Protokoll:
14202

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 202

  • date_rangeDatum: 16. November 2001

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 12:48 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Tagesordnungspunkt 3: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstüt- zung der gemeinsamen Reaktion auf ter- roristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Art. 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolu- tionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (Drucksachen 14/7296, 14/7447) . . . . . . . 19855 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag des Bundeskanzlers gemäß Art. 68 des Grundgesetzes (Drucksache 14/7440) . . . . . . . . . . . . . . . 19855 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Dr. Guido Westerwelle, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Präventive außenpolitische Kon- zepte gegen den Terrorismus (Drucksache 14/7445) . . . . . . . . . . . . . . . 19855 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Fraktion der PDS: Den inter- nationalen Terrorismus wirksam bekämpfen – den Krieg in Afghanistan beenden (Drucksache 14/7500) . . . . . . . . . . . . . . . 19855 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Ent- schließungsantrag der Fraktion der PDS zu der Regierungserklärung des Bundes- kanzlers zu der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Bekämp- fung des internationalen Terrorismus (Drucksachen 14/7333, 14/7493) . . . . . . . 19855 D Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . 19856 A Friedrich Merz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 19858 D Dr. Peter Struck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19862 B Dr. Rupert Scholz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 19865 C Dr. Peter Struck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19866 A Dr. Wolfgang Gerhardt FDP . . . . . . . . . . . . . 19866 B Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19868 A Roland Claus PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19870 C Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19871 D Michael Glos CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 19873 D Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 19877 B Dr. Guido Westerwelle FDP . . . . . . . . . . . . . 19879 D Dr. Gregor Gysi PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19881 D Andrea Nahles SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19883 C Plenarprotokoll 14/202 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 202. Sitzung Berlin, Freitag, den 16. November 2001 I n h a l t : Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19885 A Dr. Gregor Gysi PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19885 B Dr. Kurt Biedenkopf, Ministerpräsident (Sachsen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19885 C Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19887 D Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . . . . . . 19889 A Rüdiger Veit SPD (Erklärung nach § 31 GO) 19891 B Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Erklärung nach § 31 GO) . . . . . . . . . . . . . . . 19892 B Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 19890 C Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19893 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19895 D Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19896 A Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 19897 A Anlage 2 Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Den Tourismus im länd- lichen Raum nachhaltig stärken (201. Sitzung, Tagesordnungspunkt 13) . . . . . . . . . . . . . . . . 19897 A Thomas Dörflinger CDU/CSU . . . . . . . . . . . 19897 A Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO der Abgeordneten Ingrid Arndt-Brauer, Eckhardt Barthel (Berlin), Wolfgang Behrendt, Dr. Axel Berg, Friedhelm Julius Beucher, Rudolf Bindig, Christel Deichmann, Hans Forster, Arne Fuhrmann, Renate Gradistanac, Angelika Graf (Rosen- heim), Klaus Hagemann, Anke Hartnagel, Walter Hoffmann (Darmstadt), Ingrid Holzhüter, Christel Humme, Gabriele Iwersen, Ilse Janz, Ulrich Kasparick, Karin Kortmann, Horst Kubatschka, Ute Kumpf, Christine Lambrecht, Detlev von Larcher, Waltraud Lehn, Christine Lehder, Heide Mattischeck, Michael Müller (Düsseldorf), Andrea Nahles, Günter Oesinghaus, Christel Riemann-Hanewinckel, Bernd Reuter, Thomas Sauer, Gudrun Schaich- Walch, Dr. Hermann Scheer, Dr. Frank Schmidt (Weilburg), Gisela Schröter, Ewald Schurer, Dr. Angelica Schwall-Düren, Erika Simm, Rita Streb-Hesse, Jella Teuchner, Adelheid Tröscher, Dr. Wolfgang Wodarg, Dr. Konstanze Wegner, Lydia Westrich, Klaus Wiesehügel, Hanna Wolf (München) (alle SPD) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bun- desregierung zum Einsatz bewaffneter deut- scher Streitkräfte bei der Unterstützung der ge- meinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Art. 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolution 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsra- tes der Vereinten Nationen verbunden mit dem Antrag des Bundeskanzlers gemäß Art. 68 des Grundgesetzes (Tagesordnungspunkt 3 und Zusatztagesordnungspunkt 4) . . . . . . . . . . . . . . 19898 B Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO der Abgeordneten Christian Sterzing und Ulrike Höfken (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung zum Einsatz bewaffneter deut- scher Streitkräfte bei der Unterstützung der ge- meinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Art. 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolution 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsra- tes der Vereinten Nationen verbunden mit dem Antrag des Bundeskanzlers gemäß Art. 68 des Grundgesetzes (Tagesordnungspunkt 3 und Zu- satztagesordnungspunkt 4) . . . . . . . . . . . . . . . . 19899 C Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Uschi Eid, Dr. Thea Dückert, Andrea Fischer (Berlin), Katrin Göring-Eckardt, Kristin Heyne, Dr. Angelika Köster-Loßack, Christine Scheel und Margareta Wolf (Frank- furt) (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung zum Ein- satz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Art. 51 der Satzung der Verein- ten Nationen und des Art. 5 des Nordatlan- tikvertrags sowie der Resolution 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrates der Ver- einten Nationen verbunden mit dem Antrag des Bundeskanzlers gemäß Art. 68 des Grundge- setzes (Tagesordnungspunkt 3 und Zusatz- tagesordnungspunkt 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19900 D Anlage 6 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung zum Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische An- griffe gegen die USA auf Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Art. 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Re- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001II solution 1368 (2001) und 1373 (2001) des Si- cherheitsrates der Vereinten Nationen verbun- den mit dem Antrag des Bundeskanzlers gemäß Art. 68 des Grundgesetzes (Tagesordnungs- punkt 3 und Zusatztagesordnungspunkt 4) . . . 19902 A Sylvia Bonitz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 19902 A Dr. Edelbert Richter SPD . . . . . . . . . . . . . . . 19902 C Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19903 A Winfried Hermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19903 D Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19904 B Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19905 A Georg Brunnhuber CDU/CSU . . . . . . . . . . . 19906 C Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19906 D Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) CDU/CSU 19907 A Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19907 C Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19909 A Gila Altmann (Aurich) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19909 D Peter Dreßen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19910 A Dr. Uwe Jens SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19910 B Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19911 A Grietje Bettin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19911 B Christa Lörcher fraktionslos . . . . . . . . . . . . . 19911 C Sylvia Voß BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . 19911 D Klaus Bühler (Bruchsal) CDU/CSU . . . . . . . 19912 C Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19912 C Anlage 7 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19915 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001 III Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
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    Dr. Gerd Müller Bernward Müller (Jena) Elmar Müller (Kirchheim) Bernd Neumann (Bremen) Claudia Nolte Günter Nooke Franz Obermeier Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto (Erfurt) Dr. Peter Paziorek Anton Pfeifer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Bernd Protzner Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Helmut Rauber Peter Rauen Christa Reichard (Dresden) Katherina Reiche Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch (Wiesbaden) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Adolf Roth (Gießen) Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe Anita Schäfer Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Dr. Gerhard Scheu Norbert Schindler Bernd Schmidbauer Christian Schmidt (Fürth) Dr.-Ing. Joachim Schmidt (Halsbrücke) Andreas Schmidt (Mülheim) Hans Peter Schmitz (Baesweiler) Michael von Schmude Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Gerhard Schulz Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe Dr. Christian Schwarz- Schilling Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Heinz Seiffert Dr. h. c. Rudolf Seiters Bernd Siebert Werner Siemann Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Andreas Storm Dorothea Störr-Ritter Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl (Heilbronn) Michael Stübgen Dr. Rita Süssmuth Dr. Susanne Tiemann Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Angelika Volquartz Andrea Voßhoff Dr. Theodor Waigel Peter Weiß (Emmendingen) Gerald Weiß (Groß-Gerau) Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Klaus-Peter Willsch Bernd Wilz Willy Wimmer (Neuss) Matthias Wissmann Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Aribert Wolf Elke Wülfing Wolfgang Zeitlmann Benno Zierer Wolfgang Zöller BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Annelie Buntenbach Winfried Hermann Christian Simmert Hans-Christian Ströbele FDP Ina Albowitz Hildebrecht Braun (Augsburg) Rainer Brüderle Ernst Burgbacher Jörg van Essen Ulrike Flach Gisela Frick Paul K. Friedhoff Horst Friedrich (Bayreuth) Rainer Funke Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Joachim Günther (Plauen) Dr. Karlheinz Guttmacher Klaus Haupt Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich Walter Hirche Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer Dr. Klaus Kinkel Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Ina Lenke Sabine Leutheusser- Schnarrenberger Dirk Niebel Günther Friedrich Nolting Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Detlef Parr Cornelia Pieper Dr. Günter Rexrodt Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Gerhard Schüßler Dr. Irmgard Schwaetzer Marita Sehn Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk Dr. Guido Westerwelle PDS Monika Balt Dr. Dietmar Bartsch Petra Bläss Maritta Böttcher Eva Bulling-Schröter Roland Claus Heidemarie Ehlert Dr. Heinrich Fink Dr. Ruth Fuchs Wolfgang Gehrcke Dr. Klaus Grehn Dr. Gregor Gysi Uwe Hiksch Carsten Hübner Ulla Jelpke Sabine Jünger Gerhard Jüttemann Dr. Evelyn Kenzler Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Kutzmutz Heidi Lippmann Ursula Lötzer Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth Pia Maier Angela Marquardt Manfred Müller (Berlin) Kersten Naumann Rosel Neuhäuser Christine Ostrowski Petra Pau Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Gustav-Adolf Schur Dr. Ilja Seifert Dr. Winfried Wolf Fraktionslose Abgeordnete Christa Lörcher Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 200119896 (C)(A) Berichtigung 200. Sitzung, Seite 19649 (D) ist wie folgt zu lesen: Sie haben im Bereich Arbeitsmarkt alles falsch gemacht. Das Ergebnis davon sind 4 Millionen Arbeitslose; 3,9 Millionen planen Sie selbst schon im Jahresdurchschnitt ein. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Betrachtet man die verheerende wirtschafts-, finanz- und steuerpolitische Bilanz von Rot- Grün, so kann es hierfür nur drei Ursachen geben: (Ludwig Eich [SPD]: Keine Ahnung!) Entweder können Sie es nicht besser machen oder Sie wollen es nicht besser machen oder es ist Ihnen schlicht egal. Alle drei Erklärungen sind gleichermaßen schlimm. Statt den Nutzen unse- res Volkes zu mehren und Schaden von ihm abzuwenden, tun Sie das Gegenteil. (Widerspruch der Abg. Erika Lotz [SPD]) Nachdem sich inzwischen führende Vertreter der Grünen den Einsatz der Bundeswehr im Krieg gegen den Terrorismus als humanitäre Aktion schönreden, wie Frau Scheel, wird, wenn man die Voraussagen richtig deutet, dieses rot-grüne Gewurstel wohl auch über kommenden Freitag hinaus noch im Dezember weitergehen in unserem Land, zum Schaden unseres Landes. Sie verfehlen alle selbst gesetzten Ziele. Wir werden bei der Wahlauseinandersetzung im nächs- ten Jahr (Ludwig Eich [SPD]: Mit wem denn?) deutlich machen, dass es nicht widrige Zeitläufte waren, die Sie scheitern ließen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001 19897 (C) (D) (A) (B) Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 16.11.2001 Dr. Höll, Barbara PDS 16.11.2001 Schlee, Dietmar CDU/CSU 16.11.2001 Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 16.11.2001 Anlage 2 Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Den Tourismus im ländlichen Raum nachhaltig zu stärken (201. Sit- zung, Tagesordnungspunkt 13) Thomas Dörflinger (CDU/CSU): Der Antrag, den uns SPD und Grüne heute vorlegen, erinnert mich etwas an eine Unterhaltung zwischen einem Autoverkäufer und einem Kunden. Der Verkäufer will dem Kunden beheiz- bare Sitze, elektrisch verstellbare Außenspiegel, Tempo- mat und viele andere Extras verkaufen, als der Kunde schlicht einwendet, er möchte doch bitte schön erst ein- mal Räder, damit das Auto überhaupt fährt. Genau so durchdacht ist das, was Sie uns hier vorgelegt haben. Wir können uns über vieles unterhalten, was Sie aufgelistet haben. Manches davon – ich werde noch da- rauf zurückkommen – findet auch unsere ausdrückliche Zustimmung. Aber: Sie müssen sich zunächst einmal dafür verwenden, Politik für den ländlichen Raum zu ma- chen, bevor sie daran gehen können, den Tourismus in diesen Regionen zu stärken. Und als Abgeordneter eines ländlich strukturierten Wahlkreises weiß ich da, wovon ich rede. Sie haben die deutsche Landwirtschaft mit einem Streichkonzert konfrontiert, das in den letzten 20 Jahren ohne Beispiel ist. Mag sein, dass ein Großbetrieb damit noch zurecht kommt. Die kleinen Familienbetriebe aber im Südschwarzwald beispielsweise sehen sich aber an die Wand gedrückt, wenn zu der durch BSE und MKS verur- sachten Marktsituation – für die die Bauern selbst gar nichts konnten – auch noch Kürzungen bei der Sozialver- sicherung oder bei der Gasölbetriebsbeihilfe kommen. Die Touristiker in dieser Region aber sind auf die Land- wirtschaft angewiesen, wenn wir weiterhin mit einer of- fen gehaltenen Landschaft Werbung betreiben wollen. Wer, wenn nicht die Landwirte, soll denn für die Offen- haltung der Landschaft sorgen? Politik gegen die Land- wirtschaft ist auch Politik gegen den ländlichen Raum und damit Politik gegen eine touristische Nutzung der Region. Korrigieren Sie Ihre Agrarpolitik, und Sie leisten einen ersten, wichtigen Beitrag zur Stärkung der Tourismus- wirtschaft im ländlichen Raum. entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Wenn Sie in Ihrem Antrag insbesondere den Bauern- hof- und Landtourismus als wichtiges Segment im Deutschlandtourismus loben – wir gehen da völlig d’ac- cord –, dann müssten Sie zunächst einmal dafür sorgen, dass es diese Bauernhöfe, auf denen man urlauben soll, auch in zehn Jahren überhaupt noch gibt. Es macht ja wohl keinen Sinn, dass Touristen auf einem Bauernhof Ferien machen, der deswegen besonders ruhig ist, weil seine Besitzer die Landwirtschaft vor Jahren eingestellt haben, und die urlaubende Familie dann ins Heimatmu- seum fährt, um sich anzusehen, wie die Landwirte früher gearbeitet haben. Lassen Sie mich auf einige Punkte aus Ihrem Antrag konkret eingehen: Erstens. Wir sind gemeinsam der Auffassung, dass die Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küsten- schutz ein wichtiges strukturpolitisches Element ist. Sorgen Sie also bitte dafür, dass die GAK nicht zu einer Sparbüchse der Frau Verbraucherschutzministerin ver- kommt, aus der unvorhergesehene Dinge wie Maßnah- men gegen BSE finanziert werden. Dies wird der GAK nicht gerecht, sondern reduziert dieses wichtige Instru- mentarium auf die Funktion eines finanzpolitischen Spielballs. Zweitens. Es ist richtig – auch hier sind wir uns einig –, dass Daten aus Übernachtungen auf Bauernhöfen er- fasst werden, damit uns und den Verantwortlichen vor Ort für die weiteren Planungen vernünftige Statistiken zur Verfügung stehen. Warum aber dann legen Sie dem Deutschen Bundestag an anderer Stelle einen Gesetzes- entwurf vor, der zum Ziel hat, die Übernachtungen in den Kurbeherbergungsbetrieben aus dieser Statistik herauszunehmen? Einmal abgesehen von den teilweise dramatischen Folgen für die Kommunalfinanzen schaffte dies ein schiefes Bild in der Statistik, das unse- rem gemeinsamen Ziel, nämlich den Tourismus im ländlichen Raum zu stärken, alles andere als förderlich wäre. Drittens. Wenn Sie sich Punkt 13 Ihres Antrags einmal, oder besser: zweimal durchlesen, müssten Ihnen eigent- lich die Ohren klingeln. Nehmen Sie nochmals die Aus- schussprotokolle aus dem früheren Ausschuss für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zur Hand und le- sen Sie nochmals die Debatten nach, als der § 35 BauGB durch die frühere Bundesregierung zugunsten beispiels- weise der Umnutzung von ehemals landwirtschaftlich ge- nutzten Gebäuden geregelt wurde. Die seinerzeitige Op- position sprach von der Gefahr der Zersiedelung und malte Horrorszenarien. Und jetzt findet sich genau die Re- form der Reform in Ihrem eigenen Antrag. Das darf doch nicht Ihr Ernst sein. Vorletzte Bemerkung: Tourismus im ländlichen Raum lebt nicht zuletzt auch von der Erreichbarkeit touristischer Destinationen für den Kunden. Da ist die Schiene genauso gefordert wie die Straße. Legen Sie endlich ein vernünfti- ges Konzept zur Umsetzung der Bahnreform vor und leis- ten Sie so – etwa durch die groß angekündigte und dann klammheimlich wieder kassierte Trennung von Netz und Betrieb – einen Beitrag zur Zukunftsfähigkeit der Eisen- bahnen in Deutschland, damit es eben nicht passieren kann, das ganze Touristikregionen durch die Bahn AG – Stichwort: Zukunft des Interregio – einfach abgehängt werden. Legen Sie dem Deutschen Bundestag endlich die Fort- schreibung des Bundesverkehrswegeplans vor! Das war einmal für die zweite Hälfte dieser Legislaturperiode an- gekündigt, dann hieß es, man komme erst im Verlauf des Jahres 2002 zu Potte. Und jetzt erfahren wir langsam, dass es in dieser Wahlperiode vermutlich überhaupt nichts mehr wird. Traurige Zeiten in der deutschen Verkehrspo- litik! Letzte Bemerkung: Traditionell ist die Eigenkapital- decke von Betrieben im ländlichen Raum dünner als die in Ballungszentren. Belasten Sie also gerade diese Be- triebe nicht auch noch durch zusätzliche Kosten wie sie aus einer verfehlten Steuerreform, der Ökosteuer oder der Neuregelung der 630-Mark-Jobs resultieren. Und: Sorgen Sie nicht nur in Sonntagsreden in Fernost, wie der Herr Bundeskanzler, sondern durch Taten in Europa dafür, dass Basel II nicht zu einem Waterloo für die deutsche Touris- muswirtschaft im ländlichen Raum wird. Schaffen Sie also Rahmenbedingungen, unter denen man nicht nur mehr schlecht als recht arbeiten kann, son- dern die der Tourismuswirtschaft im ländlichen Raum ein Auskommen ermöglichen. Es ist keine Zukunftsperspek- tive, wenn die Umsätze zwar steigen, die Umsatzrendite aber fortlaufend sinkt. Dann können wir uns gerne da- rüber unterhalten, was darüber hinaus zur Verbesserung der Situation noch zu tun ist. Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO der Abgeordneten Ingrid Arndt-Brauer, Eckhardt Barthel (Berlin), Wolfgang Behrendt, Dr. Axel Berg, Friedhelm Julius Beucher, Rudolf Bindig, Christel Deichmann, Hans Forster, Arne Fuhrmann, Renate Gradistanac, Angelika Graf (Rosenheim), Klaus Hagemann, Anke Hartnagel, Walter Hoffmann (Darmstadt), Ingrid Holzhüter, Christel Humme, Gabriele Iwersen, Ilse Janz, Ulrich Kasparick, Karin Kortmann, Horst Kubatschka, Ute Kumpf, Christine Lambrecht, Detlev von Larcher, Waltraud Lehn, Christine Lehder, Heide Mattischeck, Michael Müller (Düsseldorf), Andrea Nahles, Günter Oesinghaus, Christel Riemann-Hanewinckel, Bernd Reuter, Thomas Sauer, Gudrun Schaich-Walch, Dr. Hermann Scheer, Dr. Frank Schmidt (Weilburg), Gisela Schröter, Ewald Schurer, Dr. Angelica Schwall-Düren, Erika Simm, Rita Streb-Hesse, Jella Teuchner, Adelheid Tröscher, Dr. Wolfgang Wodarg, Dr. Konstanze Wegner, Lydia Westrich, Klaus Wiesehügel, Hanna Wolf (München) (alle SPD) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung zum Ein- satz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Art. 5 des Nordatlantikver- trags sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen verbunden mit dem Antrag des Bun- deskanzlers gemäß Art. 68 des Grundgesetzes (Tagesordnungspunkt 3 und Zusatzpunkt 4) Gleichwohl machen wir uns die Entscheidung in der Sachfrage um den Einsatz der deutschen Bundeswehrsol- daten im Kampf gegen den internationalen Terrorismus nicht leicht. Nach mehr als 20 Jahren Krieg in Afghanis- tan wünscht sich der größte Teil der afghanischen Bevöl- kerung nichts mehr als Frieden und die Überwindung von Unterdrückung. Darum wird die Bundesregierung aufge- fordert, auf das schnellstmögliche Ende des Bombarde- ments und der Kampfhandlungen hinzuarbeiten und ver- stärkt humanitäre Hilfe zu leisten. Das amerikanische Volk hat nach dem 11. September 2001 ein Anrecht auf unsere volle Solidarität. Solidarität beruht auf Gegenseitigkeit. Eine uneingeschränkte Soli- darität setzt daher partnerschaftliche Mitbestimmung und umfassende Information voraus. Uneingeschränkte Soli- darität kann kein bedingungsloses Nachvollziehen der amerikanischen Militärstrategie bedeuten. Für uns ist das humanitäre Kriegsvölkerrecht, Haager- und Genfer Kon- ventionen, der entscheidende Maßstab. Der terroristische Angriff vom 11. September 2001 hat die gesamte Völker- gemeinschaft getroffen. Unsere Antwort muss den Prinzi- pien des Völkerrechts folgen. Art. 57 des Zusatzprotokolls der Genfer Konvention von 1949 besagt: Wer einen Angriff plant oder beschließt, hat alles praktisch Mögliche zu tun, um sicherzugehen, dass die Angriffsziele weder Zivilpersonen noch zivile Objekte sind. Er hat von jedem Angriff Abstand zu nehmen, bei dem damit zu rechnen ist, dass es auch Verluste unter der Zivilbevölkerung oder zur Be- schädigung ziviler Objekte kommt, die in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten oder unmittel- baren militärischen Vorteil stehen. Wir haben Vertrauen darauf, dass die Bundesregierung ihren Einfluss geltend macht, den Einsatz von Streubom- ben zu verhindern. Wir erwarten von Bundeskanzler Schröder, dass er für die Dauer des militärischen Einsat- zes seinen Einfluss dahin gehend nutzt, die Amerikaner zum zielgenauen Einsatz der Bomben nur auf militärische Ziele und Einrichtungen terroristischer Netzwerke aus- schließlich in Afghanistan zu bewegen. Wir teilen die Besorgnis vieler Bürgerinnen und Bür- ger vor einer Ausweitung des Konfliktes durch Maßnah- men, die nicht mit der deutschen Seite abgestimmt sind. Ein Übergreifen des Konfliktes auf andere – arabische – Länder ist unbedingt zu verhindern, um eine weitere Es- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 200119898 (C) (D) (A) (B) kalation zu vermeiden. Wir begrüßen daher die im Regie- rungsantrag manifestierte Einschränkung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte in Afghanistan: Deutsche Kräfte werden sich an etwaigen Einsätzen gegen den internationalen Terrorismus in anderen Staaten als Afghanistan nur mit Zustimmung der je- weiligen Regierung beteiligen. Es wird festgestellt, dass diese Haltung in der Europä- ischen Gemeinschaft breite Unterstützung findet. Die eu- ropäische Staatengemeinschaft sollte ihren Einfluss in diesem Sinne innerhalb der Koalition gegen den interna- tionalen Terrorismus geschlossen vertreten und ihm auf diesem Wege zur Geltung verhelfen. Zu den mittel- und langfristigen Handlungsnotwendigkeiten zählen eine Stärkung der Vereinten Nationen, eine Weltordnungspoli- tik – Global Governance – und tiefgreifende Reformen der Weltwirtschaftspolitik. Institutionen wie Weltbank, IWF und UN-Sicherheitsrat müssen endlich für einen fairen Nord-Süd-Ausgleich sorgen. Angesichts der dramati- schen Armut in der Welt hat sich die internationale Ge- meinschaft auf folgende gemeinsame Ziele zu verpflich- ten: erstens Armutsbekämpfung, zweitens Politik für die Chancengleichheit aller Menschen und Völker in einer gerechteren Weltwirtschaftsordnung, drittens weitere Er- höhung der Ausgaben für die Entwicklungszusammenar- beit. Wir begrüßen das Bemühen von Außenminister Joschka Fischer und der Bundesregierung, im Nahost- konflikt zu vermitteln und der Gewalt Einhalt zu gebie- ten und zu einer politischen Lösung zu kommen. Wir er- warten jedoch, dass die USA eine deutlich stärkere Rolle in diesem Konflikt einnehmen. Israel und Palästina ha- ben jeweils das Recht auf einen eigenständigen Staat und ein Leben in gesicherten Grenzen. Wir begrüßen die Zu- sicherung der Bundesregierung, dass die deutschen Streitkräfte einem deutschen Kommando unterstellt wer- den. Darüber hinaus verweisen wir auf das Bundesver- fassungsgerichtsurteil von 1994 zum Auslandseinsatz der deutschen Bundeswehr, wonach der Deutsche Bundestag zu jeder Zeit die im Einsatz befindlichen Streitkräfte zurückholen kann, wenn er dies für geboten hält. Wir be- halten uns eine derartige Initiative ausdrücklich vor. Wir unterstützen, dass der Bundeskanzler die Notwendigkeit von politischen, diplomatischen und humanitären An- strengungen öffentlich betont. Wir unterstützen die Bemühungen der Bundesregierung, im Verbund mit der Europäischen Gemeinschaft und den Vereinten Nationen einen demokratisch legitimierten Post-Taliban-Prozess in Afghanistan voranzutreiben. Im Rahmen eines Mar- shallplanes muss der zivile und wirtschaftliche Wieder- aufbau in der Region politisch und ökonomisch gewähr- leistet werden. Ein Neuanfang muss alle ethnischen und politischen Gruppen in Afghanistan einbeziehen. Wir er- warten zusätzliche und konkrete Initiativen, um die Si- tuation der Flüchtlinge in den Wintermonaten zu verbes- sern, damit es zu keiner humanitären Katastrophe kommt. Die Flüchtlingshilfe muss dabei klar von mi- litärischen Aktionen getrennt werden. Wir begrüßen die Aufstockung der Hilfsprogramme der Bundesregierung auf 85 Millionen DM und die Bereitstellung von EU-Mit- teln in Höhe von 700 Millionen DM. Wir unterstützen die Bemühungen der Bundesregierung, im Rahmen des Post- Taliban-Prozesses die Rechte der afghanischen Frauen und von Minderheiten im Demokratisierungsprozess si- cherzustellen. Der 11. September 2001 war eine reale Kriegser- klärung an potenziell jedes zivilisierte und friedenslie- bende Land. Es ist notwendig, Osama Bin Laden und sei- nen Unterstützern das Handwerk zu legen und sie vor ein internationales Strafgericht zu stellen. Der UN-Sicher- heitsrat hat in zwei einstimmig beschlossenen Resolutio- nen die Terroranschläge vom 11. September als Bedro- hung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit eingestuft und dazu aufgerufen, die Terroristen und ihre Hintermänner, aber auch die Länder, die ihnen Schutz ge- währen, zur Rechenschaft zu ziehen. Diese Resolutionen legitimieren auch militärische Maßnahmen. Auf dieser Basis hat die NATO zum ersten Mal in ihrer Geschichte den Bündnisfall festgestellt. Wir sind nach intensiver Ab- wägung der angeführten Argumente bereit, einer Beteili- gung deutscher Streitkräfte zuzustimmen. Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO der Abgeordneten Christian Sterzing und Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Ab- stimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung zum Einsatz be- waffneter deutscher Streitkräfte bei der Unter- stützung der gemeinsamen Reaktion auf terroris- tische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Art. 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolution 1368 (2001) und 1373 (2001) des Si- cherheitsrates der Vereinten Nationen verbun- den mit dem Antrag des Bundeskanzlers gemäß Art. 68 des Grundgesetzes (Tagesordnungspunkt 3 und Zusatztagesordnungspunkt 4) Nach den fürchterlichen terroristischen Anschlägen in den Vereinigten Staaten haben wir unsere Solidarität mit den Opfern, ihren Angehörigen und der Bevölke- rung in den Vereinigten Staaten erklärt. Wir haben an- erkannt, dass der UN-Sicherheitsrat das individuelle und kollektive Selbstverteidigungsrecht der Vereinigten Staaten anerkannt und damit dem Kampf gegen den Ter- rorismus eine völkerrechtliche Grundlage gegeben hat. Ferner haben wir – wie zum Beispiel der Bundestag so- wie die Partei Bündnis 90/Die Grünen in mehreren Be- schlüssen – zum Ausdruck gebracht, dass unsere Be- reitschaft zur praktischen Solidarität unter bestimmten Bedingungen auch die Bereitstellung militärischer Mit- tel umfasst. Unsere Solidarität haben wir immer als kritische, nicht als uneingeschränkte verstanden. Deshalb haben wir uns – zum Beispiel als Erstunterzeichner des Berliner Aufrufs – gegen den Krieg in Afghanistan gewandt und uns für eine Bekämpfung des Terrorismus mit zivilisierten Mitteln eingesetzt, weil auch im Kampf gegen den Terror die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001 19899 (C) (D) (A) (B) Wertauffassungen und Grundsätze unserer Gesellschaft nicht Schaden nehmen dürfen. Die Luftangriffe in Af- ghanistan haben angesichts der wachsenden Zahl ziviler Opfer, von Flächenbombardements und des Einsatzes von Streubomben den Kriterien und Bedingungen, unter denen wir den Einsatz militärpolizeilicher Mittel gegen den Terror und seine Unterstützer für noch vertretbar hal- ten, nicht entsprochen. Jede Planung und Durchführung militärischer Maßnahmen muss das Prinzip der Verhält- nismäßigkeit und der Vermeidung ziviler Opfer beach- ten. Wir haben uns deshalb für eine Aussetzung der Bom- bardierungen eingesetzt, um die humanitäre Hilfe für die hungernden und flüchtenden Menschen in Afghanistan mit zu verbessern. Zudem war für uns nicht erkennbar, dass die militärischen Maßnahmen in ein politisches Ge- samtkonzept eingebettet waren, da nach unserer Über- zeugung der Kampf gegen den Terrorismus nur dann dau- erhaft Erfolg haben kann, wenn politische, ökonomische, humanitäre, ordnungs- und strukturpolitische, polizeili- che und sicherheitsdienstliche Maßnahmen im Vorder- grund stehen. Aufgrund dieser kritischen Zwischenbilanz der Luft- angriffe in Afghanistan erschien uns eine Beteiligung deutscher Soldaten nicht vertretbar. Das von der Bundes- regierung beantragte Mandat sieht zudem nur eine Be- reitstellung von Streitkräften vor; im Rahmen dieses Mandats soll die konkrete Einsatzentscheidung für ein Jahr der Bundesregierung vorbehalten bleiben. Wir be- fürchten deshalb eine Entparlamentarisierung der gemäß dem Grundgesetz allein dem Parlament vorbehaltenen Entscheidung über Bundeswehreinsätze. Unklarheiten im Hinblick auf den Auftrag, das Einsatzgebiet und die Kommandostrukturen der deutschen Streikräfte sowie der parlamentarischen Beteiligung konnten erst durch eine Protokollerklärung der Bundesregierung präzisiert werden. Als Abgeordnete haben wir erreichen können, dass der Einsatz der Bundeswehr durch einen zusätzlichen Antrag und eine verbindliche Protokollerklärung der Bundesre- gierung substanziell begrenzt und in ein politisches und humanitäres Konzept eingebunden wurde. Wichtige Bestandteile sind eine entschiedene Bekämpfung der Ursachen des Terrors, zivile Konfliktlösungsstrategien, humanitäre Flüchtlingsversorgung, die zusätzliche Finan- zierung von Entwicklungsmaßnahmen und anderes. Die Entscheidung des Kanzlers, angesichts der wach- senden Ablehnung des Antrags der Bundesregierung in den Regierungsfraktionen die Entscheidung über den Bundeswehreinsatz mit der Vertrauensfrage zu verbinden, machte es uns unmöglich, die ohnehin sehr schwierige Entscheidung über die Entsendung deutscher Soldaten allein an dem zu orientieren, was uns unsere politische Überzeugung und unser Gewissen in Sachen Militär- einsätze gebietet. Mit der Gewissensfrage wurde die Ent- scheidung über das Schicksal der rot-grünen Koalition verbunden, eine Frage, die aufgrund ihrer weitreichenden Folgen an Bedeutung der Gewissensentscheidung gleich- kommt. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen, siehe Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG. Der Bundeskanzler hat das Recht, jederzeit die Vertrauensfrage zu stellen. Gemäß Art. 68 GG hat er auch das Recht, die Vertrauensfrage mit einer Sachfrage zu verbinden. Bei der heutigen Ent- scheiddung ist jedoch die Vertrauensfrage mit einer Ge- wissensfrage verbunden. Das verfassungsgemäße Recht des Bundeskanzlers zur Stellung der Vertrauensfrage kol- lidiert also mit dem verfassungsgemäßen Recht der Ab- geordneten auf eine freie Gewissenenstscheidung. Das berührt Grundfragen unseres Verständnisses einer parla- mentarischen Demokratie und erweist dieser sowie der Glaubwürdigkeit des Parlaments und der Abgeordneten keinen guten Dienst. In einer Mandatsaufgabe kann und darf nicht die Lösung dieses Dilemmas liegen. Dies ent- spricht nach unserer Überzeugung nicht dem Abgeordne- tenbild, das den Vätern und Müttern des Grundgesetzes vorschwebte. Die Verknüpfung führt auch in der Sache zu absurden Ergebnissen: Am Freitag werden die Abgeordneten der Union und FDP, obwohl sie vorbehaltlos den Krieg in Af- ghanistan und den Antrag der Bundesregierung unterstüt- zen, den Antrag der Bundesregierung ablehnen. Dagegen werden eine Reihe von Abgeordneten, die eine militäri- sche Reaktion auf den 11. September ablehnen oder Kri- tik an der Operation Enduring Freedom oder dem Antrag der Bundesregierung haben und deshalb den Antrag der Bundesregierung ablehnen, zustimmen. Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Uschi Eid, Dr. Thea Dückert, Andrea Fischer (Berlin), Katrin Göring- Eckardt, Kristin Heyne, Dr. Angelika Köster- Loßack, Christine Scheel und Margareta Wolf (Frankfurt) (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung zum Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unter- stützung der gemeinsamen Reaktion auf terrori- stische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Art. 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Re- solution 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicher- heitsrates der Vereinten Nationen verbunden mit dem Antrag des Bundeskanzlers gemäß Art. 68 des Grundgesetzes (Tagesordnungspunkt 3 und Zusatztagesordnungspunkt 4) Wir haben mit ja zum Einsatz deutscher Soldaten für die Terroristenbekämpfung gestimmt. Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht. Es ist wohl die schwerwiegendste Abstimmung, an der wir als Bundes- tagsabgeordnete bisher teilnehmen mussten. Wir sind un- serem Gewissen gefolgt und dem, was uns unser Herz und unser Verstand unter Abwägung möglichst vieler Aspekte gesagt haben. Der 11. September hat vielen auf erschreckende Weise vor Augen geführt, dass wir bisher in unserem Weltbild Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 200119900 (C) (D) (A) (B) eine große Gefahr für den Frieden in der Welt ausgeblen- det hatten: den internationalen Terrorismus, getrieben von religiösem oder anderem Fanatismus. Wer unter Aufgabe seines Lebens bereit ist, Flugzeuge zur Bombe zu ma- chen, um Tausende von unschuldigen Menschen zu töten, der ist zu jeder unmenschlichen Tat fähig: auch zum Ein- satz von biologischen, chemischen und atomaren Waffen genauso wie zum Angriff auf ein AKW oder eine Che- miefabrik. Wir haben die erschreckende Überzeugung, dass der Angriff auf New York und Washington erst der Anfang war – wenn wir nichts dagegen tun. Wir befürch- ten zudem, dass auch Angriffsziele in Europa gesucht werden. Die Gefährlichkeit dieser Terroristen zu unter- schätzen, kann viele weitere Menschenleben kosten. Wer hier nicht handelt, macht sich schuldig. Inzwischen müssen wohl auch Skeptiker – auch wir waren zwischendurch – skeptisch zugeben, dass der mi- litärische Einsatz in Afghanistan erfolgreich war. Es ist ein Beitrag zur Terroristenbekämpfung, wenn das Tali- banregime in Afghanistan abgelöst und durch eine andere Regierung unter Begleitung der UN ersetzt wird. Das Re- gime ist aufs Engste mit Bin Laden verknüpft. Die Tali- ban haben kein Zweifel daran gelassen, dass sie das Land immer als Basisstation für ihn zur Verfügung stellten. Zu- dem sind die Taliban grausam gegen die eigene Bevölke- rung. Das reicht von der Unterjochung der Frauen über eine Terrorjustiz bis dahin, dass unter ihrer Regierung nicht etwa erst durch den Krieg – Hundertausende zu Flüchtlingen geworden und des Hungers gestorben sind. Nun kann wahrscheinlich fast allen der circa 3 bis 5 Mil- lionen Flüchtlingen geholfen werden. Dies ist eine ent- scheidene Wende. Aber weder sind die Taliban endgültig besiegt noch erst Recht der Frieden gewonnen. Jetzt müs- sen alle Kräfte mobilisiert werden für einet stabile Nach- Talibanordnung. Dafür haben wir trotz schwieriger Haus- haltslage 160 Millionen DM neu eingestellt. Zusätzlich unterstützen wir die humanitäre Hilfe in Afghanistan mit 96 Millionen DM. Nicht alles fanden und finden wir dabei akzeptabel: Den Einsatz von Streubomben lehnen wir nach wie vor ab. Sie sind eine unnötige Grausamkeit. Wir erwarten zu- dem, dass alles Menschenmögliche getan wird, um Fehl- abwürfe auf zivile Ziele zu vermeiden. Für diese Art der Kriegsführung gibt es von uns keine „uneingeschränkte“ sondern nur eine „kritische“ Solidarität. Für unsere Zustimmung war nicht zuletzt entschei- dend, dass wir Grüne in wesentlichen Punkten das Man- dat zum Einsatz konkretisiert haben. Dazu gehört, dass das Operationsziel sich allein gegen die terroristischen Netzwerke Bin Ladens und al-Quaida und die Unterstüt- zer richtet, analog zur UN-Resolution; dass die 100 Spe- zialkräfte polizeilich-militärische Aufgaben wahrneh- men, zum Beispiel Geiselbefreiung sowie Verhaftungen und nicht am Bodenkrieg teilnehmen; dass weder ein Einsatz im Irak noch in Somalia geplant ist; dass es keine Unterordnung deutscher Streitkräfte unter amerikani- sches Kommando gibt, sondern dass die Bundesregie- rung die Entscheidungshoheit hat; dass es eine regel- mäßige Information und Diskussion im Parlament gibt, insbesondere wenn sich etwas Wesentliches am Mandat ändern sollte. Zudem werden wir in einem parallelen Bundestagsbe- schluss deutlich machen, dass die Entmilitarisierung des Konfliktes – unter Regie der Vereinten Nationen –, der Aufbau eines zivilen und freien Afghanistans und vor al- lem die humanitäre Versorgung der Menschen absoluten Vorrang haben müssen. Für die Zukunft ist klar: Eine langfristige Strategie der Konfliktprävention, fairer Welt- handel, Armutsbekämpfung, Entschuldung, Einsatz für Menschenrechte weltweit und der Dialog der Kulturen wird dazu beitragen, dass fanatische Terroristen sich nicht mehr auf bestehende Ungerechtigkeiten zur ver- meintlichen Rechtfertigung ihrer Untaten beziehen kön- nen. Wir stimmen auch aus großer Überzeugung mit Ja, dass wir dem Bundeskanzler Schröder unser Vertrauen aussprechen. Ganz entscheidend für unsere Zustimmung ist unser Vertrauen in Joschka Fischer. Noch nie hatten wir Grüne so einen großen Einfluss auf die internationale Po- litik. Dies ist vor allem dem Außenminister selbst zu ver- danken. Mit ihm ist deutsche Außenpolitik stärker als bis- lang erkennbar auf Integration, Konfliktvermeidung und Entwicklung ziviler Perspektiven gerichtet, in Asien wie in Amerika, in Europa und im Nahen Osten. Sie ist nicht nur zivile Außenpolitik, sie ist darüber hinaus zu guten Teilen auch grüne Außenpolitik. Der grüne Außenminis- ter betreibt diese Politik mit großer Glaubwürdigkeit und mit einem hohen persönlichen Einsatz. Man kann nicht gegen diese Politik stimmen und gleichzeitig Joschka Fischer unterstützen! Wer mit Nein stimmt, hat auch die gesamte Verantwortung für die Kon- sequenzen für die rot-grüne Koalition und die grüne Par- tei zu tragen. Als Erstes gilt die Konsequenz, dass die rot- grüne Koalition beendet sein kann. Eine andere Außen- und Weltinnenpolitik, die allen Völkern der Erde eine Perspektive gibt, ist eine langfristige Aufgabe. Das grüne Leitbild ist die nach- haltige Entwicklung. Wir haben in den drei Jahren Regierungsbeteiligung einiges erreicht. Aber es wäre ver- messen, zu glauben, dass man in drei Jahren in Deutsch- land einen völlig neuen Kurs durchsetzen könnte. Das braucht Zeit. Die möchten wir dieser Koalition geben, nicht nur bis zur Wahl im Herbst 2002, sondern auch in der nächsten Legislaturperiode. Dies gilt auch für andere Politikfelder. Viele unserer Pro- jekte sind noch auf der Zielgeraden: Atomausstiegsgesetz, KWK-Gesetz, Einwanderungsgesetz, Naturschutzgesetz – es muss noch durch den Bundesrat – und vieles mehr. Auch sind andere angestoßene Entwicklungen, zum Beispiel die Förderung der erneuerbaren Energien, die Ökosteuer, die Förderung der Bahn, die Renten- und Steuerreform, die aktive moderne Arbeitsmarktförderung noch lange nicht selbsttragend und können von einer an- deren Regierung jederzeit wieder rückgängig gemacht wer- den. Es wäre ein massives Roll-Back zu befürchten. Rot-Grün ist ein Projekt, auf das wir jahrzehntelang hingearbeitet haben. Es ist eine große Chance für dieses Land, den Reformstau zu überwinden. Wir werden aus dieser Abstimmung gestärkt hervorgehen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001 19901 (C) (D) (A) (B) Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO zur Abstimmung über den Antrag der Bundesre- gierung zum Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsa- men Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Art. 5 des Nord- atlantikvertrags sowie der Resolution 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen verbunden mit dem An- trag des Bundeskanzlers gem. Art. 68 des Grund- gesetzes (Tagesordnungspunkt 3 und Zusatz- punkt 4) Sylvia Bonitz (CDU/CSU): Aufgrund der Verknüp- fung der Vertrauensfrage des Bundeskanzlers mit dem Antrag der Bundesregierung zum Einsatz deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der USA im Rahmen der Terrorbekämpfung sehe ich mich außerstande, ein be- fürwortendes Votum abzugeben. Es ist beschämend, dass der Bundeskanzler das gemäß Art. 68 des Grundgesetzes vorgesehene Instrument der Vertrauensfrage durch die Koppelung mit einer Sachfrage von historischer Bedeutung missbraucht. Schließlich han- delt es sich bei dem Votum über den deutschen Streitkräf- teeinsatz zur Unterstützung der USA um eine Sachent- scheidung, die in ihrer Tragweite eine historische Zäsur der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik darstellt, die – wie wohl kaum eine andere in dieser Legislaturperiode – eine besonders kritische Würdigung in der Entschei- dungsfindung jedes einzelnen Abgeordneten erfährt und auch erfahren muss und die unabhängig sein soll von par- teipolitischen Solidaritätsbekundungen für angeschla- gene Regierungsmitglieder. Durch die Verknüpfung dieser Sachentscheidung mit der Vertrauensfrage muss bezweifelt werden, dass diese wichtige Gewissensentscheidung der frei gewählten Ab- geordneten des Deutschen Bundestages noch ohne Pres- sionen möglich ist. Ich sehe in dieser Art des Vorgehens, die allein dem Machterhalt und der künftigen Machtsicherung von Gerhard Schröder – in welcher Regierungskoalition auch immer – dienen soll, eine politische Vergewaltigung des gesamten Parlamentes in einer historisch bedeutsamen Frage. Gerhard Schröder hat seinem blanken Machtkalkül Vorrang eingeräumt vor der Option einer breiten parla- mentarischen Mehrheit für den Einsatz deutscher Streit- kräfte, die aufgrund der besonderen Risiken dieses histo- rischen Einsatzes eine starke Rückendeckung verdienen. Diese Unterstützung möchte ich unseren Soldatinnen und Soldaten, die zur Bekämpfung des internationalen Terro- rismus und damit letztlich zur Verteidigung unserer Frei- heit in einen risikobehafteten Einsatz geschickt werden und dabei gegebenenfalls ihr Leben einsetzen müssen, gern zuteil werden lassen. Da ich in dieser besonderen Situation durch die seitens des Bundeskanzlers gewählte Vorgehensweise genötigt werden soll, mit meiner Unterstützung für die Bundes- wehr gleichzeitig dem Bundeskanzler das Vertrauen aus- zusprechen, kann ich jedoch nur ein negatives Votum ab- geben. Ich kann nicht einem Bundeskanzler das Vertrauen aussprechen, der die Parteidisziplin vor das Wohl des Vaterlandes stellt und damit seine Charakterschwäche offenbart. Ich sehe in der Vorgehensweise des Bundeskanzlers – trotz seiner anders lautenden öffentlichen Bekundungen – den Versuch, bewusst einen Bruch der für ihn zunehmend schwierigen rot-grünen Regierungskoalition und in des- sen Folge vorgezogene Neuwahlen zum Deutschen Bun- destag herbeizuführen. Diese Vorgehensweise halte ich für inakzeptabel, insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Sicherheitslage unseres Landes, in der alle poli- tischen Kräfte gebündelt werden sollten, um die schwie- rigen Herausforderungen der Gegenwart und der vor uns liegenden Zeit zu bewerkstelligen. Es ist beschämend und beschädigt das Ansehen des po- litischen Amtes des Bundeskanzlers, wenn diesen sach- politischen Erwägungen in einer Gewissensentscheidung der Abgeordneten durch die Verknüpfung mit der Ver- trauensfrage nicht hinreichend Rechnung getragen wer- den kann. Dr. Edelbert Richter (SPD): Ich erkläre, dass ich der rot-grünen Bundesregierung und Bundeskanzler Gerhard Schröder mein Vertrauen ausspreche. Da der Bundes- kanzler aber die Vertrauensfrage mit der Entscheidung über die Beteiligung deutscher Streitkräfte am Krieg in Afghanistan verknüpft hat, erkläre ich zugleich, dass ich der Politik der amerikanischen Regierung in dieser Re- gion nach wie vor kein Vertrauen entgegenbringen kann. Der anscheinende Widerspruch zwischen diesen bei- den Aussagen wird dadurch aufgelöst, dass ich die Bun- desregierung auffordere und es ihr zutraue, gemeinsam mit den anderen Regierungen der Europäischen Union alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Regierung der USA von willkürlicher Hegemonialpolitik abzubrin- gen und zur Einhaltung und Weiterentwicklung des Völ- kerrechts zu bewegen. Denn Solidarität mit den USA bedeutet nicht blinde Gefolgschaft, sondern schließt die Pflicht ein, den Partner auf verhängnisvolle Fehlentscheidungen hinzuweisen. Und wir Sozialdemokraten, Deutsche und Europäer soll- ten der Einsicht, die wir in der Zeit des Kalten Krieges ge- wonnen haben, treu bleiben: dass aufgrund der Verletz- lichkeit moderner Gesellschaften Sicherheit nicht mehr gegeneinander, sondern nur noch miteinander erreicht werden kann. Die Antiterrorkoalition sollte in diesem Sinne weitergeführt werden. Ich bin mir bewusst, dass die Militäraktionen der USA eine Reaktion auf den furchtbarsten Terroranschlag sind, den die Welt bisher erlebt hat, dass dieses Verbrechen internationale Verfolgung sowie Ergreifung und ange- messene Bestrafung der Täter verlangt, dass der UNO- Sicherheitsrat militärische Maßnahmen der USA als Selbstverteidigungsmaßnahmen für legitim erklärt hat und dass das Talibanregime in Afghanistan Terrorismus Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 200119902 (C) (D) (A) (B) unterstützt und sich schwerer Verletzungen der Men- schenrechte schuldig gemacht hat. Zugleich bin ich jedoch der Meinung, dass die zivilen Opfer in der Region schon jetzt jedes hinnehmbare Maß bei weitem übersteigen, dass der Einsatz heimtückischer Waffen wie Streubomben nicht nur jetzt unschuldiges Le- ben grausam tötet, sondern auch in der Zukunft für lange Zeit unverantwortliche Risiken für die Zivilbevölkerung mit sich bringt, dass in keiner Weise erkennbar ist, wie die völkerrechtlichen legitimen Ziele, die angestrebt werden, durch die gegenwärtigen Militärmaßnahmen erreicht wer- den können, dass mit dem Krieg wahrscheinlich nicht nur der Terror bekämpft werden soll, sondern zugleich geo- politische Interessen in der Region wahrgenommen wer- den, dass die Militärmaßnahmen immer mehr Menschen einem gewaltbereiten Islamismus zutreiben und die Entwicklung eines friedlichen Zusammenlebens der Religionen zunehmend erschweren, dass sie die Gefahr zukünftiger terroristischer Gewaltakte eher erhöhen als vermindern und dass sie nichts dazu beitragen, durch die Verminderung von Armut und Ungerechtigkeit den Nähr- boden für Fanatismus und Gewaltbereitschaft auszutrock- nen. Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich stimme dem Antrag der Bundesregierung zum Einsatz von Bundeswehrkräften im Kampf gegen den internatio- nalen Terrorismus zu. Noch vor einer Woche wäre für mich der Antrag nicht zustimmungsfähig gewesen. Die Schreckensbilder vom 11. September verblassen hierzulande. Die von Terror- netzwerken von und um al-Qaida ausgehende Bedrohung hält aber an und lässt vor allem wegen ihres Strebens nach Massenvernichtungswaffen noch Schlimmeres befürch- ten. Dies verpflichtet die Staaten über die Verfolgung der Hintermänner des 11. September hinaus zu umfassender Gefahrenabwehr, zur Bekämpfung von Urhebern und Ursachen des Terrorismus. Ihm ist auf Dauer nur mit dem ganzen Spektrum von Instrumenten beizukommen, ange- fangen bei den diplomatischen, geheimdienstlichen und finanzpolitischen. Dabei ist der Einsatz militärischer Mit- tel nicht nur durch den UN-Sicherheitsrat legitimiert. Er ist angesichts der militarisierten Infrastruktur des mit den Taliban eng verwobenenen al-Qaida-Netzes in Afghanis- tan und seiner Schlüsselrolle für den Gewalt- und Terror- export auch notwendig. Gegenüber dem Vorhaben der Bundesregierung, Bun- deswehrkräfte zur Unterstützung der US-Militäroperation Enduring Freedom zur Verfügung zu stellen, ergaben sich erhebliche Bedenken: Undurchsichtig war die US-Mili- tärstrategie, vor allem ihre weitergehenden Ziele. Unbe- kannt waren ihre tatsächlichen Wirkungen. Sichtbar wur- den aber ihre zivilen Opfer; der Einsatz von Streubomben, die Behinderungen von humanitärer Hilfe und die dro- hende Hungerkatastrophe. Die Bilder der Luftangriffe schürten in der islamischen Welt Solidarisierung mit Bin Laden und den Taliban und schienen diese eher zu stärken als zu schwächen. In diesen „Nebel“ sollten Bundeswehr- kräfte mit einer Art Blankoscheck des Parlaments ent- sandt werden. Das waren keine Voraussetzungen für eine Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen. Das ließ Befürchtungen wachsen, in ein unberechenbares Kriegsabenteuer hineingezogen zu werden. Seit einigen Tagen hat sich die Lage in Afghanistan ra- sant geändert: Binnen weniger Tage brach das Taliban- regime zusammen. Millionen Menschen und vor allem Frauen sind frei von seinem Terror. Die Zugänge für hu- manitäre Hilfe haben sich schlagartig verbessert. Jetzt rückt die direkte Verfolgung von al-Qaida-Terroristen, die Herstellung von Sicherheit, Wiederaufbau und der politi- sche Prozess in den Vordergrund. In diesem erheblich günstigeren Kontext sollen nun Bundeswehrkräfte für Transport, Sanitätsversorgung, ABC-Schutz, vor allem im Hinblick auf drohende Terroranschläge, Seeüberwachung und genauen Zugriff auf Terroristen zur Verfügung ste- hen. Auf Initiative der Grünen gelang es, den bisher sehr pauschal formulierten und damit Spekulationen fördern- den Auftrag mit einer Protokollnotiz einzugrenzen und einer deutlicheren parlamentarischen Kontrolle zu unter- ziehen. Der Entschließungsantrag der Koalitionsfraktio- nen betont im Hinblick auf militärische Maßnahmen die Normen des Völkerrechts und bestimmt zentrale politi- sche Aufgaben, mit denen den Nähr- und Resonanzböden des Terrorismus entgegengewirkt werden muss. Wo in Afghanistan der Krieg zurückgeht, wo jetzt hu- manitäre Hilfe, Sicherheit, Entminung, Aufbau, politische Einigung und Terroristenverfolgung im Mittelpunkt ste- hen, bedeutet der unterstützende deutsche Militäreinsatz ersichtlich nicht die Teilnahme am Afghanistan-Krieg oder einen Kriegseinsatz. Damit ist eine Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung viel eher verantwortbar ge- worden. Zugleich bleiben erhebliche Unklarheiten und Zweifel vor allem gegenüber der weiteren Militär- und Gesamtstrategie der USA. Die Verknüpfung der Sachentscheidung mit der Ver- trauensfrage durch den Bundeskanzler trifft uns Abgeord- nete in unserer demokratischen und parlamentarischen Identität. Ein solches Durchboxen ist ein ungeeignetes Mittel, die breiten Bedenken und Widerstände in SPD, Grünen und Bevölkerung insgesamt gegenüber dem be- vorstehenden Militäreinsatz zu entkräften. Es behindert die gesellschaftliche Konsensbildung durch offene De- batte, die gerade in der Sicherheitspolitik unverzichtbar ist. Das Kanzler-Machtwort zwingt uns, in unsere Gewissens- entscheidung die Konsequenzen unseres Abstimmungs- verhaltens für die Koalition, für die deutsche Außenpolitik und das laufende internationale Krisenmanagement, für die grüne Partei einzubeziehen. Angesichts dessen und der veränderten Rahmenbedingungen für die Bundeswehrent- sendung ist meine Zustimmung zu dem Antrag der Bun- desregierung notwendig und verantwortbar. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zwei sehr grundsätzliche und weit reichende Fragen ste- hen heute im Deutschen Bundestag zur Entscheidung an. Beide sind sehr unterschiedlich und haben doch eines ge- meinsam. Die Antworten sind von historischer Tragweite. Es geht um den Fortbestand einer sozialökologischen, rot-grünen Reformkoalition unter Führung von Bundes- kanzler Gerhard Schröder und um die Entsendung der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001 19903 (C) (D) (A) (B) Bundeswehr „out of area“ zur Beteiligung am Krieg ge- gen Terrorismus. Zwei so unterschiedliche Fragen können zwar aus Macht- und Mehrheitskalkül zusammengespannt werden, inhaltlich ist das freilich höchst problematisch. Wer das eine will und das andere ablehnt, wird mit der damit er- zwungenen einfachen Ja-Nein-Antwort für beide Fragen der Komplexität nicht gerecht. Wir bedauern es sehr, dass der Bundeskanzler – aus un- serer Sicht ohne Not – die Vertrauensfrage gestellt hat, um damit die Mehrheit der Koalition für ein Auslandsmandat der Bundeswehr zu bekommen bzw. zu erzwingen. Diese Verquickung ist zwar machtpolitisch clever, aber nicht klug, weil sie nicht wirklich Vertrauen schafft, sondern Misstrauen säht, weil sie Zustimmung von Abgeordneten erzwingt, die in der Sache ernsthafte Bedenken haben, weiterhin für die rechtsstaatlich und völkerrechtliche an- gemessenere Form. Das zur Abstimmung stehende Bundeswehrmandat ist angesichts der sich abzeichnenden Entwicklung von sei- ner ursprünglichen Funktion her vermutlich überholt. Es spräche manches dafür, es deutlich als ziviles, quasi poli- zeiliche und humanitäres zum Aufbau eines friedlichen Afghanistan umzuformulieren. Wir erwarten, dass es – zumal aus unserer Sicht illegitim erstritten – nicht militärisch, sondern zivil gedeutet wird. Das entspäche nicht nur dem Willen vieler Abgeordneter, sondern auch der großen Mehrheit der Bevölkerung. Diese lehnt mit uns eine Militarisierung der Außenpolitik ab. Trotz dieser gravierender Einwände in einer sehr grundsätzlichen und letztlich auch nicht gefahrlosen Ent- scheidung der Bundesregierung, die Bundeswehr einzu- setzen, müssen wir abwägen, ob wir die damit zwanghaft verbundene Vertrauensfrage bejahen oder die rot-grüne Regierung beenden. Wir haben als Gruppe von Kritike- rinnen und Kritikern gemeinsam entschieden, weil der Einzelne das Entscheidungsdilemma nicht sinnvoll auflö- sen kann. Wir entscheiden politisch wohl begründet und in großer Verantwortung. Wir stimmen in einer freien Ge- wissensentscheidung ab. Einige von uns sagen Nein und machen deutlich, dass wir dieses Bundeswehrmandat nicht legitimieren wollen. Wir sagen Nein zur Kriegsbe- teiligung. Einige sagen Ja zur Regierung Schröder und zum Fortbestand der Koalition. Wir wollen gemeinsam diese Reformkoalition und wir wollen eine vor allem zivile Außenpolitik. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich stimme dem Antrag der Bundesregierung zu, weil ich dem Bundeskanzler nach Art. 68 Abs. 1 mein Vertrauen aussprechen will. Ich stelle inhaltliche Bedenken gegen den Bereitstel- lungsbeschluss und Kritik an der Durchführung der Ope- ration Enduring Freedom vor dem Hintergrund der ge- stellten Vertrauensfrage zurück. Innenpolitisch sind dabei für mich besonders folgende Gründe von erheblicher Bedeutung: Erstens. Über die Fortsetzung oder Beendigung der Koalition muss ein Parteitag politisch entscheiden. Diese Entscheidung darf nicht stattdessen von einer kleinen Gruppe von Abgeordneten getroffen werden. Zweitens. Rot-Grün hat nicht nur in der Außenpolitik eine erfolgreiche Politik gemacht. Die Leistungsbilanz dieser Koalition ist nach nur drei Jahren beeindruckend. Wir haben innenpolitisch das Gesicht dieser Republik verändert. Gesellschaftspolitisch wurde mit Staatsbürger- schaftsreform, Lebenspartnerschaftsgesetz und Prostitu- iertengesetz Deutschland moderner und liberaler. Mit dem Zuwanderungsgesetz und der Durchsetzung der Bar- rierefreiheit für Behinderte will die Koalition diesen Weg fortsetzen. Mit der ökologischen Erneuerung – erneuer- bare Energien, Atomausstieg – und der sozialen Erneue- rung – Renten-, Steuerreform – hat die Koalition Ernst gemacht, aber es bleibt auch noch viel zu tun. Die Fort- setzung von Rot-Grün ist und bleibt das Beste für unser Land. Folgende außenpolitischen Gesichtspunkte habe ich bei meiner Entscheidung besonders abgewogen: Erstens. Die Anschläge vom 11. September sind jeder- zeit wiederholbar. Nur eine Zerschlagung der Strukturen, die sie hervorgebracht haben, kann hier wieder Sicherheit schaffen. Ein repressives Vorgehen gegen das Terrornetz Bin Ladens ist daher legitim und spezialpräventiv. Das Talibanregime war nicht nur ein Unglück für die eigene Bevölkerung, sondern auch eng mit dem Terrornetz ver- woben. Im Ausland ist ein repressives Vorgehen in diesem Sinne aber nicht durch Polizeikräfte möglich, sondern nur durch militärische Mittel. Zweitens. Der sehr unscharf gefasste Antrag der Bun- desregierung war zunächst schon vor dem Hintergrund seiner Bereitstellungsdauer von einem Jahr verfassungs- rechtlich problematisch. Mit der Protokollerklärung des Bundesaußenministers im Auswärtigen Ausschuss wur- den die verfassungsrechtlichen Bedenken ausgeräumt. Die Klarstellung beim Auftrag bezüglich der Beschrän- kung auf die Bekämpfung von al-Qaida, bei der Aufglie- derung der eingesetzten Streitkräfte, der Beschränkung der KSK auf polizeilich-militärische Aufgaben, beim Ein- satzgebiet – Ausschluss Somalias –, die Informationsver- pflichtung und die Bilanz nach sechs Monaten haben Grüne in Parlament und Regierung durchgesetzt. Teil- nahme an der Bombardierung oder die Stellung von Bo- dentruppen waren von Anfang an ausgeschlossen. Drittens. Kritisch bleibt anzumerken, dass die Opera- tion Enduring Freedom ein unilateraler Einsatz mit deut- scher Unterstützung bleibt. Allerdings behält sich die Bundesregierung die Entscheidung über konkrete Einsätze weiterhin vor. Viertens. Die Kriegführung der USA im Rahmen der Operation Enduring Freedom war nicht immer verhält- nismäßig. Insbesondere der Streubombeneinsatz, der viele zivile Opfer gefordert hat, war auch nicht durch die Anschläge des 11. September gerechtfertigt, weil er nicht hinreichend zielgerichtet auf die Verfolgung der Terroris- ten ausgerichtet war. Der Antrag der Koalitionsfraktionen unterstreicht noch einmal die Notwendigkeit der Bindung Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 200119904 (C) (D) (A) (B) eines Militäreinsatzes an die Verhältnismäßigkeit und for- dert die Vermeidung ziviler Opfer. Er kritisiert damit in- direkt auch Aspekte der Kriegführung der USA. Fünftens. Der Einsatz in Afghanistan war immer mit humanitärer Unterstützung der Zivilbevölkerung durch Hilfsgüterabwurf verbunden. Mit dem Rückzug der Tali- ban erhalten die Hilfsorganisationen in den von der Nord- allianz kontrollierten Gebieten Zugang zu der hilfsbe- dürftigen Bevölkerung und können nun im großen Maßstab Hilfe ins Land bringen: Sechstens. Gerade in der jetzigen international ange- spannten Situation ist eine rot-grüne Bundesregierung ein wichtiger Beitrag für die langfristige Friedensperspek- tive. Gerade das internationale Ansehen von Außenminis- ter Joschka Fischer, seine Rolle in der Nah-Ost-Politik, ist für den Aufbau einer internationalen Friedensordnung notwendig. Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich stimme dem Beschlussvorschlag der Bundesregierung zur begrenzten Bereitstellung deutscher Streitkräfte im Rahmen der militärischen Operationen der weltweiten Antiterrorkoalition aus folgenden Gründen zu: Nach den Klarstellungen und Präzisierungen durch die verbindliche Protokollerklärung der Bundesregierung ha- ben für mich Art und Umfang des möglichen deutschen Beitrags deeskalierenden Charakter. Sie entsprechen weitgehend den auch von den Gremien meiner Partei be- schlossenen Kriterien der Zweckmäßigkeit, Verhältnis- mäßigkeit und Zielgenauigkeit. Im Einzelnen bewerte ich die angeforderten Kompo- nenten wie folgt: Erstens. Eine deutsche Beteiligung an Luftangriffen oder an einem Bodenkrieg ist und bleibt klar ausge- schlossen. Zweitens. Der mögliche Einsatz von Spezialkräften wird durch die Protokollerklärung ausschließlich auf poli- zeilich-militärische Aufgaben gegen das terroristische Netzwerk Bin Ladens bzw. gegen deren unmittelbare Un- terstützer beschränkt, zum Beispiel auf Geiselbefreiung und Verhaftungen. Sie werden nicht in einem Bodenkrieg als Bestandteile von Truppen eingesetzt. Vergleichbare Kommandoaktionen auch mit deutscher Beteiligung ha- ben auf dem Balkan dafür gesorgt, dass Kriegsverbrecher gefasst und vor das Haager UN-Tribunal gebracht wurden. Drittens. Das mögliche Einsatzgebiet wird durch die Protokollerklärung weiter eingegrenzt: Außerhalb Afgha- nistans kann eine Stationierung oder gar ein Einsatz nicht ohne Zustimmung der jeweiligen Regierung erfolgen, in Ländern ohne Regierung nur mit erneuter Beschlussfas- sung des Bundestages. Im Nahen Osten ist nach Aussage des Bundeskanzlers in unserer Fraktionssitzung am 14. November 2001 ein Einsatz nicht vorgesehen. Damit ist eine unkontrollierte Ausweitung des Konfliktes mit deutscher Beteiligung zum Beispiel nach Somalia oder in den Irak ausgeschlossen. Viertens. Drohungen von al-Qaida sowie Hinweise auf den Besitz radioaktiven Materials zeigen: Die Bedrohung durch atomare, biologische oder chemische Kampfstoffe ist nicht abstrakt, sondern sehr konkret. Die Bundeswehr besitzt mit dem Fuchs-Panzer ein System zum Aufspüren solcher Waffen, das dem Schutz aller vor Ort betroffenen Menschen, ob Soldaten oder Zivilbevölkerung, dient. Fünftens. Sanitätseinheiten – „fliegendes Hospital“ und ähnliches – dienen der Evakuierung Verletzter, der medizinischen Versorgung von Soldaten und oft auch der Zivilbevölkerung. Sechstens. Durch die Bereitstellung von Transport- flugzeugen werden die Versorgungsmöglichkeiten mit humanitären Hilfsgütern verbessert. Siebtens. Die bereitgestellten Marineeinheiten sollen gefährliche Schiffstransporte wie zum Beispiel Öl- und Chemietanker vor Anschlägen schützen. Dies ist aufgrund entsprechender Bedrohungshinweise sinnvoll, um un- absehbare, auch ökologische Folgen terroristischer An- schläge auf solche Transporte zu verhindern. Achtens. Es gibt keine Unterordnung deutscher Streit- kräfte unter amerikanisches Kommando. Die Entschei- dungshoheit verbleibt bei der deutschen Bundesregierung mit ihren grünen Ministern. Neuntens. Das Mandat gilt für die Dauer eines Jahres. Die Gremien des Bundestags werden jedoch kontinuier- lich und zeitnah über Verlauf und Ergebnisse der Opera- tionen unterrichtet. Der Bundestag übt damit seine unver- zichtbaren parlamentarischen Kontrollrechte aus und kann jederzeit in eigener Beurteilung der aktuellen Ent- wicklung neue Entscheidungen treffen, gegebenenfalls auch die deutschen Streitkräfte zurückrufen. Für die wei- tere Bewertung ist für mich zum Beispiel maßgeblich, dass auf den Einsatz von Streubomben verzichtet wird. Zehntens. Mit dem parallel beschlossenen Entschlie- ßungsantrag des Bundestags wird das militärische Vorge- hen in ein politisches Gesamtkonzept zur Zukunft eines zivilen und friedlichen Afghanistans, zur dauerhaften friedlichen Konfliktlösung und zur sofortigen Verbesse- rung der humanitären Lage und Versorgung der Menschen vor Ort eingeordnet. Auch dies war eine wesentliche For- derung bündnisgrüner Beschlüsse. Damit entspricht das Anforderungsprofil eines mögli- chen deutschen Beitrags den für mich maßgeblichen Kri- terien. Es bleibt jedoch die Grundfrage zu entscheiden, ob militärische Mittel prinzipiell geeignet und moralisch legitim sind, um Terrorismus zu bekämpfen. Es ist die niederschmetternde und brutale Wirklichkeit, dass in Kriegsaktionen auch Unschuldige getroffen, ver- letzt und getötet werden. Ebenso wirklich ist aber, dass mit dem erkennbaren Ende des Talibanregimes, das ele- mentare Menschenrechte mit Füßen getreten hat, in den befreiten Städten ein Stück Freiheit und relativer Sicher- heit für die Menschen möglich geworden ist. Dort ist auch der von uns geforderte Bombenstopp Wirklichkeit ge- worden – noch vor dem Beginn des Ramadan. Zum ers- ten Mal seit Jahren besteht für die Stadtbewohner und für die Flüchtlinge, die jetzt in ihre Heimatorte zurückkehren, die begründete Hoffnung, den nächsten Winter nicht Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001 19905 (C) (D) (A) (B) wieder mit Frieren und Hungern verbringen zu müssen. Die ersten Versorgungsschiffe sind unterwegs, die Kon- vois werden jetzt rollen. Es muss bezweifelt werden, ob dies alles ohne jedes militärische Eingreifen möglich ge- worden wäre. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass – gemäß dem heutigen Entschließungsantrag – verstärkte Anstren- gungen zu einer wirksamen Versorgung der Zivilbevölke- rung mit Nahrung, Kleidung und Wohnung Vorrang vor allem anderen haben. Meine Gewissensentscheidung wird nicht nur von den genannten Fragen bestimmt, sondern ebenso von dem Be- wusstsein, damit auch eine Entscheidung über das Ge- samtprojekt einer ökologisch-sozialen Reformregierung zu treffen ist. Wenn die Koalition bei einer derart wichti- gen Entscheidung der eigenen Regierung die parlamenta- rische Unterstützung entzöge, hätte dies – mit oder ohne Vertrauensfrage – über kurz oder lang das Ende dieser Regierung zur Folge. Die Konsequenz wäre ein ökologi- sches roll-back durch eine neue Regierung ohne grüne Beteiligung, ein Stopp bzw. die Rücknahme von Refor- men, die das Land verändert haben. Ich habe 20 Jahre für das Projekt einer ökologisch-so- zialen Reformkoalition geworben und geackert. Wir ha- ben von A wie Atomausstieg und Agrarwende über B wie Bahnsanierung bis Z wie Zuwanderungsgesetz eine Fülle von Reformen für ein weltoffenes und umweltfreundli- ches Land durchgesetzt und auf den Weg gebracht. Das neue Naturschutzgesetz wurde gestern verabschiedet. Die Ökosteuer zeigt klar ökologische Lenkungswirkung. Die Förderung Erneuerbarer Energien bringt den Klimaschutz voran. Es wäre unzulässig und sogar zynisch, das Erneu- erbare-Energien-Gesetz aufzuwiegen gegen die Beteili- gung an einem Militäreinsatz. Aber weil wir in drei Jah- ren Regierungsbeteiligung nicht nur das Profil dieses Landes im grünen Sinne umgestaltet haben, sondern mit Joschka Fischer auch einen international geachteten Außenminister stellen, der gerade jetzt bei der Neugestal- tung globaler Ordnungen eine herausragende Rolle spielt, bin ich nicht bereit, das Gesamtprojekt Rot-Grün und da- mit dann möglicherweise auch die Zukunftsperspektive der grünen Partei leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Viele, die eine deutsche Beteiligung in Afghanistan ab- lehnen, unterstützen – oft ebenso vehement – die Politik des Außenministers. Diese Politik ist von Anfang an auf Integration, Konfliktvermittlung und Entwicklung ziviler Perspektiven gerichtet – in Asien wie in Amerika, in Eu- ropa und im Nahen Osten. Der grüne Außenminister be- treibt diese Politik mit großer Glaubwürdigkeit und mit einem Einsatz bis an die Grenze der physischen Belast- barkeit. Er findet dafür im Inland wie im Ausland hohe Anerkennung. Er kann diese Politik aber nur so lange fort- setzen, wie seine eigene Fraktion und Partei dafür die Vor- aussetzungen schafft und erhält. In einer parlamentari- schen Demokratie geschieht dies auf dem Wege der Abstimmung durch eine klare Mehrheit. Hinzu kommt für mich, dass ein Ausscheiden der Bun- desrepublik Deutschland aus der NATO-Solidarität unü- bersehbare Konsequenzen für die atlantische Sicherheits- architektur und für Europa hätte: Rückkehr der USA zum Unilateralismus, Rückschlag bei der Entwicklung einer gemeinsamen Politik Europas. Es wäre nicht nur fahrläs- sig, sondern schlicht unpolitisch, diesen Zusammenhang bei der Entscheidungsfindung auszublenden. Nach kritischer Abwägung all dieser Zusammenhänge entscheide ich mich letztlich aber entlang der einfachen Frage: Was vermindert wahrscheinlich die akute terroris- tische Bedrohung, was hilft bei der kurzfristigen Bekämp- fung terroristischer Gewalt, was verschafft der afghani- schen Bevölkerung nach Jahren des Hungerns und Leidens am schnellsten eine Perspektive? Oder noch ein- facher: Was hilft den Menschen? Ich meine, dass Terrorismus, wie er sich am 11. Sep- tember manifestiert hat, nicht durch Krieg aus der Welt zu schaffen ist. Nur eine langfristige Strategie der Konflikt- prävention – fairer Welthandel, Armutsbekämpfung, Dia- log der Kulturen – kann terroristischer Gewaltbereitschaft dauerhaft den Nährboden entziehen. Dies beinhaltet auch das Eingeständnis und die Korrektur schwerer politischer Fehler der westlichen Welt. Ich fürchte aber, dass es kurz- fristig ohne repressive, auch militärische Mittel nicht geht, sofern diese zweckmäßig, zielgenau, verhältnis- mäßig und in ein politisches Gesamtkonzept eingebettet sind. In diesem Sinne ist für mich der deutsche Beitrag, wie er von der Bundesregierung als Handlungsrahmen vorge- schlagen wird, vertretbar und verantwortbar. Georg Brunnhuber (CDU/CSU): Heute stimme ich diesem Antrag der Bundesregierung deswegen nicht zu, weil der Kanzler damit die Vertrauensfrage für seine ge- samte Politik verbunden hat. Mein Abstimmungsverhal- ten ist also in keiner Weise gegen die Solidarität mit den USA gerichtet. Die Politik der Union, die auf einer engen und freundschaftlichen Partnerschaft mit den USA ba- siert, ist dafür hinreichender Beleg. Ich stimme dagegen, weil der Kanzler, während dessen Amtszeit die Arbeitslosigkeit ständig steigt, die Wachs- tumsraten sinken, die Steuerpolitik die Arbeitgeber und Arbeitnehmer maßlos belastet, die Situation im Gesund- heitswesen sich als geradezu chaotisch darstellt, die Zu- wanderung nach Deutschland auf Drängen des grünen Koalitionspartners unvernünftigerweise erleichtert wird, der Bundeswehr die notwendige finanzielle Basis vorent- halten wird, die Rente für die junge Generation keine aus- reichende Sicherheit für das Alter mehr bietet, mein Ver- trauen nicht hat. Dr. Antje Vollmer (BÜNDNS 90/DIE GRÜNEN): Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht ge- bunden und nur ihrem Gewissen unterworfen; so Art. 38 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Der Bundeskanzler hat das Recht, jederzeit die Ver- trauensfrage zu stellen. Gemäß Art. 68 des Grundgesetzes hat er auch das Recht, die Vertrauensfrage mit einer Sach- frage zu verbinden. In der heutigen Abstimmung ist die Vertrauensfrage mit einer Gewissensfrage verbunden. Auch diese Verbindung ist von der Verfassung zugelas- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 200119906 (C) (D) (A) (B) sen, aber nicht unbedingt gewollt. Sie führt auch in der Sa- che zu absurden Ergebnissen: Abgeordnete der Union und der FDP, obwohl sie den Krieg in Afghanistan und den Antrag der Bundesregierung unterstützen, werden den Antrag der Bundesregierung ablehnen. Dagegen werden eine Reihe von Abgeordneten, die wie ich den Terroris- mus militärisch für nicht besiegbar halten oder Kritik an der Operation Enduring Freedom haben, heute zustim- men. In einer Mandatsaufgabe kann und darf nicht die Lö- sung dieses Dilemmas liegen. Dies entspricht nach mei- ner Überzeugung nicht dem Abgeordnetenbild, das den Vätern und Müttern des Grundgesetzes vorschwebte. Ich habe in der Abstimmung mit Ja gestimmt, weil ich mich mit einem Nein gegen den Fortbestand der rot-grü- nen Koalition ausgesprochen hätte. Für mich ist das rot-grüne Regierungsprojekt aber weder inhaltlich noch konzeptionell erschöpft. Es ist von der Bevölkerung ak- zeptiert, im praktischen Verlauf erfolgreich und im inne- ren Verhältnis der Beteiligten nicht zerrüttet. Die notwendige Debatte über die neue Rolle Deutsch- lands und darüber, wie sie auszufüllen ist, steht unthema- tisiert im Hintergrund der heutigen Entscheidungen. Diese Diskussion offen und im Dialog mit der Bevöl- kerung zu führen ist notwendiger denn je. Mit meiner heu- tigen Entscheidung möchte ich mich dafür einsetzen, dass diese Debatte möglich bleibt und inhaltlich und konzep- tionell eine rot-grüne Handschrift trägt. Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) (CDU/CSU): Bundeskanzler Schröder hat die Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung auf Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte vom 7. November 2001 mit der Ver- trauensfrage verbunden. Er verbindet damit die Abstimmung über eine politi- sche Sachfrage mit seinem persönlichen politischen Schicksal. Dem oben genannten Sachantrag hätte ich zu- gestimmt, weil diese Zustimmung den deutschen Beitrag zur Solidarität mit den von Terroristenangriffen getroffe- nen USA und dem amerikanischen Volk darstellt. Die Be- teiligung der Bundeswehr am Kampf gegen den weltwei- ten Terror ist auch aus meiner Sicht ein unverzichtbarer Beitrag zur der Reaktion der NATO auf diese Gewaltakte nach Verkündung des Bündnisfalls gemäß Art. 5 des Washingtoner Vertrags. Allerdings kann ich dem Bundeskanzler nicht gleich- zeitig auch das Vertrauen aussprechen für seine durch Ver- sagen geprägte Politik. Seit 1998 wurde entgegen seinen Wahlversprechen die Arbeitslosigkeit nicht drastisch ab- gebaut, sondern sie verharrt weiter auf hohem Niveau. Das Wirtschaftswachstum in der Bundesrepublik sinkt in Richtung Minuswachstum ab. Der Mittelstand wird durch eine ungerechte Steuerpolitik gegenüber der Großindus- trie benachteiligt und unvertretbar belastet. Die Situation der gesetzlichen Krankenversicherung ist weiterhin chao- tisch. Der Bundeswehr werden seit Jahren notwendige In- vestitionsmittel vorenthalten. In der Rentenpolitik ist keine zufrieden stellende Perspektive erkennbar. Dies alles ist eine Negativbilanz, die es nicht rechtfer- tigt, dem politisch verantwortlichen Bundeskanzler das Vertrauen auszusprechen. Ich stimme deshalb in der heu- tigen Abstimmung mit Nein. Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich erkläre, warum ich für den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der Terrorismusbekämpfung stimmen und dem Kanzler mein Vertrauen aussprechen werde. Die grausamen Anschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington haben uns alle erschüttert. Wir sind solidarisch mit der Bevölkerung der Vereinigten Staaten und fühlen uns alle von den Anschlägen getroffen. Wir unterstützen daher den Kampf gegen den internatio- nalen Terrorismus solidarisch, aber auch kritisch. Dass sich die sicherheitspolitische Lage dramatisch verändert hat, ist nicht mehr zu leugnen. Darüber müssen wir in Deutschland eine rationale Diskussion führen. Ich kritisiere das Junktim von Vertrauensfrage und ei- ner Sachentscheidung, für die gerade in der Frage des Ein- satzes militärischer Mittel die grundgesetzlich manifes- tierte Gewissensentscheidung als Voraussetzung für eine sachgerechte Entscheidung des einzelnen Abgeordneten von wesentlicher Bedeutung ist. Diese Kritik an der Ver- knüpfung innenpolitischen Machtkalküls mit einer Sach- abstimmung entbindet uns in der konkreten Situation aber nicht von der nun notwendig gewordenen Abwägung zwi- schen dem Range einer Gewissensentscheidung und der Bewertung der rot-grünen Koalition, aber auch des grü- nen Projektes durch Zustimmung oder Ablehnung. Ich entscheide mich heute für eine Fortführung von Rot-Grün und werde damit zugleich die Frage der Bewertung der Politik der bestehenden Koalition und der Zukunft von Rot-Grün dem Bundesparteitag in Rostock überlassen. Die Delegierten haben 1998 für Rot-Grün auf Bundes- ebene gestimmt und müssen folgerichtig auch über die Fortführung oder Beendigung entscheiden. Die rot-grüne Koalition hat bisher gute Arbeit geleis- tet. Wir haben präventive Elemente in der Außenpolitik gestärkt, fördern die zivile Konfliktbearbeitung und prak- tizieren einen Multilateralismus, der langfristig zur Ver- regelung der internationalen Beziehungen beiträgt. Damit setzen wir Schritt für Schritt Zielsetzungen grüner Außen- politik durch. Wir sind nicht so schnell, wie wir gerne wären, aber wir kommen damit voran. Daher kann nicht die Fraktion über den Fortbestand der Koalition entschei- den, sondern das kann nur die Partei tun. Wir werden auf der BdK in Rostock eine ausführliche Diskussion über Außenpolitik und damit den Fortbestand der Koalition führen. Die Diskussion auf dem Parteitag ist auch ein Bei- trag zur gesellschaftlichen Debatte über die deutsche Außenpolitik, die in den letzten Monaten zu kurz gekom- men ist und deren Beginn wir einfordern. Das Ergebnis ist offen, aber es ist die Partei, die darüber entscheiden muss. Grundlagen für die Entscheidung über einen Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der Bekämpfung des inter- nationalen Terrorismus sind erstens die internationalen politischen Verpflichtungen, die die Bundesrepublik Deutschland eingegangen ist, und eine aktuelle reale La- geanalyse. Aufgrund meiner Analyse der generellen Bedrohungssituation komme ich zu dem Ergebnis, dass sich die Bundesrepublik Deutschland an dem breiten Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001 19907 (C) (D) (A) (B) Spektrum von Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus mit polizeilichen, geheimdienstlichen, diplomatischen, humanitären und auch militärischen Maßnahmen beteiligen sollte. Daher werde ich dem An- trag der Bundesregierung zustimmen. Ich kann alle ver- stehen, die grundsätzlich Militäreinsätze ablehnen, bin aber der Ansicht, dass gezielte militärische Maßnahmen in der momentanen Situation erforderlich sind. Der Entschließungsantrag sowie die Protokollnotiz der Bundesregierung zeigen eindeutig, dass es sich um einen begrenzten Einsatz der Bundeswehr handelt und dass die Rechte des Parlamentes nicht angegriffen werden. Er greift damit die Präzisierungen, die vom Parteirat am 12. No- vember 2001 beschlossen wurden, auf. Diese sind für uns als Grüne zentrale Kriterien bei einer so zentralen Ent- scheidung in der Frage, ob und, wenn ja, wie wir uns auch mit militärischen Mitteln an der Bekämpfung des Terro- rismus beteiligen. Dennoch habe ich einige gewichtige Kritikpunkte an der Gesamtstrategie der Vereinigten Staaten. Erstens. Mein Eindruck ist, dass die USA allein und ohne Rück- versicherung mit den Partnern in der Antiterrorkoalition oder der NATO über Ziele und Taktik der militärischen Aktionen entscheiden. Es darf auf keinen Fall geschehen, dass durch rücksichtsloses und gedankenloses Vorgehen der Zusammenhalt der Antiterrorkoalition gefährdet wird und gefährliche Konsequenzen für den Weltfrieden haben könnte. Dies wäre ein Erfolg für die Terroristen. Zweitens. Die Informationslage ist unzureichend. Ein Großteil der Verunsicherung in der Öffentlichkeit ent- stand, weil zu optimistische Erwartungen geweckt wur- den und unsere Partner uns ungenügend informierten. Ich hoffe, dass sich die Informationslage für die Öffentlich- keit und die politischen Entscheidungsträger grundsätz- lich verbessern wird. Drittens. Nicht akzeptabel ist die Verwendung von Mu- nition, die unterschiedslos auch gegen Zivilisten wirkt, insbesondere Streubomben. Ebenso lehne ich den Be- schluss der EU ab, die Nordallianz mit Waffen zu belie- fern. Diese Vorgehensweisen sind für uns nicht akzepta- bel und wir werden vehement auf allen Ebenen deren Aufgabe einfordern. Viertens. Ich begrüße, dass die Vereinigten Staaten im multilateralen Rahmen agieren und damit signalisieren, dass der internationale Terrorismus nicht von einem Staat allein, egal, wie viel Macht er in sich vereinigt, besiegt werden kann, sondern dass wir eine breite Koalition benötigen. Dennoch habe ich zum Teil den Eindruck, dass die USA immer noch einen Multilateralismus à la carte betreiben. Fünftens. Ich warne vor zu viel Optimismus. Auch wenn die jetzigen Erfolge der Militäraktionen aus der öf- fentlichen Diskussion viel Druck herausgenommen ha- ben. So froh wir über die Freilassung der Mitarbeiter von Shelter Now sind, so darf man sich über den Charakter von militärischen Aktionen und der prekären Lage in Afghanistan keine Illusionen machen. Wir wissen doch, dass die Nordallianz keineswegs ein demokratischer Wunschpartner ist. Jetzt kommt es darauf an, verantwort- lich mit der Zukunft Afghanistans umzugehen und allen potenziellen Beteiligten eines zukünftigen Regimes klar zu machen, unter welchen Bedingungen wir den Aufbau des Landes unterstützen. Dazu gehört aus meiner Sicht die strikte Einhaltung von Menschenrechten, ein Demokra- tisierungsprozess, der im Einklang mit den vorgefun- denen gesellschaftlichen Verhältnissen steht und die Ein- beziehungen der umliegenden Länder im Rahmen eines Regionalkonzeptes. Darüber hinaus möchte ich folgende Punkte zu beden- ken geben: Erstens. Wir können nicht ausschließen, dass der inter- nationale Terrorismus auch Anschläge in Europa verübt. Das heißt, unser Sicherheitsverständnis muss sich, ge- messen an den veränderten Realitäten, ändern. Wir brau- chen ein tiefgreifende Debatte über eine neue Sicher- heitspolitik, in der neu und verstärkt über Prävention, aber auch über Abwehrmaßnahmen diskutiert wird. Dabei können und dürfen Abwehrmaßnahmen nicht nur vom Militär übernommen werden. Häufig handelt es sich um polizeiliche und geheimdienstliche Aufgaben. Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass die Form des Konfliktes, mit dem wir seit dem 11. September konfrontiert sind, ein völlig anderer ist als zu Zeiten des Kalten Krieges, als jener innerstaatliche Konflikt auf dem Balkan oder dem regionalen Kurdenkonflikt. Es ist neu, dass auf der einen Seite ein staatlicher Gegner sitzt, auf der anderen Seite ein schwer zu fassender, nicht greifbarer „non-state-actor“, der mit klassischen militärischen Mit- teln nicht zu besiegen ist. Und neu ist auch, dass es nicht wie zum Beispiel im Kosovo um die Hilfe für andere Menschen und die Durchsetzung von Menschenrechten geht, sondern um Verteidigung. Der UN-Sicherheitsrat hat die Terrorangriffe verurteilt und das Recht auf Selbst- verteidigung anerkannt. Wir müssen auch sehen, dass es keine „sauberen“ militärischen Aktionen gibt. Daraus ist zu folgern, dass wir darauf achten, dass die Mittel nach dem Kriterium der Verhältnismäßigkeit angewandt wer- den und einem politischen Ziel folgen. Zweitens. Wir als Grüne haben die Aufgaben, einer Formierung der Gesellschaft zu widerstehen. In Zeiten der Bedrohung und der Unsicherheit neigen Gesellschaf- ten zu übersteigerter Kontrolle und Überwachung, in der Illusion, dass diese die Sicherheit erhöht. Dies ist nicht der Fall. Die Erfahrung in den 70er-Jahren bis in die 80er- Jahre hat gezeigt, dass dies häufig nicht der Fall ist. Im Gegenteil: Wir laufen Gefahr, uns damit der Grundlagen unserer freiheitlichen Gesellschaft zu berauben. Drittens. Die Auseinandersetzung mit dem internatio- nalen Terrorismus wird sich über Jahre hinweg ziehen. So wichtig die Diskussion über humanitäre Hilfe aus unserer Sicht in den letzten Wochen war, haben wir es versäumt, die qualitative Veränderungen für die deutsche Außenpo- litik zu bewerten. Denn die Frage ist: Was heißt es für Außen- und Sicherheitspolitik, für Prävention und zivile Konfliktbearbeitung, wenn wir nicht mehr die traditio- nelle Konfliktstruktur gleichartiger Gegner haben? Wel- che Folgen haben die Anschläge vom 11. September 2001 für unsere multilaterale Politik und wie müssen wir sie weiterentwickeln? Diese Fragen sind noch nicht beant- wortet, sie können es noch gar nicht sein. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 200119908 (C) (D) (A) (B) Nach einer gründlichen Abwägung zwischen meiner Kritik an einzelnen Maßnahmen bei der Terrorismus- bekämpfung und der grundsätzlichen Notwendigkeit der kurz- und langfristigen Gefahrenabwehr bin ich zu der Ansicht gekommen, dass ich dem Antrag der Bundes- regierung zustimmen werde. Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der heutige Tag ist kein Glanzlicht in der Geschichte des deutschen Parlaments. Abgeordnete, vor allem in CDU und FDP, die deutsche Soldaten nach Afghanistan schicken wollen, stimmen hiergegen, weil sie dem Kanzler nicht das Vertrauen aussprechen wollen oder können. Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, die einen militärischen Einsatz dort als sachlich oder moralisch falsch ablehnen, sind gezwungen dafür zu stimmen, weil sie das rot-grüne Reformprojekt nicht auf- geben wollen. Die Verknüpfung der Abstimmung über den Afghanistan-Einsatz mit der Vertrauensfrage mag tak- tische Gründe haben; dem Vertrauen der Bürger in die Ehrlichkeit der Arbeit dieses Parlaments war sie nicht för- derlich. Nach unserem Grundgesetz sind Abgeordnete an Wei- sungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unter- worfen. Schwer nachvollziehbar war für mich der Ge- danke des Kanzlers, geäußert in der Fraktionssitzung der Grünen, diese Gewissensentscheidung könne man auch dadurch wahrnehmen, dass man von seinem Mandat zu- rücktrete. Aber auch durch die Verbindung zweier konträ- rer Übel, militärischer Einsatz und Ende des rot-grünen Reformprojekts, wird das freie Mandat behindert. Sol- chen Verknüpfungen muss entschieden widersprochen werden. So entscheide ich mich für die Fortsetzung der rot-grü- nen Koalition. Rot-Grün ist das einzige tragbare politisch Modell in dieser Republik, ist einzig auf eine zukunfts- fähige Politik gerichtet. Rot-Gelb, Schwarz-Gelb sind Po- litikmodelle des vorigen Jahrhunderts. Mancher mag meinen, es seien zu wenig grüne Ideen umgesetzt worden. Die Differenz aber zu denen, die über- haupt keine Antwort auf existenzielle Menschheitsfragen suchen oder wollen, ist riesig. Hingegen will und kann Rot-Grün noch viel bewirken. Ich will das rot-grüne Pro- jekt nicht aufgeben. Schon gar nicht will ich den urgrünen Gedanken der Basisdemokratie dadurch konterkarieren, dass einige wenige grüne Abgeordnete die Entscheidung für die Aufgabe oder die Fortsetzung der Regierungsko- alition treffen, die den Delegierten der Bundesversamm- lung, des höchsten Beschlussgremiums der Partei, zu- steht. Es ist mir ein Gewissensanliegen, mich für den Fortbestand der rot-grünen Koalition, für eine auch zukünftige Durchsetzungschance grüner Politikideen zu entscheiden. Ich bedauere, dass der Kanzler aus mir nicht nachvoll- ziehbaren Gründen Abgeordnete in Gewissenskonflikte gebracht hat. Die Verbindung einer eindeutigen Gewis- sensentscheidung, des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte, mit der Vertrauensfrage ist vom Grundgesetz zwar nicht untersagt, aber auch nicht unbedenklich. Den ursprünglichen Antrag der Bundesregierung auf Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte mit Aktionskreis von Afrika bis Zentralasien, zeitlich ausgedehnt auf ein ganzes Jahr und bei beliebiger Veränderbarkeit des Kräf- teverhältnisses der eingesetzten Truppenteile, ohne Bun- destagsentscheidung abzulehnen, war mir ebenfalls eine Gewissensentscheidung, obwohl ich den Kampf gegen den internationalen Terrorismus – aber mit geeigneten Mitteln – für nötig halte, mir Völkerrecht und Bündnis- verpflichtung klar sind, aber weil massive Bedenken ge- gen die militärische Strategie der USA bestanden und weil eine humanitäre Katastrophe in Afghanistan droht. Nunmehr bin ich gezwungen abzuwägen – und das fällt mir nicht leicht. Allerdings hat sich seit dem Bekanntwer- den der Anforderung zur Bereitstellung von Bundeswehr- einheiten vor einer Woche Entscheidendes geändert. Die Lage in Afghanistan hat sich dramatisch gewandelt. Das Talibanregime ist gestürzt, Bin Laden und das Terrornetz- werk der al-Qaida werden von diesem Regime nicht mehr gestützt. In dieser Situation treten die zentralen Anliegen von Bündnis90/Die Grünen in den Mittelpunkt: die rasche hu- manitäre Versorgung der Zivilbevölkerung und die Ent- wicklung und Umsetzung eines politischen Konzeptes für eine tragfähige und friedliche Perspektive reiner Post-Ta- liban-Regierung. Außenminister Joschka Fischer hat um- fassende und rasche humanitäre Hilfe angekündigt und 95 Millionen DM dafür bereitgestellt. Weitere 160 Milli- onen DM werden für Wiederaufbau in Afghanistan zur Verfügung gestellt. Meine Hauptkritikpunkte am Beschlussantrag der Bundesregierung waren gerade der von Nordafrika bis Zentralasien reichende, also völlig unbestimmte Einsatz- raum für die deutschen Truppenteile, die beliebige Ver- änderbarkeit der Truppenteile ohne weitere Entscheidung des Bundestags und das sich auf ein volles Jahr er- streckende Mandat ohne weitere parlamentarische Kon- trolle, ein auch im Interesse der eingesetzten Soldaten unerträglicher Zustand, der die Fürsorgepflicht des Parla- ments ihm gegenüber eklatant verletzt hätte. Gerade inso- weit aber ist es in intensiven Verhandlungen mit dem Ko- alitionspartner gelungen, unsere Bedingungen für einen möglichen Einsatz deutscher Soldaten durchzusetzen. Die Prämissen des Parteirats von Bündnis90/Die Grünen sind voll erfüllt. Dies ist ein klarer Beweis für den Erfolg grü- ner politischer Einflussnahme. Ohne unsere Regierungs- beteiligung wäre dies unmöglich gewesen. Ich kann und will diesen Erfolg in meiner Abwägung würdigen. Daher stimme ich mit Ja. Gila Altmann (Aurich) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Zur Abstimmung stehen heute zwei Fragenkom- plexe, die aufgrund des Junktims gemeinsam beantwortet werden sollen, obwohl sie sachlich und von ihren Aus- wirkungen her sehr unterschiedlich sind. Ich kann sie nur einzeln beantworten. Den Einsatz militärischer Mittel zur Bekämpfung des Terrorismus halte ich nach wie vor für nicht zielführend. Den Out-of-area-Einsatz der Bundeswehr lehne ich des- halb ab. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001 19909 (C) (D) (A) (B) Die Entscheidung über die Fortsetzung der rot-grünen Koalition ist nicht von einzelnen Abgeordneten, sondern im Falle meiner Fraktion auch von der Bundesdelegier- tenversammlung zu treffen. Um einer solchen Entschei- dung nicht vorzugreifen, muss ich diesen Teil der Ab- stimmung mit Ja beantworten. Aus diesen Erwägungen heraus habe ich mit Ja ge- stimmt. Peter Dreßen (SPD): Mir fällt die heutige Entschei- dung wie vielen anderen sehr schwer. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass deutsche Soldaten auf fremden Boden – außerhalb der NATO-Mitgliedstaaten – nichts zu suchen haben. Militärische Auseinandersetzungen dürfen nicht Mittel der Politik sein. Wenn ich trotzdem dem Antrag der Bundesregierung zustimme, hat dies drei Gründe: Erstens. Ich sehe keinen anderen Weg, um den terroris- tischen Hintermännern des verbrecherischen Anschlags vom 11. September 2001 in New York und Washington habhaft zu werden. In Gesprächen mit Menschen aus der Friedensbewegung konnte mir niemand eine ernsthafte Alternative aufzeigen, wie wir ander als es die Bundes- regierung vorsieht, wirksam gegen Terror vorgehen kön- nen. Alle beteuern zwar, dass etwas getan werden muss, jedoch hat niemand dazu ein anderes schlüssiges Kon- zept. Zweitens. Solch ein Anschlag kann sich auch in unse- rem Land wiederholen. Es ist die Pflicht eines Abgeord- neten, den Menschen in unserem Land die größtmögliche Sicherheit zu geben. Erleichtert wird die Entscheidung dadurch, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hinter dieser militärischen Aktion steht. Drittens. Die rot-grüne Bundesregierung hat in den letzten drei Jahren erfolgreich gearbeitet. Sie hat den Aus- stieg aus der Kernenergie in die Wege gleitet, die alterna- tiven Energien stark gefördert, im Sozialbereich notwen- dige Reformen durchgeführt – Kindergeld, Wohngeld, BAföG – Arbeitnehmerrechte gestärkt, die Rente sicher gemacht, eine gerechte Steuerreform verabschiedet, im Bildungs- und Forschungsbereich Milliarden für Zu- kunftsinvestitionen freigemacht und vieles mehr. Aus die- sen Gründen spreche ich dem Bundeskanzler und der Bundesregierung das volle Vertrauen aus. Dr. Uwe Jens (SPD): Es gibt in der Politik, Probleme, die darf und kann man nicht den so genannten Experten überlassen. Dazu gehört die schwierige Sach- und Gewis- sensfrage über den Einsatz deutscher Soldaten in Afgha- nistan. Die Bombardierung mit Streubomben, die damit einhergehenden so genannten Kollateralschäden, den Ein- satz zusätzlicher deutscher Soldaten in Afghanistan, ins- besondere von 100 Spezialkräften, die auf dem Boden agieren, lehne ich nach wie vor mit Nachdruck ab. Ich habe bereits in der Entschließung vom 20. Septem- ber 2001 gegen das Versprechen einer „uneingeschränk- ten Solidarität“ gestimmt, was es unter befreundeten, de- mokratischen Ländern nicht geben kann. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland verbindet ein Bundeskanzler die Vertrauens- frage gemäß Art. 68 Grundgesetz mit dieser Sach- und Gewissensfrage. Ein ungewöhnlicher, bisher einmaliger Vorgang. Ob dies geschickt und notwendig war, werden wissenschaftliche Untersuchungen in Zukunft zeigen. Doch damit ist seit Mittwoch dieser Woche eine neue Lage entstanden: Die neueste politische Entwicklung scheint auch ohne deutsche direkte militärische Unterstützung einer mögli- chen Lösung näher zu kommen. Statt einer Eskalation geht es meines Erachtens in diesem geschundenen Land jetzt um Deeskalation des Militärischen, also mehr um po- litische, humanitäre und UNO-Unterstützung. Die anstehende außergewöhnliche Entscheidung im Bundestag über das Vertrauen zum Bundeskanzler und den ersten Militäreinsatz außerhalb des NATO-Bündnis- gebietes wird in dieser Form in absehbarer Zeit nicht wiederholt werden. Deshalb muss allen Beteiligten klar sein, dass zusätzliche Anforderungen von Soldaten über die jetzigen Kontingente hinaus von Deutschland nicht eingefordert werden können. Ich habe in meiner langen politischen Tätigkeit als Par- lamentarier viele schwere Entscheidungen treffen müs- sen. Ich habe dies immer nach sorgfältiger Prüfung, nach bestem Wissen und Gewissen getan. Sollte die Vertrau- ensfrage für Bundeskanzler Schröder scheitern, kann ich jedoch keine Verbesserung der politischen Gesamtlage er- kennen – auch nicht für meine Anliegen, die mir aufgrund meines Lebensweges, meiner Erfahrungen und Erkennt- nisse wichtig sind. Sehr wahrscheinliche Neuwahlen würden die Partei Bündnis 90/Die Grünen in schwere Existenznot bringen. Die mir wichtige nachhaltige Erneuerung unserer Volks- wirtschaft würde einen Rückschlag erleiden. Die PDS, die aus meiner Sicht wirklich nicht in der Lage ist, die zukünftigen Probleme unserer Wirtschaft und Gesellschaft zu lösen, könnte erheblichen Zulauf erhalten. Sollte es dagegen – wider Erwarten – zu einem Poli- tikwechsel mit einem Kanzler oder einer Kanzlerin der konservativen Kräfte in unserem Lande kommen, würden eher noch mehr Soldaten für die Kriegführung außerhalb des NATO-Gebietes zur Verfügung gestellt. In meiner ersten Erklärung zur Abstimmung über die „uneingeschränkte Solidarität“ hatte ich erklärt, dass man von vornherein stets auch das Ende seiner Handlungen bedenken muss. Zusätzlich besteht die Pflicht, auch alle Alternativen zu prüfen. Unter den jetzigen Gegebenheiten und unter Abwä- gung aller zurzeit überschaubaren Unwägbarkeiten halte ich den Einsatz deutscher Soldaten nach wie vor für ver- fehlt. Bundeskanzler Schröder muss ich dennoch mein Vertrauen aussprechen. Das Schwierigste in der Politik ist es zweifellos, die Glaubwürdigkeit zu bewahren. Bei diesem ständigen Rin- gen um beste Lösungen oder kleinste Übel müssen wir stets alle Fakten und neueste Entwicklungen in unsere Überlegungen einbeziehen. Man bemüht sich. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 200119910 (C) (D) (A) (B) Die Abgeordneten von CDU/CSU und FDP haben un- ter den Bedingungen der Vertrauensfrage für den jetzigen Bundeskanzler keine Bedenken, gegen den Einsatz deut- scher Soldaten in Afghanistan zu stimmen. Betrogene sind die Soldaten, die nun mit knappster Rückendeckung durch das deutsche Parlament zu Kampfeinsätzen nach Afghanistan geschickt werden. Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn ich heute dem Antrag der Bundesregie- rung zustimme, so stimme ich damit für die Option der Weiterführung der rot-grünen Regierungskoalition. Ich spreche mich aber ausdrücklich gegen eine militärische Bereitstellung deutscher Soldaten – nun zum ersten Mal außerhalb von Europa – aus, weil für mich Krieg kein geeignetes Mittel im Kampf gegen den Terrorismus ist. Ich zweifle an dem Sinn der kriegerischen Maßnahmen, auch im Bewusstsein der Folgen, die für die Beteiligten und Unbeteiligten immer eine große Katastrophe bis zum Tode bedeuten. Ich habe dem Bündnisfall nach Art. 5 des NATO-Ver- trages zugestimmt, weil die Wahl der Mittel der Beistand- schaft in der jeweiligen nationalen Verantwortung eines Landes liegt. Weder Art. 5 des NATO-Vertrages noch die Sicherheitsratsresolutionen verpflichten zur militärischen Beistandschaft. Darum hätte ich von einer rot-grünen Bundesregierung erwartet, dass die Beistandschaft hauptsächlich in humanitären Leistungen und Strafverfol- gungsmaßnahmen erbracht wird. Durch die Verknüpfung der Vertrauensfrage mit der inhaltlichen Frage ist mir ein Konflikt zwischen der Regierungsfähigkeit der rot-grü- nen Koalition und meiner entschiedenen Ablehnung des Antrages auf Einsatz bewaffneter Streitkräfte aufgezwun- gen worden. Mein jetziges Ja ändert aber nichts an mei- nem grundsätzlichen Nein gegen den Einsatz der Bundes- wehr außerhalb des NATO-Vertragsgebietes. Ich bezweifle sehr, dass es weise war, die Vertrauens- frage mit der Abstimmung über den Einsatz in Afghani- stan zu verknüpfen. Das Vorgehen des Kanzlers ist zwar rechtlich legitim, führt aber zu der absurden Situation, dass heute Abgeordnete der Opposition, die für den Bun- deswehreinsatz sind, dagegen stimmen, weil sie dem Kanzler nicht das Vertrauen aussprechen wollen. Es führt weiterhin dazu, dass Abgeordnete der rot-grünen Koali- tion für den Antrag stimmen, obwohl sie gegen eine Mi- litärbeteiligung sind. Das hätte verhindert werden können und ist ein Schaden für die parlamentarische Demokratie. Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Entscheidung zwischen Krieg und Frieden ist für mich eine Gewissens- und keine Koalitionsfrage. Ich lehne den Kabinettsbeschluss zur Bereitstellung eines deutschen Bundeswehrkontingents weiterhin strikt ab. Unter anderem, weil ich einem Konzept, das ich von der grundsätzlichen Herangehensweise für falsch halte, keinen Blankoscheck ausstellen möchte. Die Entscheidung über einen Bundeswehreinsatz kann und darf nur durch das Gewissen der einzelnen Abgeord- neten bestimmt werden. Die Koalitionsfrage – quasi das Ende des rot-grünen Projektes – ist hingegen eine politi- sche Grundsatzentscheidung, die nicht alleine durch das Abstimmungsverhalten einiger weniger Abgeordneten herbeigeführt werden darf, sondern muss mit Einver- ständnis durch das höchste Gremium der Partei, die Bun- desdelegiertenkonferenz, entschieden werden. Eine solche weit reichende Entscheidung, die das Le- ben vieler Menschen in diesem Land ändern wird, kann ausschließlich von der grünen Basis getroffen werden. Daher werde ich am Freitag bei der Vertrauensfrage, die Kanzler Schröder den Grünen unnötigerweise aufge- zwungen hat, gegen mein Gewissen und gegen meine Überzeugung mit Ja stimmen. Christa Lörcher (fraktionslos): Die Abstimmung um- fasst zwei schwerwiegende Entscheidungen, die mitei- nander verknüpft sind: die Entscheidung über die Beteili- gung bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA sowie die Entscheidung über den Antrag des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen. Bei einer getrennten Abstimmung hätte ich bei der Ver- trauensfrage mit Ja gestimmt und dem Bundeskanzler und der Bundesregierung mein Vertrauen ausgesprochen, bei der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der gemeinsamen Militäroperation jedoch mit Nein ge- stimmt. Da die Abstimmungen miteinander verbunden sind, ist eine persönliche Abwägung beider Entscheidungen nötig: aus Gewissensgründen lehne ich den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei solchen Einsätzen grundsätzlich ab; diese Entscheidung lässt mir keine andere Wahl, als insgesamt mit Nein zu stimmen. Syliva Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was ist ein aufrechter Gang? Für mich: In Gewissensfragen so zu sprechen und zu handeln, wie es meinem tatsächlichen Fühlen, Denken und meiner Verantwortung entspricht. Ich sage weiterhin in der Gewissensfrage des „Kriegs- einsatzes“ Nein zur Ermächtigung der Bundesregierung, deutsche Soldaten – egal ob freiwillig oder nicht – in Aus- landseinsätze zu schicken. Das ist durch unser Grundge- setz nicht gedeckt. Völkerrecht bricht Bundesrecht. Mei- ner – und nicht nur meiner Ansicht nach – sind die Kriegshandlungen der USA trotz der UN-Resolutionen vom 12. und vom 28. September 2001, die sich speziell auf die Terrosismusbekämpfung beziehen, nicht von Art. 51 der UN-Charta gedeckt. Insofern kann das Völ- kerrecht in diesem Fall nicht zur Legitimation herangezo- gen werden. Auch der Zweck darf bestimmte Mittel nicht heiligen. Aber auch ich freue mich an den Bildern aus Af- ghanistan, die befreite, lachende, tanzende Menschen zei- gen, Frauen ohne Burka. Der Entschließungsantrag der Koalition zur Bekämp- fung der Ursachen von Terror und Fanatismus ist ein ers- ter Schritt in eine richtige Richtung und an diesem haben die Grünen einen wesentlichen Anteil. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001 19911 (C) (D) (A) (B) Seit Mittwoch gibt es eine zweite Gewissensfrage, die, ob das Projekt Rot-Grün weitergeführt werden kann und soll – eine Frage, die in nationaler, aber auch europäischer Verantwortung zu beantworten ist. Ich bezweifle sehr, dass es weise war, die Vertrauens- frage mit der Abstimmung über den Afghanistan-Einsatz zu verknüpfen. Das Vorgehen des Kanzlers ist jedoch rechtlich legitim und ich muss mich dieser zweiten, leider untrennbar mit der ersten verknüpften Gewissensfrage in aller Verantwortung stellen. Druck ist für mich kein Grund, eine Entscheidung zu revidieren. Das tue ich auch nicht. Aber es gibt sehr gewichtige Argumente, die ernsthaft zu bedenken sind. Sie sind von vielen Menschen an mich herangetragen worden, von unseren Wählern, von Verei- nen und Verbänden, von Freunden und von Kollegen und besonders natürlich von unserer grünen Basis selbst – ich habe sie bedacht und in meine Entscheidungsfindung ein- fließen lassen. Bis zur Vertrauensfrage des Kanzlers habe ich über- wältigenden Zuspruch zu meiner Entscheidung erhalten, den „Kriegseinsatz“ abzulehnen. Nach der Vertrauens- frage änderte sich das. Sehr viele Menschen haben die Grünen als Gestaltungsfaktor und als Korrektiv gegen eine reine SPD-Politik gewählt. Sie wollten eine neue ökologische, soziale und friedenspolitische Politik. Die- sen Erwartungen haben wir mit der Politik der letzten drei Jahre versucht gerecht zu werden: mit der Ökosteuer, dem Atomausstiegsgesetz, dem Erneuerbare-Energien- Gesetz, der eingeleiteten Agrarwende, der LKW-Maut, dem Bundesnaturschutzgesetz, dem hart erkämpften Zu- wanderungs- und Asylrecht usw. Diese Erfolge währen ohne die Grünen nicht nur gefährdet, sie würden kassiert. Politik in einer Koalition ist nicht komplikationslos. Sie kann nur erfolgreich sein, wenn Kompromisse gefun- den und Konflikte gelöst werden. Manche Schritte, zum Beispiel beim Atomkonsens, waren kleiner, als wir es uns gewünscht haben – aber sie waren Schritte in die richtige Richtung. Dieser Weg – das ist meine Überzeugung – muss weiter beschritten werden. Denn alles andere als Rot-Grün bedeutet viele Schritte zurück: in alte Poli- tikmuster von Lebesraumzerstörung, Stärkung des Mi- litärs und von Überwachungsinstitutionen, rigider Politik gegenüber Flüchtlingen und Asylsuchenden, Förderung der großen Konzerne usw., es gäbe wieder mehr Reichtum für Reiche und größerer Armut der Armen. Das kann und will ich nicht verantworten. Ich weiß, egal welchen Weg wir Abgeordneten gehen, es wird ein schwerer Gang für die Grünen. Aber die Par- tei hat 1998 mit großer Mehrheit entschieden, in eine rot- grüne Regierung einzutreten. Wir entsprachen damit der Hoffnung der Wähler, dass mit Rot-Grün eine ander Poli- tik beginnt. Meine parlamentarische Arbeit, die gestern mit der Verabschiedung des neuen Budnesnaturschutzge- setzes einen großen Erfolg zu verbuchen hat, hat gezeigt, dass wir gemeinsam mit der SPD dieses Land voranbrin- gen können. Deshalb werde ich für eine Fortsetzung die- ser gemeinsamen Politik votieren. Ich bitte alle Mitglieder der Partei, insbesondere die meines Brandenburger Landesverbandes, sowie die vie- len Bürgerinnen und Bürger, die sich in den letzten Tagen mit der Bitte an mich gewandt haben, dem Kanzler das Vertrauen zu entziehen, um Verständnis und Respekt für meine Entscheidung, die ich schweren Herzens, aber nach verantwortungsbewusster Abwägung getroffen haben und die ich mit meinem Gewissen, dem ich letzlich verpflich- tet bin, vereinbaren kann. Klaus Bühler (Bruchsal) (CDU/CSU): Heute stimme ich diesem Antrag der Bundesregierung deswegen nicht zu, weil der Kanzler damit die Vertrauensfrage für seine gesamte Politik verbunden hat. Mein Abstimmungsver- halten ist also in keiner Weise gegen die Solidarität mit den USAgerichtet. Die Politik der Union, die auf einer en- gen und freundschaftlichen Partnerschaft mit den USA basiert, ist dafür hinreichender Beleg. Ich stimme dagegen, weil der Kanzler, während dessen Amtszeit die Arbeitslosigkeit ständig steigt, die Wachs- tumsraten sinken, die Steuerpolitik die Arbeitgeber und Arbeitnehmer maßlos belastet, die Situation im Gesund- heitswesen sich als geradezu chaotisch darstellt, die Zu- wanderung nach Deutschland auf Drängen des grünen Koalitionspartners unvernünftigerweise erleichtert wird, der Bundeswehr die notwendige finanzielle Basis vorent- halten wird, die Rente für die junge Generation keine ausreichende Sicherheit für das Alter mehr bietet, mein Vertrauen nicht hat. Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Entscheidung über den Einsatz deutscher Soldaten in ei- nem Krieg mit einem diffusen Gegner und einer noch nicht gänzlich zu Ende gedachten Strategie ist für mich – und ich denke: für jeden Bundestagsabgeordneten – eine schwere. Jeder, der diese Entscheidung zu treffen hat, lädt damit eine immense Verantwortung auf sich. Er kann diese verdrängen, er kann sich hinter der Entscheidung der Regierung oder seiner Fraktionsvorsitzenden ver- schanzen, aber er entgeht ihr dabei nicht. Und er muss wissen: Er entscheidet nicht für sich. Er entscheidet für sein Land. Und er steht in der Verantwortung für die Men- schen, die er vertritt und an derer statt er diese Entschei- dung treffen muß. Wenn ich nun also mit meiner Entscheidung die Ver- antwortung für einen Kriegseinsatz mit ungewissem Aus- gang, ja möglicherweise für die Gefährdung oder den Ver- lust von Menschenleben übernehme, so handele ich dabei zugleich als Vertreter des ganzen Volkes. Dies kann ich nur, wenn ich dabei meinen verfassungsmäßigen Auftrag ganz ernst nehme, bei einer derartigen Entscheidung we- der an „Aufträge“ noch an „Weisungen“ gebunden zu sein, sondern nur meinem Gewissen zu folgen. Dem Ge- wissen unterworfen zu sein heißt, dem eigenen Abstim- mungsverhalten nicht den Willen einer Regierung, einer Partei oder einer Fraktion, auch nicht den Willen einer Pressure group, eines Verbandes oder Geldgebers zu- grunde zu legen, sondern nur die eigene innere Überzeu- gung. Dieser Grundsatz ist ein Kernelement der Demo- kratie. Ihn wirklich ernst zu nehmen bedeutet zugleich den wirksamsten Schutz gegen ihre verschiedensten Ge- fährdungen – vom individuellen Bestechungs- oder Er- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 200119912 (C) (D) (A) (B) pressungsversuch bis zur totalitären Machtanmaßung hierarchisch organisierter Gruppen. Ein Bundeskanzler, der Zweifel hat, ob er noch das Ver- trauen der Mehrheit des Parlamentes genießt, hat jederzeit das Recht, die Vertrauensfrage nach Art. 68 GG zu stellen. Die Vertrauensfrage ist nach unserer Verfassung kein In- strument für den parlamentarischen Alltagseinsatz. Sie ist vielmehr für Krisensituationen vorgesehen und dient unter anderem als wohldosiertes und sinnvolles Mittel, zur Auf- lösung des Parlamentes und zu Neuwahlen zu kommen. Sie ist in der Geschichte der Bundesrepublik erst dreimal an- gewandt worden: 1972 von Willy Brandt und 1982 gleich zweimal: von Helmut Schmidt und Helmut Kohl. Die Ver- trauensfrage sollte im Parlament gestellt werden, wenn ein Kanzler über keine ausreichende Mehrheit mehr verfügt, zum Beispiel weil eine Koalition im Grunde gescheitert ist bzw. ein Koalitionspartner abspringen will. Beides ist im vorliegenden Falle nicht gegeben. Mehr noch: In beiden durch den Kanzler jetzt verknüpften Fra- gen, der Sach- wie der Vertrauensfrage, ist unstreitig eine stabile Parlamentsmehrheit des Kanzlers vorhanden. Und die rot-grüne Koalition steht nach anfänglichen Schwie- rigkeiten fester denn je. Sie hat auf vielen Gebieten eine hervorragende Politik gemacht. Gerade die Außenpolitik gehört hierzu. Wie kein anderer zuvor hat der von den Grünen gestellte deutsche Außenminister binnen kürzes- ter Zeit Gewicht und Statur gewonnen – nicht als Großmann oder anmaßender Vertreter einer wieder- erstarkten Großmacht, sondern als ehrlicher Makler und erfolgreicher Vermittler in den verschiedenen Krisen- regionen dieser Welt. Diese vor allem auf Deeskalation, Prävention und friedliche Konfliktlösung setzende Politik wird von der ganzen Koalition mitgetragen und ist immer mehr zu einem Markenzeichen der Deutschen auf dem in- ternationalen Parkett geworden. Die notwendige Abwägung bei Fragen von Krieg und Frieden: Der vorliegende Militäreinsatz aber wirft ernste Fragen auf. Zu unklar sind Dauer, Mandat, politische und militärische Ziele. Der „Kampf gegen den Terrorismus“ ist ein höchst dehnbarer Begriff. Uns, den Abgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen, ist es gelungen, auf dem Wege einer mittlerweile von der Bundesregierung be- schlossenen Protokollnotiz substanzielle Eingrenzungen des im ursprünglichen Antrag fahrlässig weit gefassten Mandates zu erreichen. Dennoch bleiben Risiken. Aus allen bisherigen Erfah- rungen mit Terrorismus habe ich lernen müssen: Das ter- roristische Kalkül will immer weit mehr als die unmittel- bare Tat erreichen. Es verfolgt sein Ziel perfiderweise oft weniger durch die unmittelbaren Folgen der Tat als durch die dergestalt provozierte Reaktion des Angegriffenen. Dieser soll durch die brutalen und unvorhersehbaren An- schläge zu Reaktionen gezwungen werden, die ihn als das zeigen, was er für die Terroristen immer schon ist: das Böse, der Satan oder – im Falle Deutschlands – das bru- tale und faschistische System, das sich nur mit einer bie- deren Maske tarnt, bevor in der Reaktion auf den Terror die wahre Fratze zum Vorschein kommt. Deshalb spra- chen die fanatisierten RAF-Terroristen mitten im Frieden ständig vom „Krieg“, den das System gegen sie führe. Das war, was sie wollten. Ich sage nicht, dass ich dieser Argu- mentation folge. Ich finde sie menschenverachtend und zynisch. Aber man muss bei seiner Reaktion auf den Ter- rorismus auch dieses Kalkül berücksichtigen – und damit auch, welche Reaktionen ein zu weit gehender Gegen- schlag bei fanatisierten Anhängern bestimmter Überzeu- gungen auslösen kann. Der Terroranschlag vom 11. September 2001 ist an menschenverachtender Grausamkeit kaum zu überbieten. Die Täter und Hintermänner dieses Anschlags zu fassen und vergleichbare Anschläge für die Zukunft zu verhin- dern ist ein hohes, auch von mir unterstütztes Ziel. Nicht aber ein Jahre dauernder „Krieg gegen den Terrorismus“, wie er uns mehrfach angekündigt wurde – ohne dass je mit ausreichender Klarheit beschrieben wurde, was das ei- gentlich heißt. Krieg ist gefährlich. Im Krieg sterben Men- schen. Und: In den heutigen Kriegen sterben in aller Regel weitaus mehr unschuldige Zivilisten als Soldaten. Dies dürfen wir nicht verdrängen. Vor allem aber gilt es, bei der notwendigen klaren Reaktion auf die entsetzlichen Terror- anschläge die eigenen Maßstäbe von Freiheit, Rechtsstaat- lichkeit und Menschenrechten nicht außer Acht zu lassen. Und es gilt, in einer an sozialen Spannungen überreichen Welt alles zu vermeiden, was vorhandene Feindbilder und den verbreiteten Hass noch stärken könnte. Der Einsatz von Gewalt zur Verhinderung von Terrorismus und zur Be- strafung terroristischer Gewalttäter ist legitim, der Einsatz von Bomben gegen Unschuldige ist es nicht. Dies gilt es bei der Abwägung über den Militäreinsatz zu beachten. Ich kann nur hoffen, dass die militärischen Handlungen der Amerikaner möglichst bald zur Realisie- rung der angegebenen Kriegsziele – Afghanistan von der Gewaltherrschaft der Taliban zu befreien und Osama Bin Laden, die Mitglieder seines Terrornetzes und die Verant- wortlichen für die Anschläge auf New York dingfest zu machen – führen und dass eine weitere Eskalationsspirale vermieden wird. Die Meldungen von der Entwicklung in Afghanistan innerhalb der letzten Tage machen mich zum Glück, das will ich nicht verhehlen, etwas weniger besorgt – wenn auch noch keineswegs ganz sorgenfrei. In einer derartig fragilen, von sozialen, politischen, kulturellen und religiösen Spannungen geprägten Welt ist ein lediglich militärisches Vorgehen in hohem Maße frag- würdig und gefährlich. Vielmehr scheint es mir notwen- dig, weit mehr als bisher diplomatisch vorzugehen und vor allem auch die Ursachen für die globalen Spannun- gen, den extremen Unterschied zwischen Arm und Reich, die Einseitigkeit und die unsozialen Aspekte des globalen Handels und die Spannungen zwischen Lebensweisen, Religionen und Kulturen anzugehen. Gerade unser Land könnte hier einen entscheidenden Beitrag leisten. Die politische Rolle Deutschlands: Von wichtigen Ver- antwortlichen – auch aus den Reihen der Bundesregie- rung – ist in den letzten Tagen wiederholt gesagt worden, Deutschland sei in der Frage dieses Militäreinsatzes über- haupt nicht frei. Formal vielleicht – politisch aber seien die Deutschen festgelegt. Deutschland könne und dürfe in der Frage dieses Militäreinsatzes gar nicht anders ent- scheiden, als in dem vorliegenden Antrag zum Ausdruck gebracht wird, wenn es die Lehren der Geschichte ernst Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001 19913 (C) (D) (A) (B) nähme. Seit Konrad Adenauer sei Deutschland Teil des Westens, dies lasse für uns keine andere Option des Han- delns mehr offen. Wenn dieses 80-Millionen-Volk, so hieß es in den letzten Tagen aus einflussreichem Mund, je wie- der frei von diesen Bindungen agieren würde, drohten weit schlimmere Folgen als die jetzigen Toten in New York und Afghanistan. Diese Auffassung scheint mir fatal. Sie postuliert eine Ausweglosigkeit, die es nicht gibt. Sie treibt die deutsche Außenpolitik in eine Engführung, die jedes eigenständig politische Denken diskreditiert oder unmöglich macht. Sie postuliert und zementiert, was sie, wenn man ihren Worten trauen könnte, eigentlich ablehnt: einen deutschen Son- derweg. Damit werden Denkverbote errichtet, wo eine faire Debatte über die besten Konzepte gefordert wäre. Auch ich möchte, dass Deutschland seine tätige Soli- darität mit den USA beweist. Aber wir können dies auch anders als durch Militäreinsätze tun. Beitragen sollten wir – aber unseren Beitrag selbst bestimmen! Dass die Beiträge der Bündnispartner höchst verschieden sein kön- nen – ja oftmals sogar sollen! – zeigt zum Beispiel auch die Tatsache, dass Großbritannien sich von Anfang an auch militärisch beteiligt, während andere Bündnispart- ner dies weder tun noch tun wollen. Mehr noch: Auch das unkritische und undifferenzierte Gerede vom Westen ist ahistorisch, falsch und politisch fatal. Sehen wir im Westen die USA und im Osten Russ- land, so liegt unser Land in der Mitte. Diese Mittler- oder Brückenfunktion ohne eigenes Großmachtstreben hat es in seinen besten Phasen auch wahrgenommen. Der tiefe Abstieg in den deutschen Nationalismus und – noch mehr – den Nationalsozialismus war es, der schließlich zu einer Teilung Deutschlands wie zur Teilung Europas geführt hat. Damit war die Mitte für einige Zeit eliminiert. Sie war mitten durchgetrennt, zerteilt, und es gab nur noch West und Ost, Kapitalismus und Sozialismus, zwei einander hochgerüstet gegenüber stehende Blöcke. In diese bipo- lare Welt musste sich auch das damalige Deutschland ein- ordnen: der westliche Teil nach Westen, der östliche nach Osten. 1989 fielen in der Folge der demokratischen Re- volution die Mauer und der Stacheldraht. Deutschland und Europa wuchsen wieder zusammen. Damit sind wir auch (geo-)politisch wieder in eine andere Rolle ge- schlüpft, die unser Außenminister ohnehin schon mehr und mehr wahrnimmt. Deutschland gehört wie kaum ein anderes Land zu den glaubwürdigen Akteuren präventi- ven Krisenmanagements, ziviler Konfliktbearbeitung und friedlicher, demokratischer Veränderungen auf dem Pla- neten. Diese Kernkompetenz im „Kampf gegen den Ter- rorismus“ anzubieten – zum Beispiel in der Form eines festen, verbindlich organisierten Dialogs zwischen Chris- tentum und Islam –, wäre ein großartiger und unver- zichtbarer Beitrag gewesen, den die Deutschen in diese „Allianz gegen den Terror“ hätten einbringen können. Auch die USA werden zunehmend darauf angewiesen sein, dass es diesen ehrlichen, allseits großes Vertrauen genießenden Makler gibt. Nicht aus dem westlichen Bündnis ausscheren sollten wir, sondern uns mehr für un- sere eigenen künftigen Aufgaben in einer längst nicht mehr bipolaren Welt interessieren und zugleich nach Osten und Süden öffnen. Die Vermischung ist darauf angelegt, eine Gewissens- entscheidung zu korrumpieren: Derartige Fragen in Ruhe und unter Durchdenken aller denkbaren Konsequenzen abzuwägen, das ist die Aufgabe, vor der wir als Bundes- tagsabgeordnete in dieser Abstimmung stehen. Durch die Verknüpfung der Gewissensentscheidung mit der Vertrauensfrage wird diese allerdings überlagert und letzt- endlich praktisch unmöglich gemacht. Denn sie verhin- dert die freie, in der Sache wohl begründete Entschei- dungsfindung der Parlamentarier. So schwächt dieses Junktim den Beschluss in der Sa- che, statt ihn zu stärken. Denn allzuviel gänzlich anders geartete Überlegungen mischen sich hinein. Schließlich geht es nun nicht mehr alleine um die Frage des Mi- litäreinsatzes, sondern zugleich und vor allem um Fortbe- stand oder Ende der rot-grünen Koalition und damit um Fortbestand oder Ende einer erfolgreichen, aber noch kei- neswegs abgeschlossenen Politik. So entstehen denn auch gänzlich absurde Konstellatio- nen. Abgeordnete stimmen reihenweise gegen ihre Über- zeugung. Treffen die gestern gemachten Ankündigungen zu, so werden zum Beispiel dieselben Volksvertreter von CDU/CSU und FDP, die noch vor vier Tagen öffentlich erklärt haben, sie würden dem Antrag der Bundesregie- rung für einen Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan rückhaltlos zustimmen, jetzt genau den gleichen Antrag mit eben solcher Entschlossenheit ablehnen. Sie tun dies nicht etwa, weil sie dagegen sind, sondern sie bleiben dafür und wünschen sich, dass der Antrag durchkommt. Trotzdem werden sie nicht für ihn stimmen. Umgekehrt gibt es in den Reihen der Koalition – und mitnichten nur in den Reihen des grünen Koalitionspartners – mehrere Abgeordnete, die deutlich erklärt haben, dass sie nicht für diesen Einsatz stimmen. Sie werden das auch in bzw. vor der Abstimmung tun, dann aber trotzdem anders ent- scheiden, als ihre Überzeugung und ihr Gewissen in die- ser Sache ihnen sagen. Die Verbindung dieser beiden völlig unterschiedlich gelagerten Abstimmungen zeugt von einem Fehlverständ- nis des Parlaments. Sie droht, die politische Kultur zu beeinträchtigen. Der offene und ehrliche Streit unter- schiedlicher Meinungen, die Akzeptanz abweichender Positionen ist eine Grundvoraussetzung jedweder Demo- kratie. Es wäre daher wichtig gewesen, gerade auch in der Frage eines Kriegseinsatzes eine offene und ehrliche De- batte und abweichende Auffassungen zuzulassen anstatt sie zu beschädigen. Dabei geschieht diese Verknüpfung ohne jede Not. Die rot-grüne Koalition ist nicht am Ende – im Gegenteil: Sie ist kraftvoller und frischer denn je. Niemand in dieser Koalition möchte das erfolgreiche Bündnis aufgeben. So gilt auch für diese Abstimmung, dass ein ehrliches, zutreffendes Ergebnis nicht zu erwarten ist. Denn, vor die Vertrauensfrage gestellt, werden 47 grüne Abgeordnete meiner Erkenntnis nach 47 mal mit Ja antworten. Dass trotzdem eine Reihe von Fraktionsmitgliedern bei der Ab- stimmung über die Vertrauensfrage mit Nein stimmen wird, liegt wiederum nicht an dieser, sondern an der völ- lig sachfremden Verknüpfung mit einem Militäreinsatz, den sie ablehnen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 200119914 (C) (D) (A) (B) Das Grundgesetz hätte es, nebenbei, zugelassen, die Vertrauensfrage getrennt von der Sachfrage zu stellen. Damit wäre nicht nur die Freiheit der Abgeordneten in beiden Fällen gewahrt geblieben: Wir hätten auch ein klares Ergebnis, wie viele Abgeordnete in der einen wie der anderen Frage nun wirklich dafür bzw. dagegen sind. Mit dem jetzt gewählten Verfahren werden wir das nie herausfinden. Was sich allerdings mit Gewissheit sagen lässt, ist: Wären die Sach- und die Vertrauens- frage getrennt gestellt worden, hätte es zu beidem eine deutliche Mehrheit gegeben. So aber hat man sich ohne Not in eine Zitterpartie begeben, die über die Freiheit des Mandates und die Sachlichkeit der Abstimmung hi- naus auch diese von den Bürgern gewollte Koalition massiv gefährdet. Das Ergebnis meiner Abwägung: Ich möchte das rot- grüne Projekt nicht beenden. Ich will es fortführen! Der Ausstieg aus der Atomenergie und der Einstieg in alter- native Energieformen, die Agrarwende, eine ökologi- sche und soziale Steuerreform, die Konsolidierung des Bundeshaushaltes, eine moderne und generationenge- rechtere Reform des Rentensystems, die Stärkung der Demokratie und die Einführung unmittelbarer Bürger- beteiligung, eine weitsichtige und vermittelnde Außen-, Friedens- und Menschenrechtspolitik, dies alles ist mir zu wichtig, als dass ich es so fahrlässig, wie es mit die- ser Abstimmung geschähe, gefährden wollte. Die von der Bundesregierung auf Druck insbesondere einer Reihe grüner Abgeordneter ergänzend zum heute zu fas- senden Beschluss abgegebene Protokollerklärung und die Entwicklung in Afghanistan lassen mich hoffen, dass die dennoch bestehenden Risiken dieses – bis auf den möglichen Einsatz der 100 Sonderkräfte – deutlich de- fensiven und nicht kampforientierten Einsatzes be- herrschbar und damit hinnehmbar bleiben. Ich werde deshalb in der nachfolgenden Abstimmung, die mich zwingt, zwei Fragen miteinander zu vermischen, die nichts miteinander zu tun haben, mit „ja“ stimmen. Ich tue das auch deshalb, weil ich mich nicht berechtigt fühle, ein politisches Projekt zu beenden, das von den Wählern eindeutig und für die Dauer dieser Legislatur- periode gewollt ist. Ich hoffe, dass künftige Abstimmungen dieses Parla- mentes in der Freiheit und Sachbezogenheit stattfinden können, die einer Abstimmung von vergleichbarer in- haltlicher Bedeutung würdig sind. Das Parlament ist nicht ein bloßes Notariat der Regierung, sondern die freie Vertretung sämtlicher Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, die ein Anrecht darauf haben, dass ihre Ängste, Anliegen, Fragen und Gesichtspunkte in den Abstim- mungen mit dem größtmöglichen Ernst aufgenommen und gewürdigt werden. Die Vermischung zweier völlig unterschiedlicher Fragen in einer einzigen Abstimmung, der damit ausgeübte Druck, ja die Aufforderung an ein- zelne Abgeordnete, wenn sie mit ihrem Gewissen in Schwierigkeiten kämen, könnten sie doch ihr Mandat zurückgeben, hat mit den berechtigten Erwartungen der Bürger an ihr Parlament und mit dem Parlaments- und Abgeordnetenverständnis des Grundgesetzes nicht mehr viel zu tun. Anlage 7 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 769. Sitzung am 9. No- vember 2001 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen, bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Ab- satz 2 Grundgesetz nicht zu stellen: – Gesetz zum Vertrag von Nizza vom 26. Februar 2001 – Gesetz zur Anpassung bilanzrechtlicher Bestimmun- gen an die Einführung des Euro, zur Erleichterung der Publizität für Zweigniederlassungen ausländischer Un- ternehmen sowie zur Einführung einer Qualitätskon- trolle für genossenschaftliche Prüfungsverbände (Euro-Bilanzgesetz – EuroBilG) – Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts – Gesetz zur Bereinigung von Kostenregelungen auf dem Gebiet des geistigen Eigentums – Gesetz zur Ablösung des Arznei- und Heilmittelbud- gets (Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz – ABAG) – Gesetz über den Beruf der Podologin und des Po- dologen und zur Änderung anderer Gesetze – Gesetz zur Änderung des Bewertungsgesetzes – Gesetz zur Neuordnung der Statistik im Handel und Gastgewerbe – Gesetz zur Durchsetzung der Gleichstellung von Frauen und Männern (Gleichstellungdurchsetzungs- gesetz – DGleiG) – Gesetz zur Einführung des Wohnortprinzips bei Honorarvereinbarungen für Ärzte und Zahnärzte Der Vorsitzende des folgenden Ausschusses hat mitge- teilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Ge- schäftsordnung von einer Berichterstattung zu der nach- stehenden Vorlage absieht: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Interpar- lamentarischen Gruppe der Bundesrepublik Deutschland über die 105. Interparlamentarische Konferenz vom 1. April bis 7. April 2001 in Havanna/Kuba – Drucksachen 14/6847, 14/7119 – Die Fraktion der FDP hat mit Schreiben vom 12. No- vember 2001 mitgeteilt, dass sie den Antrag Forschungs- freiheit sichern – keine politische Steuerung der Helm- holtz-Zentren auf Drucksache 14/5249 zurückgezogen hat: Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla- ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Sportausschuss Drucksache 14/7000 Nr. 1.22 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001 19915 (C) (D) (A) (B) Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 14/6508 Nr. 2.28 Drucksache 14/6508 Nr. 2.22 Drucksache 14/6508 Nr. 2.31 Drucksache 14/6508 Nr. 2.32 Drucksache 14/6508 Nr. 2.39 Drucksache 14/6615 Nr. 1.7 Drucksache 14/6615 Nr. 2.12 Drucksache 14/7000 Nr. 1.30 Drucksache 14/7000 Nr. 2.27 Drucksache 14/7000 Nr. 2.31 Drucksache 14/7000 Nr. 2.32 Drucksache 14/7000 Nr. 2.26 Drucksache 14/7197 Nr. 2.10 Drucksache 14/7197 Nr. 2.28 Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Drucksache 14/5610 Nr. 2.23 Drucksache 14/5610 Nr. 2.37 Drucksache 14/5610 Nr. 2.52 Drucksache 14/7000 Nr. 2.29 Drucksache 14/7000 Nr. 2.28 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 14/6615 Nr. 2.2 Drucksache 14/6615 Nr. 2.3 Drucksache 14/6615 Nr. 2.6 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 14/7129 Nr. 2.64 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 200119916 (C)(A) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420200000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Vor Eintritt in die Tagesordnung teile ich Ihnen mit,
dass die Kollegin Christa Lörcher am 15. November aus
der SPD-Fraktion ausgetreten ist und dem Deutschen
Bundestag künftig als fraktionslose Abgeordnete ange-
hören wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Ältestenrat hat in seiner gestrigen Sitzung verein-
bart, dass in der Haushaltswoche keine Befragung der
Bundesregierung, keine Fragestunde und keine Aktuellen
Stunden stattfinden, da Themen von aktuellem Interesse
in den Haushaltsberatungen angesprochen werden kön-
nen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 sowie Zusatz-
punkte 4 bis 7 auf:

3. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei
der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion
auf terroristische Angriffe gegen die USA auf
Grundlage des Art. 51 der Satzung der Ver-
einten Nationen und des Art. 5 des Nord-
atlantikvertrages sowie der Resolutionen 1368

(2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrates

der Vereinten Nationen
– Drucksachen 14/7296, 14/7447 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen (Wiesloch)

Karl Lamers
Rita Grießhaber
Ulrich Irmer
Wolfgang Gehrcke

ZP 4 Beratung des Antrags des Bundeskanzlers gemäß
Art. 68 des Grundgesetzes
– Drucksache 14/7440 –

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Helmut
Haussmann, Dr. Guido Westerwelle, Ulrich Irmer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Präventive außenpolitische Konzepte gegen
den Terrorismus
– Drucksache 14/7445 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 6 Beratung des Antrags der Fraktion der PDS
Den internationalen Terrorismus wirksam be-
kämpfen – den Krieg in Afghanistan beenden
– Drucksache 14/7500 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung

ZP 7 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

tion der PDS zu der Regierungserklärung des
Bundeskanzlers zu der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der Bekämpfung des
internationalen Terrorismus
– Drucksachen 14/7333, 14/7493 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen (Wiesloch)

Karl Lamers
Dr. Helmut Lippelt
Ulrich Irmer
Wolfgang Gehrcke

Zu dem Antrag der Bundesregierung zum Streitkräfte-
einsatz liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
FDP vor. Ein gemeinsamer Entschließungsantrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/
CSU sind angekündigt.

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(B)


202. Sitzung

Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Beginn: 9.00 Uhr

Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich schon jetzt
um Ihre Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Ab-
stimmungsverfahren: Über den Antrag der Bundes-
regierung zum Streitkräfteeinsatz und den Antrag des
Bundeskanzlers gemäß Art. 68 Abs. 1 des Grundgesetzes
werden wir – voraussichtlich gegen 12 Uhr – in einer ge-
meinsamen Abstimmung namentlich abstimmen. Im
Ältestenrat ist vereinbart worden, dass die Abstimmung
mit Stimmkarte und Stimmausweis erfolgen soll. Den gel-
ben Stimmausweis und einen Satz Stimmkarten – ich be-
tone: nur einen Satz Stimmkarten – finden Sie in Ihrem
Stimmkartenfach in der Lobby.

Ich bitte Sie, nur Stimmkarten zu verwenden, die Sie
heute Morgen Ihren Stimmkartenfächern entnehmen. Es ist
überprüft worden, dass dort die richtigen Karten einsortiert
sind. Bitte verwenden Sie also keine Stimmkarten, die Sie
aus Ihrem Büro oder sonst woher mitgebracht haben.


(Heiterkeit)


Ich bitte Sie außerdem, sich vor der Abstimmung
nochmals davon zu überzeugen, dass die Stimmkarte, die
Sie verwenden wollen, und der Stimmausweis Ihren Na-
men tragen. – So weit die notwendigen Erläuterungen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache zweieinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundes-
kanzler Gerhard Schröder das Wort.


(von der SPD sowie von Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN mit Beifall begrüßt)

verehrten Damen und Herren! Die jüngsten Entwick-
lungen in Afghanistan sind ermutigende Erfolge im
Kampf gegen den internationalen Terrorismus.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In weiten Teilen des Landes sind die Menschen aus dem
Würgegriff des menschenverachtenden Talibanregimes be-
freit worden. Die Terroristen des Netzwerkes von Osama
Bin Laden sind nun auch in Afghanistan weitgehend isoliert
und in ihrer Bewegungsfreiheit erheblich eingeschränkt.

Durch die militärischen Maßnahmen ist der Weg frei
geworden für die humanitäre Versorgung der Not leiden-
den afghanischen Bevölkerung. Gleichzeitig kann und
muss jetzt der Prozess einer dauerhaften Stabilisierung
des Landes beginnen. Die Lage erlaubt und erfordert es,
nun rasch mit Gesprächen zu beginnen, die eine Regie-
rungsbildung unter Einschluss aller afghanischen Bevöl-
kerungsgruppen ermöglichen sollen. Ich begrüße es daher
nachdrücklich, dass der Generalsekretär der Vereinten
Nationen, Kofi Annan, die Vertreter der verschiedenen
Fraktionen und ethnischen Gruppen an einen Tisch gebe-
ten hat. Die innere Einigung der Afghanen wird Vo-
raussetzung für eine wirksame Hilfe beim Wiederaufbau
und bei der Stabilisierung des Landes sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Deutschland wird sich an dieser Hilfe substanziell be-
teiligen; denn wir sind als Teil der Antiterrorkoalition
diese Hilfe nicht nur dem afghanischen Volk, nein wir
sind sie unserer eigenen Glaubwürdigkeit im Kampf ge-
gen den Terror schuldig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Uns sollte gleichwohl bewusst sein, dass die Erfolge,
die wir erzielt haben, nur ein Etappenziel sind. Die Be-
friedung Afghanistans, der Beginn eines Stabilisierungs-
prozesses, an dessen Ende die Rückkehr Afghanistans in
die Völkergemeinschaft stehen muss, das wären Ergeb-
nisse, auf die wir im Kampf gegen den internationalen
Terror wirksam aufbauen können. Das Ende dieses
Kampfes wären sie allerdings nicht.

Der bisherige Verlauf dieser Auseinandersetzung zeigt
uns auch, dass es richtig und wichtig war, auf eine um-
fassende Strategie zur Bekämpfung des Terrorismus zu
setzen. Dabei war es, wie ich meine, richtig, den militä-
rischen Aspekt dieser Auseinandersetzung nicht auszu-
blenden. Wir haben stets betont, dass wir nicht allein und
schon gar nicht ausschließlich auf militärische Maßnah-
men setzen. Aber es gibt Situationen, in denen eine von al-
len gewollte politische Lösung militärisch vorbereitet, er-
zwungen und schließlich auch durchgesetzt werden muss.
Wer die Fernsehbilder von den feiernden Menschen in
Kabul nach dem Abzug der Taliban gesehen hat – ich
denke hier vor allen Dingen an die Bilder der Frauen, die
sich endlich wieder frei auf den Straßen begegnen dürfen –,


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


dem sollte es nicht schwer fallen, das Ergebnis der
Militärschläge im Sinne der Menschen dort zu bewerten.

Ich denke, ich spreche im Namen des ganzen Hauses,
wenn ich zum Ausdruck bringe, wie erleichtert wir alle
darüber sind, dass sich die Mitarbeiter von Shelter Now
wieder in Freiheit befinden.


(Beifall im ganzen Haus)

Aber machen wir uns keine Illusionen: Der Kampf gegen

den Terror wird noch lange dauern und wird uns einen lan-
gen Atem abverlangen. Schnelle Erfolge sind keineswegs
garantiert. Doch ist der Kampf zu gewinnen und wir werden
ihn gewinnen, wenn wir alle Mittel, die notwendig sind, auf-
einander abgestimmt, aber eben auch konsequent einsetzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das betrifft zunächst die politisch-diplomatischen Mit-
tel. Hier ist mit der Bildung einer internationalen Anti-
terrorkoalition eine gute Grundlage gelegt worden. Ich
selbst habe in den vergangenen Wochen viele Gespräche
mit zahlreichen Staats- und Regierungschefs geführt. Auch
erwähne ich hier ausdrücklich die intensiven Bemühungen
des Bundesaußenministers, gemeinsam mit unseren euro-
päischen und amerikanischen Partnern den Friedenspro-
zess im Nahen Osten wieder in Gang zu bringen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Präsident Wolfgang Thierse

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Die Außenpolitik dieser Regierungskoalition ist seit
unserem Amtsantritt darauf gerichtet, durch Herstellung
ökonomischer, sozialer und materieller Sicherheit, durch
Förderung der Rechtsstaatlichkeit und regionaler Sta-
bilitätsbündnisse, durch Krisenprävention und Friedens-
sicherung zur Stabilität in der Welt beizutragen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wo es nötig und für uns objektiv möglich und vertret-
bar war, haben wir uns auch mit militärischen Mitteln an
Einsätzen der Staatengemeinschaft beteiligt, wie wir das
zum Beispiel auf dem Balkan tun. Wir werden dies auch
in Zukunft fortsetzen. Niemals haben wir dabei den Ein-
satz der Bundeswehr ohne begleitendes, nachhaltiges En-
gagement auf politischem, ökonomischem und huma-
nitärem Gebiet beschlossen.

Nach diesem Selbstverständnis handeln wir auch heute
im Kampf gegen den Terrorismus. Auch in der Auseinan-
dersetzung um Afghanistan hat unsere Hilfe für die Men-
schen in der Krisenregion hohe Priorität.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


100 Millionen DM haben wir bereits für die humanitäre
Hilfe bereitgestellt, um die Bevölkerung vor dem drohen-
den Wintereinbruch wirksam zu unterstützen. Weitere
160 Millionen DM haben wir für den Wiederaufbau zur
Verfügung gestellt. Dank der militärischen Erfolge gegen
die Taliban kann diese Hilfe jetzt dort, wo sie sehr dringend
gebraucht wird, so wirksam ankommen, wie es nötig ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben außerdem sehr zielstrebig sowohl die finan-
ziellen wie auch die polizeilichen Maßnahmen gegen den
Terrorismus verstärkt. Es hat erste Fahndungserfolge
und Festnahmen von Verdächtigen aus dem Umfeld des
Terrornetzes von Bin Laden gegeben. Bis heute sind fast
200 Konten gesperrt worden, bei denen der Verdacht be-
steht, dass sie zu Transaktionen für den Terrorismus be-
nutzt wurden. Die Zusammenarbeit der in- und auslän-
dischen Nachrichtendienste ist schon innerhalb kürzester
Zeit verbessert worden. Auch das sind wichtige Fort-
schritte. Aber ich betone es noch einmal: Der Kampf ge-
gen den Terror und die terroristischen Netzwerke steht
erst am Anfang.

Der Deutsche Bundestag hat heute Vormittag über den
Antrag der Bundesregierung zur Bereitstellung von Bun-
deswehreinheiten im Kampf gegen den internationalen
Terrorismus zu beschließen. In Verbindung damit habe
ich eine Abstimmung gemäß Art. 68 des Grundgesetzes
beantragt. Ich möchte Ihnen erläutern, was mich bewogen
hat, diese Vertrauensfrage zu stellen.


(Lachen bei der CDU/CSU)


Es geht, kurz gesagt, um die Verlässlichkeit unserer
Politik,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU)


um Verlässlichkeit gegenüber den Bürgern, gegenüber
unseren Freunden in Europa und gegenüber unseren in-
ternationalen Partnern.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Und dafür muss man die Vertrauensfrage stellen?)


Die heutige Entscheidung über die Bereitstellung von
Bundeswehreinheiten im Kampf gegen den Terrorismus
stellt sicher eine Zäsur dar. Erstmals zwingt uns die inter-
nationale Situation, zwingt uns die Kriegserklärung durch
den Terrorismus dazu, Bundeswehreinheiten für einen
Kampfeinsatz außerhalb des NATO-Vertragsgebietes be-
reitzustellen. Für eine Entscheidung von solcher Trag-
weite, auch für daraus vielleicht noch folgende Beschluss-
fassungen des Deutschen Bundestages ist es nach meiner
festen Überzeugung unabdingbar, dass sich der Bundes-
kanzler und die Bundesregierung auf eine Mehrheit in der
sie tragenden Koalition stützen können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir Deutschen können der Auseinandersetzung mit
dem Terrorismus nicht ausweichen und wir wollen das
auch nicht. Der Deutsche Bundestag hat das nicht zuletzt
dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er für die Solida-
rität mit den Vereinigten Staaten ausdrücklich auch „die
Bereitstellung geeigneter militärischer Fähigkeiten“ be-
schlossen hat.

Die Bundesregierung hat nun in der vergangenen Wo-
che nach einer entsprechenden Anforderung der Vereinig-
ten Staaten den deutschen Solidarbeitrag und die Bereit-
stellung deutscher Streitkräfte konkretisiert. Über
diesen Antrag ist heute Vormittag abzustimmen. Die Ent-
scheidungen, die für die Bereitstellung deutscher Streit-
kräfte zu treffen sind, nimmt niemand auf die leichte
Schulter – auch ich nicht. Aber sie sind notwendig und
deshalb müssen sie getroffen werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir erfüllen damit die an uns gerichteten Erwartungen
unserer Partner und wir leisten das, was uns objektiv mög-
lich ist und was politisch verantwortet werden kann. Aber
mehr noch: Durch diesen Beitrag kommt das vereinte und
souveräne Deutschland seiner gewachsenen Verantwor-
tung in der Welt nach. Wir müssen erkennen: Nach den
epochalen Veränderungen seit dem Herbst 1989 hat
Deutschland seine volle Souveränität zurückgewonnen.
Es hat damit aber auch neue Pflichten übernommen, an
die uns die Verbündeten erinnern. Wir haben kein Recht,
darüber Klage zu führen. Wir sollten vielmehr damit
zufrieden sein, dass wir seit den epochalen Veränderun-
gen 1989 gleichberechtigte Partner in der Staatengemein-
schaft sind.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Ich habe bewusst die Vertrauensfrage nach Art. 68 des
Grundgesetzes und den Antrag über die Bereitstellung
deutscher Streitkräfte für den Kampf gegen den Terroris-
mus miteinander verknüpft. Denn der Bundeskanzler

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Bundeskanzler Gerhard Schröder

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kann seinem Amt und seiner Verantwortung für das Ge-
meinwohl nur dann entsprechen, wenn seine Person und
sein Programm das Vertrauen und die Zustimmung der
ihn tragenden Mehrheit des Hohen Hauses finden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sosehr ich die Bereitschaft der Oppositionsfraktionen
begrüße, den Bereitstellungsbeschluss als solchen mitzu-
tragen, so deutlich wird doch am absehbaren Nein der Op-
position zur Abstimmung in der Vertrauensfrage, dass
eine solche Parlamentsmehrheit eben nicht in dem not-
wendigen Umfang belastbar ist


(Lachen und Widerspruch bei der CDU/CSU)


– meine Damen und Herren, Sie sollten zuhören – und
– das füge ich hinzu – auch nicht sein kann. Dies ist doch
völlig klar.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Sie von der CDU/CSU in der Lage wären, zumin-
dest so lange zuzuhören, bis ich meinen Satz beendet
habe, dann würden Sie verstehen, was ich meine.


(Lachen bei der CDU/CSU)


Intellektuell sollten Sie dazu in der Lage sein.

Ich erkenne ausdrücklich an – dies finde ich nicht zu-
letzt aus außenpolitischen und internationalen Gründen
richtig –, dass das Nein der Oppositionsfraktionen in der
Vertrauensfrage kein Nein zum Beschluss über die
Bereitstellung deutscher Streitkräfte ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Es ist wichtig, dass dies zum Ausdruck gebracht wird.
Denn damit ist klar, dass auch die wichtigen Oppositions-
fraktionen in diesem Hause die Entscheidung als solche
mittragen, wenn sie auch daran gehindert sind – das ist ein
ganz normaler parlamentarischer Vorgang –, in der Ver-
trauensfrage mit Ja zu stimmen. Sind Sie jetzt zufrieden,
oder nicht?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, der Antrag nach Art. 68
des Grundgesetzes – es ist mir wichtig, das zu betonen –
ist in unserer Demokratie ein verfassungsrechtlich und
übrigens auch verfahrenstechnisch eindeutig geregelter
Vorgang im Verhältnis zwischen Bundeskanzler und Par-
lament. Das gilt ausdrücklich auch für die Verbindung der
Vertrauensfrage mit der Abstimmung über eine Sachfrage.

So meint der ehemalige Verfassungsrichter Hans Hugo
Klein, bei dem ich übrigens in Göttingen Staatsrecht,
nicht aber Politik gelernt habe


(Heiterkeit im ganzen Hause)


und der Politik auch leider auch nicht von mir gelernt
hat, wie Sie wohl alle wissen: Die Vertrauensfrage – ich
zitiere –

erlaubt es dem Bundeskanzler, die Belastbarkeit der
ihn tragenden parlamentarischen Mehrheit gerade
auch im Zusammenhang mit einer konkreten Sach-
entscheidung zu testen.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Erste Woche, erstes Semester!)


– Soweit Hans Hugo Klein, der Mitglied Ihrer Fraktion,
Verfassungsrichter


(Michael Glos [CDU/CSU]: Guter Mann!)


und – wie gesagt – ein bedeutender Staatsrechtslehrer war,
was man an seinen Schülern sehen kann.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)


Insofern, meine Damen und Herren, habe ich kein Ver-
ständnis dafür, dass der eine oder andere im Vorfeld von
einer Einschränkung der Gewissensfreiheit durch eben-
dieses Verfahren gesprochen hat.


(Dirk Niebel [FDP]: Das war Ströbele!)


Unser Grundgesetz ist eine vorbildliche demokrati-
sche Verfassung. Wenn diese Verfassung das heute ge-
wählte Verfahren ausdrücklich vorsieht, dann doch wohl
deshalb, weil eben kein Widerspruch zwischen einer
Abstimmung nach Art. 68 des Grundgesetzes und der
ebenso verbürgten und ebenso wichtigen Gewissensfrei-
heit besteht.

Meine Damen und Herren, genau in diesem Sinne bitte
ich um das Vertrauen des Deutschen Bundestages, um
Vertrauen in Vernunft und Verlässlichkeit meiner Politik
und um Vertrauen in die weitere Arbeit dieser Bundes-
regierung.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420200100
Ich erteile dem Kolle-
gen Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Friedrich Merz (CDU/CSU) (von der CDU/CSU mit
Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da-
men und Herren! Zum vierten Mal in der Geschichte der
Bundesrepublik Deutschland stellt heute ein Bundeskanz-
ler die Vertrauensfrage nach Art. 68 unseres Grundgeset-
zes. Zweimal wurden mit der Vertrauensfrage vorgezo-
gene Neuwahlen gezielt herbeigeführt. Nur einmal,
nämlich im Februar 1982, wollte der damalige Bundes-
kanzler Helmut Schmidt


(Klaus Lennartz [SPD]: Sehr guter Mann!)


das Vertrauen in seine Regierung wirklich bestätigt wis-
sen. Helmut Schmidt hat die Abstimmung damals gewon-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Bundeskanzler Gerhard Schröder

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nen. Trotzdem war seine Regierung wenige Monate spä-
ter am Ende.

Ganz gleich, wie die heutige Abstimmung ausgeht: Der
heutige Tag ist der Anfang vom Ende der Regierung
Gerhard Schröder.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Gernot Erler [SPD]: Langes Ende!)


Herr Bundeskanzler, seit dem 11. September dieses
Jahres haben wir in diesem Haus – bis auf die Fraktion der
PDS – in großer Gemeinsamkeit immer wieder festge-
stellt, dass es angesichts der Bedrohung durch den
internationalen Terrorismus auch für unser Land darum
geht, dieser Bedrohung unserer Freiheit entschieden ent-
gegenzutreten.

Sie waren es, der seit seiner Regierungserklärung be-
reits am Tag nach den Terrorakten in Amerika immer
und immer wieder die Notwendigkeit der uneinge-
schränkten Solidarität mit unseren amerikanischen Freun-
den betont und auch wirksame Maßnahmen für die Si-
cherheit des eigenen Landes gefordert hat.

Wir haben Sie dabei, Herr Bundeskanzler, von Anfang
an unterstützt. Sie konnten sich in dieser Ihrer Politik von
Anfang an auf uns, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion,
verlassen. Seit unserer Begegnung im Bundeskanzleramt
am Tag der Anschläge selbst wussten Sie, dass die Union
jeden innenpolitischen Streit zurückzustellen bereit ist,
um Ihre Regierung zu stützen und vor allem, um breite
parlamentarische Mehrheiten für die von Ihnen völlig zu
Recht eingeforderte Solidarität mit Amerika zu ermög-
lichen.

Spätestens seit Mitte Oktober war klar, dass sich diese
Solidarität nicht in Worten und Beileidsbekundungen er-
schöpfen würde. Eigentlich war von Anfang an klar, dass
es gegen die, die für die Terrorakte verantwortlich sind,
und die, die Terroristen schützen, ihnen Unterschlupf ge-
währen sowie Geld und Infrastruktur zur Verfügung stel-
len, harte Konsequenzen zu ziehen gilt. Jetzt ist es so weit,
zu seinen Worten zu stehen. Aber jetzt steht diese Regie-
rung am Abgrund; jetzt, da Sie handeln müssen, stürzt
Ihre Regierung in eine tiefe Krise.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Warten Sie doch mal ab!)


Herr Bundeskanzler, Sie stürzen in diese Krise, weil
Sie den Mund zu voll genommen haben, weil Sie die Lage
in Ihrer eigenen Fraktion und Ihrer eigenen Partei falsch
eingeschätzt haben, weil jetzt sämtliche antiamerikani-
schen Reflexe in Ihrer Partei und bei den Grünen wieder
hochkommen


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: So ist es!)


und weil Sie in Ihrer Partei die Grundfragen zur Wehr-
haftigkeit der Demokratie in unserem Land nie richtig
geklärt haben. Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Sie reden heute über Bündnisfähigkeit, internationale
Politikfähigkeit und die Notwendigkeit der Verlässlich-
keit Ihrer Regierung auch und gerade im Bündnis der

NATO und mit den Amerikanern. Dies steht nicht im
Zweifel, weil Sie hier im Haus nicht die notwendige par-
lamentarische Basis finden, sondern weil Sie in Ihren ei-
genen Reihen diese Zweifel nicht ausräumen konnten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich will Ihnen, damit die Ausgangslage klar ist, zu Be-
ginn der Aussprache über Ihren Antrag noch einmal ohne
Wenn und Aber unsere Position verdeutlichen: Wir stehen
zu der Notwendigkeit, die in dem Beschluss des Bun-
deskabinetts vom 7. November genannten Teile der Bun-
deswehr im Kampf gegen den Terrorismus einzusetzen.
Wir haben uns diese Entscheidung, wie alle anderen vo-
rangegangenen Entscheidungen über Auslandseinsätze
der Bundeswehr auch, wahrlich nicht leicht gemacht.
Auch in meiner Fraktion wurde abgewogen. Niemand von
uns tut sich leicht, Soldaten in einen solchen Einsatz zu
schicken. Wir wissen, dass sich die Soldaten, aber auch
und besonders ihre Familien, Ehepartner, Freunde, Eltern
und viele Großeltern, die ganz andere Erinnerungen haben
als meine Generation, große Sorgen machen. Wir nehmen
diese außerordentlich ernst. Auch wir wägen dies ab.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Nach sorgfältigster Abwägung kommen wir zu dem
Ergebnis, dass die Solidarität mit Amerika nicht vom si-
cheren Erfolg abhängig gemacht werden darf. Es gibt be-
gründete Aussicht auf Erfolg. Die Solidarität mit Amerika
und das eigene, nationale Interesse unseres Landes gebie-
ten auch zu unserer eigenen Sicherheit den Einsatz der
Streitkräfte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Herr Bundeskanzler, die Entwicklung der letzten Tage
– Sie haben darauf hingewiesen – bestätigt uns in dieser
Einschätzung.

Zur Wahrheit gehört auch, dass die deutschen Mitar-
beiter von Shelter Now gestern nicht freigelassen worden
wären, wenn die Amerikaner nicht bereit gewesen wären,
etwas zu tun, wozu sich diese Bundesregierung offenkun-
dig außerstande sieht. Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Schäbig! – Weitere Zurufe von der SPD)


Wir hätten Ihrem Antrag zugestimmt. In der Sache sind
wir uns immer noch einig. Wir sind uns sogar einig, ob-
wohl die Zustimmung des Bundestages der Bundesregie-
rung einen ungewöhnlich großen Handlungsspielraum
eröffnen würde.

Ich will in diesem Zusammenhang auf einen Sachver-
halt aufmerksam machen, der bisher in der Debatte viel-
leicht zu wenig Beachtung gefunden hat: Der Beschluss,
den wir heute treffen – den Sie treffen wollen und mit der
Vertrauensfrage verbunden haben –, wird eine Laufzeit
von 12 Monaten haben. Es wird für den Bundestag keine
Möglichkeit geben, den Beschluss zu ändern oder rück-
gängig zu machen.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Keine Ahnung! – Ilse Janz [SPD]: Der Bundestag kann das zu jeder Zeit! – Weitere anhaltende Zurufe von der SPD)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Friedrich Merz

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(C)



(D)



(A)



(B)


– Entschuldigung, aber das ist die Verfassungslage. Genau
über diesen Sachverhalt haben wir ausdrücklich mit Ihnen
diskutiert.

Sie können die Entscheidung des Bundesverfassungs-
gerichts, die die Ausgangssituation für das, was wir heute
tun müssen, beschreibt, kritisch hinterfragen. Aber heute
ist nicht der Tag, das zu tun. Ich will Sie auf folgenden
Sachverhalt aufmerksam machen: Wenn der Bundestag
heute vor die Notwendigkeit gestellt wäre, den Verteidi-
gungsfall festzustellen – ich sage ausdrücklich: wir sind es
nicht –, dann hätte der Bundestag nach dem Grundgesetz
jederzeit die Möglichkeit, einen solchen Beschluss auch
wieder rückgängig zu machen. Mit dem, was Sie heute be-
schließen, geht das aufgrund einer Verfassungslage, die
man durchaus kritisch hinterfragen kann, nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Peter Struck [SPD]: Völlig falsch! – Weiterer Zuruf von der SPD: Wer hat Ihnen das denn aufgeschrieben?)


Deshalb, Herr Bundeskanzler, haben wir Sie gefragt,
ob Sie bereit wären, dem Parlament, nach dem Vorbild des
Kosovo-Mandats, etwa nach einem halben Jahr eine er-
neute konstitutive Befassung zu ermöglichen. Das Parla-
ment hätte dann auf die Entscheidung Einfluss gehabt und
wir hätten das Mandat nach einer relativ kurzen Zeit über-
prüfen und fortsetzen können. Dies haben Sie abgelehnt.

Sie hätten uns damit die Entscheidung nicht leichter
gemacht. Trotzdem haben die Kolleginnen und Kollegen
meiner Fraktion in den beratenden Ausschüssen des Deut-
schen Bundestages dem Antrag, der bei der Beratung im
Ausschuss noch nicht mit der Vertrauensfrage verbunden
war, zugestimmt. Trotz alledem: Wir hätten heute auch
hier Ja gesagt. Sie hätten dann den Einsatz der Bundes-
wehr erneut auf ein breites parlamentarisches Fundament
stellen können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Unsere Soldaten hätten die Gewissheit haben können, er-
neut von einem großen Konsens im Deutschen Bundestag
getragen zu werden. Das hätten nicht zuletzt die Soldaten
und die Bundeswehr insgesamt, die von Ihnen in den letz-
ten drei Jahren schäbig behandelt worden ist, wahrlich
verdient.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Stattdessen haben Sie am vergangenen Montag abrupt
den Kurs geändert. Sie haben offensichtlich aus der Frak-
tion der SPD, deren Parteivorsitzender Sie sind, eine noch
größere Zahl von Neinstimmen fürchten müssen als bei
der Entscheidung über den Einsatz in Mazedonien. Sie
haben offensichtlich festgestellt, dass Ihre Regierung in
große Schwierigkeiten gerät, wenn Ihnen zum zweiten
Mal in kurzer Zeit in einer wichtigen Frage die Mehrheit
im Parlament nur durch die Opposition gesichert ist. Bis
Sonntag war das alles kein Problem. Am Montag haben
Sie dann Ihre Meinung geändert und schließlich am
Dienstag zum letzten Disziplinierungsmittel gegriffen,
das einem Bundeskanzler zur Verfügung steht, nämlich
der Vertrauensfrage.

Damit wird die Sachfrage, in der wir uns einig waren,
mit einer rein parteipolitischen Frage verbunden, nämlich
der, ob Ihnen und Ihrer Politik nach drei Jahren im Amt
die Abgeordneten Ihrer eigenen Fraktion noch folgen. Ein
Bundeskanzler, der so handelt, ja, der so handeln muss,
führt keine kraftvolle Regierung mehr an.


(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der FDP)


„Wie einst Helmut Schmidt“, so schrieb die „FAZ“ ges-
tern, „ist Schröder jetzt ein Kanzler ohne Unterleib“.


(Lachen bei der SPD)


Herr Bundeskanzler, nicht wir sind es, die die Gemein-
samkeit in der Sache aufkündigen. Sie haben mit dieser
Vorgehensweise klargestellt, dass Sie unsere Zustimmung
nicht mehr wollen. Sie haben damit die eigentlich notwen-
dige, gemeinsame Entscheidung für den Bundeswehr-
einsatz leichtfertig aufs Spiel gesetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wenn Sie den notwendigen Einsatz der Bundeswehr
mit der Vertrauensfrage für Ihre Politik insgesamt verbin-
den – genau dies ist die Verbindung, die Sie herstellen –,
dann wissen Sie, dass Sie unsere Zustimmung dafür nicht
bekommen. Sie vereiteln mit diesem Vorgehen einen
möglichen und in der Sache notwendigen Konsens in die-
sem Haus, da es in Ihrer Hand liegt, eine getrennte Ab-
stimmung über beide Fragen vorzunehmen.

Herr Bundeskanzler, als gelehriger Schüler von Hans
Hugo Klein,


(Dr. Peter Struck [SPD]: Von dem hätten Sie etwas lernen können!)


als der Sie sich gerade zu erkennen gegeben haben, wis-
sen Sie, dass Sie auch jetzt noch diese beiden Fragen von-
einander trennen und das eine und das andere voneinan-
der getrennt zur Abstimmung stellen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wenn Sie also wirklich ein Interesse daran haben, dass es
eine breite parlamentarische Mehrheit für diesen Einsatz
gibt, den wir – das sage ich noch einmal – für notwendig
halten, dann trennen Sie diese beiden Fragen. Dann wird
sich herausstellen, wie belastbar Ihre Koalition in dieser
Sachfrage wirklich ist, ohne dass sie zusammengezwun-
gen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich sage Ihnen voraus: Das, was Sie, Herr Struck und
Herr Müntefering heute zusammenzwingen wollen,


(Dr. Peter Struck [SPD]: Oh, Donnerwetter!)


wird keinen Bestand haben, weil es in der Sache nicht ehr-
lich ist, weil die Mehrheit, wenn sie denn zustande
kommt, nur aus Gründen des reinen Machterhalts zusam-
menkommt, nicht weil Ihnen Ihre Koalition in der Sache
wirklich folgt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wie unaufrichtig in diesen Tagen argumentiert wird,
haben einige Grüne in diesen Tagen besonders deutlich

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gemacht. Jetzt könne man zustimmen – so heißt es –, da
nach dem Fall von Kabul ein Einsatz der Bundeswehr
wahrscheinlich gar nicht mehr notwendig sein wird. –
Herr Bundeskanzler, diese Einlassungen hätten Sie nicht
unwidersprochen stehen lassen dürfen; denn Sie wissen,
dass das nicht stimmt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Entweder der Einsatz wird wirklich nicht mehr notwendig
– dann brauchen wir heute darüber nicht abzustimmen –
oder er wird notwendig; dann sagen Sie, welche Konse-
quenzen er hat.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)


Sagen Sie das vor allen Dingen Ihrem grünen Koalitions-
partner, Herr Bundeskanzler!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS)


Auf einer solchen Grundlage hier eine Abstimmung her-
beizuführen wird Ihnen das notwendige Vertrauen und
den Konsens in der Bevölkerung der Bundesrepublik
Deutschland, der notwendig ist, nicht geben.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist Quatsch!)


Herr Bundeskanzler, ich will auch etwas zu den Me-
thoden sagen, wie seit Dienstag dieser Woche versucht
wird, Ihre Mehrheit zu sichern. Gestern ist ein Mitglied
aus Ihrer Fraktion ausgetreten, eine Kollegin, die nicht zu-
stimmen wollte. Sie ist vorher – offenbar vergeblich –
vom Präsidium der SPD Baden-Württemberg aufgefor-
dert worden, ihr Bundestagsmandat niederzulegen,


(Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!)


damit ein anderer Abgeordneter, der leichter auf Linie zu
bringen ist, in der Zwischenzeit nachrücken kann.


(Lachen und Zurufe bei der SPD)


Die von Ihnen, Herr Bundeskanzler, besonders geför-
derte Landesvorsitzende der SPD Baden-Württemberg,
Frau Vogt, hat sich zu der Begründung verstiegen, diese
Kollegin habe ihr Mandat über die Liste errungen und
nicht ein Wahlkreismandat. Deshalb müsse sie dem fol-
gen, was in der Partei beschlossen worden sei.


(Zurufe von der CDU/CSU: Pfui! – Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Unglaublich!)


Herr Bundeskanzler, wer so mit von den Bürgern – nicht von
der SPD – frei gewählten Abgeordneten umgeht, wer so
umspringt mit Abgeordneten, die nur ihrem Gewissen ver-
antwortlich sind, der hat Vertrauen wahrlich nicht verdient.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wer nun nach den Motiven sucht, warum Sie gerade in
diesen Tagen den Einsatz der Bundeswehr im Kabinett be-
schließen und heute die Vertrauensfrage damit verbinden,
der wird vermutlich an Frau Vollmer von den Grünen
nicht vorbeikommen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja!)


Sie hat in der Fraktionssitzung der Grünen-Bundestags-
fraktion offenbar die Vermutung geäußert, Sie machten
das jetzt alles nur, um abzulenken von den großen
Schwierigkeiten in der Wirtschaft und auf dem Arbeits-
markt. Diese Vermutung, meine Damen und Herren,
halte ich nun allerdings für etwas weniger abwegig als
andere Vermutungen, die aus derselben Fraktion kom-
men.


(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)


Es ist in der Tat richtig, dass die Lage in der Wirt-
schaft nach drei Jahren Ihrer Regierung, Herr Bundes-
kanzler, geradezu deprimierend ist: Deutschland ist
Schlusslicht in Europa. Diese Tatsache hat mit der Welt-
wirtschaft und dem 11. September nichts zu tun. Diese Er-
eignisse haben alle gleichermaßen getroffen. Sie haben
das Land mit Ihrer Unstetigkeit und Ihren halbherzigen
Schritten, Sie haben gerade den Mittelstand mit der stän-
dig weiteren Regulierung und Bürokratisierung aller Le-
bensbereiche in den Abschwung getrieben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD – Ilse Janz [SPD]: Wieder diese Leier! – Kerstin Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie noch die Ökosteuer nennen?)


Bis auf ein einziges Jahr steigen die Steuern, die Sozial-
versicherungsbeiträge steigen, die Arbeitslosigkeit steigt
bald wieder über 4 Millionen. Das sind Ihre Arbeitslosen,
Herr Bundeskanzler!


(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP – Klaus Lennartz [SPD]: Machen Sie nicht den Pausenclown! Oder wie haben wir das zu verstehen?)


Im laufenden Jahr 2001 werden wir vermutlich eine
Steigerung der Zahl der Unternehmenskonkurse in
Deutschland erleben, wie wir sie seit der Ölpreiskrise
1973 innerhalb eines Jahres nicht mehr erlebt haben. Die
Arbeitsmarktpolitik dieser Bundesregierung erschöpft
sich in immer teurer werdender Bewirtschaftung der Ar-
beitslosigkeit. Ihnen, Herr Bundeskanzler, fehlt der Mut
zu wirklichen Veränderungen und Reformen, weil Sie
dafür eben auch in Ihrer eigenen Fraktion die uneinge-
schränkte Unterstützung nicht finden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Fahren Sie lieber Mofa!)


Wenn Sie jetzt vielleicht sogar darauf spekulieren, dass
Sie die Mehrheit nicht bekommen, um bei vorgezogenen
Neuwahlen sozusagen auf dem Höhepunkt des von Ihnen
erreichbaren Ansehens mit einem Auslandseinsatz der
Bundeswehr eine Wahl zu gewinnen, weil dies besser ist
als die Bilanz Ihrer Arbeitsmarktpolitik und Ihrer Wirt-
schaftspolitik, dann sagen wir Ihnen, Herr Bundeskanz-
ler: Der Vorrat dieser Regierung reicht für zehn Monate
nicht mehr, auch wenn Sie heute noch einmal über die
Runden kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


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Wir sind jedenfalls bereit, Herr Bundeskanzler, die Aus-
einandersetzung mit Ihnen jetzt und zu jedem Zeitpunkt
aufzunehmen.


(Lachen bei der SPD – Klaus Lennartz [SPD]: Wer, wo, wie, was, wann? – Weitere anhaltende Zurufe von der SPD – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Landesparteitag Baden-Württemberg!)


Die Fragen, meine Damen und Herren von den Sozial-
demokraten, die wir noch zu beantworten haben, sind
schneller beantwortet, als jedes der Probleme gelöst ist,
die Sie verursacht haben – jedes!


(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)


Vor allem in der Arbeitsmarktpolitik, Herr Bundes-
kanzler, werden wir Sie jetzt und zu jedem Zeitpunkt he-
rausfordern:


(Dr. Peter Struck [SPD]: Wer denn? – Ilse Janz [SPD]: Wer will das denn bei Ihnen machen?)


den Kanzler, der 1998 alles versprochen und bis heute
nichts gehalten hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir, Herr Bundeskanzler, trauen uns jedenfalls zu, für die-
ses Land und seine Menschen Verantwortung zu überneh-
men,


(Dr. Peter Struck [SPD]: Wer denn? – Ilse Janz [SPD]: Wer soll das denn machen?)


weil wir im Gegensatz zu Ihnen Prinzipien und
Grundsätze haben,


(Ilse Janz [SPD]: Ach du liebes bisschen! Schwarzgeld!)


an die wir uns auch dann halten, wenn es einmal schwie-
rig wird.


(Beifall bei der CDU/CSU – Anhaltende Zurufe von der SPD)


Sie, Herr Schröder, spielen jetzt sogar leichtfertig mit
der Außenpolitik, weil Sie in der Innenpolitik nicht mehr
zurechtkommen


(Gernot Erler [SPD]: Mäßige dich mal ein bisschen!)


und weil Sie zum letzten Mittel greifen müssen, um Ihre
Regierung noch zu retten. Eine solche Regierung, ein sol-
cher Bundeskanzler haben Vertrauen nicht verdient.


(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der FDP – Abgeordnete der CDU/CSU erheben sich)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420200200
Ich erteile dem Kolle-
gen Peter Struck, SPD-Fraktion, das Wort.

Dr. Peter Struck (SPD) (von der SPD mit Beifall be-
grüßt): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Zunächst einige kurze Anmerkungen zu meinem
Vorredner: Es wäre wahrscheinlich besser gewesen, Herr
Kollege Merz, wenn Sie im juristischen Studium etwas
mehr aufgepasst hätten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ihre rechtliche Interpretation des Beschlusses des Deut-
schen Bundestages, die besagt, man könne diesen nie wie-
der zurückholen, ist falsch.


(Beifall bei der SPD)


Ich sage Ihnen ganz deutlich: Der Bundestag kann jeder-
zeit eine anders lautende Entscheidung treffen, entspre-
chende Mehrheitsverhältnisse vorausgesetzt. Das hätten
Sie aber wirklich lernen müssen, Herr Kollege Merz. Ich
weiß nicht, wer Ihnen das aufgeschrieben hat.

Zweite Bemerkung: Für meine Fraktion erkläre ich,
dass wir uns sehr darüber freuen, dass die acht Shelter-
Now-Mitarbeiter, darunter die vier deutschen, gesund an
Leib und Leben in ihre Länder zurückkehren können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das dann allerdings innenpolitisch so zu kommentieren,
wie Sie, Herr Kollege Merz, es getan haben, geht eindeutig
über die normale politische Auseinandersetzung hinaus.


(Gernot Erler [SPD]: Schäbig!)


Dritte Bemerkung: Natürlich bedaure ich, dass eine
Kollegin meiner Fraktion mir gestern erklärt hat, dass sie
meiner Fraktion nicht mehr angehören wolle.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Das hat Sie überrascht?)


Natürlich haben wir Gespräche mit ihr geführt, um sie von
einem solchen Schritt abzuhalten. Aber ich respektiere
diese Entscheidung der Kollegin Christa Lörcher und
wehre mich gegen die Interpretation, die Sie hier gegeben
haben. Sie, der Sie einen Mann in Ihren Reihen haben, der
sich nach wie vor weigert, Kenntnisse von Schwarzgeld
zu offenbaren, haben es gerade nötig!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nun aber zu den Ereignissen in Afghanistan: 23 Jahre
Krieg könnten bald ein Ende haben. Der Sicherheitsrat hat
bereits für die Zeit danach Vorsorge für den Aufbau einer
zivilen Gesellschaft getroffen. Jetzt geht es darum, meine
Damen und Herren, international die Ordnung in dem ge-
plagten Land zu sichern. Nach dem Bangen gibt es erste
positive Zeichen.

Nicht mehr die Bombardierung der Talibanstellungen
steht im Vordergrund, sondern die Befreiung der Städte
von dem Schreckensregime. Die Kreise um Bin Laden
werden enger. Die Festnahme dieses die Welt in Atem hal-
tenden Fundamentalisten haben wir gewollt, als wir am
19. September hier die Unterstützung im Kampf gegen
den internationalen Terrorismus zugesagt haben. Alle
müssen gestehen, dass wir diesem Ziel näher gekommen
sind, auch durch Mittel, die viele nicht gutgeheißen ha-
ben, auch durch Mittel, die von den Demonstranten vor

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diesem Haus, denen ich das Recht zu demonstrieren über-
haupt nicht abstreiten will, infrage gestellt worden sind.
Die amerikanischen Bombardierungen haben viele Men-
schen in unserem Land erschrocken abgelehnt. Viele von
uns haben ebenfalls ihre Bedenken zum Ausdruck ge-
bracht. In meiner Fraktion ist Stunde um Stunde debattiert
worden, ohne dass eine Alternative zu dem Vorgehen der
Amerikaner sichtbar geworden wäre.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir alle sind erleichtert, wenn sich die jetzige Phase
– das ist offensichtlich der Fall – ihrem Ende zuneigt.
Aber eines ist völlig klar: Der Kampf gegen den Terror ist
damit nicht beendet. Noch ist Bin Laden frei und sein
Schreckensnetz weit verzweigt. Seine Drohung, weitere
Terrorakte zu verüben, bleibt bestehen. Wir haben den
Atem angehalten, als am vergangenen Montag erneut ein
Flugzeug in New York abstürzte, weil wir die Befürch-
tung hatten, der Absturz könne mit einem Terroranschlag
in Verbindung gebracht werden.

Am 11. September und danach haben wir gesagt: Es
geht bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus
nicht nur um die Solidarität mit den USA. Vielmehr sei es
originäres Eigeninteresse, den Terrorismus in einer inter-
nationalen Koalition zu bekämpfen. Das, was vor zwei
Monaten richtig war, ist heute nicht falsch. Es bleibt bei
dieser Entscheidung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben am 19. September hier in großer Über-
einstimmung unsere Unterstützung auf politischer und
humanitärer Ebene, aber auch im militärischen Bereich
zugesagt. Die politischen Bemühungen der Bundesregie-
rung sind für niemanden zu übersehen. Die Anstrengun-
gen von Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenmi-
nister Joschka Fischer werden im Lande, aber auch bei
unseren Partnern und in den Vereinten Nationen gelobt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bei den humanitären Hilfen für Afghanistan und Pakis-
tan sind die deutschen Leistungen vorbildlich. Mit rund
150 Millionen DM helfen wir den Menschen in beiden
Ländern, vor allem den Flüchtlingen. Die Bundesregie-
rung hat bereits angekündigt, für den Wiederaufbau
Afghanistans weitere Mittel zur Verfügung zu stellen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben niemals, an keiner Stelle, einen Zweifel daran
gelassen, dass die politische Vorbereitung des Post-Tali-
ban-Prozesses und die humanitäre Hilfe für die Flücht-
linge wenigstens gleichrangig neben der militärischen
Bekämpfung des Talibanregimes stehen muss und auch in
Zukunft stehen wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben aber am 19. September neben den politi-
schen Maßnahmen auch beschlossen, dass militärische
Fähigkeiten eingesetzt werden können. Über diese Maß-

nahmen, so lautet unser Beschluss, ist nach Kenntnis der
amerikanischen Unterstützungswünsche in eigener Ver-
antwortung und gemäß der verfassungsrechtlichen Vorga-
ben zu entscheiden. Genau darum geht es heute. Es geht
darum, dass der Bundestag der Bundesregierung erneut
die Unterstützung gibt, die er längst zugesagt hat. Wer am
19. September zugestimmt hat, aber heute ausschert, der
hat ein Glaubwürdigkeitsproblem.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


Denn Art und Umfang des jetzt zugesagten militärischen
Beistandes sind bei allen generellen Bedenken gegen mi-
litärische Einsätze verantwortbar und leistbar.

Ich möchte auf die einzelnen militärischen Maßnah-
men eingehen, auch im Hinblick auf die Aufforderung,
wir sollten nicht in den Krieg ziehen, die von sicherlich
ernst zu nehmenden Intellektuellen in großen Illustrierten
erhoben worden ist.

Erstens. Wer will denn ernsthaft widersprechen, wenn
Deutschland Sanitätskräfte vor allem zur Evakuierung
und Rettung von verwundeten Zivilisten oder Soldaten
bereitstellt?


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Zweitens. Wer kann Bedenken haben, wenn Deutsch-
land Lufttransportmittel für Personen und militärisches
Gerät, aber auch für zivile Hilfsgüter bereitstellt?

Drittens. Wer kann etwas dagegen haben, dass
Deutschland sein anerkanntes Know-how zur Aufspürung
von ABC-Gefahren anbietet? Die Milzbrandattentate in
den USA, von wem auch immer sie verübt wurden, zei-
gen doch, dass der Gebrauch von biologischen und che-
mischen Waffen eine reale Gefahr ist. Für den Fall einer
solchen Verseuchung werden Spürpanzer und ABC-
Schutzkräfte bereitgestellt – in der Hoffnung, dass sie
niemals zum Einsatz kommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Viertens. Was soll daran kriegerisch sein, dass Marine-
kräfte helfen, die zivile Seefahrt an der arabischen Halb-
insel zu sichern, um Öl- und Gastanker vor terroristischen
Attentaten zu sichern? Dass es nach entsprechenden Dro-
hungen Anlass zur Vorsorge gibt, hat der Angriff auf ein
Schiff in der Region in den letzten Wochen bewiesen.

Bleibt als letzte und fünfte Maßnahme die Bereitstel-
lung von 100 Spezialkräften, die mit polizeiähnlichen Zu-
griffsmöglichkeiten besonders geeignet sind, identifi-
zierte Terroristen oder Talibanverbrecher in Afghanistan
dingfest zu machen.

Über jeden einzelnen Einsatz entscheidet die Bundesre-
gierung selbst. Das Kommando liegt bei der Bundeswehr,
sodass auf jeden Fall gesichert ist, dass diese Kräfte bei ei-
nem Einsatz nicht von außen in Abenteuer getrieben werden
können. Die polizeiliche Arbeit dieser Kräfte hat sich im
Übrigen, wie wir alle wissen, bei der Ergreifung und Fest-
nahme von Kriegsverbrechern in Bosnien sehr bewährt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


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Mancher Kriegsverbrecher stünde nicht in Den Haag vor
Gericht, wenn es solche Kräfte, auch deutsche, nicht ge-
geben hätte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der PDS: Augenwischerei!)


Deshalb kann ich nach reiflichem Abwägen nicht er-
kennen, dass die Bereitstellung dieser militärischen
Fähigkeiten ungebührlich, unmoralisch oder gar kriegs-
treibend wäre.

Wie mir geht es den allermeisten Mitgliedern meiner
Fraktion. Niemand, der zustimmt, hat sich die Entschei-
dung leicht gemacht. Ich wehre mich ganz entschieden
gegen die Sichtweise, dass nur diejenigen, die den Be-
schluss nicht mittragen wollen, ihr Gewissen befragt ha-
ben, dass Zustimmung eine leichte Übung, Ablehnung
aber eine große Gewissensanstrengung ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Angebot der Bundesregierung zur Unterstützung
der amerikanischen Partner ist maßvoll, besonnen und ver-
antwortbar. Wer dieses Angebot ablehnt, muss sich fragen
lassen, ob er verantwortungsvoll handelt. Das Paradoxe an
der Entscheidungssituation ist: Was die Entwicklung in
Afghanistan angeht, so kann das militärische Hilfsangebot
eher nachrangig sein. Ich bin fast sicher, dass die Bundes-
wehr dort nur noch gebraucht wird, um mitzuhelfen, die
humanitäre Versorgung zu organisieren. Wenn das von uns
erbeten wird, ist sie in einem guten Einsatz.

Aber es geht bei dieser Frage um weit mehr als um die
Bereitstellung von Soldaten. Es geht für Deutschland da-
rum, dass seine Verlässlichkeit als Bündnispartner auf
dem Spiel steht. Es geht darum, dass Deutschland bei ei-
nem Nein dieses Hauses aus der internationalen Anti-
terrorkoalition ausscheren müsste, dass Deutschland als
NATO-Partner unglaubwürdig wäre und sich selbst iso-
lieren würde. Niemand, weder die USA noch Großbritan-
nien noch Frankreich oder andere EU-Partner, schon gar
nicht ein Land wie Tschechien, das auch bereit ist, mi-
litärische Fähigkeiten bereitzustellen, würde Verständnis
für eine Haltung unsererseits haben, die signalisiert:
Macht ihr mal den Dreck mit der militärischen Bekämp-
fung von Taliban und Terror allein; wir stehen später mit
Carepaketen da. Das kann nicht deutsche Politik sein,
meine Damen und Herren!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es geht nicht nur um die Solidarität mit der NATO und
mit der Europäischen Union, es geht auch um die Unter-
stützung von Positionen der Vereinten Nationen. Immer
wieder haben die Vereinten Nationen darauf hingewiesen,
dass es eine zivile Gesellschaft in Afghanistan erst geben
kann, wenn das Talibanregime beseitigt ist. Vergeblich
fordern die Vereinten Nationen seit Jahren von Afgha-
nistan, das Gastrecht für Bin Laden aufzuheben. Aus-
drücklich hat der Weltsicherheitsrat in der Resolution
1368 militärischen Operationen zur Zerstörung des Ter-

rornetzwerks zugestimmt. Das ist genau die Grundlage,
die wir für militärische Einsätze immer gewollt haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich wäre es noch besser, wenn den Vereinten Na-
tionen für solche Fälle eigene Truppen zur Verfügung
ständen und wenn nationale Einsatzkräfte nicht mehr
nötig wären. Aber wer daran arbeiten will, der darf sich
nicht zurückziehen, sondern muss sich an den von den
Vereinten Nationen skizzierten Aufgaben aktiv beteiligen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich an dieser Stelle einfügen, dass sich
gerade jetzt bei der Bekämpfung des internationalen Ter-
rorismus zeigt, wie wichtig das Interesse der Welt-
gemeinschaft an der Errichtung eines internationalen
Strafgerichtshofs ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Gemeinsam mit den europäischen Partnern und vielen an-
deren UN-Staaten hat sich die Bundesregierung mit
großem Nachdruck für die Errichtung dieses internatio-
nalen Gerichtshofs eingesetzt. Wir unterstützen das und
hoffen, dass die USA– auch angesichts der Anschläge von
New York und Washington – ihre Bedenken überwinden
werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mit der Ablehnung einer vielleicht gar nicht mehr in
Anspruch genommenen Bitte würden wir einen hohen
Preis zahlen und dem Land auf unabsehbare Zeit Schaden
zufügen. Dies darf kein Bundeskanzler zulassen. Er
ist gewählt, um Schaden abzuwenden. Ein isoliertes
Deutschland wäre ein schwerer Schaden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sagen Sie doch einmal etwas zur Vertrauensfrage!)


Deswegen brauchen der Bundeskanzler, der Außenminis-
ter und die Bundesregierung insgesamt in dieser Frage
Klarheit. Deshalb ist es angemessen, dass Gerhard
Schröder diese Frage mit der Frage nach dem Vertrauen
zu ihm verbindet. Wer da von „Erpressung“ redet,


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)


der hat nicht verstanden, was außenpolitische Handlungs-
fähigkeit für unser Land bedeutet.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Jeder Kanzler hat sich in solch grundsätzlichen Fragen
der Außenpolitik um eine möglichst breite Unterstützung
des Hauses bemüht.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Der Humorist aus Uelzen!)


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Ich erinnere an das zähe Ringen Adenauers um die West-
bindung, an Willy Brandts Kämpfe um die Ostpolitik und an
Helmut Schmidts Einsatz für den NATO-Doppelbeschluss.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

Eine breite Mehrheit ist in solch grundsätzlichen Fragen
wünschenswert; aber die eigene Mehrheit ist unerlässlich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Ausgerechnet Sie haben letzte Woche das Gegenteil gesagt, Sie und Herr Scharping!)


Es geht darum, dies festzustellen.
Es ist nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht des

Kanzlers, sich dieser eigenen Mehrheit zu vergewissern.
Keine Frage – ich will das gar nicht bestreiten –: Die Ko-
alition ist in einer schwierigen Situation –


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Krise!)

dies deshalb, weil die einen mit ihrem Nein ihre Ableh-
nung der zu Ende gehenden Bombardierungen und die an-
deren mit ihrem Ja vor allem die Zustimmung zur Bünd-
nissolidarität Deutschlands zum Ausdruck bringen
wollen. Diese Solidarität ist zu wichtig, als dass es dem
Kanzler oder seiner Fraktion gleich sein könnte, dass sie
von einigen nicht so ganz wichtig genommen wird.

Die Bundesrepublik hat in mehr als 50 Jahren mit ver-
schiedenen Regierungen und unterschiedlichen Koaliti-
onskonstellationen gelebt. Aber sie hat nur leben und sich
in Freiheit entfalten können, weil sie sich der Bündnisso-
lidarität ihrer NATO-Partner als Konstante sicher sein
durfte. Diese Konstante darf man nicht aufgeben, wenn
erstmals von uns Solidarität eingefordert wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Erreichung dieses Ziels dient die Vertrauensfrage.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)


Jeder muss sich bei seiner Entscheidung dessen bewusst
sein. Natürlich muss er sich bewusst sein, dass er, wenn er
mit Nein stimmt, nicht nur die Bündnissolidarität aufgibt,
sondern das Regierungsbündnis gefährdet. Deshalb er-
kläre ich hier, dass alle Mitglieder der SPD-Fraktion heute
mit Ja stimmen und dem Bundeskanzler das Vertrauen
aussprechen werden.


(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, Erhard Eppler, nicht in

Verdacht, ein Hurrapatriot zu sein,

(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Machen Sie den nicht schlechter, als er ist!)

hat meiner Fraktion und der des Bündnisses 90/Die Grü-
nen einen eindringlichen Brief geschrieben und bei aller
Skepsis über das amerikanische Vorgehen in Afghanistan
zur Zustimmung aufgefordert. Ich bitte alle, bei ihrer Ent-
scheidung den letzten Satz des Briefes, ein Zitat Dietrich
Bonhoeffers, zu berücksichtigen.


(Zuruf von der CDU/CSU: An uns hat er nicht geschrieben!)


Erhard Eppler hat es uns allen als Richtschnur für unsere
Entscheidung am heutigen Tag ans Herz gelegt:

Die letzte verantwortliche Frage ist nicht, wie ich
mich heroisch aus der Affäre ziehe, sondern wie eine
künftige Generation weiterleben soll.


(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420200300
Das Wort zu einer
Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Rupert Scholz,
CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Rupert Scholz (CDU):
Rede ID: ID1420200400
Vielen Dank, Herr
Präsident. – Herr Struck, Sie haben sich auf juristisches
Glatteis begeben und sind wie üblich ausgerutscht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zu der Frage des so genannten Rückholrechts muss
etwas gesagt werden. Die Entscheidung über den Einsatz
der Bundeswehr ist, wie auch das Bundesverfassungs-
gericht klargestellt hat, eine grundsätzliche exekutivische
Angelegenheit, und das ist auch richtig so. Das bedeutet,
dass die Zustimmung des Parlaments keine Initiativent-
scheidung ist, sondern nichts anderes als eine Ent-
scheidung, das exekutivische Verhalten, die exekutivische
Entscheidung zu legitimieren. Daraus ergibt sich, dass
hier kein Rückholrecht besteht – vermutlich haben Sie Ih-
rer Fraktion dabei etwas Unrichtiges gesagt –


(Michael Glos [CDU/CSU]: Mit der Wahrheit hat er es nicht!)


im Sinne eines initiativen Tätigwerdens des Parlaments.
Das ist der Grund, meine Damen und Herren, weshalb wir
und der Vorsitzende unserer Fraktion sehr deutlich gemacht
haben, dass die Bundesregierung selbst initiativ werden
muss, dass es auch aus Respekt vor dem Parlament angera-
ten ist, diese Frage nach circa sechs Monaten auf Initiative
der Regierung diesem Hohen Haus wieder vorzulegen.

Der Bundestag hat nur eine einzige Möglichkeit, selbst
initiativ zu werden; das ist – wenn Sie den juristischen Be-
griff verstehen, Herr Struck – die clausula rebus sic stan-
tibus, wenn also die Grundlage der Zustimmung des Bun-
destages in evidenter Form verlassen worden ist. Das
bedeutet wiederum, dass das Parlament dann natürlich
seine eigene Zustimmung zurückziehen, verändern oder
einschränken kann. Wenn Sie aber unter dem Stichwort
der clausula rebus sic stantibus


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der SPD: Herr Professor!)


exekutivisches Verhalten hier kontrollieren wollen, dann
gehen Sie einen gefährlichen Weg Ihrer eigenen Regie-
rung gegenüber, einer Regierung, die das Vertrauen dieses
Hauses in dieser Frage mit großer Mehrheit hätte bekom-
men können. Aber das haben Sie bekanntlich aus partei-
taktischen, parteipolitischen Gründen verspielt.

Ich weise Sie noch einmal deutlich darauf hin: Sie ha-
ben hier versucht, die juristische Behauptung aufzustellen,

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Dr. Peter Struck

19865


(C)



(D)



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(B)


dass es ein allgemeines Rückholrecht für dieses Haus gibt.
Diese Aussage ist falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420200500
Kollege Struck, Sie
haben Gelegenheit zur Antwort.


Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID1420200600
Herr Kollege Scholz, ich
schätze Sie sehr, aber ich finde, es war ein bisschen unan-
gemessen, meine juristischen Qualitäten zu bewerten.
Das gehört nicht in diese Debatte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Sonst kann ich ja sagen: Sie sind Professor, ich bin pro-
moviert, Herr Merz ist nicht promoviert. Wer hat denn
dann wohl am meisten Recht?


(Beifall bei der SPD)


Herr Kollege Scholz, um es kurz zu beantworten: Der
ehemalige Verfassungsrichter Hans Hugo Klein, der heute
mehrfach zitiert worden ist, hat genau zu diesem Thema
Folgendes gesagt – jetzt zitiere ich wörtlich –:

Der Bundestag könnte jederzeit bestimmen, dass die
Aktion einem Ende zuzuführen ist, etwa wenn die
Opfer zu groß würden oder die Abgeordneten
mehrheitlich zu der Überzeugung gelangten, dass das
ganze Unternehmen keinen Sinn mehr macht.

Ich stelle hier fest, Herr Kollege Scholz, dass Ihre
Rechtsauffassung nicht von dem ehemaligen Verfas-
sungsrichter Hans Hugo Klein geteilt wird, der Mitglied
Ihrer Fraktion war, und dass der Bundestag, wenn er denn
will, natürlich jederzeit eine Entscheidung über die Rück-
holung von Soldaten treffen kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Dieses ist ja nicht das eigentliche Hauptproblem, das
wir hier diskutieren. Es sollte aber festgehalten werden,
dass selbstverständlich eine Bundesregierung, die von der
Mehrheit des Parlaments gebeten wird, die Soldaten
zurückzuholen, sie zurückholen würde. Der theoretische
Popanz, den Sie hier aufbauen, ist doch absurd.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420200700
Ich erteile dem Kolle-
gen Wolfgang Gerhardt, FDP-Fraktion, das Wort.


Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Rede ID: ID1420200800
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Es ist wie immer: Ich habe
zwei Juristen gehört, ratlos bleibe ich weiterhin.

Es gibt in diesem Hause, verehrte Kolleginnen und
Kollegen, eine deutliche Mehrheit, die genau weiß, was in
dieser Situation zu tun ist. Es gibt eine breite Mehrheit, die
weiß, dass viele Spuren nach den brutalen Anschlägen am
11. September nach Afghanistan weisen. Es gibt eine

breite Mehrheit, die ein klares Bild von dem bisher dort
im Amt befindlichen menschenverachtenden System hat,
das Opposition und Frauen unterdrückt hat, eine desolate
wirtschaftliche Lage, wenn man davon überhaupt reden
kann, zu verantworten hat, in dessen Land eine niedri-
ge Lebenserwartung und hohe Säuglingssterblichkeit
herrschten und das im Übrigen auch für 90 Prozent der
Opiate, die auf die westeuropäischen Märkte kommen,
verantwortlich ist. Dieses Regime bringt das Land um
seine Zukunft.

Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland
ist aber in Kenntnis dieser Lage gezwungen, trotz der
Bündnisverpflichtungen Deutschlands, trotz einer Man-
datierung durch die Vereinten Nationen und trotz der
selbst im privaten Leben logischerweise empfundenen
Beistandsverpflichtung die Vertrauensfrage zu stellen,
um die Unterstützung seiner eigenen Koalition für eine
Veränderung dieser Situation zu bekommen. Das ist ein
Armutszeugnis für die Bundesrepublik Deutschland.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, eine Entscheidung die-
ses Hauses zu dem haben wollen, was Sie unseren Bünd-
nispartnern zugesagt haben, dann schließe ich mich der
Aufforderung des Kollegen Merz an – Herr Bundeskanz-
ler. Sie haben es in der Hand –: Trennen Sie die Abstim-
mungen! Das wäre parlamentarisch das beste Verfahren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Es entspräche der Ausübung des freien Mandats. Ich bin
überzeugt, Sie hätten eine übergroße Mehrheit, die unse-
ren Verbündeten mehr über den Willen der Deutschen aus-
sagen würde als Ihre zusammengezimmerte Mehrheit, die
Sie nachher durch die Vertrauensfrage erreichen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Selbst wenn Sie nachher eine Mehrheit erhalten, sind Sie
politisch am Ende. Sie selbst haben es nicht so deutlich
ausgedrückt, aber Sie haben uns wissen lassen, warum Sie
die Vertrauensfrage stellen: wegen der Notwendigkeit,
feststellen zu müssen, ob Sie das Vertrauen Ihrer eigenen
Koalition haben. Damit dient die Vertrauensfrage zumin-
dest mit Blick auf die Grünen nur als Zaumzeug, nicht
mehr und nicht weniger.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Grünen werden nach Anwendung dieses „pädago-
gischen Rohrstocks“ auch folgsam sein. Zum wiederhol-
ten Male breiten sie öffentlich all ihre Seelenqualen aus,
sprechen in hohen Tönen vom hohen moralischen Wert
des freien Mandats, an allererster Stelle die verehrte Frau
Bundestagsvizepräsidentin. Heute Morgen erklärt ein
Grüner, dass man sich entschieden habe und von den bis-
herigen acht Neinsagern vier zustimmen würden, um
deutlich zu machen, sie seien gegen den Militäreinsatz,
aber für den Bundeskanzler. Das deutsche Volk sollte sich
von dieser Partei nicht so hinters Licht führen lassen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Die NATO ist ein Bündnis von Staaten, die sich zur
Verteidigung von Werten entschlossen haben und die wie

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Dr. Rupert Scholz

19866


(C)



(D)



(A)



(B)


wir ihre politischen Ziele an verfassungsgebundenem
Handeln ausrichten.

Diese Staaten sind zu Recht eine Beistandsverpflich-
tung eingegangen. Im privaten Leben würden das die Grü-
nen als Zivilcourage bezeichnen, weil es für jeden Men-
schen selbstverständlich ist, dass er anderen helfen muss,
wenn diese in Bedrängnis kommen. Das fordern Sie von
allen friedensbewegten Menschen. Aber Sie hätten wissen
müssen, als Sie in die Regierung eintraten, dass das glei-
che Prinzip, die gleiche Charaktereigenschaft und die
gleiche Haltung gefordert sind, wenn man in Deutschland
regieren will.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Da Sie das nicht können, hätten Sie nicht eintreten sollen.
Der bundesdeutsche Steuerzahler finanziert mit Ihrer Re-
gierungsbeteiligung die teuersten Ausbildungsplätze in
Deutschland.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Sie müssen sich jetzt der Reifeprüfung stellen; Sie müs-
sen unter Druck die Vertrauensfrage beantworten. Aber
daraus erwächst keine Zukunftsperspektive für Sie.

Sie wissen wie wir, dass eine der fundamentalsten Vo-
raussetzungen für friedliches menschliches Zusammen-
leben die Prinzipien sind, die Bin Laden missachtet, die
die Taliban missachten, auf die aber freie Gesellschaften
angewiesen sind, wenn sie menschenwürdiges Leben si-
chern wollen. Deshalb ist eine Entscheidung der Bundes-
regierung und eine Entscheidung des Bundestages, diese
Prinzipien durchzusetzen, eine bare Selbstverständlich-
keit einer aufgeklärten Gesellschaft und einer zielgerich-
teten Politik. Eine solche bare Selbstverständlichkeit wo-
chenlang in dieser Art und Weise, wie es die staunende
deutsche Öffentlichkeit erlebt hat, so in allen Blättern, in
allen Spalten, in allen Magazinen auszubreiten zeigt je-
dem, dass die Grünen nicht in der Lage sind, unbequeme
Fragen der Zeit zu beantworten. Wenn sie das nicht kön-
nen, sollten sie aus dieser Bundesregierung ausscheiden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Psychotherapeutische Maßnahmen Terroristen ange-
deihen zu lassen, vielleicht runde Tische aufzustellen, ih-
nen die Menschenrechtskonvention vorzulesen, ihnen die
UNO-Charta vorzulesen,


(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD – Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: O je, o je!)


das – Sie wissen es doch – reicht nicht aus. Deshalb lau-
tet die klare Kernaussage: Sie können in dieser Situation
Menschen nur helfen, wenn Sie auch bereit sind, zu einer
politischen Lösung Militär einzusetzen, weil es eben
Menschen gibt, die ohne diesen deutlichen Hinweis nicht
bereit sind, sich politisch zu bewegen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn wir dies tun, geben wir einer guten politischen Lö-
sung einen Vorlauf.

Zurück zur Vertrauensfrage, Herr Bundeskanzler. Die
Vertrauensfrage – Sie haben das zum Ausdruck gebracht –
dient dem Zusammenhalt der Koalition und dem Fortgang
Ihrer Politik. Wenn es sich nur um die außenpolitische
Frage der Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutsch-
land handeln würde, dann wäre das ja noch – gelinde
gesagt – politisch als richtig zu bewerten. Aber die Ver-
trauensfrage, die Sie stellen, bedeutet im Grunde, Verant-
wortung für die wirtschaftliche Lage der Bundesrepublik
Deutschland in einer desolaten Situation zu übernehmen,


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


einer Situation, die gekennzeichnet ist von nahezu 4 Mil-
lionen Arbeitslosen, von der Tatsache, dass unser Land im
internationalen Vergleich die rote Laterne hat, und von der
höchsten Steuer- und Abgabenbelastung.


(Hans Eichel, Bundesminister: Keine Ahnung!)


Unser Land hat seine Hausaufgaben nicht gemacht und
für diese Hausaufgaben sind nicht die Opposition oder die
Bundestagsfraktion der Freien Demokraten zuständig; die
verantworten Sie. Deshalb werden Sie Verständnis dafür
haben, dass wir nicht willens, nicht bereit und auch nicht
in der Lage sind, Ihnen das Vertrauen auszusprechen und
in Verantwortung und in Haftung für diese desolate Lage
der Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik Deutschland
genommen zu werden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir haben deshalb als Bundestagsfraktion der FDP ei-
nen einfachen Antrag eingebracht, der auch Sie in der
wichtigen außenpolitischen Frage nicht ohne Unterstüt-
zung lässt. Der Antrag bietet Ihnen an, in eine Abstim-
mung darüber einzutreten, dass der Deutsche Bundestag
auf Antrag der FDP den von Ihnen gewünschten und für
notwendig gehaltenen Einsatz von 3 900 Soldaten eben-
falls für notwendig hält. Diese Notwendigkeit steht außer
Frage. Der Antrag weist in einem zweiten Punkt darauf
hin – da müssen wir uns gar nicht in einen juristischen
Streit begeben –, dass der Bundestag erwartet, dass spä-
testens nach sechs Monaten das Mandat durch eine Er-
klärung der Bundesregierung oder durch eigene Diskus-
sion zur Debatte gestellt wird, weil das Verfahren
transparent und im Parlament bleiben soll.

Der Antrag geht ferner davon aus – das ist auch wün-
schenswert –, dass, wenn man eine Beistandsverpflich-
tung eingeht und wenn man die NATO anruft, die NATO
im weiteren Prozess die militärische Führung der Aktion
übernimmt und dass nicht nur Verabredungen und Treffen
stattfinden wie jüngst in der Downing Street Nr. 10. Der
Antrag möchte darauf hinweisen, dass das Parlament und
die Öffentlichkeit umfassend unterrichtet werden wollen.
Das haben Sie ohnehin zugesagt.

Es gibt dafür eine breite Mehrheit in diesem Haus. Des-
halb fordere ich Sie auf, dieser breiten Mehrheit den Vor-
zug zu geben. Ich erkläre Ihnen aber auch genauso offen
– Sie verstehen und wissen das auch –: Da Sie Ihre persön-
liche Vertrauensfrage nach dem Grundgesetz ausschließ-
lich an Ihre eigene Koalition und deren Fortbestand rich-
ten, muss ich Ihnen für die Freien Demokraten mitteilen,

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Dr. Wolfgang Gerhardt

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dass wir daran kein Interesse haben. Wir haben kein Inte-
resse an dem Fortbestand von Rot-Grün


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


und wir werden deshalb Ihre Vertrauensfrage auch nicht
positiv beantworten können.

Zum Abschluss. In dieser Haltung fühlen wir uns in tie-
fem Einklang mit allen, die aufmerksam das politische
Leben in der Bundesrepublik Deutschland beobachten,
darüber schreiben und die jetzt Ihre Notwendigkeiten und
Ihre enge Situation bewerten. Sie gewinnen möglicher-
weise heute knapp eine Abstimmung. Ihre Politik ist da-
mit aber zugleich am Ende angekommen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420200900
Ich erteile der Kolle-
gin Kerstin Müller, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grü-
nen, das Wort.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir
stehen heute vor außerordentlich schwerwiegenden Ent-
scheidungen. Was ist die richtige Antwort auf die histo-
rische Herausforderung des furchtbaren Terroranschlags
vom 11. September in New York? Was ist der angemes-
sene Beitrag Deutschlands im Kampf gegen den interna-
tionalen Terrorismus?

Der Terror hat mit diesem Anschlag eine völlig neue
Dimension erreicht. Fast 5 000 Menschen aus zahlreichen
Ländern der Welt sind tot, begraben unter den Trümmern
des World Trade Centers auf Ground Zero. Der Terroris-
mus, mit dem wir heute konfrontiert sind, zielt darauf ab,
Zivilisten zu töten. Wir erleben einen Massenterror unter
Einsatz brutalster Mittel.

Bin Laden und seine Hintermänner wollen den Hass in
den Köpfen der Menschen verstärken, nicht nur in der
islamischen Welt, nein, auch hier bei uns in unserer Ge-
sellschaft. Sie wollen die arabischen Regime stürzen. Sie
wollen Israel zerstören und sie wollen den weltweiten
Kampf der Kulturen, was wir alle in diesem Hohen Hause
abgelehnt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich frage: Können wir über diese Ziele verhandeln?
Die UNO hat in großer Einigkeit festgestellt: Von al-Qaida
und Bin Laden geht eine Gefahr für den Weltfrieden aus,
eine Gefahr, der die Völkergemeinschaft entschlossen
entgegentreten muss. Für uns steht dabei das Primat der
Politik nach wie vor im Mittelpunkt: zivile Konflikt-
lösungen, humanitäre Hilfe, gerade jetzt die zivile Per-
spektive Afghanistans und eine Stärkung der internatio-
nalen Organisationen.

Klar ist: Ohne begrenzte und zielgerichtete militäri-
sche Maßnahmen gegen die Infrastruktur der terroris-
tischen Netzwerke werden Bin Laden und seine Helfers-
helfer neue Attentate planen und durchführen. Um das zu

verhindern, sind solche Maßnahmen notwendig und nach
dem Völkerrecht auch legitim.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der Kampf gegen den Terrorismus darf aber nicht
– das sage ich ganz deutlich – zum Krieg gegen die Men-
schen werden.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Aha!)


Der Einsatz von Streubomben zum Beispiel ist nach dem
Völkerrecht nicht erlaubt und ist daher nicht zu recht-
fertigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn die Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht strikt ge-
wahrt bleibt – gemäß dem Völkerrecht –, dann haben die
Menschen in Deutschland zu Recht Sorge vor einer Eska-
lation.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sorge vor den Grünen!)


Die aktuelle Entwicklung in Afghanistan stimmt vor-
sichtig optimistisch. Das Talibanregime wird möglicher-
weise bald überwunden sein. Endlich, nach Jahren des
Hungers und des Elends, haben wieder Hilfsorganisa-
tionen Zugang zum Land. Sie versuchen, vor dem Winter
die Versorgung der Bevölkerung und der Flüchtlinge si-
cherzustellen. Wichtig ist jetzt die Sicherung der huma-
nitären Hilfe und des Wiederaufbaus sowie die Aufrecht-
erhaltung der Ordnung in Afghanistan.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Darüber hinaus stehen verstärkte direkte Antiterrormaß-
nahmen gegen das terroristische Netzwerk Bin Ladens im
Vordergrund.

Genau darum wird es auch bei dem deutschen Beitrag
gehen. Er dient überwiegend humanitären Zwecken.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das ist ja unglaublich!)


Die Spezialkräfte haben quasi polizeilich-militärische
Aufgaben. Deshalb war es wichtig, dass die Bundesregie-
rung das Mandat präzisiert hat, präzisiert im Hinblick auf
Einsatzort, Auftrag und die Zusammensetzung der deut-
schen Streitkräfte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Bundeskanzler hat außerdem klar gestellt, dass sich
deutsche Soldaten weder an Luftangriffen noch an Kampf-
truppen am Boden beteiligen werden. Durch diese wichti-
gen Klarstellungen und Präzisierungen ist die große Mehr-
heit der Abgeordneten meiner Fraktion überzeugt, dass sie
den Einsatz vor ihrem Gewissen verantworten können.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben hier und heute aber nicht nur über den
deutschen Beitrag im Kampf gegen den internationalen

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Dr. Wolfgang Gerhardt

19868


(C)



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Terrorismus zu entscheiden. Der Bundeskanzler hat den
Einsatz deutscher Soldaten mit der Vertrauensfrage nach
Art. 68 Abs. 1 des Grundgesetzes verbunden. Damit geht
es heute auch um die Zukunft dieser Reformkoalition, um
die Zukunft von Rot-Grün.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Wie heißt die? Noch einmal zum Mitschreiben!)


Die Koalition hat eine eindrucksvolle Bilanz vorzu-
weisen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU)


Wir haben diese Republik verändert. Ich will nur einige
Beispiele nennen: Wir haben das Staatsbürgerschaftsrecht
reformiert. Wir haben durch die eingetragenen Partner-
schaften gleiche Rechte für Schwule und Lesben in die-
sem Land geschaffen.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist es! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


– Das bekämpfen Sie; das wissen wir. Die Leute wissen,
wofür wir stehen. –


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Warum brauchen Sie dann die Vertrauensfrage?)


Wir haben mit dem Ausstieg aus der Atomkraft, mit der
Förderung erneuerbarer Energien und mit der Ökosteuer
ökologisch umgesteuert.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Jetzt wissen wir, warum die Taliban fliehen!)


Mit dem Zuwanderungsgesetz wird Deutschland endlich
ein Einwanderungsland. Geschlechtsspezifische nicht
staatliche Verfolgung wird als Asylgrund anerkannt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir schaffen mit einer konsequenten Politik der Haus-
haltskonsolidierung und der Rentenreform endlich mehr
Generationengerechtigkeit. Wir haben die größte Steuer-
reform der Nachkriegsgeschichte auf den Weg gebracht
und haben sie in diesem Hause und im Bundesrat verab-
schiedet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU)


Wir, Sozialdemokraten und Grüne,


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sind am Ende!)


haben diese Republik gemeinsam verändert. Wir haben
uns daran gemacht, sie endlich sozial und ökologisch zu
gestalten. Es liegen noch große Aufgaben vor uns: Wir
wollen den Sozialstaat solidarisch umbauen, wollen die
Energiewende vollenden und eine neue globale Friedens-
politik für das 21. Jahrhundert entwickeln.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Aber alles im nächsten Leben! – Friedrich Merz [CDU/ CSU]: Sie müssten einmal die Begeisterung auf der Regierungsbank sehen!)


Dies alles ist zu bedenken, wenn wir heute über die
Zukunft der rot-grünen Koalition zu entscheiden haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich sage, niemand muss die Grünen über verantwortungs-
volles Verhalten in der Regierung aufklären.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Ehrlich!)


Genauso wenig brauchen wir moralische Belehrungen.
Es gibt kaum eine andere Partei in Deutschland, die sich
in ihrer Geschichte so kritisch, so kontrovers, so gründ-
lich und so ernsthaft mit der Notwendigkeit militäri-
scher Maßnahmen auseinander gesetzt hat. Wir sind
die Partei, die auch aus der Friedensbewegung entstan-
den ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist ein langer, ein schwieriger Weg, den wir seitdem
zurückgelegt haben, von den Protesten gegen die NATO-
Nachrüstung bis zu der Frage, was aus den Ereignissen
von Srebrenica folgt.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Was ist aus euch geworden?)


– Das brauche ich mir, glaube ich, von Ihnen nicht erklä-
ren zu lassen, Entschuldigung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben unsere Ansprüche an eine weltweite Frie-
denspolitik formuliert und wir stellen uns heute der
Frage, wie wir dem internationalen Terror begegnen. In
unserer innerparteilichen Debatte kommen auch die
Zweifel, die Sorgen und die Ängste der ganzen Gesell-
schaft zum Ausdruck. Diese Auseinandersetzung als
Entscheidung zwischen Macht und Moral zu bezeich-
nen, wie das jetzt gelegentlich geschieht, das ist nicht
nur polemisch,


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


es denunziert auch die Frauen und Männer, die sich in
Deutschland um die historischen Lehren aus der Kata-
strophe der Naziherrschaft und des Weltkrieges bemüht
haben. Es denunziert all die in der Gesellschaft, die sich
Sorgen und Gedanken machen und die das Recht haben,
diese Sorgen und Zweifel zu äußern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Bei allem notwendigen Streit zwischen den Parteien,
bei allen unterschiedlichen Interessen warne ich eindring-
lich davor, durch schamlose Zuspitzung einen Teil unse-
rer gemeinsamen Geschichte zu verunglimpfen. Macht
wird in einer Demokratie auf Zeit verliehen;


(Michael Glos [CDU/CSU]: Ihre Zeit ist um, Frau Müller!)


die Moral ist unveränderbar. Wir Grüne beteiligen uns
an diesem Regierungsbündnis, um eine Politik zu

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Kerstin Müller (Köln)


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verwirklichen, die auf festen, unveränderlichen mo-
ralischen Überzeugungen gegründet ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der FDP)


– Sie von der FDP lachen. Sie können gar nicht verstehen,
wovon ich rede, weil Ihnen der Zusammenhang von
Macht und Moral längst nicht mehr bewusst ist, weil Sie
Ihre Prinzipien ständig wechselnden Koalitionspartnern
unterwerfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Deswegen machen sie jetzt in Berlin die Ampel!)


Unsere Grundwerte sind unverändert gültig und sie be-
stimmen unsere Politik im Innern wie im Äußern. Wir tre-
ten für eine liberale, weltoffene und tolerante Gesellschaft
im Innern ein. Deshalb kämpfen wir auch international
gegen Intoleranz und Fanatismus, gegen einen Terror, der
sich gegen unsere Grundwerte richtet.

Wir haben in Deutschland viele Reformen voran-
gebracht, in denen unsere Grundüberzeugungen deutlich
werden. Wir haben mehr soziale Gerechtigkeit geschaffen
und die Rechte von Minderheiten gestärkt. Es entspricht
grünen Grundwerten, wenn wir uns für eine gerechte
Weltordnung einsetzen, wenn wir der ungezügelten Glo-
balisierung Schranken setzen sollen.

Wir können uns auf dieselbe Moral berufen, wenn wir
dort, wo es in unserer Macht liegt, einen angemessenen
Beitrag im Kampf gegen Unterdrückung, Hass und
Gewalt leisten sollen. Das ist der Zusammenhang von
Macht und Moral, über den wir hier sprechen. Jeder Ab-
geordnete muss für sich prüfen, ob seine Entscheidung
den eigenen moralischen Anforderungen entspricht. Wir
als Grüne insgesamt müssen prüfen, ob in diesem Regie-
rungsbündnis ausreichend Raum für unsere Grundwerte
ist. Das ist der Zusammenhang, den der Bundeskanzler
durch die Vertrauensfrage hergestellt hat.

Auch wenn ich über diese Verknüpfung zweier sehr
grundlegender Entscheidungen nicht glücklich bin, so
komme ich doch zu dem Schluss: Wir können diese He-
rausforderung mit gutem Gewissen bestehen. Diese Ko-
alition hat noch immer einen großen Vorrat an Gemein-
samkeiten.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


Wir berufen uns auf gemeinsame Überzeugungen.

Meine Fraktion, Herr Bundeskanzler, wird deshalb
heute nach reiflicher Überlegung mit sehr großer Mehrheit
einer maßvollen Beteiligung Deutschlands am militäri-
schen Kampf gegen den Terror zustimmen und wir setzen
gleichzeitig unser Vertrauen in Sie und unseren Außen-
minister, dass Sie die Prinzipien und Werte, die unsere Ko-
alition tragen, im Innern wie im Äußern verteidigen.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420201000
Ich erteile das Wort
Kollegen Roland Claus, PDS-Fraktion.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1420201100
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Nach den schrecklichen und
unvergessenen Ereignissen des 11. September 2001 er-
wartet die Öffentlichkeit heute vom deutschen Parlament,
dass es folgende Fragen beantwortet: Militäreinsätze
außerhalb Europas, ja oder nein? Deutsche Kriegsbeteili-
gung, ja oder nein? Stattdessen wird ihr seit Tagen ein
Koalitionsmachtspiel vorgeführt, in dem die Kriegsereig-
nisse quasi in die zweite Reihe gerückt werden.


(Zuruf von der PDS: Sehr richtig!)


Meine Damen und Herren aus der Koalition, Sie kön-
nen sich den gegenwärtigen Zustand noch so wortreich
schönreden. Wir sagen Ihnen: Was hier abläuft, nennen
wir Irreführung der Öffentlichkeit und Nötigung des
Parlaments – und nicht etwa nur der grünen Fraktion.


(Beifall bei der PDS – Lothar Mark [SPD]: Wieso ist es Irreführung, wenn wir uns an die Verfassung halten? Ist die Verfassung irreführend?)


– Genau darauf komme ich jetzt zu sprechen.

Herr Bundeskanzler, die Tatsache, dass die Verfassung
diesen Schritt, den Sie hier gehen, zulässt, bedeutet noch
lange nicht, dass dieser Schritt politisch weise ist. Das Ge-
genteil ist der Fall.


(Beifall bei der PDS – Lothar Mark [SPD]: Wenn es die Verfassung vorgibt, ist es keine Nötigung!)


Sie sind der erste Bundeskanzler, der diese Vertrauens-
frage und damit sein Schicksal mit einer Zustimmung zu
Kriegseinsätzen verbindet.


(Dr. Peter Struck [SPD]: „Kriegseinsätze“! Hören Sie auf damit!)


Wir bleiben dabei: Die PDS-Fraktion sagt Nein zu diesem
Krieg, Nein zur deutschen Beteiligung und auch Nein zur
Vertrauensfrage.


(Beifall bei der PDS – Lothar Mark [SPD]: Deutschland beteiligt sich nicht am Krieg!)


Der Krieg ist und bleibt ein untaugliches Mittel im Kampf
gegen den Terror.

Herr Bundeskanzler, Sie haben hier vor einigen Wo-
chen gesagt: Risiko ja, Abenteuer nein. – Mit dem heuti-
gen Beschluss sind wir auf dem Weg in ein unkalkuliertes
militärisches Abenteuer. Sie können die einfachsten Fra-
gen, die Ihnen die Bürgerinnen und Bürger in diesem
Lande stellen, nicht beantworten:


(Frank Hempel [SPD]: Aber Sie!)


Wohin sollen deutsche Soldaten gehen? Wie lange soll der
Einsatz dauern? Was sind die konkreten Aufgaben? Was
sind die Ziele des Kampfes? Wann sind sie erreicht? Wann
ist der Einsatz abgeschlossen?


(Lothar Mark [SPD]: Wissen Sie, wann der nächste Terroranschlag kommt?)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Roland Claus

19870


(C)



(D)



(A)



(B)


Sie fassen heute einen Vorratsbeschluss und schrän-
ken damit die Souveränität des Parlaments ein.


(Beifall bei der PDS)


Die neue außenpolitische Rolle Deutschlands – ich be-
dauere das sehr – wird damit ausdrücklich über eine Do-
minanz des Militärischen definiert. Nun nehmen Sie den
militärischen Erfolg der Nordallianz in Verbindung mit
den US-Streitkräften für sich in Anspruch. Ich folge die-
ser Logik nicht, weil sie die zivilen Opfer ausblendet, über
die wir noch immer sehr wenig wissen.


(Beifall bei der PDS)


Diese Logik blendet auch die verheerenden Langzeitfol-
gen aus, die diese Bombardements haben werden: eine
Spaltung zwischen arabisch-islamischer und westlicher
Welt. Wenn Sie sich dennoch auf diese Logik des mi-
litärischen Erfolges beziehen, dann sollten Sie sich aller-
dings eine Frage gefallen lassen: Wozu bedarf es noch ei-
ner deutschen Beteiligung an diesem Konflikt?


(Beifall bei der PDS)


Auch der Text Ihres Antrages spiegelt wider, dass Sie
der Sachlage nicht mehr gerecht werden. Sie schreiben,
dass sich das Talibanregime in Kabul schützend vor ter-
roristische Strukturen stellt. Sie halten an diesem Antrag
fest. Dieses Festhalten macht nur dann Sinn, wenn es um
die Option gehen soll, militärische Operationen auch in
anderen Staaten durchzuführen. Verteidigungsminister
Rumsfeld hat in den USA bereits von einem, wie er sagte,
guten Dutzend solcher Staaten gesprochen.

Wir halten an unseren aktuellen Befürchtungen fest,
die da heißen: Wenn dem globalisierten Terror der globa-
lisierte Krieg folgen sollte, dann hätte sich nicht die Lo-
gik von Vernunft und Zivilisation, sondern die Logik des
Terrors durchgesetzt. Das können wir doch nicht wollen.


(Beifall bei der PDS – Zuruf von der SPD: Nennen Sie Alternativen!)


Kritikwürdig bleibt weiterhin, wie Sie mit Kriegsgeg-
nern, mit Kritikern Ihrer Position in dieser Frage umge-
hen. Das deutet nicht auf Souveränität und Stärke hin. Das
ist ein Zeichen von Schwäche.


(Beifall bei der PDS – Ilse Janz [SPD]: Sie wissen das doch gar nicht!)


Ich will Ihnen nur einmal kurz die Abfolge nennen: Es
begann mit den Disziplinierungen des SPD-General-
sekretärs gegenüber Abweichlern bei der Mazedonien-
Entscheidung. Es ging weiter mit der unseligen Verun-
glimpfung der IG Metall und deren Friedensengagement.
Danach folgte die Einmischung aus der Bundesebene in
die Entscheidungen nach der Wahl in Berlin. Es gipfelt
nun in der Vertrauensfrage. Es ist sogar über Neuwahlen
spekuliert worden, wenn einem das denn nur nützen
könnte. Solche Machtspiele sind nicht geeignet, die De-
mokratie in diesem Lande zu stärken.


(Beifall bei der PDS – Zuruf von der SPD: Dazu brauchen wir die PDS!)


Unterdessen wächst in der Öffentlichkeit die Ableh-
nung deutscher Beteiligung an diesen Militäroperationen.

Ich will Ihnen nur ein einziges Beispiel nennen. Mich er-
reichte in den letzten Tagen eine mit bewegenden Worten
geschriebene Initiative von Schülergruppen aus Heidel-
berg, die mehr als 1300 Unterschriften gegen eine Kriegs-
beteiligung gesammelt haben. Deren Position und deren
Friedensengagement sollten in dieser Gesellschaft auch
Anerkennung finden.

Meine Damen und Herren in den Koalitionsfraktionen,
niemand hier hat Sie des Hurra-Patriotismus verdächtigt.
Deshalb aber haben auch Sie nicht das Recht, ablehnende
kritische Stimmen zu diskriminieren. Auch das muss hier
gesagt werden.


(Beifall bei der PDS)


Herr Bundeskanzler, Sie haben es noch immer in der
Hand – das ist hier schon gesagt worden –, denn der An-
trag kann noch vom Tisch genommen werden. Allein die
Tatsache, wie vielfältig der Antrag interpretiert wird, deu-
tet darauf hin, dass er einfach nicht sachgerecht ist. Es gibt
noch einen Ausweg. Sie haben es noch in der Hand, den
Antrag vom Tisch zu nehmen – das wäre kein Zeichen von
Schwäche, sondern von Größe – oder wenigstens die
Verknüpfung des Antrags mit der Vertrauensfrage wieder
aufzuheben. Gehen Sie diesen Weg! Anderenfalls müssen
wir heute mit einem klaren Nein stimmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der PDS – Detlev von Larcher [SPD]: Und sonst? Würden Sie Ja sagen? – Peter Dreßen [SPD]: Das ist Heuchelei!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420201200
Ich erteile nun der Mi-
nisterin Heidemarie Wieczorek-Zeul das Wort.

Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser
Diskussion möchte ich auf die Menschen, die Flüchtlinge
in Afghanistan zu sprechen kommen und sagen: Am al-
lerwichtigsten ist es, dafür zu sorgen – wir als Bundesre-
gierung sorgen dafür –, dass diese Flüchtlinge humanitäre
Hilfe, dass die Menschen Nahrung, Lebensmittel und Me-
dikamente erhalten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Ilja Seifert [PDS]: Dazu braucht man keine Bundeswehr.)


Die Nichtregierungsorganisationen und das Welt-
ernährungsprogramm sind im Einsatz, um dazu beizutra-
gen, dass diese Arbeit geleistet wird. Das ist jetzt das
Wichtigste.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Da die Diskussion manchmal verengt wird, will ich sa-
gen: Alle Flüchtlinge, die dies wollen, müssen die Chance
erhalten, in ihr Land zurückzukehren. Vor dem 11. Sep-
tember dieses Jahres waren 8 Millionen Afghanen auf
der Flucht. Sie müssen die Chance erhalten zurückzukeh-
ren. Sie waren auf der Flucht vor den Grausamkeiten
der Taliban. Sie waren auf der Flucht vor Dürre- und

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Roland Claus

19871


(C)



(D)



(A)



(B)


Hungerkatastrophen. Über zwei Jahrzehnte hat sich die
Weltgemeinschaft nicht wirklich um das Schicksal der
Menschen in Afghanistan und der Region gekümmert.
Das darf niemals mehr passieren. Auch das muss in dieser
Diskussion heute gesagt werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Die Bundesregierung wird alles tun, um den Frauen,
die durch die Taliban entrechtet wurden, ihre Stimme und
Teilhabe am politischen Leben in Afghanistan zurückzu-
geben. Das ist auch eine Aufforderung an die Nordallianz
und die künftige Regierung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie werden daran gemessen werden, wie sie mit den
Frauenrechten, den Menschenrechten und den Rechten
von Minderheiten umgehen.

Unsere Entwicklungszusammenarbeit – das ist das,
was wir jetzt leisten müssen –, für die wir neben den Hil-
fen vonseiten der EU und der Weltbank mindestens
160 Millionen DM an bilateralen Entwicklungshilfemit-
teln zur Verfügung stellen, wird mit anderen zusammen
sicherstellen, dass Mädchen endlich wieder in die Schule
gehen können, dass Frauen Zugang zur Arbeit und zur Ge-
sundheitsversorgung haben. Das sind wir den vielen Mil-
lionen Frauen gemeinsam schuldig, die über Jahre hinweg
entrechtet worden sind. Dafür werden wir sorgen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Der Wiederaufbau Afghanistans ist der Schlüssel zu
Frieden und Stabilität im Land. Er kann nicht erst dann er-
folgen, wenn schon alle Entscheidungen bezüglich der
Regierungsbildung getroffen sind. Die Arbeit für den
Wiederaufbau soll und muss die Menschen einbinden, die
bisher im Bürgerkrieg ihre Kräfte sinnlos gegeneinander
vergeudet haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht darum – auch
in dieser Diskussion sollte das thematisiert werden –, dass
Menschen ihre Ernährung dauerhaft sichern können – das
wollen wir durch unsere Unterstützung erreichen –, dass
Wohnungen gebaut werden, damit die Menschen ge-
schützt sind, und dass soziale Grunddienste, wie Schulen
und Gesundheitseinrichtungen, aufgebaut werden. Denje-
nigen, die meinen, dass das mit dem aktuellen Konflikt
nichts zu tun habe, sage ich: Über Jahrzehnte hinweg hatte
die große Mehrheit der Bevölkerung Afghanistans keinen
Zugang zu sozialen Grunddiensten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir engagieren uns gemeinsam mit allen internationalen
Gebern, zum Beispiel der UN und der Weltbank, um die-
sen Wiederaufbau zu leisten.

Allen Beteiligten möchte ich sagen: Gerade in dieser
Situation ist das Bündnis aus SPD und Bündnis 90/Die
Grünen gefordert. Wir werden unsere Verantwortung ent-

schlossen wahrnehmen. Wir stimmen heute über ein poli-
tisches und humanitäres Gesamtkonzept, aber auch über
ein Gesamtkonzept zur Verwirklichung von Schritten, die
zu einer gerechteren Weltordnung führen sollen, ab.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Oh weia!)


Ich wende mich jetzt an diejenigen, die draußen de-
monstrieren. Ich habe vorhin mit ihnen diskutiert.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Ich würde gerne wissen, was da gesagt wurde!)


Ich teile die Auffassung dieser Demonstrierenden nicht.
Ich verstehe aber, dass sie, wie übrigens wir alle in diesem
Haus und wie alle Menschen in unserem Land, eine tiefe
Sehnsucht nach Frieden haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage denjenigen, die gegen eine Beteiligung der
Bundeswehr sind, weil es um die Beteiligung an einem
Krieg geht: Wir stehen in diesem Jahrhundert – ich teile
die Überzeugungen von Erhard Eppler vollkommen –
kaum noch vor zwischenstaatlichen Kriegen. Ein Vorge-
hen zur Zerschlagung terroristischer Netzwerke ist kein
Angriffskrieg, sondern der Versuch, diese Netzwerke zu
zerschlagen und dazu beizutragen, dass solche unvorstell-
baren terroristischen Aktionen wie der Angriff auf das
World Trade Center niemals mehr passieren können, und
zwar nirgends auf der Welt. Das wird doch die Konse-
quenz sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das verpflichtet uns zu handeln. Wir erleben heute
überall auf der Welt entstaatlichte, privatisierte Gewalt,
zum Beispiel in Afrika im Gebiet der großen Seen. Wir sa-
hen sie auf dem Balkan. Wir erleben sie in den Verbrechen
der Terroristen. Die internationale Gemeinschaft – das
sage ich jetzt im weitesten Sinne auch an die demokra-
tische Linke – hat aber die Verpflichtung, dieser pri-
vatisierten Gewalt notfalls auch militärisch – quasi poli-
zeilich – entgegenzutreten. Die Friedensbewegung, der
ich mich verbunden fühle, und das Militär müssen lernen,
in diesem Prozess umzudenken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Seit 1990 haben derartige Gewaltkonflikte jährlich
bis zu 1 Million Menschen das Leben gekostet. Wir müs-
sen alles tun, um eine demokratische Staatlichkeit – zumal
in den Entwicklungsländern – zu stärken. Es müssen
Schritte hin zu einem internationalen Gewaltmonopol, das
nur Gleiche kennt, verwirklicht werden, damit der wach-
senden Gewalt in der Welt und damit der Bedrohung der Si-
cherheit von Menschen entgegengearbeitet werden kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Vor allen Dingen müssen wir einen internationalen
Gerichtshof schaffen, der der Globalisierung von Rechts-
staatlichkeit dienen soll. Wir fordern die amerikanische

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul

19872


(C)



(D)



(A)



(B)


Regierung auf, dabei zu helfen, dass dieses Ziel gemein-
sam mit uns und den 43 Staaten, die bereits ratifiziert ha-
ben, verwirklicht wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Terrorismus braucht
aber auch weitergehende Antworten. Er braucht die Ant-
wort einer weltweiten Koalition für Gerechtigkeit und So-
lidarität. Die Terroristen rechnen mit der Mobilisier-
barkeit der Unterdrückten, der Armen und der sich
ohnmächtig Fühlenden. Ich erinnere daran: 1,2 Milliarden
Menschen weltweit sind heute absolut arm, das heißt, sie
haben weniger als einen Dollar am Tag zum Leben.

Unsere Koalition aus Bündnis 90/Die Grünen und SPD
und wir – die Kollegin Eid als Parlamentarische Staatsse-
kretärin und ich als Ministerin – haben Initiativen unter-
nommen und die Weichen zum Kampf gegen die globale
Armut, den schlimmsten Gegner, gestellt.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Sie haben sich Geld wegnehmen lassen, das Sie gebraucht hätten!)


Ein Schuldenerlass im Umfang von 70 Milliarden US-
Dollar für die ärmsten Entwicklungsländer ist ein wichti-
ger Schritt zur Bekämpfung von Armut und dient dazu,
der Mobilisierbarkeit von Terrorismus den Nährboden zu
entziehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich appelliere an alle, die der Meinung sind, sie könn-
ten dem Antrag nicht zustimmen: Was steht denn vor uns?
– Es steht vor uns, dafür zu sorgen, dass der Schulden-
erlass notfalls finanziell nachgebessert wird. Das können
doch nur wir in den internationalen Finanzinstitutionen,
zusammen mit anderen fortschrittlichen Ländern, bewir-
ken. Wer soll das sonst tun?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb muss ich Ihnen sagen – für manche klingt das
pathetisch, aber ich sage es, weil das unsere Verantwortung
ist –: Millionen von Menschen hoffen darauf, dass diese
Bundesregierung in ihrer Verantwortung verbleibt und ihre
Arbeit leistet, um den Ärmsten der Armen ein besseres
Schicksal zu verschaffen. Das ist unsere Perspektive.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wer heute nicht für ein solches Gesamtkonzept stimmt,
wird diese Chancen zerstören. Wer von Ihnen, der gewählt
worden ist, um eine Politik der humanen Globalisierung
und der dauerhaften Friedenssicherung zu gestalten,
könnte das mit seinem Gewissen vereinbaren?

Ulrich Beck hat in einem Artikel von Anfang Novem-
ber die Aufgabe, die vor uns liegt, so formuliert:

Um die Quellen des Hasses von Milliarden von Men-
schen, aus denen immer wieder neue Bin Ladens
hervorgehen werden, auszutrocknen, müssen die Ri-

siken der Globalisierung berechenbar gemacht und
die Freiheiten und Früchte dieser Globalisierung ge-
rechter verteilt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist richtig.

Wenn wir uns heute in einem weiteren Antrag, der Ih-
nen vorliegt, zu einer schrittweisen verbindlichen Errei-
chung des 0,7-Prozent-Ziels für Entwicklungszusammen-
arbeit verpflichten und diesen Plan umsetzen, dann leisten
wir nicht nur einen Beitrag für die Solidarität mit den
Menschen in der Welt; wir leisten auch einen Beitrag
dazu, der Mobilisierbarkeit von Terrorismus den Boden
zu entziehen. Wir leisten auch einen Beitrag zu unserer ei-
genen Sicherheit. Das ist die Perspektive, um die es geht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Situation nach dem 11. September 2001 ist, wenn
man die Frage nach einer gerechteren Weltordnung
stellt, offen. Sie kann in einer neuen Weltunordnung en-
den, bietet aber auch Chancen in Richtung auf die
Verwirklichung einer neuen und gerechteren Weltord-
nung. Es liegt an uns, ob wir diese Chancen nutzen. Des-
halb sage ich: Die Aufgaben unseres Bündnisses von So-
zialdemokratie und Bündnis 90/Grüne mit Gerhard
Schröder an der Spitze sind noch längst nicht erfüllt. Sie
sind auch im Jahre 2002 noch nicht erfüllt, es bedarf einer
langfristigen Perspektive, damit wir das erreichen kön-
nen, wofür ich stehe und was wir skizziert haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb: Tragen Sie dazu bei, die richtige Weichen-
stellung zu vollziehen. Willy Brandt – damit möchte ich
abschließen – hat es so formuliert:

Die Aufgabe besteht darin, die Menschheit von
Abhängigkeit und Unterdrückung sowie von Hunger
und Not zu befreien. Neue Bande müssen geknüpft
werden, welche die Aussichten auf Frieden, Gerech-
tigkeit und Solidarität für alle entscheidend verbes-
sern. Dies ist eine große Aufgabe für die jetzige Ge-
neration und für die, die ihr folgt.

Ich sage: Wir werden unsere Verantwortung ernst neh-
men. Wir nehmen unsere Verantwortung wahr. Wir stehen
vor großen Aufgaben, es ist noch viel zu tun und wir wer-
den es gemeinsam tun.

Ich bedanke mich sehr herzlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lothar Mark [SPD]: Das war eine echte Heidi-Rede!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420201300
Ich erteile dem Kolle-
gen Michael Glos, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID1420201400
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler,

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul

19873


(C)



(D)



(A)



(B)


spätestens meine beiden Vorrednerinnen haben Ihr Di-
lemma ganz deutlich gemacht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Die Taliban sind nicht von der Friedensbewegung und
auch nicht durch rot-grüne Sprüche aus Afghanistan ver-
trieben worden.


(Rudolf Bindig [SPD]: Aber durch die Reden von Ihnen!)


Wenn jetzt den Menschen geholfen werden kann, dann
deswegen, weil die Hauptstadt von den Taliban befreit ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das haben die USA mit der Unterstützung unserer fran-
zösischen und britischen Freunde gemacht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Während unsere Freunde gehandelt haben, hat die alte
Linke in Deutschland nur wieder Angst kultiviert.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Angst ist ein schlechter Ratgeber.

Ich möchte zu der Frage zurückkommen, die vorhin
eine große Rolle gespielt hat und die für die Entschei-
dungsfindung wichtig ist: Die Parlamentsbeteiligung be-
ruht ausschließlich auf dem Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts. Deswegen ist der Text dieses Urteils in
diesem Fall verbindlich. Das Bundesverfassungsgericht
hat damit den Rahmen gesetzt. In dem Urteil heißt es, dass
das Parlament die konstitutive Entscheidung nicht mehr
rückgängig machen kann und für die Zeit, die genannt
wird, gebunden ist. Das ist eine Tatsache.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist eine sehr ernste Angelegenheit. Ihre Zustim-
mung und die der Grünen, die bisher vorhaben, zuzustim-
men, beruhen letztlich auf diesen Grundlagen. Deswegen
muss dies zweifelsfrei geklärt werden. Ich kann nur sa-
gen: Wir sind gerne bereit, die Sitzung eine halbe Stunde
zu unterbrechen, damit Sie dies klären können.


(Lachen bei der SPD)


– An uns soll es nicht liegen, wenn Sie nicht genau wis-
sen, worüber Sie abstimmen. Darum geht es doch. Dies ist
eine sehr ernste Situation.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Erfolge in Afghanistan zeigen: Deutschlands Soli-
darität kommt, wenn sie überhaupt kommt, sehr spät. Das
ist so ähnlich wie eine Feuerwehr, die nur dann ausrücken
darf, wenn sichergestellt ist, dass der Brand bereits gelöscht
ist. Solange noch Funken glimmen, ist der Feuerwehr das
Ausrücken verboten. In einer ähnlichen Rolle befindet sich
jetzt unsere Bundeswehr und unser ganzes Land.

Machen wir uns nichts vor – Herr Bundeskanzler, Sie ha-
ben es richtig gesagt –: Der Kampf gegen den Terrorismus
ist überhaupt noch nicht gewonnen. Er steht erst am Anfang.


(Lothar Mark [SPD]: Eine Leerformel!)


Die Entscheidung, 3 900 Soldaten zu entsenden, hat nur
zum kleinsten Teil mit Afghanistan zu tun. Das wissen Sie
doch alle.

Heute hätte die Chance bestanden, für diesen Einsatz,
der nach Ihren eigenen Worten sehr gefährlich werden
kann, im Parlament eine große Mehrheit zu finden und
gleichzeitig die Bündnisfähigkeit unseres Landes auf
eine breite Grundlage zu stellen. Herr Bundeskanzler, Sie
hatten dazu die Chance.


(Zuruf von der SPD: Ihr habt sie!)


Sie haben diese Chance verspielen müssen, weil Sie Ihre
eigenen Reihen nur mit dieser Notmaßnahme geschlossen
halten konnten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich will noch einmal für die CDU/CSU-Fraktion erklä-
ren: Wir halten den militärischen Einsatz für unverzicht-
bar. Wir wollen, dass al-Qaida bekämpft wird. Überall da,
wo es möglich ist, sollen die Wurzeln des Terrors ausge-
rottet werden. Wir lassen keinen Zweifel daran: Wir ste-
hen zu den Bündnisverpflichtungen unseres Landes. Wir
wissen, dass die Sicherheit unserer Bürger daran hängt,
dass Deutschland auch künftig ein verlässlicher Bünd-
nispartner bleibt und sich Vertrauen erwirbt. Wir brauchen
besonders das Vertrauen Amerikas. Helmut Kohl hätte
dies nie beweisen müssen. Er hat dieses Vertrauen immer
gehabt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich weiß, dass die Situation für Sie sehr schwierig ist.
Sie, Herr Bundeskanzler, ständen gern mit Tony Blair in
einer Reihe. Selbst mit Putin wären Sie gern in einer
Reihe. Aber auf dieser Grundlage und mit diesem
Koalitionspartner werden Sie nicht so schnell auf die
Ranch nach Texas eingeladen, wo heute Putin ist,


(Lachen des Abg. Detlev von Larcher [SPD])


weil man nur verlässliche Freunde einlädt. Freunde in der
Not sind die verlässlichen Freunde.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie haben als niedersächsischer Ministerpräsident ein-
mal gesagt: erst das Land, dann die Partei!


(Zuruf von der SPD: Das ist ganz plattes Gerede!)


Das haben Sie inzwischen vollkommen umgekehrt; es
heißt jetzt: erst die Koalition und dann das Land! Deswe-
gen erfolgen auch diese ganzen Verbiegungen, die wir
hier erleben müssen. Dazu kann ich nur feststellen: Sie
haben sich einmal zum Weltstaatsmann ernennen lassen.
Das wurde auch gebührend gefeiert. Die Begeisterung
derer hier, die das gefeiert haben, ist etwas abgeklungen.
Aus einem Weltstaatsmann ist vom Gehabe her ein
Kleinkrämer geworden, dem es nur darum geht, den eige-
nen Laden zu erhalten. Sie wollen an einer Koalition fest-
halten, die es im Grunde genommen überhaupt nicht mehr
gibt.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Michael Glos

19874


(C)



(D)



(A)



(B)



(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zurufe von der SPD: Sie bringen aber hier ein primitives Niveau hinein! – Wie im Bierzelt! – Gernot Erler [SPD]: Wo bleibt die Weißwurst?)


Sie pfeifen im dunklen Wald, wenn Sie heute früh so
locker getan haben. Wenn man anschließend zugehört hat,
dann merkte man, dass diese gespielte Selbstsicherheit
doch keinerlei Grundlagen mehr hat. Selbst wenn heute
noch einmal für diese Koalition entschieden wird: Die Ba-
sis dieser Koalition ist kaputt.

Es ist schon angeklungen, und ich muss das auch
noch einmal ansprechen: Wie geht ein Fraktionsvor-
sitzender, der zwar nicht in die Reihe gehört, aber auf
dem Stuhl sitzt, auf dem schon Erler, Schmidt, Wehner
und Hans-Ulrich Klose gesessen haben, mit frei
gewählten Parlamentariern um, wenn er sie zu Mandat-
sniederlegungen auffordert? Was heute zustande
kommt, kommt mehr oder minder nur durch Erpressung
und Zwang zustande.


(Zurufe von der SPD: Pfui!)


Heute ist schon einmal Professor Hans Hugo Klein
zitiert worden. Ich will einmal vorlesen, was er in
seinem Artikel, den offensichtlich viele von uns gelesen
haben, über die Abgeordneten geschrieben hat. Darin
heißt es:

In Sinne des Artikels 38 Absatz 1 Satz 2 ist jede
Entscheidung, die der Abgeordnete im Rahmen
eines parlamentarischen Verfahrens zu treffen hat,
eine „Gewissensentscheidung“. Anders formuliert:
Wann immer ein Abgeordneter im Bundestag ab-
stimmt, hat er dies nach Maßgabe seiner eigenen
Überzeugung zu tun, frei von Aufträgen und
Weisungen Dritter einschließlich seiner eigenen
Partei und Fraktion.


(Zurufe von der SPD)


Abgeordnete, die sich solchen Weisungen fügen, ver-
stoßen gegen ihre Amtspflichten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich bin einmal gespannt, wer alles heute gegen seine
Amtspflichten verstößt.


(Widerspruch bei der SPD)


Ich sage noch einmal, auch wenn es hier jetzt laut wird:
Erpressung kann Überzeugung nicht ersetzen. Ein er-
presstes Ergebnis ist ein verlogenes Ergebnis,


(Beifall bei der CDU/CSU)


aber Sie bräuchten heute ein ehrliches Ergebnis. Wie soll
eine Vertrauensabstimmung gewonnen und ernst genom-
men werden, die mit solchen Methoden belastet ist? Das
Wort „Vertrauen“ ist doch geradezu pervertiert!

Unser Wort gilt weiterhin: Wir stehen zur Politik der
uneingeschränkten Solidarität mit Amerika. Ich be-
danke mich ausdrücklich bei Ihnen, dass Sie unser Ab-
stimmungsverhalten nicht in Zweifel gezogen haben, wie

das viele Ihrer Parteifreunde getan haben. Ich glaube, das
ist dem Ernst dieser Stunde auch angemessen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf von der SPD: Aber Ihre Rede nicht!)


Es wäre uns und unseren Wählerinnen und Wählern und
den Menschen, die in Deutschland Hoffnung auf eine
bessere Regierung haben, auch schwer zu vermitteln,
wenn wir einer rot-grünen Koalition, die unser Land
zurückgeworfen hat, das Vertrauen aussprächen.


(Zuruf von der SPD: Sie können ja noch nicht einmal vertrauliche Informationen für sich behalten!)


Sie können unser Vertrauen nicht haben. Ihre Gesell-
schaftspolitik schielt ausschließlich auf Minderheiten
und missachtet die Meinung der Mehrheit. Das war bei
Frau Müller noch einmal sehr deutlich zu hören: Nicht
beispielsweise die Familie stand im Mittelpunkt der Be-
trachtung – das ist bei Ihnen nicht so –, sondern Minder-
heiten, für die man eine Sonderlösung gefunden hat.


(Zuruf von der SPD: Sie haben es nötig!)


Erst der Protest von Millionen von Menschen hat Sie zum
Beispiel davon abgehalten, den Doppelpass für Millionen
von Menschen auszustellen.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Daran müssen Sie jetzt gerade erinnern!)


Und es ist genauso verantwortungslos, wenn man an-
gesichts von 4 Millionen Arbeitslosen die Zuwanderung
in dieses Land erhöhen will.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deswegen haben wir kein Vertrauen in Ihre Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie tun zu wenig für unsere Sicherheit. Islamische Ex-
tremisten werden trotz aller martialischen Reden des Bun-
desinnenministers nicht entschlossen ausgewiesen, und
sie werden auch nicht von Deutschland ferngehalten.


(Widerspruch bei der SPD)


Warum wird nicht sofort der Fingerabdruck im Per-
sonalausweis eingeführt?


(Jörg Tauss [SPD]: Weil es da noch technische Probleme gibt!)


– Da gibt es auch ein technisches Problem, Herr Kollege
Zwischenrufer. Beim letzten Mal habe ich, weil ich es an
der Qualität Ihrer Zwischenrufe gemessen habe, geglaubt,
Sie säßen noch weiter links; dafür entschuldige ich mich
ausdrücklich bei der PDS. – Herr Kollege Zwischenrufer
von der SPD, es geht um ein technisches Problem, das
gelöst werden muss.

Frankreich und Großbritannien schützen gefährdete
Anlagen durch das Militär. Gerade aufgrund der Aussagen
des Bundesinnenministeriums wissen wir, dass auch wir

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Michael Glos

19875


(C)



(D)



(A)



(B)


Anschläge befürchten müssen, wenn wir unsere Solidari-
tät einlösen. Warum ist es bei uns nicht möglich,
gefährdete Großanlagen wie Chemiewerke oder Atom-
kraftanlagen durch das Militär zu schützen?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Da Sie nicht aus Überzeugung, sondern wegen des Zu-
standes Ihrer Koalition auf diesen Schutz verzichten,
müssen wir Ihnen das Vertrauen verweigern.

Wir verweigern Ihnen auch das Vertrauen, weil Sie un-
sere Bundeswehr sträflich vernachlässigt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Ach du lieber Gott!)


Die Bundeswehr ist nur bedingt einsatzfähig, wenn ich
den Generalinspekteur richtig verstanden habe. Herr Bun-
deskanzler, Sie selbst haben 1998 gesagt, die Bundeswehr
stoße beim Sparen mit dem Helm an die Decke. Trotzdem
haben Sie ihr nicht mehr Geld gegeben, sondern nötige
Mittel entzogen.

Die Regierung verdient auch deswegen kein Vertrauen,
weil sie Europa bisher hat links liegen lassen. Auch hier
ist nichts vorangegangen. Gerade jetzt wäre es wichtig,
wenn man Europa weitergebracht hätte.


(Zuruf von der SPD: Das glauben Sie doch selbst nicht, was Sie da sagen!)


Auch wäre es wichtig, wenn die Menschen Hoffnungen
auf die Osterweiterung setzen könnten, anstatt dass man
über ihre Sorgen einfach hinweggeht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Diese Regierung hat auch keine Grundlage mehr, weil
sie Deutschland in die Rezession schlittern lässt.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Nicht schlittern lässt, geführt hat!)


Es ist Ihr Abschwung – das ist heute schon einmal gesagt
worden – und es sind Ihre Arbeitslosen, Herr Bun-
deskanzler.


(Brunhilde Irber [SPD]: Die Schulden, die Sie uns hinterlassen haben, sind Ihre Schulden!)


Entgegen Ihren Versprechungen haben Sie eine Politik
gemacht, die zwar Randgruppen befriedigt, aber die brei-
te Mitte unseres Volkes vernachlässigt hat.


(Zuruf von der SPD: Es ist eine Zumutung, Ihnen zuhören zu müssen!)


Sie haben eine Steuerreform gemacht, die arbeit-
nehmer- und mittelstandsfeindlich ist. Deswegen haben
wir kein Vertrauen zu Ihnen.

Wir haben auch kein Vertrauen zu Ihnen, weil unser
Land dank Ihrer Regierung inzwischen zum Schlusslicht
in der Europäischen Union geworden ist, was Wachstum
anbelangt.

Sie halten Ihre Versprechungen an keiner Stelle. Die
Sozialversicherungsbeiträge steigen auf 41,5 Prozent,
die gesetzliche Krankenversicherung ist in einer Krise,
Ökosteuer und Lohnnebenkosten steigen gleichzeitig, die

Arbeitnehmer und die Rentner haben an Kaufkraft ver-
loren.

Deswegen muss diese Regierung beendet werden und
deswegen haben wir keine Sorge vor Neuwahlen.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deswegen wäre es richtig, wenn Sie so abstimmen wür-
den, dass der Weg für Neuwahlen frei wird. Jeder Tag, an
dem Sie noch regieren, ist für Deutschland ein verlorener
Tag, denn es wird nichts bewegen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ihre Politik verdient kein Vertrauen, weil sie nicht
gerecht ist. Die Rentenreform ist ungerecht und steht auf
falschen Grundlagen. Sie sind auch nicht der Kanzler aller
Deutschen: Sie haben protestierenden Bauern zugerufen:
Geht doch zu denen, die euch gewählt haben!


(Zurufe von der CDU/CSU: Pfui!)


So etwas ist nicht in Ordnung, Herr Bundeskanzler.

Wenn Sie jetzt auch noch auf eine breite Mehrheit im
Bundestag verzichten, da es um den gefährlichsten Ein-
satz geht, den die Bundeswehr je gehabt hat, dann schaden
Sie dem Ansehen Deutschlands in der Welt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Ich zitiere den „Tagesspiegel“, eine Zeitung, die relativ
unverdächtig ist, im Sold von CDU und CSU zu stehen.
Gerd Appenzeller fragt:

Darf der Kanzler ein innenpolitisches Spiel mit so
hohen außenpolitischen Risiken eingehen?

Er gibt auch gleich die Antwort:

... mit dem Blick auf Deutschlands Rolle in der Welt
zeugt es von einem Mangel an Verantwortungs-
gefühl.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1420201500
Sie sind ein
verantwortungsloser Spieler, wenn es um die Interessen
unseres Landes geht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Pfui! – Das ist eine Unverschämtheit!)


Heute ziehen Sie die Notbremse. Es gab vorher ein Hin
und Her. Der Vorsitzende der SPD-Fraktion hat noch Ende
letzter Woche erklärt, die eigene Mehrheit spiele keine
Rolle, Hauptsache, es gebe eine breite Mehrheit. Der
Bundesverteidigungsminister hat nachgelegt und Ähnliches
gesagt. Dann sind Sie plötzlich umgeschwenkt, weil Sie
gemerkt haben, dass es auch in den eigenen Reihen einen
ungeheuer großen Erosionsprozess gibt, den man mit
Verbaldrohungen allein nicht stoppen kann. Die Verbaldro-
hungen gegenüber einzelnen Abgeordneten sind ja bekannt.

Herr Bundeskanzler, ein allerletztes Wort: Wem man
das Rückgrat bricht – ich schaue dabei die Abgeordneten
an, die eigentlich zu Unrecht in der Mitte dieses Parla-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Michael Glos

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ments sitzen –, von dem kann man morgen nicht erwarten,
dass er einen stützen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich sage noch einmal: Gehen Sie doch den ehrlichen Weg!
Verkürzen Sie den Agonieprozess, in dem Rot-Grün
steckt.

Eines, was Kerstin Müller vorhin gesagt hat, war
richtig:


(Zuruf von der CDU/CSU: Aber nur eines!)


Macht wird nur auf Zeit verliehen. – Ihre Zeit ist um,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


weil das Fundament dieser Koalition kaputt ist.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das glaubt noch nicht einmal Ihre eigene Fraktion!)


Vor allen Dingen hat Ihre Politik das Vertrauen der Men-
schen und das Vertrauen in unser Land verspielt. Eine
solche Politik ist nicht mehr im Interesse Deutschlands.
Deswegen werden wir Ihnen heute nicht das Vertrauen
aussprechen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Gernot Erler [SPD]: Das ist ja eine Riesenüberraschung!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420201600
Ich erteile Bun-
desminister Joseph Fischer das Wort.

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen

(vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und von der SPD mit Beifall begrüßt)

ren! Wenn das Niveau Ihrer Rede, Herr Glos, nicht so
furchtbar niedrig gewesen wäre


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU)


– Sie sollten einmal darüber nachdenken, was Sie gerade
dem Bundeskanzler vorgeworfen haben –, dann wäre Ih-
nen zu danken. Ich tue es trotzdem, weil Sie die Alter-
native, die heute zur Abstimmung steht, für die Koalition
klar erkennbar gemacht haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Doch bevor ich darauf eingehe, gestatten Sie mir, dass
ich auf ein wichtiges Ereignis hinweise, das heute Nacht
stattgefunden hat. In Mazedonien wurde die Verfas-
sungsänderung abschließend beschlossen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hans-Peter Repnik [CDU/ CSU]: Ohne eigene Mehrheit!)


Mazedonien hat nun erstmals eine Verfassung, der die
albanische Minderheit zugestimmt hat. Das Gesamt-
paket – die Abstimmung fand heute Morgen um 1 Uhr

statt – wurde mit 94 zu 13 Stimmen angenommen. Wenn
Sie jetzt meinen, darauf hinweisen zu müssen, dass
damals der Einsatz der Bundeswehr in Mazedonien ohne
rot-grüne Mehrheit beschlossen worden ist, dann erin-
nere ich Sie an das Abstimmungsverhalten Ihrer eigenen
Fraktionen und an die Reden, die Sie damals gehalten
haben. Die sollten Sie wirklich einmal nachlesen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es ist das erste Mal – deswegen erwähne ich es, und
dieser Politik weiß sich diese Bundesregierung ver-
pflichtet –, dass es nach der Tragödie des Ausei-
nanderbrechens Jugoslawiens gelungen ist – bei allen
Schwierigkeiten, vor denen wir noch stehen –, präventiv
die blutige Spirale von Bürgerkrieg und ethnischer Säu-
berung zu stoppen. Das ist die Grundlage unserer Politik,
wenn wir von präventiver Politik sprechen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dazu gehört als Ultima Ratio auch die militärische
Seite. Wir versuchen zwar auch in der innerstaatlichen
Politik, das Auftreten von Gewalttätern und Gewalttaten
vorbeugend zu verhindern. Aber wenn Gewalttäter auf-
treten, wenn schwere Verbrechen drohen oder gar began-
gen werden, dann muss durchgegriffen werden. Das gilt
auch für die Weltinnenpolitik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


In dieser Ultima Ratio erschöpft sich Politik aber nicht,
sondern da beginnt sie erst. Eine gute Politik ist, wenn das
verhindert werden kann, wenn es gar nicht erst so weit
kommt.

Ich werbe hier bei der Vertrauensfrage für die Politik
dieser Bundesregierung. In Afghanistan zeigt sich doch,
dass nach dem militärischen Erfolg die eigentliche Auf-
gabe jetzt erst beginnt. Es darf eben nicht mehr wie nach
dem Ende des Kalten Krieges sein.

Es gibt Leute, die aus völlig legitimen innenpolitischen
Gründen plötzlich den Pazifismus entdeckt haben. In
Ihren Reihen gibt es aber auch manche, die aus Überzeu-
gung Pazifisten sind, und das ist etwas völlig anderes. Die
gehören nicht zu denen, Herr Claus, die auf Ihrem letzten
Bundesparteitag herumgelaufen sind und hinter vorgehal-
tener Hand zu Journalisten gesagt haben: Wenn wir ein-
mal in die Bundesregierung eintreten, werden wir nicht
die Probleme haben, die Bündnis 90/Die Grünen haben. –
Da sollten Sie schon ehrlich sein.

In Ihrem Entschließungsantrag vom 7. November 2001
heißt es auf der Seite 1:

... die Talibanherrschaft scheint nach wie vor unge-
brochen, ihre Truppen sind offenbar kampfkräftig
und hochmotiviert, ...

Das ist wirklich eine fundierte Analyse!


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Michael Glos

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Als jemand, der einer Partei angehört, die sich mit die-
ser Entscheidung immer schwer getan hat, werbe ich um
die Zustimmung gerade jener, die zweifeln – ich habe in
den letzten Tagen erlebt, wie schwer das auch persönlich
ist –, weil ich ihre Grundhaltung achte. Das ist kein op-
portunistischer Pazifismus, sondern ehrliche Überzeu-
gung. Gerade in diesem Werben möchte ich klar machen,
dass jetzt die Hauptaufgabe vor uns liegt, nämlich Hilfe
zu sichern. Wir haben jetzt die große Chance dazu. Über-
all dort, wo die Nordallianz ist, können die Vereinten Na-
tionen mit ihren Hilfsorganisationen und die NGOs wie-
der in das Gebiet hinein. Wir können die Hilfe zu den
Menschen bringen – das ist für mich ein ganz entschei-
dender Punkt –; diese Hilfe muss gesichert werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir müssen fortfahren im Kampf gegen den Terroris-
mus, der jetzt zunehmend zielgenau auf das terroristische
Netzwerk und die Verantwortlichen geht. Genau das ist In-
halt des Antrags der Bundesregierung, wie wir ihn vorge-
legt haben. Präventiv soll maritime Sicherheit geschaffen
werden. Vor allem wollen wir die Möglichkeiten, die wir im
humanitären Bereich haben – Transportkapazitäten –,
einsetzen. Wir wollen uns an der direkten Terrorbekämp-
fung beteiligen. Das ist der Inhalt. Das haben wir präzisiert.

Ich weiß nicht, ob sich der Kollege Glos seine Reden
und Auftritte selbst anschaut.


(Zuruf von der SPD: Das ist unzumutbar!)


Wenn er seine Rede von heute anschaute, müsste er mer-
ken, dass er wie die geschminkte Großmutter im Märchen
vom Rotkäppchen gewirkt hat, als er hier zur Unterbre-
chung aufgefordert hat.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)


„Großmutter, warum hast du denn so große Ohren?“,
könnte man fragen. Merken Sie das denn nicht? Man
sieht, wie er meint, die CSU führen zu können, wenn er
uns unterstellt, dass wir auf eine solche Darbietung he-
reinfallen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Wie war das mit dem Niveau? – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


– Wenn ich Ihr Niveau anstrebte, würde ich die Arbeitslo-
sendebatte beginnen. Mit welcher Zahl haben Sie sich
denn aus der Macht verabschiedet? Waren das 2 Millionen
Arbeitslose? Waren das 3 Millionen Arbeitslose?


(Zurufe von der CDU/CSU: Und jetzt 4 Millionen! – Was hat denn Ihr Bundeskanzler gesagt?)


Hatten wir da eine Weltwirtschaftskrise, wie wir sie heute
haben?


(Unruhe bei der CDU/CSU)


Ich erinnere mich nur zu gut und die Mehrheit in diesem
Lande erinnert sich nur zu gut. Schauen Sie sich die Um-
fragen an!

Sie sagen, Sie wollten diese Vertrauensabstimmung so
gestalten, dass es kein Vertrauen für diese Regierung gibt;
das müssen Sie offiziell ja auch sagen.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Genau so!)


In Wirklichkeit aber – das wissen Sie so gut wie ich – ha-
ben Sie doch heute Nacht Stoßgebete gesprochen, damit
es nicht zu Neuwahlen kommt.


(Lebhafter Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Von wegen!)


In Wirklichkeit zünden Sie Kerzen an und halten Bitt-
gottesdienste ab mit dem Ziel: Lasst den Schröder bloß
weiter regieren! Das ist insgeheim Ihre Haltung und Sie
wissen auch ganz genau, warum.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Dann machen Sie es doch anders! Wenn Sie das wollen, dann stimmen Sie doch anders ab!)


Nachdem ich Ihre Reden heute gehört habe, meine
Damen und Herren, kann ich Ihnen nur sagen: Diese Ko-
alition hat diese Republik entscheidend erneuert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU)


Ich kann mich noch daran erinnern, wie es in den letzten
Jahren der Regierung Helmut Kohl war. Sie können über
die Steuerreform sagen, was Sie wollen. Wer hat denn
schon aus der Opposition heraus Familienpolitik gemacht
und Herrn Waigel zu einer Erhöhung des Kindergeldes
gebracht? Das war damals die rot-grüne Opposition!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Michael Glos [CDU/CSU]: Warum sind Sie so nervös? Schreihals!)


Ich sage Ihnen: Wir haben für die Familien mehr als Sie
gemacht. Vor allen Dingen haben wir damit begonnen,
den Skandal zu beenden, dass Kinder in diesem Land das
größte Armutsrisiko bedeutet haben.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Was? Ökosteuer!)


Das haben wir beendet, und dies werden auch weiterhin
die Maßstäbe unserer Politik sein. Wir müssen uns in
dieser Hinsicht von Ihnen überhaupt nichts vorhalten
lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn wir als Europäer in Zukunft eine größere Rolle
spielen wollen – ich meine, wir müssen sie spielen –, dann
heißt das: Wir müssen Europa sozusagen durchdeklinieren.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Dann machen Sie es doch! – Michael Glos [CDU/CSU]: Was haben Sie denn zustande gebracht?)


Wir müssen ein demokratisches Europa schaffen, das
aber auch sicherheits- und verteidigungspolitisch endlich
handlungsfähig wird und seiner Rolle gerecht werden
kann. Man kann diesem Bundeskanzler und dieser Bun-

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Bundesminister Joseph Fischer

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desregierung nicht vorwerfen, europapolitisch nichts auf
den Weg gebracht zu haben.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Wo denn? Was denn?)


In welches Glas haben Sie denn geschaut? Hören Sie sich
doch einmal an, was die Nachbarn dazu sagen! Schauen
Sie doch einmal genau hin, welche Rolle die Bundesre-
gierung gespielt hat!

Sie haben zwar Nizza kritisiert; aber Sie haben keine
Vorschläge zum so genannten 2004-Prozess – da geht es
um die Zukunft Europas – gemacht.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Unfug!)


Diese Bundesregierung hat durchgesetzt, dass der Weg in
Richtung einer europäischen Verfassung führt und damit
mehr Handlungsfähigkeit erreicht wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ach du lieber Gott, Herr Fischer! – Michael Glos [CDU/CSU]: Anmaßend!)


Neben der Erweiterung der Europäischen Union ist dieser
Weg das entscheidende Zukunftsprojekt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich komme auf die soziale Gerechtigkeit und damit auf
die Steuerreform zu sprechen. In Ihrer Steuerreform be-
fanden sich Elemente, die zustimmungsfähig waren. Je-
doch war sie gleichzeitig gnadenlos ungerecht und nicht
austariert.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Das war der entscheidende Punkt. Auch das haben wir geän-
dert. Wir haben mehr Wettbewerbsfähigkeit geschaffen.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


– Entschuldigung, ich kann Sie nur darauf hinweisen, dass
die von Hans Eichel auf den Weg gebrachte Haushalts-
konsolidierung, dass unsere Steuerreform und anderes
bis zum Eintritt der Weltwirtschaftskrise zu einem Netto-
anstieg der Zahl der Arbeitsplätze geführt hat.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: 100 Milliarden DM mehr Neuverschuldung in vier Jahren!)


Das hat dieses Land aus Ihren letzten Jahren gar nicht
mehr gekannt!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Das ist die Realität.

Michael Glos, einer der größten Logiker, der in Bayern
jemals die politische Bühne betreten hat


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Deutschlands!)


– in Deutschland; aber ich möchte in diesem Punkt einen
Bayern nicht diskriminieren –,


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


stellt sich hin und beklagt den Anstieg der Lohnneben-
kosten. Das müsste Ihnen eigentlich doch bekannt vor-
kommen; denn in den letzten Jahren waren Sie doch der
Meister im Ansteigenlassen der Lohnnebenkosten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Gleichzeitig lehnt Herr Glos die Ökosteuer ab.

(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Jetzt haben wir beides!)


Das muss mir einmal jemand erklären. Wie wollen Sie die
Lohnnebenkosten, vor allem die Rentenversicherungs-
beiträge, weiterhin stabil halten? Wie wollen Sie einen
dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit verhindern,
wenn Sie die Ökosteuer nicht beibehalten?


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Herr Fischer, Sie sind zu viel im Ausland!)


Wenn Sie so vorgehen wollen, dann müssen Sie den Men-
schen eine entsprechende Erhöhung der Mehrwertsteuer
vorschlagen. Das sagen Sie aber bitte vor den Wahlen und
nicht nach den Wahlen, Verehrtester!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ändern Sie die Methode, die Sie bisher immer angewen-
det haben!

Heute steht hier eine wichtige Entscheidung an.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Sagen Sie etwas zu dem juristischen Problem!)


Angesichts der heutigen Debatte – ich erinnere an das,
was wir von der rechten Seite gehört haben – appelliere
ich nochmals an alle: Bedenken Sie, dass die Entschei-
dung, ob diese Regierung das Vertrauen bekommt, eine
Entscheidung über die Zukunft dieses Landes ist. Das ist
klar. Es geht darum, ob wir die ökologische und soziale
Erneuerung dieses Landes weiterführen können. Deutsch-
land braucht diese Politik. Das sage ich insbesondere an-
gesichts dessen, was wir heute hier erlebt haben. Deswe-
gen bitte ich Sie um Ihr Vertrauen.


(Anhaltender lebhafter Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zahlreiche Abgeordnete des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und einige Abgeordnete der SPD erheben sich)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420201700
Ich erteile dem Kolle-
gen Guido Westerwelle, FDP-Fraktion, das Wort.

Dr. Guido Westerwelle (FDP) (von der FDP mit Bei-
fall begrüßt): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen
und Herren! Herr Außenminister, das war eine klasse Par-
teitagsrede für den nächsten Sonntag.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr gut!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Bundesminister Joseph Fischer

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Für den Deutschen Bundestag war das aber reichlich we-
nig, wenn man bedenkt, dass der Außenminister eine
– wie der Kanzler gesagt hat – historische Entscheidung
begründen sollte.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Gernot Erler [SPD]: Was hat denn der Glos gemacht? Das war die Antwort auf Glos! – Weiterer Zuruf von der SPD: Das hat er gut gemacht!)


Sie haben hier schon einmal geübt. Das gibt uns eine Ah-
nung davon, wie es in Rostock bei den Grünen weitergeht.

Übrigens kann ich Ihnen eines voraussagen, Herr Bun-
deskanzler: Sie werden die heutige Abstimmung beste-
hen. Daran habe ich überhaupt keine Zweifel.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Waffenbrüder werden sich umarmen, sie werden Blu-
men bringen, heute Mittag wird Sekt getrunken, heute
Abend gehen sie auf dem Bundespresseball mit breitem
Grinsen tanzen – das alles ist der Abgesang einer sterben-
den Koalition.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Eine Partnerschaft, die nur durch Nötigung, Einschüch-
terung und Erpressung erhalten werden soll, ist in
Wahrheit nämlich längst am Ende.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie sind am Ende, auch wenn Sie als Koalition heute noch
einmal knapp die Hürde nehmen.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, es ist sehr bemerkenswert, was der Herr Außenmi-
nister hier vorgetragen hat. Erst einmal spricht er von
Stoßgebeten der Union: Um Himmels willen, keine Neu-
wahlen. – Ich will gar nicht ausschließen, dass bei der
Union sich mancher jetzt noch keine Neuwahlen wünscht


(Zurufe von der CDU/CSU)


– ich sage nur, ich will es nicht ausschließen –, aber ich
kenne noch jemanden, der ein Stoßgebet zum Himmel
schickt, das ist der Bundeskanzler. Der wünscht sich näm-
lich nichts anderes als Neuwahlen, weil er genau weiß: In
schwierigen Zeiten ist mit diesem Koalitionspartner keine
Regierung stabil zu halten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Aber Guido!)


– Herr Erler ruft dazwischen. Das ist derjenige, der am
Montag gesagt hat: Am Freitag wird die Koalition durch
ein Fegefeuer gehen. – Ich erkläre Ihnen das mit dem Fe-
gefeuer gern einmal. Durch das Fegefeuer geht man nur,
wenn man vorher heftig gesündigt hat, Herr Kollege. So
ist das!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, dann hat der
Herr Außenminister – das ist bemerkenswert – hier auf
Mazedonien Bezug genommen. Ihre Außenpolitik in der

Mazedonien-Frage – Herr Bundesaußenminister, das wis-
sen Sie – ist doch in Wahrheit von der Opposition mehr
gestärkt worden als von Ihren eigenen Abgeordneten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir würden doch heute gar nicht über die Vertrauensfrage
abzustimmen haben, wenn Sie bei der Mazedonien-Frage
nicht gerade jüngst erst bemerkt hätten, dass Sie in we-
sentlichen Fragen der deutschen Außenpolitik keine ei-
gene Mehrheit haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Sie hatten sie bei der Mazedonien-Entscheidung nicht und
Sie haben sie in Wahrheit auch heute nicht. Denn was ist
das eigentlich für eine Mehrheit, die heute hier zustande
kommt?

Frau Vollmer, unsere gewissenspolitische Sprecherin
der Nation,


(Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU)


lässt sich am Donnerstag auf dem „Stern“-Titel feiern:
„Stoppt diesen Krieg!“ Als in dieser Woche die Vertrau-
ensfrage bekannt wurde, erklärte sie: Ich werde mit Ja
stimmen. Es ist ein Ja, das eigentlich ein Nein ist. So ent-
steht Politikverdrossenheit, Frau Kollegin.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der PDS)


Herr Hermann verkündet heute, er müsse das jetzt gar
nicht mehr ganz so ernst nehmen. Das ist jetzt ganz ge-
schickt gemacht worden. Wahrscheinlich haben Sie ge-
lost, wer von den acht Leuten mit Ja und wer mit Nein
stimmen muss, damit Sie knapp beim erforderlichen Vo-
tum bleiben.

Dann erleben wir hier persönliche Erklärungen. Frau
Kollegin Beer erklärt, die Vertrauensfrage sei ein Angriff
auf die Gewissensfreiheit. Es werden Erklärungen zu Pro-
tokoll gegeben, die in Wahrheit das Misstrauen für diese
politische Entscheidung zum Ausdruck bringen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Michael Glos [CDU/CSU]: So ist es!)


Es wird ein getürktes Ergebnis auf die Vertrauensfrage
geben, das Sie nur mit der Rute bewirkt haben, das Sie nur
bewirken konnten, Herr Bundeskanzler, weil Sie den Grü-
nen mit Verlust ihres Dienstwagens gedroht haben. Und
darauf wollt ihr nicht verzichten!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ihr steigt heute aus der Friedensbewegung auf den Feld-
herrnhügel und euer Fall wird ganz schön tief sein.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist bemer-
kenswert, was jetzt alles hier passiert und welche Legiti-
mationen heute herhalten müssen. Zunächst einmal kom-
men Sie ja nicht nur mit Drohungen zu dem Ergebnis Ihrer
Vertrauensfrage, sondern auch mit nun wirklich offen-
kundig falschen Erklärungen. Ein Blick ins Gesetz er-

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Dr. Guido Westerwelle

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leichtert die Rechtsfindung, das lernt man schon im ersten
Semester.


(Zuruf von der CDU/CSU: Auch Herr Struck?)


Deswegen möchte ich Ihren Blick einmal auf das lenken,
was in Wahrheit die verfassungsrechtliche Grundlage un-
serer heutigen Entscheidung ist. Das ist nämlich die Ent-
scheidung des Bundesverfassungsgerichts im Entschei-
dungsband 90, Seite 286 ff. Es schadet ja im Leben nicht,
wenn man noch mehr zu Ende gemacht hat als die Fahr-
schule.

Da steht wörtlich:

Freilich ist der Bundestag bei seiner Beschlussfas-
sung an die mit seiner Zustimmung zustande ge-
kommenen rechtlichen Festlegungen über den Ein-
satz bewaffneter Streitkräfte gebunden.

Wenn Sie heute zustimmen, reden Sie sich nicht damit he-
raus, Sie könnten den Beschluss zurücknehmen. Aus ei-
gener Kraft können Sie das nicht,


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


sondern nur, wenn Sie von der Bundesregierung hinters
Licht geführt würden oder sich die weltpolitischen Um-
stände dramatisch änderten, also quasi die Geschäfts-
grundlage wegfiele.


(Unruhe bei der SPD)


Das ist die verfassungsrechtliche Ausgangslage, die
uns allen das Verfassungsgericht vorgibt. Wenn Sie Ihre
eigene Fraktion nur dadurch für sich gewinnen können,
dass Sie Ihre Politik mit falschen juristischen Angaben
untermauern, ist Ihre Koalition weiß Gott am Ende.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dann hören wir vom Herrn Außenminister – auch ein
bemerkenswerter Vorgang –, dass er diese Entscheidung,
weil die Taliban immer mehr vertrieben werden – Gott sei
Dank –, weil die Nordallianz zunehmend Landgewinne zu
verzeichnen hat, also weil es militärischen Erfolg gibt,
plötzlich akzeptieren und moralisch rechtfertigen will.
Welche Werte enthält eigentlich eine solche Politik, meine
Damen und Herren?


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der PDS)


Entweder sind Sie der Meinung, eine Beteiligung an der
Antiterrorallianz sei moralisch geboten – dann müssen
Sie zustimmen – oder Sie sind der Meinung, sie sei mora-
lisch falsch – dann dürfen Sie nicht zustimmen. Sie dür-
fen aber Ihre Zustimmung in diesem Hause nicht von
Landgewinnen und momentanen militärischen Erfolgen
abhängig machen. Eine solche Politik orientiert sich nicht
an Werten und ist nicht fundiert.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der PDS)


Ich sage Ihnen mit großer Klarheit: Wir werden bei die-
ser Vertrauensfrage mit Nein stimmen, und zwar nicht,
weil wir die Außen- und Sicherheitspolitik in dieser Frage
kritisieren. Nein, das trifft in keiner Weise zu und das wer-

den wir auch in Entschließungsanträgen deutlich machen.
Die Soldatinnen und Soldaten, ihre Familien und
Freunde, die uns jetzt zuschauen, wissen, dass die bürger-
liche Opposition in diesem Hause hinter ihnen steht.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Aber es kommt ganz gewiss nicht infrage, Rot-Grün ins-
gesamt das Vertrauen auszusprechen.

Lesen Sie nur einmal den in dieser Woche veröffent-
lichten Bericht der Wirtschaftsweisen; Sie stellen dann
fest, dass die Bundesrepublik Deutschland zum ersten
Mal seit ihrer Gründung das absolute Schlusslicht in ganz
Europa beim Wirtschaftswachstum ist. Auch früher gab es
Zeiten mit geringem Wirtschaftswachstum, aber da stan-
den wir in Europa wenigstens relativ gut da. Jetzt sind wir
das Schlusslicht.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: So ist das!)


Sie führen dieses Land mit Ihrer bürokratischen, staats-
wirtschaftlichen Politik in die Rezession.


(Wilhelm Schmidt sinn!)


Diese führt zu mehr Arbeitslosigkeit. Dafür geben wir Ih-
nen nicht unser Vertrauen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Der Bundeskanzler – ich werde es ihm beim nächsten
Gespräch bei einer Zigarre wieder alles erzählen; dann
werden Sie wieder schön kuschen, um das klar zu sagen – –


(Lachen bei der SPD)


– Das ist ja für Sie schon ein wichtiges Disziplinierungs-
instrument geworden.


(Gernot Erler [SPD]: Billig!)


Herr Bundeskanzler, ich sage Ihnen mit großer Klar-
heit: Stellen Sie Ihre Vertrauensfrage nicht an dieses
Haus, stellen Sie Ihre Vertrauensfrage an das deutsche
Volk! Wir wollen, dass in dieser historischen Situation das
Volk gefragt wird. Wir wollen, dass es Wahlen gibt. Las-
sen Sie die Wähler entscheiden, ob dieser Weg mit dieser
Koalition weitergegangen werden soll.


(Gernot Erler [SPD]: Mit euch niemals!)


Wir jedenfalls werden gegen diese Koalition kämpfen.


(Anhaltender Beifall bei der FDP – Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420201800
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Gregor Gysi, PDS-Fraktion.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1420201900
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Der Bundesaußenminister hat zu Recht darauf
hingewiesen, dass unser Antrag vom 7. November – an
dem Tag ist er eingereicht worden – heute natürlich auf-
grund der zwischenzeitlich eingetretenen Veränderungen
hinsichtlich einiger weniger Aussagen nicht mehr ganz ak-
tuell ist. Erstaunlicher finde ich aber, dass der gerade
erst eingebrachte Antrag der Regierung, über den heute

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Dr. Guido Westerwelle

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entschieden werden soll, schon nicht mehr aktuell ist. Dort
ist vom Talibanregime in Kabul die Rede, das beseitigt
werden soll. Zumindest in Kabul gibt es das nicht mehr. In-
sofern hätten Sie Ihren Antrag vielleicht ändern müssen.


(Beifall bei der PDS)

Die PDS-Fraktion bleibt bei ihrem Nein zur Beteili-

gung Deutschlands an diesem Krieg, weil wir diesen
Krieg nach wie vor für falsch halten und weil wir eben-
falls davon überzeugt sind, dass er jetzt in eine andere
Phase tritt, die nicht etwa leichter, sondern zum Teil sehr
viel komplizierter wird. Es muss in dieser Gesellschaft
immer noch möglich sein – wenn man sich darüber einig
ist, dass der Terrorismus zu bekämpfen ist –, über den
Weg der Bekämpfung demokratisch zu streiten. Da darf es
auch keine falschen Disziplinierungen geben.


(Beifall bei der PDS)

Afghanistan ist ein wirklich geschundenes Land –

schon durch die sowjetische Invasion, die über viele
Jahre, von 1980 bis 1989, dauerte, dann auch durch die
Mudschahedin und die Taliban. Es wird höchste Zeit, dass
ein anderes Regime kommt. Das hätte übrigens vorausge-
setzt, dass man über Jahre die demokratischen Kräfte Af-
ghanistans hätte unterstützen müssen, was aber nicht ge-
schehen ist.


(Beifall bei der PDS)

Hier wird in diesem Zusammenhang sehr viel über

Frauenrechte gesprochen. Ich bin dagegen, die Dinge zu
verschieben. Es wird doch nicht wegen der Frauenrechte
bombardiert,


(Beifall bei der PDS)

sondern es wurde wegen der Anschläge in New York und
Washington bombardiert. Denn wenn es um die Frauen-
rechte ginge, frage ich: Wie viele Länder wollen Sie denn
noch bombardieren, bis Sie die durchgesetzt haben? Das
kann nicht der Weg sein, um Frauenrechte durchzusetzen.


(Beifall bei der PDS)

Der Weg führt nur über die Stärkung der demokratischen
Kräfte.

In dem Antrag ist so vieles unklar. Herr Bundeskanz-
ler, Sie haben bis heute nicht die Frage beantwortet, wo-
hin eigentlich diese Spürpanzer fahren sollen. In Afgha-
nistan werden sie mit Sicherheit nicht gebraucht; dort gibt
es gar keine ABC-Waffen – zumindest nach allen Infor-
mationen, die uns vorliegen. Vielleicht ist es der Irak.
Aber dann sagen Sie, dass sie für den Irak vorgesehen
sind, damit hier klar wird, dass dieser Krieg nicht mit Af-
ghanistan endet, sondern weitere Länder erfassen wird.
Darüber das Parlament im Unklaren zu lassen ist wirklich
nicht in Ordnung.


(Beifall bei der PDS – Gernot Erler [SPD]: Lesen Sie doch mal Ziffer 7, Herr Gysi! Das ist ausgeschlossen!)


Ich will Ihnen sagen, was der Unterschied ist. Wir waren,
was die Bekämpfung des Terrorismus betrifft, für die Haupt-
überschrift „Strafverfolgung“. Das heißt nämlich: Bestra-
fung der Schuldigen, aber auch Schutz der Unschuldigen.
Krieg läuft unter dieser Überschrift nicht; er trifft nicht die

Schuldigen und schützt auch nicht die Unschuldigen, ganz
im Gegenteil. Das ist auch das Ergebnis dieses Krieges.

Ich habe mit großem Interesse gehört, Frau Bundesmi-
nisterin, wie Sie die Entwicklungshilfe fördern wollen.
Nur, dann müssen Sie schon eines klarstellen. Wenn das
Ihre präventive Politik sein soll, wenn das das Neue an
dieser Regierung sein soll: Weshalb ist der Etat der Ent-
wicklungshilfe heute noch immer niedriger als im letzten
Regierungsjahr von Kohl? Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das stimmt! Wo er Recht hat, hat er Recht!)


Insofern bin ich davon überhaupt nicht überzeugt. Auch
2002 sollte er übrigens deutlich niedriger sein als 2001.
Aber die Haushaltsberatungen sind ja noch nicht abge-
schlossen.

Nun haben Sie, Herr Bundeskanzler, das Ganze mit der
Vertrauensfrage verbunden. Das wird Ihnen ja vorge-
worfen. Ich finde, es gibt doch eine gewisse Berechti-
gung. Ich will auch sagen, weshalb – ich meine es ernst –:
Der Bundeskanzler will zum zweiten Mal in dieser Le-
gislaturperiode, dass sich Deutschland an einem Krieg be-
teiligt. Für ihn ist es selbstverständlich nicht unwichtig,
ob seine eigenen Koalitionsfraktionen ihm diesbezüglich
vertrauen und ihn unterstützen. Wenn sie es nicht täten,
könnte er meines Erachtens diesen Krieg nicht führen; er
könnte ihn nicht führen, allein gestützt auf die bürgerliche
Opposition. Insofern mag an der Vertrauensfrage etwas
dran sein.

Nur, es gibt einen entscheidenden Schönheitsfehler.
Sie, Herr Bundeskanzler, haben nämlich bis zum Sonntag
erklärt: Es ist zwar bedauerlich, aber letztlich nicht son-
derlich wichtig, ob die Mehrheit aus den eigenen Fraktio-
nen kommt. Hauptsache, es gibt eine große Mehrheit des
gesamten Parlaments. Damit haben Sie die so genannten
Abweichler geradezu animiert,


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ermuntert!)


Erklärungen abzugeben und zu sagen: Wir sagen auf je-
den Fall Nein. Nachdem die sich festgelegt haben, kom-
men Sie mit der Keule der Vertrauensfrage, um sie erfolg-
reich vorzuführen, und das wird Ihnen auch gelingen.


(Beifall bei der PDS – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das war ganz hinterlistig!)


Das Folgende sage ich zu denen, die aus Überzeugung
Nein sagen wollten. Herr Westerwelle hat ja Recht. Ich
finde auch, dass es das abenteuerlichste Argument ist, die
militärischen Teilerfolge der USA und der Nordallianz
anzuführen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja!)


Entweder ist der Krieg richtig – dann muss man ihn auch
führen, wenn man keine militärischen Teilerfolge vorwei-
sen kann – oder er ist falsch. Dann kann man ihn nicht im
Ernst plötzlich für richtig halten, bloß weil es militärische
Erfolge gibt. Das macht einen Krieg nicht richtiger. Das
ist wirklich eine abenteuerliche Argumentation.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Dr. Gregor Gysi

19882


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich sage Ihnen in diesem Zusammenhang aber noch et-
was anderes. Wenn diejenigen, die schriftlich, mündlich
und in Interviews erklärt haben, dass sie dem Krieg aus
Gewissensgründen nicht zustimmen können, heute sagen,
dass sie jetzt doch zustimmen werden, weil die Entschei-
dung mit der Vertrauensfrage verbunden ist, dann muss ich
sagen, dass das wirklich der blanke Opportunismus ist.


(Beifall bei der PDS sowie des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP])


Das führt zu einer Beschädigung von Demokratie und des
Ansehens aller Politikerinnen und Politiker; denn im Kern
bedeutet dies doch: Ein bisschen Mandat und ein bisschen
Regierungsbeteiligung sind wichtiger als die Frage von
Krieg und Frieden. Das zerstört Vertrauen in dieses Parla-
ment und auch in diese Koalition.


(Beifall bei der PDS)


Sie haben ja die Frage für sich schon beantwortet.

Ich muss Ihnen noch aus einem anderen Grunde einen
Vorwurf machen: Ich lese immer wieder, wie vielen ehe-
maligen Bürgerinnen und Bürger der DDR vorgeworfen
wird, dass sie sich unter den Bedingungen einer Diktatur
opportunistisch verhalten haben. Man muss hinzufügen:
Wenn sie damals Nein gesagt hätten, wäre das mit exis-
tenziellen Fragen verbunden gewesen. Hier geht es aber
nur um ein Bundestagsmandat und Sie haben noch nicht
einmal den Mut, zu Ihrem Nein zu stehen, das Ihrer Über-
zeugung entspricht. Sie sind nicht mehr berechtigt, Vor-
würfe an die ehemaligen Bürgerinnen und Bürger der
DDR zu richten.


(Beifall bei der PDS)


Eine weitere Bemerkung zu diesem Punkt. Es wird ein
falsches Bild inszeniert, nämlich das Bild, dass die Grü-
nen insgesamt geschwankt haben. Die große Mehrheit
von 39 war immer dafür. Es gab nur wenige, die eine an-
dere Auffassung hatten. Diese werden jetzt erfolgreich
diszipliniert. Das ist der eigentlich traurige Vorgang.

Angesichts der Ziererei – jeden Tag kann man in der
Zeitung lesen, wie Sie sich immer quälen – muss ich Ih-
nen sagen: Sagen Sie doch einfach Ja dazu. Das ist doch
zum größten Teil Ihre Überzeugung. Die anderen müssen
den Mut zum Nein haben. Aber es darf nicht diesen Eier-
tanz „ein bisschen weniger Bomben oder einen Tag aus-
setzen“ geben. Das ist doch nicht auszuhalten. In dieser
Frage gibt es letztlich nur ein Ja oder ein Nein. Zu den
Konsequenzen muss man dann auch stehen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420202000
Kollege Gysi, Ihre
Redezeit ist deutlich überzogen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1420202100
Eine letzte Bemerkung.
Herr Bundeskanzler, da Sie die Entscheidung mit der

Vertrauensfrage verbunden haben, möchte ich dem Bun-
desaußenminister raten: Äußern Sie sich nie wieder so
schnell zur Innenpolitik! Sie haben sich jahrelang damit

nicht beschäftigt. Alle Ihre Aussagen zur Arbeitslosigkeit,
zur Wirtschaftskraft und zur Ökologie


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Stimmen überhaupt nicht!)


stimmen nicht. Die innere Einheit ist in den letzten drei Jah-
ren keinen Millimeter vorangekommen. Im Gegenteil: Die
Schere ist weiter auseinander gegangen. Deshalb können
Sie von uns kein Vertrauen erwarten, sondern nur ein Nein.


(Anhaltender Beifall bei der PDS – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So etwas wollte Regierender Bürgermeister werden!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420202200
Ich erteile das Wort
der Kollegin Andrea Nahles, SPD-Fraktion.


Andrea Nahles (SPD):
Rede ID: ID1420202300
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Wenn alle Abgeordneten in diesem
Hohen Hause heute wie eine Dampfwalze über eine so
schwerwiegende Entscheidung gerollt wären, wie Sie es,
Herr Glos, eben empfohlen haben, dann müsste es einem
wirklich angst und bange in Deutschland werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ha, ha!)


Ich halte für meine Fraktion fest: Die Befragung des ei-
genen Gewissens und das kritische Hinterfragen von
Sachentscheidungen sind keine Schwäche, ganz beson-
ders dann nicht, wenn es um das Leben von Menschen
geht. Im Gegenteil: Dass viele Abgeordnete die Entschei-
dung nicht auf die leichte Schulter genommen haben, ist
ehrenwert und auch notwendig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Eine Kultur des Zweifelns, wie Willy Brandt es ausge-
drückt hat, muss Raum haben. Auch das gilt es mit der
heutigen Entscheidung zu erhalten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich sage aber auch: Gewissen ist auch auf die Über-
prüfung mit Argumenten angewiesen. Deswegen haben
wir heute zwei Gewissensentscheidungen zu treffen. Die
eine Frage ist: Wie wichtig und wie wertvoll ist der
Fortbestand der rot-grünen Regierungskoalition? Die an-
dere Frage lautet: Wie entscheiden wir uns hinsichtlich
des Einsatzes der deutschen Streitkräfte?

Ich möchte zur ersten Frage festhalten: Politik kennt
kein Vakuum. Räumen wir das Feld, unser Land durch
Reformen zu erneuern, wird es andere Konstellationen
geben, von denen wir sicher sein können, dass sie nicht in
unserem Sinne Politik machen werden. Es ist keinesfalls
allein die offensichtliche politische Alternativlosigkeit
der rot-grünen Koalition, die uns zusammenhält. Ich
möchte an einigen Punkten deutlich machen, dass hier ein
ganzes Projekt auf dem Spiel steht.

Was bedeutet Rot-Grün für die heute 20-Jährigen? Es
ist das erste Mal, dass sie nach 16 Jahren Regierung Kohl
eine alternative Politik erleben können, die neue Chancen

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Dr. Gregor Gysi

19883


(C)



(D)



(A)



(B)


für sie geschaffen hat. Hier nenne ich zum Beispiel die
Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit mit dem erfolg-
reichen JUMP-Programm.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Längst hat diese Generation gemerkt, dass die Ideologie
des Neoliberalismus, die Sie hier vertreten, weltweit in
eine Sackgasse führt. Das möchte ich unterstreichen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der FDP)


Was bedeutet Rot-Grün für die heute 30-Jährigen, also
für die Menschen meiner Generation? Wir wollen eine
friedliche, demokratische Gesellschaft, und zwar nicht
nur für uns – mit diesem Gedanken sind wir groß gewor-
den –, sondern für die ganze Welt. Wir wollen Verständi-
gung zwischen den Kulturen. Wir wollen eine Politik, die,
zum Beispiel im Klimaschutz, nachhaltig ist. Das alles ist
heute aktueller denn je.


(Beifall bei der SPD)


Was bedeutet Rot-Grün für die Ostdeutschen? Die Ost-
deutschen haben die „Weiter-so-Republik“ à la Kohl 1998
abgewählt, weil sie sich erhofft haben, gemeinsam mit uns
die zweite Hälfte des Weges zur inneren Einheit selbstbe-
wusst gehen zu können.


(Beifall bei der SPD)


Was bedeutet Rot-Grün den Bewegungen, die dieses
Projekt begründet haben, wie die Friedens-, Antiatom-
kraft-, Studenten- und Frauenbewegung? Mit dieser rot-
grünen Regierung haben all diese Bewegungen Gestal-
tungsmacht bekommen. Das wollen wir auch fortsetzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen sagt mein Gewissen Ja zu Rot-Grün.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Frage nach der Rolle Deutschlands hat sich nach
1989 neu gestellt. Die Frage, in welchem Rahmen wir als
Mitglied der NATO bereit sind, Militäreinsätze mitzutra-
gen, hat uns ereilt, bevor wir eine Verständigung über neue
Leitlinien der deutschen Außenpolitik gefunden hatten,
nämlich bei den Auseinandersetzungen auf dem Balkan.

Eine wesentliche Anforderung für die SPD wie auch
für die Grünen war immer, dass bei allen Militäreinsätzen
das Völkerrecht eingehalten werden muss und dass die
Legitimation dieser Einsätze durch die Vereinten Natio-
nen erfolgt. Dass der Kosovo-Einsatz völkerrechtlich
problematisch war, ist eine Hypothek, wodurch die Ent-
scheidungen in den letzten Monaten und Wochen für viele
von uns nicht einfacher geworden sind. Wir müssen das
Völkerrecht angesichts der neuen Herausforderungen
weiterentwickeln. Solange das nicht geschehen ist, ist der
UNO-Sicherheitsrat die entscheidende Größe.

Der UNO-Sicherheitsrat hat jetzt, im Gegensatz zum
Kosovo-Einsatz, den USA einstimmig das Recht auf
Selbstverteidigung zugebilligt. Ich habe mit Erstaunen

festgestellt, dass dieser Umstand in Teilen meiner Partei
und der Bevölkerung nicht zur Kenntnis genommen wird.
Aus meiner Sicht kann man ein richtiges Argument nicht
nur dann in Anspruch nehmen, wenn es einen bestätigt.
Man muss so konsequent sein, anzuerkennen, dass der
Beschluss des UN-Sicherheitsrates den Einsatz deutscher
Soldaten in einer ganz anderen Weise legitimiert, als das
bei anderen Militäreinsätzen der Fall gewesen ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auf die Frage des Einsatzes von Militär habe ich in die-
sen Tagen keine bessere Antwort gefunden als die von Er-
hard Eppler: „Militär ist gefragt, wo die Polizei überfor-
dert ist.“ Ich füge an: Militär ist gefragt, aber auf Zeit und
mit einem klar umrissenen Ziel. Militär hat eine dienende
Funktion, eingebettet in eine politische Strategie. Deshalb
sage ich Ja zur uneingeschränkten Solidarität mit dem
amerikanischen Volk. Das ist aber nicht gleichbedeutend
mit einer bedingungslosen Unterstützung der amerikani-
schen Militärstrategie. Bundeskanzler Gerhard Schröder
hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es mit dieser Bun-
desregierung keine Abenteuer geben wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit ist ein welt-
weit anerkannter Grundsatz. Bilder von getöteten Kindern
oder der Einsatz von Streubomben haben Zweifel auf-
kommen lassen, ob die Verhältnismäßigkeit bei allen,
noch so gezielt platzierten Bombardements in den letzten
Wochen gewährleistet werden konnte. Deshalb ist es rich-
tig, Bombardements immer wieder auf den Prüfstand zu
stellen.

Ich freue mich, dass die Entwicklung der letzten Tage
die Hoffnung nährt, dass diese Angriffe tatsächlich bald
zu Ende gehen. Wir vertrauen keiner anderen Regierung
so sehr wie dieser, dass sie einer Ausweitung des Kon-
fliktes entgegentritt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Nach Abwägung all dieser Argumente stimmen wir
heute einstimmig zu.

Ich möchte aber doch erwähnen, dass es in der SPD
auch eine Gruppe von Abgeordneten gibt, die diesem Ein-
satz ablehnend gegenübersteht. Sie stimmen jedoch heute
alle mit Ja. Ich habe Achtung vor einer pazifistischen Po-
sition, die ihre Politikfähigkeit beibehält.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In diesem Sinne und nach Abwägung dieser Argu-
mente stelle ich fest: Das Gewissen sagt Ja zu diesem be-
grenzten Militäreinsatz. Um das durchzusetzen – auch das
ist ein Grund, mit Rot-Grün weiterzumachen –, werden
wir uns heute geschlossen zeigen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Andrea Nahles

19884


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420202400
Das Wort zu einer
Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Werner
Schulz.

Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Ich hatte, liebe Kolleginnen und Kollegen, darauf
gehofft, dass uns der Kollege Gregor Gysi heute eine Ant-
wort gibt, warum er neun Jahre lang ohne irgendwelche
Zweifel einen grausamen Krieg in Afghanistan mitgetra-
gen hat, in dem es immerhin 1,5 Millionen Todesopfer ge-
geben hat. Die Möglichkeit heute hat er ausgeschlagen
und stattdessen uns des Opportunismus angeklagt.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Weil es stimmt!)


Die Abwägungsfrage, die sich uns stellt, ist sicher
schwierig. Aber ich will sagen, wann mir eine Partei be-
sonders suspekt erscheint: wenn man 1980 eine Position
hundertprozentig eingenommen hat,


(Widerspruch bei der PDS)


eine geschlossene Meinung vertreten hat – es gab nicht
eine einzige öffentliche Abweichung – und heute hundert-
prozentig die entgegengesetzte Position einnimmt. Wieder
gibt es nicht einen Moment des Zweifels. Diese Konti-
nuität im Selbstverständnis, dass die Partei immer Recht
hat, das ist es, was mich an Ihnen und Ihrer Partei stört.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420202500
Das Wort zur Antwort
erteile ich dem Kollegen Gregor Gysi.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1420202600
Ich finde es zunächst völlig
selbstverständlich, Herr Kollege Schulz, dass Sie Dinge
an der PDS stören. Deshalb sind Sie ja auch nicht bei uns;
das ist normal.

Wenn Sie sagen, dass wir keine Selbstzweifel haben,
dann können Sie die Entwicklung der PDS in den letzten
zehn Jahren nicht beobachtet haben; denn sonst hätten Sie
festgestellt, welche Auseinandersetzungen wir hatten,
übrigens auch gerade in Bezug auf UNO-Truppen; ich
nenne nur das Stichwort Münster. Ihre Äußerung ist völ-
lig abwegig und hat mit der Wahrheit nichts zu tun.

Jetzt sage ich Ihnen etwas zur Invasion. Woher wissen
Sie eigentlich, wie welche SED-Mitglieder darüber ge-
dacht haben, und warum erwähnen Sie nie, dass zum Bei-
spiel aus dem Kreis der CDU, der Bauernpartei, der
National-Demokratischen Partei, der Liberal-Demokrati-
schen Partei in der DDR nicht eine einzige öffentliche
Kritik geäußert wurde?


(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie richten sich immer nur gegen eine Kraft.

Dennoch sage ich Ihnen: Es waren Bedingungen der Dik-
tatur. Wissen Sie auch, wer fünf Jahre verantwortlich für den
Krieg gegen Afghanistan war? – Michail Gorbatschow,
nämlich von 1985 bis 1989. Er wird jedes Mal, wenn er hier-

her kommt, gefeiert und ist Ehrenbürger Berlins.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)


Aber jeder SED-Verkäuferin werfen Sie vor, dass sie nicht
anständig genug Widerstand geleistet hat! Sie jedoch ban-
gen um Ihr kleines Mandat und sind nicht einmal dafür be-
reit, ein einziges Nein im Bundestag zu riskieren.


(Beifall bei der PDS – Zuruf von der SPD: Unglaublich! – Weitere Zurufe von der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420202700
Ich erteile das Wort
dem Ministerpräsidenten des Freistaats Sachsen, Kurt
Biedenkopf.

Dr. Kurt Biedenkopf, Ministerpräsident (Sachsen)


(von Abgeordneten der CDU/CSU mit Beifall begrüßt):

Ich kann ja verstehen, dass eine gewisse Aufregung im
Haus herrscht.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Wenn Sie gestatten, würde ich gerne zu der Rede des
Bundeskanzlers zurückkehren, mit der er sowohl die vor-
geschlagene Entschließung wie auch seine Entscheidung,
die Vertrauensfrage zu stellen, begründet hat.

Herr Bundeskanzler, Sie haben gesagt, die Vertrauens-
frage sei notwendig, um die Verlässlichkeit Deutschlands
als Bündnispartner zu sichern. Ich würde das gerne etwas
abwandeln und sagen: Die Vertrauensfrage ist notwendig,
um die Verlässlichkeit der Koalition als Bündnispartner
zu sichern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Verlässlichkeit Deutschlands als Bündnispartner wäre
jedermann deutlich gewesen, wenn Sie die Vertrauens-
frage nicht gestellt hätten. Das ist meiner Meinung nach
das Problem.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr richtig!)


Ich glaube, dass man diesen Vorgang auch einmal aus
dem Blickwinkel unserer Verbündeten und nicht nur aus
dem Blickwinkel der Koalition und ihrem Interesse an ih-
rer Selbsterhaltung beurteilen sollte. Ich hätte mir ge-
wünscht, dass der Außenminister dieser Frage in seiner
Rede nachgegangen wäre. Das ist nämlich seine Aufgabe.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Stattdessen hat er uns mit einem rhetorischen Feuerwerk
erfreut, bei dem mich nur die Disziplin der Bundesrats-
bank davon abgehalten hat, „helau“ zu rufen.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Gernot Erler [SPD]: Sie verwechseln die Reden! Sie meinten Herrn Glos!)


Tatsache ist, dass unsere Verbündeten, insbesondere die
Vereinigten Staaten und deren Führung – auf deren Auf-
forderung hin beteiligen wir uns an der kollektiven Vertei-
digung, nachdem der Bündnisfall nach Art. 5 des NATO-
Vertrages ausgerufen wurde; dies ist die Ursache für das,
worüber hier jetzt diskutiert wird –, das heutige Vorgehen
mit wahrscheinlich sehr gemischten Gefühlen betrachten.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001 19885


(C)



(D)



(A)



(B)


Der Fraktionsvorsitzende der SPD, der Kollege Struck,
hat in seiner Rede eindrucksvoll geschildert,


(Gernot Erler [SPD]: Die Rede war eindrucksvoll)


wie sich frühere Kanzler bei schwierigsten politischen Fra-
gen um eine breite Mehrheit bemüht haben. Er hat insbe-
sondere Konrad Adenauer und dessen Bemühungen um
eine breite Zustimmung zur Wiederbewaffnung erwähnt.
Ich habe diese Debatte damals miterlebt. Herr Kollege
Struck, genau das hat der Bundeskanzler nicht getan: Er hat
die Bildung einer breiten Mehrheit für die Beteiligung deut-
scher Streitkräfte – diese Mehrheit halten Sie für durchaus
wichtig – mit dem Stellen der Vertrauensfrage blockiert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Der Bundeskanzler hat die Wirkung dieser Blockade auf
die Oppositionsparteien ausdrücklich akzeptiert. Das
heißt, er ist davon ausgegangen, dass die Oppositions-
fraktionen trotz der großen Bedeutung der zur Abstim-
mung stehenden außenpolitischen Frage wegen des damit
verknüpften Stellens der Vertrauensfrage Nein sagen.
Man kann ihnen nicht zumuten, über ihren Schatten zu
springen. Das heißt, Herr Kollege Struck, genau das, was
Sie eigentlich einfordern, eine breite Mehrheit, erreichen
Sie mit dem heutigen Vorgehen nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland
beruht nach dem Verständnis des Bundeskanzlers auf dem
Zusammenhalt der Koalition. Dieser Zusammenhalt ist
nur durch das Stellen der Vertrauensfrage zu gewährleis-
ten. Nun kann man aber nicht bei jeder Entscheidung über
eine wichtige außenpolitische Frage die Vertrauensfrage
stellen.


(Zuruf von der SPD: Machen wir auch nicht!)


In diesem Zusammenhang ist nun, und zwar aus poli-
tischen und nicht aus juristischen Gründen, die Beant-
wortung der Frage der Zurückholbarkeit der Soldaten in-
nerhalb der vorgesehenen 12 Monate wesentlich. Ich
versuche wiederum, mir mit den Augen unserer Verbün-
deten diesen Teil der Debatte zu vergegenwärtigen. Dazu
muss ich sagen: Das, was der Bundestag beschließen soll,
nämlich die Ermächtigung des Bundesverteidigungsminis-
ters – er ist ja für die Einzelheiten zuständig –, deutsche
Streitkräfte an der Operation Enduring Freedom für
12 Monate zu beteiligen, ist jetzt infrage gestellt worden.

Der Kollege Struck hat gesagt: Wir müssen das Recht
haben, den Beschluss zurückzuholen, wenn wir der Mei-
nung sind, dass die Sache nicht mehr sinnvoll ist. Weiterhin
hat er gesagt: Wir müssen die Möglichkeit haben, diesen
zurückzuholen, wenn wir die Verluste für zu hoch halten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was ist denn nun
der konkrete Inhalt der Bündnisverlässlichkeit, die durch
diesen Entscheid unter Beweis gestellt werden soll?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Es ist schon sehr peinlich für einen Professor, dass Sie so einen Unsinn erzählen!)


– Das hat mit Professor nichts zu tun. Was mich stört, ist
die fehlende inhaltliche Schlüssigkeit des Arguments.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was mich stört, ist, dass Sie so daneben liegen!)


Genau nach dieser inneren Schlüssigkeit werden auch
unsere Bündnispartner fragen. Sie hingegen fragen nur
danach, ob Sie alle Stimmen kriegen. Die Menschen, die
außerhalb der Bundesrepublik Deutschland unsere
Belastbarkeit und Verlässlichkeit als Bündnispartner prü-
fen, werden sagen müssen: Die Regierung hat ihre Bünd-
nisfähigkeit nur noch unter extremen Bedingungen ge-
währleisten können.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr richtig!)

Gleichzeitig wird die getroffene Entscheidung inhaltlich
wieder infrage gestellt. Das schadet der Bundesrepublik
Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben keine aufgrund sicherer Mehrheit belastbare

Regierung.

(Ludwig Stiegler [SPD]: Das werden Sie gleich sehen!)

Ob diese Belastbarkeit gegeben ist, wird sich erst erwei-
sen, wenn sich die Risiken, die mit dieser Entscheidung
verbunden sind, verwirklichen. Für mich war interessant,
dass alle Redner aus dem Koalitionslager direkt oder in-
direkt darauf hingewiesen haben, dass die Risiken ei-
gentlich nur noch sehr gering seien.


(Gernot Erler [SPD]: Soll man das bedauern, oder was?)


– Nein, das sollen Sie nicht bedauern.

(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Was soll das denn?)

Wenn Sie politisch verantwortlich handeln wollen, müs-
sen Sie sich aber die Frage stellen, welche Risiken damit
verbunden sind.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Was meinen Sie, was wir tun?)


Unsere Soldaten in Sachsen und anderen Orten Deutsch-
lands fragen uns nicht, ob die Koalition hält, sondern,
welchen Risiken sie ausgesetzt sein werden, wenn sie dort
hingehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Michael Müller brauchen wir Sie!)


Ich habe gerade wieder Soldaten in den Kosovo verab-
schiedet und mit ihnen diskutiert. Es kann sein, dass Sie
das stört, aber mich interessieren diese jungen Männer
und Frauen, die aus ganz Deutschland kommen und für
diese Aufgabe ausgebildet werden. Ich fühle mich für sie
verantwortlich, und zwar nicht nur, weil sie Sachsen, son-
dern weil sie Deutsche sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Und wir nicht? – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist eine Frechheit!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen)


19886


(C)



(D)



(A)



(B)


Diese Verantwortung gebietet es, auch über die Risiken
zu sprechen.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Wer tut das denn nicht? – Joseph Fischer, Bundesminister: Das ist ja unglaublich!)


– Herr Fischer, ich habe von Ihnen in Ihrer Rede dazu
nichts gehört.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ludwig Stiegler [SPD]: Geschlafen! – Joseph Fischer, Bundesminister: Sie waren das letzte Mal ja auch nicht dabei!)


Wenn Sie das für unglaublich halten, dann ist das Ihr Pri-
vatvergnügen.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Gepennt haben Sie die letzten acht Wochen!)


Ich bin der Meinung, dass wir im Zusammenhang mit
der heutigen Entscheidung die Belastbarkeit der Regie-
rung auch unter dem Gesichtspunkt prüfen müssen, ob sie
hält, wenn sich die Risiken verwirklichen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen prüfen, ob die Bündnisfähigkeit auch dann
noch gegeben ist oder ob der vom Kollegen Struck in Aus-
sicht gestellte Sachverhalt eintritt,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Warten Sie das doch alles ab!)


dass man nämlich die Dinge neu prüfen muss.


(Gernot Erler [SPD]: Unsinn! Das hat er doch gar nicht gesagt! Das ist eine Rechtsfrage, Herr Professor!)


Eines geht nämlich nicht: Innerhalb eines Bündnisses, in-
nerhalb eines kollektiven Verteidigungssystems können
wir uns einen derartigen Ermessensspielraum nicht vorbe-
halten. Wenn wir das tun, sind wir eben nicht zuverlässig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gernot Erler [SPD]: Sie bauen doch einen Popanz auf!)


Zur Bündnisfähigkeit gehört im Übrigen – das ist der
zweite Punkt, den ich auch mit Blick auf unsere Soldaten
vortragen möchte –, dass wir die Bundeswehr mit Res-
sourcen ausstatten, die sie wirklich leistungsfähig und
kampffähig machen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das, was wir dazu in den letzten Monaten – auch von
führenden Militärs – gehört haben, spricht nicht dafür,
dass dies der Fall ist.


(Gernot Erler [SPD]: Wie lange sind Sie denn im Verteidigungsausschuss gewesen?)


Ich möchte hier feststellen, dass nach meiner Überzeu-
gung durch die gegenwärtige Bundesregierung die Prio-
ritäten falsch gesetzt werden. Ich habe erlebt, dass es ohne
lange Debatten möglich war, für die Lösung des Konflik-
tes im Zusammenhang mit der Rentenversicherung ver-

gleichsweise große Milliardenbeträge einzusetzen. Bis zu
20 Milliarden DM Subventionen wurden gezahlt, von de-
nen jeder Sachverständige weiß, dass ungefähr die Hälfte
durch Mitnahmeeffekte verloren geht. Die andere Hälfte
ist sozialpolitisch sicherlich sinnvoll. Wäre in den letzten
Jahren die Bundeswehr mit der gleichen Großzügigkeit in
die Lage versetzt worden, ihr Gerät zu erneuern, ihr Per-
sonal gut zu bezahlen und die Ausbildung zu verbessern,
bräuchten wir in diesem oder einem anderen Hause nicht
über die Probleme der Bundeswehr zu reden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: In den letzten Jahren war auch Rühe mal Verteidigungsminister! Die Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland wird auch daran gemessen, welche Anstrengungen wir in unseren Haushalten unternehmen, um mögliche Verpflichtungen, die aus dem kollektiven Verteidigungsauftrag erwachsen, angemessen erfüllen zu können. Wenn wir – wiederum von außen – auf die Diskussion über den gegenwärtigen Zustand der Bundeswehr blicken, stellen wir fest, dass auch diese Diskussion unsere Bündnisfähigkeit belastet. Die Ergebnisse der Entwicklungen der letzten Wochen und Jahre, die unsere Bündnisfähigkeit beeinträchtigen, sind eine Koalition, die nur mit Hilfe der Vertrauensfrage zusammenbleibt, und eine unzureichende Ausstattung der Bundeswehr. Die Bundesregierung muss diese Defizite beseitigen. Sie muss – ungeachtet dessen, ob die Vertrauensfrage positiv oder negativ beantwortet wird – Klarheit über die Stabilität schaffen. Es muss zu einer Veränderung der Prioritäten zugunsten unserer Verteidigungsfähigkeit kommen, so wie auch eine Veränderung der Prioritäten zugunsten einer besseren inneren Sicherheit stattgefunden hat. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Gernot Erler [SPD]: Wären Sie doch in Düsseldorf geblieben!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420202800
Ich erteile Kollegin
Steffi Lemke, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420202900
Werte
Kolleginnen und Kollegen! Zwei sehr grundsätzliche und
weit reichende Fragen stehen heute im Deutschen Bun-
destag zur Entscheidung an. Es geht um den Fortbestand
einer Regierungskoalition und um die Entsendung der
Bundeswehr – out of area – zur Beteiligung am Krieg ge-
gen Terrorismus. Ich halte die Verknüpfung dieser beiden
Fragen zwar für zulässig, sie ist aber aus meiner Sicht
nicht zielführend.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Oh je!)


Sie erzwingt die Zustimmung von Abgeordneten, die Ein-
wände in der Sachfrage haben, und nimmt dem Parlament
die Freiheit, unabhängig von der Sache über das Mandat zu
entscheiden. Eine getrennte Abstimmung hätte die
positive Beantwortung der Vertrauensfrage und somit die

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen)


19887


(C)



(D)



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(B)


Aussprache des Vertrauens durch alle 47 Abgeordneten der
grünen Bundestagsfraktion – also einstimmig – ermöglicht.

Für eine Gruppe von Abgeordneten in meiner Fraktion
stelle ich fest, dass der Dissens in der Sache bestehen bleibt.


(Zuruf von der FDP: Aha!)


Der Krieg in Afghanistan dient unserer Ansicht nach nicht
der zielgerichteten Bekämpfung der Terroristen des
11. Septembers. Dem internationalen Terrorismus kann
nicht mit Streubomben unter Inkaufnahme von toten Zivi-
listen und der Zerstörung von Einrichtungen des Interna-
tionalen Roten Kreuzes begegnet werden. Ich gehe davon
aus, dass alle Abgeordneten dieses Hauses den von mir
eben geschilderten Faktoren kritisch gegenüberstehen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Krieg in Afghanistan mag manche der militärischen
Ziele erreicht haben. Durch die Siege der Nordallianz ist er
politisch aber nicht sinnvoller geworden. Noch immer fehlt
dem Krieg ein realistisches Konzept und es fehlt eine trag-
fähige politische Lösung für die Zeit nach den Taliban. Es
gilt, erst mühsam die Voraussetzungen dafür zu schaffen.
Genau das konnte und kann der Krieg nicht. Er droht die
ethnische Spaltung des Landes noch zu vertiefen.

Wir lehnen diesen Krieg und die Beteiligung der Bun-
deswehr nicht allein deshalb ab, weil das aus unserer Sicht
falsch ist, sondern auch, weil dies einen weiteren ent-
scheidenden Schritt zur Enttabuisierung militärischer
Mittel darstellt.

Sicherlich freuen sich alle Abgeordneten dieses Hauses
über die Bilder aus Afghanistan, die uns in den letzten Ta-
gen erreicht haben, über die Frauen und Männer, die ihrer
Befreiung entgegensehen und sich einem anderen Leben
zuwenden können. Ich beharre aber darauf: Gerade wenn
nach dem 11. September eine veränderte Situation in der
weltpolitischen Sicherheitslage eingetreten ist – dies ist
hier übereinstimmend festgestellt worden –, muss Klar-
heit über die Art und Weise der Kriegführung sowie über
strategische und politische Ziele der Kriegführung beste-
hen. Dies ist davon zu trennen, dass in Afghanistan seit
Jahren ein grausames Regime herrscht.

Wir sehen die Aufgabe Europas in diesem Prozess
darin, gemeinsam mit den Vereinigten Staaten von Ame-
rika eine zielgerichtete Antwort bei der Bekämpfung des
internationalen Terrorismus zu finden, die wir bisher bei
dem Krieg in Afghanistan nicht erkennen können. Die acht
Unterzeichner des Positionspapiers zu dem Krieg in Af-
ghanistan, das vergangenen Sonntag in der „Frankfurter
Allgemeinen Sonntagszeitung“ veröffentlicht wurde, ha-
ben gemeinsam eine Entscheidung getroffen, wie sie mit
der Machtfrage, der Vertrauensfrage, die heute im Parla-
ment gestellt wird, umgehen. Wir haben entschieden, bei
der heutigen Abstimmung eine zahlenmäßige Halbierung
der Stimmenanzahl vorzunehmen, um die Vertrauensfrage
des Bundeskanzlers mit Ja beantworten zu können.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist sehr glaubwürdig!)


Wir beantworten eine Machtfrage strategisch, indem wir
Ja zum Fortbestand der Koalition und Nein zur Legitima-
tion des Bundeswehrmandats sagen.


(Walter Hirche [FDP]: Gevierteiltes Gewissen! – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Diese Rede muss wirklich veröffentlicht werden!)


Die Beurteilung des Krieges in Afghanistan bleibt davon
unberührt.

Das bisher zur Abstimmung stehende Bundeswehr-
mandat ist vermutlich von seinem ursprünglichen Ziel
her überholt. Es spräche deshalb manches dafür, es als
humanitäres, quasi polizeiliches Mandat umzuformulie-
ren. Wir gehen davon aus, dass dieses Mandat nicht mi-
litärisch, sondern zivil gedeutet wird. Das entspricht dem
Willen nicht nur vieler Abgeordneter, sondern auch der
großen Mehrheit der Bevölkerung.

Nun komme ich zu zwei Fragen, die im Parlament ge-
stellt worden sind: Erstens wurde gefragt, ob die grünen
Abgeordneten für dieses Abstimmungsverhalten eine
Losentscheidung getroffen haben. Ich sage Ihnen, dass
ich mit meinem Mandat so verantwortlich umgehe, dass
ein solches Verfahren nicht gewählt worden ist. Es ist eine
strategische Entscheidung, die wir gemeinsam, ohne ein
solches Verfahren, getroffen haben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zu der zweiten Frage. Ich wende mich in
diesem Zusammenhang an die Kollegen Gysi und Claus;
vielleicht kann man das aber auch gemeinsam mit Herrn
Merz und Herrn Glos besprechen, die heute ähnlich er-
bärmliche Vorstellungen über die Frage, wie man mit der
Bevölkerung über die Situation diskutieren sollte, abge-
liefert haben. Sie haben die Frage nach dem Rückgrat ge-
stellt. Ich muss Ihnen sagen, Herr Gysi und Herr Claus,
über die Rückgratfrage diskutiere ich nicht mit Leuten
wie Ihnen. Sie sind dafür verantwortlich, dass ich als jun-
ger Mensch in der Schule nicht darüber diskutieren
konnte, was im Krieg zwischen der Sowjetunion und Af-
ghanistan passierte.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die rot-grüne Bundesregierung ist dafür verantwortlich,
der Bevölkerung und dem Parlament eine Diskussion
über diese Fragen ermöglicht zu haben. Das unterscheidet
uns grundlegend von Ihnen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


An die andere Seite der Opposition gewandt, die in der
Sachfrage eigentlich zustimmen möchte, aber offen-
sichtlich strategisch entschieden hat, in der Machtfrage
mit Nein zu stimmen, sage ich: Ich finde es verantwor-
tungslos, wie Sie mit der Frage, was in Afghanistan pas-
siert und wie und mit welchen Zielen dort Krieg geführt
wird, umgehen. Sie haben hier bedingungslosen Gehor-
sam signalisiert.


(Dirk Niebel [FDP]: Das ist eine Unverschämtheit!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Steffi Lemke

19888


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Ich sage Ihnen, dass Bündnissolidarität gegenüber den
Vereinigten Staaten keinen bedingungslosen Gehorsam
beinhalten kann, sondern einen verantwortlichen Umgang
mit der Frage erfordert, was zu einer zielgerichteten
Bekämpfung des internationalen Terrorismus notwendig
ist und was nicht.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420203000
Als letztem Redner in
der Debatte erteile ich dem Kollegen Gert Weisskirchen,
SPD-Fraktion, das Wort.


Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1420203100
Wie alle Mit-
glieder dieses Hauses habe auch ich mein Gewissen und
mein Wissen geprüft. Ich komme zu dem Schluss, dass ich
nach äußerst harter Prüfung dem zustimmen kann, was
uns der Bundeskanzler fragt und was die Bundesregie-
rung von uns erwartet. Dazu sage ich ganz deutlich Ja.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – HansPeter Repnik [CDU/CSU]: Nein!)


Lieber Herr Ministerpräsident, Sie haben die Frage
aufgeworfen, ob wir denn die Risiken geprüft hätten. Ich
kann Ihnen sagen: Wir haben in stundenlangen Debatten
in der Fraktion, in den Arbeitsgruppen der Fraktion und in
den Ausschüssen des Deutschen Bundestages jedes ein-
zelne Detail geprüft. Ich kann Ihnen versichern: Ihre
Frage geht ins Leere. Wir haben alle Risiken überdacht.
Wir sagen zu diesem Mandat deutlich Ja.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich sage Ihnen auch, warum wir diesem Mandat zu-
stimmen. Dies ist vom Weltsicherheitsrat formuliert
worden. Ich werde Ihnen sagen, was er beschlossen hat.
Er fordert alle Staaten auf, „insbesondere im Rahmen bi-
lateraler und multilateraler Vereinbarungen zusammenzu-
arbeiten, um Terroranschläge zu verhüten und zu bekämp-
fen und Maßnahmen gegen die Täter zu ergreifen“. Das ist
die völkerrechtliche Grundlage unseres Handelns. Inner-
halb der internationalen Allianz gegen den Terrorismus
wird die Bundesrepublik Deutschland die Rolle spielen,
die ihr angemessen ist, die eingegrenzt und behutsam ist.
Deswegen werden wir diesem Mandat, das uns die
Bundesregierung vorschlägt, zustimmen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Mit dem Luftkrieg der USA hat der Zerfall der Herr-
schaft der Taliban begonnen. Fast schon schien es so, als
wenn die Bilder der Bomben werfenden Flugzeuge ver-
drängt hätten, warum sie eingesetzt werden. Diese Bomben
ebneten der Nordallianz den Weg in die großen Städte. Jetzt
atmen viele Menschen auf: Frauenfeindliche Torturen kön-
nen beseitigt werden, Musik darf wieder gehört werden, Ju-
gendliche hoffen auf eine bessere Zukunft. Ich weiß, dass
es schwierig ist, daran zu denken und zuzustimmen, dass
das Militär dabei eine begrenzte Rolle spielen kann.

Was uns betrifft, so hat das Bundesverfassungs-
gericht für die Bundesrepublik Deutschland noch einmal

klar gemacht, dass die Bundeswehr in einem solchen
Kampf eine Rolle spielen darf, aber nur als „Heer des Par-
laments“. Genau das und nichts anderes geschieht jetzt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Bundeswehr wird eingesetzt, um in Afghanistan end-
lich Frieden durchzusetzen. Dieses Land hat 22 Jahre
schrecklicher Zeit hinter sich. Millionen von Menschen
wurden gedemütigt, Gewalt und Tod haben triumphiert, eth-
nische und religiöse Säuberungen haben sich nacheinander
abgelöst. Millionen Menschen, ein Viertel der Bevölkerung,
mussten fliehen, die Angst trieb sie außer Landes, Tausende
wurden exekutiert. Schrecken und Willkür, Bürgerkrieg und
Fremdherrschaft schienen kein Ende zu nehmen. Ich hoffe
sehr, dass Schluss damit sein wird, dass wir die Augen da-
vor verschließen, was in diesem Lande geschieht.

Jetzt gibt es eine neue Chance. Der Sicherheitsrat hat
gerade eine entsprechende Resolution beschlossen. Die
Bundesrepublik Deutschland ist die „lead nation“ der
Freunde von Afghanistan für Afghanistan; sie hat den Vor-
sitz. Heute findet das erste internationale Treffen, ange-
regt von Kofi Annan, statt. Ich hoffe sehr, dass dieses ge-
schundene Land nun endlich in unser gemeinsames
Blickfeld rückt und wir alles dafür tun, dass die Chance
genutzt wird, dort eine zivile Gesellschaft durchzusetzen.
Dafür brauchen wir die Unterstützung der Vereinten Na-
tionen. Wir werden daher nach dem militärischen Einsatz
unsere Kräfte zusammenführen, damit diesem Land eine
neue Perspektive gegeben werden kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gestern haben unsere Kollegen im Haushaltsausschuss
eine neue Antwort darauf gegeben, indem sie gesagt ha-
ben, dass die Entwicklungspolitik gestärkt werden muss.
Ich freue mich darüber, dass zusätzliche 560 Milli-
onen DM dafür eingesetzt werden, dass im Rahmen des
nächsten Bundeshaushaltes mehr getan werden kann, um
die Armut in der Welt zu bekämpfen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Gemeinsam mit der EU verlangen wir von der Nord-
allianz, die Menschenrechte zu achten und den Übergang
zu einer breit angelegten Regierung sicherzustellen. Ein
Ja zum Mandat stärkt unser Gewicht und das Gewicht der
Europäischen Union.

Die historischen Erfahrungen Deutschlands haben uns
gelehrt, Grundsatzentscheidungen zugunsten multilate-
raler Politik zu treffen. In Europa wissen wir: Wir alle
hängen voneinander ab. Wer ein guter Nachbar ist, ermu-
tigt den Nachbarn, selbst ein guter Nachbar zu sein. – Die
historischen Erfahrungen der Vereinigten Staaten aller-
dings waren bis zum 11. September andere. Aber die USA
wissen jetzt, dass auch sie verwundbar sind. Die interna-
tionale Koalition gegen den Terrorismus von al-Qaida ist
Ausdruck eines Multilateralismus der Notwendigkeit. Ich
hoffe sehr, dass es gelingt, diese multilaterale Wende in
den USA so zu bestärken, dass wir künftig gemeinsam mit
den USA andere, bessere Wege gehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Steffi Lemke

19889


(C)



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(A)



(B)


Ich möchte noch etwas ansprechen, das für mich wirk-
lich zu der größten Herausforderung unserer künftigen
Arbeit gehört: Was steckt eigentlich hinter diesem Furor
der fanatischen Eliten aus den Ländern, die sich dem
Islamismus verschrieben haben? Wogegen richtet sich
ihr Hass? Richtet sich der Hass gegen die Entwürfe eines
selbstbestimmten Lebens, gegen die aktive Toleranz?
Dazu hat der Schriftleiter der Zeitschrift „Dédale“,
Abdelwahab Meddeb, geschrieben: Wer zur reinen Lehre
des Islam zurückkehren will, der kehrt sich einer anderen
Welt zu, der versucht, die „islamische Krankheit“ – so hat
er es beschrieben – zu begründen im Gegensatz zu dem,
was im Westen als Zerrbild davon entworfen wird. Er
schreibt, dass für ihn der islamistische Fundamentalismus
eine Gefahr für den Islam selbst ist.

Deswegen müssen wir noch einmal neu die Frage auf-
nehmen, die Huntington gestellt hat: Enden wir doch im
„Kampf der Kulturen“? Nein! Es gibt Wege in der Gefahr
und vielleicht öffnen sie uns dereinst den Ausweg.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420203200
Kollege Weisskirchen,
Sie müssen bitte zum Ende kommen. Sie haben Ihre Re-
dezeit überschritten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1420203300
Eine wesent-
liche Leistung der Bundesregierung, insbesondere von
Joschka Fischer und Gerhard Schröder, ist es gewesen, die
Außenpolitik berechenbar zu machen.


(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU und der FDP )


Deswegen bedeutet unser Ja auch ein deutliches Ja dafür,
dass die deutsche Außenpolitik berechenbar bleibt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420203400
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem
Antrag der Bundesregierung zum Einsatz bewaffneter
deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemein-
samen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die
USA, mit dem der Bundeskanzler den Antrag nach Art. 68
Abs. 1 des Grundgesetzes, ihm das Vertrauen auszuspre-
chen, verbunden hat.

Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt auf Drucksache
14/7447, den Antrag der Bundesregierung zum Streitkräf-
teeinsatz auf Drucksache 14/7296 anzunehmen. Ferner
liegt hierzu der Bericht des Haushaltsausschusses gemäß
§ 96 der Geschäftsordnung auf Drucksache 14/7480 vor.

Ich stelle fest, dass die für die Abstimmung über den
Vertrauensantrag des Bundeskanzlers in Art. 68 Abs. 2 des
Grundgesetzes vorgeschriebene Frist von 48 Stunden ein-
gehalten ist. Der Bundeskanzler hat den Antrag gemäß
Art. 68 Abs. 1 des Grundgesetzes am 13. November 2001
gestellt. Der Antrag ist am selben Tag als Drucksache
14/7440 verteilt worden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte jetzt noch
um Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Abstim-
mungsverfahren.

Über die Beschlussempfehlung des Ausschusses zum
Antrag und über den Antrag des Bundeskanzlers gemäß
Art. 68 Abs. 1 des Grundgesetzes wird in einer Abstim-
mung abgestimmt, das heißt: Sie geben nur einmal Ihre
Stimme ab. Für die Annahme der Beschlussempfehlung
des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundes-
regierung zum Streitkräfteeinsatz reicht die Mehrheit der
abgegebenen Stimmen, das heißt: die einfache Mehrheit.
Für die Annahme des Antrags des Bundeskanzlers gemäß
Art. 68 Abs. 1 des Grundgesetzes ist die Zustimmung der
Mehrheit der Mitglieder des Bundestages erforderlich;
das sind mindestens 334 Stimmen.

Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Im Ältesten-
rat ist vereinbart worden, dass die Abstimmung mit
Stimmkarte und Stimmausweis erfolgen soll. Sie benöti-
gen daher außer Ihrer Stimmkarte auch Ihren gelben
Stimmausweis. Diesen können Sie, soweit noch nicht ge-
schehen, Ihrem Stimmkartenfach in der Lobby entnehmen.

Bitte verwenden Sie nur Stimmkarten, die Sie heute
Ihrem Fach entnommen haben. Es ist überprüft worden,
dass dort die jeweils richtige Stimmkarte einsortiert wor-
den ist. Verwenden Sie also bitte keine Stimmkarten, die
Sie von sonst wo mitgebracht haben. Außerdem bitte ich
Sie, sich vorher noch davon zu überzeugen, dass die
Stimmkarte auch Ihren Namen trägt.

Bevor Sie Ihre Stimmkarte in eine der aufgestellten Ur-
nen werfen, übergeben Sie bitte Ihren gelben Stimmaus-
weis einem der Schriftführer an den Urnen. Die Schrift-
führerinnen und Schriftführer bitte ich, darauf zu achten,
dass Stimmkarten nur von Kolleginnen und Kollegen in
die Urne geworfen werden, die vorher ihren Stimmaus-
weis abgegeben haben.

Bevor ich die Abstimmung eröffne, will ich mitteilen,
dass 77 Kolleginnen und Kollegen schriftliche Erklärungen
zur Abstimmung abgegeben haben. Nach der Abstimmung
wird es einige mündliche Erklärungen geben.

Ich bitte nunmehr die Schriftführerinnen und Schriftfüh-
rer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Ur-
nen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist offensicht-
lich nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen.

Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung werde ich
bekannt geben, sobald die Schriftführerinnen und Schrift-
führer es nach Auswertung der Stimmkarten ermittelt ha-
ben.1) Die Auszählung der Stimmkarten wird voraus-
sichtlich 15 bis 20 Minuten in Anspruch nehmen.

Bevor ich nun das Wort zur Erklärung nach § 31 unse-
rer Geschäftsordnung erteile, kommen wir noch zur Ab-
stimmung über die Entschließungsanträge und zu einigen

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Gert Weisskirchen (Wiesloch)


19890


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(B)


1) Seite 19893 A

weiteren einfachen Abstimmungen. Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich bitte Sie deshalb herzlich, Platz zu neh-
men, damit wir diese Abstimmungen ordnungsgemäß
durchführen können.

Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/7513. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist
mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
gegen die Stimmen der anderen Fraktionen angenommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-
tion der CDU/CSU auf Drucksache 14/7512. Wer stimmt
für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit
den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS
gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt
worden.

Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-
tion der FDP auf Drucksache 14/7503. Wer stimmt für
diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS ge-
gen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP abgelehnt.

Zusatzpunkte 5 und 6: Interfraktionell wird die Über-
weisung der Vorlagen auf Drucksache 14/7445 und
Drucksache 14/7500 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überwei-
sungen so beschlossen.

Zusatzpunkt 7: Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/7493,
den Entschließungsantrag der PDS auf Drucksache
14/7333 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses ge-
gen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich erteile jetzt das
Wort zu zwei Erklärungen nach § 31 unserer Geschäfts-
ordnung. Zunächst hat der Kollege Rüdiger Veit, SPD-
Fraktion, das Wort.


Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1420203500
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Im eigenen Namen und im Na-
men von 15 Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Bun-
destagsfraktion will ich eine Erklärung nach § 31 der
Geschäftsordnung verlesen. Ich tue dies im Namen von
Konrad Gilges, Klaus Barthel, Harald Friese, Reinhold
Hemker, Konrad Kunick, Götz-Peter Lohmann, Christine
Lucyga, Adolf Ostertag, Renate Rennebach, Gudrun
Roos, René Röspel, Horst Schmidbauer, Ottmar
Schreiner, Sigrid Skarpelis-Sperk und Waltraud Wolff.

Wir erklären, dass wir dem Antrag des Bundeskanzlers
gemäß Art. 68 Grundgesetz, den er in Verbindung mit dem
Antrag der Bundesregierung zum Einsatz bewaffneter
deutscher Streitkräfte gestellt hat, zustimmen.


(Unruhe)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420203600
Kollege Veit, es ist
eine gewisse Unruhe entstanden. Es ist gute Tradition des
Hauses, Erklärungen zur Abstimmung weitgehend frei
vorzutragen. Es gibt ja sonst auch die Möglichkeit der
schriftlichen Erklärung.


(Anhaltende Unruhe)



Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1420203700
Wenn das das Problem ist, will
ich versuchen, dem abzuhelfen.

Auch diejenigen, die trotz ihrer grundsätzlichen Be-
denken gegen den Einsatz bewaffneter Kräfte in der Ver-
trauensfrage zugestimmt haben, haben eine Gewissens-
entscheidung getroffen, eine Gewissensentscheidung
zugunsten rot-grüner Politik und ihrer Fortsetzung, zu-
gunsten der sozial Benachteiligten in unserer Gesell-
schaft – in der Befürchtung, dass eine andere politische
Konstellation, weiter rechts stehend, womöglich Schaden
für unser Land und für die Menschen bedeuten würde.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Unruhe bei der CDU/CSU)


– Sie haben mich darum gebeten, frei vorzutragen. Das
tue ich jetzt, mehr oder weniger geschliffen, jedenfalls
nach meiner Überzeugung, und bitte um Ihre freundliche
Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Wir haben dies vor dem Hintergrund der Tatsache ge-
tan,


(Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt liest er wieder ab!)


dass wir den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan oder
wo immer auch sonst im Rahmen des hier begehrten Man-
dats nicht für richtig halten; denn Krieg ist unserer Über-
zeugung nach kein geeignetes Mittel im Kampf gegen den
Terrorismus.

Im Übrigen lehnt die Mehrheit derjenigen, die diese
Erklärung durch mich hier vortagen lassen, aus prinzipi-
ellen Gründen auch den Einsatz der Bundeswehr außer-
halb des NATO-Vertragsgebietes ab.

Darüber hinaus sind wir der Überzeugung, dass man
Zweifel daran haben muss, ob sich die hier in Rede ste-
hende Bevollmächtigung der Bundesregierung im Rah-
men dessen bewegt, was uns das Bundesverfassungs-
gericht vorgegeben hat. Wir haben Zweifel, ob wir
darüber nicht vielmehr im Einzelnen in diesem Haus hät-
ten entscheiden müssen.


(Walter Hirche [FDP]: Das ist harter Tobak!)


Wir stehen im Übrigen in der Tradition einer fast
140 Jahre alten sozialdemokratischen Partei, die von sich
sagen kann, dass sie dieses Land noch niemals in einen
Krieg geführt hat. Wir sind der festen Überzeugung, dass
dies niemand in diesem Haus beabsichtigt. Wir sind aber in
tiefer Sorge, dass es zu einer militärischen Eskalation kom-
men könnte. Auch deswegen hätten wir mit Nein gestimmt.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Präsident Wolfgang Thierse

19891


(C)



(D)



(A)



(B)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Rüdiger Veit

19892


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir sind schließlich der Auffassung – das will ich in
den Vordergrund stellen –,


(Dirk Niebel [FDP]: Dass Sie erpresst worden sind!)


dass der hier in Rede stehende Einsatz nicht nur die Billi-
gung einer militärischen Auseinandersetzung, sondern
auch den Beitritt zu einer solchen bedeutet. Eine solche
Auseinandersetzung begegnet aufgrund verfassungs-
mäßiger, besser gesagt: völkerrechtlicher Zweifel an der
Legitimität der eingesetzten Mittel, wie Streubomben und
Bombardements, die auch die Zivilbevölkerung schädi-
gen können, durchgreifenden Bedenken.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)


Zum Schluss möchten wir Folgendes sagen – ich
wiederhole das –: Das war eine Gewissensentscheidung.
Wir standen in einem Konflikt, den nicht wir gewollt
haben, sondern der uns leider aufgezwungen worden ist.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Jörg van Essen [FDP]: Also doch Erpressung!)


In dieser Hinsicht war eine Gewissensfrage dahin gehend
zu entscheiden, ob man dem Bundeswehreinsatz nicht zu-
stimmt und der Bundesregierung zugleich das Misstrauen
ausspricht. Das wollten wir nicht. Wir wollten der Regie-
rung grundsätzlich das Vertrauen aussprechen. Das ist
hiermit geschehen. Auf unsere Bedenken haben ich hin-
gewiesen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ein schönes Gewissen haben Sie!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420203800
Zu einer weiteren Er-
klärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung erteile ich
dem Kollegen Gerald Häfner das Wort.


Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420203900
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde –
zum einen – Ihrem freundlichen Rat, Herr Präsident, folgen
und frei sprechen. Zum Zweiten werde ich jetzt nur sehr
kurz vortragen. Denn ich habe eine ergänzende schriftliche
Erklärung zur Abstimmung gemacht. Nein ich tue das, um
es für Sie jetzt nicht zu lange zu machen, liebe Kolleginnen
und Kollegen. Das heißt, ich werde jetzt einige kurze Dinge
sagen und ansonsten mich schriftlich erklären.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Das geht in die Geschichte ein!)


Die Entscheidung über einen Militäreinsatz ist für uns
alle eine sehr große Entscheidung. Es kann gut gehen, es
kann aber auch Leben kosten. Ich hoffe, das wird hier
nicht der Fall sein. Aber dies müssen wir immer beden-
ken, wenn wir hier über einen solchen Antrag abstim-
men.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sei können auch Nein sagen!)


Das müssen wir alle auf unser Gewissen nehmen.


(Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Wenn man eines hat!)


Jeder von uns muss damit leben, wie er hier abgestimmt
hat. Das heißt, wir müssen in dieser Abwägung alle Sei-
ten würdigen und am Ende besonnen entscheiden.

Wir entscheiden dabei nicht nur für uns, sondern – und
das macht es schwerer – wir sind gewählt, um für diejeni-
gen, die uns hierher entsandt haben, mitzuentscheiden.
Wir sind Volksvertreter und wir haben einen Auftrag. In
diesem Fall gilt sogar der Parlamentsvorbehalt, das
heißt: Das Grundgesetz und das Bundesverfassungsge-
richt verlangen, dass aus guten Gründen über Mi-
litäreinsätze nur das Parlament entscheiden kann.

Um diese ernsthafte Debatte, das Ringen um den rich-
tigen Weg in dieser schweren Entscheidung und um ein
wirkliches Abbild dessen, wie das deutsche Parlament zu
dieser Frage steht, sind wir durch die Vermischung der
Frage des Militäreinsatzes mit der Vertrauensfrage ge-
bracht worden. Diese Vermischung zeitigt geradezu ab-
surde Konsequenzen, wie zum Beispiel – und das macht
es mir dann auch schwer, die Gewissensentscheidung
aller Abgeordneten im Hause ernst zu nehmen – dass eine
komplette Fraktion am Montag der Woche erklärt, sie
werde für den Militäreinsatz stimmen und am Dienstag
aus taktischen Gründen, sie werde dagegen stimmen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)


Das heißt, hier ist nicht mehr deutlich geworden, wer ei-
gentlich wofür ist und wer wogegen ist, sondern – –


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420204000
Kollege Häfner, ich
möchte Sie unterbrechen.

Erstens. Der Sinn persönlicher Erklärungen ist nicht,
die Debatte fortzusetzen,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


sondern eine Bemerkung zum eigenen Abstimmungsver-
halten zu machen.

Zweitens muss ich Sie fragen: Was gilt nun? Machen
Sie eine ausführliche mündliche Erklärung oder haben Sie
vor, eine schriftliche Erklärung abzugeben? Beides geht
nicht.


Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420204100
Herr
Präsident, die Verabredung war, dass ich eine kurze
mündliche Erklärung mache und ansonsten die schriftli-
che Erklärung abgebe. Wenn diese Verabredung nicht
mehr gilt, breche ich meine mündliche Erklärung hier
ab.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das ist eine Blamage!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420204200
Danke schön. – Liebe
Kolleginnen und Kollegen, ich gebe das von den Schrift-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Präsident Wolfgang Thierse

19893


(C)



(D)



(A)



(B)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 662;
davon

ja: 336
nein: 326

Ja

SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)


Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Peter Friedrich (Altenburg)

Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack


(Extertal)

Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann


(Darmstadt)

Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs

Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann


(Neubrandenburg)

Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Gerhard Neumann (Gotha)


Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel Riemann-

Hanewinckel
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer


(Nürnberg)

Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Dr. Frank Schmidt


(Weilburg)

Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert

führerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der na-
mentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung
des Auswärtigen Ausschusses zum Regierungsantrag zum
Streitkräfteeinsatz in Verbindung mit dem Antrag des
Bundeskanzlers gemäß Art. 68 Grundgesetz bekannt: Ab-
gegebene Stimmen 662. Mit Ja haben gestimmt 336.


(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Die Abgeordneten von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erheben sich)


Mit Nein haben gestimmt 326, Enthaltungen keine.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Präsident Wolfgang Thierse

19894


(C)



(D)



(A)



(B)


Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte (Hameln)

Reinhard Schultz


(Everswinkel)

Volkmar Schultz (Köln)

Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-

Wolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen


(Wiesloch)

Dr. Ernst Ulrich von

Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek (Böhlen)

Helmut Wieczorek


(Duisburg)

Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)


Waltraud Wolff

(Wolmirstedt)


Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Sterzing
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)


Nein

CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank

Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Antje Blumenthal
Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler (Bruchsal)

Hartmut Büttner


(Schönebeck)

Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Manfred Carstens (Emstek)

Peter H. Carstensen


(Nordstrand)

Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer (Lübeck)

Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Axel E. Fischer


(Karlsruhe-Land)

Klaus Francke
Dr. Gerhard Friedrich


(Erlangen)

Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg)

Carl-Detlev Freiherr von

Hammerstein
Gottfried Haschke


(Großhennersdorf )

Gerda Hasselfeldt

Norbert Hauser (Bonn)

Hansgeorg Hauser


(Rednitzhembach)

Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn
Karl Lamers
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold


(Offenbach)

Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann


(Lüdenscheid)

Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß (Wilhelmshaven)

Erwin Marschewski

Recklinghausen)
Dr. Martin Mayer


(Siegertsbrunn)

Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001

Präsident Wolfgang Thierse

19895


(C)(A)



(D)(B)



(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, die Beschlussempfehlung
des Auswärtigen Ausschusses und damit der Antrag der
Bundesregierung zum Einsatz bewaffneter deutscher
Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Re-
aktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf
Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen
und des Art. 5 des Nordatlantikvertrages sowie der Reso-
lutionen 1368 und 1373 des Sicherheitsrats der Vereinten
Nationen sind angenommen.

Ich stelle weiterhin fest, dass der Antrag des Bundes-
kanzlers gemäß Art. 68 Abs. 1 des Grundgesetzes die dort

vorgesehene Mehrheit gefunden hat. Der Antrag des Bun-
deskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, ist damit
angenommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die
nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag,
27. November 2001, 11 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.