Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
20784
(C)(A)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20785
(C)
(D)
(A)
(B)
Altmann (Aurich), BÜNDNIS 90/ 14.12.2001
Gila DIE GRÜNEN
Balt, Monika PDS 14.12.2001
Baumeister, Brigitte CDU/CSU 14.12.2001
Berninger, Matthias BÜNDNIS 90/ 14.12.2001
DIE GRÜNEN
Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 14.12.2001**
Dr. Blank, CDU/CSU 14.12.2001**
Joseph-Theodor
Bohl, Friedrich CDU/CSU 14.12.2001
Böttcher, Maritta PDS 14.12.2001
Bulling-Schröter, Eva PDS 14.12.2001
Eich, Ludwig SPD 14.12.2001
Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 14.12.2001
Joseph DIE GRÜNEN
Frankenhauser, CDU/CSU 14.12.2001
Herbert
Friedrich (Altenburg), SPD 14.12.2001
Peter
Fromme, CDU/CSU 14.12.2001
Jochen-Konrad
Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 14.12.2001
Dr. Gerhardt, FDP 14.12.2001
Wolfgang
Glos, Michael CDU/CSU 14.12.2001
Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 14.12.2001
Hauer, Nina SPD 14.12.2001
Hauser (Bonn), CDU/CSU 14.12.2001
Norbert
Hempelmann, Rolf SPD 14.12.2001
Hermenau, Antje BÜNDNIS 90/ 14.12.2001
DIE GRÜNEN
Dr. Hoyer, Werner FDP 14.12.2001
Imhof, Barbara SPD 14.12.2001
Dr. Jens, Uwe SPD 14.12.2001
Dr. Kolb, Heinrich L. FDP 14.12.2001
Kossendey, Thomas CDU/CSU 14.12.2001
Kraus, Rudolf CDU/CSU 14.12.2001
Dr. Küster, Uwe SPD 14.12.2001
Dr. Lamers, (Heidel- CDU/CSU 14.12.2001
berg), Karl A.
Dr. Leonhard, Elke SPD 14.12.2001
Lippmann, Heidi PDS 14.12.2001
Lörcher, Christa fraktionslos 14.12.2001*
Lotz, Erika SPD 14.12.2001*
Maaß, (Wilhelms- CDU/CSU 14.12.2001
haven), Erich
Michels, Meinolf CDU/CSU 14.12.2001
Mosdorf, Siegmar SPD 14.12.2001
Nahles, Andrea SPD 14.12.2001
Ost, Friedhelm CDU/CSU 14.12.2001
Dr. Pfaff, Martin SPD 14.12.2001
Dr. Ramsauer, Peter CDU/CSU 14.12.2001
Rübenkönig, Gerhard SPD 14.12.2001
Scheel, Christine BÜNDNIS 90/ 14.12.2001
DIE GRÜNEN
Schenk, Christina PDS 14.12.2001
Schlee, Dietmar CDU/CSU 14.12.2001
Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 14.12.2001
Dr. Schmidt (Weil- SPD 14.12.2001
burg), Frank
Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 14.12.2001
Hans Peter
Schösser, Fritz SPD 14.12.2001
Schröder, Gerhard SPD 14.12.2001
Schur, Gustav-Adolf PDS 14.12.2001
Schüßler, Gerhard FDP 14.12.2001
Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 14.12.2001
Christian
Siemann, Werner CDU/CSU 14.12.2001
entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlagen zum Stenographischen Bericht
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120786
(C)
(D)
(A)
(B)
Simmert, Christian BÜNDNIS 90/ 14.12.2001
DIE GRÜNEN
Stünker, Joachim SPD 14.12.2001
Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 14.12.2001
Türk, Jürgen FDP 14.12.2001
Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 14.12.2001
Wieczorek-Zeul, SPD 14.12.2001
Heidemarie
Wolf, Aribert CDU/CSU 14.12.2001
* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung des Europarates
** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung der NATO
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Dr. Norbert Lammert (CDU/
CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines
Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen
Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz)
(Tagesordnungspunkt 21 a)
In der Schlussabstimmung zum Gesetz zur Bekämp-
fung des internationalen Terrorismus – Terrorismus-
bekämpfungsgesetz – enthalte ich mich der Stimme, ob-
wohl ich die Intention dieses Gesetzespaketes teile, zur
wirksamen Bekämpfung des Terrorismus vorhandene In-
strumente zu stärken und neue Aufklärungs- und Sankti-
onsmöglichkeiten zu schaffen.
Die ebenso komplexe wie sensible Gesetzgebungs-
materie ist allerdings in den zwei Tagen, die seit der Vor-
lage des veränderten Textes in einem völlig unangemes-
senen Eilverfahren zur Verfügung standen, nicht ernsthaft
auf die beabsichtigten und die möglichen unbeabsichtig-
ten Nebenwirkungen zu prüfen. So bleibt nur zu hoffen,
dass die vorgesehenen Maßnahmen die erklärten Ziele
und nur diese erreichen: Beurteilen kann ich es nicht.
Anlage 3
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger (FDP) zur Abstimmung über
den Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung
des internationalen Terrorismus (Terrorismusbe-
kämpfungsgesetz) (Tagesordnungspunkt 21a)
Ich lehne den Gesetzentwurf der Bundesregierung und
der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur
Bekämpfung des internationalen Terrorismus – Terroris-
musbekämpfungsgesetz – ab. Der Gesetzentwurf ist we-
der rechtspolitisch noch nach dem Verfassungsprinzip der
Verhältnismäßigkeit zu rechtfertigen.
Weder sind die meisten Maßnahmen zur Terrorismus-
bekämpfung geeignet, noch sind sie erforderlich und erst
recht nicht sind sie verhältnismäßig in Bezug auf die ein-
schränkenden Auswirkungen auf die Grundrechte der
Bürgerinnen und Bürger. Den Nachweis der Verhältnis-
mäßigkeit bleibt das Innenministerium auch weiterhin
schuldig. Nicht dargelegt wird, warum die bisherigen
Kompetenzen von Geheimdiensten, BGS, BKA und Län-
derpolizeien – die in den letzten Jahren schon massiv er-
weitert wurden – nicht ausreichen sollen.
Vielmehr ist festzustellen, dass eine Reihe der beab-
sichtigten Gesetzesänderungen seit Jahren in den Schub-
laden der Sicherheitsbehörden lagen und nunmehr unter
dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung und der Instru-
mentalisierung der Ängste der Bevölkerung schnellst-
möglich, ohne ausführliche, abwägende und das Grund-
gesetz achtende Diskussion verabschiedet werden sollen.
In hoch technisierten, demokratischen und offenen Ge-
sellschaften kann es keine absolute Sicherheit geben,
ohne dass die in ihr lebenden Bürger als potenzielle
Verbrecher behandelt und polizeistaatlicher Willkür Tür
und Tor geöffnet werden.
Besonders bedenklich sind folgende Punkte:
Die Vorschläge für das Ausländer- und Asylrecht
führen zu einer Ausweitung der Ausgrenzung und infor-
mationellen Sonderbehandlung von Ausländern und de-
ren Überwachung. Die Daten aus Ausländerausweisen
dürfen pauschal von öffentlichen Stellen erfasst und wei-
terverarbeitet werden. Das gesamte Ausweisungsrecht
wird durch den vorgesehenen Strafvollzug massiv ver-
schärft. Durch äußerst fragwürdige Verdachtstatbestände
werden die Einreise – einschließlich des Familiennachzu-
ges zu Deutschen – erschwert, die Ausweisung erleichtert,
das Asylrecht verschärft und das Vereinsrecht beschränkt.
Um dies zu erreichen, müssen Ausländer umfassend
durch Geheimdienste überwacht werden – ein deutliches
Zeichen auf dem Weg in den Polizei- und Überwa-
chungsstaat. Diese Regelungen werden dazu beitragen,
dass sich das gesellschaftliche Klima gegenüber Nicht-
deutschen massiv verschärft.
Die Novellierung des Sicherheitsüberprüfungsgeset-
zes führt dazu, dass ein unbestimmter, wesentlich größe-
rer Personenkreis als bisher in das Visier des Ver-
fassungsschutzes gelangen wird. Zu befürchten ist die
Vernichtung zahlreicher beruflicher Existenzen durch für
die Betroffenen faktisch nicht angreifbare arbeits-
rechtliche Kündigungen. Zudem wirkt die Maßnahme als
Einstellungs- und Beschäftigungshindernis.
Die neuen Kompetenzen für die Bundespolizeien und
die Geheimdienste des Bundes verwischen die grundge-
setzlich festgeschriebene und historisch wohl begründete
Trennung von Nachrichtendiensten und Polizeien. Bank-,
Post- und Fernmeldegeheimnis werden zur Makulatur.
Die neuen Kompetenzen für Polizei und Geheimdiens-
te haben weitreichende Auswirkungen auf das Strafrecht
sowie das Strafprozessrecht. Ein faires Verfahren, mit
Waffengleichheit zwischen Angeklagten und Staats-
anwaltschaft ist nicht mehr gegeben, wenn – wie vorge-
sehen – verstärkt geheim gesammelte Informationen in
Strafverfahren als Beweise angenommen werden. Dies
widerspricht der bundesrepublikanischen Rechtskultur
zutiefst.
Noch nie ist ein so umfassendes Gesetzespaket in sol-
cher Hektik und unter solcher Missachtung der Befug-
nisse des Parlaments verabschiedetet worden. Noch nie
wurden die Ergebnisse einer Anhörung so offenkundig
missachtet.
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Regelung der Präimplantationsdiagnostik (Prä-
implantationsdiagnostikgesetz – PräimpG)
(Tagesordnungspunkt 24)
Helga Kühn-Mengel (SPD): Liebe Kolleginnen und
Kollegen von der FDP. Sie haben hier einen Gesetzesent-
wurf vorgelegt, der es dem Einzelnen, der Einzelnen er-
möglichen soll, Präimplantationsdiagnostik in Anspruch
zu nehmen. Der Gesetzgeber soll sich nach Ihrem Entwurf
dem, was der Wirtschaft dient, nicht in den Weg stellen,
das heißt den Kräften des Marktes.
Bemerkenswert ist, wie wenig Zweifel, wie wenig
Nachdenklichkeit Sie im Umgang mit diesem Thema zei-
gen.
Der Wunsch nach einem eigenen und möglichst gesun-
den Kind ist nachvollziehbar. Für circa 50 Paare jährlich
in Deutschland wird der Kinderwunsch zum Problem,
weil sie wegen genetischer Belastungen mit großer Wahr-
scheinlichkeit ein erbkrankes Kind bekommen können.
Ich verstehe die Hoffnung, die mit der Möglichkeit ver-
bunden ist, in die Natur des Menschen eingreifen zu kön-
nen. Aber wir müssen diese Hoffnungen gegen die Inte-
ressen, Rechte und Pflichten aller anderen Menschen
abwägen. Wir haben nicht nur die rechtliche Dimension
zu bewerten, sondern auch ethische Fragen, die Auswir-
kungen auf Frauen und Gesellschaft.
Wenn Sie sich die Erfolgsrate der PID anschauen, kön-
nen Sie vielleicht ermessen, welche Belastung dies für die
betroffenen Frauen bedeutet. Die ESHRE-Studie weist für
den Zeitraum von 1993 bis 2000 weltweit die Behandlun-
gen von 886 Frauen aus; diese Behandlungen hatten
123 Geburten mit 162 Kindern zur Folge. Durchschnitt-
lich wurden pro Geburt 74 Eizellen befruchtet, 11 Em-
bryonen übertragen. Bezogen auf die etwa 50 betroffenen
Paare in Deutschland, von denen einige letztlich auch
noch andere Alternativen wählen, kämen jährlich zwei bis
drei Kinder nach PID in unserem Land zur Welt. Die nicht
einfach abzuwägende Frage lautet: Sollen wir dafür den
Embryonenschutz aufgeben?
Zur PID gehört eben nicht nur der Wunsch nach einem
eigenen Kind, sondern auch die so genannte Verwerfung
genetisch belasteter Embryonen. Vielleicht ist das der von
einigen Wissenschaftlern gewünschte Einstieg in die ver-
brauchende Embryonenforschung.
Es ist für mich kein Bewertungswiderspruch, dass ein
Schwangerschaftsabbruch nach Pränataldiagnostik zuläs-
sig ist, die Präimplantationsdiagnostik aber nicht. Zum
Zeitpunkt der individuellen Entscheidung für die PID be-
steht keine Schwangerschaft, der Konflikt spielt sich im
Labor ab, nicht innerhalb der untrennbaren Einheit von
Mutter und Kind.
Wir alle wissen: Keine Schwangerschaft kann gegen den
Willen einer Frau aufrechterhalten werden. Aus frauenpo-
litischer Sicht ist die Entscheidung Kinder zu bekommen
oder aber ein Leben ohne Kinder zu führen, eine Frage der
Wahl. Aber weibliche Selbstbestimmung kann jedenfalls
nicht auf die freie Wahl zwischen verschiedenen techni-
schen Optionen reduziert werden. Auch wenn dem Kinder-
wunsch von Paaren zweifellos eine sehr hohe Priorität bei-
gemessen werden muss: Gibt es ein Recht auf Erfüllung des
Kinderwunsches mit medizinisch-technischer Hilfe?
Was wir angehen sollten, ist die verstärkte Förderung
von Alternativen zur Präimplantationsdiagnostik für „Ri-
sikopaare“ wie Pflegeschaft, Adoption. Das Mindeste ist
eine qualifizierte umfassende Beratung zu Beginn dieser
schwierigen Entscheidung.
Neben dem frauenpolitischen Aspekt ist mein zweiter
Punkt die gesellschaftliche Dynamik, die einer gesetzli-
chen Öffnung der Präimplantationsdiagnostik folgen
würde. Das Angebot der Präimplantationsdiagnostik birgt
die Gefahr einer unrealistischen Erwartungshaltung auf
ein gesundes Kind und dass der gesellschaftliche Druck
weiter erhöht wird, die Geburt eines Kindes mit Behinde-
rung zu verhindern. Für diese gesellschaftlich bedingten
Probleme scheint Präimplantationsdiagnostik augen-
scheinlich individuelle Lösungen bereitzustellen.
Als Behindertenbeauftragte der SPD-Bundestagsfrak-
tion ist es mir ein besonderes Anliegen zu hinterfragen:
Was bedeutet dies alles für Menschen mit Behinderun-
gen? Die Einzigartigkeit jedes Menschen ist Ausdruck
seiner Würde. Die Zulassung der PID kann stigmatisie-
rende, ausgrenzende und diskriminierende Tendenzen in
der Gesellschaft gegenüber Menschen mit Behinderungen
und chronisch Kranken verstärken. Behinderung wird
dann womöglich nicht mehr als Schicksal betrachtet, son-
dern als selbst verschuldet verurteilt werden. Dahinter
steckt natürlich die grundsätzliche Frage, wie unsere Ge-
sellschaft jetzt und in Zukunft mit Krankheiten und Be-
hinderungen umgehen will.
Ist es denn nicht viel wichtiger, dass die Gesellschaft
lernt, mit Verschiedenheiten und Krankheiten umzuge-
hen, dass wir das Diskriminierungsverbot unseres Grund-
gesetzes – Art. 3 Abs. 2 – weiter umsetzen, anstatt Behin-
derungen als menschenunwürdig einzustufen? Diese
Überlegungen sollten sich zumindest in einem Gesetzent-
wurf widerspiegeln.
Margot von Renesse (SPD): Nachdem ich den Ge-
setzentwurf der FDP zur Präimplantationsdiagnostik ge-
lesen habe, habe ich für Vorträge und Podiumsdiskussio-
nen dankenswerterweise neuen Stoff bekommen: Ich
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20787
(C)
(D)
(A)
(B)
kann jetzt ein Beispiel dafür zitieren, wie man einen Ge-
setzentwurf zu diesem Thema auf keinen Fall machen
darf. Schade nur, dass wir uns im Parlament mit einem
solch „flachen“ Entwurf auseinander setzen müssen,
während die Probleme, um die es bei der Präimplantati-
onsdiagnostik geht, eine sehr viel gründlichere und durch-
dachtere Auseinandersetzung verdienten.
Es war der Justizminister von Rheinland-Pfalz, ein
Mitglied der FDP, von dessen Sachverständigenkommis-
sion als Erster die Botschaft ausging, dass an der Straf-
barkeit der Präimplantationsdiagnostik nach geltendem
Recht Zweifel angebracht sind. Inzwischen hat sich die
Anzahl der Zweifler erheblich erhöht.
Die juristische Fachdiskussion über diese Frage hat in-
zwischen Formen angenommen. Ich selber, die ich noch
vor einem Jahr fest davon überzeugt war, dass Präimplan-
tationsdiagnostik strafbar ist, denke inzwischen das Ge-
genteil. Ihr Gesetzentwurf, meine Damen und Herren von
der FDP, ignoriert das Problem schlicht und einfach. Wol-
len Sie denn wirklich, dass die Antwort auf diese Frage
von der juristischen Fachwelt gegeben wird statt vom
deutschen Parlament? Hier gehört eine klare gesetzliche
Regelung her; denn das Thema ist von erheblicher Rele-
vanz für zentrale Grundrechte unserer Verfassung. – Dies
ist das erste Defizit Ihres Entwurfs.
Das zweite, nicht minder erhebliche Defizit liegt darin,
dass Ihr Gesetzentwurf es tatsächlich fertig bringt, die
Rechtswidrigkeit einer Handlung daran zu knüpfen, ob
Vorgaben der Bundesärztekammer eingehalten werden.
Ich halte es für ausgeschlossen, bei einer strafrechtlichen
Regelung so vorzugehen. Sie wissen, dass die Bundesärz-
tekammer als solche gar nicht existiert, sondern als
privatrechtlicher Verein anzusehen ist. Gerade bei der
Präimplantationsdiagnostik mit ihrer erheblichen Grund-
rechtsberührung dürfte eine solche Verweisung auf an-
dere, nicht demokratisch legitimierte Organisationen der
Verantwortung des Gesetzgebers nicht entsprechen.
Zum Dritten ist gerade diese Verweisung besonders
problematisch. Wie Sie wissen, hat die Bundesärztekam-
mer für den Bereich der Präimplantationsdiagnostik vor-
geschlagen, die ausnahmsweise Zulassung dieser Me-
thode an einen Katalog von schweren Behinderungen zu
binden. Das kann aber nicht der Weisheit letzter Schluss
sein. Ein solcher Katalog, wie wir ihn aus der kaiserlichen
Viehmängelverordnung zur Mängelrüge im Kaufrecht
kennen, birgt erhebliche Gefahren, dass Menschen mit
solchen Behinderungen stigmatisiert werden. Wenn es zu
einer ausnahmsweisen Zulassung der Präimplantations-
diagnostik kommt, dann wird man schon andere Wege
finden müssen, um die Ausnahmen als solche inhaltlich
und zahlenmäßig zu begrenzen und gleichzeitig alles zu
vermeiden, was nach einem Unwerturteil über behinder-
tes Leben aussieht. Das stellt erhebliche Anforderungen
an den Gesetzgeber, seine Kreativität und seine Sensibi-
lität. Solange eine solche Regelung noch nicht gefunden
wurde, kann es nicht zu einer Öffnung des Verbots von
Präimplantationsdiagnostik kommen.
Es tut mir aufrichtig Leid, dass die FDPmit ihrem Ge-
setzentwurf die parlamentarische Debatte eröffnet, der
dem Thema so wenig gerecht wird. Deshalb fällt es mir
auch schwer, etwas Inhaltliches zur Sache selbst zu sagen.
Ich kann es nur andeuten, worum wir zu streiten haben:
Häufig geäußerte Argumente gegen eine ausnahms-
weise Zulassung der Präimplantationsdiagnostik beruhen
zum großen Teil auf Vorurteilen oder Ressentiment. So
wird behauptet, ein Wertungswiderspruch zwischen der
Regelung des Schwangerschaftsabbruchs und dem Verbot
der PID sei deshalb nicht gegeben, weil der Konflikt der
Schwangeren ein „gegebener“, der eines Paares vor PID
ein „gemachter“ sei. Das ist unzutreffend, weil der Kon-
fliktfall der schwangeren Frau nach PND ebenfalls als
„gemachter“ angesehen werden muss; denn sie wäre nicht
in diesem Konflikt, gäbe es nicht die von Ärzten herbei-
geführten Untersuchungsergebnisse.
Empirisch durch nichts belegt ist die Befürchtung, die
Zulassung von PID im Ausnahmefall verschlechtere die
gesellschaftliche Situation von Menschen mit Behinde-
rungen. Zum einen ist in den Ländern, die PID erlauben,
die Situation Behinderter nicht schlechter als andernorts;
zum anderen hat auch in Deutschland die seit zehn Jahren
praktisch flächendeckend durchgeführte pränatale Dia-
gnostik eine solche Verschlechterung nicht bewirkt. Im
Gegenteil: Die Lage von Menschen mit Behinderungen
ist heute besser als vor 20 Jahren. Zwar gibt es nach wie
vor – wie zu allen Zeiten – Nachbarn, Bekannte und Ver-
wandte, die geschmacklose oder auch gehässige Bemer-
kungen machen; aber es gibt auch viel Freundlichkeit,
Warmherzigkeit und Solidarität, die von keinem Gesetz
befohlen werden kann. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich
bin selber Großmutter eines schwerbehinderten Kindes.
Rechtlich ist vieles eher besser geworden.
Schließlich möchte ich deutlich dem Gerede von den
kaltherzigen Eltern, verstiegenen Ärzten und manischen
Wissenschaftlern entgegentreten, die ganz wild darauf
sind, das unheilbar gesunde Designerbaby zu klonen. PID
ist aber kein Thema des kalten Kalküls, sondern der
Angst, der Not und häufig auch der Liebe. Wir reden hier
von einer Situation, die uns vor die Grenzen des Straf-
rechts stellt.
Die Vorstellung, die in einem Gutachten der Lebens-
hilfe zu lesen ist, die ausnahmsweise Zulassung von
Präimplantationsdiagnostik würde endgültig die elterli-
che Liebe aus der Welt schaffen, kann man schon kaum
mehr nur als übertrieben bezeichnen. Wenn die Menschen
so wären, wie sie dort gezeichnet werden, dann hilft uns
auch kein Verbotsgesetz, schon gar nicht das Embryonen-
schutzgesetz, um das Chaos zu verhindern: dann sind alle
Dämme schon längst gebrochen. Dann hält aber auch kein
Gesetz. Dann können wir das Parlament auch zumachen
und darauf warten, dass die Welt untergeht. Ich aber bin
dafür, noch ein Apfelbäumchen zu pflanzen.
Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): In großer Gemein-
samkeit haben wir die Enquete-Kommission „Recht und
Ethik der modernen Medizin“ eingesetzt. Deren Stellung-
nahme zu dem sensiblen Thema PID ist für Anfang nächs-
ten Jahres zu erwarten. Die FDP ist an dem Votum der En-
quete-Kommission anscheinend nicht interessiert. In
Ihrer Begründung schreiben Sie: „Der Gesetzentwurf
setzt die Auffassung der Enquete-Kommission um, dass
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120788
(C)
(D)
(A)
(B)
die PID durch den Gesetzgeber geregelt werden muss.“
Auf die schriftlichen Ausführungen der Enquete dazu
wollen Sie aber nicht warten. Auf diese Weise wird aus ei-
nem schwer wiegenden Thema eine Profilierungsveran-
staltung der FDP im Bundestag. Das ist diesem Thema in
keiner Weise angemessen.
Hinzu kommt, dass Sie mit dieser isolierten Behand-
lung im Bundestag das Thema aus dem Gesamtzusam-
menhang der Bio- und Gentechnologie sowie der Fort-
pflanzungsmedizin reißen.
Da wir heute über Ihren Gesetzentwurf in erster Le-
sung debattieren, will ich mich mit Ihrem Vorschlag einer
Zulassung der PID für genetisch schwer vorbelastete
Paare mit Kinderwunsch auseinander setzen und auch das
von Ihnen vorgesehene Verfahren, nämlich die Koppe-
lung an die Entscheidung einer ärztlichen Ethikkommis-
sion, in den Blick nehmen.
Viele – auch in unserer Fraktion – ringen damit: Wie
kann man Paaren mit Kinderwunsch helfen, die aufgrund
einer genetischen Veranlagung für eine schwere Erb-
krankheit oder eine Behinderung Angst haben müssen,
dass ihr Kind davon betroffen sein könnte? Wer hat nicht
Verständnis für diesen Wunsch? Kann Präimplantations-
diagnostik eine Lösung für diese Paare sein?
Aber dann tauchen sofort auch Zweifel auf: Ist die PID
eine gesellschaftlich vertretbare, mit unserer Werteord-
nung und unserem Menschenbild zu vereinbarende Lö-
sung? Dürfen wir Behinderung selektieren? Ist eine Ein-
grenzung auf schwere Fälle überhaupt möglich? Wer trifft
die Entscheidung? Welche Folgen ergeben sich aus einer
– wie auch immer begrenzten – Zulassung der PID?
Damit stellt sich die Kernfrage, inwieweit wir in unse-
rem Menschsein betroffen sind, wenn eine solche Technik
zugelassen wird. Es geht nicht allein um die Würde des
Embryos, sondern um unser aller Würde. Was geschieht
mit uns? So lautet doch die eigentliche Frage.
Nirgendwo ist die Gefahr eines Dammbruchs größer.
Der FDP-Entwurf spricht sich scheinbar für eine Begren-
zung der PID aus. Eine „ärztliche Ethikkommission“ soll
den Einzelfall prüfen, „Ausmaß und Gegenstand der er-
laubten Diagnostik beim Embryo“, heißt es, legen Richt-
linien der Bundesärztekammer fest. In Wahrheit ist hier
schon die Ausweitung enthalten. Eine Kommission
– gleich welcher Art – kann nicht die Lösung des Pro-
blems sein. Sie müsste viele Paare, die auf Hilfe hoffen,
negativ bescheiden, wenn sie den Dammbruch vermeiden
will. Das Ausmaß der Diagnostik sollen nicht einmal mi-
nisterielle Richtlinien bestimmen. Der Gesetzgeber soll
von dieser Lebensfrage ausgeschlossen werden. Das ist
nicht vertretbar. Denn es geht um das höchste Gut: das Le-
ben.
Auch bei den Krankheiten, die immer wieder genannt
werden, wenn es um die PID geht, kommen Zweifel.
Chorea Huntington bricht bei Menschen mit der entspre-
chenden Anlage im Alter von 30 bis 50 Jahren aus. Und
das soll selektiert werden? Bei der Mukoviszidose lag die
Lebenserwartung früher bei wenigen Jahren, inzwischen
hat man so große Therapiefortschritte gemacht, dass sie
auf annährend 40 Jahre gestiegen ist. Und das soll selek-
tiert werden? Machen wir uns außerdem nichts vor: Wenn
Mukoviszidose indiziert werden würde und eine Selek-
tion stattfände, wäre es um die künftige Verbesserung der
Therapie schlecht bestellt. Hinzu kommt, dass die meisten
der in Rede stehenden schweren Erbkrankheiten auch mit
der so genannten Polkörperdiagnostik erfasst werden
können.
Außerordentlich problematisch ist die Ausweitung der
PID in Ländern, wo sie zugelassen ist, allen voran den
USA. Dort wird mittlerweile die Anlage zum Brustkrebs
diagnostiziert, von dem man nicht weiß, ob er ausbricht
und wie der Krankheitsverlauf sein wird. Im November
erreichte uns die Nachricht, dass in den USA und in Spa-
nien das genetische Risiko für eine vermeintlich niedrige
Intelligenz in vitro diagnostiziert wurde. Man muss über-
haupt nicht das Zerrbild einer Selektion an die Wand ma-
len, die lauter kleine Einsteins und Brigitte Bardots will.
Außerdem droht die PID wie in den USA, zum Routine-
Screening bei der IVF zu werden, um die Erfolgsraten der
künstlichen Befruchtung zu erhöhen. Die Erfahrungen in
Deutschland zeigen, dass sich die PND zum Routinever-
fahren entwickelt hat. Heute sind wir mit der Tatsache
konfrontiert, dass über 90 Prozent der Embryonen, bei de-
nen das Down-Syndrom diagnostiziert wird, abgetrieben
werden. Dies verstärkt die Skepsis gegenüber der Ein-
grenzbarkeit.
Die PID bedeutet, dass menschliches Leben selektiert
und getötet wird. Bei der PlD findet durch eine Auswahl
von Embryonen nach „tauglich“ und „untauglich“ unwei-
gerlich eine Zuschreibung von Lebenswert statt. Damit
etabliert die PID ein neues Prinzip.
In ihrem Entwurf spricht die FDP von verfassungs-
rechtlichen Bedenken gegenüber einem Verbot der PID.
Sie bemüht dazu die Analogie zur medizinischen Indika-
tion nach § 218 a Abs. 2 StGB und nennt das den „gebo-
tenen Anknüpfungspunkt“. Damit sprechen Sie, wie-
derum indirekt, ein Problem an, nämlich das der so
genannten Spätabtreibungen. Dass hier eine zum Teil sehr
fragwürdige Ausweitung stattgefunden hat, kann aber
nicht als Begründung dafür dienen, die PID zuzulassen.
Umgekehrt bedeutet es vielmehr, dass wir angesichts der
Ausweitung der PND zu einem Screening-Verfahren und
den damit im Zusammenhang stehenden Spätabtreibun-
gen handeln müssen. Deshalb hat die CDU/CSU-Fraktion
einen Antrag zur Vermeidung von Spätabtreibungen in
den Deutschen Bundestag eingebracht. Wir haben damit
erreicht, dass über die Fraktionsgrenzen hinweg die Dis-
kussion um Wege zur Vermeidung von Spätabtreibungen
neu eingesetzt hat. Wir wollen noch in dieser Legislatur-
periode zu einer Lösung kommen.
Auch unabhängig davon wende ich mich gegen die
vermeintliche Zwangsläufigkeit, mit der hier eine Analo-
gie hergestellt wird. Die Mutter befindet sich bei der In-
dikation nach 218 a Abs. 2 StGB in einer unmittelbaren
Konfliktsituation. Infrage steht eine „Gefahr für das Le-
ben oder die Gefahr einer schwer wiegenden Beeinträch-
tigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszu-
standes der Schwangeren“, § 218 a II. Eine solche Gefahr
besteht im Moment einer PID aber nicht. Man hört immer
wieder, die Konfliktsituation könne antizipiert werden.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20789
(C)
(D)
(A)
(B)
Das widerspricht der Einsicht, dass die Situation der
Schwangerschaft eine einzigartige physische und psychi-
sche Einheit von Mutter und Kind darstellt. Das Argument
eines antizipierten Konflikts steht außerdem im Wider-
spruch zur vermeintlich geringeren Belastung der Frau.
Ein „antizipierter Konflikt“ ist kein konkreter Konflikt.
In ihrem Entwurf argumentiert die FDP, eine PID ver-
hindere die „Schwangerschaft auf Probe“. Das wäre nicht
einmal dann richtig, wenn bei PID auf PND verzichtet
würde. Denn es gibt keine Schwangerschaft auf Probe.
Eine Schwangerschaft ist heute mehr denn je in aller Re-
gel eine bewusste Entscheidung der Eltern. Sie haben alle
Möglichkeiten, diese herbeizuführen, aber auch alle, da-
rauf zu verzichten. Der Wunsch nach einem Kind und da-
rüber hinaus nach einem gesunden Kind ist überaus ver-
ständlich. Aber wir müssen doch auch sehen, dass hinter
dem Wunsch nach einem gesunden meistens die Angst
vor einem behinderten Kind steckt. Hier bedarf es der Un-
terstützung, der Aufklärung und der Hilfe, die im Übrigen
sehr erfolgreich sein kann! Außerdem erfahren wir doch
immer wieder, dass diese Angst vor der Geburt größer ist
als danach, dass beispielsweise Kinder mit Down-Syn-
drom ihren Eltern so viel geben können. Der Wunsch nach
einem gesunden Kind kann kein Recht auf ein gesundes
Kind bedeuten, wie der Bundespräsident treffend in sei-
ner nachdenklich machenden Rede gesagt hat.
Es wird immer wieder gesagt, die Zulassung der PID
sei im Sinne der Selbstbestimmung der Frau. In ihrer Pro-
blembegründung spricht die FDP nicht weniger als fünf-
mal von der vermeintlich freien Entscheidung, und zwar
der Frau, der potenziellen Eltern, der Beteiligten bzw. des
Einzelnen. Aber stimmt das wirklich? Wer Ja sagt zur
PID, hat doch die Entscheidung schon abgegeben! Wer
sich beispielsweise in der Brüsseler Fortpflanzungsklinik
umschaut, in der PID praktiziert wird, weiß doch, dass
nicht die Mutter an der Petri-Schale steht – das könnte sie
auch gar nicht – sondern medizinische Experten. Frauen
fühlen sich massiv unter Druck gesetzt. Das wissen wir
aus empirischen Untersuchungen zur PND. Es besteht
doch die Gefahr, dass eine gesetzliche Zulassung die Se-
lektion nicht nur legitimiert, sondern einen Druck entste-
hen lässt, entsprechend zu handeln. Schon heute müssen
sich Eltern behinderter Kinder zuweilen fragen lassen, ob
sie das gewollt hätten und ob sie „es“ nicht hätten verhin-
dern können.
Im FDP-Entwurf heißt es „Mithilfe dieses ...Verfahrens
konnten bis Ende 1999 circa 420 gesunde Kinder geboren
werden.“ Aber dies ist nur die eine Seite der Medaille. Für
die 162 nach PID geborenen Kinder, die die European So-
ciety of Human Reproduction erfasst, wurden 10 220 Ei-
zellen befruchtet und 7 991 Embryonen hergestellt, das
sind fast 50 Embryonen pro geborenem Kind. Der
Schwangerschaftserfolg über alle begonnenen Zyklen
liegt bei 9,3 Prozent. Die Diagnose ist nicht fehlerfrei und
führt dazu, dass Embryonen ohne genetische Disposition
getötet werden. Und es führt dazu, dass Embryonen mit
einer solchen Disposition implantiert werden.
Wer nur auf die geborenen Kinder verweist, ver-
schweigt die ungeheure Belastung, der alle Frauen, die
sich einer PID unterziehen, in der Regel ausgesetzt sind.
Für eine IVF muss die Frau hormonell stimuliert werden,
was an sich schon eine Belastung darstellt. Drei bis fünf
Prozent der Frauen leiden in der Folge unter einem Hy-
perstimulationssyndrom. Damit die „baby-take-home“-
Rate überhaupt gehalten werden kann, wird die Frau in
der Regel mehrfach stimuliert. Unklar ist, ob die IVF
nicht die Wahrscheinlichkeit einer Karzinombildung er-
höht. Dieses Risiko ist für Frauen ohne Fertilitätspro-
bleme noch weniger vertretbar als für diejenigen mit sol-
chen Problemen.
In ihren Begründungen schreibt die FDP; „Die PID
hilft, späte Abbrüche nach PND ... zu ersparen“. Sie wis-
sen genau, dass das nicht stimmt. Die PID führt in der Re-
gel gerade nicht zu einem Verzicht auf die PND. Damit ist
die körperliche und seelische Belastung für die Frau in der
Regel noch größer.
Nach Ansicht vieler Befürworter der PID geht es – wie
gesagt – um etwa 150 Paare pro Jahr in Deutschland.
Wenn das zutreffend wäre, dann könnte man mit guten
Gründen fragen: Warum entdecken denn die Befürworter
der PID ausgerechnet hier ihr Mitgefühl, ihr Engagement
für eine neue Technik; ihre Kraft, andere überzeugen zu
wollen? Nicht, dass ich falsch verstanden werde: Auch
300 Betroffene sind nicht zu vernachlässigen, sind in
ihren Hoffnungen und Wünschen ernst zu nehmen. Aber
wenn sich alle mit gleicher Verve dafür einsetzen würden,
die Situation von Behinderten zu verbessern, Müttern im
Konfliktfall zu helfen, die Schwangerschaft grundsätzlich
zu erleichtern und die Beratungsmöglichkeiten zu verbes-
sern und auszubauen, dann wäre wirklich viel gewonnen.
Geht es denn in Wahrheit um 150 Paare pro Jahr? Oder
geht es darum, einen Anfang zu machen und mit einer
niedrigen Zahl, „den Kritikern die Argumentationsgrund-
lage zu entziehen“, indem man „bereitwillig den eigenen
Handlungsspielraum einschränkt“, wie Andreas Kuhlmann,
einer der profiliertesten Autoren zur gesellschaftlichen
Bewertung der Gentechnik geschrieben hat. Und geht es
für einige nicht um ganz andere Interessen, darum, über-
zählige Embryonen zu gewinnen und das vermeintliche
moralische Dilemma so zu verschärfen, dass auch in
Deutschland die verbrauchende Embryonenforschung un-
ausweichlich erscheint, darum, eine neue Technik zum ei-
genen Nutzen zu etablieren? Reden wir offen darüber und
stellen wir uns diesen Fragen!
Der Mensch darf nicht auf seine genetische Grundaus-
stattung reduziert werden wie es hier geschieht. Die ge-
netische Ausstattung sagt doch nichts über die Chancen
eines gelingenden Lebens aus. Die PID macht den Men-
schen zum Objekt: zum Wunschobjekt seiner Eltern, zum
Objekt der Begierde von Wissenschaftlern und Medizi-
nern, zum Objekt einer zukünftigen Gesellschaft. Hier
wird Glück mit Gesundheit gleichgesetzt. Aber wie viele
andere Wurzeln haben Glück und Zufriedenheit! Die Zu-
lassung der PID ist ein Weg, der nicht beschritten werden
darf, auch nicht in vermeintlich engen Grenzen.
Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Schon bislang ist die FDP nicht mit gehaltvollen
Beiträgen zur Diskussion um die Biopolitik aufgefallen.
Aber dass wir heute einen Gesetzentwurf von Ihnen in
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120790
(C)
(D)
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(B)
erster Lesung zu beraten haben, mit dem Sie die Präim-
plantationsdiagnostik zulassen wollen, ist ein Tiefpunkt
der Debatte. Was eigentlich wollen Sie damit gewinnen,
wen vor allem? Einige unmittelbar Betroffene können Sie
damit vielleicht davon überzeugen, dass Sie an deren
Seite stehen. Aber ich kann gar nicht glauben, dass Sie so
wenig vom Debattenverlauf mitbekommen haben, dass
Sie die Vorlage Ihres Gesetzentwurfes für ein angemesse-
nes Vorgehen halten.
lm Sommer 2000 hatte ich mich an die Fraktionen des
Bundestages gewandt, hatte auf den zuvor vom Gesund-
heitsministerium organisierten Kongress zur Fortpflan-
zungsmedizin verwiesen und um Gespräche über ein an-
gemessenes Verfahren gebeten, damit das Parlament das
Embryonenschutzgesetz zu einem Fortpflanzungsmedi-
zingesetz weiterentwickeln kann. Zu den dort zu ent-
scheidenden Fragen gehört natürlich auch die nach der
Zulässigkeit der PID. Vonseiten der FDP habe ich nie eine
Antwort auf dieses Gesprächsangebot erhalten – so wich-
tig also ist Ihnen diese Frage.
Im Mai dieses Jahres nun hat der Bundestag sehr ernst-
haft über die Biomedizin debattiert. Es war in dieser De-
batte unverkennbar, dass das Parlament sich noch am An-
fang der schwierigen ethischen Erörterungen sieht, die
durch die neuen medizinischen Verfahren aufgeworfen
sind. Die Enquete-Kommission hat in diesem Herbst die
Frage des Imports von embryonalen Stammzellen bear-
beitet, das Thema PID ist das nächste auf ihrer Agenda.
Während also noch Parlamentsgremien dazu beraten,
während viele Kolleginnen und Kollegen noch keine hin-
reichende Gelegenheit zur Meinungsbildung hatten, da
kommen Sie mal eben so daher und legen einen Gesetz-
entwurf auf den Tisch.
Jede, die sich mit diesem Thema schon einmal genauer
beschäftigt hat, weiß, wie kompliziert die ethischen Ab-
wägungen sind, weiß, wie diffizil die Regelung unter ju-
ristischen Gesichtspunkten ist, weiß, wie sehr davon die
Gefühle und moralischen Empfindungen vieler Menschen
betroffen sind. Und Sie meinen, das könne man im Hand-
streich erledigen, man müsse sich nicht einmal mit den an-
deren Fraktionen über einen gemeinsamen Weg verstän-
digen, auf dem das Parlament in einer so umstrittenen
Frage zu einer tragfähigen Entscheidung findet! Ich weiß
nicht, welchen billigen parteipolitischen Punkt Sie sich
davon versprechen, auf jeden Fall ist das Thema zu kom-
plex, als dass man sich ihm so unernsthaft zuwenden
könnte, wie Sie das tun. Das verheißt nichts Gutes für die
weiteren Entscheidungen im Parlament.
Auch der Gesetzentwurf selber ist nicht von einer wirk-
lich ernsthaften Auseinandersetzung in der Sache geprägt.
Das Argument, dass man hiermit Schwangerschaften auf
Probe vermeide, ist nicht überzeugend – denn die PID ver-
meidet Schwangerschaften um den Preis des vorzeitigen
Todes des Embryos. Das heißt, ein Verfahren des Schwan-
gerschaftsabbruchs wird durch ein anderes Tötungsver-
fahren ersetzt – von Vermeidung kann hier wohl nicht die
Rede sein. Sie weichen der Frage aus, ob es wirklich ak-
zeptiert werden sollte, dass Schwangerschaftsabbrüche
aufgrund einer Behinderung des Kindes zu einer Selbst-
verständlichkeit werden.
Sie wollen mit Ihrem Gesetzentwurf an der medizini-
schen Indikation des § 218 anknüpfen und mit dem neuen
§ 3 a eine „genetische Indikation“ einführen. Waren Sie
wirklich alle nicht dabei, als das Parlament vor sechs Jah-
ren beschlossen hat, die eugenische Indikation abzuschaf-
fen? Wollen Sie das rückgängig machen? So schwierig die
Konsequenzen aus dieser damaligen Entscheidung zum
§ 218 teilweise auch sind – ich halte es immer noch für
richtig und geboten, dass diese Gesellschaft sich darauf
verständigt, dass die mögliche Behinderung des Kindes
keine Abtreibung rechtfertigt. Ich stehe mit Schrecken vor
Ihrem Konzept von Freiheit. Sie nehmen den Wunsch der
Eltern ausschließlich als Maßstab – was ist mit dem Wol-
len des Kindes? Was ist mit seinem Lebensrecht? Was ist
mit den verletzten Gefühlen all der Menschen, die mit den
Krankheiten leben, die nach Ihren Vorstellungen zur Ab-
treibung berechtigen?
Ich finde es gut, dass wir alle durch die Entwicklung
der Biomedizin wieder mit moralischen Fragen konfron-
tiert sind, es kann unserer Gesellschaft nur gut tun, wenn
sie sich ihrer eigenen Werte neu vergewissern und sie he-
rausarbeiten muss. Ich erlebe sehr spannende und kontro-
verse Debatten mit Bürgerinnen und Bürgern. Sie von der
FDP haben sich aber mit dem Versuch, eine Position im
Parlament mal eben so durchzusetzen, als Partner für die-
ses Ringen um eine gesellschaftliche Moral disqualifi-
ziert!
Detlef Parr (FDP): Wir alle sind vor wenigen Tagen
aufgeschreckt worden – aufgeschreckt von der Ankündi-
gung des US-Forschers Panos Zavos, den ersten geklon-
ten Embryo herzustellen. Wir alle sind uns einig in der
Ablehnung solcher Exzesse. Wir sind uns einig in der ethi-
schen und moralischen Bewertung. Das reproduktive
Klonen muss weltweit geächtet werden. Aber wir dürfen
uns nicht verleiten lassen.
Das Thema der heutigen Debatte hat nichts, aber auch
gar nichts mit forschenden Untaten dieser Art zu tun. Wir
beraten in erster Lesung über gesetzgeberische Möglich-
keiten, ein international, vor allem aber bei den meisten
unserer unmittelbaren europäischen Nachbarn anerkann-
tes reproduktionsmedizinisches Verfahren, die Präim-
plantationsdiagnostik, auch in Deutschland rechtssicher
zu machen. Von 17 europäischen Ländern gehört
Deutschland zu den vieren, die die PID nicht ausdrücklich
zulassen.
Vor einem halben Jahr hat der Deutsche Ärztetag in
Ludwigshafen auf die Konfliktlage bei ärztlichen Ent-
scheidungen am Beispiel der Präimplantationsdiagnostik
hingewiesen. Einerseits verfügen unsere Ärztinnen und
Ärzte mit der PID in Verbindung mit einer künstlichen
Befruchtung über Methoden, die Paaren mit monogeneti-
schen Erkrankungen – mit schwerwiegenden Erbkrank-
heiten – zu einem davon nicht betroffenen Kind verhelfen
könnten. Andererseits müssen sie nach heutigem Recht
mit der in der Gesellschaft anerkannten Anwendung vor-
geburtlicher Diagnostik der Frau eine „Schwangerschaft
auf Probe“ und gegebenenfalls eine Abtreibung, den Ver-
zicht auf Kinder, eine Befruchtung mit Spendersamen
oder eine Adoption zumuten. Die FDP-Fraktion hat den
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20791
(C)
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(B)
Ludwigshafener Appell der Ärzteschaft aufgegriffen, ich
zitiere: „eine Klärung der Rechtslage herbeizuführen und
für den Fall einer Zulassung der PID weitere Kriterien für
eine maximale Eingrenzbarkeit mitzugestalten.“
Niemand konnte vor zehn Jahren bei der Verabschie-
dung des Embryonenschutzgesetzes die rasante Entwick-
lung im Bereich der Fortpflanzungsmedizin vorhersehen.
Wir sind davon überzeugt, dass wir an einer Ergänzung
dieses Gesetzes nicht vorbeikommen, wollen wir den be-
troffenen Paaren wirklich helfen und das Handeln der
Ärzteschaft rechtlich absichern.
Wir wollen enge Grenzen setzen, um Missbrauch zu
verhindern. Wir wollen den Weg nicht ebnen zu Desi-
gnerbabys. Eltern dürfen sich nie zu Schöpfern ihrer Kin-
der aufschwingen. Kinder dürfen sich nie als Selektions-
produkt ihrer Eltern fühlen müssen. Aber wir müssen den
wenigen Paaren in ihrer Notlage einen letzten Ausweg
bieten, doch noch zu einem gesunden Kind zu kommen.
Und deswegen schlagen wir dem Bundestag heute eine
Ausnahmeregelung des grundsätzlichen Embryonen-
schutzes vor. Die Untersuchung eines Embryos auf die
Gefahr einer schwerwiegenden Erbkrankheit soll unter
folgenden sechs eng gezogenen Voraussetzungen nicht
länger rechtswidrig sein: erstens, eine umfassende hu-
mangenetische Beratung und psychosoziale Betreuung,
zweitens, die Indikation einer hohen Wahrscheinlichkeit
der Gefahr einer schwerwiegenden Erbkrankheit – wir de-
finieren sie als monogen bedingte Erkrankung und Chro-
mosomenstörung mit sehr geringer Lebenserwartung und
schlechter oder überhaupt keiner Behandelbarkeit –, drit-
tens die Festlegung von Ausmaß und Gegenstand der er-
laubten Diagnostik beim Embryo, viertens die Beschrän-
kung der PID auf wenige lizenzierte Zentren, fünftens
Einzelfallentscheidungen – vorherige Billigung durch
eine Ethik-Kommission und sechstens, Qualitätssiche-
rung durch die Teilnahme an einem zentralen Melderegis-
ter nach dem Beispiel der britischen Human Fertility and
Embryology Authority.
Der Gesetzentwurf ist als Rahmengesetz konzipiert.
Die Ausfüllung liegt in der Autonomie der Ärzteschaft.
Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer hat
bereits im Februar 2000 einen Richtlinienentwurf vorge-
legt, der nach rechtlicher Absicherung der PID unmittel-
bar in ein Handlungskonzept überführt werden kann – so
BÄK-Präsident Professor Hoppe in einem Interview.
Unser Gesetzentwurf enthält eine Gewissensklausel,
denn es dürfte selbstverständlich sein, dass es keine Ver-
pflichtung von Ärzten zu PID geben und eine Nicht-Mit-
wirkung keine Nachteile mit sich bringen darf. Und unser
Gesetzentwurf dient einem Abbau von Regelungsunter-
schieden im zusammenwachsenden Europa und einer im-
mer mehr die Landesgrenzen übergreifenden Entwick-
lung, von der sich Deutschland nicht abkoppeln sollte.
Dieser Gesetzentwurf ist ein Angebot für alle, die – wie
es in einem unveröffentlichten Papier der Bundesjustiz-
ministerin heißt – den offenen Dialog wollen mit dem Ziel
eines möglichst breiten Konsenses in der Gesellschaft.
Nach einer Umfrage des „Kölner Stadtanzeigers“ be-
fürworten heute bereits 42 Prozent aller Befragten die
PID, 65 Prozent der Anhänger der FDP, 45 Prozent der po-
tenziellen SPD-Wähler und immerhin 40 Prozent der Uni-
onsklientel.
Die FDP lädt Sie und die Öffentlichkeit zu dem not-
wendigen Dialog ein. Wir hängen nicht sklavisch an je-
dem Teil unseres Gesetzentwurfs. Wir sind zum gemein-
samen Überarbeiten bereit. Kein Gesetzentwurf ist so
perfekt, dass er durch Änderungen nicht noch besser wer-
den könnte. Unser Ziel bleibt: den Menschen in seelischer
Not zu helfen, wie es für viele europäische Nachbarn be-
reits eine Selbstverständlichkeit ist.
Wir wollen eine moderne Gesellschaft. Moderne Men-
schen wenden sich vorurteilsfrei neuem Denken zu, ohne
leichtfertig das Gute an der Tradition über Bord zu wer-
fen. Die FDPwünscht sich vor einem solchen Hintergrund
eine fruchtbare Diskussion mit einem tragfähigen Ergeb-
nis.
Wir wollen eine humane Gesellschaft. Eine humane
Gesellschaft kümmert sich eben nicht nur um die Ent-
wicklungspotenziale früher Embryonen, sondern auch um
das aktuelle Leiden. Und sie nimmt die Sorgen künftiger
Eltern ernst und erkennt deren Wunsch nach einem ge-
sunden Kind als legitim an, ohne deshalb behindert gebo-
renen Menschen auch nur im Geringsten die gebotene
Hilfe und vor allem die selbstverständliche Achtung als
ethisch wie rechtlich gleiche, grundrechtsgeschützte Per-
sonen zu verkürzen, wie es der Hamburger Strafrechtler
Professor Merkel ausdrückt.
Gerade wir Liberale schließen uns gerne einem Slogan
der Behindertenbewegung an: „Es ist normal, verschieden
zu sein.“ Mich hat in der bisherigen Diskussion mit Be-
hinderten die Aussage einer großen Selbsthilfevereini-
gung von Eltern und Patienten am stärksten beeindruckt.
Ich zitiere: „Die Selbsthilfevereinigung teilt die schweren
Bedenken gegen eine Zulassung der PID. Aber: betrof-
fene Eltern, die einen Schwangerschaftsabbruch ableh-
nen, haben nur mit der PID die Chance auf ein weiteres
Kind ohne diese Erkrankung. Der Verein will diese Eltern
nicht durch ein Verbot der PID alleingelassen sehen!“
Moral zeigt sich in verantwortungsvollem Handeln,
nicht im einfallslosen Verbieten. Wir bitten Sie herzlich:
Geben Sie sich einen Ruck! Nehmen Sie unser Angebot
zu einem offenen fraktionsübergreifenden Dialog an!
Denn nur dann setzen wir uns mit den Nöten und Sorgen
unserer Mitmenschen ernsthaft auseinander. Und dafür
sind wir gewählt und nicht, um blind Dogmen und Ideo-
logien zu folgen.
Dr. Ilja Seifert (PDS): Die FDP will polarisieren.
Schon vor Abschluss einer umfassenden gesellschaftli-
chen Debatte zur Fortpflanzungsmedizin hat sie ein klei-
nes Gesetz vorgelegt, um ein großes Gesetz zu ändern –
das Embryonenschutzgesetz. Käme die FDP damit durch,
könnte man – nach der De-facto-Beseitigung seines In-
halts – das alte Embryonenschutzgesetz gleich umtaufen
in „PID-Gesetz“. Aber so weit geht die FDPwieder nicht.
Es besteht ja kein Zweifel, dass die Entwicklung seit
der Inkraftsetzung des Embryonenschutzgesetzes eine
ganze Reihe neuer Probleme aufwirft. Dies war einer der
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120792
(C)
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(A)
(B)
Gründe dafür, dass sich die PDS seit 1999 für die Einset-
zung einer Enquete-Kommission zur modernen Medizin
eingesetzt hat.
Die Enquete-Kommission „Recht und Ethik der mo-
dernen Medizin“ wurde dann im vergangenen Jahr mit
Zustimmung aller Fraktionen eingesetzt. Im November
2000 führte sie eine öffentliche Anhörung zur Präimplan-
tationsdiagnostik durch – ebenso wie kürzlich der Aus-
schuss Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Über viele Monate hinweg arbeitete die Enquete-Kom-
mission an einem speziellen Berichtsteil zur PID, der
demnächst fertiggestellt und beschlossen werden soll.
Auch der FDP ist gut bekannt, dass es in der Enquete-
Kommission unterschiedliche Auffassungen zur PID gibt –
wie in allen Fraktionen dieses Hauses, auch in der PDS-
Fraktion. Dennoch hat die Ablehnung der PID sowohl in
der Enquete-Kommission und in den Bundestags-Fraktio-
nen, mit Ausnahme der FDP, ein erhebliches Gewicht. In-
sofern finde ich es ziemlich unverfroren, wenn es im Be-
gründungsteil des Gesetzentwurfs der FDPwörtlich heißt:
„Der Gesetzentwurf setzt die Auffassung der Enquete-
Kommission um, dass die PID durch den Gesetzgeber ge-
regelt werden muss ...“
Sicher: Wir brauchen ein Fortpflanzungsmedizinge-
setz. Aber nicht, um das Embryonenschutzgesetz abzu-
schaffen, sondern um seine hohen Schutzstandards zu
stärken und weiter zu entwickeln. Angesichts der kompli-
zierten medizinischen, rechtlichen und ethischen Fragen
muss der Diskussions- und Abwägungsprozess im Parla-
ment umfassenden Charakter haben. Davon kann beim
Gesetzentwurf der FDP keine Rede sein.
Der Gesetzentwurf bemüht zwar verfassungsrechtlich
garantierte Grundrechte, aber Art. 1 des Grundgesetzes
kommt in ihm nicht vor. Stattdessen arbeitet die FDP mit
nahezu abenteuerlichen Zaubertricks, zum Beispiel wenn
sie in der Begründung zu Absatz 1 ausführt:
Die zentrale Frage der Verwerfung des Embryos hin-
gegen wird in Satz 2 gesondert geregelt. Auf diese
Weise
– so wörtlich im Text!! –
wird der ethische Schwerpunkt des Verfahrens, die
Verwerfung – selbstverständlich ebenfalls nur unter
bestimmten engen Voraussetzungen – als nicht
rechtswidrig definiert.
So einfach kann und darf man es sich nicht machen!
Die Bedenken der Behinderten und ihrer Verbände sol-
len zwar sehr ernst genommen werden, aber die eindeu-
tige und klare Ablehnung der PID durch den Deutschen
Behindertenrat (DBR) kommt bei der FDP nicht vor. Erst
Ende November forderte der DBR erneut eindeutige ge-
setzliche Regelungen, nach denen Methoden der Fort-
pflanzungsmedizin nicht zur Selektion menschlichen Le-
bens missbraucht werden können. Der FDP-Entwurf geht
genau in die Gegenrichtung. Es soll Rechtssicherheit für
genetisch schwer vorbelastete Paare mit Kinderwunsch
und für Ärzte hergestellt werden, aber die medizinischen
Risiken, rechtlichen Bedenken und ethischen Einwände,
die von ärztlicher Seite, von Frauenverbänden und Ver-
fassungsrechtlern vorgebracht werden, kommen bei der
FDP nicht wirklich vor.
Nur zur Auswahl empfehle ich der FDP-Fraktion daher
das Studium des abschließenden Votums der Ende No-
vember 2001 in Dresden durchgeführten „Bürgerkonfe-
renz zur Gendiagnostik“, bei dem sich zum Beispiel alle
beteiligten Frauen gegen die PID ausgesprochen haben,
sowie das Positionspapier der Bundesvereinigung Le-
benshilfe zur PID vom 4. Dezember 2001. Dort heißt es
in der abschließenden Zusammenfassung unter anderem:
Somit ist die PID aus Verfassungsgrundsätzen her
nicht zu gestatten und eine weder medizinisch über-
zeugende noch ethisch gerechtfertigte Methode. Ihre
Anwendung wird zu gesellschaftlichen Veränderun-
gen führen, die einer humanen Gesellschaft entge-
genstehen ...
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Arbeit statt Sozial-
hilfe – Hin zu einer Kultur von Geben und Neh-
men (Tagesordnungspunkt 26)
Walter Hoffmann (Darmstadt) (SPD): Arbeit statt
Sozialhilfe, das ist ein Ziel, das wir gemeinsam haben. Zu
viele Menschen sind heute von der Sozialhilfe abhängig,
brauchen Hilfe in der Not, in die sie aus den unterschied-
lichsten Gründen geraten sind. Wichtige Gründe sind Ar-
beitslosigkeit, Krankheit und die Veränderung der Fami-
lienstrukturen, weshalb heute mehr als 30 Prozent aller
Sozialhilfeempfänger minderjährig sind.
So unterschiedlich die Gründe für die Arbeitslosigkeit
sind, so differenziert müssen die Hilfsangebote sein, die
wir den Hilfesuchenden machen. Deshalb begrüße ich
ausdrücklich, dass Sie in diesem Antrag befürworten, Hil-
fesuchenden intensive Betreuung zukommen zu lassen
und ihnen möglichst schon bei Antragstellung ein kon-
kretes Angebot zu unterbreiten, wie die Hilfebedürftigkeit
beendet oder verkürzt werden kann. Wie Sie wissen, er-
proben wir dies schon im Rahmen von MoZArT-Modell-
projekte zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen
Arbeitsämtern und Trägern der Sozialhilfe –, wo mit den
Betroffenen Hilfepläne ausgearbeitet werden, um die
konkreten Gründe für die Sozialhilfebedürftigkeit zu be-
seitigen. Wir investieren 30 Millionen DM jährlich für
Modellprojekte, die die Zusammenarbeit zwischen Ar-
beitsämtern und Trägern der Sozialhilfe verbessern sol-
len.
Dass Sie diese Hilfepläne unterstützen, wundert mich
aber auch ein wenig. Haben Sie sich doch noch bei der
Verabschiedung unseres Job-Aqtiv-Gesetzes gegen die
Einführung einer Eingliederungsvereinbarung mit den
Arbeitslosen ausgesprochen, die exakt die gleiche Ziel-
richtung verfolgt und mit der wir erstmals das, was Sie in
Ihrem Antrag hier fordern, umsetzen.
Das Gleiche gilt für Ihre Forderung, dass Kommunen
Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung wahrnehmen
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20793
(C)
(D)
(A)
(B)
können. Genau dies haben wir mit der Ermöglichung Be-
schäftigung schaffender Infrastrukturförderung mit unse-
rem Job-Aqtiv-Gesetz umgesetzt. Auch hier haben Sie wi-
dersprochen. Dies passt nicht zusammen.
Leider bleibt es nur bei wenigen Lichtblicken in Ihrem
Antrag, wie meine Kollegin Brigitte Lange schon genau-
estens ausgeführt hat. Stattdessen fallen Sie wieder in das
alte Stereotyp zurück: Die Arbeitslosen wollen gar nicht
arbeiten; deshalb muss man ihr Geld kürzen, um sie zur
Wiederaufnahme einer Beschäftigung zu zwingen. Wenn
die Welt nur so einfach wäre!
Vieles von dem, was Sie in Ihrem Antrag fordern, set-
zen wir seit nunmehr drei Jahren um. Und unsere Bilanz
kann sich wahrlich sehen lassen!
Sie fordern Wachstum und Beschäftigung, neue Ideen
und Reformen. Wir haben die Weichen auf Wachstum ge-
stellt, indem wir Arbeitnehmer und Unternehmen in er-
heblichem Maße steuerlich entlastet haben, und haben mit
der Modernisierung des Steuerrechts die internationale
Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen gestärkt.
Erst kürzlich haben wir die Reform des Meister-BAföG
beschlossen, die mit einem besonderen Schwerpunkt die
Existenzgründung fördert und erleichtert. Im Bündnis für
Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit haben wir
Wirtschaft und Gewerkschaft an einen Tisch gebracht und
viele kleine und große Hürden für die wirtschaftliche Ent-
wicklung Deutschlands verkleinert und beseitigt.
Wir haben die Lohnnebenkosten gesenkt. Statt 42 Pro-
zent im Jahre 1998 liegen sie heute bei 40,8 Prozent.
Diese Leistung wird noch eindrucksvoller, wenn man sich
vor Augen hält, dass die Lohnnebenkosten ohne unsere
Reformen heute bei mehr als 42,5 Prozent liegen müssten.
Auch das ist einer der Erfolge unserer Politik im Dienste
von Wachstum und Beschäftigung.
Sie fordern eine Entlastung der Familien. Wir haben
die Familien entlastet, nicht nur mit der Steuerreform, die
ich bereits erwähnt habe, sondern auch durch die Anhe-
bung des Kindergeldes und die Reform des Familien-
leistungsausgleichs mit einem Volumen von 62,2 Milliar-
den DM, die zum 1. Januar 2002 in Kraft treten wird. Re-
formen wie die des BAföG, des Meister-BAföG, der
Erziehungszeit, des Wohngeldes usw. entlasten die Fami-
lien.
Eine weitere Entlastung für die Familien ist die starke
Absenkung der Jugendarbeitslosigkeit nicht zuletzt durch
das Sofortprogramm der Bundesregierung zum Abbau der
Jugendarbeitslosigkeit. Es hat beispielsweise in meinem
Wahlkreis Darmstadt dafür gesorgt, dass es praktisch kei-
nen Jugendlichen mehr gibt, der keinen Ausbildungsplatz
hat. Wenn das keine Politik für Familien und zur Vermei-
dung von Hilfebedürftigkeit ist!
Wir haben mit unserer Reform des Arbeitsförderungs-
rechts die Möglichkeiten der Arbeitsämter stark erweitert,
die unterschiedlichsten Gründe für Arbeitslosigkeit zu be-
seitigen.
Auf diesem Wege müssen wir weitergehen. Es gibt
noch viel zu tun. Dazu dient neben MoZArT auch die Er-
probung der Niedriglohnmodelle aus Mainz und von der
Saar-Gemeinschaftsinitiative. Es ist klug, zunächst aus-
zuprobieren und die Theorie sich an der Realität beweisen
zu lassen und aus den Ergebnissen zu lernen, um letztlich
fundierte, gute, sinnvolle und differenzierte Lösungen
umzusetzen. Das ist schwieriger, als einen solchen Antrag
mit lauter frommen Postulaten zu formulieren.
Brigitte Lange (SPD): Mit ihrem Antrag, der heute
zur ersten Lesung ansteht, wiederholt die CDU/CSU For-
derungen zur „Vereinheitlichung von Sozialhilfe und Ar-
beitslosenhilfe“, die sie uns bereits vor zwei Monaten in
einem Antrag präsentierte. Leider erschöpft sich die Krea-
tivität beider Anträge mehr in den Überschriften als in den
Inhalten.
Sie beschreiben Ziele, aber Sie verraten uns nur rudi-
mentäre Lösungsansätze. Das Nebeneinander von Ar-
beitslosen- und Sozialhilfe wird seit einiger Zeit von ver-
schiedenen Seiten mehr oder minder heftig und
kontrovers diskutiert. Problembeschreibungen gibt es
viele. Vor allem werden Ineffizienz und Ineffektivität des
Nebeneinanders zweier Systeme kritisiert, die ein ge-
meinsames Ziel verfolgen: die Sicherung des Lebensun-
terhalts und die Wiedereingliederung von arbeitslosen
Hilfebeziehern in den Arbeitsmarkt. So unterschiedlich
wie Intentionen und Zielsetzungen, so unterschiedlich
sind die Lösungsansätze: Sie reichen von einer Verzah-
nung, Harmonisierung, Vereinheitlichung oder Ver-
schmelzung der Systeme, einer organisatorischen Tren-
nung von passiven und aktiven Leistungen, einer
Herauslösung passiver Leistungen bis zu einer Grundsi-
cherung, einem Sozialgeld und einem Sozialeinkommen,
das unter Sozialhilfeniveau liegen soll.
Leider wird die Diskussion mehr von dem Nebenei-
nander der passiven Transferleistungen beherrscht als von
der Kernfrage, wie die Situation von Arbeitslosen verbes-
sert und Arbeitslosigkeit überwunden werden kann. Es
gibt mehr plakative Forderungen als zielführende, durch-
dachte Konzepte. Die brauchen nämlich Zeit. Auch die
CDU/CSU kann ein solches Konzept mit ihrem vorlie-
genden Antrag nicht bieten.
Liest man die verschiedenen Papiere, die Sie in diesem
Jahr zu diesem Thema vorgelegt haben, wird deutlich,
dass auch bei Ihnen die Diskussion noch lange nicht ab-
geschlossen sein kann. Noch gehen die Zielsetzungen bei
Ihnen munter durcheinander. Mal fordern Sie eine bessere
Verzahnung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe wie in
Ihrem arbeitsmarktpolitischen Antrag vom September,
mal ein Sozialgeld wie im Papier zur „Neuen sozialen
Marktwirtschaft“ und jetzt eine Vereinheitlichung wie im
vorliegenden Antrag.
In zwei Dingen scheinen wir uns einig zu sein: Erstens.
Wir brauchen eine Reform; dazu haben wir unsere Eck-
punkte vorgelegt. Zweitens. Diese Reform kann nicht
Hals über Kopf konstruiert werden.
Sie selbst sprechen von kurzfristigen Maßnahmen und
mittel- und langfristigen Reformen. Weil Sie diese jedoch
auf Ihren Forderungskatalog anwenden, bleibt leider Ihr
Geheimnis. Dass die von Ihnen geforderte Harmonisie-
rung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe mit erheblichen
ungeklärten Problemen verbunden ist, haben Sie offen-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120794
(C)
(D)
(A)
(B)
sichtlich erkannt. Sie bemühen sich um Lösungen für ei-
nige dieser Probleme, andere Fragen bleiben offen. Auch
Ihr Vorschlag, bundesweit und flächendeckend finanzielle
Anreize zur Arbeitsaufnahme im Niedriglohnbereich ein-
zuführen, bleibt unkonkret und berücksichtigt in keiner
Weise die bisherigen – eher skeptisch stimmenden – Er-
fahrungen mit diesem Instrument.
Eine Strukturreform der Sozialhilfe lässt sich nicht von
heute auf morgen bewerkstelligen. Sie braucht eine um-
fassende und gründliche Vorbereitung. Wir unterstützen
deshalb die Bundesregierung bei ihrer sorgfältigen und
praxisorientierten Vorbereitung der Reform.
Wir haben den Armuts- und Reichtumsbereicht vorge-
legt. Dieser Bericht zeigt die Vielschichtigkeit der Notla-
gen. Es ist eben in vielen Fällen nicht mit dem bloßen An-
gebot eines Arbeitsplatzes getan, auch nicht mit einer
Verschärfung der Sanktionen. Eine an der Lebenslage
orientierte Beratung erfordert mehr: Hilfe bei Verschul-
dung, bei Suchtproblemen, bei der Wohnungssuche und
bei der Suche nach einem Kinderbetreuungsplatz. Mehr
Druck und Repressionen sind nicht zielführend. Wir wol-
len Hilfe auf gleicher Augenhöhe. Die Hilfeempfänger
sollen als Partner am Hilfeprozess mitwirken.
Ihren Vorschlag vom Sommer: „Wer nicht arbeitet, ob-
wohl ihm ein Angebot unterbreitet wurde, ... erhält künf-
tig nur noch das verfassungsrechtlich notwendige Exis-
tenzminimum, das spürbar unter den heutigen
Regelsätzen liegt und auch als Sachleistung gewährt wer-
den kann“ ändern Sie nun um – womit er nicht besser
wird – in eine „einheitliche Leistung für Arbeitsfähige“,
die „dem Niveau der ... Sozialhilfe entspricht und nur für
den gelten soll, der eine Arbeit annimmt“. Mir ist nicht
klar, ob Sie damit Ihr totales Missverständnis von Sinn
und Aufgabe der Sozialhilfe dokumentieren, die im Ge-
setz bereits vorhandenen Sanktionsmöglichkeiten leug-
nen oder einfach populistisch argumentieren wollen. Das
Sozialhilfegesetz lässt Hilfeempfängern keine Wahlmög-
lichkeit zwischen Arbeit und Sozialhilfe. Die Sozialämter
wenden die bestehenden Sanktionsinstrumente durchaus
an – aber mit Augenmaß und differenziert nach dem Ein-
zelfall.
Ob der von der CDU/CSU geforderte generelle Aus-
schluss von der Hilfeleistung, also von Geld- und Sach-
leistungen, bei Ablehnung eines Arbeitsangebots verfas-
sungsrechtlich überhaupt zulässig ist, bezweifle ich. Auch
die CDU/CSU kann jedenfalls nicht wollen, dass die Kin-
der eines Hilfeempfängers nicht das Lebensnotwendige
haben, weil ihrem Vater die Hilfe zum Lebensunterhalt
verweigert wird. Die in diesem Zusammenhang vorge-
schlagene Umkehr der Beweislast, von Ihnen als „Kern-
punkt des neuen Regelungswerkes“ bezeichnet, verrät
mehr Misstrauen als Zutrauen zu der von Ihnen geforder-
ten „intensiven Betreuung“ von Anfang an. Es geht übri-
gens nicht um Betreuung – Arbeitslose sind erwachsen –,
sondern um Beratung, die Bestandteil einer „Förderkette“
ist, die Assessment, Hilfeplanung und Fallmanagement
umfasst. Dazu sagen Sie nichts. Aber genau das ist der
entscheidende Kernpunkt – und nicht die Umkehr der Be-
weislast – für eine erfolgreiche Vermittlung in den Ar-
beitsmarkt.
In Ihrem Antrag findet sich auch kein Wort zur gesetz-
lich verpflichteten Zusammenarbeit von Arbeits- und So-
zialämtern. Ohne diese ersten Erfahrungen auch nur an-
zusprechen oder die Ergebnisse aus den Modellversuchen
abzuwarten, formulieren Sie entbehrliche Plattitüden.
Aber gerade diese Erfahrungen und Ergebnisse einer Ko-
operation bei der gegenseitigen Nutzung der Instrumente
von Arbeitslosen und Sozialhilfe, bei der Leistungsaus-
zahlung und beim Datenaustausch liefern wichtige Krite-
rien für eine Reform.
Sie fordern eine Vereinheitlichung von Arbeitslosen-
und Sozialhilfe auf Sozialhilfeniveau. Arbeitslosenhilfe-
bezieher würden ihre Ansprüche auf Lohnersatzleistun-
gen verlieren und müssten auf Sozialhilfe verwiesen wer-
den. 80 Prozent der heutigen Arbeitslosenhilfebezieher
würden deutlich geringere Leistungen erhalten.
Auch Ihr Vorschlag, die Bedingungen für zumutbare
Arbeit wie in der Sozialhilfe zu regeln, wäre nachteilig für
sie: Gewährt das SGB III den Schutz, nicht zur Annahme
sozialversicherungsfreier Beschäftigung zu verpflichten,
so ist nach dem BSHG so gut wie jede Arbeit zumutbar.
Die Zumutbarkeitsregelung des SGB III ist aber ein Qua-
lifikationsschutz, der auch gesamtwirtschaftlich Sinn
macht. Investitionen in die eigene Ausbildung und Quali-
fikation lohnen sich weniger, wenn sie nicht gegen Ent-
wertung geschützt sind.
Immerhin sehen Sie bei der Anrechnung von Vermö-
gen und bei der rentenversicherungsrechtlichen Absiche-
rung Verbesserungen gegenüber den bestehenden
BSHG-Regelungen vor. Auch Ihre Überlegung, für ar-
beitslose und gemeinnützig beschäftigte Hilfebezieher
diese Zeiten als rentensteigernd anzuerkennen, ist beden-
kenswert.
Keine Antwort geben Sie jedoch auf die Frage, wie und
von wem die Aufgaben einer zusammengeführten Ar-
beitslosen- und Sozialhilfe wahrgenommen werden sol-
len. Dass die finanzielle Verantwortung für Arbeitslose
beim Bund bleiben muss und diese gesamtstaatliche Auf-
gabe nicht den Kommunen aufgebürdet werden darf, ist
eine Überzeugung, die ich teile, aber noch kein Konzept.
Das Know-how der Arbeitsämter bei der Vermittlung
in den ersten Arbeitsmarkt und ihre Nähe zu den arbeits-
marktpolitischen Akteuren ist unverzichtbar. Unser Ziel
muss es deshalb sein, die Kompetenzen von Arbeits- und
Sozialämtern zu bündeln und Beratung und Leistungen
aus einer Hand anzubieten. In welcher Form – angesiedelt
beim Sozialamt, beim Arbeitsamt oder bei einer dritten
Stelle – dies am sinnvollsten geschehen kann, wird nach
Vorliegen der Ergebnisse aus den Modellversuchen noch
zu beantworten sein.
Aber Modellversuche erscheinen Ihnen ja zur Erkennt-
nisgewinnung als überflüssig. Deswegen fordern Sie auch
forsch die Einstellung der unterschiedlichen, örtlich be-
grenzten Modellprojekte, die Fördermöglichkeiten für ge-
ring Qualifizierte erproben sollen, und verlangen stattdes-
sen die flächendeckende Einführung von Kombilöhnen,
Einstiegsgeldern oder degressiv gestaffelter Zuschüsse zu
den Sozialversicherungsbeiträgen. Dabei stimmen erste
Erfahrungen skeptisch, ob diese Instrumente tatsächlich
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20795
(C)
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den erwünschten beschäftigungspolitischen Erfolg brin-
gen. Die Inanspruchnahme der Zuschüsse zu den Sozial-
versicherungsbeiträgen bleibt sowohl auf Arbeitgeber- als
auch auf Arbeitnehmerseite weit hinter den Erwartungen
zurück. Die gleiche Erfahrung machen wir mit dem In-
strument der Lohnkostenzuschüsse. Dagegen zeigen bis-
herige Erfahrungen, dass Lohnsubventionen die Beschäf-
tigungschancen weniger erhöhen als die offensive
Akquirierung von Arbeitsplätzen und die passgenaue Ver-
mittlung von Arbeitskräften.
Schnellschüsse bringen uns nicht weiter. Die flächen-
deckende Subventionierung von Niedriglöhnen und die
simple Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozial-
hilfe sind nicht die beschäftigungspolitischen Wunder-
mittel, für die Sie sie verkaufen. Wir lassen uns nicht da-
von abbringen, sorgfältig zu prüfen, ob und wie diese
Instrumente dem Ziel einer dauerhaften Integration von
Arbeitslosen in eine existenzsichernde Erwerbstätigkeit
dienen. Das ist das Kriterium, an dem sich alle Reform-
vorschläge messen lassen müssen – auch die der Oppo-
sition.
Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Nun tut sich also
doch etwas, Herr Riester. Sie haben sich ja lange gewehrt
und gesagt, eine Reform von Sozialhilfe und Arbeitslo-
senhilfe werde es in dieser Legislaturperiode nicht mehr
geben. Sie haben auf Ihre diversen Modellprojekte ver-
wiesen und darauf, dass diese erst ausgewertet werden
müssten. Aber nun hat Herr Müntefering ein Machtwort
gesprochen und schon bewegt sich das Ministerium. Et-
was Gescheites kommt aber wieder nicht heraus, weil Sie
einfach die Modellprojekte ausweiten. Und wo tun Sie
das? Ganz zufällig in dem Bundesland, in dem die nächs-
ten Wahlen stattfinden – in Sachsen-Anhalt! Ein Schelm,
wer Böses dabei denkt und einen Zusammenhang her-
stellt. Sie wollen bestimmt nur den Menschen helfen und
haben überhaupt nicht daran gedacht, dass Ihr guter Wille
als kühl kalkuliertes Wahlgeschenk gedeutet werden
könnte.
Die Tatsache, dass Sie zu solchen Mitteln greifen, zeigt
mir, dass Sie befürchten, die Menschen könnten genug ha-
ben von ihrer rot-roten Politik, von ehemaligen Stasi-
leuten in den Ministerien und Vetternwirtschaft bei der
Vergabe von Steuergeldern. Soll ich raten, in welchem
Bundesland Sie als nächstes flächendeckende Modellpro-
jekte ausrufen werden? Vielleicht in Mecklenburg-Vor-
pommern?
Aber jetzt zu dem Antrag, den die CDU/CSU-Fraktion
heute einbringt. Hierin haben wir über den Tag hinaus ge-
dacht und ein Konzept vorgelegt, mit dem wir zweierlei
erreichen wollen: Wir wollen, dass der, der arbeitet, mehr
Geld in der Tasche hat als der, der nicht arbeitet, sodass
sich Arbeiten auch in dem so genannten Niedriglohnbe-
reich wieder lohnt, und wir wollen mehr Menschen in Be-
schäftigung bringen und überhaupt mehr Beschäftigung
schaffen. Zu diesem Zweck muss aus meiner Sicht an
zwei Stellen unser derzeitiges System reformiert werden:
Arbeitslosen- und Sozialhilfe muss vereinheitlicht wer-
den und der Niedriglohnsektor muss attraktiver gemacht
werden.
Im Augenblick werden die Arbeitslosen von dieser Re-
gierung doch nur noch gezählt und verwaltet. Sie werden
zwischen Bundesanstalt für Arbeit und Sozialämtern hin-
und hergeschoben, von einer ABM in die nächste, da-
zwischen gibt es Geld von der Bundesanstalt, aber einen
richtigen Job im ersten Arbeitsmarkt, den gibt es für die
meisten nicht. Das hat sich in der Vergangenheit als der
falsche Weg erwiesen und das ist vor allem für die Zu-
kunft der falsche Weg. Dem Konzept der Union liegt ein
Sozialstaatsverständnis zugrunde, das von gegenseitiger
Solidarität ausgeht, das unter Solidarität Geben und Neh-
men, Leistung und Gegenleistung versteht und das das
Ziel verfolgt, die Eigenverantwortung jedes Einzelnen im
eigenen und im Interesse der Gemeinschaft zu fördern.
Unser Konzept sieht daher vor, die beiden Systeme der
Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe auf lokaler Ebene zu-
sammenzuführen. Ziel muss es sein, Menschen mit den-
selben Herausforderungen – keine Arbeit – gleiche Leis-
tungen durch dasselbe Instrument bei durchgehender
Betreuung anzubieten. Vor allem muss der Anreiz, eine
Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt anzunehmen,
deutlich erhöht werden.
Vorneweg muss eines ganz deutlich gesagt werden:
Die Vorschläge betreffen nur diejenigen, die nicht arbei-
ten, obwohl sie arbeiten könnten und Arbeits- oder Aus-
bildungsmöglichkeiten vorhanden sind. Die Union will
keiner alleinerziehenden Mutter, keinem Kranken und
keinem Behinderten die Leistungen kürzen. Auch die
Menschen, denen keine Arbeit oder keine Ausbildung an-
geboten werden kann, sollen nicht von Kürzungen betrof-
fen sein. Voraussetzung für das Gelingen der Reformvor-
stellungen ist deshalb, dass mithilfe des von der Union
vorgeschlagenen Familiengeldes Kinder aus der Sozial-
hilfe herausgeholt werden und dass mit dem ebenfalls von
der Union geforderten Leistungsgesetz für Behinderte be-
hinderte Menschen gleichermaßen nicht mehr im Sozial-
hilfebezug sind, sondern einen Anspruch aufgrund eines
bundesfinanzierten Leistungsgesetzes erwerben. Mit die-
sen beiden Vorhaben wird erreicht, dass die Maßnahmen
des neu zu schaffenden Hilferechts gezielt auf arbeits-
fähige Hilfebezieher zugeschnitten werden können.
Für diejenigen, die jung genug und gesund sind, deren
familiäre Situation es zulässt und für die eine Arbeit oder
ein Ausbildungsplatz vorhanden ist, muss etwas geändert
werden. Allein bei den 2,7 Millionen Sozialhilfeempfän-
gern wird angenommen, dass rund 800 000 Menschen
grundsätzlich arbeitsfähig sind. Die Union will nicht, dass
bereits junge Menschen eine Art Sozialhilfekarriere be-
ginnen, indem sie keinen Schulabschluss erwerben, keine
Berufsausbildung machen und anschließend mit wenig
befriedigenden Gelegenheitsjobs oder auch Schwarzar-
beit ihr Leben fristen. Die Union will auch nicht, dass
Menschen, die schwer arbeiten und damit nur ein gerin-
ges Einkommen erzielen, mit ihren Steuern und Sozial-
abgaben diejenigen finanzieren, die durchaus selber ar-
beiten könnten, es aber nicht tun. Es gibt viele unbesetzte
Stellen in Deutschland. Nach Angaben der Bundesanstalt
für Arbeit gibt es in ganz Deutschland rund 1,6 Millionen
offene Stellen. Hiervon ist jede zweite Stelle für Nicht-
Facharbeiter oder einfache Angestellte geeignet. Ein wei-
teres kommt hinzu: Im Jahr 2000 wurden fast 1,1 Milli-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120796
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onen Arbeitserlaubnisse für ausländische Arbeitnehmer
erteilt, von denen die Mehrzahl deshalb erteilt wurde, weil
sich kein inländischer Arbeitnehmer für die jeweilige Be-
schäftigung fand.
Auch wenn die Arbeitsplätze nicht immer genau da
sind, wo die Arbeitslosen sind und die Qualifikationen
nicht immer zu den Anforderungen passen, so ist es
gleichzeitig wahr, dass viele Arbeiten nur deshalb nicht
angenommen werden, weil die staatliche Hilfe, oft zu-
sammen mit Schwarzarbeit, dem Betroffenen ausreicht
und es zudem der bequemere Weg für ihn ist. Wir müssen
daher auch die weniger gut bezahlten Jobs für die Men-
schen attraktiv machen. Hierzu kann man Kombilöhne
oder das Einstiegsgeld nutzen oder, was mir persönlich
am besten gefällt, man bezuschusst den Arbeitnehmeran-
teil der Sozialversicherungsbeiträge und führt degressiv
gestaffelte Beiträge ein, wie wir das aus dem Steuerrecht
kennen. Ziel ist es jedenfalls, den Nettolohn desjenigen,
der eine Arbeit annimmt, deutlich über das Sozialhilfeni-
veau zu heben.
Die Vorschläge der Union zur Vereinheitlichung von
Sozial- und Arbeitslosenhilfe sehen im Einzelnen vor:
Das Regel-/Ausnahmeverhältnis der derzeitigen So-
zialhilfe wird umgekehrt. Das Sozialamt muss nicht mehr
die Zahlungen kürzen, wenn eine zumutbare Arbeit oder
Ausbildung verweigert wird, sondern der Hilfeempfänger
hat von vornherein nur dann einen Anspruch auf die volle
Leistung, wenn er nachweist, dass er entweder ein vor-
handenes Arbeitsangebot annimmt, einer gemeinnützigen
Tätigkeit nachgeht oder eine Ausbildung absolviert.
Nimmt er das Angebot nicht an, bedarf er offensichtlich
nicht der Hilfe.
Hilfeempfänger ohne berufliche Qualifikation sind
verpflichtet, eine Berufsausbildung zu absolvieren, um
den ungeschmälerten Leistungsanspruch zu bewahren.
Ausländische Sozialhilfeempfänger mit Sprachdefizi-
ten müssen zum Deutschunterricht gehen, wenn sie einen
Anspruch auf die ungeschmälerten Leistungen haben
wollen.
Es gelten einheitliche Zumutbarkeitskriterien für die
Annahme einer Arbeit. Sozialhilfeempfänger und Emp-
fänger von Arbeitslosenhilfe erhalten beide aus Steuer-
mitteln Transferleistungen, weil sie keine Arbeit haben.
Von beiden Personengruppen kann mit demselben Recht
erwartet werden, dass sie eine Eigenleistung erbringen,
um aus dem Hilfebezug herauszukommen.
Das Leistungsniveau von Sozialhilfe und Arbeitslosen-
hilfe wird schrittweise angeglichen.
Ältere Arbeitnehmer, die wenigstens 15 Jahre erwerbs-
tätig waren, können ihr Erspartes behalten.
Die Hilfeempfänger werden von Anfang an und durch-
gängig betreut und beraten.
Lassen Sie mich noch etwas zu den Kosten und zu den
Auswirkungen auf die Beschäftigung sagen: Es wird si-
cherlich eine beträchtliche Anschubfinanzierung brau-
chen, um die Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Aber
die Gegenrechnung ist eigentlich ganz einfach: Es ist bil-
liger, einen Arbeitnehmer mit 200 DM im Monat zu sub-
ventionieren als denselben Menschen arbeitslos sein zu
lassen und ihm 2000 DM an Sozialleistungen zu zahlen.
Ganz abgesehen davon ist es unsere Verpflichtung als So-
zialpolitiker, den Menschen eine Perspektive für ein
selbstbestimmtes autonomes Leben zu geben und sie
nicht mit viel Geld aus dem Erwerbsleben und der gesell-
schaftlichen Teilhabe herauszukaufen.
Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass dies der einzig
richtige Weg ist. In den 1990er-Jahren kam es in Däne-
mark zu einem erheblichen Rückgang der Arbeitslosig-
keit. Innerhalb von nur 5 Jahren ging die Arbeitslosigkeit
von fast 12 Prozent auf 5,5 Prozent zurück. Grund hierfür
waren die Reformen auf dem Arbeitsmarkt: Verschärfung
der Anforderungen an Arbeitslose – Rechte und Pflichten .–
Die Arbeitslosenunterstützung ist zwar relativ hoch, dafür
ist der Betroffene verpflichtet, ein angebotenes Arbeits-
oder Ausbildungsverhältnis anzunehmen; strengere Ver-
fügbarkeitsregeln; Verkürzung der Leistungsdauer für Ar-
beitslosengeld.
Wenn wir es in Deutschland schaffen sollten, die
Arbeitslosenquote von derzeit über 9 Prozent auf etwa
5 Prozent zu senken, dann können wir über 50 Milliarden
DM jährlich einsparen.
Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist
schon überraschend, welches Bild der sozialen Sicherung
die Union in ihrem Antrag zeichnet. Gehen wir von den
Fakten aus, von der sozialen Wirklichkeit: Die Zahl der
Sozialhilfeempfänger und -empfängerinnen hat sich in
Deutschland unter der Regierung von CDU/CSU und
FDP vervierfacht. Insbesondere Kinder wurden unter
Schwarz-Gelb zu einem Armutsrisiko, nicht nur am Rand
der Gesellschaft, sondern bis in die Mitte der Gesellschaft
hinein – ein unglaublicher Skandal in einem der reichsten
Länder der Welt.
Rot-Grün hat die Armut in den letzten drei Jahren nicht
beseitigt. Das konnte auch niemand ernsthaft erwarten.
Aber wir haben den Trend umgekehrt. Die Zahl der So-
zialhilfeempfänger und -empfängerinnen nimmt seit 1999
ab. Familien mit Kindern werden unter Rot-Grün besser
gestellt – gerade auch im unteren und mittleren Einkom-
mensbereich. Verglichen mit 1998 wird eine Durch-
schnittsfamilie im Jahr 2002 um 1 500 Euro entlastet, die
Ökosteuer inbegriffen. Wir tun also sehr viel, um zu ver-
hindern, dass Menschen auf Sozialhilfe angewiesen sind.
Dennoch will ich einräumen – und das verschweigen
wir ja auch an keiner Stelle: Wir haben mit dem System
der Sozialhilfe, wie es sich heute darstellt, eine Reihe von
gravierenden Problemen. Darauf weist zum Teil zu Recht
auch die Liste hin, welche die Union in ihrem Antrag prä-
sentiert hat. Nur: So richtig originell ist das alles nicht und
vieles, was Sie in Ihrem Antrag vom 13. November 2001
fordern, ist bereits seit Jahren auf den Weg gebracht wor-
den.
Zum Teil scheint Ihnen das selbst sogar peinlich zu
sein. So verstehe ich zumindest den Zusatz „wie dies zum
Teil schon praktiziert wird“ im Zusammenhang mit Ihrer
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20797
(C)
(D)
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Forderung nach konkreten Eingliederungsangeboten für
Hilfesuchende.
Ein weiteres Problem ist die mangelnde Durchlässig-
keit der Sozialhilfe – der Fallbeileffekt, wie er in der
Fachöffentlichkeit genannt wird. Hierzu gibt es in vielen
Bundesländern Modellversuche, die Arbeit und Sozial-
hilfe so kombinieren, dass für die Empfänger und
-empfängerinnen ein positiver Anreiz entsteht. Deshalb
haben wir auch eine Reihe von Modellprojekten zur Ko-
operation von Sozial- und Arbeitsämtern gestartet, um die
Abschottung beider Systeme zu überwinden und auch So-
zialhilfeempfänger und -empfängerinnen in Arbeitsför-
dermaßnahmen einzubeziehen. An diesem Punkt be-
schränkt sich die Union auf Allgemeinplätze.
Wir haben auch das Problem der Überbürokratisie-
rung, der – nennen wir es ruhig so – bürokratischen Be-
vormundung von Sozialhilfeempfängern und -empfänge-
rinnen, die sie in einem Status der Unmündigkeit belässt,
statt sie positiv zu motivieren und zu beraten. Wir haben
deshalb – im Rahmen einer Experimentierklausel – eine
Reihe von Modellversuchen gestartet, um Leistungen zu
pauschalieren und die Verwaltung zu vereinfachen.
Dabei sollten wir auch nicht die Probleme verschwei-
gen, die sich jetzt bereits andeuten: Manche Kommunen
verwechseln Pauschalierung mit einer massiven Leis-
tungskürzung und es stellt sich auch die Frage, ob langle-
bige Gebrauchsgüter wirklich bei jeder Personengruppe
Teil der Pauschale werden sollen.
Der rechte Teil des Hauses hält in Sachen Sozialhilfe
nicht das von uns angestrebte Gleichgewicht des „För-
derns und Forderns“.
Vergessen Sie bitte auch eines nicht: Die mangelnde
Vermittelbarkeit von Sozialhilfeempfängern und -emp-
fängerinnen hat nur in wenigen Fällen mit mangelnden fi-
nanziellen Anreizen zu tun. Wir ignorieren diese wenigen
Fälle nicht, wir unterstützen sie. Aber wir verallgemei-
nern auch nicht, nur weil dies der Lufthoheit über den
Stammtischen dienen könnte.
Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe beziehende Men-
schen haben oft ein Qualifizierungsproblem. Sie haben
auch ein Imageproblem, weil ihnen viele Arbeitgeber
nicht zutrauen, sich aus der Sozialhilfe wieder in ein re-
guläres Arbeitsverhältnis einzugliedern. Sie haben ferner
oft ein Problem mit der mangelnden Infrastruktur an Be-
ratung und an Kinderbetreuungsmöglichkeiten.
An all diesen Stellen wird Rot-Grün aktiv. Wir wissen:
Nur eine Kombination vieler abgestimmter Maßnahmen
verspricht Erfolg. Die Zusammenlegung von Arbeitslo-
sen- und Sozialhilfe zu einem einheitlichen Hilfesystem
macht im Prinzip Sinn.
Wir Grüne treten schon lange für eine bedarfsorien-
tierte Grundsicherung ein, die dies leistet. Allerdings darf
eine Vereinheitlichung nicht zulasten von Qualität gehen,
nicht zulasten von individuell passgenauen Hilfen und sie
darf nicht dazu führen, dass mehr Menschen dauerhaft in
Armut verbleiben. Im Gegenteil: Es muss darum gehen,
Armut durch Hilfe zur Selbsthilfe zu überwinden, durch
einen sinnvollen Mix aus Fördern und Fordern.
Die Einseitigkeit der Union führt hier in die Irre. Ich
vermute, das wissen Sie selbst; sonst könnten Sie in Ihrem
Antrag wenigstens ein bisschen konkreter werden.
Es macht auf kurze und mittlere Sicht durchaus Sinn,
ohne einen großen und sehr komplexen Systemwechsel
einzelne Personengruppen aus der Sozialhilfe herauszu-
nehmen – zumal dann, wenn sie dem Arbeitsmarkt nicht
zur Verfügung stehen. Bei älteren Menschen haben wir
das im Rahmen der Rentenreform gemacht. Wir wollen
diesen Ansatz auf weitere Personengruppen ausdehnen
und wir wollen insbesondere die eigenständige Existenz-
sicherung von Kindern und Jugendlichen so verbessern,
dass sie und ihre Familien von Sozialhilfe unabhängig
sind.
Das ist natürlich auch ein Hinweis auf die grüne Kin-
dergrundsicherung, nicht zuletzt weil die Kindergrundsi-
cherung die offene und verdeckte Armut effektiv
bekämpft, weil sie auch Menschen in prekären Einkom-
mensverhältnissen oberhalb der Armutsschwelle unter-
stützt und weil sie problemlos finanzierbar ist. Die Kin-
dergrundsicherung ist inzwischen offiziell Gegenstand
der Beratungen in der Koalition. Vor allem ist sie kein un-
gedeckter Scheck wie das Familiengeld der Union, das
zudem mit teilweise nicht genau eingegrenzten Ver-
schlechterungen bei sozial Benachteiligten kombiniert
werden soll.
Dies alles zeigt: Die Union hat keine diskutablen Al-
ternativen vorzuweisen. Die rot-grüne Koalition hingegen
arbeitet konzentriert und lösungsorientiert.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Es ist schön, dass nun
die Union als letzte der im Bundestag vertretenen Parteien
einen Antrag zu diesem wichtigen arbeitsmarkt- und sozi-
alpolitischen Thema vorlegt. Während die rot-grünen
Bundestagsfraktionen hierzu lediglich einen Entschlie-
ßungsantrag mit Wirkung für das Jahr 2003 vorgelegt ha-
ben, obwohl sie jetzt, 2001, handeln könnten, enthält der
Antrag der Union Vorstellungen, die wir im Grundsatz mit
unterstützen.
Verhehlen will ich freilich nicht den sich bei Lektüre
der CDU-Vorlage aufdrängenden Eindruck, die insgesamt
drei FDP-Anträge vom 9. Mai sowie 25. September 2001
für eine beschäftigungsorientierte und aktivierende So-
zialhilfe-Reform seien Vorbild der CDU-Anträge gewe-
sen.
Für die FDP gilt: Sozialhilfe muss so ausgestaltet wer-
den, dass sie einerseits den tatsächlich Bedürftigen ein Le-
ben in Würde ermöglicht, andererseits aber zugleich die
Selbstständigkeit aller Hilfeempfänger stärkt und Leis-
tungsmissbrauch vermeiden hilft. Wir wollen nicht, dass
die subsidiäre Hilfegewährung eine „Kultur der Unselbst-
ständigkeit“ hervorbringt.
Von rund 2,7 Millionen Sozialhilfeempfängern sind
etwa 800 000 Menschen grundsätzlich arbeitsfähig.
Warum lohnt es sich für viele dieser rund 800 000 arbeits-
fähigen Sozialhilfeempfänger nicht, eine Arbeit anzuneh-
men? Es liegt am Lohnabstand. Gerade bei niedrigem Ein-
kommen ist der Lohnabstand zu gering. So liegt das
Transfer-Einkommen einer Sozialhilfefamilie mit 2 940
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120798
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DM lediglich 260 Mark unter dem durchschnittlich ver-
fügbaren Monatseinkommen eines Alleinverdieners mit
zwei Kindern einschließlich Kindergeld von 3 200 DM.
Für untere Lohn- und Gehaltsgruppen stellt sich das noch
ungünstiger dar.
Hinzu kommt: Ein arbeitswilliger Sozialhilfeempfän-
ger kann derzeit, wenn er arbeiten will, höchstens 275 DM
hinzuverdienen. Jeder Zuverdienst darüber hinaus wird
ihm zu 100 Prozent, also voll, auf die Sozialhilfe ange-
rechnet. Ein echter Anreiz, nichts zu tun!
Im Unterschied zur Union hat die FDP hierfür einen
präzisen Lösungsvorschlag unterbreitet. Die Anreize in
der Sozialhilfe, wieder in das Erwerbsleben zurückzukeh-
ren, müssen gestärkt werden: Die Freibeträge in der So-
zialhilfe sind zu erhöhen, finanziert über eine Reform des
Finanzausgleichs, und die Anrechnungssätze müssen
langsamer ansteigen. Diese Maßnahmen sind temporär
einzuräumen, um zu verhindern, dass Arbeitnehmer dis-
kriminiert werden, die auch ohne Sozialhilfe bereit sind
zu arbeiten. Schließlich muss der Eingangssteuersatz be-
reits 2002 auf 15 Prozent gesenkt werden. Hierfür haben
wir im Mai dieses Jahres einen ausführlichen Antrag vor-
gelegt. Darüber hinaus brauchen wir die rechtlichen Vor-
aussetzungen, um neu zu schaffende und zu fördernde
Arbeitsplätze auch außerhalb des derzeit gültigen Tarif-
systems zu ermöglichen.
Ein weiteres Problem der derzeitigen Ausgestaltung
unseres Sozialsystems muss angesprochen werden. Es
gibt keine überzeugende Begründung dafür, warum es in
Deutschland mehrere steuerfinanzierte Fürsorgeleistun-
gen für einen Tatbestand, nämlich den der Arbeitslosig-
keit, gibt. Während die Sozialämter Sozialhilfe in Höhe
von rund 40 Milliarden DM leisten, zahlt der Bund Ar-
beitslosenhilfe in Höhe von rund 25 Milliarden DM. Al-
leine die Verwaltung beider Sozialleistungen verbraucht
jährlich rund 7 Milliarden DM.
Die FDP fordert daher, die Arbeitslosenhilfe vollstän-
dig mit der Sozialhilfe zu einem System mit einer Leis-
tung, mit klaren Zuständigkeiten, eingleisigen Verfahren
und schlankerer Verwaltung zusammenzufassen. Wir be-
grüßen, dass dies von der Union nun auch so gesehen
wird.
Gleichzeitig muss mit dieser Reform ein dauerhafter
föderaler Finanzausgleich erfolgen: Für die durch den
Wegfall der Arbeitslosenhilfe sowie weiterer Personalkos-
ten ersparten Leistungen muss der Bund den Kommunen
einen – je nach deren Aufwendungen – jährlich im Voraus
festgelegten Betrag geben, sodass ein Budgetsystem mit
dem Anreiz – diesen Gedanken vermisse ich im Unions-
antrag – zum sparsamen Haushalten geschaffen wird.
Auch hierfür haben wir im Mai einen ausführlichen An-
trag vorgelegt.
Zu guter Letzt muss das Gerechtigkeitsprinzip „Keine
Leistung ohne grundsätzliche Bereitschaft zur Gegenleis-
tung“ deutlicher zur Geltung gebracht werden. Bereits
nach geltendem Recht kann dem Sozialhilfeempfänger
der Leistungsanspruch um 25 Prozent gekürzt werden,
wenn er eine zumutbare Arbeit nicht annimmt, bzw. sein
Anspruch kann bei weiteren Verstößen auch ganz entfal-
len. In der Praxis erwiesen sich diese Sanktionsmechanis-
men allerdings bislang als wenig effektiv, und es war sehr
aufwendig, diese auch „gerichtsfest“ zu gestalten. Zur
Feststellung der Sachlage bedarf es im Einzelfall erhebli-
chen Prüfungsaufwandes. Die Ämter machen daher bei
der Durchführung von den vorhandenen Sanktionsmög-
lichkeiten nur zurückhaltend Gebrauch.
Eine Sozialhilfe-Reform muss also darauf hinwirken,
die Eigenverantwortung und das Solidaritätsprinzip, wel-
ches im Kern ein Gegenseitigkeitsprinzip ist, zu stärken.
Die vorhandenen Sanktionsmechanismen müssen daher in
Zukunft straffer und stärker angewandt werden. Während
bisher die Beweislast, dass ein Sozialhilfeempfänger ent-
gegen seiner Behauptung arbeitsfähig ist, nach der Recht-
sprechung beim Sozialamt liegt, wollen wir – und die
Union hat sich klugerweise angeschlossen – eine Umkehr
der Beweislast: Der Sozialhilfeempfänger muss darlegen,
dass er nicht selber seinen Lebensunterhalt bestreiten
kann, wenn er staatliche Unterstützung will. Nur beim
Nachweis eigener Bemühungen zur Aufnahme von Arbeit
besteht dann der Anspruch auf das so genannte sozio-kul-
turelle Existenzminimum, also diejenigen Leistungen, die
über das materielle Existenzminimum hinaus für die Ein-
gliederung des Bedürftigen in die Gesellschaft erforderlich
sind.
Die Opposition in diesem Haus, FDP und Union, ha-
ben deutlich gemacht, wie ihre Vorstellungen zur Reform
der Sozialhilfe aussehen. Die derzeitige Bundesregierung
hingegen will erst nach der Bundestagswahl konkrete Re-
formvorschläge machen. Die ruhige Hand aber ist gerade
bei dieser Frage besonders fehl am Platze. Es geht um
wertvolle Zeit, die jetzt genutzt werden muss.
Pia Maier (PDS): Es geht auf Weihnachten zu. Der
Titel des Antrages der CDU „Hin zu einer Kultur von
Geben und Nehmen“ klingt in dieser Zeit ja sehr ange-
messen. Ich dachte immer, im Sinne der christlichen
Weihnacht hieße es: Geben ist seliger denn Nehmen.
Was die CDU hier anbietet, ist den Leuten die Arbeits-
losenhilfe weg zu nehmen und ihnen nur gegebenenfalls
Sozialhilfe zu geben. Damit schicken sie fast 1,5 Milli-
onen Menschen in die Armut. Die CDU will, dass alle
Arbeitsfähigen erst beweisen, dass sie Arbeit annehmen
würden. Dann sollen sie erst vollen Anspruch auf staatli-
che Unterstützung haben. – Christlich ist das ganz gewiss
nicht, vereinbar mit dem Grundgesetz und der Menschen-
würde aber auch nicht.
Sie gängeln mit diesem Antrag alle Arbeitslosen, die
nach einem Jahr keinen neuen Arbeitsplatz haben.
Es soll ja vorkommen bei 4 Millionen Arbeitslosen.
Vermutlich fehlen 7 Millionen Arbeitsplätze. Da sind
1,5 Millionen offene Stellen nur ein schwacher Trost. Ar-
beitslosigkeit ist ein strukturelles Problem, nicht nur eines
fehlender oder falscher Qualifikation. Es kommt heute oft
genug vor, dass gut ausgebildete Menschen ihren Arbeits-
platz verlieren und ein Jahr lang keine Arbeit finden. Die
sollen ihrem Willen nach dann keinen Anspruch auf
Arbeitslosenhilfe mehr haben, wenn überhaupt bekämen
sie Sozialhilfe.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20799
(C)
(D)
(A)
(B)
Darf ich Ihnen mal vorrechnen, was einer normalen
Familie dann passieren würde? Ein Fallbeispiel, nach Ma-
terial von Prof. Gerhard Bäcker/Hochschule Niederrhein,
ein Beispiel aus dem Jahr 2000, das in anderen Bundes-
ländern so ähnlich wäre: Der Ehemann, 42, 14 Monate ar-
beitslos, vorher 6 000 Mark brutto, Ehefrau, erwerbstätig,
2 900 Brutto, beide Steuerklasse IV, ein Kind: 5 Jahre alt,
Warmmiete 828 Mark. Im Anschluss an das Arbeitslosen-
geld hat der Ehemann rechnerisch Anspruch auf Arbeits-
losenhilfe in Höhe von 1 950 Mark und auf 270 Mark
Kindergeld. Dann die Bedürftigkeitsprüfung: Das Ein-
kommen der Ehefrau wird angerechnet, Unterhalt für das
Kind und andere Sachen wieder abgezogen. Ausgezahlt
werden 1 721,15 Mark Arbeitslosenhilfe. Das Haushalts-
einkommen der Familie läge nach derzeitigem Recht bei
4 027 Mark. Ihrem Antrag folgend, gäbe es nach dem Ar-
beitslosengeld keinen lohnbezogenen Anspruch mehr, nur
gegebenenfalls Sozialhilfe.
Was würde der Beispielfamilie passieren? Sozialhilfe
rechnet für die Familie mit einem Kind, alte Bundeslän-
der einen Gesamtbedarf von 1 260 Mark, plus Warmmiete
macht hier 2 088 Mark. Das Einkommen der Ehefrau wird
voll angerechnet, ebenso das Kindergeld. Es bleibt ein
Anspruch auf 150,50 ergänzende Sozialhilfe. Das Haus-
haltseinkommen läge bei 2 456,50 DM. Das sind gut
1 500 DM weniger.
Schöne Bescherung, die Sie den Familien hier bieten.
Das ist nicht nur ein Computer weniger für die Kleine auf
dem Gabentisch. Das heißt auch keine Rentenbeiträge,
kein Berufsschutz, quasi Arbeitszwang. Denken Sie bitte
nochmal darüber nach, wenn Sie mit Ihrer Familie unterm
Weihnachtsbaum sitzen! Malen Sie sich aus, wie es Ihren
Angehörigen ginge, die jetzt normal verdienen! Nach ei-
nem Jahr Arbeitslosigkeit endet das Arbeitslosengeld.
Dann bleibt nur der Anspruch auf Sozialhilfe.
Das ist wirklich ein gigantisches Verarmungspro-
gramm. Und nebenbei: Gerade hat das DIW festgestellt,
dass mehr Geld in den Taschen von Normalverdienern das
Wachstum antreibt, Arbeitsplätze schafft – wie in Frank-
reich geschehen. Die Lohnzurückhaltung hierzulande war
ein Fehler und weitere Verarmung derer, die auf Sozial-
leistungen angewiesen sind, wäre es auch.
Dabei gibt es heute schon genug Arbeitslose, die in Ar-
mut leben. Wenn das Einkommen nur unterdurchschnitt-
lich war, das Berechnungsgrundlage der Arbeitslosenhilfe
ist, ist der Punkt schnell erreicht, an dem ergänzende So-
zialhilfe beantragt werden könnte.
Im Gegensatz zu den guten Gaben der CDU, schlägt
die PDS etwas vor, was das Einkommen bei Arbeitslosig-
keit sichert: Eine Grundsicherung in der Arbeitslosenver-
sicherung. Wie bei der Rente sollen Arbeitslosen Leistun-
gen in Höhe der Sozialhilfe garantiert werden. Die sollen
ihnen nicht nur zustehen, wie jetzt auch schon, sie sollen
diese Leistungen ohne weiteren Ärger mit den Ämtern
auch erhalten. Wir wollen, dass sich ein Amt um alle Ar-
beitslosen kümmert – auch um die, die heute noch in der
Sozialhilfe sind, weil sie noch gar keinen Anspruch in der
Arbeitslosenversicherung aufgebaut haben.
Wir wollen, dass die Leistungen gebündelt werden. Es
sind immerhin beides steuerfinanzierte Leistungen. Die
Kommunen haben die Arbeitslosigkeit lange genug mit-
finanziert und könnten eine Entlastung vertragen. Wir
wollen, dass sowohl die Betreuung und Unterstützung des
Sozialamtes in Anspruch genommen werden kann, wenn
nötig, wie auch die Möglichkeiten zur Qualifizierung,
Weiterbildung, Arbeitsförderung, die das Arbeitsamt bie-
tet. Das liegt im Interesse aller, die arbeiten wollen.
Meine Damen und Herren, das wäre eine Zusammen-
führung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, die der
Vorweihnachtszeit angemessen ist. Das wäre kein Ver-
armungsprogramm, weder jetzt noch im Alter. Damit
könnten sich die Familien keine Edeltanne leisten, aber
wenigstens einen Weihnachtsbaum.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Übergangslösung für Umsatzbesteuerung von
Sportanlagen
– Umsatzbesteuerung von Sportanlagen wirt-
schaftsfreundlich gestaltet
(Tagungsordnungspunkt 28 und Zusatztages-
ordnungspunkt 25)
Horst Schild (SPD): Der BFH hat mit seinem Urteil
vom 31. Mai 2001 seine bisherige Rechtsprechung zur
Umsatzsteuerpflicht der Vermietung von Sportanlagen
aufgegeben. Die Vermietung ist nicht mehr in eine um-
satzsteuerfreie Grundstücksvermietung und eine umsatz-
steuerpflichtige Vermietung von Betriebsvorrichtungen
aufzuteilen. Vielmehr wird unter Hinweis auf die neueste
Rechtsprechung des EuGH eine einheitliche umsatzsteu-
erpflichtige Leistung angenommen.
Das Urteil wurde von einem Angehörigen der Branche
erstritten. Es schafft zunächst einmal Rechtssicherheit, da
bisher häufig Streitfälle der Anlagenbetreiber mit der Fi-
nanzverwaltung über die Abgrenzung der Einnahmen auf-
traten, welche auch eine sehr differenzierende Rechtspre-
chung bewirkt hatten.
Nach Veröffentlichung im Bundessteuerblatt II ist das
Urteil allgemein zu beachten. Für neue Investitionen in
Sportanlagen ist nunmehr der volle Vorsteuerabzug zuläs-
sig. Gleiches gilt für die Erweiterung und Modernisierung
von Altanlagen. Dies kann zu einem spürbaren Investiti-
onsschub führen.
Für Altanlagenbetreiber können gleichwohl Schwie-
rigkeiten auftreten. Diesen stand in der Vergangenheit
nicht die Vorsteuerabzugsmöglichkeit ihrer Investitionen
zu. In Zukunft unterliegen sie dagegen einer vollen Um-
satzsteuerpflicht.
Steuerliche Milderungen ergeben sich für Altanlagen-
betreiber aus dem Umsatzsteuergesetz und der Abgaben-
ordnung. Für Altanlagen, die weniger als zehn Jahre be-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120800
(C)
(D)
(A)
(B)
trieben wurden, besteht nach § 15 a UStG die Möglichkeit,
zugunsten des Unternehmers noch eine teilweise Berichti-
gung des Abzuges der auf die Anschaffungs- und Herstel-
lungskosten entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen.
Dieses nachträgliche teilweise Vorsteuerabzugsrecht be-
steht nicht für Betreiber, deren Anlagen älter als zehn Jahre
sind.
Sollte die neue Rechtsprechung dazu führen, dass die
Erhebung der Umsatzsteuer im Einzelfall unzumutbar
oder mit erheblichen Härten verbunden ist, kommen per-
sönliche Billigkeitsmaßnahmen nach den §§ 163, 227 AO
durch das zuständige Finanzamt in Betracht. Da nicht aus-
geschlossen werden kann, dass diese Milderungsoptionen
ausreichend sind, und die Existenzfähigkeit von Altan-
lagenbetreibern berührt sein kann, prüfen wir derzeit die
konkreten Auswirkungen der neuen Rechtsprechung und
wägen ab, ob eine Übergangsregelung notwendig ist.
Norbert Barthle (CDU/CSU): Die heutige Debatte
hat den Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion „Über-
gangslösung für Umsatzbesteuerung von Sportanlagen“
zum Gegenstand. Ziel dieses Antrags ist es, unsere Sport-
vereine, deren Hunderttausende Mitglieder und auch die
in die Millionen gehenden, nicht organisierten Sporttrei-
benden vor neuen finanziellen Belastungen zu schützen.
Dieses Ziel ist, denke ich, bei allen Fraktionen dieses Ho-
hen Hauses unumstritten. Ich würde mich sehr freuen,
wenn wir uns im Laufe der Debatte auch über den Weg da-
hin einigen könnten; unsere Vereine und ihre Mitglieder
sollten es uns wert sein.
Der Anlass für diese Debatte ist eigentlich ein sehr er-
freulicher: Mit Urteil vom 31. Mai 2001 hat der Bundes-
finanzhof die kommerzielle Nutzungsüberlassung von
Sportanlagen in vollem Umfang der Umsatzsteuer unter-
worfen. Er beurteilte die Vermietung von Sportanlagen als
einheitliche Leistung und verabschiedete sich damit von
seiner früheren Rechtsprechung und auch der Verwal-
tungspraxis, die eine Aufteilung in 80 Prozent steuerfreie
und 20 Prozent steuerpflichtige Einnahmen vorsah. Damit
werden zum Beispiel die Einnahmen, die ein Tennisclub
durch die Vermietung seiner Plätze an Nichtmitglieder er-
zielt, vollständig umsatzsteuerpflichtig.
Diese Änderung wird im Grundsatz von der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt. Zum einen ist es
im Hinblick auf Vereinfachung und Vereinheitlichung
sinnvoll, dass nicht mehr zwischen steuerfreier Grund-
stücksvermietung und steuerpflichtiger Vermietung von
Betriebsvorrichtungen unterschieden wird. Wie das Bun-
desfinanzministerium in seiner Bewertung des Urteils
vom 27. August 2001 zutreffend ausführt, hilft es, die bis-
weilen undurchsichtige Kasuistik und die differenzie-
rende Rechtsprechung zu diesem Thema zu beseitigen, es
schafft Klarheit und Rechtssicherheit.
Zum anderen ist mit dieser einheitlichen Unterwerfung
aller Einnahmen unter die Umsatzbesteuerung auch ver-
bunden, dass den Vereinen zukünftig bei der Anschaffung
oder Herstellung neuer Sportanlagen für die gesamten
Kosten in vollem Umfang der Vorsteuerabzug zusteht und
nicht – wie bisher – ebenfalls nur anteilig für die Be-
triebsvorrichtungen. Dieser Vorsteuerabzug wird zukünf-
tig bei der Finanzierung neuer Sportstätten als Finanzie-
rungsinstrument eine wichtige Rolle spielen. Die volle
Umsatzsteuerbelastung wird dabei sicher gerne in Kauf
genommen werden; die kann direkt bei der Kalkulation
mit einbezogen werden. Dabei ist die belastende Wirkung
wesentlich geringer, als die entlastende Wirkung, die
durch den Vorsteuerabzug entsteht.
In jedem Fall wird den Sportvereinen geholfen, sich
auf die veränderten Rahmenbedingungen einzustellen.
Denn wie sieht die Realität in unseren Sportvereinen aus?
Es bedarf angesichts der zahlreichen neuen Trendsport-
arten, der vielfältigen sonstigen Möglichkeiten der
Freizeitgestaltung enormer Anstrengungen, um für die
Mitglieder und Gäste attraktiv zu bleiben. Neubau, Umbau,
Ausbau, das Schaffen zusätzlicher Sport- und Freizeitan-
gebote stellt viele unserer Vereine vor nur schwer lösbare
Probleme. Der zukünftig mögliche Vorsteuerabzug wird sie
besser in die Lage versetzen, auf die neuen Herausforde-
rungen zu reagieren und sich dem geänderten Freizeitver-
halten der Menschen in Deutschland anzupassen.
Ein kleines „ceterum censeo“ sei mir als Philologen
hier gestattet: Angesichts der vielen Knüppel, die die rot-
grüne Bundesregierung gerade den Ehrenamtlichen und
den Vereinen in diesem Land in den letzten drei Jahren
zwischen die Beine geworfen hat – erinnert sei zum Bei-
spiel an das 630-Mark-Gesetz sowie die Regelungen zur
Scheinselbstständigkeit –, ist jede Verbesserung der Si-
tuation auch dringend notwendig.
Doch zurück zum Thema: Warum unser Antrag, wenn
sich die Situation der Vereine doch so verbessert hat?
Ganz einfach, die neue Rechtsprechung und auch die
Schlussfolgerungen, die vom Bundesfinanzministerium
und der Finanzverwaltung daraus gezogen werden, haben
einen großen Pferdefuß: Sie gelten uneingeschränkt auch
für die Betreiber von bereits bestehenden Sportanlagen,
und die damit verbundenen Belastungen sind für diese
Betreiber, für die Vereine nicht akzeptabel. Für die Be-
treiber dieser so genannten Altanlagen gilt zwar einerseits
die unbeschränkte Umsatzsteuerpflicht, andererseits aber
partizipieren sie nur sehr eingeschränkt von der Möglich-
keit des Vorsteuerabzugs. Diese Schieflage ist zu korri-
gieren. Dazu fordern wir Sie mit unserem Antrag auf, und
ich hoffe, Sie werden sich diesem Ansinnen nicht ver-
schließen.
Wie ist die aktuelle Sachlage? Für einen Verein, der bis
zum Jahr 2000 eine Sportanlage angeschafft oder herge-
stellt hat, wird zwar ab sofort die volle Umsatzsteuer auf
alle Einnahmen fällig; er kann die zum Teil sehr hohen
Anschaffungs- und Herstellungskosten aber nur gemäß
§§ 15 a Umsatzsteuergesetz im Rahmen des nachträgli-
chen teilweisen Vorsteuerabzugs geltend machen und
dann auch nur für die letzten zehn Jahre. Da jedoch rund
80 Prozent der Altanlagen älter als zehn Jahre sind, wird
dies für nahezu alle der 7 000 Altanlagenbetreiber zu er-
heblichen finanziellen Mehrbelastungen führen, da sind
sich die Fachleute in den Sportverbänden vom Freiburger
Kreis bis zum Deutschen Sportbund einig. Dies wird
– nach meinen Informationen – selbst vom finanzpoliti-
schen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, unserem
Kollegen Jörg-Otto Spiller, auch so gesehen. Ich würde es
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20801
(C)
(D)
(A)
(B)
im Interesse des Sports und der Sporttreibenden wirklich
begrüßen, wenn wir alle hier zu einer Verständigung kä-
men und diese unvorhersehbaren Zusatzbelastungen ab-
mildern könnten.
Dass ich hier nicht von „peanuts“ rede, mag folgendes
Beispiel verdeutlichen: Ein gemeinnütziger Verein, der
1993 eine 2-Feld-Tennisanlage errichtet und damals rund
2 030 000 DM dafür aufgewendet hat, erfährt eine finan-
zielle Mehrbelastung in Höhe von rund 99 500 DM. Ob
dies auf die Mitglieder umgelegt werden oder durch
höhere Nutzungsgebühren ausgeglichen werden kann,
bezweifle ich entschieden. Hier ist eine Lücke, wenn Sie
so wollen, eine Gerechtigkeitslücke entstanden, die wir
als Parlamentarier zu schließen haben.
Wie könnte nun eine Lösung aussehen? In unserem
Antrag fordern wir lediglich, dass eine Übergangsrege-
lung für Altanlagen zu finden ist. Über die Art und Weise
können und sollten wir gemeinsam nachdenken. Meines
Erachtens sind verschiede Möglichkeiten denkbar: Die
FDP fordert in einem Antrag, durch einen Nichtanwen-
dungserlass seitens der Bundesregierung sicherzustellen,
dass die geänderte Rechtsprechung nur für neue Anlagen
Anwendung findet. Dies könnte ein Ansatz sein. Viel-
leicht wäre den Vereinen auch schon gedient, wenn in
einer zehnjährigen Übergangszeit für Altanlagen die bis-
herige anteilige Einnahmeversteuerung weiter gelten
würde, um sich auf die veränderte Situation einzustellen.
Denkbar ist weiterhin, die Belastungen dadurch zu ver-
ringern, dass eine weitergehende, wenn möglich volle
rückwirkende Geltendmachung von Vorsteuern auch für
Altanlagen zugelassen wird.
Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass viele
Wege zum Ziel führen können. Ich bin auch sicher, dass
die finanzielle Belastung für den Bundeshaushalt durch
geringfügige Steuermindereinnahmen in diesem Fall pro-
blemlos zu verkraften ist, zumal die Ausgangssituation ja
so ist, dass die geänderte Rechtsprechung zu unerwarte-
ten Steuermehreinnahmen führen würde. Diesen, wenn
man so will, „Mitnahmeeffekt“ sollte sich die Bundesre-
gierung verkneifen. Dies gilt umso mehr, wenn man sich
vor Augen hält, welchen gewaltigen, auch volkswirt-
schaftlichen Nutzen die Vereine insgesamt für unser
Gemeinwohl erbringen. Sie haben es verdient, wenn wir
uns zusammen bemühen, für dieses Detailproblem eine
schnelle, unbürokratische und gerechte Lösung zu finden.
Dazu lade ich uns alle ein.
Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Der Bundesfinanzhof hat mit Urteil vom 31. Mai dieses
Jahres seine Rechtsprechung zur umsatzsteuerrechtlichen
Behandlung der Nutzungsüberlassung von Sportstätten
verändert. Nunmehr unterliegt die Überlassung von
Sportanlagen der Umsatzsteuerpflicht. Es besteht jetzt
Rechtssicherheit, dass die Vermietung von Grundstücken
und Betriebsvorrichtungen eine einheitliche umsatzsteu-
erpflichtige Leistung darstellt. Die Streitverfahren, die
Anlagenbetreiber und Finanzverwaltung in einem nicht
unerheblichen Maße belastet haben, gehören der Vergan-
genheit an.
Wir haben vor kurzem im Sportausschuss Einverneh-
men darüber erzielt, den DSB zu bitten, uns die notwen-
digen Informationen zu dieser Thematik aus der Sicht des
Sports zur Verfügung zu stellen. Der Bericht steht noch
aus. Daher wäre es auch für die Opposition angemessen
gewesen, nicht durch vorschnelle Anträge den Bericht des
DSB vorab zu entwerten. Solche interessengeleiteten
Schnellschüsse in ausgewählten Einzelfragen werden je-
doch die Regierungskoalition von ihrer verantwortungs-
vollen Steuer- und Finanzpolitik nicht abbringen lassen.
Unser Vorschlag ist stattdessen: Lassen Sie uns die Stel-
lungnahmen abwarten, um einen Überblick über die Aus-
wirkungen des Urteils zu bekommen. Lassen Sie uns die
dann vorliegenden Zahlen in den Ausschüssen bewerten.
Lassen Sie uns abschließend prüfen, ob Veränderungen
wie Übergangsregelungen wirklich sinnvoll und notwen-
dig sind und in das steuerliche Gesamtkonzept passen. Ich
bin daher eher skeptisch, dass eine kurzfristige Über-
gangsregelung zur notwendigen Verlässlichkeit und
Gleichbehandlung in der Steuerpolitik beitragen kann.
Ich sehe bisher auch nicht, weshalb im Sport durch eine
von der Opposition geforderte Übergangsregelung ein
Tennisboom entstehen soll. Wenn ein kommerzieller Ten-
nisplatzanbieter seine geringe Platzauslastung beklagt,
kann dies nicht immer auf die veränderte Rechtsprechung
des Bundesfinanzhofs zurückgeführt werden. Es gehört
zur sportpolitischen Ehrlichkeit dazu, dass das vermeint-
liche Leistungstief des Tennissports in Deutschland auf
andere Faktoren zurückzuführen ist, wie auf den Rücktritt
von erfolgreichen Sportlerinnen und Sportlern oder auf
ein seit langem erkennbares verändertes Freizeitverhalten
in der Gesellschaft.
Ein Blick auf die Interessenlage der Länder verdeut-
licht, dass dort mehrheitlich kein Handlungsbedarf gese-
hen wird. Zeigen Sie mir die Länder und die Kommunen,
die ohne Prüfung der Sachlage auf ihren Anteil an der
Umsatzsteuer verzichten würden! Im Übrigen bringt das
Urteil des Bundesfinanzhofs auch Vorteile. Positiv ist
doch, dass eine Modernisierung der Sportanlagen erwar-
tet werden kann, denn die Investoren haben jetzt bei
zukünftigen Investitionen die Möglichkeit, den Vorsteu-
erabzug voll in Anspruch zu nehmen. Dieser Investitions-
schub führt dazu, dass Sportanlagenbetreiber und Nutzer
gleichermaßen von einem modernen Sportangebot in
Deutschland profitieren.
Zum Schluss noch etwas Grundsätzliches. Der Sport
hat sich in den letzten Jahrzehnten rasant professiona-
lisiert und kommerzialisiert. Sport ist längst nicht mehr
nur die ehrenamtlich betriebene Freizeitkultur zum Wohle
der Jugend und der Allgemeinheit. Sport ist – nicht über-
all, aber doch weit mehr, als wir uns oft eingestehen
möchten – Geschäft, Arbeitsplatz und Wirtschaftsfaktor
geworden. Die schlichte Konsequenz ist dann aber auch,
dass wirtschaftliche Tätigkeit im Sport wie Geschäfte und
Investitionen in anderen Wirtschaftszweigen steuerrecht-
lich gleichbehandelt wird. Sollte die Nachwuchsarbeit im
Sport wirklich durch diese Gleichbehandlung leiden,
müssten wir vermutlich Lösungen anstreben, die nicht das
Steuerrecht betreffen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120802
(C)
(D)
(A)
(B)
Dr. Klaus Kinkel (FDP):Vordergründig geht es heute
um ein nicht ganz einfaches steuerrechtliches Thema. Der
Bundesfinanzhof hat Ende Mai entschieden, dass kom-
merzielle Sporthallen künftig voll umsatzsteuerpflichtig
sein sollen – auch Altanlagen, die nicht von Vorsteuerab-
zugsmöglichkeiten profitieren können. Er weicht damit
von der bisherigen Rechtsprechung ab – und auch von der
bisherigen Verwaltungspraxis.
Das Bundesfinanzministerium will dieses Urteil an-
wenden. Den Betreibern der Hallen werden zusätzliche
Kosten aufgebürdet, die sie auf die Tennis-, Badminton-
oder Squashspieler umlegen werden, die ihre Hallen be-
nutzen. Wenn ich in meiner Freizeit in einer Halle künftig
Tennis spielen will, wird die Stunde einige Euro teurer
werden. Das ist nicht schön, aber damit muss, ja damit
kann ich leben.
Aber darum geht es hier nicht wirklich. Es geht darum,
dass circa 7 000 Betreiber von Altanlagen mit Wettbe-
werbsnachteilen gegenüber den Betreibern von Neuanla-
gen rechnen müssen. Es geht darum, dass dabei bis zu
160 000 Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen.
Die Anlagenbetreiber laufen Sturm – sie fühlen sich
benachteiligt, in ihrer Existenz bedroht, und es ist berech-
tigt, dass sie unsere Hilfe erbitten. Sporthallen sind mit-
telständische Betriebe – und der Mittelstand hat unter der
rot-grünen Bundesregierung weiß Gott genug zu leiden.
Das zeigen die Zahlen, und das zeigt vor allem ein Blick
auf die Arbeitslosenstatistik; ich brauche das nicht extra
zu betonen.
Aber bei der Anwendung dieses neuen Urteils durch
das BMF geht es vor allem darum, dass mit dieser Ent-
scheidung dem Breitensport in unserem Land ein schwe-
rer Schlag versetzt wird. 4 Millionen Menschen betreiben
in solchen Hallen regelmäßig ihren Sport, Menschen, die
sich Preiserhöhungen zum Teil sicher leisten können, aber
eben in großer Zahl auch Kinder, Jugendliche, Vereine,
die auf die preiswerte Nutzung von Sporthallen angewie-
sen sind, Vereine, die schon signalisiert haben, dass sie
sich die anstehenden Preiserhöhungen nicht leisten kön-
nen, dass sie möglicherweise Jugendabteilungen dicht-
machen müssen, dass die Nachwuchsarbeit leiden wird.
Nicht nur die Anlagenbetreiber, sondern auch die Ver-
eine laufen Sturm gegen die Entscheidung – und wenigs-
tens das sollte uns aufhorchen lassen. Der Breitensport ist
nicht nur eine zentral wichtige Voraussetzung für die Zu-
kunft unseres Landes als große Sportnation. Denn Brei-
tensport ist die Basis des Spitzensports – und die
Boris Beckers von morgen wachsen nicht auf Hinterhöfen
heran; sie müssen in Vereinen trainieren und gefördert
werden, auf Tennisplätzen und in Tennishallen.
Aber beim Breitensport geht es auch darum, unsere
Kinder und Jugendlichen von der Straße zu holen, ihre
Gesundheit, ihre Sozialkompetenz, ihren Leistungswillen
usw. zu fördern. Den Breitensport darf man nicht einfach
mit Kategorien des „Kommerzes“ behandeln – schlimm
genug, was die Kommerzialisierung des Sports in Teilen
aus unserem Spitzensport gemacht hat. Tennishallen sind
keine Kaufhäuser. Sie werden von unterschiedlichen
Gruppen benutzt – und sozial schlechter gestellte Nutzer
können bei Preiserhöhungen eben nicht einfach vom
KaDeWe auf Woolworth ausweichen; so darf man den
Sport nicht angehen.
Der Breitensport ist eine wichtige Säule unseres Ge-
sellschaftssystems, die nicht mit finanzpolitischer Krä-
merseele kaputtbesteuert werden darf. Das muss die
Bundesregierung einsehen – und auch der Bundesfi-
nanzminister.
Deshalb fordert die FDP-Bundestagsfraktion die Bun-
desregierung auf, durch einen Nichtanwendungserlass si-
cherzustellen, dass die geänderte Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofes nur für neue Anlagen gilt – zum
Wohle des Mittelstandes und vor allem zum Wohle der
unzähligen Breitensportler in Deutschland.
Heidemarie Ehlert (PDS): Bei der Reaktion auf das
Urteil des Bundesfinanzhofs vom 31. Mai 2001 durch
die Kollegen und Kolleginnen der CDU/CSU und der
FDP sage ich mit Oswald Spengler: „Der Geist denkt, das
Geld lenkt.“ Denn um Letzteres geht es, es geht nicht um
die Umsatzbesteuerung von Sportanlagen schlechthin;
sondern es geht darum, die kommerzielle Nutzungsüber-
lassung von Sportanlagen in vollem Umfang der Umsatz-
steuer zu unterwerfen und damit möglicherweise Ge-
winne zu schmälern oder auch nicht, denn die Vorsteuer
kann ja geltend gemacht werden. Somit ist auch ein An-
stieg der Nutzungsentgelte nicht automatisch gegeben.
Die bisherige partielle Steuerbefreiung, wonach die
Grundstücke steuerfrei vermietet werden und die darauf
stehenden Sportanlagen einschließlich Duschen, Toiletten
und Umkleideräumen mit Umsatzsteuer belegt werden,
entsprach höchstrichterlicher Rechtsprechung, auch wenn
es mitunter in der Praxis schwierige Abgrenzungspro-
bleme gab. Die jähe Wendung des Bundesfinanzhofes hat
europäische Ursachen und wir mussten schon in gewich-
tigeren Fragen von Ihnen, meine Damen und Herren der
CDU/CSU und der FDP, hören: Wer A sagt, muss auch B
sagen.
Nun sind wir allerdings auch der Meinung, dass es
zwingendere sofort zu lösende Probleme gibt und wir uns
im Fall der Durchsetzung der Umsatzbesteuerung bei
kommerzieller Nutzung von Sportanlagen ein genaues
Bild über mögliche Auswirkungen der geplanten Ände-
rungen machen sollten. Eine Anhörung von Betreibern
von Sportanlagen und betroffenen Vereinen, Verbänden
und kommunalen Spitzenverbänden über die Vor- und
Nachteile der bisherigen Regelungen sowie über zu er-
wartende Auswirkungen der Umsetzung des Urteils des
Bundesfinanzhofes sollte die Grundvoraussetzung für
eine weitere Diskussion in den Ausschüssen und im Par-
lament sein.
Außerdem sollte geprüft werden, wie viele Unterneh-
men denn von der Umsetzung des Urteils des Bundesfi-
nanzhofes betroffen sind. Im Antrag der CDU/CSU wird
von rund 7 000 Unternehmen gesprochen. In einer Ant-
wort des niedersächsischen Finanzministeriums auf eine
Kleine Anfrage genau zu dieser Thematik konnten keine
Zahlen genannt werden, da keine entsprechenden statisti-
schen Angaben vorhanden sind. Auch über mögliche
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20803
(C)
(D)
(A)
(B)
Übergangsregelungen kann konkreter verhandelt werden,
wenn sowohl die Zahl der Betroffenen wie auch die fi-
nanziellen Auswirkungen für die Altanlagenbetreiber klar
sind, wobei ich deren Ruin nicht unbedingt voraussehe, da
die Nutzerinnen und Nutzer der kommerziellen Anlagen
schon jetzt für Fitness, Schönheit und Wellness ganz
schön zur Kasse gebeten werden.
Aber ich sehe schon die Gefahr, dass diese Neurege-
lung zur Preiserhöhung genutzt werden kann. Wir sollten
uns aber auch in den Ausschüssen des Bundestages dafür
einsetzen, dass auch künftig die Nutzung von Sportanla-
gen für jede Bürgerin und jeden Bürger unabhängig vom
„Geldbeutel“ möglich sein muss. Freizeitsport darf kein
Luxusgut werden.
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts zu den Anträgen:
– Mehr Eigentum, mehr private Anbieter und ziel-
genaue Hilfen zum Strukturwandel am Woh-
nungsmarkt in den neuen Bundesländern
– Vorschläge der Bund-Länder-Arbeitsgruppe
Wohnungsleerstand Ost sachgerecht modifizie-
ren und umsetzen
– Altschuldenbefreiung für abzureißende bzw.
rückzubauende Wohnungen
(Tagesordnungspunkt 29)
Dr. Peter Danckert (SPD): Die Ursachen für die Pro-
bleme der ostdeutschen Städte sind Arbeitsplatzabbau und
eine damit verbundene Wanderung vor allen in die alten
Länder, eine Vernachlässigung der Innenstädte, langwie-
rige Restitutionsverfahren, die Investitionen verhindert
haben, und Abwanderung ins Umland. Trotz einer rück-
läufigen Wohnbevölkerung wurde die Siedlungstätigkeit
an den Stadträndern und Umlandgemeinden durch die
Beibehaltung der steuerlichen Förderung über Bedarf
ausgeweitet. Viele Neubauwohnungen sind entstanden,
die heute zum großen Teil nicht genutzt werden. In den al-
ten Industrieregionen finden wir viele Industriebrachen
und vor allem leer stehende Hochhauskomplexe, die ab-
gerissen und punktuell zurückgebaut werden müssen.
Kurz gesagt: Eine schwierige Situation!
Ziel des neuen „Stadtumbauprogramms Ost“ der Bun-
desregierung ist es, die Städte gesundschrumpfen zu las-
sen und den Bürgern eine höhere Lebensqualität als vor-
her zu bieten. Die Maßnahmen bestehen im Wesentlichen
aus einer Integration von Abrissmaßnahmen und Aufwer-
tungsstrategien, wie die Förderung der Eigentumsbil-
dung, eine Investitionszulage für Modernisierung und In-
standsetzung in Innenstädten und der Ausschreibung
eines Wettbewerbs von integrierten Stadtentwicklungs-
konzepten durch den Bund. Alle Maßnahmen sind auf re-
gionale Probleme der Städte in den neuen Ländern zuge-
schnitten Die Fachtagung der SPD-Bundestagsfraktion
„Perspektiven für die Stadt“ am 15. Oktober 2001 hat al-
lerdings bezüglich des Anwendungsbereiches ergeben,
dass es auch in den alten Bundesländern Regionen gibt,
die über ein solches Programm gefördert werden müssten.
Ich persönlich sehe deshalb das „Stadtumbauprogramm
Ost“ der Bundesregierung als Werkstatt und Laborato-
rium für den bundesweiten Stadtumbau! In Zukunft wer-
den wir noch bedarfsorientierter vorgehen und auf regio-
nale Bedürfnisse reagieren! Das „Stadtumbauprogramm
Ost“ ist ein wichtiger Schritt dazu und ich freue mich,
dass diese Leistungen auch fraktionsübergreifend aner-
kannt werden.
Wichtige Kernaussagen des Programms für die ge-
samtdeutsche wohnungs- und städtebauliche Diskussion
in der Zukunft sind die Rückbesinnung auf die Kern-
städte, der Übergang zu einer kooperativen Planung und
eine koordinierte Wohnungs- und Städtebaupolitik. Mit
dem Stadtumbauprogramm wurden die Förderinstru-
mente flexibilisiert und ihre Zielgenauigkeit erhöht.
Natürlich bin ich mir bewusst, dass an der einen oder an-
deren Stelle noch kleine Korrekturen durchgeführt wer-
den müssen, weshalb ich die Anregungen der Kolleginnen
und Kollegen der PDS und der FDP mit größter Auf-
merksamkeit studiert habe.
Aber einen wichtigen Punkt möchte ich in diesem Zu-
sammenhang noch erwähnen: Die Bürgerbeteiligung. Die
Vergangenheit hat gezeigt, dass sich Lösungskonzepte
nicht auf eine rein finanzielle Förderung beschränken dür-
fen, sondern als Bewusstseinsprogramme verstanden
werden müssen. Ziel kann nicht nur Marktbereinigung
durch Rückbau sein, sondern muss auch die Rückbesin-
nung auf die Innenstädte als attraktive Standorte sein: In-
nenstädte müssen revitalisiert und erhaltenswerte Stadt-
quartiere gestärkt werden. Das „Stadtumbauprogramm
Ost“ verstehe ich deswegen als Bewusstseinsprogramm,
als große Chance. Die gewünschte neue Planungskultur
erfordert die Beteiligung aller Entscheidungsträger. Ne-
ben einer größeren Bürgerbeteiligung, mit der auch Ver-
antwortung des Einzelnen für seinen persönlichen Le-
bensbereich einhergehen soll, müssen Investoren und
Banken einbezogen werden. Nur mit ihnen können die In-
nenstädte neu belebt werden.
Bereits die Vor-Ort-Veranstaltung der SPD-Fraktion
am 10. September 2001 in Luckenwalde hat gezeigt, dass
unsere Zielvorgaben stimmen und die Instrumente wir-
kungsvoll greifen. Es versteht sich von selbst, dass sich
die Leerstände in Innenstädten bezüglich Lage und Größe
in verschiedenen Mischungsverhältnissen darstellen und
von Stadt zu Stadt variieren. Deshalb ging es uns auch um
flexible Instrumente.
Doch jetzt zu den einzelnen Maßnahmen und im An-
schluss daran zu den Anregungen der Opposition: Das
Programm setzt sich mit einem Gesamtvolumen an Bun-
desmitteln in Höhe von 2,2 Milliarden DM und einer Ko-
finanzierung durch die neuen Länder in der gleichen Höhe
aus fünf Elementen zusammen.
Erstens. Mit dem Zuschussprogramm für Rückbau-
und Aufwertungsmaßnahmen werden Zuschüsse zum
Rückbau dauerhaft nicht mehr benötigter Wohnungen so-
wie Zuschüsse für Aufwertungsmaßnahmen finanziert.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120804
(C)
(D)
(A)
(B)
Dazu zählen der Erhalt von wertvollen Gebäuden in den
Innenstädten, die Wiedernutzung freigelegter Flächen
und die Anpassung der Infrastruktur. Neben den gerade
genannten Mitteln von Bund und Ländern werden sich
auch die Kommunen mit einer weiteren Milliarde DM an
diesem Zuschussprogramm beteiligen.
Ich denke, dass dieses Zuschussprogramm auch die
Zustimmung der PDS findet, die ja Ähnliches fordert. Ich
bitte aber um Verständnis, dass wir auf den kommunalen
Eigenanteil nicht verzichten wollen. Von dem Programm
profitieren die Gemeinden und ihre Einwohner. Das ist
das Ziel! Auf eine Beteiligung der Kommunen, die über
eine rein ideelle hinausgeht, verzichten zu wollen wäre an
dieser Stelle ein falsches Signal. Es geht letztlich um eine
gemeinsame Kraftanstrengung. Also müssen auch alle mit
anpacken.
Zweitens. Das zweite Element sieht eine Darlehens-
förderung von Rückbaumaßnahmen im Rahmen des
KfW-Wohnraummodernisierungsprogramms II vor. Kurz
zum Hintergrund: Bereits im März 2001 waren in das ge-
meinsam vom Bund und den neuen Ländern finanzierte
Programm Modernisierungsarbeiten an Gebäuden der in-
dustriellen Bauweise aufgenommen worden. Dabei muss
es sich um solche Gebäude handeln, die nach den Ent-
wicklungskonzepten der Kommunen dauerhaft für die
Wohnraumversorgung zur Verfügung stehen sollen. Nach
dem Bericht der Expertenkommission „Wohnungswirt-
schaftlicher Strukturwandel in den neuen Ländern“ haben
sich die Bauminister der Länder und des Bundes verstän-
digt, das Wohnraummodernisierungsprogramm II auch
für Stadtumbaumaßnahmen zu öffnen. So werden Maß-
nahmen – auch die des Rückbaus – förderfähig, die zur
Verbesserung der Rentabilität der Wohnungsbestände und
zur städtebaulichen Erneuerung in den neuen Ländern un-
erlässlich sind. Künftig soll der Rückbau von dauerhaft
nicht mehr benötigten Wohnungen neben einem pauscha-
len Zuschuss durch zinsverbilligte Darlehen der KfW
gefördert werden. Der Forderung der FDP, strukturver-
bessernde Maßnahmen im Wohnumfeld in das Moderni-
sierungsprogramm II der KfW einzubeziehen, wurde
durch das Programm der Bundesregierung längst entspro-
chen.
Drittens. Der dritte Punkt sieht eine höhere Investiti-
onszulage für Mietwohnungen des innerstädtischen Alt-
baus und eine Abschaffung der Investitionszulage für
Selbstnutzer vor. Ziel ist es, städtebaulich wertvolle Quar-
tiere zu revitalisieren und denkmalgeschützte Bestände
weiterhin verstärkt zu aktivieren. Deswegen wird der För-
dersatz von bisher 15 Prozent auf 22 Prozent erhöht und
die förderfähigen Kosten von 1 200 DM pro Quadratme-
ter auf 2 400 DM pro Quadratmeter verdoppelt. Außer-
dem wird der nicht förderfähige Selbstbehalt auf 100 DM
pro Quadratmeter erhöht, um Wohnungswirtschaftliche
Bagatellinvestitionen zu vermeiden.
Viertens. Das vierte Element sind Zuschüsse für die
Wohnungseigentumsbildung zur Selbstnutzung in inner-
städtischen Altbauquartieren; dabei stehen 50 Millio-
nen DM jährlich zwischen 2002 und 2004 zur Verfü-
gung. Mit diesen Beträgen werden neben der
Eigenheimzulage über acht Jahre bei Wohnungen Mo-
dernisierung und Instandsetzung gefördert. Dabei ist der
Zuschuss an die Investitionen des Erwerbers bzw. des
Bauträgers gebunden und die Förderung muss auf der
Grundlage städtebaulicher Konzepte zum Stadtumbau
erfolgen.
Fünftens. Der fünfte Punkt dieses neuen Programms
bildet der Wettbewerb zur Vorbereitung von Stadtent-
wicklungskonzepten und wird mit 31 Millionen DM al-
lein durch den Bund finanziert. Nach der Auftaktveran-
staltung am 15. November 2001 hatten die Kommunen bis
zum 1. Dezember 2001 Zeit, ihre Bewerbungsunterlagen
zur Teilnahme am Wettbewerb bei den Ländern einzurei-
chen. Die Resonanz auf diesen Wettbewerb war überwäl-
tigend: Bisher liegen allein dem Bund 219, den Ländern
weitere 50 Bewerbungen vor. Die neue Bundesregierung
hat allein mit diesem Wettbewerb bewiesen, dass sie ziel-
gerichtet und bedarfsgerecht auf die Probleme in den
neuen Ländern reagiert!
Ich möchte abschließend noch zu zwei Änderungsvor-
schlägen der PDS und der FDPStellung nehmen: Der Vor-
schlag zur Grunderwerbsteuerbefreiung bei Fusionen ost-
deutscher Wohnungsunternehmen zur Unterstützung des
Stadtumbaus gefällt mir auf den ersten Blick ganz gut. Die
Idee, Zusammenschlüsse von Wohnungsunternehmen,
die zur Sicherung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
möglicherweise notwendig sind, über eine Befreiung von
der Gewerbesteuer zu fördern, ist interessant. Auch der
Einwand der Länder, dass mit einem solchen Schritt fi-
nanzielle Einbußen einhergehen, kann ich nicht nachvoll-
ziehen. Da nach meinem Kenntnisstand bis dato kaum
Zusammenschlüsse in der Wohnungswirtschaft stattfin-
den und somit auch keine Steuereinnahmen entstehen,
werden aufgrund einer Befreiung der Wohnungsunterneh-
men von der 3,5-prozentigen Grunderwerbsteuer keine
Steuermindereinnahmen anfallen.
Aber genau in dieser Feststellung, die insoweit ja auch
logisch und nachvollziehbar ist, liegt die Krux. Denn man
muss sich die Frage stellen, warum bis heute kaum nen-
nenswerte Fusionen auf dem Wohnungssektor stattgefun-
den haben. Ich denke, die Argumentation über eine ver-
hindernde Gewerbesteuer von 3,5 Prozent allein zieht
nicht. Denn nach meinem Kenntnisstand fällt diese Steuer
nur an, wenn 100 Prozent des Bestandes und der Anteile
veräußert werden. Also gibt es schon heute genügend
Möglichkeiten, diese Steuer zu vermeiden. Meines Er-
achtens sind die Gründe für die wenigen Zusammen-
schlüsse eher im persönlichen Bereich zu finden. Denn
Wohnungsgenossenschaften sind keine Kapitalgesell-
schaften, wo es allein um Geld und Anteile geht. Woh-
nungsgenossenschaften setzen sich aus den Personen zu-
sammen, die Anteile an den Genossenschaften besitzen
und in den Wohnungen vor Ort wohnen. Die persönliche
Bindung zu so einem Wohnungsunternehmen ist deshalb
viel größer und der Widerstand und die Vorbehalte gegen
mögliche Fusionen naturgemäß viel höher.
Ich denke, dass wir vor einer möglichen Änderung des
Unternehmensteuerfortentwicklungsgesetzes eine genaue
Ursachenanalyse und Bedarfsprüfung vornehmen müs-
sen! So sind mir persönlich aus Brandenburg bis jetzt nur
zwei, drei Fälle bekannt, bei denen Wohnungsunterneh-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20805
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men bereits an eine mögliche Fusion gedacht haben. Ob
man hier von einer Breitenwirkung und Entlastung spre-
chen kann, wird sich zeigen.
Der andere Vorschlag der beiden Fraktionen betrifft
das Altschuldenhilfe-Gesetz. Die Kollegen von der PDS
und der FDP sollten mir einmal erklären wie die zusätzli-
chen Kosten von 2 Milliarden DM finanziert werden sol-
len. Die Bundesregierung hat mit der Novellierung der
Altschuldenhilfeverordnung, § 6 a AHG, einen weiteren
Schritt zur Entlastung der Wohnungsunternehmen geleis-
tet. Hier haben insbesondere die Fachpolitiker aus den
neuen Ländern einen wesentlichen Anteil an den gesetzli-
chen Neuregelungen. Der Bund hat für die nächsten Jahre
700 Millionen DM zusätzliche Mittel bereitgestellt. Die
Finanzmittel, die von den betroffenen Bundesländern in
gleicher Höhe kofinanziert werden müssen, sollen für die
am härtesten betroffenen Wohnungsunternehmen einge-
setzt werden. Das von der PDS und der FDP gewünschte
Gießkannenprinzip „Erlass für alle“ ist, wie gesagt, nicht
machbar.
Derzeit liegen 14 Anträge nach § 6 a AHG vor. Positiv
beschieden wurden bisher vier Anträge, zwei Zusagen ste-
hen unmittelbar bevor. Bei den übrigen Anträgen fehlen
noch einige Unterlagen bis zur Vollständigkeit. Die vor-
liegenden 14 Anträge enthalten über die Zeitschiene der
nächsten Jahre hin gesehen insgesamt 50 000 Wohnungs-
abrisse. Das zeigt, dass der § 6 a AHG umgesetzt wird und
wir die von uns vorausgesagten 85 000 Abrisse über diese
Verordnung realisieren können.
Zwei Aspekte möchte ich in diesem Zusammenhang
hervorheben:
Erstens. Zu einem positiv zu bescheidenden Antrag
gehört ein Beitrag der Banken, wie zum Beispiel der Ver-
zicht auf Vorfälligkeitsentschädigung. Hier kann man bei
einer ersten vorsichtigen Bewertung sagen: Die Banken
bewegen sich. Das ist auch gut so, weil es in ihrem urei-
gensten Interesse ist!
Zweitens. Die Aufstellung eines Sanierungskonzeptes
zwingt die Wohnungsunternehmen zu einer ehrlichen Bi-
lanz. Auch dieser Punkt ist wichtig, weil eine genaue und
fachlich begleitete betriebswirtschaftliche Analyse die
Schwachstellen aufdeckt und den Weg in eine bessere Zu-
kunft ebnet.
Ich hoffe, dass mittlerweile auch der PDS und der FDP
einleuchtet, weshalb ihre Anträge auf den Drucksachen
14/6055; 14/6848; 14/6849 abzulehnen sind.
Norbert Otto (Erfurt) (CDU/CSU): Zum wiederhol-
ten Male beschäftigen wir uns heute im Plenum mit dem
Komplex des Wohnungsleerstandes und des Stadtumbaus
in Ostdeutschland. Die Bundesregierung hat mit ihrem
Programm zum Stadtumbau erste Schritte in die richtige
Richtung getan. Es ist in jedem Fall begrüßenswert, wenn
die Bundesregierung bereit ist, erhebliche Mittel für den
durchaus nötigen Stadtumbau in Ostdeutschland zur Ver-
fügung zu stellen. 40 Jahre komplexer Plattenbau auf der
grünen Wiese und die systematische Verwahrlosung der
Stadtkerne sind nicht spurlos an den kleinen und großen
ostdeutschen Städten vorübergegangen. Und so ist es auch
nur konsequent, wenn die Bundesregierung Mittel in er-
heblichen Größenordnungen für den Stadtumbau zur Ver-
fügung stellt. Und die Konzepte hören sich auch nicht
schlecht an.
Doch betrachtet man die Situation aus der Nähe, so
kommt eine große Mogelpackung zum Vorschein: Denn
nur ein ganz geringer Anteil der zur Verfügung gestellten
Mittel ist tatsächlich „frisches“ Geld. Wir müssen fest-
stellen, dass die größten Teile der Finanzierung aus den
Bereichen Städtebauförderung und sozialer Wohnungs-
bau umgeschichtet wurden. Es kann sich hier nur um eine
klassische Form der Schönfärberei handeln, die wir ja von
Rot-Grün schon sehr gut kennen. Wirkliche Effekte auf
die Bauwirtschaft sind nicht zu erwarten. Vielmehr müs-
sen wir sogar mit einem Absinken der Bauinvestitionen
im nächsten Jahr rechnen, denn: Rechnen wir die Pro-
gramme gegeneinander auf, wird insgesamt weniger Geld
für die Modernisierung der ostdeutschen Städte zur Ver-
fügung stehen.
Ein weiterer wichtiger Knackpunkt ist die Gegenfinan-
zierung durch die Länder. Die Verwaltungsvereinbarung
zwischen Bund und Ländern scheint nun – nach monate-
langem Gezerre – unter Dach und Fach zu sein. Jedoch
scheiden sich immer noch am Punkt der Gegenfinanzie-
rung die Geister. Es liegt auf der Hand, dass die ostdeut-
schen Länder nur schwer in der Lage sind, diese Summen
aufzubringen. Die Bundesregierung schmückt sich hier
also mit Federn, die zum Teil von den Ländern bezahlt
werden müssen und dort erhebliche Schwierigkeiten ver-
ursachen. Wenn es das Ziel der Bundesregierung sein
sollte, das Stadtumbauprogramm zum 1. Januar 2002 um-
setzen zu wollen, so müssen wir darauf verweisen, dass
die ohne eine geltende Verwaltungsvereinbarung schwie-
rig ist und kaum klappen kann. Die Wettbewerbe für den
Stadtumbau sind ausgelobt, doch die Basis – nämlich die
Verwaltungsvereinbarung – steht noch nicht. Außerdem
hört man Klagen aus der Wohnungswirtschaft, die den
Selbstbehalt bei der Investitionszulage betreffen. Es ist
fragwürdig, ob der Bauindustrie in Ostdeutschland auf
diese Art und Weise geholfen werden kann.
So sind Teilmodernisierungen, auf die sich die Inves-
titionszulage bzw. der Selbstbehalt von 100 DM pro Qua-
dratmeter beziehen, heute eher die Regel als die Aus-
nahme. Angesichts von über einer Million leer stehender
Wohnungen, der hohen Kreditbelastung aufgrund der
früheren Altschulden sowie zwischenzeitlich aufge-
nommener Modernisierungsdarlehen sind Teilmoderni-
sierungen heute an der Tagesordnung. Gerade kleinere
und mittlere Betriebe aus Ostdeutschland könnten hier-
von erheblich profitieren. Dies scheint allerdings nicht im
Sinne des vorliegenden Entwurfes der Bundesregierung
zu sein.
Kurzum: Das Programm Stadtumbau Ost hat viele
Ecken und Kanten, die von der Bundesregierung gerne
wegdiskutiert oder unter den Teppich gekehrt werden.
Angesichts der Wohnungssituation in Ostdeutschland
werden wir langfristig nicht um nachhaltigere Projekte
zum Stadtumbau mit „frischem“ Geld herumkommen.
Alle Beteiligten wissen, dass die zur Verfügung gestellten
Mittel nicht ausreichen, um eine nachhaltige Verbesse-
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rung auf dem ostdeutschen Wohnungssektor zu bewirken.
Damit keine Missverständnisse entstehen: Selbstver-
ständlich begrüßen wir im Prinzip eine Unterstützung des
Stadtumbaus, allerdings doch bitte ehrlich!
Ein Wort zur Altschuldenhilfe: Wie Sie alle wissen, hat
die Bundesregierung sich entschlossen, die Novellierung
der Altschuldenhilfe in Form einer Verordnung zu betrei-
ben. Allerdings zeigen uns die Informationen aus den
Bundesländern, dass dies äußerst wenig bis gar keine Re-
sonanz findet. Die Bedingungen zum Erhalt der Förde-
rung sind derart kompliziert, dass es nach unseren
Informationen so gut wie überhaupt nicht gelungen ist, die
Altschuldenhilfeverordnung umzusetzen, sprich: die ost-
deutschen Wohnungsunternehmen im Sinne dieser Ver-
ordnung zu unterstützen. Die Bundesregierung muss sich
ernsthaft fragen lassen, wie sie die Altschuldenhilfe in den
nächsten Jahren entwickeln möchte bzw. ob sie bereit ist,
eine antragstellerfreundliche Veränderung der Verord-
nung durchzuführen.
Nur noch einige Gedanken zum Thema Eigentum:
Selbstverständlich sind wir der Auffassung, dass das
Wohneigentum an sich einen großen Wert auch für die
Stadterneuerung in Ostdeutschland darstellt. Ob das im
Programm vorgesehene Konzept der Zuschüsse für die
Wohneigentumsbildungen in innerstädtischen Altbau-
quartieren allerdings der richtige Weg dahin ist, bleibt die
Frage. Das Abrücken der Bundesregierung von dem ur-
sprünglichen Vorschlag einer Änderung der Eigenheim-
zulage mit befristeter Gleichstellung des Bestandserwerbs
mit dem Neubau erfolgt offensichtlich nur deshalb, weil
Rot-Grün in der Frage der Eigenheimförderung konsens-
unfähig ist. In diesem Zusammenhang verweise ich auf
die Forderung der Kollegen in Sachsen, zusätzlich die In-
vestitionszulage für Modernisierungsaufwendungen an
eigengenutztem Wohnraum verbessert weiterzuführen.
Meiner Meinung nach sind wir von den Vorschlägen der
Kollegen von der FDPnicht weit entfernt; über die Details
wäre noch zu sprechen.
Bei dem Antrag der FDP werden wir uns, wie im Aus-
schuss, enthalten. Die Anträge der PDS lehnen wir ab.
Mit großer Spannung sehe ich den Entwicklungen im
Bereich des Stadtumbaus im kommenden Jahr entgegen
und hoffe – und ich denke, dort sind wir uns einig – auf eine
in jedem Fall positive Entwicklung für die Menschen in
Ostdeutschland. Jeder von uns weiß, dass ein gutes Wohn-
umfeld entscheidend zum Bleiben anregen kann, und un-
sere schönen ostdeutschen Städte geben genug attraktiven
Raum dafür. Diese Diamanten müssen nur geschliffen wer-
den. Und dafür werden wir uns – so hoffe ich – alle in die-
sem Haus weiter einsetzen.
Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Im Kern fordern die Anträge der FDP und der
PDS das, was das Kabinett im Sommer bereits mit dem
Stadtumbauprogramm Ost beschlossen hat und was wir
mit den im November abgeschlossenen Haushaltsbera-
tungen finanziell abgesichert haben. Fünf wichtige Bau-
steine hat die Koalition für den Stadtumbau Ost gesetzt
und gibt damit die entscheidenden Impulse für den Abbau
des Wohnungsleerstands und für die Stabilisierung der
ostdeutschen Wohnungswirtschaft.
Erstens: Wir geben mit der Reform des Altschulden-
hilfe-Gesetzes und mit. der Härtefallregelung in § 6 a
AHG finanzielle Entlastung von Altschulden für Woh-
nungsunternehmen mit mehr als 15 Prozent Leerstand.
Wir haben die Wohnungsunternehmen auch von einem
Großteil der Altschulden bei Negativrestitution entlastet,
was die PDS offenbar noch nicht bemerkt hat.
Zweitens: Wir stellen mit 2 Milliarden DM an Bundes-
mitteln bis 2009 ein langfristiges Programm für den Stadt-
umbau bereit, das von den Ländern kofinanziert wird. Die
Gelder werden zur Hälfte für Abriss- und zur anderen
Hälfte für Aufwertungsmaßnahmen und Wohnumfeldver-
besserungen eingesetzt. Die Förderobergrenze wird für
Abriss- und Ordnungsmaßnahmen auf 120 DM/m2
Wohnfläche festgelegt, damit keine Mitnahmeeffekte der
Bauwirtschaft subventioniert werden.
Drittens: Wir haben die Investitionszulage für Miet-
wohnungen in Kerngebieten und für Sanierungsgebiete
für den Altbau entscheidend angehoben auf 22 Prozent bei
einer Kostenobergrenze von 2 400 DM/m2. Ein Selbstbe-
halt von 100 DM/m2 scheint mir da angemessen.
Viertens: Wir führen eine neue Investitionsförderung
für Erwerber selbstgenutzten Wohneigentums im Altbau
von Kerngebieten und Sanierungs- und Erhaltungsgebie-
ten ein. Damit wird die Eigentumsbildung in den Innen-
städten attraktiver gemacht und die Zersiedlung zurück-
gedrängt.
Fünftens: Aktuell fördert der Bund in 2001 für 31 Mil-
lionen DM die Erarbeitung von Stadtentwicklungskon-
zepten in 200 Städten in Ostdeutschland. Dies ist von ganz
besonderer Bedeutung, weil damit endlich die Planung
der Kommunen auf realistische Entwicklungsziele ausge-
richtet wird, während die alte Planung in vielen Fällen
noch auf den völlig überzogenen Wachstumserwartungen
der Ära Kohl basiert.
Sie sehen, das Programm Stadtumbau Ost ist wirklich
eine konstruktive Herausforderung für die ostdeutschen
Länder und Kommunen, ebenso wie für die Wohnungs-
wirtschaft und die beteiligten Banken. Alle sind aufgefor-
dert, nun auch ihren Beitrag zum Stadtumbau zu leisten.
Mit ihrem Antrag macht die PDS das, was sie immer
macht – sie fordert mehr Geld. Dass der Bund bereits
80 Milliarden DM an Zinslasten jährlich schultern muss,
mindert die Last der PDS an der Erhöhung der Staats-
schulden nicht im geringsten!
Die FDP hat die Ursachen des Wohnungsleerstands im
Osten und die Regeln von Angebot und Nachfrage noch
gar nicht begriffen. Sie möchte der fehlenden Wohnungs-
nachfrage durch ein liberales Mietrecht und mehr Investi-
tionsanreize begegnen. Gleichzeitig sollen die sinkenden
Mieten durch erhöhtes Wohngeld kompensiert werden.
Mit KfW-Krediten soll Wohnumfeldverbesserung künftig
auf Darlehensbasis finanziert werden. Kurzum, ein recht
konfuses Konzept! Die FDP stolpert immer mehr über
ihre eigene Ideologie.
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Wichtig ist noch ein Punkt: Beide, FDP wie PDS, for-
dern eine sehr weitgehende Befreiung der Wohnungsun-
ternehmen von Altschulden. Das klingt gut, ist aber de
facto schlicht eine Entlastung der Banken von ihrer Mit-
verantwortung für die Sanierung der ostdeutschen Woh-
nungswirtschaft. Denn das Geld muss schlicht an die Ban-
ken durchgereicht werden. Der Wohnungswirtschaft hilft
es nur scheinbar. Ich meine, vor jeder weiteren Hilfe des
Bundes muss aber gerade auch über die Mitwirkung der
Banken verhandelt werden.
Bei allen Unterschieden über die einzelnen Maßnah-
men sind wir uns aber fraktionsübergreifend einig in dem
Ziel, den ostdeutschen Kommunen und Ländern und der
Wohnungswirtschaft bei der schwierigen Aufgabe des
Stadtumbaus zu helfen. Die Koalition hat mit ihrem Pro-
gramm tatkräftig die Weichen in die richtige Richtung ge-
stellt. Ich bin zuversichtlich, dass wir das nächste Mal be-
reits über sichtbare Ergebnisse diskutieren können.
Dr. Karlheinz Guttmacher (FDP): Der wirtschaftli-
che Strukturwandel ist in den neuen Bundesländern noch
nicht abgeschlossen. Die Neuausrichtung auf dem Ar-
beitsmarkt bzw. Ausbildungsmarkt führte bisher zu einem
Bevölkerungsrückgang um 1,5 Millionen Menschen in
den neuen Bundesländern. In den neuen Ländern ergibt
sich ein dramatischer Wohnungsmarkt mit 1 Million leer
stehenden Wohnungen, aber auch ein Markt mit zu wenig
kleinen und privaten Vermietern und zu wenig selbst
genutztem Wohneigentum.
Die Leerstandsquote der ostdeutschen Wohnungsun-
ternehmen beläuft sich heute auf fast 15 Prozent. Aus die-
sem Grund hatte die FDP einen eigenen Gesetzentwurf
zur Novellierung des Altschuldenhilfe-Gesetzes einge-
bracht, der vorsah, dass die Wohnungsunternehmen für
dauerhaft leer stehende Wohnungen oberhalb von 5 Pro-
zent des Bestandes entschuldet werden. Diese Altschul-
den sollen bei Vorlage eines schlüssigen wohnungswirt-
schaftlichen Konzeptes in Abstimmung mit der
Kommune zulasten des Erblastentilgungsfonds gestri-
chen werden, wenn das Unternehmen den Leerstand nicht
zu vertreten hat. Zu den herausragenden wohnungspoliti-
schen Aufgaben gehört, Voraussetzungen zu schaffen, die
die Attraktivität der Städte und Gemeinden der neuen
Länder als Wohn- und Wirtschaftstandort erhalten und
verbessern. So ist es dringend notwendig, die Städte-
baufördermittel des Bundes und der Länder sowie das
Programm „Die soziale Stadt“ mit dem Schwerpunkt zur
Wohnumfeldverbesserung und -gestaltung aufzustocken.
Erfreulich ist, dass die Bundesregierung das Stadtumbau-
programm Ost auf den Weg gebracht hat. Doch die jähr-
lich seitens des Bundes zur Verfügung gestellten Mittel
sind lediglich Umschichtungsmittel aus dem bestehenden
Städtebauprogramm und der Gemeinschaftsaufgabe – sie
sind eben keine zusätzlichen Investitionsmittel. Die von
Bund und Ländern im novellierten Altschuldenhilfe-Ge-
setz für Härtefälle in den nächsten zehn Jahren mobili-
sierten 1,4 Milliarden DM können nicht mit dem Stadt-
umbauprogramm verrechnet werden.
Der nach § 6 a des Altschuldenhilfe-Gesetzes geför-
derte Abriss von circa 85 000 Wohnungen und der ge-
plante Rückbau weiterer 350 000 Wohnungen im Stadt-
umbauprogramm Ost sind dringend notwendig, um zu ei-
nem funktionierenden Wohnungsmarkt Ost zu gelangen.
Im Stadtumbauprogramm müssen zwischen Bund und
Ländern verbindliche Festlegungen zur zweckgebunde-
nen Verwendung der Mittel für Rückbau und für die
damit im Zusammenhang stehenden städtebaulichen Auf-
wertungsmaßnahmen erfolgen. Ebenso erscheint es
unumgänglich zu sein, die Wohnungsunternehmen von
Kreditverbindlichkeiten für den abzureißenden Woh-
nungsbestand zu entlasten. So muss das von der Bund-
Länder-Arbeitsgruppe „Leerstand-Ost“ vorgesehene Dar-
lehensprogramm zur Förderung des Stadtumbaus auch
zur Ablösung von Verbindlichkeiten eingesetzt werden.
Für die Reaktivierung eines funktionierenden Wohnungs-
marktes in den neuen Bundesländern wird die Neuauflage
der Bundesregierung zum sozialen Wohnungsbau für
kontraproduktiv gehalten. Deshalb sollten nach Auffas-
sung der FDP die Mittel für den sozialen Wohnungsbau
von Bund und Ländern in Höhe von 900 Millionen DM in
das Wohngeld umgelenkt werden. So kann über dieses
Förderinstrument statt einer Objektförderung mit der
Subjektförderung die Nachfrage am Wohnungsmarkt
deutlich verbessert werden.
Um den Strukturwandel auf den Weg zu bringen, müs-
sen in der Fiskalpolitik Sonderregelungen befristet er-
laubt sein, wie die Befreiung von Grunderwerbsteuern bei
Verkäufen, die der Strukturbereinigung dienen. Die unter-
nehmerische Wohnungswirtschaft und die privaten Haus-
und Grundeigentümer müssen in die Lage versetzt wer-
den, differenzierte und auf den jeweiligen lokalen Markt
abgestellte Entscheidungen zur Bewältigung des Struk-
turwandels und zur Beseitigung der Leerstände zu treffen.
Christine Ostrowski (PDS): Es mag scheinen, als
seien unsere Anträge überflüssig geworden. Das Stadt-
umbauprogramm, so die Bundesregierung, wird die Stadt-
quartiere aufwerten, die Wohn- und Lebensqualität ver-
bessern, die Wohnungsunternehmen retten, den Rückbau
von auf Dauer nicht mehr benötigten Wohnungen ge-
währleisten. Sein Umfang von 5 Milliarden DM garan-
tiere dies alles und rette nebenbei auch noch die krisenge-
schüttelte Bauwirtschaft Ost.
Die großen, politisch wichtigen Verbände – Mieter-
bund und Bundesverband der Wohnungswirtschaft –
scheinen – Seit an Seit mit der Bundesregierung – glück-
lich und bedanken sich bei der Bundesregierung. Ihre Kri-
tik an einzelnen Säulen des Stadtumbauprogramms wird
kaum noch wahrgenommen. Unser Antrag zur Bund-Län-
der-Arbeitsgruppe ist vor dem Stadtumbauprogramm ent-
standen, aber noch immer aktuell.
Erstens. Wir fordern, von 2002 bis 2005 jährlich
300 Millionen DM aus allgemeinen Haushaltmitteln zur
Verfügung zu stellen. Wie richtig diese Forderung ist,
zeigt sich daran, dass die Bundesregierung ihr Programm
für 2002, das zwar den Umfang von 300 Millionen DM
hat, keineswegs aus allgemeinen Haushaltmitteln finan-
ziert. Im Gegenteil: 100 Millionen DM kommen aus der
Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschaftsstruktur“,
100 Millionen DM aus der klassischen Städtebauförde-
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rung. Nur ein Drittel der Mittel sind zusätzlich erschlos-
sen, nur dazu hat sich die Bundesregierung durchringen
können. Um es gleich vorweg zu schicken: Dieses Drittel
ist auch das Einzige an Zusatzgeld, das sie überhaupt in
das gesamte Stadtumbauprogramm mit seinen verschie-
denen Säulen steckt. Alles weitere – aber auch wirklich al-
les weitere – holt die Bundesregierung von anderen Ost-
Programmen weg.
Das Stadtumbauprogramm ist, so gesehen, nichts an-
deres als ein gewaltiges Umverteilungsprogramm. Das ist
deshalb so kritikwürdig, weil es völlig schizophren ist: die
Gemeinschaftsaufgabe zu kürzen, die das Ziel hat, Wirt-
schaft zu entwickeln, Arbeitsplätze zu erhalten und zu
schaffen, das Ziel also, Menschen im Osten und in ihren
Wohnungen zu halten. Mittel, um Menschen in ihren
Wohnungen zu halten, werden also benutzt, um jene Woh-
nungen abzureißen, die deshalb leer stehen, weil die Men-
schen gegangen sind.
Dasselbe Phänomen bei der klassischen Städtebauför-
derung: Bekanntlich stößt eine D-Mark Fördermittel rund
8, 9 DM Investitionen an. Sie ist ein sehr effizientes Mit-
tel der Arbeitsplatzerhaltung, der Arbeitsplatzschaffung.
Jede Mark Fördermittel weniger reduziert also mögliche
Investitionen in Höhe von 8, 9 DM, vernichtet also
Arbeitsplätze, und infolge dieser Vernichtung wandern
Menschen weg. Daraufhin stehen Wohnungen leer, die
unter anderem mit dem Geld der Städtebauförderung ab-
gerissen werden. Ich appelliere eindringlich an Sie, diese
Verfahrensweise schnellstens ad acta zu legen. Sie kon-
terkariert Ihre Bemühungen um den Stadtumbau.
Zweitens. Zur Finanzierung Kommunen: Im Gegen-
satz zu Ihnen, die den Gemeinden, ungeachtet der kon-
kreten Einzelsituation – queerbeet – eine finanzielle Be-
teiligung bei den Aufwertungsmaßnahmen von
mindestens einem Sechstel zumuten, schlagen wir ein dif-
ferenziertes Vorgehen vor. Die Kommunen sollen sich fi-
nanziell beteiligen, aber in begründeten Einzelfällen kann
der kommunale Anteil gänzlich unterbleiben. Nur so wird
beispielsweise gewährleistet, dass eine Gemeinde wie
Dranske mit 50 Prozent Leerstand und 12 000 DM Pro-
Kopf-Verschuldung überhaupt an die Mittel herankom-
men kann. Bei Ihren Regeln kann sie das nicht.
Drittens. Wir fordern die Öffnung und Bündelung aller
„Ost-Förderprogramme“ für den Stadtumbau Ost. Auch
das haben sie nicht durchgängig geleistet. Sie sind bei der
Städtebauförderung und dem KfW-Modernisierungs-
programm II stehen geblieben. Das, was Sie geleistet ha-
ben, musste Ihnen abgerungen werden.
Viertens. Was das Zuschussprogramm anbelangt, so
verlangen wir, dass den Wohnungsunternehmen der An-
spruch auf Zuschussmittel garantiert wird – auch dies ist
bei Ihnen so nicht geregelt. Was noch wichtiger ist: Sie ha-
ben das Zuschussprogramm in zwei Hälften geteilt: eine
für den Abriss, die andere für die Aufwertung. Wir sagen:
Diese formale Teilung ist falsch. Nun werden Sie mir zu-
rufen, dass diese formale Teilung nur auf Landesebene
einzuhalten ist, in den Gemeinden kann davon abgewi-
chen werden. Nur: Mathematiker oder Ingenieure haben
an Ihrem Programm nicht mitformuliert – nehmen wir den
extremsten Fall: Alle Gemeinden weichen so ab, dass sie
die Mittel zu hundert Prozent für den Abriss einsetzen.
Dann können Sie die formale Teilung auf Landesebene
nicht gewährleisten. Ihre Programmformulierungen sind
also letztlich nichts anderes als „Petersilie“.
Nein, unser Vorschlag ist der praktikable: Der Anteil
der Abrissmittel innerhalb des Zuschussprogramms muss
sich in jedem Fall nach der für die jeweilige Gemeinde er-
forderlichen Wohnungsbestandsanpassung richten! In ei-
ner Gemeinde kann der Abrissanteil niedriger als die
Hälfte sein, in der anderen höher.
Und das Allerwichtigste: Die Höhe der Abrisspau-
schale ist so zu bemessen, dass damit die Finanzierung
des Rückbaus gewährleistet werden kann und keine zu-
sätzliche Kreditaufnahme erfolgen muss. Sie haben den
Abrisszuschuss im Grundsatz – undifferenziert und wie-
der queerbeet – auf insgesamt 120 DM/qm bemessen. Die
Kosten sind aber auch hier zwischen den Gemeinden und
innerhalb der Gemeinden und Gebäude unterschiedlich,
weshalb sich eine formal festgelegte gleiche hohe Pau-
schale verbietet. Außerdem geben Sie im Kabinettsbe-
schluss selbst zu, dass die Zuschüsse für die erforderli-
chen Rückbaumaßnahmen nicht ausreichen und daher die
Wohnungsunternehmen in aller Regel auf Kredite ange-
wiesen sind. Es ist aber völlig inakzeptabel, den bis zur
Dachrinne verschuldeten Wohnungsunternehmen zuzu-
muten, sich erneut zu verschulden.
Fünftens. Wir wollen die Investitionszulage für den
Neubau von Mietwohnungen gestrichen wissen, sie las-
sen diese „auslaufen“. Hätten Sie die Streichung dieser In-
vestitionszulage rechtzeitig in Angriff genommen, hätten
Sie weniger ausgeben müssen und mehr Mittel zur Verfü-
gung, die fürs Stadtumbauprogramm einzusetzen gewe-
sen wären.
Sechstens. Wir begrüßen die Erhöhung der Investiti-
onszulage in innerstädtisch definierten Gebieten und bei
definierten Gebäuden. Außerhalb dieser Gebiete und
außerhalb dieser Gebäude aber, schlagen wir vor, dass die
Investitionszulage wie bisher – mit dem alten Selbstbehalt –
fortgeführt werden soll.
Sie haben mittlerweile den Selbstbehalt flächen-
deckend erhöht. Das Problem ist doch, dass sich durch die
exorbitante Anhebung des Selbstbehaltes „normale“ In-
vestitionen in Mietwohnungen außerhalb der definierten
Gebiete und Gebäude zulagenmäßig nicht mehr rechnen
und dadurch ein hoher Investitionsverlust zu befürchten
ist. Zwischenzeitlich hatten wir Ihnen mit einem Ände-
rungsantrag zum Steueränderungsgesetz einen Kompro-
miss angeboten: Die bisherige Investitionszulage soll
überall dort fortgelten, wo Quartiere einem Stadtentwick-
lungskonzept nicht entgegenstehen. Wir waren Ihnen also
entgegengekommen; Sie haben auch diesen Vorschlag
nicht gewollt. Die erhöhte innerstädtische Investitionszu-
lage finanzieren Sie mit dem flächendeckenden erhöhtem
Selbstbehalt. Es finanzieren also jene Wohnungsunter-
nehmen, die von dieser Zulage das Wenigste haben und
denen Ihr Programm eigentlich helfen sollte.
Siebtens. Nicht zuletzt fordern wir – wie die Experten-
kommission, auf deren Vorschläge Sie doch eigentlich
hören wollten, deshalb hatten Sie diese ja eingesetzt – die
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20809
(C)
(D)
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(B)
Umkehr der Eigenheimzulage von Neubau und Bestand.
Es ist besonders traurig, dass Sie nicht die politische
Traute hatten, diese Umkehr – quasi passend für die ost-
deutsche Situation – einzuführen. Stattdessen erfinden Sie
ein Wohneigentumsprogramm, bei dem im günstigsten
Fall ein Erwerber eines heruntergekommenen Althauses
10 000 mehr erhält als beim Neubau eines Eigenheims.
Wäre ich in der Entscheidungslage, ich würde mich bei
diesem geringen Unterschied für den Neuwagen und nicht
für den Gebrauchtwagen entscheiden. Sie selbst rechnen
folgerichtig nur mit 3 000 bis 4 000 Förderfällen pro Jahr
für alle neuen Länder – eine Größenordnung, wie sie al-
lein eine Großstadt wie Leipzig gebrauchen könnte. Das
Wohneigentumsprogramm finanzieren Sie aus der Ab-
schaffung der Investitionszulage für Selbstnutzer; also
auch hier kein „neues“ Geld.
Zusammenfasst: Ihr so gepriesenes Stadtumbaupro-
gramm Ost entpuppt sich bei näherer Betrachtung als
mehr Schein als Sein. Als deutlich weniger attraktiv wie
es auf den ersten Blick erscheint: Es wird zum allergröß-
ten Teil finanziert aus auch weiter dringend benötigten
Ost-Programmen bzw. von den Wohnungsunternehmen
selbst – erhöhter, flächendeckender Selbstbehalt, – und
den Selbstnutzern, (Abschaffung I-Zulage Selbstnutzer!).
Die Katze beißt sich in den Schwanz.
Sein Umfang von 5 Milliarden ist zumindest in der Po-
sition der 1 Milliarde ostdeutsche Kommunen lediglich
virtuelles Geld. Gerade ostdeutsche Gemeinden, und un-
ter ihnen wiederum gerade jene mit hohem Leerstand,
sind derart finanzschwach, dass Sie diese eine Milliarde
in den Wind schreiben können.
Die Barmittel, die ab 2002 für Abriss und Aufwertung
bereitstehen, sind viel zu gering. Ihre gewählte Art der
Ausreichung der Barmittel beginnt bei niedrigen Beträ-
gen, die erst über Jahre allmählich ansteigen. Es kommt
aber darauf an, so schnell als möglich so viel als möglich
nicht mehr benötigte Wohnungen abzureißen. Erstens,
weil wegen der natürlichen Entwicklung die Bevölkerung
zügig weiter sinkt und dies auch durch den Anstieg der
Haushalte nicht aufgefangen wird. Zweitens, weil wegen
der historisch niedrigen Geburtenzahl Anfang der Neun-
ziger ab 2010 bereits mit der zweiten Leerstandswelle in
Höhe einer weiteren Million Wohnungen zu rechnen ist.
Es müsste also gerade umgekehrt vorgegangen werden:
Jetzt ausreichend Barmittel, die im Laufe der Jahre all-
mählich sinken. Sie aber handeln so nicht. Sie schieben
den Abriss vor sich her und laufen damit Gefahr, mit der
ersten, noch nicht abgetragenen Leerstandswelle in die
zweite zu geraten.
Unser zweiter Antrag beabsichtigt die Entlastung der
Wohnungsunternehmen von den Altschulden auf abgeris-
sene bzw. abzureißende Wohnungen. Wir sind damit recht
bescheiden. Denn Schritt für Schritt sind wir in unseren
Forderungen zurückgegangen. Von der Entlastung aller
Altschulden über die Entlastung der Altschulden auf dau-
erhaft leer stehendem Wohnraum bis hin zur heutigen For-
derung auf Übernahme der Altschulden auf abgerissene
bzw. anzureißende Wohnungen. Übrigens nunmehr auch
Forderung der ostdeutschen Ministerpräsidenten.
Es ist ja auch total absurd, dass die Unternehmen auf
eine Wohnung, die gar nicht mehr da ist, den Kapitaldienst
für die Altschulden leisten müssen. Alle Bemühungen ih-
res unzulänglichen Stadtumbauprogramms laufen damit
regelrecht ins Leere. Einerseits wollen Sie die Unterneh-
men entlasten, andererseits wird diese Entlastung durch
den Altschuldendienst wieder aufgefressen.
Und das Problematischste: Mit den verbleibenden Ge-
bäuden (die noch dazu in ihrem Wert deutlich verloren ha-
ben) sind die Altschuldenkredite gar nicht mehr gesichert;
die Banken verlangen anderweitige Sicherheiten, die die
Wohnungsunternehmen aber gar nicht geben können,
weil sie diese nicht haben. Nebenbei gesagt, sehe ich dort
einen der Gründe, weshalb die Schwierigkeiten der Woh-
nungsunternehmen mit den Banken so angewachsen sind,
weshalb die Kreditinstitute sich nicht oder nur sehr, sehr
zögerlich mit eigenem Anteil am Stadtumbau Ost beteili-
gen.
Alles in allem stehen Sie beim Stadtumbau Ost erst am
Anfang. Es ist aber bereits fünf nach zwölf.
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts: Verordnung über die Entsorgung von ge-
werblichen Siedlungsabfällen und von bestimmten
Bau- und Abbruchabfällen
(Tagesordnungspunkt 30)
Rainer Brinkmann (Detmold) (SPD): Über die Ab-
fallwirtschaft wird in Deutschland wieder geredet und das
ist auch gut so. Es wird nicht deswegen über die gegen-
wärtige und zukünftige Abfallpolitik gesprochen, weil es
neue Erkenntnisse über toxische Emissionen oder ma-
fiöse Skandale gäbe – nein, es wird über Umweltanfor-
derungen und ordnungsrechtliche Rahmenbedingungen
gesprochen.
Die Abfallwirtschaft in Deutschland hat in den letzten
Jahren im internationalen Vergleich viele Fortschritte er-
zielt. Es sind eine Vielzahl neuer und anspruchsvoller
Technologien entstanden. So können selbst komplexeste
Abfälle auf höchstem Niveau verwertet werden. Jedoch
sind solche Prozesse mit teilweise hohen Kosten verbun-
den. Daraus ist erheblicher Diskussions- und Regelungs-
bedarf entstanden, weil Ökodumping, Scheinverwertung
und Mülltourismus immer stärker um sich greifen und zu-
gleich die Planungs- und Rechtssicherheit der entsor-
gungspflichtigen Körperschaften ebenso gefährdet sind
wie die berechenbare Stabilität der Abfallgebühren für die
Bürgerinnen und Bürger. Das sind die eigentlichen Pro-
bleme, die von Flensburg bis Passau und von Aachen bis
Cottbus die Bürgerinnen und Bürger und die Verantwort-
lichen beschäftigen.
Die Dualität in der Abfallwirtschaft hat sich bewährt,
doch soll diese – wenn es nach den Vorstellungen einiger
weniger randgruppenständiger Wirtschaftsvertreter geht –
zugunsten einer vollständigen Liberalisierung der Abfall-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120810
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wirtschaft aufgegeben werden. Um es einmal klar zu be-
schreiben, wie die Situation heute häufig aussieht: Da
werden Gewerbeabfälle auf dem freien Markt akquiriert,
um sie anschließend nach dem Aussortieren einer Cola-
Dose und eines Holzbalkens einer Beseitigungsanlage
zuzuführen. Gegenüber den privaten Haushalten ergibt
sich ein kleiner aber feiner Unterschied: Die Kosten wer-
den etwa die Hälfte oder auch nur ein Drittel der sat-
zungsmäßig anzuliefernden Müllmengen betragen.
Um die Beschreibung komplett zu machen, wird dieser
Abfall dann auch noch einige hundert Kilometer in die
billigsten Deponien transportiert, die nicht gerade den
höchsten Umweltanforderungen genügen. Und ein Sah-
nehäubchen erlauben sich einige besonders kreative Un-
ternehmen auch noch, indem sie sich Wege und Möglich-
keiten verschafft haben, um ihr wertvolles Wirtschaftsgut
– was wir gemeinhin und völlig respektlos Abfall nennen –
in das benachbarte Ausland exportieren zu können. Öko-
dumping, Mülltourismus und Scheinverwertung sind also
keine Schlagwörter, sondern bitterste Realität auf Grund-
lage eines Gesetzes, das die alte Kohl-Regierung als
großartigen Erfolg ihrer Umweltpolitik gefeiert hat und
auch heute noch einige Vertreter der konservativ-liberalen
Opposition loben. Ich rate Ihnen, meine Damen und Her-
ren: Fahren sie einmal durchs Land und sprechen sie mit
den zuständigen Verantwortlichen in den entsorgungs-
pflichtigen Gebietskörperschaften! Ich habe dies in den
letzten Wochen und Monaten mehrmals gemacht und
habe dort immer wieder volle Unterstützung für unser
Vorhaben erfahren.
Darum ist diese Gewerbeabfallverordnung längst über-
fällig. Es ist ein ökologisch ehrgeiziges Vorhaben und ord-
nungspolitisch dringend geboten.
Wir werden drei Veränderungen erzielen, die wichtig
sind. Erstens. Die längst überfällige Definition des Haus-
mülls erfolgt so, dass endgültig sichergestellt wird, dass
Hausmüll auch dann Hausmüll ist, wenn er in einer ge-
werblichen Wohnanlage anfällt. Zweitens. Sortieranla-
gen, die als Vorbehandlungsanlagen eingestuft sind, müs-
sen eine Verwertungsquote von mindestens 85 Prozent
erreichen. Drittens. Jeder Betrieb in Deutschland muss in
Zukunft eine Restmülltonne vorhalten, weil auch in Be-
trieben hausmüllähnlicher Abfall anfällt – und sei es nur
der Kehricht und die Sozialraumabfälle.
Das ist die Antwort auf das gegenwärtige Chaos und
die teilweise anarchischen und mafiösen Zustände in der
Abfallwirtschaft. Aber es gibt ja Herrschaften in dieser
Republik, die wollen eine ganz andere Lösung. Diese
heißt dann Privatisierung respektive vollständige Libera-
lisierung. Hierzu liegt dem Parlament ja auch ein entspre-
chender Antrag einer kleinen Oppositionspartei vor.
Einen entlarvenderen Antrag habe ich in meinem Leben
selten gesehen. Das, was in diesem Antrag gefordert wird,
ist nicht nur die Ermöglichung von Rosinenpickerei –
nein, es ist geradezu eine Aufforderung zur Rosinen-
pickerei durch die private Entsorgungswirtschaft, wäh-
rend die Kommunen weiterhin das Risiko tragen sollen.
An die Autoren gewandt, zeige ich Ihnen hier noch
einmal die Konsequenzen Ihres Antrages auf: Die Bürge-
rinnen und Bürger sollen die Zeche zahlen. Denn nur für
den Fall, dass Sie sich nicht richtig auskennen im Ge-
bührenrecht: Gebührenhaushalte müssen kostendeckend
sein. Und die Kosten für die Nachsorge von Deponien ist
eine Angelegenheit der Abfallwirtschaft. Wollen Sie denn
diese Kosten von denen für die Abfallbeseitigung tren-
nen?
Es ist doch heute schon ein Skandal, dass die privaten
Haushalte über ihre Gebühren den Gewerbeabfall sub-
ventionieren. Ich warte im Übrigen auf die erste Klage ei-
nes Haushaltes gegen den Gebührenbescheid seiner Kom-
mune. Den Ausgang dieses Gerichtsverfahrens werde ich
dann allerdings voraussagen.
Nicht voraussagen können wir derzeit allerdings ein
Gerichtsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof im
so genannten Luxemburg-Streit. Sollte die Kommission
in diesem Streit gewinnen, dann sehe ich allerdings
schwarz für die kommunale Abfallwirtschaft und für die
Umweltstandards, die wir in jahrelangen Bemühungen
endlich erreicht haben.
Damit muss dann auch für unser Land die Frage der
kommunalen Daseinsvorsorge noch einmal geklärt wer-
den. Wer die Abfallbeseitigung aus der kommunalen Da-
seinsvorsorge herausnehmen will, der hat nun wirklich
keine Ahnung von Kommunalpolitik, der redet wie der
Blinde von der Farbe. Aber was sollen wir auch von einer
Partei erwarten, die außer neoliberalen Ideologien nichts
zu bieten hat und die sich für die Belastungen der Bürger
nicht kümmert, solange der Profit auf Kosten der Allge-
meinheit erwirtschaftet wird?
Was wir in der Abfallwirtschaft brauchen, sind Verläss-
lichkeit, Planungs- und Rechtssicherheit und kreative und
phantasievolle Lösungen für die Zukunft. Dass diese eu-
roparechtlich abgesichert sein müssen, versteht sich von
selbst. Aber wir verfolgen auch mit großem Interesse die
gegenwärtigen Diskussionen innerhalb der Kommission,
die unseren Auffassungen sehr entgegen kommen.
Ein Blick über die Grenzen erleichtert auch die Lösung
in anderen Fragen der Abfallpolitik. So werden wir uns
Gedanken machen müssen, ob die österreichische Lösung
einer Deponieabgabe zur Finanzierung der Altlasten-
sanierung nicht auch eine Möglichkeit für uns darstellen
könnte. Dieses ist auch im Hinblick auf die beabsichtigten
Schließungen der meisten Deponien im Jahre 2005 von
größtem Interesse.
Ich halte noch einmal fest: Die Gewerbeabfallverord-
nung bringt eine Verbesserung bei der Verwertung von ge-
werblichen Siedlungsabfällen durch höhere umweltpoli-
tische Vorgaben, eine bessere Regelung zur Trennung und
Vorbehandlung von gemischten Abfällen, eine hochwer-
tige Verwertung von gewerblichen Siedlungsabfällen.
Darum ist diese Verordnung ein richtiger Schritt, auch
wenn sie noch verbesserungsfähig ist. Wir werden den
derzeit diskutierten Veränderungsvorschlägen des Bun-
desrates positiv gegenüberstehen.
Georg Girisch (CDU/CSU): Wir sprechen hier und
heute über die Verordnung über die Entsorgung von ge-
werblichen Siedlungsabfällen und von bestimmten Bau-
und Abbruchabfällen der Bundesregierung, der vor dem
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In-Kraft-Treten der Bundestag zustimmen muss. Das Ziel
der vorliegenden Verordnung ist, aufgetretene oder ver-
mutete Missbräuche des Kreislaufwirtschafts- und Ab-
fallgesetzes zur billigen Abfallbeseitigung unter Umge-
hung des Gesetzes in der Zukunft zu verhindern.
Selbstverständlich ist auch die CDU/CSU der Auffas-
sung, dass der Vollzug dieses aus dem Jahr 1994 stam-
menden Gesetzes wichtig ist: Das Gesetz ist damals er-
lassen worden, um die ordnungsgemäße Verwertung oder
Beseitigung von Abfällen zu regeln. Ziel war es nicht,
dass diese Regelungen umgangen werden – durch die so-
genannte „Scheinverwertung“.
Leider sind in der hier vorgelegten Entwurfsfassung
der Gewerbeabfallverordnung einige schwerwiegende
Mängel enthalten, die ich kritisieren muss:
Erstens. Die Begriffsbestimmungen sind in der Ver-
ordnung nicht eindeutig und nicht vollständig beschrie-
ben. Zum Beispiel entspricht die Definition der „ge-
mischten Siedlungsabfälle aus dem Gewerbe“ nicht der
Begriffsbestimmung des EU-Abfallsrechts und des Kreis-
laufwirtschafts- und Abfallgesetz.
Zweitens. Der Stoffstromansatz ist nicht hinreichend
konsequent umgesetzt und beinhaltet eine Vielzahl von
Umgehungsmöglichkeiten. Es fehlt zum Beispiel eine
wirklich einheitliche Linie hinsichtlich der abfallerzeu-
ger- und anlagenbetreiberbezogenen Vorschriften.
Drittens. Die seuchenhygienischen Vorschriften sind
nicht ausreichend berücksichtigt.
Viertens. Das Kriterium der „wirtschaftlichen Unzu-
mutbarkeit“ wird in der Praxis für große Unsicherheiten
sorgen. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff wird die Ge-
richte beschäftigen, wenn damit nicht eine Andienungs-
pflicht an den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger
verbunden wird.
Fünftens. Das Kriterium des Entwurfs, was „geringe
Mengen“ für eine Befreiung von der Getrennthaltung
sind, ist ebenfalls für die Praxis untauglich.
Sechstens. Die in der Verordnung vorgesehene gene-
relle Ausgrenzung von Gemischen mit organischem An-
teil schießt über das Ziel weit hinaus – Stichwort Stabilat-
Verfahren.
Siebtens. Die Schlüssigkeit der vorgegebenen „Sorten-
reinheit“ der Verordnung hält einer näheren Betrachtung
nicht wirklich stand.
Achtens. Die Überwachung der Getrennthaltungs-
pflicht durch die Behörden der Länder und Kommunen ist
nicht ausreichend klar formuliert. Dies verleitet deshalb
regelrecht zum Missbrauch. Wichtig wäre zum Beispiel,
dass es auch weiterhin den Überwachungsbehörden er-
laubt bleibt, jederzeit zusätzliche überraschende Kontrol-
len durchzuführen oder anzuordnen.
Neuntens. Die vorgesehenen Erleichterungen zuguns-
ten der Entsorgungsfachbetriebe sehe ich vor dem Hinter-
grund steigender Umweltdelikte als problematisch an.
Auch diese Betriebe müssen vorsorglich ein Mindestmaß
an Kontrolldichte spüren, damit sie nicht in Versuchung
kommen, von dem bisherigen richtigen Weg abzuwei-
chen.
Zehntens. Die Verwertung von Abfall als Sekundär-
rohstoff durch die Entsorgungswirtschaft statt wie bisher
als Hausmüll wird faktisch zu mehr Schadstoffausstoß
führen. Damit droht bei dem harten Wettbewerb, der be-
reits auf diesem Markt herrscht, eine Form von Ökodum-
ping, die nicht gewollt sein kann.
Elftens. Die Verpflichtung für die Abfallerzeuger, im
angemessenen Umfang Restabfallbehälter des öffentlich-
rechtlichen Entsorgungsträgers vorzuhalten, ist in der
Verordnung nicht ausreichend rechtssicher formuliert.
Abschließend ist festzuhalten: Der Schwerpunkt in der
Abfallpolitik muss sein und ist die Abfallvermeidung.
Dazu trägt diese Verordnung nicht nur wenig bei, sondern
sie enthält auch Anreize, die in der Praxis dazu führen
werden: „Lieber mehr verwerten und mehr verursachen,
als Abfall vermeiden!“
Das wichtige Ziel der Schadstoffentfrachtung ist nicht
in der Verordnung enthalten.
Der Entwurf ist nicht mehr auf der Höhe der Zeit,
wie das Kriterium der 85-prozentigen Sortierquote be-
weist, Stichwort: Stabilat-Verfahren – Beispiel: Schwarze
Pumpe. Wer glaubt außerhalb des BMU denn heute noch
daran, dass allein die Sortierungsquote den ökologischen
Wert wirklich bestimmen kann, wenn man weiß, dass zum
Beispiel der Wasseraustrag unberücksichtigt bleibt? Da-
durch werden moderne und ökologisch vorteilige Verfah-
ren unnötig verhindert. Dennoch sucht man in der Ver-
ordnung nach Qualitätskriterien über die Sortierquote
hinaus vergeblich.
Diese vorgelegte Verordnung ist derart praxisfremd,
dass sie vollzugsuntauglich ist. Wie soll mit Fehleinwür-
fen umgegangen werden? Wer kann ausschließen, dass
trotz Sorgfaltspflicht in der Praxis Fehlwürfe vorkom-
men? Wie soll die Verunreinigung in der Praxis erkannt
werden – Kontrollverfahren? Kann dies zeitnah gesche-
hen? An wen kann dann der Abfall zurückgewiesen wer-
den und wer trägt die Kosten?
Diese Verordnung erzeugt entweder höhere Verwal-
tungskosten bei den kommunalen Umweltämtern oder
– falls die Kostenneutralitätsvermutung des Entwurfs zu-
trifft – handelt es sich dabei um einen Papiertiger, der
nicht effektiv kontrolliert wird. Denn: Wer die Einhaltung
aller Vorgaben dieses Entwurfes tatsächlich effektiv und
flächendeckend kontrollieren will, braucht dafür mehr
Personal und Geld.
Durch die vielen handwerklichen Fehler und Unge-
nauigkeiten im Entwurf wird es keinen ländereinheitli-
chen Vollzug geben können.
Es wird eine Zweiklassengesellschaft beim Gewerbe-
müll geschaffen werden. Höhere Standards im Inland –
keinerlei neue Standards bei Exporten durch diese Vor-
lage. Soll so eine grenzüberschreitende, nachhaltige Um-
weltpolitik aussehen? Oder wird dies nicht zu einem Öko-
dumping durch bereits bestehende Anlagen im Ausland
führen?
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120812
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Umweltverschmutzung macht nicht an der Grenze
Halt. Deshalb sollten wir rasch ein Exportverbot für
Abfallexporte schaffen, wenn im Zielland nicht ver-
gleichbare Ökostandards wie bei uns gelten. Art. 29 in
Verbindung mit Art. 86 des EG-Vertrags bietet hierzu aus-
reichende Handhabe.
Obwohl wir, die Union, die generelle Notwendigkeit
einer Gewerbeabfallverordnung – gerade zur Vermeidung
der Scheinverwertung – bejahen, empfehle ich, der Ver-
ordnung der Bundesregierung aufgrund der aufgezeigten
und weiterer Schwächen in der vorgelegten Form die Zu-
stimmung zu verweigern.
Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sie alle haben vom Mülltourismus quer durch Europa
gehört: 1 000 Tonnen kommen täglich aus Italien nach
Deutschland. Weitere Mengen sind beantragt. Dies zeigt
eines deutlich: Hätten die Damen und Herren von der Op-
position den Kommunen und privaten Abfallentsorgern
mehr Planungssicherheit geschaffen, gäbe es diesen öko-
logischen Unsinn heute nicht.
Mit der heute vorgelegten Gewerbeabfallverordnung
schafft die rot-grüne Bundesregierung eben diese Pla-
nungssicherheit. Denn die privaten und öffentlichen Ab-
fallentsorger müssen die Kapazität ihrer Anlagen richtig
planen können. Es geht um einige Millionen Tonnen Ge-
werbeabfall, der sortiert, zerkleinert, verdichtet und pelle-
tiert werden muss, damit er verwertet werden kann. Die
Anlagen müssen laufen – und dürfen nicht leer stehen.
Denn falsch konzeptionierte, nicht ausgelastet Anlagen
locken sehr leicht durch Dumpingpreise Müll an. Dem
Mülltourismus wird Tür und Tor geöffnet.
Die neue Verordnung verlangt die Verwertung von ge-
werblichen Siedlungsabfällen und von bestimmten Bau-
und Abbruchabfällen. Reste von Kunststoffen und Me-
tallrohren, von Holz, Glas und Papier, die beispielsweise
beim Bau oder bei der Renovierung eines Hauses anfal-
len, müssen direkt getrennt werden. Bei über 300 000 ge-
bauten oder renovierten Häusern pro Jahr ergibt allein die-
ser Bereich eine gewaltige Menge Abfall.
Die vorliegende Verordnung macht Schluss mit dem
großen Container, in dem sich alles findet: vom Baumate-
rial über Büroabfall bis zum Essensrest. Wir streben eine
möglichst sortenreine Abfalltrennung an. Vorbehand-
lungsanlagen für gemischte gewerbliche Siedlungsabfälle
müssen künftig eine Verwertungsquote von 85 Prozent er-
reichen. Zusätzlich sind auch Anforderungen entspre-
chende Kontrollen enthalten. Dadurch wird sichergestellt,
dass eine umweltgerechte Verwertung nicht schon auf-
grund von Fehlwürfen, Schadstoffbelastungen oder un-
zulässigen Vermischungen mit anderen Abfällen schei-
tert.
Damit schieben wir der Scheinverwertung von Abfäl-
len einen Riegel vor. Bisher können Gewerbe und Indus-
trie, private und öffentliche Einrichtungen allen Abfall
zusammenwerfen – Papier aus Büros, Küchenabfälle und
Abfälle aus der Werkstatt. Sie deklarieren ihn als Verwer-
tungsabfall – obwohl nur ein minimaler Anteil tatsächlich
verwertet wird. Das meiste landet auf der kostengünstigs-
ten Deponie. Das hat mit dem zugrunde liegenden Stoff-
kreislaufgedanken wirklich nichts mehr zu tun, besonders
da nicht nur Deponiealtlasten für nachfolgende Genera-
tionen geschaffen werden, sondern auch Wertstoffe verlo-
ren gehen.
Mit der neuen Gewerbeabfallverordnung werden alle
Gewerbebetriebe verpflichtet, für ihren Restmüll die öf-
fentlich-rechtlichen Entsorgungsträger zu nutzen. Damit
wird auch die Verunreinigung der Wertstoffe durch man-
gelnde Mülltrennung verhindert.
Diese Verordnung ist auch bürgerfreundlich. Das bis-
herige Verfahren benachteiligte Familien. Denn anders als
die Großkunden sind die privaten Haushalte auf den ört-
lichen Entsorger angewiesen. Beim Bürger kann kassiert
werden, um das kommunale Entsorgungsunternehmen
trotz der Dumpingpreise für Großkunden rentabel zu hal-
ten. Das bedeutet, dass die privaten Haushalte in steigen-
dem Maße die Kosten einer Entsorgungsstruktur tragen,
die für alle Abfallentsorger geschaffen wurde. Das kann
nicht der richtige Weg sein.
Die Verordnung schafft die Voraussetzung für nachhal-
tigen Wettbewerb. Jahrelang hat die jetzige Opposition
ausgerechnet die vorbildlichen Versorger benachteiligt,
die in moderne Trenn- und Verwertungsanlagen investiert
haben. Wir dagegen arbeiten mit ökologisch fortschrittli-
chen Kräften zusammen und schaffen ihnen faire Wettbe-
werbsbedingungen.
Die Verordnung entspricht dem europäischen Recht.
Sie wurde von der Europäischen Kommission im Juli
2001 notifiziert. Wir haben innerhalb der EU zwar Wa-
renverkehrsfreiheit, dennoch ist die Anwendung der Ge-
werbeabfallverordnung möglich, weil sie der EG-Abfall-
verbringungsverordnung nicht zuwiderläuft. Zusätzlich
wird mit der Gewerbeabfallverordnung ein Anstoß für
eine EU-weite Regelung gegeben. Dies wird zum Beispiel
vom Naturschutzbund Deutschland als wichtiger Impuls
begrüßt.
Wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen, kann die
Verordnung zügig in Kraft treten. Sie ist ein wichtiger
Baustein einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft, die wir
noch durch eine Reihe weiterer Verordnungen ergänzen
werden.
Birgit Homburger (FDP): Hintergrund der heutigen
Debatte ist die grundsätzliche Erfolgsgeschichte des
Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes (KrW-/AbfG).
Es hat dazu geführt, dass heute nicht mehr vom Entsor-
gungsnotstand, sondern vom Kampf um den Müll die
Rede ist. Dieser Erfolgsgeschichte wird mit der
GewAbfV kein neues Kapitel hinzugefügt.
Vorgebliches Ziel der Verordnung ist es, die „umwelt-
verträgliche Verwertung und die Beseitigung von Sied-
lungsabfällen aus dem Gewerbe sicherzustellen“. Zu die-
sem Zweck verschärft der Verordnungsentwurf die
Anforderungen bei der betrieblichen Abfallentsorgung,
indem er neben umfangreichen und komplizierten Ge-
trennthaltungspflichten für Abfälle Verwertungsquoten
für Betreiber von Behandlungs- und Verwertungsanlagen
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20813
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und Dokumentationspflichten regelt. Das führt im Ergeb-
nis zu einer deutlichen Erhöhung der Kosten.
Angesichts der mangelnden Praktikabilität der strikten
Vorgaben zur Getrennthaltung, beschränkt sich der Ver-
ordnungsentwurf auf die Fälle, in denen eine Getrennt-
haltung technisch möglich und wirtschaftlich zumutbar
ist. Dies zeigt, dass die Bundesregierung von vornherein
damit rechnet, dass die Vorgaben der GewAbfV nicht ein-
gehalten werden können und die Abfälle gerade nicht ord-
nungsgemäß und schadlos verwertet, sondern beseitigt
werden. Zwei Konsequenzen der Verordnung sind abzu-
sehen: Die Menge an Gewerbeabfall wird wachsen, die
unbehandelt den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträ-
gern angedient und dann deponiert oder verbrannt wird.
Abfälle zur Verwertung, die bekanntlich unter die Waren-
verkehrsfreiheit des EG-Vertrags fallen, werden vermehrt
in das europäische Ausland exportiert und damit niedri-
geren Umweltstandards unterstellt. Im Ergebnis bedeutet
das nicht mehr, sondern weniger Umweltschutz.
Es drängt sich daher der Eindruck auf, dass mit dem
vorgelegten Verordnungsentwurf diejenigen kommunalen
Deponiebetreiber entlastet werden sollen, die ihre Depo-
nien nicht oder nicht rechtzeitig an die Vorgaben der
Abfallablagerungsverordnung anpassen werden. Un-
berücksichtigt bleibt zudem, dass die deutsche Entsor-
gungswirtschaft massiv in Verwertungsanlagen investiert
hat, die eine ordnungsgemäße und schadlose hochwertige
Verwertung der Abfälle ermöglichen. Diese Anlagen müs-
sen ausgelastet sein, damit sie rentabel betrieben werden
können.
Entscheidend ist aber nicht, wer die Abfälle entsorgt,
sondern dass diese umweltverträglich entsorgt werden.
Das KrW-/AbfG nimmt bezüglich der Abfallverwertung
den Abfallerzeuger in die Pflicht. Er soll die Verwertung
grundsätzlich eigenverantwortlich durchführen und dabei
– auch europaweit – alle technisch machbaren und wirt-
schaftlich zumutbaren Verwertungsmöglichkeiten aus-
schöpfen. Die deutsche Wirtschaft ist dieser Aufgabe
überwiegend nachgekommen.
Eine Problematik des Abfallrechts besteht nach wie vor
darin, dass es bislang nicht gelungen ist, im Gesetz bzw.
untergesetzlichen Regelwerk zum KrW-/AbfG eine prak-
tikable Abgrenzung der Abfälle zur Verwertung von den-
jenigen zur Beseitigung vorzunehmen. Dieses Problem
löst die Bundesregierung aber auch mit dem vorliegenden
Verordnungsentwurf nicht. Deshalb besteht weiter Hand-
lungsbedarf, der in einer Überarbeitung des KrW-/AbfG
unter Berücksichtigung aller Entwicklungen der letzten
Jahre münden muss.
Da die GewAbfV absehbar ökologische Verschlechte-
rungen in der deutschen Abfallwirtschaft bewirken wird,
lehnt die FDP den vorgelegten Entwurf ab.
Rolf Kutzmutz (PDS): Mit der vorliegenden Verord-
nung sollen die schadlose und möglichst hochwertige Ver-
wertung von gewerblichen Siedlungsabfällen und von be-
stimmten Bau- und Siedlungsabfällen und von bestimmten
Bau- und Abbruchabfällen sichergestellt werden. Dabei
soll insbesondere die so genannte Scheinverwertung durch
Anforderungen an die Umweltverträglichkeit der Verwer-
tung verhindert werden.
Der Verordnungsentwurf der Bundesregierung sichert
tatsächlich eine qualitativ höhere Verwertung von ge-
werblichen Siedlungsabfällen. Dies ist allgemein unstrit-
tig. Hier herrschte lange eine grauer Markt, der vielfach
an schnellem Profit statt an qualitativer Abfallentsorgung
ausgerichtet war.
Hauptstreitpunkt zwischen dem BMU auf der einen
Seite und den Ländern und Kommunen auf der anderen
Seite ist die Überlassungspflicht für hausmüllähnliche
Gewerbeabfälle. Wer bekommt dieses Stück vom „Müll-
Kuchen“? Die privaten Entsorger oder die öffentlich-
rechtliche Abfallentsorgung? Beide Seiten haben um-
fangreiche Kapazitäten aufgebaut. Hier geht es also
richtig um Geld, vor allem um das der Bürgerinnen und
Bürger, die zwangsläufig über dann entstandene kommu-
nale Überkapazitäten mittels Müllgebühren kräftig zur
Kasse gebeten werden.
Bisher war es so: Betriebe, die ihren Abfall nicht selbst
in eigenen Anlagen beseitigen können, sowie andere,
nicht private Institutionen wie Altenheime, Schulen etc.
mussten die Abfälle öffentlich-rechtlichen Entsorgungs-
trägern überlassen. Dieser Teil des Mülls wurde gemein-
hin als „hausmüllähnlicher Gewerbeabfall“ bezeichnet.
Im Verordnungsentwurf wird nun der EU-Begriff „ge-
werbliche Siedlungsabfälle“ eingeführt. In § 2 wird dieser
definiert als „Abfälle aus anderen Herkunftsbereichen als
privaten Haushaltungen“. Damit gehen diese Abfälle
durch die Logik des Verordnungsentwurfes künftig weit-
gehend an die private Entsorgungswirtschaft.
Dies sehen die Kommunen mit Recht als weiteren An-
griff auf die Überlassungspflicht an. Schließlich wurden in
der Vergangenheit immer mehr Abfallfraktionen den öf-
fentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern entzogen. Übrig
blieben nur der Hausmüll und der hausmüllähnliche Ge-
werbeabfall. Letzterer würde nun nach der neuen Verord-
nung gänzlich für die kommunale Abfallentsorgung weg-
brechen. Die Folge: umfangreiche Investitionen, die in der
Vergangenheit von den Kommunen im Vertrauen auf die
künftig anfallenden Abfallströme – zu deren Beseitigung
sie ja verpflichtet waren – getätigt wurden, wären in den
Sand gesetzt. Damit müssten sich zwangsläufig die Ab-
fallgebühren erhöhen, weil sich die Fixkosten der kom-
munalen Anlagen auf weniger Abfälle verteilten.
Diesen Zusammenhang sehen auch die Länder, die
wahrscheinlich im Bundesrat geschlossen gegen den Ver-
ordnungsentwurf stimmen werden. Umfangreiche Ände-
rungsanträge einzelner Länder wurden schon angekün-
digt.
Fazit: Die vorgelegte Verordnung hat einen janusköp-
figen Charakter. Die Kriterien für eine hochwertige Ver-
wertung erschweren zumindest die profitable und wenig
umweltgerechte Scheinverwertung der Vergangenheit.
Das ist zu begrüßen. Andererseits wird der kommunalen
Abfallentsorgung mit der einseitigen Bevorzugung der
privaten Entsorger schwer zugesetzt, wenn nicht der Ga-
raus gemacht. Damit ist die Verordnung insgesamt nicht
zustimmungsfähig.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120814
(C)
(D)
(A)
(B)
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung
– des Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung
der für die Kostengesetze nach dem Eini-
gungsvertrag geltenden Ermäßigungssätze
für den Teil des Landes Berlin, in dem das
Grundgesetz vor dem 3. Oktober 1990 nicht
galt (Ermäßigungssatz-Aufhebungsgesetz Ber-
lin – KostGErmAufhGBln)
– der Beschlussempfehlung und des Berichts:
Ende der doppelten Benachteiligung für die
Rechtsanwälte in den neuen Ländern
(Tagesordnungspunkt 31 a und b)
Christine Lambrecht (SPD): Ziel der Deutschen
Wiedervereinigung und Aufgabe nach dem Einigungsver-
trag ist für uns alle die Anpassung der Lebensverhältnisse
in den alten und neuen Bundesländern. Dass dies noch
nicht für alle in allen Bereichen erreicht worden ist, muss
ich hier wohl nicht ausdrücklich betonen.
Dies ist auf unterschiedliche Faktoren zurückzuführen,
unter anderem natürlich auch mit der wirtschaftlichen Si-
tuation der DDR zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung.
Dieser unterschiedlichen Situation wird in vielen Berei-
chen durch unterschiedliche Vergütung von Arbeitskräften
Rechnung getragen. Es wird ihr aber auch Rechnung getra-
gen durch unterschiedliche Gebührenordnungen, die in den
neuen Ländern niedriger liegen als in den alten.
Ein Beispiel – aber eben auch nur eines von vielen –
ist die unterschiedliche Regelung in der Gebührenord-
nung für Rechtsanwälte. Hier liegt der Gebührensatz bei
90 Prozent des Satzes in den alten Bundesländern.
Wir haben heute einen Antrag der FDP zu beraten, der
vorsieht, sowohl die Rechtsanwaltsgebühren als auch die
Gerichtskosten in den alten und neuen Bundesländern an-
zupassen und den bisherigen Gebührenabschlag in den
neuen Ländern von 10 Prozent aufzuheben.
Es ist bezeichnend, dass die FDP ausgerechnet hier ihr
Gerechtigkeitsgefühl entdeckt. Sie interessiert sich nicht
für den Krankenpfleger oder die Polizistin, die lediglich
80 Prozent der West-Bezüge bekommen.
Nein, es sind die Rechtsanwälte – und das sage ich als
Kollegin –, deren Ungleichbehandlung der FDP auf der
Seele brennt. Da ist es nicht von Interesse, dass der Man-
dant in Dresden, der nach dem Willen der FDP 100 Pro-
zent der Gebühren zahlen soll, lediglich 80 Prozent Ge-
halt bekommt.
Ich will es mal deutlicher ausdrücken: Wer weniger
verdient, kann auch nicht die vollen Rechtsanwaltsge-
bühren bezahlen.
Selbstverständlich müssen mittelfristig Ungleichbe-
handlungen in den neuen Bundesländern abgebaut wer-
den. Es interessiert die FDP im Übrigen auch nicht, dass
der Anwalt bei Gericht auch nur lediglich 90 Prozent der
Gebühren bezahlt.
Darüber hinaus würde eine solche sofortige Angleichung
auch den Interessen der Länder widersprechen. Die Länder-
vertreter haben dies in vorangegangenen Beratungen auch
deutlich gemacht. Eine sofortige Anhebung hätte nämlich
unwillkürlich zur Folge, dass die Länderhaushalte durch
steigende Prozeßkostenhilfe belastet werden würden.
Wir halten es nicht für sinnvoll, hier auf der Bundes-
ebene eine politische Entscheidung gegen den Willen der
neuen Länder zu treffen. Deshalb lehnen wir den FDP-
Antrag ab. Nichtsdestotrotz wird die Bundesregierung
von uns gebeten zu überprüfen, inwieweit im Zuge der
Strukturreform der Rechtsanwaltsgebühren bestehende
Ungleichheiten stufenweise aufgehoben werden können.
Und ich bin sicher, dass die Bundesregierung dieser Prüf-
bitte auch nachkommen wird.
Ich freue mich, dass alle Kolleginnen und Kollegen im
Rechtsausschuss sich einem entsprechenden Ent-
schließungsantrag angeschlossen haben.
Völlig anders sieht die Situation in Berlin aus. Hier ist
es einfach nicht erträglich und nicht zu vermitteln, warum
der Anwalt am einen Ende der Sonnenallee für die gleiche
Leistung weniger Gebühren erhalten soll als der am an-
deren Ende der Sonnenallee.
Auch haben sich die Lebensverhältnisse in Berlin we-
sentlich anders angeglichen als im Rest der neuen Bun-
desländer. Hier ist die Forderung „gleicher Lohn für glei-
che Arbeit“, zum Beispiel im öffentlichen Dienst,
wesentlich weiter umgesetzt.
Marzahn und Hellersdorf zum Beispiel gehören zu den
einkommensstarken Bezirken in Berlin, während
Neukölln oder Friedrichshain-Kreuzberg hier längst am
unteren Ende liegen. Außerdem gibt es mit Mitte und
Friedrichshain-Kreuzberg längst Bezirke, die nicht mehr
nach „Ost“ und „West“ zu trennen sind.
Hier die Kostengrenze aus dem Einigungsvertrag auf-
zuheben ist Ziel einer Bundesratsinitiative, die von den
Ländern breit getragen wird.
Die Bundesratsinitiative auf Angleichung der Ge-
bührensätze für das Land Berlin werden wir aus den
gegebenen Gründen unterstützen. Ich fordere die Kolle-
ginnen und Kollegen aus der CDU/CSU und der FDP-
Fraktion auf, ihre Verweigerungshaltung hier noch einmal
zu überdenken.
Es kann keine Rede davon sein, das hier der Gleichbe-
handlungsgrundsatz verletzt werden würde. Die Situation
in Berlin stellt sich eben wie bereits dargestellt anders als
in den Flächenländern dar.
Aber diese Aufhebung muss bis auf weiteres auf Ber-
lin begrenzt bleiben.
Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Die Angleichung
der Lebensverhältnisse in den neuen Bundesländern an
den Standard in den alten Bundesländern war, ist und
bleibt eine der herausragenden politischen Aufgaben in
Deutschland. „Bleibt“ deswegen, weil dieses Ziel leider
auch zwölf Jahre nach der Wiedervereinigung noch nicht
erreicht ist.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20815
(C)
(D)
(A)
(B)
Gerade weil dies so ist, müssen wir darauf achten, nicht
aus Ungeduld oder Übereiltheit von der Gerechtigkeits-
vorstellung des Einigungsvertrages abzurücken. Weder
einzelne Berufsgruppen noch einzelne Bundesländer dür-
fen bevorzugt behandelt werden. Dies gilt jedenfalls
dann, wenn die Entwicklung in diesen Bundesländern
eine Andersbehandlung nicht rechtfertigt oder diese An-
dersbehandlung zu Benachteiligungen der betroffenen
Bevölkerung führen würde.
Aus diesem Grunde wird die CDU/CSU-Bundestags-
fraktion heute weder dem Ermäßigungssatz-Aufhebungs-
gesetz Berlin noch dem Antrag der FDP „Ende der dop-
pelten Benachteiligung für die Rechtsanwälte in den
neuen Ländern“ zustimmen.
In der Begründung des Bundesratsentwurfes heißt es
auf Seite 6: „Im Ergebnis wurde immer wieder, zuletzt im
Verlaufe des Jahres 2000, übereinstimmend festgestellt,
dass eine weitere Reduzierung oder gar Aufhebung im
Verordnungswege“ – gemeint sind die Ermäßigungssätze
auf Anwalts- und Justizgebühren – „gegenwärtig und auf
Sicht nicht möglich wäre, da sich die wirtschaftlichen
Verhältnisse nicht entsprechend entwickelt hätten bzw. in
absehbarer Zeit entwickeln würden. Vor allem sei nach
wie vor ein deutliches Einkommensgefälle zwischen Ost
und West festzustellen.“
Die wirtschaftlichen Verhältnisse lassen eine Aufhe-
bung nicht zu; eine bessere Begründung für die Ableh-
nung des Gesetzentwurfes und des Antrages gibt es nicht.
Der Gebührenabschlag soll den abweichenden Verhält-
nissen, insbesondere den Vermögens- und Einkommens-
verhältnissen in den neuen Ländern, Rechnung tragen.
Lassen die wirtschaftlichen Verhältnisse eine Aufhebung
nicht zu, müssen wir die Finger von einer solchen Aufhe-
bung lassen. Wir dürfen nicht – wie beabsichtigt – den
Kunstgriff eines formellen Bundesgesetzes wählen, um
die eigentliche Ermächtigungsgrundlage für die Bundes-
justizministerin, deren Voraussetzungen eindeutig nicht
vorliegen, zu umgehen.
Es sprechen aber noch weitere Gründe insbesondere
gegen eine isolierte Aufhebung der Ermäßigungssätze
für das Land Berlin, gegen eine Insellösung. Was wäre
diese Insellösung für ein Signal für die anderen neuen
Bundesländer? Die Voraussetzungen für eine Aufhebung
des Gebührenabschlages liegen zwar nicht vor, aber für
Berlin machen wir das trotzdem. Das würde einerseits
signalisieren: Berlin wird entgegen der Gerechtigkeits-
vorstellung des Einigungsvertrages ohne zwingende
Gründe bevorzugt. Andererseits hieße das, den zweiten
Schritt – die Aufhebung – vor dem ersten Schritt – einer
entsprechenden wirtschaftlichen Entwicklung –, der Vo-
raussetzung für diesen zweiten Schritt ist und im Inte-
resse unserer ostdeutschen Mitbürger auch bleiben
sollte, zu tun.
Mit der Aufhebung würde ein einzelner Berufsstand,
die Rechtsanwaltschaft, – und die Justizverwaltung des
Landes Berlin – vor allen anderen Berufsgruppen bevor-
zugt. Als Beispiel möchte ich nur die Angestellten im Öf-
fentlichen Dienst nennen, die im Ostteil der Stadt weiter-
hin mit BAT-Ost bezahlt werden, aber mit der Erhöhung
der Anwaltsgebühren und der Justizgebühren gleich in
zweifacher Hinsicht zur Kasse gebeten würden.
Damit will ich die Probleme, die sich aus der Sonder-
stellung Berlins unter den neuen Bundesländern ergeben,
gar nicht hinwegreden: Die schnell voranschreitende
Vermischung der Bevölkerung aus beiden Teilen der
Stadt, die mit den unterschiedlichen Gebühren verbunde-
nen Mandatenwanderungen zwischen Ost und West,
Notariatstourismus, eine faktische Beschränkung der
Niederlassungsfreiheit etc. Auch die Probleme der An-
waltschaft in den anderen neuen Bundesländern lassen
sich nicht hinwegdiskutieren. Eine Ungerechtigkeit kann
jedoch keine andere Ungerechtigkeit rechtfertigen oder
gar begründen. Wenn diese Probleme gelöst werden sol-
len, muss eine Gesamtlösung gefunden werden. Hierzu
hat die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion konkrete Vor-
schläge unterbreitet.
Wir haben am vergangenen Mittwoch im Rechtsaus-
schuss einstimmig beschlossen, die Bundesregierung zu
bitten, gemeinsam mit den betroffenen Ländern zu prüfen,
ob im Zuge der Strukturreform der Rechtsanwaltsge-
bühren eine (stufenweise) Aufhebung der im Einigungs-
vertrag für die Justizkosten und Rechtsanwaltsgebühren
vorgesehenen Ermäßigungssätze erfolgen kann. Mehr
lässt der Anpassungsstand der Lebensverhältnisse in den
neuen Bundesländern derzeit nicht zu.
Lassen Sie uns an der Gerechtigkeitsvorstellung des
Einigungsvertrages festhalten und weiter gemeinsam da-
ran arbeiten, die unterschiedlichen Lebensverhältnisse in
den alten und neuen Bundesländern zügig anzugleichen.
Einzelkorrekturen, die mehr Ungerechtigkeiten schaffen
als sie beseitigen, führen hier nicht weiter.
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Der zehnprozentige Abschlag auf Anwalts-
und andere Justizgebühren war in Ostdeutschland durch
das dort insgesamt meist niedrigere Einkommens- und Kos-
tenniveau gerechtfertigt. Das galt auch für den Teil des
Beitrittsgebietes. Aber die Verhältnisse in Ostdeutschland
haben sich in den zehn Jahren seit der Vereinigung erheb-
lich verändert. Noch erheblicher haben sich die Verhält-
nisse in Ostberlin verändert. Innerhalb der Stadt Berlin
macht es überhaupt keinen Sinn mehr, Ost- und Westber-
lin zu unterscheiden. Sogar die meisten Berliner haben in-
zwischen Probleme, jeweils zu sagen, ob sie sich noch im
früheren Ost- oder Westteil befinden. Die Grenzen sind
verwischt; die Lebensverhältnisse haben sich weitgehend
angeglichen. Da ist es nicht mehr zu rechtfertigen, in ei-
nem Bezirk andere Anwaltsgebühren oder Gerichtskosten
anzusetzen als im anderen Bezirk. Deshalb schaffen wir
jetzt eine einheitliche Regelung für ganz Berlin. Wir neh-
men damit die Angleichung zur Kenntnis.
Anders verhält es sich aber noch mit den anderen Ost-
bundesländern, hier gibt es durchaus noch Unterschiede im
Einkommens- und Preisniveau zu Westbundesländern. Des-
halb ist der Unterschied der gesetzlichen Gebühren gerade
noch zu rechtfertigen. Aber wir hinterfragen dies und der
Rechtsausschuss hat beschlossen, jetzt zeitnah zu prüfen, ob
eine stufenweise Angleichung richtig und zu vertreten ist.
Deshalb wird die Bundesregierung gemeinsam mit den be-
troffenen Bundesländern prüfen, ob zum Ausgleich zwi-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120816
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(B)
schenzeitlicher Kostenerhöhungen sowie zur Angleichung
des Gebührenniveaus in Ost- und Westdeutschland im Zuge
der Strukturreform der Rechtsanwaltsgebühren eine stufen-
weise Anhebung der im Einigungsvertrag für die Justizkos-
ten vorgesehenen Ermäßigungssätze erfolgt. Dabei wird
auch das kürzlich vorgelegte Votum der vom BMJ einge-
setzten Expertenkommission zu den Anwaltsgebühren
handlungsleitend sein.
Ich werde mich dafür einsetzen, dass diese Prüfung
und Neuregelung zügig erfolgt, auch weil ich als Anwalt
persönlich großes Verständnis für das Anliegen habe.
Rainer Funke (FDP): Lassen Sie mich eingangs sa-
gen, dass wir es durchaus für richtig halten, dass auch die
Ostberliner Anwaltskollegen nicht mehr den Gebührenab-
schlag von 10 Prozent hinnehmen sollen. Wenn wir den-
noch gegen die Aufhebung des Gebührenabschlags für
Ostberliner Anwälte stimmen, dann nicht, um diesen Kol-
legen zu schaden, sondern weil wir zwölf Jahre nach der
deutschen Wiedervereinigung der Auffassung sind, dass
generell Abschläge für Anwaltsgebühren und Justizkosten
in den neuen Bundesländern aufgehoben werden sollen.
Aufgrund der gegebenen Sach- und Rechtslage hätte
die Bundesjustizministerin – wie von ihr im Frühjahr
2000 vor der Anwaltschaft angekündigt – schon längst
durch eine Rechtsverordnung, die sie allein in eigener
Verantwortung erlassen könnte, diesen Gebührenab-
schlag aufheben können. Davor hat sie sich gedrückt und
will diese Verantwortung auf Bundestag und Bundesrat
abwälzen. Ein Gebührenabschlag lässt sich auch heute
nicht mehr rechtfertigen, schließlich sind die Bürokosten
– also die festen Kosten der Anwaltschaft für Büro-, Per-
sonal- und Sachausstattung – in den neuen Bundesländern
genauso hoch wie zum Beispiel in den Flächenstaaten der
alten Bundesrepublik. Hinzu kommt, dass die Streitwerte
in den neuen Bundesländern regelmäßig niedriger sind als
in den alten Bundesländern. Die Anwälte in den neuen
Bundesländern werden also zweimal benachteiligt: ein-
mal durch den Abschlag und ein zweites Mal durch nied-
rigere Streitwerte.
Auf einen Umstand möchte ich noch besonders auf-
merksam machen. Überörtliche Sozietäten, die sowohl in
den alten als auch in den neuen Bundesländern tätig sind,
können sich dem Abschlag hinsichtlich ihrer Anwaltsge-
bühren ohne Schwierigkeit entziehen, während aus-
schließlich in den neuen Bundesländern zugelassene Kol-
legen den Abschlag hinnehmen müssen. Dies ist nicht nur
ungerecht, sondern begegnet auch verfassungsrechtlichen
Bedenken. Der Gleichheitsgrundsatz ist in einer anderen
Weise nicht gewahrt und demgemäß das Gesetz nicht ver-
fassungsmäßig, weil ein sachlicher Grund für die Insellö-
sung, also der Herausnahme Ostberlins aus dem Gebüh-
renabschlag, nicht gerechtfertigt ist. Es ist überhaupt nicht
einsichtig, warum Gebührenabschläge in Ostberlin aufge-
hoben werden, während in Potsdam oder in Zeuthen, also
teilweise auf der anderen Straßenseite im Großraum Ber-
lin, diese Gebührenabschläge weiter vorgenommen wer-
den müssen.
Alles in allem ist dies ein verkorkstes und sogar
verfassungswidriges Gesetz. Die Bundesjustizministerin
sollte stattdessen den Mut haben, durch Ministerverord-
nung diesem unberechtigten Gebührenabschlag ein Ende
zu bereiten.
Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Bei den beiden heute zur
Debatte stehenden Gesetzentwürfen weiß ich nicht so
recht, welcher Lebensweisheit ich folgen soll: Alles oder
Nichts oder der Spatz in der Hand ist besser als die Taube
auf dem Dach? Als PDS-Abgeordnete halte ich es welt-
anschaulich gesehen allerdings mehr mit den Interessen.
Und danach wäre die Antwort eigentlich ganz einfach. Als
Rechtsanwältin aus Ostberlin begrüße ich natürlich den
Gesetzentwurf des Bundesrates, der die Aufhebung der
Benachteiligung für meine Berufsgruppe in meiner Stadt
fordert. Aber im Ernst: Für mich ist der Antrag der FDP
der einzig richtige, da er eine Aufhebung der „doppelten“
Benachteiligung bei Rechtsanwälten in allen neuen Bun-
desländern fordert. Und das Beste wäre, wenn es nach
über zehn Jahren Einheit überhaupt keine „Ostabschläge“
mehr geben würde, wie sie noch im öffentlichen Dienst
oder aber auch bei bestimmten Berufsgruppen wie den
Notaren, den Ärzten und Zahnärzten – bei Privatversi-
cherten, um nur einige zu nennen – weiterhin bestehen.
Diese Ungleichbehandlung ist sachlich nicht mehr zu
vermitteln. Weniger Geld bei gleichen Sach- und Personal-
kosten für dieselbe Arbeit zu erhalten ist schlichtweg unge-
recht und frustrierend. Die Lebensverhältnisse und insbe-
sondere die Kostenstruktur bei Freiberuflern haben sich
mittlerweile so weit angeglichen, dass die Gebührener-
mäßigung aus keinem sachlichen Grund mehr gerechtfer-
tigt ist.
Ich finde es schon erstaunlich, wenn die Justizministe-
rinnen und Justizminister der neuen Bundesländer diesen
Sonderweg Berlins mittragen, die Anwälte in ihren eige-
nen Ländern jedoch mit Hinweis auf noch bestehende Ein-
kommensunterschiede leer ausgehen lassen. Und auch die
Stellungnahme der Regierung zu dem Gesetzentwurf des
Bundesrates, die sich auf den Satz beschränkt, „Die Bun-
desregierung erhebt gegen den Entwurf keine Bedenken“,
lässt nicht einmal das Bestreben erkennen, in absehbarer
Zeit bundeseinheitlich gleiche Gebühren einzuführen.
Dass insbesondere die Regierungen Brandenburgs,
Mecklenburg-Vorpommerns, Sachsens sowie Sachsen-
Anhalts eine Gebührenangleichung ablehnen, ist beschä-
mend und nicht durch finanzielle Erwägungen zu recht-
fertigen, zumal ja auch Abschläge für weitere Kosten –
wie Gerichtskosten – zeitgleich fallen. Dadurch werden
erhebliche Mehreinnahmen in die Justizkasse gespült, die
zusätzliche Kosten für Prozesskostenhilfe zumindest
kompensieren.
Die kleine Berliner Lösung ist sicher besser als gar
keine Lösung. Doch froh macht sie mich nicht. Ob da-
durch eine schnellere Angleichung in den übrigen neuen
Bundesländern zustande kommt, ist zu hoffen, jedoch kei-
nesfalls sicher. Von den Anwälten in den neuen Bundes-
ländern ist jedenfalls gehöriger Druck zu erwarten. Um
den leidigen Gebührenabschlag elf Jahre nach der deut-
schen Einheit in einem ersten Schritt wenigstens territo-
rial begrenzt zu Fall zu bringen, werden wir dem Gesetz-
entwurf der Regierungskoalition zustimmen. Zufrieden
sind wir mit dieser halben Lösung – oder besser: 1/6-Lö-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20817
(C)
(D)
(A)
(B)
sung – jedoch nicht und werden das über unsere Zustim-
mung zu dem Antrag der FDP zum Ausdruck bringen.
Anlage 10
Amtliche Mitteilungen
Der Bundesrat hat in seiner 770. Sitzung am 30. No-
vember 2001 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen
zuzustimmen, bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Ab-
satz 2 Grundgesetz nicht zu stellen:
– Zweites Gesetz zur Änderung des Saatgutverkehrs-
gesetzes
– Gesetz zu Einführung und Verwendung eines Kenn-
zeichens für Erzeugnisse des ökologischen Landbaus
(Öko-Kennzeichengesetz – ÖkoKennzG –)
– Gesetz zur Reform der arbeitsmarktpolitischen In-
strumente (Job-AQTIV-Gesetz)
– Gesetz zur Änderung des Gesetzes zu dem Überein-
kommen vom 18. Dezember 1979 zur Beseitigung
jeder Form von Diskriminierung der Frau
– Gesetz zur der Entschließung vom 22. Mai 1995 zur
Änderung des Übereinkommens vom 18. Dezember
1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminie-
rung der Frau
– Gesetz zu dem Fakultativprotokoll vom 6. Oktober
1999 zum Übereinkommen vom 18. Dezember 1979
zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung
der Frau
– Gesetz zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Steuer-
änderungsgesetz 2001 – StÄndG 2001)
– Gesetz zur Finanzierung der Terrorbekämpfung
– Erstes Gesetz zur Änderung des Vereinsgesetzes
– Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten
zum Erwerb von Wertpapieren und von Unterneh-
mensübernahmen
– Gesetz zur Neuordnung des Schuldbuchrechts des
Bundes und der Rechtsgrundlagen der Bundesschul-
denverwaltung (Bundeswertpapierverwaltungs-
gesetz – BWpVerwG)
– Zweites Gesetz zur Änderung des Medizinproduk-
tegesetzes (2. MPG-ÄndG)
– Gesetz zur Reform des Risikostrukturausgleichs in
der gesetzlichen Krankenversicherung
– Gesetz zur Ergänzung der Leistungen bei häuslicher
Pflege von Pflegebdürftigen mit erheblichem allge-
meinem Betreuungsbedarf (Pflegeleistungs-Ergän-
zungsgesetz – PflEG)
– Sechstes Gesetz zur Änderung besoldungsrechtlicher
Vorschriften (Sechstes Besoldungsänderungsgesetz
– 6. BesÄndG)
– Erstes Gesetz zurÄnderung des Wahlstatistikgeset-
zes
– Gesetz zur Verbesserung des zivilgerichtlichen
Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie
zur Erleichterung der Überlassung der Ehewoh-
nung bei Trennung
– Siebtes Gesetz zur Änderung der Pfändungsfrei-
grenzen
– Gesetz zur Einführung des Euro in Rechtspflegege-
setzen und in Gesetzen des Straf- und Ordnungs-
widrigkeitsrechts, zur Änderung der Mahnvor-
druckverordnungen sowie zur Änderung weiterer
Gesetze
– Gesetz über elektronische Register und Justizkos-
ten für Telekommunikation – ERJuKoG –
– Gesetz zur Umstellung von Vorschriften aus den
Bereichen des Verkehrs-, Bau- und Wohnungswe-
sen sowie der Familie, Senioren, Frauen und Ju-
gend auf den Euro (Zehntes Euro-Einführungs-
gesetz – 10. EuroEG)
– Gesetz über rechtliche Rahmenbedingungen für den
elektronischen Geschäftsverkehr (Elektronischer Ge-
schäftsverkehr-Gesetz – EGG)
– Gesetz zu dem Abkommen vom 12. Juli 2001 zwi-
schen der Bundesrepublik Deutschland und der
Volksrepublik China über Sozialversicherung
– Gesetz zu dem Abkommen vom 19. April 2001
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
Kanada zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf
dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und be-
stimmter anderer Steuern, zur Verhinderung der
Steuerverkürzung und zurAmtshilfe in Steuersachen
– Gesetz zu dem Abkommen vom 8. März 2001 zwi-
schen der Bundesrepublik Deutschland und Malta
zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem
Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Ver-
mögen
– Gesetz zur Änderung des Übereinkommens vom
14. Juli 1967 zur Errichtung der Weltoranisation
für geistiges Eigentum
– Gesetz zur Änderung des Gaststättengesetzes und
der Gewerbeordnung
– Gesetz zur Bekämpfung von Steuerverkürzungen bei
der Umsatzsteuer und zur Änderung anderer Steuer-
gesetze (Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz –
StVBG)
Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie-
ßung gefasst:
Der Bundesrat hat dem Steuerverkürzungsbekämpfungs-
gesetz im Hinblick auf die damit verbundene Zielsetzung
der Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs zugestimmt. Der
Bundesrat erwartet aber, dass die erst am Ende der Beratun-
gen in das Gesetz aufgenommenen organschaftlichen Son-
derregelungen für die Versicherungswirtschaft, die mit der
Zielsetzung dieses Gesetzes nichts zu tun haben, im Rah-
men des Gesetzgebungsverfahrens zur Fortentwicklung des
Unternehmenssteuerrechts überprüft werden.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 200120818
(C)
(D)
(A)
(B)
Der Bundesrat hat in seiner 770. Sitzung am 30. No-
vember 2001 beschlossen, der Bundesregierung wegen
der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des
Bundes für das Haushaltjahr 2000 (Jahresrechnung
2000) aufgrund der Bemerkungen des Bundesrechnungs-
hofes Entlastung gemäß Artikel 114 des Grundgesetzes
und § 114 der Bundeshaushaltsordnung zu erteilen.
Der Vermittlungsausschuss hat in seiner 14. Sitzung
am 6. Dezember 2001 folgenden Einigungsvorschlag be-
schlossen:
Das vom Deutschen Bundestag in seiner 199. Sitzung
am 9. November 2001 beschlossene Gesetz zur
Neuausrichtung der Bundeswehr (Bundeswehr-
neuausrichtungsgesetz)
– Drucksachen 14/6881, 14/7089, 14/7235,
14/7372, 14/7746 –
wird bestätigt.
Der Vorsitzende des folgenden Ausschusses hat mitge-
teilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Ge-
schäftsordnung von einer Berichterstattung zu der nach-
stehenden Vorlage absieht:
Haushaltsausschuss
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Haushaltsführung 2001
Unterrichtung gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 HG2001 über eine
überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 60 02 Titel 540 01
(Münzausgaben)
– Drucksachen 14/7263, 14/7413 Nr. 8 –
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit-
geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla-
gen beziehungsweise Unterrichtungen durch das europä-
ische Parlament zur Kenntniss genommen oder von einer
Beratung abgesehen hat.
Haushaltsausschuss
Drucksache 14/6908 Nr. 2.2
Drucksache 14/7000 Nr. 2.9
Drucksache 14/7129 Nr. 2.3
Drucksache 14/7129 Nr. 2.14
Ausschuss fürWirtschaft
und Technologie
Drucksache 14/4441 Nr. 1.32
Drucksache 14/4441 Nr. 1.33
Drucksache 14/4441 Nr. 1.34
Drucksache 14/4570 Nr. 2.2
Drucksache 14/4570 Nr. 2.3
Drucksache 14/7000 Nr. 2.21
Drucksache 14/7000 Nr. 2.33
Drucksache 14/7000 Nr. 2.35
Drucksache 14/7000 Nr. 2.36
Drucksache 14/7000 Nr. 2.50
Drucksache 14/7000 Nr. 2.51
Drucksache 14/7000 Nr. 2.52
Drucksache 14/7000 Nr. 2.55
Drucksache 14/7129 Nr. 2.26
Drucksache 14/7129 Nr. 2.30
Drucksache 14/7129 Nr. 2.38
Drucksache 14/7129 Nr. 2.41
Drucksache 14/7129 Nr. 2.45
Drucksache 14/7129 Nr. 2.46
Drucksache 14/7129 Nr. 2.51
Drucksache 14/7129 Nr. 2.54
Drucksache 14/7129 Nr. 2.57
Drucksache 14/7129 Nr. 2.59
Drucksache 14/7129 Nr. 2.61
Drucksache 14/7129 Nr. 2.68
Drucksache 14/7129 Nr. 2.69
Drucksache 14/7197 Nr. 2.7
Drucksache 14/7197 Nr. 2.11
Drucksache 14/7197 Nr. 2.22
Drucksache 14/7197 Nr. 2.26
Drucksache 14/7197 Nr. 2.27
Drucksache 14/7197 Nr. 2.31
Ausschuss für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft
Drucksache 14/7129 Nr. 2.32
Drucksache 14/7129 Nr. 2.33
Drucksache 14/7129 Nr. 2.34
Drucksache 14/7129 Nr. 2.35
Drucksache 14/7129 Nr. 2.36
Drucksache 14/7129 Nr. 2.37
Drucksache 14/7129 Nr. 2.39
Drucksache 14/7129 Nr. 2.42
Drucksache 14/7129 Nr. 2.49
Drucksache 14/7129 Nr. 2.52
Drucksache 14/7129 Nr. 2.53
Drucksache 14/7129 Nr. 2.55
Drucksache 14/7129 Nr. 2.56
Drucksache 14/7129 Nr. 2.60
Drucksache 14/7129 Nr. 2.62
Drucksache 14/7129 Nr. 2.63
Drucksache 14/7197 Nr. 2.18
Drucksache 14/7197 Nr. 2.19
Drucksache 14/7197 Nr. 2.20
Drucksache 14/7197 Nr. 2.21
Drucksache 14/7197 Nr. 2.23
Drucksache 14/7197 Nr. 2.24
Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend
Drucksache 14/5610 Nr. 1.11
Drucksache 14/6026 Nr. 2.33
Drucksache 14/7000 Nr. 2.1
Ausschuss für Gesundheit
Drucksache 14/6908 Nr. 2.13
Drucksache 14/6908 Nr. 2.14
Drucksache 14/7129 Nr. 2.66
Ausschuss für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen
Drucksache 14/6026 Nr. 2.9
Drucksache 14/6116 Nr. 1.2
Drucksache 14/6214 Nr. 2.3
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit
Drucksache 14/5503 Nr. 2.14
Drucksache 14/5610 Nr. 2.36
Drucksache 14/6615 Nr. 2.5
Drucksache 14/6908 Nr. 2.9
Drucksache 14/7000 Nr. 1.1
Drucksache 14/7000 Nr. 1.2
Drucksache 14/7000 Nr. 1.3
Drucksache 14/7000 Nr. 1.4
Drucksache 14/7000 Nr. 1.5
Drucksache 14/7000 Nr. 1.6
Drucksache 14/7000 Nr. 1.7
Drucksache 14/7000 Nr. 1.8
Drucksache 14/7000 Nr. 1.9
Drucksache 14/7000 Nr. 1.10
Drucksache 14/7000 Nr. 1.11
Drucksache 14/7000 Nr. 1.12
Drucksache 14/7000 Nr. 1.13
Ausschuss für Menschenrechte
und Humanitäre Hilfe
Drucksache 14/6615 Nr. 2.14
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 20819
(C)
(D)
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(B)
Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin