Dr. Gerd Müller
Bernward Müller (Jena)
Elmar Müller (Kirchheim)
Bernd Neumann (Bremen)
Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)
Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch
(Wiesbaden)
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth (Gießen)
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
(Halsbrücke)
Andreas Schmidt (Mülheim)
Hans Peter Schmitz
(Baesweiler)
Michael von Schmude
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Gerhard Schulz
Diethard Schütze (Berlin)
Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-
Schilling
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Dr. h. c. Rudolf Seiters
Bernd Siebert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Dr. Theodor Waigel
Peter Weiß (Emmendingen)
Gerald Weiß (Groß-Gerau)
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)
Hans-Otto Wilhelm (Mainz)
Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Willy Wimmer (Neuss)
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
Wolfgang Zöller
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Annelie Buntenbach
Winfried Hermann
Christian Simmert
Hans-Christian Ströbele
FDP
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun
(Augsburg)
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
(Frankfurt)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
PDS
Monika Balt
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Uwe Hiksch
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Manfred Müller (Berlin)
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf
Fraktionslose
Abgeordnete
Christa Lörcher
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 200119896
(C)(A) Berichtigung
200. Sitzung, Seite 19649 (D) ist wie folgt zu lesen:
Sie haben im Bereich Arbeitsmarkt alles falsch gemacht. Das Ergebnis davon sind 4 Millionen
Arbeitslose; 3,9 Millionen planen Sie selbst schon im Jahresdurchschnitt ein.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Betrachtet man die verheerende wirtschafts-, finanz- und steuerpolitische Bilanz von Rot-
Grün, so kann es hierfür nur drei Ursachen geben:
(Ludwig Eich [SPD]: Keine Ahnung!)
Entweder können Sie es nicht besser machen oder Sie wollen es nicht besser machen oder es ist
Ihnen schlicht egal. Alle drei Erklärungen sind gleichermaßen schlimm. Statt den Nutzen unse-
res Volkes zu mehren und Schaden von ihm abzuwenden, tun Sie das Gegenteil.
(Widerspruch der Abg. Erika Lotz [SPD])
Nachdem sich inzwischen führende Vertreter der Grünen den Einsatz der Bundeswehr im
Krieg gegen den Terrorismus als humanitäre Aktion schönreden, wie Frau Scheel, wird, wenn
man die Voraussagen richtig deutet, dieses rot-grüne Gewurstel wohl auch über kommenden
Freitag hinaus noch im Dezember weitergehen in unserem Land, zum Schaden unseres Landes.
Sie verfehlen alle selbst gesetzten Ziele. Wir werden bei der Wahlauseinandersetzung im nächs-
ten Jahr
(Ludwig Eich [SPD]: Mit wem denn?)
deutlich machen, dass es nicht widrige Zeitläufte waren, die Sie scheitern ließen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001 19897
(C)
(D)
(A)
(B)
Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 16.11.2001
Dr. Höll, Barbara PDS 16.11.2001
Schlee, Dietmar CDU/CSU 16.11.2001
Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 16.11.2001
Anlage 2
Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung des Antrags: Den Tourismus im
ländlichen Raum nachhaltig zu stärken (201. Sit-
zung, Tagesordnungspunkt 13)
Thomas Dörflinger (CDU/CSU): Der Antrag, den
uns SPD und Grüne heute vorlegen, erinnert mich etwas
an eine Unterhaltung zwischen einem Autoverkäufer und
einem Kunden. Der Verkäufer will dem Kunden beheiz-
bare Sitze, elektrisch verstellbare Außenspiegel, Tempo-
mat und viele andere Extras verkaufen, als der Kunde
schlicht einwendet, er möchte doch bitte schön erst ein-
mal Räder, damit das Auto überhaupt fährt.
Genau so durchdacht ist das, was Sie uns hier vorgelegt
haben. Wir können uns über vieles unterhalten, was Sie
aufgelistet haben. Manches davon ich werde noch da-
rauf zurückkommen findet auch unsere ausdrückliche
Zustimmung. Aber: Sie müssen sich zunächst einmal
dafür verwenden, Politik für den ländlichen Raum zu ma-
chen, bevor sie daran gehen können, den Tourismus in
diesen Regionen zu stärken. Und als Abgeordneter eines
ländlich strukturierten Wahlkreises weiß ich da, wovon
ich rede.
Sie haben die deutsche Landwirtschaft mit einem
Streichkonzert konfrontiert, das in den letzten 20 Jahren
ohne Beispiel ist. Mag sein, dass ein Großbetrieb damit
noch zurecht kommt. Die kleinen Familienbetriebe aber
im Südschwarzwald beispielsweise sehen sich aber an die
Wand gedrückt, wenn zu der durch BSE und MKS verur-
sachten Marktsituation für die die Bauern selbst gar
nichts konnten auch noch Kürzungen bei der Sozialver-
sicherung oder bei der Gasölbetriebsbeihilfe kommen.
Die Touristiker in dieser Region aber sind auf die Land-
wirtschaft angewiesen, wenn wir weiterhin mit einer of-
fen gehaltenen Landschaft Werbung betreiben wollen.
Wer, wenn nicht die Landwirte, soll denn für die Offen-
haltung der Landschaft sorgen? Politik gegen die Land-
wirtschaft ist auch Politik gegen den ländlichen Raum und
damit Politik gegen eine touristische Nutzung der Region.
Korrigieren Sie Ihre Agrarpolitik, und Sie leisten einen
ersten, wichtigen Beitrag zur Stärkung der Tourismus-
wirtschaft im ländlichen Raum.
entschuldigt bis
Abgeordnete(r) einschließlich
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlagen zum Stenographischen Bericht
Wenn Sie in Ihrem Antrag insbesondere den Bauern-
hof- und Landtourismus als wichtiges Segment im
Deutschlandtourismus loben wir gehen da völlig dac-
cord , dann müssten Sie zunächst einmal dafür sorgen,
dass es diese Bauernhöfe, auf denen man urlauben soll,
auch in zehn Jahren überhaupt noch gibt. Es macht ja
wohl keinen Sinn, dass Touristen auf einem Bauernhof
Ferien machen, der deswegen besonders ruhig ist, weil
seine Besitzer die Landwirtschaft vor Jahren eingestellt
haben, und die urlaubende Familie dann ins Heimatmu-
seum fährt, um sich anzusehen, wie die Landwirte früher
gearbeitet haben.
Lassen Sie mich auf einige Punkte aus Ihrem Antrag
konkret eingehen:
Erstens. Wir sind gemeinsam der Auffassung, dass
die Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küsten-
schutz ein wichtiges strukturpolitisches Element ist.
Sorgen Sie also bitte dafür, dass die GAK nicht zu einer
Sparbüchse der Frau Verbraucherschutzministerin ver-
kommt, aus der unvorhergesehene Dinge wie Maßnah-
men gegen BSE finanziert werden. Dies wird der GAK
nicht gerecht, sondern reduziert dieses wichtige Instru-
mentarium auf die Funktion eines finanzpolitischen
Spielballs.
Zweitens. Es ist richtig auch hier sind wir uns einig ,
dass Daten aus Übernachtungen auf Bauernhöfen er-
fasst werden, damit uns und den Verantwortlichen vor
Ort für die weiteren Planungen vernünftige Statistiken
zur Verfügung stehen. Warum aber dann legen Sie dem
Deutschen Bundestag an anderer Stelle einen Gesetzes-
entwurf vor, der zum Ziel hat, die Übernachtungen in
den Kurbeherbergungsbetrieben aus dieser Statistik
herauszunehmen? Einmal abgesehen von den teilweise
dramatischen Folgen für die Kommunalfinanzen
schaffte dies ein schiefes Bild in der Statistik, das unse-
rem gemeinsamen Ziel, nämlich den Tourismus im
ländlichen Raum zu stärken, alles andere als förderlich
wäre.
Drittens. Wenn Sie sich Punkt 13 Ihres Antrags einmal,
oder besser: zweimal durchlesen, müssten Ihnen eigent-
lich die Ohren klingeln. Nehmen Sie nochmals die Aus-
schussprotokolle aus dem früheren Ausschuss für
Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zur Hand und le-
sen Sie nochmals die Debatten nach, als der § 35 BauGB
durch die frühere Bundesregierung zugunsten beispiels-
weise der Umnutzung von ehemals landwirtschaftlich ge-
nutzten Gebäuden geregelt wurde. Die seinerzeitige Op-
position sprach von der Gefahr der Zersiedelung und
malte Horrorszenarien. Und jetzt findet sich genau die Re-
form der Reform in Ihrem eigenen Antrag. Das darf doch
nicht Ihr Ernst sein.
Vorletzte Bemerkung: Tourismus im ländlichen Raum
lebt nicht zuletzt auch von der Erreichbarkeit touristischer
Destinationen für den Kunden. Da ist die Schiene genauso
gefordert wie die Straße. Legen Sie endlich ein vernünfti-
ges Konzept zur Umsetzung der Bahnreform vor und leis-
ten Sie so etwa durch die groß angekündigte und dann
klammheimlich wieder kassierte Trennung von Netz und
Betrieb einen Beitrag zur Zukunftsfähigkeit der Eisen-
bahnen in Deutschland, damit es eben nicht passieren
kann, das ganze Touristikregionen durch die Bahn AG
Stichwort: Zukunft des Interregio einfach abgehängt
werden.
Legen Sie dem Deutschen Bundestag endlich die Fort-
schreibung des Bundesverkehrswegeplans vor! Das war
einmal für die zweite Hälfte dieser Legislaturperiode an-
gekündigt, dann hieß es, man komme erst im Verlauf des
Jahres 2002 zu Potte. Und jetzt erfahren wir langsam, dass
es in dieser Wahlperiode vermutlich überhaupt nichts
mehr wird. Traurige Zeiten in der deutschen Verkehrspo-
litik!
Letzte Bemerkung: Traditionell ist die Eigenkapital-
decke von Betrieben im ländlichen Raum dünner als die
in Ballungszentren. Belasten Sie also gerade diese Be-
triebe nicht auch noch durch zusätzliche Kosten wie sie
aus einer verfehlten Steuerreform, der Ökosteuer oder der
Neuregelung der 630-Mark-Jobs resultieren. Und: Sorgen
Sie nicht nur in Sonntagsreden in Fernost, wie der Herr
Bundeskanzler, sondern durch Taten in Europa dafür, dass
Basel II nicht zu einem Waterloo für die deutsche Touris-
muswirtschaft im ländlichen Raum wird.
Schaffen Sie also Rahmenbedingungen, unter denen
man nicht nur mehr schlecht als recht arbeiten kann, son-
dern die der Tourismuswirtschaft im ländlichen Raum ein
Auskommen ermöglichen. Es ist keine Zukunftsperspek-
tive, wenn die Umsätze zwar steigen, die Umsatzrendite
aber fortlaufend sinkt. Dann können wir uns gerne da-
rüber unterhalten, was darüber hinaus zur Verbesserung
der Situation noch zu tun ist.
Anlage 3
Erklärungen nach § 31 GO
der Abgeordneten Ingrid Arndt-Brauer,
Eckhardt Barthel (Berlin), Wolfgang Behrendt,
Dr. Axel Berg, Friedhelm Julius Beucher, Rudolf
Bindig, Christel Deichmann, Hans Forster, Arne
Fuhrmann, Renate Gradistanac, Angelika Graf
(Rosenheim), Klaus Hagemann, Anke Hartnagel,
Walter Hoffmann (Darmstadt), Ingrid Holzhüter,
Christel Humme, Gabriele Iwersen, Ilse Janz,
Ulrich Kasparick, Karin Kortmann, Horst
Kubatschka, Ute Kumpf, Christine Lambrecht,
Detlev von Larcher, Waltraud Lehn, Christine
Lehder, Heide Mattischeck, Michael Müller
(Düsseldorf), Andrea Nahles, Günter Oesinghaus,
Christel Riemann-Hanewinckel, Bernd Reuter,
Thomas Sauer, Gudrun Schaich-Walch, Dr.
Hermann Scheer, Dr. Frank Schmidt (Weilburg),
Gisela Schröter, Ewald Schurer, Dr. Angelica
Schwall-Düren, Erika Simm, Rita Streb-Hesse,
Jella Teuchner, Adelheid Tröscher, Dr. Wolfgang
Wodarg, Dr. Konstanze Wegner, Lydia Westrich,
Klaus Wiesehügel, Hanna Wolf (München) (alle
SPD)
zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung
zu dem Antrag der Bundesregierung zum Ein-
satz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der
Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf
terroristische Angriffe gegen die USA auf
Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten
Nationen und des Art. 5 des Nordatlantikver-
trags sowie der Resolutionen 1368 (2001) und
1373 (2001) des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen verbunden mit dem Antrag des Bun-
deskanzlers gemäß Art. 68 des Grundgesetzes
(Tagesordnungspunkt 3 und Zusatzpunkt 4)
Gleichwohl machen wir uns die Entscheidung in der
Sachfrage um den Einsatz der deutschen Bundeswehrsol-
daten im Kampf gegen den internationalen Terrorismus
nicht leicht. Nach mehr als 20 Jahren Krieg in Afghanis-
tan wünscht sich der größte Teil der afghanischen Bevöl-
kerung nichts mehr als Frieden und die Überwindung von
Unterdrückung. Darum wird die Bundesregierung aufge-
fordert, auf das schnellstmögliche Ende des Bombarde-
ments und der Kampfhandlungen hinzuarbeiten und ver-
stärkt humanitäre Hilfe zu leisten.
Das amerikanische Volk hat nach dem 11. September
2001 ein Anrecht auf unsere volle Solidarität. Solidarität
beruht auf Gegenseitigkeit. Eine uneingeschränkte Soli-
darität setzt daher partnerschaftliche Mitbestimmung und
umfassende Information voraus. Uneingeschränkte Soli-
darität kann kein bedingungsloses Nachvollziehen der
amerikanischen Militärstrategie bedeuten. Für uns ist das
humanitäre Kriegsvölkerrecht, Haager- und Genfer Kon-
ventionen, der entscheidende Maßstab. Der terroristische
Angriff vom 11. September 2001 hat die gesamte Völker-
gemeinschaft getroffen. Unsere Antwort muss den Prinzi-
pien des Völkerrechts folgen. Art. 57 des Zusatzprotokolls
der Genfer Konvention von 1949 besagt:
Wer einen Angriff plant oder beschließt, hat alles
praktisch Mögliche zu tun, um sicherzugehen, dass
die Angriffsziele weder Zivilpersonen noch zivile
Objekte sind. Er hat von jedem Angriff Abstand zu
nehmen, bei dem damit zu rechnen ist, dass es auch
Verluste unter der Zivilbevölkerung oder zur Be-
schädigung ziviler Objekte kommt, die in keinem
Verhältnis zum erwarteten konkreten oder unmittel-
baren militärischen Vorteil stehen.
Wir haben Vertrauen darauf, dass die Bundesregierung
ihren Einfluss geltend macht, den Einsatz von Streubom-
ben zu verhindern. Wir erwarten von Bundeskanzler
Schröder, dass er für die Dauer des militärischen Einsat-
zes seinen Einfluss dahin gehend nutzt, die Amerikaner
zum zielgenauen Einsatz der Bomben nur auf militärische
Ziele und Einrichtungen terroristischer Netzwerke aus-
schließlich in Afghanistan zu bewegen.
Wir teilen die Besorgnis vieler Bürgerinnen und Bür-
ger vor einer Ausweitung des Konfliktes durch Maßnah-
men, die nicht mit der deutschen Seite abgestimmt sind.
Ein Übergreifen des Konfliktes auf andere arabische
Länder ist unbedingt zu verhindern, um eine weitere Es-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 200119898
(C)
(D)
(A)
(B)
kalation zu vermeiden. Wir begrüßen daher die im Regie-
rungsantrag manifestierte Einschränkung des Einsatzes
bewaffneter deutscher Streitkräfte in Afghanistan:
Deutsche Kräfte werden sich an etwaigen Einsätzen
gegen den internationalen Terrorismus in anderen
Staaten als Afghanistan nur mit Zustimmung der je-
weiligen Regierung beteiligen.
Es wird festgestellt, dass diese Haltung in der Europä-
ischen Gemeinschaft breite Unterstützung findet. Die eu-
ropäische Staatengemeinschaft sollte ihren Einfluss in
diesem Sinne innerhalb der Koalition gegen den interna-
tionalen Terrorismus geschlossen vertreten und ihm auf
diesem Wege zur Geltung verhelfen. Zu den mittel- und
langfristigen Handlungsnotwendigkeiten zählen eine
Stärkung der Vereinten Nationen, eine Weltordnungspoli-
tik Global Governance und tiefgreifende Reformen der
Weltwirtschaftspolitik. Institutionen wie Weltbank, IWF
und UN-Sicherheitsrat müssen endlich für einen fairen
Nord-Süd-Ausgleich sorgen. Angesichts der dramati-
schen Armut in der Welt hat sich die internationale Ge-
meinschaft auf folgende gemeinsame Ziele zu verpflich-
ten: erstens Armutsbekämpfung, zweitens Politik für die
Chancengleichheit aller Menschen und Völker in einer
gerechteren Weltwirtschaftsordnung, drittens weitere Er-
höhung der Ausgaben für die Entwicklungszusammenar-
beit.
Wir begrüßen das Bemühen von Außenminister
Joschka Fischer und der Bundesregierung, im Nahost-
konflikt zu vermitteln und der Gewalt Einhalt zu gebie-
ten und zu einer politischen Lösung zu kommen. Wir er-
warten jedoch, dass die USA eine deutlich stärkere Rolle
in diesem Konflikt einnehmen. Israel und Palästina ha-
ben jeweils das Recht auf einen eigenständigen Staat und
ein Leben in gesicherten Grenzen. Wir begrüßen die Zu-
sicherung der Bundesregierung, dass die deutschen
Streitkräfte einem deutschen Kommando unterstellt wer-
den. Darüber hinaus verweisen wir auf das Bundesver-
fassungsgerichtsurteil von 1994 zum Auslandseinsatz der
deutschen Bundeswehr, wonach der Deutsche Bundestag
zu jeder Zeit die im Einsatz befindlichen Streitkräfte
zurückholen kann, wenn er dies für geboten hält. Wir be-
halten uns eine derartige Initiative ausdrücklich vor. Wir
unterstützen, dass der Bundeskanzler die Notwendigkeit
von politischen, diplomatischen und humanitären An-
strengungen öffentlich betont. Wir unterstützen die
Bemühungen der Bundesregierung, im Verbund mit der
Europäischen Gemeinschaft und den Vereinten Nationen
einen demokratisch legitimierten Post-Taliban-Prozess
in Afghanistan voranzutreiben. Im Rahmen eines Mar-
shallplanes muss der zivile und wirtschaftliche Wieder-
aufbau in der Region politisch und ökonomisch gewähr-
leistet werden. Ein Neuanfang muss alle ethnischen und
politischen Gruppen in Afghanistan einbeziehen. Wir er-
warten zusätzliche und konkrete Initiativen, um die Si-
tuation der Flüchtlinge in den Wintermonaten zu verbes-
sern, damit es zu keiner humanitären Katastrophe
kommt. Die Flüchtlingshilfe muss dabei klar von mi-
litärischen Aktionen getrennt werden. Wir begrüßen die
Aufstockung der Hilfsprogramme der Bundesregierung
auf 85 Millionen DM und die Bereitstellung von EU-Mit-
teln in Höhe von 700 Millionen DM. Wir unterstützen die
Bemühungen der Bundesregierung, im Rahmen des Post-
Taliban-Prozesses die Rechte der afghanischen Frauen
und von Minderheiten im Demokratisierungsprozess si-
cherzustellen.
Der 11. September 2001 war eine reale Kriegser-
klärung an potenziell jedes zivilisierte und friedenslie-
bende Land. Es ist notwendig, Osama Bin Laden und sei-
nen Unterstützern das Handwerk zu legen und sie vor ein
internationales Strafgericht zu stellen. Der UN-Sicher-
heitsrat hat in zwei einstimmig beschlossenen Resolutio-
nen die Terroranschläge vom 11. September als Bedro-
hung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit
eingestuft und dazu aufgerufen, die Terroristen und ihre
Hintermänner, aber auch die Länder, die ihnen Schutz ge-
währen, zur Rechenschaft zu ziehen. Diese Resolutionen
legitimieren auch militärische Maßnahmen. Auf dieser
Basis hat die NATO zum ersten Mal in ihrer Geschichte
den Bündnisfall festgestellt. Wir sind nach intensiver Ab-
wägung der angeführten Argumente bereit, einer Beteili-
gung deutscher Streitkräfte zuzustimmen.
Anlage 4
Erklärungen nach § 31 GO
der Abgeordneten Christian Sterzing und Ulrike
Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Ab-
stimmung über die Beschlussempfehlung zu dem
Antrag der Bundesregierung zum Einsatz be-
waffneter deutscher Streitkräfte bei der Unter-
stützung der gemeinsamen Reaktion auf terroris-
tische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des
Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und
des Art. 5 des Nordatlantikvertrags sowie der
Resolution 1368 (2001) und 1373 (2001) des Si-
cherheitsrates der Vereinten Nationen verbun-
den mit dem Antrag des Bundeskanzlers gemäß
Art. 68 des Grundgesetzes (Tagesordnungspunkt
3 und Zusatztagesordnungspunkt 4)
Nach den fürchterlichen terroristischen Anschlägen
in den Vereinigten Staaten haben wir unsere Solidarität
mit den Opfern, ihren Angehörigen und der Bevölke-
rung in den Vereinigten Staaten erklärt. Wir haben an-
erkannt, dass der UN-Sicherheitsrat das individuelle
und kollektive Selbstverteidigungsrecht der Vereinigten
Staaten anerkannt und damit dem Kampf gegen den Ter-
rorismus eine völkerrechtliche Grundlage gegeben hat.
Ferner haben wir wie zum Beispiel der Bundestag so-
wie die Partei Bündnis 90/Die Grünen in mehreren Be-
schlüssen zum Ausdruck gebracht, dass unsere Be-
reitschaft zur praktischen Solidarität unter bestimmten
Bedingungen auch die Bereitstellung militärischer Mit-
tel umfasst.
Unsere Solidarität haben wir immer als kritische, nicht
als uneingeschränkte verstanden. Deshalb haben wir uns
zum Beispiel als Erstunterzeichner des Berliner Aufrufs
gegen den Krieg in Afghanistan gewandt und uns für eine
Bekämpfung des Terrorismus mit zivilisierten Mitteln
eingesetzt, weil auch im Kampf gegen den Terror die
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001 19899
(C)
(D)
(A)
(B)
Wertauffassungen und Grundsätze unserer Gesellschaft
nicht Schaden nehmen dürfen. Die Luftangriffe in Af-
ghanistan haben angesichts der wachsenden Zahl ziviler
Opfer, von Flächenbombardements und des Einsatzes
von Streubomben den Kriterien und Bedingungen, unter
denen wir den Einsatz militärpolizeilicher Mittel gegen
den Terror und seine Unterstützer für noch vertretbar hal-
ten, nicht entsprochen. Jede Planung und Durchführung
militärischer Maßnahmen muss das Prinzip der Verhält-
nismäßigkeit und der Vermeidung ziviler Opfer beach-
ten. Wir haben uns deshalb für eine Aussetzung der Bom-
bardierungen eingesetzt, um die humanitäre Hilfe für die
hungernden und flüchtenden Menschen in Afghanistan
mit zu verbessern. Zudem war für uns nicht erkennbar,
dass die militärischen Maßnahmen in ein politisches Ge-
samtkonzept eingebettet waren, da nach unserer Über-
zeugung der Kampf gegen den Terrorismus nur dann dau-
erhaft Erfolg haben kann, wenn politische, ökonomische,
humanitäre, ordnungs- und strukturpolitische, polizeili-
che und sicherheitsdienstliche Maßnahmen im Vorder-
grund stehen.
Aufgrund dieser kritischen Zwischenbilanz der Luft-
angriffe in Afghanistan erschien uns eine Beteiligung
deutscher Soldaten nicht vertretbar. Das von der Bundes-
regierung beantragte Mandat sieht zudem nur eine Be-
reitstellung von Streitkräften vor; im Rahmen dieses
Mandats soll die konkrete Einsatzentscheidung für ein
Jahr der Bundesregierung vorbehalten bleiben. Wir be-
fürchten deshalb eine Entparlamentarisierung der gemäß
dem Grundgesetz allein dem Parlament vorbehaltenen
Entscheidung über Bundeswehreinsätze. Unklarheiten
im Hinblick auf den Auftrag, das Einsatzgebiet und die
Kommandostrukturen der deutschen Streikräfte sowie
der parlamentarischen Beteiligung konnten erst durch
eine Protokollerklärung der Bundesregierung präzisiert
werden.
Als Abgeordnete haben wir erreichen können, dass der
Einsatz der Bundeswehr durch einen zusätzlichen Antrag
und eine verbindliche Protokollerklärung der Bundesre-
gierung substanziell begrenzt und in ein politisches und
humanitäres Konzept eingebunden wurde. Wichtige
Bestandteile sind eine entschiedene Bekämpfung der
Ursachen des Terrors, zivile Konfliktlösungsstrategien,
humanitäre Flüchtlingsversorgung, die zusätzliche Finan-
zierung von Entwicklungsmaßnahmen und anderes.
Die Entscheidung des Kanzlers, angesichts der wach-
senden Ablehnung des Antrags der Bundesregierung in
den Regierungsfraktionen die Entscheidung über den
Bundeswehreinsatz mit der Vertrauensfrage zu verbinden,
machte es uns unmöglich, die ohnehin sehr schwierige
Entscheidung über die Entsendung deutscher Soldaten
allein an dem zu orientieren, was uns unsere politische
Überzeugung und unser Gewissen in Sachen Militär-
einsätze gebietet. Mit der Gewissensfrage wurde die Ent-
scheidung über das Schicksal der rot-grünen Koalition
verbunden, eine Frage, die aufgrund ihrer weitreichenden
Folgen an Bedeutung der Gewissensentscheidung gleich-
kommt.
Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind
Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen
nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen,
siehe Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG. Der Bundeskanzler hat das
Recht, jederzeit die Vertrauensfrage zu stellen. Gemäß
Art. 68 GG hat er auch das Recht, die Vertrauensfrage mit
einer Sachfrage zu verbinden. Bei der heutigen Ent-
scheiddung ist jedoch die Vertrauensfrage mit einer Ge-
wissensfrage verbunden. Das verfassungsgemäße Recht
des Bundeskanzlers zur Stellung der Vertrauensfrage kol-
lidiert also mit dem verfassungsgemäßen Recht der Ab-
geordneten auf eine freie Gewissenenstscheidung. Das
berührt Grundfragen unseres Verständnisses einer parla-
mentarischen Demokratie und erweist dieser sowie der
Glaubwürdigkeit des Parlaments und der Abgeordneten
keinen guten Dienst. In einer Mandatsaufgabe kann und
darf nicht die Lösung dieses Dilemmas liegen. Dies ent-
spricht nach unserer Überzeugung nicht dem Abgeordne-
tenbild, das den Vätern und Müttern des Grundgesetzes
vorschwebte.
Die Verknüpfung führt auch in der Sache zu absurden
Ergebnissen: Am Freitag werden die Abgeordneten der
Union und FDP, obwohl sie vorbehaltlos den Krieg in Af-
ghanistan und den Antrag der Bundesregierung unterstüt-
zen, den Antrag der Bundesregierung ablehnen. Dagegen
werden eine Reihe von Abgeordneten, die eine militäri-
sche Reaktion auf den 11. September ablehnen oder Kri-
tik an der Operation Enduring Freedom oder dem Antrag
der Bundesregierung haben und deshalb den Antrag der
Bundesregierung ablehnen, zustimmen.
Anlage 5
Erklärungen nach § 31 GO
der Abgeordneten Dr. Uschi Eid, Dr. Thea
Dückert, Andrea Fischer (Berlin), Katrin Göring-
Eckardt, Kristin Heyne, Dr. Angelika Köster-
Loßack, Christine Scheel und Margareta Wolf
(Frankfurt) (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung
zu dem Antrag der Bundesregierung zum Einsatz
bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unter-
stützung der gemeinsamen Reaktion auf terrori-
stische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des
Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und
des Art. 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Re-
solution 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicher-
heitsrates der Vereinten Nationen verbunden mit
dem Antrag des Bundeskanzlers gemäß Art. 68
des Grundgesetzes (Tagesordnungspunkt 3 und
Zusatztagesordnungspunkt 4)
Wir haben mit ja zum Einsatz deutscher Soldaten für
die Terroristenbekämpfung gestimmt. Wir haben uns die
Entscheidung nicht leicht gemacht. Es ist wohl die
schwerwiegendste Abstimmung, an der wir als Bundes-
tagsabgeordnete bisher teilnehmen mussten. Wir sind un-
serem Gewissen gefolgt und dem, was uns unser Herz und
unser Verstand unter Abwägung möglichst vieler Aspekte
gesagt haben.
Der 11. September hat vielen auf erschreckende Weise
vor Augen geführt, dass wir bisher in unserem Weltbild
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 200119900
(C)
(D)
(A)
(B)
eine große Gefahr für den Frieden in der Welt ausgeblen-
det hatten: den internationalen Terrorismus, getrieben von
religiösem oder anderem Fanatismus. Wer unter Aufgabe
seines Lebens bereit ist, Flugzeuge zur Bombe zu ma-
chen, um Tausende von unschuldigen Menschen zu töten,
der ist zu jeder unmenschlichen Tat fähig: auch zum Ein-
satz von biologischen, chemischen und atomaren Waffen
genauso wie zum Angriff auf ein AKW oder eine Che-
miefabrik. Wir haben die erschreckende Überzeugung,
dass der Angriff auf New York und Washington erst der
Anfang war wenn wir nichts dagegen tun. Wir befürch-
ten zudem, dass auch Angriffsziele in Europa gesucht
werden. Die Gefährlichkeit dieser Terroristen zu unter-
schätzen, kann viele weitere Menschenleben kosten. Wer
hier nicht handelt, macht sich schuldig.
Inzwischen müssen wohl auch Skeptiker auch wir
waren zwischendurch skeptisch zugeben, dass der mi-
litärische Einsatz in Afghanistan erfolgreich war. Es ist
ein Beitrag zur Terroristenbekämpfung, wenn das Tali-
banregime in Afghanistan abgelöst und durch eine andere
Regierung unter Begleitung der UN ersetzt wird. Das Re-
gime ist aufs Engste mit Bin Laden verknüpft. Die Tali-
ban haben kein Zweifel daran gelassen, dass sie das Land
immer als Basisstation für ihn zur Verfügung stellten. Zu-
dem sind die Taliban grausam gegen die eigene Bevölke-
rung. Das reicht von der Unterjochung der Frauen über
eine Terrorjustiz bis dahin, dass unter ihrer Regierung
nicht etwa erst durch den Krieg Hundertausende zu
Flüchtlingen geworden und des Hungers gestorben sind.
Nun kann wahrscheinlich fast allen der circa 3 bis 5 Mil-
lionen Flüchtlingen geholfen werden. Dies ist eine ent-
scheidene Wende. Aber weder sind die Taliban endgültig
besiegt noch erst Recht der Frieden gewonnen. Jetzt müs-
sen alle Kräfte mobilisiert werden für einet stabile Nach-
Talibanordnung. Dafür haben wir trotz schwieriger Haus-
haltslage 160 Millionen DM neu eingestellt. Zusätzlich
unterstützen wir die humanitäre Hilfe in Afghanistan mit
96 Millionen DM.
Nicht alles fanden und finden wir dabei akzeptabel:
Den Einsatz von Streubomben lehnen wir nach wie vor
ab. Sie sind eine unnötige Grausamkeit. Wir erwarten zu-
dem, dass alles Menschenmögliche getan wird, um Fehl-
abwürfe auf zivile Ziele zu vermeiden. Für diese Art der
Kriegsführung gibt es von uns keine uneingeschränkte
sondern nur eine kritische Solidarität.
Für unsere Zustimmung war nicht zuletzt entschei-
dend, dass wir Grüne in wesentlichen Punkten das Man-
dat zum Einsatz konkretisiert haben. Dazu gehört, dass
das Operationsziel sich allein gegen die terroristischen
Netzwerke Bin Ladens und al-Quaida und die Unterstüt-
zer richtet, analog zur UN-Resolution; dass die 100 Spe-
zialkräfte polizeilich-militärische Aufgaben wahrneh-
men, zum Beispiel Geiselbefreiung sowie Verhaftungen
und nicht am Bodenkrieg teilnehmen; dass weder ein
Einsatz im Irak noch in Somalia geplant ist; dass es keine
Unterordnung deutscher Streitkräfte unter amerikani-
sches Kommando gibt, sondern dass die Bundesregie-
rung die Entscheidungshoheit hat; dass es eine regel-
mäßige Information und Diskussion im Parlament gibt,
insbesondere wenn sich etwas Wesentliches am Mandat
ändern sollte.
Zudem werden wir in einem parallelen Bundestagsbe-
schluss deutlich machen, dass die Entmilitarisierung des
Konfliktes unter Regie der Vereinten Nationen , der
Aufbau eines zivilen und freien Afghanistans und vor al-
lem die humanitäre Versorgung der Menschen absoluten
Vorrang haben müssen. Für die Zukunft ist klar: Eine
langfristige Strategie der Konfliktprävention, fairer Welt-
handel, Armutsbekämpfung, Entschuldung, Einsatz für
Menschenrechte weltweit und der Dialog der Kulturen
wird dazu beitragen, dass fanatische Terroristen sich
nicht mehr auf bestehende Ungerechtigkeiten zur ver-
meintlichen Rechtfertigung ihrer Untaten beziehen kön-
nen.
Wir stimmen auch aus großer Überzeugung mit Ja,
dass wir dem Bundeskanzler Schröder unser Vertrauen
aussprechen. Ganz entscheidend für unsere Zustimmung
ist unser Vertrauen in Joschka Fischer. Noch nie hatten wir
Grüne so einen großen Einfluss auf die internationale Po-
litik. Dies ist vor allem dem Außenminister selbst zu ver-
danken. Mit ihm ist deutsche Außenpolitik stärker als bis-
lang erkennbar auf Integration, Konfliktvermeidung und
Entwicklung ziviler Perspektiven gerichtet, in Asien wie
in Amerika, in Europa und im Nahen Osten. Sie ist nicht
nur zivile Außenpolitik, sie ist darüber hinaus zu guten
Teilen auch grüne Außenpolitik. Der grüne Außenminis-
ter betreibt diese Politik mit großer Glaubwürdigkeit und
mit einem hohen persönlichen Einsatz.
Man kann nicht gegen diese Politik stimmen und
gleichzeitig Joschka Fischer unterstützen! Wer mit Nein
stimmt, hat auch die gesamte Verantwortung für die Kon-
sequenzen für die rot-grüne Koalition und die grüne Par-
tei zu tragen. Als Erstes gilt die Konsequenz, dass die rot-
grüne Koalition beendet sein kann.
Eine andere Außen- und Weltinnenpolitik, die allen
Völkern der Erde eine Perspektive gibt, ist eine
langfristige Aufgabe. Das grüne Leitbild ist die nach-
haltige Entwicklung. Wir haben in den drei Jahren
Regierungsbeteiligung einiges erreicht. Aber es wäre ver-
messen, zu glauben, dass man in drei Jahren in Deutsch-
land einen völlig neuen Kurs durchsetzen könnte. Das
braucht Zeit. Die möchten wir dieser Koalition geben,
nicht nur bis zur Wahl im Herbst 2002, sondern auch in
der nächsten Legislaturperiode.
Dies gilt auch für andere Politikfelder. Viele unserer Pro-
jekte sind noch auf der Zielgeraden: Atomausstiegsgesetz,
KWK-Gesetz, Einwanderungsgesetz, Naturschutzgesetz
es muss noch durch den Bundesrat und vieles mehr.
Auch sind andere angestoßene Entwicklungen, zum
Beispiel die Förderung der erneuerbaren Energien, die
Ökosteuer, die Förderung der Bahn, die Renten- und
Steuerreform, die aktive moderne Arbeitsmarktförderung
noch lange nicht selbsttragend und können von einer an-
deren Regierung jederzeit wieder rückgängig gemacht wer-
den. Es wäre ein massives Roll-Back zu befürchten.
Rot-Grün ist ein Projekt, auf das wir jahrzehntelang
hingearbeitet haben. Es ist eine große Chance für dieses
Land, den Reformstau zu überwinden. Wir werden aus
dieser Abstimmung gestärkt hervorgehen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001 19901
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Anlage 6
Erklärung nach § 31 GO
zur Abstimmung über den Antrag der Bundesre-
gierung zum Einsatz bewaffneter deutscher
Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsa-
men Reaktion auf terroristische Angriffe gegen
die USA auf Grundlage des Art. 51 der Satzung
der Vereinten Nationen und des Art. 5 des Nord-
atlantikvertrags sowie der Resolution 1368
(2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen verbunden mit dem An-
trag des Bundeskanzlers gem. Art. 68 des Grund-
gesetzes (Tagesordnungspunkt 3 und Zusatz-
punkt 4)
Sylvia Bonitz (CDU/CSU): Aufgrund der Verknüp-
fung der Vertrauensfrage des Bundeskanzlers mit dem
Antrag der Bundesregierung zum Einsatz deutscher
Streitkräfte bei der Unterstützung der USA im Rahmen
der Terrorbekämpfung sehe ich mich außerstande, ein be-
fürwortendes Votum abzugeben.
Es ist beschämend, dass der Bundeskanzler das gemäß
Art. 68 des Grundgesetzes vorgesehene Instrument der
Vertrauensfrage durch die Koppelung mit einer Sachfrage
von historischer Bedeutung missbraucht. Schließlich han-
delt es sich bei dem Votum über den deutschen Streitkräf-
teeinsatz zur Unterstützung der USA um eine Sachent-
scheidung, die in ihrer Tragweite eine historische Zäsur
der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik darstellt, die
wie wohl kaum eine andere in dieser Legislaturperiode
eine besonders kritische Würdigung in der Entschei-
dungsfindung jedes einzelnen Abgeordneten erfährt und
auch erfahren muss und die unabhängig sein soll von par-
teipolitischen Solidaritätsbekundungen für angeschla-
gene Regierungsmitglieder.
Durch die Verknüpfung dieser Sachentscheidung mit
der Vertrauensfrage muss bezweifelt werden, dass diese
wichtige Gewissensentscheidung der frei gewählten Ab-
geordneten des Deutschen Bundestages noch ohne Pres-
sionen möglich ist.
Ich sehe in dieser Art des Vorgehens, die allein dem
Machterhalt und der künftigen Machtsicherung von
Gerhard Schröder in welcher Regierungskoalition auch
immer dienen soll, eine politische Vergewaltigung des
gesamten Parlamentes in einer historisch bedeutsamen
Frage. Gerhard Schröder hat seinem blanken Machtkalkül
Vorrang eingeräumt vor der Option einer breiten parla-
mentarischen Mehrheit für den Einsatz deutscher Streit-
kräfte, die aufgrund der besonderen Risiken dieses histo-
rischen Einsatzes eine starke Rückendeckung verdienen.
Diese Unterstützung möchte ich unseren Soldatinnen und
Soldaten, die zur Bekämpfung des internationalen Terro-
rismus und damit letztlich zur Verteidigung unserer Frei-
heit in einen risikobehafteten Einsatz geschickt werden
und dabei gegebenenfalls ihr Leben einsetzen müssen,
gern zuteil werden lassen.
Da ich in dieser besonderen Situation durch die seitens
des Bundeskanzlers gewählte Vorgehensweise genötigt
werden soll, mit meiner Unterstützung für die Bundes-
wehr gleichzeitig dem Bundeskanzler das Vertrauen aus-
zusprechen, kann ich jedoch nur ein negatives Votum ab-
geben. Ich kann nicht einem Bundeskanzler das Vertrauen
aussprechen, der die Parteidisziplin vor das Wohl des
Vaterlandes stellt und damit seine Charakterschwäche
offenbart.
Ich sehe in der Vorgehensweise des Bundeskanzlers
trotz seiner anders lautenden öffentlichen Bekundungen
den Versuch, bewusst einen Bruch der für ihn zunehmend
schwierigen rot-grünen Regierungskoalition und in des-
sen Folge vorgezogene Neuwahlen zum Deutschen Bun-
destag herbeizuführen. Diese Vorgehensweise halte ich
für inakzeptabel, insbesondere vor dem Hintergrund der
aktuellen Sicherheitslage unseres Landes, in der alle poli-
tischen Kräfte gebündelt werden sollten, um die schwie-
rigen Herausforderungen der Gegenwart und der vor uns
liegenden Zeit zu bewerkstelligen.
Es ist beschämend und beschädigt das Ansehen des po-
litischen Amtes des Bundeskanzlers, wenn diesen sach-
politischen Erwägungen in einer Gewissensentscheidung
der Abgeordneten durch die Verknüpfung mit der Ver-
trauensfrage nicht hinreichend Rechnung getragen wer-
den kann.
Dr. Edelbert Richter (SPD): Ich erkläre, dass ich der
rot-grünen Bundesregierung und Bundeskanzler Gerhard
Schröder mein Vertrauen ausspreche. Da der Bundes-
kanzler aber die Vertrauensfrage mit der Entscheidung
über die Beteiligung deutscher Streitkräfte am Krieg in
Afghanistan verknüpft hat, erkläre ich zugleich, dass ich
der Politik der amerikanischen Regierung in dieser Re-
gion nach wie vor kein Vertrauen entgegenbringen kann.
Der anscheinende Widerspruch zwischen diesen bei-
den Aussagen wird dadurch aufgelöst, dass ich die Bun-
desregierung auffordere und es ihr zutraue, gemeinsam
mit den anderen Regierungen der Europäischen Union
alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Regierung
der USA von willkürlicher Hegemonialpolitik abzubrin-
gen und zur Einhaltung und Weiterentwicklung des Völ-
kerrechts zu bewegen.
Denn Solidarität mit den USA bedeutet nicht blinde
Gefolgschaft, sondern schließt die Pflicht ein, den Partner
auf verhängnisvolle Fehlentscheidungen hinzuweisen.
Und wir Sozialdemokraten, Deutsche und Europäer soll-
ten der Einsicht, die wir in der Zeit des Kalten Krieges ge-
wonnen haben, treu bleiben: dass aufgrund der Verletz-
lichkeit moderner Gesellschaften Sicherheit nicht mehr
gegeneinander, sondern nur noch miteinander erreicht
werden kann. Die Antiterrorkoalition sollte in diesem
Sinne weitergeführt werden.
Ich bin mir bewusst, dass die Militäraktionen der USA
eine Reaktion auf den furchtbarsten Terroranschlag sind,
den die Welt bisher erlebt hat, dass dieses Verbrechen
internationale Verfolgung sowie Ergreifung und ange-
messene Bestrafung der Täter verlangt, dass der UNO-
Sicherheitsrat militärische Maßnahmen der USA als
Selbstverteidigungsmaßnahmen für legitim erklärt hat
und dass das Talibanregime in Afghanistan Terrorismus
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unterstützt und sich schwerer Verletzungen der Men-
schenrechte schuldig gemacht hat.
Zugleich bin ich jedoch der Meinung, dass die zivilen
Opfer in der Region schon jetzt jedes hinnehmbare Maß
bei weitem übersteigen, dass der Einsatz heimtückischer
Waffen wie Streubomben nicht nur jetzt unschuldiges Le-
ben grausam tötet, sondern auch in der Zukunft für lange
Zeit unverantwortliche Risiken für die Zivilbevölkerung
mit sich bringt, dass in keiner Weise erkennbar ist, wie die
völkerrechtlichen legitimen Ziele, die angestrebt werden,
durch die gegenwärtigen Militärmaßnahmen erreicht wer-
den können, dass mit dem Krieg wahrscheinlich nicht nur
der Terror bekämpft werden soll, sondern zugleich geo-
politische Interessen in der Region wahrgenommen wer-
den, dass die Militärmaßnahmen immer mehr Menschen
einem gewaltbereiten Islamismus zutreiben und die
Entwicklung eines friedlichen Zusammenlebens der
Religionen zunehmend erschweren, dass sie die Gefahr
zukünftiger terroristischer Gewaltakte eher erhöhen als
vermindern und dass sie nichts dazu beitragen, durch die
Verminderung von Armut und Ungerechtigkeit den Nähr-
boden für Fanatismus und Gewaltbereitschaft auszutrock-
nen.
Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich stimme dem Antrag der Bundesregierung zum Einsatz
von Bundeswehrkräften im Kampf gegen den internatio-
nalen Terrorismus zu.
Noch vor einer Woche wäre für mich der Antrag nicht
zustimmungsfähig gewesen. Die Schreckensbilder vom
11. September verblassen hierzulande. Die von Terror-
netzwerken von und um al-Qaida ausgehende Bedrohung
hält aber an und lässt vor allem wegen ihres Strebens nach
Massenvernichtungswaffen noch Schlimmeres befürch-
ten. Dies verpflichtet die Staaten über die Verfolgung der
Hintermänner des 11. September hinaus zu umfassender
Gefahrenabwehr, zur Bekämpfung von Urhebern und
Ursachen des Terrorismus. Ihm ist auf Dauer nur mit dem
ganzen Spektrum von Instrumenten beizukommen, ange-
fangen bei den diplomatischen, geheimdienstlichen und
finanzpolitischen. Dabei ist der Einsatz militärischer Mit-
tel nicht nur durch den UN-Sicherheitsrat legitimiert. Er
ist angesichts der militarisierten Infrastruktur des mit den
Taliban eng verwobenenen al-Qaida-Netzes in Afghanis-
tan und seiner Schlüsselrolle für den Gewalt- und Terror-
export auch notwendig.
Gegenüber dem Vorhaben der Bundesregierung, Bun-
deswehrkräfte zur Unterstützung der US-Militäroperation
Enduring Freedom zur Verfügung zu stellen, ergaben sich
erhebliche Bedenken: Undurchsichtig war die US-Mili-
tärstrategie, vor allem ihre weitergehenden Ziele. Unbe-
kannt waren ihre tatsächlichen Wirkungen. Sichtbar wur-
den aber ihre zivilen Opfer; der Einsatz von Streubomben,
die Behinderungen von humanitärer Hilfe und die dro-
hende Hungerkatastrophe. Die Bilder der Luftangriffe
schürten in der islamischen Welt Solidarisierung mit Bin
Laden und den Taliban und schienen diese eher zu stärken
als zu schwächen. In diesen Nebel sollten Bundeswehr-
kräfte mit einer Art Blankoscheck des Parlaments ent-
sandt werden. Das waren keine Voraussetzungen für eine
Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen. Das
ließ Befürchtungen wachsen, in ein unberechenbares
Kriegsabenteuer hineingezogen zu werden.
Seit einigen Tagen hat sich die Lage in Afghanistan ra-
sant geändert: Binnen weniger Tage brach das Taliban-
regime zusammen. Millionen Menschen und vor allem
Frauen sind frei von seinem Terror. Die Zugänge für hu-
manitäre Hilfe haben sich schlagartig verbessert. Jetzt
rückt die direkte Verfolgung von al-Qaida-Terroristen, die
Herstellung von Sicherheit, Wiederaufbau und der politi-
sche Prozess in den Vordergrund. In diesem erheblich
günstigeren Kontext sollen nun Bundeswehrkräfte für
Transport, Sanitätsversorgung, ABC-Schutz, vor allem im
Hinblick auf drohende Terroranschläge, Seeüberwachung
und genauen Zugriff auf Terroristen zur Verfügung ste-
hen. Auf Initiative der Grünen gelang es, den bisher sehr
pauschal formulierten und damit Spekulationen fördern-
den Auftrag mit einer Protokollnotiz einzugrenzen und
einer deutlicheren parlamentarischen Kontrolle zu unter-
ziehen. Der Entschließungsantrag der Koalitionsfraktio-
nen betont im Hinblick auf militärische Maßnahmen die
Normen des Völkerrechts und bestimmt zentrale politi-
sche Aufgaben, mit denen den Nähr- und Resonanzböden
des Terrorismus entgegengewirkt werden muss.
Wo in Afghanistan der Krieg zurückgeht, wo jetzt hu-
manitäre Hilfe, Sicherheit, Entminung, Aufbau, politische
Einigung und Terroristenverfolgung im Mittelpunkt ste-
hen, bedeutet der unterstützende deutsche Militäreinsatz
ersichtlich nicht die Teilnahme am Afghanistan-Krieg
oder einen Kriegseinsatz. Damit ist eine Zustimmung zum
Antrag der Bundesregierung viel eher verantwortbar ge-
worden. Zugleich bleiben erhebliche Unklarheiten und
Zweifel vor allem gegenüber der weiteren Militär- und
Gesamtstrategie der USA.
Die Verknüpfung der Sachentscheidung mit der Ver-
trauensfrage durch den Bundeskanzler trifft uns Abgeord-
nete in unserer demokratischen und parlamentarischen
Identität. Ein solches Durchboxen ist ein ungeeignetes
Mittel, die breiten Bedenken und Widerstände in SPD,
Grünen und Bevölkerung insgesamt gegenüber dem be-
vorstehenden Militäreinsatz zu entkräften. Es behindert
die gesellschaftliche Konsensbildung durch offene De-
batte, die gerade in der Sicherheitspolitik unverzichtbar ist.
Das Kanzler-Machtwort zwingt uns, in unsere Gewissens-
entscheidung die Konsequenzen unseres Abstimmungs-
verhaltens für die Koalition, für die deutsche Außenpolitik
und das laufende internationale Krisenmanagement, für
die grüne Partei einzubeziehen. Angesichts dessen und der
veränderten Rahmenbedingungen für die Bundeswehrent-
sendung ist meine Zustimmung zu dem Antrag der Bun-
desregierung notwendig und verantwortbar.
Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Zwei sehr grundsätzliche und weit reichende Fragen ste-
hen heute im Deutschen Bundestag zur Entscheidung an.
Beide sind sehr unterschiedlich und haben doch eines ge-
meinsam. Die Antworten sind von historischer Tragweite.
Es geht um den Fortbestand einer sozialökologischen,
rot-grünen Reformkoalition unter Führung von Bundes-
kanzler Gerhard Schröder und um die Entsendung der
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Bundeswehr out of area zur Beteiligung am Krieg ge-
gen Terrorismus.
Zwei so unterschiedliche Fragen können zwar aus
Macht- und Mehrheitskalkül zusammengespannt werden,
inhaltlich ist das freilich höchst problematisch. Wer das
eine will und das andere ablehnt, wird mit der damit er-
zwungenen einfachen Ja-Nein-Antwort für beide Fragen
der Komplexität nicht gerecht.
Wir bedauern es sehr, dass der Bundeskanzler aus un-
serer Sicht ohne Not die Vertrauensfrage gestellt hat, um
damit die Mehrheit der Koalition für ein Auslandsmandat
der Bundeswehr zu bekommen bzw. zu erzwingen. Diese
Verquickung ist zwar machtpolitisch clever, aber nicht
klug, weil sie nicht wirklich Vertrauen schafft, sondern
Misstrauen säht, weil sie Zustimmung von Abgeordneten
erzwingt, die in der Sache ernsthafte Bedenken haben,
weiterhin für die rechtsstaatlich und völkerrechtliche an-
gemessenere Form.
Das zur Abstimmung stehende Bundeswehrmandat ist
angesichts der sich abzeichnenden Entwicklung von sei-
ner ursprünglichen Funktion her vermutlich überholt. Es
spräche manches dafür, es deutlich als ziviles, quasi poli-
zeiliche und humanitäres zum Aufbau eines friedlichen
Afghanistan umzuformulieren. Wir erwarten, dass es
zumal aus unserer Sicht illegitim erstritten nicht
militärisch, sondern zivil gedeutet wird. Das entspäche
nicht nur dem Willen vieler Abgeordneter, sondern auch
der großen Mehrheit der Bevölkerung. Diese lehnt mit uns
eine Militarisierung der Außenpolitik ab.
Trotz dieser gravierender Einwände in einer sehr
grundsätzlichen und letztlich auch nicht gefahrlosen Ent-
scheidung der Bundesregierung, die Bundeswehr einzu-
setzen, müssen wir abwägen, ob wir die damit zwanghaft
verbundene Vertrauensfrage bejahen oder die rot-grüne
Regierung beenden. Wir haben als Gruppe von Kritike-
rinnen und Kritikern gemeinsam entschieden, weil der
Einzelne das Entscheidungsdilemma nicht sinnvoll auflö-
sen kann.
Wir entscheiden politisch wohl begründet und in
großer Verantwortung. Wir stimmen in einer freien Ge-
wissensentscheidung ab. Einige von uns sagen Nein und
machen deutlich, dass wir dieses Bundeswehrmandat
nicht legitimieren wollen. Wir sagen Nein zur Kriegsbe-
teiligung. Einige sagen Ja zur Regierung Schröder und
zum Fortbestand der Koalition. Wir wollen gemeinsam
diese Reformkoalition und wir wollen eine vor allem
zivile Außenpolitik.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich stimme dem Antrag der Bundesregierung zu, weil ich
dem Bundeskanzler nach Art. 68 Abs. 1 mein Vertrauen
aussprechen will.
Ich stelle inhaltliche Bedenken gegen den Bereitstel-
lungsbeschluss und Kritik an der Durchführung der Ope-
ration Enduring Freedom vor dem Hintergrund der ge-
stellten Vertrauensfrage zurück.
Innenpolitisch sind dabei für mich besonders folgende
Gründe von erheblicher Bedeutung:
Erstens. Über die Fortsetzung oder Beendigung der
Koalition muss ein Parteitag politisch entscheiden. Diese
Entscheidung darf nicht stattdessen von einer kleinen
Gruppe von Abgeordneten getroffen werden.
Zweitens. Rot-Grün hat nicht nur in der Außenpolitik
eine erfolgreiche Politik gemacht. Die Leistungsbilanz
dieser Koalition ist nach nur drei Jahren beeindruckend.
Wir haben innenpolitisch das Gesicht dieser Republik
verändert. Gesellschaftspolitisch wurde mit Staatsbürger-
schaftsreform, Lebenspartnerschaftsgesetz und Prostitu-
iertengesetz Deutschland moderner und liberaler. Mit
dem Zuwanderungsgesetz und der Durchsetzung der Bar-
rierefreiheit für Behinderte will die Koalition diesen Weg
fortsetzen. Mit der ökologischen Erneuerung erneuer-
bare Energien, Atomausstieg und der sozialen Erneue-
rung Renten-, Steuerreform hat die Koalition Ernst
gemacht, aber es bleibt auch noch viel zu tun. Die Fort-
setzung von Rot-Grün ist und bleibt das Beste für unser
Land.
Folgende außenpolitischen Gesichtspunkte habe ich
bei meiner Entscheidung besonders abgewogen:
Erstens. Die Anschläge vom 11. September sind jeder-
zeit wiederholbar. Nur eine Zerschlagung der Strukturen,
die sie hervorgebracht haben, kann hier wieder Sicherheit
schaffen. Ein repressives Vorgehen gegen das Terrornetz
Bin Ladens ist daher legitim und spezialpräventiv. Das
Talibanregime war nicht nur ein Unglück für die eigene
Bevölkerung, sondern auch eng mit dem Terrornetz ver-
woben. Im Ausland ist ein repressives Vorgehen in diesem
Sinne aber nicht durch Polizeikräfte möglich, sondern nur
durch militärische Mittel.
Zweitens. Der sehr unscharf gefasste Antrag der Bun-
desregierung war zunächst schon vor dem Hintergrund
seiner Bereitstellungsdauer von einem Jahr verfassungs-
rechtlich problematisch. Mit der Protokollerklärung des
Bundesaußenministers im Auswärtigen Ausschuss wur-
den die verfassungsrechtlichen Bedenken ausgeräumt.
Die Klarstellung beim Auftrag bezüglich der Beschrän-
kung auf die Bekämpfung von al-Qaida, bei der Aufglie-
derung der eingesetzten Streitkräfte, der Beschränkung
der KSK auf polizeilich-militärische Aufgaben, beim Ein-
satzgebiet Ausschluss Somalias , die Informationsver-
pflichtung und die Bilanz nach sechs Monaten haben
Grüne in Parlament und Regierung durchgesetzt. Teil-
nahme an der Bombardierung oder die Stellung von Bo-
dentruppen waren von Anfang an ausgeschlossen.
Drittens. Kritisch bleibt anzumerken, dass die Opera-
tion Enduring Freedom ein unilateraler Einsatz mit deut-
scher Unterstützung bleibt. Allerdings behält sich die
Bundesregierung die Entscheidung über konkrete
Einsätze weiterhin vor.
Viertens. Die Kriegführung der USA im Rahmen der
Operation Enduring Freedom war nicht immer verhält-
nismäßig. Insbesondere der Streubombeneinsatz, der
viele zivile Opfer gefordert hat, war auch nicht durch die
Anschläge des 11. September gerechtfertigt, weil er nicht
hinreichend zielgerichtet auf die Verfolgung der Terroris-
ten ausgerichtet war. Der Antrag der Koalitionsfraktionen
unterstreicht noch einmal die Notwendigkeit der Bindung
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eines Militäreinsatzes an die Verhältnismäßigkeit und for-
dert die Vermeidung ziviler Opfer. Er kritisiert damit in-
direkt auch Aspekte der Kriegführung der USA.
Fünftens. Der Einsatz in Afghanistan war immer mit
humanitärer Unterstützung der Zivilbevölkerung durch
Hilfsgüterabwurf verbunden. Mit dem Rückzug der Tali-
ban erhalten die Hilfsorganisationen in den von der Nord-
allianz kontrollierten Gebieten Zugang zu der hilfsbe-
dürftigen Bevölkerung und können nun im großen
Maßstab Hilfe ins Land bringen:
Sechstens. Gerade in der jetzigen international ange-
spannten Situation ist eine rot-grüne Bundesregierung ein
wichtiger Beitrag für die langfristige Friedensperspek-
tive. Gerade das internationale Ansehen von Außenminis-
ter Joschka Fischer, seine Rolle in der Nah-Ost-Politik, ist
für den Aufbau einer internationalen Friedensordnung
notwendig.
Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Ich stimme dem Beschlussvorschlag der
Bundesregierung zur begrenzten Bereitstellung deutscher
Streitkräfte im Rahmen der militärischen Operationen der
weltweiten Antiterrorkoalition aus folgenden Gründen zu:
Nach den Klarstellungen und Präzisierungen durch die
verbindliche Protokollerklärung der Bundesregierung ha-
ben für mich Art und Umfang des möglichen deutschen
Beitrags deeskalierenden Charakter. Sie entsprechen
weitgehend den auch von den Gremien meiner Partei be-
schlossenen Kriterien der Zweckmäßigkeit, Verhältnis-
mäßigkeit und Zielgenauigkeit.
Im Einzelnen bewerte ich die angeforderten Kompo-
nenten wie folgt:
Erstens. Eine deutsche Beteiligung an Luftangriffen
oder an einem Bodenkrieg ist und bleibt klar ausge-
schlossen.
Zweitens. Der mögliche Einsatz von Spezialkräften
wird durch die Protokollerklärung ausschließlich auf poli-
zeilich-militärische Aufgaben gegen das terroristische
Netzwerk Bin Ladens bzw. gegen deren unmittelbare Un-
terstützer beschränkt, zum Beispiel auf Geiselbefreiung
und Verhaftungen. Sie werden nicht in einem Bodenkrieg
als Bestandteile von Truppen eingesetzt. Vergleichbare
Kommandoaktionen auch mit deutscher Beteiligung ha-
ben auf dem Balkan dafür gesorgt, dass Kriegsverbrecher
gefasst und vor das Haager UN-Tribunal gebracht wurden.
Drittens. Das mögliche Einsatzgebiet wird durch die
Protokollerklärung weiter eingegrenzt: Außerhalb Afgha-
nistans kann eine Stationierung oder gar ein Einsatz nicht
ohne Zustimmung der jeweiligen Regierung erfolgen, in
Ländern ohne Regierung nur mit erneuter Beschlussfas-
sung des Bundestages. Im Nahen Osten ist nach Aussage
des Bundeskanzlers in unserer Fraktionssitzung am
14. November 2001 ein Einsatz nicht vorgesehen. Damit
ist eine unkontrollierte Ausweitung des Konfliktes mit
deutscher Beteiligung zum Beispiel nach Somalia oder in
den Irak ausgeschlossen.
Viertens. Drohungen von al-Qaida sowie Hinweise auf
den Besitz radioaktiven Materials zeigen: Die Bedrohung
durch atomare, biologische oder chemische Kampfstoffe
ist nicht abstrakt, sondern sehr konkret. Die Bundeswehr
besitzt mit dem Fuchs-Panzer ein System zum Aufspüren
solcher Waffen, das dem Schutz aller vor Ort betroffenen
Menschen, ob Soldaten oder Zivilbevölkerung, dient.
Fünftens. Sanitätseinheiten fliegendes Hospital
und ähnliches dienen der Evakuierung Verletzter, der
medizinischen Versorgung von Soldaten und oft auch der
Zivilbevölkerung.
Sechstens. Durch die Bereitstellung von Transport-
flugzeugen werden die Versorgungsmöglichkeiten mit
humanitären Hilfsgütern verbessert.
Siebtens. Die bereitgestellten Marineeinheiten sollen
gefährliche Schiffstransporte wie zum Beispiel Öl- und
Chemietanker vor Anschlägen schützen. Dies ist aufgrund
entsprechender Bedrohungshinweise sinnvoll, um un-
absehbare, auch ökologische Folgen terroristischer An-
schläge auf solche Transporte zu verhindern.
Achtens. Es gibt keine Unterordnung deutscher Streit-
kräfte unter amerikanisches Kommando. Die Entschei-
dungshoheit verbleibt bei der deutschen Bundesregierung
mit ihren grünen Ministern.
Neuntens. Das Mandat gilt für die Dauer eines Jahres.
Die Gremien des Bundestags werden jedoch kontinuier-
lich und zeitnah über Verlauf und Ergebnisse der Opera-
tionen unterrichtet. Der Bundestag übt damit seine unver-
zichtbaren parlamentarischen Kontrollrechte aus und
kann jederzeit in eigener Beurteilung der aktuellen Ent-
wicklung neue Entscheidungen treffen, gegebenenfalls
auch die deutschen Streitkräfte zurückrufen. Für die wei-
tere Bewertung ist für mich zum Beispiel maßgeblich,
dass auf den Einsatz von Streubomben verzichtet wird.
Zehntens. Mit dem parallel beschlossenen Entschlie-
ßungsantrag des Bundestags wird das militärische Vorge-
hen in ein politisches Gesamtkonzept zur Zukunft eines
zivilen und friedlichen Afghanistans, zur dauerhaften
friedlichen Konfliktlösung und zur sofortigen Verbesse-
rung der humanitären Lage und Versorgung der Menschen
vor Ort eingeordnet. Auch dies war eine wesentliche For-
derung bündnisgrüner Beschlüsse.
Damit entspricht das Anforderungsprofil eines mögli-
chen deutschen Beitrags den für mich maßgeblichen Kri-
terien.
Es bleibt jedoch die Grundfrage zu entscheiden, ob
militärische Mittel prinzipiell geeignet und moralisch
legitim sind, um Terrorismus zu bekämpfen.
Es ist die niederschmetternde und brutale Wirklichkeit,
dass in Kriegsaktionen auch Unschuldige getroffen, ver-
letzt und getötet werden. Ebenso wirklich ist aber, dass
mit dem erkennbaren Ende des Talibanregimes, das ele-
mentare Menschenrechte mit Füßen getreten hat, in den
befreiten Städten ein Stück Freiheit und relativer Sicher-
heit für die Menschen möglich geworden ist. Dort ist auch
der von uns geforderte Bombenstopp Wirklichkeit ge-
worden noch vor dem Beginn des Ramadan. Zum ers-
ten Mal seit Jahren besteht für die Stadtbewohner und für
die Flüchtlinge, die jetzt in ihre Heimatorte zurückkehren,
die begründete Hoffnung, den nächsten Winter nicht
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001 19905
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wieder mit Frieren und Hungern verbringen zu müssen.
Die ersten Versorgungsschiffe sind unterwegs, die Kon-
vois werden jetzt rollen. Es muss bezweifelt werden, ob
dies alles ohne jedes militärische Eingreifen möglich ge-
worden wäre.
Ich erwarte von der Bundesregierung, dass gemäß
dem heutigen Entschließungsantrag verstärkte Anstren-
gungen zu einer wirksamen Versorgung der Zivilbevölke-
rung mit Nahrung, Kleidung und Wohnung Vorrang vor
allem anderen haben.
Meine Gewissensentscheidung wird nicht nur von den
genannten Fragen bestimmt, sondern ebenso von dem Be-
wusstsein, damit auch eine Entscheidung über das Ge-
samtprojekt einer ökologisch-sozialen Reformregierung
zu treffen ist. Wenn die Koalition bei einer derart wichti-
gen Entscheidung der eigenen Regierung die parlamenta-
rische Unterstützung entzöge, hätte dies mit oder ohne
Vertrauensfrage über kurz oder lang das Ende dieser
Regierung zur Folge. Die Konsequenz wäre ein ökologi-
sches roll-back durch eine neue Regierung ohne grüne
Beteiligung, ein Stopp bzw. die Rücknahme von Refor-
men, die das Land verändert haben.
Ich habe 20 Jahre für das Projekt einer ökologisch-so-
zialen Reformkoalition geworben und geackert. Wir ha-
ben von A wie Atomausstieg und Agrarwende über B wie
Bahnsanierung bis Z wie Zuwanderungsgesetz eine Fülle
von Reformen für ein weltoffenes und umweltfreundli-
ches Land durchgesetzt und auf den Weg gebracht. Das
neue Naturschutzgesetz wurde gestern verabschiedet. Die
Ökosteuer zeigt klar ökologische Lenkungswirkung. Die
Förderung Erneuerbarer Energien bringt den Klimaschutz
voran. Es wäre unzulässig und sogar zynisch, das Erneu-
erbare-Energien-Gesetz aufzuwiegen gegen die Beteili-
gung an einem Militäreinsatz. Aber weil wir in drei Jah-
ren Regierungsbeteiligung nicht nur das Profil dieses
Landes im grünen Sinne umgestaltet haben, sondern mit
Joschka Fischer auch einen international geachteten
Außenminister stellen, der gerade jetzt bei der Neugestal-
tung globaler Ordnungen eine herausragende Rolle spielt,
bin ich nicht bereit, das Gesamtprojekt Rot-Grün und da-
mit dann möglicherweise auch die Zukunftsperspektive
der grünen Partei leichtfertig aufs Spiel zu setzen.
Viele, die eine deutsche Beteiligung in Afghanistan ab-
lehnen, unterstützen oft ebenso vehement die Politik
des Außenministers. Diese Politik ist von Anfang an auf
Integration, Konfliktvermittlung und Entwicklung ziviler
Perspektiven gerichtet in Asien wie in Amerika, in Eu-
ropa und im Nahen Osten. Der grüne Außenminister be-
treibt diese Politik mit großer Glaubwürdigkeit und mit
einem Einsatz bis an die Grenze der physischen Belast-
barkeit. Er findet dafür im Inland wie im Ausland hohe
Anerkennung. Er kann diese Politik aber nur so lange fort-
setzen, wie seine eigene Fraktion und Partei dafür die Vor-
aussetzungen schafft und erhält. In einer parlamentari-
schen Demokratie geschieht dies auf dem Wege der
Abstimmung durch eine klare Mehrheit.
Hinzu kommt für mich, dass ein Ausscheiden der Bun-
desrepublik Deutschland aus der NATO-Solidarität unü-
bersehbare Konsequenzen für die atlantische Sicherheits-
architektur und für Europa hätte: Rückkehr der USA zum
Unilateralismus, Rückschlag bei der Entwicklung einer
gemeinsamen Politik Europas. Es wäre nicht nur fahrläs-
sig, sondern schlicht unpolitisch, diesen Zusammenhang
bei der Entscheidungsfindung auszublenden.
Nach kritischer Abwägung all dieser Zusammenhänge
entscheide ich mich letztlich aber entlang der einfachen
Frage: Was vermindert wahrscheinlich die akute terroris-
tische Bedrohung, was hilft bei der kurzfristigen Bekämp-
fung terroristischer Gewalt, was verschafft der afghani-
schen Bevölkerung nach Jahren des Hungerns und
Leidens am schnellsten eine Perspektive? Oder noch ein-
facher: Was hilft den Menschen?
Ich meine, dass Terrorismus, wie er sich am 11. Sep-
tember manifestiert hat, nicht durch Krieg aus der Welt zu
schaffen ist. Nur eine langfristige Strategie der Konflikt-
prävention fairer Welthandel, Armutsbekämpfung, Dia-
log der Kulturen kann terroristischer Gewaltbereitschaft
dauerhaft den Nährboden entziehen. Dies beinhaltet auch
das Eingeständnis und die Korrektur schwerer politischer
Fehler der westlichen Welt. Ich fürchte aber, dass es kurz-
fristig ohne repressive, auch militärische Mittel nicht
geht, sofern diese zweckmäßig, zielgenau, verhältnis-
mäßig und in ein politisches Gesamtkonzept eingebettet
sind.
In diesem Sinne ist für mich der deutsche Beitrag, wie
er von der Bundesregierung als Handlungsrahmen vorge-
schlagen wird, vertretbar und verantwortbar.
Georg Brunnhuber (CDU/CSU): Heute stimme ich
diesem Antrag der Bundesregierung deswegen nicht zu,
weil der Kanzler damit die Vertrauensfrage für seine ge-
samte Politik verbunden hat. Mein Abstimmungsverhal-
ten ist also in keiner Weise gegen die Solidarität mit den
USA gerichtet. Die Politik der Union, die auf einer engen
und freundschaftlichen Partnerschaft mit den USA ba-
siert, ist dafür hinreichender Beleg.
Ich stimme dagegen, weil der Kanzler, während dessen
Amtszeit die Arbeitslosigkeit ständig steigt, die Wachs-
tumsraten sinken, die Steuerpolitik die Arbeitgeber und
Arbeitnehmer maßlos belastet, die Situation im Gesund-
heitswesen sich als geradezu chaotisch darstellt, die Zu-
wanderung nach Deutschland auf Drängen des grünen
Koalitionspartners unvernünftigerweise erleichtert wird,
der Bundeswehr die notwendige finanzielle Basis vorent-
halten wird, die Rente für die junge Generation keine aus-
reichende Sicherheit für das Alter mehr bietet, mein Ver-
trauen nicht hat.
Dr. Antje Vollmer (BÜNDNS 90/DIE GRÜNEN): Die
Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind Vertreter
des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht ge-
bunden und nur ihrem Gewissen unterworfen; so Art. 38
Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes.
Der Bundeskanzler hat das Recht, jederzeit die Ver-
trauensfrage zu stellen. Gemäß Art. 68 des Grundgesetzes
hat er auch das Recht, die Vertrauensfrage mit einer Sach-
frage zu verbinden. In der heutigen Abstimmung ist die
Vertrauensfrage mit einer Gewissensfrage verbunden.
Auch diese Verbindung ist von der Verfassung zugelas-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 200119906
(C)
(D)
(A)
(B)
sen, aber nicht unbedingt gewollt. Sie führt auch in der Sa-
che zu absurden Ergebnissen: Abgeordnete der Union und
der FDP, obwohl sie den Krieg in Afghanistan und den
Antrag der Bundesregierung unterstützen, werden den
Antrag der Bundesregierung ablehnen. Dagegen werden
eine Reihe von Abgeordneten, die wie ich den Terroris-
mus militärisch für nicht besiegbar halten oder Kritik an
der Operation Enduring Freedom haben, heute zustim-
men. In einer Mandatsaufgabe kann und darf nicht die Lö-
sung dieses Dilemmas liegen. Dies entspricht nach mei-
ner Überzeugung nicht dem Abgeordnetenbild, das den
Vätern und Müttern des Grundgesetzes vorschwebte.
Ich habe in der Abstimmung mit Ja gestimmt, weil ich
mich mit einem Nein gegen den Fortbestand der rot-grü-
nen Koalition ausgesprochen hätte. Für mich ist das
rot-grüne Regierungsprojekt aber weder inhaltlich noch
konzeptionell erschöpft. Es ist von der Bevölkerung ak-
zeptiert, im praktischen Verlauf erfolgreich und im inne-
ren Verhältnis der Beteiligten nicht zerrüttet.
Die notwendige Debatte über die neue Rolle Deutsch-
lands und darüber, wie sie auszufüllen ist, steht unthema-
tisiert im Hintergrund der heutigen Entscheidungen.
Diese Diskussion offen und im Dialog mit der Bevöl-
kerung zu führen ist notwendiger denn je. Mit meiner heu-
tigen Entscheidung möchte ich mich dafür einsetzen, dass
diese Debatte möglich bleibt und inhaltlich und konzep-
tionell eine rot-grüne Handschrift trägt.
Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) (CDU/CSU):
Bundeskanzler Schröder hat die Abstimmung über den
Antrag der Bundesregierung auf Einsatz bewaffneter
deutscher Streitkräfte vom 7. November 2001 mit der Ver-
trauensfrage verbunden.
Er verbindet damit die Abstimmung über eine politi-
sche Sachfrage mit seinem persönlichen politischen
Schicksal. Dem oben genannten Sachantrag hätte ich zu-
gestimmt, weil diese Zustimmung den deutschen Beitrag
zur Solidarität mit den von Terroristenangriffen getroffe-
nen USA und dem amerikanischen Volk darstellt. Die Be-
teiligung der Bundeswehr am Kampf gegen den weltwei-
ten Terror ist auch aus meiner Sicht ein unverzichtbarer
Beitrag zur der Reaktion der NATO auf diese Gewaltakte
nach Verkündung des Bündnisfalls gemäß Art. 5 des
Washingtoner Vertrags.
Allerdings kann ich dem Bundeskanzler nicht gleich-
zeitig auch das Vertrauen aussprechen für seine durch Ver-
sagen geprägte Politik. Seit 1998 wurde entgegen seinen
Wahlversprechen die Arbeitslosigkeit nicht drastisch ab-
gebaut, sondern sie verharrt weiter auf hohem Niveau.
Das Wirtschaftswachstum in der Bundesrepublik sinkt in
Richtung Minuswachstum ab. Der Mittelstand wird durch
eine ungerechte Steuerpolitik gegenüber der Großindus-
trie benachteiligt und unvertretbar belastet. Die Situation
der gesetzlichen Krankenversicherung ist weiterhin chao-
tisch. Der Bundeswehr werden seit Jahren notwendige In-
vestitionsmittel vorenthalten. In der Rentenpolitik ist
keine zufrieden stellende Perspektive erkennbar.
Dies alles ist eine Negativbilanz, die es nicht rechtfer-
tigt, dem politisch verantwortlichen Bundeskanzler das
Vertrauen auszusprechen. Ich stimme deshalb in der heu-
tigen Abstimmung mit Nein.
Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich
erkläre, warum ich für den Einsatz der Bundeswehr im
Rahmen der Terrorismusbekämpfung stimmen und dem
Kanzler mein Vertrauen aussprechen werde.
Die grausamen Anschläge vom 11. September 2001 in
New York und Washington haben uns alle erschüttert. Wir
sind solidarisch mit der Bevölkerung der Vereinigten
Staaten und fühlen uns alle von den Anschlägen getroffen.
Wir unterstützen daher den Kampf gegen den internatio-
nalen Terrorismus solidarisch, aber auch kritisch. Dass
sich die sicherheitspolitische Lage dramatisch verändert
hat, ist nicht mehr zu leugnen. Darüber müssen wir in
Deutschland eine rationale Diskussion führen.
Ich kritisiere das Junktim von Vertrauensfrage und ei-
ner Sachentscheidung, für die gerade in der Frage des Ein-
satzes militärischer Mittel die grundgesetzlich manifes-
tierte Gewissensentscheidung als Voraussetzung für eine
sachgerechte Entscheidung des einzelnen Abgeordneten
von wesentlicher Bedeutung ist. Diese Kritik an der Ver-
knüpfung innenpolitischen Machtkalküls mit einer Sach-
abstimmung entbindet uns in der konkreten Situation aber
nicht von der nun notwendig gewordenen Abwägung zwi-
schen dem Range einer Gewissensentscheidung und der
Bewertung der rot-grünen Koalition, aber auch des grü-
nen Projektes durch Zustimmung oder Ablehnung. Ich
entscheide mich heute für eine Fortführung von Rot-Grün
und werde damit zugleich die Frage der Bewertung der
Politik der bestehenden Koalition und der Zukunft von
Rot-Grün dem Bundesparteitag in Rostock überlassen.
Die Delegierten haben 1998 für Rot-Grün auf Bundes-
ebene gestimmt und müssen folgerichtig auch über die
Fortführung oder Beendigung entscheiden.
Die rot-grüne Koalition hat bisher gute Arbeit geleis-
tet. Wir haben präventive Elemente in der Außenpolitik
gestärkt, fördern die zivile Konfliktbearbeitung und prak-
tizieren einen Multilateralismus, der langfristig zur Ver-
regelung der internationalen Beziehungen beiträgt. Damit
setzen wir Schritt für Schritt Zielsetzungen grüner Außen-
politik durch. Wir sind nicht so schnell, wie wir gerne
wären, aber wir kommen damit voran. Daher kann nicht
die Fraktion über den Fortbestand der Koalition entschei-
den, sondern das kann nur die Partei tun. Wir werden auf
der BdK in Rostock eine ausführliche Diskussion über
Außenpolitik und damit den Fortbestand der Koalition
führen. Die Diskussion auf dem Parteitag ist auch ein Bei-
trag zur gesellschaftlichen Debatte über die deutsche
Außenpolitik, die in den letzten Monaten zu kurz gekom-
men ist und deren Beginn wir einfordern. Das Ergebnis ist
offen, aber es ist die Partei, die darüber entscheiden muss.
Grundlagen für die Entscheidung über einen Einsatz
der Bundeswehr im Rahmen der Bekämpfung des inter-
nationalen Terrorismus sind erstens die internationalen
politischen Verpflichtungen, die die Bundesrepublik
Deutschland eingegangen ist, und eine aktuelle reale La-
geanalyse. Aufgrund meiner Analyse der generellen
Bedrohungssituation komme ich zu dem Ergebnis, dass
sich die Bundesrepublik Deutschland an dem breiten
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001 19907
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Spektrum von Maßnahmen gegen den internationalen
Terrorismus mit polizeilichen, geheimdienstlichen,
diplomatischen, humanitären und auch militärischen
Maßnahmen beteiligen sollte. Daher werde ich dem An-
trag der Bundesregierung zustimmen. Ich kann alle ver-
stehen, die grundsätzlich Militäreinsätze ablehnen, bin
aber der Ansicht, dass gezielte militärische Maßnahmen
in der momentanen Situation erforderlich sind.
Der Entschließungsantrag sowie die Protokollnotiz der
Bundesregierung zeigen eindeutig, dass es sich um einen
begrenzten Einsatz der Bundeswehr handelt und dass die
Rechte des Parlamentes nicht angegriffen werden. Er greift
damit die Präzisierungen, die vom Parteirat am 12. No-
vember 2001 beschlossen wurden, auf. Diese sind für uns
als Grüne zentrale Kriterien bei einer so zentralen Ent-
scheidung in der Frage, ob und, wenn ja, wie wir uns auch
mit militärischen Mitteln an der Bekämpfung des Terro-
rismus beteiligen.
Dennoch habe ich einige gewichtige Kritikpunkte an
der Gesamtstrategie der Vereinigten Staaten. Erstens.
Mein Eindruck ist, dass die USA allein und ohne Rück-
versicherung mit den Partnern in der Antiterrorkoalition
oder der NATO über Ziele und Taktik der militärischen
Aktionen entscheiden. Es darf auf keinen Fall geschehen,
dass durch rücksichtsloses und gedankenloses Vorgehen
der Zusammenhalt der Antiterrorkoalition gefährdet wird
und gefährliche Konsequenzen für den Weltfrieden haben
könnte. Dies wäre ein Erfolg für die Terroristen.
Zweitens. Die Informationslage ist unzureichend. Ein
Großteil der Verunsicherung in der Öffentlichkeit ent-
stand, weil zu optimistische Erwartungen geweckt wur-
den und unsere Partner uns ungenügend informierten. Ich
hoffe, dass sich die Informationslage für die Öffentlich-
keit und die politischen Entscheidungsträger grundsätz-
lich verbessern wird.
Drittens. Nicht akzeptabel ist die Verwendung von Mu-
nition, die unterschiedslos auch gegen Zivilisten wirkt,
insbesondere Streubomben. Ebenso lehne ich den Be-
schluss der EU ab, die Nordallianz mit Waffen zu belie-
fern. Diese Vorgehensweisen sind für uns nicht akzepta-
bel und wir werden vehement auf allen Ebenen deren
Aufgabe einfordern.
Viertens. Ich begrüße, dass die Vereinigten Staaten im
multilateralen Rahmen agieren und damit signalisieren,
dass der internationale Terrorismus nicht von einem Staat
allein, egal, wie viel Macht er in sich vereinigt, besiegt
werden kann, sondern dass wir eine breite Koalition
benötigen. Dennoch habe ich zum Teil den Eindruck, dass
die USA immer noch einen Multilateralismus à la carte
betreiben.
Fünftens. Ich warne vor zu viel Optimismus. Auch
wenn die jetzigen Erfolge der Militäraktionen aus der öf-
fentlichen Diskussion viel Druck herausgenommen ha-
ben. So froh wir über die Freilassung der Mitarbeiter von
Shelter Now sind, so darf man sich über den Charakter
von militärischen Aktionen und der prekären Lage in
Afghanistan keine Illusionen machen. Wir wissen doch,
dass die Nordallianz keineswegs ein demokratischer
Wunschpartner ist. Jetzt kommt es darauf an, verantwort-
lich mit der Zukunft Afghanistans umzugehen und allen
potenziellen Beteiligten eines zukünftigen Regimes klar
zu machen, unter welchen Bedingungen wir den Aufbau
des Landes unterstützen. Dazu gehört aus meiner Sicht die
strikte Einhaltung von Menschenrechten, ein Demokra-
tisierungsprozess, der im Einklang mit den vorgefun-
denen gesellschaftlichen Verhältnissen steht und die Ein-
beziehungen der umliegenden Länder im Rahmen eines
Regionalkonzeptes.
Darüber hinaus möchte ich folgende Punkte zu beden-
ken geben:
Erstens. Wir können nicht ausschließen, dass der inter-
nationale Terrorismus auch Anschläge in Europa verübt.
Das heißt, unser Sicherheitsverständnis muss sich, ge-
messen an den veränderten Realitäten, ändern. Wir brau-
chen ein tiefgreifende Debatte über eine neue Sicher-
heitspolitik, in der neu und verstärkt über Prävention, aber
auch über Abwehrmaßnahmen diskutiert wird. Dabei
können und dürfen Abwehrmaßnahmen nicht nur vom
Militär übernommen werden. Häufig handelt es sich um
polizeiliche und geheimdienstliche Aufgaben.
Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass die
Form des Konfliktes, mit dem wir seit dem 11. September
konfrontiert sind, ein völlig anderer ist als zu Zeiten des
Kalten Krieges, als jener innerstaatliche Konflikt auf dem
Balkan oder dem regionalen Kurdenkonflikt. Es ist neu,
dass auf der einen Seite ein staatlicher Gegner sitzt, auf
der anderen Seite ein schwer zu fassender, nicht greifbarer
non-state-actor, der mit klassischen militärischen Mit-
teln nicht zu besiegen ist. Und neu ist auch, dass es nicht
wie zum Beispiel im Kosovo um die Hilfe für andere
Menschen und die Durchsetzung von Menschenrechten
geht, sondern um Verteidigung. Der UN-Sicherheitsrat
hat die Terrorangriffe verurteilt und das Recht auf Selbst-
verteidigung anerkannt. Wir müssen auch sehen, dass es
keine sauberen militärischen Aktionen gibt. Daraus ist
zu folgern, dass wir darauf achten, dass die Mittel nach
dem Kriterium der Verhältnismäßigkeit angewandt wer-
den und einem politischen Ziel folgen.
Zweitens. Wir als Grüne haben die Aufgaben, einer
Formierung der Gesellschaft zu widerstehen. In Zeiten
der Bedrohung und der Unsicherheit neigen Gesellschaf-
ten zu übersteigerter Kontrolle und Überwachung, in der
Illusion, dass diese die Sicherheit erhöht. Dies ist nicht der
Fall. Die Erfahrung in den 70er-Jahren bis in die 80er-
Jahre hat gezeigt, dass dies häufig nicht der Fall ist. Im
Gegenteil: Wir laufen Gefahr, uns damit der Grundlagen
unserer freiheitlichen Gesellschaft zu berauben.
Drittens. Die Auseinandersetzung mit dem internatio-
nalen Terrorismus wird sich über Jahre hinweg ziehen. So
wichtig die Diskussion über humanitäre Hilfe aus unserer
Sicht in den letzten Wochen war, haben wir es versäumt,
die qualitative Veränderungen für die deutsche Außenpo-
litik zu bewerten. Denn die Frage ist: Was heißt es für
Außen- und Sicherheitspolitik, für Prävention und zivile
Konfliktbearbeitung, wenn wir nicht mehr die traditio-
nelle Konfliktstruktur gleichartiger Gegner haben? Wel-
che Folgen haben die Anschläge vom 11. September 2001
für unsere multilaterale Politik und wie müssen wir sie
weiterentwickeln? Diese Fragen sind noch nicht beant-
wortet, sie können es noch gar nicht sein.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 200119908
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Nach einer gründlichen Abwägung zwischen meiner
Kritik an einzelnen Maßnahmen bei der Terrorismus-
bekämpfung und der grundsätzlichen Notwendigkeit der
kurz- und langfristigen Gefahrenabwehr bin ich zu der
Ansicht gekommen, dass ich dem Antrag der Bundes-
regierung zustimmen werde.
Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Der heutige Tag ist kein Glanzlicht in der
Geschichte des deutschen Parlaments. Abgeordnete, vor
allem in CDU und FDP, die deutsche Soldaten nach
Afghanistan schicken wollen, stimmen hiergegen, weil
sie dem Kanzler nicht das Vertrauen aussprechen wollen
oder können. Kolleginnen und Kollegen von SPD und
Grünen, die einen militärischen Einsatz dort als sachlich
oder moralisch falsch ablehnen, sind gezwungen dafür zu
stimmen, weil sie das rot-grüne Reformprojekt nicht auf-
geben wollen. Die Verknüpfung der Abstimmung über
den Afghanistan-Einsatz mit der Vertrauensfrage mag tak-
tische Gründe haben; dem Vertrauen der Bürger in die
Ehrlichkeit der Arbeit dieses Parlaments war sie nicht för-
derlich.
Nach unserem Grundgesetz sind Abgeordnete an Wei-
sungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unter-
worfen. Schwer nachvollziehbar war für mich der Ge-
danke des Kanzlers, geäußert in der Fraktionssitzung der
Grünen, diese Gewissensentscheidung könne man auch
dadurch wahrnehmen, dass man von seinem Mandat zu-
rücktrete. Aber auch durch die Verbindung zweier konträ-
rer Übel, militärischer Einsatz und Ende des rot-grünen
Reformprojekts, wird das freie Mandat behindert. Sol-
chen Verknüpfungen muss entschieden widersprochen
werden.
So entscheide ich mich für die Fortsetzung der rot-grü-
nen Koalition. Rot-Grün ist das einzige tragbare politisch
Modell in dieser Republik, ist einzig auf eine zukunfts-
fähige Politik gerichtet. Rot-Gelb, Schwarz-Gelb sind Po-
litikmodelle des vorigen Jahrhunderts.
Mancher mag meinen, es seien zu wenig grüne Ideen
umgesetzt worden. Die Differenz aber zu denen, die über-
haupt keine Antwort auf existenzielle Menschheitsfragen
suchen oder wollen, ist riesig. Hingegen will und kann
Rot-Grün noch viel bewirken. Ich will das rot-grüne Pro-
jekt nicht aufgeben. Schon gar nicht will ich den urgrünen
Gedanken der Basisdemokratie dadurch konterkarieren,
dass einige wenige grüne Abgeordnete die Entscheidung
für die Aufgabe oder die Fortsetzung der Regierungsko-
alition treffen, die den Delegierten der Bundesversamm-
lung, des höchsten Beschlussgremiums der Partei, zu-
steht. Es ist mir ein Gewissensanliegen, mich für den
Fortbestand der rot-grünen Koalition, für eine auch
zukünftige Durchsetzungschance grüner Politikideen zu
entscheiden.
Ich bedauere, dass der Kanzler aus mir nicht nachvoll-
ziehbaren Gründen Abgeordnete in Gewissenskonflikte
gebracht hat. Die Verbindung einer eindeutigen Gewis-
sensentscheidung, des Einsatzes bewaffneter deutscher
Streitkräfte, mit der Vertrauensfrage ist vom Grundgesetz
zwar nicht untersagt, aber auch nicht unbedenklich. Den
ursprünglichen Antrag der Bundesregierung auf Einsatz
bewaffneter deutscher Streitkräfte mit Aktionskreis von
Afrika bis Zentralasien, zeitlich ausgedehnt auf ein
ganzes Jahr und bei beliebiger Veränderbarkeit des Kräf-
teverhältnisses der eingesetzten Truppenteile, ohne Bun-
destagsentscheidung abzulehnen, war mir ebenfalls eine
Gewissensentscheidung, obwohl ich den Kampf gegen
den internationalen Terrorismus aber mit geeigneten
Mitteln für nötig halte, mir Völkerrecht und Bündnis-
verpflichtung klar sind, aber weil massive Bedenken ge-
gen die militärische Strategie der USA bestanden und weil
eine humanitäre Katastrophe in Afghanistan droht.
Nunmehr bin ich gezwungen abzuwägen und das fällt
mir nicht leicht. Allerdings hat sich seit dem Bekanntwer-
den der Anforderung zur Bereitstellung von Bundeswehr-
einheiten vor einer Woche Entscheidendes geändert. Die
Lage in Afghanistan hat sich dramatisch gewandelt. Das
Talibanregime ist gestürzt, Bin Laden und das Terrornetz-
werk der al-Qaida werden von diesem Regime nicht mehr
gestützt.
In dieser Situation treten die zentralen Anliegen von
Bündnis90/Die Grünen in den Mittelpunkt: die rasche hu-
manitäre Versorgung der Zivilbevölkerung und die Ent-
wicklung und Umsetzung eines politischen Konzeptes für
eine tragfähige und friedliche Perspektive reiner Post-Ta-
liban-Regierung. Außenminister Joschka Fischer hat um-
fassende und rasche humanitäre Hilfe angekündigt und
95 Millionen DM dafür bereitgestellt. Weitere 160 Milli-
onen DM werden für Wiederaufbau in Afghanistan zur
Verfügung gestellt.
Meine Hauptkritikpunkte am Beschlussantrag der
Bundesregierung waren gerade der von Nordafrika bis
Zentralasien reichende, also völlig unbestimmte Einsatz-
raum für die deutschen Truppenteile, die beliebige Ver-
änderbarkeit der Truppenteile ohne weitere Entscheidung
des Bundestags und das sich auf ein volles Jahr er-
streckende Mandat ohne weitere parlamentarische Kon-
trolle, ein auch im Interesse der eingesetzten Soldaten
unerträglicher Zustand, der die Fürsorgepflicht des Parla-
ments ihm gegenüber eklatant verletzt hätte. Gerade inso-
weit aber ist es in intensiven Verhandlungen mit dem Ko-
alitionspartner gelungen, unsere Bedingungen für einen
möglichen Einsatz deutscher Soldaten durchzusetzen. Die
Prämissen des Parteirats von Bündnis90/Die Grünen sind
voll erfüllt. Dies ist ein klarer Beweis für den Erfolg grü-
ner politischer Einflussnahme. Ohne unsere Regierungs-
beteiligung wäre dies unmöglich gewesen. Ich kann und
will diesen Erfolg in meiner Abwägung würdigen.
Daher stimme ich mit Ja.
Gila Altmann (Aurich) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Zur Abstimmung stehen heute zwei Fragenkom-
plexe, die aufgrund des Junktims gemeinsam beantwortet
werden sollen, obwohl sie sachlich und von ihren Aus-
wirkungen her sehr unterschiedlich sind. Ich kann sie nur
einzeln beantworten.
Den Einsatz militärischer Mittel zur Bekämpfung des
Terrorismus halte ich nach wie vor für nicht zielführend.
Den Out-of-area-Einsatz der Bundeswehr lehne ich des-
halb ab.
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(B)
Die Entscheidung über die Fortsetzung der rot-grünen
Koalition ist nicht von einzelnen Abgeordneten, sondern
im Falle meiner Fraktion auch von der Bundesdelegier-
tenversammlung zu treffen. Um einer solchen Entschei-
dung nicht vorzugreifen, muss ich diesen Teil der Ab-
stimmung mit Ja beantworten.
Aus diesen Erwägungen heraus habe ich mit Ja ge-
stimmt.
Peter Dreßen (SPD): Mir fällt die heutige Entschei-
dung wie vielen anderen sehr schwer. Ich bin nach wie vor
der Meinung, dass deutsche Soldaten auf fremden Boden
außerhalb der NATO-Mitgliedstaaten nichts zu suchen
haben. Militärische Auseinandersetzungen dürfen nicht
Mittel der Politik sein.
Wenn ich trotzdem dem Antrag der Bundesregierung
zustimme, hat dies drei Gründe:
Erstens. Ich sehe keinen anderen Weg, um den terroris-
tischen Hintermännern des verbrecherischen Anschlags
vom 11. September 2001 in New York und Washington
habhaft zu werden. In Gesprächen mit Menschen aus der
Friedensbewegung konnte mir niemand eine ernsthafte
Alternative aufzeigen, wie wir ander als es die Bundes-
regierung vorsieht, wirksam gegen Terror vorgehen kön-
nen. Alle beteuern zwar, dass etwas getan werden muss,
jedoch hat niemand dazu ein anderes schlüssiges Kon-
zept.
Zweitens. Solch ein Anschlag kann sich auch in unse-
rem Land wiederholen. Es ist die Pflicht eines Abgeord-
neten, den Menschen in unserem Land die größtmögliche
Sicherheit zu geben. Erleichtert wird die Entscheidung
dadurch, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
hinter dieser militärischen Aktion steht.
Drittens. Die rot-grüne Bundesregierung hat in den
letzten drei Jahren erfolgreich gearbeitet. Sie hat den Aus-
stieg aus der Kernenergie in die Wege gleitet, die alterna-
tiven Energien stark gefördert, im Sozialbereich notwen-
dige Reformen durchgeführt Kindergeld, Wohngeld,
BAföG Arbeitnehmerrechte gestärkt, die Rente sicher
gemacht, eine gerechte Steuerreform verabschiedet, im
Bildungs- und Forschungsbereich Milliarden für Zu-
kunftsinvestitionen freigemacht und vieles mehr. Aus die-
sen Gründen spreche ich dem Bundeskanzler und der
Bundesregierung das volle Vertrauen aus.
Dr. Uwe Jens (SPD): Es gibt in der Politik, Probleme,
die darf und kann man nicht den so genannten Experten
überlassen. Dazu gehört die schwierige Sach- und Gewis-
sensfrage über den Einsatz deutscher Soldaten in Afgha-
nistan. Die Bombardierung mit Streubomben, die damit
einhergehenden so genannten Kollateralschäden, den Ein-
satz zusätzlicher deutscher Soldaten in Afghanistan, ins-
besondere von 100 Spezialkräften, die auf dem Boden
agieren, lehne ich nach wie vor mit Nachdruck ab.
Ich habe bereits in der Entschließung vom 20. Septem-
ber 2001 gegen das Versprechen einer uneingeschränk-
ten Solidarität gestimmt, was es unter befreundeten, de-
mokratischen Ländern nicht geben kann.
Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland verbindet ein Bundeskanzler die Vertrauens-
frage gemäß Art. 68 Grundgesetz mit dieser Sach- und
Gewissensfrage. Ein ungewöhnlicher, bisher einmaliger
Vorgang. Ob dies geschickt und notwendig war, werden
wissenschaftliche Untersuchungen in Zukunft zeigen.
Doch damit ist seit Mittwoch dieser Woche eine neue
Lage entstanden:
Die neueste politische Entwicklung scheint auch ohne
deutsche direkte militärische Unterstützung einer mögli-
chen Lösung näher zu kommen. Statt einer Eskalation
geht es meines Erachtens in diesem geschundenen Land
jetzt um Deeskalation des Militärischen, also mehr um po-
litische, humanitäre und UNO-Unterstützung.
Die anstehende außergewöhnliche Entscheidung im
Bundestag über das Vertrauen zum Bundeskanzler und
den ersten Militäreinsatz außerhalb des NATO-Bündnis-
gebietes wird in dieser Form in absehbarer Zeit nicht
wiederholt werden. Deshalb muss allen Beteiligten klar
sein, dass zusätzliche Anforderungen von Soldaten über
die jetzigen Kontingente hinaus von Deutschland nicht
eingefordert werden können.
Ich habe in meiner langen politischen Tätigkeit als Par-
lamentarier viele schwere Entscheidungen treffen müs-
sen. Ich habe dies immer nach sorgfältiger Prüfung, nach
bestem Wissen und Gewissen getan. Sollte die Vertrau-
ensfrage für Bundeskanzler Schröder scheitern, kann ich
jedoch keine Verbesserung der politischen Gesamtlage er-
kennen auch nicht für meine Anliegen, die mir aufgrund
meines Lebensweges, meiner Erfahrungen und Erkennt-
nisse wichtig sind.
Sehr wahrscheinliche Neuwahlen würden die Partei
Bündnis 90/Die Grünen in schwere Existenznot bringen.
Die mir wichtige nachhaltige Erneuerung unserer Volks-
wirtschaft würde einen Rückschlag erleiden.
Die PDS, die aus meiner Sicht wirklich nicht in der
Lage ist, die zukünftigen Probleme unserer Wirtschaft und
Gesellschaft zu lösen, könnte erheblichen Zulauf erhalten.
Sollte es dagegen wider Erwarten zu einem Poli-
tikwechsel mit einem Kanzler oder einer Kanzlerin der
konservativen Kräfte in unserem Lande kommen, würden
eher noch mehr Soldaten für die Kriegführung außerhalb
des NATO-Gebietes zur Verfügung gestellt.
In meiner ersten Erklärung zur Abstimmung über die
uneingeschränkte Solidarität hatte ich erklärt, dass man
von vornherein stets auch das Ende seiner Handlungen
bedenken muss. Zusätzlich besteht die Pflicht, auch alle
Alternativen zu prüfen.
Unter den jetzigen Gegebenheiten und unter Abwä-
gung aller zurzeit überschaubaren Unwägbarkeiten halte
ich den Einsatz deutscher Soldaten nach wie vor für ver-
fehlt. Bundeskanzler Schröder muss ich dennoch mein
Vertrauen aussprechen.
Das Schwierigste in der Politik ist es zweifellos, die
Glaubwürdigkeit zu bewahren. Bei diesem ständigen Rin-
gen um beste Lösungen oder kleinste Übel müssen wir
stets alle Fakten und neueste Entwicklungen in unsere
Überlegungen einbeziehen. Man bemüht sich.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 200119910
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Die Abgeordneten von CDU/CSU und FDP haben un-
ter den Bedingungen der Vertrauensfrage für den jetzigen
Bundeskanzler keine Bedenken, gegen den Einsatz deut-
scher Soldaten in Afghanistan zu stimmen. Betrogene
sind die Soldaten, die nun mit knappster Rückendeckung
durch das deutsche Parlament zu Kampfeinsätzen nach
Afghanistan geschickt werden.
Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Wenn ich heute dem Antrag der Bundesregie-
rung zustimme, so stimme ich damit für die Option der
Weiterführung der rot-grünen Regierungskoalition. Ich
spreche mich aber ausdrücklich gegen eine militärische
Bereitstellung deutscher Soldaten nun zum ersten Mal
außerhalb von Europa aus, weil für mich Krieg kein
geeignetes Mittel im Kampf gegen den Terrorismus ist.
Ich zweifle an dem Sinn der kriegerischen Maßnahmen,
auch im Bewusstsein der Folgen, die für die Beteiligten
und Unbeteiligten immer eine große Katastrophe bis zum
Tode bedeuten.
Ich habe dem Bündnisfall nach Art. 5 des NATO-Ver-
trages zugestimmt, weil die Wahl der Mittel der Beistand-
schaft in der jeweiligen nationalen Verantwortung eines
Landes liegt. Weder Art. 5 des NATO-Vertrages noch die
Sicherheitsratsresolutionen verpflichten zur militärischen
Beistandschaft. Darum hätte ich von einer rot-grünen
Bundesregierung erwartet, dass die Beistandschaft
hauptsächlich in humanitären Leistungen und Strafverfol-
gungsmaßnahmen erbracht wird. Durch die Verknüpfung
der Vertrauensfrage mit der inhaltlichen Frage ist mir ein
Konflikt zwischen der Regierungsfähigkeit der rot-grü-
nen Koalition und meiner entschiedenen Ablehnung des
Antrages auf Einsatz bewaffneter Streitkräfte aufgezwun-
gen worden. Mein jetziges Ja ändert aber nichts an mei-
nem grundsätzlichen Nein gegen den Einsatz der Bundes-
wehr außerhalb des NATO-Vertragsgebietes.
Ich bezweifle sehr, dass es weise war, die Vertrauens-
frage mit der Abstimmung über den Einsatz in Afghani-
stan zu verknüpfen. Das Vorgehen des Kanzlers ist zwar
rechtlich legitim, führt aber zu der absurden Situation,
dass heute Abgeordnete der Opposition, die für den Bun-
deswehreinsatz sind, dagegen stimmen, weil sie dem
Kanzler nicht das Vertrauen aussprechen wollen. Es führt
weiterhin dazu, dass Abgeordnete der rot-grünen Koali-
tion für den Antrag stimmen, obwohl sie gegen eine Mi-
litärbeteiligung sind. Das hätte verhindert werden können
und ist ein Schaden für die parlamentarische Demokratie.
Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
Entscheidung zwischen Krieg und Frieden ist für mich
eine Gewissens- und keine Koalitionsfrage.
Ich lehne den Kabinettsbeschluss zur Bereitstellung
eines deutschen Bundeswehrkontingents weiterhin strikt
ab. Unter anderem, weil ich einem Konzept, das ich von
der grundsätzlichen Herangehensweise für falsch halte,
keinen Blankoscheck ausstellen möchte.
Die Entscheidung über einen Bundeswehreinsatz kann
und darf nur durch das Gewissen der einzelnen Abgeord-
neten bestimmt werden. Die Koalitionsfrage quasi das
Ende des rot-grünen Projektes ist hingegen eine politi-
sche Grundsatzentscheidung, die nicht alleine durch das
Abstimmungsverhalten einiger weniger Abgeordneten
herbeigeführt werden darf, sondern muss mit Einver-
ständnis durch das höchste Gremium der Partei, die Bun-
desdelegiertenkonferenz, entschieden werden.
Eine solche weit reichende Entscheidung, die das Le-
ben vieler Menschen in diesem Land ändern wird, kann
ausschließlich von der grünen Basis getroffen werden.
Daher werde ich am Freitag bei der Vertrauensfrage,
die Kanzler Schröder den Grünen unnötigerweise aufge-
zwungen hat, gegen mein Gewissen und gegen meine
Überzeugung mit Ja stimmen.
Christa Lörcher (fraktionslos): Die Abstimmung um-
fasst zwei schwerwiegende Entscheidungen, die mitei-
nander verknüpft sind: die Entscheidung über die Beteili-
gung bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der
gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen
die USA sowie die Entscheidung über den Antrag des
Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen.
Bei einer getrennten Abstimmung hätte ich bei der Ver-
trauensfrage mit Ja gestimmt und dem Bundeskanzler und
der Bundesregierung mein Vertrauen ausgesprochen, bei
der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der
gemeinsamen Militäroperation jedoch mit Nein ge-
stimmt.
Da die Abstimmungen miteinander verbunden sind, ist
eine persönliche Abwägung beider Entscheidungen nötig:
aus Gewissensgründen lehne ich den Einsatz bewaffneter
deutscher Streitkräfte bei solchen Einsätzen grundsätzlich
ab; diese Entscheidung lässt mir keine andere Wahl, als
insgesamt mit Nein zu stimmen.
Syliva Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was ist
ein aufrechter Gang? Für mich: In Gewissensfragen so zu
sprechen und zu handeln, wie es meinem tatsächlichen
Fühlen, Denken und meiner Verantwortung entspricht.
Ich sage weiterhin in der Gewissensfrage des Kriegs-
einsatzes Nein zur Ermächtigung der Bundesregierung,
deutsche Soldaten egal ob freiwillig oder nicht in Aus-
landseinsätze zu schicken. Das ist durch unser Grundge-
setz nicht gedeckt. Völkerrecht bricht Bundesrecht. Mei-
ner und nicht nur meiner Ansicht nach sind die
Kriegshandlungen der USA trotz der UN-Resolutionen
vom 12. und vom 28. September 2001, die sich speziell
auf die Terrosismusbekämpfung beziehen, nicht von
Art. 51 der UN-Charta gedeckt. Insofern kann das Völ-
kerrecht in diesem Fall nicht zur Legitimation herangezo-
gen werden. Auch der Zweck darf bestimmte Mittel nicht
heiligen. Aber auch ich freue mich an den Bildern aus Af-
ghanistan, die befreite, lachende, tanzende Menschen zei-
gen, Frauen ohne Burka.
Der Entschließungsantrag der Koalition zur Bekämp-
fung der Ursachen von Terror und Fanatismus ist ein ers-
ter Schritt in eine richtige Richtung und an diesem haben
die Grünen einen wesentlichen Anteil.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001 19911
(C)
(D)
(A)
(B)
Seit Mittwoch gibt es eine zweite Gewissensfrage, die,
ob das Projekt Rot-Grün weitergeführt werden kann und
soll eine Frage, die in nationaler, aber auch europäischer
Verantwortung zu beantworten ist.
Ich bezweifle sehr, dass es weise war, die Vertrauens-
frage mit der Abstimmung über den Afghanistan-Einsatz
zu verknüpfen. Das Vorgehen des Kanzlers ist jedoch
rechtlich legitim und ich muss mich dieser zweiten, leider
untrennbar mit der ersten verknüpften Gewissensfrage in
aller Verantwortung stellen. Druck ist für mich kein Grund,
eine Entscheidung zu revidieren. Das tue ich auch nicht.
Aber es gibt sehr gewichtige Argumente, die ernsthaft
zu bedenken sind. Sie sind von vielen Menschen an mich
herangetragen worden, von unseren Wählern, von Verei-
nen und Verbänden, von Freunden und von Kollegen und
besonders natürlich von unserer grünen Basis selbst ich
habe sie bedacht und in meine Entscheidungsfindung ein-
fließen lassen.
Bis zur Vertrauensfrage des Kanzlers habe ich über-
wältigenden Zuspruch zu meiner Entscheidung erhalten,
den Kriegseinsatz abzulehnen. Nach der Vertrauens-
frage änderte sich das. Sehr viele Menschen haben die
Grünen als Gestaltungsfaktor und als Korrektiv gegen
eine reine SPD-Politik gewählt. Sie wollten eine neue
ökologische, soziale und friedenspolitische Politik. Die-
sen Erwartungen haben wir mit der Politik der letzten
drei Jahre versucht gerecht zu werden: mit der Ökosteuer,
dem Atomausstiegsgesetz, dem Erneuerbare-Energien-
Gesetz, der eingeleiteten Agrarwende, der LKW-Maut,
dem Bundesnaturschutzgesetz, dem hart erkämpften Zu-
wanderungs- und Asylrecht usw. Diese Erfolge währen
ohne die Grünen nicht nur gefährdet, sie würden kassiert.
Politik in einer Koalition ist nicht komplikationslos.
Sie kann nur erfolgreich sein, wenn Kompromisse gefun-
den und Konflikte gelöst werden. Manche Schritte, zum
Beispiel beim Atomkonsens, waren kleiner, als wir es uns
gewünscht haben aber sie waren Schritte in die richtige
Richtung. Dieser Weg das ist meine Überzeugung
muss weiter beschritten werden. Denn alles andere als
Rot-Grün bedeutet viele Schritte zurück: in alte Poli-
tikmuster von Lebesraumzerstörung, Stärkung des Mi-
litärs und von Überwachungsinstitutionen, rigider Politik
gegenüber Flüchtlingen und Asylsuchenden, Förderung
der großen Konzerne usw., es gäbe wieder mehr Reichtum
für Reiche und größerer Armut der Armen. Das kann und
will ich nicht verantworten.
Ich weiß, egal welchen Weg wir Abgeordneten gehen,
es wird ein schwerer Gang für die Grünen. Aber die Par-
tei hat 1998 mit großer Mehrheit entschieden, in eine rot-
grüne Regierung einzutreten. Wir entsprachen damit der
Hoffnung der Wähler, dass mit Rot-Grün eine ander Poli-
tik beginnt. Meine parlamentarische Arbeit, die gestern
mit der Verabschiedung des neuen Budnesnaturschutzge-
setzes einen großen Erfolg zu verbuchen hat, hat gezeigt,
dass wir gemeinsam mit der SPD dieses Land voranbrin-
gen können. Deshalb werde ich für eine Fortsetzung die-
ser gemeinsamen Politik votieren.
Ich bitte alle Mitglieder der Partei, insbesondere die
meines Brandenburger Landesverbandes, sowie die vie-
len Bürgerinnen und Bürger, die sich in den letzten Tagen
mit der Bitte an mich gewandt haben, dem Kanzler das
Vertrauen zu entziehen, um Verständnis und Respekt für
meine Entscheidung, die ich schweren Herzens, aber nach
verantwortungsbewusster Abwägung getroffen haben und
die ich mit meinem Gewissen, dem ich letzlich verpflich-
tet bin, vereinbaren kann.
Klaus Bühler (Bruchsal) (CDU/CSU): Heute stimme
ich diesem Antrag der Bundesregierung deswegen nicht
zu, weil der Kanzler damit die Vertrauensfrage für seine
gesamte Politik verbunden hat. Mein Abstimmungsver-
halten ist also in keiner Weise gegen die Solidarität mit
den USAgerichtet. Die Politik der Union, die auf einer en-
gen und freundschaftlichen Partnerschaft mit den USA
basiert, ist dafür hinreichender Beleg.
Ich stimme dagegen, weil der Kanzler, während dessen
Amtszeit die Arbeitslosigkeit ständig steigt, die Wachs-
tumsraten sinken, die Steuerpolitik die Arbeitgeber und
Arbeitnehmer maßlos belastet, die Situation im Gesund-
heitswesen sich als geradezu chaotisch darstellt, die Zu-
wanderung nach Deutschland auf Drängen des grünen
Koalitionspartners unvernünftigerweise erleichtert wird,
der Bundeswehr die notwendige finanzielle Basis vorent-
halten wird, die Rente für die junge Generation keine
ausreichende Sicherheit für das Alter mehr bietet, mein
Vertrauen nicht hat.
Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
Entscheidung über den Einsatz deutscher Soldaten in ei-
nem Krieg mit einem diffusen Gegner und einer noch
nicht gänzlich zu Ende gedachten Strategie ist für mich
und ich denke: für jeden Bundestagsabgeordneten eine
schwere. Jeder, der diese Entscheidung zu treffen hat, lädt
damit eine immense Verantwortung auf sich. Er kann
diese verdrängen, er kann sich hinter der Entscheidung
der Regierung oder seiner Fraktionsvorsitzenden ver-
schanzen, aber er entgeht ihr dabei nicht. Und er muss
wissen: Er entscheidet nicht für sich. Er entscheidet für
sein Land. Und er steht in der Verantwortung für die Men-
schen, die er vertritt und an derer statt er diese Entschei-
dung treffen muß.
Wenn ich nun also mit meiner Entscheidung die Ver-
antwortung für einen Kriegseinsatz mit ungewissem Aus-
gang, ja möglicherweise für die Gefährdung oder den Ver-
lust von Menschenleben übernehme, so handele ich dabei
zugleich als Vertreter des ganzen Volkes. Dies kann ich
nur, wenn ich dabei meinen verfassungsmäßigen Auftrag
ganz ernst nehme, bei einer derartigen Entscheidung we-
der an Aufträge noch an Weisungen gebunden zu
sein, sondern nur meinem Gewissen zu folgen. Dem Ge-
wissen unterworfen zu sein heißt, dem eigenen Abstim-
mungsverhalten nicht den Willen einer Regierung, einer
Partei oder einer Fraktion, auch nicht den Willen einer
Pressure group, eines Verbandes oder Geldgebers zu-
grunde zu legen, sondern nur die eigene innere Überzeu-
gung. Dieser Grundsatz ist ein Kernelement der Demo-
kratie. Ihn wirklich ernst zu nehmen bedeutet zugleich
den wirksamsten Schutz gegen ihre verschiedensten Ge-
fährdungen vom individuellen Bestechungs- oder Er-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 200119912
(C)
(D)
(A)
(B)
pressungsversuch bis zur totalitären Machtanmaßung
hierarchisch organisierter Gruppen.
Ein Bundeskanzler, der Zweifel hat, ob er noch das Ver-
trauen der Mehrheit des Parlamentes genießt, hat jederzeit
das Recht, die Vertrauensfrage nach Art. 68 GG zu stellen.
Die Vertrauensfrage ist nach unserer Verfassung kein In-
strument für den parlamentarischen Alltagseinsatz. Sie ist
vielmehr für Krisensituationen vorgesehen und dient unter
anderem als wohldosiertes und sinnvolles Mittel, zur Auf-
lösung des Parlamentes und zu Neuwahlen zu kommen. Sie
ist in der Geschichte der Bundesrepublik erst dreimal an-
gewandt worden: 1972 von Willy Brandt und 1982 gleich
zweimal: von Helmut Schmidt und Helmut Kohl. Die Ver-
trauensfrage sollte im Parlament gestellt werden, wenn ein
Kanzler über keine ausreichende Mehrheit mehr verfügt,
zum Beispiel weil eine Koalition im Grunde gescheitert ist
bzw. ein Koalitionspartner abspringen will.
Beides ist im vorliegenden Falle nicht gegeben. Mehr
noch: In beiden durch den Kanzler jetzt verknüpften Fra-
gen, der Sach- wie der Vertrauensfrage, ist unstreitig eine
stabile Parlamentsmehrheit des Kanzlers vorhanden. Und
die rot-grüne Koalition steht nach anfänglichen Schwie-
rigkeiten fester denn je. Sie hat auf vielen Gebieten eine
hervorragende Politik gemacht. Gerade die Außenpolitik
gehört hierzu. Wie kein anderer zuvor hat der von den
Grünen gestellte deutsche Außenminister binnen kürzes-
ter Zeit Gewicht und Statur gewonnen nicht als
Großmann oder anmaßender Vertreter einer wieder-
erstarkten Großmacht, sondern als ehrlicher Makler und
erfolgreicher Vermittler in den verschiedenen Krisen-
regionen dieser Welt. Diese vor allem auf Deeskalation,
Prävention und friedliche Konfliktlösung setzende Politik
wird von der ganzen Koalition mitgetragen und ist immer
mehr zu einem Markenzeichen der Deutschen auf dem in-
ternationalen Parkett geworden.
Die notwendige Abwägung bei Fragen von Krieg und
Frieden: Der vorliegende Militäreinsatz aber wirft ernste
Fragen auf. Zu unklar sind Dauer, Mandat, politische und
militärische Ziele. Der Kampf gegen den Terrorismus
ist ein höchst dehnbarer Begriff. Uns, den Abgeordneten
von Bündnis 90/Die Grünen, ist es gelungen, auf dem
Wege einer mittlerweile von der Bundesregierung be-
schlossenen Protokollnotiz substanzielle Eingrenzungen
des im ursprünglichen Antrag fahrlässig weit gefassten
Mandates zu erreichen.
Dennoch bleiben Risiken. Aus allen bisherigen Erfah-
rungen mit Terrorismus habe ich lernen müssen: Das ter-
roristische Kalkül will immer weit mehr als die unmittel-
bare Tat erreichen. Es verfolgt sein Ziel perfiderweise oft
weniger durch die unmittelbaren Folgen der Tat als durch
die dergestalt provozierte Reaktion des Angegriffenen.
Dieser soll durch die brutalen und unvorhersehbaren An-
schläge zu Reaktionen gezwungen werden, die ihn als das
zeigen, was er für die Terroristen immer schon ist: das
Böse, der Satan oder im Falle Deutschlands das bru-
tale und faschistische System, das sich nur mit einer bie-
deren Maske tarnt, bevor in der Reaktion auf den Terror
die wahre Fratze zum Vorschein kommt. Deshalb spra-
chen die fanatisierten RAF-Terroristen mitten im Frieden
ständig vom Krieg, den das System gegen sie führe. Das
war, was sie wollten. Ich sage nicht, dass ich dieser Argu-
mentation folge. Ich finde sie menschenverachtend und
zynisch. Aber man muss bei seiner Reaktion auf den Ter-
rorismus auch dieses Kalkül berücksichtigen und damit
auch, welche Reaktionen ein zu weit gehender Gegen-
schlag bei fanatisierten Anhängern bestimmter Überzeu-
gungen auslösen kann.
Der Terroranschlag vom 11. September 2001 ist an
menschenverachtender Grausamkeit kaum zu überbieten.
Die Täter und Hintermänner dieses Anschlags zu fassen
und vergleichbare Anschläge für die Zukunft zu verhin-
dern ist ein hohes, auch von mir unterstütztes Ziel. Nicht
aber ein Jahre dauernder Krieg gegen den Terrorismus,
wie er uns mehrfach angekündigt wurde ohne dass je
mit ausreichender Klarheit beschrieben wurde, was das ei-
gentlich heißt. Krieg ist gefährlich. Im Krieg sterben Men-
schen. Und: In den heutigen Kriegen sterben in aller Regel
weitaus mehr unschuldige Zivilisten als Soldaten. Dies
dürfen wir nicht verdrängen. Vor allem aber gilt es, bei der
notwendigen klaren Reaktion auf die entsetzlichen Terror-
anschläge die eigenen Maßstäbe von Freiheit, Rechtsstaat-
lichkeit und Menschenrechten nicht außer Acht zu lassen.
Und es gilt, in einer an sozialen Spannungen überreichen
Welt alles zu vermeiden, was vorhandene Feindbilder und
den verbreiteten Hass noch stärken könnte. Der Einsatz
von Gewalt zur Verhinderung von Terrorismus und zur Be-
strafung terroristischer Gewalttäter ist legitim, der Einsatz
von Bomben gegen Unschuldige ist es nicht.
Dies gilt es bei der Abwägung über den Militäreinsatz
zu beachten. Ich kann nur hoffen, dass die militärischen
Handlungen der Amerikaner möglichst bald zur Realisie-
rung der angegebenen Kriegsziele Afghanistan von der
Gewaltherrschaft der Taliban zu befreien und Osama Bin
Laden, die Mitglieder seines Terrornetzes und die Verant-
wortlichen für die Anschläge auf New York dingfest zu
machen führen und dass eine weitere Eskalationsspirale
vermieden wird. Die Meldungen von der Entwicklung in
Afghanistan innerhalb der letzten Tage machen mich zum
Glück, das will ich nicht verhehlen, etwas weniger besorgt
wenn auch noch keineswegs ganz sorgenfrei.
In einer derartig fragilen, von sozialen, politischen,
kulturellen und religiösen Spannungen geprägten Welt ist
ein lediglich militärisches Vorgehen in hohem Maße frag-
würdig und gefährlich. Vielmehr scheint es mir notwen-
dig, weit mehr als bisher diplomatisch vorzugehen und
vor allem auch die Ursachen für die globalen Spannun-
gen, den extremen Unterschied zwischen Arm und Reich,
die Einseitigkeit und die unsozialen Aspekte des globalen
Handels und die Spannungen zwischen Lebensweisen,
Religionen und Kulturen anzugehen. Gerade unser Land
könnte hier einen entscheidenden Beitrag leisten.
Die politische Rolle Deutschlands: Von wichtigen Ver-
antwortlichen auch aus den Reihen der Bundesregie-
rung ist in den letzten Tagen wiederholt gesagt worden,
Deutschland sei in der Frage dieses Militäreinsatzes über-
haupt nicht frei. Formal vielleicht politisch aber seien
die Deutschen festgelegt. Deutschland könne und dürfe in
der Frage dieses Militäreinsatzes gar nicht anders ent-
scheiden, als in dem vorliegenden Antrag zum Ausdruck
gebracht wird, wenn es die Lehren der Geschichte ernst
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001 19913
(C)
(D)
(A)
(B)
nähme. Seit Konrad Adenauer sei Deutschland Teil des
Westens, dies lasse für uns keine andere Option des Han-
delns mehr offen. Wenn dieses 80-Millionen-Volk, so hieß
es in den letzten Tagen aus einflussreichem Mund, je wie-
der frei von diesen Bindungen agieren würde, drohten
weit schlimmere Folgen als die jetzigen Toten in New
York und Afghanistan.
Diese Auffassung scheint mir fatal. Sie postuliert eine
Ausweglosigkeit, die es nicht gibt. Sie treibt die deutsche
Außenpolitik in eine Engführung, die jedes eigenständig
politische Denken diskreditiert oder unmöglich macht. Sie
postuliert und zementiert, was sie, wenn man ihren Worten
trauen könnte, eigentlich ablehnt: einen deutschen Son-
derweg. Damit werden Denkverbote errichtet, wo eine
faire Debatte über die besten Konzepte gefordert wäre.
Auch ich möchte, dass Deutschland seine tätige Soli-
darität mit den USA beweist. Aber wir können dies auch
anders als durch Militäreinsätze tun. Beitragen sollten
wir aber unseren Beitrag selbst bestimmen! Dass die
Beiträge der Bündnispartner höchst verschieden sein kön-
nen ja oftmals sogar sollen! zeigt zum Beispiel auch
die Tatsache, dass Großbritannien sich von Anfang an
auch militärisch beteiligt, während andere Bündnispart-
ner dies weder tun noch tun wollen.
Mehr noch: Auch das unkritische und undifferenzierte
Gerede vom Westen ist ahistorisch, falsch und politisch
fatal. Sehen wir im Westen die USA und im Osten Russ-
land, so liegt unser Land in der Mitte. Diese Mittler- oder
Brückenfunktion ohne eigenes Großmachtstreben hat es
in seinen besten Phasen auch wahrgenommen. Der tiefe
Abstieg in den deutschen Nationalismus und noch mehr
den Nationalsozialismus war es, der schließlich zu einer
Teilung Deutschlands wie zur Teilung Europas geführt
hat. Damit war die Mitte für einige Zeit eliminiert. Sie war
mitten durchgetrennt, zerteilt, und es gab nur noch West
und Ost, Kapitalismus und Sozialismus, zwei einander
hochgerüstet gegenüber stehende Blöcke. In diese bipo-
lare Welt musste sich auch das damalige Deutschland ein-
ordnen: der westliche Teil nach Westen, der östliche nach
Osten. 1989 fielen in der Folge der demokratischen Re-
volution die Mauer und der Stacheldraht. Deutschland
und Europa wuchsen wieder zusammen. Damit sind wir
auch (geo-)politisch wieder in eine andere Rolle ge-
schlüpft, die unser Außenminister ohnehin schon mehr
und mehr wahrnimmt. Deutschland gehört wie kaum ein
anderes Land zu den glaubwürdigen Akteuren präventi-
ven Krisenmanagements, ziviler Konfliktbearbeitung und
friedlicher, demokratischer Veränderungen auf dem Pla-
neten. Diese Kernkompetenz im Kampf gegen den Ter-
rorismus anzubieten zum Beispiel in der Form eines
festen, verbindlich organisierten Dialogs zwischen Chris-
tentum und Islam , wäre ein großartiger und unver-
zichtbarer Beitrag gewesen, den die Deutschen in diese
Allianz gegen den Terror hätten einbringen können.
Auch die USA werden zunehmend darauf angewiesen
sein, dass es diesen ehrlichen, allseits großes Vertrauen
genießenden Makler gibt. Nicht aus dem westlichen
Bündnis ausscheren sollten wir, sondern uns mehr für un-
sere eigenen künftigen Aufgaben in einer längst nicht
mehr bipolaren Welt interessieren und zugleich nach
Osten und Süden öffnen.
Die Vermischung ist darauf angelegt, eine Gewissens-
entscheidung zu korrumpieren: Derartige Fragen in Ruhe
und unter Durchdenken aller denkbaren Konsequenzen
abzuwägen, das ist die Aufgabe, vor der wir als Bundes-
tagsabgeordnete in dieser Abstimmung stehen. Durch
die Verknüpfung der Gewissensentscheidung mit der
Vertrauensfrage wird diese allerdings überlagert und letzt-
endlich praktisch unmöglich gemacht. Denn sie verhin-
dert die freie, in der Sache wohl begründete Entschei-
dungsfindung der Parlamentarier.
So schwächt dieses Junktim den Beschluss in der Sa-
che, statt ihn zu stärken. Denn allzuviel gänzlich anders
geartete Überlegungen mischen sich hinein. Schließlich
geht es nun nicht mehr alleine um die Frage des Mi-
litäreinsatzes, sondern zugleich und vor allem um Fortbe-
stand oder Ende der rot-grünen Koalition und damit um
Fortbestand oder Ende einer erfolgreichen, aber noch kei-
neswegs abgeschlossenen Politik.
So entstehen denn auch gänzlich absurde Konstellatio-
nen. Abgeordnete stimmen reihenweise gegen ihre Über-
zeugung. Treffen die gestern gemachten Ankündigungen
zu, so werden zum Beispiel dieselben Volksvertreter von
CDU/CSU und FDP, die noch vor vier Tagen öffentlich
erklärt haben, sie würden dem Antrag der Bundesregie-
rung für einen Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan
rückhaltlos zustimmen, jetzt genau den gleichen Antrag
mit eben solcher Entschlossenheit ablehnen. Sie tun dies
nicht etwa, weil sie dagegen sind, sondern sie bleiben
dafür und wünschen sich, dass der Antrag durchkommt.
Trotzdem werden sie nicht für ihn stimmen. Umgekehrt
gibt es in den Reihen der Koalition und mitnichten nur
in den Reihen des grünen Koalitionspartners mehrere
Abgeordnete, die deutlich erklärt haben, dass sie nicht für
diesen Einsatz stimmen. Sie werden das auch in bzw. vor
der Abstimmung tun, dann aber trotzdem anders ent-
scheiden, als ihre Überzeugung und ihr Gewissen in die-
ser Sache ihnen sagen.
Die Verbindung dieser beiden völlig unterschiedlich
gelagerten Abstimmungen zeugt von einem Fehlverständ-
nis des Parlaments. Sie droht, die politische Kultur zu
beeinträchtigen. Der offene und ehrliche Streit unter-
schiedlicher Meinungen, die Akzeptanz abweichender
Positionen ist eine Grundvoraussetzung jedweder Demo-
kratie. Es wäre daher wichtig gewesen, gerade auch in der
Frage eines Kriegseinsatzes eine offene und ehrliche De-
batte und abweichende Auffassungen zuzulassen anstatt
sie zu beschädigen.
Dabei geschieht diese Verknüpfung ohne jede Not. Die
rot-grüne Koalition ist nicht am Ende im Gegenteil: Sie
ist kraftvoller und frischer denn je. Niemand in dieser
Koalition möchte das erfolgreiche Bündnis aufgeben.
So gilt auch für diese Abstimmung, dass ein ehrliches,
zutreffendes Ergebnis nicht zu erwarten ist. Denn, vor die
Vertrauensfrage gestellt, werden 47 grüne Abgeordnete
meiner Erkenntnis nach 47 mal mit Ja antworten. Dass
trotzdem eine Reihe von Fraktionsmitgliedern bei der Ab-
stimmung über die Vertrauensfrage mit Nein stimmen
wird, liegt wiederum nicht an dieser, sondern an der völ-
lig sachfremden Verknüpfung mit einem Militäreinsatz,
den sie ablehnen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 200119914
(C)
(D)
(A)
(B)
Das Grundgesetz hätte es, nebenbei, zugelassen, die
Vertrauensfrage getrennt von der Sachfrage zu stellen.
Damit wäre nicht nur die Freiheit der Abgeordneten in
beiden Fällen gewahrt geblieben: Wir hätten auch ein
klares Ergebnis, wie viele Abgeordnete in der einen wie
der anderen Frage nun wirklich dafür bzw. dagegen
sind. Mit dem jetzt gewählten Verfahren werden wir das
nie herausfinden. Was sich allerdings mit Gewissheit
sagen lässt, ist: Wären die Sach- und die Vertrauens-
frage getrennt gestellt worden, hätte es zu beidem eine
deutliche Mehrheit gegeben. So aber hat man sich ohne
Not in eine Zitterpartie begeben, die über die Freiheit
des Mandates und die Sachlichkeit der Abstimmung hi-
naus auch diese von den Bürgern gewollte Koalition
massiv gefährdet.
Das Ergebnis meiner Abwägung: Ich möchte das rot-
grüne Projekt nicht beenden. Ich will es fortführen! Der
Ausstieg aus der Atomenergie und der Einstieg in alter-
native Energieformen, die Agrarwende, eine ökologi-
sche und soziale Steuerreform, die Konsolidierung des
Bundeshaushaltes, eine moderne und generationenge-
rechtere Reform des Rentensystems, die Stärkung der
Demokratie und die Einführung unmittelbarer Bürger-
beteiligung, eine weitsichtige und vermittelnde Außen-,
Friedens- und Menschenrechtspolitik, dies alles ist mir
zu wichtig, als dass ich es so fahrlässig, wie es mit die-
ser Abstimmung geschähe, gefährden wollte. Die von
der Bundesregierung auf Druck insbesondere einer
Reihe grüner Abgeordneter ergänzend zum heute zu fas-
senden Beschluss abgegebene Protokollerklärung und
die Entwicklung in Afghanistan lassen mich hoffen, dass
die dennoch bestehenden Risiken dieses bis auf den
möglichen Einsatz der 100 Sonderkräfte deutlich de-
fensiven und nicht kampforientierten Einsatzes be-
herrschbar und damit hinnehmbar bleiben. Ich werde
deshalb in der nachfolgenden Abstimmung, die mich
zwingt, zwei Fragen miteinander zu vermischen, die
nichts miteinander zu tun haben, mit ja stimmen. Ich
tue das auch deshalb, weil ich mich nicht berechtigt
fühle, ein politisches Projekt zu beenden, das von den
Wählern eindeutig und für die Dauer dieser Legislatur-
periode gewollt ist.
Ich hoffe, dass künftige Abstimmungen dieses Parla-
mentes in der Freiheit und Sachbezogenheit stattfinden
können, die einer Abstimmung von vergleichbarer in-
haltlicher Bedeutung würdig sind. Das Parlament ist
nicht ein bloßes Notariat der Regierung, sondern die freie
Vertretung sämtlicher Bürgerinnen und Bürger dieses
Landes, die ein Anrecht darauf haben, dass ihre Ängste,
Anliegen, Fragen und Gesichtspunkte in den Abstim-
mungen mit dem größtmöglichen Ernst aufgenommen
und gewürdigt werden. Die Vermischung zweier völlig
unterschiedlicher Fragen in einer einzigen Abstimmung,
der damit ausgeübte Druck, ja die Aufforderung an ein-
zelne Abgeordnete, wenn sie mit ihrem Gewissen in
Schwierigkeiten kämen, könnten sie doch ihr Mandat
zurückgeben, hat mit den berechtigten Erwartungen der
Bürger an ihr Parlament und mit dem Parlaments- und
Abgeordnetenverständnis des Grundgesetzes nicht mehr
viel zu tun.
Anlage 7
Amtliche Mitteilungen
Der Bundesrat hat in seiner 769. Sitzung am 9. No-
vember 2001 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen
zuzustimmen, bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Ab-
satz 2 Grundgesetz nicht zu stellen:
Gesetz zum Vertrag von Nizza vom 26. Februar
2001
Gesetz zur Anpassung bilanzrechtlicher Bestimmun-
gen an die Einführung des Euro, zur Erleichterung der
Publizität für Zweigniederlassungen ausländischer Un-
ternehmen sowie zur Einführung einer Qualitätskon-
trolle für genossenschaftliche Prüfungsverbände
(Euro-Bilanzgesetz EuroBilG)
Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts
Gesetz zur Bereinigung von Kostenregelungen auf
dem Gebiet des geistigen Eigentums
Gesetz zur Ablösung des Arznei- und Heilmittelbud-
gets (Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz ABAG)
Gesetz über den Beruf der Podologin und des Po-
dologen und zur Änderung anderer Gesetze
Gesetz zur Änderung des Bewertungsgesetzes
Gesetz zur Neuordnung der Statistik im Handel
und Gastgewerbe
Gesetz zur Durchsetzung der Gleichstellung von
Frauen und Männern (Gleichstellungdurchsetzungs-
gesetz DGleiG)
Gesetz zur Einführung des Wohnortprinzips bei
Honorarvereinbarungen für Ärzte und Zahnärzte
Der Vorsitzende des folgenden Ausschusses hat mitge-
teilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Ge-
schäftsordnung von einer Berichterstattung zu der nach-
stehenden Vorlage absieht:
Auswärtiger Ausschuss
Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Interpar-
lamentarischen Gruppe der Bundesrepublik Deutschland
über die 105. Interparlamentarische Konferenz vom
1. April bis 7. April 2001 in Havanna/Kuba
Drucksachen 14/6847, 14/7119
Die Fraktion der FDP hat mit Schreiben vom 12. No-
vember 2001 mitgeteilt, dass sie den Antrag Forschungs-
freiheit sichern keine politische Steuerung der Helm-
holtz-Zentren auf Drucksache 14/5249 zurückgezogen
hat:
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit-
geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla-
gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla-
ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung
abgesehen hat.
Sportausschuss
Drucksache 14/7000 Nr. 1.22
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2001 19915
(C)
(D)
(A)
(B)
Ausschuss für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft
Drucksache 14/6508 Nr. 2.28
Drucksache 14/6508 Nr. 2.22
Drucksache 14/6508 Nr. 2.31
Drucksache 14/6508 Nr. 2.32
Drucksache 14/6508 Nr. 2.39
Drucksache 14/6615 Nr. 1.7
Drucksache 14/6615 Nr. 2.12
Drucksache 14/7000 Nr. 1.30
Drucksache 14/7000 Nr. 2.27
Drucksache 14/7000 Nr. 2.31
Drucksache 14/7000 Nr. 2.32
Drucksache 14/7000 Nr. 2.26
Drucksache 14/7197 Nr. 2.10
Drucksache 14/7197 Nr. 2.28
Ausschuss für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen
Drucksache 14/5610 Nr. 2.23
Drucksache 14/5610 Nr. 2.37
Drucksache 14/5610 Nr. 2.52
Drucksache 14/7000 Nr. 2.29
Drucksache 14/7000 Nr. 2.28
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit
Drucksache 14/6615 Nr. 2.2
Drucksache 14/6615 Nr. 2.3
Drucksache 14/6615 Nr. 2.6
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Drucksache 14/7129 Nr. 2.64
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 200119916
(C)(A)
Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin