gebiet nicht
funktionieren. Deswegen haben wir diese wichtige For-
derung gern aufgegriffen; die Länder hatten mit diesem
Petitum Recht. Dies verschärft allerdings nichts, sondern
ist ein Vorgang, der die Länder in die Lage versetzt, im
selben Maße Sicherheit zu produzieren, wie es auch der
Bund in Anspruch nimmt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich räume ein, dass
man die Schnelligkeit, mit der wir auf Ereignisse rea-
gieren, auch kritisieren kann. Den einen geht manches
zu langsam, den anderen manches zu schnell. Ich hätte
mir schon gewünscht, dass wir ein wenig mehr Zeit ge-
habt hätten, damit auch andere Kollegen, die an dem
Beratungsprozess nicht so intensiv beteiligt gewesen
sind, genauer hätten begreifen können, Herr Marsche-
wski und Herr Stadler, wie gut dieses Gesetz ist, wie gut
es auch durch viele zusätzliche Gespräche geworden ist.
Natürlich ist ein Referentenentwurf nicht das letzte
Wort. Die Anhörung hat viele zusätzliche Anregungen
gegeben.
Gerade nach den Debatten im Innenausschuss ist für
mich völlig evident, dass es im Hinblick auf Rechts-
staatlichkeit nicht den geringsten durchgreifenden Kri-
tikpunkt gibt. Herr Stadler, alle Argumente, die Sie vor-
getragen haben – Sie haben allerdings auch zugehört und
sich auf Argumentationen eingelassen –, sind nach meiner
festen Überzeugung widerlegt.
Es gibt nie zu viel Rechtsstaatlichkeit. Aber ich bin schon
der Auffassung, dass wir da und dort doppelte und dreifa-
che Sicherungen eingebaut haben, wo eine einfache Si-
cherung vielleicht ausgereicht hätte. Gleichwohl räume
ich ein, dass es gar nicht genug Rechtsstaatlichkeit geben
kann, weshalb eine Doppel- und Dreifachsicherung auch
gar nicht schlecht ist.
Rechtsstaatlichkeit ist keine Schwäche, sondern eine
Stärke.
Verbrechensbekämpfung kann es nur im und mit dem
Rechtsstaat geben. Deswegen war es wichtig, dass wir in-
tensiv darum gerungen haben und aus guten Gesetzen im
Laufe der Diskussion noch bessere gemacht haben. Dafür
ist ein intensiver Beratungsprozess erforderlich.
Wie wichtig dieser Koalition und dieser Bundesregie-
rung innere Sicherheit ist, meine Damen und Herren, mer-
ken Sie an der Entscheidung des Bundesinnenministers in
Sachen Kaplan-Verein. Für die SPD-Bundestagsfraktion
erkläre ich: Das Verbot war ein notwendiger Schritt, der
deutlich macht, dass wir hier nicht nur Gesetze verab-
schieden, sondern den Gesetzen dann auch Taten folgen
lassen.
Dazu war es eben notwendig, das Vereinsgesetz zu än-
dern, wenngleich der Anstoß dazu schon weit vor dem
11. September vom Bundesinnenminister gegeben wor-
den ist. Dies trägt jetzt Früchte. Wir alle wissen, dass Re-
pression kein Allheilmittel ist. Aber, meine Damen und
Herren, wir müssen darauf achten, dass die Regeln, die
wir alle uns in diesem Land geben, eingehalten werden.
Wir müssen sie selbst ernst nehmen und müssen auch von
anderen einfordern, Herr Zeitlmann, dass die Gesetze ein-
gehalten werden. Gerichte bestraften Herrn Kaplan
rechtskräftig, sein Verein aber war weiterhin legal. Das
hat jetzt ein Ende. Dies war dringend an der Zeit und ist
ein Ausweis von Handlungsstärke dieser Regierung.
Ich habe betont, dass es in Sachen Rechtsstaatlichkeit
gegen dieses Gesetz nicht die geringsten Einwände geben
kann. Was die Effektivität angeht, will ich sagen, dass dies
ein Gesetz ist, das die Sicherheit in unserem Land beför-
dern wird. Ich habe gerade davon gesprochen, dass
Sicherheitspolitik damit beginnt, dass man die Wirklich-
keit zur Kenntnis nimmt und dann verantwortlich und mit
Augenmaß handelt.
Ich erlaube mir an dieser Stelle einen kleinen Hinweis,
liebe Kolleginnen und Kollegen, die wir alle mit dieser
Materie sehr vertraut sind. Es macht gelegentlich durch-
aus Sinn, einmal zu schauen, was im Ausland unternom-
men wird, und zu fragen, welche Diskussionen es gegen-
wärtig in Großbritannien oder in den Vereinigten Staaten
von Amerika gibt.
Ich will Ihnen sehr deutlich sagen: Rot-Grün und der
Bundesinnenminister Otto Schily sind ein Garant für
Rechtsstaatlichkeit und für eine effektive Verbre-
chensbekämpfung mit Augenmaß.
Ich denke, dass Sie alle wissen, was ich damit mit Blick
auf die – das sage ich ohne jegliche Ironie – geschätzten
Bündnispartner Großbritannien und die Vereinigten Staa-
ten von Amerika meine.
Ich wiederhole es: Eine offene Gesellschaft ist keine
schwache Gesellschaft. Rechtsstaatlichkeit ist nicht
Schwäche, sondern Stärke. Wenn wir Verbrechens-
bekämpfung mit Augenmaß durchführen, wenn wir uns
dabei unserer eigenen Werte bewusst sind und sie nicht in-
frage stellen – auch dann, wenn es gegen brutale Verbre-
cher geht –, dann sind wir stark und nicht schwach.
Ich denke, dieses Gesetz verdient Zustimmung. Ich er-
kenne an, dass sich die Union trotz aller Probleme mit
dem Verfahren und mit der Eile, mit der wir reagiert ha-
ben, zum Schluss doch noch dazu durchgerungen hat, die-
sem Gesetz zuzustimmen. Die FDP wird dies in den Län-
dern tun, Herr Stadler, hier vielleicht nicht. Dieses Gesetz
hat eine breite Zustimmung verdient.
Selbst wenn man sorgfältig und gewissenhaft arbeitet,
gibt es allerdings die eine oder andere redaktionelle Ver-
besserung. Frau Präsidentin, ich will zum Ende meiner
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
DieterWiefelspütz
20749
Rede kurz zu Protokoll geben, dass Art. 1 Nr. 3 Buch-
stabe c ganz korrekt heißen muss: „Nach Absatz 3 wird
folgender Absatz 4 angefügt.“ Das ist aber nur eine re-
daktionelle Sache, die ich hier erwähnen wollte.
Ich bedanke mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, für
Ihre Bereitschaft zuzuhören. Dieses Gesetz ist ein wichti-
ger Beitrag für mehr Sicherheit in Deutschland unter Be-
achtung der Rechtsstaatlichkeit.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Erwin Marschewski.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Es ist mehr als selbstverständlich und auch ver-
pflichtend für uns, dass die Union im Kampf gegen die
terroristische Bedrohung der freien Welt und unseres
Landes Gemeinsamkeit will. Der fundamentalistische,
jedes religiöse Bekenntnis missbrauchende Terrorismus
erfordert gemeinsames Handeln aller Demokraten in die-
sem Hause.
Gestern konnten wir die Bilder von Bin Laden sehen,
von den selbstzufriedenen und selbstgerechten Massen-
mördern, die sich im Mord sonnten, die lachten und die
sich bewundern ließen. Dies ist erschütternd. Deswegen
müssen wir handeln. Herr Bundesinnenminister, wir un-
terstützen Ihre Vorschläge; denn sie stärken die Dienste
und die Polizei, sie sichern die Freiheit und sie helfen, die
Terroristen zu erkennen und ihrer habhaft zu werden.
Ihre Vorschläge, Herr Bundesinnenminister, geben
mehr Einsatzmöglichkeiten gegen den Terror und sind im
Großen und Ganzen akzeptabel. Sie werden trotz oft an-
ders lautender Presseäußerungen den Rechtsstaat nicht
beeinträchtigen. Dieses Gesetz verrät nicht, wie Irregelei-
tete schreiben, totalitären Geist. Ich möchte, dass sich
diese Leute einmal das Video von gestern ansehen. Dann
würden sie zum gleichen Ergebnis kommen.
Hier will niemand Bürgerrechte einschränken. Unser
Staat muss nur das sein, was die Union stets gefordert hat:
wehrhaft, ein wehrhafter Staat, der eines weiß: Wer Frei-
heit gegen Sicherheit ausspielt, wird beides verlieren.
Deswegen, Herr Bundesinnenminister, haben wir
schon vor ein paar Monaten gefordert, die Regelanfrage
beim Verfassungsschutz bei Einbürgerungen einzu-
führen, weil wir in Bayern gesehen haben, dass viele
Leute wegen sicherheitsrelevanter Bedenken die deutsche
Staatsbürgerschaft nicht bekommen konnten. Deswegen
haben wir als Union den Fingerabdruck in Ausweis-
papieren zur Identitätsermittlung gefordert. Deswegen
wollten wir eine Verschärfung der Vorschriften bei der
Geldwäsche und ein Ausländerzentralregistergesetz, das
insbesondere hilft, das Schlepperunwesen zu bekämpfen.
Ich will nicht nachkarten, aber Sie haben dies vor ein
paar Wochen nicht akzeptiert und haben Nein gesagt. Des-
wegen fordere ich erneut, Herr Bundesinnenminister: Wir
müssen vor allen Dingen die Dienste stärken. Das ist ganz
wichtig. Wir brauchen – das sage ich zum wiederholten
Male – eine funktionsfähige strategische Fernmeldekon-
trolle und endlich – Frau Kollegin Bonitz setzt sich be-
sonders dafür ein – ein funktionierendes System Inpol-
neu. Nur so werden wir in Deutschland mehr Sicherheit
gewährleisten.
Es nützen mehr Gesetze nichts, sagt mein Kollege Max
Stadtler immer, und da hat er völlig Recht, wenn Men-
schen und Mittel fehlen, Herr Bundesinnenminister. Das
weiß niemand besser als ein Mitglied der Parlamentari-
schen Kontrollkommission.
– Ich würde mich freuen, Herr Kollege Ströbele, wenn Sie
diese Lehre annehmen würden. Sie müssten das eigentlich
wissen. Aber Sie sind auf dem besten Wege, wenn Sie
meine Rede in Ruhe anhören.
Die Lage der Dienste ist nicht gut.
Im Gegenteil: Sie ist miserabel, und das, obwohl im Ver-
fassungsschutzbericht steht, es gebe in Deutschland
85 000 Links- und Rechtsextremisten, 60 000 Mitglieder
in extremistischen ausländischen Organisationen und
31 000 Mitglieder in islamistischen Gruppen. Deswegen
war der Personalabbau bei den Diensten ein schwerer po-
litischer Fehler. Wer den Verfassungsschutz schwächt,
der verzichtet auf wirksame Mittel im Kampf gegen Ter-
roristen und Extremisten.
Deswegen halte ich es für gut, dass die Verbotsgründe
im Vereinsgesetz erweitert werden. Extremistische Orga-
nisationen, die Spenden für terroristische Aktivitäten
sammeln, die Kämpfer rekrutieren, die Anschläge andro-
hen oder befürworten, müssen verboten werden, wie im
Fall des Kalifatsstaats völlig zu Recht, Herr Bundesin-
nenminister. Ich begrüße diese Beschlussfassung in Ihrem
Hause und Ihren Einsatz gegen diese terroristische
Gruppe ausdrücklich.
Denn das Handeln dieser Gruppen steht in unauflösli-
chem Widerspruch zum Prinzip der Volkssouveränität,
zum Gleichheitsgrundsatz, zur freiheitlich-demokrati-
schen Grundordnung schlechthin.
Es darf für Terroristen keinen Platz in Deutschland ge-
ben. Wer sich extremistisch betätigt, muss ausgewiesen
werden. Wer eine Gefahr für die innere Sicherheit in
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
DieterWiefelspütz
20750
Deutschland darstellt, wer schwere Straftaten begeht, darf
durch das deutsche Asylrecht nicht geschützt sein.
Dies sage ich in vollem Einklang mit der UN-Resolu-
tion 1373 – ich zitiere –:
Demjenigen, der terroristische Handlungen plant,
begeht oder unterstützt, muss sicherer Zufluchtsort
verweigert werden.
Dies gilt es umzusetzen, meine Damen und Herren, Herr
Bundesinnenminister, weil wir die freiheitlichste Gesell-
schaftsordnung, die wir in Deutschland je hatten, erhalten
und stärken wollen.
In diesem Punkt stimme ich interessanterweise mit
dem Herrn Bundesaußenminister völlig überein, zumin-
dest, was seine Worte anbelangt. Ich zitiere die „Rheini-
sche Post“ vom 26. November, die die Worte von Herrn
Joseph Fischer aufgreift:
Die Forderungen des Bundesinnenministers
– so sagt er –
seien maßvoll und zurückhaltend – gegenüber den
UN-Formulierungen. Und doch sei ein beträchtli-
cher Teil der Koalition dagegen.
Fischer wird weiter zitiert:
Ich hätte größte Lust, die Resolution 1373 hier zur
Abstimmung zu stellen.
Ferner heißt es, eines dürfe es nicht mehr geben: Man
dürfe sich nicht mehr hindurchwurschteln bis zur nächs-
ten gequälten Ausnahmeentscheidung – wie bei Ihren Ko-
alitionsverhandlungen, so füge ich hinzu. Meine Damen
und Herren, tun Sie doch das, was der Bundesaußenminis-
ter hier von Ihnen verlangt! Verhindern Sie insbesondere
zunächst einmal die Einreise von Terroristen!
Was das angeht, bin ich ein bisschen traurig, Herr Bun-
desinnenminister. Sie haben ursprünglich den Vorschlag
gemacht, die Einreise zu verweigern, wenn Terrorismus-
verdacht besteht. Damit hatten Sie völlig Recht; denn die
jetzige Regelung ist zu eng, um uns wirksam gegen die
Einreise von Terroristen mittels Visum zu schützen.
Ich frage weiter: Was wird aus der zugesagten Kron-
zeugenregelung? Was wird daraus, Europol – denn wir
müssen ja gemeinsam handeln – zu einer bundeskrimi-
nalamtsähnlichen Einrichtung zu machen?
Was die Abschiebung anbelangt: Kein Terrorist wird
nach Ihrem Gesetz leichter als bisher abgeschoben wer-
den können, weil unser Ausländerrecht, weil die Europä-
ische Menschenrechtskonvention die Abschiebung auch
von Terroristen verhindert, wenn ihnen im Ausland mög-
licherweise erniedrigende Behandlung droht. So werden
die Terroristen nach Verbüßung der Freiheitsstrafe entwe-
der rund um die Uhr von 25 Polizeibeamten bewacht wer-
den oder in der Freiheit ihr schändliches Tun fortsetzen
können. Dies wird kein Bürger verstehen. Die Bürger
werden sich anderen zuwenden, die einfachere Lösungen
anzubieten haben.
Deswegen meine dringende Empfehlung, Herr Bun-
desinnenminister – auch der Kollege Wiefelspütz hat das
angedeutet –: Führen Sie bitte Verhandlungen mit den In-
nenministern anderer Länder, etwa mit dem Labour-In-
nenminister von Großbritannien, Mr. Blunkett, mit dem
Ziel, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Schaffung
eines internationalen Strafgerichtshofs zu verhindern,
dass diese Menschen weiter Verbrechen begehen. Was in
Großbritannien rechtswidrig ist, kann in Deutschland
nicht legal sein. Wir müssen dieses Problem international
angehen.
Denn – da sind wir sicherlich einer Meinung – wir müs-
sen uns vor Terroristen schützen können, wenn sie unser
Leben, unsere Freiheit bedrohen. Dem Terroristen – so
steht es in der UNO-Resolution – muss jeglicher Zu-
fluchtsort verweigert werden. Mehr habe ich nicht gefor-
dert.
Die Bundesregierung hat den Gesetzentwurf am
11. Oktober eingebracht. Am 15. November haben wir im
Innenausschuss die Anhörung beschlossen, am 30. No-
vember haben wir sie durchgeführt. Am 12. Dezember ha-
ben wir diesen Gesetzentwurf im Innenausschuss ab-
schließend in nur einer Sitzung – wenn auch stundenlang –
beraten, mit über 20 Änderungsanträgen der Koalition,
die uns unmittelbar vor Beginn der Beratung zugegangen
waren.
Dieses Verfahren ist bei aller Eile – man mag manches
verstehen – nicht seriös. Die Beratungszeit für ein Gesetz
mit circa 100 Gesetzesänderungen war zu kurz und die
Behandlung von Parlamentariern unzumutbar.
Ich habe mir gestern in Vorbereitung dieser Rede auf-
geschrieben, das dürfe sich nicht mehr wiederholen. Aber
heute im Innenausschuss war es das Gleiche: wieder diese
Hektik, wieder diese Eile. Wir haben deshalb den Antrag
auf Feststellung der Beschlussfähigkeit gestellt. Sie wa-
ren nicht beschlussfähig. Wir haben diesen Antrag vor
zwei Tagen nicht gestellt, obwohl Sie auch am Mitt-
wochabend nicht beschlussfähig gewesen wären.
Wir haben das deswegen nicht getan und die Beratungen
deswegen ernsthaft mit viel Einsatzbereitschaft, Anstren-
gung, Disziplin und auch Verantwortungsbereitschaft zu
Ende geführt, weil wir wie der Bundesinnenminister mei-
nen, dass die jetzige Auseinandersetzung nicht auf Tage
oder Wochen angelegt ist; sie wird vielmehr über eine sehr
lange Zeit gehen. Für die Union als Partei der Freiheit, als
Partei der Sicherheit und, Herr Bundesinnenminister, als
Partei von „law and order“ ist Verantwortungsbereitschaft
selbstverständlich.
– Frau Präsidentin, können Sie diesen Schreihals nicht ab-
stellen? Ansonsten ist er ein liebenswerter Kollege; aber
es ist hier doch ein bisschen laut.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Erwin Marschewski
20751
Ich hätte mir gewünscht, die SPD hätte alle Anträge der
Union akzeptiert. Aber wir wissen aus der Erfahrung mit
der Ablehnung von Anträgen: Sie werden unsere Anträge
ohnehin ein paar Monate später beschließen. Das haben
wir heute mitgemacht. Das kennen wir. Gerade deswegen
sagen wir Ja zu Ihrem Antiterrorgesetzentwurf.
Denn wir müssen der Bedrohung unseres Landes und der
der freien Welt gemeinsam widerstehen.
Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wann wir den Kolle-
gen Tauss abstellen, bestimme immer noch ich. Ich habe
ihn schon kräftiger gehört. Dies sollte Sie, Herr Tauss, je-
doch nicht zu weiteren Zwischenrufen ermuntern.
Nächster Redner ist der Kollege Volker Beck für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Während
wir heute über das Sicherheitspaket II beraten, zeigt das
Sicherheitspaket I bereits erste Wirkungen. Diese Woche
hat der Bundesinnenminister die Organisation „Kali-
fatsstaat“ völlig zu Recht verbieten lassen.
Diese Möglichkeit haben wir als Koalition überhaupt erst
geschaffen. Es ist dringend notwendig, eine Organisation,
aus der heraus zu Mord aufgerufen wird und die Morde
verübt, zu verbieten.
An der Beseitigung des Religionsprivilegs im Ver-
einsgesetz gab es sehr fundamentale Kritik. Die PDS hat
sich massiv dagegen ausgesprochen. Ich habe diese Wo-
che erstaunlich wenig Kritik an dieser vernünftigen Maß-
nahme gehört. Ich hoffe, dass das vielleicht zu einem
Überdenken der vergangenen Redebeiträge zu diesem
Thema führt.
Die Religionsfreiheit schützt vieles. Sie ist auch so et-
was wie eine Narrenfreiheit in religiösen Dingen. Aber da,
wo Menschen unter dem Mantel der Religionsfreiheit
Verbrechen planen und die Freiheitlichkeit unserer
Gesellschaft bedrohen, ist eine Grenze überschritten. Dies
ist auch keine Frage von Gesinnungsschnüffelei oder To-
leranz. Diese Form der Auseinandersetzung dürfen wir
nicht tolerieren.
Mit dem Sicherheitspakt II, mit dem Terrorismus-
bekämpfungsgesetz, ist der Koalition ein enormer Kraft-
akt gelungen. Wir garantieren den Bürgerinnen und Bür-
gern ein Maximum an Sicherheit. Zugleich wahren wir
Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und Bürgerrechte. Das
Terrorbekämpfungsgesetz ist ein austariertes, verhältnis-
mäßiges Bündel von Maßnahmen, mit denen wir die
erforderliche Balance wahren.
Drei Fragen haben die Anschläge von New York und
Washington für die Sicherheitspolitik aufgeworfen: Wel-
che Maßnahmen hätten die Anschläge am 11. September
2001 verhindern können? Welche Maßnahmen können
wir ergreifen, um eine Wiederholung unwahrscheinlich
zu machen? Welche Maßnahmen brauchen wir, um die
von den Terroristen angekündigten weiteren Anschläge
und Sabotageaktionen unwirksam oder unmöglich zu ma-
chen? Dieses Gesetz findet auf all diese Frage angemes-
sene Antworten, ohne dass jemand garantieren kann, dass
mit diesem Gesetz die Gefahren völlig ausgeräumt seien.
Aber das kann ein Rechtsstaat nie versprechen.
Auch wenn uns der 11. September eine neue Form der
Bedrohung vor Augen geführt hat, die besondere Maß-
nahmen erfordert, schlagen wir mit diesem Gesetz nicht
über die Stränge. Wir bewahren unsere rechtsstaatlichen
Grundsätze und werfen sie nicht leichtfertig über Bord.
Das ist eine wohltuende, klare rechtsstaatliche Linie in
dieser Gesetzgebung. Da unterscheiden wir uns – Kollege
Wiefelspütz hat es angesprochen – vom Kurs mancher Si-
cherheitsgesetze in den Vereinigten Staaten oder in Groß-
britannien, wo man Sondergerichte schafft oder die Euro-
päische Menschenrechtskonvention, wie dies auch Herr
Marschewski will, kündigen möchte, um auch ohne
Gerichtsurteil Personen festnehmen und gefangen halten
zu können. Ich meine, wir sollten die gemeinsame Grund-
lage von Rechtsstaatlichkeit hier in Europa auch ange-
sichts des Terrors nicht verlassen. Wir dürfen es nicht zu-
lassen, dass aufgrund der Terroranschläge wir selbst zum
Instrument der Abschaffung von Rechtsstaatlichkeit und
Freiheit in unseren Gesellschaften werden.
Der 11. September hat eine Dimension des internatio-
nalen Terrorismus offenbart, die besondere Maßnahmen
notwendig macht, Maßnahmen, zu denen man unter nor-
malen Umständen nicht die Hand reichen würde. Das be-
deutet aber noch lange nicht Zustimmung zu jedweder
Kompetenzerweiterung für Polizei und Geheimdienste.
Das bedeutet auch nicht ein Ja zu ausufernden Auswei-
sungsmöglichkeiten für „irgendwie“ des Terrorismus
„möglicherweise“ verdächtige Ausländer. In einem
Rechtsstaat gilt: Der Verdacht ist Anlass für weitere Er-
mittlungen. Nur wenn man Belege hat, die die Aussage
rechtfertigen „Das ist ein Terrorist“, können die entspre-
chenden Sanktionen strafrechtlich wie ausländerrechtlich
folgen – und nicht aufgrund einer womöglich falschen
Verdächtigung.
Meine Damen und Herren, hätten wir hier manche An-
träge der Unionsfraktion oder des Bundesrates uneinge-
schränkt übernommen, wie Sie sich das gewünscht haben,
Herr Kollege Marschewski, dann hätten wir in diesem
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Erwin Marschewski
20752
Land tatsächlich ohne Not eine Einschränkung von Frei-
heitsrechten in Kauf nehmen müssen.
Dass auch die vier von der FDPmitregierten Länder im
Bundesrat eine Verdachtsausweisung von Ausländern,
eine Ausweitung der Befugnisse der Geheimdienste ohne
jede parlamentarische Kontrolle, ohne entsprechende
Rechte für Betroffene wollen, das halte ich für einen sehr
bedauerlichen Vorgang. Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen von der FDP, Ihre Landesminister sägen im Bundes-
rat gemeinsam mit dem Kollegen Beckstein an den Fun-
damenten des Rechtsstaates, während Sie hier zusammen
mit dem Kollegen Möllemann „einen auf Bürgerrechte
machen“. Glaubwürdig ist diese Veranstaltung nicht. Ich
glaube, Sie haben innenpolitisch den Kompass verloren.
Ich will gar keinen Hehl daraus machen: Wir haben
selbstverständlich nicht nur die Bedenken und Anregun-
gen der Sachverständigen und Bürgerrechtler aus der An-
hörung im Innenausschuss beherzigt, sondern sind auch
vernünftigen Länderwünschen nachgekommen. Aber
wenn wir einen Strich unter das ziehen, was wir vorgelegt
haben, kann ich sagen: Der Gesetzentwurf – das ist auch
die Meinung der SPD-Fraktion – ist nach der Anhörung
noch um ein entscheidendes Stück besser geworden.
Beispiel: Landesämter für Verfassungsschutz. Hier
haben wir den Länderwünschen entsprochen und die Auf-
gabenerweiterung vorgenommen, aber nur unter den glei-
chen Kontrollmechanismen, die wir dem Bundesamt zu-
muten, und nur mit den entsprechenden Rechten der
Betroffenen. Ich finde, das ist auch legitim so. Das Bun-
desamt und die Landesämter können auf gleicher Augen-
höhe verhandeln und tätig werden. Das ist angemessen.
Jede Sicherheitsmaßnahme muss auch rechtsstaatlich aus-
tariert werden.
Rechtsänderungen, die ein Horrorszenario für jeden
Bürgerrechtler bedeutet hätten, sind in diesem Gesetz
nicht Wahrheit geworden. Zum Beispiel gibt es die Vorer-
mittlungskompetenz des BKA, die in der Diskussion war,
nicht. Wir haben nur einige bürokratische Hürden abge-
baut. Diese neuen Regelungen haben wir auch noch be-
fristet, um sie nach fünf Jahren vernünftigerweise zu eva-
luieren.
Die Verdachtsausweisung von Ausländern ist nicht ge-
kommen, sondern wir stellen darauf ab, dass Tatsachen
belegen müssen, dass ein Ausländer einer Vereinigung an-
gehört, die den Terrorismus unterstützt. Es gibt keinen
großen Lausch- und Spähangriff für den Verfassungs-
schutz; aber wir haben unabweisbaren Eigenschutz für die
Beauftragten und Mitarbeiter der Ämter vorgesehen, da-
mit, wenn ihnen in der Aufgabenerfüllung ihres Dienstes
Gefahren für Leib, Leben und Freiheit drohen, der ent-
sprechende Schutz gewährt werden kann.
Wir haben keine uferlose Datenweitergabe durch den
Verfassungsschutz vorgenommen; aber wir haben bei den
sicherheits- und verteidigungspolitisch wichtigen Ein-
richtungen entsprechend dem Sicherheitsüberprüfungs-
gesetz eine Übermittlung von und eine Warnung vor Si-
cherheitsrisiken auch an private Stellen ermöglicht.
Wir haben keine unkontrollierbaren Befugnisse für die
Geheimdienste. Wir haben den Katalog von Auskunfts-
rechten des Verfassungsschutzes und der anderen Dienste
erweitert. Gleichzeitig haben wir jedoch hinreichende
parlamentarische Kontrollen und Mitteilungspflichten an
die Betroffenen vorgesehen und deutliche rechtsstaatliche
Grenzen gesetzt.
Wir haben im Passgesetz und im Gesetz über Perso-
nalausweise kein zusätzliches biometrisches Merkmal
verankert, sondern uns für ein späteres Gesetzgebungs-
verfahren vorbehalten, darüber ausführlich und besonnen
zu beraten. Aber schon heute haben wir vereinbart: Eine
bundesweite Referenzdatei für diese biometrischen Merk-
male – eine der größten Sorgen der Datenschützer bei die-
sem Thema –
wird es nicht geben. Wir haben im Gesetzentwurf explizit
vorgesehen, dass dies verboten ist.
Ich sage, durchaus stolz auf die rot-grüne Koalition
und auf die Arbeit meiner Fraktion bei diesen Verhand-
lungen und den Beratungen im Ausschuss: Wir haben eine
Reihe von problematischen Verschärfungen, die aus Ihrer
Ecke kamen, verhindert. Bei der Herstellung von Sicher-
heit haben wir als Koalition einen klaren rechtsstaatlichen
Kurs gewahrt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie ha-
ben im Innenausschuss ja einen ausführlichen, vierseiti-
gen Antrag vorgelegt.
– Ja, er enthielt viele richtige und vernünftige Punkte. Ihr
Antrag, den Sie heute vorlegen, ist auf eine halbe Seite zu-
sammengeschrumpft. All Ihre Wünsche wurden von der
Koalition erledigt, ohne dass wir Ihren Antrag überhaupt
kannten. Bei der Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und
Bürgerrechten machen Sie uns nichts vor. Da kann man
sagen: Rot-Grün weiß, was Liberale wünschen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Beck,
gestatten Sie eine Frage der Kollegin Bonitz? – Das ist der
Fall. Bitte.
Herr Kollege, Sie als Mit-
glied der Koalition beteiligen sich daran, dass dieses Ge-
setzespaket jetzt im Eiltempo durch den Bundestag gejagt
wird. Warum sperren Sie sich eigentlich dagegen, dass der
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Volker Beck
20753
Fingerabdruck in den Pass aufgenommen und dies in das
Paket mit eingeführt wird?
Das ist eine gute Frage – auch deshalb, weil ich dadurch
die Chance bekomme, ausführlich auf dieses Thema ein-
zugehen.
Ich bin durchaus offen, was die Frage der Speicherung
eines biometrischen Merkmals in Pass- und Personalaus-
weispapieren zur Verbesserung der Identitätssicherung
zwischen Passinhaber und Pass angeht. Bislang aber be-
stehen eigentlich keine großen Sorgen bei den Polizei-
behörden – das haben Sie bei der Anhörung vom Chef des
Bayerischen Landeskriminalamtes gehört –, dass es zu
umfänglichen Fälschungen bei Pass- und Personalaus-
weisdokumenten kommt. Hier müssen wir noch einmal
genau nachschauen und das Gespräch mit den Sicher-
heitsfachleuten suchen.
Sollten wir aber ein zusätzliches biometrisches Merk-
mal einführen, dann bin ich dafür, dass wir dasjenige
Merkmal nehmen, das zum einen die höchstmögliche Si-
cherheit bei der Identitätsfeststellung gewährleistet und
zum anderen den geringstmöglichen Eingriff in die
Rechte der Bürgerinnen und Bürger bedeutet.
In keinem Fall aber will ich, dass diese Daten über eine
Referenzdatei zu anderen Zwecken als zur Identitäts-
sicherung von Passinhaber und Pass verwendet werden.
Zu einem weiteren Punkt, den man bei einem solchen
Verfahren bedenken muss – denn schließlich geht es auch
darum, dass wir als Politiker nicht leichtfertig Steuergel-
der, die uns anvertraut sind, ausgeben –: Eine solche Maß-
nahme der biometrischen Merkmalsspeicherung macht
meines Erachtens als Investition nur dann Sinn, wenn wir
sie im gesamten Schengen-Raum einheitlich tätigen.
Denn stellen wir uns vor: Die Franzosen entscheiden sich
für die Handbiometrie, die Belgier entscheiden sich für
die Gesichtsbiometrie und wir nehmen nach Ihrem Vor-
schlag den Fingerabdruck. Dann können die Pässe vom
jeweils anderen nicht gelesen werden, weil unterschiedli-
che Lesegeräte benötigt werden. Das wäre eine totale Fehl-
investition. In solchen Fragen sollten wir die europaweite
Abstimmung suchen.
Sie wissen auch: Allein die Einführung der Passdoku-
mente dauert nicht nur zehn Jahre, sondern kostet auch
5 Milliarden DM. Bis dahin haben Sie noch kein einziges
Gerät zum Lesen der Pässe und zum Vergleichen des Pas-
ses mit dem Passinhaber angeschafft. Das kostet dann
noch einmal 5Milliarden DM, will man eine hinreichende
Kontrolldichte organisieren. Insofern hat das Parlament,
so meine ich, die Verantwortung, dass eine solche Inves-
tition in Ruhe und Besonnenheit erwogen und über diese
Frage erst dann entschieden wird, wenn man sich schlau
gemacht hat über die technischen und datenschutzrechtli-
chen Implikationen.
Welchen Weg wir gehen werden, das werden wir in der
Koalition, mit Ihnen und, wie ich hoffe, den europäischen
Partnern diskutieren. Eine solche Diskussion, will man sie
vernünftig führen, hätten wir bis heute nicht abschließen
können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort war
äußerst ausführlich. Frau Kollegin Bonitz, ich würde Sie
bitten – auch angesichts der fortgeschrittenen Zeit –, auf
Ihre zweite Frage zu verzichten.
– Ich denke, die Antwort war ausführlich genug.
Es ist die Präsidentin, die das Wort erteilt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube, die Stim-
mung im Haus ist eindeutig.
Gut.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich danke für Ihre
Rücksichtnahme.
Zum Schluss: Die einzige Kritik, die von der Opposition
geblieben ist, war: Es geht ein bisschen zu schnell. In der
Tat: Wir haben ein zügiges Beratungsverfahren wählen
müssen, weil die Bundesländer, von denen heute leider
kein Vertreter da ist, gewünscht haben, dass der Entwurf
am 20. Dezember in den Bundesrat kommt. Das heißt,
dass wir diese Woche fertig werden müssen. Vergnügen
macht dies für uns als Parlamentarier nicht. Wir alle wol-
len sorgfältig beraten. Ich verstehe jeden, der dabei ein
bisschen grummelt. Das hätten wir in der Opposition auch
getan.
Hätten wir jetzt aber lange gewartet, dann hätten Sie
einfach eine andere Karte mit Kritik aus Ihrer Schachtel
gezaubert. Dann hätten Sie gesagt: Diese Koalition lässt
sich angesichts der terroristischen Bedrohung endlos Zeit,
hat interne Schwierigkeiten und ist sicherheitspolitisch
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Sylvia Bonitz
20754
nicht handlungsfähig, um die Sicherheit unseres Landes
ist es schlecht bestellt.
Die Tatsache, dass wir ein bisschen schneller lesen und
arbeiten müssen, als es Parlamentarier normalerweise tun,
ist das geringere Problem. Ich finde es gut, dass wir die-
ses Gesetz über die Bühne gebracht haben. Die Tatsache,
dass Sie Ihren Antrag in der Sache zurückgezogen haben,
hat gezeigt, dass wir die notwendige Balance zwischen
Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit geschafft haben. Wir
haben unsere Handlungsfähigkeit bewiesen. Es ist ein
gutes Gesetz.
Rutschen Sie alle zusammen sicher ins Jahr 2002.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der nächste Redner ist
der Kollege Dr. Max Stadler für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Ohne Zweifel haben die Ereignisse vom
11. September uns allen die besondere Verantwortung
auferlegt, geeignete und rechtsstaatliche Maßnahmen zur
Bekämpfung des Terrorismus zu ergreifen. Die FDP hat
sich an dieser Aufgabe von Anfang an konstruktiv betei-
ligt.
Wir wissen uns mit vielen Praktikern einig, dass der
wirkungsvollste Beitrag zur Erhöhung der inneren Si-
cherheit die bessere finanzielle, personelle und technische
Ausstattung der Sicherheitsbehörden ist.
Die gesetzlichen Grundlagen für eine effektive Arbeit von
Polizei, Geheimdiensten und Justiz sind allerdings längst
gelegt worden, insbesondere durch eine ausgiebige Ge-
setzgebungstätigkeit der Koalition von FDP und CDU/
CSU in den 90er-Jahren.
Gleichwohl hat die FDP notwendige gesetzgeberische
Neuerungen wie etwa das so genannte Sicherheitspaket
Schily I ebenfalls unterstützt. Ich sage ausdrücklich: Wir
respektieren, dass der Bundesinnenminister und die In-
nenpolitiker von SPD und Grünen heute einen Versuch
vorlegen, in rechtsstaatlicher Weise weitere Verbesserun-
gen zur inneren Sicherheit zu beschließen.
Es bleibt dabei, dass der erste Entwurf, der von den Frak-
tionen von SPD und Grünen eingebracht worden ist und
der sehr wohl auch die Unterschrift von Rezzo Schlauch
und Kerstin Müller trägt, viel zu weit in Richtung „Big
Brother“ geht.
Die Fachabteilungen des Bundesinnenministeriums
haben die Zettelkisten aus den Schubladen geholt und ge-
leert. Herausgekommen ist ein Gesetzentwurf, der wie
keiner zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland in die Grundrechte der Bürgerinnen und
Bürger eingreift. Es ist, wie Herr Wiefelspütz zu Recht
sagte, ein epochales, ein einmaliges Gesetzeswerk. Ge-
rade deswegen wäre eine besonders sorgfältige parlamen-
tarische Beratung notwendig gewesen.
Das Gegenteil haben Sie gemacht. Sie reden an der Sa-
che vorbei, wenn Sie meinen, wir würden die Intensität
und das Tempo Ihrer Beratungen in der Koalition kritisie-
ren. Das ist nicht der Punkt. Wir kritisieren, dass Sie mit
dem von Ihnen gewählten Verfahren die Mitwirkungs-
möglichkeiten der Opposition praktisch übergangen ha-
ben. Das ist zu kritisieren.
Ich erinnere Sie an das Hauptwerk des Rechtsphilo-
sophen Niklas Luhmann. Es heißt „Legitimation durch
Verfahren“. Die These von Niklas Luhmann ist wie folgt
zu beschreiben: Der Inhalt einer Entscheidung ist für die
Akzeptanz einer Entscheidung nicht alleine maßgeblich,
sondern es kommt auch darauf an, wie eine Entscheidung
zustande kommt. Ich sage für die FDP-Fraktion: So wie
Sie die Mitwirkungsrechte der Opposition übergangen ha-
ben, verliert das Gesetzeswerk durch das von Ihnen ge-
wählte Verfahren in Umkehrung des Satzes von Luhmann
seine Legitimation.
Wenn Sie am Dienstagabend Änderungsanträge im
Umfang von 30 Seiten vorlegen, machen Sie es der Op-
position unmöglich, sich bis zur Beratung am Mittwoch
Vormittag um 9.15 Uhr mit externen und internen Exper-
ten über das zu beraten, was Sie in letzter Sekunde vorle-
gen. Für dieses unangemessene Tempo gibt es nur eine
einzige Erklärung: Sie wollten die innerhalb der Koalition
mühsam erzielte Einigung nicht durch eine gehaltvolle
Kritik der Opposition, auf die Minister Schily mit seinem
Entwurf Anspruch gehabt hätte, gefährden.
Die rot-grüne Koalition möchte mit der raschen Verab-
schiedung dieses Gesetzes Handlungsfähigkeit und
Stärke demonstrieren. Betrachtet man das Verfahren, hat
man den Eindruck: Es gibt in Wahrheit einen Beweis der
inneren Schwäche und Zerrissenheit der Koalition.
Zu Recht hat Herr Beck erwähnt, dass ein Teil der Kri-
tikpunkte, die wir von der FDP formuliert hatten, in die
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Volker Beck
20755
Beratungen der Koalition eingeflossen ist. Ich möchte
jetzt nicht mit kleiner Münze heimzahlen, wenn Herr
Beck sagt, die Kritikpunkte der FDP seien ihm unbekannt
gewesen. Ich war bei Ihren Verhandlungen nicht dabei,
habe allerdings gehört, unsere Kritikpunkte hätten sehr
wohl eine Rolle gespielt.
Entscheidend ist aber, was Sie jetzt vorlegen. Für uns
bleiben inhaltliche Punkte zu kritisieren, die ich wegen
der Kürze der Zeit nur stichwortartig nennen kann:
Erstens. Die Geheimdienste erhalten Zugriff auf
Kundendaten von Banken, Telekommunikationsunter-
nehmen, Post- und Luftfahrtunternehmen, und zwar ohne
dass dieser Zugriff auf Verdächtige begrenzt wäre. Das ist
ein wichtiger Kritikpunkt.
Zweitens. Wir hätten uns bei diesen Eingriffen eine
vorrangige richterliche Kontrolle gewünscht.
Drittens. Bei der Benachrichtigung Betroffener stellt
sich dasselbe Problem wie beim G-10-Gesetz. In man-
chen Fällen – ich gebe zu, es handelt sich um Ausnah-
men – wird ein von einer geheimdienstlichen Überwa-
chungsmaßnahme Betroffener überhaupt nicht informiert.
Damit entfällt natürlich auch die Möglichkeit, nachträg-
lich Rechtsschutz durch ein unabhängiges Gericht zu er-
langen. Diese Tatsache kritisieren wir ausdrücklich.
Viertens. Die für die Polizei im Zusammenhang mit der
Informationsgewinnung geltenden Vorschriften der StPO
können nunmehr umgangen werden.
Fünftens. Der Bundesnachrichtendienst erhält immer
mehr Befugnisse im Inland, obwohl seine Aufgabe die
Auslandsaufklärung ist.
Sechstens. Dass Personen, die Ausländer nach
Deutschland einladen, in bestimmten Fällen selber von
den Geheimdiensten überprüft werden, hätten wir uns in
der alten Koalition wirklich nicht vorstellen können.
Letzter Punkt: Sie legen so großen Wert darauf, durch-
gesetzt zu haben, dass bei der Aufnahme von Fingerab-
drücken in Ausweispapiere keine Vergleichsdatei errich-
tet wird. Ihre Formulierung lautet: Es wird keine
bundesweite Datei eingerichtet. – Wenn Sie aber 15 Län-
derdateien zulassen und diese vernetzt werden, haben Sie
die Referenzdatei, die wir aus Datenschutzgründen ab-
lehnen.
Ich komme zum Schluss: Es bleiben – trotz vieler Ver-
besserungen – inhaltliche Kritikpunkte. Das Verfahren
war unzumutbar. Es liegt auf der Hand, dass wir nicht zu-
stimmen können.
Herr Beck, Sie haben mich insoweit gereizt, dass ich
angesichts dessen, was die Grünen früher vertreten ha-
ben, das berühmte Bonmot von Honoré de Balzac zitiere:
Erinnerung macht das Leben schön, aber nur das
Vergessen macht es erträglich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die PDS-Fraktion
spricht die Kollegin Petra Pau.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Seit den Terroranschlägen vom
11. September sind drei Monate vergangen, eine Zeit, die
neues Nachdenken über die öffentliche Sicherheit hierzu-
lande und auch in unserer Fraktion auslöste. Wir haben
dies sehr intensiv getan. Wir kennen die Sorgen, die Ängs-
te und die Verunsicherung, die es in der Bevölkerung gibt.
Wir teilen sie im Wortsinne. Unstrittig ist auch: Es gibt bei
der Gefahrenvorbeugung, bei der Gefahrenabwehr und im
Katastrophenschutz – um nur drei Felder zu nennen – viel
zu tun. So weit, glaube ich, herrscht in diesem Hause über
alle Fraktionsgrenzen hinweg Konsens.
Nun reden wir aber heute abschließend über ein ganzes
Maßnahmenpaket, das häufig als Otto-Katalog II be-
zeichnet wird. Das schmeichelt sicherlich dem Herrn In-
nenminister und es klingt, als wäre es ein bestelltes
vorweihnachtliches Geschenk. In Wahrheit aber geht es
bei diesem Gesetzeswerk um den größten Eingriff in die
Verfasstheit der Bundesrepublik, den es im Namen der
inneren Sicherheit jemals gegeben hat. Daran gemessen
ist das parlamentarische Schnellschussverfahren schlicht
unangemessen – um nicht zu sagen: verantwortungslos –,
liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün.
Nun argumentierte der Innenminister vorgestern, es
gebe UNO-Beschlüsse und die UNO dränge, sehr schnell
etwas Vernünftiges auf den Tisch zu legen. Das stimmt.
Nur liegt heute leider nichts Vernünftiges zur Beratung
und Abstimmung auf dem Tisch. Die Fachleute warnen
nicht erst seit gestern. Ich möchte an Folgendes erinnern:
Vor 14 Tagen gab es eine Anhörung zum so genannten
Antiterrorpaket. Der Innenausschuss hatte Fachleute ge-
laden. Der Innenminister war leider nicht anwesend. Das
ist heute allerdings nebensächlich. Hauptsächlich war,
dass in der Anhörung eine klare Mehrheit der Sachver-
ständigen das vorliegende Gesetzespaket skeptisch bis
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Max Stadler
20756
ablehnend beurteilte, vor allem weil es rechtsstaatlich be-
denklich ist und mit der Terrorismusbekämpfung nur ganz
wenig zu tun hat.
Daran ändern die von Ihnen vorgenommenen Änderun-
gen fast nichts. Deshalb wird die PDS heute das sagen,
was nach meinem Kenntnisstand auch mancher Grüner
und manches Mitglied der SPD-Fraktion gern sagen
würde, nämlich Nein zu diesem Gesetzespaket.
Der große Schwindel ist doch: Sie gaukeln den Bürge-
rinnen und Bürgern vor, dass Sie ihnen etwas geben wür-
den. Tatsächlich nehmen Sie ihnen aber das, was Sie
gegen den Terrorismus verteidigen wollen. Ein Kommen-
tator der „Berliner Zeitung“ schrieb: Dies ist eine „große
Grundgesetzreform“. Sein Fazit lautete:
Man kann es als Abschied von der liberalen Verfas-
sungsidee bezeichnen.
Denn der verheißene Zugewinn an Sicherheit durch
den Staat wird mit einem signifikanten Verlust an Si-
cherheit vor dem Staat – also Freiheit – bezahlt.
Ich möchte Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von
SPD und Bündnisgrünen, sagen: Es geht auch anders. Ich
empfehle Ihnen, das nachzulesen, was in Berlin zwischen
SPD und PDS zum Thema innere Sicherheit vereinbart
wurde. Man könnte es überschreiben mit: Mehr Sicherheit,
aber nicht auf Kosten von Grund- und Freiheitsrechten.
Ich würde Ihnen heute gerne en détail begründen,
warum wir Nein sagen, und zwar auch unter Verwendung
der intelligenzarmen Widersprüche, die Sie selbst produ-
zieren. Aber fünf Minuten Redezeit reichen dafür nicht.
Das ist unser Oppositionslos auf der linken Seite. Wir ar-
beiten daran, dass es besser wird. Ich möchte deshalb nur
noch ein Beispiel nennen, das zeigt, dass der Teufel im
Detail steckt. Das Gesetzespaket sieht Sicherheitsüber-
prüfungen für Beschäftigte in „lebenswichtigen und
verteidigungswichtigen Einrichtungen“ vor. Das kann
sinnvoll sein. Es kann aber auch für Millionen Beschäf-
tigte gefährlich werden, wenn letztendlich Geheimdienste
darüber entscheiden, wer beschäftigt wird.
Nun haben die Sachverständigen schon gemahnt, mög-
lichst genau einzuschränken, welche Bereiche und Be-
rufsgruppen gemeint sind, weil andernfalls Konflikte mit
dem EU-Recht, dem Arbeitsrecht und anderen Alltäglich-
keiten drohten. Sie, Herr Minister, meinten am vergange-
nen Mittwoch, das würden Sie nicht tun, weil Sie poten-
ziellen Terroristen nicht noch Hinweise geben wollten,
wo die Bundesrepublik verletzbar sei. Sie haben auch ge-
sagt, dass dies im Einzelnen durch die Exekutive, also
durch Sie, festgelegt werde. Alle Achtung! Ihr Vorgehen
soll Rechtssicherheit schaffen und ist offensichtlich „De-
mokratie in Ottos Vollendung“.
Anders gefragt: Glauben Sie wirklich, dass mögliche Ter-
roristen auf eine Liste warten, aus der hervorgeht, wo die
Zivilisation verletzbar ist? Nachvollziehen können die
Beschäftigten schon gar nicht, dass sie von vornherein
wie potenzielle Terroristen behandelt werden.
Ein letztes Wort. Sie haben gestern hier ein Einwande-
rungsgesetz eingebracht. Heute stellt sich die Sinnfrage,
weil Sie sich mit diesem Gesetzesvorhaben ein Instru-
mentarium schaffen, das die Einreise und die Ausweisung
von Ausländern strenger als je zuvor reglementiert. Sie
stellen mit diesem Gesetzespaket die Fremden, um die Sie
gestern hier geworben haben, unter Generalverdacht.
Am Mittwoch mahnten Sie, möglichst keine Maßnah-
men, die nichts mit der Terrorismusbekämpfung zu tun
haben, vorzuschlagen. Wenn Sie konsequent gewesen
wären, dann hätten Sie Ihr Paket heute zurückgezogen
und ein neues vorgelegt.
Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt spricht der Bun-
desminister des Innern, Otto Schily.
Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Pau, an
Ihren Ausführungen kann man sehr gut erkennen, was für
Sie die eigentliche Gefahr ist: Für Sie sind offenbar die Si-
cherheitsinstitutionen des Staates und nicht der Terroris-
mus die Gefahr.
Sie haben hier erklärt, es gehe um die Gefahr durch den
Staat. Ich möchte wissen, in welcher Welt Sie leben.
Wahrscheinlich haben Sie noch ein bisschen Erinnerung
an die DDR. Da war es nämlich so, dass man Sorge vor
den Gefahren durch den Staat haben musste.
Was Ihre Koalitionsvereinbarung angeht, wünsche ich
Ihnen viel Glück. Immerhin wollen Sie selbst zugestehen
– das ist bemerkenswert –, dass bestimmte Gruppierungen
Ihrer Partei weiterhin vom Verfassungsschutz beobachtet
werden. Dazu beglückwünsche ich Sie!
Ich bedanke mich bei allen Koalitionsfraktionen, die
unser wichtiges Vorhaben unterstützen. Ich bedanke mich
auch bei der CDU/CSU-Fraktion dafür, dass sie ihrer Ver-
antwortung in dieser Frage gerecht wird. Ich kann verste-
hen, dass die FDP-Fraktion mit Blick auf die Kürze des
Verfahrens einige Bauchschmerzen hat. Herr Kollege
Stadler – ich kenne den sachlichen Ton, den Sie norma-
lerweise an den Tag legen –,
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Petra Pau
20757
heute sind Sie zum Teil wie der Bauchredner von Herrn
Möllemann aufgetreten. Das tut Ihnen nicht gut, Herr
Stadler.
– Herr Stadler, Herr Möllemann möchte eine Art Basar-
handel veranstalten, indem ein Junktim zwischen diesem
Gesetz und dem Zuwanderungsgesetz hergestellt wird.
Das ist nicht die richtige Herangehensweise.
Wir haben es mit einem Gesetz zu tun, durch das die
Konsequenzen aus einem ganz schlimmen Ereignis und
aus einer Bedrohung, die uns wahrlich das Fürchten lehrt,
gezogen werden.
Ich meine die Bedrohung durch den weltweiten islamis-
tischen Terror, die in ihrer Tiefendimension am 11. Sep-
tember erkennbar geworden ist. Wir brauchen so etwas
wie ein Langzeitgedächtnis. Wir dürfen nicht wieder in
den alten Trott zurückfallen, sondern wir müssen unsere
Wachsamkeit aufrechterhalten. Der Kollege Marschewski
hat mit Recht darauf hingewiesen, dass diese Gefahr nicht
etwa verschwunden ist, sondern fortbesteht.
Wir haben sie übrigens schon vorher kennen gelernt.
Wir haben – jedenfalls was die politische Diskussion an-
geht – weder nach den Ereignissen von Daressalam noch
nach der Festnahme von Personen, die im Dezember kurz
davor standen, im benachbarten Frankreich einen Terror-
anschlag zu begehen, die nötige Aufmerksamkeit an den
Tag gelegt. Man muss aber auch feststellen – das ist der
entscheidende Gesichtspunkt –: Wir hatten keine Kennt-
nis über die in verschiedenen Ländern getroffenen Vorbe-
reitungen dieser schrecklichen Terroranschläge in New
York und in Washington. Wir müssen uns bewusst sein,
was da angegriffen worden ist: New York ist die interna-
tionalste Stadt der Welt. Dort ist der Sitz der Vereinten Na-
tionen. Unter den Opfern waren Menschen aus mehr als
80 Nationen dieser Welt. New York, ein Symbol für den
Freiheitswillen dieser Welt, für die Demokratie in dieser
Welt, war der Zielpunkt. Viele Menschen, die unter der
Terrorherrschaft der Nazis oder unter der Terrorherrschaft
anderer totalitärer Systeme verfolgt waren, haben in New
York Zuflucht gesucht. Das ist in das Geschichtsbewusst-
sein der Menschheit tief eingegraben. Deshalb hat das
auch diese große Bedeutung.
Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Sicherheitsinsti-
tutionen zur Früherkennung solcher Aktivitäten in der
Lage sind. Dazu brauchen sie die Möglichkeit, in Finanz-
transaktionen hineinzuschauen, Reisebewegungen und
Auffälligkeiten im Verhalten von bestimmten Personen
festzustellen. Wir müssen besser in der Lage sein, Perso-
nen zu identifizieren, damit es nicht gelingen kann, sich
mit unterschiedlichen Identitäten zu tarnen. Jemandem,
dem der Aufenthalt in Deutschland untersagt wird, darf es
nicht möglich sein, unter einer anderen Identität wieder in
unser Land zurückzukehren. Ich halte das für eine pure
Selbstverständlichkeit.
Frau Pau, Sie haben gemeint, das stehe im Widerspruch
zum Zuwanderungsgesetz. Dazu will ich Ihnen Folgen-
des sagen: Das Zuwanderungsgesetz soll Terroristen nicht
ermöglichen, in unser Land zu kommen. Es soll nicht
dafür sorgen, dass Terroristen, soweit sie sich schon in un-
serem Land befinden, in unserem Land bleiben können.
Das sollte unter allen, die sich mit dem Thema beschäfti-
gen, doch eigentlich Konsens sein.
Nun hat es einen Streit über die Frage gegeben, mit
welchem Vokabular wir in dem Gesetzestext arbeiten. Ich
rege an, doch die Unterschiede zur Kenntnis zu nehmen,
die es zwischen der Terminologie im Polizeirecht und
derjenigen im Strafverfahren gibt. Im Strafverfahren
kennen wir den Begriff des Verdachts, der eine Abgren-
zung etwa in folgenden Fragen ermöglicht: Unter wel-
chen Voraussetzungen können Ermittlungen eingeleitet
werden? Unter welchen Voraussetzungen kann eine An-
klage erhoben werden? Unter welchen Voraussetzungen
kann jemand in Haft genommen werden?
Im Polizeirecht geht es nicht um diesen Begriff. Im Po-
lizeirecht geht es um eine Gefahrenbeurteilung. Deshalb
ist die Wortwahl, die wir jetzt getroffen haben, dem
Polizeirecht entnommen. Es geht um die Beschreibung ei-
ner Gefahr. Das steht auch in Übereinstimmung mit ande-
ren Bestimmungen, übrigens – das sage ich, damit alle das
begreifen – schon im geltenden Recht. Da steht nämlich
etwas von einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit ge-
schrieben. Das ist der Kern dieser Bestimmung.
Im Zusammenwirken aller, die daran beteiligt waren
– insbesondere bedanke ich mich beim Bundesjustizmi-
nisterium – haben wir, wie ich finde, eine gute Formel ge-
funden.
Ich möchte noch etwas zur Frage der Zuständigkeiten
des Bundeskriminalamts sagen, weil auch das heute von
Ferne her kritisiert worden ist. Herr Kollege Marschewski,
Sie haben behauptet, ich hätte mich in wichtigen Punkten
nicht durchgesetzt, das Bundeskriminalamt bleibe wegen
der Grünen „ein zahnloser Tiger“. Ich werde in Wiesbaden
ausrichten, was Sie gesagt haben. Wenn das zutrifft, dann
müsste das Bundeskriminalamt bisher ein zahnloser Tiger
gewesen sein. Diese Einschätzung kann ich mir nach der
erfolgreichen Arbeit des Bundeskriminalamts in den
zurückliegenden Jahren, gerade auch in jüngster Zeit, nun
wahrlich nicht zu Eigen machen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Bundesminister Otto Schily
20758
Nun zu der Frage: Wie beurteilen wir diese Befug-
nisse? Wir haben nichts anderes gemacht, als die Befug-
nisse, die das Bundeskriminalamt nach seinem Zustän-
digkeitskatalog in § 2 des Bundeskriminalamtgesetzes
bereits hat,
so zu gestalten, dass es die Möglichkeit hat, Daten unmit-
telbar zu erheben, und nicht den Umweg über die Länder
gehen muss.
Insofern kann ich auch überhaupt nicht verstehen, was
der Richterbund – da muss ich einmal auf die Anhörung
zurückkommen – an der Stelle auszusetzen hat.
Der Richterbund fragt, wieso das BKA sozusagen unkon-
trolliert auf Länderdaten zugreifen dürfe. Das darf es
heute schon; es geht nur darum, dass es im Rahmen sei-
ner Zentralstellenfunktion unmittelbar Daten erheben
kann.
Nun muss ich Ihnen noch etwas sagen, weil einige das
Wort „Initiativermittlungen“ als Schreckensbild vor sich
hergetragen haben. Es scheint mir so zu sein, dass einige
die geltende Rechtslage nicht kennen. Vielleicht wird
nicht so oft in den Richtlinien für das Strafverfahren ge-
lesen. Tun Sie das einmal. Nehmen Sie sich einen Kom-
mentar zur Hand. Darin finden Sie die gemeinsamen
Richtlinien der Justizminister und -senatoren sowie der
Innenminister und -senatoren der Länder über die Zusam-
menarbeit von Staatsanwaltschaften und Polizei bei der
Verfolgung der organisierten Kriminalität. Dies sind al-
lerdings Richtlinien, die für den Terrorismus nicht gelten,
die aber auf der Basis des geltenden materiellen Straf-
rechts und Strafverfahrensrechts erarbeitet worden sind.
Unter Ziffer 6 unter der Überschrift „Initiativermitt-
lungen“ finden Sie folgende Definition:
Die Aufklärung und wirksame Verfolgung der orga-
nisierten Kriminalität setzt daher voraus, dass Staats-
anwaltschaft und Polizei von sich aus im Rahmen ih-
rer gesetzlichen Befugnisse Informationen gewinnen
oder bereits erhobene Informationen zusammen-
führen, um Ansätze zu weiteren Ermittlungen zu er-
halten: Initiativermittlungen.
Liegt ein Sachverhalt vor, bei dem nach kriminalisti-
scher Erfahrung die – wenn auch geringe – Wahr-
scheinlichkeit besteht, dass eine verfolgbare Straftat
begangen worden ist, besteht ein Anfangsverdacht.
Dieser löst die Strafverfolgungspflicht aus. Es ist
nicht notwendig, dass sich der Verdacht gegen eine
bestimmte Person richtet.
Weiter heißt es:
Bleibt nach Prüfung der vorliegenden Anhaltspunkte
unklar, ob ein Anfangsverdacht besteht, und sind An-
sätze für weitere Nachforschungen vorhanden, so
können die Strafverfolgungsbehörden diesen nach-
gehen. In solchen Fällen besteht allerdings keine ge-
setzliche Verfolgungspflicht.
Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt steht unter
Ziffer 6.4:
Bei Initiativermittlungen
– ein Wort also, das völlig gängig ist, hier aber in der öf-
fentlichen Diskussion zu einem großen Tohuwabohu ge-
führt hat –
liegen häufig die Elemente der Strafverfolgung und
der Gefahrenabwehr in Gemengelage vor und gehen
im Verlauf eines Verdichtungs- und Erkenntnispro-
zesses ineinander über.
Wie wahr!
Ich will Sie nur darauf hinweisen, damit Sie bemerken,
dass manche Vorbehalte, die selbst in richterlichen Krei-
sen geäußert werden, ohne Grundlage sind.
Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, den auch der
Kollege Beck, für dessen sachliche Rede ich ihm meine
ausdrückliche Anerkennung aussprechen möchte, er-
wähnt hat.
– Das sage ich doch ganz offen. Dass wir mitunter eine
Kontroverse haben, ist doch in Ordnung oder was haben
Sie daran auszusetzen?
Warum soll denn nicht auch einmal in einer Koalition
über eine Sachfrage geredet werden? Dazu möchte ich
einmal den Streit zwischen Ihnen und der FDP in Erinne-
rung rufen. Darüber gibt es viel zu berichten.
Jetzt loben Sie Ihre Gesetzgebungsarbeit aus vergangenen
Jahren, die Sie ohne die SPD-Fraktion gar nicht zustande
gebracht hätten. Also seien Sie in diesen Fragen einmal
ganz ruhig.
Ich möchte etwas zu den biometrischen Merkmalen
sagen. Ich glaube, wir waren gut beraten, dies erst einmal
nur in dem Bereich einzuführen, in dem es wirklich dring-
lich ist, nämlich bei der Visaerteilung, vor allem im Zu-
sammenhang mit Problemstaaten, damit wir hier bessere
Möglichkeiten haben, und uns in anderen Fragen ein biss-
chen mehr Zeit zu gönnen.
Dies passt ja eigentlich zu dem, was auch Sie immer sa-
gen: Sie wollen mehr Zeit. Selbst die CDU/CSU hat hef-
tig geklatscht, als Herr Stadler vorgetragen hat, es habe
zeitliche Probleme gegeben.
Ich möchte Sie nur auf Folgendes hinweisen, damit
Sie den Erkenntnisprozess mit uns zusammen weiter
nachvollziehen können: Heute werden schon in vielen
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Bundesminister Otto Schily
20759
Ländern biometrische Merkmale angewendet. In
Frankreich – ich habe das auch erst neulich erfahren,
vielleicht haben das andere schon früher gewusst; Herr
Marschewski hat das selbstverständlich alles schon ge-
wusst;
– aber fast alles – werden bei der Beantragung eines Per-
sonalausweises Fingerabdrücke genommen. Niemand hat
gehört, dass dort die Menschenrechtsvereine und ähnliche
aufgetreten sind und dies als Verletzung der Menschen-
würde angesehen haben. In den USA– das habe ich Ihnen
schon bei früherer Gelegenheit mitgeteilt – gibt es Fin-
gerabdrücke auf der „resident alien card“. In Spanien wer-
den diese bei den Antragstellungen für längerfristige Auf-
enthalte genommen.
– In Spanien. In den USAgibt es die „resident alien card“.
Das ist ein Ausweis für diejenigen, die in den USA eine
Arbeit aufnehmen wollen, lieber Herr Marschewski.
Aber wir werden uns mit diesen Fragen umfassend zu
beschäftigen haben, auch mit dem Hinweis, dass isolierte
Regelungen relativ wenig bringen. Da hat Herr Beck voll-
kommen Recht. Deshalb bemühen wir uns ja, auch auf der
europäischen und internationalen Ebene diese Dinge so
zu gestalten, dass ein vernünftiges Konzept daraus wird.
Wir werden uns damit beschäftigen müssen – und das
werden wir tun –, wie die modernen Techniken aussehen,
die ja nicht mehr mit Tusche arbeiten. Heute geht es um
Scannen oder Digitalisieren. Die Kosten sind übrigens gar
nicht so hoch, Herr Beck. Sie sollten mit den übertriebenen
Volumina, die Sie hier vorgetragen haben, vorsichtig sein.
Das haben Sie in Ihrer ganzen Regierungszeit nicht ge-
schafft.
Wir werden der Überprüfung, die der Ausschuss der UNO
vornehmen wird, also in Ruhe entgegensehen können.
Lassen Sie mich ein letztes Wort sagen: Wir sollten bei
Gegensatzbildungen mit befreundeten Staaten vorsichtig
sein. Mein Freund, der britische Innenminister David
Blankett, ist ein Mann des Rechtsstaates
und niemand sollte auf den Gedanken kommen, ihn in ir-
gendeinen Verdacht zu bringen, das sei anders.
Ich glaube, die Frage, die Herr Marschewski aufge-
worfen hat, ist der Prüfung wert.
– Wenn Sie das wollen, müssen Sie einen Antrag vorle-
gen, dass Sie sich von der Menschenrechtskonvention
verabschieden und sie in den Papierkorb werfen wollen.
Ich bin gespannt, welche Anträge Sie vorlegen werden.
Ich stehe zur Europäischen Menschenrechtskonvention,
aber wir werden uns mit der Frage beschäftigen müssen,
was mit Personen geschieht, die unter Terrorismusver-
dacht stehen, die bei uns leben, nicht der hiesigen Ge-
richtsbarkeit unterliegen und international zur Fahndung
ausgeschrieben sind. Wie ist es in solchen Fällen mit den
entsprechenden Auslieferungsbestimmungen? Wo kön-
nen diese Personen vor Gericht gestellt werden? Die bes-
te Lösung in solchen Fällen ist in der Tat ein internationa-
ler Strafgerichtshof.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Bundesminister Otto Schily
20760
Aber auch dann werden wir der Frage nicht ausweichen
können: Wo werden sie vorläufig untergebracht und wo
werden sie nach einer Verurteilung endgültig unterge-
bracht?
Der Frage können wir gerechterweise und ehrlicherweise
nicht ausweichen. Ich denke, darüber werden wir noch zu
diskutieren haben.
Ich möchte meinen Dank wiederholen. Der Dank gilt
auch denen, die heute nicht zustimmen, weil ich weiß
– ich bin ja selber ein engagierter Parlamentarier –, wie
schwer es ist, innerhalb kurzer Fristen solche Gesetzes-
texte angemessen zu prüfen. Ich bedanke mich bei allen,
die das auf sich genommen haben. Ich hoffe, dass wir
auch in der kommenden Woche mit einem epochalen Ge-
setzeswerk – wie Sie es gesagt haben – zu einem guten
Ende kommen.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich dem Kollegen Jürgen Koppelin das
Wort.
Herr Bundesinnenminister,
Sie haben in Ihrer Rede Äußerungen zu meinem Kollegen
Max Stadler getan, die ich so nicht stehen lassen möchte.
Ich denke, Sie sollten sie zurücknehmen. Sie haben den
Kollegen Max Stadler als Bauchredner – ich wiederhole
das, was Sie gesagt haben – des stellvertretenden FDP-
Bundesvorsitzenden Jürgen Möllemann bezeichnet.
Herr Bundesinnenminister, nehmen Sie einfach zur
Kenntnis: Die FDP-Bundestagsfraktion hat bei ihrer Sit-
zung am Dienstag auch diese Sitzung heute vorbereitet.
Wir haben eine intensive Diskussion geführt, allerdings
nicht im Beisein von Herrn Möllemann, wenn Ihnen das
etwas hilft. Der Kollege Stadler hat sich an unserer Dis-
kussion federführend beteiligt. Auch Sie kennen sicher-
lich die sehr sachbezogene Art des Kollegen Stadler. Sie
haben es ja auch angedeutet. Ich denke, Sie sollten solche
Herabsetzungen nicht vornehmen.
Wenn es Sie stört, dass der Kollege Möllemann, der
Kollege Stadler und die FDP-Bundestagsfraktion in die-
ser Sache einer Meinung sind – das mag Sie ja stören –,
dann tut es uns Leid. Wir sind aber in diesem Punkt nun
einmal einer Meinung. Der Kollege Stadler – ich will das
noch einmal ausführlich sagen – hat das vorgetragen, was
wir in der FDP-Bundestagsfraktion beraten und ent-
schieden haben. Sie sollten diese Herabsetzung lassen.
Ich vermute, dass Sie es nicht so gemeint haben. So ken-
nen wir Sie ja auch.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur Erwiderung Herr
Bundesminister Schily.
Lieber Kol-
lege Koppelin, ich kenne Herrn Stadler als einen wirklich
vorzüglichen und sachlichen Kollegen.
Es war nun wirklich nicht als Herabsetzung gemeint, es
war der Versuch eines Scherzes. Er scheint bei Ihnen nicht
als Scherz angekommen zu sein. Belassen wir es also bei
dem Scherz. Wenn Sie es als Herabsetzung empfunden
haben, nehme ich das gerne zurück. Sie wissen, dass ich
Herrn Stadler besonders schätze; das gilt auch über alle
politischen Gegensätze hinweg.
Der Scherz wird also zurückgenommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzter Redner in un-
serer Debatte ist der Kollege Wolfgang Zeitlmann für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister
Schily, Sie dürfen mich in Zukunft jederzeit Bauchredner
irgendeines CSU-Innenpolitikers nennen.
Ich habe damit kein Problem. Das Problem liegt wohl
mehr in der Person begründet, von der er, wie Sie sagten,
der Bauchredner sein sollte.
Zur Terrorismusbekämpfung sage ich vorab: Wir hat-
ten seit dem 11. September drei Monate Zeit gehabt, aber
erst am 15. November war die erste Lesung dieses Geset-
zes. Das heißt auf gut Deutsch: Zwei Monate hat die Re-
gierung gebrütet, dann hat sie es hier eingebracht, den ver-
bliebenen Monat hat die Koalition über den Vorschlag der
Exekutive gebrütet und dann sollte der Innenausschuss
das im Grunde innerhalb eines Tages abnicken. Da hatte
Heribert Prantl, wohl das erste Mal, Recht, als er sagte:
Der Gesetzgeber verkommt zum Paketträger. Dieses Vor-
gehen ist nicht nur zutiefst unparlamentarisch, sondern
ich halte es auch für eine Unverschämtheit und für eine
Missachtung der Parlamentarier, dass man ihnen zumutet,
ein wichtiges Gesetz innerhalb nur einer Sitzung eines
Fachausschusses durchzupauken.
Meine Damen und Herren, ich will einmal mit dem an-
fangen, was jeder von Ihnen heute früh oder heute Nacht
wahrscheinlich schon mitbekommen hat, nämlich diesen
schrecklichen Videofilm, in dem sich der Verbrecher Bin
Laden damit brüstet, dass er mit einem solchen „Erfolg“
nicht gerechnet hat. Im Zusammenhang mit diesem Video
wird berichtet, dass es Anhaltspunkte gebe, dass wohl mit
weiteren Aggressionen gerechnet werden muss. Man
kann eigentlich nur beten, dass uns, der freien und zivili-
sierten Welt, ein weiterer Schlag erspart bleibt. Aber ich
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Bundesminister Otto Schily
20761
fürchte, dass die Brutalität dieser Truppe uns hier noch des
Öfteren zusammenführen wird. In diesem Lichte ist zu be-
sorgen, dass manche der Bedenken, die heute hier an-
klangen und besagten, dass unser Staat in eine Schieflage
gerate, dass die Organe der Sicherheit zu viele Kompe-
tenzen bekämen und dass die Freiheit in Gefahr sei, ganz
schnell verflogen sein werden. Ich habe manchmal das
Gefühl, dass einige Mitglieder dieses Hauses weit in der
Vergangenheit leben. Im Hinblick auf diejenigen, die
noch bis vor zwölf Jahren in einer Diktatur lebten, habe
ich Verständnis. Aber für uns im westlichen Teil unseres
Landes ist es kaum vorstellbar, dass nach 50 Jahren die
Bürgerrechte und Freiheitsrechte tangiert sein könnten.
Die Dimension dessen, worum es geht, ist noch nicht
von allen verstanden worden. Es geht um Terrorismus-
bekämpfung. Herr Minister Schily, Sie haben sich eben
in Ihren Äußerungen selbst einen Bärendienst erwiesen,
als Sie vorgelesen haben, dass die Regeln der Innenminis-
ter- und Justizministerkonferenz zur organisierten Krimi-
nalität beim Terrorismus keine Anwendung fänden. Das
muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Es
wird eine Unterscheidung zwischen dem, was wir gegen
organisierte Kriminalität einsetzen – –
– Ich kritisiere das ja nicht; ich gebe nur Denkanstöße.
Man darf in der praktischen Konsequenz nicht zwischen
beiden Gefahren unterscheiden.
Meine Damen und Herren, wir müssen einmal mit ei-
ner Sprachverwirrung aufräumen, der wir vielleicht alle
ein bisschen unterliegen, der Vorstellung nämlich, Terro-
rismus sei eine abgeschwächte Form der Kriminalität. Zu
dieser Vorstellung trägt sicherlich bei, dass weltweit im-
mer wieder zu beobachten ist, dass Terroristen von ges-
tern Staatspräsidenten von heute werden, und dass es auch
schon Terroristen gegeben hat, die den Friedensnobelpreis
bekommen haben; ich deute das nur an, ohne Namen zu
nennen. Sie merken, worauf ich hinaus will: Was ist ein
Terrorist? Nach meiner Definition ist ein Terrorist ein po-
litisch motivierter Verbrecher,
ein Gewalttäter und Krimineller, sonst gar nichts.
Dies bedeutet, dass ich unsere Sicherheitsorgane mit
allen zur Verfügung stehenden gesetzlichen Mitteln aus-
statten muss, ob das nun das Instrument des Generalver-
dachtes oder die Aufnahme des Fingerabdrucks in den
Pass ist. Ich kann nicht verstehen, dass sich manche von
solchen Lappalien beschwert fühlen. Sie werden Otto
Normalverbraucher nicht erklären können, dass diese Re-
publik in Gefahr sei, man aber mit solchen Instrumenten
vorsichtig sein müsse. Dem kleinen Mann auf der Straße
ist es völlig wurscht, ob in seinem Pass, in dem ohnehin
ein Foto von ihm ist, auch die Abdrücke von zehn Fingern
enthalten sind. Vom elften Finger will ich gar nicht reden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Zeitlmann, bevor Sie zum zwölften Finger kommen, frage
ich Sie, ob Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Otto
Schily zulassen.
Nein. – Herr
Minister Schily, ich sage Ihnen auch, warum ich die Zwi-
schenfrage nicht zulasse: Wer mir als Oppositionspoliti-
ker in der Ausschussberatung kaum Raum gibt, kann nicht
die Plenardebatte zum Dialog mit mir nutzen wollen. Ma-
chen Sie beim nächsten Mal eine gescheite Innenaus-
schusssitzung, kommen Sie frühzeitig und kommen Sie
auch zur Anhörung, dann können wir intensiv darüber
sprechen.
Meine Damen und Herren, Terrorismusbekämpfung
darf nicht anders als Kriminalitätsbekämpfung gesehen
werden. Wir müssen unseren Sicherheitsorganen deutlich
machen, dass wir voll hinter ihnen stehen. Es gibt keinen
Grund zu Misstrauen, es besteht nicht die Gefahr, dass un-
sere Dienste uns in eine undemokratische Ecke manöv-
rierten.
Einen Punkt halte ich für sehr bedenklich: In Ihrem Ge-
setz können Sie sehr wohl die biometrischen Merkmale
vorschreiben. Nach jetziger Rechtslage planen Sie aber
eine Änderung des Passgesetzes, nach der in die Pässe von
Deutschen – das halte ich für richtig – weitere Merkmale
aufgenommen werden sollen, haben aber nichts vorgese-
hen, um die 7Millionen Ausländer passrechtlich gleich zu
behandeln. Ich warne davor. Sie haben nur eine Regelung
im Ausländerrecht, dass für zukünftige Fälle der Neuer-
teilung einer Aufenthaltsgenehmigung solche biome-
trischen Merkmale erfasst werden können.
Meine Damen und Herren, es fällt mir noch eine Be-
sonderheit auf – damit komme ich zum Ende –, nämlich
die, dass Sie bei der Einreise den kleinen Visa-Beamten in
Kiew, im Jemen oder wo auch immer auf der Welt mit
unserer Rechtsproblematik belasten. Sie sagen nicht ein-
fach, dass die Einreise nach Deutschland bei dem gerings-
ten Anfangsverdacht verweigert wird. Bei der Dimension
der Gefahr wäre es doch normal, zu sagen, dass uns der
kleinste Anfangsverdacht daran hindert, jemanden, der
möglicherweise ein Terrorist ist, ins Land zu lassen.
– Ich sage ganz deutlich, dass ich die Grenze zu einem An-
fangsverdacht verschieben will.
Sie können dem kleinen Beamten nicht zumuten, die
feine Unterscheidung zwischen dem Belegen von Tatsa-
chen und dem Beweisen von Tatsachen zu treffen. Diese
saubere Grenzziehung schafft er nicht. Er muss außer-
dem mit einem anschließenden Verfahren vor dem
Verwaltungsgericht rechnen. Es ist übrigens eine deutsche
Besonderheit, dass man sich ein Visum erstreiten kann.
Ich höre, dass es das in anderen freiheitlichen Ländern
kaum gibt. Angesichts Ihrer Vorstellung, dass es dem klei-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Wolfgang Zeitlmann
20762
nen Beamten möglich sein soll, zu sagen: „Ich sehe zwar
den Anfangsverdacht, aber der reicht nicht für das Bele-
gen von Tatsachen aus und deswegen darf die Person ein-
reisen“, wünsche ich Ihnen viel Vergnügen.
Es wäre auch noch einiges dazu zu sagen, dass Sie,
Herr Beck, den Ländern Auflagen machen wollen, wie sie
zu kontrollieren haben. Das ist ein eigenartiges Demokra-
tieverständnis. Ich möchte Sie einmal hören, wenn uns
Europa mit einem Gesetz vorschreiben würde, wie die
Kontrollen zu regeln sind und wer was anordnen darf. Sie
werden doch zu den eigenen Genossen so viel Vertrauen
haben, dass sie es vor Ort regeln können. Ich möchte den
Ländern keine Vorschriften machen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie
von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwürfe
zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Es han-
delt sich um die Drucksachen 14/7386 , 14/7727 und
14/7830. Ich verweise darauf, dass es nach § 31 der Ge-
schäftsordnung zwei schriftliche Erklärungen zur Abstim-
mung gibt, nämlich von der Kollegin Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger1) und von dem Kollegen Dr. Norbert
Lammert.2)
Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner
Beschlussempfehlung, die genannten Gesetzentwürfe als
Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus
in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein
Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Druck-
sache 14/7861 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer
stimmt für diesen Änderungsantrag der CDU/CSU-Frak-
tion? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der CDU/CSU-
Fraktion abgelehnt.
Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung mit der vorhin von dem Berichterstat-
ter vorgetragenen Berichtigung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und der PDS-Frak-
tion angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetz zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit
gegen die Stimmen von FDP-Fraktion und PDS-Fraktion
bei einer Enthaltung aus der CDU/CSU-Fraktion ange-
nommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache
14/7860. Wer stimmt für den Antrag der FDP? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungs-
antrag ist gegen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Ent-
haltung der PDS-Fraktion abgelehnt.
Ich rufe jetzt die Beschlussempfehlung des Innenaus-
schusses zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit
dem Titel „Sicherheit 21 – Was zur Bekämpfung des in-
ternationalen Terrorismus jetzt zu tun ist“, Drucksache
14/7830 auf. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner
Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache
14/7065 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der
CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/7792 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und b auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Norbert Röttgen, Manfred Grund, Norbert
Hauser , weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengeset-
zes
– Drucksache 14/7441 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für. Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Rechtsausschuss
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zurÄn-
derung des Parteiengesetzes
– Drucksache 14/7778 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Rechtsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Debatte eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die SPD-
Fraktion ist der Kollege Wilhelm Schmidt. – Herr Kol-
lege, bitte warten Sie, bis diejenigen Kolleginnen und
Kollegen, die uns unbedingt verlassen wollen, gegangen
sind.
Frau Präsiden-
tin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Wolfgang Zeitlmann
20763
1) Anlage 2
2) Anlage 3
Kollegen! Ich hoffe natürlich nicht, dass der Saal trotz der
späten Zeit, zu der wir uns am Freitag Nachmittag mit die-
sem Thema beschäftigen, gleich leer ist; denn es geht um
die Finanzierung der Parteien in Deutschland, ein
Thema, das uns alle angeht. Dies ist die Basis dafür, dass
wir in der Demokratie, in diesem System weiterhin stabile
Grundlagen haben, die wir brauchen, um unsere demo-
kratische Arbeit, die verfassungsmäßig abgesichert ist,
wahrzunehmen.
Die Überschrift in der „Süddeutschen Zeitung“ lautete
vor wenigen Tagen, nachdem meine Fraktion ihren Ge-
setzentwurf vorgestellt hatte: „Bei falscher Partei-Bilanz
droht Haft“. Genau das will ich hier als einen Eckwert be-
kräftigen, den wir in der Debatte durchzusetzen versu-
chen. Unser Gesetzentwurf ist, neben all den Dingen, die
ohnehin zu regeln sind und die von allen ins Auge gefasst
sind, darüber hinaus durch zwei besonderen Punkte ge-
kennzeichnet, nämlich dass wir die Konsequenzen aus
dem Parteispendenskandal der CDU zu ziehen versuchen
und dass der Bundestagspräsident eine unabhängige
Kommission eingesetzt hat, die uns für die Beratung die-
ses neuen Parteiengesetzes eine ganze Menge an Materia-
lien zur Verfügung gestellt hat.
Ich danke dieser Kommission an dieser Stelle aus-
drücklich dafür, dass sie sich dieser umfangreichen Arbeit
unterzogen hat. Dadurch, dass wir uns mit unserem Ge-
setzentwurf weitestgehend an den Vorlagen und Vorschlä-
gen der Kommission orientieren, wird die Wertschätzung
für das Ergebnis der Arbeit dieser Kommission zum Aus-
druck gebracht. Herzlichen Dank dafür!
Dass wir in dieser Zeit auch darum ringen, die Konse-
quenzen aus dem Parteispendenskandal zu ziehen, den
die CDU in dieser Zeit nicht bereit ist aufzudecken, kenn-
zeichnet, so glaube ich, das Bemühen darum, die Belas-
tungen für das Parteiensystem und damit auch die Belas-
tungen für die Demokratie in diesem Lande möglichst
abzubauen, und zwar möglichst einvernehmlich.
Ich komme auf einige wenige Eckwerte zu sprechen,
die wir im Gesetz durchzusetzen versuchen und dann auf
den anschließend vorzustellenden Gesetzentwurf der
CDU/CSU hier im Hause. Es gibt zwischen diesen beiden
Entwürfen nämlich gravierende Unterschiede.
Zu den Eckwerten. Wir, die Koalition, führen in unse-
rem Gesetzentwurf einen neuen Straftatbestand für vor-
sätzlich falsche Rechnungslegung ein.
Das halte ich für besonders gravierend. Wenn dieser zu
den Zeiten, als die CDU und die CSU, die CDU insbe-
sondere, durch Herrn Kohl, Herrn Kanther, Herrn Koch
und viele andere ihre Umwegfinanzierung und ihre Ver-
schleierung von Parteifinanzierung vorgenommen haben,
gegolten hätte, dann würden sich diese Herren wahr-
scheinlich nicht erfolgreich um die Erkenntnisfindung
und die Aufklärung ihrer Machenschaften drücken kön-
nen. Sie wären dann nach dem Strafgesetzbuch und nach
diesem Gesetz strafbar.
Wir lassen es nicht zu, dass das so weiter läuft, wie man
es auch gestern wieder im Untersuchungsausschuss sehen
konnte, wo sich gerade diese Leute, Kohl und Co., erneut
gedrückt haben, zur Aufklärung dieses Parteispenden-
skandals beizutragen. Wir missbilligen dies ausdrücklich.
Ich sage es von dieser Stelle: Kohl hat in diesem Parla-
ment nichts mehr zu suchen.
– Sie werden mich nicht davon abbringen, dass ich das
was ich von der Sache politisch halte, hier deutlich sage.
Die Entscheidung, ob es mich einen Dreck angeht, müs-
sen Sie mir schon selbst überlassen. Ihre Reaktion kenn-
zeichnet aber wieder Ihre persönliche Einstellung zu die-
sem Skandal, den Sie an dieser Stelle nach wie vor,
übrigens auch durch Ihren Entwurf, zu vertuschen und zu
verschleiern versuchen. Die Form, wie Sie das vorbrin-
gen, ist auch wieder typisch für Sie. Das lassen wir nicht
durchgehen.
Wir werden mit der Offenlegung mehr Transparenz in
die Parteienfinanzierung hineinbringen. Das war immer
unser erklärter Wille. Als die Mehrheit von CDU/CSU das
Gesetz 1994 zum letzten Mal geändert hat, ist das nicht in
dem Maße, wie es heute notwendig ist, geschehen. Darum
werden wir dies zugunsten von mehr Transparenz ändern.
Wir werden auch die Anforderungen an die Wirt-
schaftsprüfer erhöhen, im Andenken an das, was Herr
Weyrauch Ihnen angetan hat, vielleicht auch mit Ihrem
Wissen; aber das will ich hier nicht behaupten.
Von daher glaube ich schon, dass das, was wir vorle-
gen, eine wichtige Grundlage für mehr Transparenz sein
wird.
Sie hingegen werden mit Ihrem Gesetzentwurf den An-
sprüchen, die die unabhängige Kommission an uns alle
gerichtet hat, nicht gerecht. Sie wollen den Unwertgehalt
Ihrer Arbeit und Ihrer Vorgehensweise wieder verniedli-
chen und vertuschen. Sie wollen den Bundestagsprä-
sidenten als Mittel verwaltende und beaufsichtigende
Behörde diskriminieren und diffamieren.
Auch dies lassen wir nicht zu.
Ich sage für die Koalition und die SPD in diesem Hause
sehr nachdrücklich, dass es an Enteignung grenzt, was Sie
in Ihrem Gesetzentwurf zum Beispiel hinsichtlich der Be-
wertung und Behandlung von parteieigenem Vermögen
vorhaben. Sie werden, weil Sie nicht mit Geld umgehen
können, übrigens auch nicht in der Lage sein, uns aufzu-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Wilhelm Schmidt
20764
zeigen, dass wir in irgendeiner Form staatlich unrechtlich
gehandelt haben. Im Gegenteil, wir haben unser Partei-
vermögen, unsere Beteiligungen immer offen gelegt, im
Rahmen der Gesetze allemal,
und wir werden das in Zukunft noch transparenter machen
als bisher.
Dieser Wert wird ein ganz besonders wichtiger sein.
Sie werden nicht in der Lage sein, davon abzulenken, was
Sie mit Ihrem Parteispendenskandal am Hacken haben.
Die SPD wird das, was sie, auch durch die Bemühungen
und die aktive Arbeit in der Arbeiterbewegung zwischen
den beiden Weltkriegen, zusammengebracht hat, nicht
noch einmal weggeben. Wir werden darauf achten, dass
dieses Vermögen, diese Beteiligungen in unserer Hand
bleiben. Alle sollen wissen, was wir von dem Ganzen hal-
ten. Wir sind selbstbewusst genug, wir können damit um-
gehen und die Öffentlichkeit soll das auch so werten.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner ist
für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr. Norbert
Röttgen.
Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn in diesem
Hause, wenn in unserem Land über die Parteienfinanzie-
rung gesprochen wird, erwarten die Bürger nur eines,
nämlich Konsequenzen.
Sie erwarten, dass etwas geschieht.
Sie erwarten Konsequenzen aus den Verstößen, die vor-
gekommen sind, auch bei der CDU.
– Auch Sie haben gegen das Parteiengesetz verstoßen. Da-
raus müssen Konsequenzen gezogen werden. Die Bürger
sind nicht damit zufrieden, dass es zu der parteipolitischen
Instrumentalisierung dieser Verstöße durch die SPD,
durch den politischen Gegner, kommt.
Ihr Interesse ist doch, politisches Kapital aus dieser Ge-
schichte zu schlagen, nicht, die Situation zu verbessern.
– Ich schlage vor, dass wir uns darüber unterhalten, dass
wir uns austauschen, dass wir miteinander argumentieren.
Schreien können Sie vielleicht auf Ihren eigenen Ver-
sammlungen.
Hier ist der Ort der Diskussion. Sie sollten sie pflegen,
auch wenn Sie sich bei diesem Thema scheuen.
Es gilt auch, Konsequenzen aus einem schlechten Par-
teiengesetz zu ziehen, das wir haben. Das geltende Par-
teiengesetz hat sich nicht bewährt. Es ist widersprüchlich,
unklar, ungenau, lückenhaft;
es setzt das Transparenzgebot des Grundgesetzes nicht
um. Das ist das einhellige Urteil aller Experten. Es ist im
Wesentlichen, bis auf die Korrekturen, die das Bundes-
verfassungsgericht immer wieder vorgenommen hat, ein
Recht der Parteischatzmeister. Sie wollen weitgehend,
dass das so bleibt. Wir sagen: Damit muss Schluss sein.
Das einhellige Urteil aller Experten ist also, dass es ein
schlechtes Gesetz ist, ein Gesetz, das dem Grundgesetz
nicht gerecht wird. Aber was verkünden Sie in Ihrem Eck-
punktepapier? – Sie sagen, dieses Gesetz habe sich be-
währt. Sie können gar nicht so blind sein, dass Sie die Wi-
dersprüchlichkeiten, die Verfassungswidrigkeit dieses
Gesetzes nicht wahrnehmen.
Sie behaupten dennoch, dass sich dieses Gesetz bewährt
habe. Dies ist eine politische Erklärung der SPD und –
leider auch – der Grünen. Sie sind von einer symbolischen
Ausnahme abgesehen und im Unterschied zu dem, was
alle anderen fordern, nicht bereit, ernsthafte strukturelle
Konsequenzen zu ziehen. Der Unterschied zwischen der
CDU/CSU auf der einen und der SPD und den Grünen auf
der anderen Seite ist: Wir haben einen Gesetzentwurf vor-
gelegt, der umfassende Konsequenzen zieht. Sie tun das
nicht.
Ich will Ihnen zusammenfassend sagen, was hinsicht-
lich einer Reform des Parteiengesetzes geschehen muss:
erstens, eine umfassende Rechnungslegung nach einem
definierten handelsrechtlichen Standard; zweitens, ein
lückenloses Sanktionensystem;
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Wilhelm Schmidt
20765
drittens, eine Begrenzung der Parteien auf ihre eigentliche
Aufgabe, die Mitwirkung an der politischen Willens-
bildung.
Das ist nach dem Grundgesetz Auftrag und Aufgabe der
Parteien. Ihre Aufgabe ist es nicht, sich als Unternehmer
zu betätigen. Sie sollten keine Pressekonzerne unterhalten
bzw. Unternehmensbeteiligungen besitzen.
– Seien Sie ganz ruhig.
Ich will Ihnen nun nachweisen, dass Sie in Ihrem Ge-
setzentwurf keine einzige dieser gebotenen elementaren
Konsequenzen ziehen.
Wir ziehen diese Konsequenzen. Sie ziehen sie nicht. Sie
täuschen die Öffentlichkeit in dieser Hinsicht.
Die Rechnungslegung ist das wichtigste Instrument
der Transparenz.
Alle Sanktionen wirken nicht, wenn Sie im Gesetz keine
Offenlegungspflichten formulieren.
Das geltende Recht hat, für Laien nicht erkennbar, durch
seine Widersprüchlichkeiten und seine Ungenauigkeiten
wie ein Transparenzpanzer gewirkt.
Genau an dieser Panzerwirkung der Rechnungslegungs-
vorschriften, die das Gegenteil von dem bewirken, was sie
nach Meinung der Bürger bewirken sollten, würde sich
nach dem Koalitionsentwurf nichts ändern. Das ist auch
das Urteil der Experten.
Die Begriffe, die Sie nebeneinander verwenden, näm-
lich Einnahmen- und Ausgabenrechnung, Vermögensbi-
lanz, Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung sowie
der Generalverweis auf das HGB – nichts wird spezifi-
ziert –, widersprechen sich elementar.
Das ist kein handhabbares Recht. Wir werden im Innen-
ausschuss – ich kündige das schon einmal an – eine Sach-
verständigenanhörung zu diesem Thema beantragen. Er-
freulicherweise hat sich die Wirtschaftsprüferkammer
dieses Themas angenommen. Sie werden an dieser Stelle
enttarnt und entlarvt werden.
Denn es ist die alte Methode: ein Mischmasch an Rech-
nungslegungsvorschriften, der nicht praktikabel, nicht
kontrollierbar und auch nicht sanktionierbar ist.
Weiterhin müssen keine Zeitwerte angegeben werden.
Das Vermögen muss nicht offen gelegt werden. Im We-
sentlichen sollen Nominalwerte angegeben werden. Die
Buchwerte betragen allein bei ihrer Presseholding mit-
samt ihren Töchtern rund 120 Millionen DM.
Frau Wettig-Danielmeier, Ihre Schatzmeisterin, die
sich sehr aktiv um dieses Gesetzgebungsvorhaben
bemüht, hat im Untersuchungsausschuss angeben müs-
sen,
dass die wahren wirtschaftlichen Verhältnisse bei rund
0,75 Milliarden DM liegen. Das ist ein Vielfaches von
dem, was Sie gegenüber den Bürgern in Bezug auf Ihr
wahres wirtschaftliches Vermögen angeben wollen. Sie
sind nicht bereit, den Bürgern mit offenem Visier entge-
genzutreten.
Ich muss es leider hier so deutlich sagen: Ihrem Ge-
setzentwurf liegt ein ganz bestimmtes Strickmuster zu-
grunde. Unter dem Deckmantel der Diffamierung des po-
litischen Gegners verfolgen Sie Ihre wirtschaftlichen
Interessen schamlos weiter.
Sie wollen weiterhin Ihre Schäfchen ins Trockene brin-
gen.
Auch in Ihrem Gesetzentwurf besteht ein Sanktionen-
defizit.Auffälligerweise besteht für Falschangaben in der
Vermögensbilanz und dem Erläuterungsteil – das betrifft
Ihre Unternehmensbeteiligungen – keine Sanktions-
pflicht. An dieser Stelle hat Ihr Sanktionensystem auffäl-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Norbert Röttgen
20766
ligerweise eine Lücke. Wir haben ein lückenloses Sank-
tionensystem vorgeschlagen.
– Ich kann die Tatsache, dass Sie überrascht darüber sind,
dass wir Ihren Gesetzentwurf genau studiert haben, nur so
interpretieren, dass Sie Ihren Gesetzentwurf nicht kennen.
Sie schlagen vor – abstrus –: Der Bundespräsident soll in
Zukunft nicht mehr jährlich über die Vermögenslage der
Parteien berichten, sondern umfassend nur noch alle zwei
Jahre.
Ist Ihr Eindruck, dass die Bürger beklagen, sie hätten zu
viel Informationen über Parteifinanzen? Wir bestehen auf
dem jährlichen Bericht. Sie wollen weniger Informatio-
nen schaffen.
Ein weiterer abstruser Vorschlag der SPD – das hat die
Öffentlichkeit noch nicht zur Kenntnis genommen – ist
die Neuregelung, dass in Zukunft auch ausländische Un-
ternehmen in Deutschland spenden dürfen
– dass Unternehmen des europäischen Auslandes auch in
Deutschland an Parteien spenden dürfen. Ich frage dieses
Haus in allem Ernst: Wollen wir wirklich, dass Unterneh-
men des europäischen Auslandes sich in Deutschland Par-
teien halten, unterhalten, finanzieren können? Wollen wir
das im Ernst?
Wir sind mit dem Bundesverfassungsgericht der Auffas-
sung, dass Spenden etwas mit staatsbürgerlichem Enga-
gement zu tun hat.
Das werden wir an dieser Stelle nicht mitmachen. Ich
warne Sie vor diesem Weg! Das hat etwas mit dem staats-
bürgerlichen Engagement eines Bürgers, eines deutschen
Unternehmens zu tun. Aber dass nun ausländische Unter-
nehmen – auch wenn es solche des europäischen Auslands
sind – hier durch unbegrenzte finanzielle Spenden Ein-
fluss auf die innenpolitische Auseinandersetzung nehmen
dürfen, das darf doch nicht wahr sein!
Das Thema bringt mich zu einem weiteren wichtigen
Thema
und zu einer Problematik: die wirtschaftliche Beteiligung
der Parteien an Unternehmen und insbesondere an Pres-
seunternehmen. Meine Damen und Herren, ich muss
zunächst den Versuch der SPD zurückweisen, dieses
Thema zu tabuisieren. Darüber wollen Sie ja nicht reden.
Nur weil die SPD eine milliardenschwere Unternehmer-
partei ist, besteht kein Grund für alle anderen, darüber
nicht zu reden. Das müssen Sie sich leider schon gefallen
lassen.
Bei der wirtschaftlichen Betätigung von Parteien ist
eine Grundsatzfrage unserer Parteiendemokratie aufge-
worfen.
Es geht um die Fragen von Macht, der Grenzen von Macht
der Parteien, um Gewaltenteilung, Chancengleichheit
und Kontrollierbarkeit von Parteien durch die Presse.
Was bedeutet es eigentlich, wenn die zurzeit größte Re-
gierungspartei des Landes gleichzeitig eine milliarden-
schwere Unternehmerpartei ist, gleichzeitig einen der
größten Pressekonzerne des Landes darstellt?
– Ja, so ist es!
Was heißt es eigentlich, wenn, wie im Fall der SPD,
staatliche Macht, politische Macht, wirtschaftliche Macht
und publizistische Macht in einer Hand vereinigt sind?
Wollen die Bürger das? Wollen die Bürger Parteien,
die überall in der Gesellschaft krakenartig in Staat und
Gesellschaft ihre Macht ausbreiten? Ich glaube, dass wir
das nicht wollen können. Und wenn Sie es schon machen,
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Norbert Röttgen
20767
meine Damen und Herren, dann fordern wir von Ihnen:
Kämpfen Sie wenigstens mit offenem Visier!
Sagen Sie den Lesern Ihrer Tageszeitungen, woran Sie be-
teiligt sind. Sagen Sie es den Lesern des „Nordbayeri-
schen Kuriers“, der „Neuen Presse Coburg“, der „Fran-
kenpost“, der „Lausitzer Rundschau“,
des „Göttinger Tageblatts“, der „Hannoverschen Allge-
meinen Zeitung“, der „Neuen Presse“, der „Neuen West-
fälischen“, der „Westfälischen Rundschau“, der „NRZ“,
des „Trierischen Volksfreundes“, des „Pfälzischen Mer-
kur“,
der „Saarbrücker Zeitung“, der „Sächsischen Zeitung“,
der „Dresdener Morgenpost“, der „Morgenpost am Sonn-
tag“, der „Leipziger Volkszeitung“, der „Südthüringer
Zeitung“, des „Freien Wortes Suhl“.
Meine Damen und Herren, das waren die Beteiligun-
gen der SPD an Medien-, an Presseunternehmen.
– Das ist die Information der „Welt“ vom 9. März 2000.
Das gebe ich zu.
Korrigieren Sie es: Es ist eine Tagesauflage von 2,5 Mil-
lionen Exemplaren. Es kann sein, dass sich die eine oder
andere Zeitung ausgetauscht hat.
Aber Sie wollen doch nicht bestreiten, dass Sie einer der
größten Pressekonzerne des Landes sind, und das kann so
nicht akzeptiert werden.
Es ist doch auch kein Zufall, dass Sie diese Aktivitäten
durch ein fein gesponnenes System von Treuhandgesell-
schaften gegenüber der Öffentlichkeit abschotten.
Sie unterhalten ein System organisierter Tarnung und Ab-
schottung gegenüber den Bürgern und Sie wollen dieses
System fortsetzen.
Das ist die Wahrheit der Interessen, die Sie mit diesem
Gesetz verfolgen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Röttgen,
die Wahrheit ist, dass Ihre Redezeit jetzt abgelaufen ist.
Ich komme zum
Ende. – Einer der Fortschritte ist allerdings – dies ist ein
Novum in der Geschichte der Parteiengesetzgebung –,
dass nicht der Konsens am Anfang stand.
– Ich begrüße, dass wir nicht von Anfang an im Konsens
sind. Das ist nämlich auch sonst bei der Gesetzgebung
nicht der Fall. Wir wollen Wettbewerb.
Parteiengesetzgebung ist Gesetzgebung in eigener Sache.
Darum fängt die Transparenz beim Verfahren an: Die Be-
ratung darf nicht in den Hinterzimmern der Parteischatz-
meister erfolgen.
Wir stehen alle in der Verantwortung, Vertrauen
zurückzugewinnen – Sie genauso wie wir.
Wir haben dazu einen glaubwürdigen, umfassenden Ge-
setzentwurf vorgelegt.
Dass wir darüber streiten, ist gut, ist ein Fortschritt.
Sie aber werden die Täuschung und die Tarnung, die Sie
mit Ihrem Entwurf betreiben, nicht durchhalten können.
Wir werden Sie entlarven; darauf können Sie Gift nehmen.
Danke sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort der Kollege
Christian Ströbele.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Norbert Röttgen
20768
legen! Herr Kollege Röttgen, Sie machen Ihr Gesetz, das
unter dem Vorsitzenden Helmut Kohl erlassen worden ist,
schlecht.
Schlecht aber ist nicht dieses Gesetz, sondern schlecht
sind die, die sich nicht daran halten, die das Gesetz vor-
sätzlich brechen.
Weil in der Öffentlichkeit nun klar ist, dass es in der
CDU einige gibt, die sich an geltende Gesetze bis heute
nicht halten, und weil Konsequenzen aus dem Parteispen-
denskandal der CDU zu ziehen sind, müssen wir ganz
schnell unseren ersten Entwurf zur Änderung des Partei-
engesetzes vorlegen.
Wir wollen nicht länger hinnehmen, Herr Kollege
Röttgen, dass der Altbundeskanzler durch die Lande
zieht, vor Untersuchungsausschüsse tritt und das Gesetz
in fortgesetzter Handlung immer weiter bricht.
Das wollen wir der Bevölkerung nicht zumuten.
Deshalb wollen wir in diesem neuen Gesetz die Bestim-
mung aufnehmen, dass sich jemand, der das Gesetz vor-
sätzlich bricht und dies auch zugesteht, in Zukunft nicht
mehr mit Millionenbeträgen, die er möglicherweise wie-
der von anonymen Spendern eintreiben könnte, freikau-
fen kann, sondern dann vor dem Strafrichter verantwor-
ten muss.
Denn niemand in diesem Lande versteht, dass jemand, der
eine falsche Steuererklärung abgibt, sich strafbar machen
kann, während jemand, der das Parteiengesetz, welches er
im Deutschen Bundestag selber mit durchgesetzt hat, vor-
sätzlich bricht, so davonkommen kann, wie das bei Herrn
Dr. Kohl der Fall ist.
Im Übrigen wollen Sie ja bis heute keine Strafbestim-
mung. Sie wollen weiterhin die Möglichkeit eröffnen,
sich bei vorsätzlichen Verstößen gegen das Parteiengesetz
freizukaufen, nämlich indem die Gelder dann an den Bun-
destagspräsidenten abgeführt werden. Diese Philosophie,
die Sie beibehalten wollen, haben wir nicht. Wir wollen
etwas Neues, etwas Besseres.
Nun zu einem Punkt, von dem wir überhaupt nicht be-
troffen sind: Es ist richtig, dass das Grundgesetz vor-
schreibt – dieses Parteiengesetz bisher leider nicht –, dass
Rechenschaft auch über Vermögen und über Einkommen
aus Vermögen abgelegt werden muss. Die Bürgerin, der
Bürger muss wissen können: Welche Partei hat welche
Beteiligung, verfügt über welches Vermögen, erzielt wel-
ches Einkommen aus welchem Vermögen? Damit die
Bürgerinnen und Bürger das in Zukunft wissen können,
deshalb schreiben wir das jetzt so in das Gesetz hinein:
Jedes Jahr muss Rechenschaft darüber abgelegt werden
und alle fünf Jahre muss offenbart werden – und zwar tes-
tiert –, was die Vermögensbeteiligung in Heller und Pfen-
nig bzw. in Euro und Cent wert ist.
– Doch, das schreiben wir in das Gesetz hinein.
Herr Kollege Röttgen, es stimmt auch nicht, dass je-
mand, der falsche Angaben macht, dann so davonkommt.
Nein, schauen Sie einmal in den Gesetzentwurf hinein,
was wir unter § 31 d einfügen wollen: Jede vorsätzlich
falsche Rechnungslegung soll unter Strafe gestellt werden
und mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren belegt werden
können. Das heißt, wir können sicher sein, dass die Bür-
gerinnen und Bürger in Zukunft wissen, wie hoch das Ver-
mögen ist und welche Einkommen aus welchen Vermö-
gen erzielt werden.
Herr Kollege Röttgen, geben Sie an Ihre Freunde bei
der CDU in Hessen weiter: In Zukunft müssen auch Ver-
mächtnisse und Erbschaften genau benannt werden. Es
genügt nicht, dies einfach zu schreiben, sondern wir und
die Bürgerinnen und Bürger wollen wissen, wer der Erb-
lasser war und wo er gewohnt hat, damit sich alle ein Bild
machen können, ob das überhaupt stimmt oder ob nicht
wieder solche Machenschaften dahinter stecken, wie das
die CDU in Hessen praktiziert hat.
Wir wollen, dass in Zukunft diese Koffer mit gebün-
deltem Barem nicht mehr im Land herumgereicht werden,
jedenfalls nicht mehr mit Parteispenden.
Deshalb wollen wir Barspenden auf 1 000 Euro be-
schränken. Daher wollen wir auch, dass Spenden in Höhe
von 50 000 Euro oder höher zeitnah veröffentlicht werden
müssen. Es darf nicht sein, dass man Jahre später, so wie
Sie das bei der Ehlerding-Spende gemacht haben, ir-
gendwo eine Spende aus dem Schreibtisch herausholen
und sagen: Da war doch noch etwas. In Zukunft müssen
Sie, wenn dieses Gesetz in Kraft ist, zeitnah sagen: Wir
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20769
haben 50 000 Euro von dem oder dem bekommen. Die
Bürgerinnen und Bürger können dann ihr Wahlverhalten
danach ausrichten, wenn sie wissen, dass Herr und Frau
Ehlerding wenige Tage vor einer Bundestagswahl
5,9 Millionen DM an die CDU gespendet haben.
Sie wissen dann, in welcher Weise Regierungspolitik
in der Bundesrepublik Deutschland unter der Regierung
Kohl käuflich gewesen sein könnte.
Darüber sollen sie sich ein Bild machen können, um ihr
Wahlverhalten entsprechend ausrichten zu können.
Deshalb ist dieses Gesetz, so wie wir es vorgelegt haben,
richtig und wichtig. Aber ich sage Ihnen: Das ist der erste
Schritt. Der Untersuchungsausschuss ist mit seiner Arbeit
noch nicht am Ende.
Im nächsten Sommer werden wir nachlegen. Da können
Sie sicher sein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt spricht der Herr
Kollege Dr. Max Stadler für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Ströbele,
wenn ich es richtig in Erinnerung habe, hat sogar der Vor-
sitzende des Untersuchungsausschusses konzediert, dass
zum Beispiel der Vorwurf, Panzerlieferungen nach Saudi-
Arabien seien gekauft worden, in dem Untersuchungs-
ausschuss nicht bewiesen sei.
Das gilt insgesamt für den Vorwurf der Korruption ge-
gen die Regierung, die von CDU/CSU und FDP gebildet
worden ist.
Ich möchte Sie daher bitten, in die Diskussion um das Par-
teiengesetz nicht diesen Zungenschlag hineinzubringen.
Mein eigener Bedarf und mein eigenes Potenzial an
Polemik ist heute schon durch die Diskussion um
Schily II erschöpft. Ich habe übrigens aus den Erfahrun-
gen des Untersuchungsausschusses den Eindruck: Auch
die Bevölkerung will nicht, dass wir uns mit dem Thema
Parteiengesetz polemisch befassen.
Vielmehr lautet die häufigste Frage, die man gestellt be-
kommt: Seid ihr im Bundestag in der Lage, die Folgerun-
gen aus den Erkenntnissen des Untersuchungsaus-
schusses zu ziehen und ein neues Parteiengesetz
gemeinsam zu beschließen? Das ist das, was von uns ver-
langt wird.
gitter] [SPD]: Das wäre schön!)
Die FDP hat daher eigene Vorschläge dazu vorgelegt,
die übrigens in vielen Teilen eher mit dem Entwurf der
SPD
als mit dem der Union übereinstimmen. Allerdings müs-
sen wir in einem entscheidenden Punkt bei der SPD noch
dafür werben, dass die eigenen Interessen gegenüber dem
übergeordneten Prinzip hintangestellt werden.
Unternehmensbeteiligungen von Parteien sind und
bleiben problematisch, besonders wenn sie den Medien-
bereich betreffen.
Das ist ein gewaltenteilerisches Problem;
denn die vierte Gewalt, wie sie immer genannt wird, kann
doch die Politik nicht wirksam kontrollieren, wenn sie sel-
ber im Eigentum einer politischen Partei steht. Das passt
nicht zusammen und muss geändert werden.
Bei der Frage der Saldierung und der Gesamttranspa-
renz der Vermögensbeteiligungen werden wir uns so-
wieso einigen können. Das wird nicht das Thema sein.
Wir, die FDP, sprechen uns dafür aus, dass es künftig klare
strafbewehrte Sanktionen im Parteiengesetz gibt. Es muss
ein wirksames Instrumentarium geschaffen werden. Ich
bin der Auffassung – um noch einmal auf die Rolle der
Medien zu kommen –: Jedes Gesetz, das noch so gut von
uns gemeint ist, kann bei bösem Willen umgangen wer-
den. Der Wächterrolle der vierten Gewalt kommt daher in
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Hans-Christian Ströbele
20770
diesem Zusammenhang eine so große Bedeutung zu, dass
wir sie dem Einfluss der Politik entziehen wollen.
Ich gebe ganz offen zu: Die FDP will am System der
staatlichen Teilfinanzierung der Parteien grundsätzlich
nicht rütteln. Wir brauchen neben der staatlichen Finan-
zierung, die auch dem Chancenausgleich dient, und den
Mitgliedsbeiträgen, die von vielen Tausenden Mitgliedern
in allen Parteien in selbstloser Weise geleistet werden,
eine teilweise Finanzierung durch Spenden. Die steuerli-
chen Regelungen zur Absetzbarkeit von Spenden sind un-
serer Meinung nach alles in allem in der Vergangenheit in
Ordnung gewesen. Sie sollten aber vielleicht doch an die
neuen Regelungen des Stiftungssteuerrechts angeglichen
werden. Mit dieser Idee könnten wir bei diesem Thema
vielleicht zu einem Konsens kommen.
Im Übrigen ist es notwendig, die vielen bürokratischen
und unübersichtlichen Vorschriften des bestehenden Par-
teiengesetzes zu vereinfachen, denn es ist bei dem, was
wir unseren Mitgliedern zumuten, schwierig, in einem
Ortsverband oder Kreisverband Schatzmeister zu sein.
Transparenz ist das oberste Gebot. Das ist ein Stich-
wort für die weiteren Beratungen.
Ich führe als letzten Punkt – meine Redezeit ist schon
fast abgelaufen – an: Wir müssen die Frage angehen, wie
es mit Spenden zu halten ist, die nicht in Erwartung eines
Vorteils geleistet werden – solche sind ohnehin verboten –,
sondern die offenkundig nach Eintritt eines Vorteils oder
in engem Zusammenhang damit geleistet werden.
Es kann doch nicht richtig sein, dass diese erlaubt bleiben.
Allerletzter Punkt: Es bedarf insgesamt einer geeigne-
ten Kontrolle. Wir meinen, diese sollte nicht durch den
Bundestagspräsidenten ausgeübt werden – er gerät sonst
in die Gefahr, Partei zu sein –; die übergeordnete, neutrale
Institution des Bundespräsidenten erscheint uns hierfür
besser geeignet.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt spricht für die
PDS-Fraktion die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute darangehen,
das Parteiengesetz zu ändern, wissen wir, dass wir in ei-
gener Sache verhandeln. Wir sind deshalb gefordert, uns
selbst den Spiegel vorzuhalten. Bei der Änderung des Par-
teiengesetzes muss ein deutlicher Schritt zu mehr Selbst-
kontrolle und Selbstbeschränkung gemacht werden. Das
ist angesichts des Glaubwürdigkeitstiefs der Politik mehr
als notwendig.
Im Kern geht es um mehr Ehrlichkeit und mehr
Transparenz bei der Parteienfinanzierung. Dass Rechts-
verletzungen, Selbstbedienungsmentalität oder der Ein-
druck unlauteren Verhaltens das Image aller Parteien nach-
haltig beschädigen, hat fast schon jede Partei schmerzhaft
spüren müssen. Die Parteispendenaffäre der CDU stellt
dabei einen vorläufigen traurigen Höhepunkt dar.
Es ist deshalb für alle Parteien von immenser Bedeu-
tung, dass wir noch in dieser Wahlperiode nicht nur kos-
metische, sondern grundlegende Änderungen des Partei-
engesetzes verabschieden werden. Das heißt, es müssen
die notwendigen Konsequenzen aus der Parteispendenaf-
färe gezogen werden, es dürfen aber auch Fragen der Bi-
lanzierung und Rechnungslegung nicht ausgespart wer-
den, um insgesamt ein höheres Maß an Offenheit,
Transparenz und Kontrolle zu erreichen.
Man könnte natürlich wieder eine große parteipoliti-
sche Welle in der Hoffnung schlagen, im bereits begon-
nenen Vorwahlkampf zu punkten und sich gegenseitig
vorzuführen. Damit wurde bereits im Verlauf der heutigen
ersten Lesung munter begonnen. Man kann sich anderer-
seits interfraktionell auf einen faulen Kompromiss nach
dem Motto einigen: Lässt du mir meine Unternehmens-
spenden in Millionenhöhe, drücke ich ein Auge bei deiner
wirtschaftlichen Bilanzierung zu. Beides wird am Ende
keiner Partei nutzen. Dem Ansehen aller wird jedoch wei-
terer Schaden zugefügt.
Dem Gesetzentwurf der Regierungsparteien, der viele
Punkte aus dem Bericht der Parteienfinanzierungs-
kommission aufgegriffen hat, ist das Bemühen um eine
vernünftige Lösung anzumerken. Das betrifft zum Bei-
spiel die Aufnahme eines neuen Straftatbestandes für vor-
sätzlich falsche Rechnungslegung, die Präzisierung
finanzieller Sanktionen für fehlerhafte Rechenschafts-
berichte oder auch das Verbot von Spenden öffentlicher
Unternehmen.
Allerdings geht uns der Entwurf noch nicht weit genug.
Meine Fraktion hatte bereits im Frühjahr letzten Jahres wei-
ter gehende Gesetzesvorschläge zum Verbot von Spenden
durch juristische Personen oder auch zur Begrenzung der
Höhe der Spenden sowie zu weiter gehenden strafrechtli-
chen Sanktionen gemacht. Wir werden diese Vorschläge in
die parlamentarische Diskussion wieder einbringen.
Ich habe mir auch mit Interesse den Gesetzentwurf der
CDU/CSU und die Vorschläge der FDP angesehen und
halte einiges davon für durchaus überlegens- und aufneh-
menswert.
Allerdings ist es schon verwunderlich, dass gerade die
CDU/CSU, die sonst bei fast jedem gesellschaftlichen Pro-
blem nach schwereren Strafen ruft, beim Parteiengesetz
eine auffallende Zurückhaltung an den Tag legt.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Max Stadler
20771
Ich halte es vor dem Hintergrund der besonderen Situa-
tion, in der wir uns befinden, für notwendig, ohne partei-
politische Scheuklappen die sachgerechten Vorschläge
aller Parteien zusammenzutragen. Das wäre der Versuch,
gemeinsam ein Stück verloren gegangener politischer
Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Allerdings ist meine
Hoffnung nach der jetzigen Lesung nicht allzu groß.
Als letzte
Rednerin in dieser Debatte hat das Wort die Kollegin Inge
Wettig-Danielmeier von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Meine Damen und Herren von
der Fraktion der CDU/CSU, ich möchte Ihnen ein Kom-
pliment zu Ihrem dreisten und geschickten Gegenangriff
auf die SPD machen. Obwohl Ihre Leute Koffergeschäfte
gemacht, Schwarzkonten geführt und Rechenschaftsbe-
richte gefälscht haben, konnten Sie in Teilen der Öffent-
lichkeit – glücklicherweise war es nur ein kleiner Teil –
den Eindruck erwecken, nicht die CDU, sondern die SPD
verdunkle ihre Einnahmen.
Immer wieder wird behauptet – das war auch auf dem
Dresdener Parteitag der CDU der Fall –, die SPD weigere
sich, ihr Finanzsystem offen zu legen.
Einige Ihrer Vertreter sind sogar in Gerichtsurteilen da-
rüber belehrt worden, dass ihren Behauptungen die Be-
weise fehlen, dass sie falsche Aussagen gemacht haben.
Dennoch werden diese Behauptungen ständig wiederholt.
Auch Herr Röttgen hat eine ganze Latte von Behauptun-
gen aufgestellt, die sich bereits – so ist es gerichtlich fest-
gestellt worden – als falsch erwiesen haben.
– Ich meine zum Beispiel die „Saarbrücker Zeitung“ und
den „Trierischen Volksfreund“. Ich erinnere mich nicht
mehr an alle Zeitungen. Jedenfalls haben Sie ständig
falsche Behauptungen aufgestellt.
– Mein verehrter Kollege, Sie können das alles in unseren
Rechenschaftsberichten von 1999 und 2000 nachlesen.
Dort steht alles drin.
Zur Offenlegung des Vermögens erkläre ich: Wir
übererfüllen die Anforderungen des jetzigen Parteienge-
setzes bei weitem.
Wir haben keine Probleme damit, noch höhere Verpflich-
tungen zu erfüllen. Aber wir sind gegen ein Sonderrecht
für Parteien.
Wir haben nichts dagegen, wenn unsere Beteiligung zu-
sätzlich im Impressum einer Zeitung ausgewiesen werden
soll. Aber dann müssen auch Bindungen an die CDU/CSU
deutlich werden,
zum Beispiel die Bindung an den Verein Unionspresse.
Wie soll die Bindung der Leo Kirch Media an CDU und
CSU in der Öffentlichkeit behandelt werden?
Gerade jetzt können wir beobachten, wie der bayerische
Ministerpräsident um den wankenden Kirch-Konzern zit-
tert. Dabei geht es doch nicht nur um Milliardenkredite,
sondern auch um den drohenden Einflussverlust.
In normalen Zeiten werden die Regeln der Demokratie
und für den Umgang der politischen Parteien und Frak-
tionen miteinander im Konsens vereinbart.
– Hier sollten Sie ruhig sein; denn Ihre Partei hat mehr-
fach versucht, auf ihren ehemaligen Koalitionspartner
Einfluss zu nehmen. Das ist wohl nicht gelungen.
Das ist so bei den Wahlgesetzen, bei den Regeln für
Abgeordnete und bei Fraktionsgesetzen. So sollte es auch
beim Parteiengesetz sein. Wenn man sich nicht auf demo-
kratische Grundregeln verständigt, steht es schlecht um
die demokratische Kultur in einem Land.
Aber Ihre Regelverletzungen lassen Sie handeln wie trot-
zige Kinder, die sagen: Der da war es. Gesprächen – das
gilt insbesondere für die CDU – verschließen Sie sich. Sie
legen einen Gesetzentwurf vor, der ein Beweis dafür ist,
dass Sie keine Lehren aus der Vergangenheit gezogen ha-
ben, und der noch nicht einmal Ihren eigenen Interessen
dient. Das ist ganz besonders bemerkenswert.
Sie haben das Kunststück fertig gebracht, einen Entwurf
vorzulegen, der CDU und CSU gravierend schlechter stel-
len würde, und das, obwohl CDU und CSU unterschied-
liche Strukturen und damit unterschiedliche Interessen
haben.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Dr. Evelyn Kenzler
20772
Wir haben in Deutschland – so sehen es andere – ein
vorbildliches Parteiengesetz. Parteien sind durch das
deutsche Finanzierungssystem unabhängiger als in vielen
anderen Ländern, weil sie weder vom Staat noch von der
Wirtschaft einseitig abhängig sind, sondern weil die
Beiträge ihrer Mitglieder einen großen Teil ihrer Einnah-
men ausmachen. Offensichtlich brauchen wir aber noch
klarere Regeln, noch mehr Offenheit, noch mehr Kon-
trolle und im Zweifel auch Strafen,
wenn vom Volk gewählte Mitglieder des Parlaments die
von ihnen selbst verabschiedeten Gesetze verletzen.
Wir brauchen Sanktionen. Genau das schlagen SPD
und Grüne vor, nachdem wir mehrfach versucht haben,
mit den anderen Fraktionen darüber ins Gespräch zu kom-
men. Dabei berücksichtigen wir, dass sich die FDP anders
finanziert als die SPD und diese ihre Mittel wiederum an-
ders als Grüne, CDU oder PDS erwirtschaftet. Wir schnei-
den CSU, FDP und CDU die Spenden nicht ab, die sie
reichlicher als andere Parteien erhalten.
Wir verschließen also die Finanzquellen der anderen Par-
teien nicht.
Sie haben von einem umfassenden, glaubwürdigen Ge-
setzentwurf der CDU/CSU gesprochen.
Ihre Schatzmeister werden sich freuen, wie viel Geld sie
bei diesem Rechenspiel verlieren. Sie haben die wichtigs-
ten Forderungen der Kommission aber nicht umgesetzt.
Das gilt in erster Linie für die Voraussetzung, dass der
Rechenschaftsbericht richtig sein muss, damit man
staatliche Mittel erhalten kann. Da haben Sie sich eindeu-
tig verweigert.
Außerdem haben Sie die Möglichkeit einer Ad-hoc-
Rechenschaftspflicht abgelehnt. Wir sagen: 50 000 Euro
müssen sofort gemeldet werden. Sie haben das Verbot
nachträglicher Einflussspenden nicht aufgenommen. Sie
haben die Verpflichtung zur Weiterleitung von Spenden
von Abgeordneten nicht aufgenommen. Sie haben die ge-
sonderte Ausweisung der Mandatsträgerbeiträge nicht
aufgenommen.
Das Spendenannahmeverbot wurde nicht auf die Frak-
tionen, die auf kommunaler Ebene tätig sind, erweitert.
Die Fünfprozentgrenze für sonstige Einnahmen wurde
nicht gesenkt. Eine Kodifizierung des Mehraugenprinzips
bei der Rechenschaftslegung wurde nicht vorgesehen.
Ihre Vorsitzenden und Vorstände bleiben bei der Rechen-
schaftslegung außen vor. Die Ausschlussgründe für Prü-
fer wurden nicht präzisiert.
Ich könnte fortfahren. Sie haben mehr als 20 der wich-
tigsten Vorgaben des Kommissionsberichts – nicht erfüllt.
Damit haben Sie die Rechenschaftspflicht im Grunde
nicht wirklich erfüllt.
Sie werfen uns vor, dass der Generalverweis auf das
Handelsrecht nicht ausgeführt worden sei. Schauen Sie
sich doch einmal den § 24 des Parteiengesetzes an! Eine
lückenlosere Auflistung dessen, was im Rechenschaftsbe-
richt vorgelegt werden muss, hat es bisher nirgends gege-
ben und gibt es bei Ihnen sowieso nicht.
Frau Kol-
legin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja, ich komme zum
Schluss. – Ihr Gesetzentwurf verlangt die Aufgabe unse-
rer unternehmerischen Tätigkeit. Diese Forderung wird
uns in den Ausschussberatungen sicherlich beschäftigen.
Sie wissen, dass wir seit vielen Jahren keinerlei Einfluss
mehr auf die Redaktionsarbeit – außer beim „Vorwärts“;
dort ist die Konstellation anders – ausüben.
Sie sollen schon heute im Hinblick auf die Ausschuss-
arbeit wissen: Wir sind in unserer Parteigeschichte drei-
mal durch politische Aktionen enteignet worden: durch
das Sozialistengesetz, durch die Nazis und durch die
Zwangsvereinigung im Jahre 1946. Unser Vermögen ist
ehrlich erworben. Wir werden von der Wirtschaft nicht in
dem Maße wie Sie unterstützt. Wir vermehren es durch le-
gale unternehmerische Tätigkeit. Glauben Sie nicht, dass
wir diese über hundertjährige Geschichte durch einen kal-
ten Gesetzesakt beseitigen lassen!
Ich
schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überwei-
sung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/7441 und
14/7778 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Modulation von Direktzahlungen im Rahmen der
gemeinsamen Agrarpolitik
– Drucksache 14/7252 –
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Inge Wettig-Danielmeier
20773
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft
– Drucksache 14/7812 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Bleser
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
FDP vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Zunächst hat für die Bun-
desregierung die Bundesministerin Künast das Wort.
Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Der Bundestag kann heute ei-
nen ganz entscheidenden Schritt in die Zukunft unserer
Landwirtschaft und – darauf kommt es auch an – in die
Zukunft unserer ländlichen Räume machen. 80 Prozent
der bundesrepublikanischen Fläche sind ländliche
Räume, also Gebiete, die land- oder forstwirtschaftlich
bearbeitet werden. Schon seit Jahren wird in der Land-
wirtschaftspolitik davon geredet, dass wir von der klassi-
schen Marktstützung grundsätzlich wegkommen und zu
einer integrierten Politik für den ländlichen Raum kom-
men müssen. Das wurde sogar von Teilen der Opposition,
nämlich den Liberalen, immer wieder gefordert.
Bislang ist allerdings wenig passiert. Nach wie vor wird
viel Geld für die Marktpolitik ausgegeben.
Mit dem Einstieg in die Modulation geben wir auch ein
Signal nach Brüssel. Wir tun mehr für die zweite Säule der
gemeinsamen Agrarpolitik. Wir nutzen die Möglichkei-
ten, die uns die Agenda 2000 bietet. Andere Mitgliedstaa-
ten und die Kommission werden das genau registrieren.
Es geht ja auch um gute Argumente für die obligatorische
Einführung der Modulation bei der Halbzeitbilanz.
Es gibt noch einen weiteren Aspekt, nämlich den glo-
balen. Mit der nächsten WTO-Runde – das wird vielen
hier schon aufgefallen sein – stehen – da beißt die Maus
keinen Faden ab – weitere Einschnitte bei den klassischen
Agrarsubventionen ins Haus. Wenn wir bestimmte Finan-
zierungen für die Landwirtschaft erhalten wollen, müssen
wir sie – um es einmal in der Sprache der WTO zu sagen –
green-box-fähig machen. Das bezeichnet zum Beispiel
den Bereich der zweiten Säule der Agenda 2000:
Agrarumweltmaßnahmen. Genau das wollen wir, um Fi-
nanzhilfen für die Landwirtschaft in Deutschland lang-
fristig überhaupt noch zu erhalten.
Deshalb steuern wir um. Wir haben in dem Entwurf ein
Modulationsmodell vorgelegt, das wirklich keinen über-
fordert, das sozusagen zum Üben ist.
– Wenn Sie hier dazwischenrufen, dann sorgen Sie doch
einmal dafür, dass da, wo die FDP in der Regierung ist,
auch mit Ja gestimmt wird! Sie können gern versuchen,
im Bundesrat die Prozentzahl noch zu erhöhen. Ich glaube
nur nicht, dass die FDP andernorts der gleichen Meinung
ist wie die FDP-Fraktion im Bundestag.
Wir haben einen Kürzungssatz von 2 Prozent vorge-
sehen. Wir haben ihn mit einem Freibetrag von 10 000
Euro kombiniert. Der ist hoch genug, damit er der bäuer-
lichen Landwirtschaft, kleineren Betrieben also, nicht zu
wehtut und die Betriebe erhalten bleiben. Er ist niedrig ge-
nug, um Betrieben in anderen Regionen, zum Beispiel in
den neuen Bundesländern, nicht zu viel an Belastung auf-
zuladen.
Hier wird manchmal der Eindruck vermittelt, als ob
damit die Finanzmittel für die Bauern verloren wären. Das
ist falsch.
Tatsache ist nämlich, dass dieses Geld gezielt für Maß-
nahmen im ländlichen Raum eingesetzt wird. Von Bund
und Ländern wird sogar noch etwas draufgelegt. Am Ende
steht den Bauern mehr Einkommen zur Verfügung. Das
Geld steht nur nicht mehr für die massenhafte Produktion
von Rindfleisch zur Verfügung, das wir dann für teures
Steuerzahlergeld aufkaufen und zum Teil nach Nordkorea
transportieren oder, wie es in der Vergangenheit schon der
Fall gewesen ist, schlicht und einfach verbrennen.
Das Geld steht dann für das Umfeld der Landwirt-
schaft, für Agrarumweltmaßnahmen zur Verfügung. Sie
sind WTO-kompatibel. Sie sind von der WTO abgesi-
chert. Wir verfahren nach einem neuen Prinzip: keine
staatliche Leistung ohne messbare Gegenleistung.
Wir haben in Übereinstimmung mit den Ländern be-
reits erste Schritte gemacht. In der letzten Woche haben
wir bei der PLANAK-Sitzung die Fördergrundsätze
für die Agrarstrukturförderung 2002 und damit auch
Eckpunkte für die Verwendung der Modulationsgelder
beschlossen. Fördermittel soll es für umwelt- und tier-
gerechte Haltung sowie für extensive und umweltfreund-
liche Produktionsverfahren im Ackerbau und in der
Grünlandbewirtschaftung geben. Wir haben uns auch Ge-
danken darüber gemacht, welche Hilfe wir den Landwir-
ten in Gegenden mit hoher Viehdichte anbieten können.
Dafür gibt es nun den Fördertatbestand „Verminderung
des Viehbesatzes in Gegenden mit hoher Viehdichte“.
Diese Eckpunkte werden wir in den nächsten Monaten zu
konkreten Maßnahmen für den Rahmenplan 2003 ausar-
beiten, damit man früh genug Bescheid weiß, was pas-
siert.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
20774
Wir haben uns darauf verständigt, dass die Mittel je-
weils vorrangig in dem Land wieder eingesetzt werden, in
dem sie durch Kürzungen angefallen sind.
Wir haben uns auch mit der Frage des Verwaltungs-
aufwandes auseinander gesetzt. Ich weiß, dass auf die
Behörden zusätzliche Arbeit zukommen wird. Dies hängt
vor allem mit dem Freibetrag zusammen, der aber Kern-
element des gefundenen Kompromisses ist. In solchen
wie in vielen anderen Dingen geht es am Ende nicht ohne
Kompromiss, der beiden Seiten, der Agrarstruktur in Ost
und West der Bundesrepublik, Rechnung trägt. Insofern
kann man den Kompromiss, den wir gefunden haben, ak-
zeptieren.
Am Ende geht es um 12 Millionen Euro bei einer
Bund-Länder-Finanzierung mit einer Aufteilung von
60:40. Es geht um nicht mehr. Ich hoffe, dass deshalb alle
Bundesländer, die sich jetzt noch sperren – –
– Es geht – wenn Sie noch einmal zuhören möchten, Herr
Carstensen – um 12 Millionen Euro bei einer Bund-Län-
der-Finanzierung, die am Ende in einem Verhältnis von
60:40 aufgeteilt wird.
Es sind also 12 Millionen Euro, verteilt auf 16 Länder.
Das ist unsere Rechnung. Sie können es gern anders vor-
rechnen, wenn Sie möchten.
Wenn man sich all die Argumente ansieht – Verwal-
tungsaufwand, das Umsteuern, das am Ende praktiziert
werden muss –, kann man eines sagen: Die Modulation ist
auf einem guten Weg. Sie richtet sich nicht gegen die
Landwirtschaft, sondern ist am Ende zukunftsfähige,
praktische Politik für den ländlichen Raum.
Sie wird eines schaffen: Sie wird Natur, Umwelt und Tier-
schutz stärken. Sie fördert eine nachhaltige Landwirt-
schaft. Sie ist ausgewogen und gerecht und – weil wir uns
alle mit der WTO auseinander setzen müssen – so gere-
gelt, dass über diese Variante Gelder für die Landwirt-
schaft behalten werden und nicht irgendwann in der inter-
nationalen Debatte dem Streichungsstift anheim fallen.
Deshalb kann ich nur sagen: Wer will, dass der ländli-
che Raum eine Zukunft hat, der muss sich mit genau die-
sen Dingen beschäftigen und an dieser Stelle eine Leis-
tung vollbringen: dem Gesetz zustimmen!
Das Wort
hat jetzt der Kollege Peter Harry Carstensen von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr
Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der
letzten Woche haben wir sehr häufig über PISA gespro-
chen. Ich kann mir nicht helfen: Jedes Mal, wenn ich das
Wort gehört habe, habe ich an Sie gedacht, liebe Frau Mi-
nisterin.
Sie haben gerade eine Zahl genannt, die nicht stimmt,
nämlich die 12 Millionen Euro, die in einem Verhältnis
von 60:40 finanziert werden. Lassen Sie sich das einmal
richtig aufschreiben. Der Betrag von 12 Millionen Euro
– man muss dem Ministerium vielleicht einmal einen Hin-
weis geben – ist der Länderanteil. Sie geben aus dem Mi-
nisterium zwar viel zu wenig, aber doch noch ein bisschen
mehr.
Es mag daran liegen, dass man in der Weihnachtszeit
seinen Magen häufig ein wenig mit Gänsebraten und
Knödeln oder anderen Dingen überlastet, was am Abend
angenehm ist, aber in den Morgenstunden dazu führen
kann, dass man träumt. Ich habe heute Nacht geträumt
– auch wieder von PISA –, dass man den Lehrern 2 Pro-
zent ihres Gehalts nimmt, staatliche Mittel in gleicher
Höhe dazugibt und dieses Geld zur Verbesserung der
Schulsituation einsetzt. Was meinen Sie wohl, welch ei-
nen Sturm der Entrüstung es geben würde. Mit Lehrern
könnte man das nicht machen, aber mit Bauern macht man
es. Man zieht ihnen 2 Prozent ab und packt nicht einmal
2 Prozent dazu.
– Du bist doch jetzt im Bundestag. Bei dir zieht man doch
gar nichts ab. Weshalb regst du dich denn jetzt auf?
Lieber Matthias, es war die Politik der SPD, in den
80er-Jahren definiert und in den 90er-Jahren beschlossen,
in der es hieß: Wir müssen herunter von der hohen Preis-
stützung und wir müssen zu Direktzahlungen an die Be-
triebe kommen. Diese Direktzahlungen sind inzwischen
zu einkommensrelevanten Zahlungen geworden.
Von diesem Geld zieht ihr 2 Prozent ab. Da beißt ja wohl
keine Maus den Faden ab.
Wenn wir so etwas bei den Lehrern machen würden, gäbe
es einen Sturm der Entrüstung, aber bei den Bauern kann
man das ja gerne machen.
Man fragt sich natürlich: Wozu dient diese Modula-
tion? Ich habe selten eine Anhörung erlebt wie die in der
letzten Woche, in der ein Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung so wenig Unterstützung fand. Es gab unterschied-
liche Meinungen, ob man für oder gegen Modulation ist,
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Bundesministerin Renate Künast
20775
aber für den Gesetzentwurf haben sich nur zwei ausge-
sprochen, der NABU und das Land Nordrhein-Westfalen
mit Herrn Griese, der ja wohl auch von den Grünen
kommt. Bei NABU habe ich kein Verständnis dafür, dass
man bei den Pipifaxmitteln, die zur Verfügung gestellt
werden, plötzlich das große Juchhei anstimmt und sagt:
Hosianna, hier wird endlich einmal etwas für den Um-
weltschutz in der Landwirtschaft getan! Zur Richtlinie
20/78 und zu anderen Maßnahmen der Länder hat man
sich überhaupt nicht geäußert, sondern man hat bloß ge-
mosert, es sei zu wenig. Das hat nichts mit partei-
unabhängigen Verbänden zu tun.
Meine Damen und Herren, was ist eine Modulation?
Eine Modulation ist in diesem Fall ein neues Kapitel im
Buch von Gerhard Schröder, das ja wohl „Wie verspro-
chen, so gebrochen“ heißen soll. Ich kann mich gut daran
erinnern, dass Karl-Heinz Funke
– auch Gerhard Schröder – hier gestanden und die Ergeb-
nisse des Berliner Gipfels vorgetragen hat. Er hat gesagt:
Wir sind stolz darauf, dass wir zwei Dinge durchgesetzt
haben, dass es erstens kein „cross compliance“ und zwei-
tens keine Modulation gibt. Nachdem er nicht mehr da ist,
vergisst man das und beginnt mit Modulation.
Modulation ist die Einführung einer Finanzierung
staatlicher Aufgaben mit Mitteln des Bauern. Der Staats-
sekretär hat im Ausschuss gesagt – Sie haben es gerade
auch erläutert –, die Modulation solle dazu dienen, Vor-
leistungen für die Reformen der WTO und die Osterwei-
terung zu erbringen. Das ist wirklich lächerlich, wenn
man sich die Summen ansieht. Hören Sie gut zu, Frau
Ministerin – vielleicht sollten Sie sich die Zahlen auf-
schreiben; das sind nämlich die richtigen –: 105Millionen
Abzüge wird es bei den Bauern geben, vom Bund werden
36,6 Millionen und von den Ländern 24,4 Millionen da-
zugezahlt. Das sind die 12 Millionen Euro. Das ist der
Plan der Bundesregierung, wobei es ja noch eine Diskus-
sion über die Finanzierung gibt. Darüber habe ich mit In-
teresse im letzten „Ernährungsdienst“ gelesen. Dieses ist
ja keine gleichmäßig verteilte Finanzierung. Es steht Ih-
nen übrigens völlig frei, Ihre Mittel aufstocken, damit wir
zu einer Finanzierung kommen, bei der 50 Prozent von
den Bauern und 50 Prozent vom Staat geleistet werden.
Für mich ist es unverständlich, wie Sie dieses Gesetz
als eine Stärkung der zweiten Säule der Agrarpolitik ver-
stehen können. Auch die Länder wehren sich dagegen. In
Rheinland-Pfalz werden nicht 2 Prozent, sondern auf-
grund der Freibetragsregelung nur 0,5 Prozent moduliert,
sodass das Land Rheinland-Pfalz für den Verwaltungs-
aufwand mehr ausgeben wird als für die Mittel, die es im
Rahmen der Modulation zur Verfügung stellen wird.
Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen.
Es ist doch lächerlich, davon zu sprechen, diese Mittel
seien vorbereitend für die WTO-Verhandlungen und für
die Osterweiterung. Das ist auch deswegen lächerlich,
weil Vorleistungen von der EU erwartet werden. Die EU
kann keine Vorleistungen für die WTO-Verhandlungen
geben; für die Osterweiterung gilt genau das Gleiche.
Was sind denn die wahren Ziele? Mehr Umwelt-
schutz? – Kein Stück. Das können die Länder viel besser
allein und das haben sie bisher allein viel besser gemacht.
Sie sollten sich im Vergleich zu den Zahlen, die im Mo-
ment im Raum stehen, die Summen ansehen, die in den
letzten Jahren für den Umweltschutz in der Landwirt-
schaft ausgegeben worden sind. Ich lese Ihnen einmal
vor, was die Länder ausgegeben haben, als nicht modu-
liert wurde, als den Bauern nichts weggenommen wurde,
sondern als sie „fresh money“ aus eigenen Mitteln und aus
EU-Mitteln eingesetzt haben, weil sie geschickt verhan-
delt haben. Sie sollten denen dankbar sein, weil sie durch
Zuteilung der Mittel dafür gesorgt haben, dass die Bun-
desrepublik Deutschland eine gute Ausgangsposition für
die zweite Säule der Agrarpolitik innehat.
Das ist auch der Grund, warum Großbritannien die
Modulation jetzt so schnell übernommen hat, weil man
eben nicht die Mittel gemäß der 20/78er-Richtlinie he-
rausgegeben hat. Wenn Sie es sich ansehen, dann erken-
nen Sie, dass Schleswig-Holstein zwischen 1993 und
1999 35 Millionen DM für Agrar- und Umweltmaßnah-
men ausgegeben hat,
Nordrhein-Westfalen 68 Millionen DM – das ist wirklich
„üppig“ –
und Niedersachsen 93 Millionen DM. Das waren die
Flächenländer mit den niedrigsten Ausgaben. Auf der an-
deren Seite finde ich Sachsen mit 524 Millionen DM,
Baden-Württemberg mit 1 Milliarde DM und Bayern mit
2 Milliarden DM.
Wenn Sie sich die Zahlen anschauen, die in diesem und
im nächsten Jahr ausgegeben werden, dann stellen Sie
fest, dass in Bayern 800 Millionen DM für Umweltmaß-
nahmen ausgegeben werden. Wissen Sie was? – Die pfei-
fen auf die 5 Millionen DM, die sie noch dazubekommen,
weil sie mit denen so gut wie nichts machen können; sie
wissen nämlich, dass sie dafür den Bauern vorher etwas
wegnehmen müssen. Sie können das alleine viel besser.
Baden-Württemberg gibt im nächsten Jahr 250 DM je
Hektar für Umweltmaßnahmen aus. Durch das heute zu
beschließende Modulationsgesetz kämen in diesem Land
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Peter H. Carstensen
20776
2,50 DM hinzu. Es ist lächerlich, sich darüber in dieser
Form zu unterhalten.
Geben Sie Vorleistungen für die Blue Box? – Nein. Ich
stimme Ihnen zwar zu, wenn Sie sagen, dass es nach der
Sitzung der WTO und nach der Osterweiterung weniger
Direktzahlungen gibt. Gleichzeitig sagen Sie aber, dass
wir dafür sorgen müssen, dass auf anderem Wege Geld in
die Landwirtschaft kommt. Sie sollten erst einmal überle-
gen, ob Sie mehr Wettbewerbsfähigkeit der Landwirt-
schaft nicht dadurch erreichen können, dass Sie die Land-
wirte in Deutschland mit weniger Auflagen belasten und
somit die Kosten für sie reduzieren. Überlegen Sie doch
bitte einmal, was Sie zum Beispiel beim Agrardiesel und
bei den Zuschüssen zur Altersversorgung machen könn-
ten. Das alles sind Dinge, die keinen Menschen bei der
WTO interessieren. Ob Sie 2 Pfennig Dieselsteuer erhe-
ben, 1 DM oder auch gar nichts, interessiert dort keinen
Menschen. Änderungen hierbei führen aber zu einer ver-
besserten Wettbewerbsfähigkeit der landwirtschaftlichen
Betriebe.
Sich hier hinzustellen und zu sagen, hierzu wird es
nicht kommen – das haben Sie in der Einbringungsrede
zum Haushalt gemacht –, aber gleichzeitig zu sagen, dass
in zehn bis 15 Jahren die Agrarsubventionen auf Null
heruntergefahren werden, ist schon komisch. Sie haben
auch davon gesprochen, dass man von den Beihilfen weg-
kommen müsse und Deutschland werde kein Bremser
sein. Wenn Sie die Situation so sehen, dann sorgen Sie
bitte auch dafür, dass die landwirtschaftlichen Betriebe
wettbewerbsfähig wirtschaften können. Wenn die Bei-
hilfen tatsächlich gesenkt werden,
dann nur Zug um Zug im Gleichklang mit der Abschaf-
fung von Auflagen und Belastungen der Betriebe. Anders
bekommen Sie das nicht hin.
Sie haben von mehr Geld für die Landwirtschaft ge-
sprochen. Es war schon erstaunlich, wie Sie sich zwingen
mussten, Erklärungen zu finden. Es ist schon erstaunlich
und auch ehrlich, dass der Staatssekretär Griese in der An-
hörung gesagt hat, dass kurzfristig nicht mehr Geld für die
Landwirtschaft zur Verfügung gestellt wird, sondern we-
niger. Vielleicht hat er den Unterschied zwischen Umsatz
und Gewinn in der Landwirtschaft begriffen.
Die Landwirte leben nicht vom Umsatz, sondern von den
Gewinnen. Ihre Methode, neue Auflagen zu machen, führt
zu Mehrkosten, die Sie dann ein wenig ausgleichen wol-
len. Das kann nicht der Sinn sein. Vor allen Dingen ist dies
nicht die richtige Methode, um für die Landwirtschaft et-
was tun zu können.
Mehr Umweltschutz? – Nein. Mehr Vorleistungen für
die WTO? – Nein. Mehr Geld in der Landwirtschaft? –
Nein. Mehr Auflagen? – Ja. Mehr Bürokratie? – Ja. Ich
frage Sie: Wie können Sie mit solchen Vorschlägen über-
haupt kokettieren und dafür eintreten? Das liegt wohl ers-
tens daran, dass Sie von Landwirtschaft und von den Ab-
läufen in der Landwirtschaft keine Ahnung haben. Das
kann man Ihnen nicht vorwerfen, Frau Ministerin.
Was ich Ihnen aber vorwerfe, ist, dass Sie inzwischen kein
Gefühl und kein Herz für die Bauern mehr haben.
Dasselbe gilt für die Fischer. Gestern habe ich erfahren,
dass am Montag in Brüssel der Fischereirat über die Fang-
quoten verhandeln wird. Sie aber schicken Ihren besten
Mann, den Experten für Quotenverhandlungen, mit
Staatssekretär Berninger zu Gesprächen über den Walfang
nach Japan statt nach Brüssel. Das ist ein Stück aus dem
Tollhaus.
Herr Kol-
lege Carstensen, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich
komme zum Schluss.
Dies entspricht im Grunde genommen dem, was wahr-
scheinlich auch Sie in der Zeitschrift „top agrar“ gelesen
haben:
Schlechte Schulnoten für Künast
Die Schülerin Renate Künast hat das Klassenziel
nicht erreicht. Ihre Leistungen werden mit der
Durchschnittsnote mangelhaft benotet. Eine
Versetzung ist undenkbar.
Im letzten Punkt stimme ich dem Artikelschreiber nicht
zu. Ich würde mich freuen, wenn Sie, Frau Künast, ver-
setzt würden, und zwar auf einen anderen Posten.
Herzlichen Dank.
Das Wort
hat die Kollegin Waltraud Wolff von der SPD-Fraktion.
Sehr geehrter
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Peter Harry
Carstensen, Sie waren sehr blumig und sehr bildhaft. So
kennen wir unseren Ausschussvorsitzenden.
– Bis dahin ist das noch ein Kompliment von meiner
Seite.
Der PISA-Traum am Anfang Ihrer Rede war wahrlich
nur ein Traum. In Anspielung auf Ihre Vorstellung, wir
könnten den Lehrern einmal 2 Prozent ihres Gehaltes
wegnehmen, sage ich Ihnen ganz deutlich: Wir nehmen
den Bauern nicht 2 Prozent ihres Gehaltes weg. Sie
sollten nicht vergessen, dass es sich um Prämien, um
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Peter H. Carstensen
20777
Subventionen handelt, die aus Brüssel kommen. Es wird
doch wohl niemand hier im Raum behaupten wollen, dass
es ein verbrieftes Recht auf solche Zuschüsse gibt.
– Man hat keinen gesetzlichen Anspruch auf Prämien oder
Subventionen; deren Auszahlung kann sich von Jahr zu
Jahr ändern.
Wir müssen europaweit denken. In Ihrer Rede zielten
Sie aber nur auf Deutschland ab. Das zeigt ganz deutlich,
dass die Maßstäbe, die Sie anlegen, falsch sind. Wenn wir
für den Berufsstand – ich habe ein Herz für die Bauern
und möchte das auch meiner Ministerin nicht abspre-
chen – zukunftsweisend arbeiten wollen, wozu auch das
Modulationsgesetz gehört, dann können wir nicht nur in
den Grenzen von Deutschland denken. Dann müssen wir
an die Europäische Union, an die Osterweiterung und an
die WTO denken.
Nun möchte ich aber zu meiner Rede kommen, in der
ich sicherlich auch manche Frage beantworten werde, die
Sie aufgeworfen haben. Zu den Zahlen brauche ich jetzt
nicht mehr viel zu sagen; dazu ist von beiden Vorrednern
schon alles gesagt worden.
Die Diskussionen, die wir in der letzten Zeit zum
Thema Modulation geführt haben, zeigen mir ganz ein-
deutig, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Sie bestärken mich in der Auffassung, dass es richtig ist,
Modulation auch in Deutschland einzuführen.
Insgesamt steht ein Mittelvolumen von jährlich 85Mil-
lionen Euro zur Verfügung, das für Agrarumweltmaßnah-
men und für umwelt- und tiergerechte Haltungsverfahren
genutzt werden kann.
Frau Kol-
legin Wolff, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Heinrich?
Nein, erst ein-
mal nicht. Das können wir vielleicht nachher noch ma-
chen, Herr Heinrich.
Wir werden den Bauern nicht 2 Prozent für nichts strei-
chen, sondern wollen zukunftsorientiert investieren. Die
Bauern müssen die Zukunft bestehen, wobei wir Ihnen
helfen wollen.
Unser Gesetz wird 2003 in Kraft treten. Zur Vorberei-
tung ist also genügend Zeit vorhanden.
Einige Kritiker sagen, für die betroffenen Landwirte
seien die Kürzungen der Direktzahlungen zu hoch, andere
meinen, Kürzungen seien überhaupt nicht angebracht.
Außerdem habe die zweite Säule bereits einen beachtli-
chen Umfang. Herr Carstensen ist schon darauf eingegan-
gen, dass sie in den südlichen Bundesländern schon so aus-
geweitet ist, dass man dieses Geld dort gar nicht braucht.
Einige Kritiker machten deutlich, dass aus ihrer Sicht eine
Kürzung der Direktzahlungen um 2 Prozent eigentlich nur
Peanuts sei, weshalb sich die Einführung der Modulation
nicht lohne. Angesichts dessen frage ich mich, was das ei-
gentlich soll. Will man die Modulation nicht, weil sie die
Landwirtschaft überfordert, oder will man sie nicht, weil
die Kürzungen als zu gering erscheinen?
Vertreter der süddeutschen Länder geben zu verstehen,
dass sie die Modulation zwar nicht wollen, aber dass es ih-
nen keine Schwierigkeiten bereiten würde, die Mittel zu
verwenden. Die Programme liegen quasi schon in der
Schublade. Ich finde diese Diskussion destruktiv, absolut
falsch und sehr plakativ.
Sie halten uns auch immer wieder vor, dass nach den
Beschlüssen zur Agenda 2000 im Jahre 1999 in Deutsch-
land mit Bedacht von der Modulation abgesehen wurde.
Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern. Es war zu
diesem Zeitpunkt auch richtig. Heute sieht es aber anders
aus. Wir haben vor einem Jahr gesehen, wie das Vertrauen
in unsere Landwirtschaft erschüttert wurde. Genau aus
diesem Grund setzen wir konsequent eine umwelt-, tier-
und verbraucherorientierte Politik um.
Damit man einmal sieht, worum es hier eigentlich geht,
verweise ich an dieser Stelle zum Beispiel auf das Verfüt-
terungsverbot von Tiermehl, auf die Ausrichtung der In-
vestitionsförderung in der Landwirtschaft, auf tier- und
umweltgerechte Haltungssysteme, auf das Bundesnatur-
schutzgesetz sowie auf die Einführung des neuen Biosie-
gels. Das sind nur einige Beispiele.
Ich könnte diese Reihe noch unendlich fortführen.
Nun kommt ein Kernstück für die Zukunft: Das Gesetz
zur Modulation ist ein wichtiger Bestandteil unserer Poli-
tik, weil es nämlich die Landwirtschaft nachhaltig fördert
und auch die ländlichen Räume zum Inhalt hat.
Einigen Vertretern der Agrarbranche fällt es immer noch
schwer, den neuen Kurs der Bundesregierung zu akzep-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Waltraud Wolff
20778
tieren. Das ist logisch; denn an Gewohntem hält man
gerne fest. Aber dies politisch zu unterstützen wäre ver-
antwortungslos. Also bleibt es dabei: Für den Agrarbe-
reich selber ist eine Umorientierung elementar. Das weiß
auch die Opposition.
Kommissar Fischler hat unmissverständlich zum Aus-
druck gebracht, dass die Halbzeitbewertung im Jahre
2003 EU-weit dazu genutzt werden soll, die Umschich-
tung der Mittel aus der ersten Säule – sprich: die Mittel
für die Marktpolitik – in die zweite Säule zur Förderung
des ländlichen Raumes zu nutzen. Zum jetzigen Zeitpunkt
ist die Einführung der Modulation in Höhe von 2 Prozent
genau richtig.
Wir machen mit dem neuen System Erfahrungen und
geben den Landwirten sowie den Bundesländern Zeit,
sich den veränderten Gegebenheiten anzupassen.
Deutschland hat die Chance, eine EU-weite Modulation
mitzugestalten. Es spricht vieles dafür, dass die EU-
weite Modulation zur Pflicht wird. Wir können und wir
wollen auch nicht in Deutschland dieses Problem aussit-
zen und auf eine Lösung warten.
So mancher CDU-Kollege sagt im direkten Gespräch:
Modulation – ja. Aber doch nicht jetzt. – Was heißt das
denn eigentlich? Wer mitgestalten will, der muss handeln
und darf nicht abwarten. Wir wissen doch nur zu gut, dass
die Höhe der Direktzahlungen an die Landwirtschaft kein
verbrieftes Recht ist, Herr Carstensens.
Wir sollten deshalb sehr sorgsam damit umgehen. Der
Bundesrat muss diesem Gesetz zustimmen.
Ich bin in Sachsen-Anhalt zu Hause und weiß ganz ge-
nau, wie dort die Situation in den Betrieben ist.
Wir haben viele Diskussionen vor Ort und auch mit Fach-
leuten geführt und waren einhellig der Meinung, dass das
Modulationsgesetz und die Regelungen zur Aufhebung
der 90-Tier-Grenze in der Vierten Verordnung zur Ände-
rung der Rinder- und Schafprämienverordnung nicht zu-
sammengehören, aber im Zusammenhang zu sehen sind.
Übermäßige Härten dürfen nicht entstehen; das war un-
ser Ziel. Aus diesem Grunde bin ich besonders froh, dass
unsere intensiven Bemühungen Erfolg hatten. Im Einver-
nehmen mit Frau Bundesministerin Künast haben wir ent-
scheidende Verbesserungen für die rinderhaltenden Be-
triebe erreicht. Vielen Dank, Frau Künast, an dieser Stelle.
Ein weiterer Punkt war der Freibetrag von 10000 Euro,
der in vielen alten Bundesländern ein wichtiger Faktor ist.
Wir sind dem auch nachgekommen. Doch jetzt werden
wir mit dem Argument erschlagen, dass der Verwaltungs-
aufwand zu hoch sei.
Lassen Sie es sich noch einmal gesagt sein: Entweder gibt
es einen Freibetrag – dann haben wir einen höheren Ver-
waltungsaufwand – oder wir lassen es mit der Freibe-
tragsgrenze. Was wollen Sie eigentlich? Ich habe als Kind
den Spruch gehört: Wer das eine will, muss das andere
mögen. Anders gesagt, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Opposition: Vielleicht hätten Sie besser vorher
überlegt, was Sie mit Ihren Forderungen anrichten, und
wären an dieser Stelle ein bisschen kleinlauter.
Wir werden die Modulation einführen; daran – das
Sprichwort ist heute bereits gefallen, ich sage es dennoch
noch einmal – beißt die Maus keinen Faden ab. Sie wis-
sen genauso gut wie wir, dass dieses Gesetz von uns auch
zustimmungsfrei gestaltet werden könnte. In dem Fall
würde diese Freibetragsgrenze fallen. Ich bin, wie ich im-
mer wieder deutlich mache, für Chancengleichheit in Ost
und West. Von daher hätte ich keine großen Probleme
damit, wenn wir das alleine beschließen und die Frei-
betragsgrenze fällt. Ich glaube aber, dass hier vielleicht
ein Kompromiss zu schließen wäre.
Ich appelliere daher an die Vertreter des Bundesrates: Ver-
geuden Sie nicht die mit der Bundesregierung erzielten
Verhandlungsergebnisse! Stimmen Sie in der nächsten
Woche zu!
Ich bin der Meinung, dass alle Beteiligten genügend
Zeit haben, um sich auf die neuen Gegebenheiten vorzu-
bereiten. Der PLANAK-Ausschuss hat die Eckpunkte
der Maßnahmen festgelegt, die man mit den Modulati-
onsmitteln durchführen kann. Das zeigt uns, dass Modu-
lation nicht mehr abstrakt ist, sondern konkrete Formen
annimmt.
Meine Damen und Herren, ich fordere Sie heute von
dieser Stelle aus eindringlich auf: Nutzen wir die Zeit, um
gemeinsam, Bund und Länder, für mehr Umweltschutz,
eine Stärkung der ländlichen Räume und die Interessen
unserer Landwirtschaft zu sorgen!
Vielen Dank.
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Marita Sehn von der
FDP-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Liebe Frau Wolff, wenn man sich da-
ran erinnert, wie Herr Funke damals, als er die Modula-
tion abgelehnt hat, von Ihnen umjubelt wurde, kann man
sich nur wundern, wie Sie sich heute wie ein Hahn im
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Waltraud Wolff
20779
Winde drehen. Das ist schon ein besonderes Stück, das Sie
sich hier leisten.
Wenn die Modulation die Agrarwende sein soll, von
der Sie, Frau Wolff, gesprochen haben, dann ist die Agrar-
wende vor allem eines: eine Beschäftigungsmaßnahme
für die Agrarbürokratie.
Von einem investierten Euro kommen in der Modulation
– das hat uns der Landesvertreter aus Baden-Württemberg
vor Augen geführt – beim Landwirt letztendlich 40 Cent
an. Rheinland-Pfalz – Herr Carstensen hat das eben er-
läutert – legt sogar noch drauf. Das ist kein Glanzstück.
Die Modulation ist der Tropf, der eine aufgeblähte Büro-
kratie am Leben hält.
Die Steuergelder kommen nicht denen zugute, denen
die Bürger helfen wollen, nämlich den Bauern. Das Geld
unserer Bürger wird für die Alimentierung einer aus-
ufernden Agrarbürokratie zweckentfremdet. Das ist nicht
das, was die Bürger wollen, und schon gar nicht das, was
den Bauern helfen wird, Frau Künast.
Die Modulation fördert nicht nur Bürokratie, sondern
ist obendrein ökologisch unsinnig. Mit der Vorschrift,
dass Modulationsgelder nur für neue Programme verwen-
det werden dürfen, benachteiligt die Bundesregierung vor
allem die Länder, die bereits umfangreiche Agrarumwelt-
programme eingeführt haben.
So setzt Rheinland-Pfalz bereits seit 1993 jährlich etwa
50 Millionen DM ein, um auf 20 Prozent der landwirt-
schaftlichen Nutzfläche eine umweltschonende Form
der Landbewirtschaftung zu fördern.
Sie wollen wissen, wie Sie mit der umweltschonen-
den Landwirtschaft in zehn Jahren einen Anteil von
20 Prozent erreichen können, Frau Künast? Rheinland-
Pfalz hat die Lösung, schon heute und ohne dieses
ganze Agrarwendenbrimborium. Schauen Sie sich ein-
mal unsere liberale Politik in Rheinland-Pfalz an! Dann
stellen Sie fest: Es gibt eine Alternative zu dem Einstieg
in die künastsche Agrarplanwirtschaft. Der Erfolg
des Förderprogrammes „Umweltschonende Landwirt-
schaft“ hängt entscheidend von dem Zusammenspiel
der mehr als 30 verschiedenen Unterprogramme ab. Das
rheinland-pfälzische Förderprogramm ist sorgfältig
aufeinander abgestimmt. Da können jetzt nicht einfach
inflationär neue Programme aus dem Boden gestampft
werden. Der grüne Elefant sollte sich aus diesem agrar-
politischen Porzellanladen fern halten; denn die Scher-
ben, die dabei sonst anfallen, bringen niemandem Glück
und Freude.
Dass sich Länder wie Nordrhein-Westfalen mit der
Einführung neuer Agrarumweltprogramme leichter tun,
ist logisch. Schließlich ist dort die Förderung einer um-
weltschonenden Landbewirtschaftung etwas ganz Neues,
wie wir am Montag gelernt haben.
Die Grünen reden von der umweltschonenden Land-
wirtschaft, die FDP setzt sie um. Das ist die Realität.
– Ja, lieber Matthias Weisheit, das ist leider die Wahrheit;
übrigens geschieht dies gemeinsam mit der SPD in Rhein-
land-Pfalz. An der Stelle wäre, glaube ich, auch einmal ein
Applaus von der SPD angebracht.
Während Frau Künast als agrarpolitischer Don
Quichotte auf immer neue Feindbilder losstürmt – einmal
ist es die Gentechnik, dann ist es die konventionelle Land-
wirtschaft, ein anderes Mal ist es die Europäische Union –,
arbeiten wir Liberale ruhig, sachlich und zielorientiert da-
ran, Ökologie und Ökonomie in der Landwirtschaft in
Einklang zu bringen.
Aber dies geht natürlich nicht, wenn man nach grüner Ma-
nier versucht, Probleme von heute mit Methoden von ges-
tern zu lösen. Die FDP steht für eine moderne Landwirt-
schaft und nicht für eine grüne Agrarromantik.
Die Modulation erfolgt zum falschen Zeitpunkt; 2003
kommt die gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen
Union ohnehin auf den Prüfstand.
Sie ist ökonomischer Blödsinn, Frau Wolff, da mindestens
60 Prozent der Gelder in der Bürokratie verbleiben. Sie
ist ökologisch verfehlt. Sie bevorzugt die ökologischen
Spätzünder, zum Beispiel Nordrhein-Westfalen, gegen-
über den Ländern, die schon frühzeitig in eine umwelt-
schonende Landwirtschaft investiert haben.
Kurz: Die Modulation ist schnell gemacht und schlecht
durchdacht. 60 Prozent der Modulationsgelder für eine
aufgeblähte Agrarbürokratie, fette Knete für einen fetten
Staat – das ist die Politik von Rot-Grün. Das ist mit den
Liberalen nicht zu machen.
Wir lehnen das Modulationsgesetz der Bundesregierung
deshalb ab.
Schönen Dank.
Jetzt hat
die Kollegin Kersten Naumann von der PDS-Fraktion das
Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Wenn die Politiker und die Landwirte
nicht gemeinsam die Umwandlung eines Teils der EU-Di-
rektzahlungen zügig in Angriff nehmen, dann modulieren
wir uns selbst ins Abseits.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Marita Sehn
20780
Das kann doch nicht unser Ziel sein. Deshalb wird die
PDS dem Gesetzentwurf zustimmen.
Einige glauben, dass die Neuausrichtung der Agrar-
politik eine alleinige Frage der deutschen Landwirtschaft
ist. Sehen wir uns doch einfach in den anderen Ländern
um, die bereits Modulationsmaßnahmen eingeleitet ha-
ben, und lernen wir aus deren Erfahrungen. Denn Fakt ist
doch: Die Landwirtschaft muss sich zunehmend auf ver-
änderte Bedingungen einstellen. Diese werden durch die
Agenda 2000, durch die Globalisierung des Welthandels,
durch die EU-Osterweiterung und nicht zuletzt durch die
veränderten Verbraucheransprüche bestimmt. Die Chan-
cen sind jetzt zu nutzen; die Erfahrungen mit der Modu-
lation sind in Deutschland selbst zu machen. Eine Ab-
wartehaltung bringt überhaupt keinen Erkenntnisgewinn.
Es nützt nichts, wenn sich der Bauernverband dem Pro-
zess entgegenstellt. Schließlich wurde die gesamte Agrar-
reform von ihm mit auf den Weg gebracht.
Die Anhörung am Montag hat trotz aller unterschied-
lichen Argumente bestätigt, dass sich die Bundesländer
und die Betriebe der Herausforderung stellen. Sie wollen
die Voraussetzung dafür schaffen, dass Direktzahlungen
dem ländlichen Raum und der Landwirtschaft in einer an-
deren Form auch in Zukunft erhalten bleiben. Die Akzep-
tanz dafür wird jedoch nur erreicht, wenn ein Teil des Fi-
nanzflusses für gesellschaftlich notwendige Leistungen,
die sich auf dem Markt nicht verwerten lassen, eingesetzt
wird.
Die Stärkung der zweiten Säule der Agrarpolitik redu-
ziert die staatliche Marktregulierung und erhöht die Ver-
antwortung der Gesellschaft für Natur und Umwelt. Wir
müssen aber auch den Bedürfnissen der Menschen Rech-
nung tragen. Es stellt sich doch die Frage: Werden die
Verbraucher künftig auch dann landwirtschaftliche Er-
zeugnisse und Leistungen honorieren, wenn sie nicht aus
artgerechter Tierhaltung kommen oder nicht dem Nach-
haltigkeitsprinzip entsprechen? Die Erwartungen an die
Berücksichtigung der Umweltbelange, an eine nachhal-
tige landwirtschaftliche Produktionsweise und an die Ent-
wicklung des ländlichen Raums sollten nicht unterschätzt
werden. Deshalb muss bei der Umsetzung der Modulation
auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den ökonomi-
schen, sozialen und ökologischen Prozessen geachtet
werden. Denn die Umschichtung der Direktzahlungen
muss dazu beitragen, dass Arbeitsplätze im ländlichen
Raum und in der Agrarwirtschaft langfristig gesichert
werden und dass Einkommen und Vergütung der in der
Landwirtschaft Tätigen mit der gesamtgesellschaftlichen
Entwicklung Schritt halten.
Wir haben allerdings kein Verständnis dafür, dass die
Vorruhestandsregelung in der alleinigen Entscheidungs-
befugnis der Länder liegen soll; denn das würde zu unter-
schiedlichen sozialen Rahmenbedingungen führen.
Nach wie vor ist die Kofinanzierung durch die Länder
ein Unsicherheitsfaktor. Hierzu sind sichere Vereinba-
rungen zwischen dem Bund und den Ländern herbei-
zuführen.
Die Bundesregierung ist in der Verantwortung, alles zu
tun, damit es nicht zu einer Ungleichbehandlung der
Landwirtschaftsbetriebe in den verschiedenen Ländern
kommt.
Wie definiert sich Modulation in der Musik: „Über-
gang von einer Tonart in die andere“ und „Das Abstimmen
von Tonstärke und Klangfarbe“. Ich wünsche den Land-
wirten und den Politikern, dass sie beim Übergang die
richtige Tonstärke und Klangfarbe treffen, damit ein har-
monisches Modulationskonzert entsteht.
Danke schön.
Ich
schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Modulation von Direktzahlungen im Rahmen der ge-
meinsamen Agrarpolitik, Drucksachen 14/7252 und
14/7812. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der PDS-Fraktion ge-
gen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit mit gleichem Mehrheitsverhältnis angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der FDP auf Druck-
sache 14/7847. Wer stimmt für diesen Entschließungs-
antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP abgelehnt.
Es ist beantragt worden, die Reden zu allen folgenden
Tagesordnungspunkten zu Protokoll zu geben1). Ich frage
Sie, ob Sie damit einverstanden sind. – Das ist der Fall.
Ich rufe als Nächstes Tagesordnungspunkt 24 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Detlef Parr, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, weiteren Abgeord-
neten und der Fraktion der FDP eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Präim-
– Drucksache 14/7415 –
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Kersten Naumann
20781
1) Anlagen 4 bis 9
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/7415 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Vorlage
federführend im Rechtsausschuss beraten werden soll.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Karl-
Josef Laumann, Horst Seehofer, Brigitte
Baumeister, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU
Arbeit statt Sozialhilfe – Hin zu einer Kultur
von Geben und Nehmen
– Drucksache 14/7443 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/7443 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 28 sowie Zusatzpunkt 25
auf:
28. Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerda
Hasselfeldt, Heinz Seiffert, Klaus Riegert, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Übergangslösung für Umsatzbesteuerung von
Sportanlagen
– Drucksache 14/7285 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
ZP 25 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Klaus
Kinkel, Carl-Ludwig Thiele, Hildebrecht Braun
, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der FDP
Umsatzbesteuerung von Sportanlagen wirt-
schaftlich gestalten
– Drucksache 14/7813 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Innenausschuss
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/7285 und 14/7813 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 29 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen
– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Karlheinz
Guttmacher, Hans-Michael Goldmann, Horst
Friedrich , weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
Mehr Eigentum, mehr private Anbieter und
zielgenaue Hilfen zum Strukturwandel am
Wohnungsmarkt in den neuen Bundeslän-
dern
– zu dem Antrag der Abgeordneten Christine
Ostrowski, Maritta Böttcher, Dr. Ruth Fuchs,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Vorschläge der Bund-Länder-Arbeitsgruppe
„Wohnungsleerstand Ost“ sachgerecht modi-
fizieren und umsetzen
– zu dem Antrag der Abgeordneten Christine
Ostrowski, Maritta Böttcher, Dr. Ruth Fuchs,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Altschuldenbefreiung für abzureißende bzw.
rückzubauende Wohnungen
– Drucksachen 14/6055, 14/6848, 14/6849,
14/7449 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Peter Danckert
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf Druck-
sache 14/7449. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 sei-
ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages
der Fraktion der FDPauf Drucksache 14/6055 mit dem Ti-
tel „Mehr Eigentum, mehr private Anbieter und zielge-
naue Hilfen zum Strukturwandel am Wohnungsmarkt in
den neuen Bundesländern“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die
Stimmen der FDP bei Enthaltung der CDU/CSU ange-
nommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen die
Ablehnung des Antrags der Fraktion der PDS auf Druck-
sache 14/6848 mit dem Titel: „Vorschläge der Bund-Län-
der-Arbeitsgruppe‚ Wohnungsleerstand Ost‘ sachgerecht
modifizieren und umsetzen“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU- und der
FDP-Fraktion gegen die Stimmen der PDS-Fraktion an-
genommen.
Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/6849 mit dem Titel: „Altschul-
denbefreiung für abzureißende bzw. rückzubauende Woh-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
20782
nungen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der FDP gegen
die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit zu der Ver-
ordnung der Bundesregierung
Verordnung über die Entsorgung von gewerb-
lichen Siedlungsabfällen und von bestimmten
Bau- und Abbruchabfällen
– Drucksachen 14/7328, 14/7514 Nr. 2.2, 14/7828 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Rainer Brinkmann
Georg Girisch
Michaele Hustedt
Birgit Homburger
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
FDP vor.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf
Drucksache 14/7828 zu der Verordnung der Bundesregie-
rung über die Entsorgung von gewerblichen Siedlungsab-
fällen und von bestimmten Bau- und Abbruchabfällen.
Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung der Bundesre-
gierung auf Drucksache 14/7328 zuzustimmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegen-
stimmen von CDU/CSU und FDP und Enthaltung der
PDS-Fraktion angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der FDP auf Druck-
sache 14/7859. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der PDS-Fraktion bei Zustimmung
der FDP-Fraktion und Enthaltung der CDU/CSU-Frak-
tion abgelehnt.
Ich rufe Tagesordnungspunkte 31 a und 31 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhe-
bung der für die Kostengesetze nach dem Eini-
gungsvertrag geltenden Ermäßigungssätze für den
Teil des Landes Berlin, in dem das Grundgesetz
– Drucksache 14/6477 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses
– Drucksache 14/7817 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Christine Lambrecht
Andrea Voßhoff
Dr. Norbert Röttgen
Hans-Christian Ströbele
Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Rechtsausschusses
zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer Funke,
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Jörg van Essen,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP
Ende der doppelten Benachteiligung für die
Rechtsanwälte in den neuen Ländern
– Drucksachen 14/3485, 14/7817 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Christine Lambrecht
Andrea Voßhoff
Dr. Norbert Röttgen
Hans-Christian Ströbele
Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler
Zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates liegt ein Än-
derungsantrag der Fraktion der FDP vor.
Zunächst zu Tagesordnungspunkt 31 a: Wir kommen zur
Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Ent-
wurf eines Ermäßigungssatz-Aufhebungsgesetzes Berlin,
Drucksache 14/6477. Der Rechtsausschuss empfiehlt un-
ter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 14/7817, den Gesetzentwurf anzunehmen.
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDPvor,
über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Än-
derungsantrag auf Drucksache 14/7857? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der CDU/
CSU-Fraktion bei Zustimmung der FDP- und der PDS-
Fraktion abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-
ratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
PDS-Fraktion gegen die Stimmen von CDU/CSU- und
FDP-Fraktion angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen.
Tagesordnungspunkt 31 b: Beschlussempfehlung des
Rechtssausschusses auf Drucksache 14/7817 zu dem An-
trag der Fraktion der FDP mit dem Titel: „Ende der dop-
pelten Benachteiligung für die Rechtsanwälte in den
neuen Ländern“.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be-
schlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 14/3485
abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? –
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-
schlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU bei Gegenstim-
men von FDP- und PDS-Fraktion.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages ein auf Donnerstag, den 20. Dezember 2001, 9 Uhr,
zur Beratung des Antrags der Bundesregierung zur Betei-
ligung der Bundeswehr an einer UN-mandatierten inter-
nationalen Sicherheitspräsenz in Kabul und Umgebung.
Dies steht unter dem Vorbehalt, dass eine Entscheidung
des UN-Sicherheitsrates sowie der darauf beruhende Ka-
binettsbeschluss rechtzeitig vorliegen.
Die Sitzung ist geschlossen.