Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung teile ich Ihnen mit,
dass die Kollegin Christa Lörcher am 15. November aus
der SPD-Fraktion ausgetreten ist und dem Deutschen
Bundestag künftig als fraktionslose Abgeordnete ange-
hören wird.
Der Ältestenrat hat in seiner gestrigen Sitzung verein-
bart, dass in der Haushaltswoche keine Befragung der
Bundesregierung, keine Fragestunde und keine Aktuellen
Stunden stattfinden, da Themen von aktuellem Interesse
in den Haushaltsberatungen angesprochen werden kön-
nen. Sind Sie damit einverstanden? Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 sowie Zusatz-
punkte 4 bis 7 auf:
3. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei
der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion
auf terroristische Angriffe gegen die USA auf
Grundlage des Art. 51 der Satzung der Ver-
einten Nationen und des Art. 5 des Nord-
atlantikvertrages sowie der Resolutionen 1368
und 1373 (2001) des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen
Drucksachen 14/7296, 14/7447
Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen
Karl Lamers
Rita Grießhaber
Ulrich Irmer
Wolfgang Gehrcke
ZP 4 Beratung des Antrags des Bundeskanzlers gemäß
Art. 68 des Grundgesetzes
Drucksache 14/7440
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Helmut
Haussmann, Dr. Guido Westerwelle, Ulrich Irmer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Präventive außenpolitische Konzepte gegen
den Terrorismus
Drucksache 14/7445
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 6 Beratung des Antrags der Fraktion der PDS
Den internationalen Terrorismus wirksam be-
kämpfen den Krieg in Afghanistan beenden
Drucksache 14/7500
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung
ZP 7 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
tion der PDS zu der Regierungserklärung des
Bundeskanzlers zu der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der Bekämpfung des
internationalen Terrorismus
Drucksachen 14/7333, 14/7493
Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen
Karl Lamers
Dr. Helmut Lippelt
Ulrich Irmer
Wolfgang Gehrcke
Zu dem Antrag der Bundesregierung zum Streitkräfte-
einsatz liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
FDP vor. Ein gemeinsamer Entschließungsantrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/
CSU sind angekündigt.
19855
202. Sitzung
Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Beginn: 9.00 Uhr
Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich schon jetzt
um Ihre Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Ab-
stimmungsverfahren: Über den Antrag der Bundes-
regierung zum Streitkräfteeinsatz und den Antrag des
Bundeskanzlers gemäß Art. 68 Abs. 1 des Grundgesetzes
werden wir voraussichtlich gegen 12 Uhr in einer ge-
meinsamen Abstimmung namentlich abstimmen. Im
Ältestenrat ist vereinbart worden, dass die Abstimmung
mit Stimmkarte und Stimmausweis erfolgen soll. Den gel-
ben Stimmausweis und einen Satz Stimmkarten ich be-
tone: nur einen Satz Stimmkarten finden Sie in Ihrem
Stimmkartenfach in der Lobby.
Ich bitte Sie, nur Stimmkarten zu verwenden, die Sie
heute Morgen Ihren Stimmkartenfächern entnehmen. Es ist
überprüft worden, dass dort die richtigen Karten einsortiert
sind. Bitte verwenden Sie also keine Stimmkarten, die Sie
aus Ihrem Büro oder sonst woher mitgebracht haben.
Ich bitte Sie außerdem, sich vor der Abstimmung
nochmals davon zu überzeugen, dass die Stimmkarte, die
Sie verwenden wollen, und der Stimmausweis Ihren Na-
men tragen. So weit die notwendigen Erläuterungen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache zweieinhalb Stunden vorgesehen. Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundes-
kanzler Gerhard Schröder das Wort.
verehrten Damen und Herren! Die jüngsten Entwick-
lungen in Afghanistan sind ermutigende Erfolge im
Kampf gegen den internationalen Terrorismus.
In weiten Teilen des Landes sind die Menschen aus dem
Würgegriff des menschenverachtenden Talibanregimes be-
freit worden. Die Terroristen des Netzwerkes von Osama
Bin Laden sind nun auch in Afghanistan weitgehend isoliert
und in ihrer Bewegungsfreiheit erheblich eingeschränkt.
Durch die militärischen Maßnahmen ist der Weg frei
geworden für die humanitäre Versorgung der Not leiden-
den afghanischen Bevölkerung. Gleichzeitig kann und
muss jetzt der Prozess einer dauerhaften Stabilisierung
des Landes beginnen. Die Lage erlaubt und erfordert es,
nun rasch mit Gesprächen zu beginnen, die eine Regie-
rungsbildung unter Einschluss aller afghanischen Bevöl-
kerungsgruppen ermöglichen sollen. Ich begrüße es daher
nachdrücklich, dass der Generalsekretär der Vereinten
Nationen, Kofi Annan, die Vertreter der verschiedenen
Fraktionen und ethnischen Gruppen an einen Tisch gebe-
ten hat. Die innere Einigung der Afghanen wird Vo-
raussetzung für eine wirksame Hilfe beim Wiederaufbau
und bei der Stabilisierung des Landes sein.
Deutschland wird sich an dieser Hilfe substanziell be-
teiligen; denn wir sind als Teil der Antiterrorkoalition
diese Hilfe nicht nur dem afghanischen Volk, nein wir
sind sie unserer eigenen Glaubwürdigkeit im Kampf ge-
gen den Terror schuldig.
Uns sollte gleichwohl bewusst sein, dass die Erfolge,
die wir erzielt haben, nur ein Etappenziel sind. Die Be-
friedung Afghanistans, der Beginn eines Stabilisierungs-
prozesses, an dessen Ende die Rückkehr Afghanistans in
die Völkergemeinschaft stehen muss, das wären Ergeb-
nisse, auf die wir im Kampf gegen den internationalen
Terror wirksam aufbauen können. Das Ende dieses
Kampfes wären sie allerdings nicht.
Der bisherige Verlauf dieser Auseinandersetzung zeigt
uns auch, dass es richtig und wichtig war, auf eine um-
fassende Strategie zur Bekämpfung des Terrorismus zu
setzen. Dabei war es, wie ich meine, richtig, den militä-
rischen Aspekt dieser Auseinandersetzung nicht auszu-
blenden. Wir haben stets betont, dass wir nicht allein und
schon gar nicht ausschließlich auf militärische Maßnah-
men setzen. Aber es gibt Situationen, in denen eine von al-
len gewollte politische Lösung militärisch vorbereitet, er-
zwungen und schließlich auch durchgesetzt werden muss.
Wer die Fernsehbilder von den feiernden Menschen in
Kabul nach dem Abzug der Taliban gesehen hat ich
denke hier vor allen Dingen an die Bilder der Frauen, die
sich endlich wieder frei auf den Straßen begegnen dürfen ,
dem sollte es nicht schwer fallen, das Ergebnis der
Militärschläge im Sinne der Menschen dort zu bewerten.
Ich denke, ich spreche im Namen des ganzen Hauses,
wenn ich zum Ausdruck bringe, wie erleichtert wir alle
darüber sind, dass sich die Mitarbeiter von Shelter Now
wieder in Freiheit befinden.
Aber machen wir uns keine Illusionen: Der Kampf gegen
den Terror wird noch lange dauern und wird uns einen lan-
gen Atem abverlangen. Schnelle Erfolge sind keineswegs
garantiert. Doch ist der Kampf zu gewinnen und wir werden
ihn gewinnen, wenn wir alle Mittel, die notwendig sind, auf-
einander abgestimmt, aber eben auch konsequent einsetzen.
Das betrifft zunächst die politisch-diplomatischen Mit-
tel. Hier ist mit der Bildung einer internationalen Anti-
terrorkoalition eine gute Grundlage gelegt worden. Ich
selbst habe in den vergangenen Wochen viele Gespräche
mit zahlreichen Staats- und Regierungschefs geführt. Auch
erwähne ich hier ausdrücklich die intensiven Bemühungen
des Bundesaußenministers, gemeinsam mit unseren euro-
päischen und amerikanischen Partnern den Friedenspro-
zess im Nahen Osten wieder in Gang zu bringen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Präsident Wolfgang Thierse
19856
Die Außenpolitik dieser Regierungskoalition ist seit
unserem Amtsantritt darauf gerichtet, durch Herstellung
ökonomischer, sozialer und materieller Sicherheit, durch
Förderung der Rechtsstaatlichkeit und regionaler Sta-
bilitätsbündnisse, durch Krisenprävention und Friedens-
sicherung zur Stabilität in der Welt beizutragen.
Wo es nötig und für uns objektiv möglich und vertret-
bar war, haben wir uns auch mit militärischen Mitteln an
Einsätzen der Staatengemeinschaft beteiligt, wie wir das
zum Beispiel auf dem Balkan tun. Wir werden dies auch
in Zukunft fortsetzen. Niemals haben wir dabei den Ein-
satz der Bundeswehr ohne begleitendes, nachhaltiges En-
gagement auf politischem, ökonomischem und huma-
nitärem Gebiet beschlossen.
Nach diesem Selbstverständnis handeln wir auch heute
im Kampf gegen den Terrorismus. Auch in der Auseinan-
dersetzung um Afghanistan hat unsere Hilfe für die Men-
schen in der Krisenregion hohe Priorität.
100 Millionen DM haben wir bereits für die humanitäre
Hilfe bereitgestellt, um die Bevölkerung vor dem drohen-
den Wintereinbruch wirksam zu unterstützen. Weitere
160 Millionen DM haben wir für den Wiederaufbau zur
Verfügung gestellt. Dank der militärischen Erfolge gegen
die Taliban kann diese Hilfe jetzt dort, wo sie sehr dringend
gebraucht wird, so wirksam ankommen, wie es nötig ist.
Wir haben außerdem sehr zielstrebig sowohl die finan-
ziellen wie auch die polizeilichen Maßnahmen gegen den
Terrorismus verstärkt. Es hat erste Fahndungserfolge
und Festnahmen von Verdächtigen aus dem Umfeld des
Terrornetzes von Bin Laden gegeben. Bis heute sind fast
200 Konten gesperrt worden, bei denen der Verdacht be-
steht, dass sie zu Transaktionen für den Terrorismus be-
nutzt wurden. Die Zusammenarbeit der in- und auslän-
dischen Nachrichtendienste ist schon innerhalb kürzester
Zeit verbessert worden. Auch das sind wichtige Fort-
schritte. Aber ich betone es noch einmal: Der Kampf ge-
gen den Terror und die terroristischen Netzwerke steht
erst am Anfang.
Der Deutsche Bundestag hat heute Vormittag über den
Antrag der Bundesregierung zur Bereitstellung von Bun-
deswehreinheiten im Kampf gegen den internationalen
Terrorismus zu beschließen. In Verbindung damit habe
ich eine Abstimmung gemäß Art. 68 des Grundgesetzes
beantragt. Ich möchte Ihnen erläutern, was mich bewogen
hat, diese Vertrauensfrage zu stellen.
Es geht, kurz gesagt, um die Verlässlichkeit unserer
Politik,
um Verlässlichkeit gegenüber den Bürgern, gegenüber
unseren Freunden in Europa und gegenüber unseren in-
ternationalen Partnern.
Die heutige Entscheidung über die Bereitstellung von
Bundeswehreinheiten im Kampf gegen den Terrorismus
stellt sicher eine Zäsur dar. Erstmals zwingt uns die inter-
nationale Situation, zwingt uns die Kriegserklärung durch
den Terrorismus dazu, Bundeswehreinheiten für einen
Kampfeinsatz außerhalb des NATO-Vertragsgebietes be-
reitzustellen. Für eine Entscheidung von solcher Trag-
weite, auch für daraus vielleicht noch folgende Beschluss-
fassungen des Deutschen Bundestages ist es nach meiner
festen Überzeugung unabdingbar, dass sich der Bundes-
kanzler und die Bundesregierung auf eine Mehrheit in der
sie tragenden Koalition stützen können.
Wir Deutschen können der Auseinandersetzung mit
dem Terrorismus nicht ausweichen und wir wollen das
auch nicht. Der Deutsche Bundestag hat das nicht zuletzt
dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er für die Solida-
rität mit den Vereinigten Staaten ausdrücklich auch die
Bereitstellung geeigneter militärischer Fähigkeiten be-
schlossen hat.
Die Bundesregierung hat nun in der vergangenen Wo-
che nach einer entsprechenden Anforderung der Vereinig-
ten Staaten den deutschen Solidarbeitrag und die Bereit-
stellung deutscher Streitkräfte konkretisiert. Über
diesen Antrag ist heute Vormittag abzustimmen. Die Ent-
scheidungen, die für die Bereitstellung deutscher Streit-
kräfte zu treffen sind, nimmt niemand auf die leichte
Schulter auch ich nicht. Aber sie sind notwendig und
deshalb müssen sie getroffen werden.
Wir erfüllen damit die an uns gerichteten Erwartungen
unserer Partner und wir leisten das, was uns objektiv mög-
lich ist und was politisch verantwortet werden kann. Aber
mehr noch: Durch diesen Beitrag kommt das vereinte und
souveräne Deutschland seiner gewachsenen Verantwor-
tung in der Welt nach. Wir müssen erkennen: Nach den
epochalen Veränderungen seit dem Herbst 1989 hat
Deutschland seine volle Souveränität zurückgewonnen.
Es hat damit aber auch neue Pflichten übernommen, an
die uns die Verbündeten erinnern. Wir haben kein Recht,
darüber Klage zu führen. Wir sollten vielmehr damit
zufrieden sein, dass wir seit den epochalen Veränderun-
gen 1989 gleichberechtigte Partner in der Staatengemein-
schaft sind.
Ich habe bewusst die Vertrauensfrage nach Art. 68 des
Grundgesetzes und den Antrag über die Bereitstellung
deutscher Streitkräfte für den Kampf gegen den Terroris-
mus miteinander verknüpft. Denn der Bundeskanzler
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Bundeskanzler Gerhard Schröder
19857
kann seinem Amt und seiner Verantwortung für das Ge-
meinwohl nur dann entsprechen, wenn seine Person und
sein Programm das Vertrauen und die Zustimmung der
ihn tragenden Mehrheit des Hohen Hauses finden.
Sosehr ich die Bereitschaft der Oppositionsfraktionen
begrüße, den Bereitstellungsbeschluss als solchen mitzu-
tragen, so deutlich wird doch am absehbaren Nein der Op-
position zur Abstimmung in der Vertrauensfrage, dass
eine solche Parlamentsmehrheit eben nicht in dem not-
wendigen Umfang belastbar ist
meine Damen und Herren, Sie sollten zuhören und
das füge ich hinzu auch nicht sein kann. Dies ist doch
völlig klar.
Wenn Sie von der CDU/CSU in der Lage wären, zumin-
dest so lange zuzuhören, bis ich meinen Satz beendet
habe, dann würden Sie verstehen, was ich meine.
Intellektuell sollten Sie dazu in der Lage sein.
Ich erkenne ausdrücklich an dies finde ich nicht zu-
letzt aus außenpolitischen und internationalen Gründen
richtig , dass das Nein der Oppositionsfraktionen in der
Vertrauensfrage kein Nein zum Beschluss über die
Bereitstellung deutscher Streitkräfte ist.
Es ist wichtig, dass dies zum Ausdruck gebracht wird.
Denn damit ist klar, dass auch die wichtigen Oppositions-
fraktionen in diesem Hause die Entscheidung als solche
mittragen, wenn sie auch daran gehindert sind das ist ein
ganz normaler parlamentarischer Vorgang , in der Ver-
trauensfrage mit Ja zu stimmen. Sind Sie jetzt zufrieden,
oder nicht?
Meine Damen und Herren, der Antrag nach Art. 68
des Grundgesetzes es ist mir wichtig, das zu betonen
ist in unserer Demokratie ein verfassungsrechtlich und
übrigens auch verfahrenstechnisch eindeutig geregelter
Vorgang im Verhältnis zwischen Bundeskanzler und Par-
lament. Das gilt ausdrücklich auch für die Verbindung der
Vertrauensfrage mit der Abstimmung über eine Sachfrage.
So meint der ehemalige Verfassungsrichter Hans Hugo
Klein, bei dem ich übrigens in Göttingen Staatsrecht,
nicht aber Politik gelernt habe
und der Politik auch leider auch nicht von mir gelernt
hat, wie Sie wohl alle wissen: Die Vertrauensfrage ich
zitiere
erlaubt es dem Bundeskanzler, die Belastbarkeit der
ihn tragenden parlamentarischen Mehrheit gerade
auch im Zusammenhang mit einer konkreten Sach-
entscheidung zu testen.
Soweit Hans Hugo Klein, der Mitglied Ihrer Fraktion,
Verfassungsrichter
und wie gesagt ein bedeutender Staatsrechtslehrer war,
was man an seinen Schülern sehen kann.
Insofern, meine Damen und Herren, habe ich kein Ver-
ständnis dafür, dass der eine oder andere im Vorfeld von
einer Einschränkung der Gewissensfreiheit durch eben-
dieses Verfahren gesprochen hat.
Unser Grundgesetz ist eine vorbildliche demokrati-
sche Verfassung. Wenn diese Verfassung das heute ge-
wählte Verfahren ausdrücklich vorsieht, dann doch wohl
deshalb, weil eben kein Widerspruch zwischen einer
Abstimmung nach Art. 68 des Grundgesetzes und der
ebenso verbürgten und ebenso wichtigen Gewissensfrei-
heit besteht.
Meine Damen und Herren, genau in diesem Sinne bitte
ich um das Vertrauen des Deutschen Bundestages, um
Vertrauen in Vernunft und Verlässlichkeit meiner Politik
und um Vertrauen in die weitere Arbeit dieser Bundes-
regierung.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Ich erteile dem Kolle-
gen Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Friedrich Merz (von der CDU/CSU mit
Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da-
men und Herren! Zum vierten Mal in der Geschichte der
Bundesrepublik Deutschland stellt heute ein Bundeskanz-
ler die Vertrauensfrage nach Art. 68 unseres Grundgeset-
zes. Zweimal wurden mit der Vertrauensfrage vorgezo-
gene Neuwahlen gezielt herbeigeführt. Nur einmal,
nämlich im Februar 1982, wollte der damalige Bundes-
kanzler Helmut Schmidt
das Vertrauen in seine Regierung wirklich bestätigt wis-
sen. Helmut Schmidt hat die Abstimmung damals gewon-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Bundeskanzler Gerhard Schröder
19858
nen. Trotzdem war seine Regierung wenige Monate spä-
ter am Ende.
Ganz gleich, wie die heutige Abstimmung ausgeht: Der
heutige Tag ist der Anfang vom Ende der Regierung
Gerhard Schröder.
Herr Bundeskanzler, seit dem 11. September dieses
Jahres haben wir in diesem Haus bis auf die Fraktion der
PDS in großer Gemeinsamkeit immer wieder festge-
stellt, dass es angesichts der Bedrohung durch den
internationalen Terrorismus auch für unser Land darum
geht, dieser Bedrohung unserer Freiheit entschieden ent-
gegenzutreten.
Sie waren es, der seit seiner Regierungserklärung be-
reits am Tag nach den Terrorakten in Amerika immer
und immer wieder die Notwendigkeit der uneinge-
schränkten Solidarität mit unseren amerikanischen Freun-
den betont und auch wirksame Maßnahmen für die Si-
cherheit des eigenen Landes gefordert hat.
Wir haben Sie dabei, Herr Bundeskanzler, von Anfang
an unterstützt. Sie konnten sich in dieser Ihrer Politik von
Anfang an auf uns, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion,
verlassen. Seit unserer Begegnung im Bundeskanzleramt
am Tag der Anschläge selbst wussten Sie, dass die Union
jeden innenpolitischen Streit zurückzustellen bereit ist,
um Ihre Regierung zu stützen und vor allem, um breite
parlamentarische Mehrheiten für die von Ihnen völlig zu
Recht eingeforderte Solidarität mit Amerika zu ermög-
lichen.
Spätestens seit Mitte Oktober war klar, dass sich diese
Solidarität nicht in Worten und Beileidsbekundungen er-
schöpfen würde. Eigentlich war von Anfang an klar, dass
es gegen die, die für die Terrorakte verantwortlich sind,
und die, die Terroristen schützen, ihnen Unterschlupf ge-
währen sowie Geld und Infrastruktur zur Verfügung stel-
len, harte Konsequenzen zu ziehen gilt. Jetzt ist es so weit,
zu seinen Worten zu stehen. Aber jetzt steht diese Regie-
rung am Abgrund; jetzt, da Sie handeln müssen, stürzt
Ihre Regierung in eine tiefe Krise.
Herr Bundeskanzler, Sie stürzen in diese Krise, weil
Sie den Mund zu voll genommen haben, weil Sie die Lage
in Ihrer eigenen Fraktion und Ihrer eigenen Partei falsch
eingeschätzt haben, weil jetzt sämtliche antiamerikani-
schen Reflexe in Ihrer Partei und bei den Grünen wieder
hochkommen
und weil Sie in Ihrer Partei die Grundfragen zur Wehr-
haftigkeit der Demokratie in unserem Land nie richtig
geklärt haben. Das ist die Wahrheit.
Sie reden heute über Bündnisfähigkeit, internationale
Politikfähigkeit und die Notwendigkeit der Verlässlich-
keit Ihrer Regierung auch und gerade im Bündnis der
NATO und mit den Amerikanern. Dies steht nicht im
Zweifel, weil Sie hier im Haus nicht die notwendige par-
lamentarische Basis finden, sondern weil Sie in Ihren ei-
genen Reihen diese Zweifel nicht ausräumen konnten.
Ich will Ihnen, damit die Ausgangslage klar ist, zu Be-
ginn der Aussprache über Ihren Antrag noch einmal ohne
Wenn und Aber unsere Position verdeutlichen: Wir stehen
zu der Notwendigkeit, die in dem Beschluss des Bun-
deskabinetts vom 7. November genannten Teile der Bun-
deswehr im Kampf gegen den Terrorismus einzusetzen.
Wir haben uns diese Entscheidung, wie alle anderen vo-
rangegangenen Entscheidungen über Auslandseinsätze
der Bundeswehr auch, wahrlich nicht leicht gemacht.
Auch in meiner Fraktion wurde abgewogen. Niemand von
uns tut sich leicht, Soldaten in einen solchen Einsatz zu
schicken. Wir wissen, dass sich die Soldaten, aber auch
und besonders ihre Familien, Ehepartner, Freunde, Eltern
und viele Großeltern, die ganz andere Erinnerungen haben
als meine Generation, große Sorgen machen. Wir nehmen
diese außerordentlich ernst. Auch wir wägen dies ab.
Nach sorgfältigster Abwägung kommen wir zu dem
Ergebnis, dass die Solidarität mit Amerika nicht vom si-
cheren Erfolg abhängig gemacht werden darf. Es gibt be-
gründete Aussicht auf Erfolg. Die Solidarität mit Amerika
und das eigene, nationale Interesse unseres Landes gebie-
ten auch zu unserer eigenen Sicherheit den Einsatz der
Streitkräfte.
Herr Bundeskanzler, die Entwicklung der letzten Tage
Sie haben darauf hingewiesen bestätigt uns in dieser
Einschätzung.
Zur Wahrheit gehört auch, dass die deutschen Mitar-
beiter von Shelter Now gestern nicht freigelassen worden
wären, wenn die Amerikaner nicht bereit gewesen wären,
etwas zu tun, wozu sich diese Bundesregierung offenkun-
dig außerstande sieht. Das ist die Wahrheit.
Wir hätten Ihrem Antrag zugestimmt. In der Sache sind
wir uns immer noch einig. Wir sind uns sogar einig, ob-
wohl die Zustimmung des Bundestages der Bundesregie-
rung einen ungewöhnlich großen Handlungsspielraum
eröffnen würde.
Ich will in diesem Zusammenhang auf einen Sachver-
halt aufmerksam machen, der bisher in der Debatte viel-
leicht zu wenig Beachtung gefunden hat: Der Beschluss,
den wir heute treffen den Sie treffen wollen und mit der
Vertrauensfrage verbunden haben , wird eine Laufzeit
von 12 Monaten haben. Es wird für den Bundestag keine
Möglichkeit geben, den Beschluss zu ändern oder rück-
gängig zu machen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Friedrich Merz
19859
Entschuldigung, aber das ist die Verfassungslage. Genau
über diesen Sachverhalt haben wir ausdrücklich mit Ihnen
diskutiert.
Sie können die Entscheidung des Bundesverfassungs-
gerichts, die die Ausgangssituation für das, was wir heute
tun müssen, beschreibt, kritisch hinterfragen. Aber heute
ist nicht der Tag, das zu tun. Ich will Sie auf folgenden
Sachverhalt aufmerksam machen: Wenn der Bundestag
heute vor die Notwendigkeit gestellt wäre, den Verteidi-
gungsfall festzustellen ich sage ausdrücklich: wir sind es
nicht , dann hätte der Bundestag nach dem Grundgesetz
jederzeit die Möglichkeit, einen solchen Beschluss auch
wieder rückgängig zu machen. Mit dem, was Sie heute be-
schließen, geht das aufgrund einer Verfassungslage, die
man durchaus kritisch hinterfragen kann, nicht.
Deshalb, Herr Bundeskanzler, haben wir Sie gefragt,
ob Sie bereit wären, dem Parlament, nach dem Vorbild des
Kosovo-Mandats, etwa nach einem halben Jahr eine er-
neute konstitutive Befassung zu ermöglichen. Das Parla-
ment hätte dann auf die Entscheidung Einfluss gehabt und
wir hätten das Mandat nach einer relativ kurzen Zeit über-
prüfen und fortsetzen können. Dies haben Sie abgelehnt.
Sie hätten uns damit die Entscheidung nicht leichter
gemacht. Trotzdem haben die Kolleginnen und Kollegen
meiner Fraktion in den beratenden Ausschüssen des Deut-
schen Bundestages dem Antrag, der bei der Beratung im
Ausschuss noch nicht mit der Vertrauensfrage verbunden
war, zugestimmt. Trotz alledem: Wir hätten heute auch
hier Ja gesagt. Sie hätten dann den Einsatz der Bundes-
wehr erneut auf ein breites parlamentarisches Fundament
stellen können.
Unsere Soldaten hätten die Gewissheit haben können, er-
neut von einem großen Konsens im Deutschen Bundestag
getragen zu werden. Das hätten nicht zuletzt die Soldaten
und die Bundeswehr insgesamt, die von Ihnen in den letz-
ten drei Jahren schäbig behandelt worden ist, wahrlich
verdient.
Stattdessen haben Sie am vergangenen Montag abrupt
den Kurs geändert. Sie haben offensichtlich aus der Frak-
tion der SPD, deren Parteivorsitzender Sie sind, eine noch
größere Zahl von Neinstimmen fürchten müssen als bei
der Entscheidung über den Einsatz in Mazedonien. Sie
haben offensichtlich festgestellt, dass Ihre Regierung in
große Schwierigkeiten gerät, wenn Ihnen zum zweiten
Mal in kurzer Zeit in einer wichtigen Frage die Mehrheit
im Parlament nur durch die Opposition gesichert ist. Bis
Sonntag war das alles kein Problem. Am Montag haben
Sie dann Ihre Meinung geändert und schließlich am
Dienstag zum letzten Disziplinierungsmittel gegriffen,
das einem Bundeskanzler zur Verfügung steht, nämlich
der Vertrauensfrage.
Damit wird die Sachfrage, in der wir uns einig waren,
mit einer rein parteipolitischen Frage verbunden, nämlich
der, ob Ihnen und Ihrer Politik nach drei Jahren im Amt
die Abgeordneten Ihrer eigenen Fraktion noch folgen. Ein
Bundeskanzler, der so handelt, ja, der so handeln muss,
führt keine kraftvolle Regierung mehr an.
Wie einst Helmut Schmidt, so schrieb die FAZ ges-
tern, ist Schröder jetzt ein Kanzler ohne Unterleib.
Herr Bundeskanzler, nicht wir sind es, die die Gemein-
samkeit in der Sache aufkündigen. Sie haben mit dieser
Vorgehensweise klargestellt, dass Sie unsere Zustimmung
nicht mehr wollen. Sie haben damit die eigentlich notwen-
dige, gemeinsame Entscheidung für den Bundeswehr-
einsatz leichtfertig aufs Spiel gesetzt.
Wenn Sie den notwendigen Einsatz der Bundeswehr
mit der Vertrauensfrage für Ihre Politik insgesamt verbin-
den genau dies ist die Verbindung, die Sie herstellen ,
dann wissen Sie, dass Sie unsere Zustimmung dafür nicht
bekommen. Sie vereiteln mit diesem Vorgehen einen
möglichen und in der Sache notwendigen Konsens in die-
sem Haus, da es in Ihrer Hand liegt, eine getrennte Ab-
stimmung über beide Fragen vorzunehmen.
Herr Bundeskanzler, als gelehriger Schüler von Hans
Hugo Klein,
als der Sie sich gerade zu erkennen gegeben haben, wis-
sen Sie, dass Sie auch jetzt noch diese beiden Fragen von-
einander trennen und das eine und das andere voneinan-
der getrennt zur Abstimmung stellen können.
Wenn Sie also wirklich ein Interesse daran haben, dass es
eine breite parlamentarische Mehrheit für diesen Einsatz
gibt, den wir das sage ich noch einmal für notwendig
halten, dann trennen Sie diese beiden Fragen. Dann wird
sich herausstellen, wie belastbar Ihre Koalition in dieser
Sachfrage wirklich ist, ohne dass sie zusammengezwun-
gen wird.
Ich sage Ihnen voraus: Das, was Sie, Herr Struck und
Herr Müntefering heute zusammenzwingen wollen,
wird keinen Bestand haben, weil es in der Sache nicht ehr-
lich ist, weil die Mehrheit, wenn sie denn zustande
kommt, nur aus Gründen des reinen Machterhalts zusam-
menkommt, nicht weil Ihnen Ihre Koalition in der Sache
wirklich folgt.
Wie unaufrichtig in diesen Tagen argumentiert wird,
haben einige Grüne in diesen Tagen besonders deutlich
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Friedrich Merz
19860
gemacht. Jetzt könne man zustimmen so heißt es , da
nach dem Fall von Kabul ein Einsatz der Bundeswehr
wahrscheinlich gar nicht mehr notwendig sein wird.
Herr Bundeskanzler, diese Einlassungen hätten Sie nicht
unwidersprochen stehen lassen dürfen; denn Sie wissen,
dass das nicht stimmt.
Entweder der Einsatz wird wirklich nicht mehr notwendig
dann brauchen wir heute darüber nicht abzustimmen
oder er wird notwendig; dann sagen Sie, welche Konse-
quenzen er hat.
Sagen Sie das vor allen Dingen Ihrem grünen Koalitions-
partner, Herr Bundeskanzler!
Auf einer solchen Grundlage hier eine Abstimmung her-
beizuführen wird Ihnen das notwendige Vertrauen und
den Konsens in der Bevölkerung der Bundesrepublik
Deutschland, der notwendig ist, nicht geben.
Herr Bundeskanzler, ich will auch etwas zu den Me-
thoden sagen, wie seit Dienstag dieser Woche versucht
wird, Ihre Mehrheit zu sichern. Gestern ist ein Mitglied
aus Ihrer Fraktion ausgetreten, eine Kollegin, die nicht zu-
stimmen wollte. Sie ist vorher offenbar vergeblich
vom Präsidium der SPD Baden-Württemberg aufgefor-
dert worden, ihr Bundestagsmandat niederzulegen,
damit ein anderer Abgeordneter, der leichter auf Linie zu
bringen ist, in der Zwischenzeit nachrücken kann.
Die von Ihnen, Herr Bundeskanzler, besonders geför-
derte Landesvorsitzende der SPD Baden-Württemberg,
Frau Vogt, hat sich zu der Begründung verstiegen, diese
Kollegin habe ihr Mandat über die Liste errungen und
nicht ein Wahlkreismandat. Deshalb müsse sie dem fol-
gen, was in der Partei beschlossen worden sei.
Herr Bundeskanzler, wer so mit von den Bürgern nicht von
der SPD frei gewählten Abgeordneten umgeht, wer so
umspringt mit Abgeordneten, die nur ihrem Gewissen ver-
antwortlich sind, der hat Vertrauen wahrlich nicht verdient.
Wer nun nach den Motiven sucht, warum Sie gerade in
diesen Tagen den Einsatz der Bundeswehr im Kabinett be-
schließen und heute die Vertrauensfrage damit verbinden,
der wird vermutlich an Frau Vollmer von den Grünen
nicht vorbeikommen.
Sie hat in der Fraktionssitzung der Grünen-Bundestags-
fraktion offenbar die Vermutung geäußert, Sie machten
das jetzt alles nur, um abzulenken von den großen
Schwierigkeiten in der Wirtschaft und auf dem Arbeits-
markt. Diese Vermutung, meine Damen und Herren,
halte ich nun allerdings für etwas weniger abwegig als
andere Vermutungen, die aus derselben Fraktion kom-
men.
Es ist in der Tat richtig, dass die Lage in der Wirt-
schaft nach drei Jahren Ihrer Regierung, Herr Bundes-
kanzler, geradezu deprimierend ist: Deutschland ist
Schlusslicht in Europa. Diese Tatsache hat mit der Welt-
wirtschaft und dem 11. September nichts zu tun. Diese Er-
eignisse haben alle gleichermaßen getroffen. Sie haben
das Land mit Ihrer Unstetigkeit und Ihren halbherzigen
Schritten, Sie haben gerade den Mittelstand mit der stän-
dig weiteren Regulierung und Bürokratisierung aller Le-
bensbereiche in den Abschwung getrieben.
Bis auf ein einziges Jahr steigen die Steuern, die Sozial-
versicherungsbeiträge steigen, die Arbeitslosigkeit steigt
bald wieder über 4 Millionen. Das sind Ihre Arbeitslosen,
Herr Bundeskanzler!
Im laufenden Jahr 2001 werden wir vermutlich eine
Steigerung der Zahl der Unternehmenskonkurse in
Deutschland erleben, wie wir sie seit der Ölpreiskrise
1973 innerhalb eines Jahres nicht mehr erlebt haben. Die
Arbeitsmarktpolitik dieser Bundesregierung erschöpft
sich in immer teurer werdender Bewirtschaftung der Ar-
beitslosigkeit. Ihnen, Herr Bundeskanzler, fehlt der Mut
zu wirklichen Veränderungen und Reformen, weil Sie
dafür eben auch in Ihrer eigenen Fraktion die uneinge-
schränkte Unterstützung nicht finden.
Wenn Sie jetzt vielleicht sogar darauf spekulieren, dass
Sie die Mehrheit nicht bekommen, um bei vorgezogenen
Neuwahlen sozusagen auf dem Höhepunkt des von Ihnen
erreichbaren Ansehens mit einem Auslandseinsatz der
Bundeswehr eine Wahl zu gewinnen, weil dies besser ist
als die Bilanz Ihrer Arbeitsmarktpolitik und Ihrer Wirt-
schaftspolitik, dann sagen wir Ihnen, Herr Bundeskanz-
ler: Der Vorrat dieser Regierung reicht für zehn Monate
nicht mehr, auch wenn Sie heute noch einmal über die
Runden kommen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Friedrich Merz
19861
Wir sind jedenfalls bereit, Herr Bundeskanzler, die Aus-
einandersetzung mit Ihnen jetzt und zu jedem Zeitpunkt
aufzunehmen.
Die Fragen, meine Damen und Herren von den Sozial-
demokraten, die wir noch zu beantworten haben, sind
schneller beantwortet, als jedes der Probleme gelöst ist,
die Sie verursacht haben jedes!
Vor allem in der Arbeitsmarktpolitik, Herr Bundes-
kanzler, werden wir Sie jetzt und zu jedem Zeitpunkt he-
rausfordern:
den Kanzler, der 1998 alles versprochen und bis heute
nichts gehalten hat.
Wir, Herr Bundeskanzler, trauen uns jedenfalls zu, für die-
ses Land und seine Menschen Verantwortung zu überneh-
men,
weil wir im Gegensatz zu Ihnen Prinzipien und
Grundsätze haben,
an die wir uns auch dann halten, wenn es einmal schwie-
rig wird.
Sie, Herr Schröder, spielen jetzt sogar leichtfertig mit
der Außenpolitik, weil Sie in der Innenpolitik nicht mehr
zurechtkommen
und weil Sie zum letzten Mittel greifen müssen, um Ihre
Regierung noch zu retten. Eine solche Regierung, ein sol-
cher Bundeskanzler haben Vertrauen nicht verdient.
Ich erteile dem Kolle-
gen Peter Struck, SPD-Fraktion, das Wort.
Dr. Peter Struck (von der SPD mit Beifall be-
grüßt): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zunächst einige kurze Anmerkungen zu meinem
Vorredner: Es wäre wahrscheinlich besser gewesen, Herr
Kollege Merz, wenn Sie im juristischen Studium etwas
mehr aufgepasst hätten.
Ihre rechtliche Interpretation des Beschlusses des Deut-
schen Bundestages, die besagt, man könne diesen nie wie-
der zurückholen, ist falsch.
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Der Bundestag kann jeder-
zeit eine anders lautende Entscheidung treffen, entspre-
chende Mehrheitsverhältnisse vorausgesetzt. Das hätten
Sie aber wirklich lernen müssen, Herr Kollege Merz. Ich
weiß nicht, wer Ihnen das aufgeschrieben hat.
Zweite Bemerkung: Für meine Fraktion erkläre ich,
dass wir uns sehr darüber freuen, dass die acht Shelter-
Now-Mitarbeiter, darunter die vier deutschen, gesund an
Leib und Leben in ihre Länder zurückkehren können.
Das dann allerdings innenpolitisch so zu kommentieren,
wie Sie, Herr Kollege Merz, es getan haben, geht eindeutig
über die normale politische Auseinandersetzung hinaus.
Dritte Bemerkung: Natürlich bedaure ich, dass eine
Kollegin meiner Fraktion mir gestern erklärt hat, dass sie
meiner Fraktion nicht mehr angehören wolle.
Natürlich haben wir Gespräche mit ihr geführt, um sie von
einem solchen Schritt abzuhalten. Aber ich respektiere
diese Entscheidung der Kollegin Christa Lörcher und
wehre mich gegen die Interpretation, die Sie hier gegeben
haben. Sie, der Sie einen Mann in Ihren Reihen haben, der
sich nach wie vor weigert, Kenntnisse von Schwarzgeld
zu offenbaren, haben es gerade nötig!
Nun aber zu den Ereignissen in Afghanistan: 23 Jahre
Krieg könnten bald ein Ende haben. Der Sicherheitsrat hat
bereits für die Zeit danach Vorsorge für den Aufbau einer
zivilen Gesellschaft getroffen. Jetzt geht es darum, meine
Damen und Herren, international die Ordnung in dem ge-
plagten Land zu sichern. Nach dem Bangen gibt es erste
positive Zeichen.
Nicht mehr die Bombardierung der Talibanstellungen
steht im Vordergrund, sondern die Befreiung der Städte
von dem Schreckensregime. Die Kreise um Bin Laden
werden enger. Die Festnahme dieses die Welt in Atem hal-
tenden Fundamentalisten haben wir gewollt, als wir am
19. September hier die Unterstützung im Kampf gegen
den internationalen Terrorismus zugesagt haben. Alle
müssen gestehen, dass wir diesem Ziel näher gekommen
sind, auch durch Mittel, die viele nicht gutgeheißen ha-
ben, auch durch Mittel, die von den Demonstranten vor
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Friedrich Merz
19862
diesem Haus, denen ich das Recht zu demonstrieren über-
haupt nicht abstreiten will, infrage gestellt worden sind.
Die amerikanischen Bombardierungen haben viele Men-
schen in unserem Land erschrocken abgelehnt. Viele von
uns haben ebenfalls ihre Bedenken zum Ausdruck ge-
bracht. In meiner Fraktion ist Stunde um Stunde debattiert
worden, ohne dass eine Alternative zu dem Vorgehen der
Amerikaner sichtbar geworden wäre.
Wir alle sind erleichtert, wenn sich die jetzige Phase
das ist offensichtlich der Fall ihrem Ende zuneigt.
Aber eines ist völlig klar: Der Kampf gegen den Terror ist
damit nicht beendet. Noch ist Bin Laden frei und sein
Schreckensnetz weit verzweigt. Seine Drohung, weitere
Terrorakte zu verüben, bleibt bestehen. Wir haben den
Atem angehalten, als am vergangenen Montag erneut ein
Flugzeug in New York abstürzte, weil wir die Befürch-
tung hatten, der Absturz könne mit einem Terroranschlag
in Verbindung gebracht werden.
Am 11. September und danach haben wir gesagt: Es
geht bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus
nicht nur um die Solidarität mit den USA. Vielmehr sei es
originäres Eigeninteresse, den Terrorismus in einer inter-
nationalen Koalition zu bekämpfen. Das, was vor zwei
Monaten richtig war, ist heute nicht falsch. Es bleibt bei
dieser Entscheidung.
Wir haben am 19. September hier in großer Über-
einstimmung unsere Unterstützung auf politischer und
humanitärer Ebene, aber auch im militärischen Bereich
zugesagt. Die politischen Bemühungen der Bundesregie-
rung sind für niemanden zu übersehen. Die Anstrengun-
gen von Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenmi-
nister Joschka Fischer werden im Lande, aber auch bei
unseren Partnern und in den Vereinten Nationen gelobt.
Bei den humanitären Hilfen für Afghanistan und Pakis-
tan sind die deutschen Leistungen vorbildlich. Mit rund
150 Millionen DM helfen wir den Menschen in beiden
Ländern, vor allem den Flüchtlingen. Die Bundesregie-
rung hat bereits angekündigt, für den Wiederaufbau
Afghanistans weitere Mittel zur Verfügung zu stellen.
Wir haben niemals, an keiner Stelle, einen Zweifel daran
gelassen, dass die politische Vorbereitung des Post-Tali-
ban-Prozesses und die humanitäre Hilfe für die Flücht-
linge wenigstens gleichrangig neben der militärischen
Bekämpfung des Talibanregimes stehen muss und auch in
Zukunft stehen wird.
Wir haben aber am 19. September neben den politi-
schen Maßnahmen auch beschlossen, dass militärische
Fähigkeiten eingesetzt werden können. Über diese Maß-
nahmen, so lautet unser Beschluss, ist nach Kenntnis der
amerikanischen Unterstützungswünsche in eigener Ver-
antwortung und gemäß der verfassungsrechtlichen Vorga-
ben zu entscheiden. Genau darum geht es heute. Es geht
darum, dass der Bundestag der Bundesregierung erneut
die Unterstützung gibt, die er längst zugesagt hat. Wer am
19. September zugestimmt hat, aber heute ausschert, der
hat ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Denn Art und Umfang des jetzt zugesagten militärischen
Beistandes sind bei allen generellen Bedenken gegen mi-
litärische Einsätze verantwortbar und leistbar.
Ich möchte auf die einzelnen militärischen Maßnah-
men eingehen, auch im Hinblick auf die Aufforderung,
wir sollten nicht in den Krieg ziehen, die von sicherlich
ernst zu nehmenden Intellektuellen in großen Illustrierten
erhoben worden ist.
Erstens. Wer will denn ernsthaft widersprechen, wenn
Deutschland Sanitätskräfte vor allem zur Evakuierung
und Rettung von verwundeten Zivilisten oder Soldaten
bereitstellt?
Zweitens. Wer kann Bedenken haben, wenn Deutsch-
land Lufttransportmittel für Personen und militärisches
Gerät, aber auch für zivile Hilfsgüter bereitstellt?
Drittens. Wer kann etwas dagegen haben, dass
Deutschland sein anerkanntes Know-how zur Aufspürung
von ABC-Gefahren anbietet? Die Milzbrandattentate in
den USA, von wem auch immer sie verübt wurden, zei-
gen doch, dass der Gebrauch von biologischen und che-
mischen Waffen eine reale Gefahr ist. Für den Fall einer
solchen Verseuchung werden Spürpanzer und ABC-
Schutzkräfte bereitgestellt in der Hoffnung, dass sie
niemals zum Einsatz kommen.
Viertens. Was soll daran kriegerisch sein, dass Marine-
kräfte helfen, die zivile Seefahrt an der arabischen Halb-
insel zu sichern, um Öl- und Gastanker vor terroristischen
Attentaten zu sichern? Dass es nach entsprechenden Dro-
hungen Anlass zur Vorsorge gibt, hat der Angriff auf ein
Schiff in der Region in den letzten Wochen bewiesen.
Bleibt als letzte und fünfte Maßnahme die Bereitstel-
lung von 100 Spezialkräften, die mit polizeiähnlichen Zu-
griffsmöglichkeiten besonders geeignet sind, identifi-
zierte Terroristen oder Talibanverbrecher in Afghanistan
dingfest zu machen.
Über jeden einzelnen Einsatz entscheidet die Bundesre-
gierung selbst. Das Kommando liegt bei der Bundeswehr,
sodass auf jeden Fall gesichert ist, dass diese Kräfte bei ei-
nem Einsatz nicht von außen in Abenteuer getrieben werden
können. Die polizeiliche Arbeit dieser Kräfte hat sich im
Übrigen, wie wir alle wissen, bei der Ergreifung und Fest-
nahme von Kriegsverbrechern in Bosnien sehr bewährt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Dr. Peter Struck
19863
Mancher Kriegsverbrecher stünde nicht in Den Haag vor
Gericht, wenn es solche Kräfte, auch deutsche, nicht ge-
geben hätte.
Deshalb kann ich nach reiflichem Abwägen nicht er-
kennen, dass die Bereitstellung dieser militärischen
Fähigkeiten ungebührlich, unmoralisch oder gar kriegs-
treibend wäre.
Wie mir geht es den allermeisten Mitgliedern meiner
Fraktion. Niemand, der zustimmt, hat sich die Entschei-
dung leicht gemacht. Ich wehre mich ganz entschieden
gegen die Sichtweise, dass nur diejenigen, die den Be-
schluss nicht mittragen wollen, ihr Gewissen befragt ha-
ben, dass Zustimmung eine leichte Übung, Ablehnung
aber eine große Gewissensanstrengung ist.
Das Angebot der Bundesregierung zur Unterstützung
der amerikanischen Partner ist maßvoll, besonnen und ver-
antwortbar. Wer dieses Angebot ablehnt, muss sich fragen
lassen, ob er verantwortungsvoll handelt. Das Paradoxe an
der Entscheidungssituation ist: Was die Entwicklung in
Afghanistan angeht, so kann das militärische Hilfsangebot
eher nachrangig sein. Ich bin fast sicher, dass die Bundes-
wehr dort nur noch gebraucht wird, um mitzuhelfen, die
humanitäre Versorgung zu organisieren. Wenn das von uns
erbeten wird, ist sie in einem guten Einsatz.
Aber es geht bei dieser Frage um weit mehr als um die
Bereitstellung von Soldaten. Es geht für Deutschland da-
rum, dass seine Verlässlichkeit als Bündnispartner auf
dem Spiel steht. Es geht darum, dass Deutschland bei ei-
nem Nein dieses Hauses aus der internationalen Anti-
terrorkoalition ausscheren müsste, dass Deutschland als
NATO-Partner unglaubwürdig wäre und sich selbst iso-
lieren würde. Niemand, weder die USA noch Großbritan-
nien noch Frankreich oder andere EU-Partner, schon gar
nicht ein Land wie Tschechien, das auch bereit ist, mi-
litärische Fähigkeiten bereitzustellen, würde Verständnis
für eine Haltung unsererseits haben, die signalisiert:
Macht ihr mal den Dreck mit der militärischen Bekämp-
fung von Taliban und Terror allein; wir stehen später mit
Carepaketen da. Das kann nicht deutsche Politik sein,
meine Damen und Herren!
Es geht nicht nur um die Solidarität mit der NATO und
mit der Europäischen Union, es geht auch um die Unter-
stützung von Positionen der Vereinten Nationen. Immer
wieder haben die Vereinten Nationen darauf hingewiesen,
dass es eine zivile Gesellschaft in Afghanistan erst geben
kann, wenn das Talibanregime beseitigt ist. Vergeblich
fordern die Vereinten Nationen seit Jahren von Afgha-
nistan, das Gastrecht für Bin Laden aufzuheben. Aus-
drücklich hat der Weltsicherheitsrat in der Resolution
1368 militärischen Operationen zur Zerstörung des Ter-
rornetzwerks zugestimmt. Das ist genau die Grundlage,
die wir für militärische Einsätze immer gewollt haben.
Natürlich wäre es noch besser, wenn den Vereinten Na-
tionen für solche Fälle eigene Truppen zur Verfügung
ständen und wenn nationale Einsatzkräfte nicht mehr
nötig wären. Aber wer daran arbeiten will, der darf sich
nicht zurückziehen, sondern muss sich an den von den
Vereinten Nationen skizzierten Aufgaben aktiv beteiligen.
Lassen Sie mich an dieser Stelle einfügen, dass sich
gerade jetzt bei der Bekämpfung des internationalen Ter-
rorismus zeigt, wie wichtig das Interesse der Welt-
gemeinschaft an der Errichtung eines internationalen
Strafgerichtshofs ist.
Gemeinsam mit den europäischen Partnern und vielen an-
deren UN-Staaten hat sich die Bundesregierung mit
großem Nachdruck für die Errichtung dieses internatio-
nalen Gerichtshofs eingesetzt. Wir unterstützen das und
hoffen, dass die USA auch angesichts der Anschläge von
New York und Washington ihre Bedenken überwinden
werden.
Mit der Ablehnung einer vielleicht gar nicht mehr in
Anspruch genommenen Bitte würden wir einen hohen
Preis zahlen und dem Land auf unabsehbare Zeit Schaden
zufügen. Dies darf kein Bundeskanzler zulassen. Er
ist gewählt, um Schaden abzuwenden. Ein isoliertes
Deutschland wäre ein schwerer Schaden.
Deswegen brauchen der Bundeskanzler, der Außenminis-
ter und die Bundesregierung insgesamt in dieser Frage
Klarheit. Deshalb ist es angemessen, dass Gerhard
Schröder diese Frage mit der Frage nach dem Vertrauen
zu ihm verbindet. Wer da von Erpressung redet,
der hat nicht verstanden, was außenpolitische Handlungs-
fähigkeit für unser Land bedeutet.
Jeder Kanzler hat sich in solch grundsätzlichen Fragen
der Außenpolitik um eine möglichst breite Unterstützung
des Hauses bemüht.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Dr. Peter Struck
19864
Ich erinnere an das zähe Ringen Adenauers um die West-
bindung, an Willy Brandts Kämpfe um die Ostpolitik und an
Helmut Schmidts Einsatz für den NATO-Doppelbeschluss.
Eine breite Mehrheit ist in solch grundsätzlichen Fragen
wünschenswert; aber die eigene Mehrheit ist unerlässlich.
Es geht darum, dies festzustellen.
Es ist nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht des
Kanzlers, sich dieser eigenen Mehrheit zu vergewissern.
Keine Frage ich will das gar nicht bestreiten : Die Ko-
alition ist in einer schwierigen Situation
dies deshalb, weil die einen mit ihrem Nein ihre Ableh-
nung der zu Ende gehenden Bombardierungen und die an-
deren mit ihrem Ja vor allem die Zustimmung zur Bünd-
nissolidarität Deutschlands zum Ausdruck bringen
wollen. Diese Solidarität ist zu wichtig, als dass es dem
Kanzler oder seiner Fraktion gleich sein könnte, dass sie
von einigen nicht so ganz wichtig genommen wird.
Die Bundesrepublik hat in mehr als 50 Jahren mit ver-
schiedenen Regierungen und unterschiedlichen Koaliti-
onskonstellationen gelebt. Aber sie hat nur leben und sich
in Freiheit entfalten können, weil sie sich der Bündnisso-
lidarität ihrer NATO-Partner als Konstante sicher sein
durfte. Diese Konstante darf man nicht aufgeben, wenn
erstmals von uns Solidarität eingefordert wird.
Der Erreichung dieses Ziels dient die Vertrauensfrage.
Jeder muss sich bei seiner Entscheidung dessen bewusst
sein. Natürlich muss er sich bewusst sein, dass er, wenn er
mit Nein stimmt, nicht nur die Bündnissolidarität aufgibt,
sondern das Regierungsbündnis gefährdet. Deshalb er-
kläre ich hier, dass alle Mitglieder der SPD-Fraktion heute
mit Ja stimmen und dem Bundeskanzler das Vertrauen
aussprechen werden.
Meine Damen und Herren, Erhard Eppler, nicht in
Verdacht, ein Hurrapatriot zu sein,
hat meiner Fraktion und der des Bündnisses 90/Die Grü-
nen einen eindringlichen Brief geschrieben und bei aller
Skepsis über das amerikanische Vorgehen in Afghanistan
zur Zustimmung aufgefordert. Ich bitte alle, bei ihrer Ent-
scheidung den letzten Satz des Briefes, ein Zitat Dietrich
Bonhoeffers, zu berücksichtigen.
Erhard Eppler hat es uns allen als Richtschnur für unsere
Entscheidung am heutigen Tag ans Herz gelegt:
Die letzte verantwortliche Frage ist nicht, wie ich
mich heroisch aus der Affäre ziehe, sondern wie eine
künftige Generation weiterleben soll.
Das Wort zu einer
Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Rupert Scholz,
CDU/CSU-Fraktion.
Vielen Dank, Herr
Präsident. Herr Struck, Sie haben sich auf juristisches
Glatteis begeben und sind wie üblich ausgerutscht.
Zu der Frage des so genannten Rückholrechts muss
etwas gesagt werden. Die Entscheidung über den Einsatz
der Bundeswehr ist, wie auch das Bundesverfassungs-
gericht klargestellt hat, eine grundsätzliche exekutivische
Angelegenheit, und das ist auch richtig so. Das bedeutet,
dass die Zustimmung des Parlaments keine Initiativent-
scheidung ist, sondern nichts anderes als eine Ent-
scheidung, das exekutivische Verhalten, die exekutivische
Entscheidung zu legitimieren. Daraus ergibt sich, dass
hier kein Rückholrecht besteht vermutlich haben Sie Ih-
rer Fraktion dabei etwas Unrichtiges gesagt
im Sinne eines initiativen Tätigwerdens des Parlaments.
Das ist der Grund, meine Damen und Herren, weshalb wir
und der Vorsitzende unserer Fraktion sehr deutlich gemacht
haben, dass die Bundesregierung selbst initiativ werden
muss, dass es auch aus Respekt vor dem Parlament angera-
ten ist, diese Frage nach circa sechs Monaten auf Initiative
der Regierung diesem Hohen Haus wieder vorzulegen.
Der Bundestag hat nur eine einzige Möglichkeit, selbst
initiativ zu werden; das ist wenn Sie den juristischen Be-
griff verstehen, Herr Struck die clausula rebus sic stan-
tibus, wenn also die Grundlage der Zustimmung des Bun-
destages in evidenter Form verlassen worden ist. Das
bedeutet wiederum, dass das Parlament dann natürlich
seine eigene Zustimmung zurückziehen, verändern oder
einschränken kann. Wenn Sie aber unter dem Stichwort
der clausula rebus sic stantibus
exekutivisches Verhalten hier kontrollieren wollen, dann
gehen Sie einen gefährlichen Weg Ihrer eigenen Regie-
rung gegenüber, einer Regierung, die das Vertrauen dieses
Hauses in dieser Frage mit großer Mehrheit hätte bekom-
men können. Aber das haben Sie bekanntlich aus partei-
taktischen, parteipolitischen Gründen verspielt.
Ich weise Sie noch einmal deutlich darauf hin: Sie ha-
ben hier versucht, die juristische Behauptung aufzustellen,
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Dr. Peter Struck
19865
dass es ein allgemeines Rückholrecht für dieses Haus gibt.
Diese Aussage ist falsch.
Kollege Struck, Sie
haben Gelegenheit zur Antwort.
Herr Kollege Scholz, ich
schätze Sie sehr, aber ich finde, es war ein bisschen unan-
gemessen, meine juristischen Qualitäten zu bewerten.
Das gehört nicht in diese Debatte.
Sonst kann ich ja sagen: Sie sind Professor, ich bin pro-
moviert, Herr Merz ist nicht promoviert. Wer hat denn
dann wohl am meisten Recht?
Herr Kollege Scholz, um es kurz zu beantworten: Der
ehemalige Verfassungsrichter Hans Hugo Klein, der heute
mehrfach zitiert worden ist, hat genau zu diesem Thema
Folgendes gesagt jetzt zitiere ich wörtlich :
Der Bundestag könnte jederzeit bestimmen, dass die
Aktion einem Ende zuzuführen ist, etwa wenn die
Opfer zu groß würden oder die Abgeordneten
mehrheitlich zu der Überzeugung gelangten, dass das
ganze Unternehmen keinen Sinn mehr macht.
Ich stelle hier fest, Herr Kollege Scholz, dass Ihre
Rechtsauffassung nicht von dem ehemaligen Verfas-
sungsrichter Hans Hugo Klein geteilt wird, der Mitglied
Ihrer Fraktion war, und dass der Bundestag, wenn er denn
will, natürlich jederzeit eine Entscheidung über die Rück-
holung von Soldaten treffen kann.
Dieses ist ja nicht das eigentliche Hauptproblem, das
wir hier diskutieren. Es sollte aber festgehalten werden,
dass selbstverständlich eine Bundesregierung, die von der
Mehrheit des Parlaments gebeten wird, die Soldaten
zurückzuholen, sie zurückholen würde. Der theoretische
Popanz, den Sie hier aufbauen, ist doch absurd.
Ich erteile dem Kolle-
gen Wolfgang Gerhardt, FDP-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Es ist wie immer: Ich habe
zwei Juristen gehört, ratlos bleibe ich weiterhin.
Es gibt in diesem Hause, verehrte Kolleginnen und
Kollegen, eine deutliche Mehrheit, die genau weiß, was in
dieser Situation zu tun ist. Es gibt eine breite Mehrheit, die
weiß, dass viele Spuren nach den brutalen Anschlägen am
11. September nach Afghanistan weisen. Es gibt eine
breite Mehrheit, die ein klares Bild von dem bisher dort
im Amt befindlichen menschenverachtenden System hat,
das Opposition und Frauen unterdrückt hat, eine desolate
wirtschaftliche Lage, wenn man davon überhaupt reden
kann, zu verantworten hat, in dessen Land eine niedri-
ge Lebenserwartung und hohe Säuglingssterblichkeit
herrschten und das im Übrigen auch für 90 Prozent der
Opiate, die auf die westeuropäischen Märkte kommen,
verantwortlich ist. Dieses Regime bringt das Land um
seine Zukunft.
Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland
ist aber in Kenntnis dieser Lage gezwungen, trotz der
Bündnisverpflichtungen Deutschlands, trotz einer Man-
datierung durch die Vereinten Nationen und trotz der
selbst im privaten Leben logischerweise empfundenen
Beistandsverpflichtung die Vertrauensfrage zu stellen,
um die Unterstützung seiner eigenen Koalition für eine
Veränderung dieser Situation zu bekommen. Das ist ein
Armutszeugnis für die Bundesrepublik Deutschland.
Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, eine Entscheidung die-
ses Hauses zu dem haben wollen, was Sie unseren Bünd-
nispartnern zugesagt haben, dann schließe ich mich der
Aufforderung des Kollegen Merz an Herr Bundeskanz-
ler. Sie haben es in der Hand : Trennen Sie die Abstim-
mungen! Das wäre parlamentarisch das beste Verfahren.
Es entspräche der Ausübung des freien Mandats. Ich bin
überzeugt, Sie hätten eine übergroße Mehrheit, die unse-
ren Verbündeten mehr über den Willen der Deutschen aus-
sagen würde als Ihre zusammengezimmerte Mehrheit, die
Sie nachher durch die Vertrauensfrage erreichen.
Selbst wenn Sie nachher eine Mehrheit erhalten, sind Sie
politisch am Ende. Sie selbst haben es nicht so deutlich
ausgedrückt, aber Sie haben uns wissen lassen, warum Sie
die Vertrauensfrage stellen: wegen der Notwendigkeit,
feststellen zu müssen, ob Sie das Vertrauen Ihrer eigenen
Koalition haben. Damit dient die Vertrauensfrage zumin-
dest mit Blick auf die Grünen nur als Zaumzeug, nicht
mehr und nicht weniger.
Die Grünen werden nach Anwendung dieses pädago-
gischen Rohrstocks auch folgsam sein. Zum wiederhol-
ten Male breiten sie öffentlich all ihre Seelenqualen aus,
sprechen in hohen Tönen vom hohen moralischen Wert
des freien Mandats, an allererster Stelle die verehrte Frau
Bundestagsvizepräsidentin. Heute Morgen erklärt ein
Grüner, dass man sich entschieden habe und von den bis-
herigen acht Neinsagern vier zustimmen würden, um
deutlich zu machen, sie seien gegen den Militäreinsatz,
aber für den Bundeskanzler. Das deutsche Volk sollte sich
von dieser Partei nicht so hinters Licht führen lassen.
Die NATO ist ein Bündnis von Staaten, die sich zur
Verteidigung von Werten entschlossen haben und die wie
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Dr. Rupert Scholz
19866
wir ihre politischen Ziele an verfassungsgebundenem
Handeln ausrichten.
Diese Staaten sind zu Recht eine Beistandsverpflich-
tung eingegangen. Im privaten Leben würden das die Grü-
nen als Zivilcourage bezeichnen, weil es für jeden Men-
schen selbstverständlich ist, dass er anderen helfen muss,
wenn diese in Bedrängnis kommen. Das fordern Sie von
allen friedensbewegten Menschen. Aber Sie hätten wissen
müssen, als Sie in die Regierung eintraten, dass das glei-
che Prinzip, die gleiche Charaktereigenschaft und die
gleiche Haltung gefordert sind, wenn man in Deutschland
regieren will.
Da Sie das nicht können, hätten Sie nicht eintreten sollen.
Der bundesdeutsche Steuerzahler finanziert mit Ihrer Re-
gierungsbeteiligung die teuersten Ausbildungsplätze in
Deutschland.
Sie müssen sich jetzt der Reifeprüfung stellen; Sie müs-
sen unter Druck die Vertrauensfrage beantworten. Aber
daraus erwächst keine Zukunftsperspektive für Sie.
Sie wissen wie wir, dass eine der fundamentalsten Vo-
raussetzungen für friedliches menschliches Zusammen-
leben die Prinzipien sind, die Bin Laden missachtet, die
die Taliban missachten, auf die aber freie Gesellschaften
angewiesen sind, wenn sie menschenwürdiges Leben si-
chern wollen. Deshalb ist eine Entscheidung der Bundes-
regierung und eine Entscheidung des Bundestages, diese
Prinzipien durchzusetzen, eine bare Selbstverständlich-
keit einer aufgeklärten Gesellschaft und einer zielgerich-
teten Politik. Eine solche bare Selbstverständlichkeit wo-
chenlang in dieser Art und Weise, wie es die staunende
deutsche Öffentlichkeit erlebt hat, so in allen Blättern, in
allen Spalten, in allen Magazinen auszubreiten zeigt je-
dem, dass die Grünen nicht in der Lage sind, unbequeme
Fragen der Zeit zu beantworten. Wenn sie das nicht kön-
nen, sollten sie aus dieser Bundesregierung ausscheiden.
Psychotherapeutische Maßnahmen Terroristen ange-
deihen zu lassen, vielleicht runde Tische aufzustellen, ih-
nen die Menschenrechtskonvention vorzulesen, ihnen die
UNO-Charta vorzulesen,
das Sie wissen es doch reicht nicht aus. Deshalb lau-
tet die klare Kernaussage: Sie können in dieser Situation
Menschen nur helfen, wenn Sie auch bereit sind, zu einer
politischen Lösung Militär einzusetzen, weil es eben
Menschen gibt, die ohne diesen deutlichen Hinweis nicht
bereit sind, sich politisch zu bewegen.
Wenn wir dies tun, geben wir einer guten politischen Lö-
sung einen Vorlauf.
Zurück zur Vertrauensfrage, Herr Bundeskanzler. Die
Vertrauensfrage Sie haben das zum Ausdruck gebracht
dient dem Zusammenhalt der Koalition und dem Fortgang
Ihrer Politik. Wenn es sich nur um die außenpolitische
Frage der Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutsch-
land handeln würde, dann wäre das ja noch gelinde
gesagt politisch als richtig zu bewerten. Aber die Ver-
trauensfrage, die Sie stellen, bedeutet im Grunde, Verant-
wortung für die wirtschaftliche Lage der Bundesrepublik
Deutschland in einer desolaten Situation zu übernehmen,
einer Situation, die gekennzeichnet ist von nahezu 4 Mil-
lionen Arbeitslosen, von der Tatsache, dass unser Land im
internationalen Vergleich die rote Laterne hat, und von der
höchsten Steuer- und Abgabenbelastung.
Unser Land hat seine Hausaufgaben nicht gemacht und
für diese Hausaufgaben sind nicht die Opposition oder die
Bundestagsfraktion der Freien Demokraten zuständig; die
verantworten Sie. Deshalb werden Sie Verständnis dafür
haben, dass wir nicht willens, nicht bereit und auch nicht
in der Lage sind, Ihnen das Vertrauen auszusprechen und
in Verantwortung und in Haftung für diese desolate Lage
der Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik Deutschland
genommen zu werden.
Wir haben deshalb als Bundestagsfraktion der FDP ei-
nen einfachen Antrag eingebracht, der auch Sie in der
wichtigen außenpolitischen Frage nicht ohne Unterstüt-
zung lässt. Der Antrag bietet Ihnen an, in eine Abstim-
mung darüber einzutreten, dass der Deutsche Bundestag
auf Antrag der FDP den von Ihnen gewünschten und für
notwendig gehaltenen Einsatz von 3 900 Soldaten eben-
falls für notwendig hält. Diese Notwendigkeit steht außer
Frage. Der Antrag weist in einem zweiten Punkt darauf
hin da müssen wir uns gar nicht in einen juristischen
Streit begeben , dass der Bundestag erwartet, dass spä-
testens nach sechs Monaten das Mandat durch eine Er-
klärung der Bundesregierung oder durch eigene Diskus-
sion zur Debatte gestellt wird, weil das Verfahren
transparent und im Parlament bleiben soll.
Der Antrag geht ferner davon aus das ist auch wün-
schenswert , dass, wenn man eine Beistandsverpflich-
tung eingeht und wenn man die NATO anruft, die NATO
im weiteren Prozess die militärische Führung der Aktion
übernimmt und dass nicht nur Verabredungen und Treffen
stattfinden wie jüngst in der Downing Street Nr. 10. Der
Antrag möchte darauf hinweisen, dass das Parlament und
die Öffentlichkeit umfassend unterrichtet werden wollen.
Das haben Sie ohnehin zugesagt.
Es gibt dafür eine breite Mehrheit in diesem Haus. Des-
halb fordere ich Sie auf, dieser breiten Mehrheit den Vor-
zug zu geben. Ich erkläre Ihnen aber auch genauso offen
Sie verstehen und wissen das auch : Da Sie Ihre persön-
liche Vertrauensfrage nach dem Grundgesetz ausschließ-
lich an Ihre eigene Koalition und deren Fortbestand rich-
ten, muss ich Ihnen für die Freien Demokraten mitteilen,
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Dr. Wolfgang Gerhardt
19867
dass wir daran kein Interesse haben. Wir haben kein Inte-
resse an dem Fortbestand von Rot-Grün
und wir werden deshalb Ihre Vertrauensfrage auch nicht
positiv beantworten können.
Zum Abschluss. In dieser Haltung fühlen wir uns in tie-
fem Einklang mit allen, die aufmerksam das politische
Leben in der Bundesrepublik Deutschland beobachten,
darüber schreiben und die jetzt Ihre Notwendigkeiten und
Ihre enge Situation bewerten. Sie gewinnen möglicher-
weise heute knapp eine Abstimmung. Ihre Politik ist da-
mit aber zugleich am Ende angekommen.
Ich erteile der Kolle-
gin Kerstin Müller, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grü-
nen, das Wort.
Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir
stehen heute vor außerordentlich schwerwiegenden Ent-
scheidungen. Was ist die richtige Antwort auf die histo-
rische Herausforderung des furchtbaren Terroranschlags
vom 11. September in New York? Was ist der angemes-
sene Beitrag Deutschlands im Kampf gegen den interna-
tionalen Terrorismus?
Der Terror hat mit diesem Anschlag eine völlig neue
Dimension erreicht. Fast 5 000 Menschen aus zahlreichen
Ländern der Welt sind tot, begraben unter den Trümmern
des World Trade Centers auf Ground Zero. Der Terroris-
mus, mit dem wir heute konfrontiert sind, zielt darauf ab,
Zivilisten zu töten. Wir erleben einen Massenterror unter
Einsatz brutalster Mittel.
Bin Laden und seine Hintermänner wollen den Hass in
den Köpfen der Menschen verstärken, nicht nur in der
islamischen Welt, nein, auch hier bei uns in unserer Ge-
sellschaft. Sie wollen die arabischen Regime stürzen. Sie
wollen Israel zerstören und sie wollen den weltweiten
Kampf der Kulturen, was wir alle in diesem Hohen Hause
abgelehnt haben.
Ich frage: Können wir über diese Ziele verhandeln?
Die UNO hat in großer Einigkeit festgestellt: Von al-Qaida
und Bin Laden geht eine Gefahr für den Weltfrieden aus,
eine Gefahr, der die Völkergemeinschaft entschlossen
entgegentreten muss. Für uns steht dabei das Primat der
Politik nach wie vor im Mittelpunkt: zivile Konflikt-
lösungen, humanitäre Hilfe, gerade jetzt die zivile Per-
spektive Afghanistans und eine Stärkung der internatio-
nalen Organisationen.
Klar ist: Ohne begrenzte und zielgerichtete militäri-
sche Maßnahmen gegen die Infrastruktur der terroris-
tischen Netzwerke werden Bin Laden und seine Helfers-
helfer neue Attentate planen und durchführen. Um das zu
verhindern, sind solche Maßnahmen notwendig und nach
dem Völkerrecht auch legitim.
Der Kampf gegen den Terrorismus darf aber nicht
das sage ich ganz deutlich zum Krieg gegen die Men-
schen werden.
Der Einsatz von Streubomben zum Beispiel ist nach dem
Völkerrecht nicht erlaubt und ist daher nicht zu recht-
fertigen.
Wenn die Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht strikt ge-
wahrt bleibt gemäß dem Völkerrecht , dann haben die
Menschen in Deutschland zu Recht Sorge vor einer Eska-
lation.
Die aktuelle Entwicklung in Afghanistan stimmt vor-
sichtig optimistisch. Das Talibanregime wird möglicher-
weise bald überwunden sein. Endlich, nach Jahren des
Hungers und des Elends, haben wieder Hilfsorganisa-
tionen Zugang zum Land. Sie versuchen, vor dem Winter
die Versorgung der Bevölkerung und der Flüchtlinge si-
cherzustellen. Wichtig ist jetzt die Sicherung der huma-
nitären Hilfe und des Wiederaufbaus sowie die Aufrecht-
erhaltung der Ordnung in Afghanistan.
Darüber hinaus stehen verstärkte direkte Antiterrormaß-
nahmen gegen das terroristische Netzwerk Bin Ladens im
Vordergrund.
Genau darum wird es auch bei dem deutschen Beitrag
gehen. Er dient überwiegend humanitären Zwecken.
Die Spezialkräfte haben quasi polizeilich-militärische
Aufgaben. Deshalb war es wichtig, dass die Bundesregie-
rung das Mandat präzisiert hat, präzisiert im Hinblick auf
Einsatzort, Auftrag und die Zusammensetzung der deut-
schen Streitkräfte.
Der Bundeskanzler hat außerdem klar gestellt, dass sich
deutsche Soldaten weder an Luftangriffen noch an Kampf-
truppen am Boden beteiligen werden. Durch diese wichti-
gen Klarstellungen und Präzisierungen ist die große Mehr-
heit der Abgeordneten meiner Fraktion überzeugt, dass sie
den Einsatz vor ihrem Gewissen verantworten können.
Wir haben hier und heute aber nicht nur über den
deutschen Beitrag im Kampf gegen den internationalen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Dr. Wolfgang Gerhardt
19868
Terrorismus zu entscheiden. Der Bundeskanzler hat den
Einsatz deutscher Soldaten mit der Vertrauensfrage nach
Art. 68 Abs. 1 des Grundgesetzes verbunden. Damit geht
es heute auch um die Zukunft dieser Reformkoalition, um
die Zukunft von Rot-Grün.
Die Koalition hat eine eindrucksvolle Bilanz vorzu-
weisen.
Wir haben diese Republik verändert. Ich will nur einige
Beispiele nennen: Wir haben das Staatsbürgerschaftsrecht
reformiert. Wir haben durch die eingetragenen Partner-
schaften gleiche Rechte für Schwule und Lesben in die-
sem Land geschaffen.
Das bekämpfen Sie; das wissen wir. Die Leute wissen,
wofür wir stehen.
Wir haben mit dem Ausstieg aus der Atomkraft, mit der
Förderung erneuerbarer Energien und mit der Ökosteuer
ökologisch umgesteuert.
Mit dem Zuwanderungsgesetz wird Deutschland endlich
ein Einwanderungsland. Geschlechtsspezifische nicht
staatliche Verfolgung wird als Asylgrund anerkannt.
Wir schaffen mit einer konsequenten Politik der Haus-
haltskonsolidierung und der Rentenreform endlich mehr
Generationengerechtigkeit. Wir haben die größte Steuer-
reform der Nachkriegsgeschichte auf den Weg gebracht
und haben sie in diesem Hause und im Bundesrat verab-
schiedet.
Wir, Sozialdemokraten und Grüne,
haben diese Republik gemeinsam verändert. Wir haben
uns daran gemacht, sie endlich sozial und ökologisch zu
gestalten. Es liegen noch große Aufgaben vor uns: Wir
wollen den Sozialstaat solidarisch umbauen, wollen die
Energiewende vollenden und eine neue globale Friedens-
politik für das 21. Jahrhundert entwickeln.
Dies alles ist zu bedenken, wenn wir heute über die
Zukunft der rot-grünen Koalition zu entscheiden haben.
Ich sage, niemand muss die Grünen über verantwortungs-
volles Verhalten in der Regierung aufklären.
Genauso wenig brauchen wir moralische Belehrungen.
Es gibt kaum eine andere Partei in Deutschland, die sich
in ihrer Geschichte so kritisch, so kontrovers, so gründ-
lich und so ernsthaft mit der Notwendigkeit militäri-
scher Maßnahmen auseinander gesetzt hat. Wir sind
die Partei, die auch aus der Friedensbewegung entstan-
den ist.
Es ist ein langer, ein schwieriger Weg, den wir seitdem
zurückgelegt haben, von den Protesten gegen die NATO-
Nachrüstung bis zu der Frage, was aus den Ereignissen
von Srebrenica folgt.
Das brauche ich mir, glaube ich, von Ihnen nicht erklä-
ren zu lassen, Entschuldigung.
Wir haben unsere Ansprüche an eine weltweite Frie-
denspolitik formuliert und wir stellen uns heute der
Frage, wie wir dem internationalen Terror begegnen. In
unserer innerparteilichen Debatte kommen auch die
Zweifel, die Sorgen und die Ängste der ganzen Gesell-
schaft zum Ausdruck. Diese Auseinandersetzung als
Entscheidung zwischen Macht und Moral zu bezeich-
nen, wie das jetzt gelegentlich geschieht, das ist nicht
nur polemisch,
es denunziert auch die Frauen und Männer, die sich in
Deutschland um die historischen Lehren aus der Kata-
strophe der Naziherrschaft und des Weltkrieges bemüht
haben. Es denunziert all die in der Gesellschaft, die sich
Sorgen und Gedanken machen und die das Recht haben,
diese Sorgen und Zweifel zu äußern.
Bei allem notwendigen Streit zwischen den Parteien,
bei allen unterschiedlichen Interessen warne ich eindring-
lich davor, durch schamlose Zuspitzung einen Teil unse-
rer gemeinsamen Geschichte zu verunglimpfen. Macht
wird in einer Demokratie auf Zeit verliehen;
die Moral ist unveränderbar. Wir Grüne beteiligen uns
an diesem Regierungsbündnis, um eine Politik zu
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Kerstin Müller
19869
verwirklichen, die auf festen, unveränderlichen mo-
ralischen Überzeugungen gegründet ist.
Sie von der FDP lachen. Sie können gar nicht verstehen,
wovon ich rede, weil Ihnen der Zusammenhang von
Macht und Moral längst nicht mehr bewusst ist, weil Sie
Ihre Prinzipien ständig wechselnden Koalitionspartnern
unterwerfen.
Unsere Grundwerte sind unverändert gültig und sie be-
stimmen unsere Politik im Innern wie im Äußern. Wir tre-
ten für eine liberale, weltoffene und tolerante Gesellschaft
im Innern ein. Deshalb kämpfen wir auch international
gegen Intoleranz und Fanatismus, gegen einen Terror, der
sich gegen unsere Grundwerte richtet.
Wir haben in Deutschland viele Reformen voran-
gebracht, in denen unsere Grundüberzeugungen deutlich
werden. Wir haben mehr soziale Gerechtigkeit geschaffen
und die Rechte von Minderheiten gestärkt. Es entspricht
grünen Grundwerten, wenn wir uns für eine gerechte
Weltordnung einsetzen, wenn wir der ungezügelten Glo-
balisierung Schranken setzen sollen.
Wir können uns auf dieselbe Moral berufen, wenn wir
dort, wo es in unserer Macht liegt, einen angemessenen
Beitrag im Kampf gegen Unterdrückung, Hass und
Gewalt leisten sollen. Das ist der Zusammenhang von
Macht und Moral, über den wir hier sprechen. Jeder Ab-
geordnete muss für sich prüfen, ob seine Entscheidung
den eigenen moralischen Anforderungen entspricht. Wir
als Grüne insgesamt müssen prüfen, ob in diesem Regie-
rungsbündnis ausreichend Raum für unsere Grundwerte
ist. Das ist der Zusammenhang, den der Bundeskanzler
durch die Vertrauensfrage hergestellt hat.
Auch wenn ich über diese Verknüpfung zweier sehr
grundlegender Entscheidungen nicht glücklich bin, so
komme ich doch zu dem Schluss: Wir können diese He-
rausforderung mit gutem Gewissen bestehen. Diese Ko-
alition hat noch immer einen großen Vorrat an Gemein-
samkeiten.
Wir berufen uns auf gemeinsame Überzeugungen.
Meine Fraktion, Herr Bundeskanzler, wird deshalb
heute nach reiflicher Überlegung mit sehr großer Mehrheit
einer maßvollen Beteiligung Deutschlands am militäri-
schen Kampf gegen den Terror zustimmen und wir setzen
gleichzeitig unser Vertrauen in Sie und unseren Außen-
minister, dass Sie die Prinzipien und Werte, die unsere Ko-
alition tragen, im Innern wie im Äußern verteidigen.
Danke schön.
Ich erteile das Wort
Kollegen Roland Claus, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Nach den schrecklichen und
unvergessenen Ereignissen des 11. September 2001 er-
wartet die Öffentlichkeit heute vom deutschen Parlament,
dass es folgende Fragen beantwortet: Militäreinsätze
außerhalb Europas, ja oder nein? Deutsche Kriegsbeteili-
gung, ja oder nein? Stattdessen wird ihr seit Tagen ein
Koalitionsmachtspiel vorgeführt, in dem die Kriegsereig-
nisse quasi in die zweite Reihe gerückt werden.
Meine Damen und Herren aus der Koalition, Sie kön-
nen sich den gegenwärtigen Zustand noch so wortreich
schönreden. Wir sagen Ihnen: Was hier abläuft, nennen
wir Irreführung der Öffentlichkeit und Nötigung des
Parlaments und nicht etwa nur der grünen Fraktion.
Genau darauf komme ich jetzt zu sprechen.
Herr Bundeskanzler, die Tatsache, dass die Verfassung
diesen Schritt, den Sie hier gehen, zulässt, bedeutet noch
lange nicht, dass dieser Schritt politisch weise ist. Das Ge-
genteil ist der Fall.
Sie sind der erste Bundeskanzler, der diese Vertrauens-
frage und damit sein Schicksal mit einer Zustimmung zu
Kriegseinsätzen verbindet.
Wir bleiben dabei: Die PDS-Fraktion sagt Nein zu diesem
Krieg, Nein zur deutschen Beteiligung und auch Nein zur
Vertrauensfrage.
Der Krieg ist und bleibt ein untaugliches Mittel im Kampf
gegen den Terror.
Herr Bundeskanzler, Sie haben hier vor einigen Wo-
chen gesagt: Risiko ja, Abenteuer nein. Mit dem heuti-
gen Beschluss sind wir auf dem Weg in ein unkalkuliertes
militärisches Abenteuer. Sie können die einfachsten Fra-
gen, die Ihnen die Bürgerinnen und Bürger in diesem
Lande stellen, nicht beantworten:
Wohin sollen deutsche Soldaten gehen? Wie lange soll der
Einsatz dauern? Was sind die konkreten Aufgaben? Was
sind die Ziele des Kampfes? Wann sind sie erreicht? Wann
ist der Einsatz abgeschlossen?
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Roland Claus
19870
Sie fassen heute einen Vorratsbeschluss und schrän-
ken damit die Souveränität des Parlaments ein.
Die neue außenpolitische Rolle Deutschlands ich be-
dauere das sehr wird damit ausdrücklich über eine Do-
minanz des Militärischen definiert. Nun nehmen Sie den
militärischen Erfolg der Nordallianz in Verbindung mit
den US-Streitkräften für sich in Anspruch. Ich folge die-
ser Logik nicht, weil sie die zivilen Opfer ausblendet, über
die wir noch immer sehr wenig wissen.
Diese Logik blendet auch die verheerenden Langzeitfol-
gen aus, die diese Bombardements haben werden: eine
Spaltung zwischen arabisch-islamischer und westlicher
Welt. Wenn Sie sich dennoch auf diese Logik des mi-
litärischen Erfolges beziehen, dann sollten Sie sich aller-
dings eine Frage gefallen lassen: Wozu bedarf es noch ei-
ner deutschen Beteiligung an diesem Konflikt?
Auch der Text Ihres Antrages spiegelt wider, dass Sie
der Sachlage nicht mehr gerecht werden. Sie schreiben,
dass sich das Talibanregime in Kabul schützend vor ter-
roristische Strukturen stellt. Sie halten an diesem Antrag
fest. Dieses Festhalten macht nur dann Sinn, wenn es um
die Option gehen soll, militärische Operationen auch in
anderen Staaten durchzuführen. Verteidigungsminister
Rumsfeld hat in den USA bereits von einem, wie er sagte,
guten Dutzend solcher Staaten gesprochen.
Wir halten an unseren aktuellen Befürchtungen fest,
die da heißen: Wenn dem globalisierten Terror der globa-
lisierte Krieg folgen sollte, dann hätte sich nicht die Lo-
gik von Vernunft und Zivilisation, sondern die Logik des
Terrors durchgesetzt. Das können wir doch nicht wollen.
Kritikwürdig bleibt weiterhin, wie Sie mit Kriegsgeg-
nern, mit Kritikern Ihrer Position in dieser Frage umge-
hen. Das deutet nicht auf Souveränität und Stärke hin. Das
ist ein Zeichen von Schwäche.
Ich will Ihnen nur einmal kurz die Abfolge nennen: Es
begann mit den Disziplinierungen des SPD-General-
sekretärs gegenüber Abweichlern bei der Mazedonien-
Entscheidung. Es ging weiter mit der unseligen Verun-
glimpfung der IG Metall und deren Friedensengagement.
Danach folgte die Einmischung aus der Bundesebene in
die Entscheidungen nach der Wahl in Berlin. Es gipfelt
nun in der Vertrauensfrage. Es ist sogar über Neuwahlen
spekuliert worden, wenn einem das denn nur nützen
könnte. Solche Machtspiele sind nicht geeignet, die De-
mokratie in diesem Lande zu stärken.
Unterdessen wächst in der Öffentlichkeit die Ableh-
nung deutscher Beteiligung an diesen Militäroperationen.
Ich will Ihnen nur ein einziges Beispiel nennen. Mich er-
reichte in den letzten Tagen eine mit bewegenden Worten
geschriebene Initiative von Schülergruppen aus Heidel-
berg, die mehr als 1300 Unterschriften gegen eine Kriegs-
beteiligung gesammelt haben. Deren Position und deren
Friedensengagement sollten in dieser Gesellschaft auch
Anerkennung finden.
Meine Damen und Herren in den Koalitionsfraktionen,
niemand hier hat Sie des Hurra-Patriotismus verdächtigt.
Deshalb aber haben auch Sie nicht das Recht, ablehnende
kritische Stimmen zu diskriminieren. Auch das muss hier
gesagt werden.
Herr Bundeskanzler, Sie haben es noch immer in der
Hand das ist hier schon gesagt worden , denn der An-
trag kann noch vom Tisch genommen werden. Allein die
Tatsache, wie vielfältig der Antrag interpretiert wird, deu-
tet darauf hin, dass er einfach nicht sachgerecht ist. Es gibt
noch einen Ausweg. Sie haben es noch in der Hand, den
Antrag vom Tisch zu nehmen das wäre kein Zeichen von
Schwäche, sondern von Größe oder wenigstens die
Verknüpfung des Antrags mit der Vertrauensfrage wieder
aufzuheben. Gehen Sie diesen Weg! Anderenfalls müssen
wir heute mit einem klaren Nein stimmen.
Vielen Dank.
Ich erteile nun der Mi-
nisterin Heidemarie Wieczorek-Zeul das Wort.
Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser
Diskussion möchte ich auf die Menschen, die Flüchtlinge
in Afghanistan zu sprechen kommen und sagen: Am al-
lerwichtigsten ist es, dafür zu sorgen wir als Bundesre-
gierung sorgen dafür , dass diese Flüchtlinge humanitäre
Hilfe, dass die Menschen Nahrung, Lebensmittel und Me-
dikamente erhalten.
Die Nichtregierungsorganisationen und das Welt-
ernährungsprogramm sind im Einsatz, um dazu beizutra-
gen, dass diese Arbeit geleistet wird. Das ist jetzt das
Wichtigste.
Da die Diskussion manchmal verengt wird, will ich sa-
gen: Alle Flüchtlinge, die dies wollen, müssen die Chance
erhalten, in ihr Land zurückzukehren. Vor dem 11. Sep-
tember dieses Jahres waren 8 Millionen Afghanen auf
der Flucht. Sie müssen die Chance erhalten zurückzukeh-
ren. Sie waren auf der Flucht vor den Grausamkeiten
der Taliban. Sie waren auf der Flucht vor Dürre- und
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Roland Claus
19871
Hungerkatastrophen. Über zwei Jahrzehnte hat sich die
Weltgemeinschaft nicht wirklich um das Schicksal der
Menschen in Afghanistan und der Region gekümmert.
Das darf niemals mehr passieren. Auch das muss in dieser
Diskussion heute gesagt werden.
Die Bundesregierung wird alles tun, um den Frauen,
die durch die Taliban entrechtet wurden, ihre Stimme und
Teilhabe am politischen Leben in Afghanistan zurückzu-
geben. Das ist auch eine Aufforderung an die Nordallianz
und die künftige Regierung.
Sie werden daran gemessen werden, wie sie mit den
Frauenrechten, den Menschenrechten und den Rechten
von Minderheiten umgehen.
Unsere Entwicklungszusammenarbeit das ist das,
was wir jetzt leisten müssen , für die wir neben den Hil-
fen vonseiten der EU und der Weltbank mindestens
160 Millionen DM an bilateralen Entwicklungshilfemit-
teln zur Verfügung stellen, wird mit anderen zusammen
sicherstellen, dass Mädchen endlich wieder in die Schule
gehen können, dass Frauen Zugang zur Arbeit und zur Ge-
sundheitsversorgung haben. Das sind wir den vielen Mil-
lionen Frauen gemeinsam schuldig, die über Jahre hinweg
entrechtet worden sind. Dafür werden wir sorgen.
Der Wiederaufbau Afghanistans ist der Schlüssel zu
Frieden und Stabilität im Land. Er kann nicht erst dann er-
folgen, wenn schon alle Entscheidungen bezüglich der
Regierungsbildung getroffen sind. Die Arbeit für den
Wiederaufbau soll und muss die Menschen einbinden, die
bisher im Bürgerkrieg ihre Kräfte sinnlos gegeneinander
vergeudet haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht darum auch
in dieser Diskussion sollte das thematisiert werden , dass
Menschen ihre Ernährung dauerhaft sichern können das
wollen wir durch unsere Unterstützung erreichen , dass
Wohnungen gebaut werden, damit die Menschen ge-
schützt sind, und dass soziale Grunddienste, wie Schulen
und Gesundheitseinrichtungen, aufgebaut werden. Denje-
nigen, die meinen, dass das mit dem aktuellen Konflikt
nichts zu tun habe, sage ich: Über Jahrzehnte hinweg hatte
die große Mehrheit der Bevölkerung Afghanistans keinen
Zugang zu sozialen Grunddiensten.
Wir engagieren uns gemeinsam mit allen internationalen
Gebern, zum Beispiel der UN und der Weltbank, um die-
sen Wiederaufbau zu leisten.
Allen Beteiligten möchte ich sagen: Gerade in dieser
Situation ist das Bündnis aus SPD und Bündnis 90/Die
Grünen gefordert. Wir werden unsere Verantwortung ent-
schlossen wahrnehmen. Wir stimmen heute über ein poli-
tisches und humanitäres Gesamtkonzept, aber auch über
ein Gesamtkonzept zur Verwirklichung von Schritten, die
zu einer gerechteren Weltordnung führen sollen, ab.
Ich wende mich jetzt an diejenigen, die draußen de-
monstrieren. Ich habe vorhin mit ihnen diskutiert.
Ich teile die Auffassung dieser Demonstrierenden nicht.
Ich verstehe aber, dass sie, wie übrigens wir alle in diesem
Haus und wie alle Menschen in unserem Land, eine tiefe
Sehnsucht nach Frieden haben.
Ich sage denjenigen, die gegen eine Beteiligung der
Bundeswehr sind, weil es um die Beteiligung an einem
Krieg geht: Wir stehen in diesem Jahrhundert ich teile
die Überzeugungen von Erhard Eppler vollkommen
kaum noch vor zwischenstaatlichen Kriegen. Ein Vorge-
hen zur Zerschlagung terroristischer Netzwerke ist kein
Angriffskrieg, sondern der Versuch, diese Netzwerke zu
zerschlagen und dazu beizutragen, dass solche unvorstell-
baren terroristischen Aktionen wie der Angriff auf das
World Trade Center niemals mehr passieren können, und
zwar nirgends auf der Welt. Das wird doch die Konse-
quenz sein.
Das verpflichtet uns zu handeln. Wir erleben heute
überall auf der Welt entstaatlichte, privatisierte Gewalt,
zum Beispiel in Afrika im Gebiet der großen Seen. Wir sa-
hen sie auf dem Balkan. Wir erleben sie in den Verbrechen
der Terroristen. Die internationale Gemeinschaft das
sage ich jetzt im weitesten Sinne auch an die demokra-
tische Linke hat aber die Verpflichtung, dieser pri-
vatisierten Gewalt notfalls auch militärisch quasi poli-
zeilich entgegenzutreten. Die Friedensbewegung, der
ich mich verbunden fühle, und das Militär müssen lernen,
in diesem Prozess umzudenken.
Seit 1990 haben derartige Gewaltkonflikte jährlich
bis zu 1 Million Menschen das Leben gekostet. Wir müs-
sen alles tun, um eine demokratische Staatlichkeit zumal
in den Entwicklungsländern zu stärken. Es müssen
Schritte hin zu einem internationalen Gewaltmonopol, das
nur Gleiche kennt, verwirklicht werden, damit der wach-
senden Gewalt in der Welt und damit der Bedrohung der Si-
cherheit von Menschen entgegengearbeitet werden kann.
Vor allen Dingen müssen wir einen internationalen
Gerichtshof schaffen, der der Globalisierung von Rechts-
staatlichkeit dienen soll. Wir fordern die amerikanische
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
19872
Regierung auf, dabei zu helfen, dass dieses Ziel gemein-
sam mit uns und den 43 Staaten, die bereits ratifiziert ha-
ben, verwirklicht wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Terrorismus braucht
aber auch weitergehende Antworten. Er braucht die Ant-
wort einer weltweiten Koalition für Gerechtigkeit und So-
lidarität. Die Terroristen rechnen mit der Mobilisier-
barkeit der Unterdrückten, der Armen und der sich
ohnmächtig Fühlenden. Ich erinnere daran: 1,2 Milliarden
Menschen weltweit sind heute absolut arm, das heißt, sie
haben weniger als einen Dollar am Tag zum Leben.
Unsere Koalition aus Bündnis 90/Die Grünen und SPD
und wir die Kollegin Eid als Parlamentarische Staatsse-
kretärin und ich als Ministerin haben Initiativen unter-
nommen und die Weichen zum Kampf gegen die globale
Armut, den schlimmsten Gegner, gestellt.
Ein Schuldenerlass im Umfang von 70 Milliarden US-
Dollar für die ärmsten Entwicklungsländer ist ein wichti-
ger Schritt zur Bekämpfung von Armut und dient dazu,
der Mobilisierbarkeit von Terrorismus den Nährboden zu
entziehen.
Ich appelliere an alle, die der Meinung sind, sie könn-
ten dem Antrag nicht zustimmen: Was steht denn vor uns?
Es steht vor uns, dafür zu sorgen, dass der Schulden-
erlass notfalls finanziell nachgebessert wird. Das können
doch nur wir in den internationalen Finanzinstitutionen,
zusammen mit anderen fortschrittlichen Ländern, bewir-
ken. Wer soll das sonst tun?
Deshalb muss ich Ihnen sagen für manche klingt das
pathetisch, aber ich sage es, weil das unsere Verantwortung
ist : Millionen von Menschen hoffen darauf, dass diese
Bundesregierung in ihrer Verantwortung verbleibt und ihre
Arbeit leistet, um den Ärmsten der Armen ein besseres
Schicksal zu verschaffen. Das ist unsere Perspektive.
Wer heute nicht für ein solches Gesamtkonzept stimmt,
wird diese Chancen zerstören. Wer von Ihnen, der gewählt
worden ist, um eine Politik der humanen Globalisierung
und der dauerhaften Friedenssicherung zu gestalten,
könnte das mit seinem Gewissen vereinbaren?
Ulrich Beck hat in einem Artikel von Anfang Novem-
ber die Aufgabe, die vor uns liegt, so formuliert:
Um die Quellen des Hasses von Milliarden von Men-
schen, aus denen immer wieder neue Bin Ladens
hervorgehen werden, auszutrocknen, müssen die Ri-
siken der Globalisierung berechenbar gemacht und
die Freiheiten und Früchte dieser Globalisierung ge-
rechter verteilt werden.
Das ist richtig.
Wenn wir uns heute in einem weiteren Antrag, der Ih-
nen vorliegt, zu einer schrittweisen verbindlichen Errei-
chung des 0,7-Prozent-Ziels für Entwicklungszusammen-
arbeit verpflichten und diesen Plan umsetzen, dann leisten
wir nicht nur einen Beitrag für die Solidarität mit den
Menschen in der Welt; wir leisten auch einen Beitrag
dazu, der Mobilisierbarkeit von Terrorismus den Boden
zu entziehen. Wir leisten auch einen Beitrag zu unserer ei-
genen Sicherheit. Das ist die Perspektive, um die es geht.
Die Situation nach dem 11. September 2001 ist, wenn
man die Frage nach einer gerechteren Weltordnung
stellt, offen. Sie kann in einer neuen Weltunordnung en-
den, bietet aber auch Chancen in Richtung auf die
Verwirklichung einer neuen und gerechteren Weltord-
nung. Es liegt an uns, ob wir diese Chancen nutzen. Des-
halb sage ich: Die Aufgaben unseres Bündnisses von So-
zialdemokratie und Bündnis 90/Grüne mit Gerhard
Schröder an der Spitze sind noch längst nicht erfüllt. Sie
sind auch im Jahre 2002 noch nicht erfüllt, es bedarf einer
langfristigen Perspektive, damit wir das erreichen kön-
nen, wofür ich stehe und was wir skizziert haben.
Deshalb: Tragen Sie dazu bei, die richtige Weichen-
stellung zu vollziehen. Willy Brandt damit möchte ich
abschließen hat es so formuliert:
Die Aufgabe besteht darin, die Menschheit von
Abhängigkeit und Unterdrückung sowie von Hunger
und Not zu befreien. Neue Bande müssen geknüpft
werden, welche die Aussichten auf Frieden, Gerech-
tigkeit und Solidarität für alle entscheidend verbes-
sern. Dies ist eine große Aufgabe für die jetzige Ge-
neration und für die, die ihr folgt.
Ich sage: Wir werden unsere Verantwortung ernst neh-
men. Wir nehmen unsere Verantwortung wahr. Wir stehen
vor großen Aufgaben, es ist noch viel zu tun und wir wer-
den es gemeinsam tun.
Ich bedanke mich sehr herzlich.
Ich erteile dem Kolle-
gen Michael Glos, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler,
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
19873
spätestens meine beiden Vorrednerinnen haben Ihr Di-
lemma ganz deutlich gemacht.
Die Taliban sind nicht von der Friedensbewegung und
auch nicht durch rot-grüne Sprüche aus Afghanistan ver-
trieben worden.
Wenn jetzt den Menschen geholfen werden kann, dann
deswegen, weil die Hauptstadt von den Taliban befreit ist.
Das haben die USA mit der Unterstützung unserer fran-
zösischen und britischen Freunde gemacht.
Während unsere Freunde gehandelt haben, hat die alte
Linke in Deutschland nur wieder Angst kultiviert.
Angst ist ein schlechter Ratgeber.
Ich möchte zu der Frage zurückkommen, die vorhin
eine große Rolle gespielt hat und die für die Entschei-
dungsfindung wichtig ist: Die Parlamentsbeteiligung be-
ruht ausschließlich auf dem Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts. Deswegen ist der Text dieses Urteils in
diesem Fall verbindlich. Das Bundesverfassungsgericht
hat damit den Rahmen gesetzt. In dem Urteil heißt es, dass
das Parlament die konstitutive Entscheidung nicht mehr
rückgängig machen kann und für die Zeit, die genannt
wird, gebunden ist. Das ist eine Tatsache.
Das ist eine sehr ernste Angelegenheit. Ihre Zustim-
mung und die der Grünen, die bisher vorhaben, zuzustim-
men, beruhen letztlich auf diesen Grundlagen. Deswegen
muss dies zweifelsfrei geklärt werden. Ich kann nur sa-
gen: Wir sind gerne bereit, die Sitzung eine halbe Stunde
zu unterbrechen, damit Sie dies klären können.
An uns soll es nicht liegen, wenn Sie nicht genau wis-
sen, worüber Sie abstimmen. Darum geht es doch. Dies ist
eine sehr ernste Situation.
Die Erfolge in Afghanistan zeigen: Deutschlands Soli-
darität kommt, wenn sie überhaupt kommt, sehr spät. Das
ist so ähnlich wie eine Feuerwehr, die nur dann ausrücken
darf, wenn sichergestellt ist, dass der Brand bereits gelöscht
ist. Solange noch Funken glimmen, ist der Feuerwehr das
Ausrücken verboten. In einer ähnlichen Rolle befindet sich
jetzt unsere Bundeswehr und unser ganzes Land.
Machen wir uns nichts vor Herr Bundeskanzler, Sie ha-
ben es richtig gesagt : Der Kampf gegen den Terrorismus
ist überhaupt noch nicht gewonnen. Er steht erst am Anfang.
Die Entscheidung, 3 900 Soldaten zu entsenden, hat nur
zum kleinsten Teil mit Afghanistan zu tun. Das wissen Sie
doch alle.
Heute hätte die Chance bestanden, für diesen Einsatz,
der nach Ihren eigenen Worten sehr gefährlich werden
kann, im Parlament eine große Mehrheit zu finden und
gleichzeitig die Bündnisfähigkeit unseres Landes auf
eine breite Grundlage zu stellen. Herr Bundeskanzler, Sie
hatten dazu die Chance.
Sie haben diese Chance verspielen müssen, weil Sie Ihre
eigenen Reihen nur mit dieser Notmaßnahme geschlossen
halten konnten.
Ich will noch einmal für die CDU/CSU-Fraktion erklä-
ren: Wir halten den militärischen Einsatz für unverzicht-
bar. Wir wollen, dass al-Qaida bekämpft wird. Überall da,
wo es möglich ist, sollen die Wurzeln des Terrors ausge-
rottet werden. Wir lassen keinen Zweifel daran: Wir ste-
hen zu den Bündnisverpflichtungen unseres Landes. Wir
wissen, dass die Sicherheit unserer Bürger daran hängt,
dass Deutschland auch künftig ein verlässlicher Bünd-
nispartner bleibt und sich Vertrauen erwirbt. Wir brauchen
besonders das Vertrauen Amerikas. Helmut Kohl hätte
dies nie beweisen müssen. Er hat dieses Vertrauen immer
gehabt.
Ich weiß, dass die Situation für Sie sehr schwierig ist.
Sie, Herr Bundeskanzler, ständen gern mit Tony Blair in
einer Reihe. Selbst mit Putin wären Sie gern in einer
Reihe. Aber auf dieser Grundlage und mit diesem
Koalitionspartner werden Sie nicht so schnell auf die
Ranch nach Texas eingeladen, wo heute Putin ist,
weil man nur verlässliche Freunde einlädt. Freunde in der
Not sind die verlässlichen Freunde.
Sie haben als niedersächsischer Ministerpräsident ein-
mal gesagt: erst das Land, dann die Partei!
Das haben Sie inzwischen vollkommen umgekehrt; es
heißt jetzt: erst die Koalition und dann das Land! Deswe-
gen erfolgen auch diese ganzen Verbiegungen, die wir
hier erleben müssen. Dazu kann ich nur feststellen: Sie
haben sich einmal zum Weltstaatsmann ernennen lassen.
Das wurde auch gebührend gefeiert. Die Begeisterung
derer hier, die das gefeiert haben, ist etwas abgeklungen.
Aus einem Weltstaatsmann ist vom Gehabe her ein
Kleinkrämer geworden, dem es nur darum geht, den eige-
nen Laden zu erhalten. Sie wollen an einer Koalition fest-
halten, die es im Grunde genommen überhaupt nicht mehr
gibt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Michael Glos
19874
Sie pfeifen im dunklen Wald, wenn Sie heute früh so
locker getan haben. Wenn man anschließend zugehört hat,
dann merkte man, dass diese gespielte Selbstsicherheit
doch keinerlei Grundlagen mehr hat. Selbst wenn heute
noch einmal für diese Koalition entschieden wird: Die Ba-
sis dieser Koalition ist kaputt.
Es ist schon angeklungen, und ich muss das auch
noch einmal ansprechen: Wie geht ein Fraktionsvor-
sitzender, der zwar nicht in die Reihe gehört, aber auf
dem Stuhl sitzt, auf dem schon Erler, Schmidt, Wehner
und Hans-Ulrich Klose gesessen haben, mit frei
gewählten Parlamentariern um, wenn er sie zu Mandat-
sniederlegungen auffordert? Was heute zustande
kommt, kommt mehr oder minder nur durch Erpressung
und Zwang zustande.
Heute ist schon einmal Professor Hans Hugo Klein
zitiert worden. Ich will einmal vorlesen, was er in
seinem Artikel, den offensichtlich viele von uns gelesen
haben, über die Abgeordneten geschrieben hat. Darin
heißt es:
In Sinne des Artikels 38 Absatz 1 Satz 2 ist jede
Entscheidung, die der Abgeordnete im Rahmen
eines parlamentarischen Verfahrens zu treffen hat,
eine Gewissensentscheidung. Anders formuliert:
Wann immer ein Abgeordneter im Bundestag ab-
stimmt, hat er dies nach Maßgabe seiner eigenen
Überzeugung zu tun, frei von Aufträgen und
Weisungen Dritter einschließlich seiner eigenen
Partei und Fraktion.
Abgeordnete, die sich solchen Weisungen fügen, ver-
stoßen gegen ihre Amtspflichten.
Ich bin einmal gespannt, wer alles heute gegen seine
Amtspflichten verstößt.
Ich sage noch einmal, auch wenn es hier jetzt laut wird:
Erpressung kann Überzeugung nicht ersetzen. Ein er-
presstes Ergebnis ist ein verlogenes Ergebnis,
aber Sie bräuchten heute ein ehrliches Ergebnis. Wie soll
eine Vertrauensabstimmung gewonnen und ernst genom-
men werden, die mit solchen Methoden belastet ist? Das
Wort Vertrauen ist doch geradezu pervertiert!
Unser Wort gilt weiterhin: Wir stehen zur Politik der
uneingeschränkten Solidarität mit Amerika. Ich be-
danke mich ausdrücklich bei Ihnen, dass Sie unser Ab-
stimmungsverhalten nicht in Zweifel gezogen haben, wie
das viele Ihrer Parteifreunde getan haben. Ich glaube, das
ist dem Ernst dieser Stunde auch angemessen.
Es wäre uns und unseren Wählerinnen und Wählern und
den Menschen, die in Deutschland Hoffnung auf eine
bessere Regierung haben, auch schwer zu vermitteln,
wenn wir einer rot-grünen Koalition, die unser Land
zurückgeworfen hat, das Vertrauen aussprächen.
Sie können unser Vertrauen nicht haben. Ihre Gesell-
schaftspolitik schielt ausschließlich auf Minderheiten
und missachtet die Meinung der Mehrheit. Das war bei
Frau Müller noch einmal sehr deutlich zu hören: Nicht
beispielsweise die Familie stand im Mittelpunkt der Be-
trachtung das ist bei Ihnen nicht so , sondern Minder-
heiten, für die man eine Sonderlösung gefunden hat.
Erst der Protest von Millionen von Menschen hat Sie zum
Beispiel davon abgehalten, den Doppelpass für Millionen
von Menschen auszustellen.
Und es ist genauso verantwortungslos, wenn man an-
gesichts von 4 Millionen Arbeitslosen die Zuwanderung
in dieses Land erhöhen will.
Deswegen haben wir kein Vertrauen in Ihre Politik.
Sie tun zu wenig für unsere Sicherheit. Islamische Ex-
tremisten werden trotz aller martialischen Reden des Bun-
desinnenministers nicht entschlossen ausgewiesen, und
sie werden auch nicht von Deutschland ferngehalten.
Warum wird nicht sofort der Fingerabdruck im Per-
sonalausweis eingeführt?
Da gibt es auch ein technisches Problem, Herr Kollege
Zwischenrufer. Beim letzten Mal habe ich, weil ich es an
der Qualität Ihrer Zwischenrufe gemessen habe, geglaubt,
Sie säßen noch weiter links; dafür entschuldige ich mich
ausdrücklich bei der PDS. Herr Kollege Zwischenrufer
von der SPD, es geht um ein technisches Problem, das
gelöst werden muss.
Frankreich und Großbritannien schützen gefährdete
Anlagen durch das Militär. Gerade aufgrund der Aussagen
des Bundesinnenministeriums wissen wir, dass auch wir
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Michael Glos
19875
Anschläge befürchten müssen, wenn wir unsere Solidari-
tät einlösen. Warum ist es bei uns nicht möglich,
gefährdete Großanlagen wie Chemiewerke oder Atom-
kraftanlagen durch das Militär zu schützen?
Da Sie nicht aus Überzeugung, sondern wegen des Zu-
standes Ihrer Koalition auf diesen Schutz verzichten,
müssen wir Ihnen das Vertrauen verweigern.
Wir verweigern Ihnen auch das Vertrauen, weil Sie un-
sere Bundeswehr sträflich vernachlässigt haben.
Die Bundeswehr ist nur bedingt einsatzfähig, wenn ich
den Generalinspekteur richtig verstanden habe. Herr Bun-
deskanzler, Sie selbst haben 1998 gesagt, die Bundeswehr
stoße beim Sparen mit dem Helm an die Decke. Trotzdem
haben Sie ihr nicht mehr Geld gegeben, sondern nötige
Mittel entzogen.
Die Regierung verdient auch deswegen kein Vertrauen,
weil sie Europa bisher hat links liegen lassen. Auch hier
ist nichts vorangegangen. Gerade jetzt wäre es wichtig,
wenn man Europa weitergebracht hätte.
Auch wäre es wichtig, wenn die Menschen Hoffnungen
auf die Osterweiterung setzen könnten, anstatt dass man
über ihre Sorgen einfach hinweggeht.
Diese Regierung hat auch keine Grundlage mehr, weil
sie Deutschland in die Rezession schlittern lässt.
Es ist Ihr Abschwung das ist heute schon einmal gesagt
worden und es sind Ihre Arbeitslosen, Herr Bun-
deskanzler.
Entgegen Ihren Versprechungen haben Sie eine Politik
gemacht, die zwar Randgruppen befriedigt, aber die brei-
te Mitte unseres Volkes vernachlässigt hat.
Sie haben eine Steuerreform gemacht, die arbeit-
nehmer- und mittelstandsfeindlich ist. Deswegen haben
wir kein Vertrauen zu Ihnen.
Wir haben auch kein Vertrauen zu Ihnen, weil unser
Land dank Ihrer Regierung inzwischen zum Schlusslicht
in der Europäischen Union geworden ist, was Wachstum
anbelangt.
Sie halten Ihre Versprechungen an keiner Stelle. Die
Sozialversicherungsbeiträge steigen auf 41,5 Prozent,
die gesetzliche Krankenversicherung ist in einer Krise,
Ökosteuer und Lohnnebenkosten steigen gleichzeitig, die
Arbeitnehmer und die Rentner haben an Kaufkraft ver-
loren.
Deswegen muss diese Regierung beendet werden und
deswegen haben wir keine Sorge vor Neuwahlen.
Deswegen wäre es richtig, wenn Sie so abstimmen wür-
den, dass der Weg für Neuwahlen frei wird. Jeder Tag, an
dem Sie noch regieren, ist für Deutschland ein verlorener
Tag, denn es wird nichts bewegen.
Ihre Politik verdient kein Vertrauen, weil sie nicht
gerecht ist. Die Rentenreform ist ungerecht und steht auf
falschen Grundlagen. Sie sind auch nicht der Kanzler aller
Deutschen: Sie haben protestierenden Bauern zugerufen:
Geht doch zu denen, die euch gewählt haben!
So etwas ist nicht in Ordnung, Herr Bundeskanzler.
Wenn Sie jetzt auch noch auf eine breite Mehrheit im
Bundestag verzichten, da es um den gefährlichsten Ein-
satz geht, den die Bundeswehr je gehabt hat, dann schaden
Sie dem Ansehen Deutschlands in der Welt.
Ich zitiere den Tagesspiegel, eine Zeitung, die relativ
unverdächtig ist, im Sold von CDU und CSU zu stehen.
Gerd Appenzeller fragt:
Darf der Kanzler ein innenpolitisches Spiel mit so
hohen außenpolitischen Risiken eingehen?
Er gibt auch gleich die Antwort:
... mit dem Blick auf Deutschlands Rolle in der Welt
zeugt es von einem Mangel an Verantwortungs-
gefühl.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie sind ein
verantwortungsloser Spieler, wenn es um die Interessen
unseres Landes geht.
Heute ziehen Sie die Notbremse. Es gab vorher ein Hin
und Her. Der Vorsitzende der SPD-Fraktion hat noch Ende
letzter Woche erklärt, die eigene Mehrheit spiele keine
Rolle, Hauptsache, es gebe eine breite Mehrheit. Der
Bundesverteidigungsminister hat nachgelegt und Ähnliches
gesagt. Dann sind Sie plötzlich umgeschwenkt, weil Sie
gemerkt haben, dass es auch in den eigenen Reihen einen
ungeheuer großen Erosionsprozess gibt, den man mit
Verbaldrohungen allein nicht stoppen kann. Die Verbaldro-
hungen gegenüber einzelnen Abgeordneten sind ja bekannt.
Herr Bundeskanzler, ein allerletztes Wort: Wem man
das Rückgrat bricht ich schaue dabei die Abgeordneten
an, die eigentlich zu Unrecht in der Mitte dieses Parla-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Michael Glos
19876
ments sitzen , von dem kann man morgen nicht erwarten,
dass er einen stützen kann.
Ich sage noch einmal: Gehen Sie doch den ehrlichen Weg!
Verkürzen Sie den Agonieprozess, in dem Rot-Grün
steckt.
Eines, was Kerstin Müller vorhin gesagt hat, war
richtig:
Macht wird nur auf Zeit verliehen. Ihre Zeit ist um,
weil das Fundament dieser Koalition kaputt ist.
Vor allen Dingen hat Ihre Politik das Vertrauen der Men-
schen und das Vertrauen in unser Land verspielt. Eine
solche Politik ist nicht mehr im Interesse Deutschlands.
Deswegen werden wir Ihnen heute nicht das Vertrauen
aussprechen.
Vielen Dank.
Ich erteile Bun-
desminister Joseph Fischer das Wort.
Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen
ren! Wenn das Niveau Ihrer Rede, Herr Glos, nicht so
furchtbar niedrig gewesen wäre
Sie sollten einmal darüber nachdenken, was Sie gerade
dem Bundeskanzler vorgeworfen haben , dann wäre Ih-
nen zu danken. Ich tue es trotzdem, weil Sie die Alter-
native, die heute zur Abstimmung steht, für die Koalition
klar erkennbar gemacht haben.
Doch bevor ich darauf eingehe, gestatten Sie mir, dass
ich auf ein wichtiges Ereignis hinweise, das heute Nacht
stattgefunden hat. In Mazedonien wurde die Verfas-
sungsänderung abschließend beschlossen.
Mazedonien hat nun erstmals eine Verfassung, der die
albanische Minderheit zugestimmt hat. Das Gesamt-
paket die Abstimmung fand heute Morgen um 1 Uhr
statt wurde mit 94 zu 13 Stimmen angenommen. Wenn
Sie jetzt meinen, darauf hinweisen zu müssen, dass
damals der Einsatz der Bundeswehr in Mazedonien ohne
rot-grüne Mehrheit beschlossen worden ist, dann erin-
nere ich Sie an das Abstimmungsverhalten Ihrer eigenen
Fraktionen und an die Reden, die Sie damals gehalten
haben. Die sollten Sie wirklich einmal nachlesen!
Es ist das erste Mal deswegen erwähne ich es, und
dieser Politik weiß sich diese Bundesregierung ver-
pflichtet , dass es nach der Tragödie des Ausei-
nanderbrechens Jugoslawiens gelungen ist bei allen
Schwierigkeiten, vor denen wir noch stehen , präventiv
die blutige Spirale von Bürgerkrieg und ethnischer Säu-
berung zu stoppen. Das ist die Grundlage unserer Politik,
wenn wir von präventiver Politik sprechen.
Dazu gehört als Ultima Ratio auch die militärische
Seite. Wir versuchen zwar auch in der innerstaatlichen
Politik, das Auftreten von Gewalttätern und Gewalttaten
vorbeugend zu verhindern. Aber wenn Gewalttäter auf-
treten, wenn schwere Verbrechen drohen oder gar began-
gen werden, dann muss durchgegriffen werden. Das gilt
auch für die Weltinnenpolitik.
In dieser Ultima Ratio erschöpft sich Politik aber nicht,
sondern da beginnt sie erst. Eine gute Politik ist, wenn das
verhindert werden kann, wenn es gar nicht erst so weit
kommt.
Ich werbe hier bei der Vertrauensfrage für die Politik
dieser Bundesregierung. In Afghanistan zeigt sich doch,
dass nach dem militärischen Erfolg die eigentliche Auf-
gabe jetzt erst beginnt. Es darf eben nicht mehr wie nach
dem Ende des Kalten Krieges sein.
Es gibt Leute, die aus völlig legitimen innenpolitischen
Gründen plötzlich den Pazifismus entdeckt haben. In
Ihren Reihen gibt es aber auch manche, die aus Überzeu-
gung Pazifisten sind, und das ist etwas völlig anderes. Die
gehören nicht zu denen, Herr Claus, die auf Ihrem letzten
Bundesparteitag herumgelaufen sind und hinter vorgehal-
tener Hand zu Journalisten gesagt haben: Wenn wir ein-
mal in die Bundesregierung eintreten, werden wir nicht
die Probleme haben, die Bündnis 90/Die Grünen haben.
Da sollten Sie schon ehrlich sein.
In Ihrem Entschließungsantrag vom 7. November 2001
heißt es auf der Seite 1:
... die Talibanherrschaft scheint nach wie vor unge-
brochen, ihre Truppen sind offenbar kampfkräftig
und hochmotiviert, ...
Das ist wirklich eine fundierte Analyse!
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Michael Glos
19877
Als jemand, der einer Partei angehört, die sich mit die-
ser Entscheidung immer schwer getan hat, werbe ich um
die Zustimmung gerade jener, die zweifeln ich habe in
den letzten Tagen erlebt, wie schwer das auch persönlich
ist , weil ich ihre Grundhaltung achte. Das ist kein op-
portunistischer Pazifismus, sondern ehrliche Überzeu-
gung. Gerade in diesem Werben möchte ich klar machen,
dass jetzt die Hauptaufgabe vor uns liegt, nämlich Hilfe
zu sichern. Wir haben jetzt die große Chance dazu. Über-
all dort, wo die Nordallianz ist, können die Vereinten Na-
tionen mit ihren Hilfsorganisationen und die NGOs wie-
der in das Gebiet hinein. Wir können die Hilfe zu den
Menschen bringen das ist für mich ein ganz entschei-
dender Punkt ; diese Hilfe muss gesichert werden.
Wir müssen fortfahren im Kampf gegen den Terroris-
mus, der jetzt zunehmend zielgenau auf das terroristische
Netzwerk und die Verantwortlichen geht. Genau das ist In-
halt des Antrags der Bundesregierung, wie wir ihn vorge-
legt haben. Präventiv soll maritime Sicherheit geschaffen
werden. Vor allem wollen wir die Möglichkeiten, die wir im
humanitären Bereich haben Transportkapazitäten ,
einsetzen. Wir wollen uns an der direkten Terrorbekämp-
fung beteiligen. Das ist der Inhalt. Das haben wir präzisiert.
Ich weiß nicht, ob sich der Kollege Glos seine Reden
und Auftritte selbst anschaut.
Wenn er seine Rede von heute anschaute, müsste er mer-
ken, dass er wie die geschminkte Großmutter im Märchen
vom Rotkäppchen gewirkt hat, als er hier zur Unterbre-
chung aufgefordert hat.
Großmutter, warum hast du denn so große Ohren?,
könnte man fragen. Merken Sie das denn nicht? Man
sieht, wie er meint, die CSU führen zu können, wenn er
uns unterstellt, dass wir auf eine solche Darbietung he-
reinfallen.
Wenn ich Ihr Niveau anstrebte, würde ich die Arbeitslo-
sendebatte beginnen. Mit welcher Zahl haben Sie sich
denn aus der Macht verabschiedet? Waren das 2 Millionen
Arbeitslose? Waren das 3 Millionen Arbeitslose?
Hatten wir da eine Weltwirtschaftskrise, wie wir sie heute
haben?
Ich erinnere mich nur zu gut und die Mehrheit in diesem
Lande erinnert sich nur zu gut. Schauen Sie sich die Um-
fragen an!
Sie sagen, Sie wollten diese Vertrauensabstimmung so
gestalten, dass es kein Vertrauen für diese Regierung gibt;
das müssen Sie offiziell ja auch sagen.
In Wirklichkeit aber das wissen Sie so gut wie ich ha-
ben Sie doch heute Nacht Stoßgebete gesprochen, damit
es nicht zu Neuwahlen kommt.
In Wirklichkeit zünden Sie Kerzen an und halten Bitt-
gottesdienste ab mit dem Ziel: Lasst den Schröder bloß
weiter regieren! Das ist insgeheim Ihre Haltung und Sie
wissen auch ganz genau, warum.
Nachdem ich Ihre Reden heute gehört habe, meine
Damen und Herren, kann ich Ihnen nur sagen: Diese Ko-
alition hat diese Republik entscheidend erneuert.
Ich kann mich noch daran erinnern, wie es in den letzten
Jahren der Regierung Helmut Kohl war. Sie können über
die Steuerreform sagen, was Sie wollen. Wer hat denn
schon aus der Opposition heraus Familienpolitik gemacht
und Herrn Waigel zu einer Erhöhung des Kindergeldes
gebracht? Das war damals die rot-grüne Opposition!
Ich sage Ihnen: Wir haben für die Familien mehr als Sie
gemacht. Vor allen Dingen haben wir damit begonnen,
den Skandal zu beenden, dass Kinder in diesem Land das
größte Armutsrisiko bedeutet haben.
Das haben wir beendet, und dies werden auch weiterhin
die Maßstäbe unserer Politik sein. Wir müssen uns in
dieser Hinsicht von Ihnen überhaupt nichts vorhalten
lassen.
Wenn wir als Europäer in Zukunft eine größere Rolle
spielen wollen ich meine, wir müssen sie spielen , dann
heißt das: Wir müssen Europa sozusagen durchdeklinieren.
Wir müssen ein demokratisches Europa schaffen, das
aber auch sicherheits- und verteidigungspolitisch endlich
handlungsfähig wird und seiner Rolle gerecht werden
kann. Man kann diesem Bundeskanzler und dieser Bun-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Bundesminister Joseph Fischer
19878
desregierung nicht vorwerfen, europapolitisch nichts auf
den Weg gebracht zu haben.
In welches Glas haben Sie denn geschaut? Hören Sie sich
doch einmal an, was die Nachbarn dazu sagen! Schauen
Sie doch einmal genau hin, welche Rolle die Bundesre-
gierung gespielt hat!
Sie haben zwar Nizza kritisiert; aber Sie haben keine
Vorschläge zum so genannten 2004-Prozess da geht es
um die Zukunft Europas gemacht.
Diese Bundesregierung hat durchgesetzt, dass der Weg in
Richtung einer europäischen Verfassung führt und damit
mehr Handlungsfähigkeit erreicht wird.
Neben der Erweiterung der Europäischen Union ist dieser
Weg das entscheidende Zukunftsprojekt.
Ich komme auf die soziale Gerechtigkeit und damit auf
die Steuerreform zu sprechen. In Ihrer Steuerreform be-
fanden sich Elemente, die zustimmungsfähig waren. Je-
doch war sie gleichzeitig gnadenlos ungerecht und nicht
austariert.
Das war der entscheidende Punkt. Auch das haben wir geän-
dert. Wir haben mehr Wettbewerbsfähigkeit geschaffen.
Entschuldigung, ich kann Sie nur darauf hinweisen, dass
die von Hans Eichel auf den Weg gebrachte Haushalts-
konsolidierung, dass unsere Steuerreform und anderes
bis zum Eintritt der Weltwirtschaftskrise zu einem Netto-
anstieg der Zahl der Arbeitsplätze geführt hat.
Das hat dieses Land aus Ihren letzten Jahren gar nicht
mehr gekannt!
Das ist die Realität.
Michael Glos, einer der größten Logiker, der in Bayern
jemals die politische Bühne betreten hat
in Deutschland; aber ich möchte in diesem Punkt einen
Bayern nicht diskriminieren ,
stellt sich hin und beklagt den Anstieg der Lohnneben-
kosten. Das müsste Ihnen eigentlich doch bekannt vor-
kommen; denn in den letzten Jahren waren Sie doch der
Meister im Ansteigenlassen der Lohnnebenkosten.
Gleichzeitig lehnt Herr Glos die Ökosteuer ab.
Das muss mir einmal jemand erklären. Wie wollen Sie die
Lohnnebenkosten, vor allem die Rentenversicherungs-
beiträge, weiterhin stabil halten? Wie wollen Sie einen
dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit verhindern,
wenn Sie die Ökosteuer nicht beibehalten?
Wenn Sie so vorgehen wollen, dann müssen Sie den Men-
schen eine entsprechende Erhöhung der Mehrwertsteuer
vorschlagen. Das sagen Sie aber bitte vor den Wahlen und
nicht nach den Wahlen, Verehrtester!
Ändern Sie die Methode, die Sie bisher immer angewen-
det haben!
Heute steht hier eine wichtige Entscheidung an.
Angesichts der heutigen Debatte ich erinnere an das,
was wir von der rechten Seite gehört haben appelliere
ich nochmals an alle: Bedenken Sie, dass die Entschei-
dung, ob diese Regierung das Vertrauen bekommt, eine
Entscheidung über die Zukunft dieses Landes ist. Das ist
klar. Es geht darum, ob wir die ökologische und soziale
Erneuerung dieses Landes weiterführen können. Deutsch-
land braucht diese Politik. Das sage ich insbesondere an-
gesichts dessen, was wir heute hier erlebt haben. Deswe-
gen bitte ich Sie um Ihr Vertrauen.
Ich erteile dem Kolle-
gen Guido Westerwelle, FDP-Fraktion, das Wort.
Dr. Guido Westerwelle (von der FDP mit Bei-
fall begrüßt): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen
und Herren! Herr Außenminister, das war eine klasse Par-
teitagsrede für den nächsten Sonntag.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Bundesminister Joseph Fischer
19879
Für den Deutschen Bundestag war das aber reichlich we-
nig, wenn man bedenkt, dass der Außenminister eine
wie der Kanzler gesagt hat historische Entscheidung
begründen sollte.
Sie haben hier schon einmal geübt. Das gibt uns eine Ah-
nung davon, wie es in Rostock bei den Grünen weitergeht.
Übrigens kann ich Ihnen eines voraussagen, Herr Bun-
deskanzler: Sie werden die heutige Abstimmung beste-
hen. Daran habe ich überhaupt keine Zweifel.
Die Waffenbrüder werden sich umarmen, sie werden Blu-
men bringen, heute Mittag wird Sekt getrunken, heute
Abend gehen sie auf dem Bundespresseball mit breitem
Grinsen tanzen das alles ist der Abgesang einer sterben-
den Koalition.
Eine Partnerschaft, die nur durch Nötigung, Einschüch-
terung und Erpressung erhalten werden soll, ist in
Wahrheit nämlich längst am Ende.
Sie sind am Ende, auch wenn Sie als Koalition heute noch
einmal knapp die Hürde nehmen.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, es ist sehr bemerkenswert, was der Herr Außenmi-
nister hier vorgetragen hat. Erst einmal spricht er von
Stoßgebeten der Union: Um Himmels willen, keine Neu-
wahlen. Ich will gar nicht ausschließen, dass bei der
Union sich mancher jetzt noch keine Neuwahlen wünscht
ich sage nur, ich will es nicht ausschließen , aber ich
kenne noch jemanden, der ein Stoßgebet zum Himmel
schickt, das ist der Bundeskanzler. Der wünscht sich näm-
lich nichts anderes als Neuwahlen, weil er genau weiß: In
schwierigen Zeiten ist mit diesem Koalitionspartner keine
Regierung stabil zu halten.
Herr Erler ruft dazwischen. Das ist derjenige, der am
Montag gesagt hat: Am Freitag wird die Koalition durch
ein Fegefeuer gehen. Ich erkläre Ihnen das mit dem Fe-
gefeuer gern einmal. Durch das Fegefeuer geht man nur,
wenn man vorher heftig gesündigt hat, Herr Kollege. So
ist das!
Meine sehr geehrten Damen und Herren, dann hat der
Herr Außenminister das ist bemerkenswert hier auf
Mazedonien Bezug genommen. Ihre Außenpolitik in der
Mazedonien-Frage Herr Bundesaußenminister, das wis-
sen Sie ist doch in Wahrheit von der Opposition mehr
gestärkt worden als von Ihren eigenen Abgeordneten.
Wir würden doch heute gar nicht über die Vertrauensfrage
abzustimmen haben, wenn Sie bei der Mazedonien-Frage
nicht gerade jüngst erst bemerkt hätten, dass Sie in we-
sentlichen Fragen der deutschen Außenpolitik keine ei-
gene Mehrheit haben.
Sie hatten sie bei der Mazedonien-Entscheidung nicht und
Sie haben sie in Wahrheit auch heute nicht. Denn was ist
das eigentlich für eine Mehrheit, die heute hier zustande
kommt?
Frau Vollmer, unsere gewissenspolitische Sprecherin
der Nation,
lässt sich am Donnerstag auf dem Stern-Titel feiern:
Stoppt diesen Krieg! Als in dieser Woche die Vertrau-
ensfrage bekannt wurde, erklärte sie: Ich werde mit Ja
stimmen. Es ist ein Ja, das eigentlich ein Nein ist. So ent-
steht Politikverdrossenheit, Frau Kollegin.
Herr Hermann verkündet heute, er müsse das jetzt gar
nicht mehr ganz so ernst nehmen. Das ist jetzt ganz ge-
schickt gemacht worden. Wahrscheinlich haben Sie ge-
lost, wer von den acht Leuten mit Ja und wer mit Nein
stimmen muss, damit Sie knapp beim erforderlichen Vo-
tum bleiben.
Dann erleben wir hier persönliche Erklärungen. Frau
Kollegin Beer erklärt, die Vertrauensfrage sei ein Angriff
auf die Gewissensfreiheit. Es werden Erklärungen zu Pro-
tokoll gegeben, die in Wahrheit das Misstrauen für diese
politische Entscheidung zum Ausdruck bringen.
Es wird ein getürktes Ergebnis auf die Vertrauensfrage
geben, das Sie nur mit der Rute bewirkt haben, das Sie nur
bewirken konnten, Herr Bundeskanzler, weil Sie den Grü-
nen mit Verlust ihres Dienstwagens gedroht haben. Und
darauf wollt ihr nicht verzichten!
Ihr steigt heute aus der Friedensbewegung auf den Feld-
herrnhügel und euer Fall wird ganz schön tief sein.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist bemer-
kenswert, was jetzt alles hier passiert und welche Legiti-
mationen heute herhalten müssen. Zunächst einmal kom-
men Sie ja nicht nur mit Drohungen zu dem Ergebnis Ihrer
Vertrauensfrage, sondern auch mit nun wirklich offen-
kundig falschen Erklärungen. Ein Blick ins Gesetz er-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Dr. Guido Westerwelle
19880
leichtert die Rechtsfindung, das lernt man schon im ersten
Semester.
Deswegen möchte ich Ihren Blick einmal auf das lenken,
was in Wahrheit die verfassungsrechtliche Grundlage un-
serer heutigen Entscheidung ist. Das ist nämlich die Ent-
scheidung des Bundesverfassungsgerichts im Entschei-
dungsband 90, Seite 286 ff. Es schadet ja im Leben nicht,
wenn man noch mehr zu Ende gemacht hat als die Fahr-
schule.
Da steht wörtlich:
Freilich ist der Bundestag bei seiner Beschlussfas-
sung an die mit seiner Zustimmung zustande ge-
kommenen rechtlichen Festlegungen über den Ein-
satz bewaffneter Streitkräfte gebunden.
Wenn Sie heute zustimmen, reden Sie sich nicht damit he-
raus, Sie könnten den Beschluss zurücknehmen. Aus ei-
gener Kraft können Sie das nicht,
sondern nur, wenn Sie von der Bundesregierung hinters
Licht geführt würden oder sich die weltpolitischen Um-
stände dramatisch änderten, also quasi die Geschäfts-
grundlage wegfiele.
Das ist die verfassungsrechtliche Ausgangslage, die
uns allen das Verfassungsgericht vorgibt. Wenn Sie Ihre
eigene Fraktion nur dadurch für sich gewinnen können,
dass Sie Ihre Politik mit falschen juristischen Angaben
untermauern, ist Ihre Koalition weiß Gott am Ende.
Dann hören wir vom Herrn Außenminister auch ein
bemerkenswerter Vorgang , dass er diese Entscheidung,
weil die Taliban immer mehr vertrieben werden Gott sei
Dank , weil die Nordallianz zunehmend Landgewinne zu
verzeichnen hat, also weil es militärischen Erfolg gibt,
plötzlich akzeptieren und moralisch rechtfertigen will.
Welche Werte enthält eigentlich eine solche Politik, meine
Damen und Herren?
Entweder sind Sie der Meinung, eine Beteiligung an der
Antiterrorallianz sei moralisch geboten dann müssen
Sie zustimmen oder Sie sind der Meinung, sie sei mora-
lisch falsch dann dürfen Sie nicht zustimmen. Sie dür-
fen aber Ihre Zustimmung in diesem Hause nicht von
Landgewinnen und momentanen militärischen Erfolgen
abhängig machen. Eine solche Politik orientiert sich nicht
an Werten und ist nicht fundiert.
Ich sage Ihnen mit großer Klarheit: Wir werden bei die-
ser Vertrauensfrage mit Nein stimmen, und zwar nicht,
weil wir die Außen- und Sicherheitspolitik in dieser Frage
kritisieren. Nein, das trifft in keiner Weise zu und das wer-
den wir auch in Entschließungsanträgen deutlich machen.
Die Soldatinnen und Soldaten, ihre Familien und
Freunde, die uns jetzt zuschauen, wissen, dass die bürger-
liche Opposition in diesem Hause hinter ihnen steht.
Aber es kommt ganz gewiss nicht infrage, Rot-Grün ins-
gesamt das Vertrauen auszusprechen.
Lesen Sie nur einmal den in dieser Woche veröffent-
lichten Bericht der Wirtschaftsweisen; Sie stellen dann
fest, dass die Bundesrepublik Deutschland zum ersten
Mal seit ihrer Gründung das absolute Schlusslicht in ganz
Europa beim Wirtschaftswachstum ist. Auch früher gab es
Zeiten mit geringem Wirtschaftswachstum, aber da stan-
den wir in Europa wenigstens relativ gut da. Jetzt sind wir
das Schlusslicht.
Sie führen dieses Land mit Ihrer bürokratischen, staats-
wirtschaftlichen Politik in die Rezession.
Diese führt zu mehr Arbeitslosigkeit. Dafür geben wir Ih-
nen nicht unser Vertrauen.
Der Bundeskanzler ich werde es ihm beim nächsten
Gespräch bei einer Zigarre wieder alles erzählen; dann
werden Sie wieder schön kuschen, um das klar zu sagen
Das ist ja für Sie schon ein wichtiges Disziplinierungs-
instrument geworden.
Herr Bundeskanzler, ich sage Ihnen mit großer Klar-
heit: Stellen Sie Ihre Vertrauensfrage nicht an dieses
Haus, stellen Sie Ihre Vertrauensfrage an das deutsche
Volk! Wir wollen, dass in dieser historischen Situation das
Volk gefragt wird. Wir wollen, dass es Wahlen gibt. Las-
sen Sie die Wähler entscheiden, ob dieser Weg mit dieser
Koalition weitergegangen werden soll.
Wir jedenfalls werden gegen diese Koalition kämpfen.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Gregor Gysi, PDS-Fraktion.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Der Bundesaußenminister hat zu Recht darauf
hingewiesen, dass unser Antrag vom 7. November an
dem Tag ist er eingereicht worden heute natürlich auf-
grund der zwischenzeitlich eingetretenen Veränderungen
hinsichtlich einiger weniger Aussagen nicht mehr ganz ak-
tuell ist. Erstaunlicher finde ich aber, dass der gerade
erst eingebrachte Antrag der Regierung, über den heute
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Dr. Guido Westerwelle
19881
entschieden werden soll, schon nicht mehr aktuell ist. Dort
ist vom Talibanregime in Kabul die Rede, das beseitigt
werden soll. Zumindest in Kabul gibt es das nicht mehr. In-
sofern hätten Sie Ihren Antrag vielleicht ändern müssen.
Die PDS-Fraktion bleibt bei ihrem Nein zur Beteili-
gung Deutschlands an diesem Krieg, weil wir diesen
Krieg nach wie vor für falsch halten und weil wir eben-
falls davon überzeugt sind, dass er jetzt in eine andere
Phase tritt, die nicht etwa leichter, sondern zum Teil sehr
viel komplizierter wird. Es muss in dieser Gesellschaft
immer noch möglich sein wenn man sich darüber einig
ist, dass der Terrorismus zu bekämpfen ist , über den
Weg der Bekämpfung demokratisch zu streiten. Da darf es
auch keine falschen Disziplinierungen geben.
Afghanistan ist ein wirklich geschundenes Land
schon durch die sowjetische Invasion, die über viele
Jahre, von 1980 bis 1989, dauerte, dann auch durch die
Mudschahedin und die Taliban. Es wird höchste Zeit, dass
ein anderes Regime kommt. Das hätte übrigens vorausge-
setzt, dass man über Jahre die demokratischen Kräfte Af-
ghanistans hätte unterstützen müssen, was aber nicht ge-
schehen ist.
Hier wird in diesem Zusammenhang sehr viel über
Frauenrechte gesprochen. Ich bin dagegen, die Dinge zu
verschieben. Es wird doch nicht wegen der Frauenrechte
bombardiert,
sondern es wurde wegen der Anschläge in New York und
Washington bombardiert. Denn wenn es um die Frauen-
rechte ginge, frage ich: Wie viele Länder wollen Sie denn
noch bombardieren, bis Sie die durchgesetzt haben? Das
kann nicht der Weg sein, um Frauenrechte durchzusetzen.
Der Weg führt nur über die Stärkung der demokratischen
Kräfte.
In dem Antrag ist so vieles unklar. Herr Bundeskanz-
ler, Sie haben bis heute nicht die Frage beantwortet, wo-
hin eigentlich diese Spürpanzer fahren sollen. In Afgha-
nistan werden sie mit Sicherheit nicht gebraucht; dort gibt
es gar keine ABC-Waffen zumindest nach allen Infor-
mationen, die uns vorliegen. Vielleicht ist es der Irak.
Aber dann sagen Sie, dass sie für den Irak vorgesehen
sind, damit hier klar wird, dass dieser Krieg nicht mit Af-
ghanistan endet, sondern weitere Länder erfassen wird.
Darüber das Parlament im Unklaren zu lassen ist wirklich
nicht in Ordnung.
Ich will Ihnen sagen, was der Unterschied ist. Wir waren,
was die Bekämpfung des Terrorismus betrifft, für die Haupt-
überschrift Strafverfolgung. Das heißt nämlich: Bestra-
fung der Schuldigen, aber auch Schutz der Unschuldigen.
Krieg läuft unter dieser Überschrift nicht; er trifft nicht die
Schuldigen und schützt auch nicht die Unschuldigen, ganz
im Gegenteil. Das ist auch das Ergebnis dieses Krieges.
Ich habe mit großem Interesse gehört, Frau Bundesmi-
nisterin, wie Sie die Entwicklungshilfe fördern wollen.
Nur, dann müssen Sie schon eines klarstellen. Wenn das
Ihre präventive Politik sein soll, wenn das das Neue an
dieser Regierung sein soll: Weshalb ist der Etat der Ent-
wicklungshilfe heute noch immer niedriger als im letzten
Regierungsjahr von Kohl? Das ist die Wahrheit.
Insofern bin ich davon überhaupt nicht überzeugt. Auch
2002 sollte er übrigens deutlich niedriger sein als 2001.
Aber die Haushaltsberatungen sind ja noch nicht abge-
schlossen.
Nun haben Sie, Herr Bundeskanzler, das Ganze mit der
Vertrauensfrage verbunden. Das wird Ihnen ja vorge-
worfen. Ich finde, es gibt doch eine gewisse Berechti-
gung. Ich will auch sagen, weshalb ich meine es ernst :
Der Bundeskanzler will zum zweiten Mal in dieser Le-
gislaturperiode, dass sich Deutschland an einem Krieg be-
teiligt. Für ihn ist es selbstverständlich nicht unwichtig,
ob seine eigenen Koalitionsfraktionen ihm diesbezüglich
vertrauen und ihn unterstützen. Wenn sie es nicht täten,
könnte er meines Erachtens diesen Krieg nicht führen; er
könnte ihn nicht führen, allein gestützt auf die bürgerliche
Opposition. Insofern mag an der Vertrauensfrage etwas
dran sein.
Nur, es gibt einen entscheidenden Schönheitsfehler.
Sie, Herr Bundeskanzler, haben nämlich bis zum Sonntag
erklärt: Es ist zwar bedauerlich, aber letztlich nicht son-
derlich wichtig, ob die Mehrheit aus den eigenen Fraktio-
nen kommt. Hauptsache, es gibt eine große Mehrheit des
gesamten Parlaments. Damit haben Sie die so genannten
Abweichler geradezu animiert,
Erklärungen abzugeben und zu sagen: Wir sagen auf je-
den Fall Nein. Nachdem die sich festgelegt haben, kom-
men Sie mit der Keule der Vertrauensfrage, um sie erfolg-
reich vorzuführen, und das wird Ihnen auch gelingen.
Das Folgende sage ich zu denen, die aus Überzeugung
Nein sagen wollten. Herr Westerwelle hat ja Recht. Ich
finde auch, dass es das abenteuerlichste Argument ist, die
militärischen Teilerfolge der USA und der Nordallianz
anzuführen.
Entweder ist der Krieg richtig dann muss man ihn auch
führen, wenn man keine militärischen Teilerfolge vorwei-
sen kann oder er ist falsch. Dann kann man ihn nicht im
Ernst plötzlich für richtig halten, bloß weil es militärische
Erfolge gibt. Das macht einen Krieg nicht richtiger. Das
ist wirklich eine abenteuerliche Argumentation.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Dr. Gregor Gysi
19882
Ich sage Ihnen in diesem Zusammenhang aber noch et-
was anderes. Wenn diejenigen, die schriftlich, mündlich
und in Interviews erklärt haben, dass sie dem Krieg aus
Gewissensgründen nicht zustimmen können, heute sagen,
dass sie jetzt doch zustimmen werden, weil die Entschei-
dung mit der Vertrauensfrage verbunden ist, dann muss ich
sagen, dass das wirklich der blanke Opportunismus ist.
Das führt zu einer Beschädigung von Demokratie und des
Ansehens aller Politikerinnen und Politiker; denn im Kern
bedeutet dies doch: Ein bisschen Mandat und ein bisschen
Regierungsbeteiligung sind wichtiger als die Frage von
Krieg und Frieden. Das zerstört Vertrauen in dieses Parla-
ment und auch in diese Koalition.
Sie haben ja die Frage für sich schon beantwortet.
Ich muss Ihnen noch aus einem anderen Grunde einen
Vorwurf machen: Ich lese immer wieder, wie vielen ehe-
maligen Bürgerinnen und Bürger der DDR vorgeworfen
wird, dass sie sich unter den Bedingungen einer Diktatur
opportunistisch verhalten haben. Man muss hinzufügen:
Wenn sie damals Nein gesagt hätten, wäre das mit exis-
tenziellen Fragen verbunden gewesen. Hier geht es aber
nur um ein Bundestagsmandat und Sie haben noch nicht
einmal den Mut, zu Ihrem Nein zu stehen, das Ihrer Über-
zeugung entspricht. Sie sind nicht mehr berechtigt, Vor-
würfe an die ehemaligen Bürgerinnen und Bürger der
DDR zu richten.
Eine weitere Bemerkung zu diesem Punkt. Es wird ein
falsches Bild inszeniert, nämlich das Bild, dass die Grü-
nen insgesamt geschwankt haben. Die große Mehrheit
von 39 war immer dafür. Es gab nur wenige, die eine an-
dere Auffassung hatten. Diese werden jetzt erfolgreich
diszipliniert. Das ist der eigentlich traurige Vorgang.
Angesichts der Ziererei jeden Tag kann man in der
Zeitung lesen, wie Sie sich immer quälen muss ich Ih-
nen sagen: Sagen Sie doch einfach Ja dazu. Das ist doch
zum größten Teil Ihre Überzeugung. Die anderen müssen
den Mut zum Nein haben. Aber es darf nicht diesen Eier-
tanz ein bisschen weniger Bomben oder einen Tag aus-
setzen geben. Das ist doch nicht auszuhalten. In dieser
Frage gibt es letztlich nur ein Ja oder ein Nein. Zu den
Konsequenzen muss man dann auch stehen.
Kollege Gysi, Ihre
Redezeit ist deutlich überzogen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine letzte Bemerkung.
Herr Bundeskanzler, da Sie die Entscheidung mit der
Vertrauensfrage verbunden haben, möchte ich dem Bun-
desaußenminister raten: Äußern Sie sich nie wieder so
schnell zur Innenpolitik! Sie haben sich jahrelang damit
nicht beschäftigt. Alle Ihre Aussagen zur Arbeitslosigkeit,
zur Wirtschaftskraft und zur Ökologie
stimmen nicht. Die innere Einheit ist in den letzten drei Jah-
ren keinen Millimeter vorangekommen. Im Gegenteil: Die
Schere ist weiter auseinander gegangen. Deshalb können
Sie von uns kein Vertrauen erwarten, sondern nur ein Nein.
Ich erteile das Wort
der Kollegin Andrea Nahles, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Wenn alle Abgeordneten in diesem
Hohen Hause heute wie eine Dampfwalze über eine so
schwerwiegende Entscheidung gerollt wären, wie Sie es,
Herr Glos, eben empfohlen haben, dann müsste es einem
wirklich angst und bange in Deutschland werden.
Ich halte für meine Fraktion fest: Die Befragung des ei-
genen Gewissens und das kritische Hinterfragen von
Sachentscheidungen sind keine Schwäche, ganz beson-
ders dann nicht, wenn es um das Leben von Menschen
geht. Im Gegenteil: Dass viele Abgeordnete die Entschei-
dung nicht auf die leichte Schulter genommen haben, ist
ehrenwert und auch notwendig.
Eine Kultur des Zweifelns, wie Willy Brandt es ausge-
drückt hat, muss Raum haben. Auch das gilt es mit der
heutigen Entscheidung zu erhalten.
Ich sage aber auch: Gewissen ist auch auf die Über-
prüfung mit Argumenten angewiesen. Deswegen haben
wir heute zwei Gewissensentscheidungen zu treffen. Die
eine Frage ist: Wie wichtig und wie wertvoll ist der
Fortbestand der rot-grünen Regierungskoalition? Die an-
dere Frage lautet: Wie entscheiden wir uns hinsichtlich
des Einsatzes der deutschen Streitkräfte?
Ich möchte zur ersten Frage festhalten: Politik kennt
kein Vakuum. Räumen wir das Feld, unser Land durch
Reformen zu erneuern, wird es andere Konstellationen
geben, von denen wir sicher sein können, dass sie nicht in
unserem Sinne Politik machen werden. Es ist keinesfalls
allein die offensichtliche politische Alternativlosigkeit
der rot-grünen Koalition, die uns zusammenhält. Ich
möchte an einigen Punkten deutlich machen, dass hier ein
ganzes Projekt auf dem Spiel steht.
Was bedeutet Rot-Grün für die heute 20-Jährigen? Es
ist das erste Mal, dass sie nach 16 Jahren Regierung Kohl
eine alternative Politik erleben können, die neue Chancen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Dr. Gregor Gysi
19883
für sie geschaffen hat. Hier nenne ich zum Beispiel die
Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit mit dem erfolg-
reichen JUMP-Programm.
Längst hat diese Generation gemerkt, dass die Ideologie
des Neoliberalismus, die Sie hier vertreten, weltweit in
eine Sackgasse führt. Das möchte ich unterstreichen.
Was bedeutet Rot-Grün für die heute 30-Jährigen, also
für die Menschen meiner Generation? Wir wollen eine
friedliche, demokratische Gesellschaft, und zwar nicht
nur für uns mit diesem Gedanken sind wir groß gewor-
den , sondern für die ganze Welt. Wir wollen Verständi-
gung zwischen den Kulturen. Wir wollen eine Politik, die,
zum Beispiel im Klimaschutz, nachhaltig ist. Das alles ist
heute aktueller denn je.
Was bedeutet Rot-Grün für die Ostdeutschen? Die Ost-
deutschen haben die Weiter-so-Republik à la Kohl 1998
abgewählt, weil sie sich erhofft haben, gemeinsam mit uns
die zweite Hälfte des Weges zur inneren Einheit selbstbe-
wusst gehen zu können.
Was bedeutet Rot-Grün den Bewegungen, die dieses
Projekt begründet haben, wie die Friedens-, Antiatom-
kraft-, Studenten- und Frauenbewegung? Mit dieser rot-
grünen Regierung haben all diese Bewegungen Gestal-
tungsmacht bekommen. Das wollen wir auch fortsetzen.
Deswegen sagt mein Gewissen Ja zu Rot-Grün.
Die Frage nach der Rolle Deutschlands hat sich nach
1989 neu gestellt. Die Frage, in welchem Rahmen wir als
Mitglied der NATO bereit sind, Militäreinsätze mitzutra-
gen, hat uns ereilt, bevor wir eine Verständigung über neue
Leitlinien der deutschen Außenpolitik gefunden hatten,
nämlich bei den Auseinandersetzungen auf dem Balkan.
Eine wesentliche Anforderung für die SPD wie auch
für die Grünen war immer, dass bei allen Militäreinsätzen
das Völkerrecht eingehalten werden muss und dass die
Legitimation dieser Einsätze durch die Vereinten Natio-
nen erfolgt. Dass der Kosovo-Einsatz völkerrechtlich
problematisch war, ist eine Hypothek, wodurch die Ent-
scheidungen in den letzten Monaten und Wochen für viele
von uns nicht einfacher geworden sind. Wir müssen das
Völkerrecht angesichts der neuen Herausforderungen
weiterentwickeln. Solange das nicht geschehen ist, ist der
UNO-Sicherheitsrat die entscheidende Größe.
Der UNO-Sicherheitsrat hat jetzt, im Gegensatz zum
Kosovo-Einsatz, den USA einstimmig das Recht auf
Selbstverteidigung zugebilligt. Ich habe mit Erstaunen
festgestellt, dass dieser Umstand in Teilen meiner Partei
und der Bevölkerung nicht zur Kenntnis genommen wird.
Aus meiner Sicht kann man ein richtiges Argument nicht
nur dann in Anspruch nehmen, wenn es einen bestätigt.
Man muss so konsequent sein, anzuerkennen, dass der
Beschluss des UN-Sicherheitsrates den Einsatz deutscher
Soldaten in einer ganz anderen Weise legitimiert, als das
bei anderen Militäreinsätzen der Fall gewesen ist.
Auf die Frage des Einsatzes von Militär habe ich in die-
sen Tagen keine bessere Antwort gefunden als die von Er-
hard Eppler: Militär ist gefragt, wo die Polizei überfor-
dert ist. Ich füge an: Militär ist gefragt, aber auf Zeit und
mit einem klar umrissenen Ziel. Militär hat eine dienende
Funktion, eingebettet in eine politische Strategie. Deshalb
sage ich Ja zur uneingeschränkten Solidarität mit dem
amerikanischen Volk. Das ist aber nicht gleichbedeutend
mit einer bedingungslosen Unterstützung der amerikani-
schen Militärstrategie. Bundeskanzler Gerhard Schröder
hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es mit dieser Bun-
desregierung keine Abenteuer geben wird.
Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit ist ein welt-
weit anerkannter Grundsatz. Bilder von getöteten Kindern
oder der Einsatz von Streubomben haben Zweifel auf-
kommen lassen, ob die Verhältnismäßigkeit bei allen,
noch so gezielt platzierten Bombardements in den letzten
Wochen gewährleistet werden konnte. Deshalb ist es rich-
tig, Bombardements immer wieder auf den Prüfstand zu
stellen.
Ich freue mich, dass die Entwicklung der letzten Tage
die Hoffnung nährt, dass diese Angriffe tatsächlich bald
zu Ende gehen. Wir vertrauen keiner anderen Regierung
so sehr wie dieser, dass sie einer Ausweitung des Kon-
fliktes entgegentritt.
Nach Abwägung all dieser Argumente stimmen wir
heute einstimmig zu.
Ich möchte aber doch erwähnen, dass es in der SPD
auch eine Gruppe von Abgeordneten gibt, die diesem Ein-
satz ablehnend gegenübersteht. Sie stimmen jedoch heute
alle mit Ja. Ich habe Achtung vor einer pazifistischen Po-
sition, die ihre Politikfähigkeit beibehält.
In diesem Sinne und nach Abwägung dieser Argu-
mente stelle ich fest: Das Gewissen sagt Ja zu diesem be-
grenzten Militäreinsatz. Um das durchzusetzen auch das
ist ein Grund, mit Rot-Grün weiterzumachen , werden
wir uns heute geschlossen zeigen.
Vielen Dank.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Andrea Nahles
19884
Das Wort zu einer
Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Werner
Schulz.
Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Ich hatte, liebe Kolleginnen und Kollegen, darauf
gehofft, dass uns der Kollege Gregor Gysi heute eine Ant-
wort gibt, warum er neun Jahre lang ohne irgendwelche
Zweifel einen grausamen Krieg in Afghanistan mitgetra-
gen hat, in dem es immerhin 1,5 Millionen Todesopfer ge-
geben hat. Die Möglichkeit heute hat er ausgeschlagen
und stattdessen uns des Opportunismus angeklagt.
Die Abwägungsfrage, die sich uns stellt, ist sicher
schwierig. Aber ich will sagen, wann mir eine Partei be-
sonders suspekt erscheint: wenn man 1980 eine Position
hundertprozentig eingenommen hat,
eine geschlossene Meinung vertreten hat es gab nicht
eine einzige öffentliche Abweichung und heute hundert-
prozentig die entgegengesetzte Position einnimmt. Wieder
gibt es nicht einen Moment des Zweifels. Diese Konti-
nuität im Selbstverständnis, dass die Partei immer Recht
hat, das ist es, was mich an Ihnen und Ihrer Partei stört.
Das Wort zur Antwort
erteile ich dem Kollegen Gregor Gysi.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich finde es zunächst völlig
selbstverständlich, Herr Kollege Schulz, dass Sie Dinge
an der PDS stören. Deshalb sind Sie ja auch nicht bei uns;
das ist normal.
Wenn Sie sagen, dass wir keine Selbstzweifel haben,
dann können Sie die Entwicklung der PDS in den letzten
zehn Jahren nicht beobachtet haben; denn sonst hätten Sie
festgestellt, welche Auseinandersetzungen wir hatten,
übrigens auch gerade in Bezug auf UNO-Truppen; ich
nenne nur das Stichwort Münster. Ihre Äußerung ist völ-
lig abwegig und hat mit der Wahrheit nichts zu tun.
Jetzt sage ich Ihnen etwas zur Invasion. Woher wissen
Sie eigentlich, wie welche SED-Mitglieder darüber ge-
dacht haben, und warum erwähnen Sie nie, dass zum Bei-
spiel aus dem Kreis der CDU, der Bauernpartei, der
National-Demokratischen Partei, der Liberal-Demokrati-
schen Partei in der DDR nicht eine einzige öffentliche
Kritik geäußert wurde?
Sie richten sich immer nur gegen eine Kraft.
Dennoch sage ich Ihnen: Es waren Bedingungen der Dik-
tatur. Wissen Sie auch, wer fünf Jahre verantwortlich für den
Krieg gegen Afghanistan war? Michail Gorbatschow,
nämlich von 1985 bis 1989. Er wird jedes Mal, wenn er hier-
her kommt, gefeiert und ist Ehrenbürger Berlins.
Aber jeder SED-Verkäuferin werfen Sie vor, dass sie nicht
anständig genug Widerstand geleistet hat! Sie jedoch ban-
gen um Ihr kleines Mandat und sind nicht einmal dafür be-
reit, ein einziges Nein im Bundestag zu riskieren.
Ich erteile das Wort
dem Ministerpräsidenten des Freistaats Sachsen, Kurt
Biedenkopf.
Dr. Kurt Biedenkopf, Ministerpräsident
:
Ich kann ja verstehen, dass eine gewisse Aufregung im
Haus herrscht.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Wenn Sie gestatten, würde ich gerne zu der Rede des
Bundeskanzlers zurückkehren, mit der er sowohl die vor-
geschlagene Entschließung wie auch seine Entscheidung,
die Vertrauensfrage zu stellen, begründet hat.
Herr Bundeskanzler, Sie haben gesagt, die Vertrauens-
frage sei notwendig, um die Verlässlichkeit Deutschlands
als Bündnispartner zu sichern. Ich würde das gerne etwas
abwandeln und sagen: Die Vertrauensfrage ist notwendig,
um die Verlässlichkeit der Koalition als Bündnispartner
zu sichern.
Die Verlässlichkeit Deutschlands als Bündnispartner wäre
jedermann deutlich gewesen, wenn Sie die Vertrauens-
frage nicht gestellt hätten. Das ist meiner Meinung nach
das Problem.
Ich glaube, dass man diesen Vorgang auch einmal aus
dem Blickwinkel unserer Verbündeten und nicht nur aus
dem Blickwinkel der Koalition und ihrem Interesse an ih-
rer Selbsterhaltung beurteilen sollte. Ich hätte mir ge-
wünscht, dass der Außenminister dieser Frage in seiner
Rede nachgegangen wäre. Das ist nämlich seine Aufgabe.
Stattdessen hat er uns mit einem rhetorischen Feuerwerk
erfreut, bei dem mich nur die Disziplin der Bundesrats-
bank davon abgehalten hat, helau zu rufen.
Tatsache ist, dass unsere Verbündeten, insbesondere die
Vereinigten Staaten und deren Führung auf deren Auf-
forderung hin beteiligen wir uns an der kollektiven Vertei-
digung, nachdem der Bündnisfall nach Art. 5 des NATO-
Vertrages ausgerufen wurde; dies ist die Ursache für das,
worüber hier jetzt diskutiert wird , das heutige Vorgehen
mit wahrscheinlich sehr gemischten Gefühlen betrachten.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001 19885
Der Fraktionsvorsitzende der SPD, der Kollege Struck,
hat in seiner Rede eindrucksvoll geschildert,
wie sich frühere Kanzler bei schwierigsten politischen Fra-
gen um eine breite Mehrheit bemüht haben. Er hat insbe-
sondere Konrad Adenauer und dessen Bemühungen um
eine breite Zustimmung zur Wiederbewaffnung erwähnt.
Ich habe diese Debatte damals miterlebt. Herr Kollege
Struck, genau das hat der Bundeskanzler nicht getan: Er hat
die Bildung einer breiten Mehrheit für die Beteiligung deut-
scher Streitkräfte diese Mehrheit halten Sie für durchaus
wichtig mit dem Stellen der Vertrauensfrage blockiert.
Der Bundeskanzler hat die Wirkung dieser Blockade auf
die Oppositionsparteien ausdrücklich akzeptiert. Das
heißt, er ist davon ausgegangen, dass die Oppositions-
fraktionen trotz der großen Bedeutung der zur Abstim-
mung stehenden außenpolitischen Frage wegen des damit
verknüpften Stellens der Vertrauensfrage Nein sagen.
Man kann ihnen nicht zumuten, über ihren Schatten zu
springen. Das heißt, Herr Kollege Struck, genau das, was
Sie eigentlich einfordern, eine breite Mehrheit, erreichen
Sie mit dem heutigen Vorgehen nicht.
Die Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland
beruht nach dem Verständnis des Bundeskanzlers auf dem
Zusammenhalt der Koalition. Dieser Zusammenhalt ist
nur durch das Stellen der Vertrauensfrage zu gewährleis-
ten. Nun kann man aber nicht bei jeder Entscheidung über
eine wichtige außenpolitische Frage die Vertrauensfrage
stellen.
In diesem Zusammenhang ist nun, und zwar aus poli-
tischen und nicht aus juristischen Gründen, die Beant-
wortung der Frage der Zurückholbarkeit der Soldaten in-
nerhalb der vorgesehenen 12 Monate wesentlich. Ich
versuche wiederum, mir mit den Augen unserer Verbün-
deten diesen Teil der Debatte zu vergegenwärtigen. Dazu
muss ich sagen: Das, was der Bundestag beschließen soll,
nämlich die Ermächtigung des Bundesverteidigungsminis-
ters er ist ja für die Einzelheiten zuständig , deutsche
Streitkräfte an der Operation Enduring Freedom für
12 Monate zu beteiligen, ist jetzt infrage gestellt worden.
Der Kollege Struck hat gesagt: Wir müssen das Recht
haben, den Beschluss zurückzuholen, wenn wir der Mei-
nung sind, dass die Sache nicht mehr sinnvoll ist. Weiterhin
hat er gesagt: Wir müssen die Möglichkeit haben, diesen
zurückzuholen, wenn wir die Verluste für zu hoch halten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was ist denn nun
der konkrete Inhalt der Bündnisverlässlichkeit, die durch
diesen Entscheid unter Beweis gestellt werden soll?
Das hat mit Professor nichts zu tun. Was mich stört, ist
die fehlende inhaltliche Schlüssigkeit des Arguments.
Genau nach dieser inneren Schlüssigkeit werden auch
unsere Bündnispartner fragen. Sie hingegen fragen nur
danach, ob Sie alle Stimmen kriegen. Die Menschen, die
außerhalb der Bundesrepublik Deutschland unsere
Belastbarkeit und Verlässlichkeit als Bündnispartner prü-
fen, werden sagen müssen: Die Regierung hat ihre Bünd-
nisfähigkeit nur noch unter extremen Bedingungen ge-
währleisten können.
Gleichzeitig wird die getroffene Entscheidung inhaltlich
wieder infrage gestellt. Das schadet der Bundesrepublik
Deutschland.
Wir haben keine aufgrund sicherer Mehrheit belastbare
Regierung.
Ob diese Belastbarkeit gegeben ist, wird sich erst erwei-
sen, wenn sich die Risiken, die mit dieser Entscheidung
verbunden sind, verwirklichen. Für mich war interessant,
dass alle Redner aus dem Koalitionslager direkt oder in-
direkt darauf hingewiesen haben, dass die Risiken ei-
gentlich nur noch sehr gering seien.
Nein, das sollen Sie nicht bedauern.
Wenn Sie politisch verantwortlich handeln wollen, müs-
sen Sie sich aber die Frage stellen, welche Risiken damit
verbunden sind.
Unsere Soldaten in Sachsen und anderen Orten Deutsch-
lands fragen uns nicht, ob die Koalition hält, sondern,
welchen Risiken sie ausgesetzt sein werden, wenn sie dort
hingehen.
Ich habe gerade wieder Soldaten in den Kosovo verab-
schiedet und mit ihnen diskutiert. Es kann sein, dass Sie
das stört, aber mich interessieren diese jungen Männer
und Frauen, die aus ganz Deutschland kommen und für
diese Aufgabe ausgebildet werden. Ich fühle mich für sie
verantwortlich, und zwar nicht nur, weil sie Sachsen, son-
dern weil sie Deutsche sind.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf
19886
Diese Verantwortung gebietet es, auch über die Risiken
zu sprechen.
Herr Fischer, ich habe von Ihnen in Ihrer Rede dazu
nichts gehört.
Wenn Sie das für unglaublich halten, dann ist das Ihr Pri-
vatvergnügen.
Ich bin der Meinung, dass wir im Zusammenhang mit
der heutigen Entscheidung die Belastbarkeit der Regie-
rung auch unter dem Gesichtspunkt prüfen müssen, ob sie
hält, wenn sich die Risiken verwirklichen.
Wir müssen prüfen, ob die Bündnisfähigkeit auch dann
noch gegeben ist oder ob der vom Kollegen Struck in Aus-
sicht gestellte Sachverhalt eintritt,
dass man nämlich die Dinge neu prüfen muss.
Eines geht nämlich nicht: Innerhalb eines Bündnisses, in-
nerhalb eines kollektiven Verteidigungssystems können
wir uns einen derartigen Ermessensspielraum nicht vorbe-
halten. Wenn wir das tun, sind wir eben nicht zuverlässig.
Zur Bündnisfähigkeit gehört im Übrigen das ist der
zweite Punkt, den ich auch mit Blick auf unsere Soldaten
vortragen möchte , dass wir die Bundeswehr mit Res-
sourcen ausstatten, die sie wirklich leistungsfähig und
kampffähig machen.
Das, was wir dazu in den letzten Monaten auch von
führenden Militärs gehört haben, spricht nicht dafür,
dass dies der Fall ist.
Ich möchte hier feststellen, dass nach meiner Überzeu-
gung durch die gegenwärtige Bundesregierung die Prio-
ritäten falsch gesetzt werden. Ich habe erlebt, dass es ohne
lange Debatten möglich war, für die Lösung des Konflik-
tes im Zusammenhang mit der Rentenversicherung ver-
gleichsweise große Milliardenbeträge einzusetzen. Bis zu
20 Milliarden DM Subventionen wurden gezahlt, von de-
nen jeder Sachverständige weiß, dass ungefähr die Hälfte
durch Mitnahmeeffekte verloren geht. Die andere Hälfte
ist sozialpolitisch sicherlich sinnvoll. Wäre in den letzten
Jahren die Bundeswehr mit der gleichen Großzügigkeit in
die Lage versetzt worden, ihr Gerät zu erneuern, ihr Per-
sonal gut zu bezahlen und die Ausbildung zu verbessern,
bräuchten wir in diesem oder einem anderen Hause nicht
über die Probleme der Bundeswehr zu reden.
Ich erteile Kollegin
Steffi Lemke, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Werte
Kolleginnen und Kollegen! Zwei sehr grundsätzliche und
weit reichende Fragen stehen heute im Deutschen Bun-
destag zur Entscheidung an. Es geht um den Fortbestand
einer Regierungskoalition und um die Entsendung der
Bundeswehr out of area zur Beteiligung am Krieg ge-
gen Terrorismus. Ich halte die Verknüpfung dieser beiden
Fragen zwar für zulässig, sie ist aber aus meiner Sicht
nicht zielführend.
Sie erzwingt die Zustimmung von Abgeordneten, die Ein-
wände in der Sachfrage haben, und nimmt dem Parlament
die Freiheit, unabhängig von der Sache über das Mandat zu
entscheiden. Eine getrennte Abstimmung hätte die
positive Beantwortung der Vertrauensfrage und somit die
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf
19887
Aussprache des Vertrauens durch alle 47 Abgeordneten der
grünen Bundestagsfraktion also einstimmig ermöglicht.
Für eine Gruppe von Abgeordneten in meiner Fraktion
stelle ich fest, dass der Dissens in der Sache bestehen bleibt.
Der Krieg in Afghanistan dient unserer Ansicht nach nicht
der zielgerichteten Bekämpfung der Terroristen des
11. Septembers. Dem internationalen Terrorismus kann
nicht mit Streubomben unter Inkaufnahme von toten Zivi-
listen und der Zerstörung von Einrichtungen des Interna-
tionalen Roten Kreuzes begegnet werden. Ich gehe davon
aus, dass alle Abgeordneten dieses Hauses den von mir
eben geschilderten Faktoren kritisch gegenüberstehen.
Der Krieg in Afghanistan mag manche der militärischen
Ziele erreicht haben. Durch die Siege der Nordallianz ist er
politisch aber nicht sinnvoller geworden. Noch immer fehlt
dem Krieg ein realistisches Konzept und es fehlt eine trag-
fähige politische Lösung für die Zeit nach den Taliban. Es
gilt, erst mühsam die Voraussetzungen dafür zu schaffen.
Genau das konnte und kann der Krieg nicht. Er droht die
ethnische Spaltung des Landes noch zu vertiefen.
Wir lehnen diesen Krieg und die Beteiligung der Bun-
deswehr nicht allein deshalb ab, weil das aus unserer Sicht
falsch ist, sondern auch, weil dies einen weiteren ent-
scheidenden Schritt zur Enttabuisierung militärischer
Mittel darstellt.
Sicherlich freuen sich alle Abgeordneten dieses Hauses
über die Bilder aus Afghanistan, die uns in den letzten Ta-
gen erreicht haben, über die Frauen und Männer, die ihrer
Befreiung entgegensehen und sich einem anderen Leben
zuwenden können. Ich beharre aber darauf: Gerade wenn
nach dem 11. September eine veränderte Situation in der
weltpolitischen Sicherheitslage eingetreten ist dies ist
hier übereinstimmend festgestellt worden , muss Klar-
heit über die Art und Weise der Kriegführung sowie über
strategische und politische Ziele der Kriegführung beste-
hen. Dies ist davon zu trennen, dass in Afghanistan seit
Jahren ein grausames Regime herrscht.
Wir sehen die Aufgabe Europas in diesem Prozess
darin, gemeinsam mit den Vereinigten Staaten von Ame-
rika eine zielgerichtete Antwort bei der Bekämpfung des
internationalen Terrorismus zu finden, die wir bisher bei
dem Krieg in Afghanistan nicht erkennen können. Die acht
Unterzeichner des Positionspapiers zu dem Krieg in Af-
ghanistan, das vergangenen Sonntag in der Frankfurter
Allgemeinen Sonntagszeitung veröffentlicht wurde, ha-
ben gemeinsam eine Entscheidung getroffen, wie sie mit
der Machtfrage, der Vertrauensfrage, die heute im Parla-
ment gestellt wird, umgehen. Wir haben entschieden, bei
der heutigen Abstimmung eine zahlenmäßige Halbierung
der Stimmenanzahl vorzunehmen, um die Vertrauensfrage
des Bundeskanzlers mit Ja beantworten zu können.
Wir beantworten eine Machtfrage strategisch, indem wir
Ja zum Fortbestand der Koalition und Nein zur Legitima-
tion des Bundeswehrmandats sagen.
Die Beurteilung des Krieges in Afghanistan bleibt davon
unberührt.
Das bisher zur Abstimmung stehende Bundeswehr-
mandat ist vermutlich von seinem ursprünglichen Ziel
her überholt. Es spräche deshalb manches dafür, es als
humanitäres, quasi polizeiliches Mandat umzuformulie-
ren. Wir gehen davon aus, dass dieses Mandat nicht mi-
litärisch, sondern zivil gedeutet wird. Das entspricht dem
Willen nicht nur vieler Abgeordneter, sondern auch der
großen Mehrheit der Bevölkerung.
Nun komme ich zu zwei Fragen, die im Parlament ge-
stellt worden sind: Erstens wurde gefragt, ob die grünen
Abgeordneten für dieses Abstimmungsverhalten eine
Losentscheidung getroffen haben. Ich sage Ihnen, dass
ich mit meinem Mandat so verantwortlich umgehe, dass
ein solches Verfahren nicht gewählt worden ist. Es ist eine
strategische Entscheidung, die wir gemeinsam, ohne ein
solches Verfahren, getroffen haben.
Ich komme zu der zweiten Frage. Ich wende mich in
diesem Zusammenhang an die Kollegen Gysi und Claus;
vielleicht kann man das aber auch gemeinsam mit Herrn
Merz und Herrn Glos besprechen, die heute ähnlich er-
bärmliche Vorstellungen über die Frage, wie man mit der
Bevölkerung über die Situation diskutieren sollte, abge-
liefert haben. Sie haben die Frage nach dem Rückgrat ge-
stellt. Ich muss Ihnen sagen, Herr Gysi und Herr Claus,
über die Rückgratfrage diskutiere ich nicht mit Leuten
wie Ihnen. Sie sind dafür verantwortlich, dass ich als jun-
ger Mensch in der Schule nicht darüber diskutieren
konnte, was im Krieg zwischen der Sowjetunion und Af-
ghanistan passierte.
Die rot-grüne Bundesregierung ist dafür verantwortlich,
der Bevölkerung und dem Parlament eine Diskussion
über diese Fragen ermöglicht zu haben. Das unterscheidet
uns grundlegend von Ihnen.
An die andere Seite der Opposition gewandt, die in der
Sachfrage eigentlich zustimmen möchte, aber offen-
sichtlich strategisch entschieden hat, in der Machtfrage
mit Nein zu stimmen, sage ich: Ich finde es verantwor-
tungslos, wie Sie mit der Frage, was in Afghanistan pas-
siert und wie und mit welchen Zielen dort Krieg geführt
wird, umgehen. Sie haben hier bedingungslosen Gehor-
sam signalisiert.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Steffi Lemke
19888
Ich sage Ihnen, dass Bündnissolidarität gegenüber den
Vereinigten Staaten keinen bedingungslosen Gehorsam
beinhalten kann, sondern einen verantwortlichen Umgang
mit der Frage erfordert, was zu einer zielgerichteten
Bekämpfung des internationalen Terrorismus notwendig
ist und was nicht.
Ich danke Ihnen.
Als letztem Redner in
der Debatte erteile ich dem Kollegen Gert Weisskirchen,
SPD-Fraktion, das Wort.
Wie alle Mit-
glieder dieses Hauses habe auch ich mein Gewissen und
mein Wissen geprüft. Ich komme zu dem Schluss, dass ich
nach äußerst harter Prüfung dem zustimmen kann, was
uns der Bundeskanzler fragt und was die Bundesregie-
rung von uns erwartet. Dazu sage ich ganz deutlich Ja.
Lieber Herr Ministerpräsident, Sie haben die Frage
aufgeworfen, ob wir denn die Risiken geprüft hätten. Ich
kann Ihnen sagen: Wir haben in stundenlangen Debatten
in der Fraktion, in den Arbeitsgruppen der Fraktion und in
den Ausschüssen des Deutschen Bundestages jedes ein-
zelne Detail geprüft. Ich kann Ihnen versichern: Ihre
Frage geht ins Leere. Wir haben alle Risiken überdacht.
Wir sagen zu diesem Mandat deutlich Ja.
Ich sage Ihnen auch, warum wir diesem Mandat zu-
stimmen. Dies ist vom Weltsicherheitsrat formuliert
worden. Ich werde Ihnen sagen, was er beschlossen hat.
Er fordert alle Staaten auf, insbesondere im Rahmen bi-
lateraler und multilateraler Vereinbarungen zusammenzu-
arbeiten, um Terroranschläge zu verhüten und zu bekämp-
fen und Maßnahmen gegen die Täter zu ergreifen. Das ist
die völkerrechtliche Grundlage unseres Handelns. Inner-
halb der internationalen Allianz gegen den Terrorismus
wird die Bundesrepublik Deutschland die Rolle spielen,
die ihr angemessen ist, die eingegrenzt und behutsam ist.
Deswegen werden wir diesem Mandat, das uns die
Bundesregierung vorschlägt, zustimmen.
Mit dem Luftkrieg der USA hat der Zerfall der Herr-
schaft der Taliban begonnen. Fast schon schien es so, als
wenn die Bilder der Bomben werfenden Flugzeuge ver-
drängt hätten, warum sie eingesetzt werden. Diese Bomben
ebneten der Nordallianz den Weg in die großen Städte. Jetzt
atmen viele Menschen auf: Frauenfeindliche Torturen kön-
nen beseitigt werden, Musik darf wieder gehört werden, Ju-
gendliche hoffen auf eine bessere Zukunft. Ich weiß, dass
es schwierig ist, daran zu denken und zuzustimmen, dass
das Militär dabei eine begrenzte Rolle spielen kann.
Was uns betrifft, so hat das Bundesverfassungs-
gericht für die Bundesrepublik Deutschland noch einmal
klar gemacht, dass die Bundeswehr in einem solchen
Kampf eine Rolle spielen darf, aber nur als Heer des Par-
laments. Genau das und nichts anderes geschieht jetzt.
Die Bundeswehr wird eingesetzt, um in Afghanistan end-
lich Frieden durchzusetzen. Dieses Land hat 22 Jahre
schrecklicher Zeit hinter sich. Millionen von Menschen
wurden gedemütigt, Gewalt und Tod haben triumphiert, eth-
nische und religiöse Säuberungen haben sich nacheinander
abgelöst. Millionen Menschen, ein Viertel der Bevölkerung,
mussten fliehen, die Angst trieb sie außer Landes, Tausende
wurden exekutiert. Schrecken und Willkür, Bürgerkrieg und
Fremdherrschaft schienen kein Ende zu nehmen. Ich hoffe
sehr, dass Schluss damit sein wird, dass wir die Augen da-
vor verschließen, was in diesem Lande geschieht.
Jetzt gibt es eine neue Chance. Der Sicherheitsrat hat
gerade eine entsprechende Resolution beschlossen. Die
Bundesrepublik Deutschland ist die lead nation der
Freunde von Afghanistan für Afghanistan; sie hat den Vor-
sitz. Heute findet das erste internationale Treffen, ange-
regt von Kofi Annan, statt. Ich hoffe sehr, dass dieses ge-
schundene Land nun endlich in unser gemeinsames
Blickfeld rückt und wir alles dafür tun, dass die Chance
genutzt wird, dort eine zivile Gesellschaft durchzusetzen.
Dafür brauchen wir die Unterstützung der Vereinten Na-
tionen. Wir werden daher nach dem militärischen Einsatz
unsere Kräfte zusammenführen, damit diesem Land eine
neue Perspektive gegeben werden kann.
Gestern haben unsere Kollegen im Haushaltsausschuss
eine neue Antwort darauf gegeben, indem sie gesagt ha-
ben, dass die Entwicklungspolitik gestärkt werden muss.
Ich freue mich darüber, dass zusätzliche 560 Milli-
onen DM dafür eingesetzt werden, dass im Rahmen des
nächsten Bundeshaushaltes mehr getan werden kann, um
die Armut in der Welt zu bekämpfen.
Gemeinsam mit der EU verlangen wir von der Nord-
allianz, die Menschenrechte zu achten und den Übergang
zu einer breit angelegten Regierung sicherzustellen. Ein
Ja zum Mandat stärkt unser Gewicht und das Gewicht der
Europäischen Union.
Die historischen Erfahrungen Deutschlands haben uns
gelehrt, Grundsatzentscheidungen zugunsten multilate-
raler Politik zu treffen. In Europa wissen wir: Wir alle
hängen voneinander ab. Wer ein guter Nachbar ist, ermu-
tigt den Nachbarn, selbst ein guter Nachbar zu sein. Die
historischen Erfahrungen der Vereinigten Staaten aller-
dings waren bis zum 11. September andere. Aber die USA
wissen jetzt, dass auch sie verwundbar sind. Die interna-
tionale Koalition gegen den Terrorismus von al-Qaida ist
Ausdruck eines Multilateralismus der Notwendigkeit. Ich
hoffe sehr, dass es gelingt, diese multilaterale Wende in
den USA so zu bestärken, dass wir künftig gemeinsam mit
den USA andere, bessere Wege gehen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Steffi Lemke
19889
Ich möchte noch etwas ansprechen, das für mich wirk-
lich zu der größten Herausforderung unserer künftigen
Arbeit gehört: Was steckt eigentlich hinter diesem Furor
der fanatischen Eliten aus den Ländern, die sich dem
Islamismus verschrieben haben? Wogegen richtet sich
ihr Hass? Richtet sich der Hass gegen die Entwürfe eines
selbstbestimmten Lebens, gegen die aktive Toleranz?
Dazu hat der Schriftleiter der Zeitschrift Dédale,
Abdelwahab Meddeb, geschrieben: Wer zur reinen Lehre
des Islam zurückkehren will, der kehrt sich einer anderen
Welt zu, der versucht, die islamische Krankheit so hat
er es beschrieben zu begründen im Gegensatz zu dem,
was im Westen als Zerrbild davon entworfen wird. Er
schreibt, dass für ihn der islamistische Fundamentalismus
eine Gefahr für den Islam selbst ist.
Deswegen müssen wir noch einmal neu die Frage auf-
nehmen, die Huntington gestellt hat: Enden wir doch im
Kampf der Kulturen? Nein! Es gibt Wege in der Gefahr
und vielleicht öffnen sie uns dereinst den Ausweg.
Kollege Weisskirchen,
Sie müssen bitte zum Ende kommen. Sie haben Ihre Re-
dezeit überschritten.
Eine wesent-
liche Leistung der Bundesregierung, insbesondere von
Joschka Fischer und Gerhard Schröder, ist es gewesen, die
Außenpolitik berechenbar zu machen.
Deswegen bedeutet unser Ja auch ein deutliches Ja dafür,
dass die deutsche Außenpolitik berechenbar bleibt.
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem
Antrag der Bundesregierung zum Einsatz bewaffneter
deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemein-
samen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die
USA, mit dem der Bundeskanzler den Antrag nach Art. 68
Abs. 1 des Grundgesetzes, ihm das Vertrauen auszuspre-
chen, verbunden hat.
Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt auf Drucksache
14/7447, den Antrag der Bundesregierung zum Streitkräf-
teeinsatz auf Drucksache 14/7296 anzunehmen. Ferner
liegt hierzu der Bericht des Haushaltsausschusses gemäß
§ 96 der Geschäftsordnung auf Drucksache 14/7480 vor.
Ich stelle fest, dass die für die Abstimmung über den
Vertrauensantrag des Bundeskanzlers in Art. 68 Abs. 2 des
Grundgesetzes vorgeschriebene Frist von 48 Stunden ein-
gehalten ist. Der Bundeskanzler hat den Antrag gemäß
Art. 68 Abs. 1 des Grundgesetzes am 13. November 2001
gestellt. Der Antrag ist am selben Tag als Drucksache
14/7440 verteilt worden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte jetzt noch
um Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Abstim-
mungsverfahren.
Über die Beschlussempfehlung des Ausschusses zum
Antrag und über den Antrag des Bundeskanzlers gemäß
Art. 68 Abs. 1 des Grundgesetzes wird in einer Abstim-
mung abgestimmt, das heißt: Sie geben nur einmal Ihre
Stimme ab. Für die Annahme der Beschlussempfehlung
des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundes-
regierung zum Streitkräfteeinsatz reicht die Mehrheit der
abgegebenen Stimmen, das heißt: die einfache Mehrheit.
Für die Annahme des Antrags des Bundeskanzlers gemäß
Art. 68 Abs. 1 des Grundgesetzes ist die Zustimmung der
Mehrheit der Mitglieder des Bundestages erforderlich;
das sind mindestens 334 Stimmen.
Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Im Ältesten-
rat ist vereinbart worden, dass die Abstimmung mit
Stimmkarte und Stimmausweis erfolgen soll. Sie benöti-
gen daher außer Ihrer Stimmkarte auch Ihren gelben
Stimmausweis. Diesen können Sie, soweit noch nicht ge-
schehen, Ihrem Stimmkartenfach in der Lobby entnehmen.
Bitte verwenden Sie nur Stimmkarten, die Sie heute
Ihrem Fach entnommen haben. Es ist überprüft worden,
dass dort die jeweils richtige Stimmkarte einsortiert wor-
den ist. Verwenden Sie also bitte keine Stimmkarten, die
Sie von sonst wo mitgebracht haben. Außerdem bitte ich
Sie, sich vorher noch davon zu überzeugen, dass die
Stimmkarte auch Ihren Namen trägt.
Bevor Sie Ihre Stimmkarte in eine der aufgestellten Ur-
nen werfen, übergeben Sie bitte Ihren gelben Stimmaus-
weis einem der Schriftführer an den Urnen. Die Schrift-
führerinnen und Schriftführer bitte ich, darauf zu achten,
dass Stimmkarten nur von Kolleginnen und Kollegen in
die Urne geworfen werden, die vorher ihren Stimmaus-
weis abgegeben haben.
Bevor ich die Abstimmung eröffne, will ich mitteilen,
dass 77 Kolleginnen und Kollegen schriftliche Erklärungen
zur Abstimmung abgegeben haben. Nach der Abstimmung
wird es einige mündliche Erklärungen geben.
Ich bitte nunmehr die Schriftführerinnen und Schriftfüh-
rer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Ur-
nen besetzt? Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? Das ist offensicht-
lich nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung werde ich
bekannt geben, sobald die Schriftführerinnen und Schrift-
führer es nach Auswertung der Stimmkarten ermittelt ha-
ben.1) Die Auszählung der Stimmkarten wird voraus-
sichtlich 15 bis 20 Minuten in Anspruch nehmen.
Bevor ich nun das Wort zur Erklärung nach § 31 unse-
rer Geschäftsordnung erteile, kommen wir noch zur Ab-
stimmung über die Entschließungsanträge und zu einigen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Gert Weisskirchen
19890
1) Seite 19893 A
weiteren einfachen Abstimmungen. Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich bitte Sie deshalb herzlich, Platz zu neh-
men, damit wir diese Abstimmungen ordnungsgemäß
durchführen können.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/7513. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? Gegen-
probe! Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist
mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
gegen die Stimmen der anderen Fraktionen angenommen.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-
tion der CDU/CSU auf Drucksache 14/7512. Wer stimmt
für diesen Entschließungsantrag? Wer stimmt dage-
gen? Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist mit
den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS
gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt
worden.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-
tion der FDP auf Drucksache 14/7503. Wer stimmt für
diesen Entschließungsantrag? Wer stimmt dagegen?
Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS ge-
gen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP abgelehnt.
Zusatzpunkte 5 und 6: Interfraktionell wird die Über-
weisung der Vorlagen auf Drucksache 14/7445 und
Drucksache 14/7500 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? Das ist der Fall. Dann sind die Überwei-
sungen so beschlossen.
Zusatzpunkt 7: Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/7493,
den Entschließungsantrag der PDS auf Drucksache
14/7333 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses ge-
gen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich erteile jetzt das
Wort zu zwei Erklärungen nach § 31 unserer Geschäfts-
ordnung. Zunächst hat der Kollege Rüdiger Veit, SPD-
Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Im eigenen Namen und im Na-
men von 15 Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Bun-
destagsfraktion will ich eine Erklärung nach § 31 der
Geschäftsordnung verlesen. Ich tue dies im Namen von
Konrad Gilges, Klaus Barthel, Harald Friese, Reinhold
Hemker, Konrad Kunick, Götz-Peter Lohmann, Christine
Lucyga, Adolf Ostertag, Renate Rennebach, Gudrun
Roos, René Röspel, Horst Schmidbauer, Ottmar
Schreiner, Sigrid Skarpelis-Sperk und Waltraud Wolff.
Wir erklären, dass wir dem Antrag des Bundeskanzlers
gemäß Art. 68 Grundgesetz, den er in Verbindung mit dem
Antrag der Bundesregierung zum Einsatz bewaffneter
deutscher Streitkräfte gestellt hat, zustimmen.
Kollege Veit, es ist
eine gewisse Unruhe entstanden. Es ist gute Tradition des
Hauses, Erklärungen zur Abstimmung weitgehend frei
vorzutragen. Es gibt ja sonst auch die Möglichkeit der
schriftlichen Erklärung.
Wenn das das Problem ist, will
ich versuchen, dem abzuhelfen.
Auch diejenigen, die trotz ihrer grundsätzlichen Be-
denken gegen den Einsatz bewaffneter Kräfte in der Ver-
trauensfrage zugestimmt haben, haben eine Gewissens-
entscheidung getroffen, eine Gewissensentscheidung
zugunsten rot-grüner Politik und ihrer Fortsetzung, zu-
gunsten der sozial Benachteiligten in unserer Gesell-
schaft in der Befürchtung, dass eine andere politische
Konstellation, weiter rechts stehend, womöglich Schaden
für unser Land und für die Menschen bedeuten würde.
Sie haben mich darum gebeten, frei vorzutragen. Das
tue ich jetzt, mehr oder weniger geschliffen, jedenfalls
nach meiner Überzeugung, und bitte um Ihre freundliche
Aufmerksamkeit.
Wir haben dies vor dem Hintergrund der Tatsache ge-
tan,
dass wir den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan oder
wo immer auch sonst im Rahmen des hier begehrten Man-
dats nicht für richtig halten; denn Krieg ist unserer Über-
zeugung nach kein geeignetes Mittel im Kampf gegen den
Terrorismus.
Im Übrigen lehnt die Mehrheit derjenigen, die diese
Erklärung durch mich hier vortagen lassen, aus prinzipi-
ellen Gründen auch den Einsatz der Bundeswehr außer-
halb des NATO-Vertragsgebietes ab.
Darüber hinaus sind wir der Überzeugung, dass man
Zweifel daran haben muss, ob sich die hier in Rede ste-
hende Bevollmächtigung der Bundesregierung im Rah-
men dessen bewegt, was uns das Bundesverfassungs-
gericht vorgegeben hat. Wir haben Zweifel, ob wir
darüber nicht vielmehr im Einzelnen in diesem Haus hät-
ten entscheiden müssen.
Wir stehen im Übrigen in der Tradition einer fast
140 Jahre alten sozialdemokratischen Partei, die von sich
sagen kann, dass sie dieses Land noch niemals in einen
Krieg geführt hat. Wir sind der festen Überzeugung, dass
dies niemand in diesem Haus beabsichtigt. Wir sind aber in
tiefer Sorge, dass es zu einer militärischen Eskalation kom-
men könnte. Auch deswegen hätten wir mit Nein gestimmt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Präsident Wolfgang Thierse
19891
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Rüdiger Veit
19892
Wir sind schließlich der Auffassung das will ich in
den Vordergrund stellen ,
dass der hier in Rede stehende Einsatz nicht nur die Billi-
gung einer militärischen Auseinandersetzung, sondern
auch den Beitritt zu einer solchen bedeutet. Eine solche
Auseinandersetzung begegnet aufgrund verfassungs-
mäßiger, besser gesagt: völkerrechtlicher Zweifel an der
Legitimität der eingesetzten Mittel, wie Streubomben und
Bombardements, die auch die Zivilbevölkerung schädi-
gen können, durchgreifenden Bedenken.
Zum Schluss möchten wir Folgendes sagen ich
wiederhole das : Das war eine Gewissensentscheidung.
Wir standen in einem Konflikt, den nicht wir gewollt
haben, sondern der uns leider aufgezwungen worden ist.
In dieser Hinsicht war eine Gewissensfrage dahin gehend
zu entscheiden, ob man dem Bundeswehreinsatz nicht zu-
stimmt und der Bundesregierung zugleich das Misstrauen
ausspricht. Das wollten wir nicht. Wir wollten der Regie-
rung grundsätzlich das Vertrauen aussprechen. Das ist
hiermit geschehen. Auf unsere Bedenken haben ich hin-
gewiesen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Zu einer weiteren Er-
klärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung erteile ich
dem Kollegen Gerald Häfner das Wort.
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde
zum einen Ihrem freundlichen Rat, Herr Präsident, folgen
und frei sprechen. Zum Zweiten werde ich jetzt nur sehr
kurz vortragen. Denn ich habe eine ergänzende schriftliche
Erklärung zur Abstimmung gemacht. Nein ich tue das, um
es für Sie jetzt nicht zu lange zu machen, liebe Kolleginnen
und Kollegen. Das heißt, ich werde jetzt einige kurze Dinge
sagen und ansonsten mich schriftlich erklären.
Die Entscheidung über einen Militäreinsatz ist für uns
alle eine sehr große Entscheidung. Es kann gut gehen, es
kann aber auch Leben kosten. Ich hoffe, das wird hier
nicht der Fall sein. Aber dies müssen wir immer beden-
ken, wenn wir hier über einen solchen Antrag abstim-
men.
Das müssen wir alle auf unser Gewissen nehmen.
Jeder von uns muss damit leben, wie er hier abgestimmt
hat. Das heißt, wir müssen in dieser Abwägung alle Sei-
ten würdigen und am Ende besonnen entscheiden.
Wir entscheiden dabei nicht nur für uns, sondern und
das macht es schwerer wir sind gewählt, um für diejeni-
gen, die uns hierher entsandt haben, mitzuentscheiden.
Wir sind Volksvertreter und wir haben einen Auftrag. In
diesem Fall gilt sogar der Parlamentsvorbehalt, das
heißt: Das Grundgesetz und das Bundesverfassungsge-
richt verlangen, dass aus guten Gründen über Mi-
litäreinsätze nur das Parlament entscheiden kann.
Um diese ernsthafte Debatte, das Ringen um den rich-
tigen Weg in dieser schweren Entscheidung und um ein
wirkliches Abbild dessen, wie das deutsche Parlament zu
dieser Frage steht, sind wir durch die Vermischung der
Frage des Militäreinsatzes mit der Vertrauensfrage ge-
bracht worden. Diese Vermischung zeitigt geradezu ab-
surde Konsequenzen, wie zum Beispiel und das macht
es mir dann auch schwer, die Gewissensentscheidung
aller Abgeordneten im Hause ernst zu nehmen dass eine
komplette Fraktion am Montag der Woche erklärt, sie
werde für den Militäreinsatz stimmen und am Dienstag
aus taktischen Gründen, sie werde dagegen stimmen.
Das heißt, hier ist nicht mehr deutlich geworden, wer ei-
gentlich wofür ist und wer wogegen ist, sondern
Kollege Häfner, ich
möchte Sie unterbrechen.
Erstens. Der Sinn persönlicher Erklärungen ist nicht,
die Debatte fortzusetzen,
sondern eine Bemerkung zum eigenen Abstimmungsver-
halten zu machen.
Zweitens muss ich Sie fragen: Was gilt nun? Machen
Sie eine ausführliche mündliche Erklärung oder haben Sie
vor, eine schriftliche Erklärung abzugeben? Beides geht
nicht.
Herr
Präsident, die Verabredung war, dass ich eine kurze
mündliche Erklärung mache und ansonsten die schriftli-
che Erklärung abgebe. Wenn diese Verabredung nicht
mehr gilt, breche ich meine mündliche Erklärung hier
ab.
Danke schön. Liebe
Kolleginnen und Kollegen, ich gebe das von den Schrift-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Präsident Wolfgang Thierse
19893
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 662;
davon
ja: 336
nein: 326
Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel
Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann
Bernhard Brinkmann
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Lilo Friedrich
Harald Friese
Anke Fuchs
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf
Angelika Graf
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann
Walter Hoffmann
Iris Hoffmann
Frank Hofmann
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller
Jutta Müller
Christian Müller
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann
Gerhard Neumann
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel Riemann-
Hanewinckel
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth
Birgit Roth
Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Dr. Frank Schmidt
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
führerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der na-
mentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung
des Auswärtigen Ausschusses zum Regierungsantrag zum
Streitkräfteeinsatz in Verbindung mit dem Antrag des
Bundeskanzlers gemäß Art. 68 Grundgesetz bekannt: Ab-
gegebene Stimmen 662. Mit Ja haben gestimmt 336.
Mit Nein haben gestimmt 326, Enthaltungen keine.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Präsident Wolfgang Thierse
19894
Richard Schuhmann
Brigitte Schulte
Reinhard Schultz
Volkmar Schultz
Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek
Helmut Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf
Waltraud Wolff
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann
Marieluise Beck
Volker Beck
Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer
Joseph Fischer
Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt
Werner Schulz
Christian Sterzing
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm
Margareta Wolf
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Antje Blumenthal
Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler
Hartmut Büttner
Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Manfred Carstens
Peter H. Carstensen
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer
Axel E. Fischer
Klaus Francke
Dr. Gerhard Friedrich
Dr. Hans-Peter Friedrich
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser
Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn
Karl Lamers
Dr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann
Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß
Erwin Marschewski
Recklinghausen)
Dr. Martin Mayer
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001
Präsident Wolfgang Thierse
19895
(A)
(B)
Meine Damen und Herren, die Beschlussempfehlung
des Auswärtigen Ausschusses und damit der Antrag der
Bundesregierung zum Einsatz bewaffneter deutscher
Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Re-
aktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf
Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen
und des Art. 5 des Nordatlantikvertrages sowie der Reso-
lutionen 1368 und 1373 des Sicherheitsrats der Vereinten
Nationen sind angenommen.
Ich stelle weiterhin fest, dass der Antrag des Bundes-
kanzlers gemäß Art. 68 Abs. 1 des Grundgesetzes die dort
vorgesehene Mehrheit gefunden hat. Der Antrag des Bun-
deskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, ist damit
angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die
nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag,
27. November 2001, 11 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.