Protokoll:
14199

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 199

  • date_rangeDatum: 9. November 2001

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 16:47 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Eintritt der Abgeordneten Antje Blumenthal in den Deutschen Bundestag . . . . . . . . . . . . . 19489 A Zusatztagesordnungspunkt 11: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Einführung des Wohnort- prinzips bei Honorarvereinbarungen für Ärzte und Zahnärzte (Drucksa- chen 14/5960, 14/6410, 14/6450, 14/6699, 14/7342) . . . . . . . . . . . . . . . . 19489 A Tagesordnungspunkt 20: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Hochschulrah- mengesetzes und anderer Vor- schriften (Drucksache 14/6853) . . . . . . . . . . 19489 B – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Maritta Böttcher, Dr. Heinrich Fink, weiteren Abge- ordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Absicherung der ver- fassten Studierendenschaft (Drucksachen 14/5760, 14/7336, 14/7350) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19489 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung . . . . . . – zu dem Antrag der Abgeordneten Maritta Böttcher, Dr. Heinrich Fink und der Fraktion der PDS: Perso- nalstruktur- und Dienstrechts- reform an Hochschulen und For- schungseinrichtungen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen), Thomas Rachel, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der CDU/CSU: Eckpunkte für eine Re- form des Hochschuldienstrechts – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Dienstrechtsreform an den Hochschulen konsequent für eine umfassende Hochschul- reform nutzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Maritta Böttcher, Dr. Heinrich Fink, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der PDS: Bericht über die Er- fahrungen bei derAnwendung des Hochschulzeitvertragsgesetzes (Drucksachen14/3900,14/4382,14/4415, 14/6212, 14/7336) . . . . . . . . . . . . . . . . 19489 D c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Reform der Professorenbesoldung (Professoren- besoldungsreformgesetz) (Drucksache 14/6852) . . . . . . . . . . . . . 19490 A Edelgard Bulmahn, Bundesministerin BMBF 19490 C Dr. Erika Schuchardt CDU/CSU . . . . . . . 19492 A Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen) CDU/CSU 19493 A Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19494 C Plenarprotokoll 14/199 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 199. Sitzung Berlin, Freitag, den 9. November 2001 I n h a l t : Ulrike Flach FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19496 A Maritta Böttcher PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19496 D Dr. Peter Eckardt SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19497 C Dr. Peter Frankenberg, Minister (Baden-Würt- temberg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19498 C Dr. Peter Eckardt SPD . . . . . . . . . . . . . . . 19499 D Peter Enders SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19500 C Ruth Wagner, Staatsministerin (Hessen) . . . . 19501 B Tagesordnungspunkt 21: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Abgeordneten Günter Nooke, Markus Meckel sowie weiterer Abge- ordneter: Errichtung eines Einheits- und Freiheitsdenkmals auf der Berliner Schlossfreiheit (Drucksachen 14/3126, 14/7209) . . . . . . . 19503 C Stephan Hilsberg SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19503 D Günter Nooke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 19506 A Cornelia Pieper FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19507 B Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 19508 C Eckhardt Barthel (Berlin) SPD . . . . . . . . . . . . 19509 C Eckart von Klaeden CDU/CSU . . . . . . . . . . . 19510 D Tagesordnungspunkt 22: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Reform der arbeits- marktpolitischen Instrumente (Job-Aqtiv-Gesetz) (Drucksachen 14/6944, 14/7347) 19512 B – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Klaus Grehn, Monika Balt, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der PDS einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Rahmenfrist bei zeitlich befristeter Erwerbsun- fähigkeitsrente, Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) (Drucksachen 14/2282, 14/7347) 19512 B – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Klaus Grehn, Dr. Ruth Fuchs, Dr. Heidi Knake-Werner und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Ände- rung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (Viertes SGB III- Änderungsgesetz) (Drucksachen 14/3044, 14/7347) 19512 B – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der grenzüberschreitenden Ar- beitsförderung im Rahmen des SGB III (Drucksachen 14/5013, 14/7347) 19512 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialord- nung – zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Schnieber-Jastram, Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Arbeitsmarktpoliti- sche Maßnahmen effektiv und transparent gestalten – Aus den Hamburger Vorfällen Lehren für eine Reform des SGB III ziehen – zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Seehofer, Karl-Josef Laumann, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU: Arbeitsplätze schaffen statt Arbeitslosigkeit ver- walten – Reformen für einen besse- ren Arbeitsmarkt – zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Schnieber-Jastram, Karl-Josef Laumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Ar- beit vermitteln statt Arbeitslosig- keit verwalten – Mehr Beschäfti- gung durch Effizienz, Transparenz und Subsidiarität im Arbeitsförde- rungsrecht – zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel, Dr. Irmgard Schwaetzer, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP: Für eine wirksame und effiziente Arbeitsmarktpolitik – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus Grehn, Pia Maier, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Zusätzliche Arbeits- plätze fördern – soziale Siche- rungssysteme festigen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heidi Knake-Werner, Dr. Ruth Fuchs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Den Einstieg in einen öffentlich geförderten Be- schäftigungssektor ermöglichen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001II – zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Beschäftigungspoli- tischer Aktionsplan der Bundes- republik Deutschland 2001 (Drucksachen 14/6636, 14/6888, 14/6162, 14/6621, 14/5794, 14/7070, 14/5513, 14/7347) . . . . . . . . . . . . . . . 19512 C Andrea Nahles SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19513 A Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . . . . . . . 19514 D Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19516 A Dirk Niebel FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19518 B Dr. Klaus Grehn PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19520 A Walter Riester, Bundesminister BMA . . . . . . 19521 B Dr. Klaus Grehn PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19523 B Johannes Singhammer CDU/CSU . . . . . . . . 19523 C Dirk Niebel FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19524 A Walter Riester, Bundesminister BMA . . . . . . 19524 C Brigitte Baumeister CDU/CSU . . . . . . . . . . . 19525 B Ute Kumpf SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19527 A Tagesordnungspunkt 23: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Finanzierung der Terrorbekämpfung (Drucksachen 14/7062, 14/7332, 14/7376) 19530 A Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19530 B Norbert Barthle CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 19532 A Christine Scheel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19534 A Carl-Ludwig Thiele FDP . . . . . . . . . . . . . . . 19535 D Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19537 A Dr. Frank Schmidt (Weilburg) SPD . . . . . . . . 19538 A Carl-Ludwig Thiele FDP . . . . . . . . . . . . . . . . 19540 A Dr. Frank Schmidt (Weilburg) SPD . . . . . . . . 19540 C Otto Bernhardt CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 19541 A Zusatztagesordnungspunkt 12: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Vereinsgesetzes (Drucksachen 14/7026, 14/7354) . . . . . . . 19542 A Sebastian Edathy SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19542 B Dr. Hans-Peter Uhl CDU/CSU . . . . . . . . . . . 19543 C Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19545 C Erwin Marschewski (Recklinghausen) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19546 C Dr. Max Stadler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19547 A Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19548 A Erwin Marschewski (Recklinghausen) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19548 D Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19549 B Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staats- sekretärin BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19549 C Zusatztagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Bestimmung der Schwankungsreserve in der Rentenversi- cherung der Arbeiter und Angestellten (Drucksache 14/7284) . . . . . . . . . . . . . . . 19551 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeodneten Karl-Josef Laumann, Horst Seehofer, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Keine systemwidrigen Eingriffe bei der Schwankungsreserve (Drucksache 14/7292) . . . . . . . . . . . . . . . 19551 B Ulrike Mascher, Parl. Staatssekretärin BMA 19551 C Andreas Storm CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 19553 A Dr. Heinrich L. Kolb FDP . . . . . . . . . . . . . . . 19554 D Dr. Heidi Knake-Werner PDS . . . . . . . . . . . . 19555 C Erika Lotz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19556 B Tagesordnungspunkt 24: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Dehnel, Günter Nooke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Finanzie- rungssicherheit für den Bundesfern- straßenbau über das Jahr 2002 hinaus (Drucksache 14/7146) . . . . . . . . . . . . . . . 19558 A Tagesordnungspunkt 25: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Einführung und Verwendung eines Kennzeichens für Erzeugnisse des ökologischen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 III Landbaus (Öko-Kennzeichengesetz) (Drucksachen 14/7254, 14/7346) . . . . 19558 A – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung und Verwendung eines Kennzeichens für Erzeugnisse des öko- logischen Landbaus (Öko-Kenn- zeichengesetz) (Drucksachen 14/6891, 14/7346) . . . . 19558 B Tagesordnungspunkt 26: Erste Beratung des von den Abgeordneten Walter Hirche, Rainer Brüderle, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Sicherung der Energieversorgung bei Gefährdung oder Störung der Einfuhren von Erdöl, Erdölerzeugnissen oder Erdgas (Drucksache 14/7151) . . . . . . . . . . . . . . . 19558 D Tagesordnungspunkt 27: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Neuausrich- tung der Bundeswehr (Bundeswehr- neuausrichtungsgesetz) (Drucksachen 14/6881, 14/7089, 14/7235, 14/7236) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19559 A b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung besoldungsrechtlicher Vor- schriften (Sechstes Besoldungsände- rungsgesetz) (Drucksachen 14/7097, 14/7352, 14/7373) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19559 A Hans-Peter Kemper SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 19559 C Werner Siemann CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 19560 D Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19562 C Günther Friedrich Nolting FDP . . . . . . . . . . . 19563 B Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 19564 C Kurt Palis SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19565 C Meinrad Belle CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 19567 A Walter Kolbow, Parl. Staatssekretär BMVg 19568 A Tagesordnungspunkt 28: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Reform des Risiko- strukturausgleichs in der gesetzli- chen Krankenversicherung (Drucksachen 14/6432, 14/7355, 14/7395) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19569 D – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Re- form des Risikostrukturausgleichs in der gesetzlichen Krankenversi- cherung (Drucksachen 14/7123, 14/7168, 14/7355, 14/7395) . . . . . . . . . . . . . 19570 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu der Un- terrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über die Untersuchung zu den Wirkungen des Risikostrukturausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung (Drucksachen 14/5681, 14/7355, 14/7395) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19570 A Dr. Martin Pfaff SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19570 B Aribert Wolf CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 19572 C Detlef Parr FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19574 C Tagesordnungspunkt 29: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Fortent- wicklung des Unternehmensteuerrechts (Unternehmensteuerfortentwicklungs- gesetz) (Drucksachen 14/6882, 14/7084, 14/7343, 14/7344, 14/7385) . . . . . . . . 19576 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt, Heinz- Georg Seiffert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Mehr Wirtschaftswachstum durch mehr Gerechtigkeit im Unternehmensteu- errecht (Drucksachen 14/6887, 14/7351) . . . . 19576 B c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Steuerände- rungsgesetz 2001) (Drucksachen 14/6877, 14/7340, 14/7341, 14/7377) . . . . . . . . . . . . . . . . 19576 B Tagesordnungspunkt 30: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001IV wurfs eines Gesetzes über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektroni- schen Geschäftsverkehr (Elektroni- scher Geschäftsverkehr-Gesetz) (Drucksachen 14/6098, 14/7345) . . . . 19577 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Abgeordne- ten Hubertus Heil, Dr. Ditmar Staffelt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Margareta Wolf (Frankfurt), Grietje Bettin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Deutschlands Wirtschaft in der Informationsgesellschaft (Drucksachen 14/5246, 14/5974) . . . . 19577 B Tagesordnungspunkt 31: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung von Über- gangsregelungen im Bundessozialhilfe- gesetz (Drucksache 14/7280) . . . . . . . . . . . . . . . 19577 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 15: Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: För- dern und Fordern – Sozialhilfe modern gestalten (Drucksache 14/7293) . . . . . . . . . . . . . . . 19577 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Pia Maier, Dr. Klaus Grehn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Eine Grundsi- cherung in die Arbeitslosenversicherung einführen (Drucksache 14/7294) . . . . . . . . . . . . . . . 19578 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 17: Antrag der Abgeordneten Pia Maier, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Die Sozialhilfe armutsfest gestalten (Drucksache 14/7298) . . . . . . . . . . . . . . . 19578 A Tagesordnungspunkt 32: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Angelegenheiten der neuen Länder zu dem Antrag der Abgeordneten Gerhard Jüttemann, Rolf Kutzmutz, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Arbeitsplatzabbau bei Förderung von Produktionsverlagerungen ausschließen (Drucksachen 14/5248, 14/6618) . . . . . . . 19578 B Gerhard Jüttemann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 19578 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19579 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 19581 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. Heinrich Fink, Maritta Böttcher, Rosel Neuhäuser, Gustav-Adolf Schur, Dr. Ilja Seifert, Rolf Kutzmutz, Eva Bulling-Schröter, Dr. Winfried Wolf, Heidemarie Ehlert, Monika Balt (alle PDS) zur Abstimmung über den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Vereinsgesetzes (Zusatztagesordnungspunkt 12) . . . . . . . . . . . 19582 A Anlage 3 Zu Protokoll gegeben Rede zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Bestimmung der Schwankungsreserve in der Rentenver- sicherung der Arbeiter und Angestellten – Beratung des Antrags: Keine systemwidri- gen Eingriffe bei der Schwankungsreserve (Zusatztagesordnungspunkte 13 und 14) . . . . 19582 D Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19582 D Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Errichtung eines Einheits- und Frei- heitsdenkmals auf der Berliner Schlossfreiheit (Tagesordnungspunkt 21) . . . . . . . . . . . . . . . 19583 B Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19583 B Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Finanzierungssicherheit für den Bundesfernstraßenbau über das Jahr 2002 hi- naus (Tagesordnungspunkt 24) . . . . . . . . . . . 19583 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 V Reinhard Weis (Stendal) SPD . . . . . . . . . . . . . 19583 D Renate Blank CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 19584 C Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19585 D Horst Friedrich (Bayreuth) FDP . . . . . . . . . . 19586 C Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19587 A Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin BMVBW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19587 C Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Gesetzentwürfe: Einführung und Verwendung eines Kennzeichens für Erzeugnisse des ökolo- gischen Landbaus (Öko-Kennzeichengesetz) (Tagesordnungspunkt 25) . . . . . . . . . . . . . . . . 19588 B Gustav Herzog SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19588 B Matthias Weisheit SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19589 D Heinrich-Wilhelm Ronsöhr CDU/CSU . . . . . 19590 C Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19591 C Marita Sehn FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19592 A Kersten Naumann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 19592 D Renate Künast, Bundesministerin BMVEL . . . 19593 B Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ge- setzes zur Sicherung der Energieversorgung bei Gefährdung oder Störung der Einfuhren von Erdöl, Erdölerzeugnissen oder Erdgas (Ta- gesordnungspunkt 26) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19594 C Volker Jung (Düsseldorf) SPD . . . . . . . . . . . . 19594 C Werner Labsch SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19595 C Kurt-Dieter Grill CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 19596 A Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19596 C Walter Hirche FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19597 B Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19598 A Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Gesetzentwürfe: Reform des Risikostruktur- ausgleichs in der gesetzlichen Krankenversi- cherung und Beratung der Unterrichtung: Bericht der Bundesregierung über die Unter- suchung zu den Wirkungen des Risikostruktu- rausgleichs in der gesetzlichen Krankenversi- cherung (Tagesordnungspunkt 28 a und b) 19598 C Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19598 C Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19599 B Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Gesetzentwürfe: – Fortentwicklung des Unternehmensteuer- rechts (Unternehmensteuerfortentwicklungs- gesetz) – Änderung steuerlicher Vorschriften (Steu- eränderungsgesetz 2001) und des Antrags: Mehr Wirtschaftswachstum durch mehr Gerechtigkeit im Unternehmensteuerrecht (Tagesordnungspunkt 29 a bis c) . . . . . . . . . . 19600 A Reinhard Schultz (Everswinkel) SPD . . . . . . . 19600 B Elke Wülfing CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 19601 D Christine Scheel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19603 B Gerhard Schüßler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 19604 A Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19604 C Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19605 B Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Gesetzentwurfs: rechtliche Rahmenbedingun- gen für den elektronischen Geschäftsverkehr (Elektronischer Geschäftsverkehr-Gesetz) und zu dem Antrag: Deutschlands Wirtschaft in der Informationsgesellschaft (Tagesordnungs- punkt 30 a und b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19606 B Hubertus Heil SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19606 B Dr. Martina Krogmann CDU/CSU . . . . . . . . 19607 D Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19609 A Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19610 A Ursula Lötzer PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19610 B Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi 19610 D Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Gesetzentwurfs: Verlängerung von Übergangs- regelungen im Bundessozialhilfegesetz und der Anträge: – Fördern und Fordern – Sozialhilfe modern gestalten Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001VI – Eine Grundsicherung in die Arbeitslosen- versicherung einführen – Die Sozialhilfe armutsfest gestalten (Tagesordnungspunkt 31 und Zusatztagesord- nungspunkte 15 bis 17) . . . . . . . . . . . . . . . . . 19612 A Brigitte Lange SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19612 A Wolfgang Meckelburg CDU/CSU . . . . . . . . . 19614 B Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19615 C Dr. Heinrich L. Kolb FDP . . . . . . . . . . . . . . . 19616 D Pia Maier PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19618 A Ulrike Mascher, Parl. Staatssekretärin BMA 19618 C Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Arbeitsplatzabbau bei Förderung von Produktionsverlagerungen ausschließen (Tagesordnungspunkt 32) . . . . . . . . . . . . . . . 19619 C Jelena Hoffmann (Chemnitz) SPD . . . . . . . . . 19619 C Ulrich Klinkert CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 19620 D Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19621 C Jürgen Türk FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19622 B Anlage 13 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19622 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 VII Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 Gerhard Jüttemann 19579 (C) (D) (A) (B) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 19581 (C) (D) (A) (B) Aigner, Ilse CDU/CSU 9.11.2001 Dr. Bauer, Wolf CDU/CSU 9.11.2001 Behrendt, Wolfgang SPD 9.11.2001* Bierwirth, Petra SPD 9.11.2001 Bodewig, Kurt SPD 9.11.2001 Bohl, Friedrich CDU/CSU 9.11.2001 Brinkmann (Detmold), SPD 9.11.2001 Rainer Buntenbach, Annelie BÜNDNIS 90/ 9.11.2001 DIE GRÜNEN Catenhusen, SPD 9.11.2001 Wolf-Michael Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 9.11.2001 Frick, Gisela FDP 9.11.2001 Friedhoff, Paul K. FDP 9.11.2001 Friedrich (Altenburg), SPD 9.11.2001 Peter Fritz, Erich G. CDU/CSU 9.11.2001 Girisch, Georg CDU/CSU 9.11.2001 Griefahn, Monika SPD 9.11.2001 Großmann, Achim SPD 9.11.2001 Dr. Haussmann, Helmut FDP 9.11.2001 Heinrich, Ulrich FDP 9.11.2001 Hempelmann, Rolf SPD 9.11.2001 Homburger, Birgit FDP 9.11.2001 Hornung, Siegfried CDU/CSU 9.11.2001 Imhof, Barbara SPD 9.11.2001 Kauder, Volker CDU/CSU 9.11.2001 Kopp, Gudrun FDP 9.11.2001 Lippmann, Heidi PDS 9.11.2001 Dr. Lippold (Offenbach), CDU/CSU 9.11.2001 Klaus W. Meckel, Markus SPD 9.11.2001 Michelbach, Hans CDU/CSU 9.11.2001 Moosbauer, Christoph SPD 9.11.2001 Opel, Manfred SPD 9.11.2001 Ost, Friedhelm CDU/CSU 9.11.2001 Ostrowski, Christine PDS 9.11.2001 Otto (Frankfurt), FDP 9.11.2001 Hans-Joachim Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 9.11.2001 Reichard (Dresden), CDU/CSU 9.11.2001 Christa Dr. Riesenhuber, Heinz CDU/CSU 9.11.2001 Schauerte, Hartmut CDU/CSU 9.11.2001 Schemken, Heinz CDU/CSU 9.11.2001 Schenk, Christina PDS 9.11.2001 Schlee, Dietmar CDU/CSU 9.11.2001 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 9.11.2001 Hans Peter Simm, Erika SPD 9.11.2001 Dr. Skarpelis-Sperk, SPD 9.11.2001 Sigrid Dr. Spielmann, Margrit SPD 9.11.2001 Straubinger, Max CDU/CSU 9.11.2001 Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 9.11.2001 Dr. Thomae, Dieter FDP 9.11.2001 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 9.11.2001 DIE GRÜNEN Dr. von Weizsäcker, SPD 9.11.2001 Ernst Ulrich Dr. Wieczorek, Norbert SPD 9.11.2001 Wieczorek (Duisburg), SPD 9.11.2001 Helmut Zapf, Uta SPD 9.11.2001 Zierer, Benno CDU/CSU 9.11.2001* * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. Heinrich Fink, Maritta Böttcher, Rosel Neuhäuser, Gustav-Adolf Schur, Dr. Ilja Seifert, Rolf Kutzmutz, Eva Bulling-Schröter, Dr. Winfried Wolf, Heidemarie Ehlert, Monika Balt (alle PDS) zur Abstimmung über den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Vereinsgesetzes (Zu- satztagesordnungspunkt 12) Wir werden den Gesetzentwurf ablehnen. Herbei leiten uns folgende Motive: Heute, am 9. November, sollten wir uns erinnern: Die .Shoah, die unbarmherzige Verfolgung der Juden in Deutschland, war Grund für die Väter und Mütter des Grundgesetzes, Religions- und Weltanschau- ungsgemeinschaften als etwas Besonderes zu behandeln. Das Religionsprivileg entzieht dementsprechend weltan- schauliche Gemeinschaften dem leichten Zugriff des Staa- tes. Sie sollen eben nicht wie jede andere Vereinigung durch die Behörden verboten werden können. In dieser Hinsicht werden Religions- und Weltanschauungsgemein- schaften zu Recht den politischen Parteien gleichgestellt. Die Streichung des Religionsprivilegs wird in der Öf- fentlichkeit im Zusammenhang mit der Terrorismus- bekämpfung gesehen. Es ist wieder vom „Kampf der Kul- turen“ die Rede. Der CSU-Generalsekretär Thomas Goppel fordert eine Internierung von Ausländern auf deutschem Boden – ARD, „Report Mainz“ am 5. November 2001. Der innen- politische Sprecher der Unionsfraktion, Marschewski, sagt in derselben Sendung: „Man könnte sie in gefäng- nisähnlichen Einrichtungen unterbringen.“ Vor diesem Hintergrund ist gerade heute die Streichung des Religionsprivilegs gleich in doppelter Hinsicht ein völlig falsches Signal an die Öffentlichkeit: Zum einen werden alle Glaubens- und Weltanschauungsgemein- schaften in den pauschalen Generalverdacht gestellt, et- was mit Terroristen zu tun zu haben. Da die Aufhebung in eine Zeit fällt, in der das Misstrauen gegenüber moslemi- schen Gläubigen besonders groß ist, erweckt die Strei- chung den Eindruck, das Misstrauen sei berechtigt und der Islam stelle ein geradezu mörderisches Glaubensbe- kenntnis dar. Notwendig ist unseres Erachtens genau das gegenteilige Signal: Menschen aller Glaubensbekennt- nisse oder auch ohne Religionszugehörigkeit eint der Wunsch nach Frieden und Gerechtigkeit. Das Gesetz ist in Windeseile durch das Parlament ge- bracht worden. Ein ausführlicher Dialog mit den Bürger- rechtsorganisationen hat nicht stattgefunden. 16 Organisa- tionen haben in einer Erklärung die Streichung des Religionsprivilegs kritisch erwähnt. Mit ihnen und anderen Verbänden hat die Politik die Debatte nicht geführt. Im Ge- genteil: Hals über Kopf wurde noch schnell eine Sondersit- zung des Innenausschusses anberaumt, um das Gesetz heute abschließend im Plenum behandeln zu können. Ein solches EilverfahrenwirddemkompliziertenProblemnichtgerecht. Uns ist auch die Notwendigkeit des ganzen Vorhabens nicht deutlich. Das Bundesverwaltungsgericht hat schon 1971 entschieden, dass auch eine Religionsgemeinschaft unter Umständen dem Verbot und der Auflösung nach Art. 9 Abs. 2 GG unterliegt – BVerwGE 37, 344! Das OLG Düs- seldorf hat im Verfahren gegen den „Kalifen von Köln“ Metin Kaplan, keinen Anlass gesehen, die Schutzgarantie des § 2 Abs. 2 Nr. 3 VereinsG zu kritisieren, sondern hat viel- mehr die allgemeine Untätigkeit der Behörden angepran- gert. Auch in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der PDS kann die Bundesregierung keinen einzigen Fall aufführen, in dem bisher das Verbot einer Religionsgemeinschaft am Religionsprivileg gescheitert wäre. Es wird immer pauschal behauptet, nach der gegenwärtigen Rechtslage könnte man eine verfassungsfeindliche Organisation nicht verbieten, wenn diese sich als Religionsgemeinschaft tarne. Nur: Ei- nen konkreten Fall, in der tatsächlich das Verbot versucht worden, aber wegen des Religionsprivilegs gescheitert wäre, kann die Bundesregierung nicht benennen. Problematisch wird die Frage auch dann, wenn man die Streichung des Religionsprivilegs in Verbindung mit den schon jetzt scharfen und durch den gerade eingebrachten Entwurf eines Terrorismusbekämpfungsgesetzes noch verschärften Bestimmungen über die Ausländervereine in § 14 Abs. 1 des Vereinsgesetzes sieht. Wenn also zum Bei- spiel eine Religionsgemeinschaft als Ausländerverein gilt, kann sie künftig verboten werden, weil ihre Tätigkeit „sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland“ beeinträchtige. Das stellt zumindest eine Beeinträchtigung des grundgesetzlich garantierten An- spruchs auf Freiheit der Religionsausübung und des Zu- sammenschlusses zu Religionsgemeinschaften dar. Dies hat auch die Bundesregierung zugegeben. In ihrer Ant- wort auf unsere Kleine Anfrage heißt es: „Das Verbot ei- ner als Ausländerverein geltenden Religions- oder Welt- anschauungsgemeinschaft berührt prinzipiell die in Art. 4 des Grundgesetzes gewährleisteten Grundrechte.“ Vor diesem Hintergrund haben wir abgewogen: Das of- fiziell verkündete Ziel der Gesetzesänderung ist es, gegen Vereinigungen vorgehen zu können, deren Zwecke oder Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedan- ken der Völkerverständigung richten. Ist die Streichung des Religionsprivilegs zur Erreichung dieses Zieles erfor- derlich, geeignet und verhältnismäßig? Aus den oben ge- nannten Gründen müssen wir diese Frage verneinen. Des- halb lehnen wir die Änderung des Vereinsgesetzes ab. Anlage 3 Zu Protokoll gegeben Rede zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Bestimmung der Schwankungsreserve in der Rentenversiche- rung der Arbeiter und Angestellten – Beratung des Antrags: Keine systemwidrigen Eingriffe bei der Schwankungsreserve (Zusatztagesordnungspunkte 13 und 14) Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Was die Regierungskoalition Ihnen heute vor- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119582 (C) (D) (A) (B) schlägt, ist nichts, was wir uns je gewünscht hätten. Der Vorschlag, der auf dem Tisch liegt, ist die Entscheidung in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation. Deshalb ist für uns die Frage der Lohnnebenkosten, die uns seit Be- ginn der Legislaturperiode beschäftigt, noch einmal mehr in den Vordergrund gerückt. Deswegen greifen wir zu ei- nem Mittel, das auch wir für problematisch halten. Wir haben deshalb die Veränderung der Schwankungs- reserve nicht einfach vornehmen wollen, sondern wollen sie gesetzlich so regeln, dass die Zahlungsfähigkeit der Rentenversicherer auf jeden Fall gewährleistet wird. Jetzt bleibt die Frage: Wie weit ist diese Absenkung nun zu vertreten? In der Vorlage steht die Zahl 0,8. Das hieße ein Beitragssatz von mehr als 19 Prozent. Ich sage hier für meine Fraktion: Wir möchten die Anhörungen nutzen, um zu klären, inwieweit eine Absenkung auch auf 0,75 Monatsausgaben möglich ist. Bert Rürup, ein Sach- verständiger, hat vorgerechnet, dass dies möglich sei. Ge- rade wirtschaftspolitisch halten wir das Signal, das mit den daraus resultierenden 19 Prozent, also der Absenkung verbunden ist, für zentral wichtig. Eines bleibt ab- schließend festzustellen: Wir tun hier etwas, bei dem wir davon ausgehen, dass es verantwortungsvoll ist. Wir tun das hier offen, im Parlament und vor der Öffentlichkeit. Das ist wichtig, weil wir es uns mit dieser Entscheidung nicht leicht machen, aber weil wir auf der anderen Seite nicht zulassen wollen, die Lohnnebenkosten ansteigen zu lassen, wenn es eine andere vertretbare Möglichkeit gibt. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Errichtung eines Ein- heits- und Freiheitsdenkmals auf der Berliner Schlossfreiheit (Tagesordnungspunkt 21) Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der vorliegende Antrag fordert den Bundestag auf, ein Denkmal zur Erinnerung an die friedliche Revolution in der DDR und den Mauerfall zu errichten. Keine Frage, diese einzigartigen historischen Ereignisse verdienen es, verewigt zu werden. Grundsätzlich halte ich viel davon, Geschichte in Form von Kunst verstehbar und zum An- fassen festzuhalten. Ganz besonders schätze ich so etwas im öffentlichen Raum. Allerdings halte ich diesen Antrag vor allem auch hinsichtlich des vorgeschlagenen Ortes für äußerst ungünstig und dazu auch für verfrüht. Zum einen geht es um den Standort des Denkmals. Wie die meisten von Ihnen sicher wissen, liegt mir eine gelun- gene Gestaltung des Berliner Schlossplatzes sehr am Her- zen. Wie die Ausstellungen in Berlin Mitte zu diesem Thema belegen, gibt es schon jetzt eine große Anzahl von kreativen Vorschlägen, wenn man sich auch über ästheti- sche Aspekte und Durchführbarkeit der einzelnen Pro- jekte streiten kann. Die Berliner Schlossfreiheit sollte je- denfalls jetzt noch nicht verplant werden, weil das Konzept des ganzen Platzes noch gar nicht entschieden ist. Die Diskussion um den Wiederaufbau des Schlosses ist schon kontrovers genug, wir sollten sie nicht noch durch zusätzliche Planungen im Vorhinein beeinträchti- gen. Es ist höchstens denkbar, dass ein solches Denkmal, wenn es denn eines geben sollte, in die Pläne zu einer Neugestaltung des Platzes mit einbezogen werden könnte. Dazu wäre aber eine Neuformulierung des Antrages not- wendig. Ganz abgesehen davon ist es auch nicht Sache des Bun- des allein, diese Frage zu entscheiden. Denn der geplante Standort des Denkmals gehört der Stadt Berlin – anders als das Gelände des Palasts der Republik. In der Diskussion um diesen Antrag sind Stimmen laut geworden, die der Meinung sind, dass es zu früh ist, der deutschen Einheit ein Denkmal zu setzen. Auch ich denke, es gibt ganz offensichtlich Anzeichen dafür, dass die innere Einheit noch lange nicht vollzogen ist. Nicht zuletzt die Berliner Wahl vor einigen Wochen, bei der die Zugehörigkeit zu Ost oder West stark instrumentalisiert wurde, hat gezeigt, wie weit wir noch entfernt sind von ei- nem innerlich vereinigten Deutschland. Wir sollten dieses Vorhaben späteren Generationen überlassen, die hoffent- lich über unsere gegenwärtigen oft schweren Gedanken zum Thema Einheit und auch zum Thema Freiheit nur noch ein Lächeln übrig haben werden. Wir schließen uns aus diesen Gründen dem Votum des Kulturausschusses an und lehnen den Gruppenantrag ab. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Finanzierungssicher- heit für den Bundesfernstraßenbau über das Jahr 2002 hinaus (Tagesordnungspunkt 24) Reinhard Weis (Stendal) (SPD): Das ist ja wirklich ein toller Antrag, über den wir jetzt eine halbe Stunde lang beraten sollen. Für die Formulierung dieses Satzes hat ei- ner wirklich viel Gehirnschmalz aufgewendet: „Für die Länder ... soll über das Jahresende 2002 hinaus eine pla- nerische Sicherheit ... sichergestellt werden“. Dies ist nicht der Kern des Antrages, dies ist der Antrag. Da ist man ja wirklich sehr beeindruckt. Beeindruckend daran ist insbesondere, wie wenig die CDU/CSU-Fraktion zur Kenntnis nehmen will, was diese Bundesregierung seit 1998 zur Herstellung von Planungssicherheit und zur Fi- nanzierung von Verkehrsinfrastrukturen des Bundes be- reits geleistet hat und weiter leisten wird. In Sachen Verkehrsinfrastruktur braucht sich die rot- grüne-Koalitionsregierung nun wirklich keine Vorwürfe machen zu lassen. Wir haben die Verkehrsinvestitionen auf Rekordhöhe gebracht und haben die Absicht, sie dort zu halten. Allein für die Investitionen in die Bundesfern- straßen sind im Jahr 2002 10,8 Milliarden DM geplant. Wir haben uns damit definitiv von der Politik der Vorgän- gerregierung verabschiedet, die die Verkehrsinvestitionen im Wesentlichen als Sparkasse der Nation betrachtet hatte. Jedenfalls hatte sie die Verkehrsinvestitionen konti- nuierlich heruntergefahren bis zum Jahre 1998. Wir haben das geändert. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 19583 (C) (D) (A) (B) Mit unserem Infrastrukturprogramm „Investitionspro- gramm 1999 bis 2002“, mit dem Anti-Stau-Programm 2003 bis 2007 und dem Zukunftsinvestitionsprogramm 2001 bis 2003 hat die rotgrüne Bundesregierung Sicher- heit über ein Investitionsvolumen von mehr als 83 Milli- arden DM geschaffen. Wir haben damit die notwendige Kontinuität des Planungs- und Investitionsgeschehens in den kommenden Jahren sichergestellt. Das gilt auch für die Jahre nach 2002; denn die in unseren Programmen enthaltenen Projekte werden die so genannten Investi- tionsschleppen nach sich ziehen, sodass niemand einen plötzlichen Abbruch der Mittel befürchten muss. Aber um diese Befürchtung geht es der CDU/CSU ja gar nicht. Vielmehr soll irgendwie der Eindruck erweckt werden, wir täten nichts für den Straßenbau. Der Schie- nenwegeausbau ist ihr ja sowieso ganz egal. Dazu möchte ich feststellen: Uns geht es um den Auf- bau einer gesamten und integrierten Verkehrsinfrastruk- tur. Wir wollen den Güterschienenverkehr bis zum Jahre 2015 verdoppeln und sind deshalb bereit, zusätzlich 6 Milliarden DM in die Schieneninfrastruktur zu investie- ren, um das Netz in die Lage zu versetzen, dieses Ver- kehrswachstum auch aufnehmen zu können. Ich darf versichern: Diese Kraftanstrengung machen wir nicht, weil wir ein romantisches Verhältnis zur DB AG haben. Das Ziel des Schienenausbaus ist rein rational. Vor dem Hintergrund der EU-Osterweiterung und der Tatsa- che, dass Deutschland das am stärksten belastete Transit- land in ganz Europa ist, haben wir überhaupt keine andere Wahl, als möglichst hohe Anteile des Güterverkehrs auf die Schiene zu verlagern. Wir müssen also die Bahn in die Lage versetzen, ihre verkehrspolitisch notwendige Rolle auch wirklich wahrzunehmen. Ich verrate nichts Neues, wenn ich hier feststelle, dass meine Fraktion auch an ganz neuen Lösungen arbeitet, wie zusätzliches privates Kapital für Verkehrsinvestitio- nen mobilisiert werden kann. Dabei überlegen wir, den Anwendungsbereich des Fernstraßenbauprivatfinanzie- rungsgesetzes zu erweitern. Wir wissen auch, dass hier noch sehr sorgfältig überlegt werden muss, welche Rah- menbedingungen notwendig sind, um dieses Gesetz hand- habbarer zu machen. A und O ist schließlich die Risiko- abgrenzung zwischen dem öffentlichen und dem privaten Bereich. Hier darf man nichts übers Knie brechen. Wir werden noch in dieser Legislaturperiode den Ge- setzentwurf zur Errichtung einer Verkehrsinfrastruktur- finanzierungsgesellschaft verabschieden und werden auch sehr sorgfältig prüfen, in welchem Umfang privat- wirtschaftliche Betreibermodelle für den sechsstreifigen Autobahnausbau möglich sind. Zu diesem Punkt wird die Parlamentarische Staatssekretärin Mertens gleich weitere Erläuterungen geben. Es gibt für die Endzeitstimmung, wie sie in diesem An- trag niedergelegt worden ist, keinerlei Anlass. Hinter dem Jahr 2002 sollte Sie – auch die Sächsische Landesregie- rung – kein großes schwarzes Loch erwarten, sondern die Fortsetzung unserer Infrastrukturpolitik auf hohem finan- ziellen Niveau. Die Arbeiten am Bundesverkehrswegeplan gehen zü- gig voran. Mit der Einführung der Lkw-Maut gewinnen wir neue Investitionsspielräume. Und schließlich betreten wir im Bereich der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung mit mutigen Schritten Neuland. Dies geschieht mit dem Ziel, in den nächsten Jahren weiterhin zügig an einer Verbesse- rung der Verkehrsinfrastruktur zu arbeiten. Die Kon- tinuität der Verkehrsinvestition hat aber nicht nur diese verkehrswirtschaftliche Seite. Darüber hinaus ist sie un- schätzbar wichtig für die Sicherheit aller hier betroffenen Arbeitsplätze. Renate Blank (CDU/CSU): Finanzierungssicherheit und Planungssicherheit sind wichtige Bestandteile für den Bundesfernstraßenbau in Deutschland. Nachdem die Bundesregierung weder bereit noch dazu in der Lage ist, noch in dieser Legislaturperiode dem Parlament einen neuen Fünfjahresplan für den Ausbau der Bundesfern- straßen zur Kenntnis zu bringen und die Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplans vorzunehmen, mahnen wir ein Gesamtkonzept an, ja fordern dieses Gesamtkon- zept, damit die Bundesländer, die im Rahmen der Bun- desauftragsverwaltung für den Aus- und Neubau der Bun- desfernstraßen tätig werden, Planungssicherheit erhalten. Es müsste doch mittlerweile auch der Bundesregierung bekannt sein, dass es absolut nichts nützt, ständig neue Programme oder Maßnahmenpakete vorzulegen, die erst – wenn überhaupt – nach 2003 eventuell in Angriff ge- nommen werden sollen. Jetzt ist die Stunde der Wahrheit, das heißt, die Bundesregierung mit der Regierungs- koalition muss endlich mehr Geld für den Straßenbau zur Verfügung stellen und konkret darlegen, wie sie sich die künftige Finanzierung des dringend erforderlichen Stra- ßenbaus vorstellt. Bisher glänzt die Regierung nur mit Verwirrspielen, ei- gentlich ist das Ganze ein Trauerspiel! Oder halten Sie uns für so dumm, dass wir ihre taktischen Mätzchen der vie- len Programme nicht durchschauen? Sinnlose Mitarbei- terbeschäftigung könnte man das auch nennen. Sie wollen doch nur davon ablenken, dass für den Straßenbau zu we- nig Geld zur Verfügung steht, und sich mit all den Ver- wirrspielen nur über die Bundestagswahl 2002 hinweg- retten. Das Investitionsprogramm, das Ende 2002 ausläuft, wurde vom ersten Verkehrsminister der Regierung Schröder vorgestellt – er hieß Müntefering. Dieses Pro- gramm sollte laut Minister Planungssicherheit bringen. Bei der seinerzeitigen Vorlage war aber schon klar, dass mit diesem Programm nur die zu unserer Regierungszeit bereits begonnenen Maßnahmen fortgeführt werden bzw. Maßnahmen anfinanziert und dann weit über die Zeit nach 2002 geschoben werden. Alle Maßnahmen abzuar- beiten, die im Investitionsprogramm enthalten sind, dau- ert bis weit in das Jahr 2010. Das Anti-Stau-Programm, das frühestens 2003 begin- nen kann, wurde uns vom zweiten Verkehrsminister der Regierung Schröder vorgestellt – er hieß Klimmt. Dieses Programm war bei der Verkündung eine reine Wahl- kampfhilfe für Nordrhein-Westfalen. Die Mittel für dieses Programm hängen natürlich von der Höhe der strecken- bezogenen LKW-Maut ab und der Finanzminister hat auch schon seinen Anspruch auf einen Teil der künftigen Einnahmen angemeldet. Was dann für den Straßenbau, die Schiene und die Wasserstraße noch übrig bleibt, steht in den Sternen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119584 (C) (D) (A) (B) Das Zukunftsinvestitionsprogramm, das Ende 2003 ausläuft, wurde uns vom dritten Verkehrsminister der Re- gierung Schröder vorgestellt – er heißt Bodewig. Jeder Minister ein Programm! Zur Erinnerung: Die Mittel für dieses Programm kamen aus den Erlösen der UMTS-Li- zenzen. Die Vorleistungen für diese Möglichkeit der Ein- nahme wurden – daran muss man immer erinnern – von der CDU/CSU erbracht. Damals haben die Ministerpräsi- denten Eichel und Schröder der Liberalisierung des Tele- kommunikationsmarktes nicht zugestimmt; heute nimmt man die Einnahmen sehr gerne und selbstverständlich an. Das Zukunftsinvestitionsprogramm bringt 2,7 Milliarden DM zusätzlich für den Straßenbau. Das gleicht natürlich die Kürzungen von 4,9 Milliarden DM, die sie gegenüber unserer mittelfristigen Finanzplanung bis 2002 vorge- nommen haben, nicht aus. Jetzt überrascht uns der Verkehrsminister mit einem weiteren Programm, das jetzt allerdings als Maßnahmen- paket „Bauen jetzt – Investitionen beschleunigen“ be- zeichnet wird. Ein weiteres Verwirrspiel! Ein Teil der Mittel für dieses Maßnahmenpaket kommt aus der Um- schichtung von rund 800 Millionen DM von Schienen- mitteln zum Straßenbau. Die Grünen müssten eigentlich aufheulen, dass Gelder von der Schiene, aus welchen Gründen auch immer, zum Straßenbau wandern. Was ist aus der ehemaligen Protestpartei geworden? Ein zahmes Schoßhündchen. Die Mittel fließen ja nur deshalb dem Straßenbau zu, da bei der Bahn Planungskapazitäten, die abgebaut wurden, fehlen. Man versucht jetzt, Ingenieure zu finden. Vielleicht sollte man einmal überlegen, ob nicht private Planungsbüros, die noch Kapazitäten frei haben, Aufgaben übernehmen können. Nachdem die Bahn die jetzt von der Schiene zur Straße gewanderten Millionen in den Jahren 2003/2004 wieder zurück haben möchte – dies wurde auch versprochen –, werden die Mittel zu diesem Zeitpunkt dann dem notwendigen Straßenbau fehlen. Übrigens hat der Minister noch vor drei Wochen im Ausschuss darauf bestanden, dass es keine weiteren pri- vaten Konzessionsmodelle geben wird. Mit seinem neuen Maßnahmenpaket zauberte er kurz danach zehn Betrei- bermodelle aus dem Hut. Finanziert werden sollen die Maßnahmen teilweise aus den Nettoeinnahmen der LKW-Maut ab dem Jahre 2003. Hier wird das fragwürdige Anti-Stau-Programm noch einmal neu verkauft, obwohl nicht einmal klar ist, was unter den weiterzuleitenden Maut-Nettoeinnahmen ver- standen wird. Eine Beschleunigung dringend benötigter Ausbaumaßnahmen ist selbstverständlich zu begrüßen. Hierfür brauchen wir aber eine solide Finanzierungs- grundlage und keine Investitionsakrobatik á la Bodewig. Im neuen Maßnahmenpaket fehlt wieder die hochbelas- tete A 3, auf der sich vor allem zwischen Aschaffenburg und Nürnberg täglich der Verkehr staut. Dass die A 3 im Katalog des Bundesverkehrsministers fehlt, ist nicht wei- ter verwunderlich, denn wieder einmal hat Bodewig selbstherrlich entschieden, wo gebaut werden soll. Die Länder wurden vor vollendete Tatsachen gestellt. Alle drei Programme und das Maßnahmenpaket dienen der Verwirrung. Mehr Geld für den Straßenbau steht nicht zur Verfügung. Im Gegenteil: Projekte werden verzögert und neue baureife Maßnahmen können nicht begonnen werden. Noch vor vier Jahren hat die Länderverkehrsmi- nisterkonferenz beklagt, dass jährlich 4 Milliarden DM zusätzliche Mittel für den Straßenbau nötig wären; mitt- lerweile hat die Länderverkehrsministerkonferenz ein- stimmig festgestellt, dass nun jährlich 7 Milliarden DM mehr zur Verfügung stehen müssten, um den Aus- und Neubau von Bundesfernstraßen zu realisieren und not- wendige Erhaltungsmaßnahmen auszuführen. Wenn der Bundesverkehrsminister fehlende Planungs- kapazitäten beklagt, so trifft dies keinesfalls auf den Frei- staat Bayern zu. Hier fehlt es nicht an Planungskapazitä- ten, aber an den Mitteln, die der Bund nur unzureichend zur Verfügung stellt. Schließlich gibt es in Bayern bau- reife Projekte mit einem Gesamtvolumen in Höhe von 1 Milliarde DM. Auch im Freistaat Sachsen und in Baden-Württemberg gibt es eine Vielzahl von Projekten, die mangels Bundesmitteln nicht in Angriff genommen werden können. Wann kommt die Bundesregierung endlich zu den Grundsätzen „Wahrheit und Klarheit“ im Verkehrs- bereich? Wann wird endlich begriffen, dass leistungs- fähige Verkehrswege die Grundvoraussetzung für ein Ver- kehrssystem sind, das in der Lage sein muss, auch künftige Verkehrszuwächse reibungslos, sicher und um- weltschonend zu bewältigen. Für den Standort Deutsch- land mit seiner Lage in der Mitte Europas ist eine leistungsfähige Infrastruktur unabdingbar. Investitionen im Umfang von 1 Milliarde DM schaffen bzw. erhalten 10 000 bis 12 000 Arbeitsplätze. Verkehrspolitik ist auch Standortpolitik, auch wenn dies viele nicht wahrhaben wollen, insbesondere die Grü- nen. Durch Staus entsteht volkswirtschaftlicher Schaden, seriöse Angaben beziffern diesen Schaden auf rund 2 Pro- zent unseres Bruttosozialprodukts, vom Schaden für die Umwelt durch Staus ganz zu schweigen. Herr Minister, hören Sie endlich mit den Verwirrspie- len auf, legen Sie keine weiteren Programme bzw. Maß- nahmenpakete, sondern ein Gesamtkonzept mit der not- wendigen Finanzierungs- und Planungssicherheit für den Bundesfernstraßenbau über das Jahr 2002 hinaus vor. Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem vorliegenden Antrag setzt die CDU/CSU den Versuch fort, von ihren eigenen alten Feh- lern abzulenken. Sie unternimmt einen erneuten Versuch, den Eindruck zu erwecken, dass die Bundesregierung es an Aktivitäten für ein modernes und leistungsfähiges Ver- kehrssystem fehlen lasse. Sie wissen, dass das Gegenteil richtig ist. Ich möchte nur wenige Eckdaten in Erinnerung rufen: Der Bundesverkehrswegeplan war bei Regierungsüber- nahme allein im vordringlichen Bedarf mit über 100 Mil- liarden DM unterfinanziert. Die Schienenbauinvestitionen sind rutschbahnartig nach unten gefahren worden. Das vorhandene Infrastrukturnetz ist auf Verschleiß betrieben worden, heute haben wir es mit maroden Brücken, Straßen, Wasserwegen und Schienen zu tun. Mit verantwortungs- voller Politik hat dies nichts zu tun. Das Motiv Ihres An- trags ist leicht erkennbar, der Inhalt ohne Substanz. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 19585 (C) (D) (A) (B) Es ist die rot-grüne Bundesregierung, die eine Zielde- finition und Systematik in die deutsche Verkehrspolitik gebracht hat, wie wir sie zuvor nicht gehabt haben. Dazu gehört an erster Stelle eine neue Ehrlichkeit in der Fi- nanzplanung. Die Zeiten überteuerter und verkehrspoli- tisch unsinniger Prestigeprojekte sind vorbei. So wird zum Beispiel statt Transrapid die ICE-Strecke zwischen Berlin und Hamburg beschleunigt ausgebaut. Die jahr- zehntelange einseitige Bevorzugung des Verkehrsträgers Straße ist vorbei. Ein modernes Verkehrssystem kann sich, unter anderem auch aus umweltpolitischen Gründen, nicht auf dem Neubau von Autobahnen gründen. Wir ha- ben diese Einsicht auch in die Realität umgesetzt. Die Schiene wird mit Milliardenaufwand runderneuert, die Schienenbaumittel haben wir um 50 Prozent erhöht, trotz Haushaltssanierung und Steuersenkung. Ein klares, wenn auch hart erkämpftes Bekenntnis zur Schiene. Mit dem Investitionsprogramm 1999 bis 2002 haben wir Planungssicherheit hergestellt, mit dem Verkehrs- bericht 2000 eine Bestandsaufnahme und Diskus- sionsgrundlage vorgelegt und mit der Einsetzung der Pällmann-Kommission das Thema Infrastrukturfinanzie- rung auf die Tagesordnung gesetzt und Konsequenzen da- raus gezogen. Kurzum: Was die Opposition mit ihrem Antrag bewir- ken möchte, ist längst auf den Weg gebracht worden und zwar mit Resultaten. Die von Ihnen im Antrag geforderte Nutzerfinanzie- rung, für die wir Grüne schon lange eingetreten sind, kommt. Ab 2003 werden schwere Lkws auf den Autobah- nen für die von ihnen verursachten Straßenschäden zur Kasse gebeten: Das Mautgesetz sieht vor, dass je nach Gewicht und Schadstoffklasse durchschnittlich bis zu 37 Pfennige pro gefahrenem Kilometer zu bezahlen sind, bis zu 20-mal mehr als bisher durch die Jahresgebühr. Das wird Güterverkehr von der Straße auf die Schiene ver- lagern. Die viel diskutierte Ökosteuer zeigt ökologische Len- kungswirkung: Nach Jahrzehnten des Anstiegs liegt der Benzinverbrauch und damit der CO2-Ausstoß auf Deutschlands Straßen heute, im 1. Halbjahr 2001, erst- mals niedriger als vor zwei Jahren – um 12 Prozent! Der Straßenverkehr entwickelt sich im Klimaschutz vom Pro- blemkind beinahe zum Musterknaben. Grund: Es wird weniger und sparsamer Auto gefahren. Die Schiene profi- tiert davon: Der Bahnverkehr wächst jährlich um rund 3 Prozent. Im Güterverkehr wurde im Jahr 2000 sogar 13 Prozent mehr Fracht auf der Schiene transportiert als im Vorjahr. Insgesamt kann meine Fraktion damit nur zu dem Schluss kommen, den Antrag von CDU/CSU abzuleh- nen. Sie fordern ein „Konzept für eine zukunftsorientierte Gestaltung der Verkehrsinfrastrukturinvestitionen“. Wir sind mittendrin. Wir modernisieren die vorhandenen Netze aller Verkehrsträger, fördern die Verknüpfung und folgen gerade als Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dabei einer Systematik aus Umweltverträglichkeit, Chancen- gleichheit und Kostenwahrheit. Der Einstieg in die er- wähnte LKW-Maut und die Einnahmenverwendung zu gleichen Teilen für Schiene und Wasserstraße sowie für Straße ist ein Meilenstein in der Gestaltung der Ver- kehrswegefinanzierung. Die unabhängigen Fachleute und Umweltverbände haben ihre Unterstützung in der Ausschussanhörung am vergangenen Mittwoch deutlich gemacht. Zusammen mit den genannten Punkten werden wir im Transitland Deutschland für ein umweltfreundliches und leistungsfähiges Verkehrssystem sorgen. Bis 2015 wollen wir den Güterverkehr auf der Schiene mindestens ver- doppeln. Mit dem gewählten System der elektronischen Erhebung stellt sich Deutschland an die europäische Spitze. Niemand wird mehr von Grenze zu Grenze rau- schen und dabei nur Abgase und kaputte Straßen hinter- lassen können. Diese Bundesregierung legt nicht nur Konzepte vor, sondern handelt. Für einen umweltfreundlichen Kurs werden wir Grüne weiterhin engagiert eintreten. Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): In einem hat der Antrag der Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU aus Sachsen Recht: Wir brauchen baldmöglichst Finanzie- rungssicherheit für den Bundesfernstraßenbau über das Jahr 2002 hinaus. Dazu ist allerdings mehr notwendig als die Betrachtung der Dinge ausschließlich aus der Sicht des Bundeslandes Sachsen. Unabhängig davon, dass im bestehenden Investitions- programm ab dem Jahre 2003 für Investitionen in Sach- sen knapp 613 Millionen DM zur Verfügung stehen, aus dem Zukunftsinvestitionsprogramm bis zu diesem Zeitpunkt nochmals insgesamt 150 Millionen DM und auch das Anti-Stau-Programm – so es denn rechtzeitig kommt – für die A 38 224 Millionen DM vorsieht, ist das eigentliche Problem der Finanzierungssicherheit aus un- serer Sicht nur zu lösen, wenn tatsächlich die Umstellung der Finanzierung von der jetzigen Staatsfinanzierung auf eine echte Nutzerfinanzierung möglich ist. Einen ersten Probelauf werden wir dabei bei der Beratung des Geset- zes für eine Maut für LKW im Verkehrsausschuss wahr- scheinlich am 12. Dezember haben. Den Kollegen sei angeraten, in diesem Sinne kon- struktiv eine gesamtstaatliche Lösung anzustreben; denn die Betroffenheit, die jetzt von Sachsen vorgelegt wird, gilt für alle neuen Bundesländer und für alle alten Bun- desländer genauso. In diesem Zusammenhang appelliere ich deshalb an die gesamtstaatliche Verantwortung und nicht an Einzelinteressen von Bundesländern. Im Übrigen sei darauf verwiesen, dass über das Ende des Jahres 2002 hinaus selbstverständlich in der mittel- fristigen Finanzplanung, die von jedem Finanzminister vorzulegen ist, auch die vorsorglichen Planungen für die Verkehrsdotierung für das Land Sachsen vorgenommen worden sind. Es wäre besser gewesen, diesen Antrag vor der Ein- bringung in den Deutschen Bundestag mit den Fachkolle- gen der Union im Verkehrsausschuss inhaltlich bespro- chen zu haben. Dann wäre vielleicht im Ergebnis ein besserer Antrag herausgekommen. So, wie er jetzt vor- liegt, müssen wir als Liberale den Antrag ablehnen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119586 (C) (D) (A) (B) Dr. Winfried Wolf (PDS): Die Antragsteller fordern Finanzsicherheit für eine Reihe geplanter Straßenbauvor- haben in Sachsen über das Jahr 2003 hinaus. Sie wün- schen sich für die örtlichen Planungsbehörden Planungs- sicherheit für eine Reihe von Verkehrsbauten. Grund für ihr in dieser spezifischen Form als Bundestagsantrag un- gewöhnliches Anliegen ist der Bundesverkehrswegeplan, der sich noch in der Überarbeitung befindet. Wir können dem Antrag nicht zustimmen. Der ent- scheidende Grund dafür lautet: Die hier genanten Projekte sind ökologisch höchst fragwürdig, verkehrlich unsinnig und für die regionale Wirtschaft eher schädlich. Schauen wir uns die einzelnen Projekte, um die es den Antragstel- lern im Einzelnen geht, genauer an: Bei der Bundesauto- bahn A 38 handelt es sich offenbar um eine überdimen- sionierte südliche Umgehung von Leipzig, die den Autobahnring um die Messestadt schließen würde. Der Anbindung und Entlastung der südlichen Stadt nützlicher wäre eine Gemeinde- oder Bundesstraße mit Kreuzungen und Kreisverkehren. Die wiederkehrende Behauptung, Autobahnringe um Großstädte brächten eine Entlastung vom innerstädtischen Verkehr, wurde vielerorts widerlegt. Überflüssig ist die Bundesautobahn A 72 Chemnitz– Leipzig. Die Sanierung der vorhandenen parallelen Bun- desstraße B 95 genügt völlig und ist für die heimische Wirtschaft von größerem Nutzen als eine Bundesauto- bahn. Auch die gewünschten Bauvorhaben im Zittauer Raum B 96 und B 178 sollten bezüglich der Größenordnung der Planungen auf ihre Sinnhaftigkeit überprüft werden. Es sei den Antragstellern ins Stammbuch geschrieben: Nicht jedes Straßenbauprojekt bringt den versprochenen Nutzen. Nicht jedes Straßenbauvorhaben hält das Ver- sprechen, diejenige „Goldene Gans“ zu werden, die in die Projektbegründungen hineingeschrieben worden ist. Es sei nur an die erneuerte Bundesautobahn A 4 Dres- den–Görlitz erinnert. Um einige Orte vom Durchgangs- verkehr zu entlasten, hätten es ein paar Ortsumgehungen getan. Ein Jahr nach der Eröffnung zur „belebenden Wir- kung für die Wirtschaft“ befragt, musste die Landesregie- rung ernüchternd antworten, größeres Gewerbe habe sich wegen der Autobahn nicht angesiedelt. Belebt wurden die Aktivitäten osteuropäischer Fuhrunternehmer: Für sie bieten sich jetzt schnellere Verbindungen in den mittel- deutschen Markt. Sie bieten den heimischen Fuhrunter- nehmern heutzutage die oft beklagte schärfere Konkur- renz. Die genannten Vorhaben benötigen nicht mehr Pla- nungssicherheit, sondern bedürfen dringend einer sorg- fältigen Überprüfung der Planungsgrundlagen, wie im Übrigen diverse andere Straßenprojekte, die für den Bun- desverkehrswegeplan vorgesehen sind. Finanzielle Ver- bindlichkeitserklärungen, wie sie die Antragsteller an- mahnen, sind da eher kontraproduktiv. Die PDS muss das Ansinnen der Antragsteller ablehnen. Mehr Verkehr auf der Schiene ist eine Forderung der offiziellen Verkehrspolitik des Bundes. Hierfür müssen Schienenwege für den regionalen Personen- und Güter- verkehr erhalten und ausgebaut werden. Das Land Sach- sen unterstützt dieses Anliegen, indem es regionale Bahn- strecken im Umfang von 800 km, die die DB Netz AG zur Stilllegung vorsieht, übernehmen, sanieren und weiterbe- treiben will. Gerade hier aber wären mehr Planungssi- cherheit und eine langfristige Bindung erforderlich. Hier sollten die Antragsteller den Bund fordern. Dass sie es nicht tun, ist ein weiteres Beispiel für die Einseitigkeit dieses Antrags. Angelika Mertens, Parlamentarische Staatssekretä- rin beim Bundesminister für Verkehr, Bau- und Woh- nungswesen: Wer sich die Mühe macht, den Antrag der CDU/CSU im vorderen Teil zu lesen, der wird feststellen: Kein Verkehrspolitiker und keine Verkehrspolitikerin der CDU/CSU hat seinen bzw. ihren Namen dafür hergege- ben. Das macht eines vorweg schon deutlich: Bei aller politischen Auseinandersetzung werden im Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen fachpolitisch fun- dierte Positionen ausgetauscht: Und deshalb wissen Sie natürlich auch, dass dieser Antrag ins Leere läuft. Die Bundesregierung weiß, dass die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur zu den Schlüsselfragen der künfti- gen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung gehört. Das hat die Vorgängerregierung offensichtlich nicht erkannt: Wir haben bei unserem Amtsantritt im Herbst 1998 einen Verkehrswegeplan vorgefunden, der in erheblichem Maße unterfinanziert war. Daraus haben wir Konsequenzen gezogen: Zum einen haben wir uns umgehend an die Überprü- fung des Bundesverkehrswegeplans auf der Grundlage aktualisierter Prognosen und Bewertungskriterien ge- macht. Leitgedanke der Überarbeitung ist dabei eine rea- listische – das heißt auch finanzierbare Bedarfsplanung. Sie soll den wachsenden Mobilitätsansprüchen der Ge- sellschaft durch den Ausbau moderner Infrastrukturen gerecht werden und gleichzeitig die notwendige Instand- haltung der Verkehrswege sichern. In diesem Zusammenhang ist im Herbst 2000 dem Deutschen Bundestag der Verkehrsbericht 2000 vorgelegt worden, der einen Überblick über die Ziele und Inhalte ei- ner integrierten Verkehrspolitik sowie eine Reflexion über künftige Möglichkeiten zur Finanzierung der Verkehrsin- frastruktur bietet. Zum anderen setzen wir einen Schwerpunkt auf die Identifizierung und Konkretisierung neuer Wege der Ver- kehrsinfrastrukturfinanzierung angesichts der Leistungs- grenzen der klassischen Finanzierungsformen. So werden wir zusätzliche Einnahmen aus der Lkw-Maut in die Ver- kehrsinfrastruktur reinvestieren. Um Planungssicherheit zu schaffen und um den Ein- stieg in den Systemwechsel von der reinen Steuerfinan- zierung hin zu einer ergänzenden Finanzierung über Nut- zergebühren beim Lkw festzuschreiben, sollen die Einnahmen aus der Maut, aber auch die der deutschen Verfügung unterliegenden Abgaben der Bundeswasser- straßen in eine Finanzierungsgesellschaft für die Ver- kehrsinfrastruktur fließen. Damit schaffen wir nicht nur Fairness im Wettbewerb zwischen den Verkehrsträgern; das Geld fließt zudem zurück in die Infrastruktur bei Straße, Schiene und Wasserstraße. Genau das entspricht Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 19587 (C) (D) (A) (B) unserem Konzept einer integrierten Verkehrspolitik. Fi- nanzieren soll die Gesellschaft zunächst und vorrangig die Maßnahmen des Anti-Stau-Programms im Zeitraum von 2003 bis 2007 in einem Gesamtvolumen von rund 7,4 Milliarden DM. Wir liegen voll im Zeitplan und wer- den das Vorhaben noch in diesem Jahr beschließen und auf den Weg zur parlamentarischen Beratung bringen. Im Sinne eines dauerhaften Erhalts und Ausbaus einer modernen Verkehrsinfrastruktur hat die Bundesregierung zudem das Maßnahmenkonzept „Bauen jetzt – Investitio- nen beschleunigen“ vorgelegt, das die verstärkte Anwen- dung privater Betreibermodelle beim Ausbau von Auto- bahnen vorsieht. Realisierbar werden damit durch die Erschließung privaten Kapitals Investitionen in einer Höhe von etwa 7 Milliarden DM. Für zehn Betreibermo- dellprojekte mit einem Investitionsvolumen von 5,8 Mil- liarden DM ist die Machbarkeit geprüft worden bzw. wird die Prüfung derzeit noch durchgeführt. Die Arbeiten am BVWP sind mit Nachdruck im Gange. Die Finanzierungs- und Planungssicherheit der Infra- struktur ist gewährleistet: Eine stabile Überbrückung des Zeitraumes bis zum Vorliegen eines neuen BVWP und neuer Bedarfspläne im Jahr 2003 und damit die Sicher- stellung der geforderten Kontinuität von Planung, Bau und Finanzierung ist mit dem Investitionsprogramm, dem Anti-Stau-Programm und dem Zukunftsinvestitionspro- gramm gewährleistet. Allein im Bereich der Bundesfern- straßen werden zur Realisierung der genannten Pro- gramme ab dem kommenden Jahr noch weitere rund 32 Milliarden DM investiert. Damit ist das Investitions- geschehen – auch für die neuen Bundesländer – in den kommenden Jahren weitgehend festgelegt. Im Übrigen wird durch den neuen BVWP für weitere Maßnahmen die im Antrag geforderte Planungssicherheit geschaffen. Für Projekte, die bei absehbaren Finanzie- rungsmöglichkeiten ab 2007/08 in Bau gehen könnten, können die Planungen auf der Basis einer entsprechenden Einstufung im neuen BVWP und im neuen Bedarfsplan – eine positive Entscheidung des Bundestags vorausge- setzt – noch rechtzeitig aufgenommen bzw. intensiviert werden. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Gesetzentwürfe: Einführung und Verwendung eines Kennzeichens für Er- zeugnisse des ökologischen Landbaus (Öko- Kennzeichengesetz – ÖkoKennzG –) (Tagesord- nungspunkt 25) Gustav Herzog (SPD): Bereits am 26. September die- sen Jahres habe ich an dieser Stelle in der ersten Lesung zur „Einführung und Verwendung eines Kennzeichens für Erzeugnisse des ökologischen Sandbaus“ die wesentli- chen Argumente für die Notwendigkeit dieses Gesetzes dargelegt. Frau Bundesministerin Künast hat zu Beginn der Debatte ebenfalls noch einmal eingehend die guten Gründe hierfür erläutert. Dennoch geben mir die Beiträge der Opposition Grund zur Annahme, dass nach wie vor ein gerüttelt Maß an Un- kenntnis, Vorurteilen und ideologisch begründeter Ableh- nung die inhaltliche Diskussion um den Gesetzentwurf bestimmt. Schlimmer noch: es scheint, dass die Ableh- nung des Biosiegels herhalten muss für einen Generalan- griff auf den Ökolandbau und seine Produkte. Doch wirklich unsäglich, meine Damen und Herren von der Opposition, wird Ihr Vorgehen aufgrund der schi- zophrenen Haltung, die sich hier abzeichnet. Da wird auf der einen Seite vordergründig eine Lanze für die armen deutschen Ökobauern gebrochen, die sich nun unzumut- baren Wettbewerbsverzerrungen innerhalb Europas aus- gesetzt sehen müssen. Auf der anderen Seite sollte der ökologische Landbau besser gar nicht erst unterstützt werden, da es sich bei den Erzeugnissen, im Vergleich zu denen des konventionellen Anbaus, um gesundheits- schädliche, ja geradezu gefährliche Produkte handeln soll. Spätestens hier wird das Engagement für den ökologi- schen Landbau dann doch unglaubwürdig. Mit dieser Haltung treten Sie die Interessen einer im- mer größer werdenden Gruppe deutscher Landwirte mit Füßen. Das sind Betriebe, die erkannt haben, dass den Zeiten des „Wachsens oder Weichens“ Grenzen gesetzt sind und die Zukunft der landwirtschaftlichen Erzeugung in der Qualitäts- statt Massenproduktion liegt. Die BSE- Krise hat nicht nur den Verbrauchern die Augen geöffnet. Ich werde deshalb im Folgendem, wohl wissend, dass die ideologisch motivierten Ablehnungsmechanismen nur schwer aufzubrechen sind, doch noch mal auf Fragen ein- gehen, die im Zusammenhang mit dem Gesetz aufgetre- ten sind. Um nicht weiterhin dem „Ochsen ins Horn pet- zen“ zu müssen, wende ich mich heute mit meinen Ausführungen weniger an die Opposition als an diejeni- gen, die wirklich mit ernsthaftem Interesse zuhören. Zunächst einmal die vielleicht am häufigsten aufge- worfene Frage: Gefährdet die Einführung des gesetzli- chen Kennzeichens auf vergleichsweise niedrigem Ni- veau der EG-Ökoverordnung das hohe ökologische Niveau des deutschen Ökolandbaus? Warum die Entscheidung zugunsten des EG-Ökostan- dards gefällt wurde, hat unsere Frau Bundesministerin be- reits eindringlich erläutert. Dennoch möchte ich hierzu noch etwas ausführen. Meines Erachtens besteht die Gefahr des Niveau-Dum- pings für den deutschen Ökostandard nicht. Das neue Bio- siegel wird keines der bisher bekannten deutschen Öko- kennzeichen vom Etikett verdrängen. Produziert nach den Kriterien der AGÖL aber auch nach Bioland, Demeter oder einem anderen Anbauverband – mit diesen Merkma- len können die Produkte nach wie vor zusätzlich indivi- duell ausgezeichnet werden. Der Verbraucher soll ent- scheiden, welchen Produkten er den Vorzug geben will. Im Übrigen finden sich auch heute schon viele Waren im Naturkostfachhandel, die „nur“ nach den Kriterien der EG-Ökoverordnung produziert wurden. Weil die Branche weiß, dass nur so eine ausreichende Sortimentsbreite ge- währleistet werden kann, die den Handel mit Ökoproduk- ten erst wettbewerbsfähig macht. Bisher hat sich noch Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119588 (C) (D) (A) (B) keiner daran gestört. Den Enthusiasten unter den Öko- konsumenten bleibt es nach wie vor überlassen, ihre Ware nach den gewünschten Kriterien auszuwählen. Es zeigt sich übrigens, dass gerade die Anbauverbände, die sich im Vergleich zu Konkurrenzverbänden seit jeher durch eigene höher gesetzte Qualitätsstandards absetzen, die Befürchtung des Wettbewerbsnachteils nicht teilen. So ist sich zum Beispiel der Demeter-Verband seines Kundenstamms auch in Zukunft sicher. Der Demeter- Kunde weiß, warum er dieser Marke den Vorzug gibt. Hier wird mit der Kennzeichnung durch das Biosiegel eher mit einem zusätzlichen Kundenpotenzial gerechnet. In zahlreichen Gesprächen, die ich in der letzten Zeit mit unterschiedlichen Vertretern der Naturkostbranche geführt habe, wurde deutlich, dass der Schritt zur Ein- führung des staatlichen Biosiegels insgesamt positiv be- gleitet wird. Viele sehen hierin die richtige Maßnahme, um dem Ökolandbau und seinen Produkten raus aus der Nische zu helfen. Diese Äußerungen bestätigen mich darin, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Ich weise noch einmal darauf hin, dass die derzeit fest- gesetzten Kriterien der EG-Ökoverordnung auch noch nicht der Weisheit letzter Schluss sein sollen. Vielmehr muss es jetzt unser gemeinsames Bestreben sein, die EG- Verordnung kontinuierlich um strengere Kriterien zu er- weitern. Bezüglich dieses Punktes wird ja auch erfreuli- cherweise ein parteiübergreifendes Interesse deutlich. Eine weitere Frage, die hier in den letzten Wochen häu- fig diskutiert wurde, befasst sich mit der Qualität von Ökolebensmitteln. Die Opposition erwies sich im Ausfin- digmachen verschiedener Studien zum Thema als sehr emsig und führt in den Auseinandersetzungen auch immer wieder die eine oder andere Studie an. Hiernach sollen Ökoprodukte qualitativ schlechter bewertet, wenn nicht sogar als gesundheitsschädigend eingestuft worden sein. Dieser Eifer in allen Ehren, aber meines Wissens kommt keine der zitierten Studien zu einem solchen ver- allgemeinernden und konkreten Schluss. Es erschließt sich mir im Übrigen auch nicht, welches Ziel mit dieser Kampagne eigentlich verfolgt wird. Soll hier das Fazit etwa heißen: Öko verbieten statt fördern? Das kann es ja wohl nicht sein. Eine höherwertige Qualität von Ökoprodukten lässt sich nicht ausschließlich an den stofflichen Eigenschaften des Endprodukts messen. Prozessqualitäten spielen im Ökolandbau eine große Rolle, stellen wir den Qualitäts- vergleich mit konventionellen Erzeugnissen an. Dass un- sere konventionell erzeugten Endprodukte einwandfrei und für den menschlichen Verzehr ohne Zweifel geeignet sind, steht außer Frage. Dennoch, wird deutlich, dass ins- besondere bezogen auf die Produktion von Lebensmitteln tierischer Herkunft, gerade die Verbraucher, Qualität hier ganz neu definieren. „Ich möchte, dass das Tier, dessen Fleisch ich verzehre, nicht mehr als nötig leiden muss, dass es artgerechtes Futter erhält und nicht aufgrund in- tensiver Haltungsformen auf die unterschiedlichsten Me- dikamente angewiesen ist.“ Das macht in den Augen vie- ler Verbraucher heute die Qualität eines Schnitzels aus und ich sage Ihnen, diese Gruppe wächst. Meines Erach- tens ist das die Form von Qualität, die Ökoprodukte zu be- sonders hochwertigen Lebensmitteln macht. Heute diskutieren wir über das Öko-Kennzeichenge- setz. Dennoch möchte ich nicht versäumen noch einmal darauf hinzuweisen, dass das Biosiegel ein Teil einer Ge- samtstrategie ist und nur so macht es auch Sinn. Gemäß des ökologischen Gedankens ist die Einführung des staat- lichen Ökosiegels eingebettet in einen Rahmen mit ganz- heitlichem Ansatz. Förderung des Ökolandbaus muss hier heißen, die Hebel an allen relevanten Stellen anzusetzen, die zum einen die Erzeugung selbst fördern, andererseits brauchen wir eine breite Palette flankierender Maßnah- men, die den Konsum von Ökoprodukten steigern. Deutlich sichtbar wird dies im Entwurf des BMVEL zum Bundesprogramm Ökologischer Landbau. Für dieses Programm werden in den Jahren 2002 und 2003 Mittel in einer Größenordnung von jeweils knapp 35 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Die von der Projektgruppe erarbeiteten notwendigen Maßnahmen widmen sich dem gesamten Spektrum der Ernährungskette. Angefangen bei den Bereichen der landwirtschaftlichen Produktion, über die Erfassungs- und Verarbeitungseinrichtungen bis hin zum Handel, der Vermarktung sowie dem wichtigen Feld der Verbraucherinformation greift das Programm alle re- levanten Stationen auf. Noch deutlicher wird der ganzheitliche Ansatz, be- trachten wir den vom Bundesministerium ausgerufenen Wettbewerb „Regionen aktiv“. Im Mittelpunkt der Pla- nung liegen die Anliegen der Verbraucher. Hiervon aus- gehend sind alle Aktivposten, auch aus dem konventio- nellen Bereich sowie umstellungswillige Betriebe einer Region aufgefordert, gemeinsam für ihr Gebiet ein Kon- zept zu entwickeln und umzusetzen. Die Ergebnisse aus den Modellprojekten werden in die Neugestaltung der Agrarförderung einfließen. Sie sehen, meine Damen und Herren, es tut sich was auf ganzer Linie. Das Konzept des Biosiegels ist in sich stimmig und in ein stimmiges Gesamtkonzept integriert. Nicht zuletzt bestätigt werden wir hier auch durch den Ansatz, den das neue konventionelle Qualitätssiegel – QS – der Privatwirtschaft aufweist. So werden bei- spielsweise auch in dieses Konzept Dokumentations- und Kontrollpflichten, vergleichbar denen des Biosiegels, im- plementiert sein. Daraus schlussfolgere ich: Kopiert heißt akzeptiert! Das Biosiegel ist eine Chance für die leistungsfähigen Ökobetriebe in Deutschland und für Umstellungswillige. Nutzen wir sie. Matthias Weisheit (SPD): Wo ist wirklich Bio drin und wie halte ich die verschiedenen Gütezeichen ausei- nander? Das haben sich bisher die Verbraucher im Laden fragen müssen. Denn in Deutschland sind mehr als hun- dert verschiedene Ökosiegel im Umlauf. Hinzu kommt, dass nur wenige Produkte in Supermärkten erhältlich sind. Und der Gang zum Bioladen ist für die einen zu weit, für die anderen mag es sogar ein Ausflug in die kleine, eingeschworene Gemeinde der „Ökos“ sein, solche Aus- sprüche habe ich jedenfalls gehört. Unbequem und un- übersichtlich – so ist die Situation, der wir jetzt mit dem Öko-Kennzeichengesetz abhelfen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 19589 (C) (D) (A) (B) „Bio nach EG-Ökoverordnung“ steht auf dem sechs- eckigen, grün umrandeten Label, und mit diesem Siegel kann man beim Einkauf nun sicher sein, dass das Produkt nach den EU-Standards für Ökolandbau produziert wor- den ist. Dieses Siegel, über das jetzt einige meckern, es lege den zu niedrigen EU-Standard zugrunde, verhindert keine höheren Standards, nein, es fördert das Angebot, es erweitert die Produktpalette und es wird für den Einzug von Bioprodukten in die Supermarktregale in großem Maßstab sorgen. Damit wird ein Konsumentenkreis er- reicht, der bisher eben nicht in den Bioladen ging, aus welchen Grünen auch immer. Damit wird der Absatz der Produkte steigen. Und nur, wenn der Absatz der Produkte steigt, werden wir die notwendige Steigerung des Anteils der ökologi- schen Landwirtschaft auf 20 Prozent bis 2010 erreichen können. Das Öko-Kennzeichengesetz ist damit ein Teil ei- nes Gesamtkonzeptes innerhalb der bitter nötigen Neu- orientierung der Agrarpolitik. Über die Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte und die Lebensmittelskandale, die Resultat solcher Entwick- lungen waren, haben wir an dieser Stelle oft genug debat- tiert. Bei den Verbrauchern hat sich nicht nur Misstrauen in die bisherige Nahrungsmittelproduktion breit gemacht, nein, nach meiner Beobachtung ist auch ein neues Ver- hältnis zum Wert eines Lebensmittels gewachsen, der die Umstände seiner Produktion mit umfasst. Die Verbrau- cher sorgen sich nicht nur um ihre Gesundheit. Es wird für sie immer mehr an Wert gewinnen, ob bei der Erzeugung eines Produktes auch die Umwelt geschont und für unsere Kinder und Kindeskinder erhalten wird, und ob ein Tier, dessen Fleisch wir essen, artgerecht gehalten wurde und nicht unnötig gelitten hat. Dieser Entwicklung müssen wir Rechnung tragen und sie fördern. Das Öko-Kennzeichen- gesetz ist ein großer Schritt, aber eben nur einer von vie- len, in diese Richtung. Für alle Beteiligten, die Bauern, die Weiterverarbeiter, die Politik, die Wissenschaft und natürlich die Verbrau- cher, gibt es noch viel zu tun: Die Bauern müssen bei der Umstellung auf Ökolandbau finanziell und mit Beratung unterstützt werden, die Produkte müssen beworben wer- den, die Verbraucher über ihre Vorteile informiert werden, und am Ende der Kette müssen natürlich die Verbraucher bereit sein, für höhere Qualität auch mehr zu zahlen. Mit Aufklärung muss gegen das gerade in Deutschland bei vielen zwiespältige Verhältnis zum Essen und Trinken angekämpft werden, für das die meisten in der Vergan- genheit eben nicht bereit waren, mehr Geld als unbedingt nötig auszugeben. In anderen Konsumzweigen ist das ganz anders, zum Beispiel bei Bekleidung und Autos – das sind „Statussymbole“, dafür zahlt man viel Geld. In einer Zeitung habe ich gelesen, dass das Sensorium Riechen und Schmecken bei uns unterentwickelt sei, weil wir dank der Erfindung der Plastikfolie gewöhnt seien, die Lebensmittel beim Einkauf höchstens anschauen zu dür- fen. Deshalb sei das Ökosiegel ein Siegel für die unsicht- baren „inneren Werte“, für Geschmack, Geruch und für die Umstände der agrarischen Produktion. Damit sind wir nun dem wirklichen Wert des Lebensmittels als Mittel zum Leben und für das Leben so nah wie nie. Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU/CSU): Frau Mi- nisterin, in einem Punkt begrüße ich ebenso wie Sie die Einführung eines einheitlichen Bio-Kennzeichens. Es ist sicher sowohl für dieAnbieter und Vermarkter als auch für die Käufer von Produkten der alternativen Landwirtschaft sehr verwirrend, wenn man feststellt, dass es bisher in Deutschland über 100 verschiedene Biozeichen gibt. Der Wille zur Vereinheitlichung ist ja nicht neu: Wir erinnern uns, dass sich dieArbeitsgemeinschaft ökologischer Land- bau, AGÖL, und die zentrale Marketinggesellschaft der Deutschen Agrarwirtschaft, CMA, zu Beginn des Jahres 1999 auf die Einführung eines bundeseinheitlichen Prüf- zeichens für ökologisch erzeugte Produkte geeinigt haben. Nachdem aber Bioland und Demeter dem Dachverband den Rücken gekehrt hatten, gab es keine Zukunft für die- ses Prüfzeichen. Im Nachgang zu BSE war bei den Betei- ligten dann doch die Bereitschaft da, ein Bio-Kennzeichen unter staatlicher Obhut einzuführen. So weit, so gut. Was haben wir aber mit dem Biosiegel wirklich auf dem Tisch liegen? Ich will es Ihnen sagen: Ein Windei! Was Sie hier bejubeln, ist nämlich die Demontage der ho- hen deutschen Ökostandards, weil das Bio-Kennzeichen bekanntlich auf den niedrigeren EU-Standards beruht. Er- laubt sind dort die Düngung mit Gülle, Jauche und Geflü- gelmist; der gleiche Betrieb darf herkömmlich und ökolo- gisch wirtschaften, der Zukauf von Futter ist unbegrenzt. Dies ist zwar alles keine Katastrophe, wenn es um die Nahrungsmittelqualität und -sicherheit an sich geht. Be- zogen aber auf die hohen Standards, mit denen letztlich der deutsche Ökolandbau wirbt, ist dies ein Unding. Wie wollen Sie garantieren, dass nicht die Produkte aus beiden Anbauformen zusammengemischt werden, wie wollen Sie die Qualität des Futters im Sinne der Ökovorschriften garantieren? Das Schlimmste, was Sie mit Ihrem Bio-Kennzeichen bewirken, kommt aber jetzt: Ich sage ihnen voraus, dass der Ökomarkt in Deutschland über kurz oder lang von Produkten aus dem Ausland, und nicht nur aus der EU, in starkem Ausmaß beliefert wird. Ich weise hier auf einen Artikel im „Handelsblatt“ vom 6. November 2001 hin: „Chinas Ökobauern wollen Europas Märkte erobern“. Das wird nicht morgen sein, aber bald. Diese Nationen werden ihre Ökoprodukte erheblich billiger auf dem deut- schen Markt anbieten können als unsere Biolandwirte. Auf diese Weise wird auch der Wunsch der Ministerin in Erfüllung gehen, dass sich auch die Supermärkte mit Öko- ware füllen. Die Handelsketten werden sehr genau ge- wusst haben, warum sie der Aktion Biosiegel beitreten. Die Ministerin preist das Biosiegel als wichtiges Signal der Agrarwende und meint, auch in diesem Zusammen- hang ihre nichts sagende Floskel „Klasse statt Masse“ verkünden zu müssen. Wen wollen Sie eigentlich mit sol- chen Sprüchen verdummen? Sie sind auch von Verbänden des ökologischen Landbaus gewarnt worden; nicht ohne Grund behalten die bekannten Organisationen ihr bishe- riges Öko-Kennzeichen bei, um nicht Gefahr zu laufen, mit diesem Ramsch-Öko-Kennzeichen verwechselt zu werden. Mit der vorliegenden Bio-Kennzeichnung wird also der heimische Ökomarkt mit ausländischer Ware über- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119590 (C) (D) (A) (B) schwemmt, das Geschäft machen die großen Handelsket- ten, der Verbraucher wird getäuscht und unsere Ökoland- wirte als schwächstes Glied in dieser Kette haben das Nachsehen. Weil Sie bisher so gut wie nichts an Agrarwende vor- zuweisen haben, wollen Sie mit dem Biosiegel unbedingt einen Öffentlichkeitserfolg erzielen. Dafür haben Sie alle Warnungen in den Wind geschlagen. Wenn Sie allerdings auf diese Art und Weise Ihr illusionäres Ziel des 20-pro- zentigen alternativen Landbaus in Deutschland erreichen wollen, ist dies eine billige Statistikmasche. Was reden Sie da immer von der regionalen Erzeugung und Ver- marktung, von den kurzen Wegen, von der Nachverfolg- barkeit vom Stall bis zur Theke? Diese Ziele bleiben bei der vorliegenden Form des Bio-Kennzeichens links lie- gen. Sie hätten besser daran getan, auf europäischer Ebene auf ein einheitliches Ökozeichen auf hohem Ni- veau zu dringen und nicht wie jetzt ein ungenügendes Biosiegel zu präsentieren und dabei gleichzeitig an- zukündigen, dass hierbei noch Reparaturmaßnahmen not- wendig sind. Ich bin einmal gespannt, wie die Durchführungsver- ordnung aussehen wird. Vergabebestimmungen, Kon- trolle usw. – dies muss alles noch geklärt werden. Wie können Sie es verantworten, für dieses schlechte Biosie- gel mit zu niedrigeren Standards in der Öffentlichkeit ei- nen Werbefeldzug mit Kosten von jährlich fast 15 Milli- onen DM zu führen? Hier wird doch mit staatlichen Kosten der Öffentlichkeit ein völlig falsches Bild vermit- telt. Ich hoffe nur, dass Sie 2003 damit nicht mehr auf Tour gehen müssen. Wie man ein Gütesiegel richtig am Markt platziert, ha- ben ihnen vor kurzem die Verbände der Futtermittelwirt- schaft, der Landwirtschaft, des Schlachtgewerbes, der Verarbeitungsindustrie, des Einzelhandels und die zen- trale Marketingorganisation der Agrarwirtschaft, CMA, vorgemacht. Mit deren „QS-Qualität- und Sicherheits- Siegel“ wird über alle Stufen der Produktionskette durch Dokumentation und Kontrolle eine transparente Qua- litätssicherung aufgebaut. Dabei ist durch Weiterentwick- lung des Prüfkriterienkatalogs als Grundlage des QS-Sys- tems sichergestellt, dass das Gütesiegel kontinuierlich neuen Erfordernissen angepasst werden kann. Nur mit solcher klaren Vorgehensweise kann man das Vertrauen der Verbraucher gewinnen – nicht mit einem undurch- sichtigen Kennzeichen wie dem Biosiegel, bei dem man- ches im Dunkeln bleibt. Die Initiative des QS-Siegels zeigt wieder einmal mehr, dass eine privatwirtschaftliche Lösung besser ist als eine staatliche Regelung. Mit dem Gütesiegel hat man auch das sofortige Verbot der antibio- tischen Futtermittelzusatzstoffe erreicht; bei diesem Punkt haben Sie, Frau Ministerin, ja bekanntlich in Brüs- sel versagt, denn auf EU-Ebene sind diese Futtermittelzu- satzstoffe noch bis 2005 erlaubt. Ich finde es schon eigenartig und unverfroren, dass Sie das Gütesiegel der Wirtschaft in der Öffentlichkeit als Ihre Leistung verkaufen. Ich bitte Sie doch, bei der Wahrheit zu bleiben. Die muss ich bei Ihnen auch auf einem anderen Gebiet anmahnen: Sie haben erst kürzlich wieder bei einer Ver- anstaltung in Weilheim – wie auch an anderer Stelle – ge- sagt, Sie seien Ministerin für 100 Prozent der Landwirte, und haben auch öfter betont, Sie wollten die Landwirte nicht spalten. In Ihren Äußerungen in den Medien hört sich das aber ganz anders an. In Ihrem Interview in der „Zeit“ behaupten Sie, die Preise für konventionelle Pro- dukte seien schon deshalb nicht ehrlich, weil sich in ihnen die Kosten der Wasserverseuchung durch Gülle nicht nie- derschlagen. In Ihrem Interview mit „Greenpeace“ dro- hen Sie, „die Bauern, die weitermachen wie bisher, mit Karacho an die Wand laufen zu lassen“. Solche Aussagen sind eine bodenlose Unverschämtheit. Natürlich treiben Sie, wo Sie nur können, einen Keil in die Landwirtschaft, indem Sie immer wieder die Nahrungsmittelprodukte aus der modernen Landwirtschaft schlechtreden und beim Verbraucher Unsicherheit erzeugen wollen. Das ist einer Ministerin, die für die gesamte Landwirtschaft Verant- wortung trägt, unwürdig. Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Endlich ist es da: Ein einheitliches Biosiegel für alle Produkte aus ökologischem Anbau. Für die Verbraucherinnen und Ver- braucher ist dies ein großer Schritt. Denn das Siegel be- deutet Sicherheit und Transparenz. Alle Bioprodukte, egal ob im Supermarkt oder im Naturkosthandel, werden in Zukunft an dem einheitlichen Biosiegel zu erkennen sein. Die Einhaltung der Kriterien für das Biosiegel wird von den zugelassenen Kontrollstellen in den Bundesländern kontrolliert. Die Verbraucher werden so vor Missbrauch geschützt: Wo „Bio“ drauf steht, ist auch „Bio“ drin. Das Siegel garantiert unter anderem dafür, dass auf den Ein- satz von Pestiziden und chemisch-synthetischen Dünger verzichtet wird, keine Gentechnik verwendet wird, keine Antibiotika oder Leistungsförderer im Tierfutter sind, die Tiere artgerecht gehalten werden, die Tierhaltung flächen- gebunden ist. Renate Künast hat sich mit allen beteiligten Gruppen des Lebensmittelhandels, der Ernährungsindustrie, der Ökoanbauverbände und des Bauernverbands auf das neue Biosiegel geeinigt. Das heißt: Alle machen mit, sowohl die Ökolandbauverbände, die ihre Produkte bisher hauptsächlich in Naturkostläden angeboten haben, als auch Supermarktketten. Das Biosiegel kann von allen An- bietern, die nach dem Standard der EU-Ökoverordnung Lebensmittel herstellen, kostenlos genutzt werden. So wird durch einen einheitlichen, EU-weiten Standard ei- nerseits dafür gesorgt, dass das Angebot an Ökoprodukten größer wird. Andererseits hilft ein einheitliches Biosiegel, das den Verbrauchern bekannt und in jedem Laden zu fin- den ist, die Nachfrage zu erhöhen und den Ökolandbau zu stärken. Damit sind wir unserem Ziel, in 10 Jahren eine Ausweitung des Ökolandbaus auf 20 Prozent der land- wirtschaftlichen Fläche zu erreichen, einen großen Schritt näher gekommen. Seit November letzten Jahres ist die Nachfrage um circa 30 Prozent, bei einzelnen Produkten sogar um 50 Prozent gestiegen. Durch die Einführung des Biosiegels wird dieser Trend verstärkt werden. Denn Erfahrungen in anderen Ländern zeigen, dass ein einheitliches Kennzei- chen für Ökoprodukte zu einer höheren Nachfrage und dadurch auch zu Zuwachsraten im Ökolandbau führt. Die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 19591 (C) (D) (A) (B) Vorreiterländer in Sachen Ökolandbau, beispielsweise Dänemark und Schweden, verfügen über gut bekannte Ökosiegel. Voraussetzung für den Erfolg eines einheitli- chen Kennzeichens ist, dass das Zeichen den Verbrauche- rinnen bekannt ist. Dafür wird eine breit angelegte Infor- mationskampagne des Verbraucherministeriums sorgen. Wir wollen, dass sich die EU-Ökoverordnung in Zu- kunft stärker an den weiter gehenden Standards der Öko- anbauverbände orientiert. Daher werden wir weiterhin da- ran arbeiten, die Richtlinien für den Ökolandbau auf europäischer Ebene zu verbessern. Marita Sehn (FDP): Das Biosiegel soll Einheitlich- keit, Klarheit und Orientierung schaffen: Wo „Öko“ draufsteht, soll auch „Öko“ drin sein! Aber hält das Bio- siegel wirklich, was Frau Künast uns verspricht? Einer Umfrage der Universität Kiel zufolge verstehen die Verbraucher unter „Bio“ vor allem: gesund, unge- spritzt, kein Kunstdüngereinsatz und kontrollierter An- bau. Nur wenn diese Erwartungen erfüllt werden, werden die Verbraucher auch bereit sein, für Bioprodukte mehr Geld auszugeben. Aber werden diese Erwartungen denn auch erfüllt? Lesen Sie sich einmal die Anhänge zur EG-Ökover- ordnung durch. Sie werden schnell sehen, wie weit das Verständnis der Verbraucher und das der EG über das, was „Öko“ ist, auseinander gehen. Glauben Sie denn, dass die Verbraucher es in Ordnung finden, dass im ökologischen Landbau eine ganze Reihe von Insektiziden und Fungiziden eingesetzt werden dür- fen? Glauben Sie denn, dass die Verbraucher es in Ord- nung finden, dass auf ökologisch bewirtschafteten Flächen Gülle aus anderen Betrieben ausgebracht werden darf? Bis zum März 2002 dürfen Flächen für den ökolo- gischen Landbau sogar noch zur Entsorgung der Bioton- nenabfälle genutzt werden. Sie treiben ein sehr riskantes Spiel mit dem Verbrau- cher. Für die Profilierungsgelüste einer Ministerin setzen Sie bereitwillig die Glaubwürdigkeit der ökologischen Landwirtschaft aufs Spiel. Sie zerstören damit nicht nur das Vertrauen der Verbraucher in den ökologischen Land- bau, sondern auch in die Politik. Denn es ist Frau Künast, die dem Ganzen ihren Öko-Segen gegeben hat. Die Bundesregierung kennt selber die Schwächen der EG-Ökoverordnung. Sie will deshalb auch auf EU-Ebene auf eine Überarbeitung der Richtlinie drängen. Das ist wichtig und richtig und findet die uneingeschränkte Un- terstützung der FDP. Ein auf europäischer Ebene abgestimmtes Vorgehen anstelle von wirtschaftsfeindlichen, nationalen Alleingän- gen hat die FDP schon immer gefordert. Wir wollen dies, aber nicht nur bei der EG-Ökoverordnung, sondern auch in anderen Bereichen, zum Beispiel im Umwelt- und im Pflanzenschutz. Wenn man alte Hüte aus dem Schrank holt, dann sollte man sie abstauben, bevor man sie aufsetzt . Die EG-Öko- verordnung für den Pflanzenbau gibt es bereits seit 1991. Damit hätte die Bundesregierung Zeit gehabt, auf sub- stanzielle Änderungen hinzuwirken, bevor sie sich mit ei- nem Biosiegel aus dem Fenster lehnt. Frau Künast strickt ihre Gesetze und Verordnungen mit so heißer Nadel, dass sie sich noch die Finger daran ver- brennen wird. Das Biosiegel krankt aus Sicht der FDP auch noch an einem ganz anderen Punkt. Während das von dem Bau- ernverband vorgestellte Gütesiegel QS gemeinsam mit dem Lebensmittelhandel und der lndustrie konzipiert und realisiert wurde, ist das Biosiegel ein vom Staat verord- netes. Das QS-Gütesiegel ist von unten nach oben konzipiert und umgesetzt worden, während das Biosiegel von oben nach unten verordnet wird. Und das Schönste dabei ist: Die Bundesregierung wird nicht einmal das Logo malen müssen. Das QS-Gütesiegel gewährleistet eine gläserne Produktion vom Acker bis zur Ladentheke. Es garantiert eine lückenlose Dokumentation über die gesamte Pro- duktionskette. Es garantiert das, was das Biosiegel nicht kann. Es schafft Einheitlichkeit, Klarheit und Orientie- rung: Wo Qualität draufsteht,ist auch Qualität drin – ge- nau das, was mit dem Biosiegel erreicht werden sollte und nicht erreicht wird. Der ökologische Landbau in Deutschland hat zu Recht ein gutes Image und genießt ein hohes Ansehen. Dies ist für die Verbraucher bei ihrer Kaufentscheidung ein ganz wesentlicher Aspekt. Genau diese Glaubwürdigkeit ge- fährdet das Biosiegel. Denn wo „Bio“ draufsteht, da kann alles mögliche drin sein. Eines wird dabei sehr schnell klar: Das Biosiegel ist kontraproduktiv. Es ist kontraproduktiv für die ökolo- gisch wirtschaftenden Betriebe in Deutschland, weil es ausländische Importe fördert und den hohen deutschen Standard unterhöhlt. Es ist kontraproduktiv für den Na- turkosthandel, weil es in erster Linie darauf abzielt, Bio- lebensmittel zu einem Massenartikel zu machen. Die Konzentrationswelle, die den traditionellen Lebensmit- teleinzelhandel erfasst hat, wird nun auch noch den Na- turkosthandel überrollen. Es ist kontraproduktiv für die Verbraucher: denn die Bestimmungen in der EG-Ökover- ordnung öffnen Missbrauch Tür und Tor. Vielleicht ist es nicht nur Zufall, wenn die ersten Pro- dukte, die mit dem Biosiegel ausgezeichnet sind, aus dem Ausland stammen und im Supermarkt verkauft werden. Vielleicht ist das der Beginn der Agrarwende im Öko- landbau. Masse statt Klasse und regional ist zweite Wahl! Hoffentlich stoßen Ihnen diese biobesiegelten Karot- ten, für 1,79 DM das Kilo und aus österreichischen Lan- den frisch auf den deutschen Tisch, nicht noch unange- nehm auf, Frau Künast. Kersten Naumann (PDS): Die Politik hat oft das Pro- blem, dass das Leben sie einholt. Ich denke, mit dem Öko- siegel ist dies schon passiert, denn man kann jetzt schon biologische Nahrungsmittel mit diesem Siegel kaufen. Die PDS-Fraktion unterstützt die Einführung und Ver- wendung des Ökosiegels. Und dafür haben wir gute Gründe. In der jüngsten Vergangenheit mussten wir erle- ben, wie schnell das Vertrauen unserer Bevölkerung ge- rade in die landwirtschaftlichen Produkte schwinden kann. Die Verbraucher sind verunsichert und viele Be- triebe der Agrarwirtschaft wurden an den Rand ihrer öko- nomischen Existenz gedrückt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119592 (C) (D) (A) (B) Die größere Transparenz in Form des neuen Biosiegels ist ein wichtiger Schritt, um das Vertrauen der Verbrau- cher wieder zu gewinnen. Mit der klaren und eindeutigen Kennzeichnung der Produkte kann der mündige Verbrau- cher entscheiden, ob er Erzeugnisse aus der ökologischen oder aus der konventionellen Landwirtschaft kaufen möchte. Er kann damit nachvollziehen, welche Nah- rungsmittel aus einer nachhaltigen Produktionsweise kommen, bei denen eine natürliche Ernährung, schonen- der Umgang mit den Ressourcen, der Erhalt der biologi- schen Vielfalt, artgerechte Tierhaltung und regionale Kreisläufe stärker beachtet werden und die frei sind von gentechnischen Manipulationen. Die Verwendung der EU-Standards für das Ökoprüf- siegel – als Einstieg – ist richtig. Und doch kann es nur ein erster Schritt sein. Das neue Biosiegel ist für die Verbraucher eine Hilfe- stellung, denn die bisherige Vielzahl der Bezeichnungen und Kennzeichen ist nicht zu überschauen und kaum ge- eignet, Vertrauen zu erzeugen. Die neue Kennzeichnung schafft Klarheit und ermög- licht die weitere Verwendung der strengeren Verordnun- gen der einzelnen Verbände des ökologischen Landbaus. Die Individualität und Regionalität bleibt dadurch erhal- ten und stärkt die Mitglieder der AGÖL. Nun können die Verbraucher mit dem gezielten Kauf von Bio-Produkten ihren direkten Beitrag zur Neuorien- tierung der Landwirtschaft leisten. Die steigende Nach- frage nach Ökoprodukten in den letzten Monaten ist der Beweis dafür, dass die Verbraucher diesen Weg bewusst unterstützen. Das einheitliche Ökosiegel schafft bei den Verbrauchern europaweit Klarheit und Sicherheit. Die Kennzeichnung der Produkte durch ein übergreifendes Siegel ermöglicht auch eine Marketingstrategie, die den Bekanntheitsgrad aller ökologischen Erzeugnisse erhöht und die durch die Kunden besser wahrgenommen werden kann. Die Bundesregierung sollte sich aber auf keinen Fall den Bedenken des Bundesrates verschließen, der sie auf- fordert, bei der EU-Kommission darauf hinzuwirken, die Schwachstellen der EG-Ökoverordnung hinsichtlich möglicher Wettbewerbsnachteile rasch zu beseitigen. Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher- schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Die Agrarwende steht unter dem Motto „Klasse statt Masse“. Was künftig mit dem Biosiegel gekennzeichnet wird, ist Klasse. Und der Verbraucher kann es dank des Biosiegels auch sofort sehen. Produkte mit diesem Zeichen stammen aus einer Land- wirtschaft, die weitgehend auf Chemie beim Pflanzen- schutz und mineralische Stickstoffdünger verzichtet und die Tiere artgerecht hält. Sie stammen aus einer Land- wirtschaft, die unsere natürlichen Ressourcen schützt und schont, die auf Kreislaufwirtschaft mit möglichst geschlossenen Nährstoffzyklen ausgerichtet ist und die – last not least – auf Gentechnik verzichtet. Das Biosiegel hilft, Biolebensmittel schnell und ein- deutig von anderen zu unterscheiden. Und es unterstützt den Weg für ein Umdenken der Verbraucher: ein Umden- ken, das nicht nur auf den Preis setzt, sondern auf Qua- lität. Auch frühere Bundesregierungen wollten die Kenn- zeichnung von Ökolebensmitteln und haben entspre- chende Initiativen unterstützt. Das Ergebnis ist bekannt. Das Ökoprüfsiegel war ein Misserfolg. Ein wichtiger Grund: Es wurde versäumt, den Handel ins Boot zu holen. Genau dafür haben wir vorgesorgt. Auch der Handel baut auf das Biosiegel, weil er sich davon neue Marktchancen verspricht. Damit ist der Weg frei, dass ökologische Pro- dukte den Weg finden raus aus der Nische und rein in die Regale der Supermärkte, wo 80 Prozent aller Lebensmit- tel gekauft werden. Im Handel gibt es derzeit über 100 verschiedene Ökozeichen. Ihre Aussagekraft ist für Verbraucherinnen und Verbraucher oft nur schwer zu durchschauen. Welches Zeichen steht wofür? Sind die Produkte ihren höheren Preis wert? Ist wirklich immer „Öko“ drin, wo „Öko“ draufsteht? Was bedeutet ,,kontrollierter Anbau“ oder „Vertragsanbau“? Dieses verbraucherunfreundliche Dickicht wird mit dem Biosiegel ein Ende haben. Eine eindeutige und vertrauenswürdige Kennzeich- nung von Ökoprodukten schafft dreierlei: mehr Transpa- renz für die Verbraucher, eine entscheidende Verbesse- rung der Absatzchancen ökologischer Produkte und zugleich Anreize für Landwirte, Ökolandbau zu betrei- ben. Damit ist das Biosiegel – neben der verbesserten Strukturförderung und neben dem Bundesprogramm Ökolandbau, das zurzeit in Vorbereitung ist – ein ent- scheidender Schritt auf dem Weg zum Ziel, den Flä- chenanteil des Ökolandbaus in 10 Jahren auf 20 Prozent zu steigern. Seit dem 5. September haben wir bereits 200 Zusagen von Unternehmen, die das Biosiegel schnellstmöglich für ihre Produkte verwenden wollen. Und täglich kommen neue hinzu. Dies ist ein eindeutiger Vertrauensbeweis. Wir sind auf dem richtigen Weg. Die Opposition kritisiert, dass dem Biosiegel der Stan- dard der EG-Ökoverordnung zugrunde liegt. Dazu Fol- gendes: Erstens. Beim Biosiegel muss auch das Gemein- schaftsrecht beachtet werden. Und dies lässt ein staatliches Zeichen, das über den Standard der EG-Öko- verordnung hinausgeht, nicht zu. Denn dies würde fak- tisch eine Beschränkung des freien innengemeinschaftli- chen Warenverkehrs bedeuten. Zweitens. Es gibt keinen Grund, den Standard der EG- Ökoverordnung schlecht zu reden. Er bindet Erzeugung, Aufbereitung und Kennzeichnung von ökologischen Pro- dukten an strenge Voraussetzungen. Ungeachtet dessen werden wir in Brüssel ein Memorandum mit Forderungen für Verbesserungen der EG-Ökoverordnung vorlegen. Wir wollen unter anderem, dass eine Anerkennung als Ökobetrieb nur noch dann möglich ist, wenn der gesamte Betrieb auf Öko umgestellt hat. Drittens. Die Nutzung des Biosiegels ist freiwillig. Wer wie bisher auf das Erreichen darüber hinausgehender Standards oder auf eine besondere regionale Herkunft ei- nes Produkts hinweisen will, kann das unabhängig von Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 19593 (C) (D) (A) (B) der Verwendung des neuen Biosiegels auch künftig tun. Das Biosiegel ermöglicht also weiterhin Qualitätswett- bewerb. Richtig ist, dass Produkte aus Drittländern das Biosie- gel ebenfalls führen dürfen. Sie dürfen es aber nur, wenn sie entsprechend dem Standard der EG-Ökoverordnung erzeugt, aufbereitet, gekennzeichnet und kontrolliert wur- den. Das Biosiegel liefert Verbraucherinnen und Verbrau- chern also auch bei Drittlandsprodukten eine ebenso wichtige wie verlässliche Orientierungshilfe. Herr Heinrich hat nun beim Biosiegel eine „eklatante Lücke“ ausgemacht: Im Gegensatz zum neuen „konven- tionellen“ Prüfzeichen fehle beim Biosiegel „die lücken- lose Dokumentation und Informationskette über den ge- samten Produktionsprozess bis zum Endverbraucher“; so in einer Pressemitteilung vom 2. November 2001. Schon eine etwas intensivere Beschäftigung mit diesem Thema hätte ihn eines Besseren belehrt. Ich will es aber gern er- klären: In der EU-Ökoverordnung sind nämlich in dieser Hinsicht schon lange Dinge geregelt, die bei unserem „konventionellen“ Prüfsiegel erst jetzt angegangen wer- den. Dazu gehören mindestens jährlich ein garantierter Check auf Herz und Nieren auf allen Stufen durch unab- hängige Kontrolleure, und zwar auch bei Importen, und strenge Sanktionen bei Verstößen. Das Ergebnis ist ein hohes Maß an Transparenz und Qualität bei der Erzeu- gung und Herstellung von Lebensmitteln. Mit dem Biosiegel wird der Biomarkt weiter wachsen, zum Nutzen der Verbraucher und der Biobauern. Aber ich betone: Klasse für die Verbraucher und neue Chancen für die Landwirte wollen wir auch im konventionellen Be- reich. Deshalb freue ich mich, dass die Wirtschaft meine Initiative für ein Qualitätszeichen für konventionelle Pro- dukte aufgegriffen hat, Das Prüfzeichen QS steht, auch wenn über die Frage der Kriterien noch weitere Ge- spräche notwendig sind. Bemerkenswert ist, dass inzwischen auch Herr Heinrich das Prüfzeichen als „überzeugendes und bei- spielhaftes Konzept für ganz Europa für mehr Sicherheit und Transparenz“ lobt. Noch am 22. Mai hat er in einer Pressemitteilung verlauten lassen, dass er ein Prüfzeichen für konventionell erzeugte Produkte für „überflüssig“ hält, unter anderem, weil es die Verbraucher verwirre statt aufklären. Herzlichen Glückwunsch, Herr Heinrich! Ein- sicht ist der erste Schritt zur Besserung. Kennzeichnung und verbrauchergerechte Information gehören untrennbar zur Agrarwende. Auch für die Land- wirte ist dieser Weg alternativlos in einer Zeit, in der der Wettbewerb um Absatzmärkte durch die Osterweiterung der EU zunimmt, in der die weitere Liberalisierung des Welthandels auf der Tagesordnung steht und in der staat- liche Beihilfen nicht mehr als Selbstverständlichkeit an- gesehen werden. In dieser Situation kann die Richtung nur lauten, eine für die Verbraucher erkennbare Qualität „Made in Ger- many“ zu einem wichtigen Standortvorteil für unsere Landwirtschaft auszubauen. Das tun wir mit dem Biosie- gel. Deshalb: Unterstützen Sie unseren Kurs! Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu! Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu Än- derung des Gesetzes zur Sicherheit der Energie- versorgung bei Gefährdung oder Störung der Einfuhren von Erdöl, Erdölerzeugnissen oder Erdgas (Tagesordnungspunkt 26) Volker Jung (Düsseldorf) (SPD): Die Bekämpfung des Terrorismus und die Gefahrenabwehr im Innern sind ein zu ernstes Anliegen für vordergründige Effekthasche- rei. Dies gilt ganz besonders für das Thema Sicherstellung der Energieversorgung in Zeiten der Liberalisierung an- gesichts terroristischer Bedrohung im eigenen Land. Denn hier sind Halbheiten und Oberflächlichkeiten fehl am Platz. Genau darum aber handelt es sich bei der zur Debatte stehenden FDP-Vorlage: Ein halb gehörtes Vorzimmer- gerücht, vor dem Weiterdenken zu Papier gebracht und mit dem liberalen Schlachtruf „ick bünn all hier“ auf die Tagesordnung gesetzt. Schade ums Papier, schade um die Zeit. Denn die Vorlage beschränkt sich darauf, durch ein- fache Titeländerung das Energiesicherungsgesetz auf Störungen im Inland anwendbar zu machen, und verzich- tet auf das notwendige Instrumentarium, das den Staat erst in die Lage versetzt, seiner nunmehr größer gewordenen Verantwortung auch nachzukommen. Doch die Folge daraus – zumal in einem liberalisierten Energiemarkt – ist weit weniger trivial. Denn der Staat müsste den Eintritt des Notfalls feststellen, ohne die not- wendigen Konsequenzen ziehen und die Anordnungen treffen zu können. Am Ende müsste er die Rechnung für die notwendige Reservestromversorgung bezahlen, die ihm die Energieversorger präsentieren – im Klartext fi- nanzielle Staatshaftung! Und dies ist mit Sicherheit das Allerletzte, was wir in einer solchen Situation gebrauchen können. Was lehrt uns das ? Weder die ernst zu nehmende Neu- bewertung von terroristischen Angriffen auf Einrichtun- gen der Strom- und Gaswirtschaft noch die Aufgabe, sol- chen Ereignissen durch öffentliche Vorsorge die verheerende Wirkung zu nehmen, sind für die FDP-Op- position Anreiz genug für ernsthafte politische Arbeit. Die Aufgabe heißt Sicherung der Energieversorgung bei Gefährdungslagen im Innern. Sie wird uns in ernst- hafter Weise und aufgrund einer seriösen Vorlage in der kommenden Woche im Rahmen des Zweiten Antiterror- gesetzes beschäftigen. Dem will ich nicht vorgreifen. Deshalb beschränke ich mich heute auf wenige Grundge- danken, die uns bei dieser Aufgabe leiten müssen. Die Versorgungssicherheit gehört zu den Kernzielen der Energiepolitik und ist nach wie vor eine staatliche Aufgabe im Rahmen der Daseinsvorsorge. Auch wenn ihr Leitbild im Zeichen der Liberalisierung der Märkte und der europäischen Integration nicht mehr das Autarkieden- ken festgelegter Versorgungsterritorien, sondern das Op- portunitätsdenken dynamischer Märkte ist, bleibt die fun- damentale Bedeutung der Energieversorgung für das Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119594 (C) (D) (A) (B) öffentliche Leben und die Wirtschaftstätigkeit bestehen. Dieser Bedeutung ist der bloße Verweis der Nachfrager an die über Netzbereiche hinweg konkurrierenden Anbieter der Energie nicht ausreichend angemessen. Denn der Markt ist eine Veranstaltung auf Gegenseitigkeit, es gibt dort keine verordnete Zuständigkeit. Bereits im Normal- fall kann ein Lieferantenausfall die physische Versorgung des Kunden gefährden. Im Notfall gilt dies erst recht. Es verbleibt deshalb eine staatliche Sicherstellungs- und Ge- währleistungspflicht, die im Notfall auf einer territorial zugeordneten Verantwortung beruht. Dies werden wir in unserem Gesetz umsetzen. Die Zuverlässigkeit der Energieversorgungsunterneh- men ist nach wie vor ein tragendes Prinzip des Energie- wirtschaftsgesetzes. Vom Kraftwerksbetrieb – ich erin- nere hier an das unverantwortliche Handeln im AKW Philippsburg II – über den Netzbetrieb bis hin zum Kun- denanschluss müssen die Energieversorgungsunterneh- men sich ihrer Verantwortung für das hohe Gefährdungs- potenzial ihrer Anlagen, für die Funktionsfähigkeit ihrer Netze und Leitungen sowie für die Gewährleistung der Kundenversorgung, bewusst sein. Dies setzt auch be- triebswirtschaftlichen Kostenoptimierungen – die wir be- sonders im Netzbereich aufmerksam verfolgen – Gren- zen. Im Übrigen verlangt sie eine wesentlich striktere unternehmensinterne Kontrolle, als wir sie zurzeit leider in manchem Atomkraftwerk antreffen. Es gilt festzuhalten: Die Aufgabenverteilung zwischen privatwirtschaftlichem Normalfall und vom Staat sicher- zustellendem Notfall kann nur gelingen, wenn das Zuver- lässigkeitskriterium hinreichend erfüllt ist. Dessen müs- sen sich alle Beteiligten bewusst sein. Denn dies ist letztlich die Grundlage für das im Energiesicherungsge- setz niedergelegte Subsidiaritätsprinzip, nach dem sich der Staat bei seinem Notfalleingriff auf das unerlässliche Mindestmaß beschränkt. Die Marktverträglichkeit ist im Zeichen der Liberali- sierung eine schwerwiegende Anforderung an unser Han- deln auch bei der Gefahrenabwehr. Das erwähnte Subsi- diaritätsprinzip verlangt vom Staat den Rückzug auf seine ureigenen Aufgaben und die Beschränkung auf die dafür unerlässlichen Mittel und Wege. Dies setzt nicht nur die eben erwähnte Zuverlässigkeit der Unternehmen, sondern auch die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs auf allen Ebenen voraus. Eine marktverträglich sichere Energie- versorgung bedeutet deshalb, dass die energiewirtschaft- liche Versorgungskette möglichst dezentral und ver- brauchsnah organisiert ist, sodass sich ihre Anfälligkeit für Störungen aller Art auf ein Mindestmaß beschränkt. Stand beim Energiesicherungsgesetz 1975 noch die natio- nal begrenzte Reduzierung von Lieferabhängigkeiten Pate, so muss uns heute die Begrenzung von Opportu- nitätskosten leiten. Daraus folgt einmal mehr, dass wir un- sere Energieversorgung verstärkt dezentral und ver- brauchsnah organisieren müssen. Auf diese Weise lässt sich die Notfallvorsorge wirklich auf ein Mindestmaß be- schränken und ihre Eingriffsschwelle wirksam erhöhen. Genau dies ist Ziel unserer Politik. Die Prämisse eines funktionierenden Wettbewerbs auf dem Energiemarkt ist ein reichhaltiges und preiswürdiges Angebot, aus dem sich die Nachfrager in freier Wahl be- dienen können. Die Prämisse einer sicheren Energiever- sorgung ist, dass die Nachfrager ihrer Belieferung gewiss sind. Beides unter marktwirtschaftlichem und europä- ischem Leitbild zur Deckung zu bringen ist die Aufgabe unserer an Freiheit, Verantwortung und Vorsorge orien- tierten Energiepolitik. Sie soll mit ihrer langfristigen Aus- richtung auf erneuerbare Energiequellen, ressourcenscho- nende und hoch effiziente Erzeugung und Verteilung sowie auf sparsamen Verbrauch Notfälle und Engpässe bereits im Normalbetrieb beherrschbar machen. Werner Labsch (SPD): Die FDP fordert eine Ände- rung des Gesetzes zur Sicherung der Energieversorgung bei Gefährdung oder Störung der Einfuhren von Erdöl, Erdölerzeugnissen oder Erdgas. Sie begründet diese For- derung mit den Terroranschlägen von New York und Was- hington. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Geschehnisse vom 11. September, die wir alle als Katastrophe begreifen, nunmehr für viele Initiativen her- halten müssen. Panikmache war schon immer ein schlech- ter Ratgeber und bringt Deutschland keinen Schritt voran. Richtig ist, dass das Bewusstsein dafür geschärft wird, dass eine auf die Zukunft gerichtete Energiepolitik die Versorgung zu jeder Zeit sichern muss. Ich bezweifle aber, dass wir diesem Ziel einer zukunftsorientierten En- ergievorsorge mit Ihrer staatlichen Vorratshaltungsver- ordnung näher kommen werden. Gleichwohl halte ich es für erforderlich, die Diskussion über eine deutsche bzw. europäische Energievorsorge zu eröffnen. Die deutsche Energiewirtschaft war, ist und muss weiterhin ein zuver- lässiger und stabiler Partner von Industrie, Gewerbe und Haushalt bleiben. Die bisherige, konsensgefasste Versor- gungsstrategie bestand aus einem drittelteiligen Energie- mix, nämlich Kernenergie, Kohle (Stein- und Braun- kohle) sowie Gas und Öl. Die Energieerzeugung aus Kernenergie wird durch eine planmäßige Außerbe- triebsetzung der AKWs schrittweise bis 2020 zurückge- fahren. Vernünftigerweise haben wir in der Phase des En- ergieüberangebotes und unter dem Zwang der Senkung von Schadstoffemissionen, zielgerichtet Forschung und Markteinführung der regenerativen Energieerzeugung be- trieben. Wir haben damit ein weltweit führendes Know- how und marktfähige Produkte geschaffen. Als Substitu- tionsmenge für die stillzulegenden Atomkraftwerke ist das natürlich zu wenig, da sie nur zu einem Drittel ver- fügbar sind. Auf die umweltpolitischen Aspekte werde ich an dieser Stelle nicht eingehen. Obwohl Kapazitätsreser- ven vorhanden sind, und Energiesparmaßnahmen den in- dividuellen Bedarf reduzieren, steigt der allgemeine Energiebedarf weiter. Der Trend, ersatzweise die Primär- energieträger Öl und Gas zu importieren und gemäß Ihres Antrages, werte Kollegen von der FDP, zu bevorraten, führt weiter in die Abhängigkeit bis hin zur politischen Er- pressbarkeit. Es bedarf dazu nicht erst terroristischer An- griffe auf Tanker und Pipelines. Gas und ÖI wird immer teurer, weil sie am Weltmarkt knapper werden – sie sind schwerer zu haben und werden zu einer wirtschaftspoliti- schen Waffe werden. Deutschland und Europa verfügen über ausreichende abbauwürdige Kohlevorkommen. Deutschland – sowohl Politik als auch Wirtschaft – muss Schritte einleiten, wonach durch Forschung und Entwick- lung beim Umwandlungsprozess von Primärenergie in Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 19595 (C) (D) (A) (B) Strom und Wärme verbesserte Wirkungsgrade erreicht werden und dann beginnen, Altkraftwerke durch moderne Neuanlagen zu ersetzen. Weiterhin sind die Entwicklun- gen zur Marktfähigkeit effizienter erneuerbarer Energie- quellen, wie Brennstoffzelle und andere, fortzuführen. Darin besteht die alternative deutsch-europäische Ener- gieversorgungspolitik für die Zukunft. Wir lehnen Ihren Gesetzentwurf ab. Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Die ständige und si- chere Verfügbarkeit von Energie ist ein zentrales Element einer funktionierenden Volkswirtschaft. In sensiblen Be- reichen geht es zum Beispiel darum, Strom rund um die Uhr zur Verfügung zu haben. Das Energiesicherungsge- setz ist die Reaktion der Bundesrepublik Deutschland auf die krisenhafte Situation der 70er-Jahre, die die zentrale Aufgabe des Staates im Bereich einer umfassenden Si- cherheitsvorsorge verdeutlicht hat. Gerade vor dem Hintergrund des großen Beitrages der fossilen Energieträger, wie Erdöl und Erdgas, zu unserer Energieversorgung lassen sich jedoch Engpässe im Zu- gang, die sich zumindest über einen Anstieg im Preis- niveau manifestieren, nicht völlig ausschließen. Das Energiesicherungsgesetz trug und trägt also den Erfah- rungen mit einem solchen Engpass Rechnung. Die terroristischen Anschläge vorn 11. September 2001 in New York und Washington D.C. haben uns eine neue Facette der Gefährdung der Versorgung deutlich vor Augen geführt. Die freiheitlichen Industriegesellschaften sind vor der Gefahr der Störung der Energieversorgung leider nicht völlig gefeit. Die Wochen nach den schreck- lichen Ereignissen in den USA haben nichtsdestotrotz gezeigt, dass eine Beeinträchtigung der Einfuhr von Energieträgern bzw. Erdölerzeugnissen bisher nicht statt- gefunden hat. Angesichts der menschenverachtenden Dimension der Anschläge in den USA sind jedoch auch Einschränkungen der Energieversorgung im Inneren, etwa im Bereich der Infrastruktur oder des Kraftwerkparkes, wenn auch nicht wahrscheinlich, so doch wenigstens nicht mehr undenk- bar. Der heute zu beratende Gesetzesentwurf der FDP- Fraktion zielt insofern folgerichtig auf eine Erweiterung des Energiesicherungsgesetzes im Sinne einer Anwend- barkeit auch bei Störungen, deren Ursachen im Inneren liegen. In diesem Fall müsste der Staat seiner Verantwor- tung ebenso unzweifelhaft nachkommen wie bei äußerer Bedrohung. Wie in der Begründung zu Recht angeführt wird, muss auch weiterhin die Bedingung für das Einschreiten des Staates bestehen bleiben, dass die Anwendbarkeit des Ge- setzes durch Rechtsverordnung erst möglich ist, wenn die Gefährdung oder die Störung der Energieversorgung durch marktgerechte Maßnahmen gar nicht, nicht recht- zeitig oder nur mit unverhältnismäßigen Mitteln zu behe- ben ist. Dem Gesetzentwurf liegt ein klarer Anlass zugrunde. Er kommt zu der richtigen Analyse einer bisherigen Lücke im geltenden Recht und zieht die logischen Kon- sequenzen daraus. Der Gesetzesentwurf findet die Unter- stützung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Michaele Hustedt (BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN): Der Antrag der FDP zeigt wieder einmal eines: wie leicht man es sich in der Opposition machen kann. Anstatt ein vernünftiges Konzept vorzulegen, wird hier nur eine sim- ple Änderung des Energiesicherungsgesetzes vorgeschla- gen. Das ist zu wenig. Seit dem 11. September hat die Bedrohung durch den Terrorismus eine neue Qualität. Terroristen sind bereit, unter Einsatz ihres Lebens Angriffe gegen die Zivilbevöl- kerung durchzuführen. Einen absoluten Schutz gegen Ter- roranschläge kann es nicht geben, aber es muss alles ge- tan werden, um die Bevölkerung so gut wie möglich vor denkbaren Risiken zu bewahren. Die neue Dimension der Bedrohung wirft Fragen hin- sichtlich der Anfälligkeit unserer gesamten Energie- versorgung auf. Das gilt für die gesamte Infrastruktur unseres Energieversorgungssystems. Die Strom- und Gasversorgung kann leicht unterbrochen werden, mit al- len wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen. Dies gilt aber auch für die Nutzung der Atomenergie: Wenn Terro- risten bereit sind, Flugzeuge zu Bomben umzufunktionie- ren, um damit Tausende von Menschen zu töten, dann ist es ebenso vorstellbar, dass sie Anschläge auf Atomkraft- werke verüben. Aber da muss sich die FDP die Frage gefallen lassen: Wenn Sie die Energieversorgung in Deutschland gefähr- det sehen, warum setzen Sie immer noch auf die größte Gefahr unter den Stromerzeugern, die Atomenergie? Der Ausstieg aus der Atomenergie wird die Sicherheit in Deutschland erhöhen. Diese Erkenntnis haben wir nicht erst seit dem 11. September. Es ist aber erstaunlich, dass Sie sich selbst heute dieser Erkenntnis verschließen. Das Bundesumweltministerium hat bereits am 11. Sep- tember Sofortmaßnahmen ergriffen. Unter anderem wurde die Reaktor-Sicherheitskommission beauftragt, zu prüfen, inwieweit deutsche AKWs gegen gezielten Ab- sturz von Großflugzeugen ausgelegt sind und welche kurzfristigen Möglichkeiten zur Verringerung des Scha- densausmaßes bestehen. Die ersten Ergebnisse liegen nun vor: Die deutschen Atomkraftwerke sind in unterschied- lichem Maß gegen Flugzeugabstürze geschützt. Eine nicht unerhebliche Zahl vor allem älterer Atomkraftwerke ist nicht bzw. unzureichend gegen Flugzeugabstürze gesi- chert. Auch die AKWs neuerer Bauart könnten einem An- griff der Größenordnung von New York und Washington sehr wahrscheinlich nicht standhalten. Die Untersuchungsergebnisse machen zudem deutlich, dass es erheblichen Nachholbedarf für weitere Analysen gibt. Das gilt sowohl für die Frage des derzeitigen Schutz- niveaus von Atomanlagen gegenüber terroristischen An- schlägen als auch für die Möglichkeit der Erhöhung der Sicherheit der Anlagen durch bauliche und technische Maßnahmen. Deshalb hat das BMU weitere Untersu- chungsaufträge vergeben. Diese Untersuchungen gilt es abzuwarten. Der Ausstieg aus der Atomenergie ist der einzig rich- tige Weg zu mehr Sicherheit. Deshalb wäre es grund- falsch, den Atomkonsens jetzt einseitig aufzukündigen. Deutschland ist das Land der Welt, welches am schnells- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119596 (C) (D) (A) (B) ten aus der Atomkraft aussteigt. Wenn wir jetzt nicht zü- gig die Novellierung des Atomgesetzes vorantreiben, werden wir am Ende der Legislaturperiode mit leeren Händen dastehen. Dennoch drängen wir darauf, dass äl- tere und weniger sichere Atommeiler vorzeitig abge- schaltet werden. Dies ist mit dem neuen Ausstiegsgesetz möglich und macht Sinn: Jedes abgeschaltete AKW führt zu mehr Sicherheit. Auch unsere Gas- und Stromversorgung macht uns an- greifbar. Es reichen schon einige gezielte Terrorakte an den Knotenpunkten, um ganz Deutschland oder zumin- dest große Teile Deutschlands von Gas- und Stromliefe- rungen zeitweise abzuschneiden. Die zunehmende Im- portabhängigkeit von Gaslieferungen stellt sich ebenfalls als Problem dar – Gas kann bislang hauptsächlich nur aus Norwegen und Russland bezogen werden. Eine ähnliche Situation besteht seit langem bei der Öl- versorgung. Der Ölpreis hängt vor allem von den Ent- wicklungen der Krisenregion im Nahen Osten ab. Wir hängen am Tropf. Unsere Wirtschaft und unsere Mobilität ist abhängig vom Frieden im Nahen Osten. Für alle diese Probleme gibt es keine schnelle Lösung, keine absolute Sicherheit. Aber es ist möglich, Risiken deutlich zu mindern. Die Bedrohungsszenarien offenba- ren, dass die Zukunft einer sicheren Energieversorgung in kleinen, dezentralen Strukturen liegt. Das macht sie we- niger anfällig für Terroranschläge und Katastrophen und steigert obendrein Innovation, Effizienz und Umweltver- träglichkeit. Auf Sonne und Wind lassen sich keine An- schläge verüben. Energie sparen und solare Energien sind damit auch der Schlüssel zu mehr Versorgungssicherheit. An die Stelle zentraler und starrer Infrastruktur müssen zunehmend dezentrale, flexible, fehler- und eingriffstole- rante Strukturen treten. Wir befinden uns mit unserer Energiewende hier auf dem richtigen Pfad, aber: Die Entwicklung von einer zen- tralistischen zu einer dezentralen und solaren Energie- wirtschaft muss jetzt noch mehr beschleunigt werden. Die bündnisgrüne Regierungspolitik ist deshalb gleicher- maßen auf die Förderung der Energieeinsparung, auf Energieeffizienz und auf den Ausbau der erneuerbaren Energien ausgerichtet. Unser Ziel ist es, den Anteil der er- neuerbaren Energien an der Stromerzeugung bis zum Jahre 2010 mindestens zu verdoppeln und die Brennstoff- zelle im KWK-Gesetz besonders zu fördern. Es bleibt dabei: Auf den Klimawandel, auf die Frage der Sicherheit und auf die Endlichkeit der fossilen Res- sourcen gibt es nur drei richtige Antworten: Dezentrale Versorgungsstruktur, Energieeinsparung und die Umstel- lung auf erneuerbare Energien. Denn solare Energie ist weltweit unbegrenzt vorhanden. Das 21. Jahrhundert wird das Jahrhundert der erneuerbaren Energien sein. Walter Hirche (FDP): Energie ist der Lebenssaft einer dynamischen Wirtschaft. Deshalb ist als Teil der Terrorismusbekämpfung auch dringlich Vorsorge zur Si- cherung der Energieversorgung geboten. Mit dem Geset- zesvorschlag der FDP soll die Beschränkung der Geltung des Energiesicherungsgesetzes auf Einfuhrstörungen auf- gehoben werden. Die Regelung, die das Kabinett vor zwei Tagen im Rah- men des Antiterrorpakets verabschiedet hat, formuliert in- haltlich das Gleiche auf sehr viel mehr Seiten Papier. Sankt Bürokratius feiert wieder einmal Triumphe in die- ser Regierungsvorlage. Das ist überflüssig. Der Entwurf der FDP zielt auf Änderung dessen, was nötig ist. Auf Brimborium können wir verzichten. Wir müssen wieder lernen, schnell und gezielt zu handeln statt ausschweifend zu formulieren. Nehmen wir uns ein Beispiel an der Ver- abschiedung des ersten Energiesicherungsgesetzes. Das Gesetz vom 20. Dezember 1974, dessen Änderung wir hier vorlegen, hatte einen Vorläufer. Dieses erste Energiesicherungsgesetz wurde genau heute vor 28 Jah- ren, am 9. November 1973, verabschiedet. Damals stand die Welt unter dem Eindruck der ersten Ölkrise. In einem Rekordeilverfahren – erste Beratung am 7. November, zweite und dritte Beratung am 9. Novem- ber – verabschiedete der Deutsche Bundestag 1973 das Energiesicherungsgesetz mit Sofortmaßnahmen zur Ener- gieeinsparung. Auf dieser Grundlage wurde ein Fahrver- bot für vier Sonntage im November und Dezember 1973 verhängt. Ich erinnere mich noch, wie damals die Men- schen ihren Sonntagsspaziergang mit den Kindern auf der Autobahn machten. Mit dem 1974 verabschiedeten Nachfolgegesetz zu den ersten Sofortmaßnahmen, für dessen Beratung das Parlament sich dann deutlich mehr Zeit genommen hat, wurde die Rechtsgrundlage dafür geschaffen, im Falle ei- ner Krise, wenn andere, marktmäßige Instrumente nicht greifen, zeitlich befristete Vorschriften über Produktion, Transport, Lagerung, Verteilung, Abgabe, Bezug, Ver- wendung und Höchstpreise von Energieträgern zu erlas- sen. Diese Vorschriften zielen auf den privaten Verbrauch, weil auch im Falle einer Krise möglichst wenig in die wirtschaftliche Betätigung eingegriffen werden soll. Und sie stehen unter dem Vorbehalt, dass die Störung der Ener- gieversorgung durch marktgerechte Maßnahmen nicht, nicht rechtzeitig oder nur mit unverhältnismäßigen Mit- teln zu beheben ist. Sie sind das letzte Glied einer Kette von Instrumenten, die mit Aufrufen zu freiwilligen Ein- sparmaßnahmen beginnt. Das Energiesicherungsgesetz von 1973 wie auch sein Nachfolger von 1974 gehen aber ausschließlich von einer Störung der Energieversorgung von außen aus, also einer Störung bei den Einfuhren. Heute stehen wir vor anderen, nicht minder gefährlichen Situationen. Nach den An- schlägen von New York und Washington wissen wir, dass wir die Möglichkeit nicht ausschließen können, dass es auch durch Ereignisse im Inland zu Störungen der Ener- gieversorgung kommt, die mit marktmäßigen Mitteln nicht beherrscht werden können. Bei der jetzigen Geset- zeslage stünde jedoch keines der im Energiesicherungs- gesetz vorgesehenen Instrumente zur Verfügung, um auf eine solche Störung zu reagieren. Diesen Zustand so zu belassen wäre fahrlässig. Auch bei Störungen und Gefährdungen, deren Ursachen im In- land liegen, müssen gegebenenfalls die im Gesetz vorge- sehenen Maßnahmen zur Sicherung der Energieversor- gung getroffen werden können. Dem dient – in der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 19597 (C) (D) (A) (B) Hoffnung, diese Instrumente nie zu brauchen – unsere Ge- setzesvorlage. Wir bitten um Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf. Rolf Kutzmutz (PDS): Was war nur in die Kollegen Walter Hirche und Rainer Brüderle sowie ihre Fraktion gefahren, als sie am 16. Oktober diesen Gesetzentwurf beim Bundestag einreichten? Laut seiner Begründung könnten Störungen der Energieversorgung nicht ausge- schlossen werden, deren Ursachen im Inland liegen und nur durch Anwendung des Energiesicherheitsgesetzes be- herrschbar bleiben. Befürchteten sie eine die Versorgung gefährdende rote Flut, die per Stimmzettel fünf Tage spä- ter über die Bundeshauptstadt hereinbrechen sollte? Oder rechnen sie mit anders nicht beherrschbaren Attacken auf die Energieversorgung , falls im Gefolge des 21. Oktober einer von beiden Wirtschaftssenator von Ber- lin werden sollte? Beides will selbst ich nicht vermuten. Näher liegt bei einer traditionsreichen Klientelpartei wie der FDP der Verdacht, man wolle großen Kapitalbesitzern ihr Eigen- tum in allen Lebenslagen sichern. Wenn das Gesetz auf jede mögliche Störung ausgedehnt und praktiziert würde, dann griffe bei seiner Anwendung die so genannte „Här- teausgleichsverordnung“ auf Grundlage von dessen §§ 10 und 11: Machen Importeure, Lieferanten, Bevorrater oder große Energiekonsumenten eine Beeinträchtigung ihrer Geschäfte geltend, dann soll ihnen ein geldwerter Aus- gleich aus Bundes- oder auch Landesmitteln zukommen. Es wäre schon bemerkenswert, wenn eine Partei, die bei- spielsweise bei der Sozialversicherung gar nicht laut ge- nug nach Eigenverantwortung rufen kann, bei der Kapi- talversicherung plötzlich die Solidargemeinschaft aller Steuerzahlerinnen und Steuerzahler entdeckt. Vermutlich ist das Motiv der FDP jedoch viel simpler, aber deshalb nicht weniger ablehnungswürdig: Nach dem 11. Septem- ber verfiel Rot-Grün in Aktionismus, den oppositionelles Gelb eben noch überbieten will. Bei der inneren Sicherheit und Militärpolitik kam man nicht zum Zuge. Dort wird schon durch die Regierung vieles geändert, zwar weniger das, was erkennbaren Be- drohungen tatsächlich angemessen wäre, sondern viel- mehr das, was manche Leute schon immer gern in ihrem Instrumentenkasten gehabt, aber sonst nie bekommen hätten. Also zieht die Wirtschaftspartei auf das ihr nach- gesagte Kompetenzfeld weiter und verfährt dort ebenso wie Rot-Grün: Ein Gesetz der Ölkrise 1973 wird mit ei- nem Federstrich vorgeblich flugzeugbombentauglich ge- macht, ohne an der Situation etwas zu ändern. Man hat etwas getan, um notwendiges Tun tunlichst zu vermei- den, beispielsweise Vorschläge gemacht, wie die tatsäch- lich bedrohten und bedrohlichen Atomkraftwerke ohne Einbußen an Freiheit und Wohlstand schnellstens aus der Welt zu schaffen wären. Sie gibt es; aber wenn sie von der FDP kämen, so wäre das tatsächlich eine revolutionäre Wende. Die Liberalen produzieren lieber Verkleisterung der wirklichen Herausforderungen, gepaart auch noch mit mentaler Kriegsmobilmachung. Für keines von beidem ist die PDS zu haben. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Gesetzentwürfe: Reform des Risikostrukturausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung und Beratung der Unter- richtung: Bericht der Bundesregierung über die Untersuchung zu den Wirkungen des Risiko- strukturausgleichs in der gesetzlichen Kranken- versicherung (Tagesordnungspunkt 28 a und b) Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf hat eine klare Botschaft. Er bedeutet: Wir steuern das Gesund- heitssystem um und für uns stehen die Menschen im Vor- dergrund des Gesundheitssystems. Alle Akteure müssen sich dem, was für die Patienten gut ist, unterordnen, denn der Patient steht im Mittelpunkt. Qualität und Wirtschaft- lichkeit werden mit diesem Gesetzentwurf gesteigert und müssen weiterhin gesteigert werden. Dazu dient die Ge- sundheitsreform 2000 und die anderen Gesetze, die noch im Gesetzgebungsverfahren sind. Wir brauchen dafür ei- nen Wettbewerb unter den Kassen, der für Versicherte und Patienten einen Anreiz bietet, die beste Versorgung für die Patienten aufzubauen. Der Wettbewerb muss dafür ein so- lidarischer Wettbewerb sein. Wir stellen daher den RSA auf eine neue Grundlage. Ziel der Reform ist insbesondere die Verbesserung der Situation der chronisch Kranken. Aber auch die Anglei- chung der Wettbewerbsbedingungen der Krankenkassen. Daher sieht der Gesetzentwurf die folgenden Punkte vor: finanzielle Förderung der Durchführung von Disease-Ma- nagement-Programmen, die Einführung eines Risiko- pools für hohe Leistungsaufwendungen, die Weiterent- wicklung des Risikostrukturausgleichs durch eine direkte Erfassung der Morbiditätsunterschiede der Versicherten, um damit zu einem differenzierten und gerechteren Aus- gleich zwischen den Krankenkassen zu kommen. Zur Reform des Risikostrukturausgleichs gehört auch die Einführung von Disease-Management-Programmen, die die Versorgung von chronisch Kranken verbessern sollen. Für Patienten mit chronischen Erkrankungen muss die Versorgung besser aufeinander abgestimmt werden. Damit lässt sich vor allem die Lebensqualität von Patien- tinnen und Patienten verbessern, aber auch Folgeschäden können zum Beispiel in Diabetiker-Programmen verhin- dert werden. Die Disease-Management-Programme sind verknüpft mit dem Ziel, den Hausarzt als Lotsen im Ge- sundheitssystem zu stärken und verbindliche Gesund- heitsziele in Deutschland zu definieren. Eine Abstim- mung der Behandlungs- und Betreuungsprozesse kann am besten der Hausarzt leisten. Diese Disease-Manage- ment-Programme müssen qualitätsgesichert und kontrol- liert werden. Jedes Disease-Management muss eine Ak- kreditierung erhalten und damit qualitätsgeprüft sein. Die Teilnahme an diesen Programmen muss allerdings frei- willig bleiben. Sie dienen auch langfristig dazu, Kosten zu sparen, denn 80 Prozent der Gesundheitsausgaben werden durch chronisch Kranke verursacht. Hieraus ergibt sich mit der Reform des RSA auch ein Anspruch an die Wirt- schaftlichkeit und an die Beitragssatzstabilität. Die von Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119598 (C) (D) (A) (B) der Union vorgebrachten Argumente überzeugen hier nicht. Sie wollen hohe Qualitätsstandards an die Disease- Management-Programme anlegen, dazu liefern Sie aller- dings keine Verbesserungsvorschläge. Ich möchte noch einmal an die Anfänge der Reform er- innern: Andrea Fischer hatte 1999 ein Gutachten zur Re- form des Risikostrukturausgleichs in Auftrag gegeben. Das Bundesgesundheitsministerium hatte die Experten- gruppe IGES mit Professor Cassel/Wassem beauftragt. Auch das Gegengutachten von Lauterbach und Wille, welches vom Verband der Angestellten- und Arbeiterer- satzkassen, den AOKs und dem Bundesverband der In- nungskrankenkassen angeregt wurde, fand viel Beach- tung. Alle Gutachter waren der übereinstimmenden Auffassung, dass eine dauerhafte Reform des Risiko- strukturausgleichs eine unverzichtbare Voraussetzung für den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen in einem solidarisch finanzierten System ist. Die Einführung der di- rekten Morbiditätsorientierung wird von beiden Gutach- tergruppen übereinstimmend als zentral angesehen. Auch die besondere Berücksichtigung der chronisch Kranken wird durchweg positiv beurteilt. Ich bin daher der Auffas- sung, dass uns mit diesem Gesetz ein weiterer wichtiger und guter Reformschritt gelungen ist. Keiner der Gutach- ter hatte jedoch einen Mindestbeitragssatz gefordert. Wir, die Fraktion von Bündnis 90/die Grünen, haben diesen Mindestbeitragssatz mit aller Entschiedenheit abgelehnt. Ein Mindestbeitragssatz ist nicht im Sinne der Versicher- ten und eines gesunden Wettbewerbs, er nützt darüber hi- naus auch nicht den Krankenkassen, die viele chronisch Kranke zu versichern haben. Die Disease-Management- Programme sind hier ein sinnvoller Ansatz. Sie liefern ge- nauere Kriterien eines morbiditätsorientierten Risiko- strukturausgleichs sowie die Einführung des Risikopools. Auch das später diskutierte Grundlastmodell fand keine breite Zustimmung innerhalb unserer Fraktion. Ein Grundlastmodell könnte ebenso Fehlanreize setzen und würde zu überhöhtem bürokratischen Aufwand führen. Den Vorschlag der so genannten „Gesunden Profile“ wer- den wir weiterhin prüfen, aber für eine Entscheidung fehlte bisher der hinreichende Nachweis über die Wir- kung der Profile. In dem jetzt beschlossenen Vorziehen des Risikopools sehen wir eine sinnvolle Maßnahme, kurzfristig die Kran- kenkassen zu entlasten. Somit stellt der vorliegende Ge- setzentwurf ein Paket aus Maßnahmen dar, die einerseits kurzfristig und mittelfristig zu einem fairen Wettbewerb führen. Andererseits wird der RSA zugleich umorientiert, hin auf eine bessere Versorgungsqualität der chronisch kranken Versicherten. Der vorliegende Gesetzentwurf packt Probleme des Risikostrukturausgleichs nachhaltig an. Sich einer Re- form zu verschließen wäre unverantwortlich gegenüber den Versicherten und Patienten. Aber es ist auch unver- ständlich, sich einem gerechten, solidarischen Wettbe- werb zu verweigern. Ich bitte Sie daher, dem Gesetzent- wurf zuzustimmen. Dr. Ruth Fuchs (PDS): Mit der Einführung des Kas- senwahlrechts für alle Mitglieder wurden Angestellte und Arbeiter in der GKV gleichgestellt. Um allen Kassen für den damit verbundenen Wettbewerb gleiche Ausgangsbe- dingungen zu geben, wurde ein Risikostrukturausgleich eingeführt. Dieser Finanzausgleich sollte die Nachteile beseitigen, die sich für eine Kasse aus ungleicher Mit- gliederstruktur und unterdurchschnittlichem Einnahmeni- veau ergeben. Obwohl mit dem RSA zurzeit jährlich circa 27 Milliarden DM umverteilt werden, ist dies nicht ge- lungen. Es ist für eine Kasse höchst vorteilhaft, möglichst viele junge, gesunde und gut verdienende Mitglieder zu gewinnen. Dieser Effekt kommt vor allem den so ge- nannten virtuellen Betriebskrankenkassen zugute. Umge- kehrt werden geringer verdienende, ältere und chronisch kranke Menschen für die Kassen zur Belastung. Für eine Krankenversicherung, deren Zielstellung sozialer Aus- gleich sein soll, entsteht eine geradezu perverse Anreizsi- tuation. Die Beitragsunterschiede, die daraus resultieren, haben nichts mit wirtschaftlichem Handeln zu tun. Die Ent- wicklung geht in erster Linie zulasten der AOKs und großer Ersatzkassen. Äußerst schwierig gestaltet sich die Situation der meisten AOKs in den neuen Bundesländern, bei denen besonders viele Ältere und chronisch Kranke versichert sind. Hinzu kommt, dass der GKV im Ganzen zunehmend Mittel entzogen werden. Ein solidarisch fi- nanziertes und sozial gerechtes Gesundheitswesen ist auf Dauer so nicht zu erhalten. Wir begrüßen deshalb ausdrücklich, dass die Regie- rung handelt und der zunehmenden Risikoselektion und Entsolidarisierung in der GKV Einhalt gebieten will. Al- lerdings sind wir der Meinung, dass dieses wichtige Ziel nicht ausreichend und überzeugend umgesetzt wird. Rich- tig ist, dass künftig auch die Morbidität direkt berück- sichtigt wird. Das benötigt Zeit und kann deshalb nur mit- telfristig wirksam werden. Für die Übergangszeit sind deshalb mit der Einführung voll Disease-Management- Programmen zur strukturierten Behandlung chronisch Kranker und einem Risikopool für besonders kostenin- tensive Behandlungsfälle auch kurzfristige Schritte vor- gesehen. Diese Maßnahmen reichen aber nicht aus bzw. greifen zu spät. Darin besteht nach unserer Auffassung die entscheidende Schwäche des Gesetzes. Dies gilt trotz der eingebrachten Änderungsanträge, die unter anderem da- rauf zielen, die kurzfristigen Vorhaben bereits im Verlaufe des Jahres 2002 wirksam werden zu lassen. Zweifellos kann mit Disease-Management-Program- men die Behandlung chronisch Kranker gezielt verbessert werden. Vor dem Hintergrund der erstarrten Versorgungs- strukturen im Gesundheitswesen sollte allerdings nie- mand erwarten, dass sie die erhofften Wirkungen bereits in kurzer Zeit entfalten. Überfällig war allerdings, dass nun auch die Ärzte im Rahmen des Koordinierungsaus- schusses an der Einrichtung dieser Programme beteiligt sein werden. Unverständlich bleibt für uns jedoch, dass die Schwellenwerte der Leistungsaufwendungen für ei- nen Versicherten im Zusammenhang mit dem Risikopool und die dabei festgelegten Selbstbehalte der Kassen nicht niedriger angesetzt wurden. So bleibt zu bezweifeln, dass die angestrebten qualitativen und finanziellen Wirkungen des Risikopools tatsächlich erreicht werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 19599 (C) (D) (A) (B) Im Übrigen gehören zum Ausgleich auf der Einnah- menseite auch die beträchtlichen Aufwendungen, die die Kassen bei Härtefällen und chronisch Kranken anstelle der Zuzahlungen aufbringen müssen. Das betrifft wie- derum besonders die ostdeutschen AOKs und bleibt gänz- lich unberücksichtigt. Vor allem aber fehlt dem Gesetz nach wie vor ein Ele- ment, welches den Finanzausgleich zwischen den Kassen bereits ab Anfang nächsten Jahres in notwendiger Weise verändert. Das Gesetz wird deshalb seine zentrale Auf- gabe, die gegenwärtige Entsolidarisierung in der GKV und die damit verbundene Aushöhlung ihrer Funktions- fähigkeit zu stoppen, nicht in der gebotenen Weise erfül- len können. Aus diesem Grunde werden wir uns der Stimme enthalten. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Gesetzentwürfe: – Fortentwicklung des Unternehmensteuer- rechts (Unternehmensteuerfortentwicklungs- gesetz – UntStFG) – Änderung steuerlicher Vorschriften (Steuer- änderungsgesetz 2001 – StÄndG 2001) und des Antrags: Mehr Wirtschaftswachstum durch mehr Gerechtigkeit im Unternehmensteuer- recht (Tagesordnungspunkt 29 a bis c) Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Wieder er- füllen die Bundesregierung und die rot-grüne Regie- rungskoalition wichtige Versprechen, die sie Steuerbür- gern und der mittelständischen Wirtschaft gegeben hat. Mit dem Gesetz zur Fortentwicklung des Unterneh- menssteuerrechts setzt die Regierungskoalition ihren mit der Unternehmensteuerreform beschrittenen Weg zur Modernisierung der steuerpolitischen Kulisse für alle Un- ternehmen konsequent fort. Die SPD-Bundestagsfraktion hat den Regierungsentwurf deutlich erkennbar angerei- chert. Ökonomisch widersinnige Haltefristen für die Übertragung von Wirtschaftsgütern innerhalb einer Per- sonengesellschaft werden abgeschafft. Für die Übertra- gung von Beteiligungen oder Wirtschaftsgütern einer Per- sonengesellschaft auf eine beteiligte Kapitalgesellschaft wird die Nachversteuerung von stillen Reserven auf die Fälle begrenzt, in denen ein Weiterverkauf vor Ablauf von sieben Jahren erfolgt. Die Umwandlung und Umstrukturierung von Perso- nenunternehmen wird ab dem 1. Januar 2002 deutlich er- leichtert. Realteilungen und die Übertragung von Unter- nehmensbestandteilen zwischen Personenunternehmen werden weitgehend steuerneutral möglich. Die Reinvesti- tion von Erlösen aus der Veräußerung von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften wird gegenüber dem Regie- rungsentwurf erweitert. Die Übertragung von Gewinnen aus der Veräußerung von Beteiligungen ist zulässig beim Erwerb neuer Kapitalbeteiligungen bei Gebäuden und ab- nutzbaren beweglichen Anlagegütern. Aus haushaltspoli- tischen Gründen wird der übertragbare Gewinn auf 100 000 DM im Wirtschaftsjahr begrenzt. Insgesamt werden besonders kleine und mittlere Un- ternehmen zusätzlich um 450 Millionen DM entlastet. Gleichzeitig wirkt das Gesetz auch der Aushöhlung der Gemeindefinanzen entgegen. Durch die Verkopplung von körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Or- ganschaften bei der steuerlichen Verrechnung von Gewin- nen und Verlusten in Unternehmensverbünden werden den Städten und Gemeinden Gewerbesteuereinnahmen in Höhe von 1 Milliarde Mark gesichert. Bereits bei Verab- schiedung der Unternehmensteuerreform hatten wir zuge- sagt, in einem zweiten Schritt die Umwandlung und Um- strukturierung von Personenunternehmen ähnlich zu erleichtern, wie wir es für die Kapitalgesellschaften be- reits durchgesetzt hatten. Außerdem wollten wir das Außensteuerrecht europäisieren und modernisieren. Hierzu hat auf Antrag der Koalition die Bundesregierung frühzeitig einen Bericht vorgelegt, der gemeinsam mit der Wirtschaft erarbeitet worden ist. Dieser Bericht wird mit diesem Gesetzgebungsvorhaben umgesetzt. Dabei geht die heute vorliegende Beschlussvorlage auf Initiative der Koalition noch weiter auf die Wirtschaft zu, als es der Re- gierungsentwurf bereits getan hat. Im Einzelnen haben wir Folgendes erreicht: die Wei- terentwicklung der die Personenunternehmen betreffen- den Regelungen zur Wiedereinführung des früheren Mit- unternehmererlasses und Übertragung dieses Konzepts auf Realteilungen ohne ökonomisch unsinnige Haltefris- ten; die Schaffung der Möglichkeit für Personenunterneh- men, Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften steuerneutral auf die Anschaffungs- kosten anderer, neu erworbener Anteile an Kapitalgesell- schaften zu übertragen bzw. diese Gewinne in eine steu- erfreie Rücklage bis zu 100 000 DM gemäß § 6 b EStG einzustellen, die in den zwei folgenden Jahren auf die An- schaffungskosten neu erworbener Wirtschaftgüter zu übertragen oder gewinnerhöhend aufzulösen ist; die Wie- dereinführung der Gesellschafterbezogenheit der Rück- lage nach § 6 b EstG; die Beschränkung der Steuerver- günstigung der §§ 16 und 34 EStG bei der Veräußerung von Mitunternehmeranteilen auf die Veräußerung des ge- samten Mitunternehmeranteils; die Verhinderung von Ge- staltungsmöglichkeiten zur Umgehung der Gewerbe- steuer über die Veräußerung von Mitunternehmeranteilen durch eine Körperschaft; die Streichung des Verbots des Abzugs von Aufwendungen von Kapitalgesellschaften im Zusammenhang mit steuerfreien inländischen Beteili- gungserträgen. Bei Umstrukturierungen von Kapitalgesellschaften im grenzüberschreitenden Bereich wurde der Verzicht auf die Aufdeckung stiller Reserven einer inländischen Betriebs- stätte im Rahmen einer Verschmelzung im Ausland, so- fern die stillen Reserven weiterhin im Inland steuerver- haftet bleiben, erzielt. Andere Erfolge waren: die rückwirkende Festschreibung der bisherigen Verwal- tungspraxis bei der so genannten Mehrmütterorganschaft für alle offenen Fälle bei der gewerbesteuerlichen Ver- lustberücksichtigung und Einführung einer Mindestbetei- ligung von 25 Prozent ab 2003; die Anerkennung der kör- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119600 (C) (D) (A) (B) perschaftsteuerlichen Organschaft bereits dann, wenn sich die Geschäftsleitung des Organträgers im Inland befindet. Bisher galten Sitz und Geschäftsleitung; das Verbot der Teilwertabschreibung im Zusammenhang mit § 8 b KStG a. F.; die Anerkennung einer gewerbesteuer- lichen Organschaft nur bei Vorliegen einer körper- schaftsteuerlichen Organschaft. Es wurde auf die Umsetzung des EuGH-Urteils ver- zichtet, das die gewerbesteuerliche Hinzurechnung eines Viertels der Miet- und Pachtzinsen beim Mieter oder Pächter, Leasingnehmer, bei nicht aus Grundbesitz beste- henden Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens unab- hängig davon, wie sie beim Vermieter oder Verpächter, Leasinggeber, gewerbesteuerlich behandelt werden, ge- fordert hat. Damit wäre die Versorgung der Wirtschaft mit Investitionsgütern über den Weg des Leasings empfind- lich gestört und das wachsende Leasinggewerbe stark be- hindert worden. Luftfahrtgesellschaften, wie die Euro- wings, die ihre Flugzeuge leasen, wären in ihrer Existenzfähigkeit getroffen worden. Das haben wir ver- hindert. Darüber hinaus haben wir erreicht: die Herabsetzung der Mindestbeteiligungsquote bei der Hinzurechnungsbe- steuerung nach dem Außensteuergesetz bei Beteiligungen unbeschränkt Steuerpflichtiger an ausländischen Zwi- schengesellschaften mit Einkünften mit Kapitalanla- gecharakter von 10 Prozent auf 1 Prozent. Vom vollstän- digen Verzicht auf eine Beteiligungsgrenze hat die Koalition abgesehen; die Herausnahme von Dividenden aus der Hinzurechnungsbesteuerung, das heißt Behand- lung der Gewinnausschüttungen von Kapitalgesellschaf- ten als aktive Einkünfte; der Verzicht auf die pauschale Steuer von 38 Prozent des Hinzurechnungsbetrags und Berücksichtigung des Hinzurechnungsbetrags im Rah- men der Einkommensermittlung des Anteilseigners; der Wegfall der Grunderwerbsteuerpflicht bei konzerninter- nen Umstrukturierungen, weil die Beibehaltung entweder die Umstrukturierung erheblich belastet oder aber Aus- weichverhalten, wie die Verschmelzung von Unterneh- men auf eine Grundstückgesellschaft geradezu provoziert würde; die Streichung der Möglichkeit des geltenden Rechts, eine gewerbesteuerliche Organschaft auch bei Nichtvorhandensein eines Ergebnisabführungsvertrages anzunehmen, wenn eine Organschaft wirtschaftlich, finanziell und organisatorisch in einen Organträger einge- gliedert ist. Damit wird der Aushöhlung der Gewerbe- steuer als Standortsteuer entgegengewirkt und den Ge- meinden Gewerbesteuereinnahmen in Höhe von einer Milliarde Mark gesichert. Mit diesem zweiten großen Schritt der Unternehmen- steuerreform wird das Unternehmensteuerrecht erheblich modernisiert. Gerade für Personenunternehmen wird ebenso wie für Kapitalgesellschaften weitgehend rechts- formneutral ab 2002 eine große Dynamik freigesetzt, die in zusätzliches Wirtschaftswachstum münden wird. Insgesamt müssen wir noch einmal festhalten, damit sich nicht erneut propagandistische Fehlmeldungen der CDU und FDP in den Köpfen festsetzen: Die Steuerpoli- tik dieser Regierung, die alles in allem im Jahr 2005 alle Steuerbürger und Unternehmen gegenüber 1998 um jetzt 100 Milliarden Mark entlastet, stellt allein die mittelstän- dischen Unternehmen um 30,5 Milliarden Mark besser. Die meisten Unternehmen sind Personengesellschaften, die einkommensteuerpflichtig sind. Sie profitieren von den abgesenkten Tarifen und dem flacheren Tarifverlauf. Zur Erinnerung: Wir senken den Eingangssteuersatz von 25,9 Prozent auf 15 Prozent im Jahr 2005, den Spitzen- steuersatz von 53 Prozent auf 42 Prozent und erhöhen den Grundfreibetrag von 12 300 DM auf 15 000 DM. Ganz wichtig ist für Personengesellschaften, dass sie künftig ihre Gewerbesteuerschuld faktisch vollständig ge- gen ihre Einkommensteuerschuld verrechnen können. Durch diese Strukturmaßnahme sind Personengesell- schaften eher noch besser gestellt als Kapitalgesellschaf- ten, für die der Körperschaftsteuersatz auf 25 Prozent ab- gesenkt wurde. Auch die heiß diskutierte Frage nach den Veräuße- rungsgewinnen von Personenunternehmen haben wir mit- telstandsfreundlich beantwortet. Wir haben den Freibe- trag von 60 000 DM auf 100 000 DM angehoben und geben im Zusammenhang mit Betriebsaufgaben und Nachfolgerproblemen die Möglichkeit, einmal im Leben den verbleibenden Veräußerungsgewinn lediglich mit dem halben persönlichen Steuersatz zu belasten. 50 Prozent aller Personenunternehmer verdienen unter 50 000 DM; 75 Prozent unter 100 000 DM; 95 Prozent unter 250 000 DM. Kapitalgesellschaften werden über Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer und Solidaritätsbei- trag mit circa 38 Prozent Steuern auf Gewinn belastet. Um gleich hoch belastet zu werden, müsste ein verheirateter Personenunternehmer über 480 000 DM im Jahr ver- dienen. Da aber fast alle Personenunternehmer unter 250 000 DM positiven Einkünften im Jahr liegen, werden fast alle auch weniger steuerlich belastet als Kapitalge- sellschaften. Auch im Steueränderungsgesetz haben wir einige wichtige neue Regelungen getroffen, die für die Bürger wichtig sind. So wurde endlich klargestellt, dass die Ent- fernungspauschale für Fahrten von und zur Arbeitsstätte nicht nur für den theoretisch geographisch kürzesten Weg gilt, sondern auch für vernünftige Umwegstrecken. Wir haben ebenfalls klargestellt, dass die Verknüpfung von Bausparprämie und privater Altersvorsorge nicht möglich ist, um Doppelförderung zu vermeiden und beide Vorsor- gewege für Arbeitnehmer, nämlich die private Altersvor- sorge und Wohnungsbauförderung, gleichberechtigt ne- beneinander aufrecht zu erhalten. Wir haben die zum Teil fehlgeleitete steuerliche Förderung des Wohnungsbau Ost durch Investitionszulagen zurückgeführt, damit finanziel- ler Spielraum für ein Innenstadtprogramm Ost entsteht, mit dem die Bundesregierung Wohnungen in den Innen- städten Ostdeutschlands sanieren und die Innenstädte ins- gesamt attraktiver machen will. Alles in allem haben wir mit beiden Gesetzen wieder ein wichtiges Stück Fort- schritt gebaut: für die Unternehmen, für die Arbeitneh- mer, für die Städte und Gemeinden. Elke Wülfing (CDU/CSU): Zum wiederholten Male haben wir zwei Steuergesetze der rot-grünen Bundes- regierung auf der Tagesordnung, die die Reparatur der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 19601 (C) (D) (A) (B) Reparatur der Reparatur bedeuten. Ich hatte eigentlich gedacht, ich hätte mich an die schludrige Gesetzesvorbe- reitung dieser rot-grünen Bundesregierung inzwischen gewöhnt, aber die Gesetzesberatung zum Steuerände- rungsgesetz 2001 und zum Unternehmensteuerfortent- wicklungsgesetz schlug diesmal wirklich dem Fass den Boden aus. Noch am späten Abend vor der abschließen- den Ausschusssitzung spuckte der Computer 70 neue Sei- ten aus, nachdem wir als Geschenk zu Allerheiligen über 200 Seiten Neuformulierungen in die Wahlkreise ge- schickt bekommen hatten. Während der Ausschusssit- zung ging es genauso weiter. Diese Art und Weise der Gesetzesberatung ist nicht nur eine Zumutung für den Finanzausschuss, sondern vor al- len Dingen für die Bürgerinnen und Bürger, für die Steu- erberater und die Finanzbeamten. Kein Mensch ist mehr in der Lage, diese chaotische Steuergesetzgebung nur annähernd nachzuvollziehen. Wer in dieser Weise Steuer- politik macht, fördert Staatsverdrossenheit und unfreiwil- lige Steuerhinterziehung. Dabei wäre eine grundlegende Steuerreform dringend notwendig, denn nicht der 11. Sep- tember ist der Grund für die steigenden Arbeitslosenzah- len, für die galoppierende Insolvenzsteigerung, für das stagnierende Bruttosozialprodukt und für die Steuerein- brüche. Darauf weisen die Forschungsinstitute in ihrem Herbstgutachten deutlich hin – ich zitiere –: Die Konjunktur befand sich schon vor den Terror- anschlägen in einer Schwächephase. Bereits in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres hatte die gesamtwirtschaftliche Produktion deutlich an Schwung verloren. Deutschland ist wirtschaftlich abgehängt. Steuer- und Rentenreform wirken nicht. An eine Reform des Arbeits- marktes will die Regierung nicht heran. Die Sozialversi- cherungsbeiträge steigen. Für jede 100 DM, die der Ar- beitnehmer auf seinem Lohnkonto vorfindet, zahlte der Arbeitgeber schon im letzten Jahr 181,30 DM. Deutsch- lands Arbeitskosten sind trotz des schwachen Euros Welt- rekord. Unternehmen richten Arbeitsplätze in Deutsch- land nur noch dann ein, wenn sie so hochwertig sind, dass die Lohnnebenkosten keine Rolle spielen. Der Verzicht auf billigere Arbeitsplätze bedeutet aber den Verzicht auf Investitionen und somit geringeres Wachstum. Ebenso einsichtig ist der Zusammenhang zwischen der Dauerflaute und zu hohen Steuern. Die Steuerreform hat leider nichts daran geändert, dass der Arbeitnehmer auf seinem Gehaltskonto nicht einmal die Hälfte seines Brut- togehaltes vorfindet. Dafür hat Finanzminister Eichel den Bürgern aber einen guten Rat gegeben: Von dem nicht vorhandenen Geld im Portemonnaie sollen wir alle mög- lichst viel ausgeben, um die Inlandsnachfrage zu stimu- lieren. Dabei ist das Loch in den Taschen der Bürger und der Unternehmen so tief, dass sie sich mit bloßer Hand die Socken hochziehen können. Warum um alles in der Welt, Herr Bundesfinanzminis- ter, machen Sie nicht endlich eine Steuerreform, die den Bürgern und den Unternehmen wirklich nützt? Warum um alles in der Welt folgen Sie dem Rat der Forschungsin- stitute nicht, die Tarifsenkung für die Besteuerung von Arbeitnehmern und für den Mittelstand aufs nächste Jahr vorzuziehen? Stattdessen verfallen Sie in hektische Be- triebsamkeit und machen die Reparatur der Reparatur der Reparatur. Wenn Sie von Anfang an auf Finanzwissen- schaftler und Steuerfachleute oder auf die Opposition ge- hört hätten, wäre diese ganze Flickschusterei nicht not- wendig gewesen. Die rot-grüne Chaospolitik im Bereich Steuern hat ei- nen erheblichen Anteil am Einbruch der Konjunktur. Die Unternehmensteuerreform hat ihre Wirkung verfehlt, weil sie 80 Prozent der deutschen Unternehmen gar nicht er- fasst hat. Durch die Verschärfung der allgemeinen Abschreibungstabellen bezahlen diese Unternehmen die Tarifsenkung für die Kapitalgesellschaften auch noch mit. Wenn Sie denn bei Ihrer Flickschusterei aber wenigstens alle Löcher gestopft hätten, könnte man in dem Chaos ja wenigstens noch einen Sinn sehen. Vernünftig wäre es zum Beispiel gewesen, wenn sie den halben Steuersatz für die Altersvorsorge für Unternehmer, den Sie ja gestrichen hatten, nicht nur auf diese, sondern auch auf die Abfin- dungen von Handelsvertretern und Arbeitnehmern ausge- dehnt hätten. Auf Druck der Wirtschaft haben Sie ja nun doch eine Reinvestitionsrücklage für Personengesellschaften vorge- sehen. Auch hier wieder die Reparatur der Reparatur der Reparatur. Nachdem wir Sie immer wieder darauf hinge- wiesen hatten, dass man nicht nur die Veräußerung von Anteilen von Kapitalgesellschaften steuerfrei stellen darf, sondern die Personengesellschaften ebenfalls gleichstel- len muss, war die erste Reparatur beschränkt auf Wieder- anlage in externe Beteiligungen. Und dies nur innerhalb von zwei Jahren. Jetzt haben Sie sich nach großem Krach und langem Druck dazu herabgelassen, dass Personenun- ternehmen dieses Geld auch im eigenen Betrieb investie- ren dürfen. Warum nun aber um Gottes Willen beschränkt auf 100 000 DM Gewinn? Davon kann man nicht einmal eine halbe Webmaschine kaufen. Raten Sie mal, was eine CNC-gesteuerte Werkbank in einem Schreinereibetrieb heute kostet: Warum hören Sie nicht auf Ihre eigenen Fachleute im Wirtschaftsausschuss? Die haben die Gren- ze wenigstens auf 1 Million DM heraufsetzen wollen. Es ist, wie gesagt, alles nur Flickschusterei. Dabei ha- ben Sie auch das eine oder andere Loch einfach verges- sen, zum Beispiel die Mindestbesteuerung nach § 2 Abs. 3. Dieses Verlustverrechnungsverbot ist in der Pra- xis nicht handhabbar, insbesondere werden Existenzgrün- der betroffen, wenn sie neben ihrer normalen Tätigkeit versuchen, eine neue Existenz aufzubauen. Warum strei- chen Sie diese Regelung nicht ersatzlos? Damit würden Sie ein deutliches Zeichen setzen, Herr Bundesfinanzmi- nister, dass Sie Herrn Lafontaine und seine sozialistische Steuergesetzgebung endlich hinter sich gelassen haben. Ein weiteres Beispiel für Ihre chaotische Steuerpolitik ist der Mitunternehmererlass. Nach Abschaffung, Wieder- aufleben und jährlicher Änderung haben sie nun wieder den Rechtszustand von 1998 erreicht. Warum haben Sie eigentlich regiert? Sehr geehrter Herr Bundesfinanzminister, was haben Sie eigentlich 1999 aus unserem schönen Investitionszu- lagengesetz gemacht? Warum um alles in der Welt sind Sie nun darauf verfallen, dem weiterhin so notwendigen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119602 (C) (D) (A) (B) Stadtumbau Ost das Wasser abzugraben? Bei der Moder- nisierung der Wohnungen für Selbstnutzer wollen Sie 200 Millionen DM streichen, bei der Modernisierung von Mietwohnungen wollen Sie 144 Millionen DM streichen, Knall auf Fall und ohne Übergang. Damit entziehen Sie der ostdeutschen Bauwirtschaft insgesamt, trotz Er- höhung der Altbauzulage, 120 Millionen DM Zuschüsse im Jahr. Statt der am Boden liegenden Bauwirtschaft auf die Füße zu helfen und die Förderung zu verbessern, sor- gen Sie dafür, dass weitere Arbeitsplätze verloren gehen und die Modernisierung beim ostdeutschen Wohnungs- bau ins Stoppen kommt. Ich könnte noch viele Einzelbeispiele aus den Steuerre- paraturgesetzen anführen. Sie würden alle zu dem glei- chen Ergebnis kommen. Statt einer wirklichen, für die Arbeitsplätze stimulierenden Einkommensteuerreform machen Sie nur noch Murks. Weil Sie nichts tun, ist das Wachstum zu gering und sind die Steuereinnahmen knapp. Sie wissen anscheinend nicht mehr ein noch aus. Wenn Sie es nicht besser gewusst hätten, könnten Sie ei- nem fast leid tun. Aber da Ihnen alle Verbände, die Finanzwissenschaftler, die Steuerberater, die Forschungs- institute, die richtigen Rezepte an die Hand gegeben ha- ben, kann ich Ihnen nur zurufen: Ziehen Sie die Tarifsen- kungen auf das nächste Jahr vor und machen Sie dann eine echte Einkommensteuerreform, die diesen Namen ver- dient! Statt dieser Reparaturgesetze müssen Sie endlich ein deutliches Zeichen setzen, damit die selbstgemachte Konjunkturflaute beendet wird und Deutschland endlich wieder auf die Beine kommt. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion lehnt Ihre Gesetz- entwürfe ab, weil wir uns an Ihrem Murks nicht mehr be- teiligen wollen. Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit der Fortführung der Unternehmensteuerreform ebnen wir jetzt auch für den Mittelstand den Weg für notwendige Umstrukturierungen. Diese wichtigen steuerlichen Er- leichterungen verbessern gezielt die Wettbewerbsbedin- gungen für den einkommensteuerpflichtigen Mittelstand. Dieter Philipp, der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks hat sich bereits über die Verbesse- rungen für Personenunternehmen positiv ausgesprochen. lm Rahmen von Realteilungen und Mitunternehmer- schaften können künftig bei einkommensteuerpflichtigen Unternehmen Teilbetriebe, Mitunternehmeranteile und einzelne Wirtschaftsgüter übertragen werden, ohne dass stille Reserven aufgedeckt und versteuert werden müssen. Das erleichtert gerade kleinen und mittleren Unternehmen den Strukturwandel. Auch haben wir die ursprünglich ge- planten Behaltefristen gestrichen. Es wäre völlig kontra- produktiv gewesen, wenn eine steuerfreie Umstrukturie- rung sieben Jahre lang konserviert bleiben müsste. Wir haben jetzt endlich die steuerfreie Reinvestitions- rücklage durchgesetzt. Die bündnisgrüne Fraktion hatte schon im Vorfeld darauf gedrängt, dass bei Umstrukturie- rungen für einkommensteuerpflichtige Klein- und Mittel- betriebe im Grundsatz die gleichen Bedingungen gelten sollten wie bei körperschaftsteuerpflichtigen Großunter- nehmen. Gewinne aus der Veräußerung von Beteiligun- gen an Kapitalgesellschaften können nun ab nächstem Jahr bis zu einem Betrag von rund 100 000 DM steuerfrei innerhalb von zwei Jahren in andere Beteiligungen, in Ausrüstungsgegenstände und in Gebäude reinvestiert werden. Damit konnten wir die steuerfreien Investitionsmög- lichkeiten für diese Gewinne sogar noch stärker als ursprünglich geplant auf Bau- und Ausrüstungsinvestiti- onen ausdehnen. Somit kann jetzt ein einkommensteu- erpflichtiger Unternehmer nicht nur seine Kapitalbetei- ligungen steuerfrei umschichten, sondern die daraus erzielten Gewinne auch in arbeitsplatzschaffende Investi- tionen umsetzen. Das ist ein ganz wichtiges Signal in die- ser äußerst schwierigen Konjunkturphase. Auch diese Vergünstigung kommt ausschließlich den einkommen- steuerzahlenden kleinen und mittelständischen Unterneh- men zugute. Außerdem haben wir eine zunächst geplante Verschär- fung der Gewerbesteuerbelastung für die Leasingbranche und damit für den Mittelstand verhindert. Gerade kleine und mittlere Unternehmen sind oft auf Leasing angewie- sen, um ihre Anlagen entsprechend finanzieren zu kön- nen. Eine höhere Steuerbelastung in diesem Bereich wäre angesichts der konjunkturellen Entwicklung investitions- und arbeitsplatzfeindlich. Das Gesetz sichert den Kommunen ihre überlebens- notwendigen Gewerbesteuereinnahmen. Bei den Mehr- mütterorganschaften haben wir für Rechtssicherheit ge- sorgt und die langjährige Verwaltungspraxis auch gesetzlich festgeschrieben. Bei der Neuregelung der gewerbesteuerlichen Organschaft sind wir – entgegen den ursprünglichen Plänen – nun der Empfehlung des Bun- desrates gefolgt und haben sie an die Regelungen der kör- perschaftsteuerlichen Organschaft angepasst. Dies bringt den Kommunen Steuermehreinnahmen von in etwa 1 Mil- liarde DM und verursacht bei Bund und Ländern Minder- einnahmen. Bund und Länder verzichten angesichts der starken Gewerbesteuerausfälle in den ersten drei Quarta- len dieses Jahres von rund 16 Prozent auf eine Kom- pensation dieser Mindereinnahmen. Die derzeitigen Probleme mit der Gewerbesteuer wer- den jedoch ganz wesentlich durch die Gewerbesteuer selbst verursacht. Sie sind nicht die Folge unserer Un- ternehmensteuerreform. Der eigentliche Grund ist die ausgehöhlte Basis der Gewerbesteuer. Sie hat sich zu ei- ner Großbetriebsteuer entwickelt, mit der Konsequenz, dass viele Gemeinden nahezu vollständig vom konjunk- turellen Wohl und Wehe von oft nur einem Steuerpflichti- gen abhängig sind. Die Gemeindefinanzreform muss des- halb eines der ersten Projekte in der nächsten Legislaturperiode werden. Im Steueränderungsgesetz 2001 haben wir weitere zahlreiche Erleichterungen und Vereinfachungen für Bür- gerinnen und Bürger, aber auch für Unternehmen erreicht. Wir entlasten künftig nachhaltig die ausländischen Künstler mit kleineren Gagen. Die übliche Quellensteuer von 25 Prozent wird für Gagen bis 250 Euro pro Künstler steuerfrei gestellt und setzt danach stufenweise ein. Für Gagen über 250 bis 500 Euro werden nur 10 Prozent fällig, über 500 bis 1 000 Euro nur 15 Prozent. Für größere Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 19603 (C) (D) (A) (B) Gagen muss der inländische Veranstalter – wie bisher üb- lich – 25 Prozent ans Finanzamt abführen. Dieser Spit- zensatz wird aber ebenfalls abgesenkt. Ab 2003 werden höchstens noch 20 Prozent Steuern fällig. Damit wird die 1996 seinerzeit unter der Kohl-Regierung eingeführte Übermaßbesteuerung ausländischer Künstler endlich be- endet. Mit diesen steuerlichen Erleichterungen fördern wir ganz wesentlich den Kulturaustausch und die Völkerver- ständigung in dieser schwierigen Zeit. Und es ist nicht nur eine Verbesserung für die ausländischen Künstler, son- dern auch für die inländischen Veranstalter und natürlich für die Besucher von Konzerten und anderen Veranstal- tungen. Ein anderes Beispiel ist die nun erleichterte Bauab- zugsbesteuerung für kleinere Vermieter mit nicht mehr als zwei Wohnungen. Diese müssen keine Abzugsteuer auf die von ihnen erhaltenen Bauleistungen einbehalten und anstelle des Bauunternehmens an das Finanzamt ab- führen, wenn das Bauunternehmen keine Freistellungsbe- scheinigung vorweisen kann. Diese Freistellungsbeschei- nigung erteilt normalerweise das Finanzamt, wenn sich das Bauunternehmen keine schweren steuerrechtlichen Verfehlungen hat zuschulden kommen lassen. Dadurch sorgen wir für eine unbürokratische Lösung, ohne das Ziel der Bekämpfung von Schwarzarbeit am Bau zu ge- fährden. Gerhard Schüßler (FDP): Die FDP wird die beiden Gesetzentwürfe der Bundesregierung ablehnen. Sie sind nicht nur Fortsetzung der chaotischen Steuerpolitik der rot-grünen Koalition. Sie sind auch das Ergebnis unseriö- ser und hektischer Beratungen, das von der FDP keines- falls mitgetragen wird. Die Bundesregierung hat in bisher kaum vorstellbarem Ausmaß den Finanzausschuss mit einer Flut von Ände- rungsanträgen konfrontiert, die den eigenen Gesetzent- wurf korrigieren, frühere Fehler bei der Gesetzgebung re- parieren und in vielen Fällen „redaktionell klarstellend“ seien sollen. Kein Mitglied des Finanzausschusses kann von sich behaupten, dass er diese vielen Anträge gründ- lich durcharbeiten und sich jeweils eine Meinung dazu bilden konnte. Mein Verständnis als Mitglied dieses Hauses verbietet es mir, eine solche Flickschusterei mitzumachen, deren Auswirkungen ich nicht abschätzen kann. Auch halte ich es für unzumutbar, die Betroffenen in der Finanz- verwaltung und in den Steuerberatungskanzleien kurz vor Jahresende mit vielen Gesetzesänderungen zu konfrontie- ren. Niemand darf sich wundern, wenn bei der Anwen- dung Fehler passieren. Letztlich führt die Verabschiedung umfangreicher Steuergesetze kurz vor Jahresende zu mehr Politik- verdrossenheit der Bürgern von der weiter sinkenden Steuermoral gar nicht zu sprechen. Ich fordere für die FDP nochmals, dass wir endlich zu einer wirklichen Steu- erreform kommen müssen. Die vielen Änderungen, die heute verabschiedet werden sollen, belegen doch, dass unser Steuerrecht viel zu kompliziert ist und von kaum je- mandem noch verstanden wird. Wir brauchen endlich eine Reform, die diesen Namen auch verdient. Barbara Höll (PDS): Ziel des Unternehmensteuerfort- entwicklungsgesetzes ist „die rechtssystematische Wei- terentwicklung der mit dem Steuersenkungsgesetz einge- leiteten Reform“. Prinzipiell ist es ein begrüßenswerter Schritt, wenn die Bundesregierung den Versuch unter- nimmt, das Steuerrecht systematischer und damit transpa- renter, also einsichtiger zu gestalten. Ein solches Ansin- nen ist aber zum Scheitern verurteilt, wenn eine Reform systematisch weiterentwickelt werden soll, die nichts an- deres ist als ein Bruch der gesamten Steuersystematik. So gilt im Allgemeinen, dass Gewinne dann und dort zu versteuern sind, wann und wo sie realisiert werden. Wird beispielsweise ein Betriebsgrundstück verkauft und aus diesem Verkauf ein Gewinn erzielt, so ist dieser Ge- winn bei dem zu erfassen und zu versteuern, der ihn er- zielt hat. Mit der Unternehmensteuerreform ist das nun nicht mehr so, zumindest wenn eine Kapitalgesellschaft eine an- dere Kapitalgesellschaft verkauft. Dann nämlich ist der Gewinn steuerfrei. Alle anderen Veräußerungsgewinne müssen allerdings auch weiterhin versteuert werden. Wird also zukünftig eine Kapitalgesellschaft verkauft, deren Vermögen aus Grundstücken besteht, ist der Veräuße- rungsgewinn steuerfrei. Gehören diese Grundstücke un- mittelbar zum Vermögen des Verkäufers, muss der Ge- winn versteuert werden. Das ist nicht systemgerecht oder systemkonsequent, sondern ein Systembruch. Dieser Sys- tembruch hat seine Ursache darin, dass sich Herr Eichel die Zuneigung der großen Konzerne – insbesondere der Banken und Versicherungen – mit ein paar Steuergeschen- ken – geschätzter Wert 4 Milliarden DM – erkaufen will. Es ist völlig klar, dass sich der Mittelstand ungerecht behandelt fühlt; denn es ist gar nicht einzusehen, dass nur die großen Konzerne an den Segnungen des Herrn Eichel teilhaben dürfen. Das meinte auch der Bundeskanzler und erinnert seinen Finanzminister an dessen im Eichel-Song besungene „Kulanz“. Obwohl es die Kassenlage nicht hergibt, nimmt der gelegentlich kulante Finanzminister eine Lightfassung der Steuerbefreiung auch für Personen- unternehmen in seinen Gesetzentwurf auf. Dieses alles mag die Belastungsunterschiede zwischen großen Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen verringern. Mit Steuersystematik oder Steuergerechtig- keit hat das nichts zu tun. Das einzig systematische in den Gesetzentwürfen der Bundesregierung ist der Wechsel in den Anschauungen über die Steuersystematik. So sollte – ebenfalls mit der damaligen Unternehmensteuerre- form – die gewerbesteuerliche Organschaft an die körper- schaftsteuerliche Organschaft angepasst werden. Zumin- dest stand es so im Entwurf zum Steuersenkungsgesetz. Doch schon zum Zeitpunkt der dritten Lesung war die Bundesregierung von ihrer Idee nicht mehr so überzeugt und ließ die Anpassung herausstreichen. Im Unternehmensteuerfortentwicklungsgesetz ver- sucht die Bundesregierung einen Kompromiss: Die ge- werbesteuerliche Organschaft soll ein bisschen an die kör- perschaftsteuerliche Organschaft angepasst werden. Offenbar interessierte sich der Bundesrat ein wenig mehr für die Finanznöte der Kommunen und fordert in seiner Stellungnahme, die Voraussetzungen für die gewerbe- und körperschaftsteuerliche Organschaft vollständig anzupas- sen. Dies lehnte die Bundesregierung in ihrer Stellung- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119604 (C) (D) (A) (B) nahme zur Stellungnahme des Bundesrates ab, da dies eine Einschränkung der gewerbesteuerlichen Organschaft wäre. Vorgestern nun – kurz vor der Abstimmung des Ge- setzentwurfs im Finanzausschuss – wurde eine Formulie- rungshilfe eingereicht, in der den Ausschussmitgliedern mitgeteilt wird, dass sich die Bundesregierung nun doch der Meinung des Bundesrates anschließt und die Voraus- setzungen für die gewerbe- und körperschaftsteuerliche Organschaft vollständig anpasst. Was gestern noch galt, gilt bei dieser Bundesregierung heute ganz anders und morgen schon gar nicht mehr. Das hat System. Das ebenfalls heute zur Abstimmung stehende Steu- eränderungsgesetz hatte zum Ziel, steuerrechtliche Vorschriften redaktionell und inhaltlich zu bereinigen. In- zwischen hat die Bundesregierung ihren eigenen Gesetz- entwurf 75-mal ändern lassen. Das heißt: Ein Gesetz, das nur die Aufgabe hatte, redaktionell zu berichtigen oder Ungereimtheiten im Gesetzeswortlaut zu beseitigen muss selbst noch 75-mal berichtigt werden. Ein Wort zur Änderung des lnvestitionszulagengeset- zes. Damit wird für die Sanierung der innerstädtischen Altbauquartiere die Investitionszulage angehoben. Das begrüßen wir. Gleichzeitig und zur Gegenfinanzierung kommt es jedoch zur Kürzung der Investitionszulage für die Sanierung außerhalb dieser Gebiete liegender Miet- wohngebäude und zur Streichung der Investitionszulage für Selbstnutzer von Wohneigentum. Das benachteiligt neben den Selbstnutzern vor allem die kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen, die zu den größten Auftrag- und Arbeitgebern der Bauwirtschaft in vielen ostdeutschen Regionen zählen, sowie deren Plat- tenwohnquartiere und Bewohner. Die geplante Erhöhung des Selbstbehaltes bei der Berechnung der Investitionszu- lage für Wohngebäude, die nicht in unmittelbarer Innen- stadtkulisse liegen, konterkariert zudem den notwendigen Stadtumbau und die von der Bundesregierung gewollte Aufwertung der Wohnquartiere. Wir schlagen deshalb vor, den bisherigen Selbstbehalt und damit höheren Zu- schuss für jene Objekte beizubehalten, wenn die begüns- tigte Investition dem von der Gemeinde beschlossenen Stadtentwicklungskonzept entspricht. Einzelnen Berichtigungen im Steueränderungsgesetz – dies sei an dieser Stelle betont – können wir uns durchaus anschließen. Die Einschränkung der gewerbesteuerlichen Organschaft bewirkt wenigstens eine geringfügige Entla- stung der Kommunen. Auch die Erleichterung für auslän- dische Künstler geht durchaus in die von uns geforderte Richtung.EinentsprechenderGesetzentwurfderPDSliegt schon seit Monaten vor. Doch diesen konzeptionslosen Gesetzen als Gesamtwerk – vor allem dieser Gesetzgebung – kann man nur seine Zustimmung verweigern. Die PDS-Fraktion wird sich deshalb in der Abstim- mung enthalten. Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen: Die Fraktion der CDU/CSU skizziert in ihrem Antrag ein verzerrtes Bild von der deutschen Konjunktur. Die Lage der Wirtschaft ist tatsächlich insgesamt besser als manche Meinungsführer in den Medien dies des Öfteren erscheinen lassen. Fakt ist: Wir haben in Deutschland Wachstum – wenn auch in geringerem Maße als im letzten Jahr – und keine Rezession. Auch wenn immer noch nicht ganz abzusehen ist, welche Auswirkungen die Ereignisse in den USA auf die weltwirtschaftliche Lage haben, gibt es keinen Grund zu übertriebenem Pessimismus. Allen mir bekannten Pro- gnosen zufolge ist jedenfalls mit einer konjunkturellen Belebung im nächsten Jahr zu rechnen. Es gibt daher auch keinen Grund für planlosen, sinnlosen, ja sogar kontra- produktiven Aktionismus, schon gar nicht in der Steuer- politik. Mit unserer nachhaltigen Steuerpolitik stellen wir die Weichen für die Zukunft der deutschen Wirtschaft, insbesondere auch des Mittelstands. Damit es nicht in Vergessenheit gerät: Die mehrstufige Steuerreform 2000 entlastet alle Steuerzahler um über 93 Milliarden DM, allein in diesem Jahr um 45 Milliar- den DM. Ab 2002 gibt es noch eine beträchtliche Kinder- gelderhöhung mit einer Entlastungswirkung für die priva- ten Haushalte von über 4,6 Milliarden DM sowie die steuerliche Förderung der privaten kapitalgedeckten Al- tersvorsorge. Alle Maßnahmen zusammengenommen er- reichen im Zeitraum von 1998 bis 2005 ein steuerliches Entlastungsvolumen von über 110 Milliarden DM. Der Mittelstand wird von der Steuerreform mit circa einem Drittel – über 31 Milliarden DM – profitieren. Das sind al- lein im Rechnungsjahr 2001 rund 15,7 Milliarden DM Entlastung für die mittelständische Wirtschaft. Insgesamt ergibt sich durch unsere Maßnahmen in den Jahren 2001 und 2002 ein konjunktureller Impuls von über 50 Milliarden DM, der auf nachhaltige Wirkung an- gelegt ist. Die temporäre Wachstumsschwäche, in die wir aufgrund der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen geraten sind, können wir damit lediglich begrenzen. Wel- chen Sinn sollte dann noch ein Vorziehen der beschlosse- nen Steuerentlastungsstufen haben, wie die Opposition – übrigens gegen besseren Rat aus Brüssel – gebets- mühlenartig fordert? Glauben Sie wirklich, was 50 Milli- arden DM nicht schaffen, könnten weitere 15 Milliar- den DM erreichen? Wir würden nur unseren finanzpoliti- schen Kredit verspielen. Denn zusätzliche Steuersen- kungen sind zwangsläufig mit Mindereinnahmen verbun- den, die dann über Kredite zu finanzieren wären. Das können sich weder der Bund noch die Länder leisten, und wir sind auch mit Blick auf die Maastricht-Verträge im Wort. Die Mahnung aus Brüssel haben wir wohl verstan- den. Außerdem sind Schulden von heute die Steuern von morgen, also die Belastung folgender Generationen. Die Erwartung steigender Steuern in der Zukunft fördert we- der Investitionen noch privaten Verbrauch. Schließlich ist doch klar, dass in unsicheren Situationen das zusätzliche Einkommen nicht in den Konsum geht, sondern in die Er- sparnis. Die Menschen sorgen dann eben lieber vor. Dies ist gerade aktuell in den USA feststellbar. Insofern hilft ein Vorziehen der Steuer-Tarifsenkungen gar nicht. Es käme kurzfristig zu keiner Nachfragesteigerung, sondern nur zu steigender staatlicher Verschuldung. Ebenso populistisch und realitätsfremd wie die Forde- rung nach Vorziehen der Reformstufen ist die stereotype Unterstellung einer angeblich mittelstandsfeindlichen Schieflage unserer Steuerpolitik. Insbesondere die Maß- nahmen der Steuerreform 2000 sind explizit auf den Mit- telstand zugeschnitten. Mittelständische Unternehmer, mit denen ich oft gesprochen habe, haben mir das immer Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 19605 (C) (D) (A) (B) wieder bestätigt. Das sind die Fakten: Mittelständische Unternehmen profitieren ganz erheblich von der Absen- kung des Eingangsteuersatzes, der Erhöhung des Grund- freibetrages und nicht zuletzt von der Möglichkeit, die Gewerbesteuer auf die Einkommensteuerschuld anzu- rechnen. Allein die Neutralisierung der Gewerbesteuerbe- lastung führt bereits im Rechnungsjahr 2001 – ich betone: 2001 – zu einer Entlastung des Mittelstandes in Höhe von netto 6,9 Milliarden DM. Das sind rund 9,9 Milliar- den DM nach dem Entstehungsjahr und rund 6,9 Milliar- den DM für das Rechnungsjahr 2001. Diese massiven Steuerentlastungen geben mehr Raum für Investitionen, Wachstum und Beschäftigung. Mit dem Gesetz zur Fortentwicklung des Unterneh- mensteuerrechts sind weitere Verbesserungen zugunsten des Mittelstands auf dem Wege. Allein die vorgesehene Reinvestitionsrücklage, die Umstrukturierungen auch bei mittelständischen Personenunternehmen zusätzlich er- leichtern wird, führt zu einer weiteren Steuerentlastung von circa 300 Millionen DM für den Mittelstand. Der Mit- telstandsbeirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie hat in seiner letzten Sitzung am 21. Sep- tember die Einführung dieser Mittelstandskomponente begrüßt und dabei auch festgestellt, dass es keine gene- relle Benachteiligung von Personengesellschaften gegen- über Kapitalgesellschaften gibt. In vielen Fällen stünden Personengesellschaften bei der Steuerbelastung besser da als Kapitalgesellschaften. Fakt ist: Die Wirtschaft befindet sich – nicht zuletzt aufgrund unserer Steuerreform – auf einem nachhaltigen Wachstumspfad. Verlässlichkeit, Klarheit und Planbar- keit, das sind Eigenschaften, die nicht nur von der Wirt- schaft in Deutschland geschätzt werden. Verlässlichkeit, Klarheit und Planbarkeit – das sind auch entscheidende Merkmale unserer Steuerpolitik. Wir werden daher nicht versuchen, mit hektischen steuerpolitischen Aktivitäten irgendwelche wirkungslosen konjunkturellen Strohfeuer zu entfachen und dabei Geld verpulvern, das wir gar nicht haben. Die Bundesregierung hat mit der Steuerreform 2000 bis zum Jahr 2005 – international anerkannt – Zeichen ge- setzt. Jetzt gilt es, auf dieser Basis das Steuerrecht sowohl fortzuentwickeln als auch effizienter zu gestalten. Nur so machen wir Deutschland fit für die Zukunft. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Gesetzentwurfs: rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Ge- schäftsverkehr (Elektronischer Geschäftsver- kehr-Gesetz-EGG) und zu dem Antrag: Deutsch- lands Wirtschaft in der Informationsgesellschaft (Tagungsordnungspunkt 30a und b) Hubertus Heil (SPD): Der Deutsche Bundestag schafft heute eine wichtige Voraussetzung für mehr Wachstum und Beschäftigung in der deutschen Internet-Wirtschaft. Mit dem Elektronischen Geschäftsverkehr Gesetz (EGG) sorgen wir für Rechtssicherheit beim elektronischen Han- del und setzen die E-Commerce-Richtlinie der EU in na- tionales Recht um. Nach den Gesetzen über die elektroni- sche Signatur, der Abschaffung des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung ist dieses Gesetz ein weiterer wichtiger Meilenstein für die Verbesserung des Ord- nungsrahmens und damit auch der Wettbewerbsposition der deutschen Internet-Wirtschaft. Die E-Commerce- Richtlinie verfolgt das Ziel der Harmonisierung der unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen für elektronische Dienste in den EU-Mitgliedsländern. Das EGG als Artikelgesetz sieht im wesentlichen entspre- chende Anpassungen im Teledienste-Datenschutz-Gesetz und eine Detailregelung in der Zivilprozessordnung vor, um die Richtlinie in deutsches Recht umzusetzen. Mit den Änderungen des Teledienste-Datenschutz-Gesetzes wird eine Verbesserung der Vorschriften im Hinblick auf die bisherigen Erfahrungen und Entwicklungen in diesem Bereich durchgesetzt. Wirtschaft und Verwaltung wurden sowohl bei der Vor- bereitung des Gesetzentwurfes als auch in den Gesetzge- bungsprozess intensiv einbezogen. Die Ergebnisse der Anhörungen der Bundesregierung und, im Gesetzge- bungsverfahren auch des Wirtschaftsausschusses, haben ihren Niederschlag in dem uns jetzt vorliegenden Gesetz gefunden. Kernanliegen des Gesetzentwurfes ist die Umsetzung des so genannten Herkunftslandprinzips. Danach müssen sich in Deutschland niedergelassene Diensteanbieter grundsätzlich allein nach dem deutschen Recht richten, und zwar auch dann, wenn sie ihre elektronischen Diens- te anderswo in Europa anbieten oder erbringen. Die Aus- gestaltung des Verhältnisses des Herkunftslandprinzips zum Internationalen Privatrecht im ursprünglichen Geset- zesentwurf ist auf Kritik der Wirtschaft und bei der EU- Kommission gestoßen. Im Kern ging es darum, dass es unterschiedliche Interpretationen der E-Commerce- Richtlinie darüber gibt, ob das Herkunftslandprinzip nur das nationale Sachrecht erfasst oder auch die nationalen Regelungen zum Kollisionsrecht, also zum internationa- len Privatrecht. Angesichts dieser Meinungsunterschiede haben wir im Wirtschaftsausschuss mit Sachverständigen eine öffentliche Anhörung durchgeführt und sorgfältig ausgewertet. Die Koalitionsfraktionen haben sich schließlich dazu entschlossen, die Regelungen dahingehend zu modifizie- ren, dass das Herkunftslandprinzip stärkeres Gewicht er- hält. Wir tragen damit den Bedürfnissen nach einer mög- lichst einfachen und klaren Regelung Rechnung. Ich betone „möglichst“, da nach wie vor gilt: Die Richtlinie läßt dem nationalen Gesetzgeber nur sehr beschränkt freie Hand bei der Umsetzung. Meine Kritik richtet sich in die- sem Zusammenhang an die EU, die sich hier nicht zu ei- ner klaren Regelung durchgerungen hat – um nicht zu sa- gen sich vor einer klaren Regelung gedrückt hat. Meinen Informationen nach ist dieses auf einen Streit zwischen verschiedenen Direktionen der EU-Kommission zurück- zuführen. Im Gegensatz zu CDU/CSU, die sich im ge- samten Verfahren lediglich darauf beschränkt hat, den Verbänden nach dem Mund zu reden, haben wir uns un- sere Meinungsbildung in dieser komplizierten juristi- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119606 (C) (D) (A) (B) schen Frage nicht einfach gemacht. Als Wirtschaftspoli- tiker meiner Fraktion kann ich aber heute feststellen: Wir haben eine Regelung gefunden, die besonders von wirtschaftspolitischem Pragmatismus geprägt ist, ohne rechtssystematische Grundsätze zu verletzen. Insofern haben wir uns bei der Umsetzung des Herkunftslandprin- zips sehr eng an den Wortlaut der Richtlinie gehalten, wie es die Wirtschaft gefordert hat. Auch bei der Umsetzung der Bestimmungen zur Verantwortlichkeit der Dienstean- bieter hält sich der uns vorliegende Gesetzesentwurf eng an den Wortlaut der Richtlinie. Die Regelungen der Richt- linie wurden in weiten Bereichen von Deutschland mitge- staltet – unter anderem auch aufgrund der Erfahrungen, die in Deutschland mit dem TDG gemacht worden sind. Es wäre insoweit kaum zu vermitteln, wenn bei der natio- nalen Regelung von diesen Formulierungen abgewichen würde. Da es sich dabei auch um vollharmonisierte Vor- schriften handelt, würde ein Abgehen von diesen Formu- lierungen zudem den Harmonisierungsbestrebungen der Richtlinie entgegenlaufen. Schließlich sind die im Gesetzentwurf enthaltenen Vor- schläge mit den Bundesländern abgestimmt und werden von diesen wort- und inhaltsgleich im Mediendienste- Staatsvertrag übernommen. Wir wollen und werden die Beratungen deshalb auch heute abschließen, damit wir in der Umsetzungsfrist bleiben. Lassen Sie mich an dieser Stelle einige Anmerkungen zum Komplex der sogenann- ten Hyperlinks und Suchmaschinen machen. Es ist zu- treffend, dass Regelungen zu Suchmaschinen und Hyper- links vonseiten der Wirtschaft gefordert werden. Auch wir wollen diese Regelungen schaffen. Ich weise aber darauf hin, dass die damit zusammenhängenden Fragestellungen kompliziert sind und wir nicht davon ausgehen können, dass wir sie gleichermaßen „auf die Schnelle“ durch die von der CDU/CSU vorgeschlagenen Ergänzungen, die aus meiner Sicht sowieso unzureichend sind, werden lö- sen können. Vielmehr stand zu befürchten, dass, wenn die den CDU/CSU-Vorschlägen gefolgt worden wäre, es zu noch mehr und weiteren Rechtsunsicherheiten gekommen wäre. Ich sage hier aber sehr deutlich: In Sachen Hyper- links und Suchmaschinen haben wir noch gesetzgeberi- schen Handlungsbedarf, dem wir uns in jedem Fall stellen werden, auch wenn es uns jetzt noch nicht möglich ist, entsprechende Maßnahmen durch das EGG zu treffen. Ein weiterer umstrittener Punkt im Gesetzgebungs- verfahren waren Haftungsfragen im Bezug auf Dienste- anbieter. Im Kern geht es darum, dass Diensteanbieter, die Kenntnis darüber erlangen, dass in Web-Seiten, die über Ihre Dienste angeboten werden offensichtlich rechtswid- rige Inhalte verbreitet werden, verpflichtet sind, diese Sei- ten vom Netz zu nehmen bzw. sie zu sperren, sie also in- sofern haften. Auch hier hat sich die CDU/CSU mit Änderungsanträgen bemerkbar gemacht, die rechtlich systemfremde Wertungen im Gesetz verursacht hätten und den Versuch unternommen, Probleme zu regeln, die schon geregelt sind. Die Union behauptet, mit ihren Än- derungen zur Präzisierung beizutragen, schlägt aber dann Formulierungsvorschläge in ihren Anträgen vor, die re- gelrecht widersinnig sind: Um es deutlich an einem Bei- spiel zu sagen: Es gibt in Deutschland ohnehin nur die „Kenntnis von Tatsachen“ und nicht auch von der Rechts- widrigkeit. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzu- weisen, dass bei der Aushandlung der Richtlinie selbst- verständlich davon ausgegangen wurde, dass ein Diens- teanbieter dann nicht haftet, wenn ihm die Sperrung tech- nisch nicht möglich oder unzumutbar ist. Insofern benötigen wir die hierzu von der Union beantragte soge- nannte „Klarstellung“ nicht und sollten hier nicht über den Wortlaut der Richtlinie hinausgehen. Der Rechtsraum Internet und der damit neu entstandene Begriff des E-Commerce haben einen gesetzgeberischen Handlungs- bedarf erzeugt, dem sich die SPD-geführte Bundesregie- rung und auch meine Fraktion konsequent und mit Nach- druck stellt. Deutschland hat eine Vorreiterrolle in der Gesetzge- bung zum E-Commerce gespielt. Beleg dafür ist zum Bei- spiel das Signaturgesetz, das als eines der ersten seiner Art in der EU eine elektronische Signatur als Beweismittel einführt und das Teledienste-Gesetz, das den Handel im Internet in Deutschland bereits weitgehend regelt und durch das EGG jetzt lediglich weiterentwickelt wird. Da- mit konnte die deutsche Gesetzgebung in diesem kompli- zierten Gebiet bereits Erfahrungen sammeln und war in der Lage, Präzedenzfälle zu schaffen. Nicht zuletzt aus diesem Grund diente das deutsche TDG auch als eine der Vorlagen für die E-Commerce- Richtlinie. Als Praxisvorlage konnten die Erfahrungen mit der deutschen Rechtslage wertvolle Hinweise auf die realisierbare Gestaltung der Richtlinie geben. Ich sprach bereits eingangs davon: Das heutige Gesetz ist ein weite- rer Meilenstein auf dem Weg zu einem rechtlichen Ord- nungsrahmen, der angesichts des rasanten technischen Fortschritts dazu führt, dass sich der elektronische Han- del mit allen seinen Chancen für wirtschaftliches Wachs- tum und die Schaffung von hochqualifizierten Arbeits- plätzen in Deutschland in vollem Umfang entfalten kann. Um den Regierenden Bürgermeister von Berlin zu zitie- ren: Und das ist auch gut so! Also bitte ich Sie: Stimmen sie dem vorliegenden Gesetz zu. Und an die Adresse der Union: Hören Sie auf, dieses Gesetz permanent schlecht zu reden. Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU): Die gesamt- wirtschaftliche Bedeutung der Internetwirtschaft ist in den vergangenen Jahren beständig gestiegen. Trotz der schwachen Konjunktur rechnet der Branchenverband BITKOM auch für dieses Jahr noch mit einem Wachstum von 4,6 Prozent. Die IT-Wirtschaft ist also einer der we- nigen Wirtschaftszweige in Deutschland, die überhaupt noch wachsen und damit Arbeitsplätze schaffen kann. Kaum ein anderer Wirtschaftszweig hat ein so hohes In- novationspotential. Damit dieses volkswirtschaftlich be- deutsame Potential ausgeschöpft werden kann, bedarf es eines ordnungspolitischen Rahmens, der durch zurück- haltende staatliche Intervention gekennzeichnet sein sollte. Für die Politik geht es darum, einen klaren Rechts- rahmen zu schaffen und tunlichst alles zu unterlassen, was die Dynamik und das Wachstum der Branche behindern könnte. Rechtsklarheit und Sicherheit herzustellen ist die wichtigste Aufgabe der nationalen Wirtschaftspolitik für die globale Internetwirtschaft. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 19607 (C) (D) (A) (B) Eigentlich sollte das EGG die EU-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr umsetzen. Auf europä- ischer Ebene wurde erkannt, dass die Entwicklung des elektronischen Geschäftsverkehrs in der Informationsge- sellschaft erhebliche Beschäftigungsmöglichkeiten, ins- besondere in kleinen und mittleren Unternehmen, bietet. In den Erwägungsgründen der Richtlinie heißt es dazu außerdem: Die Weiterentwicklung der Dienste der Informati- onsgesellschaft in der Gemeinschaft wird durch eine Reihe von rechtlichen Hemmnissen für das rei- bungslose Funktionieren des Binnenmarktes behin- dert, die die Ausübung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs weniger at- traktiv machen. Folgerichtig beschlossen das Europäische Parlament und der Rat, dass „im Sinne der ungehinderten Entwick- lung des elektronischen Geschäftsverkehrs ... dieser Rechtsrahmen klar, unkompliziert und vorhersehbar so- wie vereinbar mit den auf internationaler Ebene geltenden Regeln sein“ müsse, „um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie nicht zu beeinträchtigen und inno- vative Maßnahmen nicht zu behindern.“ Gerade kleine und mittlere Unternehmen sollten Dienstleistungen in einem für sie überschaubaren Rechts- rahmen erbringen. Rechtssicherheit sollte also ein euro- päischer Standortvorteil sein und Wettbewerb und Inno- vation gleichermaßen fördern. Diese Ziele sind nur zu billigen: Start-ups haben zwar gute Ideen, nicht aber die notwendigen finanziellen Mittel, um Heerscharen von Anwälten zu beschäftigen, die für sie das im internationa- len Handelsverkehr anwendbare Recht und dessen Kon- sequenzen ermitteln. Dasselbe gilt auch für den kleinen Winzer im Rheingau, der seinen Wein direkt über das In- ternet europaweit vermarkten möchte. Wenn man es ernst meint mit dem einheitlichen Bin- nenmarkt, gleichen Markteintrittschancen und gleichen Möglichkeiten für alle Marktteilnehmer, dann muss man in den Zeiten des Internets vernünftige Standortbedingun- gen gerade auch für diese Unternehmen schaffen. Trotz des eigentlich nur noch umzusetzenden europäischen Vor- bilds ist diese Logik der Bundesregierung leider fremd ge- blieben. Anhand zweier Beispiele aus dem EGG und seiner bis- herigen Geschichte – ich sage mit Bedacht „bisherig“, weil eine baldige Nachbesserung zwingend ist – sei das Unverständnis einer Verwaltung und das mangelnde Inte- resse ihrer politischen Führung illustriert. Es ist die Mori- tat der verpassten Chancen. Um den elektronischen Handel in der EU zu fördern, sieht die Richtlinie vor, dass das Sachrecht aus dem Her- kunftsland des Verkäufers auch im grenzüberschreitenden elektronischen Handel in der EU gelten soll. Der Winzer oder das Start-up sollten ihrem heimatlichen Recht ver- trauen dürfen. Nur unter dieser Bedingung können klei- nere Unternehmen einen grenzüberschreitenden Handel betreiben. Die Reaktion der Bundesregierung war das so genannte Günstigkeitsprinzip: Das Internationale Pri- vatrecht sollte den Gerichtsstand und das anwendbare Recht bestimmen, dann sollte der lokale Richter sein Er- gebnis mit deutschem Recht vergleichen und schließlich das für den Verkäufer günstigere Recht wählen. Konnten Sie folgen? Das ist, was die Bundesregierung unter Rechtssicherheit, Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit versteht. Das Ergebnis der Expertenanhörung war konsequen- terweise auch so vernichtend, dass das BMJ für den Kol- legen Heil sofort einen Änderungsantrag schrieb. Nun soll deutsches Recht für den deutschen Verkäufer gelten. Soll damit das Herkunftslandprinzip umgesetzt werden? Oder soll damit gerade das deutsche IPR eingeführt werden? Offensichtlich geht die von ersterem aus. Warum sie nicht im Interesse der rechtlichen Klarheit „Sachrecht“ statt „Recht“ in ihren Antrag aufgenommen hat, wie wir es in unserem Änderungsantrag formuliert haben, obwohl sie genau dies meinte, mag ihr Geheimnis bleiben. So hat sie wieder ein Einfallstor für all diejenigen geöffnet, die ohne Rücksicht auf Verluste teleologisch und manchmal auch theologisch interpretieren. Opfer sind die Unternehmen, die Jahre prozessieren müssen, um eine gefestigte Recht- sprechung zu erreichen, die Menschen, die arbeiten möchten, und der IT-Standort Deutschland. Kein Investor liebt Rechtsunsicherheit. Rechtsunsicherheit – und dies sei einmal in Erinnerung gerufen – ist Investitionsab- schreckung. Durch ihre schlampigen Formulierungen hat die Ko- alition wieder einmal bewiesen, dass sie die wichtigste Aufgabe einer Volksvertretung, eine präzise Gesetzge- bung, nicht ernst nimmt. So wird aus Wurstigkeit und dem Gefühl, dass schon alles irgendwie gut gehen werde, ein Gesetzesbrei da gekocht, wo doch gerade im Interesse der Betroffenen und des Standorts Deutschland klare Rege- lungen angebracht wären. Nicht viel anders sieht es mit der Begrenzung der Ver- antwortlichkeit der Provider für fremde Inhalte aus. Man könnte meinen, dass der Fortschritt der Technik mit der Entwicklung der Legislation korreliere. Wer dies an- nimmt, weiß nicht, dass die ach so technikbegeisterte, hippe Bundesregierung mit der von ihr vorgeschlagenen Regelung hinter § 5 Abs. 4 des Gesetzes über die Nutzung von Telediensten von 1997 – ich wiederhole: von 1997 – zurückgeblieben ist. Während sich die Taktfrequenz von PCs in dieser Zeit verfünffacht hat, droht sich das Recht zurückzuentwickeln. Worum geht es? Anbieter von Telediensten sollen nur dann für fremde rechtswidrige Inhalte verantwortlich sein, wenn sie diese und ihre Rechtswidrigkeit kannten und wenn eine Sperrung dieser Inhalte technisch möglich und zumutbar ist. Dies ist eine ausgewogene Lösung, aber diese Regierung macht ja bekanntlich fast alles anders und nichts besser. So kam sie auf die Idee, die Anbieter von Telediensten auch dann für fremde Inhalte verant- wortlich zu machen, wenn diese nicht die technischen Möglichkeiten haben, rechtswidrige Inhalte zu löschen. Die Unternehmen sind also für einen Zustand verantwort- lich, den sie einerseits nicht herbeigeführt haben und an- dererseits nicht beheben können. Solche gesetzlichen Re- gelungen zeugen von einer handwerklichen Schwäche, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119608 (C) (D) (A) (B) die nur noch von dem Desinteresse an der Materie über- troffen wird. Sie sehen, Murks auf er ganzen Linie. Für die baldige Nachbesserung möchte ich daher schon jetzt die Einbe- ziehung einer Regelung für die Verantwortlichkeit von Betreibern von Suchmaschinen und für Hyperlinks for- dern. Gleichfalls sollte sich die Bundesregierung schon jetzt Gedanken über das Verhältnis der allgemeinen Stö- rerhaftung zu den Vorschriften des TDG machen. Recht- liche Klarheit in diesen Fragen ist für die Weiterentwick- lung des Internet unabdingbar. Ich hoffe sehr, dass wir dann beim nächsten Mal fach- lich sachlich über einen handwerklich soliden Entwurf sprechen können – für die Zukunfts- und Wettbewerbs- fähigkeit der Branche. Andrea Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Wir verabschieden heute das Elektronische Geschäftsver- kehrsgesetz. Dieses Gesetz ist ein wichtiger Bestandteil des Ordnungsrahmens, den die Koalition für die Wirt- schaft in der Informationsgesellschaft schafft. Die Wirtschaft hat in den letzten Wochen Kritik hin- sichtlich der Fragen der Providerverantwortlichkeit geübt. Im Gesetz ist das klar geregelt. Provider sind nach § 8 „nicht verpflichtet, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätig- keit hinweisen“. Verantwortlich sind sie nach § 11 nur dann, wenn sie Kenntnis von entsprechenden Inhalten ha- ben. Die Unterscheidung von Kenntnis und tatsächlicher Kenntnis erscheint nicht logisch. Wir werden die Rechts- anwendung sehr intensiv beobachten und bleiben im Ge- spräch mit den betroffenen Unternehmen. Derzeit schei- nen uns die geäußerten Bedenken nicht stichhaltig zu sein. Zugleich diskutieren wir den Antrag „Deutschlands Wirtschaft in der Informationsgesellschaft“, den wir An- fang des Jahres in den Deutschen Bundestag eingebracht haben. Nach wie vor befinden wir uns in einem dyna- mischen Strukturwandel zur Informationsgesellschaft. Nach den aktuellen Daten des Fachverbandes Bitkom wird der deutsche Markt für Informationstechnik und Telekommunikation im laufenden Jahr um 4,6 Prozent wachsen. 2002 rechnet Bitkom mit einer Steigerung um 4,9 Prozent auf 267 Milliarden DM. Treibende Kraft sind zurzeit Software (+ 10 Prozent), informations- technische Dienstleistungen (+ 10 Prozent), Mobilfunk- dienste (+ 15 Prozent) sowie Internet- und Onlinedienste (+ 40 Prozent). Das Einbrechen der Aktienkurse bei vielen Unterneh- men hat viel mit der Korrektur übertriebener Erwartungen zu tun. Diese These wird auch durch die Entwicklung der Beschäftigung bei den am Neuen Markt gelisteten Unter- nehmen gestützt. Obwohl wir hier seit dem Herbst letzten Jahres dramatische Kursverluste zu verzeichnen haben, hat die Beschäftigung weiterhin zugenommen. Roland Berger hat diese Effekte im Auftrag des Bundeswirtschaftsmini- steriums untersucht. Bis zum Stichtag der Studie im Juli diesen Jahres sind in den Unternehmen des Neuen Mark- tes noch 100 000 neue Arbeitsplätze geschaffen worden. Natürlich sind wir uns der Probleme bewusst in denen sich viele Unternehmen befinden. Aber gegenwärtig wird die Lage vielfach negativer dargestellt als sie ist. Die Kurseinbrüche haben zu einer dramatischen Ver- schlechterung der Finanzierungsbedingungen für Grün- der gerade im Bereich des Internet geführt. Die Finanz- märkte reagieren hier in einer Weise zyklisch, die alles andere als rational ist. Auch gute Unternehmensideen ha- ben es heute schwer, Beteiligungskapital zu finden. Das Engagement der Förderbanken des Bundes im Bereich der Unternehmensfinanzierung bleibt deshalb wichtig. Die bundeseigene tbg hat deshalb in dem Programm „BTU-Frühphase“ wichtige neue Fördermöglichkeiten geschaffen. Aufwendungen zur Finanzierung der Gründung einer Gesellschaft – wie z. B. die Erarbeitung des Business-Pla- nes – können gefördert werden. Mit Unterstützung des Bundeswirtschaftsministeriums beteiligt sich die tbg in eigenkapitalähnlicher Form als Genussrechtskapital mit bis zu 150 000 Euro. Internet- und Onlinedienste werden in diesem Jahr mit 20 Prozent wachsen. Bis 2003 steigt die Zahl der Inter- netnutzer jährlich um 21 Prozent; dann wird regelmäßig jeder zweite Deutsche das Netz nutzen. In ihrem Herbstgutachten gehen die führenden Wirt- schaftsforschungsinstitute davon aus, dass die Informa- tions- und Kommunikationsbranche der Wirtschaft schon bald kräftige Wachstumsimpulse geben wird. Nach wie vor haben wir einen Mangel an IT-Spezialisten. Mindes- tens 30 000 Arbeitsplätze von IT-Spezialisten können der- zeit nicht besetzt werden. Trotz steigender Absolventen- zahlen der Hochschulen und Fachhochschulen und Investitionen der Bundesanstalt für Arbeit in die Um- schulung von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen sind wir über Jahre auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen. Wir brauchen nach wie vor die Greencard- Regelung und wir brauchen dringend das Einwande- rungsgesetz. Bündnis 90/ Die Grünen treten für die Chancen kleiner und mittlerer Unternehmen und für fairen Wettbewerb ein. Gerade in der Informations- und Kommunikations- technologie brauchen wir hier einen klaren Wettbewerbs- rahmen. Es handelt sich um Netzwerktechnologien, in de- nen die Gefahr marktbeherrschender Stellungen und ihres Missbrauchs besonders groß ist. Die EU-Kommission muss das Verfahren gegen Microsoft sehr sorgfältig durchführen. Immer wieder hat Microsoft seine marktbe- herrschende Stellung dazu missbraucht, Konkurrenten aus dem Markt zu drängen. Das ist nicht länger akzep- tabel. „Open Source“ ist die billigere, kundenfreundlichere und sicherere Alternative. Der offene Quellcode ermög- licht Kompatibilität und Wettbewerb. Deswegen treten Bündnis 90/ Die Grünen entschieden dafür ein, im Deut- schen Bundestag „Open Source“ einzuführen. Software als solche ist nicht patentierbar. Diese Rege- lung ist sinnvoll. Softwarepatente behindern freie Software und kleine und mittlere Unternehmen. Eine Richtlinie der Europäischen Kommission, die die Patentierbarkeit von Software ausweiten werden, werden wir ablehnen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 19609 (C) (D) (A) (B) Rainer Funke (FDP): Mit dem wirtschaftlich und rechtlich erstrebten Ziel, die E-Commerce-Richtlinien des Europäischen Parlaments und des Rates in nationales Recht umzusetzen, stimmt die FDP-Fraktion im Prinzip überein. Wie jedoch diese Richtlinie umgesetzt worden ist, begegnet großem Zweifel. Zunächst hatte die Bundes- regierung das Herkunftslandprinzip, aus welchen Grün- den auch immer, nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt. Dies konnte im Zuge der parlamentari- schen Beratungen geändert werden, wenn auch nicht im vollen Umfang befriedigend. Allein der Hinweis auf deut- sches Recht löst Konfliktsituationen im internationalen Privatrecht nicht, besser wäre ein Hinweis auf die inner- staatlichen Sachvorschriften gewesen. Letztlich werden diese Fragen die Gerichte zu entscheiden haben. Ähnlich unklar bleiben einzelne Regelungen des Haf- tungsrechts. Da es Zielsetzung der EU-Richtlinie und des EGG ist, Hemmnisse der Weiterentwicklung der Dienste der Informationsgesellschaft zu beseitigen – Erwägungs- grund 1 der Richtlinie –, die Wettbewerbsfähigkeit der eu- ropäischen Wirtschaft zu stärken – Erwägungsgrund 2 – und Rechtssicherheit zu erreichen – Erwägungsgrund 7 – wäre es angebracht gewesen, auch das Ausmaß der Haf- tung der Diensteanbieter für Inhalte klarer als bisher zu re- geln. Der Hinweis der Regierung, dass die Haftungsregelun- gen später einmal im Teledienstgesetz präzisiert werden sollen, ist für die jetzige Situation wenig hilfreich. So wird es nach wie vor unterschiedliche Rechtsprechungen ge- ben und wird auch zu Verunsicherungen der Dienste- anbieter führen. Insoweit wäre es hilfreich gewesen, die Anträge der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion im feder- führenden Wirtschaftsausschuss anzunehmen. Aber was nicht von der Regierung kommt, findet wenig Akzeptanz und wird in Bausch und Bogen verworfen. Ursula Lötzer (PDS): In Rezessionszeiten – wie gegenwärtig – muss sich auch die Informations- und Te- lekommunikationsbranche auf stagnierende Erträge ein- stellen. Deutlich ist, dass die Zeiten zweistelliger Wachs- tumsraten nur ein Intermezzo waren. Immerhin geht die Branche für dieses Jahr noch von einem zweiprozentigen Beschäftigungswachstum aus. Zwar muss auch dies nach über 10 Prozent im Jahr 2000 als Einbruch bezeichnet werden, aber immerhin gehört die Branche zu den weni- gen, in der gegenwärtig insgesamt kein massiver Be- schäftigungsabbau geplant ist. Der bescheidene Zuwachs verstellt allerdings leicht den Blick darauf, dass es im Hardware-Bereich sowie bei Mobiltelefon-Infrastruktur und -Endgeräten schon dieses Jahr zu deutlichen Beschäftigungseinbußen kommen wird. Wie hart die Personaleinschnitte ausfallen werden, wird darüber entscheiden, ob wenigstens noch ein gerin- ger Arbeitsplatzzuwachs in der Branche erreicht wird. Mittlerweile ist Gewissheit, was ich bereits im Juni zur ersten Lesung ausführte: Der prognostizierte Umsatz- wachstum der Branche von 8,5 Prozent wird beim nahen- den Konjunktureinbruch – den wir inzwischen haben – nicht zu halten sein. Leider hat sich das Gesetz für den Elektronischen Ge- schäftsverkehr, über das wir heute zu entscheiden haben, im Gesetzgebungsverfahren nach der ersten Lesung noch verschlechtert. Wir bewerteten die Einschränkungen des Herkunfts- landprinzips für den B-to-C-Bereich in der ersten Lesung positiv und schlugen vor, dass Herkunftslandprinzip im Sinne des Verbraucherschutzes des privaten Käufers in ein generelles „Günstigkeitsprinzip“ umzuwandeln. So hätte die Bundesrepublik als ein Land, das zu den um- satzstärksten E-Commerce Ländern in Europa gehört, ei- nen Wettbewerbsdruck für einen hohen Verbraucher- schutz in der Internetwelt auslösen können. Diese Chance wurde vertan und nunmehr besteht die Gefahr, dass das Gesetz ein „race-to-the-bottom“ des europäischen Ver- braucherschutz im Online-Handel verursacht. Auch unsere Vorschläge, die auf Verbesserungen der Datenschutzbestimmungen abzielten, wurden von den Koalitionsfraktionen nicht aufgenommen. Dies ist auch der Grund, warum wir dem Gesetz nicht zustimmen. Die bisherige Verpflichtung der Anbieters, personenbezo- gene Daten über den Ablauf des Zugriffs und die Nutzung nach der Beendigung zu löschen, werden durch das Ge- setz aufgegeben. Für unhaltbar halten wir auch den Um- gang mit Nutzungsdaten. Wenn Nutzer künftig der Er- stellung von Nutzungsprofilen nicht widersprechen, dürfen solche erstellt werden. Seine Einwilligung ist nach dem EGG jetzt nicht erforderlich. Da im Ände- rungsantrag, den die CDU/CSU in den mitberatenden In- nenausschuss einbrachte, eine Zustimmung des Nutzers vorgesehen war, wäre dies durchaus im Sinne unseres Anliegens und damit unsererseits zu unterstützen gewe- sen. Aber leider verließ die CDU/CSU – aus Gründen, über die spekuliert werden darf – die Courage im feder- führenden Wirtschaftsausschuss bereits wieder und sie ließen ihren Änderungsantrag hier nicht mehr zur Ab- stimmung stellen. Somit wird es dabei bleiben, dass das EGG einen Rückschritt im Datenschutz bedeutet und auch mit dem Gebot der Datensparsamkeit nicht vereinbar ist. Solange die Bundesregierung nicht in Rechnung stellt, dass die Entwicklung des elektronischen Geschäftsver- kehrs höheren Datenschutz und keine Einschränkungen erfordert, so lange werden die falschen Weichen gestellt, da sich das elementare Erfordernis nicht einstellen wird, nämlich das Vertrauen der Verbraucherinnen und Ver- braucher. Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Wirtschaft und Technologie: Deutschlands Wirtschaft ist auf dem Weg in die Informationsgesell- schaft. E-Business rückt immer mehr in das Zentrum von Unternehmensstrategien – in Großkonzernen und immer mehr auch in KMU. Das Internet hat sich als Quer- schnittstechnologie endgültig durchgesetzt und übt am Markt einen starken Veränderungsdruck in Richtung Di- gitalisierung aus. Trotz der scheinbaren Flaute der New Economy – in Wirklichkeit handelt es sich um eine Normalisierung, die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119610 (C) (D) (A) (B) nach dem Anfangs-Hype unumgänglich war – hat die In- ternetwirtschaft weiterhin sehr gute Geschäftsperspekti- ven. In der kürzlich veröffentlichten Prognose des IuK-Branchenverbandes Bitkom wird zum Beispiel für Internet- und Onlinedienste ein Zuwachs von 40 Prozent in 2001 erwartet. E-Commerce wird immer wichtiger. Hierbei hat Deutschland mit knapp 30 Prozent Markt- anteil eine Führungsstellung in Europa zu verteidigen, die es auch verteidigen wird. Wichtig ist für uns auch, dass sich die Informations- wirtschaft zu einem bedeutenden Beschäftigungsmotor entwickelt hat. Bei den guten Geschäftsperspektiven im IT-Dienstleistungsbereich ist es auch gar nicht verwun- derlich, dass viele IT-Firmen wieder verstärkt einstellen wollen. Umfragen zufolge will 2002 jedes zweite Unter- nehmen sein Personal aufstocken. Nicht einmal jedes zwanzigste will abbauen. Um so wichtiger ist es, dass auch weiterhin hoch qua- lifizierte IT-Experten mit der Greencard nach Deutsch- land kommen. Die Bundesregierung hat kürzlich die zweite Tranche für weitere 10 000 Greencards freigege- ben. Wichtig und richtig ist es auch, den Greencard-Inha- bern und ihren Arbeitgebern eine längerfristige Perspek- tive bieten zu können. Dies ist bisher nicht der Fall, da die Arbeitserlaubnisse befristet sind. Daher sieht der von der Bundesregierung beschlossene Entwurf eines Zuwande- rungsgesetzes einen Anspruch auf Daueraufenthalt nach Ablauf von fünf Jahren vor. Bei der Diskussion über neue IT-Arbeitsplätze dürfen wir nicht vergessen, dass die große Menge an bestehen- den Arbeitsplätzen in allen Branchen, die durch die Di- gitalisierung am Standort Deutschland gesichert wird, in den Statistiken gar nicht auftaucht. Es geht also nicht um die immer dominantere Rolle einer Branche. Es geht um die Stärkung unserer gesamten Wirtschaft. Es geht aber auch um die Veränderung von Staat und Gesell- schaft. Die Bundesregierung hat sich den politischen Heraus- forderungen gestellt, die der rasche Wandel zur Informa- tionsgesellschaft mit sich bringt. Als ganz zentrales Kri- terium haben wir uns dabei die Teilhabe aller an der Informationsgesellschaft zum Ziel gesetzt. Mit mehreren Förder- und Informationskampagnen unter dem Motto „Internet für alle“ bemühen wir uns daher intensiv, bisher unterrepräsentierte Bevölkerungsgruppen an die neuen Medien heranzuführen. Ich bin sicher, dass es uns so ge- lingen wird, die digitale Spaltung unser Gesellschaft in Nutzer und Nichtnutzer zu vermeiden. Wirtschaftspolitisch ist die Schaffung eines verlässli- chen Ordnungsrahmens vordringliches Ziel. Nur so kön- nen wir vertrauen und Rechtssicherheit im Netz aufbauen, die als Grundlage für kommerzielle Transaktionen im In- ternet unabdingbar sind. Zwei Meilensteine sind dabei das Gesetz zur digitalen Signatur, das ja schon im Mai in Kraft getreten ist, und das Gesetz über den elektronischen Ge- schäftsverkehr, EGG, dessen Entwurf heute abschließend beraten wird. Wir werden damit die europäischen Vorga- ben der E-Commerce-Richtlinie, die wir maßgeblich mit- bestimmt haben, fristgerecht umsetzen und zugleich den Datenschutz verbessern. Das EGG wird einen innovati- onsfördernden Rahmen für die Wirtschaft schaffen und gleichzeitig die Verbraucher schützen – beides wichtige Voraussetzungen, für ein nachhältiges Wachstum des E-Commerce. Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch einmal die wichtigsten Punkte herausgreifen: Mit dem Herkunfts- landprinzip schaffen wir Rechtsklarheit für die Anbieter. Für Diensteanbieter gelten in Zukunft grundsätzlich nur die Anforderungen des Landes, in dem sie niedergelassen sind, auch wenn sie ihre Dienste anderswo in Europa an- bieten. Ich begrüße es, dass wir hier eine einvernehmliche Regelung erzielt haben. Dazu hat auch die Sachverständi- genanhörung des federführenden Wirtschaftsausschusses wesentlich beigetragen. Bei den für den Schutz der Verbraucher wichtigen In- formationspflichten werden die gleichen Standards wie im traditionellen Geschäftsverkehr gelten. Die Vorschrif- ten zur Verantwortlichkeit werden hierzu im Sinne einer europaweiten Vollharmonisierung eng am Wortlaut der Richtlinie umgesetzt. Der Datenschutz ist ein herausragender Wettbewerbs- faktor und eine essenzielle Grundlage für das Vertrauen der Verbraucher in die neuen Dienste. Das Telediens- te-Datenschutzgesetz regelt dazu Pflichten und Befug- nisse der Diensteanbieter im Umgang mit den persönli- chen Daten der Nutzer. Dabei setzen wir ein hohes Schutzniveau durch. Besonders im Bereich der neuen Dienste spielen Kundendaten eine wichtige Rolle als Wirtschaftsgut. Dies ist in Ordnung, solange der Nutzer über das Instrument der Einwilligung die Kontrolle über die Verwertung dieser Daten behält. Diese Einwilligung kann elektronisch erfolgen, und zwar über Verfahren, die für die Diensteanbieter praktikabel sind, zugleich aber für die Verbraucher die erforderliche Sicherheit gewährleisten. Neue Bußgeldbestimmungen werden die Beachtung der Datenschutzvorschriften nachhaltig un- terstützen. Mit den Ländern – ich betone: mit allen Ländern – be- steht Einvernehmen, dass die Vorschriften des Telediens- te-Gesetzes und des Teledienste-Datenschutz-Gesetzes wort- und inhaltsgleich in den Mediendienste-Staatsver- trag, übernommen werden. Damit erreichen wir ein ein- heitliches Regelwerk für die Tele- und Mediendienste. In- sofern erwarte ich, dass das Gesetz auch im zweiten Bundesratsdurchgang breite Unterstützung erhält. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund sollte eigentlich auch dem Deutschen Bundestag allseitige Unterstützung möglich sein, um die ich Sie bitten möchte. Das EGG ist entscheidender Baustein eines vertrauen- schaffenden Rahmens für elektronischen Handel, an dem wir auch künftig arbeiten müssen. Ich erwähne hier nur den Bereich der IT-Sicherheit, der ja nach dem 11. Sep- tember eine ganz neue Dimension erhalten hat. Die Bun- desregierung wird ihrer Verantwortung für Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft auch in Zukunft ge- recht werden. Und sie wird damit Deutschlands Wirt- schaft und Gesellschaft eine vielversprechende Perspek- tive für das 21. Jahrhundert eröffnen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 19611 (C) (D) (A) (B) Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Gesetzentwurfs: Verlängerung von Übergangsregelungen im Bundessozialhilfe- gesetz und der Anträge: – Fördern und Fordern – Sozialhilfe modern ge- stalten – Eine Grundsicherung in der Arbeitslosenver- sicherung einführen – Die Sozialhilfe armutsfest gestalten (Tagesordnungspunkt 31 und Zusatztagesord- nungspunkte 15 bis 17) Brigitte Lange (SPD): Die Anforderungen an die Sozialhilfe haben sich verändert. Das ist ablesbar an der Empfängerstruktur: Alleinerziehende machen fast die Hälfte aller Haushalte aus, die „Hilfe zum Lebensunter- halt“ benötigen, ein Drittel aller Bezieher sind Kinder und Jugendliche. Die Hauptursache für Sozialhilfebezug, Ar- beitslosigkeit, hat sich im Laufe der 90er-Jahre verfestigt. 1999 waren 24,5 Prozent (690 000), ein Jahr später 22,5 Prozent (606 000) aller Bezieher arbeitslos, aller- dings 44 Prozent aller Bezieher zwischen 18 und 60 Jah- ren. Die Diskussion darüber berücksichtigt meist nicht die hohe Fluktuation unter den Sozialhilfebeziehern. Die durchschnittliche Verweildauer betrug Ende 1999 weni- ger als 2½ Jahre. Knapp die Hälfte waren Kurzzeitbezie- her. Über 50 Prozent der Ehepaare mit Kindern und rund 44 Prozent der Alleinerziehenden waren nach weniger als einem Jahr wieder unabhängig von Sozialhilfe. Der Armuts- und Reichtumsbericht belegt, dass prekäre Lebenssituationen in aller Regel durch vielfältige, meist gleichzeitig auftretende Probleme geprägt sind. Es fehlt nicht nur die Arbeitsstelle, sondern ein ganzer Kanon aus Überschuldung, zu teueren Mieten, schlechtem Wohnumfeld, mangelnder Ausbildung und Qualifikation, unzureichender Kinderbetreuung oder Suchtproblemen begünstigt den Prozess des sozialen Abstiegs und sozialer Ausgrenzung. Es geht darum, Konsequenzen aus den Er- fahrungen der letzten Jahre zu ziehen, dass zur Überwin- dung von Sozialhilfebedürftigkeit mehr nötig ist als die Überweisung der Geldleistung. Betroffene brauchen Be- ratung, Unterstützung und Begleitung, die – an ihrer indi- viduellen Lebenslage orientiert – aus „einer Hand“ ange- boten werden sollen. Das erfordert Umdenken in der Sozialhilfepraxis. Es geht um eine komplexere Art der Dienstleistung, um gegenseitig andere Erwartungen. Es geht darum, Menschen in Armut durch Mobilisierung ih- rer schöpferischen Fähigkeiten und Kräfte selbst zu Trä- gern der Verbesserung werden zu lassen und nicht zu „bloßen Beteiligten“ eines von außen an sie herangetra- genen Vorhabens, wie Minister Riester es kürzlich formu- lierte. Es geht darum, bereits im BSHG vorhandene In- strumente „aufzupolieren“, in Erinnerung zu rufen, zu ihrer Nutzung und Vernetzung anzuregen und den geän- derten Anforderungen entsprechende neue hinzuzufügen, wie zum Beispiel Möglichkeiten der beruflichen Qualifi- kation. Es geht darum, diesen Zielen entsprechende Verwal- tungsabläufe gesetzlich zu unterstützen, und es geht uns sehr darum, die Bereitschaft von Arbeitsämtern, Sozial- und Jugendämtern (!) zu stärken, mehr als bisher – das heißt flächendeckend – zu kooperieren. Und es geht da- rum, Länder und Kommunen, Wohlfahrtsverbände, Insti- tutionen und Initiativen an dem Reformprozess zu betei- ligen. Auch deshalb legen wir unseren Antrag zu einer Strukturreform jetzt vor. Die medienweite Wisconsinsche Sommerloch-Debatte offenbarte vielen überraschend deutlich, was in unserem Land bereits möglich ist; wie viele Städte und Kreise kreativ und erfolgreich mit den vorhandenen gesetzlichen Möglichkeiten arbeiten, wel- che neuen Formen der Beratung und vielfältigen Modelle zur Integration in Beschäftigung Bundesländer ent- wickelten und weiter entwickeln. Die angekündigte Re- form ist keine Aufforderung zum Stillstand, sondern zum Wettbewerb um die besten Lösungen. Die Bundesregie- rung bereitet seit Regierungsbeginn durch Änderungen im BSHG und in zeitlich begrenzten Modellen, die wis- senschaftlich begleitet sind, fundierte Grundlagen für die Ausfüllung der Reform-Eckpunkte vor. Nicht nur Fachleute wissen, dass sich Sozialhilfe we- der für Schnellschüsse noch für Blindflüge eignet. Des- halb halten wir es für vertretbar, den seit 1993 bestehen- den Auftrag, Regelsätze und ihre Fortschreibung neu zu justieren, noch einmal zu vertagen, um belastbare Ergeb- nisse aus den laufenden Pauschalierungsmodellen in die Gestaltung der Regelsätze einzubeziehen und damit ein schlüssiges Gesamtkonzept zu ermöglichen. Deswegen muss auch die Übergangsregelung zur Fortschreibung der Regelsätze bis 2004 verlängert werden. Bis dahin werden die Regelsätze weiter wie die Renten erhöht. Uns ist be- wusst, dass diese nochmalige Verlängerung auf Kritik stößt. Dennoch führte – nach Berechnungen des Ministe- riums – die Fortschreibung der Regelsätze in den vergan- gen Jahren insgesamt nicht zu einem Kaufkraftverlust bei den Sozialhilfeempfängern. Die Verlängerung der Über- gangsregelung zur Erhöhung der Regelsätze ist Gegen- stand des vorliegenden Gesetzentwurfes. Vorrangiges Ziel unserer Politik ist es, zu vermeiden, dass Menschen überhaupt sozialhilfebedürftig werden. Da hat sich in den 90er-Jahren ein beträchtlicher Nachholbedarf entwickelt. Der Armuts- und Reichtumsbericht dokumentiert die De- fizite in der Familienpolitik bis 1998. Die vorgefundene Situation bei der Regierungsüber- nahme von Rot-Grün war höchst unerfreulich: 1998 hatte die Zahl der Sozialhilfeempfänger einen Höchststand von 2,9 Millionen Menschen erreicht: eine Verdreifachung seit 1980 und überwiegend in der Regierungszeit von CDU/CSU und FDP! Unsere Reformen haben dazu beigetragen, diese Zahl kontinuierlich zu senken: Seit 1998 um 8 Prozent, das sind 219 000 weniger. Wir haben den Steuerfreibetrag er- höht und den Eingangssteuersatz gesenkt. Die Familie ei- nes Durchschnittsverdieners mit 2 Kindern hat in diesem Jahr 2 200 Mark mehr im Portemonnaie als 1998. Wir ha- ben das Kindergeld von 220 auf 270, und zum 1. Januar 2002 auf 300 Mark erhöht. Wir haben das Wohngeld er- höht und erreichen mit der Förderung 400 000 Haushalte zusätzlich. Unsere Reform des BAföG verbessert die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119612 (C) (D) (A) (B) Situation studierender Eltern, insbesondere Alleinerzie- hender. Wir haben durch das Teilzeitgesetz die Vereinbar- keit von Beruf und Familie erleichtert. Mehr Mütter und Väter als bisher können erwerbstätig bleiben. Wir haben mit JUMP über 330 000 Jugendliche in Qualifizierung, Ausbildung und Arbeit gebracht. Wir haben dazu beige- tragen, dass die Arbeitslosigkeit von Älteren und Schwer- behinderten zurückgegangen ist. Diesen Weg der Entlastung von Familien mit Kindern und der aktiven Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik gehen wir weiter. Denn wir wissen: Er ist der beste, um Sozialhilfebedürftigkeit erst gar nicht entstehen zu lassen. Das gilt besonders für die über 1 Million Kinder und Ju- gendlichen, die mit ihren Eltern von Sozialhilfe leben, in der Regel übrigens von ergänzender Sozialhilfe. Entge- gen landläufiger Meinung weist eine DGB-Studie darauf hin, dass das Sozialhilferisiko keinesfalls proportional mit der Familiengröße steigt. Aber die Zahl allein erziehender Frauen ist doppelt so groß wie die der Ehepaare mit Kin- dern insgesamt. Ihr hoher Anteil erklärt sich vor allem da- raus, dass sie wegen unzureichender Kinderbetreuungs- möglichkeiten kaum erwerbstätig werden können. Wir brauchen Ganztagseinrichtungen, nicht nur im Interesse der Alleinerziehende oder Elternpaare, sondern vor allem auch im Interesse der Kinder! Das würde den Anteil von Kindern in der Sozialhilfe erheblich reduzieren. Ergän- zend sind praktikable finanzielle Lösungen gefragt, die (vorrangig) verhindern, dass Eltern allein deshalb, weil sie Kinder haben, in die Sozialhilfe abgleiten. Dafür exis- tieren eine Reihe von Vorschlägen, die geprüft und umge- setzt werden sollen. Zwei weitere Gesetze haben das Sozialhilferisiko er- heblich vermindert. Das Gesetz zur Pflegeversicherung, das 1994 von Regierung und Opposition gemeinsam be- schlossen wurde, erspart seitdem vielen Pflegebe- dürftigen den Weg zum Sozialamt. Durch die Grund- sicherung für ältere Menschen und Personen mit dauerhafter Erwerbsminderung ab 2003 wird die Zahl der Hilfebedürftigen in der Sozialhilfe weiter sinken. Mit unseren im Antrag benannten 6 Eckpunkten setz- ten wir den Weg einer Strukturreform fort. Wir wollen Erstens finanzielle Leistungen transparent und bedarfsge- recht weiter entwickeln und zweitens die Selbstverant- wortung des Hilfeempfängers stärken und Verwaltung vereinfachen Die Abgrenzung laufender und einmaliger Leistungen verunsichert und bevormundet Hilfebezieher, beschäftigt Verwaltungen und ist Quell langwieriger ge- richtlicher Auseinandersetzungen. Besser wäre eine Art integrierter Gesamtpauschale. Sie überlässt Hilfebeziehern die Dispositionsfreiheit für ihr „Budget“, vereinfacht Verwaltungshandeln und schafft Rechtssicherheit. Über die Pauschale hinaus muss die be- darfsgerechte Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls gesichert sein. Es ist deshalb sinnvoll, die Neukonzeption der Regelsätze zusammen mit der Aus- wertung der 50 Modellvorhaben zur Pauschalierung vorzunehmen, um eine gerechte und tragfähige Lösung zu erreichen. Drittens geht es uns um aktivierende Instru- mente und Leistungen, die viertens die Integration in den Arbeitsmarkt fördern. Unser vorrangiges Ziel, Menschen so zügig wie mög- lich wieder in Arbeit zu bringen, erreichen wir nur dann, wenn sie als Partner in die Hilfeplanung einbezogen wer- den. Mehr Druck und Repression sind nicht zielführend. Wir wollen Hilfe auf gleicher Augenhöhe. Individuelle Beratung, Hilfeplanung, Fall-Management aus einer Hand sind zentrale Elemente einer Förderkette, wie sie das neue Job-Aqtiv-Gesetz vorsieht. Diesen – von den Ex- perten in der Anhörung als sehr positiv bewerteten Weg – wollen wir auch in der Sozialhilfe gehen. Unser Prinzip heißt: Fördern und Fordern Dies beinhaltet durchaus im Einzelfall, mit den Sanktionsinstrumenten zu arbeiten, wenn jemand die Arbeitsaufnahme verweigert. Diese Instrumente müssen nicht erst neu erfunden werden, sie bestehen schon bisher und werden von den Kommunen auch angewandt. Wir wollen vermeiden, dass Menschen in der Sozial- hilfe resignieren. Wir sehen uns in der Verpflichtung, ih- nen von Anfang an Hilfen zu geben und sie zu befähigen, ihren Weg selbst zu gehen. Die persönliche Hilfe und die Hilfe zur Selbsthilfe sind wichtige Prinzipien, die sich auch bisher schon im BSHG finden. Sie müssen deutlich mehr als bisher praktiziert werden können. Die Zusam- menlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe wird uns als Patentrezept verkauft. Manche haben es sehr eilig damit. Ineffiziente Doppelzuständigkeiten sind ein Hauptargu- ment – das allerdings ein Blick in die Statistik relativiert: Nur 280 000 Arbeitslosenhilfebezieher sind auf ergän- zende Sozialhilfe angewiesen, weniger als ein Fünftel! Gleichwohl – wir verschließen uns keiner Diskussion da- rüber, wie – im Interesse der betroffenen Menschen – die Integration in den Arbeitsmarkt zügiger und effizienter or- ganisiert werden kann. Aber wir halten wenig von so ge- nannten Patentrezepten, und gar nichts von einer über- stürzten „Verordnung“, ohne überhaupt die Wirkung, geschweige denn Nebenwirkung und Risiken zu kennen. Wir unterstützen hingegen die sorgfältige und praxis- orientierte Vorgehensweise der Bundesregierung, in 30 Modellen (MoZArt) quer durch die Republik, die Bün- delung der Stärken beider Systeme unter dem Gesichts- punkt erproben zu lassen, was der einzelne Arbeitslose in Bezug auf seine Lebenslage, auf seine Qualifikation und auf seine Leistungsfähigkeit zur Integration in den Ar- beitsmarkt benötigt. Grundsätzlich ist die Zusammenarbeit seit dem letz- ten Jahr für alle Arbeits- und Sozialämter verbindlich vorgeschrieben. An den erweiterten Möglichkeiten von „MoZArt“, das heißt Datenaustausch, Beratung und Leis- tungen aus einer Hand, gegenseitige Nutzung der Instru- mente (Experimentierklausel), können auch die Arbeits- und Sozialämter teilnehmen, die ohne finanzielle Förde- rung des Bundes dieses Modell erproben wollen. Fünf- tens. Wir wollen Länder und Kommunen bei der er- forderlichen Verwaltungsmodernisierung unterstützen. Aktivierende Maßnahmen zur Überwindung von Sozial- hilfebedürftigkeit brauchen aussagekräftige statistische Grundlagen, die bisher fehlen. Sie sind nötig für zielge- naue Planung und Steuerung auf kommunaler Ebene, aber auch als Grundlage für die Entscheidungen in Politik und Gesetzgebung. Weniger Verwaltungs- mehr personenbe- zogene Dienstleistung in den Sozialämtern müssen durch Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 19613 (C) (D) (A) (B) rechtliche Rahmenbedingungen ermöglicht und gefördert werden. Der letzte Eckpunkt sieht die Einordnung des BSHG in das Sozialgesetzbuch vor. Es geht um die syste- matische und begriffliche Übereinstimmung mit den an- deren Büchern des SGB und soll der Rechtsklarheit die- nen. Unser Reform-Konzept ist eine ideale Ergänzung zu unserem Job-Aqtiv-Gesetz. Beide werden dazu beitragen, Sozialhilfebedürftigkeit zu verhindern und Bezugszeiten zu verkürzen. Mit dieser Strukturreform der Sozialhilfe werden wir finanzielle Leistungen transparent und bedarfsgerecht weiter entwickeln, die Selbstverantwortung des Hilfe- empfängers stärken, Verwaltung vereinfachen, die akti- vierenden Instrumente der Sozialhilfe verbessern und die Integration in den Arbeitsmarkt fördern. Wir haben diese Legislaturperiode genutzt, um die wesentlichen Vorarbei- ten für diese Reform zu leisten. Die Bundesregierung hat den Armuts- und Reichtums- bericht vorgelegt und damit die Grundlage für eine am Le- benslagenkonzept orientierte Reform. Mit dem vorliegen- den Gesetz verlängern wir erweiterte Möglichkeiten zur Gewährung von Lohnkostenzuschüssen, wenn Sozialhil- febezieher eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt aufnehmen. Wir haben die Modellversuche zur Zusammenarbeit von Arbeits- und Sozialämtern, zur Pauschalierung und zur Aufnahme sozialversicherungspflichtiger Tätigkeiten für Gering- qualifizierte gestartet. In der nächsten Wahlperiode wer- den sie Ergebnisse liefern. Mit dieser soliden Vorarbeit wird die Sozialhilfereform aus einem Guss gelingen. Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Um es gleich deutlich zu sagen, mit dem Gesetz zur Verlängerung von Übergangsregelungen im Bundessozialhilfegesetz verab- schiedet Rot-Grün für Sozialhilfeempfänger nicht mehr als ein sozialpolitisches Notprogramm. Die Bundesregierung macht schon gar keine Versuche mehr, Reformpolitik zu be- treiben, sie legt gar nichts vor. Und die Koalitionsfraktionen beantragen lediglich, befristete Übergangsregelungen für die Sozialhilfe nochmals zu verlängern. Vor diesem Hinter- grund ist der Antrag von SPD und Grünen bloß verbales Beiwerk. Zu wirklichen Reformen sind Bundesregierung und Regierungsfraktionen schon jetzt nicht mehr fähig. Schon einmal haben Sie die ursprünglich bis 1. Juli 2000 befristeten Übergangsregelungen zur jährlichen Er- höhung der Sozialhilfesätze verlängert, und zwar um zwei Jahre. Dies hätte bedeutet, dass es zum 1. Juli nächsten Jahres eine umfassende Neugestaltung der Sozialhilfe hätte geben müssen. Heute bleibt festzustellen: Rot-Grün findet nicht mehr die Kraft zu notwendigen Strukturver- änderungen im Sozialhilferecht. Vielmehr heißt heute ihr sozialpolitisches Bekenntnis für Sozialhilfeempfänger: Wir verlängern die Übergangsregelungen ein weiteres Mal, und zwar gleich um drei Jahre. Im Klartext heißt das: Mit dieser zweiten Verschiebung der Neuregelung schum- melt sich die Schröder-Regierung über die gesamte Le- gislaturperiode hinweg, ohne auch nur den Ansatz einer Reform der Sozialhilfe zustande zu bringen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfrak- tionen, von Armutsbekämpfung und von sozialer Gerech- tigkeit brauchen Sie nach diesem Sozialhilfetorso nicht mehr zu reden! Welche negativen Folgen die Übergangs- regelung für Sozialhilfeempfänger hat, ist leicht zu zei- gen. Die Höhe der Regelsatzanpassung lehnt sich nämlich an die jährliche Rentenerhöhung an. Sozialhilfeempfän- ger haben damit in den letzten zwei Jahren dieselben Er- fahrungen gemacht wie die Rentnerinnen und Rentner. Die jährliche Sozialhilfeerhöhung bleibt jeweils unter der Preissteigerungsrate des Jahres. Trotz Regelsatzanpas- sung bleibt jeweils weniger in der Tasche der Sozialhilfe- empfänger als im Vorjahr. Im Jahr 2000 lag die Inflati- onsrate bei 1,9 Prozent, die Sozialhilfeerhöhung (West) bei 0,6 Prozent. Das ist Kaufkraftverlust. Im Jahr 2001 wird eine Inflationsrate von 2,5 Prozent erwartet. Die So- zialhilfe ist aber nur um 1,91 Prozent angepasst worden. Auch das ist Kaufkraftverlust. Noch deutlicher gesagt: Sozialhilfeempfänger sind Jahr für Jahr ärmer geworden. Wie das für 2002 aussehen wird, ist noch nicht so klar. Bei gleich bleibender Politik dürfen Sozialhilfeempfänger aber nichts Gutes erwarten. Für 2003 und 2004 gehen die Benachteiligungen weiter. Dann finden sich die jährlich vorgesehenen Rentenkürzungen auch bei der Sozialhilfe als Kürzung wieder. Meine Damen und Herren von der SPD, in den Jahren vor dem Regierungswechsel haben Sie sehr häufig über soziale Demontage und Sozialabbau geredet. Für das, was Sie hier nun machen, kann ich keine anderen Worte fin- den. Ihre Politik der weiteren Verschiebung der Sozialhil- fereform findet auch bei den Sozialverbänden Kritik. Ich darf das an dieser Stelle mal zitieren: „Armutspolitisch beschämend“, so nennt der Paritätische Wohlfahrtsver- band das Vorhaben der Bundesregierung. Um die Kauf- kraftposition von 1993 wieder herzustellen – so die Pa- ritäter weiter – wäre für Westdeutschland eine Anhebung um 3,8 Prozent und für Ostdeutschland sogar eine Anhe- bung um 5,1 Prozent erforderlich. Das Koalitionsbündnis aus SPD und Grünen ist 1998 angetreten, um „soziale Ge- rechtigkeit in Deutschland wiederherzustellen“. Da muss ich hier doch mal fragen: Haben Sie sich das so vorge- stellt? Bundesarbeitsminister Walter Riester verweist im- mer wieder gerne darauf, dass in den Koalitionsvereinba- rungen vom 20. Oktober 1998 SPD und Bündnis 90/Die Grünen die Bekämpfung der Armut zu einem Schwer- punkt der Politik der Bundesregierung erklärt haben. Jetzt droht sie Ihnen zum Stolperstein zu werden. Denn von diesem Ziel sind Sie nach über drei Jahren Regierung weit entfernt. Wir brauchen eine Sozialhilfereform, die Strukturen verändert. Stattdessen begnügt sich Rot-Grün mit Mo- dellvorhaben und nimmt diese noch zur Begründung der Verschiebung einer großen Reform. Liest man den Antrag der Koalitionsfraktionen mit dem Titel ,,Fördern und For- dern – Sozialhilfe modern gestalten“, dann versteht man die dort wiederholte Begründung nicht. Denn obwohl sie behaupten, die Auswertung der Modellversuche vor einer Reform abwarten zu müssen, führen Sie hier schon eine ganze Reihe von feststehenden Eckpunkten auf. Im Klar- text: Sie wüssten eigentlich schon, was gemacht werden muss. Aber Sie handeln nicht. Die Modellvorhaben tragen den Namen MOZART. Rot-Grün ist sehr kreativ bei der Namensgebung, aber we- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119614 (C) (D) (A) (B) nig effektiv beim politischen Handeln. Eine große Sozial- hilfereform wird es in dieser Legislaturperiode nicht ge- ben. Dafür hat Ihnen Mozart – jetzt meine ich den Kom- ponisten – schon weitsichtig die ,,Kleine Nachtmusik“ komponiert. Dabei wäre eine strukturelle Sozialhilfere- form so notwendig. Denn alle Experten wissen aus Erfah- rung, dass es eine Schieflage bei den Regelsätzen gibt. Es gibt Gutachter, die deutlich darauf hinweisen, dass die Re- gelsätze für Alleinerziehende angehoben werden müssen, weil das Geld nicht mehr das Existenzminimum abdeckt. Andererseits geraten die Sozialhilfeleistungen für Fami- lien mit Kindern zu nah an die Gehälter von solchen Fa- milien, in denen ein Elternteil arbeitet. Hier muss das Lohnabstandsgebot der Jugend durchgesetzt werden. Dies wäre notwendig, um soziale Gerechtigkeit herzu- stellen. Darüber hinaus brauchen wir Pauschalisierungen für den Bereich der Einmalzahlungen in der Sozialhilfe. Dies spart Verwaltungskosten für ständige Bedarfsprü- fungen im Einzelfall und gibt Sozialhilfeempfängern das Gefühl, nicht dauernd bevormundet zu werden. Die CDU/CSU-Fraktion hat im Gegensatz zu Ihnen ihre Hausaufgaben erfüllt. Wir haben bereits ein ganzes Paket von Maßnahmen entworfen, das an den Symptomen nicht nur herumdoktert, sondern die strukturellen Ursa- chen des Problemfeldes angeht. Im Mittelpunkt steht da- bei der Gedanke der Teilhabe an der Gesellschaft durch Arbeit: Die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und So- zialhilfe. Damit werden die bisherigen Leistungen zu ei- nem „Sozialgeld“ zusammengefasst, dessen Zumutbar- keitsregelungen und Leistungsumfang der heutigen Sozialhilfe entsprechen. Die Vorteile: Die Sozialgeld- empfänger werden von Anfang an auf lokaler Ebene, in enger Abstimmung mit den Arbeitsämtern, durchgängig beraten und betreut. Dies setzt allerdings eine zugunsten der kommunalen Ämter verschobene Budgetverantwor- tung und entsprechende Finanzausstattung voraus. Kinder und Behinderte müssen aus der Sozialhilfe he- rausgenommen werden. Deshalb sollen ein Familiengeld und ein Leistungsgesetz für Behinderte geschaffen wer- den. Ältere Arbeitnehmer mit mindestens 15 Erwerbsjah- ren müssen durch Anhebung der Freibeträge bei der Heranziehung von Ersparnissen beim Umbau der Ar- beitslosen- und Sozialhilfesysteme besonders geschützt werden. Die Anrechnung niedriger Arbeitseinkommen auf So- zialhilfe muss verringert werden. Dadurch wächst der An- reiz des Empfängers von Sozialtransfers, auch niedrig entlohnte Tätigkeit bzw. Teilzeitarbeit zu suchen und an- zunehmen. Statt der bisherigen Kombination von Sozial- transfers plus Schwarzarbeit soll eine Ergänzung von le- galer Arbeit und Sozialtransfers gefördert werden. Für Gruppen, die besonderer Eingliederungsmaßnah- men bedürfen, müssen gezielte Unterstützungsmaßnah- men ergriffen werden, wie zum Beispiel die Einführung von Pflichtunterricht in Deutsch für ausländische Sozial- geldempfänger oder eine Qualifizierungspflicht für Sozi- algeldempfänger ohne berufliche Bildung. Es kommt darauf an, die Arbeitsmarktlücke zwischen 630 DM und circa 1 600 DM zu schließen. Für diesen Niedriglohnbereich sind Anreize zur Arbeitsaufnahme zu schaffen, durch Einstiegsgeld, Kombilohn oder die de- gressive Bezuschussung der Sozialbeiträge, damit netto mehr übrig bleibt. Sie sehen, wir gehen gut gerüstet in die Debatte über die Soziahilfereform, die von Rot-Grün jetzt bis ins Jahr 2004 verschleppt wird. Unsere Alternative ist klar. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der erste Armuts- und Reichtumsbericht in Deutschland hat gezeigt: Die Zahl der Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger hat sich in Deutschland unter der Regierung von CDU/CSU und FDP vervierfacht. Insbesondere Kin- der wurden unter Schwarz-Gelb zu einem Armutsrisiko, nicht nur am Rand der Gesellschaft, sondern bis in die Mitte der Gesellschaft hinein – ein unglaublicher Skandal in einem der reichsten Länder der Welt. Rot-Grün hat die Armut in den letzten drei Jahren nicht beseitigt. Das konnte auch niemand ernsthaft erwarten. Aber wir haben den Trend umgekehrt. Die Zahl der So- zialhilfempfängerinnen und -empfänger nimmt seit 1999 ab. Familien mit Kindern werden unter Rot-Grün besser gestellt – gerade im unteren und mittleren Einkommens- bereich. Verglichen mit 1998 wird eine Durchschnittsfa- milie im Jahr 2002 um 1 500 Euro entlastet, die Ökosteuer inbegriffen. Wir tun also sehr viel, um zu verhindern, dass Menschen auf Sozialhilfe angewiesen sind. Dennoch will ich einräumen: Wir haben mit dem Sys- tem der Sozialhilfe, wie es sich heute darstellt, eine Reihe von gravierenden Problemen. Es gibt ernst zu nehmende Daten, die darauf hinweisen, dass es in bestimmten Be- reichen zu einer Unterdeckung, zu einer Unterversorgung gekommen ist. Wir haben dies zum Teil dadurch ausge- glichen, dass wir die Kindergelderhöhung des Jahres 2000 nicht auf die Sozialhilfe anrechnen, sondern an die So- zialhilfeempfängerinnen und -empfänger ungekürzt wei- tergeben. Diese Übergangsregelung wird über das Jahr 2002 hinaus weiter verlängert. Ein weiteres Problem ist die mangelnde Durchlässigkeit der Sozialhilfe – der Fall- beileffekt, wie er in der Fachöffentlichkeit genannt wird. Hierzu gibt es in vielen Bundesländern Modellversuche, die Arbeit und Sozialhilfe so zu kombinieren, dass für die Empfängerinnen und -empfänger ein positiver Anreiz ent- steht. Deshalb haben wir auch eine Reihe von Modellpro- jekten zur Kooperation von Sozial- und Arbeitsämtern gestartet, um die Abschottung beider Systeme zu über- winden und auch Sozialhilfeempfängerinnen und -emp- fänger in Arbeitsfördermaßnahmen einzubeziehen. Wir haben auch das Problem der Überbürokratisie- rung, der – nennen wir es ruhig so – bürokratischen Be- vormundung von Sozialhilfeempfängerinnen und -emp- fängern, die sie in einem Status der Unmündigkeit belässt, statt sie positiv zu motivieren und zu beraten. Wir haben deshalb – im Rahmen einer Experimentierklausel – eine Reihe von Modellversuchen gestartet, um Leistungen zu pauschalieren und die Verwaltung zu vereinfachen. Das nützt im Idealfall allen: den Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern und der öffentlichen Verwaltung, die ei- nerseits an Verwaltungsaufwand einspart, andererseits mehr Raum für individuelle Förderung und Beratung hat. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 19615 (C) (D) (A) (B) Dabei sollten wir auch nicht die Probleme verschwei- gen, die sich jetzt bereits andeuten und von den Wohl- fahrtsverbänden zu Recht bemängelt werden: Manche Kommunen verwechseln Pauschalierung mit einer massi- ven Leistungskürzung und es stellt sich auch die Frage, ob langlebige Gebrauchsgüter wirklich Teil der Pauschale werden sollen. Die Verlängerung der Anpassung der Re- gelsätze analog zur Rente um weitere drei Jahre ist nichts, worauf wir stolz sind. Wir tun dies aber, weil wir keine verlässlichen Daten dafür haben, wie sich die spezifischen Lebenshaltungskosten von Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern entwickelt haben – und auch kein über- zeugendes System, wie sich die Regelsätze künftig zu- sammensetzen sollen. Diese Unsicherheit besteht auch in den Gutachten, die das A-und-S-Ministerium angefordert hat. Auch die Wohlfahrtsverbände, die neben eigenen Berechnungen auf der Grundlage des existierenden Systems bemerkens- und bedenkenswerte Eckpunkte vorgelegt haben, haben kein schlüssiges Konzept – mit Ausnahme einer langfris- tigen Perspektive in Richtung allgemeine Grundsiche- rung, die wir Grüne bekanntermaßen teilen. Deshalb ist die weitere Erhöhung der Regelsätze ana- log zur Rente nicht elegant, aber doch vertretbar, zumal wir in dem begleitenden Antrag an verschiedenen Stellen klarstellen, in welche Richtung wir die Sozialhilfe auf mittlere Sicht weiterentwickeln wollen, also in der kom- menden Wahlperiode. Wir machen es uns nicht so einfach wie die Opposition. Der rechte Teil des Hauses hält in Sa- chen Sozialhilfe nicht das von uns verfolgte Gleichge- wicht des „Förderns und Forderns“. Wer zu sehr mit der sozialpolitischen Peitsche agiert, wie Sie das vorschlagen, wird keine mündigen, selbstbewussten, kreativen und leistungsbereiten Bürgerinnen und Bürgern bekommen. Angstmotivation ist, langfristig und volkswirtschaftlich gesehen, ein reines Strohfeuer. Wir machen es uns auch nicht so einfach wie die PDS. Es ist ja ganz nett, wenn Sie Regelsatzsteigerungen in der Größenordnung von 12 Prozent vorschlagen, ohne die Schlüssigkeit des überkommenden Sozialhilfesystems in- frage zu stellen. Nur: Keine der von ihnen regierten oder mitregierten Kommunen würde dies mittragen. Verant- wortung ist eben nicht nur abstrakt. Wenig sachdienlich ist auch Ihr Vorschlag einer Grund- sicherung für Arbeitslose. Statt noch einen bürokratischen Wasserkopf zu schaffen, bevorzugen wir einen Vorschlag des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Demnach sollen Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe künftig ergänzende Hilfe zum Lebens- unterhalt in einem vereinfachten Verfahren direkt über die Arbeitsämter erhalten. Für jeden Leistungsempfänger, für jede Leistungsempfängerinnen und -empfänger die mate- riellen und persönlichen Hilfen aus einer Hand zu ge- währen – das ist unser Ziel und das steht auch in unserem Antrag. Diese Koalition macht es sich nicht so einfach wie die Opposition. Deshalb werden wir auch – bis zum Ende der Übergangsregelung im Jahr 2005 – sehr sorgfältig aus- werten, welche Modelle und Reformansätze verwirklicht werden können und welche nicht. Es macht dabei durch- aus Sinn, ohne einen großen und sehr komplexen Sys- temwechsel einzelne Personengruppen aus der Sozialhilfe herauszunehmen – zumal dann, wenn sie dem Arbeits- markt nicht zur Verfügung stehen. Bei älteren Menschen habe wir das im Rahmen der Rentenreform gemacht. Die- sen Ansatz wollen wir weiter verfolgen; auch das steht in unserem Antrag. Besonders freut es mich, dass der Antrag sogar noch konkreter wird: Wir wollen diesen Ansatz auf weitere Per- sonengruppen ausdehnen und wir wollen insbesondere die eigenständige Existenzsicherung von Kindern und Ju- gendlichen so verbessern, dass sie und ihre Familien von Sozialhilfe unabhängig sind. Das ist natürlich auch ein Hinweis auf die grüne Kindergrundsicherung, die von vielen Wissenschaftlern, Fach- und Sozialverbänden große Unterstützung erfährt, nicht zuletzt weil die Kin- dergrundsicherung die offene und verdeckte Armut effek- tiv bekämpft, weil sie auch Menschen in prekären Ein- kommensverhältnissen oberhalb der Armutsschwelle unterstützt und weil sie problemlos finanzierbar ist. Die Kindergrundsicherung ist jetzt, mit diesem Antrag, erst- mals offiziell Gegenstand der Beratungen in der Koali- tion. Sie ist eines von vielen praxisorientierten Elemen- ten, die wir im Rahmen der Sozialhilfereform offen verhandeln werden. Dies alles zeigt: Diese Koalition macht keine Schnell- schüsse, sie schiebt aber auch nichts auf die lange Bank. Sie arbeitet konzentriert und lösungsorientiert. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): „Der eine wartet, dass die Zeit sich wandelt, der andere packt sie an und han- delt!“ Der erste Halbsatz dieses Zitates von Dante gilt für die rot-grüne Koalition, der zweite für die FDP. Die rot- grüne Koalition legt einen Entschließungsantrag vor, in dem sie bestimmte Maßnahmen für einen Zeitpunkt in ferner Zukunft fordert, von dem noch gar nicht abzusehen ist, ob sie dann überhaupt noch im Amt ist. Warum einen Entschließungsantrag mit Handlungshorizont 2003, ob- wohl Sie doch jetzt, 2001, handeln könnten? Über die in dem Antrag angestellten Überlegungen für eine Neukon- zeption der Regelsätze sowie einer Pauschalierung von Leistungen kann man ernsthaft nachdenken. Warum wol- len Sie also warten? Offensichtlich fehlt Ihnen der Mut. An die wirklichen strukturellen Reformen trauen Sie sich doch selbst in einem Antrag für das Jahr 2003 nicht heran. Sie bleiben bei der stärkeren Koordinierung zwischen den Arbeits- und Sozialämtern im Nebel, statt substanzielle Vorschläge für die Lösung dieser seit langem bestehenden und von allen Seiten monierten „Verschiebebahnhöfe“ zwischen den Arbeitsämtern und den Kommunen zu erar- beiten. Dies alles ist umso erstaunlicher, als offensichtlich selbst die SPD-regierten Bundesländer schon deutlich weiter sind als die Bundesregierung und etwa über eine Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe nach- denken. Nein, dieser Entschließungsantrag ist schlicht Ausdruck mangelnder Entschlossenheit, bereits jetzt eine grundlegende Reform der Sozialhilfe anpacken zu wol- len. Dies ist ein weiteres, trauriges Beispiel für die bishe- rigen Unterlassungen der Bundesregierung in der Ar- beitsmarkt- und Sozialpolitik. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119616 (C) (D) (A) (B) Wir wollen – zweiter Halbsatz des Zitates –, dass die Dinge angepackt werden. Deswegen haben wir unsere wesentlichen Vorstellungen für eine Reform längst vorge- legt – wir, die FDP, haben die Probleme etwas früher als die Bundesregierung erkannt –: Wir haben bereits im Mai und im September dieses Jahres insgesamt drei Anträge für eine beschäftigungsorientierte und aktivierende So- zialhilfereform eingebracht. Der Ansatz der FDP: Sozial- hilfe muss so ausgestaltet werden, dass sie einerseits den tatsächlich Bedürftigen ein Leben in Würde ermöglicht, andererseits aber zugleich die Selbstständigkeit aller Hilfeempfänger stärkt und den Leistungsmissbrauch ver- meiden hilft. Es darf nicht sein, dass die subsidiäre Hilfe- gewährung eine „Kultur der Unselbstständigkeit“ hervor- bringt. Entgegen allen Behauptungen gibt es auch genügend Arbeitsplätze: Insgesamt werden rund 1,5 Mil- lionen offene Stellen angeboten, von denen etwa nur ein Drittel den Arbeitsämtern gemeldet sind. Die Statistik der Bundesanstalt zeigt, dass von den gemeldeten offenen Stellen knapp die Hälfte für Nichtfacharbeiter und Ange- stellte mit einfachen Tätigkeiten ausgeschrieben waren. Rechnet man die Zahlen hoch, wurden im Jahr 2000 mehr als 750 000 geringer qualifizierte Arbeitskräfte gesucht. Darüber hinaus besteht ein enormes, bislang ungenutztes Beschäftigungspotenzial auch und gerade für gering oder niedrig Qualifizierte im Bereich der personen- und haus- haltsbezogenen Dienstleistungen. Daher schlagen wir für eine echte Strukturreform vor: Erstens. Von rund 2,7 Millionen Sozialhilfeempfän- gern sind etwa 800 000 Menschen grundsätzlich arbeits- fähig. Warum lohnt es sich für viele dieser rund 800 000 arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger nicht, eine Arbeit anzunehmen? Gerade bei niedrigem Einkommen ist der Lohnabstand zu gering. So liegt das Transfereinkommen einer Sozialhilfefamilie mit 2 940 DM lediglich 260 DM über dem durchschnittlich verfügbaren Monatseinkom- men – also nicht einmal der unteren Lohn- und Gehalts- gruppe – eines Alleinverdieners mit zwei Kindern ein- schließlich Kindergeld von 3 200 DM. Hinzu kommt: Ein arbeitswilliger Sozialhilfeempfänger kann höchstens 275 DM mehr im Monat verdienen, wenn er arbeitet, als wenn er nichts tut. Jeder Zuverdienst darüber hinaus wird ihm zu 100 Prozent, also voll, auf die Sozialhilfe ange- rechnet. Daher fordert die FDP: Die Anreize in der So- zialhilfe, wieder in das Erwerbsleben zurückzukehren, müssen gestärkt werden. Die Freibeträge in der Sozial- hilfe sind zu erhöhen – finanziert über eine Reform des Finanzausgleichs – und die Anrechnungssätze müssen langsamer ansteigen. Diese Maßnahmen sind temporär einzuräumen, um zu verhindern, dass Arbeitnehmer dis- kriminiert werden, die auch ohne Sozialhilfe bereit sind zu arbeiten. Schließlich muss der Eingangssteuersatz be- reits 2002 auf 15 Prozent gesenkt werden. Hierfür haben wir einen ausführlichen Antrag vorgelegt, und zwar auf der Bundestagsdrucksache 14/5982 vom 9. Mai 2001. Da- rüber hinaus sollte über rechtliche Voraussetzungen nach- gedacht werden, um neu zu schaffende und zu fördernde Arbeitsplätze außerhalb des derzeit gültigen Tarifsystems zu ermöglichen. Zweitens. Es gibt keine überzeugende Begründung dafür, warum es in Deutschland mehrere steuerfinanzierte Fürsorgeleistungen für einen Sachverhalt, nämlich den der Arbeitslosigkeit, gibt. Während die Sozialämter So- zialhilfe in Höhe von rund 40 Milliarden DM leisten, zahlt der Bund Arbeitslosenhilfe in Höhe von rund 25 Milliar- den DM. Alleine die Verwaltung beider Sozialleistungen verbraucht jährlich rund 7 Milliarden DM. Die FDP for- dert daher, die Arbeitslosenhilfe vollständig mit der So- zialhilfe zu einem System mit einer Leistung, mit klaren Zuständigkeiten, eingleisigen Verfahren und schlankerer Verwaltung zusammenzufassen. Gleichzeitig muss mit dieser Reform ein dauerhafter föderaler Finanzausgleich erfolgen. Die durch den Wegfall der Arbeitslosenhilfe so- wie weiterer Personalkosten ersparten Leistungen muss der Bund den Kommunen einen – je nach ihren Aufwen- dungen – jährlich im Voraus festgelegten Betrag geben, sodass ein Budgetsystem mit dem Anreiz zum sparsamen Haushalten geschaffen wird. Auch hierfür haben wir ei- nen ausführlichen Antrag vorgelegt, Bundestagsdrucksa- che 14/5983 vom 9. Mai 2001. Drittens muss das Gerechtigkeitsprinzip: „Keine Leis- tung ohne grundsätzliche Bereitschaft zur Gegenleistung“ deutlicher zur Geltung gebracht werden. Bereits nach gel- tendem Recht kann dem Sozialhilfeempfänger der Leis- tungsanspruch um 25 Prozent gekürzt werden, wenn er eine zumutbare Arbeit nicht annimmt bzw. sein Anspruch kann bei weiteren Verstößen auch ganz entfallen, §§ 18 bis 20, 25 BSHG. In der Praxis erwiesen sich diese Sank- tionsmechanismen allerdings bislang als wenig effektiv und als sehr aufwendig, diese auch gerichtsfest zu gestal- ten. Zur Feststellung der Sachlage bedarf es im Einzelfall erheblichen Prüfungsaufwand. Die Ämter machen daher von der Durchführung der vorhandenen Sanktionsmög- lichkeiten nur zurückhaltend Gebrauch. Zum „Fördern und Fordern“ ist dem rot-grünen Entschließungsantrag trotz des gleichnamigen Titels nur wenig Präzises zu entnehmen. Dagegen fordert die FDP: Eine grundlegende Sozialhilfereform muss helfen, Streuverluste und Leistungsmissbrauch in unserem Sozi- alstaat möglichst gering zu halten; denn die Schwarzar- beit steigt dramatisch. Eine solche Reform muss darauf hinwirken, die Eigenverantwortung und das Solidaritäts- prinzip, welches im Kern ein Gegenseitigkeitsprinzip ist, zu stärken. Die vorhandenen Sanktionsmechanismen müssen daher in Zukunft straffer und stärker angewandt werden. Während bisher die Beweislast, dass ein Sozial- hilfeempfänger entgegen seiner Behauptung arbeitsfähig ist, nach der Rechtsprechung beim Sozialamt liegt, muss hier gelten: Es muss der Sozialhilfeempfänger darlegen, dass er nicht selber seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, wenn und weil er vom Staat und damit vom Steuerzahler Hilfe will. Nur bei einem solchen Nachweis eigener Bemühungen zur Aufnahme von Arbeit besteht der Anspruch auf das so genannte sozio-kulturelle Exis- tenzminimum, also die Leistungen, die über das materi- elle Existenzminimum hinaus für die Eingliederung des Bedürftigen in die Gesellschaft erforderlich sind. An- sonsten erfolgt eine Kürzung auf das materielle Exis- tenzminimum, also den die Existenz sichernden Leistun- gen wie Ernährung, Unterkunft, Kleidung und Hausrat – § 12 BHSG, Bundestagsdrucksache 14/6951 vom 25. Sep- tember 2001. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 19617 (C) (D) (A) (B) Pia Maier (PDS): Ein halbes Jahr nach Erscheinen des Armuts- und Reichtumsberichtes legt die Bundesregie- rung heute ein BSHG-Änderungsgesetz vor. Jetzt – nach- dem die Bundesregierung im Armutsbericht festgestellt hat, dass Menschen, die von Sozialhilfe leben, arm sind. Jetzt – nachdem die Regierungskoalition in der Debatte des Armuts- und Reichtumsberichtes selbstverständlich angekündigt hat, Konsequenzen daraus zu ziehen. Aber Sie ziehen keine Konsequenzen gegen Armut. Sie passen die Regelsätze auf einem Niveau an, das unter der Preissteigerung liegt. Und das passiert den So- zialhilfeberechtigten nicht zum ersten Mal. Seit der Wa- renkorb vom Statistikmodell abgelöst wurde, stehen An- passungen aus, die der jeweiligen Veränderung der Lebenshaltungskosten nachkämen. Die Regelsätze sind in den letzten Jahren zwar gestiegen, aber was sich die Leute leisten können, ist immer weniger geworden. Dieser Ef- fekt steigert sich in den Städten, in denen im Rahmen von Modellversuchen die Leistungen pauschaliert ausgezahlt werden. Mit den Pauschalen anstelle von einmaligen und jeweils einzeln zu beantragenden Leistungen ist für die Betroffenen mehr persönliche Freiheit erreicht worden. Wenn das Geld aber deutlich zu wenig ist, nutzt die ganze Freiheit nichts. Die Erfahrung zum Beispiel in Kassel ist, dass mit den pauschalierten Leistungen die gestiegenen Lebenshaltungskosten ausgeglichen werden, es dann für die größeren Anschaffungen aber nicht mehr reicht. Da- hinter steckt kein Missmanagement, sondern eine schlichte Notlage. Hier leben Menschen in Armut und müssen das auch immer deutlicher zeigen, wenn sie für uns so normale Anschaffungen wie einen Wintermantel nicht mehr erledigen können. Die PDS-Fraktion fordert angesichts des hier vorge- legten BSHG-Änderungsgesetzes von der Bundesregie- rung endlich eine grundlegende Reform der Sozialhilfe. Dazu gehört vor allem ein Verfahren, das die Regelsätze kontinuierlich und automatisch den steigenden Lebens- haltungskosten anpasst und in angemessenem Abstand überprüft, ob die Grundlage der Berechnung noch stimmt – ob also das definierte Existenzminimum für ein Leben in Würde noch der Lebensrealität entspricht. Diese Anpassung haben viele Menschen von Ihnen erwartet und sind bislang reichlich enttäuscht worden – Sie glichen die Regelsätze zu gering an und verschieben die Reform auf nach der Wahl – wohl um einen Zeitpunkt zu finden, an dem tiefe Einschnitte bei den Leistungen für Sie keine Wahlverluste mit sich bringen. Wir führen die Debatte um die Regelsatzanpassung und die Fortsetzung der Modellversuche in Kenntnis der Debatte um die Zusammenführung von Arbeits- losenhilfe und Sozialhilfe. Die FDP preschte hier mit Vorschlägen voran, die Arbeitslosenhilfe abschaffen zu wollen. Nach dem Arbeitslosengeldbezug fielen Arbeitslose dann in die Sozialhilfebedürftigkeit, hät- ten dadurch schlechtere Bedingungen bei der An- rechnung von Vermögen und Partnereinkommen, hät- ten härtere Bedingungen, welche Arbeiten und Stellen als zumutbar gelten, und keinen Qualifikati- onsschutz mehr. Diesen Weg der Kommunalisierung von Arbeitslosigkeit gehen wir nicht mit. Arbeitslo- sigkeit ist ein gesellschaftliches Problem, kein individuelles, deswegen ist die Sozialhilfe, die in indi- viduellen Notlagen greifen soll, hierbei die falsche Hilfe. Die PDS-Fraktion schlägt dagegen vor, dass die Ar- beitsämter für Sozialhilfeempfänger und Sozialhilfeemp- fängerinnen geöffnet werden, denn häufiger Grund für den Sozialhilfebezug im arbeitsfähigen Alter ist die Ar- beitslosigkeit. Hier geht es zugegebenermaßen nicht um Massen: Von den rund 2,7 Millionen Menschen, die So- zialhilfe beziehen, benötigen nur rund 800 000 diese Möglichkeit, in Arbeit zu kommen, weil die anderen zu jung, zu alt, krank oder behindert sind und deswegen auf Sozialhilfe angewiesen sind. Zudem schlagen wir aber vor, dass eine Grundsicherung in die Arbeitslosenversi- cherung eingebaut wird, denn Arbeitslosigkeit soll nicht in ein Leben in Armut führen. Lohnersatzleistungen sol- len deswegen bei Bedarf auf die Grundsicherung in Höhe der Summe aller Sozialhilfeleistungen für einen Haus- haltsvorstand von Amts wegen gehoben werden. So wie in der Rentenversicherung sollen alle, die ohnehin Anspruch auf ergänzende Sozialhilfe hätten, ohne weite- re Amtsgänge diese Summe auch erhalten. Solche Vorschläge sind Konsequenzen aus dem Armuts- und Reichtumsbericht, nicht ihre kleinstmögliche Anpassung des BSHG. Ulrike Mascher, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- minister für Arbeit- und Sozialordnung: Vor 40 Jahren brachte der Deutsche Bundestag das BSHG auf den Weg. Damals – in Zeiten einer boomenden Wirtschaft – gingen viele Abgeordnete davon aus, dass zum Beispiel die „Hilfe zum Lebensunterhalt“ für einen schwindenden Personenkreis bestimmt sei. Diese Leistung war auch nur für Menschen in extremen Notlagen und für kurze Zeit ge- dacht. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich leider anders entwickelt als das unsere Vorgänger dachten. Heute ist die Sozialhilfe in vielen Kommunen keine individuelle Hilfeleistung mehr sondern eine stei- gende Zahl von „Fällen“. Allein zwischen 1980 und 1997 hat sich die Zahl der Menschen, die Hilfe zum Leben- sunterhalt beziehen, verdreifacht. Die Gründe sind unter anderem: Arbeitslosigkeit, geringes Einkommen, verän- derte Familienstrukturen, Überschuldung. Die Sozial- hilfe muss heute Herausforderungen bewältigen, für die sie nie konzipiert wurde. Deshalb hat bereits die Vorgän- gerregierung begonnen, das BSHG zu reformieren. In- zwischen haben wir die Hilfe zur Pflege, die Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten, die Eingliederungshilfe für Behinderte und die Krankenhilfe modernisiert. Jetzt ist die Zeit reif, um auch die Hilfe zum Lebens- unterhalt neu zu ordnen. Einen ersten Schritt haben wir bereits gemacht, als wir die Grundsicherung für ältere und dauerhaft erwerbsgeminderte Menschen eingeführt ha- ben. Denn: Die Sozialhilfe ist von ihrem Charakter her eine Hilfe zur Selbsthilfe. In die Sozialhilfe gehört aber nur, wer sich in absehbarer Zeit auch aus seiner Notlage befreien kann. Erfreulicherweise gab es im letzten Jahr 230 000 Sozialhilfeempfänger weniger als 1997. Diesen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119618 (C) (D) (A) (B) Rückgang verdanken wir auch dem Sofortprogramm ge- gen Jugendarbeitslosigkeit, der steuerlichen Entlastung von Familien, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und einer aktiven Arbeitsmarktpolitik. Trotzdem müssen wir die Sozialhilfe weiterentwickeln. Wenn im vorliegenden Entschließungsantrag insbe- sondere eine Reform der Hilfe zum Lebensunterhalt ge- fordert wird, dann hat die Bundesregierung ein Ziel: Wir wollen mehr individuelle Unterstützung für bedürftige Menschen, damit sie aus eigener Kraft ihre Notlage über- winden. Wir wollen das Prinzip des Förderns und For- derns auch in der Sozialhilfe verankern. Nur so werden wir Menschen helfen, schwierige Lebensphasen zu meis- tern oder gar zu vermeiden. Bei einer Sozialhilfereform wollen wir folgende Eck- punkte besonders berücksichtigen: Wir stärken die Hilfe zur Selbsthilfe, wenn wir die aktivierenden Instrumente der Sozialhilfe verbessern. Wir brauchen eine Förder- kette, die einen individuellen Hilfeplan umsetzt. Dazu gehört selbstverständlich auch Hilfe zur Arbeit und Qua- lifikation. Wenn wir so fördern, können wir Sozialhilfe- empfänger auch stärker fordern. Das kann auch finanzi- elle Sanktionen beinhalten. Hilfeempfänger sollen mehr Verantwortung überneh- men: Die Abgrenzung der laufenden und einmaligen Leis- tungen sind neu zu regeln. Leistungen sollen, wenn mög- lich, pauschaliert werden. Es gibt schon zu viele Gerichtsurteile darüber, ob zum Beispiel eine Schultüte für ABC-Schützen von der Sozialhilfe bezahlt werden muss oder nicht. Damit wollen wir auch die kommunalen Verwaltungen entlasten und modernisieren. Wenn die Mitarbeiter der Sozialämter ständige Einzelleistungen prüfen müssen, bleibt ihnen zu wenig Zeit für ein indivi- duelles Problemmanagement. Mit dem Modellvorhaben zur Verbesserung der Zu- sammenarbeit von Arbeitsämtern und Trägern der Sozial- hilfe wollen wir Wege in den ersten Arbeitsmarkt ebnen. Ergebnisse aus diesem Modellversuch liegen aber erst 2003 vor. Ähnlich verhält es sich mit Aktivitäten von Län- dern und Kommunen, die die Pauschalierung von Leis- tungen, Hilfe zur Arbeit oder so genannte Sozialagenturen betreffen. Sie alle kennen die sozialen Probleme in Ihren Wahl- kreisen. Aber neben persönlichen Erfahrungen brauchen wir die Ergebnisse der Modellversuche, um unsere Ent- scheidungen aufgrund verlässlicher Daten zu treffen. Weiter ist es notwendig, eine Reform der Sozialhilfe mit den Ländern und Kommunen gut abzustimmen. Deshalb müssen wir die Übergangsregelungen im Bundessozial- hilfegesetz jetzt verlängern. Die Reform der Sozialhilfe hat in einigen besonders engagierten Sozialämtern bereits begonnen. Sie wird in der kommenden Legislaturperiode durch die erforderli- chen gesetzlichen Regelungen fortgesetzt. Wir haben klare Ziele. Wir sind zum Handeln fest entschlossen. Aber wir wollen die Ergebnisse aus den laufenden Modellver- suchen abwarten, damit wir ein wirklich zukunftsfähiges Konzept auf den Weg bringen. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Arbeitsplatzabbau bei Förderung von Produktionsverlagerungen ausschließen (Tagesordnungspunkt 32) Jelena Hoffmann (Chemnitz) (SPD): Neulich bin ich in meinem Wahlkreis gefragt worden, wie ich zur PDS stehe, ob ich mir eine Koalition mit der PDS auf Bundes- ebene vorstellen könnte. Ich habe diese Frage mit einem klaren Nein beantwortet und meine Position ausführlich begründet. Ich hätte mir viel Zeit und Mühe sparen kön- nen, wenn ich in diesem Moment an ihren „Zwieback-An- trag“ gedacht hätte. Dieser Antrag ist die beste Begrün- dung für meine Meinung. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der PDS, können sie mir sagen, was Sie mit diesem Antrag verfolgen? Zuerst stellen sie eines der erfolgreichsten Instrumente des Aufbau Ost infrage. Man kann doch nicht anhand von Einzelfällen, bei denen es in Unternehmen eventuell – das kann ich von hier aus nicht prüfen – zu Mitnahmeeffekten gekommen ist, die ganze GA-Förderung umkrempeln. Ich möchte Sie auf ein paar Tatsachen hinweisen, um Ihnen die Ziele und Ergebnisse der Gemeinschaftsauf- gabe vor Augen zu führen: Im Bundeshaushalt stehen dieses Jahr für die Gemeinschaftsaufgabe in den neuen Bundesländern und Berlin, Mittel in Höhe von fast 2 Mil- liarden DM sowie Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 1,5 Milliarden DM, zur Verfügung. Die Förderergeb- nisse zeigen, dass es sich dabei auch eindeutig um ein er- folgreiches Instrument der Bundesregierung handelt. Insgesamt wurden in den Jahren 1991 bis 2000 über 59 000 Fälle unterstützt. Das gesamte Investitionsvolu- men betrug mehr als 287 Milliarden DM. Mit diesem Geld wurden mehr als 1 Million Arbeitsplätze dauerhaft gesichert und über 810 000 zusätzliche Arbeitsplätze ge- schaffen. Ich möchte betonen: zusätzliche Arbeitsplätze. Das zeigt ganz klar, das es sich bei den GA geförderten Unternehmen im Normalfall um betriebliche Erweiterun- gen handelt, weil die bestehenden Produktionskapazitäten nicht mehr ausreichen. In dem von der PDS zitierten Fall handelt es sich um eine Betriebsverlagerung unter Abbau von Arbeitsplätzen; das ist für diesen Einzelfall richtig. Dies ist für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine sehr harte Tatsache, die sie zu verkraften haben. Aber was Sie zu erwähnen vergessen haben, Herr Jüttemann, ist, dass die Firma Brandt, wäre sie an ihrem ursprünglichen Standort in Hagen geblieben, auch ihren Betrieb hätte sa- nieren müssen. Die Firma hätte auch in Hagen nicht ver- meiden können, die Zahl der Arbeitsplätze zu reduzieren. In ihrem Antrag führen sie ein weiteres Unternehmen an, dass seinen Betrieb nach Osten verlagert hat und Arbeits- kräfte eingespart hat. Dieses Unternehmen hat gar keine GA-Fördermittel erhalten. Sie beklagen in ihrem Antrag, dass ein Unternehmer seinen Betrieb von einem C-Gebiet im Westen in ein B-Fördergebiet im Osten verlagert hat. Können sie sich eigentlich vorstellen, dass es eine unternehmerische Ent- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 19619 (C) (D) (A) (B) scheidung war, den Betrieb nicht „um die Ecke“ im För- dergebiet C umzusiedeln, sondern in einem, was die För- derbeträge angeht, weniger lukrativen Gebiet zu etablie- ren? Da muss doch der Unternehmer seine Gründe im Sinne des Unternehmens gehabt haben. Sie kritisieren in einer Ihrer Reden zu dem Thema, dass in den neu entstandenen Betrieben im Osten Arbeitslose mit Lohnzuschüssen eingestellt wurden. Das müssen sie einmal den arbeitslosen Menschen im Osten genauer er- klären! Ich bezweifle stark, dass sie sie verstehen werden. In einem Punkt bin ich mit Ihnen einer Meinung: Die Ar- beitsbedingungen, die zum Teil in ostdeutschen Firmen angeboten werden, sind so schlecht, dass sie keinem Ar- beitnehmer zugemutet werden können. Ein Beispiel hierzu habe ich erst vor zwei Tagen wieder in der „Chemnitzer Morgenpost“ gelesen. Dort wurde einem studierten Multimediadesigner eine 45- bis 50-Stunden-Woche bei 18 Tagen Jahresurlaub für 2 450 DM Monatsgehalt angeboten. Solche Dumping- löhne darf es nicht geben, sie müssen verboten werden. Aber dies ist Sache der Tarifparteien. Die Tarifparteien besitzen Tarifautonomie und ich erkläre Ihnen gerne, was das ist. Die Tarifautonomie beruht auf dem Grundgesetz und dem Tarifvertragsgesetz von 1953. In Ostdeutschland gel- ten die Autonomieregeln seit 1990. Sie besagen, dass al- lein die Tarifpartner, das sind die Arbeitgeber, Arbeitge- berverbände und die Gewerkschaften, Arbeitsverhältnisse regeln. Kommt es zu einem Konflikt, wird dieser in einem Arbeitskampf ausgetragen und zwar ohne die Einmi- schung des Staates oder der Politik. Es ist nicht akzepta- bel, wenn in einem Betrieb die Wahl oder die Arbeit von Betriebsräten eingeschränkt oder behindert wird; das ist weder in ihrem noch in meinem Sinne. Es gibt auch gesetzliche Regelungen: Nach §111 des Betriebsverfassungsgesetzes wird gewährleistet, dass ein Unternehmen, welches einen Betriebsrat besitzt, die- sen auch nach einer Verlagerung des Standortes zulassen muss. Hat in diesem Betrieb vor dem Standortwechsel kein Betriebsrat existiert, ist es Sache des Unternehmers und der potentiellen Arbeitnehmer in den individuell ab- geschlossenen Arbeitsverträgen, Arbeitsbedingungen zu vereinbaren. Bei Erfüllung der festgeschriebenen Bedin- gungen kann dann in dem neuen Betrieb ebenfalls ein Betriebsrat gewählt werden und seine Arbeit aufneh- men. Gerade um das zu erleichtern, haben wir entsprechende Änderungen des Betriebsverfassungsgesetzes beschlos- sen. Im Fall Brandt handelt es sich um ein Unternehmen mit etwa 150 Beschäftigten. Das heißt, die Arbeitnehmer, ob nach altem oder neuem Recht, haben das Recht, einen Betriebsrat zu wählen und ihre Rechte gegenüber der Un- ternehmensleitung zu vertreten. Eines wundert mich sehr, Herr Kollege Jüttemann, sie waren doch selbst Mitglied eines Betriebsrates. Sollte es ihnen trotzdem in den 11 Jahren nach der Wende noch nicht aufgefallen sein, dass die Fragen wie Tarifentlohnung und Urlaubstage in die Hände der Gewerkschaft gehören und nicht in die Hände der Regierung? Ich denke, die PDS hat mit ihrem Antrag bewiesen, dass sie sich eine Regierung wünscht, die Unternehmen dirigiert und kontrolliert. Es geht aber in Deutschland nicht an, dass eine Standortverlagerung nach Ostdeutsch- land, die dort Arbeitsplätze schafft und die außerdem aus betriebswirtschaftlichen Gründen nötig gewesen ist, um am Markt bestehen zu können, verboten, rückgängig ge- macht oder bestraft wird. Wenn ein Unternehmen seinen Betrieb verlagert, kann man davon ausgehen, das es da- rum geht, in unserer globalisierten Wirtschaft langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Dazu gehört auch, dass ein Unternehmen prüft, ob es seinen Betrieb aus wirtschaftli- chen Gründen ins Ausland verlegt. Ich möchte das ganz deutlich sagen, denn gerade mittelständische Unterneh- men können es sich immer weniger leisten, bei Neuin- vestitionen national zu denken, sie müssen alternative Standorte in anderen Ländern in ihre Entscheidung mit- einbeziehen. Deshalb gibt die GA-Förderung den Anreiz, Investiti- onsentscheidungen zugunsten eines inländischen Stand- ortes zu treffen. Betriebsverlagerungen sind mit hohen Kosten verbunden. Kein Unternehmen wird eine Verlage- rung allein deshalb vornehmen, um öffentliche Förder- mittel in Anspruch nehmen zu können. Die Höhe der För- dermittel deckt nur einen Teil der Gesamtkosten einer Verlagerung ab. Um Mitnahmeeffekte auszuschließen, gibt es einen Beschluss des Bund-Länder-Planungsaus- schusses. In diesem Beschluss ist festgelegt, dass tatsächlich er- zielte Erlöse aus dem Verkauf des Betriebes und mögliche Entschädigungsbeiträge von den förderfähigen Summen abgezogen werden. Damit wird sichergestellt, dass nur die Nettokosten der Betriebsverlagerung gefördert werden. Sie möchten wohl das ganze Bund-Länder-Kompetenz- gefüge umkrempeln, meine Damen und Herren von der PDS, aber so einfach ist das nicht. Die Entscheidung über die Ansiedlung eines Betriebes ist ausschließlich Sache der betroffenen Länder. Auch die Überprüfung der Einhaltung sämtlicher Regeln fällt in die Zuständigkeit der Länder. Sie legen dieAuflagen für die je- weiligen Förderungen fest und sie führen auch die Kon- trolle über dieVerwendung nachAbschluss der Investition. Die Bundesregierung hat ein großes Interesse daran, dass es im Osten gelingt, eine sich selbst tragende Wirt- schaftsstruktur aufzubauen. Wir haben beachtliche Er- folge erzielt in dieser Richtung. Das verarbeitende Ge- werbe und der Dienstleistungssektor verzeichnen gute Wachstumsraten. Aber der Prozess ist noch nicht abge- schlossen. Ohne Investitionshilfen wären viele Betriebe nicht in den Osten gegangen, um dort moderne Produk- tionsanlagen aufzubauen. Sie, meine Damen und Herren von der PDS, scheuen sich nicht, Gräben aufzureißen zwi- schen Ost und West und das alles, weil sie auf ein paar Stimmen mehr im Westen hoffen. Ob sich ihr zweifelhaf- ter Einsatz in diese Richtung gelohnt hat, werden sie bei den nächsten Wahlen in Hagen merken. Ich kann nur ab- schließend sagen: Ich hoffe nicht. Ulrich Klinkert (CDU/CSU): Im zur Debatte stehen- den Antrag der PDS ist unter anderem Folgendes zu lesen: Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119620 (C) (D) (A) (B) „Unternehmen sollen keine regionale Wirtschaftsförde- rung aus Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe mehr erhal- ten, wenn sie zum einen die Produktion in die neuen Bun- desländer verlagern, um Arbeitsplätze in Westdeutschland abzubauen, und zum anderen die Sozialstandards herab- setzen.“ Welches Problem haben wir hier? Einige wenige Un- ternehmen aus den alten Bundesländern verlagern Pro- duktionsstätten in die neuen Länder. Die ersten Jahre nach der Wende war es übrigens meist umgekehrt; da hat die PDS sich auch beschwert. Nun wirft die PDS den Unter- nehmen vor, dass sie am alten Standort Arbeitsplätze ab- bauen, in der neuen Produktionsstätte nicht mehr so viele Beschäftigte einstellen und dafür auch noch die regionale Wirtschaftsförderung in Anspruch nehmen. Ja, glaubt die PDS vielleicht, die Betriebsverlagerung würde derart ge- schehen, dass man auf jeglichen Fortschritt und auf Ra- tionalisierung verzichtet und mit uralten Technologien, die vor Jahren, manchmal Jahrzehnten modern waren, in den neuen Bundesländern Fuß fassen kann, um damit Arbeitsplätze zu retten? Dies wäre die Logik der Maschi- nenstürmer des vorvorigen Jahrhunderts. Diese Logik ist schon damals gescheitert. Wenn ein Unternehmen im globalen Wettbewerb be- stehen will, ist es darauf angewiesen, sich durch Investi- tionen in modernste Technologien Wettbewerbsvorteile gegenüber Konkurrenten zu verschaffen. Die Frage auf den Weltmärkten ist nicht, wie viele Arbeitnehmer ein be- stimmtes Produkt zusammengeschraubt haben, sondern was das Produkt kostet und welche Qualität es hat. Diese beiden Kriterien entscheiden, ob ein Unernehmen auf den Märkten bleibt oder als Ganzes und dann mit all seinen Beschäftigten vom Markt verschwindet. Außerdem wäre es ein Leichtes – und die Entschei- dungsfreiheit hat nun einmal ein Unternehmer – den Standort in unsere östlichen Nachbarländer zu verlagern. Dies umso mehr, als die EU-Osterweiterung mit den da- mit verbundenen Erleichterungen für die Unternehmen bevorsteht und bereits jetzt umfangreiche Angebote aus dem Ausland vorliegen. Es ist unsere Aufgabe, alles zu unternehmen, damit wir den Firmen Rahmenbedingungen schaffen, die geeignet sind, sie im Land zu halten und sie darüber hinaus zu er- muntern, in Regionen zu gehen, die wirtschaftlich schwach sind. Die PDS scheint vergessen zu haben, was Sinn und Zweck der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ ist. Durch ihren Antrag versucht die PDS mit planeri- schen Eingriffen nicht nur die marktwirtschaftliche Ord- nung auf den Kopf zu stellen, sondern die Unternehmen davon abzuhalten, in den neuen Bundesländern zu inves- tieren. Die PDS unterstellt den Unternehmen von vornherein missbräuchliches Verhalten. Ganz zu schweigen davon, dass die PDS damit versucht, einen Keil zwischen die Annäherung Ost und West zu schlagen. Den Westen wie- gelt sie auf nach dem Motto: Wir sollen für den Aufbau Ost zusätzliche Steuern zahlen und dann nehmen die uns noch unsere Arbeitsplätze weg. Und im Osten sagt die PDS, es würde viel zu wenig für den wirtschaftlichen Auf- schwung im Osten getan. Die PDS denkt nicht daran, dass die Förderung wirt- schaftlich schwacher Regionen existenziell notwendig ist. Das Festhalten an den bestehenden Förderungen und ins- besondere an den Förderungsvoraussetzungen schafft die Rahmenbedingungen für die Unternehmen, sich für einen Standort in strukturschwachen Regionen zu entscheiden, aber auch, das unternehmerische Ergebnis zu verbessern. Das ist wiederum Voraussetzung für die Schaffung des notwendigen wirtschaftlichen Wachstums. Wie dringlich dies ist, zeigen die Zahlen zur wirtschaftlichen Entwick- lung in den neuen Bundesländern. Zwischen dem ersten Halbjahr 2000 und dem ersten Halbjahr 2001 betrug das wirtschaftliche Wachstum in den neuen Ländern – 0,85 Prozent. Interessant ist es, sich die einzelnen Bun- desländer näher anzusehen. Während in den CDU-regier- ten Ländern Sachsen und Thüringen das Wachstum we- nigstens noch bei 0,7 Prozent bzw. 0,3 Prozent lag, haben die Länder, in denen die PDS regiert, es offenbar erfolg- reich geschafft, Investoren zu vergraulen; denn in Meck- lenburg-Vorpommern ging das Wirtschaftwachstum um 2,7 Prozent und in Sachsen-Anhalt um 1,8 Prozent zurück. Die PDS muss sich also hier nicht hinstellen, um uns zu sagen, wie man Wirtschaftpolitik macht. Und die SPD sollte aufpassen, mit wem sie glaubt, die Zukunft un- seres Landes gestalten zu können. Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wir müssen uns erneut mit den Antrag zum Ar- beitsplatzabbau bei der Förderung von Produktionsverla- gerungen beschäftigen. Nach der ersten Lesung im Plenum im Frühjahr dieses Jahres und den ausführlichen Erörterungen des Problems in den Ausschüssen kann ich beim besten Willen nicht verstehen, welcher neue Sach- stand sich heute ergeben soll. Die bisherigen Beiträge sind – wie im Kern auch meiner – eine Wiederholung. Schließ- lich ist alles schon mehrfach gesagt worden. Natürlich kann man in einer freien Marktwirtschaft, in einer liberalen Gesellschaft niemals ausschließen, dass es zum Missbrauch bei Fördermaßnahmen im Einzelfall kommt. Missbrauch konnte man übrigens auch im real existierenden Sozialismus nicht verhindern. Natürlich wird niemand in Abrede stellen, dass es bei der Förde- rung strukturschwacher Regionen in Einzelfällen Unre- gelmäßigkeiten oder Mitnahmeeffekte geben kann und gibt. Zur Verstärkung von Vorurteilen – jedenfalls kann ich mir keinen anderen Grund vorstellen – erweckt die PDS je- doch einmal wieder den Eindruck, dass es sich hierbei um den Regelfall handelt, so, als habe die Regionalförderung praktisch kein anderes Ziel, als subventioniert durch Steu- ergelder auch noch Arbeitsplätze abzubauen. Je nachdem wie es in das Belieben der PDS passt, kann man sich somit darüber beschweren, dass zu wenig Arbeitsplätze im Osten Deutschlands entstehen oder dass, wenn sie denn entste- hen, Fördermittel falsch eingesetzt worden sind. Dies alles geht von der falschen Vorstellung aus, dass Betriebsverlagerungen von West nach Ost allein deshalb vorgenommen werden, weil es dafür Fördermittel in Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 19621 (C) (D) (A) (B) erheblichem Umfange gibt. Angesichts der Tatsache, dass die öffentlichen Mittel immer mit einem erheblichen Eigenanteil der Unternehmen gekoppelt sind, möchte ich doch erhebliche Zweifel anmelden, dass hier ein großer Anreiz für solche Maßnahmen besteht. Außerdem ist es kaum vorstellbar, dass rentable Betriebe nichts Besseres zu tun haben, als über einen Standortwechsel nachzuden- ken. Tatsache ist: Wir haben nach wie vor unterschiedli- che Wirtschaftsstrukturen in Ost- und in Westdeutschland. Die gezielte Förderung von Standorten in den neuen Bun- desländern muss und wird daher noch für einen längeren Zeitraum nötig sein. Wenn heute Unternehmen in den al- ten Bundesländern über Betriebsverlagerungen nachden- ken, dann doch in erster Linie über Produktionsverlage- rungen ins Ausland. Wenn ein Standort in Ostdeutschland dann dank unserer Fördermittel den Vorzug erhält, wenn in den neuen Bundesländern somit Arbeitsplätze geschaf- fen werden, dann hat das einen Nachteil und zwei Vor- teile. Der Nachteil kann darin bestehen, dass auch im Westen mehr Arbeitsplätze abgebaut werden, als im Osten neue geschaffen werden. Der erste Vorteil besteht darin, dass unter dem Strich nicht alle Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden, der zweite und wichtigste Vorteil dann, dass diese Arbeitsplätze in Ostdeutschland geschafften werden. Worüber also beschwert sich die PDS? Sollen unren- table, unproduktive Arbeitsplätze erhalten werden? Viel- leicht auch noch mit staatlicher Hilfe wie in der DDR? Sollen sie vielleicht auch noch mit Steuergeldern subven- tioniert werden? Nein. Es mag sein, dass die PDS mit scheinbar hochmoralischer Empörung auf Stimmenfang gehen will. Aber mit solcher Polemik, mit solch billigem Populismus werden wir keine Probleme lösen, weder in Deutschland insgesamt, noch in den neuen Bundeslän- dern. Weder im Westen noch im Osten werden die Wäh- lerinnen und Wähler der PDS dauerhaft auf den Leim gehen. Jürgen Türk (FDP): Schon die Überschrift des PDS- Antrags „Arbeitsplatzabbau bei Förderung von Produkti- onsverlagerungen ausschließen“ ist nichts als blanke Po- lemik. Schließlich wird ein Betrieb nur dann verlagert, wenn er woanders effektiver und kostengünstiger produ- zieren kann. Am neuen Standort kommt modernste Tech- nik zum Einsatz. Das bedeutet in der Regel, dass weniger Arbeitskräfte als zuvor benötigt werden. Eigentlich sollte man meinen, dass sich dies mittlerweile selbst bis zur PDS herumgesprochen hat. Ihr zur Debatte stehender An- trag lässt allerdings leider anderes befürchten. Der im Antrag angesprochene Fall der Verlagerung der Brandt Zwieback GmbH vom westfälischen Hagen ins thüringische Ohrdruf findet statt, weil die Firma Brandt schon heute kaum noch wettbewerbsfähig ist. Würde sie so weiterwursteln wie bisher, wäre sie nach Aussage von Firmeninhaber Carl-Jürgen Brandt spätestens in drei Jah- ren pleite. Brandt hat also gar keine andere Alternative, als einen neuen Betrieb zu bauen und ihn mit neuester Technik auszustatten. Auch wenn er das in Hagen täte, müsste er rund die Hälfte der jetzigen Belegschaft ent- lassen. Nun zur Frage, warum Herr Brandt von Hagen nach Ohrdruf geht. Die PDS unterstellt in ihrem Antrag, dass der bestimmende Grund darin liegt, dass Thüringen für die Investition eine höhere Fördersumme gewährt als Nordrhein-Westfalen. Sie argwöhnt, das es sich um einen klassischen Fall von Subventionswettlauf handelt, der zu unterbinden sei. Auch damit ist sie schief gewickelt. Am wichtigsten ist für den Unternehmer Brandt die Tatsache, dass in Ohrd- ruf die Randbedingungen stimmen: Er bekommt eine be- reits erschlossene Gewerbefläche in der erforderlichen Größe mit einer hervorragenden verkehrstechnischen An- bindung. Genau das aber hat ihm sein Heimatort Hagen nicht bieten können. Die höhere Fördergeldsumme ist für ihn nicht mehr und nicht weniger als ein angenehmer Be- gleitfaktor der Umsiedlung. Wäre es ihm in erster Linie darum gegangen, so hätte er sich im Ausland, beispiels- weise in Tschechien oder Polen, niedergelassen, die mit konkurrenzlos günstigen Konditionen um die Firma Brandt geworben haben. Trotzdem hat sich der Unterneh- mer Brandt ganz bewusst für den Standort Deutschland entschieden. Will die PDS ihn und andere Unternehmer mit ihren unsinnigen Forderungen etwa mit Gewalt ver- graulen? Wenn wir dem überdurchschnittlich strukturschwa- chen Osten zu einem besseren Industriebesatz verhelfen wollen, dann muss auch die Förderung von Betriebs- verlagerungen an einen anderen Standort möglich sein. Damit es dabei nicht zu einem Subventionswettlauf bzw. unerwünschten Mitnahmeeffekten kommt, haben Bund und Länder Hürden eingebaut, die dies verhin- dern. So werden Verlagerungsinvestitionen entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze nur im Einverneh- men zwischen den betroffenen Ländern gefördert. Außerdem dürfen die Investitionszuschüsse niemals die Höhe der Mittel überschreiten, die das betroffene Un- ternehmen selbst einsetzen muss. Da eine Verlagerung immer mit höheren Kosten verbunden ist als ein Ver- bleib am alten Standort, wird kein Unternehmer ohne Not umsiedeln. All das dürfte der PDS nicht unbekannt sein. Trotzdem hat sie diesen Antrag gestellt. Das ist schlicht nicht nach- vollziehbar. Man kann deshalb aus meiner Sicht nur eines tun: Den Antrag ablehnen. Anlage 13 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 768. Sitzung am 19. Okto- ber 2001 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- stimmen, bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 Grundgesetz nicht zu stellen: – Gesetz zu den Änderungen von 1995 und 1998 des Basler Übereinkommens vom 22. März 1989 über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Überbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung (Gesetz zu Änderungen des Basler Übereinkommens) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119622 (C) (D) (A) (B) – Gesetz zu dem Abkommen vom 11. Oktober 1999 über Handel, Entwicklung und Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Südafrika andererseits Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen – Unterrichtung durch die Bundesregierung Verkehrsbericht 2000 Integrierte Verkehrspolitik: Unser Konzept für eine mo- bile Zukunft – Drucksache 14/4688 (neu) – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Straßenbaubericht 2000 – Drucksache 14/5064 – Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über ihre Bemühungen zur Stärkung der gesetzgeberischen Befugnisse des Europä- ischen Parlaments 2000 – Drucksachen 14/5221 (neu) – Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Interpar- lamentarischen Gruppe der Bundesrepublik Deutschland über die 104. Interparlamentarische Konferenz vom 15. Oktober bis 21. Oktober 2000 in Jarkarta/Indonesien – Drucksachen 14/6046, 14/6391 Nr. 1 – – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parla- mentarischen Versammlung der OSZE über die Neunte Jahrestagung der Parlamentarischen Versammlung der OSZE vom 6. bis 10. Juli 2000 in Bu- karest – Drucksache 14/6108, 14/6391 Nr. 2 – Finanzausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Fünfter Bericht des Arbeitsstabes Europäische Wirt- schafts- und Währungsunion des Bundesministeriums der Finanzen und der Bundesministerien (AS WWU) vom 20. Juni 20001 Einführung des Euro in die Gesetzgebung und öffentli- cher Verwaltung – Drucksachen 14/6722, 14/6907 Nr. 1.3 – Ausschuss für Wirtschaft und Technologie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Dreizehntes Hauptgutachten der Monopolkommission 1998/1999 – Drucksachen 14/4002, 14/4003 (neu) (Anlagenband), 14/6282, 14/4440 Nr. 1.1 – Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Nationales Klimaschutzprogramm Fünfter Bericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe „CO2-Reduktion“ – Drucksachen 14/4729 – Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2001 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 10 02 Titel 683 06 – Zuweisungen nach dem Gesetz über die Verwen- dung von Gasöl durch Betriebe der Landwirtschaft (LwGVG) – – Drucksachen 14/6427, 14/6502 Nr. 2 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2001 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 09 02 Titel 683 15 (Abwicklung des Sondervermögens „Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes“ – Drucksachen 14/6622, 14/6907 Nr. 1.7 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2001 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 09 02 Titel 683 50 – Beteiligung am Innovationsrisiko von Technologieun- ternehmen – – Drucksachen 14/6862, 14/6907 Nr. 1.9 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2001 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 14 03 Titelgrup- pe 08 – Maßnahmen der Bundeswehr im Zusammenhang mit internationalen – humanitären und sonstigen – Ein- sätzen – Drucksachen 14/6868, 14/6907 Nr. 1.10 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2001 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 60 03 Titel 632 01 – Zahlungen nach dem strafrechtlichen Rehabilitie- rungsgesetz – Drucksachen 14/6760, 14/6907 Nr. 1.8 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2001 Außerplanmäßige Verpflichtungsermächtigung bei Ka- pitel 06 01 Titel 518 01 – Mieten und Pachten – – Drucksachen 14/6924, 14/6995 Nr. 3 – Die Fraktion der CDU/CSU hat mit Schreiben vom 5. November 2001 mitgeteilt, dass sie folgende Anträge zurückgezogen hat: – Zwangspfand auf Weinflaschen verhindern (Drucksache 14/4935) – RUGMARK stärken und eigenhändig erhalten (Drucksache 14/5553) Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass derAusschuss die nachstehenden EU-Vorlagen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 19623 (C) (D) (A) (B) bzw. Unterrichtungen durch das europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgese- hen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 14/6395 Nr. 2.18 Finanzausschuss Drucksache 14/6508 Nr. 1.2 Drucksache 14/6508 Nr. 2.5 Drucksache 14/6508 Nr. 2.18 Drucksache 14/6508 Nr. 2.38 Drucksache 14/6615 Nr. 1.6 Drucksache 14/6908 Nr. 2.15 Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 14/6508 Nr. 2.8 Drucksache 14/6508 Nr. 2.16 Drucksache 14/6508 Nr. 2.27 Drucksache 14/6615 Nr. 2.10 Drucksache 14/7129 Nr. 2.8 Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Drucksache 14/5114 Nr. 1.1 Drucksache 14/6615 Nr. 1.1 Drucksache 14/6615 Nr. 1.2 Drucksache 14/6615 Nr. 1.3 Drucksache 14/6615 Nr. 1.4 Drucksache 14/6615 Nr. 1.5 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 14/6615 Nr. 2.1 Drucksache 14/6615 Nr. 2.4 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 14/6508 Nr. 2.20 Drucksache 14/6615 Nr. 2.13 Drucksache 14/6908 Nr. 1.1 Drucksache 14/6908 Nr. 1.2 Drucksache 14/6908 Nr. 2.7 Drucksache 14/7000 Nr. 2.14 Drucksache 14/7000 Nr. 2.19 Drucksache 14/7129 Nr. 2.4 Drucksache 14/7129 Nr. 2.5 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 14/6214 Nr. 1.3 Drucksache 14/6395 Nr. 2.20 Drucksache 14/6395 Nr. 2.21 Drucksache 14/6508 Nr. 2.2 Drucksache 14/6508 Nr. 2.7 Drucksache 14/6615 Nr. 2.7 Drucksache 14/7000 Nr. 1.14 Drucksache 14/7000 Nr. 1.18 Drucksache 14/7000 Nr. 1.23 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119624 (C)(A) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419900000
Einen schö-
nen guten Morgen! Die Sitzung ist eröffnet.

Die Kollegin Birgit Schnieber-Jastram hat am 7. No-
vember 2001 auf ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bun-
destag verzichtet. Die Abgeordnete Antje Blumenthal
hat als Nachfolgerin am 8. November 2001 die Mitglied-
schaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße
die neue Kollegin hiermit herzlich.


(Beifall)


Ich rufe den Zusatzpunkt 11 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-

(Vermittlungsausschuss)

Wohnortprinzips bei Honorarvereinbarungen
für Ärzte und Zahnärzte
– Drucksachen 14/5960. 14/6410, 14/ 6450, 14/6699,
14/7342 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hildegard Wester

Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Das
ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen ge-
wünscht? – Auch das ist nicht der Fall.

Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermittlungs-
ausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäfts-
ordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag über
die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt
für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschus-
ses auf Drucksache 14/7342? – Wer stimmt dagegen? –
Stimmenthaltungen? – Der Vormittag beginnt sehr gut mit
einer einstimmig angenommenen Beschlussempfehlung.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a bis c auf:
a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-

regierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften
Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmenge-
setzes und anderer Vorschriften (5. HRGÄndG)

– Drucksache 14/6853 –

(Erste Beratung 190. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Maritta Böttcher, Dr. Heinrich Fink, Pia
Maier, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Absicherung der verfassten Studierenden-
schaft
– Drucksache 14/5760 –

(Erste Beratung 171. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

schusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (19. Ausschuss)


– Drucksache 14/7336 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Eckardt
Thomas Rachel
Dr. Reinhard Loske
Ulrike Flach
Maritta Böttcher


(8. Ausschuss)


– Drucksache 14/7350 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Siegrun Klemmer
Antje Hermenau
Werner Hoyer
Dr. Christa Luft

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (19. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Maritta

Böttcher, Dr. Heinrich Fink und der Fraktion
der PDS
Personalstruktur- und Dienstrechtsreform
an Hochschulen und Forschungseinrich-
tungen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard
Friedrich (Erlangen), Thomas Rachel, Ilse

19489


(C)



(D)



(A)



(B)


199. Sitzung

Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Beginn: 9.00 Uhr

Aigner, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU

Eckpunkte für eine Reform des Hochschul-
dienstrechts

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike
Flach, Cornelia Pieper, Birgit Homburger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP

Dienstrechtsreform an den Hochschulen
konsequent für eine umfassende Hochschul-
reform nutzen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Maritta
Böttcher, Dr. Heinrich Fink, Angela Marquardt,
Gustav-Adolf Schur und der Fraktion der PDS

Bericht über die Erfahrungen bei der An-
wendung des Hochschulzeitvertragsgesetzes

– Drucksachen 14/3900, 14/4382, 14/4415,
14/6212, 14/7336 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Eckardt
Thomas Rachel
Dr. Reinhard Loske
Ulrike Flach
Maritta Böttcher

c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes

(Professorenbesoldungsreformgesetz–ProfBesReformG)

– Drucksache 14/6852 –

(Erste Beratung 190. Sitzung)


a) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 14/7356 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Enders
Meinrad Belle
Cem Özdemir
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Petra Pau

b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 14/7374 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Werner Hoyer
Gunter Weißgerber
Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
Oswald Metzger
Dr. Christa Luft

Zum Gesetzentwurf zur Änderung des Hochschulrah-
mengesetzes liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU/CSU und drei Änderungsanträge der Fraktion
der PDS vor.

Zum Gesetzentwurf zur Professorenbesoldung liegt
ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.


(Jörg Tauss [SPD]: Wir hätten auch länger gemacht als 45 Minuten, Herr Präsident!)


– Vielleicht machen Sie eine Kurzintervention; dann kön-
nen Sie ja die Debatte verlängern.

Somit eröffne ich die Aussprache und gebe zunächst
der Bundesministerin Edelgard Bulmahn das Wort.

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lie-
ben Kollegen und Kolleginnen! Vor Ihnen auf dem Tisch
liegt heute ein Gesetzeswerk für die Hochschulen in
Deutschland, das unsere Wissenschafts- und Forschungs-
landschaft erheblich verändern wird. Es ist die größte Re-
form seit den 60er-Jahren, eine Öffnung der Hochschulen.
Man kann mit Recht von einer Jahrhundertreform spre-
chen.

Die Bundesregierung reformiert und gestaltet eine For-
schungs- und Wissenschaftslandschaft, die lebendig und
kreativ ist, in der junge Menschen hervorragend ausgebil-
det werden und in der spannende Forschung möglich ist.
Mit dieser Reform des öffentlichen Dienstrechts an unse-
ren Hochschulen befreien wir den wissenschaftlichen
Nachwuchs in Deutschland, aber auch die Professorinnen
und Professoren aus einem starren und bürokratischen
Korsett,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


das aus dem vorletzten Jahrhundert stammt, ins 21. Jahr-
hundert aber einfach nicht mehr passt. Das langwierige
und undurchsichtige Habilitationsverfahren, jahrelange
persönliche Abhängigkeiten von Professoren oder Insti-
tutsleitern und eine Besoldung, die vor allem das Älter-
werden, nicht aber die Leistung honoriert – das alles ist
passé.

Die Entscheidung, die wir heute treffen, stellt die Wei-
chen neu. Es ist eine Entscheidung darüber, ob wir es ernst
damit meinen, unsere Hochschulen zu modernisieren und
ihnen die nötigen Freiräume und Verantwortlichkeiten zu
geben. Wir leiten damit eine neue Ära an unseren Hoch-
schulen ein: Wir sorgen dafür, dass junge Wissenschaftle-
rinnen und Wissenschaftler auch bei uns schon in ihrer
kreativsten Lebensphase mit Ende 20 oder Anfang 30 und
nicht erst mit über 40 Jahren wie bisher üblich selbststän-
dig und unabhängig forschen und lehren können.

Wir machen Schluss mit einer Besoldung, die Dienst-
alter honoriert, und honorieren stattdessen Leistung in
Lehre und Forschung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Spitzenprofessoren erhalten nach diesem Gesetz künftig
auch Spitzengehälter. Damit stoppen wir die Abwande-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

19490


(C)



(D)



(A)



(B)


rung unserer besten Forscherinnen und Forscher und
Nachwuchswissenschaftler in andere Länder oder in die
Industrie. Außerdem stellen wir Fachhochschulen und
Universitäten besoldungssystematisch gleich. Unsere
Hochschulen werden damit endlich auch mit Hochschu-
len in anderen Ländern konkurrenzfähig.


(Dr. Erika Schuchardt [CDU/CSU]: Das sehen die Hochschulen aber anders!)


Die ausführliche und breite Diskussion in der Öffent-
lichkeit und in den parlamentarischen Gremien bei uns in
den letzten Monaten hat gezeigt, dass es über die Ziele
und die Notwendigkeit dieser Reform einen breiten Kon-
sens gibt. Wir haben viele Anregungen aus der Diskussion
aufgenommen und in den beiden Gesetzentwürfen, dem
Fünften Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmen-
gesetzes und dem Gesetz zur Reform der Professoren-
besoldung, berücksichtigt.

Wir können es uns einfach nicht leisten, dass die besten
Köpfe ins Ausland abwandern, weil sie dort bessere Be-
dingungen vorfinden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In den 90er-Jahren sind allein 15 Prozent der promovier-
ten Nachwuchswissenschaftler in die USA abgewandert.


(Dr. Erika Schuchardt [CDU/CSU]: Die bleiben auch jetzt nicht!)


Unsere Hochschulen haben ihnen also offensichtlich gute
Voraussetzungen für den weltweiten Wettbewerb um in-
teressante Stellen geboten, aber zu wenig attraktive Stel-
len im eigenen Land.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mit der Einführung der Juniorprofessur schaffen wir
deshalb bei uns neue, auch im internationalen Vergleich
attraktive Stellen für den wissenschaftlichen Nachwuchs.
Die Bundesregierung wird die Länder bei der Einrichtung
der ersten 3 000 Juniorprofessuren mit 360 Millionen DM
kräftig unterstützen.

Das Interesse der Hochschulen an diesem Programm
ist überwältigend. Sie reißen sich geradezu um die Junior-
professuren.


(Dr. Erika Schuchardt [CDU/CSU]: Das ist nicht Realität!)


Wir haben zig Nachfragen


(Jörg Tauss [SPD]: Hunderte!)


und wir haben einen wirklichen Wettbewerb der Hoch-
schulen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Die Juniorprofessur soll maximal sechs Jahre dauern
und wird die Regel sein. Sie ist aber nicht der einzige
Weg; lassen Sie mich auch das ganz klar sagen.


(Ulrike Flach [FDP]: Das meinen Sie!)


Eine wissenschaftliche Leistung in einer Forschungsein-
richtung, sei es am Max-Planck-Institut, am Fraunhofer-
Institut oder anderen wissenschaftlichen Instituten, an ei-
ner Hochschule, in der Wirtschaft oder einer Hochschule
im Ausland, stellt eine gleichwertige Voraussetzung für
eine Professur dar.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb ist ein Teil der Kritik, die geäußert worden ist,
einfach nicht passend. Wir haben Anregungen aufgegrif-
fen und eine entsprechende Regelung in den Gesetzestext
ausdrücklich aufgenommen.

Die Juniorprofessur ist durchweg auf eine wissen-
schaftliche Arbeit ausgerichtet und nicht nur auf den Er-
werb einer formalen Qualifikation. Die Juniorprofessoren
verfügen eigenverantwortlich über ein Forschungs-
budget und nehmen Lehrverpflichtungen wahr. Künftig
haben Professoren damit auch Lehrerfahrung, wenn sie
auf eine Lebenszeitprofessur berufen werden. Es wird
niemand abstreiten, dass das durchaus sinnvoll ist.

In Zukunft wird nicht mehr die abgebende, sondern die
aufnehmende Institution entscheiden, ob ein Nachwuchs-
wissenschaftler sich bewährt hat und auf eine Lebenszeit-
professur berufen wird. Dieses Verfahren ist international
üblich und macht unser Hochschulsystem damit für deut-
sche und ausländische Nachwuchswissenschaftler attrak-
tiver. Genau das ist eine Zielsetzung dieses Gesetzes.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mit der Möglichkeit des „tenure-tracks“, den wir nach
den Beratungen im Deutschen Bundestag aufgenommen
haben, ermöglichen wir besonders guten Juniorprofesso-
ren die Fortsetzung ihrer Karriere an der gleichen Hoch-
schule. Junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
können so ihre berufliche Laufbahn besser planen. Das ist
sicherlich besonders wichtig für Wissenschaftlerinnen.
Auch damit schaffen wir internationale Vergleichbarkeit
sowie mehr Wettbewerbsfähigkeit. Dies wurde von den
Hochschulen gewollt; deshalb haben wir es im Gesetz
aufgenommen.

Die Habilitation ist heute nicht mehr zeitgemäß. Des-
halb verliert sie ihre Bedeutung als Königsweg zur Pro-
fessur.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das ist doch ein Unsinn!)


Wir verlassen damit endgültig den Sonderweg bei der Be-
setzung von Professuren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auch die Schweiz und Österreich verlassen im Übrigen
diesen Weg. Damit wäre dieser Weg, wenn wir ihn wei-
tergingen, endgültig ein deutscher Sonderweg.

Für die Berufung wird künftig das Berufungsverfahren
selbst ausschlaggebend sein, wie es im Übrigen auch der
internationalen Praxis entspricht. Auch da ist wieder In-
ternationalität unser Grundsatz.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Bundesministerin Edelgard Bulmahn

19491


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419900100
Frau Bun-
desministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kol-
legin Erika Schuchardt?

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Gern.


Prof. Dr. Erika Schuchardt (CDU):
Rede ID: ID1419900200
Frau Ministerin,
Sie sagen, es sei eine Jahrhundertreform. Aber wie erklä-
ren Sie sich, dass die Auffassung der gesamten Hoch-
schulrektorenkonferenz im Widerspruch zu den Aussagen
steht, die Sie hier vorstellen?


(Jörg Tauss [SPD]: Falsch! – Weiterer Zuruf von der SPD: Frau Kollegin, das ist nicht richtig!)


Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Frau Kollegin Schuchardt, Ihre Aussage
ist falsch. Die HRK hat sich keineswegs gegen die Dienst-
rechtsreform gestellt.


(Jörg Tauss [SPD]: Im Gegenteil!)

Der zweite Absatz im HRK-Entwurf lautet:

Die HRK unterstützt die Ziele der Reform nach wie
vor.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Aber Ihr Gesetz nicht!)

– Doch!

Zugleich fordert sie die Länder eindringlich auf, der
Gesetzesnovelle der Bundesregierung zum Besol-
dungsrecht im Bundesrat zuzustimmen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Das sagt die HRK. Ich bitte Sie, einmal den gesamten Text
zu lesen und im Zusammenhang zu zitieren. Das genau
hat die HRK beschlossen. Das hat sie auch ausdrücklich
gesagt.


(Dr. Erika Schuchardt [CDU/CSU]: Dazu ist aber anzumerken, dass sie gesagt haben, da die Länder die Finanzen nicht sicherstellen, können sie die Verantwortung nicht übernehmen!)


– Frau Schuchardt, ich würde mich sehr freuen, wenn Sie
in den CDU-regierten Ländern dafür Sorge trügen, dass
die Gesetzesnovelle des Bundes angenommen wird, so
wie auch wir das tun werden. Darüber würde ich mich
wirklich sehr freuen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr gut!)


Kein Nachwuchswissenschaftler wird gezwungen,
seine Lebensplanung zu verändern. Auch das ist ein
falscher Vorwurf.

Mit der Übergangsregelung von zehn Jahren stellen
wir sicher, dass diejenigen, die bereits habilitiert sind, ge-
rade an einer Habilitationsschrift arbeiten oder diese be-
reits geplant haben, diese auch zu Ende führen können.

Ich habe gehört, dass einige gesagt haben, das sei noch
nicht genug. Wollen Sie wahrlich eine Übergangsvor-
schrift von 20, 30 oder gar 50 Jahren? Das kann doch nicht
Ihr Ernst sein.


(Jörg Tauss [SPD]: 100 Jahre, wie immer!)


Auch für die wissenschaftlichen Mitarbeiter gibt es
Verbesserungen. Wir legen keine Jahresfristen für ein-
zelne Qualifikationsabschnitte fest. Die starre Fünfjahres-
grenze entfällt. Ab dem Ende des Studiums stehen in Zu-
kunft zwölf Jahre für die Qualifikation zur Verfügung.
Damit schaffen wir für den wissenschaftlichen Nach-
wuchs mehr Sicherheit und Transparenz.

Zu einem modernen Dienstrecht gehört vor allem ein
modernes Besoldungssystem. Mit dem neuen Dienstrecht
setzt die Bundesregierung ganz klar auf Leistung und En-
gagement. Nicht mehr das Älterwerden, sondern die Qua-
lität der Arbeit soll in Zukunft die Höhe des Gehalts be-
stimmen. Nur so – davon bin ich zutiefst überzeugt –
haben unsere Hochschulen die Chance, Spitzenwissen-
schaftler im Wettbewerb mit ausländischen Hochschulen
wie auch im Wettbewerb mit der Industrie durch eine
konkurrenzfähige Bezahlung zu gewinnen und zu halten.

Ich muss leider feststellen, dass viele eines noch nicht
begriffen haben – das gilt auch für die Opposition –: Zu-
künftig werden die Anfangsgehälter frei ausgehandelt – es
gibt keine feste Einstufung in ein Anfangsgehalt mehr –,
wie das auch bei Führungskräften aus der Wirtschaft seit
langem der Fall ist.


(Norbert Hauser neutral, Frau Ministerin!)


Wir legen zum Schutz eine Untergrenze fest, unter die
bei den Verhandlungen nicht gegangen werden darf.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Die ist nicht amtsangemessen! Ein Verstoß gegen die Verfassung!)


Was zählt, sind herausragende Leistungen in For-
schung und Lehre, die Übernahme besonderer Funktionen
oder Aufgaben in Hochschulgremien, Engagement bei der
Betreuung des wissenschaftlichen Nachwuchses oder
auch Erfolge beim Technologietransfer.

Für die individuelle Besoldung gibt es keine starren
Grenzen mehr, wenn dies zum Beispiel erforderlich ist,
um Spitzenkräfte, die auch von der Wirtschaft oder von
ausländischen Universitäten umworben werden, besser zu
bezahlen. Unsere Hochschulen werden damit endlich mit
Hochschulen in anderen Ländern konkurrenzfähig.

Unwahr ist im Übrigen die Behauptung, dass eine Kür-
zung bei den Ausgaben für Professorengehälter vorgese-
hen sei. Richtig ist vielmehr genau das Gegenteil, nämlich
dass eine solche Kürzung gesetzlich ausgeschlossen wird.
Die im Gesetzentwurf vorgesehene Kostenneutralität
garantiert, dass unter dem Strich kein Pfennig weniger für
die Professorenbesoldung ausgegeben wird.

Die Länder erhalten mit der Dienstrechtsreform die
Möglichkeit, ihr Personalbudget jährlich über die normale
Besoldungsanpassung hinaus um durchschnittlich 2 Pro-
zent zu erhöhen. Mit anderen Worten: Wir öffnen nach

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119492


(C)



(D)



(A)



(B)


oben; aber wir schließen eine Öffnung nach unten im Ge-
setzentwurf aus.

Auch bei der Ruhegehaltsfähigkeit stellt der vorlie-
gende Gesetzentwurf sicher, dass das bestehende Versor-
gungsniveau erhalten bleibt.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich wirklich
ganz klar sagen: Mit dieser Reform nutzen wir den Gene-
rationenwechsel an unseren Hochschulen und packen ein
Hauptproblem unseres Hochschulsystems an der Wurzel.
Wir geben damit unseren Hochschulen einen kräftigen
Modernisierungsschub und wir geben vor allem einen
starken Anreiz dafür, dass unsere besten Köpfe nicht mehr
ins Ausland abwandern, sondern unsere Hochschulen im
21. Jahrhundert dann auch aktiv gestalten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419900300
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Dr. Gerhard
Friedrich (Erlangen).


Dr. Gerhard Friedrich (CSU):
Rede ID: ID1419900400
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Minis-
terin, jetzt haben Sie mich in aller Frühe völlig verwirrt.


(Heiterkeit bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist aber bei Ihnen ein Dauerzustand!)


Sie haben gesagt, wir sprechen heute über die größte
Hochschulreform seit den 60er-Jahren, und gleichzeitig
kommt aus meinem Büro ein Artikel aus der Zeitung „Die
Welt“ mit einem sympathischen Bild von Ihnen; aber die
Überschrift heißt: „Reförmchen pflastern ihren Weg“.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Irgendetwas kann also nicht stimmen.

Frau Ministerin Bulmahn, Sie haben wahrscheinlich
vergessen, dass wir vor der letzten Bundestagswahl durch
die vierte Novelle zum Hochschulrahmengesetz gemein-
sam den Weg für umfassende Hochschulreformen in den
Ländern frei gemacht haben. Damals war es allerdings
noch üblich, dass sich die Regierung um breite Mehrhei-
ten bemüht hat.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Wohl wahr!)


Das zentrale Leitmotiv dieser Reform war: mehr Leis-
tung und auch mehr Profilierung der einzelnen Hoch-
schulen durch mehr Wettbewerb. Auch wir hatten schon
damals vor, in einem weiteren Schritt Leistungen durch
die Besoldung zu honorieren. Insofern haben wir eigent-
lich eine gemeinsame Ausgangsbasis.

Wir stimmen auch in vielen anderen Punkten überein.
Der zweite Schwerpunkt dieser Novelle ist ja eine Neure-
gelung der Qualifizierung des wissenschaftlichen Nach-
wuchses. Hier teilen wir die Auffassung, dass es erstens
sinnvoll ist, den Qualifizierungsweg in Deutschland ent-
sprechend dem, was international üblich ist, zu verkürzen,

und dass es zweitens angebracht ist, den Post-docs, also
den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nach der
Promotion, die sich auf eine Professur vorbereiten, die
Möglichkeit zu geben, früher selbstständig zu forschen
und zu lehren. Deshalb unterstützen wir auch die Junior-
professur.

Für uns ist es ein neuer Weg, zusätzliche wissenschaft-
liche Leistungen nach der Promotion nachzuweisen. Das
Monopol der Habilitation haben wir ja bekanntlich
schon früher gemeinsam abgeschafft; sie spielt in einigen
Fächern kaum noch eine Rolle.

Leider will die Regierungskoalition heute nicht nur ei-
nen zusätzlichen Qualifikationsweg aufzeigen und damit
auch mehr Wettbewerb erzeugen, sondern gleichzeitig die
Habilitation faktisch abschaffen.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: So ist es!)


In Ihrem Gesetz steht, dass die Habilitation, diese akade-
mische Prüfung, künftig ein Privatvergnügen des Einzel-
nen ist, die bei der Berufung keine Rolle mehr spielen
darf.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Unerhört ist das!)


Um nicht missverstanden zu werden, zählen Sie in ei-
ner Ergänzung des § 44 Abs. 2 Satz 1 jetzt auch noch die
Alternativen zur Juniorprofessur auf und Sie lassen dabei
die Habilitation bewusst weg. Interessant ist, dass man
sich für die Professur jetzt auch im gesellschaftlichen Be-
reich qualifizieren kann. Die Gewerkschaftssekretäre ha-
ben also eine bessere Chance bei der Berufung als dieje-
nigen, die sich habilitiert haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Sie können unseren Eckpunkten zur Dienstrechts-
reform aus dem letzten Jahr entnehmen, dass wir nicht be-
reit sind, dafür Mitverantwortung zu übernehmen. Sie ha-
ben heute den Eindruck erweckt, als hätten Sie sehr viele
Vorschläge aus der Wissenschafts- und Hochschulszene
aufgegriffen. Tatsächlich stellen wir aber fest, dass Ihnen
ein Bündnispartner nach dem anderen abhanden gekom-
men ist.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Jawohl!)


Ihre Pläne zur Habilitation werden, soweit ich es
überblicken kann, eigentlich nur noch von der Mehrheit
des Wissenschaftsrates unterstützt. Die Hochschulrekto-
renkonferenz hat Ihnen in mehreren Punkten – auch in
Sachen Habilitation – ausdrücklich die Gefolgschaft ver-
weigert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Alle großen Verbände der Hochschullehrer, zum Bei-
spiel auch die Hochschulrektorenkonferenz, fordern mehr
Rücksichtnahme auf die unterschiedlichen Fächerkultu-
ren. Darunter mag der eine oder andere sein, der die Juni-
orprofessur unterlaufen möchte.


(Jörg Tauss [SPD]: Ja! Eher mehrere als einer!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Bundesministerin Edelgard Bulmahn

19493


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir wollen das jedenfalls nicht. Wir haben Ihnen angebo-
ten, die Vorschrift, die das Unterlaufen verhindert und die
bereits in Ihrem Gesetzentwurf enthalten ist, dort zu be-
lassen und Sie zu unterstützen. Hätten Sie weitere Vor-
schläge gemacht, hätten wir Sie auch dabei unterstützt.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Besol-
dungsteil. Wir lehnen die zu niedrigen Grundgehaltssätze
ab. Sie haben in Ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme
des Bundesrates festgestellt, dass es keinen Rechtsan-
spruch auf Zulagen gebe. Das bestätigen wir. Es darf auch
keinen Rechtsanspruch auf Zulagen geben. Es kann doch
nicht Sinn von Evaluationsverfahren sein, erst einmal bei
allen Professorinnen und Professoren das Niveau des Ge-
halts auf das in der Verfassung geforderte Niveau anzuhe-
ben. Eine ständige Evaluation – jeder evaluiert jeden und
danach wird gleichmäßig alles angehoben – kann doch
nicht sinnvoll sein. Deshalb muss die in der Verfassung
geforderte amtsangemessene Besoldung schon durch die
Grundgehälter sichergestellt werden.

Wir schlagen vor – ich wiederhole das noch einmal, um
die Beträge, die wir genannt haben, zu erklären –, das
Grundgehalt W 2 am jetzigen Grundgehalt eines 35-jähri-
gen C-3-Professors und das Grundgehalt W 3 am jetzigen
Grundgehalt eines 35-jährigen C-4-Professors zu orien-
tieren. Danach würden wir mit ihnen darüber sprechen,
welches zusätzliche Einkommen gewünscht wird. Das
muss man sich durch Leistung verdienen; man bekommt
es nicht einfach, indem man in eine andere Altersstufe
aufrückt.

Wer weniger bietet, nimmt in Kauf, dass die Attrakti-
vität des Berufs des Hochschullehrers weiter schwindet.
In diesem Gesetzespaket gibt es ohnehin noch eine
Regelung, nämlich im Bereich des Ruhestandes, durch
die die Gefahr besteht, dass die Attraktivität sinkt. Es
steht dort nämlich nicht, dass sich alle gewährten Zu-
lagen auch im späteren Ruhegehalt abbilden. Viele
Sachverständige haben uns zu Recht auf die Gefahr auf-
merksam gemacht, dass das Versorgungsniveau der
Hochschullehrer durch diese Reform sinkt. Deshalb ap-
pellieren wir an die Länder, die Möglichkeit zu nutzen,
auch befristete Zulagen bei der Feststellung des Ruhe-
gehalts zu berücksichtigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, wir finden es sehr seltsam,
dass uns die Länder mehrheitlich auffordern, ihnen durch
ein Bundesgesetz zu verbieten, dass sie mehr Geld für ihre
Hochschulen bereitstellen. Das ist ein seltsames Selbst-
verständnis. Wir finden es aber noch seltsamer, dass sich
die Bundesbildungsministerin bereit erklärt, dieses Anlie-
gen auch noch zu unterstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn Sie sagen würden, dass Sie sich diesen „Diktato-
ren“, den Finanzministern, beugen müssten, dann hätte
ich dafür noch ein gewisses Verständnis. Ich habe aber
kein Verständnis mehr dafür, dass Sie diese Brüder dann
auch noch loben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dazu möchte ich nur feststellen, dass die Reform an
der Kostenneutralität zu scheitern droht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie setzt nämlich die Bereitschaft der Mitglieder von Kol-
legialorganen voraus, den Spielraum für eigene Leis-
tungszulagen zu reduzieren, damit Spitzenleute, die hohe
Kosten verursachen, eingekauft werden können. Diese
Sorge haben wir. Deshalb appellieren wir an den Bundes-
rat bzw. an die Länder, für diese Reform zumindest in der
Übergangsphase mehr Geld bereitzustellen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419900500
Ich erteile
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dem Kollegen
Dr. Reinhard Loske das Wort.


Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419900600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will
mit dem beginnen, was uns eint, und mit dem enden,
worin Unterschiede bestehen. Über drei Punkte gibt es ein
Einvernehmen, nämlich erstens darüber, dass die Dauer
der Qualifikation des wissenschaftlichen Nachwuchses
in Deutschland zu lang ist, zweitens darüber, dass die
Postdoktoranden bei uns im internationalen Vergleich
über eine unzureichende Selbstständigkeit verfügen, und
drittens darüber, dass bei uns das Erstberufungsalter für
Professoren zu hoch ist.

Wenn man in Deutschland in den Vorolymp derjenigen
aufsteigen will, die vielleicht einmal Professor werden
könnten, dann muss man 13 Jahre zur Schule gehen, im
Durchschnitt sechs Jahre studieren, im Durchschnitt vier
bis fünf Jahre promovieren und sich sechs Jahre habilitie-
ren. Nebenbei orientiert man sich noch anders, bekommt
Kinder und geht eventuell einer Berufstätigkeit nach.
Dann ist man über 40 Jahre alt, wenn man Professor wird.
Wir finden, dass das entschieden zu spät ist. – Das ist der
erste Punkt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zum zweiten Punkt: Die Selbstständigkeit unserer
Postdoktoranden ist im internationalen Vergleich ein-
fach zu gering. Anlässlich der ersten Lesung habe ich
schon gesagt: Ich würde es niemals so weit treiben, von
der Habilitation als einem Stadium künstlicher Infantilität
zu sprechen, wie das manche böse Zungen tun. Umge-
kehrt kann ich aber auch nicht akzeptieren, wenn bei-
spielsweise Herr Schiedermair feststellt, die Habilitation
sei die Gesellenprüfung.


(Jörg Tauss [SPD]: Meisterprüfung!)


Man muss einsehen, dass auch im Hochschulbereich das
Zeitalter der Gilden und Zünfte vorbei ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich habe eher die Sorge, dass manche glauben, sie würden
ihrer Gesellen verlustig gehen. Darum geht es nun wahr-
lich nicht.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen)


19494


(C)



(D)



(A)



(B)


Zum dritten Punkt: Das Erstberufungsalter von Pro-
fessoren ist zu hoch. Es liegt bei 42 Jahren. Ich bin der
Letzte, der nicht zugestehen würde, dass es bestimmte
Disziplinen gibt, in denen die wissenschaftliche Produk-
tivität jenseits des Alters von 40 Jahren am höchsten ist.
Das kann in bestimmten Geisteswissenschaften sein.
Auch geht es nicht darum, dem Jugendkult zu huldigen;
das ist nicht der Punkt. Erfahrung ist ein wichtiges Gut.
Dies wird auch in der Zukunft gerade in der Lehre so sein.
Aber eigenständiges Arbeiten mit allen Rechten und
Pflichten eines Professors kann im Alter von Anfang bis
Mitte 30 beginnen. Das ist auf internationaler Ebene so
und das sollte auch bei uns in Zukunft möglich sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Deswegen sehen wir hier Änderungen vor. Wir wollen,
dass an unseren Hochschulen junge Menschen eher in
Verantwortung kommen.

Jetzt komme ich zum vierten Punkt, der uns besonders
am Herzen gelegen hat: Herr Kollege Friedrich, ein Pro-
blem an unseren Universitäten ist, dass es eine zu geringe
Offenheit des Systems nach außen gibt. Die Vereinigten
Staaten, die Sie sonst immer in jeder Hinsicht loben,
zeichnen sich beispielsweise gerade dadurch aus, dass
Menschen aus unterschiedlichen Bereichen, zum Beispiel
aus der Wirtschaft, aus der Politik oder aus anderen ge-
sellschaftlichen Bereichen, temporär an die Universität
wechseln und dann wieder in ihren Bereich zurückkehren.
Solch eine Kultur der Offenheit und des Quereinstiegs
fehlt uns bisher. Das soll mit dem vorliegenden Gesetz
möglich gemacht werden. Das ist ein ganz wichtiger
Punkt.

Da geht es nicht vorrangig um Gewerkschaftsse-
kretäre, wenngleich ich das nicht grundsätzlich aus-
schließen will, Herr Kollege Tauss. Vor allen Dingen geht
es aber natürlich darum, dass Menschen, die in anderen
Bereichen, in der Politik, in der Wirtschaft und an anderer
Stelle, Erfahrungen gesammelt haben, an die Universität
wechseln können. Warum soll nicht jemand, der bei Am-
nesty International 20 Jahre lang die Abteilung für Men-
schenrechte geleitet hat, eine Professur im Bereich inter-
nationale Menschenrechte annehmen können? Das kann
ich mir sehr gut vorstellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


So gesehen tun wir hier einiges. Es geht wahrlich nicht
darum, irgendwelche Zugangswege zu diskriminieren. Es
geht darum – damit komme ich zur Habilitation –, dass
in Zukunft die aufnehmende Institution darüber entschei-
det, ob jemand qualifiziert ist, und dass nicht die abge-
bende Institution eine entsprechende Prüfung abnimmt.
Das soll derjenige entscheiden, der den Bewerber auf-
nimmt.

Jetzt zum Stellenwert der Habilitation insgesamt
– auch darüber haben wir schon oft gesprochen –: Ich un-
terstütze wahrlich nicht diejenigen, die die Habilitation
durch den Kakao ziehen. Aber ich glaube schon, dass man
sagen kann: Wenn sich jemand auch in Zukunft habilitie-
ren will, dann heißt das nichts anderes, als dass er oder sie

ein zweites Buch schreibt. Ein guter Wissenschaftler wird
seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt immer dadurch er-
höhen, dass er ein zweites oder ein drittes Buch schreibt.
Insofern liegt hier überhaupt keine Benachteiligung vor.
Ganz im Gegenteil: Es ist so, dass die Qualifikation zur
Professur nicht mehr durch eine Prüfung, sondern durch
eine eigenständige wissenschaftliche Leistung nachge-
wiesen wird. Das ist der neue, tragende Gedanke unserer
Reform.

Ich komme abschließend zu denjenigen, die dabei sind,
sich zu habilitieren, sich gerade habilitiert haben oder da-
rüber nachdenken, sich zu habilitieren. Man muss ganz
klar sagen: Sie sind nicht die Verlierer dieser Reform. Im
Gegenteil: In Deutschland ist es so, dass in der nächsten
Dekade, in den vor uns liegenden acht bis neun Jahren,
sehr viele Türen offen stehen. Ungefähr 50 Prozent der
Vollprofessuren werden in diesem Zeitraum ersetzt. Da
wir logischerweise in diesem Zeitraum bislang kaum Ju-
niorprofessoren haben und vor 2007/2008 wenig Junior-
professoren haben werden, ist die Chance für diejenigen,
die sich gerade habilitiert haben, im Moment besonders
groß. Ihnen stehen alle Türen offen. Sie müssen nur hin-
durchgehen. Das ist der entscheidende Punkt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich will einen weiteren Punkt nennen: den Doktoran-
denstatus. Auch er war uns sehr wichtig. Die Doktoran-
den haben außer in den Kollegs bisher keinen Status. Das
wird in Zukunft anders sein. Sie werden einen Status
bekommen. Vor allen Dingen haben wir es als Koalitions-
fraktionen im Gesetzentwurf durchgesetzt – das war un-
serer Fraktion besonders wichtig –, dass nicht nur die Pro-
motionsphase besser strukturiert wird, die Betreuung der
Promovierenden besser wird und auch zum Gegenstand
der Leistungsbezogenheit der Professorentätigkeit wird,
sondern dass ihnen darüber hinaus die Möglichkeit gege-
ben wird, akademische Schlüsselqualifikationen wie Mit-
telakquisitionen, Projektmanagement und eigenständige
Lehre an den Universitäten zu erlangen. Das ist für die
Doktoranden ein wichtiger Fortschritt. Das bereitet sie
besser auf das Berufsleben vor.

Ich fasse zusammen: Mit dem Gesetzentwurf, den wir
heute verabschieden, werden die deutschen Hochschulen
jünger, offener und internationaler. Als Aufgabe muss
man in der Tat markieren: Wir Bildungspolitiker müssen
aufpassen, dass die Finanzpolitiker in dieser Diskussion
nicht die Hegemonie gewinnen.


(Beifall des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Ausgaben für Bildung müssen steigen. Das muss un-
sere gemeinsame Aufgabe sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419900700
Das Wort
hat nun die Kollegin Ulrike Flach für die Fraktion der
Freien Demokraten.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Dr. Reinhard Loske

19495


(C)



(D)



(A)



(B)



Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1419900800
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Leider wird im Bundestag nicht über die In-
tentionen einer Reform abgestimmt, Frau Buhlmann;
denn diese teilen wir voll und ganz: Verkürzung der
Qualifikationsphasen, Attraktivität für Spitzenforscher
auch aus dem Ausland, Bezahlung nicht nach Dienstalter,
sondern nach Leistung. Das war der auch von Ihnen selbst
klar definierte Auftrag bei dieser Reform.


(Jörg Tauss [SPD]: Dann stimmen Sie doch zu!)


Genauso klar ist, dass Sie diesen Auftrag nur sehr unzu-
reichend erfüllt haben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht. Was Sie uns
heute vorlegen, sind ein HRG-Rumpfgesetz und ein Pro-
fessorenbesoldungsgesetz, welches in wenigen Tagen im
Strudel der Bundesratsattacken versinken wird.


(Lachen bei der SPD)


Selbstverständlich ist die Einführung der Juniorpro-
fessur richtig. Auch wir sind der Meinung: Junge Wis-
senschaftler sollen früher selbstständig forschen können.
Aber die von Ihnen gewählte Konstruktion krankt nach
Meinung der FDP an ihrer Ausgestaltung. Wie soll neben
den Lehrverpflichtungen, den Beteiligungen an Prüfun-
gen usw. eine Profilierung durch Forschung erfolgen?
Was soll aus denjenigen werden, die nach sechs Jahren
keine Professur erhalten? Was ist außer dem Verlassen der
Hochschule die Perspektive?


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Warum gehen Sie mit der Axt an die Habilitation? Sie
können herumreden – das haben Sie auch versucht –, wie
Sie wollen: Faktisch schaffen Sie die Habilitation ab. Die
FDP will auch bei den Qualifikationswegen Wettbewerb.
Deshalb wollen wir es den Hochschulen selbst überlassen,
ob sie ihren akademischen Nachwuchs über Habilitation,
Juniorprofessur oder Qualifikation in der Wirtschaft ge-
winnen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist der entscheidende Unterschied in unserer Denk-
weise, Frau Bulmahn. Was Sie machen, ist nicht die Au-
tonomie der Hochschulen, sondern das Diktat des Staates.


(Beifall bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Mein Gott!)


Die Unzulänglichkeit Ihrer Gesetzentwürfe betrifft
aber auch das ganze Thema Finanzierung. Sie führen die
Juniorprofessur ein, ohne die Finanzierung abzusichern.
Damit finanzieren Sie sie auf Kosten der Assistentenstel-
len. Der Einstieg in die leistungsorientierte Bezahlung ist
richtig. Trotzdem werden die Hochschulen weiterhin
Spitzenwissenschaftler nicht spitzenmäßig bezahlen kön-
nen. Die Länder ziehen nicht mit. Wenn Sie sich bei den
Ländern nicht durchsetzen, Frau Buhlmahn, dann bleibt
dieses Gesetz reine Fassade.

Das ist der Augenblick der Wahrheit. Sie wissen, dass
Geld erforderlich ist, um aus dem Spatz, den Sie im Au-
genblick in der Hand haben, eine Taube zu machen. Dann
müssen Sie, Frau Bulmahn, auch selbst etwas ausgeben.
Sie sind zwar nicht der Zahlmeister der Länder, wie Sie
das immer so schön formulieren. Aber ohne die notwen-
dige Finanzausstattung pfeift der Wind durch alle Ecken
dieses Gesetzes.

Hinzu kommen wesentliche Strukturmängel. Das Thema
Beamtentum haben Sie nicht angepackt. Das Beamtentum
an den Hochschulen hätte längst abgeschafft werden müs-
sen. Sie nehmen außerdem einem großen Teil der Habili-
tanden und der Promovierenden ihre Zukunftschancen, weil
sie einerseits für die Juniorprofessur zu alt sind und weil an-
dererseits die Assistentenstellen abgebaut werden.

Frau Bulmahn, Sie haben im Verfahren zum eigenen
Gesetzentwurf zahlreiche Änderungsanträge gestellt. Die
Anträge der Oppositionsfraktionen wurden rundweg ab-
gelehnt. Bereitschaft zum Kompromiss konnten wir nicht
erkennen.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Eiskalte Machtpolitik! – Lachen bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir können damit leben, dass Sie den Kompromiss nicht
gesucht haben. Die Betroffenen können es sicherlich nicht.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419900900
Für die
Fraktion der PDS spricht die Kollegin Maritta Böttcher.


Maritta Böttcher (PDS):
Rede ID: ID1419901000
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen!

Nicht das Gerede über die Herstellung der Chancen-
gleichheit, sondern die Herstellung der Chancen-
gleichheit ist Verfassungsgebot. Deshalb stellen wir
heute den Antrag, die Erhebung von Studienge-
bühren im HRG zu untersagen.

Frau Ministerin, das ist ein Zitat aus Ihrer Rede zur vier-
ten HRG-Novelle, die Sie kurz vor der letzten Bundes-
tagswahl gehalten haben. Sie haben 1998 eine Weiterent-
wicklung des HRG versprochen. Davon ist heute keine
Rede mehr. Nutzen Sie die Chance und stimmen Sie un-
serem Änderungsantrag zur Sicherung der Gebühren-
freiheit des Hochschulstudiums zu. Dann können wir
auch gemeinsam das neue HRG verabschieden. Die Stu-
dierenden warten darauf.


(Beifall bei der PDS)


Noch einmal zurück zum Jahr 1998: Frau Abgeordnete
Bulmahn beklagte in der abschließenden Beratung der
vierten HRG-Novelle:

Studierende haben ein Recht darauf, ihre Anregun-
gen in den Prozess der inhaltlichen und strukturellen
Modernisierung der Hochschulen einfließen zu las-
sen. Dazu gehört auch die aktive Auseinandersetzung
mit gesamtgesellschaftlichen Problemen.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119496


(C)



(D)



(A)



(B)


Deshalb wollen wir den Bundesgesetzgeber darauf
verpflichten, für ein Mindestmaß an Einheitlichkeit
im Bundesgebiet zu sorgen. Die Länder sollten ver-
pflichtet werden, an allen Hochschulen die Bildung
von verfassten Studentenschaften zuzulassen.


(Beifall bei der PDS)


Sie haben bis heute keine Zustimmung zu dieser For-
derung. Nun meinen SPD und Grüne, der Zeitpunkt dafür
sei ungünstig. Ich frage Sie: Welcher Zeitpunkt ist günsti-
ger als der Tag, an dem der Bundestag über die Änderung
des HRG entscheidet?


(Beifall bei der PDS)


Stimmen Sie also unserem Gesetzentwurf zu, wenn Sie es
wirklich ernst meinen.

Auch die vorgelegte Reform des Hochschuldienst-
rechts ist eine unvollkommene, ja zwiespältige Reform.
Die PDS erkennt durchaus an, dass das Fünfte Gesetz zur
Änderung des HRG im Hinblick auf die verknöcherte
Personalstruktur der Hochschulen eine ganze Reihe von
Fortschritten bringt. So begrüßen wir insbesondere die
Einführung der Juniorprofessur. Doch Ihr Reformgesetz
ist halbherzig. Von den Studierenden war schon die Rede.
Darüber hinaus denke ich an die Wissenschaftlerinnen.
Nach wie vor kommt an Deutschlands Hochschulen in der
höchsten Besoldungsgruppe C 4 auf 17 Professoren nur
eine Professorin. Frau Ministerin, ich begrüße es zwar
sehr, dass Sie den Anteil der Professorinnen bis 2005 auf
20 Prozent steigern wollen. Aber dann müssen wir endlich
zu Maßnahmen kommen, die wirklich greifen. Mit Ap-
pellen und gutem Willen der Hochschulleitungen ist es
nicht getan.


(Beifall bei der PDS – Jörg Tauss [SPD]: Bei der Juniorprofessur machen wir es doch!)


Die PDS beantragt daher heute, eine Vorrangregelung
in das Hochschulrahmengesetz aufzunehmen, wonach
40 Prozent aller Stellen, insbesondere auch die der neu zu
besetzenden Stellen für Juniorprofessoren, für qualifi-
zierte Frauen reserviert werden. Wenn sich Gleichstel-
lung bei Ihnen nicht in Lippenbekenntnissen erschöpfen
soll, dann stimmen Sie unserem Antrag zu!

Zu den vergessenen Interessengruppen gehören
schließlich die rund 100 000 Angehörigen des akademi-
schen Mittelbaus. Wir brauchen neben den Qualifikati-
onsstellen mehr Funktionsstellen, auf denen unbefristet
beschäftigte Wissenschaftler Wissenschaft als Beruf aus-
üben können. Wir fordern Sie daher auf, den Weg in eine
tarifliche Regelung der Beschäftigungsbedingungen für
das wissenschaftliche Personal freizumachen. Schließlich
beklagen die Doktorandinnen und Doktoranden zu Recht,
in der Dienstrechtsreform vergessen worden zu sein. Die
Einführung eines Doktorandenstatus in das HRG ist zwar
schön und gut; worauf es aber vor allem ankommt, ist eine
soziale Absicherung. Das Mindeste wäre die Einbezie-
hung in die gesetzliche Krankenversicherung. Die PDS
hat einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt; Sie
brauchen also nur noch zuzustimmen.

Meine Redezeit ist beschränkt; zum Professorenbesol-
dungsreformgesetz daher zum Schluss nur soviel: Die

PDS begrüßt grundsätzlich das Anliegen einer Stärkung
der Leistungsorientierung des wissenschaftlichen Per-
sonals. Wir halten es aber für falsch, dieses Ziel über das
Beamtenrecht zu verfolgen. Ich bin der festen Überzeu-
gung, dass auch auf diesem Feld die Tarifpartner am kom-
petentesten wären, eine wissenschaftsadäquate Lösung zu
finden. Ich hätte mir an diesem Punkt von der Bundesre-
gierung etwas mehr Mut zur Deregulierung, das heißt, zu
Wissenschaftsautonomie und mehr Partizipation der Be-
troffenen, gewünscht. Darauf kommt es an.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Stimmen Sie unseren Änderungsanträgen zu. Dann

können wir auch dem vorgelegten Gesetzentwurf zustim-
men.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419901100
Für die
SPD-Fraktion spricht der Kollege Dr. Peter Eckardt.


Dr. Peter Eckardt (SPD):
Rede ID: ID1419901200
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Ich kenne keinen Gesetz-
entwurf, bei dem ich im letzten Jahr soviel diskutiert habe,
in Deutschland herumgefahren bin und mit Betroffenen
an den Hochschulen gesprochen habe, wie es bei den Ent-
würfen zu den Hochschulreformen der Fall ist. Herr
Thomas Rachel, ich habe bei dieser Gelegenheit sehr viel
Zustimmung gefunden. Das trifft sowohl auf die Hoch-
schulrektorenkonferenz als auch auf den Wissenschaftsrat
zu. Ich denke, in diesem Punkt gibt es keinen Zweifel.

Man muss fairerweise aber auch bekennen, dass es kri-
tische Töne gegeben hat. Diese kritischen Töne haben sich
im Wesentlichen auf zwei Faktoren bezogen. Der erste Be-
reich betraf die perspektivisch vermeintlich schlechter
werdende Finanzlage, der zweite Bereich bezog sich auf
das Zauberwort „Kostenneutralität“. Um das deutlich zu
machen: Mit dem Verweis auf Kostenneutralität wird der
Versuch unternommen, bei dieser Reform den gesamten
Rahmen der Finanzierung nicht nach unten zu fahren.

In § 34 des Entwurfs zum Professorenbesoldungsre-
formgesetz – Herr Minister Frankenberg, Sie werden ja
nach mir noch zu diesem Thema reden – steht ganz deut-
lich: Überschreitungen des Vergaberahmens sind in Höhe
von durchschnittlich zwei vom Hundert zulässig. Sie ha-
ben, wenn ich es richtig gehört habe, nach Antritt Ihres
Ministeramts formuliert, Sie lehnten Kostenneutralität ab
und wollten den Vergaberahmen für die Professoren-
gehälter nach Entscheidung des jeweiligen Landes um
jährlich bis zu zwei Prozent ausgedehnt haben. Das halte
ich für in Ordnung und denke, dass es in diesem Punkt
keinen Dissens geben sollte. Es wäre gut, wenn Sie das
aufklärten.

In den fünf Minuten, die mir heute Morgen zur Verfü-
gung stehen, kann ich die Diskussion leider nur knapp zu-
sammenfassen und bewerten: Die sozialdemokratische
Bundestagsfraktion begrüßt und unterstützt die vorgeleg-
ten Reformgesetzentwürfe zur Modernisierung der deut-
schen Hochschulen und wird ihnen zustimmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Maritta Böttcher

19497


(C)



(D)



(A)



(B)


Um den Erfolg der deutschen Wissenschaft im internatio-
nalen Wettbewerb sicherzustellen, wurde diese Reform
von allen ernst zu nehmenden Experten schon seit langem
gefordert. Sie muss jetzt endlich politisch in die Realität
umgesetzt werden. Dies ist unsere Verantwortung. Wir
alle sollten daher den Reformplänen zustimmen.

Kritische Positionen, die sich mit den vermeintlich sin-
kenden Chancen beim persönlichen Fortkommen befas-
sen, nehme ich auch heute noch sehr ernst. Sie können aber
die Richtigkeit der grundlegenden Strukturveränderun-
gen nicht erschüttern. Diese Reform verschafft der deut-
schen Wissenschaft und damit auch unserem Land viele
neue Chancen und Möglichkeiten. Unsere Wissenschaft
und Forschung und damit auch die Qualität der Lehre wer-
den mit diesen Reformen den Weg an die Spitze dieser
Welt nicht verfehlen und vorhandene Defizite überwinden.

Die Anhörung im Hause sowie die vielen im letzten
Jahr zu diesem Thema geführten Gespräche haben ge-
zeigt, dass die Betroffenen an den Hochschulen die Re-
form nicht nur hinnehmen, sondern sie auch aktiv gestal-
ten und unterstützen werden. In diesem Punkt bin ich mir
sehr sicher. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen an den
Hochschulen, dieser Reform mit Engagement zu einer er-
folgreichen Realisierung zu verhelfen. Auch die Länder
sind aufgefordert, in ihrem Entscheidungsbereich, der
sehr breit ist, diese Reform zu ergänzen, mit Leben zu er-
füllen und sie fortzusetzen. Die Hochschulen waren im-
mer dann sehr erfolgreich, wenn sie mit ihrer wissen-
schaftlichen Arbeit auf die Probleme von Wirtschaft und
Gesellschaft eingegangen sind. Auch dieses Ziel soll
durch die Reformgesetze verfolgt werden. Die Habilita-
tion ist eine Prüfungsleistung, die für diese neuen Fähig-
keiten sehr entbehrlich ist. In der tausendjährigen Ge-
schichte europäischer Hochschulen hat die Habilitation
nur in wenigen Jahren eine Rolle gespielt und sie war auch
damals für die akademische Leistungsfähigkeit nicht von
besonderer Bedeutung.


(Zurufe von der CDU/CSU)


Dass die Habilitation von Herrn Rachel immer noch ver-
teidigt wird – zum Beispiel vorgestern im „Rheinischen
Merkur“ –, obwohl viele seiner eigenen Leute völlig an-
dere Positionen vertreten, ist zumindest merkwürdig.

Politisch wichtig wäre es vielmehr, alle Gremien und
Institutionen an den Hochschulen an unsere Erwartung zu
erinnern, dass die Reformen an den Hochschulen dazu
genutzt werden, Frauen die gleichen Karrierechancen
einzuräumen wie Männern, um den Anteil der Frauen in
der Wissenschaft zu erhöhen. Hier wäre ein großes
Betätigungsfeld für alle die, die hier Kritik üben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich fasse zusammen. Die geplanten Änderungen zum
Hochschulrahmengesetz und zur Besoldungsreform wer-
den unsere Hochschulen in die Lage versetzen, den inter-
nationalen Wettbewerb um die besten Köpfe erfolgreich
zu bestehen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Leider nicht! – Gegenruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]: Abwarten!)


– Da werden wir abwarten. Hochschulen sind in der Re-
gel in der Lage, auf das, was ihnen vorgegeben wird, sehr
angemessen zu reagieren und so ihren eigenen Erfolg si-
cherzustellen.


(Beifall bei der SPD)


Ich bitte Sie deshalb, diesen Entwürfen zuzustimmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419901300
Für das
Land Baden-Württemberg erteile ich Herrn Minister Pro-
fessor Dr. Peter Frankenberg das Wort.


(Zuruf von der CDU/CSU: Endlich einmal eine substantiierte Rede!)



(Baden-Württemberg)

Hochschulen in Deutschland betreiben Forschung, Ent-
wicklung und Lehre auf hohem Niveau – und das bereits
jetzt. Aber es gibt viele Randbedingungen, die die Hoch-
schulen hemmen, international voll wettbewerbsfähig zu
sein, und Wettbewerb ist der einzige Motor für Leistung.


(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)


Wenn die Wettbewerbschancen erhöht werden sollen und
wenn man schon über ein modernes Dienst- und Tarif-
recht redet, dann gehörte dazu, dass zumindest auch die
ZVS auf den Prüfstand gestellt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir brauchen keine Detaillösungen, die nicht in das Sys-
tem passen, sondern einen umfassenden Ansatz von
Hochschulreform. Wir wollen in der Tat mehr Leistungs-
anreize im Besoldungssystem und wir wollen eine grö-
ßere Attraktivität der Hochschulen für den wissenschaft-
lichen Nachwuchs.

Wir sind uns also über die Ziele einer Reform größten-
teils einig, aber nicht über die Ausprägung dieser Reform.
Denn wie sonst ist es zu erklären, dass den Gesetzent-
würfen der Ministerin Bulmahn eigentlich von allen Sei-
ten, nicht nur von der Opposition, nicht nur von den Län-
dern, sondern auch von der Wissenschaft – wer die
Anhörungen wirklich sorgsam verfolgt hat, weiß das –,
eine geharnischte Kritik entgegengestellt wird?


(Jörg Tauss [SPD] Dann waren Sie aber bei der Anhörung nicht dabei!)


– Ich kann lesen.

Durch diese Gesetze wird sich die Hochschulland-
schaft in Deutschland erheblich verändern; es fragt sich
nur, ob zum Besseren hin.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Da sind wir ganz optimistisch!)


Warum die Kritik? Weil diese Reform letztlich zum
Gegenteil dessen führen wird, was ihr eigentliches Ziel
ist. Wir könnten uns über die Ziele verständigen. Dann
sollten wir uns auch über den Inhalt der Reform verstän-
digen können; denn – lassen Sie mich das klarstellen – ich

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Dr. Peter Eckardt

19498


(C)



(D)



(A)



(B)


bin nicht gegen eine Reform des Hochschuldienstrechts,
ich bin nur gegen diese Reform des Hochschul-
dienstrechts.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es gibt eine berechtigte Kritik der Länder, es gibt eine
berechtigte Kritik der Oppositionsparteien und es gibt
konstruktive Änderungsanträge der Oppositionsparteien
hier im Bundestag. Ich verstehe überhaupt nicht, warum
man diese nicht in das Gesetz einbaut; denn diese Anträge
sind rein sachlicher Natur. Wenn Sie hier eine Sachdebatte
führen, in der Sache argumentieren und das Gesetz in der
Sache voranbringen wollen, dann stimmen Sie den Ände-
rungsanträgen zu. Dann kann aus dieser Reform noch et-
was Gutes werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Mein erster Kritikpunkt: Wenn man den Gesetzentwurf
genau liest, dann stellt man fest, dass die Entwurfsverfas-
ser von einer Kostenneutralität ausgehen. Ein Vergabe-
rahmen ist schön und gut, aber das kommt mir so vor, wie
wenn hier ein kleines Bild gekauft, in einen großen Rah-
men gestellt und von ihm dann gesagt würde: Jetzt haben
wir ein großes Bild. – Der Rahmen nützt mir aber nichts;
ich brauche Mittel. Wer aber in der derzeitigen finanzpo-
litischen Situation in Deutschland glaubt, es stünden mehr
Mittel für die Professorenbesoldung zur Verfügung, dem
ist wie durch Nebel der Blick versperrt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Haben Sie den Herrn Stratthaus schon überzeugt? Haben Sie schon mit Ihrem Finanzminister gesprochen?)


– Es geht nicht um den Finanzminister, sondern um die
Wirtschaftskraft dieses Landes. Wir könnten lange da-
rüber diskutieren, wer diese Wirtschaftskraft fördert oder
nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich habe, auch in der Öffentlichkeit, folgenden Satz zur
Kostenneutralität geprägt: Es gibt einen bulmahnschen
Dreisatz, der nicht aufgeht. Man kann nicht den einen,
nämlich den Spitzenprofessorinnen und -professoren – es
handelt sich um Marktspitzenprofessoren –, sehr viel
mehr geben, den anderen aber versprechen: „Es gibt nicht
weniger“, und gleichzeitig sagen: Es ist kostenneutral.
Diese Arithmetik – da haben unsere Finanzminister
Recht – geht nicht auf.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ilse Janz [SPD]: Dann müssen Sie erst einmal den Dreisatz lernen! Das war keiner! – Peter Enders [SPD]: Das war ein zusammengesetzter Dreisatz!)


– Es stimmt, dass das kein richtiger Dreisatz ist.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]: Das war gar kein Dreisatz!)


Das ist eben das Problem der Arithmetik dieser Reform.


(Zustimmung bei der [CDU/CSU])


Zweiter Kritikpunkt: Die vorgesehenen Grundgehäl-
ter von 7 300 DM und 8 800 DM können nach dem Ge-
setz auch nur als Grundgehälter gezahlt werden. Im Hin-
blick auf die Konkurrenzfähigkeit ist es furchtbar – allein
schon aus Gründen der Optik –, dass derartig niedrige
Gehälter überhaupt im Gesetz stehen. Es ist dadurch mög-
lich, dass Personen, die erst vor kurzem die Hochschule
absolviert haben, mehr verdienen als die Professoren, bei
denen sie Examen gemacht haben.

Auf die Grundgehälter kommt es wegen des Vergabe-
rahmens an; denn der Vergaberahmen engt die Leistungs-
zulagen ein. Nur 40 Prozent der Zulagen zur Grundver-
gütung sollen ruhegehaltfähig sein. Aus diesem Grunde
wird – wir haben sorgfältig nachgerechnet – das Lebens-
einkommen vieler Professorinnen und Professoren in
Deutschland in Zukunft abgesenkt sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Hört! Hört! Genauso ist es!)


Ich frage mich, ob wir mit der Absenkung des Lebensein-
kommens die Attraktivität des Hochschulsystems in
Deutschland für die Professorinnen und Professoren er-
höhen werden.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419901400
Herr Minis-
ter Frankenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Dr. Peter Eckardt?


(Baden-Württemberg)



Dr. Peter Eckardt (SPD):
Rede ID: ID1419901500
Herr Minister, ist meine In-
formation richtig, dass Sie als Vizepräsident der HRK die-
sen Reformgesetzen zugestimmt haben?


(Baden-Württemberg)

den Beschluss der HRK nachher noch zu sprechen kom-
men. Ich war das einzige Präsidiumsmitglied der HRK,
das gegen diesen Reformentwurf gestimmt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Der Einzige, das ist auch eine Information! – Weiterer Zuruf von der SPD: Alle anderen haben zugestimmt! – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Treffer, versenkt!)


Ich werde Ihnen zum Schluss noch erklären, warum das
so war. Außerdem werde ich Ihnen meine Interpretation
der Beschlüsse der HRK vom 6. November geben.


(Jörg Tauss [SPD]: Nicht Ihre Interpretation, sondern die richtige Interpretation!)


– Das ist die richtige Interpretation; schließlich war ich
sechs Jahre lang Vizepräsident.

Wir haben im baden-württembergischen Wissen-
schaftsministerium die Konsequenzen dieser Reform
sorgfältig durchgerechnet. Ich nenne Ihnen einige Bei-
spiele: Ein zukünftiger W-3-Professor an einer Fachhoch-
schule wird, wenn man die zur Verfügung stehenden

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Minister Dr. Peter Frankenberg (Baden-Württemberg)


19499


(C)



(D)



(A)



(B)


Mittel und den Vergaberahmen betrachtet, weniger ver-
dienen, als ein C-3-Professor an einer Fachhochschule
heute verdient. Wie soll ich dies unseren Fachhochschul-
professoren als eine attraktive Reform verkaufen?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Ein anderes Beispiel ist der Wegfall des Übergangs von
C 2 nach C 3 an den Fachhochschulen. Für 50 Prozent der
Professorinnen und Professoren an den Fachhochschulen
ergibt sich daraus eine Schlechterstellung gegenüber
ihrem derzeitigen Einkommen. Die Fachhochschulen
sind die eigentlichen Verlierer der durch die Bundesregie-
rung initiierten Reform.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Leider wahr!)


In Ergänzung zu dem vom Kollegen Friedrich ange-
sprochenen Thema Juniorprofessuren, möchte ich noch
einen Satz anführen. Die Einführung von Juniorprofes-
suren ist, wie das Gesetz, im Grunde eine gute Idee; die
Ausführung ist allerdings schlecht gemacht:


(Zustimmung bei der CDU/CSU)


Die Grundvergütung ist auch hier starr. Wir brauchen
aber flexible Grundvergütungen. Wir können dieses Amt
mit dieser Grundvergütung nicht attraktiv gestalten. Die
Berufungsverfahren waren auch in der Vergangenheit ent-
scheidend. Im Übrigen sei darauf verwiesen, dass wir be-
reits heute 50 Prozent der Professuren – auch an den Uni-
versitäten – ohne Habilitation besetzen.

Es stellt sich die Frage nach den Alternativen. Wir
könnten Spitzenprofessoren im außertariflichen Ange-
stelltenverhältnis bezahlen. Ich persönlich sehe nämlich
nicht ein, dass man so viel wie Spitzenkräfte in der Wirt-
schaft zu Bedingungen des Berufsbeamtentums verdie-
nen kann. Auch dieser Frage hätten Sie sich stellen müs-
sen, wenn Sie wirklich eine Reform hätten machen
wollen.


(Jörg Tauss [SPD]: Wer hindert Sie denn daran?)


Zum Abschluss noch einige Ausführungen zur Inter-
pretation des Beschlusses der Hochschulrektorenkonfe-
renz vom 6. November. Die Hochschulrektorenkonferenz
hat einstimmig erklärt: Wir unterstützen die Reform der
Bundesregierung nicht länger. Das ist der entscheidende
Satz.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich kann ihn als ehemaliger Vizepräsident der HRK sehr
gut interpretieren. Die HRK unterstützt wie wir die Ziele
der Reform, ist aber bezüglich der Juniorprofessuren und
der Ausgestaltung des Hochschuldienstrechtes der Mei-
nung, dass es so nicht geht und dass die Reform negative
Auswirkungen haben wird.

Meine Damen und Herren, gehen Sie auf die Ände-
rungsvorschläge der CDU/CSU-Fraktion ein. Verbessern

Sie das jetzt vorliegende Gesetz. Wenden Sie Schaden
vom deutschen Hochschulsystem ab.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419901600
Für die
SPD-Fraktion spricht der Kollege Peter Enders.


Peter Enders (SPD):
Rede ID: ID1419901700
Herr Präsident! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Es passt ja richtig gut, dass
jetzt nach Herrn Minister Frankenberg ein Innenpolitiker
spricht. Ich möchte mich deshalb ganz auf die
beamtenrechtlichen Aspekte konzentrieren. Es ist in der
Tat so, dass heute schon Professoren als Angestellte be-
schäftigt werden können. Es liegt ja nun an den Ländern,
von welcher Möglichkeit sie Gebrauch machen. Wir sind
uns natürlich darüber im Klaren, dass dieses Gesetz zu-
stimmungsbedürftig ist; deshalb kann man nicht an den
Wünschen der Länder vorbei ein Gesetz machen. Wenn
viele Länder dies nun einmal wünschen, dann müssen wir
schauen, ob diese Wünsche ins System passen und umge-
setzt werden können.

Lassen Sie mich vor allen Dingen auf zwei strittige
Sachverhalte eingehen, die Sie angeführt haben, erstens
auf das Thema der Grundbezüge: In die Beschlussvor-
lage, wie sie Ihnen jetzt vorliegt, sind die Besoldungser-
höhungen aus den letzten zwei Tarifrunden eingearbeitet
worden. Wir müssen also von höheren Beträgen ausge-
hen. Wenn Sie dann einen Vergleich anstellen, stellen Sie
fest, dass diese Verdienstmöglichkeit durchaus der eines
C-3-Professors in der sechsten Besoldungsdienstalters-
stufe entspricht. Ganz so schlecht ist das also nicht. Hier
setzt natürlich dann die Auseinandersetzung darüber an,
was Grundbezüge bzw. Mindestbezüge sind. Natürlich
können bei einer Berufung schon Zulagen vereinbart wer-
den. Insoweit kommt man da zu vernünftigen Ergeb-
nissen.

Die zweite Bemerkung zum Thema der Ruhegehalt-
fähigkeit: Die 40 Prozent sind ja nicht aus dem hohlen
Bauch gegriffen worden. Wenn Sie sich die Struktur der
bisherigen Bezüge ansehen, stellen Sie fest, dass die Dif-
ferenz in der Tat bei den Leistungszulagen liegt, wir uns
also von der Ruhegehaltsfähigkeit der Bezüge wieder den
alten Besoldungsstrukturen annähern. Auch insoweit ist
dieses Gesetz ganz in Ordnung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Lassen Sie mich noch etwas Grundsätzliches zum
Thema der Leistungsbezüge sagen. Ich finde es in Ord-
nung und sehe auch keinen Widerspruch zum Art. 5 des
Grundgesetzes, in dem es um Freiheit von Wissenschaft
und Forschung geht, darin, dass Evaluation durchgeführt
wird und Wissenschaftler, die im Bereich der Forschung
tätig sind, bewertet werden. Bei der Ausgestaltung der
Leistungsbezüge und der Festlegung des Verfahrens sind
ja sowieso die Länder gefordert. Im Übrigen weise ich da-
rauf hin, dass wir anders als in der Dienstrechtsreform von
1997 diesmal eine Verfallsklausel eingeführt haben. Bis
zum 31. Dezember 2004 muss das unbedingt von den

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Minister Dr. Peter Frankenberg (Baden-Württemberg)


19500


(C)



(D)



(A)



(B)


Ländern umgesetzt werden, sodass wir endlich im Dienst-
rechtsbereich zu Leistungsbezügen kommen und nicht
wie bisher sehr viele Länder dieses Problem einfach vor
sich her schieben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich noch ein paar Worte zu den Fachhochschulen sa-
gen. Es ist gerade von Ihnen darauf hingewiesen worden,
dass es in der Tat eine ganze Reihe von C-2-Professoren
gibt, die im Prinzip auf C-3-Stellen sitzen. Das Verfahren
ist so offen, Herr Minister Frankenberg, dass sich auf eine
neu ausgeschriebene W-2-Stelle durchaus ein C-2-Profes-
sor bewerben und im Rahmen der Verhandlungen wäh-
rend des Berufungsverfahrens Zulagen aushandeln kann,
wodurch er nachher genauso gut wie ein C-3-Professor
dasteht. Das heißt: Derjenige, der sich bewährt hat,
kommt genauso gut weg wie im alten System. Ihren Vor-
wurf können Sie also nicht aufrechterhalten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Auch diesen Vorwurf nicht!)


– Auch diesen Vorwurf nicht.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich damit zum
Schluss kommen. Die vorgelegte Dienstrechtsreform ist
voll und ganz in sich stimmig. Ich wünsche, dass die Län-
der sie wirklich umsetzen. Damit ist der Weg in eine
Wissenschaftslandschaft des 21. Jahrhunderts frei. Wir
kommen in der Tat zur Konkurrenzfähigkeit der deut-
schen Hochschulen. Lassen Sie uns auf diesem Weg ge-
meinsam vorangehen!

Danke.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419901800
Für das
Land Hessen erteile ich das Wort der Frau Staatsministe-
rin Ruth Wagner.


Hans Georg Wagner (SPD):
Rede ID: ID1419901900
Verehrter
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So habe ich
mir immer meine Zeitzeugenschaft zu Beginn einer neuen
Ära, einer Jahrhundertreform vorgestellt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Was den heutigen Zeitungen und der öffentlichen Mei-
nung zufolge der großen Mehrheit der deutschen Hoch-
schulen dienen soll, ist ein Reförmchen. Sie, meine Da-
men und Herren von der Koalition, schicken sich an, ein
klassisches Gesetz der Halbschwangerschaft zu be-
schließen. Das ist Tatsache.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich will dies in der kurzen Zeit, die mir zur Verfügung
steht, umreißen.

Erstens. Meine Damen und Herren, Sie behaupten, in-
ternationale Wettbewerbsfähigkeit herzustellen und die
Leistungsfähigkeit der Hochschulen zu erhöhen.


(Jörg Tauss [SPD]: Ja! Machen wir!)


Das starre Grundgehalt bei der Professorenbesoldung,
das Sie vorschlagen und das schon in der ersten Stufe ei-
nen Leistungszuschlag verlangt, um das heutige Grund-
gehalt zu erreichen,


(Jörg Tauss [SPD]: Sie senken doch gerade ab, Frau Kollegin! Wer kürzt denn gerade in Hessen?)


bedeutet in Wahrheit die Quadratur des Kreises, die auch
Sie nicht zu lösen in der Lage sind.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wenn Sie als Bundesregierung im Verein mit der Mehr-
heit Ihrer Finanzminister


(Jörg Tauss [SPD]: Wer kürzt denn in Hessen?)


Kostenneutralität sozusagen zur zweiten Säule dieser Re-
form machen,


(Jörg Tauss [SPD]: Wer kürzt denn gerade in Hessen?)


dann werden Sie eine leistungsbezogene Besoldung in
Deutschland nicht erreichen.


(Jörg Tauss [SPD]: Keine Antwort! Unglaublich!)


Gemeinsam mit meiner Fraktion habe ich den Vor-
schlag gemacht, aus dem auszubrechen, was in Wahrheit
das Handicap einer Besoldungsreform in Deutschland ist,
nämlich aus dem deutschen Beamtenrecht.


(Beifall bei der FDP – Zurufe von der SPD: Machen Sie es doch!)


Sie, Frau Bulmahn, sagen, frei verhandelte Verträge seien
heute möglich.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Natürlich!)


Aber doch nicht mit diesen beamtenrechtlichen Vorstel-
lungen!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Sie können es doch! Machen Sie es doch angestelltenrechtlich!)


Es ist doch nicht wahr. Sie können doch heute niemanden
aus Chicago oder Texas bekommen, wenn Sie nicht wirk-
lich auch an die Versorgungsleistungen herangehen.


(Beifall der Abg. Dr. Erika Schuchardt [CDU/CSU] – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Machen Sie es doch!)


Hohe Spitzengehälter verpflichten die Leute dazu, eigen-
ständige Altersvorsorge zu treffen.


(Ilse Janz [SPD]: Ihre drei Minuten sind jetzt rum!)


Das können sie nicht, wenn Sie bei diesen Sätzen bleiben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Peter Enders

19501


(C)



(D)



(A)



(B)


Deshalb hat das Land Hessen in den Bundesrat den Vor-
schlag eingebracht, wenigstens Bandbreiten zu schaffen,
die Flexibilität erlauben. Das haben Sie mit Ihrer Mehr-
heit abgelehnt.


(Jörg Tauss [SPD]: Mit Ihren Kürzungen!)

Ich werde das erneut in den Bundesrat einbringen.

Lassen Sie mich zweitens zur Juniorprofessur sagen:

(Ilse Janz [SPD]: Das geht aber nicht! Die Zeit ist schon abgelaufen!)

Ich halte die Schaffung der Juniorprofessur für einen
guten zusätzlichen Weg, für ein Modell zur Qualifizierung
des wissenschaftlichen Nachwuchses. Drei von fünf hes-
sischen Universitäten sind in den Modellversuch, den
Frau Bulmahn dankenswerterweise eröffnet hat, einge-
stiegen.


(Jörg Tauss [SPD]: Aha!)

Wir unterstützen diesen Versuch mit hessischem Geld.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Zuruf von der SPD: Marburg!)


– Marburg und die Humboldt-Universität waren die bei-
den ersten; Frankfurt und Darmstadt folgen.

Meine Damen und Herren, was wir nicht wollen, ist,
dass dieser Weg zur Regel wird, anstatt nach wie vor Viel-
falt gelten zu lassen. Das ist der eigentliche Punkt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Drittens. Damit ist verbunden, dass Sie ein verkapptes

Habilitationsverbot einführen wollen.

(Beifall der Abg. Dr. Erika Schuchardt [CDU/CSU] – Jörg Tauss [SPD]: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!)


Frau Bulmahn, die Position, die Sie hier vortragen, ist von
der Realität weit entfernt. Die Habilitation hat interna-
tional nach wie vor ein hohes Ansehen und einen hohen
Rang.


(Beifall der Abg. Dr. Erika Schuchardt [CDU/CSU])


Wir müssen uns mit diesem Qualifikationsnachweis über-
haupt nicht hinter angelsächsischen Mustern verstecken.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Deshalb sage ich Ihnen: In den Geisteswissenschaften,

in den Rechtswissenschaften und in den Wirtschaftswis-
senschaften ist die Habilitation als Nachweis wissen-
schaftlicher Qualifikation notwendig.


(Jörg Tauss [SPD]: Verbeamtet müssen sie auch sein oder?)


Trotzdem haben wir – um dem vorzubeugen, Herr Kol-
lege – in Hessen in den zwei Jahren, in denen ich im Amt
bin, 50 Prozent der Professorenstellen ohne Habilitation
ausgeschrieben. Dies ist richtig, weil wir den Wechsel von
der Wirtschaft in die Wissenschaft, besonders in die Inge-
nieurwissenschaften und Naturwissenschaften, wollen.


(Jörg Tauss [SPD]: Was jammern Sie denn dann?)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419902000
Frau Minis-
terin Wagner, Sie haben selbstverständlich das Recht,
über Ihre Redezeit selbst zu verfügen. Aber ich muss Sie
darauf hinweisen, dass die angemeldete Redezeit
abgelaufen ist.


Hans Georg Wagner (SPD):
Rede ID: ID1419902100
Herr Präsi-
dent, ich komme zum Schluss.

Deshalb sage ich Ihnen, meine Damen und Herren: Da
wir wirklich wollen, dass aus diesem Reförmchen noch
eine tragfähige Reform wird, werden wir im Bundesrat
konstruktive Nachbesserungen einbringen. Daher wird
das Land Hessen den Vermittlungsausschuss in dieser
Frage anrufen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419902200
Ich schließe
die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Fünften Geset-
zes zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes und an-
derer Vorschriften auf den Drucksachen 14/6853 und
14/7336. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung empfiehlt unter Nr. 1 seiner
Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Es liegen ein Änderungsan-
trag der Fraktion der CDU/CSU sowie drei Änderungsan-
träge der Fraktion der PDS vor, über die wir zuerst
abstimmen.

Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/7371? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mit den
Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS ge-
gen die Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt.

Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/7389? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Dieser Änderungsantrag ist mit den
Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS abge-
lehnt.

Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/7392? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Auch dieser Änderungsantrag ist mit den
Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS ab-
gelehnt.

Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/7393? – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Auch dieser Änderungsantrag ist mit den Stim-
men des Hauses gegen die Stimmen der antragstellenden
Fraktion abgelehnt.

Ich bitte nunmehr diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stim-
men von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der
PDS angenommen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Staatsministerin Ruth Wagner (Hessen)


19502


(C)



(D)



(A)



(B)


Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit der gleichen Stimmenmehrheit wie in der zweiten
Beratung angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktion der PDS zur Absicherung der verfassten Stu-
dierendenschaft auf Drucksache 14/5760. Der Ausschuss
für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 14/7336, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den
Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS abge-
lehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die
weitere Beratung.

Tagesordnungspunkt 20 b: Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, For-
schung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache
14/7336. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Be-
schlussempfehlung, den Antrag der Fraktion der PDS auf
Drucksache 14/3900 zur Personalstruktur- und Dienst-
rechtsreform an Hochschulen und Forschungs-
einrichtungen abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hau-
ses gegen die Stimmen der PDS angenommen.

Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik-
folgenabschätzung empfiehlt unter Nr. 4 seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion der CDU/CSU auf der Drucksache 14/4382 mit dem
Titel „Eckpunkte für eine Reform des Hochschuldienst-
rechts“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grü-
nen und PDS gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Ent-
haltung der FDP angenommen.

Unter Nr. 5 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 14/7336 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/4415
mit dem Titel „Dienstrechtsreform an den Hochschulen
konsequent für eine umfassende Hochschulreform nut-
zen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen
und PDS gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der
CDU/CSU angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 6 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der PDS auf Drucksache 14/6212 mit dem Titel
„Bericht über die Erfahrungen bei der Anwendung des
Hochschulzeitvertragsgesetzes“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD,
Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stimmen der
PDS bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen.

Tagesordnungspunkt 20 c: Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Reform der Professorenbesoldung, Drucksachen 14/6852
und 14/7356. Der Innenausschuss empfiehlt, den Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung anzunehmen.

Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer
stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
14/7381? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, Bünd-
nis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der an-
deren Fraktionen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genprobe! – Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit
der gleichen Mehrheit wie in der zweiten Beratung ange-
nommen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Kultur und Medien

(23. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

Günter Nooke, Markus Meckel, Werner Schulz

(Leipzig) sowie weiteren Abgeordneten

Errichtung eines Einheits- und Freiheitsdenk-
mals auf der Berliner Schlossfreiheit
– Drucksachen 14/3126, 14/7209 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Eckhardt Barthel (Berlin)

Dr. Norbert Lammert
Dr. Antje Vollmer
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)

Dr. Heinrich Fink

Die Fraktionen haben sich auf eine Aussprachedauer
von einer Dreiviertelstunde verständigt. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich erteile als erstem Redner dem Kollegen und Parla-
mentarischen Staatssekretär Stephan Hilsberg für die
Fraktion der SPD das Wort.


Stephan Hilsberg (SPD):
Rede ID: ID1419902300
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung:
Ich stehe hier in Solidarität mit denen, die diesen Antrag
für ein Einheits- und Freiheitsdenkmal auf der Berliner
Schlossfreiheit gestellt haben. Selbst habe ich diesen An-
trag nicht mit eingebracht und ich hatte mir das damals
auch genau überlegt. Aber die Intentionen dieses Antrags
habe ich immer geteilt. Mich haben eher taktische Mo-
mente von den Antragstellern unterschieden. Überhaupt
ist mein Eindruck, dass die breite Mehrheit dieses Hauses

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

19503


(C)



(D)



(A)



(B)


die hohe Wertschätzung der in dem Antrag enthaltenen
zentralen Werte von Einheit und Freiheit teilt und ge-
meinsam der Auffassung ist, dass diese zu den höchsten
Gütern unseres Volkes zählen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Cornelia Pieper [FDP])


Dies wird sich auch in unserer heutigen Debatte zeigen.

Schwierig wird es immer dann, wenn Einheit und Frei-
heit ideologisch instrumentalisiert werden. Manchmal
reicht es schon, wenn sie parteipolitisch instrumentalisiert
werden.


(Beifall bei der SPD und der PDS sowie der Abg. Cornelia Pieper [FDP])


Meine Damen und Herren, heute ist der 9. November.
Vor zwölf Jahren war die Maueröffnung, vor 63 Jahren die
Kristallnacht. Damals wurden in deutschen Städten Juden
wie Vieh gejagt. Vor 83 Jahren wurde aus einem Fenster
dieses Hauses heraus die spätere Weimarer Republik aus-
gerufen. Welch ein Auf und Ab ist mit diesem Datum ver-
bunden! Der heutige Tag ist für diese Debatte wirklich gut
gewählt. Der 9. November ist mit den höchsten und bes-
ten, aber auch mit den niedrigsten und traurigsten Ge-
fühlen unseres Volkes verbunden. Er trifft unsere Gesell-
schaft in einem zentralen Punkt: in unserem
Selbstverständnis. Was wollen wir als Bürger, als Gesell-
schaft, aber auch als Nation sein?

Bekanntlich konstituiert sich der Mensch erst durch
seine Freiheit als Bürger. Erst in Freiheit kann er ent-
scheiden, Verantwortung ausüben und am politischen Le-
ben sowie an der politischen Willensbildung teilhaben.
Erst in Freiheit kann ein Mensch bestimmen, was aus ihm
werden soll, erst in Freiheit kann er mit entscheiden, was
aus seiner Gesellschaft werden soll. Erst in Freiheit wird
ein Mensch zu einem sozialen Wesen; denn eine Gesell-
schaft braucht ihre Bürger als Menschen, die sich frei und
nicht geduckt und gezwungenermaßen entscheiden.

Ein Staat, der seinen Bürgern die Freiheit raubt, nimmt
ihnen ihr höchstes Recht. Durch die Freiheitsberaubung
seiner Bürger wird ein Staat erst zu einer Diktatur und zu
einer Gefahr, zunächst im Inland und dann im Ausland,
wie wir es erlebt haben.


(Beifall bei der SPD)


Deshalb, meine Damen und Herren, dürfen wir Diktatu-
ren wie das Dritte Reich, aber auch die DDR in Deutsch-
land nie wieder dulden.

Manchmal habe ich den Eindruck, als sei Freiheit für
uns heute schon fast zu normal geworden – so sehr, dass
eher über die vermeintlichen Schattenseiten einer freien
Gesellschaft als über ihre Notwendigkeit diskutiert wird.
Dies ehrt uns zwar, aber es zeigt auch eine gewisse Blind-
heit; denn bei Lichte betrachtet gibt es keine dunklen Sei-
ten von Freiheit, wohl aber viel Egoismus, im Grunde also
Verantwortungsverweigerung anderen wie auch sich
selbst gegenüber. Freiheit ohne Verantwortung, das geht
nicht auf. Davor muss sich eine Gesellschaft schützen.

Eine Gesellschaft muss sich ihrer zentralen Werte be-
wusst sein; anderenfalls drohen sie ihr verloren zu gehen.

Sie braucht einen Ort, an dem sie die zentralen Werte wie
Freiheit physisch sichtbar machen kann, eben ein Denk-
mal.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD] sowie des Abg. Eckart von Klaeden [CDU/CSU] und der Abg. Cornelia Pieper [FDP])


So wie ein Muttermal in unserer Sprache den Begriff für
ein einzigartiges Erkennungszeichen darstellt, so lässt ein
Denkmal Vorstellungen, ja ganze Vorstellungswelten in
uns wachsen und so kann man mit einem Denkmal auch
die äußerst abstrakten Begriffe Freiheit und Einheit für
Generationen, ganze Geschlechter und auch die unter-
schiedlichsten sozialen Gruppen dinglich, begreifbar und
fassbar machen. Aber es muss gut gemacht sein. Der Ort
muss gut gewählt sein. Er muss nicht nur historisch, son-
dern eben auch städtebaulich passen. Deshalb kann man
ein solches Freiheits- und Einheitsdenkmal nicht übers
Knie brechen.

Freiheit, meine Damen und Herren, war für mich wie
für viele Millionen Mitbürger in der DDR ein Zauberwort.
Einige von ihnen – das ist spürbar – sind heute zwar tief
frustriert über die vermeintlichen oder tatsächlichen Ent-
täuschungen, die die Zeit nach der Wende gebracht hat.
Aber niemand will die gewonnene Freiheit und die Ein-
heit missen und fast niemand will wieder zurück.


(Beifall der Abg. Sabine Kaspereit [SPD])


Dies zeigt, wie tief der Freiheitswillen auch in Ost-
deutschland verankert ist; nicht nur dies ist eine Ge-
meinsamkeit von Ost- und Westdeutschland.


(Beifall bei der SPD)


Haben also die Deutschen zu ihrer Freiheit ein relativ
ungebrochenes Verhältnis, zu ihrer Nation haben sie es
nicht. Das liegt natürlich an unserer Geschichte. Die bei-
den Diktaturen und die deutsche Teilung haben viel
Schmerz und auch viele Trümmer hinterlassen, aber sie
haben auch Irrtümer und Neurosen in unserem Volk be-
wirkt. Nicht alles davon ist heute bereits aufgearbeitet.

Heute sind wir eine gleichberechtigte westliche bzw.
europäische Nation, so wie Frankreich, so wie England
oder Polen, aber auch wie die USA. Das war nicht selbst-
verständlich und das haben auch noch nicht alle in unse-
rem Land nachvollzogen. In diesem Sinne sind wir eine
normale Nation, nicht aber in Bezug auf unsere Ge-
schichte. Sie ist leider einzigartig.

Wir verdanken es bestimmt vielen, dass wir heute über-
haupt wieder eine Nation sind, doch Sie entschuldigen,
wenn ich sage, dass wir es zuerst der friedlichen Revo-
lution in der DDR verdanken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ohne sie und die mit ihr verbundene Entmachtung der
SED hätten die Ostdeutschen keine Freiheit erlangt und
ohne die selbst erkämpfte Freiheit der Ostdeutschen hät-
ten auch die Deutschen nicht in freier Selbstbestimmung
ihre Einheit wiedererlangt.

Die Einheit gelang, weil die Ostdeutschen auf jedes
Sendungsbewusstsein, auf jede Missionierungsidee der

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Stephan Hilsberg

19504


(C)



(D)



(A)



(B)


übrigen Welt verzichtet hatten. Sie wollten keine beson-
dere Demokratie sein, sie wollten keinen dritten Weg ge-
hen oder aber en passant gleich besser sein als die alte
Bundesrepublik. Sie wollten nur eines: Freiheit und
Selbstbestimmung.

1989 galt, was auch schon 1949 gegolten hat, wie dies
die Väter des Grundgesetzes in Bad Godesberg aufge-
schrieben haben. Auch sie wollten nichts anderes sein,
nichts anderes als das für sich beanspruchen, was für alle
anderen westlich-europäischen Nachbarn selbstverständ-
lich war und was diese den Deutschen damals nicht ab-
schlagen konnten: Freiheit und Selbstbestimmung. Alles
andere wäre auch 1989 schief gegangen, denn die Einheit
war damals nicht selbstverständlich, auch wenn manche
glauben, dass der Druck auf der Straße und die Bewegung
des großen friedlichen Aufstands den Rest von allein ge-
bracht hätte.

Erinnern Sie sich noch an jenen Staatsmann, der da-
mals sagte: „Ich liebe Deutschland so sehr, dass ich am
liebsten zwei davon hätte“? Oder erinnern Sie sich an die
Gefühle vieler unserer kleinen Nachbarnationen, die nicht
immer sehr Segensreiches von unserem Land erfahren ha-
ben? Woher sollten da der Wunsch und das Vertrauen in
ein dauerhaftes friedliches Zusammenleben kommen?

Nein, die deutsche Einheit war nicht selbstverständ-
lich. Es war trotz aller Voraussetzungen hohe Staatskunst
nötig, um sie damals zustande bringen zu lassen. An eines
muss man auch erinnern: Es waren die USA, die
nachdrücklich und unbeirrbar an der deutschen Einheit
festgehalten und sie auch gegen die damalige Sowjet-
union durchgesetzt haben.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Angesichts dieser außenpolitischen Situation war es
wohl richtig, 1989 in Ostdeutschland nicht die Einheit an
die erste Stelle zu rücken, sondern eben die Freiheit. Es
war richtig, jede Form von Nationalismus oder isolierter
und verfrühter Behandlung der deutschen Einheit sofort
in die Schranken zu verweisen. Klug und bescheiden
musste damals vorgegangen werden. Dies waren der
Schlüssel und der Kurs zur Wiedererlangung der deut-
schen Einheit 1989 und 1990. Bescheidenheit war da-
mals die Schlüsseltugend. Wer hätte in der ersten Hälfte
des letzten Jahrhunderts gedacht, dass Bescheidenheit zu
einer Schlüsseltugend der Deutschen würde?

Doch diese Bescheidenheit darf nicht mit einem Man-
gel an Stolz oder gar an Selbstachtung verwechselt wer-
den, erst recht nicht mit einem Mangel an politischem
Willen. Wir haben unsere Nachbarn nicht getäuscht. Wir
sind im Sinne der Demokratie eine normale westeupä-
ische Nation geworden. Deutschland ist, wie es Heinrich
August Winkler formulierte, angekommen auf seinem
langen Weg nach Westen. Dies bedeutet übrigens auch,
dass wir die in den langen Jahren der Teilung erfahrene
Solidarität beispielsweise von den USA heute zu-
rückgeben. Es bedeutet auch, dass wir unseren Bündnis-
verpflichtungen zwar nicht unkritisch, aber uneinge-
schränkt nachkommen.

Heute ist zu beobachten, dass die Unterstützung dafür
in Ostdeutschland längst nicht so stark ist wie in den alten

Bundesländern, obwohl es auch hier viele kritische Stim-
men gibt. Dies ist vor dem Hintergrund der geschichtli-
chen Erfahrungen erklärbar; aber es ist auch erklärbar und
rational begreifbar zu machen, dass wir die deutsche Ein-
heit ohne die Bündnisverpflichtung der Bundesregierung
und die erfahrene Solidarität heute nicht hätten. Dies muss
auch in Ostdeutschland deutlich gesagt werden.


(Beifall bei der SPD)


Bescheiden sind wir wieder eine Nation geworden und
bescheiden sind wir, diese Nation. Hierzulande ist es nicht
nötig, dass wir unsere Zugehörigkeit zu unserer Nation
mit irgendwelchen Winkelementen oder kleinen Fahnen
dokumentieren, wie dies für andere Nationen üblich, aber
auch völlig selbstverständlich ist. Denn es darf nicht pas-
sieren, dass wir diese Bescheidenheit wieder für eine
Welttugend ausgeben oder gar meinen, anderen Völkern
damit ein Beispiel geben zu können. Wir Deutschen soll-
ten über niemanden wieder die Nase rümpfen und wir
sollten trotzdem Freiheit und Demokratie, Menschen- und
Bürgerrechte als das ansehen, was sie sind, nämlich uni-
versell – und damit auch zu empfehlen für Völker, die
noch heute meinen, ohne sie auszukommen.

Es ist unsere spezielle Gratwanderung, Zurückhal-
tung zu üben und uns dennoch über den Wert unserer
Form von Freiheit und Demokratie bewusst zu sein. Die-
ses unser nationales Grundverständnis in ein Denkmal für
Freiheit und Einheit zu gießen, wie es der Ausschuss für
Angelegenheiten der neuen Länder meines Erachtens zu
Recht gefordert hat, das ist eine wahrhaft große Heraus-
forderung für den Bundestag und für jeden Künstler, der
einst diesen Auftrag bekommen wird. Es macht nichts,
dass der Bundestag diesen Vorschlag heute voraussicht-
lich ablehnen wird. Er ist richtig und er wird sich durch-
setzen. Wie sagt der Volksmund so schön: Gut Ding will
Weile haben.

Darüber hinaus muss die Einheit noch an vielen Stel-
len unseres Landes vollendet werden. Sie ist ja auch so-
zial zu verstehen. Wenn aber in Ostdeutschland die Ar-
beitslosigkeit manchmal noch doppelt so hoch ist wie im
Schnitt in den alten Bundesländern, dann sind hier noch
große Defizite zu konstatieren. Es gibt weiterhin viel zu
tun, für Demokraten, für Leute, die durch Arbeit beweisen
wollen, dass unsere Idee von 1989/90 richtig war und dass
sie sich durchsetzen wird.

Doch gerade angesichts der vielen Arbeit und der
großen Herausforderungen, die heute vor uns liegen, wäre
es auch gut und wichtig, den zentralen Werten unserer Ge-
sellschaft, der Freiheit und der Einheit, als Symbol dieser
Berliner Republik und als Symbol unseres demokratischen
Selbstverständnisses an einem zentralen, bedeutsamen Ort
ein künstlerisch gelungenes Denkmal zu setzen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419902400
Ich erteile
das Wort dem Kollegen Günter Nooke. Er spricht für die
CDU/CSU-Fraktion.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Stephan Hilsberg

19505


(C)



(D)



(A)



(B)



Günter Nooke (CDU):
Rede ID: ID1419902500
Herr Präsident! Sehr ge-
ehrte Damen und Herren! Als Erstes möchte ich mich für
die staatstragende Rede von Stephan Hilsberg bedanken.
Es ist ja ein Gruppenantrag, über den wir heute hier reden.
Ich finde es gut, dass wir uns noch einmal erinnern. Heute
vor zwölf Jahren fiel die Mauer, wie es immer ein wenig
salopp formuliert wird. Wir erinnern uns an ein legendä-
res Missgeschick, das dem damaligen Politbüromitglied
Günter Schabowski am Abend des 9. November unterlief,
als er seinen Sprechzettel falsch interpretierte und freie
Reisemöglichkeiten ab sofort verkündete. In der Folge
dieses Irrtums strömten die Berliner zu Tausenden an die
Grenzübergänge. Die völlig überforderten Grenzwächter,
von denen einer die Information an seine Kollegen gab:
„Wir fluten jetzt“, konnten den Strom nicht mehr aufhal-
ten.

Es wurde darauf hingewiesen: Wir alle wissen, dass
dieses Ereignis nur der Schlusspunkt einer Entwicklung
war. Das, was zu diesem Mauerfall vor zwölf Jahren
führte, die friedliche Revolution der Ostdeutschen,
gehört zu den positiven Bezugspunkten deutscher Ge-
schichte, einer Geschichte, die bekanntlich gerade im
20. Jahrhundert viele Tiefen erlebt hat.

Die friedliche Revolution vom Herbst 1989 war die
Voraussetzung für die deutsche Einheit. Eigentlich muss
man sich die Frage stellen, warum es in einem Land, das
zweifellos Affinitäten zu Denkmälern hat, nicht schon
längst ein Denkmal für dieses Ereignis gibt. Ich halte es
mit den 177 Befürwortern unseres Gruppenantrages für
angemessen, dass gerade in der Mitte der Bundeshaupt-
stadt mit einem Freiheits- und Einheitsdenkmal daran er-
innert wird.

Wenn die vielen Besucher unserer Hauptstadt in deren
historische Mitte kommen, dann könnten sie in absehba-
rer Zeit folgendes Panorama erleben: Am sowjetischen
Ehrenmal in Tiergarten vorbei gelangen die Besucher an
der Skulptur der Ruferin über die Mauer hin zum Reichs-
tag. Von da aus wird sie ihr Gang hinüber zum Denkmal
für die ermordeten Juden Europas führen, danach zu der
historischen Meile Unter den Linden. Das Brandenburger
Tor im Rücken geht es am frisch renovierten Denkmal
von Friedrich dem Großen vorbei, unübersehbar die
Standbilder der Brüder Wilhelm und Alexander von
Humboldt und gegenüber auf dem Bebelplatz das in den
Boden eingelassene Mahnmal zur Bücherverbrennung.
Vorbei an der beeindruckenden Pieta von Käthe Kollwitz
in Schinkels Neuer Wache, gegenüber, etwas versteckt
noch, die Offiziere der Befreiungskriege, wird man bald
auf der anderen Seite vor einer großen Baustelle stehen,
dem Berliner Schloßplatz. Am ehemaligen DDR-
Staatsratsgebäude erinnert noch das Portal an das Schloss,
von dessen Balkon aus 1918 die erste deutsche Republik
ausgerufen wurde, die bekanntlich 1933 scheiterte.

Der Platz auf dem Sockel der Schloßfreiheit, der Ende
des 19. Jahrhunderts für das Reiterstandbild Wilhelms I.
errichtet wurde, ist wie kein anderer Ort in der Hauptstadt
geeignet, ein solches Denkmal für die einzige erfolgreiche
Revolution für Freiheit und Einheit zu errichten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Tatsache, dass ein Steinwurf von diesem Ort ent-
fernt in der ehemaligen Volkskammer der DDR am
23. August 1990 der Beschluss zur staatlichen Wieder-
vereinigung gefasst wurde, unterstreicht diesen histori-
schen Anspruch.

Ich will wiederholen, was ich am 13. April 2000 bei der
Einbringung des Antrags für ein Freiheits- und Ein-
heitsdenkmal in diesem Hohen Hause ausgeführt habe:

Dieser Ort ist viel zu wichtig, als dass er vielleicht
nur Abstellplatz für Baucontainer und Anlegeplatz
für Kaffeefahrten mit den Spreedampfern sein sollte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Als ich mit einer kleinen Gruppe bereits 1998 die Ini-
tiative für ein solches Denkmal ergriff, konnten wir in
kürzester Zeit sehr prominente Befürworter für das Pro-
jekt gewinnen. Darunter waren unter anderem die SPD-
Politiker Richard Schröder und Klaus von Dohnanyi so-
wie der damalige Präsident des Zentralrats der Juden in
Deutschland, Ignaz Bubis.

Mir ist deshalb nicht verständlich, warum zum Beispiel
die Kollegin Angelika Krüger-Leißner ihre ablehnende
Haltung dem Antrag gegenüber damit begründen konnte,
die Notwendigkeit eines solchen Denkmals zu dieser Zeit
an diesem Platz sei zu bezweifeln. Ich denke, auch das,
was Stephan Hilsberg hier eben gesagt hat, macht deut-
lich, dass man das sehr wohl anders sehen kann.

Des Weiteren gaben Sie damals an, der Zeitpunkt sei
ungeeignet, es werde mit einem solchen Denkmal ein
falsches Zeichen gesetzt, da der Einigungsprozess noch
nicht abgeschlossen sei. – Soweit das Zitat aus dem Pro-
tokoll der Sitzung des federführenden Kulturausschusses.

Herr Fink von der PDS sekundierte und gab außerdem
– Entschuldigung – die etwas kryptische Begründung, im
vorliegenden Antrag sei von der Erinnerung an die Revo-
lution nicht die Rede. Da müssen Sie einfach nur den An-
trag richtig lesen. Ich werde bei alledem das Gefühl nicht
so recht los, dass es sich um unangebrachte und unsach-
gemäße Kritik handelt, die vielleicht sogar die prinzipielle
Ablehnung der friedlichen Revolution der Ostdeutschen
verbergen soll.


(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)


Das hoffe ich allerdings nicht. Aber das muss man hier
dann auch anders sagen. Ich finde nur, verehrte Kollegin
Krüger-Leißner und Herr Fink, wir sollten darüber reden.
Ich glaube, das ist nicht Ihre Meinung. Ihre Begründung
zur Ablehnung des Antrages im Kulturausschuss ist für
mich zumindest fragwürdig.

Uns die Gelegenheit zu geben – wie es auch die Aus-
schussvorsitzende, Frau Griefahn, machte – den Antrag
zu überarbeiten und zu irgendeinem späteren Zeitpunkt
noch einmal vorzulegen ist ein – vorsichtig formuliert –
durchsichtiges Manöver, zumal Sie keinerlei Angaben
dazu machen, welche Stellen des Antrages denn über-
arbeitet werden sollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Doch, die haben Sie selbst genannt!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119506


(C)



(D)



(A)



(B)


Frau Krüger-Leißner meint, ein Denkmal zur Erinne-
rung an die friedliche Revolution und die Wiederherstel-
lung der staatlichen Einheit der Deutschen sei jetzt nicht
möglich, weil der Einigungsprozess noch nicht abge-
schlossen sei. Was soll das? Die zahllosen kunstvollen Es-
says, in denen über angebliche oder tatsächliche mentale
Unterschiede zwischen Ost und West referiert wird, wird
es auch in den nächsten Jahren noch geben. Wir Deutsche
sind nun mal so. Dazu kann man stehen, wie man will.
Aber unzweifelhaft ist doch, dass es die friedliche Revo-
lution und die staatliche Einheit in Deutschland gegeben
hat. Beide Ereignisse gehören nun wirklich zum Besten,
was die deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert aufzu-
weisen hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Mit einem Denkmal an diesem Ort würde diesem posi-
tiven Bezug meines Erachtens in angemessener Weise ein
äußeres Zeichen gesetzt. Ich glaube sogar, dass ein sol-
ches Denkmal den Prozess der so genannten inneren Ein-
heit eher beschleunigen würde. Gerade aus der Sicht der
Ostdeutschen ist das wichtig; denn sie hatten in den letz-
ten Jahren manchmal das Gefühl, dass ihr ureigenster Bei-
trag zur deutschen Einheit, nämlich die friedliche Revo-
lution, ein wenig in den Hintergrund des öffentlichen
Interesses getreten war.

Ich glaube, dass mit dem vorliegenden Antrag zur Er-
richtung eines Einheits- und Freiheitsdenkmals, den par-
teiübergreifend 177 Kolleginnen und Kollegen dieses
Hohen Hauses unterschrieben haben, eine gute Vorausset-
zung gegeben ist, diesem positiven Bezugspunkt der deut-
schen Geschichte ein würdiges äußeres Zeichen zu setzen.
Leider ist der positiven Beschlussfassung des Ausschus-
ses für Angelegenheiten der neuen Länder und unserem
Vorschlag, es Freiheits- und Einheitsdenkmal zu nennen
und damit die korrekte Reihenfolge festzusetzen, im fe-
derführenden Ausschuss für Kultur und Medien nicht ge-
folgt worden.

Ich bitte Sie deshalb – auch im Namen von Kollegin-
nen und Kollegen aus vier Fraktionen dieses Hohen Hau-
ses –, die Beschlussempfehlung des Kulturausschusses
abzulehnen. Ich glaube, auch die Rede von Stephan
Hilsberg hat deutlich gemacht, dass es dafür gute Gründe
gibt.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419902600
Der Re-
debeitrag der Kollegin Dr. Antje Vollmer, Bündnis 90/Die
Grünen, wird zu Protokoll gegeben.1)

Ich gebe nunmehr das Wort der Kollegin Cornelia
Pieper für die Fraktion der FDP.


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1419902700
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! In der Tat, es handelt sich um einen frak-

tionsübergreifenden Antrag und das ist gut so, denn das
Thema der deutschen Einheit sollte nicht nur unser Volk,
sondern dieses Haus einen und nicht spalten. Die Antrag-
steller waren sich durchaus bewusst, dass das Ereignis der
friedlichen Revolution 1989, des Falls der Mauer, herbei-
geführt durch die Ostdeutschen, eine historische Stunde
war. Es war die Stunde der Demokratie, es war die Stunde
des Volkes, das mit Montagsdemonstrationen seine
Stimme für mehr Freiheit und Bürgerrechte erhob. Das
Ergebnis war die deutsche Einheit, durch eine kluge Poli-
tik politisch vollendet.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Vollendung der inneren Einheit bleibt die Aufgabe
für uns Deutsche und es bleibt auch die Aufgabe, Leis-
tungen, Lebensleistungen von Ostdeutschen mehr anzu-
erkennen. Es bleibt ferner die Aufgabe, das historische Er-
eignis der friedlichen Revolution mehr anzuerkennen. Es
war die einzige friedliche Revolution, die es je in der Ge-
schichte dieser Welt gab. Es ist ein historisch einmaliges
Ereignis, für viele in Deutschland vielleicht eine Selbst-
verständlichkeit geworden, für uns Liberale wird es nie
eine Selbstverständlichkeit sein.

Ich sage auch, angesichts der Ereignisse am 11. Sep-
tember dieses Jahres sollte uns diese friedliche Revolu-
tion ganz bewusst noch einmal in Erinnerung gerufen
werden.


(Beifall bei der FDP)


Gerade als Mahnmal gegen Krieg und Terrorismus, gegen
Gewalt, als Denkmal für Frieden und Freiheit hätte solch
ein Denkmal besonders heute eine unvergleichliche Sym-
bolik, zudem in der Bundeshauptstadt Berlin. Es wäre ein
Zeichen für neu gewonnenes Selbstvertrauen mündiger,
selbstbewusster Bürger, ein Symbol für Patriotismus. Es
wäre ein Symbol für ein neues, modernes nationales
Selbstbewusstsein.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Umso unverständlicher ist mir und meiner Fraktion die
Ablehnung dieses Antrages durch eine Allianz aus SPD
und PDS.


(Widerspruch bei der SPD – Ilse Janz [SPD]: Das hatten wir diese Woche oft, diese Koalition mit FDP und PDS!)


– Ja, ich weiß, dass Sie diese Argumentation nicht ertra-
gen. Aber es ist leider die Realität; es steht im Protokoll
des Ausschusses.

Als ich davon erfuhr, dass der federführende Aus-
schuss für Kultur und Medien den Ihnen heute zur Ab-
stimmung vorliegenden Antrag mit den Stimmen der SPD
und der PDS abgelehnt hat, hat es zumindest mir die Spra-
che verschlagen,


(Ilse Janz [SPD]: Wir waren keine Blockpartei!)


weil ich weiß, dass viele Kollegen gerade aus der SPD-
Fraktion diesen Antrag unterstützt haben. Dieser Koa-
lition wollten sich anscheinend nicht einmal die Grünen

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Günter Nooke

19507


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 4

anschließen, denn bei der Schlussabstimmung im feder-
führenden Ausschuss für Kultur und Medien waren sie
– zumindest laut Protokoll – nicht anwesend. Frau
Vollmer hat ja auch heute wieder ihre Rede zu Protokoll
gegeben.


(Zuruf von der SPD: Das ist ihr gutes Recht!)


SPD und PDS begründeten ihre Ablehnung damit, die
Berliner Schlossfreiheit sei der falsche Platz.


(Zuruf von der SPD: Das stimmt ja auch!)


– Nein, mein Kollege Nooke hat hier zu Recht schon da-
rauf hingewiesen: Es ist genau der richtige Ort, wo solch
ein Denkmal stehen sollte.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Es ist nicht nur der zentrale Ort für die friedliche Re-
volution, für Freiheit und Demokratie 1989, es ist über-
haupt der Ort der bürgerlichen Revolution. Es ist der
Ort vor dem Schloss, wo 1848 die bürgerliche Revolution
stattgefunden hat, eine blutige Revolution. Ich finde es
ganz wichtig, dass an diesem Ort, wo später eine friedli-
che Revolution stattgefunden hat, symbolisch deutlich ge-
macht werden kann, welche Bedeutung solch ein Ereignis
hatte; immerhin ist die deutsche Einheit wieder hergestellt
worden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Die Schlossfreiheit ist der Ort, wo das Denkmal Wil-
helms I. stand. Es ist also eigentlich ein wilhelminischer
Platz. Aber man hätte dieser wilhelminischen Architektur,
dieser monarchischen Kultur durch ein neuartiges Denk-
mal für Freiheit und Demokratie die republikanische Be-
scheidenheit entgegenstellen können. Auch deshalb ist es
der richtige Ort.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Meine Fraktion bedauert außerordentlich – wie wir es
in der Abstimmung wohl erleben werden –, dass seitens
SPD und PDS der Beschlussvorlage aus dem Ausschuss
für Kultur und Medien zugestimmt wird.


(Jörg Tauss [SPD]: Nach Ihrer Rede jetzt schon! Wir sind fest entschlossen!)


Ich habe jegliche Wertschätzung für die Meinung von
Herrn Hilsberg und anderer Kollegen Ihrer Fraktion.


(Jörg Tauss [SPD]: Kommt aus der Blockpartei und dann das! Billige Polemik!)


Aber Ihre Begründung im Ausschuss – zumindest wie ich
sie dem Protokoll entnehmen konnte – war wirklich fa-
denscheinig und nicht nachvollziehbar.

Und da war doch noch etwas! Da war noch etwas, das
nannte sich „Chefsache“ – Chefsache neue Bundesländer,
Chefsache Aufbau Ost. Wenn ich hier zur Regierungsbank
schaue, dann sehe ich den Staatsminister für Kultur, aber
sonst niemanden von der Bundesregierung, der zuständig
wäre und sich für dieses Thema interessierte. Lippenbe-
kenntnisse über die Vollendung der inneren Einheit rei-
chen nicht. Wir wollen endlich Taten sehen statt Worte

hören. Deswegen werden wir dieser Beschlussvorlage
nicht zustimmen können.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419902800
Für die
Fraktion der PDS spricht der Kollege Professor
Dr. Heinrich Fink.


Dr. Heinrich Fink (PDS):
Rede ID: ID1419902900
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Ich stimme Herrn Hilsberg
zu: Es ist schon ein historisches Datum, dieser 9. Novem-
ber. In vierfacher Hinsicht ist heute an den 9. November
zu erinnern. Insofern ist der Tag, an dem wir über dieses
Thema reden, ein bedenkenswertes Datum.

Wir reden heute nicht über irgendein Denkmal auf ir-
gendeinem Platz in der Hauptstadt, sondern über das Ein-
heits- und Freiheitsdenkmal, das auf dem Schlossplatz
stehen soll, in der historischen Mitte Berlins. Es gilt fest-
zustellen, dass dieses Areal eine städtebaulich-architekto-
nische Gesamtkonzeption braucht, bei der jedes Teil des
künftiges Ensembles zu einem Ganzen wird.


(Beifall bei der PDS)


Darum muss die Schlossplatzgestaltung mit großer
Sorgfalt und – darum bitte ich wirklich, Frau Pieper –
ohne ideologische Verengung angegangen werden. Von
uns kommt die ideologische Verengung nicht. Diese Ge-
samtkonzeption ist seit Jahren in der Diskussion, liegt
aber noch nicht vor. Wir meinen, dass die historische
Mitte Berlins als Gegengewicht zum Regierungsviertel
und zum Potsdamer Platz öffentlicher Raum bleiben bzw.
wieder werden sollte.


(Beifall bei der PDS)


Deshalb wäre der Einzelbeschluss zu einem Denkmal
nach meiner Meinung ein unsachgemäßer Eingriff in ei-
nen offenen Prozess.

In der Begründung der Antragsteller zur Errichtung des
Einheits- und Freiheitsdenkmals heißt es, dass der Prozess
der europäischen Einigung durch den Sieg der freiheitli-
chen, demokratischen und nationalen Bewegungen erst
seine gesamteuropäische Dimension erhalten habe. Die
Antragsteller sehen also die friedliche Revolution von
1989 in der DDR als die Vollendung der niedergeschla-
genen Revolution von 1848. Dass bei diesem kühnen
Brückenschlag die erste deutsche Republik, nämlich die
Weimarer, nicht erwähnt ist,


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Stimmt doch nicht! – Cornelia Pieper [FDP]: Steht doch im Antrag!)


ist sehr bedenklich.

Ich frage: Kann man ernsthaft wollen, dass die kaiser-
liche Sockelvakanz mit einem Denkmal für die deutsche
Wiedervereinigung und Freiheit besetzt wird?


(Cornelia Pieper [FDP]: Ich habe es doch begründet, Herr Fink!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Cornelia Pieper

19508


(C)



(D)



(A)



(B)


Lässt sich die 1989er-Bürgerrechtsbewegung der DDR in
Metallguss, Marmor – oder vielleicht besser noch: als Per-
petuum mobile – in Erinnerung behalten? Übrigens waren
die Friedensgruppen – das ist eine Begründung, die noch
fehlt –, die von dem Helsinki-Verständigungsprozess be-
stimmt waren, doch ein wichtiger Teil der Bürgerbewe-
gung der DDR. Die kirchlichen Gruppen sammelten sich
im konziliaren Prozess in Erinnerung an das 1934 von
Dietrich Bonhoeffer geforderte Konzil für den Frieden
unter dem Thema: Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung
der Schöpfung. Dies sind Themen, die aus historischer
Sicht nicht mit dem Denkmalstichwort „Freiheit und Ein-
heit“ abgedeckt werden. Die biblische Verheißung
„Schwerter zu Pflugscharen“ war das zentrale Symbol für
Christen und Nichtchristen. Das soll doch in Erinnerung
bleiben.


(Beifall bei der PDS)


Im vorliegenden Antrag wird ausführlich beschrieben,
dass die Wiedervereinigung Deutschlands 1990 im Ge-
gensatz zu Bismarcks Einigungswerk von oben dem un-
beirrten Engagement unzähliger Basisgruppen von unten
zu verdanken ist. Natürlich stimmt das. Deshalb bin ich
davon überzeugt, dass die Basis, also die Bürgerinnen und
Bürger in den neuen Bundesländern, über ihr Denkmal
mitentscheiden sollten und nicht nur wir als Mandatsträ-
ger im Bundestag unmittelbar darüber bestimmen.


(Cornelia Pieper [FDP]: Es sollte eine öffentliche Ausschreibung stattfinden!)


Es hat auch in diesem Hause heftige Debatten darüber
gegeben, ob überhaupt ein Denkmal für die ermordeten
Juden Europas errichtet werden soll. Der Bau dieses
Denkmals hat vor wenigen Tagen begonnen. Ich bin dank-
bar, dass wir am heutigen 9. November 2001 dies sagen
können.


(Beifall bei der PDS)


Aber das Denkmal für die im Namen Großdeutschlands
vernichteten Sinti und Roma, für die Euthanasieopfer und
für die Lesben und Schwulen ist bis jetzt noch nicht vor-
handen.

Wir sollten es uns mit der Entscheidung für ein
Einheitsdenkmal schon schwer machen. Vielleicht sollten
wir es überhaupt der nachfolgenden Generation überlas-
sen, ob sie uns ein Denkmal setzen will.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Ihnen soll ja auch keines gesetzt werden!)


– Warten Sie nur.

Meine Fraktion kann aus diesen Gründen dem Antrag
nicht zustimmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419903000
Ich erteile
dem Kollegen Eckhardt Barthel für die Fraktion der SPD
das Wort.


Eckhardt Barthel (SPD):
Rede ID: ID1419903100
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Ich möchte vorwegschicken:
Der Beitrag von Herrn Hilsberg hat mich sehr beein-
druckt. Ich glaube, das war der richtige Beitrag am richti-
gen Tag und am richtigen Ort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich gehe davon aus, dass in diesem Hause hinsichtlich die-
ses Beitrages ein Konsens besteht.

Jetzt sprechen wir aber – ich erlaube mir, darauf hin-
zuweisen – über die Frage, ob aufgrund der Inhalte, die
Herr Hilsberg dargestellt hat, zum jetzigen Zeitpunkt not-
wendigerweise ein Denkmal entstehen muss. Ich bitte Sie
wirklich, dies nicht miteinander zu vermischen. Es wäre
meines Erachtens ein zu kurzer Schluss.

Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, dann diskutie-
ren wir bereits seit ungefähr anderthalb Jahren über den
vorliegenden Antrag. Meines Erachtens hat es am Anfang
gute Gespräche gegeben. Herr Nooke, wir haben zusam-
mengesessen und uns Gedanken darüber gemacht, was
verändert werden sollte. Ich freue mich zum Beispiel da-
rüber, dass aus dieser Diskussion heraus die Frage, ob das
Denkmal nun als „Einheits- und Freiheitsdenkmal“ oder
als „Freiheits- und Einheitsdenkmal“ bezeichnet werden
soll, beantwortet werden kann. Ich erinnere mich in die-
sem Zusammenhang an Markus Meckel, der hier sagte:
Erst war die Freiheit und dann war die Einheit. – Das
sollte aufgenommen werden.

Es gab weitere Diskussionspunkte und viele sind noch
ungeklärt. Ich denke nur an die Frage des Ortes. Sie ha-
ben sich darauf festgelegt, dass es auf der Schlossfreiheit
errichtet werden soll. Herr Nooke, Sie selbst haben in Ih-
rer Rede am 13. April 2000, als wir hier über die Errich-
tung eines Denkmals diskutiert haben, zur Frage des Or-
tes gesagt: Was den Ort anbelangt, so kann und wird man
sicher darüber diskutieren. – Es gibt nämlich andere Stim-
men, die durchaus für dieses Denkmal sind und die die
Frage in die Debatte werfen: Wie ist es zum Beispiel mit
Leipzig? – Darüber kann man sprechen. Ich halte es für
ein bisschen zu verengt, zu sagen: Dieser Ort muss es sein.


(Cornelia Pieper [FDP]: Man kann es auch zerreden!)


Frau Pieper, Sie haben bezüglich des Denkmals jetzt
alles so festgelegt. Dazu möchte ich Ihnen sagen – ich bin
ja Mitglied des Kulturausschusses –: Der Kollege Otto,
der immer zu sehr vornehmen und höflichen Formulie-
rungen neigt – deswegen schätze ich ihn so; schade, dass
er nicht da ist –, meinte zu diesem Antrag, er müsse – die-
ses schöne Wort habe ich mir extra aufgeschrieben – „op-
timiert werden“. – Das ist nicht geschehen. Ich weiß nicht,
welche Konsequenz das inzwischen für Sie hat.


(Cornelia Pieper [FDP]: Er sollte aber auch beschlossen werden!)


– Erst optimiert man und dann beschließt man, nicht um-
gekehrt. So verstehe jedenfalls ich das.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS – Cornelia Pieper [FDP]: Beides hätten Sie im Ausschuss tun können!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Dr. Heinrich Fink

19509


(C)



(D)



(A)



(B)


Es wurde in der Tat auf die Begründung für die An-
nahme des Antrages hingewiesen. Mir gefällt diese Be-
gründung ausgezeichnet, auch weil die Revolution von
1848 hier mit einbezogen wird. Das hat mir sehr gefallen.
Bei der Denkmalreise, Herr Nooke, die Sie jetzt gemacht
haben, haben Sie ausgerechnet den Platz des 18. März vor
dem Brandenburger Tor vergessen. Daran hat doch je-
mand gedreht.

Es geht um diesen Antrag. Mir liegt wirklich daran,
dass man nicht aus einer Rede – ich beschränke mich be-
wusst auf Herrn Hilsberg – automatisch folgert, das Denk-
mal müsse errichtet werden.

Mein Name steht mit auf diesem Antrag. Ich habe ihn
aus zwei Gründen mit unterschrieben. Ich fühle mich ver-
pflichtet, sie hier zu nennen. Ich habe unterschrieben, weil
ich meine, dass das Ereignis der friedlichen Revolution
vom Herbst 1989 in der Tat im Stadtbild sichtbar und sinn-
lich erfahrbar sein muss. Die Begründungen hierfür sind
schon genannt worden; ich will sie nicht wiederholen.

Es gab noch einen zweiten Grund. Ich bin davon aus-
gegangen, dass dies ein Antrag ist, hinter dem die Mit-
glieder dieses Hauses aus den neuen Bundesländern ste-
hen. Es ist zu Recht – Herr Hilsberg hat dies getan –
darauf hingewiesen worden, dass die friedliche Revolu-
tion ihr Beitrag war. Wenn sie sagen, sie wollten dieses
Denkmal, dann kann ich, der ich auf der anderen Seite der
Mauer gelebt habe, dem nicht widersprechen. Deswegen
war ich der Ansicht, dass man diesem Antrag zustimmen
sollte.

Wir alle haben daraufhin einen Brief von Gunter
Weißgerber bekommen. Er war einer der Redner auf den
Montagsdemonstrationen in Leipzig. Gestatten Sie mir,
dass ich daraus einige Sätze vorlese:

Auch glaube ich, dass es Menschen und Demokratien
ohnehin besser ansteht, nicht schon zu Lebzeiten ihr
Denkmal zu bekommen. Anders ausgedrückt: Ich
verspüre ein ungutes Gefühl, wenn wir als die damals
gemeinsam mit Millionen anderen Handelnden – und
noch heute zu den Agierenden gehören – jetzt oder in
naher Zukunft ein Denkmal schaffen. Ich rate also
von diesem Vorhaben ab.


(Beifall bei der SPD)


Ich gestehe: Dieser Brief hat mich beeindruckt. Ich
habe etwas gemacht, was man nicht gerne macht. Ich habe
mich von meiner eigenen Unterschrift auf dem Antrag für
den Bau dieses Denkmals zum jetzigen Zeitpunkt – ich
lege Wert auf diese Begrenzung – distanziert, weil ich in
der Tat glaube: Dieses Denkmal ist nötig, aber jetzt ist
nicht der richtige Augenblick dafür. Ich bedaure es, wenn
Sie, Frau Pieper, und auch Sie, Herr Nooke, diese Ausei-
nandersetzung, die mir nicht leicht gefallen ist – ob Sie
mir das jetzt abnehmen oder nicht, ist mir egal –, so sehen,
dass Sie daraus ein Bündnis zwischen SPD und PDS ma-
chen.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Das habe ich nicht gemacht!)


– Herr Nooke, manches schreibe ich mir auf. Sie wurden
im „Focus“ vom 5. November dieses Jahres folgender-

maßen zitiert: „Die Sozialdemokraten wollen kein positi-
ves neues deutsches Nationaldenkmal.“ Sie wissen, dass
wir unterschiedliche Positionen haben. Ich finde, Sie soll-
ten diese parteipolitische Instrumentalisierung der friedli-
chen Revolution sein lassen, auch wenn mein Appell
keine Wirkung haben wird.


(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich halte den Zeitpunkt für dieses Denkmal für ver-
früht. Deshalb werde ich den Antrag, den ich selbst mit
unterschrieben habe – das betone ich noch einmal –, ab-
lehnen. Ich sehe für uns zurzeit andere Schwerpunktauf-
gaben. Es ist sicherlich richtig, wenn man sagt: Der Eini-
gungsprozess dauert etwa eine Generation.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: So lange müssen Sie aber nicht reden!)


Dieses sollte auch für das Denkmal gelten. Es gibt hier
durchaus eine Parallelität. Jeder, der in Berlin lebt und das
letzte Berliner Wahlergebnis mit der politischen Spaltung
mitbekommen hat, wird sagen: Im Moment muss es vor-
rangig darum gehen, nicht ein Einheitsdenkmal zu errich-
ten, sondern den Einigungsprozess voranzutreiben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419903200
Herr Kol-
lege Barthel, möchten Sie noch eine Frage beantworten? –
Nein.

Dann gebe ich dem Kollegen Eckart von Klaeden für
die Fraktion von CDU/CSU das Wort.


Eckart von Klaeden (CDU):
Rede ID: ID1419903300
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren Kollegen! Der 9. November ist
der Schicksalstag der deutschen Geschichte im letzten
Jahrhundert. Darauf ist schon von einigen Rednern hinge-
wiesen worden. Ausrufung der Weimarer Republik, der so
genannte Marsch auf die Feldherrenhalle, die Reichspo-
gromnacht und schließlich die friedliche Revolution von
1989, verbunden mit dem Fall der Mauer, kennzeichnen
diesen Tag.

Welche Konsequenzen gilt es an einem solchen Tag,
aber nicht nur an diesem zu ziehen? Welche Verantwor-
tung haben wir nicht nur als Bürgerinnen und Bürger, son-
dern auch als Abgeordnete eines in Freiheit und Demo-
kratie geeinten Deutschland? Die Botschaft lautet: Wir
wollen, dass nie wieder Extremisten, bewaffnet oder un-
bewaffnet, die demokratische Ordnung unseres Landes
gefährden oder gar zerstören. Wir wollen, dass nie wieder
in Deutschland Gotteshäuser brennen, dass Menschen nie
wieder wegen ihrer Rasse, ihrer Sprache, ihrer Heimat
und Herkunft, ihres Glaubens oder ihrer religiösen oder
politischen Überzeugungen benachteiligt, verfolgt oder
gar ermordet werden. Wir wollen, dass nie wieder in
Deutschland ein Staat errichtet wird, der nur die Führung
einer Partei kennt, der seine Bürger bespitzelt, der seine
Gegner, die friedlich für Freiheit und Demokratie eintre-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Eckhardt Barthel (Berlin)


19510


(C)



(D)



(A)



(B)


ten, benachteiligt, foltert oder gar ermordet und in dem die
Menschen ihr Grundrecht auf Freizügigkeit, zu dem auch
das Recht gehört, das Land verlassen zu dürfen, gegebe-
nenfalls mit dem Tode bezahlen müssen.

Deswegen müssen wir uns an die Opfer erinnern und
müssen auch an diejenigen erinnern, die sich gegen den
DDR-Staat gewehrt haben und die für Freiheit und De-
mokratie eingetreten sind. Eine Demokratie, die die dun-
klen Seiten ihrer Geschichte vergessen machen wollte,
wäre auf Sand gebaut. Sie verletzte erneut die Würde der
Opfer und taugte nicht für die Zukunft.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


So ist die Weimarer Republik, die erste Demokratie auf
deutschem Boden, nicht nur an den sich gegenseitig auf-
schaukelnden politischen Extremen und der Machtüber-
nahme der Nationalsozialisten gescheitert, sondern auch
deshalb, weil es zu wenige gab, die sich für Freiheit und
Demokratie einsetzten.

Wir wollen mit dem Denkmal für Freiheit und Einheit
ein Zeichen für die Frauen und Männer setzen, die sich
dafür in der DDR eingesetzt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deswegen ist die Kritik, die an dieser Idee geäußert wird,
unberechtigt. Ich meine nicht die Kritik, die heute hier
vorgetragen wurde, sondern die, die in der Öffentlichkeit
laut wurde. Ich möchte an einen Artikel in der „Berliner
Morgenpost“ erinnern. Dort heißt es, es gehe um „ein
neues nationales Glücksgefühl“. Weiter heißt es:

Mögen die von der Last der deutschen Geschichte
Gebeugten also künftig zum Holocaust-Mahnmal
gehen, wer Freude und Stolz empfindet, wendet auf-
recht sich zur Schlossfreiheit.

Gerade darum geht es nicht. Es geht nicht um einen Ge-
gensatz, nicht um Verdrängung. Es geht vielmehr um den
gleichen Gedanken, aus dem heraus wir den Bau des Ho-
locaust-Mahnmals beschlossen haben. Ich habe damals zu
den Rednern meiner Fraktion gehört, die für das Holo-
caust-Mahnmal eingetreten sind. Es geht nämlich um den
Gedanken der Verantwortung für die Demokratie und
die Sorge um die Zukunft unseres Landes, wenn wir uns
heute für die Errichtung eines Freiheits- und Einheits-
denkmals auf der Berliner Schlossfreiheit aussprechen.

Das Selbstverständnis eines demokratischen Staates
lebt auch davon, dass wir derjenigen gedenken und sie uns
zum Vorbild nehmen, die in widriger Zeit für die Ideale des
demokratischen Staates und für Menschenrechte einge-
treten sind. Mein Eindruck ist, dass die Heldinnen und
Helden – ich benutze diese Worte bewusst – der friedlichen
Revolution von 1989 in den Sonntagsreden und Feierstun-
den zwar immer ihren angemessenen Platz finden, ihre all-
tägliche Behandlung aber nicht gerade zu den Ruhmes-
blättern der jungen vereinten Bundesrepublik gehört.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich erinnere nur an das aus meiner Sicht unerträgliche
Missverhältnis zwischen den üppigen Rentenzahlungen
an die Täter auf der einen Seite und den schmalen Ent-

schädigungsleistungen für die Opfer der SED-Diktatur
auf der anderen Seite.


(Zuruf von der SPD: Wer hat Ihnen denn diesen Mist aufgeschrieben?)


Opfer sind häufig diejenigen gewesen, die sich für
Freiheit und Demokratie eingesetzt haben. Wir haben in
den letzten Jahren aus anderen Gründen – zu Recht – im-
mer wieder betont, dass wir mehr Zivilcourage wollen.
Häufig ist von dem Pult aus, an dem ich jetzt stehe, der
Appell an die Bevölkerung gerichtet worden, mehr Zivil-
courage zu zeigen. Ich finde, dass wir derjenigen, die Zi-
vilcourage in der DDR gezeigt haben, entsprechend ge-
denken müssen. Es darf nicht der Eindruck entstehen, es
sei sowieso sinnvoller, sich einem menschenverachtenden
System anzupassen, weil man in der Demokratie aus
opportunistischen Gründen – aus Gründen der Mehrheits-
bildung – schnell bemüht ist, mit den Tätern seinen Frie-
den zu machen, damit man mit ihren Anhängern gemein-
same Koalitionen bzw. gemeinsame Mehrheiten bilden
kann, sodass die Opfer sowie die Widerstandskämpfer
dann hinten herunterfallen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich möchte in diesem Zusammenhang an die Adresse
der PDS deutlich sagen, dass es mir nicht so sehr um das
Verhalten Ihrer Mitglieder in der Vergangenheit geht. Es
geht mir vielmehr um das Verhältnis, das Sie heute zu Ih-
rer Vergangenheit haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Was das in einem konkreten Fall bedeuten kann, hat ja
gestern unser Kollege Werner Schulz in seiner beein-
druckenden Kurzintervention sehr deutlich gemacht.

Ich glaube, dass ein Freiheits- und Einheitsdenkmal
auf der Berliner Schlossfreiheit einen Beitrag zu einem
aufgeklärten Patriotismus leisten kann, der seine
Grundlage in den Werten unserer Verfassung hat.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs)


Die Westdeutschen haben das Glück gehabt, nach der
Niederlage des Zweiten Weltkrieges und der Befreiung
vom Nationalsozialismus die Möglichkeit zu haben, einen
freien Staat aufzubauen. Das war ein Geschenk, das sich
die Westdeutschen nicht selber erstritten haben. Die Ost-
deutschen haben mit der friedlichen Revolution unser
Volk von dem Makel befreit, unsere eigene Freiheit noch
nie selber erkämpft zu haben. Beides zusammen – der
Aufbau einer stabilen Demokratie im Westen und das Er-
kämpfen der Freiheit in Ostdeutschland – kann zu diesem
gemeinsamen aufgeklärten Patriotismus beitragen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dieser aufgeklärte Patriotismus kann seinen Ausdruck

in dem Einheits- und Freiheitsdenkmal finden. Die Vorstel-
lung, dass unsererseits die Einheit vor der Freiheit kommen
könnte, ist allein deswegen schon abwegig, weil wir die
Einheit ohne Freiheit jederzeit hätten haben können. Spätes-
tens nach der Stalinnote ist klar gewesen, dass eine Einheit
in Unfreiheit möglich gewesen wäre. Sie ist von allen in
diesem Hause vertretenen Fraktionen – bis auf die schon
erwähnte Ausnahme – immer wieder abgelehnt worden.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Eckart von Klaeden

19511


(C)



(D)



(A)



(B)


Deswegen meine ich, dass das Einheits- und Freiheits-
denkmal einen wesentlichen Beitrag zu dem Einigungspro-
zess, der von den Kolleginnen und Kollegen zu Recht an-
gesprochen worden ist, leisten kann. Ich glaube nicht, dass
wir auf seine Beendigung warten müssen, sondern dass die
Würdigung der friedlichen Revolution ein wesentlicher
Beitrag zur Beförderung dieses Prozesses sein kann.

Schließlich zum Ort. Sie haben insofern Recht, als in
Leipzig ein solches Denkmal sicherlich angebracht ist.
Ich finde, dass auch in einer westdeutschen Stadt als Re-
verenz an die ostdeutsche Revolution ein solches Denk-
mal angebracht wäre. Da Berlin die Hauptstadt ist, gehört
ein solches Denkmal, wie ich meine, nach Berlin.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419903400
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Kultur und Medien zu dem
Antrag der Abgeordneten Günter Nooke, Markus Meckel,
Werner Schulz sowie weiterer Abgeordneter zur Errich-
tung eines Einheits- und Freiheitsdenkmals auf der Berli-
ner Schlossfreiheit auf Drucksache 14/7209. Der Aus-
schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3126
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Reform der arbeitsmarktpolitischen
Instrumente (Job-Aqtiv-Gesetz)

– Drucksache 14/6944 –

(Erste Beratung 190. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Dr. Klaus Grehn, Monika Balt, Dr. Ruth
Fuchs, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verlängerung der Rahmenfrist bei zeitlich
befristeter Erwerbsunfähigkeitsrente, Ände-
rung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch

(SGB III)

– Drucksache 14/2282 –

(Erste Beratung 79. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Dr. Klaus Grehn, Dr. Ruth Fuchs, Dr.
Heidi Knake-Werner und der Fraktion der PDS
eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes
zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetz-

(Viertes SGB III-Änderungsgesetz – 4. SGB III-ÄndG)

– Drucksache 14/3044 –

(Erste Beratung 102. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver-
besserung der grenzüberschreitenden Arbeits-
förderung im Rahmen des SGB III
– Drucksache 14/5013 –

(Erste Beratung 190. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss)

– Drucksache 14/7347 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Brigitte Baumeister

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Sozialord-
nung (11. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit
Schnieber-Jastram, Dirk Fischer (Hamburg),
Volker Rühe, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen effektiv
und transparent gestalten – Aus den Hambur-
ger Vorfällen Lehren für eine Reform des SGB
III ziehen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Horst
Seehofer, Karl-Josef Laumann, Birgit Schnieber-
Jastram, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Arbeitsplätze schaffen statt Arbeitslosigkeit
verwalten – Reformen für einen besseren Ar-
beitsmarkt

– zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit
Schnieber-Jastram, Karl-Josef Laumann, Brigitte
Baumeister, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Arbeit vermitteln statt Arbeitslosigkeit ver-
walten – Mehr Beschäftigung durch Effizienz,
Transparenz und Subsidiarität im Arbeitsför-
derungsrecht

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel,
Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Heinrich L. Kolb,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Für eine wirksame und effiziente Arbeits-
marktpolitik

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus
Grehn, Pia Maier, Dr. Heidi Knake-Werner, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Zusätzliche Arbeitsplätze fördern – soziale
Sicherungssysteme festigen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heidi
Knake-Werner, Dr. Ruth Fuchs, Dr. Klaus
Grehn, Pia Maier und der Fraktion der PDS
Den Einstieg in einen öffentlich geförderten
Beschäftigungssektor ermöglichen

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Eckart von Klaeden

19512


(C)



(D)



(A)



(B)


– zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Beschäftigungspolitischer Aktionsplan der
Bundesrepublik Deutschland 2001

– Drucksachen 14/6636, 14/6888, 14/6162,
14/6621, 14/5794, 14/7070, 14/5513,
14/7347 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Brigitte Baumeister

Zum Gesetzentwurf zur Reform der arbeitsmarktpoli-
tischen Instrumente liegen vier Änderungsanträge und ein
Entschließungsantrag der Fraktion der PDS vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Damit sind Sie ein-
verstanden. – Ich warte noch einen Augenblick.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die SPD-
Fraktion hat die Kollegin Andrea Nahles.


Andrea Nahles (SPD):
Rede ID: ID1419903500
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Job-Aqtiv-Ge-
setz lösen wir unser Versprechen ein, noch in dieser Le-
gislaturperiode das Arbeitsförderungsrecht umfassend zu
reformieren. Wir geben damit einen wichtigen Impuls für
mehr Beschäftigung, für eine effektivere Vermittlung, für
eine zukunftsfähige Qualifizierung und – das ist mir be-
sonders wichtig – für eine bessere Vereinbarkeit von Fa-
milie und Beruf.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Modernisierung der Arbeitsvermittlung ist dabei
ein Schwerpunkt. Insoweit – das muss ich ganz ehrlich sa-
gen – war unsere bisherige Arbeitsmarktpolitik vor allem
reaktiv. Der Betroffene musste erst einmal arbeitslos wer-
den, anschließend ordentlich warten und nach sechs Mo-
naten konnten die Maßnahmen überhaupt erst angegan-
gen werden. Damit ist jetzt Schluss, liebe Kolleginnen
und Kollegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Wartezeiten werden gestrichen. Statt einer reakti-
ven Arbeitsmarktpolitik betreiben wir jetzt eine aktive Ar-
beitsmarktpolitik. Das ist nicht nur ein Spruch. Bereits be-
vor jemand arbeitslos wird, können wir mit dem
Instrument des Profilings herausfinden, wie groß das Ri-
siko desjenigen, der arbeitslos wird, ist, langzeitarbeitslos
zu werden. Diese Chancenprognose gibt uns überhaupt
erst die Möglichkeit, rechtzeitig gegenzusteuern. Das ist
sehr individuell und sehr konkret.

Mit jedem einzelnen Arbeitslosen wird in dem zustän-
digen Arbeitsamt eine Eingliederungsvereinbarung ge-
troffen. Darin werden konkrete Schritte zur Rückkehr in
das Arbeitsleben verabredet. Ich füge hinzu: Bei diesem
Instrument gibt es keine zusätzlichen Druckmittel. Natür-
lich erwarten wir ein Mittun der Arbeitslosen. Wir bieten
den Arbeitslosen aber auch neue Rechte an. Wenn das Ar-
beitsamt nach einem halben Jahr keine Arbeitsstelle ver-
mittelt hat, kann der Arbeitslose einen Dritten einschalten
und diesen mit seiner Vermittlung beauftragen.

Das ist Fördern und Fordern und ein Gleichgewicht der
Kräfte in der genannten Eingliederungsvereinbarung. In-
sofern bitte ich auch an die Adresse der Arbeitslosen, die
uns heute hier zuhören, darum: Begreifen Sie dies als
Chance und packen sie diese beim Schopfe!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zwar war es bisher nicht etwa so, dass in den Ar-
beitsämtern nichts vermittelt worden ist, aber es war bei
der Arbeitslosigkeit sehr viel zu verwalten. Deswegen ge-
ben wir den Arbeitsämtern hiermit die Chance, 3 000 Ver-
mittler zusätzlich einzustellen. Seit dem 1. Oktober sind
bei den Arbeitsämtern bereits 1 029 zusätzliche Vermittler
eingestellt worden. Zum Beispiel bei dem Arbeitsamt in
meinem Wahlkreis, einem kleineren Arbeitsamt, sind es
sechs zusätzliche Vermittler und bei dem größeren Ar-
beitsamt in Köln 30 zusätzliche Vermittler, die sich ab
1. Januar 2002 mit der Gewinnung von neuen Stellen in
kleinen und mittleren Betrieben beschäftigen werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der zweite Pfeiler, auf dem das Gesetz steht, ist Wei-
terbildung und Qualifizierung. Wahr ist, dass es in
Großunternehmen Weiterbildungsmöglichkeiten gibt.
Wahr ist auch, dass gering Qualifizierte bei der Weiterbil-
dung benachteiligt werden; hoch Qualifizierte haben Wei-
terbildungsoptionen. Wir setzen mit unserem Gesetz dort
an, wo es am nötigsten ist, um Langzeitarbeitslosigkeit,
um Arbeitslosigkeit überhaupt zu verhindern, nämlich bei
den von Arbeitslosigkeit gefährdeten Älteren und bei den
gering Qualifizierten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Damit wird zum ersten Mal in der Geschichte der Ar-
beitsverwaltung die Möglichkeit eröffnet, dass das Ar-
beitsamt Weiterbildungs- und Lohnkosten übernimmt, um
diesen Menschen einen Berufsabschluss zu ermöglichen
oder um ihre Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten, bevor
das Kind in den Brunnen fällt.


(Beifall bei der SPD)


Es gibt ein weiteres Instrument. Das Stichwort lautet
hier Jobrotation. Das haben uns die Skandinavier vorge-
macht, aber auch in Deutschland hat es bereits viele Mo-
dellprojekte im Bereich von Jobrotation gegeben. Anfang
dieser Woche konnte ich mich an einem Beispiel in Bremen
davon überzeugen, dass das sehr interessant und sehr erfolg-
reich ist. Ich möchte das an diesem Beispiel erläutern:

Es gibt einen Riesenbedarf an Fachkräften im Pflege-
bereich. Auf diesem Gebiet gibt es sehr viele ungelernte
Arbeitskräfte; dabei handelt es sich vor allem um Frauen.
In Bremen hat man diese Hilfskräfte über das Mittel
Jobrotation zu Fachpersonal in der Altenpflege quali-
fiziert. Diese Option eröffnen wir neben vielen anderen
Möglichkeiten mit Jobrotation. Wir sorgen dafür, dass
man die Idee der Jobrotation umsetzen kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Vizepräsidentin Anke Fuchs

19513


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir haben ebenfalls dafür gesorgt, dass die Ver-
sicherungspflicht die Zeit des Bezugs von Mutter-
schaftsgeld, die Zeit des Bezugs einer Erwerbsmin-
derungsrente und den Zeitraum von drei Jahren für die
Erziehung von Kindern umfasst. Ich wiederhole es – ich
habe es in diesem Hause schon einmal gesagt –: Das ist
ein Quantensprung für diejenigen Frauen, die jetzt nicht
nur während der Babypause Anspruch auf bestimmte
Leistungen erwerben, sondern auch danach die Chance
erhalten, an Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik
teilzunehmen. Darüber freue ich mich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Für Frauen, die sich qualifizieren wollen, sind Kinder-
betreuungskosten ein Problem. Wir erhöhen den
entsprechenden Beitrag so, dass Frauen die Betreuung
ihrer Kinder wirklich sicherstellen können.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Auch die Alleinerziehenden?)


Es handelt sich also nicht nur um einen kleinen Zuschuss;
vielmehr wird dank unserer Maßnahme Kinderbetreuung
in Zukunft besser möglich sein.

Frauen sind der Arbeitsmarktpolitik noch immer be-
nachteiligt. Nach der Verabschiedung dieses Gesetz-
entwurfs wird es den Arbeitsämtern möglich sein – ich
gebe zu, dass das umstritten war –, Frauen gezielt zu
fördern, mindestens entsprechend dem Anteil der Frauen
an der Zahl der Arbeitslosen. Auch das ist ein wichtiger
Punkt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich komme auf die letzte Säule unserer Arbeitsmarkt-
politik zu sprechen.


(Dirk Niebel [FDP]: Das heißt im Badischen „das Säule“ und nicht „die Säule“!)


Das von den Sozialdemokraten vorgelegte Arbeits- und
Strukturförderungsgesetz hat 1995 ganz klar zum Aus-
druck gebracht, dass wir eine Verzahnung von Infra-
strukturpolitik und Arbeitsmarktpolitik wollen. Dem
trägt dieser Gesetzentwurf mit dem neuen Instrument
der so genannten beschäftigungsfördernden Infra-
struktur Rechnung. Ich sage ganz klar: Wir wollen für
strukturschwache Gebiete neue investive Möglichkei-
ten eröffnen. Es geht konkret um zusätzliche Mittel für
die Errichtung bzw. für den Ausbau von Schulen, Kin-
dergärten und für die Erschließung von Gewerbegebie-
ten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [FDP]: Aber für Pflichtaufgaben!)


– Herr Niebel,


(Dirk Niebel [FDP]: Frau Nahles!)


ich bete jeden Abend für die Grünen, dass ich nicht in die
Verlegenheit komme, mit Ihnen einmal Arbeitsmarktpoli-
tik zu machen.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Ob die Gebete etwas nützen? – Dirk Niebel [FDP]: Das ist ja Blasphemie! – Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Frau Dückert, was sagen Sie dazu? – Gegenruf der Abg. Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich freue mich, dass sie jeden Abend betet!)


Durch unsere Arbeitsmarktpolitik werden Aufträge an
die Privatwirtschaft vergeben. Wir bieten nicht ir-
gendwelche Maßnahmen an, sondern wir geben Arbeits-
losen für eine gewisse Zeit die Chance – das ist wirklich
wichtig –, auf dem ersten Arbeitsmarkt in einem normalen
Unternehmen an einem normalen Arbeitsplatz tätig zu
sein. Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt wollen
Sie doch immer, meine Damen und Herren von der Op-
position.


(Dirk Niebel [FDP]: Nun regen Sie sich doch nicht so auf!)


Trotzdem maulen Sie jetzt herum. Keiner von uns hier ist
arbeitslos. Das ist nun wirklich nicht der Fall.


(Dr. Klaus Grehn [PDS]: Es gibt welche, die waren es oft genug! – Gegenruf des Abg. Dirk Niebel [FDP]: Sie sind ja hauptamtlich arbeitslos!)


– Das ist richtig, Herr Grehn.

Ich möchte den Arbeitslosen sagen: Dieses Gesetz
kann einen Weg in ein Arbeitsverhältnis ebnen. Wir
machen damit ein Angebot und schaffen viele neue Chan-
cen. Packen Sie sie beim Schopfe!

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419903600
Für die CDU/CSU er-
teile ich jetzt dem Kollegen Karl-Josef Laumann das
Wort.


Karl-Josef Laumann (CDU):
Rede ID: ID1419903700
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Diskussion der
letzten zwei Monate, insbesondere seit Einbringung des
Haushaltsgesetzes für das nächste Jahr, und die in dieser
und in der nächsten Woche stattfindenden Revisionssit-
zungen, machen deutlich, dass wir in Deutschland vor ei-
ner außerordentlich schwierigen Situation auf dem Ar-
beitsmarkt stehen. Wir können davon ausgehen, dass es
im nächsten Jahr rund 400 000 Arbeitslose mehr gibt, als
die Regierung noch vor wenigen Monaten angenommen
hat. Wir werden viele Mittel aufbringen müssen, um die-
ses Problem sozial zu flankieren: 4 Milliarden DM mehr
Bundeszuschuss an die Arbeitslosenversicherung,
2,5 Milliarden DM mehr für die Arbeitslosenhilfe.

Die Arbeitsmarktzahlen vom Oktober waren die
schlechtesten seit vier Jahren. Natürlich schnellen die So-
zialversicherungsausgaben in dieser Situation nach oben.
Die Einnahmen aus der Ökosteuer reichen nicht einmal

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Andrea Nahles

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mehr aus, um den Rentenversicherungsbeitrag stabil zu
halten, dazu muss jetzt auch noch die Schwankungsre-
serve herangezogen werden. Nach Tabak-, Versicherung-
und Ökosteuer stehen weitere Steuererhöhungen für die
Beschäftigten im Raum.


(Detlev von Larcher [SPD]: Ach was!)

Dies markiert schlicht und ergreifend die Situation, vor der
wir heute stehen. Ich bin fest davon überzeugt, dass das
Job-Aqtiv-Gesetz an dieser Situation nichts wesentlich
verändern wird. Man kann das gut mit dem Bild umschrei-
ben: Der Berg bebte und es wurde ein Mäuschen geboren.


(Peter Dreßen [SPD]: Bei euch hat es nicht gebebt! Das ist das Problem! – Franz Thönnes [SPD]: Bei euch haben wir nur gezahlt!)


Ich sage ja gar nicht, dass Sie in diesem Gesetz nur
falsche Maßnahmen vorgesehen haben. In einigen Berei-
chen stellt es auch eine Fortschreibung des von uns ge-
schaffenen SGB III dar. Sie springen aber bei all den The-
menbereichen, die Sie angehen, schlicht und ergreifend
zu kurz.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Detlev von Larcher [SPD]: Sie sind gar nicht gesprungen, als Sie es konnten!)


Meiner Meinung nach führen aber die Instrumente, die
Sie einführen, eher zu einem Aufblähen der Bürokratie in
der Arbeitsverwaltung, als dass sie wesentliche Hilfen für
die Arbeitslosen darstellen. Ich glaube, dass in dieser Si-
tuation viel mutigere Schritte in der Arbeitsmarktpolitik
nötig sind.


(Andrea Nahles [SPD]: Aber nicht rückwärts gewandt!)


Wir brauchen eine Verzahnung von Arbeitslosen- und
Sozialhilfe. Warum machen Sie das jetzt eigentlich nicht?


(Dirk Niebel [FDP]: Das ist ein liberaler Klassiker!)


Wir brauchen Arbeitsangebote und damit einhergehend
eine Verpflichtung zur Arbeit von arbeitsfähigen Hilfe-
empfängern.


(Ute Kumpf [SPD]: Das hatten wir alles schon! – Klaus Brandner [SPD]: Als Sie die Orientierung verloren haben, hatten Sie Marschgeschwindigkeit!)


Wir brauchen eine Umschichtung von ABM- und SAM-
Mitteln in moderne Maßnahmen wie Kombilohn oder Zu-
schüsse zur Sozialversicherung und zu Einstiegs-
gehältern. Kurzum: Wir brauchen eine Aktivierung der
Beschäftigungspotenziale im Niedriglohnsektor.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Andrea Nahles [SPD]: 20. Jahrhundert!)


– Sagen Sie nicht, das gehöre alles ins 20. Jahrhundert.
Der nordrhein-westfälische Arbeitsminister, Herr
Schartau, designierter Vorsitzender des, wie ich glaube,
größten Landesverbandes der SPD, nämlich der SPD
Nordrhein-Westfalen,


(Dirk Niebel [FDP]: Ist der noch in der SPD?)


fordert seit Wochen – so steht es wenigstens in allen nord-
rhein-westfälischen Zeitungen – genau dieses.

Ich wundere mich schon darüber, dass die Koalitions-
fraktionen heute im Rahmen eines anderen Tagesord-
nungspunktes einen Entschließungsantrag eingebracht
haben, in dem sie genau dieses Vorgehen bei der Arbeits-
losen- und Sozialhilfe fordern. Warum machen Sie das
dann nicht? Schlicht und ergreifend deswegen nicht, weil
das Arbeitsministerium nicht den Mut hat, dieses Thema
anzupacken.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Die haben zu nichts mehr Mut! – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Mutlos auf Kosten der Arbeitslosen!)


Deswegen werden hier Chancen auf Beschäftigung, die
im Niedriglohnbereich ohne Zweifel bestehen, vertan.

Auch die Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium,
die Kollegin Wolf von den Grünen, fordert mit Nach-
druck, dass im Niedriglohnbereich etwas geschehen
müsse. Wir reden dabei gar nicht davon, dass es unterta-
rifliche Bezahlung geben soll. Wer möchte, kann in mei-
nem Büro eine Liste anfordern, auf der in Deutschland
existierende Tarifverträge mit Löhnen von unter 13 DM
aufgeführt sind. In vielen Bereichen gibt es schon solche
tariflichen Löhne. Viele Stellen können aber hier nicht be-
setzt werden, weil die Höhe der Sozial- und Arbeitslosen-
hilfe wie eine untere Lohngrenze wirkt. Deswegen müs-
sen wir nach meiner tiefen Überzeugung dieses Thema
sehr entschlossen anpacken.

Ich kann den Koalitionsfraktionen nur den Rat geben,
die Arbeitsmarktpolitik ins Wirtschaftsministerium zu
verlagern, wenn das der jetzige Arbeitsminister nicht mit-
macht.


(Dirk Niebel [FDP]: Gibt es das noch?)


Das läuft in einigen Bundesländern sehr gut. Die Ham-
burger, die Thüringer und die Sachsen haben sich dafür
entschieden. Ich glaube, dass dies angesichts der jetzigen
politischen Führung des Arbeitsministeriums die einzige
Chance ist, Wirtschaft und Arbeit wieder näher zusam-
menzuführen.

Glauben Sie bloß nicht, dass die von mir vorgeschla-
gene Arbeitsmarktpolitik unsozial wäre. Der Weg, den
auch meine Partei viele Jahre gegangen ist, nämlich den
Menschen, die wir zu der Zeit auf dem Arbeitsmarkt nicht
brauchten, Geld zu geben, sich aber nicht großartig um sie
zu kümmern – die Entwicklung, dass die Kommunen sich
um sie kümmern, ist ja auch nicht so neu, seit fünf oder
sechs Jahren nimmt dies immer stärker zu –, war unsozial.
Denn Menschen, denen die Gesellschaft vermittelt, sie
würden nicht gebraucht, verändern sich auf Dauer schwer
und können dann manchmal überhaupt nicht mehr für den
Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.

Deswegen wäre es sinnvoller, jedem, der in Sozialhilfe
oder Arbeitslosenhilfe ist, ein Arbeitsangebot oder Aus-
bildungsangebot zu machen.


(Klaus Brandner [SPD]: Wir fördern und fordern und sitzen nicht aus!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Karl-Josef Laumann

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Das bekommen wir nur hin, wenn wir die vorhandenen
Stellen im Niedriglohnbereich des ersten Arbeitsmarktes
attraktiv machen. Darauf kommt es an.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich weiß überhaupt nicht, was daran unsozial sein soll,
etwa durch eine degressive Gestaltung der Sozialversi-
cherungsbeiträge gerade in dem Segment der Reini-
gungskräfte und im Gaststättenbereich netto und brutto
wieder näher zusammenzuführen. Bei der Steuer haben
wir das durch die hohen Freibeträge gemacht, aber beim
Sozialversicherungsbeitrag nicht. Kehren Sie um!
Verwenden Sie die Riesenmittel, die Sie für ABM und
SAM aufbringen, um hier endlich etwas zu tun.

Schönen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Konrad Gilges [SPD]: Sag doch etwas zu den Leistungen! – Detlev von Larcher [SPD]: Das würde doch seine ganze Rede kaputtmachen, wenn er etwas zu den Leistungen sagen würde!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419903800
Nun erteile ich das
Wort der Kollegin Dr. Thea Dückert für Bündnis 90/Die
Grünen.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419903900

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kollegen und Kollegin-
nen! Der Beitrag von Herrn Laumann eben war wieder in-
teressant. Er hat es fertig gebracht, zu dem, was wir hier
vorlegen, nämlich zum neuen Job-Aqtiv-Gesetz, so gut
wie gar nichts zu sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Dazu gibt es auch nichts zu sagen! Nichts Neues im Westen!)


– Herr Laumann, ich weiß, warum Sie das nicht tun. Das
haben Sie im Ausschuss schon vorgeführt. Denn wenn Sie
sich auf das Job-Aqtiv-Gesetz einlassen, auf besondere
Instrumente, die wir neu einführen, wie zum Beispiel die
Jobrotation,


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Die haben Sie doch noch vor ein paar Wochen abgelehnt!)


dann versuchen Sie sogar, die Urheberschaft für diese
neuen Instrumente für sich geltend zu machen.

Meine Damen und Herren, Sie haben kein inhaltli-
ches Argument gegen diese Form der neuen Arbeits-
marktpolitik. Sie fordern hier trotzdem Mut in der
Arbeitsmarktpolitik ein. Aber Ihr Mut in der Arbeits-
marktpolitik in den vergangenen Jahren hat zu nichts
anderem als zu einem Reformstau geführt, den Sie uns
hinterlassen haben. Deswegen haben wir uns vor einem
Jahr darangemacht, dieses umfassende Werk, das wir
hier vorlegen, zu erarbeiten.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Vor einem Jahr sollte das schon fertig sein!)


Wir reformieren die aktive Arbeitsmarktpolitik im Kern
ihrer Instrumente.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben viele zentrale Ziele. Das erste Ziel ist es, die
Arbeitsvermittlung zu modernisieren und zu intensivie-
ren.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Schöne Worte!)


Wir schaffen für die Arbeitslosen vom ersten Tag an und
für diejenigen, die in die Arbeitslosigkeit kommen wer-
den, auch schon vorher einen Anspruch auf einen Ein-
gliederungsplan, auf maßgeschneiderte Hilfe. Dieser An-
spruch wird eines der zentralen Instrumente sein, um die
Langzeitarbeitslosigkeit abzubauen. Wir nehmen mit die-
sem Gesetz eines der schlimmsten Probleme am Arbeits-
markt, nämlich die Langzeitarbeitslosigkeit, ins Visier.
Das wird eines der zentralen Mittel sein: die frühzeitige
Vermittlung, ja die Prävention, wenn Arbeitslosigkeit
droht, wenn jemand aber noch in Beschäftigung ist.

Diese Konzentration auf das Phänomen der Langzeit-
arbeitslosigkeit wird nicht nur den Betroffenen helfen; es
wird auch der Arbeitsmarktpolitik insgesamt und den
Kassen der Arbeitslosenversicherung helfen. Unter den
7 Millionen Neuzugängen zur Arbeitslosigkeit, die wir im
Moment jährlich haben, sind etwa 10 Prozent gefährdet,
in Langzeitarbeitslosigkeit zu kommen. Das wird die
Gruppe sein, auf die sich die intensive Hilfe konzentrie-
ren wird. Diese 10 Prozent, die von Langzeitarbeitslosig-
keit bedroht sind, stellen im Verlauf fast 50 Prozent der
Arbeitslosen. Das liegt daran, dass sie so lange arbeitslos
sind. Das bedeutet im Umkehrschluss: Wenn es uns ge-
lingt, die Zahl der Langzeitarbeitslosen zu reduzieren,
werden wir in der Lage sein, die Arbeitslosigkeit über-
proportional zu reduzieren. Eine Senkung der durch-
schnittlichen Dauer der Arbeitslosigkeit um einen Monat
bedeutet Einsparungen von 2 Milliarden DM in der Kasse
der Arbeitslosenversicherung. Die Arbeitsvermittlung
schneller und effektiver zu machen wird Spielräume in
den Kassen schaffen, die wir in der Folge ausnutzen wol-
len, um die Lohnnebenkosten, nämlich die Beiträge zur
Arbeitslosenversicherung, zu senken. Wir werden das,
was eingespart wird, an die Beitragszahlerinnen und Bei-
tragszahler zurückgeben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein weiterer Punkt ist, die Effektivität der Arbeitsver-
mittlung zu steigern. Es gibt Pläne zur schnellen Einglie-
derung; es gibt aber auch ein neues Element: Es war ge-
rade für uns Grüne sehr wichtig, dass auch Dritte mit der
Arbeitsvermittlung beauftragt werden können, wenn es
notwendig ist. Ich denke, dass es viele Arbeitsämter gibt,
die sehr intensiv arbeiten, und solche, die zum Teil
überfordert sind. Es gibt aber auch viele Arbeitsämter, de-
nen es gut tut, dass ein Element der Konkurrenz einge-
führt wird.

Ich komme zu einem weiteren Punkt – Frau Nahles hat
ihn schon angesprochen –: Um die Effektivität der Ar-

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Karl-Josef Laumann

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beitsvermittlung, also die passgenaue Vermittlung von
vorhandenen Arbeitsplätzen, zu steigern, brauchen wir
das Element der Qualifizierung. Dazu haben wir das neue
Instrument der Jobrotation eingeführt. Die Idee, einem
Arbeitslosen zu einem Beschäftigungsverhältnis – auch
wenn es zunächst nur ein kurzfristiges ist –, in dem er sich
weiterbilden kann, zu verhelfen, schlägt zwei Fliegen mit
einer Klappe und wird in der Zukunft ungeheuer wichtig
sein. Zum einem verschafft es demjenigen, der an seinem
Arbeitsplatz aufgrund der schnellen Veränderungen und
des damit verbundenen Qualifikationsbedarfes immer
wieder mit neuen Anforderungen konfrontiert wird, die
Möglichkeit, sich weiterzubilden und dadurch seinen Ar-
beitsplatz in Zukunft zu sichern. Zum anderen baut es
demjenigen, der draußen steht, eine Brücke in den ersten
Arbeitsmarkt. Er kann sich dann über Learning by Doing
qualifizieren, wodurch seine Chancen, weiter beschäftigt
zu werden, steigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich glaube, das ist – langfristig gesehen – die zentrale Ant-
wort auf die Herausforderungen der Zukunft.

Der nächste Punkt sind die Änderungen. Wir werden
beim Job-Aqtiv-Gesetz nicht nur die zentralen Elemente
der Arbeitsvermittlung und Qualifizierung, die am
schnellsten wirken, verbessern, sondern wir werden auch
– das ist das dritte Element in unserer Prioritätenliste – die
Instrumente der Lohnsubventionierung sehr viel effek-
tiver gestalten. Sie werden entbürokratisiert. Es gab einen
Dschungel von unterschiedlichen Möglichkeiten der
Lohnsubventionierung. Dieser Bereich wird nun über-
schaubarer. Mit dem Ansatz, dass die Entscheidungen de-
zentral in der Arbeitsmarktregion selbst getroffen werden,
kann die Hilfe über Lohnsubventionierung, am regionalen
Arbeitsmarkt konzentriert, sehr viel flexibler erfolgen.

Ich möchte an dieser Stelle mit einer Mär aufräumen,
die in der Debatte zum Job-Aqtiv-Gesetz auftaucht. Sie
behaupten in der Öffentlichkeit immer wieder, Herr
Laumann – das haben Sie heute nicht gemacht, weil Sie
wissen, dass ich Ihnen die entsprechenden Zahlen auf den
Tisch legen kann, die beweisen, dass Ihre Behauptung
nicht stimmt –,


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Ich hatte zu wenig Zeit!)


dass wir die Zahl der ABM als Instrument des zweiten Ar-
beitsmarktes aufbauschen würden. Fakt ist, dass wir die
ABM im Vergleich zu dem, was Sie uns hinterlassen ha-
ben, zurückgefahren haben. Wir wollen aber an diesem
Instrument als einer Möglichkeit für die Regionen, die
keinen ausgeprägten ersten Arbeitsmarkt haben und die
ABM daher noch brauchen, festhalten.


(Dirk Niebel [FDP]: Damit verhindern Sie, dass sich der erste Arbeitsmarkt entwickelt!)


Fakt ist aber auch, dass wir im Gegenzug – dazu haben
uns die Wissenschaftler geraten – die Lohnsubventionie-
rung hochfahren. Sie behaupten jetzt, dass das neue In-
strument der beschäftigungsschaffenden Infrastruktur ein
Instrument sei, das ähnlich wie die ABM in den zweiten

Arbeitsmarkt hineinwirkt. Sie haben – mit Verlaub – die-
sen Ansatz nicht verstanden.


(Franz Thönnes [SPD]: Die verstehen so manches nicht!)


Die beschäftigungsschaffende Infrastruktur ist exakt auf
den ersten Arbeitsmarkt gerichtet. Sie ist eine Form der
Lohnsubventionierung. Sie wird mit Rahmenbedingun-
gen versehen, die dafür sorgen, dass die Mitnahmeeffekte
eingeschränkt werden.

Lohnsubventionierung bringt immer Mitnahmeeffekte
mit sich. Wir müssen uns aber angesichts der hohen Ar-
beitslosigkeit immer die Frage stellen, ob es sich trotz die-
ser negativen Effekte nicht lohnt, den positiven
Beschäftigungseffekt mitzunehmen. Das gilt auch für
diese Instrumente. Es wird diese Effekte geben. Aber
durch die Rahmenbedingungen, die wir gesetzt haben,
werden – entgegen Ihren Behauptungen – alle Betriebe,
kleine und große Betriebe, die gleiche Chance haben, an
diese Mittel heranzukommen. Damit erreichen wir etwas,
was wir brauchen, nämlich die marktnähere, die am ers-
ten Arbeitsmarkt orientierte Ausgestaltung der Instru-
mente der Arbeitsmarktpolitik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ein weiterer zentraler Punkt: Mit unserem Gesetz ha-
ben wir auch die Gerechtigkeit beim Zugang zum Ar-
beitsmarkt wieder ins Visier genommen. Der Arbeits-
markt schottet ab. Einige Gruppen haben es besonders
schwer hereinzukommen; dazu gehören auch die Frauen.
Wir haben das Gender Mainstreaming in diesem arbeits-
marktpolitischen Ansatz. Die Frauen können entspre-
chend ihrer Quote gefördert werden, sie können so lange
sogar überproportional gefördert werden, solange ihre
gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsmarkt noch nicht
gesichert ist. Das war der erste Punkt.

Auf den zweiten Punkt bin ich besonders stolz, weil
wir viele Widerstände zu überwinden hatten. Wir wollten
eine Ungerechtigkeit ausräumen: Warum sollen Men-
schen, die Kinder erziehen – Frauen und hin und wieder
auch Männer –, benachteiligt werden, weil sie dieses tun
und ihren einmal erworbenen Anspruch auf Arbeitslosen-
geld, Arbeitslosenunterstützung und Arbeitsvermittlung
durch die Kindererziehung verlieren? Das war in der
Vergangenheit so. Wir haben das jetzt geändert. Ich sage
noch einmal: Das war nicht einfach. Wir hatten viele Wi-
derstände zu überwinden. Hier haben wir eine
Gerechtigkeitslücke geschlossen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Meine Damen und Herren, wir haben in diesen Bera-
tungen nicht alles erreicht, was wir aus grüner Perspektive
gerne erreicht hätten.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das ist immer so!)


Das habe ich in dieser Woche leider zur Kenntnis nehmen
müssen. Ein Punkt ist zum Beispiel die Überlassungs-
dauer bei Leiharbeit, die wir noch verändern wollten.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Dr. Thea Dückert

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Wir haben sie verlängert, aber eine Veränderung konnten
wir hier nicht durchsetzen. Wir hätten es schon gern ge-
habt, dass die jetzigen Tarifverträge der Zeitarbeitsfirmen
ab dem 13. Monat gegolten hätten, einfach um noch ein-
mal Druck auf die Zeitarbeitsfirmen auszuüben, auch in
Tarifbindungen zu gehen. Manchmal gehen Fortschritte
nur schrittweise. Das müssen wir so zur Kenntnis nehmen.


(Dirk Niebel [FDP]: Das ist die Echternacher Springprozession!)


– Herr Niebel, auch wenn Sie jetzt dazwischenrufen: Wir
haben es im Gegensatz zu Ihnen erreicht, dass die Über-
lassungsdauer verlängert worden ist.


(Dirk Niebel [FDP]: Aber faktisch nicht!)


Wenn Sie das Sie mit all Ihrem lauten Dazwischenrufen
in Ihrer eigenen Koalition erreicht hätten, dann könnten
Sie hier stolz auftreten. So seien Sie mal fein still.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dirk Niebel [FDP]: Ich habe ganz leise gerufen! Ich war lange nicht mehr so brav wie heute! – Dr. Klaus Grehn [PDS]: Das stimmt! Er war sehr zurückhaltend!)


Meine Damen und Herren, wir haben den Kern der In-
strumente renoviert und reformiert. Wir haben nie behaup-
tet, dass mit dem, was hier getan wird, die Arbeitslosigkeit
in der Höhe, wie wir sie haben, abgeschafft werden kann.
Aber wir können uns – das habe ich am Anfang gesagt –
den zentralen Problemen nähern, um die Dauer der Ar-
beitslosigkeit zu reduzieren. Das ist ein wichtiger Punkt.
Alles andere kann aktive Arbeitsmarktpolitik nicht leisten.

Beschäftigungspolitik ist gefragt, wenn es um die Aus-
dehnung der zusätzlichen Beschäftigung geht.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419904000
Frau Kollegin, den-
ken Sie an Ihre Redezeit?


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419904100

Da sind die Lohnnebenkosten, die Höhe der Sozialabga-
ben zu nennen; Letzteres ist gerade bei niedrig qualifi-
zierten Leuten ein Dreh- und Angelpunkt. An dieser Stelle
werden wir weiterarbeiten, weil wir auch in der Be-
schäftigungspolitik vorangehen wollen.

Ich danke Ihnen. Tschüss.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419904200
Für die FDP erteile
ich dem Kollegen Dirk Niebel das Wort.


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1419904300
Frau Präsidentin! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Ich betrachte es schon einmal
als großen politischen Erfolg, Frau Nahles dazu bewegen
zu können, jeden Abend zu beten. Nach der Rede von Frau
Dückert gehe ich allerdings davon aus, dass es an Blas-
phemie grenzt, wenn Sie für die Grünen beten.


(Zurufe von der SPD: Oh!)


Die rot-grüne Bundesregierung kündigt seit Anfang
der Legislaturperiode eine umfassende Reform der Ar-
beitsmarktpolitik an. Das hat jetzt gute drei Jahre gedau-
ert, und nun liegt Riesters neue Bastelarbeit vor, mit eini-
gen kleinen Dingen, die man brauchen kann, und mit
vielem, was nichts bewegen wird. Im Endeffekt ist es al-
les andere als der versprochene große Wurf.

Die „Neue Osnabrücker Zeitung“ schreibt heute in
ihrem Kommentar,


(Andrea Nahles [SPD]: Haben Sie auch eine eigene Meinung?)


dass die Regierung in der Arbeitsmarktpolitik geradezu
den Eindruck von Lethargie vermittelt und dass insbeson-
dere dieses Gesetz in puncto Flexibilität und Kreativität
im europäischen Vergleich weit hinten anzusiedeln ist.


(Beifall bei der FDP – Konrad Gilges [SPD]: Sie lesen jeden Morgen eine andere Zeitung! – Detlev von Larcher [SPD]: Lesen Sie oder lassen Sie lesen?)


Die EU-Kommissarin für Beschäftigung und Sozia-
les, Frau Diamantopoulou, hat die Schwachstelle festge-
stellt und spricht – das muss man sich auf der Zunge zer-
gehen lassen – von dem offensichtlichen Unvermögen,
das Tempo der administrativen Reformen dem Tempo des
Wandels der Gesellschaft anzupassen.


(Klaus Brandner [SPD]: Das hat er gut auswendig gelernt!)


Herr Riester, bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist
das ein absolutes Armutszeugnis. Sie müssen jetzt endlich
die Weichen in der Arbeitsmarktpolitik, dem wichtigsten
innenpolitischen Problemfeld, in dem Sie bisher grotten-
mäßig versagt haben, in die richtige Richtung stellen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Das sagen die, die nie was gemacht haben!)


Sie haben mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einige
vernünftige Punkte vorgeschlagen, die wir mittragen
– Frau Dückert hat es gerade angesprochen –, insbeson-
dere die Abschaffung der Benachteiligung von Eltern.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätten Sie schon früher machen sollen! Das haben Sie nur nicht hingekriegt!)


Dies hätte das Bundesverfassungsgericht wahrscheinlich
ohnehin verlangt; deswegen ist das vorauseilender Ge-
horsam.

Richtig ist auch, die Arbeitsvermittlung als operati-
ves Kerngeschäft der Bundesanstalt für Arbeit zu stärken.
Von 90 000 Mitarbeitern sind im Moment sage und
schreibe ungefähr 8 500 tatsächlich in der Arbeitsvermitt-
lung tätig. Hier kann man nicht wie Herr Jagoda die Kol-
leginnen und Kollegen in den Anlaufstellen und in den
Ärztlichen Diensten mitzählen. Es geht um diejenigen,
die tatsächlich vermitteln. Die wichtigste Aufgabe im
Hinblick auf den Ausgleich des Arbeitsmarkts ist die Ver-
mittlung in Arbeit, Frau Kollegin. Das kostet auch am we-
nigsten Geld für die Beitragszahler und verhindert die

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Dr. Thea Dückert

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meisten psychosozialen Folgekosten von Arbeitslosig-
keit. Deswegen ist dieser Ansatz richtig.

Die Jobrotation ist ein Instrument, das man auspro-
bieren sollte. Ich sage Ihnen allerdings voraus – abgesehen
davon, dass man sich darüber wundern kann, dass Sie dies
hier im Hause abgelehnt haben, als es von anderer Seite be-
antragt wurde –, dass es in erster Linie aufgrund der büro-
kratischen Schwierigkeiten, die damit zusammenhängen
werden, ein Instrument für größere Betriebe sein wird, de-
ren Personalabteilungen sich damit beschäftigen können.
Gerade die kleinen und mittleren Betriebe, die die Masse
der Ausbildungs- und Arbeitsplätze zur Verfügung stellen,
werden dieses Instrument nicht nutzen können.


(Beifall bei der FDP)


Auf der anderen Seite belasten Sie Beitragszahlerinnen
und Beitragszahler durch eine Aufblähung kostenintensi-
ver Instrumente. Ganz besonders denke ich hier an die so
genannten beschäftigungsfördernden Infrastrukturmaß-
nahmen. Sie werden erleben, dass kleine Betriebe auf-
grund der Ausschreibungsvoraussetzungen faktisch
von öffentlichen Auftragsvergaben ausgeschlossen wer-
den. Das kostet Arbeitsplätze in kleinen und mittleren Be-
trieben, statt welche zu schaffen.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Johannes Singhammer [CDU/CSU])


Bei den größeren Betrieben wird es dazu führen, dass un-
geförderte gegen geförderte Arbeitsplätze ausgetauscht
werden. Es wird hier also einen Verdrängungswettbe-
werb geben.


(Klaus Brandner [SPD]: Das ist Quatsch, das wissen Sie auch!)


Frau Dückert, Sie sagten, ein großer Erfolg sei die
Verlängerung der möglichen Verleihdauer. Ich erinnere
mich daran, dass Sie in diesem Hause unseren Antrag
abgelehnt haben, die Verleihdauer auf 36 Monate zu
verlängern.


(Klaus Brandner [SPD]: Er weiß es nicht mehr: Die CDU/CSU hat den Antrag gestellt! – Andrea Nahles [SPD]: Wir verlängern sie nicht!)


Der Umstand, dass Sie ab dem 13. Monat die tariflichen
Vertragsbedingungen der Entleihfirma zugrunde legen,
bedeutet faktisch nichts anderes, als dass Sie in die Tarif-
autonomie der Verleihfirmen eingreifen. Die gewerk-
schaftsunterstützte SPD torpediert gesetzgeberisch die
Tarifautonomie von Leasingfirmen.


(Ute Kumpf [SPD]: Herr Niebel als Tarifschützer! Das ist aber etwas ganz Neues!)


Obwohl Sie da doch tarifliche Bindungen haben wollen,
wird das dazu führen, dass diejenigen, die jetzt schon Ta-
rifverträge haben, sich aus Wettbewerbsgründen überle-
gen müssen, ob sie sie aufgeben, weil sie in den ersten
zwölf Monaten einen Wettbewerbsnachteil gegenüber der
Konkurrenz haben.


(Klaus Brandner [SPD]: Das war jetzt Hochnebel!)


Auch hier haben Sie also nicht weiter gedacht, sondern
nur mit einem Schnellschuss versucht, die Gewerk-
schaftsinteressen zu befriedigen.


(Andrea Nahles [SPD]: Welche Interessen befriedigen Sie denn, Herr Niebel?)


Sie hatten ja einen Änderungsantrag im Ausschuss einge-
bracht, den Sie durch einen weiteren Änderungsantrag
zurückgenommen haben, der verhindern sollte, dass ab
dem 13. Monat die tariflichen Bedingungen der Entleih-
firma gelten.

Nein, Sie müssen in der Arbeitsmarktpolitik neue
Wege gehen. Deswegen ist unser Antrag, der hier heute
auch zur Debatte steht, zielführend.


(Ute Kumpf [SPD]: Das ist ausgelatscht, Herr Niebel, das machen wir nicht!)


Sie müssen attraktive Rahmenbedingungen schaffen, da-
mit es sich lohnt, Arbeit anzunehmen.


(Beifall bei der FDP)


Dazu gehört der liberale Klassiker der Zusammen-
führung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Herr
Riester, die Sozialminister der Länder haben Sie gestern
aufgefordert, hier voranzugehen und die Zusammen-
führung von zwei steuerfinanzierten Leistungen für ein
und denselben Lebenssachverhalt endlich auf den Weg zu
bringen.


(Franz Thönnes [SPD]: Sagen Sie etwas zum Zeitpunkt!)


Also machen Sie es jetzt und „verriestern“ Sie es nicht erst
nach der Bundestagswahl. Sie müssen jetzt die Chancen
ergreifen, um neue Arbeitsplätze auch im Bereich gering
bezahlter Tätigkeiten zu schaffen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie müssen mehr Flexibilität in der Arbeitslosenversi-
cherung erreichen, zum Beispiel durch Wahltarife.
Warum soll denn in der Arbeitslosenversicherung all das
falsch sein, was in anderen Versicherungssystemen mög-
lich ist? Dadurch würden Sie Spielräume für Beitragssen-
kungen schaffen und könnten Arbeitnehmer und Arbeit-
geber weiter entlasten, was wiederum Arbeitsplätze
schaffen würde.

Wir brauchen in erster Linie Arbeitsplätze. Wenn Sie
im Ausschuss en passant Ihr Ziel aufgeben, unter 3,5 Mil-
lionen Arbeitslose zu kommen, und jetzt für das kom-
mende Jahr mit 3,893 Millionen, also fast 450 000 mehr
Arbeitslosen rechnen, als es Ihr erklärtes Ziel war, an dem
Sie sich jederzeit messen lassen wollten, dann müssen Sie
zu dem Schluss kommen, dass Sie in der Arbeitsmarktpo-
litik, dem wichtigsten innenpolitischen Thema, komplett
versagt haben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich erinnere daran: Der Bundeskanzler, Ihr Bundes-
kanzler, unser Bundeskanzler, Herr Schröder, der Bun-
deskanzler der Deutschen, hat am 21. September 1998 in

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Dirk Niebel

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(D)



(A)



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einem „Spiegel“-Interview Folgendes gesagt; das kann
ich mittlerweile auswendig zitieren:

Wenn wir es nicht schaffen, die Arbeitslosenquote
signifikant zu senken, dann haben wir es nicht ver-
dient, wieder gewählt zu werden, und dann werden
wir auch nicht wieder gewählt werden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Lassen Sie sich an Ihren Taten messen. Treten Sie von

Rot und Grün gar nicht erst wieder zur Bundestagswahl
an. Hören Sie auf Ihren Kanzler!

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Franz Thönnes [SPD]: Das war aber nur eine 18-Prozent-Rede, Herr Kollege, keine 100-ProzentRede! – Zuruf von der FDP: Das war eine gute Rede! –Konrad Gilges [SPD]: Ohne Inhalt! Die Rede war nur laut!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419904400
Das Wort hat nun der
Kollege Dr. Klaus Grehn für die PDS-Fraktion.


Dr. Klaus Grehn (PDS):
Rede ID: ID1419904500
Verehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt ein altes Sprich-
wort: Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.

Warum sage ich Ihnen das? Seit zwölf Jahren stehe ich
aktiv in der Arbeitslosenbewegung. In diesen zwölf Jah-
ren habe ich so viel Licht am Ende des Tunnels gesehen,
ich habe so viele Täler durchschritten, ich bin so oft berg-
auf gelaufen, nach jedem neuen Gesetzentwurf wurden
neue Erwartungen aufgehäuft,


(Beifall bei der PDS –– Ute Kumpf [SPD]: Dann sind Sie inzwischen ein guter Bergsteiger und Wanderer! – Andrea Nahles [SPD]: Das hat Ihrer Kondition nicht geschadet!)


dass ich sage: Ich bin diesbezüglich sehr viel zurückhal-
tender. Auch Sie haben Anlass, zurückhaltender zu sein und
nicht Wunschdenken zu verkaufen. Ich will dabei nicht ver-
hehlen – dazu stehe ich zu sehr auf der Seite der Arbeitslo-
sen –, dass ich Ihnen von ganzem Herzen die Erfüllung Ih-
rer Erwartungen an dieses Job-Aqtiv-Gesetz wünsche.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Aber ich bin in zwölf Jahren ein harter Realist geworden.
Ich sehe in Ihrem Gesetz eine ganze Reihe von Punkten,
die dies nicht erwarten lassen.

Die Zahlen sind Ihnen zu Recht vorgeworfen worden;
sie sind Realität. Sie haben das Gesetz zu einem Zeitpunkt
vorgelegt, zu dem die Arbeitslosigkeit in dramatischer Art
und Weise gestiegen ist. Wir sind 1998 wegen des Regie-
rungswechsels auf die Straße gegangen. Sie haben
versprochen, dass Sie die Arbeitslosigkeit senken werden.
Wir stehen heute wieder an dem Punkt, an dem wir 1998
standen.


(Klaus Brandner [SPD]: Reden Sie die Situation nicht schlecht, Herr Grehn!)


Man muss sogar damit rechnen, dass die Situation noch
schlechter wird.

Wir haben alle unterbreiteten Vorschläge stets gründ-
lich analysiert und uns um die Erhöhung ihrer Wirksam-
keit bemüht, indem wir aus unserer Sicht erforderliche
Änderungsvorschläge eingebracht haben. Auch das vor-
gelegte Gesetz ist an der Realität und ihren Erfordernis-
sen zu messen. So gesehen, Kollegin Nahles, ist das Job-
Aqtiv-Gesetz eben keine ausreichende Antwort. Es ist
nicht die große Reform der Arbeitsförderung; es ist
schlichtweg nicht die notwendige, angekündigte und ver-
sprochene Reform des SGB III.


(Dirk Niebel [FDP]: Da hat Herr Grehn ausnahmsweise einmal Recht!)


– Seien Sie vorsichtig, Herr Kollege.


(Dirk Niebel [FDP]: Sie meinen das inhaltlich anders, aber mit diesem Satz hatten Sie Recht!)


Ein kleiner Trost mag es sein, meine Damen und Her-
ren von der Regierungskoalition, dass es immerhin besser
ist, sich mit Ihrem Gesetzentwurf statt mit Reformschrit-
ten von CDU/CSU oder FDP zu befassen.


(Dirk Niebel [FDP]: Deswegen kam mein Zwischenruf genau zum richtigen Zeitpunkt!)


Deren Absichten gehen aus ihren Anträgen hervor. Sie ste-
hen hier mit zur Diskussion. Besonders die FDP sollte
ihren Vorschlag, die Dauer des Bezugs von Arbeitslo-
sengeld drastisch zu kürzen, den Arbeitslosen in den Ar-
beitsämtern erklären. Kollege Niebel, Sie kommen von
dort; erklären Sie es ihnen. Es sind genug da.


(Dirk Niebel [FDP]: Acht Monate durchschnittliche Laufzeit!)


Ihre Vorschläge laufen darauf hinaus, den Betroffenen die
unmittelbare Schuld zuzuweisen. Das ist Ihre zentrale
Botschaft.


(Dirk Niebel [FDP]: Quatsch!)


Dem können wir nicht folgen. Wenn es auch nur ein
Teilschritt ist, so greift die Reform der arbeitsmarktpoliti-
schen Förderinstrumente doch ein wichtiges Thema der
Arbeitsmarktförderung auf. Wir haben das nie verkannt.
Ich will das auch nicht ausführen, denn in unserem Ent-
schließungsantrag haben wir die positiven Seiten Ihres
Gesetzentwurfs hervorgehoben. Davon machen wir auch
keinerlei Abstriche. Das Gesetz bringt eine Reihe von
Verbesserungen. Die Glaubwürdigkeit der Verbesserun-
gen muss sich allerdings an ihrer Finanzierung messen
lassen. Da kommen uns erhebliche Zweifel, die beim Prü-
fen des Etats der Bundesanstalt für Arbeit eher wach-
sen. Ich will nicht auf die 2 Milliarden Euro verweisen;
das ist hinreichend erfolgt. Aber mich bewegt, dass Sie
eine Absenkung des Geldes für ABM um 16,2 Prozent
und für SAM um 30,5 Prozent zugrunde legen, trotz Ihrer
Aussagen, dass Sie die Arbeitsmarktpolitik verstetigen
wollen. Dass dies in besonderer Weise zulasten der neuen
Bundesländer geht, muss ich nicht extra erläutern.


(Beifall bei der PDS)


Das ist ein zentraler Punkt unserer Kritik. Prävention ist
gut und richtig, aber sie darf nicht zulasten der betroffe-
nen Arbeitslosen gehen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Dirk Niebel

19520


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir fordern eine Reihe von Änderungen, die wir in vier
Änderungsanträgen vorgelegt haben, die heute mit zur
Diskussion stehen. Sie sind in einer guten Farbe gedruckt:
auf Rot.

Die wesentlichen Dinge sind: Wir wollen erstens, dass
Sie von der Frist von drei Jahren, die man auf eine
ABM/SAM-Maßnahme warten muss, abgehen. Diese
Frist konterkariert Ihren richtigen Schritt, eine ABM/
SAM ab dem ersten Tag beginnen zu können.

Wir wollen zweitens, dass Sie die Sperrzeitenrege-
lung, die verschärft worden ist – auch wenn Sie das be-
streiten –, aufheben.

Wir wollen drittens, dass die Verleiharbeit generell
nicht unterstützt wird, sondern ab dem ersten Tag Tarif-
lohn gezahlt wird, wie es in Europa allgemein üblich ist.


(Beifall bei der PDS)

Wir wollen schließlich viertens, dass die jährliche

3-prozentige Absenkung der Arbeitslosenhilfe zurück-
genommen wird; das haben Sie einmal versprochen.

Stimmen Sie unseren vier Änderungsanträgen zu, die
schlimme negative Auswirkungen des Gesetzes verhin-
dern. Dann können Sie die Stimmen der PDS-Fraktion zu
Ihren dazuzählen.


(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419904600
Ich erteile das Wort
dem Bundesminister Walter Riester.

Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Da-
men und Herren! Gerne lassen wir uns messen.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: An wem?)

Bevor wir uns hier in eine Depression hineinreden,


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Meinen Sie Depression oder Rezession?)


will ich zu den schwierigen wirtschaftlichen Bedingun-
gen eines feststellen: In den letzten drei Jahren ist die
Zahl der Beschäftigungsverhältnisse um 1 Million ge-
stiegen,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Klaus Grehn [PDS]: Nicht existenzsichernde!)


die der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungs-
verhältnisse um 750 000. Die Arbeitslosigkeit ist erstmals
um 400 000 abgesenkt,


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das haben wir innerhalb des Jahres 1998 geschafft!)


und dies noch vor der großen Reform der Arbeitsmarkt-
politik.

Warum, meine Damen und Herren? Zuerst einmal,
weil wir gegen Ihre Widerstände eine Steuerreform reali-
siert haben,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


zum Zweiten, weil wir gegen Ihre Widerstände eine Ren-
tenreform realisiert haben,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


zum Dritten, weil wir gegen Ihre Widerstände ein Ju-
gendsofortprogramm aufgelegt haben, mit dem 330 000
junge Menschen zusätzliche Chancen bekommen haben,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Was der Beitragszahler bezahlt!)


zum Vierten, weil wir gegen Ihre Widerstände das Schwer-
behindertenrecht geändert haben und zwischenzeitlich
25 800 schwerbehinderte Arbeitslose weniger haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [FDP]: Sind die auch alle in Arbeit oder wo sind die?)


Das waren die ersten wichtigen Schritte.

Nun führen wir die große Reform der Arbeitsmarktpo-
litik durch. Um was geht es im Kern? Das Herzstück ist
die schnelle und passgenaue Vermittlung arbeitsloser
Menschen.


(Klaus Brandner [SPD]: Das ist gut so!)


Es geht darum, dass zukünftig bei Eintritt der Arbeitslo-
sigkeit verbindlich festgelegt wird, welche Chancen und
Risiken es gibt, welche Angebote dem Arbeitslosen ge-
macht werden können, aber auch, was an eigenem Beitrag
zu leisten ist, um ganz schnell und passgenau Arbeit zu
finden. Darum geht es im Kern.

Zweiter Punkt: Qualifizierung. Wenn Beschäftigte an
einer Qualifizierungsmaßnahme teilnehmen, soll die
Möglichkeit bestehen, diese Arbeitsplätze für die Zeit der
Maßnahme mit geeigneten Arbeitslosen zu besetzen,
wofür volle Unterstützung gewährleistet werden soll.
Hier ist einerseits Qualifizierung, andererseits Einbringen
in den Arbeitsmarkt gefordert. Beides gehen wir an.


(Abg. Johannes Singhammer [CDU/CSU] und Abg. Dr. Klaus Grehn [PDS] melden sich zu einer Zwischenfrage)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419904700
Herr Minister, es gibt
zwei Bitten um Zwischenfragen. Wollen Sie sie zulassen?

Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Nein, ich möchte sie dieses Mal nicht zulas-
sen, sondern ich möchte im Zusammenhang vortragen.


(Beifall bei der SPD – Dirk Niebel [FDP]: Das kann ich bei Ihrer Arbeitsmarktpolitik nicht verstehen! – Dr. Klaus Grehn [PDS]: Schade, Herr Minister!)


Dritter Punkt: Qualifikation. Wir beenden nicht nur
die Frühverrentungspraxis, sondern wir bieten Alternati-
ven an, und zwar dergestalt, dass Arbeitnehmer ab
50 zukünftig – meine Damen und Herren, das ist eines
der wichtigen Programme auch für kleine und mittel-
ständische Betriebe – eine bis zu hundertprozentige

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Dr. Klaus Grehn

19521


(C)



(D)



(A)



(B)


Unterstützung von der Bundesanstalt für Arbeit für ihre
Qualifizierung bekommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir wissen, dass in vielen Großbetrieben Qualifikation
systematisch betrieben wird, dass es aber vielen Klein-
und Mittelbetrieben schwer fällt, hier Anstrengungen zu
unternehmen. Hier bedarf es der Unterstützung, und zwar
einerseits für die Beschäftigten, andererseits aber auch für
die Betriebe.

Nächster Punkt. Wir wollen – das ist familienfreund-
lich – die Möglichkeit schaffen, Kindererziehung und
Berufstätigkeit so zu verbinden, dass der Übergang in
den Arbeitsmarkt wieder möglich ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [FDP]: Deswegen machen Sie die au pair sozialversicherungspflichtig!)


Damit führen wir eine Reform der Arbeitsmarktpolitik
durch,


(Dirk Niebel [FDP]: Die den Namen nicht wert ist!)


die Qualifikation und Vermittlung stärkt. Ich bin der Bun-
desanstalt für Arbeit dankbar, dass sie parallel dazu bereits
mehr als 1 000 Vermittler eingestellt hat und schult und mit
insgesamt 2 000 zusätzlichen Stellen in die Vermittlung
eintritt. Wir werden darüber hinaus den Vermittlungspro-
zess außerhalb der Bundesanstalt für Arbeit noch mit etwa
1 000 Stellen bei Dritten fördern. Das ist der größte Schub
in Arbeitsvermittlung, den es jemals gegeben hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [FDP]: Dagegen hat niemand etwas gesagt! Das ist in Ordnung!)


Damit wird der Steuerreform und der Reform der Sozial-
versicherung die Reform des Arbeitsmarktes folgen.

Nun habe ich in der vorhergehenden Debatte gehört,
dass einige erklärt haben, sie wollten – wenn ich Herrn
Laumann richtig verstanden habe – sofort unmittelbar die
Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zusammenführen.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: „Unmittelbar“ habe ich nicht gesagt!)


Sie haben 16 Jahre lang Zeit gehabt und jetzt fällt es Ih-
nen ein. Das aber nur als Randbemerkung.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Da waren Sie noch gegen gemeinnützige Arbeit!)


– Damals war die SPD in der Opposition. Sie haben es
nicht einmal geschafft, eine solche Sache anzugehen, Herr
Laumann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Sie waren damals noch gegen gemeinnützige Arbeit!)


Jetzt aber haben Sie dem ersten Ansatz, bei der Arbeitslo-
senhilfe eine Korrektur vorzunehmen, sofort Ihr Veto ent-

gegengehalten; daran darf ich Sie erinnern. Selbst an die-
sem Punkt haben Sie versagt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Wo denn?)


Gleichzeitig erklären Sie im Parlament, wir bräuchten
einen Niedriglohnbereich und die Arbeitslosenhilfe sei zu
hoch. Wissen Sie, wie hoch die durchschnittliche Arbeits-
losenhilfe ist? Ich will es Ihnen einmal sagen: 985 DM.
Das ist dem Herrn Laumann zu hoch.


(Detlev von Larcher [SPD]: Unglaublich!)


Deswegen möchte der Herr Laumann die Arbeitslosen-
hilfe am besten sofort streichen.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Herr Riester, wissen Sie was, Sie haben keine Ahnung! – Andrea Nahles [SPD]: Werden Sie nicht unsachlich, Herr Laumann!)


Jetzt sind wir bei den Fakten. Wir haben erklärt, wir
wollen die Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammen-
führen.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Wann denn?)


Die Arbeits- und Sozialministerkonferenz hat das unter-
stützt.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Wann denn? – Ute Kumpf [SPD]: MoZArT! Werden Sie musikalisch, Herr Kollege!)


Sie hat gefordert, das im Jahre 2002/2003 anzugehen. Wir
haben die ersten Schritte eingeleitet, auch gegen Ihren Wi-
derstand.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das ist nicht wahr!)


Wir haben die MoZArT-Projekte aufgelegt. In diesen
30 Modellprojekten läuft es hervorragend. Wir werden
das machen – das kann ich Ihnen zusagen –, auch gegen
Ihren Widerstand.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Mach es doch! – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Warum machen Sie es nicht sofort, wenn es so gut läuft? Können Sie das mal erklären!)


Herr Niebel, Sie haben ein wahrscheinlich aus
dem Zusammenhang gerissenes Argument der Frau
Diamantopoulou angeführt. Das werden wir nachprüfen.
Ich kann Ihnen aber eines sagen – das ist zwischenzeitlich
sicherlich zweifelsfrei –: Im Jahre 1997 hat das deutsche
Volk das Wort „Reformstau“ zum Wort des Jahres ge-
wählt. Sie haben die Rentenreform abgelehnt. Sie haben
die Gesundheitsreform torpediert.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Weil wir eine bessere hatten!)


Sie haben die Steuerreform abgelehnt.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Weil wir eine bessere hatten!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Bundesminister Walter Riester

19522


(C)



(D)



(A)



(B)


Sie werden heute die Arbeitsmarktreform ablehnen.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Weil wir eine bessere haben!)


Sie haben nichts dazugelernt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir werden diese Reformen vorantreiben, und zwar
auch gegen Ihren Widerstand. Das werden wir machen.
Das werden wir auch in der Arbeitsmarktpolitik ma-
chen.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: „Politik der ruhigen Hand“ ist in diesem Jahr das Unwort! – Franz Thönnes [SPD]: Ihr könnt ja mal von der Jobrotation Gebrauch machen! Dann lernt ihr noch etwas!)


Ich habe den Eindruck, dass Sie diese Frage nicht so furcht-
bar interessiert, wenn ich mir die Besetzung anschaue.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Detlev von Larcher [SPD]: Herr Laumann ist lernunfähig!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419904800
Jetzt gibt es zwei
Wünsche nach Kurzinterventionen. Die erste, Herr
Dr. Grehn, bitte sehr. – Herr Minister, Sie können darauf
antworten.


Dr. Klaus Grehn (PDS):
Rede ID: ID1419904900
Es tut mir Leid, aber die
Frage ist mir zu wichtig, als dass ich darauf verzichten
könnte, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich bitte um Ver-
ständnis.

Erstens, Herr Minister, zum Eingliederungsplan. Es
steht mir nicht an zu sagen, dass es für einige Arbeitslose
in Ordnung und richtig ist, ich frage nur hinsichtlich ihrer
hohen allgemeinen Erwartungen: Was nutzen Ihnen Ein-
gliederungspläne für Arbeitslose, wenn in den neuen Bun-
desländern insgesamt auf 22Arbeitslose eine offene Stelle
kommt? Wo wollen Sie da mit Ihren Arbeitslosen hin?
Das müssten Sie mir einmal beantworten.

Zweitens. Ich will davon ableiten, das A und O bleibt
die Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen. Da sehe
ich in Ihrem Gesetz einen Ansatz, der sich im Bereich der
öffentlich geförderten Beschäftigung bewegt. Ich ge-
stehe, dass ich da sehr enge Beziehungen zu unserem An-
trag über einen öffentlich geförderten Beschäftigungssek-
tor sehe. Wir mögen da ein Stück auseinander sein, aber
es gibt dort sehr enge Berührungspunkte. Da wäre es bei-
spielsweise möglich, dies mit der Projektförderung über
einen längerfristigen Zeitraum zu verknüpfen, um das
Hinüberwachsen in den ersten Arbeitsmarkt zu befördern.

Allerdings hätten Sie eine weitere Möglichkeit, wenn
Sie eben nicht die Wartefrist nach einer ABM-Stelle so ge-
neralisierend einführen, wie es hier geschieht. Es steht
nicht da, ob nach einem viertel oder halben Jahr oder ei-
nem Jahr – die ABM, werden ja inzwischen gesplittet –

die Wartefrist eintritt und sie haben dann nach einer SAM
ebenfalls eine Wartefrist von drei Jahren.

Haben Sie ein Projekt, mit dem Sie ein vernünftiges
Konzept zum Übergang auf den ersten Arbeitsmarkt ha-
ben – Ausgründung hat man früher dazu gesagt – dann
schaffen Sie das nicht mit einem Personal, das bei ABM
jährlich wechselt und bei SAM dreijährlich wechselt. Je-
der weiß, dass ein Unternehmen fünf bis sieben Jahre
braucht, um sich zu etablieren. Es sei denn, Sie erklären
hier, dass wir immer noch den ursprünglichen Grün-
dungsideen des Arbeitsförderungsgesetzes anhängen, das
eigentlich zum Parken gedacht ist.

Ich meine, es ist an der Zeit, darüber nachzudenken,
dass ein Gutteil der Arbeitsförderung benutzt wird, um in
den ersten Arbeitsmarkt hinüberzuwachsen.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419905000
Zu einer weiteren In-
tervention gebe ich Herrn Kollegen Singhammer das
Wort. An sich könnte der Minister auf jede Intervention
antworten, aber wenn Sie sich alle ein bisschen kürzer fas-
sen und er dann zusammenfassend darauf antwortet, wäre
das für den Ablauf der Debatte ganz richtig – Herr
Singhammer, bitte sehr.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1419905100
Sehr gern,
Frau Präsidentin.

Da der Minister nicht in der Lage war, Zwischenfragen
zuzulassen,


(Widerspruch bei der SPD)


wähle ich den Weg der Intervention.

Herr Minister, trifft es zu – darauf müssen Sie natür-
lich eingehen –, dass jetzt in dieser Woche das Arbeits-
ministerium in dieser Vorlage für die Nachtsitzung des
Ausschusses erstmals offiziell von 3,9 Millionen Arbeits-
losen im Durchschnitt ausgeht, nachdem Sie zuvor
3,5 Millionen als das anzustrebende Ziel genannt haben
und jetzt selbst einräumen, dass es im nächsten
Jahr 3,9 Millionen im Durchschnitt sein werden? Das
bedeutet, dass wir zu den Jahreszeiten, die für den
Arbeitsmarkt ungünstig sind, deutlich über 4 Milli-
onen kommen werden und damit Ihre gesamten
Bemühungen und Anstrengungen auf dem Arbeitsmarkt
gescheitert sind,


(Franz Thönnes [SPD]: Quatsch!)


weil das natürlich gravierende Auswirkungen nicht nur
auf die Betroffenen haben wird, die um ihren Arbeitsplatz
bangen, sondern auch auf die Sozialversicherungssys-
teme, denen dann die Einnahmen fehlen werden. Die Ein-
nahmen fehlen in der Rentenversicherung, in der Kran-
kenversicherung, in der Pflegeversicherung, in der
Arbeitslosenversicherung.

Dann sage ich Ihnen noch etwas im Zusammenhang
mit der Sozialhilfe, weil Sie hier den Kollegen Laumann
genannt haben.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Bundesminister Walter Riester

19523


(C)



(D)



(A)



(B)


Haben Sie schon vergessen, dass die gemeinnützige
Tätigkeit, die wir vielen Sozialhilfeempfängern ermögli-
chen wollten, früher aus Ihren Reihen als „Zwangsarbeit“
verteufelt wurde?


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: So war es! So war Ihre Politik vor zehn Jahren!)


Das sollten Sie einmal zugestehen.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419905200
Nun hat zu einer
Kurzintervention der Kollege Niebel das Wort, bitte sehr.


(Zurufe von der SPD: Oh!)



Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1419905300
Herr Minister, Sie haben anklin-
gen lassen, dass Sie vermuten, ich hätte falsch zitiert. Des-
halb erlaube ich mir, Ihnen den Kommentar der „Neuen
Osna-brücker Zeitung“ von heute, auf den ich mich bezo-
gen habe, in Gänze vorzutragen – das ist sicher sehr in-
teressant für Sie –:

Wie die Dominosteine fallen in diesen Tagen die ein-
zelnen Elemente in Eichels Finanzplanung. Noch be-
vor die Steuerschätzer ihre Hiobsbotschaften aus-
breiten, hat die Bundesanstalt für Arbeit schon das
Loch berechnet, das die Konjunkturflaute im nächs-
ten Jahr in ihre Kasse reißt.


(Ute Kumpf [SPD]: Wir haben hier keine Lesestunde!)


Vier Milliarden wird der Bund zuschießen müssen;
der Finanzminister hatte dafür im Etat bislang keinen
Pfennig vorgesehen. Die Beitragssenkung, die Ar-
beitsminister Riester bereits in Aussicht gestellt
hatte, sie liegt wieder in weiter Ferne. Wenn das Geld
knapp ist, wächst für gewöhnlich der Reformdruck.
Doch bei dieser Regierung scheint dies anders zu
sein; sie vermittelt in der Arbeitsmarktpolitik gera-
dezu den Eindruck von Lethargie.


(Beifall bei der FDP)


Mit dem Job-Aqtiv-Gesetz soll zwar die Vermittlung
effizienter gestaltet werden, doch in puncto Flexibi-
lität und Kreativität bei der Nutzung der Beschäfti-
gungschancen liegt die Bundesrepublik im europä-
ischen Vergleich weit hinten.


(Franz Thönnes [SPD]: Können Sie auch eine andere Zeitung vorlesen? Die Reform der Arbeitslosenund Sozialhilfe kommt so quälend voran, dass die Sozialminister der Länder ungeduldig werden. Die EU-Kommissarin für Beschäftigung und Soziales, Anna Diamantopoulou, (Franz Thönnes [SPD]: Hey, ohne Stolpern griechisch vorgelesen!)


hat die Schwachstelle genau bezeichnet: das offen-
sichtliche Unvermögen, das Tempo der administrati-
ven Reformen dem Tempo des Wandels der Gesell-
schaft anzupassen.


(Klaus Brandner [SPD]: Zweite Klasse Grundschule!)


Riester sollte sich ein Beispiel an seinem Kollegen
Otto Schily nehmen: Der hat in kürzester Frist, weil
es drängte, gleich zwei Sicherheitspakete auf den
Weg gebracht. Der Arbeitsmarkt verlangt nicht we-
niger Einsatz. Dem Job-Aqtiv-Gesetz müssen
schnell weitere Initiativen folgen.

So weit die „Neue Osnabrücker Zeitung“ von heute. Ich
habe das ordnungsgemäß vorgelesen und gebe das so zu
Protokoll.

Herr Riester, Sie sind gescheitert.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419905400
Nun erteile ich das
Wort dem Bundesarbeitsminister, der sicherlich keine Le-
sung halten, sondern etwas sagen wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Herr Grehn, in einem Punkt gebe ich Ihnen
Recht: Der Eingliederungsplan wird dann nichts bringen,
wenn es nichts zu vermitteln gibt. Aber wir haben im Mo-
ment immer noch rund 400 000 gemeldete offene Stellen.
Offensichtlich gibt es darüber hinaus noch deutlich mehr
nicht gemeldete offene Stellen.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Aha!)


Deshalb ist es wichtig, dass wir diesen Vermittlungspro-
zess dort, wo es etwas zu vermitteln gibt, wesentlich effi-
zienter und schneller machen. Darum geht es.


(Beifall bei der SPD)


Ein zweiter Punkt: Wo es geht, werden wir den Über-
gang vom öffentlich geförderten in den ersten Arbeits-
markt organisieren. Aber wenn es irgendwie geht,
möchte ich die öffentlich geförderte Beschäftigung als
Zwischenstufe von vornherein vermeiden. Ich bin dafür,
Herr Grehn, dass wir dann, wenn wir keine anderen An-
gebote haben, den Menschen, die nicht zu vermitteln sind,
die Möglichkeit eröffnen, im Wege von Strukturanpas-
sungs- oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Arbeit zu
gelangen. Dies ist immer noch besser als die Alternative,
beschäftigungslos alimentiert zu werden. Deswegen ha-
ben wir das jetzt so ausgestaltet, dass eine bessere Ver-
zahnung von Arbeitsmarkt- und Infrastrukturmaßnahmen
erfolgen kann. Aber unser vorrangiges Interesse ist im-
mer, die Brücke in den ersten Arbeitsmarkt zu schlagen.

Herr Singhammer möchte von mir Dinge bestätigt wis-
sen, die ich so natürlich nicht bestätigen kann.


(Dirk Niebel [FDP]: Warum bringen Sie das dann in den Ausschuss ein?)


Nach der von der Bundesregierung – nicht nur vom Ar-
beitsministerium – für das nächste Jahr unterstellten Ar-
beitsmarktentwicklung wird ein Wert erreicht werden, der
unter 3,9 Millionen Arbeitslosen liegt.


(Dirk Niebel [FDP]: 3,893!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Johannes Singhammer

19524


(C)



(D)



(A)



(B)


Daraus abzuleiten, dass die Arbeitsmarktpolitik geschei-
tert ist, ist schon eigenartig. Nur, um noch einmal darauf
hinzuweisen: Die durchschnittliche Arbeitslosenzahl, die
wir von Ihnen übernommen haben, lag bei 4,3 Millionen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


400 000 Arbeitslose weniger ist kein Scheitern, sondern
Ausdruck aktiver Politik für Arbeitsplätze. Sie wären
wahrscheinlich wie um das goldene Kalb getanzt, hätten
Sie diese Zahl zu Ihrer Zeit erreicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das ist allein auf den demographischen Faktor zurückzuführen!)


Nun zum dritten Punkt. Ich bin froh, dass Herr Niebel
vorgelesen hat – es hat zwar ein bisschen Zeit in Anspruch
genommen –,


(Dirk Niebel [FDP]: Ich rede sonst immer frei! Das muss man auch einmal sagen!)


dass Frau Diamantopoulou nicht die Bundesregierung
oder den Arbeitsminister, sondern die Entwicklung in der
EU angemahnt hat.


(Dirk Niebel [FDP]: Sie hat Ihnen die Zensuren gegeben!)


Dies war es wert, dass uns Herr Niebel das noch einmal
vorgelesen hat. Genau deswegen habe ich interveniert.
Denn ich weiß, dass ich bei Ihnen besonders vorsichtig
sein muss. Man muss erkennen, in welchen Zusammen-
hang Sie Aussagen von bestimmten Personen stellen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [FDP]: Ganz schwach! – Klaus Brandner [SPD]: Herr Kollege Niebel ist gescheitert!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419905500
Nun hat die Kollegin
Brigitte Baumeister, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. Bitte
sehr.


Brigitte Baumeister (CDU):
Rede ID: ID1419905600
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, ich wun-
dere mich ein wenig. Ich möchte zwei Dinge, die Sie an-
gesprochen haben, aufgreifen. Glauben Sie denn wirklich,
dass die Rentenreform vor dem Hintergrund, dass Sie an
die Schwankungsreserve herangehen müssen, ein Erfolg
ist?


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Glauben Sie wirklich, dass die Steuerreform ein Erfolg ist,
wenn es gleichzeitig zu einer Benachteiligung des Mittel-
standes kommt und Sie Steuererhöhungen durchführen?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Franz Thönnes [SPD]: Jawohl! – Klaus Brandner [SPD]: Wir glauben nicht nur, wir sind davon überzeugt!)


Wenn man die Situation auf dem Arbeitsmarkt und in
der Wirtschaft im Allgemeinen ansieht, kann man in der
Tat depressiv werden. Ich sage Ihnen ganz klar: Die Wirt-
schaft lahmt im Augenblick. Die Zahl der Aufträge ist
stark zurückgegangen. Die Arbeitslosigkeit ist gestiegen
und viele Betriebe wollen durch Urlaubsumschichtungen,
durch freiwilligen Lohnverzicht oder durch Verzicht auf
das Weihnachtsgeld den drohenden Stellenabbau verhin-
dern. Sie selbst haben in dieser Woche kundgetan, dass
Sie im Jahre 2002 mit im Durchschnitt 3,89 Millionen Ar-
beitslosen rechnen. Ich frage Sie an dieser Stelle wirklich,
ob Sie damit nicht deutlich Ihr Ziel verfehlt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dirk Niebel [FDP]: Das muss man nicht mehr fragen, das ist offenkundig!)


Wir sind der Meinung, dass es hier zweierlei bedarf:
Erstens. Die Konjunktur muss wieder in Schwung ge-
bracht werden. Dazu bedarf es hier in Deutschland Refor-
men, die mutig sein müssen.


(Beifall bei der FDP)


Die Wirtschaft muss wieder die Chance bekommen,
überhaupt Arbeitsplätze schaffen zu können. Ich persön-
lich denke da nicht in erster Linie an ein neu aufgelegtes
Konjunkturprogramm oder an ein Vorziehen der Steuer-
reform. Sie sollten aber einmal den Antrag der
CDU/CSU-Fraktion lesen. In ihm ist die Forderung ent-
halten, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um ins-
gesamt 1 Prozentpunkt zu senken. Das wäre ein deutlicher
Schritt zur Absenkung der Lohnnebenkosten.

Zweitens. Arbeitslose müssen besser und schneller ver-
mittelt werden. Ich habe im Ausschuss kundgetan, dass
ich Ihnen in diesem Punkt zustimme. Dieses Vorhaben ist
in Ihrem Koalitionsvertrag enthalten; doch der Gesetzent-
wurf kommt leider relativ spät.

In zwei Punkten stimme ich Ihnen zu: beim Profiling
und beim Eingliederungsvertrag. Es ist richtig – die Ar-
beitsämter verbinden damit in der Tat eine gewisse Hoff-
nung –, dass durch diese Instrumente die Situation besser
wird. Grundsätzlich aber möchte ich Ihnen sagen, dass ich
mir beim Eingliederungsvertrag die Frage stelle, was pas-
siert, wenn die Vereinbarungen nicht eingehalten werden.
Was können die Betreuer über die jetzt schon bestehenden
Sanktionen hinaus überhaupt tun? Auf diese Frage habe
ich keine Antwort bekommen.

Ferner beklagen die Arbeitsämter die Regelung in § 49
Abs. 2 SGB III, in der Trainingsmaßnahmen von vier Wo-
chen, Bewerbungsseminare von zwei Wochen und ein be-
triebliches Praktikum von acht Wochen vorgesehen sind.
Die Arbeitsämter hätten es gerne, dass Arbeitslose, wenn
sie in einem Betrieb ein Praktikum nicht erfolgreich ab-
geschlossen haben, in einem anderen Betrieb ein Prakti-
kum von gegebenenfalls noch einmal acht Wochen ma-
chen können. Hierzu sage ich Ihnen: Flexibilität ist nicht
gefragt. Es kommt vielmehr zu Einschränkungen.

Frau Nahles, Sie haben die Leistungen für Frauen
sehr hervorgehoben.


(Dirk Niebel [FDP]: Die hört noch nicht einmal zu!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Bundesminister Walter Riester

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Ich möchte Sie fragen: Was haben Sie für Alleinerzie-
hende getan? Was haben Sie bei der Kinderbetreuung ge-
macht? Sie haben diese um 1 000 DM gesenkt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ute Kumpf [SPD]: Bei der Kinderbetreuung fragen Sie lieber Herrn Teufel in Baden-Württemberg! Das ist vielleicht sinnvoller als hier!)


– Ihr Schreien nützt nichts; deswegen werde ich nicht lau-
ter. – Ich frage Sie auch: Was haben Sie beim Ausbil-
dungsfreibetrag gemacht? Den haben Sie doch gesenkt.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Oder: Was ist mit der Haushaltshilfe? Ab dem 1. Ja-
nuar 2002 wollen Sie die Freibeträge für eine Haushalts-
hilfe abschaffen. Mit Ihrer Familienpolitik können Sie
sich nicht allzu sehr brüsten.

Ich möchte noch einige Bemerkungen zu der im Ge-
setzentwurf vorgesehenen Beschäftigung schaffenden In-
frastrukturförderung machen. Nach Ihrem Gesetzent-
wurf sollen Firmen öffentliche Aufträge, zum Beispiel für
den Bau von Kinderspielplätzen oder öffentlichen Ein-
richtungen, erhalten, wenn sie eine festgelegte Anzahl
von Arbeitslosen beschäftigen, die vom Arbeitsamt finan-
ziert werden.


(Franz Thönnes [SPD]: Mitfinanziert!)


– Es ist richtig, Herr Thönnes: Die Arbeitslosen werden
nicht allein vom Arbeitsamt bezahlt, sondern nur mitfi-
nanziert.

Um es gleich vorwegzunehmen: Ich greife ein Argu-
ment auf, das in der Anhörung genannt wurde. In erster
Linie schadet dies dem Handwerk und dem Mittelstand.
Gerade die Vertreter der Gartenbaubetriebe und der
Bauindustrie haben Ihnen in der Anhörung gesagt, dass
sie sich damit keineswegs einverstanden erklären können.

Ich werde Ihnen aufzeigen, wozu das führt: Arbeitneh-
mer und Arbeitgeber bezahlen über ihre Beiträge zur Ar-
beitslosenversicherung – immerhin 6,5 Prozent – kom-
munale Infrastrukturprojekte mit. Die Beitragszahlungen
sichern nicht das Risiko von Arbeitslosigkeit ab, sondern
mit Ihnen werden die Langzeitarbeitslosen mitfinanziert.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: So ist es! – Franz Thönnes [SPD]: Dummes Zeug!)


Ob das tatsächlich der Sinn der Arbeitslosenversicherung
sein kann, frage ich mich ernstlich. Ich frage mich auch,
ob dies nicht ein Subventionstatbestand ist, den Sie immer
wieder kritisieren.

Gravierende Folgen in diesem Gesetzentwurf – ich
habe es schon erwähnt – werden bei kleinen und mittel-
ständischen Betrieben sowie beim Handwerk sichtbar.
Diese sind in mehrfacher Hinsicht benachteiligt.

Erstens. Diese kleinen Betriebe haben überhaupt nicht
die Möglichkeit, die Obergrenze von 35 Prozent bei ei-
nem Auftrag auszuschöpfen. Das können sie gar nicht.


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])


Zweitens. Es sind vor allem größere Unternehmen, die
gute Kontakte zu den Kommunen pflegen und von dieser

Förderung möglicherweise mehr als kleinere Betriebe
profitieren.


(Franz Thönnes [SPD]: Das ist doch Quatsch! Der Verwaltungsausschuss entscheidet vor Ort!)


– Warten Sie es erst einmal ab!

Drittens. Diese größeren Betriebe stellen mit ihren
günstigen Angeboten eine härtere Konkurrenz für die
kleineren Betriebe dar. Diese Regelung – das sage ich Ih-
nen jetzt schon voraus – wird mit Sicherheit negative Fol-
gen auf dem Arbeitsmarkt haben.


(Franz Thönnes [SPD]: Der eine kann vorlesen, der andere erzählt Märchen! – Gegenruf des Abg. Dirk Niebel [FDP]: Da ich sonst frei rede, musste ich beweisen, dass ich auch vorlesen kann!)


Manche Betriebe – Herr Niebel hat es vorhin schon ge-
sagt – könnten sogar animiert werden, regulär Beschäf-
tigte abzubauen und auf dieses Instrument der Förderung
von Arbeitslosen auszuweichen.


(Franz Thönnes [SPD]: Machen Sie den Leuten doch keine Angst!)


Selbst Frau Engelen-Kefer und der Kollege Wiesehügel
schließen nicht aus, dass damit ein Drehtüreffekt eintreten
könnte. Insgesamt ist damit die unausweichliche Gefahr
verbunden, dass Länder und Kommunen ihre Mittel für
öffentliche Investitionen zurückfahren werden.

Ich möchte noch einige wenige Bemerkungen zur
Arbeitnehmerüberlassung machen. Ich bin froh, dass
Sie diesbezüglich Ihre Zweifel ausgeräumt und die Anhe-
bung der Verleihdauer auf 24 Monate übernommen ha-
ben. Aber die Regelung, ab dem 13. Monat den Tarifver-
trag der Firma zu übernehmen, in der der Verleihende
arbeitet, wird in der Praxis große Probleme mit sich brin-
gen. Für die Industrie ist es nur dann attraktiv, wenn der
Leiharbeiter günstiger als der Normalbeschäftigte ist.


(Franz Thönnes [SPD]: Da sagen die Zeitarbeitsfirmen etwas anderes!)


Außerdem fehlen in dem Gesetz Deregulierungsschritte.
Ich nenne das von uns angemahnte Synchronisationsver-
bot und das Wiedereinstellungsverbot.

Ich möchte auch noch ein Wort zum Kombilohn sa-
gen. Sie argumentierten im Ausschuss, die bisherigen Er-
fahrungen seien nicht besonders gut. Ich frage Sie:
Warum machen Sie diesen Versuch nicht flächen-
deckend? Dann können wir tatsächlich Erfahrungen sam-
meln. Wir sind der Meinung – das ist ein Bestandteil un-
seres Antrages –, dass dies eine Maßnahme für den
Niedriglohnsektor sein könnte. Das ist wichtig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Insgesamt möchte ich betonen: Das Job-Aqtiv-Gesetz
hat einige gute Ansätze, aber in der Gesamtheit wird mit
ihm viel zu kurz gesprungen. Das habe ich bereits im Aus-
schuss gesagt. Sie werden erleben müssen, meine Damen
und Herren von der Regierungskoalition, dass die Oppo-
sition Sie weiterhin daran messen wird, ob Sie mit diesem

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Brigitte Baumeister

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Gesetz einen Erfolg erzielen werden, nämlich den Abbau
der Arbeitslosigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Mit leeren Händen stehen sie da!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419905700
Nun hat die Kollegin
Ute Kumpf für die SPD-Fraktion das Wort.


Ute Kumpf (SPD):
Rede ID: ID1419905800
Frau Präsidentin! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Herr Niebel, eine kleine Qua-
lifizierungsoffensive für Sie: Vielleicht wäre es ganz sinn-
voll, wenn Sie ab und zu weniger Zeitung und dafür mehr
die Ausschussdrucksachen lesen würden.


(Beifall bei der SPD – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Es geht um die Realitäten und nicht um Fantasie!)


Ich empfehle Ihnen wärmstens die Ausschussdrucksache
14/1838 als Lektüre.

Wenn wir heute – damit leite ich zum Thema über – das
Job-Aqtiv-Gesetz verabschieden, dann machen wir den
Weg für eine aktive Arbeitsmarktpolitik frei. Dieses Ge-
setz enthält genau die vier, fünf Punkte, deren Umsetzung
die EU schon vor drei Jahren angemahnt hat, also zu ei-
ner Zeit, als zwar nicht Sie persönlich, Herr Niebel, aber
Ihre Partei in der Verantwortung war. Man sagt immer,
dass man etwas siebenmal wiederholen muss, bis Kinder
es verstanden haben. Vielleicht muss man es für Sie vier-
zehnmal wiederholen.


(Dirk Niebel [FDP]: Wenn, dann achtzehnmal! – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Arbeitsamt 2000 lässt grüßen!)


Ich möchte Ihnen deswegen noch einmal erklären, welche
Grundsätze dem Job-Aqtiv-Gesetz zugrunde liegen.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Haben Sie schon einmal etwas vom Arbeitsamt 2000 gehört?)


Wir wollen zuallererst Probleme lösen und nicht aus-
sitzen. Wir wollen den Grundsatz „Fordern und fördern“
verfolgen. Wir wollen besondere Zielgruppen, Ältere,
Un- und Angelernte und die Frauen zusätzlich fördern.
Wir wollen das neue Instrument der Jobrotation einsetzen.
Wir wollen den Frauen mehr Teilhabe und Chancen-
gleichheit am Arbeitsmarkt einräumen. Wir wollen vor al-
lem die Infrastrukturpolitik mit der Arbeitsmarktpolitik
verzahnen, Frau Baumeister. So etwas können auch wir
im reichen Baden-Württemberg gebrauchen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Wer soll das bezahlen?)


– Das wird auch bezahlt. Hätten Sie doch bei der An-
hörung gut zugehört! Der Schwabe wird sich freuen; denn
die Verpflichtung zu einer aktiven Arbeitsmarktpolitik
sowie die Verbesserung und Beschleunigung der
Vermittlungsarbeit – das müssten auch Sie, Herr Niebel,

wissen – haben positive finanzielle Folgen für die Ar-
beitsämter.


(Beifall bei der SPD – Dirk Niebel [FDP]: Sie verlagern gesamtgesellschaftliche Aufgaben zulasten der Beitragszahler!)


Das geht nicht auf meine Berechnungen zurück, son-
dern auf die von Herrn Egle – er kommt ja von der Fach-
hochschule Mannheim, an der Sie nach Ihrer Bundes-
wehrzeit vielleicht auch einmal studiert haben –,


(Dirk Niebel [FDP]: Den haben wir sogar eingeladen! Aber Sie zitieren ihn falsch! – Klaus Brandner [SPD]: Mein Gott, bleibt denn da gar nichts hängen?)


die er während der Anhörung vorgetragen hat. Er hat fol-
gende Rechnung aufgemacht: Wenn die Verweildauer um
drei Tage verkürzt wird, dann verringern sich die anfal-
lenden Kosten der Arbeitslosigkeit – bezogen auf 200 000
Arbeitslose – um rund 2,6 Milliarden DM. Diese 2,6 Mil-
liarden DM können wir dann in die Förderung des Ar-
beitsmarktes investieren.


(Beifall bei der SPD)


Das müsste Sie als Schwabe doch freuen.


(Abg. Dirk Niebel [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Ich lasse keine Zwischenfrage zu, weil ich zum Ende
kommen möchte. Ich glaube nicht, dass uns Ihre Einlas-
sungen weiterhelfen würden.


(Franz Thönnes [SPD]: Welchen Text wollen Sie uns denn jetzt vorlesen? – Dirk Niebel [FDP]: Das mit dem Schwaben ist eine Unverschämtheit!)


Wir machen mit dem Job-Aqtiv-Gesetz einen Einstieg
zum lebensbegleitenden Lernen möglich. Wir fördern und
unterstützen die Kultur des Lernens getreu dem Motto:
Die Unterweisung muss mehr gelten als die Überweisung.
Sie wissen gerade aufgrund der Erfahrungen, die man im
reichen und sehr gut dastehenden Baden-Württemberg
gemacht hat, dass berufliche Qualifikation notwendig und
wichtig ist.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Wer regiert denn in Baden-Württemberg?)


– Einen Moment, darauf komme ich noch zu sprechen. –
Herr Grehn würde sich sicherlich freuen, wenn die ost-
deutschen Bundesländer die Arbeitsmarktzahlen aufzu-
weisen hätten, die zum Beispiel wir in Baden-Württem-
berg haben.

Dennoch gibt es ein Problem, nämlich das Problem
der Un- und Angelernten. Sie wissen ganz genau, ein un-
oder angelernter Arbeiter aus der Automobilindustrie
kann nicht einfach in die Gaststätte zum Wischen und
Putzen geschickt werden. Er braucht andere Qualifizie-
rungsangebote, um sich für den Arbeitsmarkt fit zu
machen.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Tun Sie doch was!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Brigitte Baumeister

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– Es wurde auch etwas getan, Herr Singhammer. In Stutt-
gart wurde zum Beispiel in Vorgriff auf unser neues Ar-
beitsmarktkonzept, das wir mit unserem Job-Aqtiv-Ge-
setz umsetzen, der Anteil der Langzeitarbeitslosen
innerhalb von vier Jahren um 40 Prozent reduziert, und
zwar durch Weiterqualifizierung und Vermittlung. Der
Arbeitsamtsdirektor von Stuttgart, Wolfgang Gerlach
– ich zitiere jetzt die „Stuttgarter Zeitung“, nicht die
„Neue Osnabrücker Zeitung“ –, hat gesagt: Die Maßnah-
men – Langzeitarbeitslose werden qualifiziert und ver-
mittelt –, die zur „Stuttgarter Erfolgsgeschichte“ beige-
tragen haben, wollen wir bundesweit flächendeckend
einführen. Dazu brauchen wir das Job-Aqtiv-Gesetz.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [FDP]: Absoluter Firlefanz!)


Als ich mir alle Anträge, die Sie im Laufe der Bera-
tungen eingebracht haben, genau angeschaut habe, habe
ich festgestellt: Sie haben schlichtweg nichts dazugelernt.
Sie haben Ihre alten Konzepte, die Sie bis 1998 durchzu-
setzen versucht haben, immer wieder in die Beratungen
– sozusagen wiedergekäut – eingebracht.


(Dirk Niebel [FDP]: Das stimmt nicht!)


Ihre Forderungen lassen sich auf Deregulierung, Leis-
tungskürzungen und Verfolgen der Arbeitslosen mit der
Meldepflicht – das ist ursprünglich eine Forderung der
CDU/CSU – reduzieren. Das heißt auch Zusammen-
führen von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe. Es kann
durchaus gut sein, wenn Arbeits- und Sozialämter besser
zusammenarbeiten, Sie aber haben schlichtweg die Kür-
zung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe im Kopf.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Ist doch gar nicht wahr! Lesen Sie doch mal unseren Antrag! – Franz Thönnes [SPD]: Na, lesen Sie doch mal, was Ihr Kollege Rauen sagt!)


– Nein, das denke ich nicht, weil auch Ihre Kollegen in
den Gemeinderäten über dieses Thema mit den entspre-
chenden Argumenten diskutieren. Ich glaube, Sie müssen
ein bisschen vorsichtiger sein. Sie können nicht die Hand
zum Schwur heben, wenn Sie behaupten wollten, Sie hät-
ten keine Leistungskürzungen im Auge. Ihr Fraktionsvor-
sitzender hat heute im „Morgenmagazin“ lauthals ver-
kündet,


(Franz Thönnes [SPD]: Bei euch kann jeder sagen, was er will, nicht?)


an dieser Schraube müsse gedreht werden, damit Be-
schäftigung möglich gemacht werden könne. Das ist Ihr
Konzept, das Sie in Bezug auf den Arbeitsmarkt verfol-
gen.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Warten Sie es doch mal ab!)


Wir halten Ihr Konzept der Deregulierung und Libera-
lisierung nicht für zukunftsfähig und auch nicht für nach-
haltig.


(Dirk Niebel [FDP]: Sie wollen Bürokratisierung und Überregulierung!)


Wir gehen unseren Weg der Nachhaltigkeit auch in Fra-
gen der Arbeitsmarktpolitik, der Weiterbeschäftigungspo-
litik und der Qualifizierungspolitik.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Was sagt Scharping eigentlich zu diesem Thema? Er hat ja im passenden Ambiente darüber nachgedacht!)


Ein Wort noch an die Adresse der Arbeitgeber. Wenn
wir heute dieses Gesetz auf den Weg bringen, haben wir
unsere Hausaufgaben erledigt. Wir haben die Aufgaben
erledigt, die wir im Bündnis für Arbeit verabredet haben,
nämlich Rahmenbedingungen für die Arbeitsmarktpolitik
zu schaffen. Ich habe eine Bitte und eine Forderung an die
Arbeitgeber, die auch im Bündnis für Arbeit sitzen. Wir
haben 1,8 Milliarden Überstunden und eine steigende Ar-
beitslosigkeit. Ich glaube, es ist an der Zeit, dass die Un-
ternehmen ihrer Verantwortung gerecht werden, die Über-
stunden in Beschäftigung umzusetzen.

Wir liefern die Instrumente durch Lohnkostenzu-
schüsse, Weiterbildungsangebote und Jobrotation. Diese
Instrumente müssen von den Unternehmen beherzt auf-
gegriffen werden. Wir können keine Arbeitsplätze schaf-
fen. Das müssen letztendlich die Unternehmen tun. Auch
die Präsidentin hat bei der letzten Diskussion, die wir hier
geführt haben, gesagt, wir sollten auf diesen Punkt auf-
merksam machen.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419905900
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Reform der arbeitsmarkt-
politischen Instrumente, Drucksachen 14/6944 und
14/7347. Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
empfiehlt unter Nr. 1 a seiner Beschlussempfehlung die
Annahme des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung.
Hierzu liegen vier Änderungsanträge der PDS vor, über
die wir zuerst abstimmen.

Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 14/7383? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses ge-
gen die Stimmen der PDS abgelehnt.

Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 14/7390? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.

Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 14/7391? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.

Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 14/7393? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-

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Ute Kumpf

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chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine.
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung ange-
nommen.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das wird euch noch Leid tun! Das ist ein schwerer Fehler!)


Dritte Beratung
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen angenommen worden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nun kommen wir zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-
che 14/7379. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen?
– Enthaltungen? – Keine. Der Entschließungsantrag ist
abgelehnt.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss für Arbeit und So-
zialordnung unter Nr. 1 b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 14/7347 die Annahme einer Entschließung.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist bei Enthaltung der PDS gegen die Stimmen
von CDU/CSU und FDP angenommen.

Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/2282 mit dem Titel „Gesetz zur
Verlängerung der Rahmenfrist bei zeitlich befristeter Er-
werbsunfähigkeitsrente, Änderung des Dritten Buches
Sozialgesetzbuch“. Der Ausschuss für Arbeit und Sozial-
ordnung empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 14/7347, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt.

Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei-
tere Beratung.

Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/3044 zur Änderung des Dritten
Buches Sozialgesetzbuch. Der Ausschuss für Arbeit und
Sozialordnung empfiehlt unter Nr. 3 seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 14/7347, den Gesetz-
entwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Keine. Damit ist der Ge-
setzentwurf in zweiter Beratung abgelehnt.

Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei-
tere Beratung.

Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten
Gesetzentwurf zur Verbesserung der grenzüberschreiten-
den Arbeitsförderung im Rahmen des SGB III, Drucksa-
che 14/5013. Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
empfiehlt unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 14/7347, den Gesetzentwurf für erledigt zu
erklären. – Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Das ist einstimmig. Damit ist die Beschlussempfehlung
angenommen.

Tagesordnungspunkt 22 b. Unter Nr. 5 seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 14/7347 empfiehlt
der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung die Ableh-
nung des Antrages der Fraktion der CDU/CSU auf Druck-
sache 14/6636 mit dem Titel „Arbeitsmarktpolitische
Maßnahmen effektiv und transparent gestalten – Aus den
Hamburger Vorfällen Lehren für eine Reform des SGB III
ziehen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist angenommen.

Unter Nr. 6 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache
14/6888 mit dem Titel „Arbeitsplätze schaffen statt Ar-
beitslosigkeit verwalten – Reformen für einen besseren
Arbeitsmarkt“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist gegen die Stimmen der CDU/CSU-Frak-
tion angenommen.

Unter Nr. 7 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung die Ablehnung
des Antrages der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache
14/6162 mit dem Titel „Arbeit vermitteln statt Ar-
beitslosigkeit verwalten – Mehr Beschäftigung durch
Effizienz, Transparenz und Subsidiarität im Arbeitsförde-
rungsrecht“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Gegen die
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion ist die Beschlussemp-
fehlung angenommen.

Unter Nr. 8 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache
14/6621 mit dem Titel „Für eine wirksame und effiziente
Arbeitsmarktpolitik“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist gegen die Stimmen der FDP-Frak-
tion angenommen.

Unter Nr. 9 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der PDS auf Drucksache
14/5794 mit dem Titel „Zusätzliche Arbeitsplätze för-
dern – soziale Sicherungssysteme festigen“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Gegen die Stimmen der PDS-Fraktion ist die
Beschlussempfehlung angenommen.

Unter Nr. 10 seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 14/7347 empfiehlt der Ausschuss für Arbeit und So-
zialordnung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/7070 mit dem Titel „Den Einstieg
in einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor er-
möglichen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Gegen
die Stimmen der PDS-Fraktion ist die Beschlussempfeh-
lung angenommen.

Unter Nr. 11 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung schließlich,
die Unterrichtung durch die Bundesregierung auf Druck-
sache 14/5513 mit dem Titel „Beschäftigungspolitischer
Aktionsplan der Bundesrepublik Deutschland 2001“ zur

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Vizepräsidentin Anke Fuchs

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Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Kenntnis nehmen alle.

Ich danke Ihnen. Damit haben wir diesen Tagesord-
nungspunkt erledigt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Finanzierung der Terrorbekämpfung
– Drucksache 14/7062 –

(Erste Beratung 193. Sitzung)


a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/7332 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Frank Schmidt (Weilburg)

Norbert Barthle

b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 14/7376 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Uwe-Jens Rössel

Zu diesem Gesetzentwurf liegt ein Entschließungsan-
trag der Fraktion der FDP vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Sind Sie
damit einverstanden? – Das ist der Fall.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419906000
Ich eröffne die
Aussprache. Das Wort hat zunächst die Parlamentarische
Staatssekretärin Barbara Hendricks.

D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1419906100
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Nicht nur für die Wirt-
schaftsentwicklung, sondern auch für das Lebensgefühl
jedes Einzelnen in Deutschland ist es wichtig, dass wir
alle bald das Gefühl der Sicherheit zurückgewinnen, das
vor den Terroranschlägen in den Vereinigten Staaten in
Deutschland herrschte. Sicherheit wurde von jedem als
selbstverständlich angesehen. Jetzt fühlen sich viele latent
bedroht. Das ist – Sie alle merken es – im Gespräch mit
den Bürgerinnen und Bürgern spürbar. Das zeigt sich auch
in der Kaufzurückhaltung. Sicherheit ist als Basis einer
positiven Wirtschaftsentwicklung unverzichtbar.

Die Bedrohungen durch den Terror fanatischer Funda-
mentalisten haben in der Vergangenheit zweifesohne alle
unterschätzt. Das Gefühl von Sicherheit scheint nun ver-

loren. Wir werden alles tun, um es zurückzugewinnen.
Die Bundesregierung hat sehr schnell reagiert und die not-
wendigen Mittel bereitgestellt, um den Bundesgrenz-
schutz und das Bundeskriminalamt besser auszurüsten.
Auch die Kontrollen an Flughäfen sind schärfer geworden,
als wir das in der Vergangenheit gewohnt waren. Außer-
dem hat die Bundeswehr mehr Mittel bekommen, um sich
auf diese neue Form der Auseinandersetzung einstellen zu
können. Die staatlichen Sicherheitskräfte werden besser
ausgerüstet; die vorbeugende Aufklärung über terroristi-
sche Aktivitäten erhält mehr Möglichkeiten. Das Potenzial
moderner Technologien wollen wir nutzen, um Terror zu
vermeiden. Der Schutz von Botschaften wird verstärkt.
Auf dem Gebiet der inneren Sicherheit gibt es also eine
Vielzahl von Verbesserungen, die alle der grundsätzlichen
Entscheidung der Bundesregierung folgen.

Unsere Strategie umfasst drei Bereiche: Wir wollen die
Entstehung des Terrorismus bekämpfen. Wir wollen ver-
hindern, dass es zu terroristischen Anschlägen in Deutsch-
land kommt. Wir wollen in der Lage sein, gegen jeden hart
zurückzuschlagen, der die Sicherheit unseres Landes ge-
fährdet.

Zu dieser Gesamtkonzeption gehört auch, Geldwäsche
effektiv zu bekämpfen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Davon steht kein Wort im Gesetz!)


Kriminelle und terroristische Organisationen sollen in
Deutschland keinen finanziellen Nährboden finden. Ich
möchte an dieser Stelle noch einmal klarstellen, dass es
mir bei der Bekämpfung der Geldwäsche und dem Auf-
spüren von Finanzierungsströmen nicht um das Auffinden
von Steuersündern geht.


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Wir sind bei der Tabaksteuer und der Versicherungssteuer! Warum sagen Sie nichts zu den Steuererhöhungen?)


Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt. Es ist Betrug
an der Gesellschaft. Steuerhinterzieher stehen aber nicht
auf gleicher Stufe mit organisierten Kriminellen oder Ter-
roristen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Haben Sie die falsche Rede dabei?)


Wir wollen die Organisationsstrukturen der Kriminel-
len zerschlagen und dem Terror das Geld zur Vorbereitung
nehmen – nicht mehr, aber auch nicht weniger.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das ist die Rede für die nächste Woche, Frau Staatssekretärin!)


– Herr Kollege Thiele, nach der Geschäftsordnung darf
die Bundesregierung jederzeit zu denjenigen Punkten re-
den, zu denen sie es möchte. Im Übrigen habe ich Ihnen
bisher einige der Maßnahmen vorgetragen – ich werde Ih-
nen noch weitere vortragen –, die wir zur Bekämpfung des
Terrors ergriffen haben.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Reden Sie doch einmal von den Steuererhöhungen, die Sie vorhaben!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Vizepräsidentin Anke Fuchs

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Auf der Tagesordnung steht heute das Gesetz zur Finan-
zierung der Terrorbekämpfung;


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


deswegen werde ich Ihnen die Maßnahmen, die wir zur
Bekämpfung des Terrors vornehmen, erläutern. Mög-
licherweise erschließt sich dann sogar Ihnen, die Sie
manchmal schwer von Begriff sind, warum wir dafür
Finanzmittel brauchen.


(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Aber meistens nur, wenn Sie reden! Es können nur wenige so eine Rede halten, wie die Staatssekretärin!)


Es ist nötig, die Wirtschaftsentwicklung in den ärm-
sten Ländern der Welt zu stärken. Wir wollen dort eine
positive Entwicklung anstoßen. Armut und mangelnde
Teilhabe sind häufig der Nährboden für Fanatismus und
kennzeichnen undemokratische Systeme. Die Verbesse-
rung der Lebensbedingungen der Menschen in den ärms-
ten Ländern wird den Terrorismus nur schrittweise aus-
trocknen können. Deutschland hat aufgrund seiner
zahlreichen Entwicklungshilfeprojekte dabei einen
guten Weg beschritten. Innerhalb der G 7 gibt es nur ein
Land, das den am höchsten verschuldeten Entwick-
lungsländern mehr Schulden erlassen hat als Deutsch-
land. Wir bemühen uns intensiv, den Ländern der Drit-
ten Welt einen wirtschaftlichen Aufholprozess zu
ermöglichen.


(Beifall bei der SPD)


Wir müssen aber auch eingestehen, dass wir noch weit
von diesen Zielen entfernt sind. Deshalb wird ein Teil
der zusätzlichen 3 Milliarden DM, die wir zur Terroris-
musbekämpfung zur Verfügung stellen wollen, auch in
die Entwicklungshilfe fließen.


(Beifall bei der SPD)


Prävention ist in der Regel immer vernünftiger und auf
jeden Fall billiger als das nachträgliche Beseitigen von
Schäden.


(Beifall bei der SPD)


Die Terroranschläge vom 11. September haben natür-
lich uns alle überrascht. Damit konnte niemand rechnen.
Leider hatten schon andere unvorhergesehene Ereig-
nisse, beispielsweise die BSE-Krise, die Reserven im
Haushalt aufgebraucht. Deshalb brauchen wir jetzt neue
Mittel zur Terrorismusbekämpfung. Ohne die Erhöhung
von Versicherung- und Tabaksteuer hätten wir die
Neuverschuldung ausweiten müssen. Dann wäre das
Ziel, im Jahre 2006 einen Haushalt ohne neue Schulden
vorlegen zu können, noch schwieriger zu erreichen ge-
wesen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das werdet ihr nach der Steuerschätzung doch sowieso tun!)


So bleiben wir auf Konsolidierungskurs.

Wir dürfen die Sicherheitserfordernisse von heute
nicht mit Schulden von morgen bezahlen, da wir ansons-
ten den einzigen Weg unterminieren, der uns dauerhaft
Sicherheit und Stabilität bringen kann, nämlich den Weg
aus der Schuldenfalle.

Es ist leicht, zu fordern, die 3 Milliarden DM sollten
im Bundeshaushalt durch Ausgabenkürzungen einge-
spart werden. Sicherlich werden Sie dies auch gleich
wieder fordern. Niemand von Ihnen hat aber bisher
– sicherlich wird das auch gleich nicht geschehen – kon-
sensfähige Einsparvorschläge vorlegen können.


(Detlev von Larcher [SPD]: Sehr wahr! – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Erst einmal müssen Sie Vorschläge machen, dann nehmen wir Stellung!)


Wir können den seit Beginn der Legislaturperiode be-
reits vollzogenen Steuerentlastungen von rund 55 Milli-
arden DM jährlich jetzt keine weiteren hinzufügen. Bis
2005 wird das Entlastungsvolumen – auch bei geltender
Gesetzeslage – auf über 100 Milliarden DM pro Jahr an-
wachsen. Das lässt sich nur bei strikter Haushaltsdiszi-
plin solide finanzieren.

Zusätzlich wird zum nächsten Jahr auch das Kinder-
geld wieder deutlich steigen, und zwar auf rund 300 DM
pro Kind und Monat. Das hat es, wie Sie alle wissen,
noch nie gegeben.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Durch die Steuern wurde bei den Familien auch noch nie so viel abkassiert!)


Für die Familien erhöht sich das verfügbare Einkommen
spürbar. Pro Monat und Kind wird das Kindergeld im
nächsten Jahr um rund 30 DM ansteigen. Die höhere
Versicherungsteuer beispielsweise wird die Haushalte
im Schnitt mit etwa 15 DM belasten; das gilt aber bezo-
gen auf ein Jahr und nicht pro Monat. Es gibt wohl kei-
nen Grund, sich darüber aufzuregen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Schritt für Schritt geht die Belastung weiter nach oben!)


Im Übrigen sind wir der Zigarettenindustrie und
dem Automatengewerbe durch die stufenweise Umset-
zung des Gesetzes entgegengekommen. In zwei Stufen
wird die Tabaksteuer sowohl zum 1. Januar 2002 als
auch zum 1. Januar 2003 um jeweils 1 Cent steigen.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Jetzt kommen wir endlich zum Thema!)


Dieses Entgegenkommen war nur möglich, weil wir von
den Produzenten eine Einnahmegarantie erhalten haben.
Wir brauchen das Geld zur Terrorbekämpfung.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Nein, Eichel hat gesagt, dass er das Geld zum Stopfen der Haushaltslöcher braucht!)


Diese Sicherheit haben wir jetzt. Deshalb können
wir uns bei der Umsetzung flexibel zeigen. Wir sind

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks

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zuversichtlich, dass dieser vernünftige Gesetzes-
vorschlag in diesem Hohen Hause eine Mehrheit finden
wird.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – CarlLudwig Thiele [FDP]: Zerfall der Haushaltslage!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419906200
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Norbert Barthle.


(Detlev von Larcher [SPD]: Jetzt hören wir einen konkreten Vorschlag, sonst braucht er gar nicht erst zu reden!)



Norbert Barthle (CDU):
Rede ID: ID1419906300
Sehr verehrte Frau
Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir
beraten über das Gesetz zur Finanzierung der Terror-
bekämpfung. Frau Staatssekretärin, Sie haben zwar sehr
vieles zur Terrorbekämpfung gesagt, aber nur einen einzi-
gen Satz zu den Inhalten dieses Gesetzes,


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: So ist es! Sie schämt sich!)


nämlich zur Erhöhung der Tabak- und der Versicherung-
steuer.

Dass wir hinter der Intention der Stärkung der inne-
ren und äußeren Sicherheit stehen, insbesondere nach
dem 11. September, ist, glaube ich, unbestritten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!)


Ich darf hinzufügen: Die Fraktion in diesem Hohen
Hause, die auch vor dem 11. September immer einen ge-
raden Kurs gefahren ist, wenn es um die Stärkung der in-
neren und äußeren Sicherheit ging, war die CDU/CSU-
Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – CarlLudwig Thiele [FDP]: Und die FDP! – Zuruf von der SPD: Schuldentreiber!)


Das wollte ich schon noch einmal betont haben, bevor
wir jetzt zu dem kommen, was die rot-grüne Bundesre-
gierung in Reaktion auf diesen 11. September unterneh-
men wird.

Ihr fällt – da ist sie vermutlich die einzige Regierung in
der gesamten Antiterrorallianz – zunächst einmal nichts
Besseres ein, als Steuern zu erhöhen. Ich meine, das ist an
sich schon ein Armutszeugnis für die finanzpolitische Ge-
staltungskraft dieser Regierung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. CarlLudwig Thiele [FDP] – Detlev von Larcher [SPD]: Wir sind die Steuersenkungspartei! Das haben Sie nicht fertig gebracht!)


– Das glauben nur noch Sie, Herr von Larcher. Das glaubt
draußen niemand mehr.

Wenn Herr Riester hier bekennen muss, dass womög-
lich eine Rentenbeitragserhöhung vor der Tür steht und
dass er, um diese zu vermeiden, in die Schwankungsre-
serve greifen muss, dann besagt das doch viel.


(Beifall des Abg. Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU])


Wenn es um innere und äußere Sicherheit geht, erhöhen
Sie sofort die Steuern; an anderer Stelle greifen Sie aber
zu anderen Maßnahmen.

Lassen Sie mich noch eine Vorbemerkung zum
Gesetzgebungsverfahren machen. Die Anhörung hat mir
sehr gut gefallen; das muss ich Ihnen gestehen. Wir haben
erstmals erlebt, dass aufgrund einer Anhörung ein Gesetz-
gebungsverfahren gestoppt und noch vor In-Kraft-Treten
des Gesetzes nachgebessert wurde. Bisher haben wir das
immer anders erlebt. Bisher wurde immer zuerst das Ge-
setz erlassen und dann nachgebessert.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Ja! So ist das!)


Dafür lobe ich den Finanzausschuss; dafür lobe ich uns
alle. Ich hoffe, das bleibt so.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das waren doch die Berliner Wahlen! – Zuruf von der SPD: Wir nehmen halt Anhörungen ernst!)


Nach dieser Anhörung ist – Gott sei Dank – die Er-
höhung der Tabaksteuer in einem Zug vom Tisch, zumal
die Automatenaufsteller klipp und klar gesagt haben, sie
wäre faktisch, physisch und logistisch überhaupt nicht
möglich.


(Detlev von Larcher [SPD]: Also loben Sie uns!)


– Ich lobe Sie dafür, dass Sie auf uns gehört haben. Denn
die Anhörung haben wir betrieben.

Jetzt aber machen Sie eine Steuererhöhung von dem-
selben Umfang in zwei Stufen, verteilt auf die Jahre 2002
und 2003. Die Steuer soll bei den Zigaretten jeweils um
1 Cent steigen. Die Erhöhung der Versicherungsteuer soll
einen Prozentpunkt betragen. Das bleibt falsch. Warum
bleibt das falsch? Ich will Ihnen drei Gründe nennen.

Erstens. Diese Steuererhöhung ist an sich überflüssig.
Wer bei einem von Ihnen erwarteten Volumen von 3 Milli-
arden DM und einem Haushaltsvolumen von 485 Milliar-
den DM und bei ständig steigenden Steuereinnahmen
nicht in der Lage ist, gerade einmal 0,6 Prozent des Haus-
haltsvolumens umzuschichten, der gibt jede Gestaltungs-
kraft auf.


(Beifall bei der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Wo bleibt nun der konkrete Vorschlag?)


– Jetzt kommt wieder Herr von Larcher mit der Forderung
nach Vorschlägen. Herr von Larcher, zum Mitschreiben
nenne ich Ihnen zwei: Der Bundesrechnungshof hat am
16. Oktober seine Mängelliste vorgelegt. 3,3 Milliar-
den DM hätten Sie an Mehreinnahmen, wenn Sie das um-
setzten. Oder machen Sie doch eine globale Minderaus-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks

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gabe! Auch das hat es schon gegeben. Darüber denken Sie
nicht einmal nach. Nein, Sie machen das, was Rot-Grün
am besten kann, nämlich Steuererhöhungen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Es ist entsetzlich! – Detlev von Larcher [SPD]: Wir können am besten Steuern senken!)


Aber wir haben uns ja schon daran gewöhnt: Wenn Sie
Steuern erhöhen, tun Sie das stufenweise, wie bei der
Ökosteuer. Aber ich wiederhole: Dadurch wird es nicht
besser. Im Gegenteil: Wenn sich die Menschen in der Sil-
vesternacht über den Jahreswechsel und die aufsteigenden
Raketen freuen, dann müssen sie dieses Jahr daran den-
ken, dass schon wieder die nächste Stufe Ihrer Steuer-
erhöhungsraketen zündet. Das wird das Bild sein, das die
Menschen vor Augen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich nenne Ihnen einen zweiten Grund, warum diese
Steuererhöhungen falsch sind. Sie sind nämlich schädlich
für unsere Konjunktur. Zusammen mit der Ökosteuer ent-
ziehen Sie den Menschen gute 10 Milliarden DM an
Kaufkraft.


(Detlev von Larcher [SPD]: Quatsch!)


Das ist Gift für die Konjunktur.

Nun hat uns der Kollege Poß in der ersten Lesung er-
läutert, dass Steuererhöhungen auch positive konjunktu-
relle Effekte hätten. Ich halte diese Aussage für so abstrus,
dass sie sich selbst richtet. Ich glaube, das kann er gar
nicht ernst gemeint haben.


(Detlev von Larcher [SPD]: Ihre Aussagen sind auch abstrus!)


Festzuhalten bleibt: Diese Steuererhöhung ist schäd-
lich für die betroffenen Branchen, insbesondere auch für
die mittelständischen Unternehmen; denn an der Tabak-
wirtschaft hängen sehr viele Unternehmen. Wenn wir uns
dann noch vor Augen führen, dass wir eine durchschnitt-
liche Unternehmensteuerbelastung haben, die europaweit
an der Spitze liegt – ich betone: innerhalb der europä-
ischen Länder an der Spitze –,


(Zuruf von der SPD: Falsch! – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch gar nicht richtig! Wir liegen im Mittelfeld!)


dann müssen wir uns nicht wundern, wenn wir beim Wirt-
schaftswachstum das Schlusslicht sind.


(Detlev von Larcher [SPD]: Ach Mensch!)


Diese Steuererhöhung ist auch schädlich für die
Arbeitsplätze. Ich wundere mich schon, dass das BMF
sagt, bei der Berechnung des zu erwartenden Steuerauf-
kommens gehe man zwar von einem Konsumrückgang
von zweimal 5 Prozent, also 10 Prozent insgesamt, aus
– das wirkt sich auch in Ihrem Finanztableau aus –, dass
es aber, wenn man nachfragt, wie sich das auf die Arbeits-
plätze niederschlage, heißt, da habe die Erhöhung keine
Auswirkungen. In der Anhörung durften wir erfahren,

20 000 bis 25 000 Arbeitsplätze seien gefährdet, wenn
man die Steuer auf einen Schlag erhöhe. Wenn man sie
jetzt in zwei Stufen erhöht, sind plötzlich keine Arbeits-
plätze mehr gefährdet. Diese Logik können Sie nieman-
dem erklären. Das passt hinten und vorne nicht zu-
sammen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Sie erzählen jetzt Unsinn!)


Ich nenne Ihnen noch einen dritten Grund, weshalb
diese Steuererhöhung falsch ist. Sie ist nämlich schlicht
und einfach ungerecht. Ich will nur am Rande anmerken,
dass Sie die Steuer für Feinschnitt überproportional um
30 Prozent, die für Zigaretten aber nur um 23 Prozent er-
höhen. Sie tun dies, obwohl der Feinschnitt gemeinhin als
Ausweichprodukt für Zigaretten gilt. Pfeifentabak, Zigar-
ren und Zigarillos bleiben von der Steuererhöhung
ausgenommen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Die Steuer auf Zigarren wird nicht erhöht, weil der Kanzler sie raucht!)


Verkürzt kann man sagen: Die armen Malocher, die sich
mit klammen Fingern ihre Zigaretten selbst drehen, um
ein paar Pfennig zu sparen, werden abgezockt.


(Zurufe von der SPD: Oh!)


Aber die „dicken“ Pfeifenraucher werden verschont.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Diese Steuererhöhung ist aus einem weiteren Grunde
ungerecht – da spreche ich jetzt die Versicherungsteuer
an –: Mit der Versicherungsteuer treffen Sie genau die
Branche, die aufgrund der Ereignisse vom 11. Septem-
ber ohnehin schon finanziell gebeutelt ist. Wir alle
wissen, dass die Versicherungsunternehmen die Prämien
aufgrund des erhöhten Risikos vermutlich erhöhen
werden.


(Zuruf von der SPD: Doch nicht zum Nachteil der Versicherungsunternehmen!)


Die Versicherungsteuer ist aber nicht vorsteuerabzugs-
fähig.


(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)


Das heißt, eine Erhöhung schlägt sofort durch auf die
Kosten der Unternehmen und führt dazu, dass die Kunden
mehr belastet werden. Deshalb ist es ungerecht, wenn Sie
für eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe nur eine einzige
Klientel herauspicken und belasten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Detlev von Larcher [SPD]: Herr Kollege, wie oft haben Sie die Versicherungsteuer während Ihrer Amtszeit erhöht!)


Lassen Sie mich noch ein Beispiel anführen, das mich
besonders bedrückt. Auf die Luftverkehrsgesellschaften
haben Sie keinerlei Rücksicht genommen. Ich nenne in
diesem Zusammenhang die Stichworte Swissair, LTU und
Sabena. Heute beklagt die Air France einen Umsatzver-
lust von 300 Millionen DM seit dem 11. September.
Während die US-Regierung die Subventionen für

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Norbert Barthle

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ihre Luftfahrtgesellschaften erhöht, erhöht Rot-Grün die
Steuern. Das ist der Unterschied.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen des Abg. Detlev von Larcher [SPD])


Ich fordere Sie auf: Machen Sie endlich Schluss mit
dieser rein fiskalisch orientierten Steuer- und Finanzpoli-
tik! Geben Sie den Menschen und der Wirtschaft in unse-
rem Land die Chancen, die sie verdient haben! Wenden
Sie drohenden Schaden von den Menschen ab! Lehnen
Sie diesen unsinnigen Gesetzentwurf ab! Folgen Sie uns!


(Zuruf von der SPD: Gehen Sie lieber eine rauchen!)


Jetzt haben Sie noch die Chance dazu. Wenn Sie uns nicht
folgen, könnte es durchaus sein, dass Ihnen die Menschen
draußen im Lande, die Wählerinnen und Wähler, eine der
dicksten Zigarren verpassen, die es gibt, und zwar steuerfrei.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Detlev von Larcher [SPD]: Das möchten Sie wohl gern! – Weitere Zurufe von der SPD: Falsche Hoffnungen! Schon beeindruckend!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419906400
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Christine Scheel.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419906500

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Barthle, ich weiß, dass die CDU/CSU Schwierigkei-
ten mit der Erinnerung hat.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das war doch bei Fischer das Problem!)


Denken Sie doch einmal bitte daran, was 1991 gewesen
ist. Damals ging es um die Finanzierung des Golfkrie-
ges. In diesem Zusammenhang hat die CDU/CSU ge-
meinsam mit der FDP, Herr Thiele, die Versicherung-
steuer und die Tabaksteuer erhöht sowie den Solizuschlag
eingeführt.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das muss man doch im Kontext sehen! – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Den Soli für den Krieg?)


Mit dieser Begründung haben Sie Steuern in einem Ge-
samtvolumen von 28 Milliarden DM eingenommen.
16 Milliarden DM hat uns der Golfkrieg gekostet. Den
Rest haben Sie im Haushalt versacken lassen. Das ist die
Wahrheit über Ihre Finanzpolitik des Jahres 1991.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Norbert Barthle [CDU/ CSU]: Heute ist der 9. November!)


Wir wissen alle, dass Terrorismusbekämpfung nicht kos-
tenlos möglich ist. Es ist politisch unbestritten, dass für
verstärkte Maßnahmen zur wirksamen Bekämpfung des
internationalen Terrorismus und zur Erhöhung der inneren
und äußeren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland
mehr finanzielle Mittel aufgewandt werden müssen. Wir
wissen auch, dass die eingeleiteten Maßnahmen zum Bei-
spiel im Rahmen des Terrorismusbekämpfungsgesetzes
auf Dauer angelegt sind. Ausgaben, die dauerhaft anfallen,
müssen dauerhafte Einnahmen gegenüber stehen, um eine

vernünftige und solide Haushaltspolitik vornehmen zu
können. Aus diesem Grunde haben wir uns für die Anhe-
bung der Tabak- und Versicherungsteuer entschieden.

Das Volumen beträgt insgesamt 1,5 Milliarden Euro im
Jahre 2002. Wir haben – auf diesen Punkt haben Herr
Barthle und die Frau Staatssekretärin schon hingewiesen –
im Rahmen der Ausschussberatungen die Erhöhung in
zwei Stufen beschlossen, nämlich zum 1. Januar 2002 und
zum 1. Januar 2003 um jeweils 1 Cent. Wir haben damit
eine praktikable Lösung gefunden, die das notwendige
Einnahmevolumen zur Finanzierung der Terrorbekämp-
fung auch auf Dauer sichert. Es ist wichtig, dass man auf
Dauer Klarheit hat.

Wir werden im Rahmen der laufenden Haushaltsbera-
tungen – Ende des Monats ist Haushaltsabschluss – die
zusätzlichen Steuereinnahmen grundsätzlich den einzel-
nen Aufgabenbereichen zuordnen. Die Frau Staatssekre-
tärin hat auf die Bereiche Katastrophenschutz und Bun-
desgrenzschutz hingewiesen. Meine Fraktion hat sich
sehr stark dafür eingesetzt, dass wir im Bereich der Ent-
wicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe
verstärkt Mittel einsetzen, damit auch dieser Bereich aus-
reichendes Gewicht bekommt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir können – weil es immer wieder von Ihnen ange-
sprochen wird – diese 3 Milliarden DM nicht einfach
durch Umschichtungen im Haushalt erbringen. Das wissen
wir und das wissen Sie, wenn Sie ehrlich sind, auch. Sie
wissen auch, dass sich dauerhafte Einnahmen nicht ein-
fach aus dem Hut zaubern lassen, sondern dass sie eben ei-
ner seriösen Gegenfinanzierung bedürfen. Das gilt erst
recht angesichts der sehr schwierigen Konjunkturentwick-
lung und auch angesichts der sinkenden Steuereinnahmen.
Aufgrund der Steuerschätzung wissen wir ja jetzt, dass die
Gesamtzahlen für den Bund, für die Länder, vor allen Din-
gen aber auch für die Kommunen rückläufig sind.

Für uns als Regierungsfraktion – das möchte ich an
dieser Stelle noch einmal ganz klar sagen – hat eine solide
und auf Konsolidierung der Staatsfinanzen orientierte Fi-
nanzpolitik oberste Priorität.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sie machen es doch nicht! Das ist doch ein Chaosladen! Das ist die Fortsetzung der Chaostage im Parlament!)


Wir streben weiterhin die Rückführung der Nettokredit-
aufnahme in diesem und auch im nächsten Jahr an. Wir
müssen konjunkturell bedingte Steuermindereinnahmen
hinnehmen. Das ist vollkommen klar; das ist nicht zu än-
dern. Aber auf keinen Fall dürfen wir Entscheidungen
treffen, wie sie uns vonseiten der FDP, aber auch von der
CDU/CSU, nahe gelegt werden.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das ist doch das totale Chaos!)


Die Inflationsrate im Euroraum ist auf mittlerweile 2 Pro-
zent gesunken


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Nachdem sie zuerst gestiegen ist! – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Wir haben eine sinkende Wachstumsrate!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Norbert Barthle

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und diese sinkende Inflationsrate hat gemeinsam mit der
Konsolidierung der Haushalte dazu geführt, dass die EZB
gestern die Leitzinsen hat senken können. Sonst wäre das
nicht möglich gewesen.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das ist jetzt ja spannend! – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Die Inflationsrate ist aber immer noch deutlich höher als 1998!)


Das muss man in diesem Zusammenhang ebenfalls sehen.
Damit wird den Unternehmen und auch den Haushalten
die Möglichkeit gegeben, Kredite billiger aufzunehmen.
Nach einem gewissen Timelag werden wir nach der Er-
wartung aller Konjunkturforschungsinstitute – die Tal-
sohle werden wir im Winter haben; im Dezember wird es
nicht einfacher sein; das müssen wir ganz klar betrach-
ten – im nächsten Jahr mit Sicherheit bessere Zahlen ha-
ben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das glauben Sie ja selbst nicht! – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Davon bin ich nicht überzeugt!)


Wir teilen auch die Auffassung des EU-Wirtschafts-
kommissars Pedro Solbes, dass der Vorschlag, die nächs-
ten Stufen der Steuerreform vorzuziehen, der von Ihrer
Seite immer wieder kommt, auch stabilitätspolitisch
unverantwortlich ist. Das wäre ein aktiver Verstoß gegen
den Stabilitätspakt der Europäischen Union. Es wäre aus
psychologischen Gründen übrigens auch schlecht für den
Start des Euro-Bargeldes Anfang nächsten Jahres. Das
wäre ein sehr schlechtes Geschenk.


(Zuruf von der CDU/CSU: Da ist eine Steuererhöhung besser, nicht?)


Sie sagen immer nur, was Sie alles haben wollen. Wir
haben es einmal durchgerechnet. Für die Forderungen, die
Sie hier einfach mal so einbringen, benötigten wir rund
140 Milliarden DM, die wir angeblich locker finanzieren
können. Wenn es nach den Vorschlägen von FDP und
CDU/CSU ginge – das muss ich auch an diesem Punkt
wieder sagen –, wären die Haushalte von Bund, Ländern
und Kommunen nicht mehr verfassungskonform. Das
hätte mit einer Solidität in der Finanzpolitik überhaupt
nichts mehr zu tun. Was Sie hier betreiben, ist absolute
Wodu-Politik. Dazu kann ich nur sagen: Gott sei Dank
sind Sie nicht mehr an der Regierung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Mit Wodu haben wir nichts am Hut!)


Wir haben für das nächste Jahr zusätzliche Zukunfts-
investitionen geplant.


(Zuruf von der CDU/CSU: Planen kann man ja auch!)


Wir haben das Zukunftsinvestitionsprogramm be-
schlossen, mit dem im nächsten Jahr wieder 5 Milliar-
den DM zusätzlich in die Bereiche Bildung, Forschung,
Verkehr und Klimaschutz investiert werden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Den Plan hatten wir schon einmal!)


Ferner greift im nächsten Jahr die nächste Stufe der Fa-
milienentlastung


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Der Ökosteuer!)


in einer Größenordnung von knapp 5 Milliarden DM.
Auch das wird die Kaufkraft der Haushalte vor allem der
Familien erhöhen. Außerdem wird im nächsten Jahr das
Steuersenkungsgesetz wirken,


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Und die Ökosteuer!)


und zwar in einer Größenordnung von 45 Milliarden DM.
Wir werden auch dafür sorgen, dass die Rentenversiche-
rungsbeiträge im nächsten Jahr gesenkt werden, und
zwar aus grüner Sicht auf 19,0 Prozent. Das zeigt, dass
auch die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge ins-
gesamt bei uns auf der Agenda steht. Sie haben sie per-
manent erhöht.

Wir sind seit der Regierungsübernahme bemüht, die
Steuer- und Abgabenbelastung zu senken, und haben auf
diesem Gebiet auch Erfolge erzielt. Diese Steueranhe-
bung um 3 Milliarden DM ist ein Ausreißer.


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: So wie die Ökosteuer!)


Aber sie ist notwendig und ehrlich. Sie sichert zugleich
die Solidität der Haushalte.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419906600
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Carl-Ludwig Thiele.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1419906700
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
Es ist schon erstaunlich, was Sie hier vorgetragen haben,
Frau Kollegin. Man konnte fast den Eindruck gewinnen,
dass wir in Christines Märchenstunde sind.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Dass momentan bei den Grünen die Nerven blank liegen,


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin sehr gelassen!)


das weiß jeder. Dafür gibt es Gründe und deswegen wer-
den Sie auch gleich wieder eine Fraktionssitzung abhal-
ten. Aber dass der Solidaritätszuschlag seinerzeit einge-
führt wurde, um den Golfkrieg zu finanzieren,


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, mit dieser Begründung!)


das ist eine ganz neue Legende, die zwar in Ihrer Basis
derzeit starken Anklang findet, die aber mit der Wirklich-
keit vermutlich relativ wenig zu tun hat.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann lesen Sie die Protokolle!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Christine Scheel

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Das war jedenfalls nicht das, was wir in den vergangenen
Jahren unter Solidarität mit den neuen Ländern verstan-
den haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Begründung kam erst 1992!)


Wenn die EZB jetzt die Zinsen senkt, weil die Inflati-
onsrate sinkt, dann erinnere ich Sie nur daran, dass das
Statistische Bundesamt vorgerechnet hat, dass durch die
Steuererhöhungen von Rot-Grün – Ökosteuer, Mehrwert-
steuer auf die Ökosteuer, Versicherungsteuer und Tabak-
steuer – die Inflationsrate ab dem 1. Januar nächsten Jah-
res um 0,5 Prozent steigen wird. Ginge es nach Christines
Märchenerzählung, müssten deswegen ab dem 1. Januar
die Zinsen leider wieder um einen halben Prozentpunkt
erhöht werden. Das kann ja wohl nicht wahr sein. Deshalb
möchte ich die Märchenstunde hier auch beenden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sollten Sie jetzt Schluss machen!)


Ich möchte mich mit dem Gesetz zur Finanzierung der
Terrorbekämpfung auseinander setzen; denn dieses Ge-
setz ist der erste Teil eines finanzpolitischen Offenba-
rungseides, den wir in den nächsten Wochen hier im Ple-
num sowie im Finanz- und Haushaltsausschuss erleben
werden.

Die Vereinigten Staaten senken die Steuern nach dem
Terroranschlag. Deutschland ist dagegen das einzige
Land, das die Steuern erhöht, weil Rot-Grün immer noch
meint, bei einer Steuererhöhung kämen die öffentlichen
Kassen in den Genuss der Mittel und könnten dann auch
die Ausgaben tätigen. Dieser grundlegende Denkfehler
kennzeichnet Ihre Politik seit Regierungsantritt.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hätten Sie uns nicht diesen Schuldenberg hinterlassen, hätten wir diese Probleme nicht!)


An dieser Stelle rächt sich das Ausblenden der Wirk-
lichkeit, das wir seit dem Frühjahr dieses Jahres immer
wieder moniert haben. Wir haben immer gesagt, die
Wachstumsraten würden optimistisch hoch gerechnet,
und Sie aufgefordert, sich an der Wirklichkeit zu orientie-
ren und einen neuen Haushalt einzubringen, da die Rah-
mendaten alle nicht mehr stimmten. Jetzt erhalten Sie die
Quittung für Ihre verfehlte Steuer- und Finanzpolitik. Das
möchte ich kurz ausführen:

Erstens. Rot-Grün vermittelt den Eindruck, man be-
treibe Steuersenkung. Im Jahre 1998 hatten wir Steuerein-
nahmen von 833 Milliarden DM. Heute sind es nach der
neuesten Steuerschätzung über 900 Milliarden DM pro
Jahr. Diese Steuererhöhungspolitik hat Rot-Grün betrie-
ben und das entlarvt Herrn Eichel auch; die Menschen neh-
men ihm nicht mehr ab, dass sie tatsächlich entlastet wür-
den. In ihrer Geldbörse spüren sie das Gegenteil davon.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Zweitens. Sie reden immer vom Abbau der Neuver-
schuldung. Auch hier wird das Gegenteil dessen, was Sie

sagen, betrieben. Bis zum Ende dieser Legislaturperiode
wird die Neuverschuldung unter Rot-Grün um fast
200 Milliarden DM gestiegen sein.
Das ist die Wirklichkeit. Wenn Sie das Ziel haben, die
Neuverschuldung zu senken, so stimmen wir in diesem
Ziel überein. Wenn wir Ihr Bemühen aber an den Fakten
messen, können wir feststellen: Es ist Ihnen nicht gelun-
gen, die Neuverschuldung auf null zu senken. Vielmehr
haben Sie während der Zeit Ihrer Regierungsverantwor-
tung die Neuverschuldung allein auf Bundesebene um
200 Milliarden DM erhöht.

Drittens. Sie reden vom Sparen, waren aber hinsicht-
lich des Haushalts lediglich Profiteure eines boomenden
Exports und eines schwächelnden Euro. Das hat Ihnen
Wachstumsraten gebracht, das hat auf der Einnahmeseite
Geld gebracht; Sparmaßnahmen auf der Ausgabenseite
sind ausgeblieben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Fehlanzeige!)

Viertens. Sie verfehlen Ihr selbst gesetztes Ziel von

3,5 Millionen Arbeitslosen. Damit man nicht über
3,9 Millionen Arbeitslose kommt, rechnet man ganz spitz
und sagt, im nächsten Jahr werden es nur 3,89 Millionen
Arbeitslose sein. Das ist beängstigend.


(Zuruf von der CDU/CSU: Nachdem die Statistik schon gefälscht ist!)


Wir müssen die Sorgen der Arbeitslosen ernst nehmen.
Wir müssen Rezepte dafür haben, dass sie wieder Be-
schäftigung finden. Insofern ist es für uns nicht hinnehm-
bar, dass Sie diese Ziele verfehlen. Der Bundeskanzler hat
selbst gesagt: Wenn wir dieses Ziel verfehlen, dann lohnt
es nicht, uns wieder zu wählen. – Wir werden die Bürger
vor der Wahl daran erinnern.

Fünftens. Sie verkündeten, die Lohnnebenkosten sol-
len unter 40 Prozent gesenkt werden. Das Gegenteil ist der
Fall. Sie bleiben über 41 Prozent. Die Frau Gesundheits-
ministerin Schmidt trickst in der Krankenversicherung
herum. Wir erleben – das ist ein Unterschied zur Vergan-
genheit – einen Griff des Gesetzgebers in die Renten-
kasse, der die Schwankungsreserve dauerhaft um 20 Pro-
zent reduziert. Wenn Sie das nicht machten, stiege Ihnen
der Rentenversicherungsbeitrag in diesem Jahr trotz Öko-
steuer auf 19,4 Prozent.


(Zurufe von der SPD: Das haben Sie früher dauernd gemacht! – Das ist doch auch Ihrer Regierungszeit zuzurechnen!)


Sechstens. Das Kernstück grüner Steuerpolitik, wie
Kollege Metzger das immer bezeichnet hat, ist geschei-
tert;


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie sind ausgesprochen ignorant! Sie wissen doch, was in der Welt passiert!)


denn jede Mark Ökosteuer sollte dazu verwandt werden,
die Rentenversicherungsbeiträge zu senken. Sie müssten
im nächsten Jahr schon in der Nähe von 18 Prozent sein.
Diese Marke erreichen Sie nicht.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Diesen Betrug lassen wir Ihnen nicht durchgehen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Carl-Ludwig Thiele

19536


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(D)



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(B)


Ich komme zum Fazit: Die rot-grüne Finanzpolitik ist
gescheitert. Finanzminister Eichel ist gescheitert. In den
nächsten Wochen, während der Haushaltsberatungen,
werden Sie mit Tricksereien und mit Einmalprivatisierun-
gen versuchen, den Haushalt des nächsten Jahres zu schö-
nen. Sie werden ein paar Mittel „aus der Portokasse“ der
Post bei der KfW parken; weil es die Post ist, kann man
es durchaus als Portokasse bezeichnen.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Die Wirklichkeit ist leider viel beängstigender, weil Sie
es versäumt haben, die notwendigen Reformen in unse-
rem Lande entschieden anzugehen. Deshalb werden die
nächsten Wochen das Scheitern der rot-grünen Finanzpo-
litik außerordentlich deutlich machen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Beängstigend ist die Ignoranz der Opposition!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419906800
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Barbara Höll.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1419906900
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Wir diskutieren hier über das Ge-
setz zur Finanzierung der Terrorbekämpfung. Ich sage für
die PDS ganz klar: Wir stehen für Terrorbekämpfung,
aber wir sind gegen die Finanzierung eines Kriegseinsat-
zes in Afghanistan und gegen die deutsche Beteiligung an
diesem Einsatz.


(Beifall bei der PDS)


Über die genaue Verwendung der Mittel, die aufgrund
des heute zu verabschiedenden Gesetzes eingenommen
werden sollen, wird noch im Rahmen der Haushaltsbera-
tungen diskutiert werden. Ich finde es gut, dass 200 Mil-
lionen DM beim Entwicklungshilfeministerium veran-
schlagt werden sollen. Ist es aber nicht ein riesiges
Armutszeugnis für die Politik, Frau Staatssekretärin – so
musste ich Ihre Rede verstehen –, dass es de facto erst ei-
nes Terroranschlages bedurfte, um die Notwendigkeit
klarzumachen, wesentlich mehr Geld für Entwicklungs-
zusammenarbeit zu verwenden?


(Beifall bei der PDS)


Klaus Töpfer sagt heute als Leiter des UN-Umwelt-
programms in einem Interview in der „Süddeutschen Zei-
tung“, dass – ich zitiere – „Armut die giftigste Substanz
auf der Welt“ ist. Die Schere zwischen Lebens- und
Entwicklungschancen auf der eine Seite und Hoffnungs-
losigkeit auf der anderen Seite geht immer weiter ausei-
nander. Hier ist politisches Handeln insbesondere in den
Industrieländern gefragt.

Es wird nicht mehr lange funktionieren, dass Beratun-
gen in der Wüste wie jetzt in Katar oder in Kanada im
Wald abgehalten werden, dass man de facto vor den Kri-
tikerinnen und Kritikern der Globalisierung flüchtet, um
sich mit dieser Kritik nicht auseinander setzen zu müssen.

Sie haben gesagt, eine Haushaltsumschichtung zur Fi-
nanzierung Ihres Antiterrorpaketes sei nicht möglich und

Sie wollten auch keine Nettoneuverschuldung vorneh-
men. Also bleibt Ihnen nach Ihrer Logik nur der Weg der
Steuererhöhung. Deshalb sollen erstens die Tabaksteuer
und zweitens die Versicherungsteuer von 15 auf 16 Pro-
zent erhöht werden.

Wir lehnen beides ab und wir zeigen Ihnen eine reale
Finanzierungsquelle auf.

Lassen Sie mich noch einmal zur Vermögensbesteue-
rung zurückkommen. Seit 1997 schenken Sie den wirk-
lich Vermögenden in dieser Bundesrepublik Jahr für Jahr
3,5 Milliarden DM. Durch Ihr Gesetz wollen Sie pro Jahr
etwa 2 Milliarden DM einnehmen.

Ich frage mich: Warum kann nicht zum Beispiel die Fa-
milie Albrecht, Eigentümer der Aldi-Märkte, die durch
die nicht mehr erhobene Vermögensteuer jährlich
410 Millionen DM einspart, in realistischem Maße zur
Antiterrorbekämpfung beitragen?


(Beifall bei der PDS)


Die Familie Otto spart jährlich 130 Millionen DM ein.
Sie hat ein Vermögen von 13 Milliarden DM. Warum fragt
man nicht Frau Johanna Quandt – oder fragt lieber nicht an-
gesichts der 92 Millionen DM, die sie jährlich einsparen
kann, sondern rafft sich hier endlich zu einer Gesetzes-
initiative auf, um Geld zielgerichtet von den wirklich Ver-
mögenden einzuziehen? Dann bräuchten wir hier nicht da-
rüber zu diskutieren, dass man wieder insbesondere die
Menschen mit gar keinem oder einem kleinen Einkommen
belastet, die sich vielleicht trotz Sozialhilfe erlauben, Ziga-
retten zu rauchen, und die Menschen, die sich schon heute
überlegen, wie sie Versicherungen in adäquater Höhe ab-
schließen können. Oftmals haben Menschen gar keineVer-
sicherung oder sind unterversichert.


(Beifall bei der PDS)


Lassen Sie mich noch eines speziell zur Tabaksteuer
sagen. Ich habe zur Anhörung auch die Nichtraucher-Ini-
tiative eingeladen; denn ich denke, es ist notwendig, ge-
rade mit Menschen zu sprechen, die sich bisher gegen den
Tabakkonsum eingesetzt haben; denn er ist nun einmal
gesundheitsschädlich und verursacht damit auch riesige
volkswirtschaftliche Kosten.

Ich finde es schon zynisch, wenn man in diesem Zu-
sammenhang dem Druck der Industrie nachgibt und sagt,
man wolle vermeiden, dass der Markt zusammenbreche,
also: Tabaksteuererhöhung ja, aber so, dass viele Men-
schen weiterrauchen wie bisher, denn ansonsten würden
nicht in ausreichendem Maße Steuergelder eingenom-
men. Das ist eine zynische Politik. Sie widerspricht Ihren
eigenen Zielen in der Gesundheitspolitik.

Ich glaube, das zeigt auch das Dilemma, aus dem Sie
nur mit klaren Vorschlägen wie der Neugestaltung und
Wiedererhebung der Vermögensteuer herauskommen.
Dabei haben Sie dann unsere Unterstützung. Ich hoffe, die
dafür vorhandenen einzelnen Stimmen bei den Sozialde-
mokraten schaffen es endlich, wieder eine Mehrheit zu
gewinnen.

Danke.


(Beifall bei der PDS)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Carl-Ludwig Thiele

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Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419907000
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Frank Schmidt.


Dr. Frank Schmidt (Weilburg) (SPD):
Rede ID: ID1419907100
Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Thiele, wir
haben schon einige Probleme damit, dass Sie und Ihre
Fraktion offensichtlich an einem gewissen Gedächtnis-
schwund leiden.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Nein!)


Sie haben in diesem Land 29 Jahre mitregiert. Sie haben
16 Jahre mit der CDU/CSU regiert und die Schulden
enorm in die Höhe getrieben. Diese Hinterlassenschaft
mussten wir aufgreifen. Wir greifen sie auch auf, senken
die Steuern sukzessive,


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Sie reden zur Steuererhöhung!)


tun gleichzeitig eins nach dem anderen, um die Nettoneu-
verschuldung nicht, wie Sie es wollten, in die Höhe zu
treiben. Aber Sie wollen nichts davon wissen, dass Sie in
diesem Lande mitregiert haben!


(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Wie viele Jahre waren Sie dabei?)


– Ich weiß, dass Ihnen das unangenehm ist, wenn wir Sie
andauernd auf Ihre 16 Jahre Regierungszeit ansprechen.
Ich weiß auch, dass es Ihnen unangenehm ist, wenn wir
Sie darauf ansprechen, dass Sie Schulden gemacht ha-
ben. Aber das ist Fakt in diesem Land. Sie wollten die
deutsche Einheit aus der Portokasse bezahlen, aber das
ging einfach nicht. Irgendwo sind die Schulden bis heute
geblieben und wir müssen jetzt zusehen, dass wir sie ab-
bauen.


(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Wo waren denn IhreAlternativen? – Sie haben auch ein kurzes Gedächtnis!)


Fakt ist auch: Wer ein entschiedenes Vorgehen gegen
den Terrorismus will, wer etwas für die Sicherheit unse-
rer Bürgerinnen und Bürger tun will, der muss auch
Geldmittel dafür bereitstellen. Reine Worthülsen und
Ankündigungen, wie wir sie heute wieder gehört haben,
und ungedeckte Schecks nützen niemandem in diesem
Land etwas. Eine klare Finanzierung muss her. Die ha-
ben wir vorgelegt. Sie hingegen haben keine Alternati-
ven vorgelegt, sondern nur Worthülsen verbreitet. Es
muss ein klares Konzept her. Ein solches haben Sie
nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat Ihnen denn den Quatsch aufgeschrieben?)


Wir halten an unserem Kurs fest; denn – das tut Ihnen
weh; das wissen wir – ein Markenzeichen dieser Politik,
dieser Regierung ist es, dass wir die Nettoneuverschul-
dung, wie Sie sie nach der Finanzplanung vorgesehen hat-
ten, reduzieren. Wir wollen dafür sorgen, dass 2006 ein
Haushalt vorgelegt wird, der zum ersten Mal keine Netto-
neuverschuldung beinhaltet. Davon waren Sie weit ent-

fernt. Sie haben nicht einmal im Entferntesten daran ge-
dacht, so etwas vorzulegen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Ihr sagt immer, was ihr wollt, und macht das Gegenteil: Steuererhöhungen!)


Wir sorgen durch sukzessive Steuersenkungen, die ge-
genfinanziert sind, dafür, dass die Bürgerinnen und Bür-
ger in diesem Land, die Arbeitnehmer und der Mittelstand
entlastet werden. Das ist gegenfinanziert und somit so-
lide.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Sie haben gesagt, die USA fangen jetzt mit Steuersen-
kungen an. Was hat denn der werte Präsident der Verei-
nigten Staaten von Bill Clinton geerbt? Volle Kassen hat
er geerbt. Wir aber haben von Ihnen nur Schulden geerbt.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Warum haben die volle Kassen? Weil sie Steuersenkungen gemacht haben, was Sie nicht tun! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


– Warum wir von Ihnen Schulden geerbt haben, wissen
Sie doch selbst: Weil Sie mehr ausgegeben haben, als Sie
eingenommen haben, weil Sie die deutsche Einheit nie-
mals über die Portokasse abwickeln konnten, weil Sie
überhaupt nicht in der Lage waren, solide Finanzpolitik zu
betreiben.


(Beifall bei der SPD – Detlev von Larcher [SPD]: Das ist wahr!)


Wir haben den Bürgerinnen und Bürgern seit dem 1. Ja-
nuar 1999 kassenwirksam – dies ist also tatsächlich aus-
gezahlt worden – 65 Milliarden DM an Steuern zurück-
gegeben. In den nächsten Jahren werden weitere
Milliarden folgen. Allein im nächsten Jahr werden es
19 Milliarden DM sein. Das ist der Abrechnungsmodus.
Das Geld ist den Bürgerinnen und Bürgern wirklich
zurückgegeben worden. Es handelt sich nicht – wie bei Ih-
nen – um Luftbuchungen.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ CSU: Komisch, dass es niemand merkt!)


Sie haben eben davon gesprochen, dass Sie Steuern ge-
senkt haben. Um Gottes willen! Schauen Sie sich doch
bitte einmal das an, was Sie wirklich getan haben. Sie ha-
ben 16 Jahre lang Steuern erhöht. Sie haben von 1983 bis
1998 20-mal Steuern erhöht. Sie haben dreimal die
Mehrwertsteuer und dreimal die Kfz-Steuer erhöht. Sie
haben dreimal die Versicherungsteuer und viermal die Mi-
neralölsteuer erhöht. Sie sind die Steuertreiber dieser Re-
publik.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Wovon redet der eigentlich? – Bernd Scheelen [SPD]: Wo ist das denn geblieben?)


Man muss sich einmal fragen, was Sie mit all dem Geld
gemacht haben. Bernd Scheelen hat Recht: Man muss sich
einmal fragen, wo das, was Sie eingenommen haben, ge-
blieben ist. Sie haben die Nettoneuverschuldung nicht re-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119538


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duziert – das hatte ich eben schon gesagt –, sondern wei-
terhin Schuldentreiberei gemacht. Sie haben uns 1,5 Bil-
lionen DM an Schulden hinterlassen. Viermal war Ihr
Haushalt nicht verfassungskonform. Das ist etwas, was
bei uns überhaupt nicht vorkommt. 1990, 1993, 1996 und
1997 war die Neuverschuldung höher als die investiven
Ausgaben. Sie betreiben unsolide Finanzpolitik. Sie ha-
ben den Karren in den Dreck gefahren, den wir jetzt wie-
der herausziehen.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: SPD-Ortsvereinsrede!)


Betreiben wir nicht nur Vergangenheitsbewältigung,
sondern schauen wir uns jetzt einmal an, was Sie gegen-
wärtig tun. Eben haben wir gehört, dass die 3 Milliar-
den DM mal so eben bezahlt werden können. Sie haben,
seitdem Sie in der Opposition sind, nicht damit aufgehört,
finanzpolitische Forderungen zu stellen. Sie haben seit
Oktober 1998 Anträge gestellt – das kann jeder nachle-
sen –, in denen finanzpolitische Forderungen im Umfang
von 428 Milliarden DM erhoben worden sind, ohne dass
ein einziger Deckungsvorschlag hierzu vorgelegt worden
wäre. Sie machen als Opposition genauso weiter, wie Sie
als Regierung aufgehört haben. Sie sind nicht in der Lage,
in diesem Haus eine solide Finanzpolitik vorzulegen.


(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Das glaubt doch keiner! – Wer regiert denn hier? – Sagen Sie doch einmal etwas zur Tabaksteuererhöhung!)


Unserer Auffassung nach haben Sie auch keine einzige
Konzeption dazu vorgelegt, wie mit diesen Finanzmitteln
umgegangen werden soll. Die Parlamentarische Staatsse-
kretärin hat es eben schon gesagt – ich will noch einmal
darauf hinweisen –: Wir sorgen nicht nur für die Einnah-
men, sondern gleichzeitig auch dafür, dass die Mittel ziel-
gerichtet ausgegeben werden. Wir wollen Verbesserungen
bei der Bundeswehr. Wir wollen Verbesserungen bei den
Nachrichtendiensten und beim Bundesgrenzschutz. Wir
wollen mehr Sicherheit an den Flughäfen. Wir wollen
auch dafür sorgen, dass der Katastrophenschutz besser
ausgerüstet wird. Wir wollen, insbesondere im Interesse
der Mitarbeiter, eine höhere Sicherheit bei den Auslands-
vertretungen. Wir wollen auch mehr Personal bei der
Bekämpfung der Geldwäsche. Eines ist uns besonders
wichtig – das hat Christine Scheel, die jetzt nicht mehr da
ist, bereits erwähnt –: Wir wollen mehr Geld für die Kri-
senprävention und die humanitäre Hilfe. Wenn man sich
anschaut, was in der Welt, insbesondere in den Krisenre-
gionen, passiert, dann muss man sagen: Dies ist ein zen-
traler Punkt der zukünftigen Politik. Hier muss mehr Geld
bereitgestellt werden. Wir wollen das tun. Wenn Sie heute
dagegen stimmen, sind Sie auch gegen humanitäre Hilfe
in diesen Bereichen. Wir wollen das Geld dafür bereit-
stellen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: So ein Unsinn!)


Wir müssen doch feststellen: So etwas ist nicht ohne Geld,
nicht zum Nulltarif zu haben. Sie machen hier weiter Luft-
buchungen und sonst nichts.

Gut, die 7,5 Prozent Soli sind durchaus etwas, was Sie
für die deutsche Einheit eingeführt haben. Aber was ha-
ben Sie denn 1991 gemacht? Sie haben ohne mit der Wim-
per zu zucken die Tabaksteuer erhöht, Sie haben die Ver-
sicherungsteuer um 3 Prozent erhöht, Sie haben die
Mineralölsteuer sogar um 22 Pfennig pro Liter erhöht. Wo
war denn da Ihre wirtschaftspolitische Kompetenz? Sie
haben 16 Milliarden DM Steuererhöhung allein 1991 be-
schlossen, nur für den Golfkrieg! Und im Endeffekt war
es eigentlich nur für die Haushaltssanierung da. Aber ge-
blieben ist nichts. Das ist Ihre Finanzpolitik, die wirt-
schaftsfeindlich ist.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Das nennen Sie zukunftsorientierte Politik, was Sie hier erzählen?)


Ich muss darauf hinweisen, dass das, was wir hier auch
im Rahmen der Tabaksteuererhöhung und der Versiche-
rungsteuererhöhung sehr moderat und sehr zielgerichtet
vorschlagen, etwas ist, was die Belastung der Haushalte
oder der Unternehmen – die Parlamentarische Staatsse-
kretärin hat es eben schon gesagt – kaum trifft. Das ver-
teilt sich sehr moderat über alle Haushalte und trifft einen
Haushalt gerade mit 15 DM im Jahr. Gleichzeitig haben
wir eine Steuerentlastung und eine Kindergelderhöhung
im nächsten Jahr. Das ist etwas, was man für die Sicher-
heit auch mit investieren kann.


(Zuruf von der CDU/CSU: Und Ökosteuer und Inflationsrate! Vergessen Sie das nicht!)


Ich weiß, es hat Ihnen nicht gefallen, dass wir jetzt
nach der Anhörung auf das Zweistufenmodell umge-
schwenkt sind. Nur, meine sehr verehrten Damen und
Herren, dafür sind Anhörungen doch da. Man kann durch-
aus auch einmal zuhören, was Sie ja ab und zu nicht tun.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sie sollten das öfter tun!)


Der Vertreter des Verbandes der Zigarettenindustrie,
die Tabakwarengroßhändler, die Handelsverbände und,
was uns besonders wichtig ist, die Gewerkschaften haben
gesagt: Wir haben ja Verständnis für eure Geldnöte, da
muss auch etwas getan werden, aber bitte macht ein Zwei-
stufenmodell, dann können wir das für in Ordnung erklä-
ren und auch mitmachen, da kann auch die Automatenin-
dustrie mitmachen. Wir haben diese ausgestreckte Hand
ergriffen. Wir haben dafür gesorgt, dass dies entsprechend
geändert wird. Wir sind hier im Gleichklang mit denen,
die diese Anhörung mitgestaltet haben.

Das passt Ihnen natürlich nicht, weil nämlich damit das
Hauptargument entfallen ist. Sie können jetzt nicht mehr
sagen, dass die eine Stufe viel zu groß wird.


(Zuruf von der CDU/CSU: Was Ihnen nicht passt, blenden Sie aus! Was hat der Lufthansavertreter gesagt?)


Sie können jetzt nicht mehr sagen, dass das wirtschafts-
feindlich ist.

Ich weiß, dass Ihnen das unangenehm ist. Aber sehen
Sie einfach ein, dass diese Regierung in der Lage ist, mit
den Verbänden zusammenzuarbeiten. Wir sorgen für eine

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Dr. Frank Schmidt (Weilburg)


19539


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solide Haushaltsführung. Wir brauchen das Geld dafür.
Das Geld wird bereitgestellt. Das ist das Ergebnis der An-
hörung. Ich denke, das entspricht auch dem Vorschlag, der
heute hier zur Abstimmung steht.


(Beifall bei der SPD)


Wenn ich mir anschaue, was Sie heute hier zum Besten
gegeben und was Sie in der Vergangenheit gefordert ha-
ben, dann muss ich darauf hinweisen, Sie sind genau dort,
wo Sie hingehören, nämlich in der Opposition, weil Sie
nicht in der Lage sind, solide Finanzpolitik in diesem
Hause vorzulegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Da werden sie auch bleiben! – Bis zum Ende des Jahrhunderts!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419907200
Zu einer Kurz-
intervention erhält der Kollege Thiele das Wort.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1419907300
Herr Kollege Schmidt,
einige kurze Anmerkungen.

Ich glaube, den Denkprozess bei der Beratung dieses
Gesetzes hätten Sie überhaupt nicht vollzogen, wenn es
nicht eine Anhörung gegeben hätte, die nicht von Ihnen
beantragt worden ist, sondern von der Opposition.

Wenn ich mich noch an die ersten Stellungnahmen des
Finanzministeriums während der Anhörung erinnere,
dann hat dort das Finanzministerium erklärt, Geschenke
der Zigarettenindustrie lehne man ab. Dass es nachher im
Laufe der Beratung anders kam, lag nur an der Anhörung,
die die Opposition betrieben hat.


(Zuruf von der SPD: Hintertrieben hat!)


Ein zweiter Punkt. Wenn Sie erklären, wer gegen diese
Steuererhöhung ist, ist gegen humanitäre Maßnahmen,
dann glaube ich, Sie wären gut beraten, wenn Sie das
selbst zurücknehmen. Denn diesen Zusammenhang her-
zustellen, das ist wirklich unter Niveau.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Der dritte Punkt. Ich habe bei Ihnen das erlebt, was ich
auch beim Bundesfinanzminister permanent erlebe: die
letzten sechzehn Jahre als Einheit zu betrachten und aus-
zublenden – was Oskar Lafontaine natürlich immer getan
hat –, dass wir 1990 die Wiedervereinigung hatten. Die
letzten sechzehn Jahre der alten Koalition waren zweimal
acht, einmal acht Jahre bis zur deutschen Einheit, und in
der Zeit wurden die Steuern gesenkt, wurde die Staats-
quote gesenkt, und im Jahre 1989 hätten wir ohne deut-
sche Einheit keine Nettoneuverschuldung gehabt.


(Widerspruch bei der SPD)


Wir stehen zur deutschen Einheit und wir haben uns
immer zur Finanzierung der deutschen Einheit bekannt,
denn das sozialistisch ruinierte Ostdeutschland musste
und konnte nur finanziert werden über Erhöhung der
Steuern, über Erhöhung der Sozialbeiträge und über Er-
höhung der Nettoneuverschuldung.

Ich bin glücklich, dass wir eigentlich auf einem guten
Wege des Zusammenwachsens sind und dass in diesen
letzten zehn Jahren in den neuen Bundesländern ein Auf-
schwung erreicht wurde – auch wenn dieser nicht aus-
reicht, weil die Befindlichkeiten schlecht, die Lasten auch
viel zu hoch sind. Lassen Sie uns einfach etwas ehrlicher
miteinander umgehen. Denn es nimmt Ihnen beim besten
Willen keiner ab, wenn Sie sagen, dass die finanzielle Si-
tuation nichts mit der deutschen Einheit und mit der sozia-
listisch ruinierten DDR zu tun hätte. Insofern: Bemühen
Sie sich zukünftig um etwas mehr Glaubwürdigkeit!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Herr Thiele, Sie sollten nicht etwas ehrlicher werden, sondern wirklich ehrlich!)



Dr. Frank Schmidt (Weilburg) (SPD):
Rede ID: ID1419907400
Das Glaub-
würdigkeitsproblem, Herr Thiele, haben Sie. Schauen Sie
sich die Protokolle der Debatten über die Steuerpolitik aus
dem Jahre 1991 einfach einmal an.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Ich war dabei!)


Offensichtlich haben Sie das bislang nicht getan; aber
ich kann Ihnen das gerne in Kopie geben. Sie sollten ein-
mal nachlesen, was damals Herr Faltlhauser – seinerseits
noch Abgeordneter – dazu gesagt hat: Man dürfe nicht zu
einer Nettoneuverschuldung gelangen. Die Erhöhung des
Soli – was auch Inhalt des Gesetzes war – um 10 Milliar-
den DM war zur Finanzierung der deutschen Einheit;
gleichzeitig aber wurde die Erhöhung bei den Verbrauch-
steuern eindeutig mit der Finanzierung des Golfkrieges
begründet. So ist es in den Protokollen nachzulesen. Ma-
chen Sie das doch einfach einmal!


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Kein Problem! Ich war sogar dabei!)


Zum anderen hat mein Kollege Detlev von Larcher
– ich weise wieder auf das Protokoll des Bundestages hin –
schon in der Debatte zur ersten Lesung dieses Gesetzes
zum Ausdruck gebracht, dass wir die Einwände ernst neh-
men, dass wir auch über das Zweistufenmodell diskutieren
werden.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Kann man auch den Unsinn nachlesen, den Herr Poß gesagt hat?)


Dann möchte ich noch sagen: Wenn Sie über huma-
nitäre Maßnahmen reden, sollten Sie auch die Gegenfi-
nanzierung im Blick haben. Bis heute haben Sie diesem
Hause dazu nichts vorgelegt. Das Einzige, was vorliegt,
ist unsere moderate Steueranhebung. Da Sie nichts ande-
res haben,


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sparen Sie doch einmal!)


sprechen Sie sich dagegen aus, wenn Sie dagegen sind.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419907500
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Otto Bernhardt.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Dr. Frank Schmidt (Weilburg)


19540


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(B)



Otto Bernhardt (CDU):
Rede ID: ID1419907600
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege
Schmidt, erhöhte Lautstärke und das Vorbringen alter Ka-
mellen sind nicht geeignet, eine wirklich ernste Debatte in
diesem Hause zu führen. Ich finde, das war der Debatte
unwürdig.


(Beifall bei der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Dann halten Sie sich daran!)


– Ich halte mich an das Thema, um das es geht. Es geht
schlicht um zwei wesentliche Steuererhöhungen.

Ich zitiere einmal aus einer der großen Tageszeitungen,
die sich mit diesem Thema auseinander gesetzt hat:

Insgeheim wird Bundesfinanzminister Hans Eichel
den Tag verfluchen, an dem sein Haus bekanntgab,
zur Finanzierung des Antiterrorpaketes die Steuern
zu erhöhen. Nicht nur, dass er damit seinen Ruf als
konsequenter Steuersenker endgültig verwirkt hat,
auch sein Image als solider Haushälter ist angekratzt.

(Beifall des Abg. Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU] – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!)


Meine Damen und Herren, es ist richtig, dass zurzeit alle
Länder in der Welt dabei sind, die Anstrengungen für die
Terrorbekämpfung zu erhöhen. Richtig ist auch, das kein
Land außer der Bundesrepublik Deutschland dafür die
Steuern erhöht. An dieser Stelle würde ich gerne der Kolle-
gin Scheel, die leider nicht mehr im Hause ist, volkswirt-
schaftlichen Nachhilfeunterricht geben. So richte ich mich
an den Kollegen Schmidt: Die Frage, wann man Steuerer-
höhungen durchführt, ist ganz entscheidend abhängig da-
von, wie die konjunkturelle Lage ist. In der jetzigen Situa-
tion ist jede Steuererhöhung Gift für die Konjunktur.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Man erreicht damit genau das Gegenteil dessen, was be-
absichtigt wurde. Einige sollten sich einmal mit Herrn
Brüning beschäftigen. Auch der fing an, diesen Weg zu ge-
hen. Sie erhöhen jetzt die Abgaben, Sie erhöhen die Steu-
ern – und wundern sich dann, dass Deutschland erstmalig
Schlusslicht beim Wirtschaftswachstum in Europa gewor-
den ist. Dabei müsste Sie das nachdenklich stimmen.


(Lachen des Abg. Detlev von Larcher [SPD])

Ich komme jetzt zur Tabaksteuer. Es geht hier um die

stärkste Erhöhung dieser Steuer, die wir in der deutschen
Geschichte bisher durchgeführt haben.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ist es!)

Sie selber gehen laut Ihren Zahlen davon aus, dass infolge
dieser Steuererhöhung 13 Prozent weniger Zigaretten ge-
kauft werden. Wenn dadurch das Rauchen wirklich um
13 Prozent zurückgehen würde, könnte man mit mir noch
über diese Maßnahme sprechen. Das wäre gesundheits-
politisch unter Umständen gar nicht verkehrt.

Die Wirklichkeit – das haben uns in der Anhörung alle
Fachleute bestätigt – ist eine andere: Der Schwarzmarkt,
der Grenzverkehr und der Versandhandel werden stärker
genutzt. Wer sind – auch das sollte hier einmal gefragt
werden – die wirklich Leidtragenden? Das sind die
6 500 kleinen Einzelhändler, für die die Zigarette ein ganz

wichtiger Umsatzfaktor ist. Dies ist wieder ein Zeichen
für Ihre Mittelstandsfeindlichkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD)


Ich komme zur Versicherungsteuer.


(Detlev von Larcher [SPD]: Ach du liebe Zeit, Herr Bernhardt!)


Kollege Schmidt hat Prozentpunkt mit Prozentsatz ver-
wechselt. Mit einer Versicherungsteuer in Höhe von 15 Pro-
zent sind wir schon heute der Spitzenreiter in Europa.


(Bernd Scheelen [SPD]: Haben wir von Ihnen übernommen!)


Großbritannien hat einen Steuersatz von 4 Prozent und die
Schweiz einen Steuersatz von 5 Prozent. Die Erhöhung
von 15 auf 16 Prozent, um die es jetzt geht, bedeutet, rech-
net man die Mehrwertsteuer hinzu, eine Erhöhung um
8 Prozent. Dies ist ein weiterer Standortnachteil für
Deutschland.

Sie alle wissen, dass die Versicherungsrisiken nach
dem 11. September 2001 neu eingeschätzt werden und
dass es zu höheren Beiträgen kommen wird. Das heißt,
durch das, was Sie gleich gegen unsere Stimmen be-
schließen werden, wird die Versicherungswirtschaft dop-
pelt getroffen.

Wir sollten Sie an Ihren eigenen Aussagen messen.
Auch wenn es Ihnen peinlich ist, werde ich ein zweites Zi-
tat anführen. Ihr Bundeskanzler Schröder


(Zuruf von der SPD: Unser Bundeskanzler! – Bernd Scheelen [SPD]: Das ist auch Ihr Bundeskanzler, auch wenn Ihnen das nicht passt!)


– richtig, Herr Kollege –, der von Ihnen gestellte Bun-
deskanzler, der auch mein Bundeskanzler ist, hat am
21. September 1998 Folgendes erklärt:

Wenn wir es nicht schaffen, die Arbeitslosenquote
signifikant zu senken, dann haben wir es weder ver-
dient, wiedergewählt zu werden, noch werden wir
wiedergewählt.


(Detlev von Larcher [SPD]: Machen Sie sich keine falschen Hoffnungen!)


Durch das, was Sie heute beschließen, und durch das,
was Sie, bezogen auf die Ökosteuer, schon beschlossen
haben, fehlt im nächsten Jahr bei der Bevölkerung eine
Nachfrage von 10 Milliarden DM.


(Detlev von Larcher [SPD]: Durch die Ökosteuer gerade nicht!)


In vielen Bereichen wird dies zu spüren sein. Daher sage
ich ganz ernst: Was wir zurzeit brauchen, sind weitsich-
tige Finanzpolitiker. Wir brauchen keine engstirnigen
Buchhalter. Wir brauchen Steuersenkungen und keine
Steuererhöhungen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wer soll denn das bezahlen? So ein Unsinn! Wir brauchen keinen am Rednerpult, der Unsinn erzählt!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 19541


(C)



(D)



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Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419907700
Ich schließe da-
mit die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Finanzierung der Terror-
bekämpfung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der ge-
samten Opposition angenommen worden.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben,
wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. – Wer
stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist damit in dritter Lesung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition
angenommen worden.

Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion
der FDP. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf
Drucksache 14/7335? – Gegenstimmen? – Enthaltungen?
– Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Ko-
alitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und
FDP bei Enthaltung der PDS abgelehnt worden.

Ich rufe Zusatzpunkt 12 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Vereinsgesetzes

– Drucksache 14/7026 –

(Erste Beratung 192. Sitzung)

Beschlussempfehlung und des Bericht des
Innenausschusses (4. Ausschuss)


– Drucksache 14/7354 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Sebastian Edathy
Dr. Hans-Peter Uhl
Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Es besteht
kein Widerspruch. Dann ist auch so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Sebastian Edathy.


Sebastian Edathy (SPD):
Rede ID: ID1419907800
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Wir haben gerade vom letzten Red-
ner in der letzten Debatte gehört, dass man Mehrausgaben
für mehr Sicherheit am besten durch Steuersenkungen
finanziert. Ich nehme das als originelle Anregung zum
Nachdenken mit ins Wochenende. Möglicherweise wer-
den wir über diesen Tagesordnungspunkt, der auch etwas
mit der Stärkung der inneren Sicherheit zu tun hat, etwas
weniger kontrovers diskutieren müssen; denn dies wird
nicht mit höheren Ausgaben verbunden sein.

Wir beraten heute abschließend über eine Änderung
des Vereinsrechts. Worum geht es dabei? Art. 9 Abs. 1 un-
seres Grundgesetzes garantiert das Recht auf Bildung von
Vereinen. In Abs. 2 folgt die einzige Einschränkung, die
das Grundgesetz für dieses Recht kennt. Es heißt dort
wörtlich – ich zitiere –:

Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit
den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen
die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Ge-
danken der Völkerverständigung richten, sind verbo-
ten.

Das Grundgesetz selbst allerdings definiert weder, was
ein Verein ist, noch das nähere Verfahren eines Vereins-
verbotes. Die diesbezüglichen Bestimmungen finden sich
im 1964 geschaffenen Vereinsgesetz, über das wir heute
diskutieren. Dort ist ausdrücklich festgehalten, dass
Religionsgemeinschaften und weltanschauliche Vereini-
gungen nicht als Vereine gelten.

Das führt zu einem Problem, das wir heute lösen soll-
ten. Nach geltendem Recht kann der Bundesinnenminis-
ter, der für die Verfügung eines Verbotes überregionaler
Vereine zuständig ist, in der Regel kein Verbot gegenüber
extremistischen Vereinen aussprechen, die sich als Reli-
gions- oder Weltanschauungsgemeinschaft deklarieren.
Wir werden heute darüber zu entscheiden haben, ob das
so bleiben soll oder nicht.

Außer der PDS haben alle Fraktionen im Deutschen
Bundestag im Rechtsausschuss und im Innenausschuss
den Vorschlag der Bundesregierung begrüßt, das so ge-
nannte Religionsprivileg im Vereinsrecht zu streichen und
damit die notwendige Rechtsklarheit dafür zu schaffen,
dass ein Vorgehen gegen Religions- und Weltanschau-
ungsvereine möglich ist, die sich verfassungsfeindlich
betätigen.

Vereinzelt war bei den Ausschussberatungen und in der
öffentlichen Debatte die Befürchtung zu hören, die beab-
sichtigte Rechtsänderung bringe die mögliche Gefahr mit
sich, dass insbesondere gegenüber kleineren Religionsge-
meinschaften willkürlich vorgegangen werden könnte.
Die SPD-Bundestagsfraktion teilt diesen von einer Min-
derheit geäußerten, aber trotzdem ernst zu nehmenden
Einwand nicht.

Vom In-Kraft-Treten des Vereinsgesetzes im Jahr 1964
bis heute sind seitens des jeweiligen Bundesinnenminis-
ters insgesamt 23 Vereinsverbote ausgesprochen wor-
den: 23 Verbote in insgesamt 37 Jahren. Diese Zahl ver-
deutlicht, dass das Mittel des Vereinsverbotes nicht Mittel
der Wahl, sondern Ultima Ratio, also letztes Mittel ist, zu
dem der Staat dann zu greifen hat, wenn Verstöße eines
Vereines gegen die Grundlagen unseres Gemeinwesens so
massiv und schwerwiegend sind, dass das Recht auf Ver-
einsbildung dahinter zurückstehen muss.

Hier ist in der Vergangenheit ganz offenkundig mit
großer Umsicht und großer Sensibilität, rechtsstaatlich
und verhältnismäßig vorgegangen worden, weil die Frei-
heit der Vereinsbildung ein Grundrecht ist, dessen Wahr-
nehmung mit großer, aber – das füge ich hinzu – eben
nicht mit unbegrenzter Toleranz respektiert werden muss.
So sind denn auch diejenigen Vereinigungen, die in den

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119542


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letzten fast 40 Jahren verboten worden sind, keineswegs
unbekannt, sondern Vereinigungen, die eindeutig nahe le-
gen, dass eine aggressive Bekämpfung des Grundgesetzes
ihr Wesensmerkmal ist. Ich will einige davon nennen: Im
letzten Jahr wurde die deutsche Sektion von „Blood &
Honour“ verboten, eine problematische Neonazigruppe.
Zu den verbotenen Vereinigungen gehören auch die
„Wehrsportgruppe Hoffmann“, die „Wiking-Jugend“ und
die PKK.

Es gibt keinen Grund dafür, im Vereinsrecht nicht ein-
deutig klarzustellen, dass eine einschlägig extremistische
Organisation auch dann verboten werden kann, wenn sie
als religiös oder weltanschaulich motivierte Organisation
in Erscheinung tritt. Insofern stellt sich nach meinem
Dafürhalten weniger die Frage, ob wir das Vereinsrecht
ändern sollten, als vielmehr die Frage, warum wir das
nicht schon längst getan haben. Das Bundesverwal-
tungsgericht beispielsweise hat bereits 1971 kritisch da-
rauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung
des Vereinsrechtes seine Regelungsbefugnis nicht ausge-
schöpft hat.

Die Befürchtung der willkürlichen Umsetzung
der Änderung des Vereinsrechtes ist auch deshalb unbe-
gründet, weil insbesondere bei Religions- und Weltan-
schauungsgemeinschaften neben dem Grundrecht auf
Vereinigungsfreiheit das Grundrecht auf ungestörte Reli-
gionsausübung immer in den Prozess der Abwägung, ob
ein Verbot ausgesprochen werden soll oder nicht, einzu-
beziehen ist. Hinzu kommt natürlich auch, dass ein Ver-
bot gerichtlich überprüft werden kann.

Ich möchte – auch gegenüber der Bundesregierung – in
aller Offenheit sagen – ich schicke voran, dass selbstver-
ständlich die Entscheidung über das Verbot einer überre-
gional tätigen Vereinigung dem Bundesinnenminister ob-
liegt –: Ich kenne niemanden in diesem Hause, der es
nicht begrüßen würde, wenn infolge der heute anstehen-
den Gesetzesänderung der so genannte Kalifatsstaat-Ver-
ein des Herrn Kaplan verboten würde.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Das wird auch Zeit!)


Wir sind uns sicherlich einig, dass das Verbot einer sol-
chen Vereinigung, die unter anderem – das ist in ihren Pu-
blikationen und im Verfassungsschutzbericht 2000 nach-
zulesen – zum Sturz demokratisch gewählter Regierungen
aufruft und die nach meinem Dafürhalten zudem den Be-
griff des Islam weniger gebraucht als vielmehr miss-
braucht, möglich sein muss. Wir können und sollten heute
gemeinsam durch die Änderung des Vereinsgesetzes dazu
beitragen, dass ein solches Verbot auch tatsächlich mög-
lich wird.

Lassen Sie mich abschließend eine Bemerkung ma-
chen, die mir besonders wichtig erscheint. Ich bin davon
überzeugt, dass unsere heutige Entscheidung einen guten
und sinnvollen Beitrag zur Stärkung der Wehrhaftigkeit
unserer Demokratie leisten wird. Ich glaube, es muss
möglich sein, dass ein Rechtsstaat mit den Mitteln des
Verbotes gegen seine Feinde vorgeht. Die Frage des Ver-
bots von religiös oder weltanschaulich motivierten Verei-

nigungen können wir heute durch die Änderung des Ver-
einsrechts klären.

Mit etwas anderem wird sich der Bundestag immer
wieder beschäftigen müssen; denn Vereinigungen können
wir verbieten und auflösen, Menschen nicht. Diejenigen,
die sich in extremistischen Vereinigungen organisiert ha-
ben, denen können wir zwar die Infrastruktur und die Or-
ganisationsbasis nehmen. Aber ihre Gesinnung werden
sie deswegen längst nicht aufgeben. Wir sind aufgerufen,
uns dauerhaft darüber Gedanken zu machen, wie
insbesondere junge Menschen und Heranwachsende in
diesem Land zu so selbstbewussten und demokratiebe-
wussten Staatsbürgern werden, dass sie eben nicht extre-
mistischen Rattenfängern auf den Leim gehen und ihnen
hinterherlaufen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419907900
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dr. Hans-Peter Uhl.


Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1419908000
Frau Präsidentin!
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Durch den
nächste Woche zu beschließenden Befehl für den Einsatz
bewaffneter Streitkräfte im Ausland beteiligt sich
Deutschland am internationalen Kampf gegen den Terro-
rismus. Nicht weniger wichtig ist es, dass Deutschland den
Kampf gegen den Terror auch im Inland aufnimmt. Des-
halb muss der Blick für verfassungsfeindliche Organisa-
tionen geschärft werden. Der Blick muss auch für unsere
Grundwerteordnung und für unser Verständnis von Men-
schenwürde geschärft werden, um sich von den Feinden
unserer verfassungsmäßigen Grundordnung abzugrenzen.

Wir können nicht akzeptieren, dass sich Terroristen
und Extremisten unter dem Deckmantel einer Religions-
gemeinschaft verstecken, dann ihren kriminellen Ma-
chenschaften nachgehen und wir keinerlei Handhabe da-
gegen haben. Es muss endlich gehandelt werden. So hat
zuletzt im Januar dieses Jahres der bayerische Innenminis-
ter Beckstein die Abschaffung des Religionsprivilegs ge-
fordert, wohlgemerkt nicht das erste Mal. Er hat diese
Forderung auch schon während der Amtszeit des Vorgän-
gers von Innenminister Schily erhoben.

Der internationale Terrorismus muss konsequent und
energisch bekämpft werden. Wir sollten dabei zur Ge-
meinsamkeit der Demokraten zurückkehren. Eine mög-
lichst breite Mehrheit von Demokraten, die sich über
Ziele und Methoden im Kampf gegen die Feinde der De-
mokratie einig sind, sollte sich im Parlament formieren.

Wir wissen, das Grundrecht auf freie Religionsaus-
übung – Art. 4 Abs. 2 des Grundgesetzes – ist kein schran-
kenloses Grundrecht. Auch dieses Grundrecht unterliegt
den grundrechtsimmanenten Schranken. Dafür spricht
schon die ganz einfache Überlegung, dass es kein Grund-
recht auf grenzenlose Freiheit geben kann. Hier ist viel-
mehr die Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 des Grundge-
setzes zu beachten: Das Recht auf freie Entfaltung der

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Sebastian Edathy

19543


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Persönlichkeit gilt nur, soweit nicht die Grundrechte an-
derer verletzt sind, soweit nicht die verfassungsmäßige
Ordnung tangiert ist oder die Sittengesetze berührt wer-
den.

Sie sehen: Wir sind hier mitten in einer umfassenden
Wertediskussion. Es geht um den Individualwert der
Grundrechte Einzelner. Es geht um den Gemeinschafts-
wert der verfassungsmäßigen Grundordnung und schließ-
lich um moralische Werte unseres Sittengesetzes. Eine
solche umfassende Wertediskussion muss jetzt überall
– auch hier im Parlament – geführt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Um noch ein Stück deutlicher zu werden und nicht zu
abstrakt verfassungsrechtlich zu argumentieren: Der Um-
gang mit Andersgläubigen oder die Würde der Frau be-
stimmen sich nicht nach irgendeiner Auslegung des Ko-
ran, sondern nach unserer Werteordnung. Das ist der
Punkt, um den es geht. Die Auslegung richtet sich nach
dem sittlichen Bewusstsein unserer Rechtsgemeinschaft.
Wir können nicht akzeptieren, dass in Deutschland le-
bende extremistische Islamisten ihre Interpretation von
Koran und Scharia über unser Grundgesetz stellen. Das
Menschenrechtsverständnis unseres Grundgesetzes mit
der gleichen Wertigkeit und der gleichen Würde des Men-
schen ist mit diesem Islamismus nicht vereinbar. Wir müs-
sen darauf bestehen: Unser Grundgesetz ist nicht verhan-
delbar. Wer bei uns leben möchte, hat sich an unserer
Leitkultur zu orientieren.


(Beifall bei der CDU/CSU – Sebastian Edathy [SPD]: Leitkultur?)


– Ich weiß, das tut Ihnen weh und Sie wollen keine Dis-
kussion darüber. Aber Sie werden der Diskussion über die
Leitkultur nicht ausweichen können, denn wir sind schon
mittendrin.


(Sebastian Edathy [SPD]: Ich leide immer, wenn Sie von Leitkultur sprechen!)


In letzter Zeit wurde oft von höchster Stelle – man
muss das hier erwähnen – ein ziemlich abwegiges Grund-
rechtsverständnis vertreten. So hat vor wenigen Jahren
auf erneuten Vorstoß des bayerischen Innenministers das
Bundesinnenministerium festgestellt, dass der Unterhalt
von Moscheen und die Praktizierung von Riten und Kult-
handlungen der islamischen Religion ausreichen würden,
um unter dem Schutz und Schirm des Gesetzes zu stehen.
Selbst der Vorwurf terroristischer Straftaten tangiere die-
sen Status nicht. – Ich nenne eine solche Auffassung eine
Verirrung des Geistes.


(Beifall bei der CDU/CSU – Sebastian Edathy [SPD]: War das Kanther?)


Ein derart falsch verstandener Liberalismus schaufelt sich
eines Tages sein eigenes Grab.


(Dr. Max Stadler [FDP]: Wer hat das denn geschrieben?)


Die Väter unseres Grundgesetzes dagegen waren viel
weitsichtiger. Sie wollten eine wehrhafte Demokratie,
eine Demokratie, die allen ihren Feinden den Kampf an-
sagt. Das war der Geist von Herrenchiemsee. Das war der

Geist, der alle Demokraten einte. Warum? Sie hatten das
Terrorregime der Nazis überlebt und das Terrorregime der
Kommunisten vor Augen. Doch in der Folgezeit fehlen-
der Bedrohung legte sich bei nicht wenigen eine überzo-
gen liberalistische Auffassung wie Mehltau über die
Grundrechtsinterpretation.


(Zurufe von der SPD: Oh!)


Bei einer solchen Grundrechtsinterpretation ist es wohl
auch kein Zufall, dass Deutschland zum Ruheraum von
Terroristen werden konnte. Wegen einer falsch verstande-
nen Liberalität konnten sich hier dem Terrorismus zuge-
wandte Personen austoben und die abstrusesten Ideen ver-
breiten. Offensichtlich bedurfte es des furchtbaren
Anschlags von New York durch islamistische Terroristen,
bis für jedermann erkennbar wurde, dass ein solches libe-
ralistisches Grundrechtsverständnis grob fahrlässig ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Für den Erhalt der Demokratie muss man Grenzen auf-
zeigen und für die Einhaltung dieser Grenzen kämpfen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419908100
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Edathy.


Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1419908200
Ich würde gerne
zum Schluss kommen und Sie im Anschluss zu einer Dis-
kussion einladen.


(Sebastian Edathy [SPD]: „Kabinettsbeschluss vom 5. September“ sage ich nur!)


Zu Recht hat der Staatsschutzsenat des OLG Düssel-
dorf – das sollte im Plenum bekannt werden – im No-
vember 2000, also vor gut einem Jahr, in seiner Urteils-
begründung zu dem Fall des Kalifen von Köln eine
harsche Politikschelte vorgenommen. In dem Urteil heißt
es:

Nahezu mit Verblüffung musste der Senat zur Kennt-
nis nehmen, dass eine Vielzahl von Zeugen aus den
Reihen des Kaplan-Verbandes, und davon nicht we-
nige mit inzwischen deutscher Staatsangehörigkeit,
mit einer kaum zu glaubenden Unverschämtheit oder
besser Unverfrorenheit erklärten, dass für sie auch
hier in Deutschland nicht die deutschen Gesetze, ja
nicht einmal die deutsche Verfassung, sondern das
islamische Recht, die Scharia, maßgeblich sei. Und
Ziel sei es außerdem nicht nur, ... den Islam auch hier
in Deutschland zu verbreiten, sondern die ganze Welt
müsse der Herrschaft des Islam ... unterworfen wer-
den.

Wir kennen eine ganze Reihe weiterer Zitate von
Metin Kaplan, der in Deutschland immerhin 1100 An-
hänger hat. Hier einige Kostproben: „Es lebe die Hölle für
die Ungläubigen“, „Nieder mit allen Demokratien und al-
len Demokraten!“, „Wenn wir die Macht übernommen
haben, muss das Parlament ... zerstört und verbrannt und
die Asche ins Meer geschüttet werden“, „Der Koran wird
die Verfassung, die Scharia das Gesetz, der Islam wird der
Staat“. – Das alles sind Töne, die in Deutschland von die-
sen Leuten vorgetragen werden, und immer noch nicht ist

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Dr. Hans-Peter Uhl

19544


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dieser Verein verboten. Es wird höchste Zeit, dass das Ver-
fahren zu Ende gebracht wird


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


und die Rädelsführer abgeschoben werden. Sollte sich
dann herausstellen, dass einige der Rädelsführer bereits
einen deutschen Pass erlangt haben und sie deswegen
nicht mehr abgeschoben werden können, wird die deut-
sche Öffentlichkeit mit Recht empört sein.

Von Milli Görüs mit ihren an die 27 000 Mitgliedern
– also nicht nur 1100 wie bei Metin Kaplan – wissen wir,
dass Teil ihrer offiziellen Vereinspolitik die Aufforderung
an ihre Mitglieder ist, sich einbürgern zu lassen, das heißt,
sich einen deutschen Zweitpass zu besorgen. Meiner Mei-
nung nach müssen wir in den Fällen, in denen sich Men-
schen ganz bewusst einen deutschen Zweitpass beschafft
haben,


(Sebastian Edathy [SPD]: Zweitpass? Haben Sie mal etwas vom Staatsangehörigkeitsrecht gehört? Das geht doch gar nicht mehr!)


die sich nachträglich als verfassungsfeindliche Extremis-
ten herausstellen, Herr Edathy, prüfen, ob wir ihnen die-
sen deutschen Zweitpass wieder entziehen können. Nach
geltendem Verfassungsrecht geht das nicht, wäre aber im
Falle einer entsprechenden Änderung durchaus mit der
Verfassung vereinbar. Lesen Sie einmal nach, wie es zu
der betreffenden Vorschrift kam!

Meine Damen und Herren, die Islamische Gemein-
schaft Milli Görüs e. V. ist im Prinzip gefährlicher als die
Kaplan-Vereinigung, weil sie geschickter vorgeht. Sie hat
als Feindbild nach wie vor unsere Gesellschaftsordnung,
sie torpediert jegliche Integrationsbemühungen, sie will
eine islamistische Parallelgesellschaft in Deutschland er-
richten. Deswegen ist sie gefährlicher. Was sie von dem
NATO-Partner Türkei will, wissen Sie. Die Tochterorga-
nisation dieser Gemeinschaft, die Refah-Partei, wurde
deswegen dort verboten.

Bei den Milli-Görüs-Vereinen handelt es sich noch um
eine Minderheit, aber sie versuchen, Einfluss in allen Le-
bensbereichen auszuüben. Deswegen müssen wir in den
deutschen Schulen viel intensiver prüfen, inwieweit sich
der islamische Religionsunterricht mit unserer verfas-
sungsmässigen Grundordnung deckt. Wenn der Verfas-
sungsschutz zu dem Ergebnis kommt, dass Milli Görüs
verfassungsfeindlich ist, dann werden wir auch hier ein
Verbot aussprechen müssen. Es wird sich zeigen, inwie-
weit im Falle eines anstehenden Verbots der grüne Koali-
tionspartner dem Innenminister den Rücken stärken oder
ihm in den Rücken fallen wird.

Ich komme zum Schluss: Unsere wehrhafte Demokra-
tie, richtig verstanden, gibt den Feinden unserer Verfas-
sung keine Chance. Es wäre auch unerträglich, wenn we-
gen einer völlig überzogenen Laisser-faire-Haltung aus
Deutschland ein Nachtwächterstaat würde. Wenn unsere
freiheitlich-demokratische Grundordnung bedroht wird,
dann hält das Grundgesetz genügend Instrumente zum
Kampf gegen den Terrorismus bereit. Heute tun wir mit
diesem Gesetz einen ersten Schritt zur Bekämpfung des
Terrors im Inland. Im Sicherheitspaket der Bundesregie-

rung werden weitere Schritte folgen. Die Unionsfraktion
wird diesem Sicherheitspaket weitere Vorschläge hinzu-
fügen. Dann wird es uns hoffentlich in großer Mehrheit
gelingen, im Kampf gegen den islamistischen Terror zu
bestehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419908300
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Cem Özdemir.


Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419908400
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die jetzt vorge-
legte Änderung des Vereinsgesetzes ist Teil eines Bündels
von Maßnahmen als Konsequenz aus den schrecklichen
Anschlägen vom 11. September dieses Jahres. Wenn wir
jetzt über einzelne Neuregelungen sprechen, dann dürfen
wir die Gründe, die dazu geführt haben, dass wir uns
heute, aber auch schon bei anderer Gelegenheit mit
Terrorismusbekämpfung, mit der Änderung von Gesetzen
beschäftigen bzw. beschäftigt haben, nicht vergessen.

Ich bedaure, in diesem Zusammenhang sagen zu müs-
sen: Die eine oder andere Kritik an den getroffenen Maß-
nahmen legt den Eindruck nahe, dass man die Kernpro-
blematik, nämlich den 11. September, gelegentlich aus
den Augen verliert.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Das ist leider teilweise richtig!)


Wer sich auf eine reine Maßnahmenkritik beschränkt, der
darf nicht vergessen, dass in New York Tausende von
Menschen aus nahezu allen Ländern der Vereinten Natio-
nen, darunter einige deutsche Staatsbürger, ums Leben ge-
bracht worden sind. Angesichts dessen kann niemand von
uns zur Tagesordnung zurückkehren und so tun, als ob
nichts geschehen wäre.

Eine trügerische Sicherheit nach dem Motto „Uns wird
es schon nicht treffen“ kann uns nicht weiterhelfen; denn
niemand von uns – ich sage das, ohne Panik verbreiten zu
wollen – hat eine Garantie dafür, dass sich das, was in
New York geschehen ist, nicht morgen oder übermorgen
in einem anderen Land Europas oder irgendwo anders in
der Welt ereignet. Weil die Selbsterhaltungskräfte der Ge-
sellschaft gefragt sind, sind wir alle miteinander aufge-
fordert, uns zu überlegen, was wir tun können, um die Si-
cherheit zu erhöhen und vorhandene Lücken so schnell
wie möglich zu beseitigen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Wir dürfen in diesem Zusammenhang auch nicht ver-
gessen, dass sich einige der Attentäter lange Zeit bei uns
unerkannt aufgehalten haben. Sie haben dieses Land be-
nutzt, um mit verschiedenen Identitäten – wie gesagt: un-
erkannt – ihre Mordtaten zu planen. Das muss in die Be-
wertung einbezogen werden. Daraus folgt für mich
zwingend, dass wir bei der Bekämpfung des Fundamenta-
lismus schärfer als in der Vergangenheit vorgehen müssen.

In der Öffentlichkeit ist schon mehrfach auf den so ge-
nannten Kalifatsstaat, also auf die Bewegung von Herrn
Kaplan, hingewiesen worden. Diese Bewegung sollte sich

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Dr. Hans-Peter Uhl

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nirgendwo verstecken können. Der Terrorismus hat weder
eine Nation noch eine Religion. Er muss dort, wo er auf-
tritt, bekämpft werden. Herr Kaplan kann sich weder auf
den Islam noch auf irgendeine andere Religion berufen.
Ich hätte mir gewünscht, dass auch mein Vorredner wür-
digt, dass der Zentralrat der Muslime und alle großen
muslimischen Organisationen der Bundesrepublik
Deutschland in jeder nur möglichen Deutlichkeit nicht
nur ihr Mitgefühl mit den Opfern erklärt, sondern jede
Form von Terrorismus scharf verurteilt haben. Sie haben
– wir sollten nicht das Thema, über das wir heute disku-
tieren, vergessen – insbesondere die Änderung des Ver-
einsrechts begrüßt.

Nicht nur die christlichen Kirchen, mit denen wir im
Dialog stehen, sondern auch die muslimischen Organisa-
tionen der Bundesrepublik Deutschland haben dieses Un-
terfangen der Bundesregierung begrüßt und sie haben
diesbezüglich ihre Unterstützung zugesagt. Herr Kollege
Uhl, seitens der Opposition wäre es ein Gebot der intel-
lektuellen Redlichkeit gewesen, das zu würdigen. Die
Mehrzahl der Muslime sieht es nicht anders als wir.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Das bedarf keiner Kritik! Das muss nicht erwähnt werden! Das ist selbstverständlich!)


Die Mehrzahl der Muslime wird nach Verabschiedung
dieses Gesetzentwurfs applaudieren, weil sie dafür dank-
bar sein werden, dass sie – das geschieht in der Öffent-
lichkeit häufig – nicht mehr in Mitleidenschaft gezogen
und verwechselt werden. Diese Muslime werden wahr-
scheinlich glücklicher als die Mehrheit dieses Hauses da-
rüber sein, dass durch dieses Gesetz das Verbot der Akti-
vitäten von Kaplan möglich wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich möchte Sie davor warnen, hier in falschen Populis-
mus zu verfallen. Ich habe bei allen Reden aufmerksam
zugehört. In allen unseren Reden ist ein Ringen spürbar.
Sie merken, dass keiner von uns hier mehr so redet wie
vor dem 11. September. Wenn ich gelegentlich Kollegen
aus der Union sprechen höre – das gilt ausdrücklich nicht
für alle –, dann habe ich schon das Gefühl, dass sie die-
selben Reden auch vor dem 11. September hätten halten
können. Ich habe nicht wirklich gemerkt, ob man sich Ge-
danken darüber macht, dass das, was man sagt, zu dem
passt, worum es eigentlich geht.

Im Hinblick auf Milli Görüs empfehle ich Ihnen ein-
fach einmal, das Gespräch mit Ihren Fraktionskollegen,
mit den Außenpolitikern und mit den entsprechenden Ex-
perten, zu suchen. Sie werden Ihnen sagen, dass das, was
Kollege Uhl eben gesagt hat, alles andere als verantwort-
lich ist. Wenn wir solche Maßstäbe an Menschen, die sich
zwar zum politischen Islam bekennen, aber mit Gewalt
überhaupt nichts am Hut haben, anlegen, dann spielen wir
mit dem Feuer. Davor kann ich nur audrücklich warnen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419908500
Herr Özdemir,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
Marschewski?


Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419908600
Ja.

(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss)



Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1419908700

Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass das, was der Kollege
Uhl vorhin gesagt hat, wörtlich im letzten Verfassungs-
schutzbericht steht? Dort steht, dass Milli Görüs unter
dem Deckmantel einer veränderten Handlungs- und Hal-
tungsweise in Bezug auf früher weiterhin eine Gefahr für
diesen Staat darstellt. Nur das hat der Kollege Uhl be-
hauptet. Sie müssten es wissen.

Ich darf Ihnen an dieser Stelle auch noch sagen – fra-
gen Sie Ihre Kollegen –, dass alle Aussagen bezüglich
Milli Görüs und PKK – neuerdings PKG – bestätigt sind.
Das kann ich Ihnen sagen.


Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419908800
Der
Kollege Uhl hat gesagt, dass Milli Görüs sogar noch ge-
fährlicher als die Organisation von Kaplan ist, Herr Kol-
lege Marschewski. Darauf habe ich mich bezogen. Es
geht nicht darum, irgendetwas in Schutz zu nehmen. Ich
möchte sogar Ihre Kritik noch verschärfen: Ich halte es für
völlig unerträglich, wenn zum Beispiel aus Milli Görüs
nahe stehenden Medienkreisen wie in Tageszeitungen und
auch in Fernsehkanälen offener Antisemitismus vertreten
wird – ich weise darauf übrigens seit Jahren hin, das nur
am Rande bemerkt –; dem muss Einhalt geboten werden.
Mein Hinweis zielte aber vielmehr darauf, dass es absurd
und absolut fahrlässig wäre, wenn wir denjenigen aus ei-
ner Organisation mit 30 000 Menschen, in der es Tauben
und Falken gibt, wobei nur letztere sich gegen Ver-
änderungen stemmen und eine Parallelgesellschaft auf-
bauen wollen – das können weder Sie noch ich wollen –,
den Weg verbauen, die in diese Gesellschaft hineinwach-
sen wollen. Deshalb bitte ich darum, hier sehr differen-
ziert vorzugehen.

Die Holländer haben das einzig Vernünftige gemacht;
sie haben versucht, die Organisation zu spalten, indem sie
diejenigen, die bereit sind, sich auf einen Dialogprozess
einzulassen, in die Gesellschaft eingeladen haben, und
denjenigen, die das nicht wollen, klar gemacht haben,
dass auch unsere Gesellschaften Spielregeln haben. Das
hatte zur Konsequenz, dass sich Milli Görüs in Holland
quasi gespalten hat. In Bezug auf diese Spielregeln sind
wir uns einig: Trennung von Staat und Religion sowie Ak-
zeptanz der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Da-
rüber gibt es hier im Hause wohl keinen Streit.

Meine Bitte ist: Reden Sie noch einmal mit dem Kol-
legen Uhl und machen Sie ihm klar, dass es hier nicht da-
rum gehen kann, die Zahl der Feinde dieser Gesellschaft
zu erhöhen. Damit wäre niemandem gedient. Im Gegen-
teil: Als Sozialpädagoge empfehle ich hier, mit positiven
Verstärkern zu arbeiten und dadurch dazu beizutragen,
dass die Muslime, die bereit sind, in dieser Gesellschaft
Verantwortung zu übernehmen – und das ist die Mehr-
zahl –, nicht von der Gesellschaft abgestoßen, sondern in
die Gesellschaft eingeladen werden.

Da meine Redezeit schon abgelaufen ist, lassen Sie
mich zum Schluss nur noch eines sagen: Der Kampf ge-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Cem Özdemir

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gen den Terrorismus, der Kampf gegen Schläfer, der
Kampf gegen Extremisten kann nur gemeinsam mit den
Muslimen Erfolg haben. Auch der beste Verfassungs-
schutz und die beste Polizei haben keine Chance, wenn sie
in diese Szene nicht hineinkommen. Das werden sie nur
schaffen, wenn die muslimischen Gemeinschaften mit un-
serer Polizei zusammenarbeiten. Damit das der Fall ist,
müssen auch wir Schritte auf sie zugehen. Ich bin mir si-
cher, dass wir so erfolgreich sein werden. Wenn wir die
Gesellschaft polarisieren, werden wir es nicht sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419908900
Für die FDP-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Max Stadler.


Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1419909000
Frau Präsidentin! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Ich möchte die Diskussion
wieder auf den Gesetzentwurf lenken, über den wir gleich
abstimmen. In diesem geht es um die Frage, ob das Reli-
gionsprivileg im Vereinsrecht bestehen bleiben soll oder
nicht. Die FDP-Fraktion wird diesem Gesetzentwurf zu-
stimmen. Wir teilen nämlich das Ziel, verfassungs-
feindliche, extremistische Bestrebungen nicht zuzulassen.
Gleichzeitig bleibt – davon war bisher wenig die Rede –
das Grundrecht auf Religionsfreiheit in vollem Umfang
erhalten.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der PDS)


Auch wenn wir diesem Gesetz zustimmen, so muss doch
angemerkt werden, dass das Gesetzgebungsverfahren
nicht befriedigend abgelaufen ist. Immerhin befinden wir
uns hier in einem verfassungsrechtlichen Spannungsfeld.
Deswegen hat es im Bundesinnenministerium, wie Frau
Sonntag-Wolgast ja im Ausschuss neulich bestätigt hat,
einen längeren Diskussionsvorlauf gegeben. Das zeigt,
dass das Ganze Anlass zum Nachdenken gegeben hat.
Wenn nun vom Parlament verlangt wird, sehr rasch eine
Entscheidung zu treffen, so steht diese Eile doch in be-
merkenswertem Widerspruch zu der Zeitspanne des Vor-
laufs innerhalb der Bundesregierung.

Meine Damen und Herren, die FDP ist für zügige Be-
ratungen aller Maßnahmen, die die innere Sicherheit er-
höhen. Es muss aber auch mit der dem Parlament ange-
messenen Sorgfalt vorgegangen werden.

Denn das, was wir jetzt erleben, verheißt nichts Gutes für
die Beratungen zum so genannten Sicherheitspaket II.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Zeitplan, der bisher bekannt geworden ist, zeigt, dass
im Eilverfahren noch weitreichendere Maßnahmen
durchgepeitscht werden sollen. Ich finde, dass der Bun-
destag sich das nicht hätte gefallen lassen sollen.

Deswegen hat die FDP genau wie die Kollegin Jelpke
im Innenausschuss eine Anhörung von Sachverständigen
zu dem heutigen Thema beantragt. Dies ist leider von den
Regierungsfraktionen und der Union abgelehnt worden,

obwohl übrigens die Kollegen der CDU/CSU aus dem
Rechtsausschuss sehr wohl auch für eine Anhörung ein-
getreten sind.

Was hätte dort noch thematisiert werden sollen? Dort
hätte vor allem die Frage thematisiert werden sollen, ob
die heutige Gesetzesänderung überhaupt erforderlich ist.
Denn entgegen dem Eindruck, den der Kollege Uhl er-
weckt hat, ist die Rechtslage auch bisher schon geklärt.
Der Kollege Uhl hat hier in einer wirklich schlimmen
Weise Richtiges und Falsches miteinander vermischt.
Denn das Bundesverwaltungsgericht hat am
23. März 1971 auf der Basis des geltenden Rechtes ganz
eindeutig entschieden, dass auch Religionsgemeinschaf-
ten selbstverständlich an die verfassungsmäßige Ordnung
gebunden sind und dass sie, wenn sie dagegen verstoßen,
dem Verbot und der Auflösung unterliegen.


(Beifall bei der PDS)


Ebenfalls entgegen dem Eindruck, den der Kollege Uhl
hier erweckt hat, ist es natürlich schon nach der geltenden
Rechtslage so, dass einzelne Mitglieder, auch wenn sie ei-
ner Religionsgemeinschaft angehören, selbstverständlich
strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. So ist
ja der selbst ernannte Kalif von Köln, Herr Kaplan, rechts-
kräftig zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden.


(Sebastian Edathy [SPD]: Es geht um die Organisation, um den Verein!)


Es ist schon sehr eigentümlich, wenn hier von der CSU
der Eindruck erweckt wird, das von Herrn Kanther ge-
führte Innenministerium – so musste man Herrn Uhl ver-
stehen – habe dazu beigetragen, dass die Bundesrepublik
zu einem Ruheraum für Terroristen geworden sei.


(Sebastian Edathy [SPD]: Das hat er so gesagt!)


Das ist wirklich absurd.


(Sebastian Edathy [SPD]: Halten wir das einmal fest!)


Ich bin in der eigenartigen Situation, hier Herrn Kanther
gegen die CSU verteidigen zu müssen.


(Beifall des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP])


Meine Damen und Herren, abschließend will ich noch
den Hinweis anbringen, dass der Rechtsstaat gegen Ter-
roristen in keiner Weise wehrlos ist. Es kommt darauf an,
das bestehende Recht konsequent anzuwenden. Das ist
auch gegenüber Religionsgesellschaften möglich, die sich
extremistisch verhalten.

Da der Gesetzentwurf aber zu einer Klarstellung
beiträgt, stimmen wir ihm zu, obwohl er nicht unbedingt
erforderlich gewesen wäre.


(Beifall bei der FDP – Sebastian Edathy [SPD]: Sie sind doch immer für die Vereinfachung von Gesetzen, Herr Kollege!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419909100
Das Wort hat jetzt für
die PDS-Fraktion die Kollegin Ulla Jelpke.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Cem Özdemir

19547


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Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1419909200
Frau Präsidentin! Sehr verehrte
Kollegen und Kolleginnen! Herr Stadler, die Konsequenz,
die Sie ziehen, verstehe ich nicht ganz. Ihren Beitrag kann
ich inhaltlich voll unterstützen. Warum Sie dennoch das
Religionsprivileg abschaffen wollen, ist aus Ihrer Argu-
mentation eigentlich nicht hervorgegangen.


(Sebastian Edathy [SPD]: Hat er klar dargelegt!)


Heute, am 9. November, sei daran erinnert: Aus den Er-
fahrungen der Schoah heraus haben die Väter und Mütter
des Grundgesetzes Religions- und Weltanschauungsge-
meinschaften als etwas Besonderes behandelt. Dieser
Sonderstellung in der Verfassung entspricht das Reli-
gionsprivileg im Vereinsgesetz.

Das Problem ist in der Tat komplex und kompliziert.
Die PDS-Fraktion hat es sich nicht einfach gemacht und
lange diskutiert, wie sie sich zur Abschaffung des Reli-
gionsprivilegs verhalten wird.

Die Befürworterinnen und Befürworter der Streichung
stellen Privilegien grundsätzlich infrage, auch für die
großen Kirchen, die gegenwärtig Körperschaften des öf-
fentlichen Rechts sind und von dieser Streichung nicht be-
troffen sein werden. Wichtig ist meinen Kolleginnen und
Kollegen in diesem Zusammenhang, dass es eine Privile-
gierung weder für Christen noch für Moslems geben kann.

Die Kritikerinnen und Kritiker der Streichung des Re-
ligionsprivilegs kommen im Ergebnis zu der Befürch-
tung, dass die Religionsfreiheit betroffen sein könnte. So
könnte eine Abschaffung des Religionsprivilegs in Zu-
kunft auch etwa Freikirchen oder Weltanschauungsge-
meinschaften wie beispielsweise die Freidenker treffen.
Hinsichtlich des Hauruckverfahrens, mit dem die Ände-
rung im Parlament durchgezogen wird, kann ich mich
Herrn Stadler voll anschließen. Ich brauche die Argu-
mente nicht zu wiederholen.

Wir alle in der Fraktion finden es problematisch, vor
welchem Hintergrund die Debatte um die Streichung des
Religionsprivilegs gegenwärtig stattfindet. Wie hier be-
reits gesagt wurde, wurde dieser Punkt im Zusammen-
hang mit der Terrorismusdebatte auf die Tagesordnung
gesetzt. Es ist wieder vom Kampf der Kulturen die Rede.
Herr Uhl hat das mit seinem Gerede von der Leitkultur
deutlich gemacht. Ich will das nicht wiederholen.

Ich möchte aus der Debatte der vergangenen Tage ein
Zitat des CSU-Generalsekretärs Thomas Goppel bringen.
Er sagte, man solle das Umfeld von terrorismusverdächti-
gen Organisationen internieren. Der Kollege Marschewski
sagte, man könne sie in gefängnisähnlichen Einrichtungen
unterbringen. Ich glaube nicht, dass das die Lösung ist.

Gerade in diesen Tagen und Wochen ist die Streichung
des Religionsprivilegs ein sehr problematisches Signal.
Alle moslemischen Glaubens- und Weltanschauungs-
gemeinschaften werden gegenwärtig unter Generalver-
dacht gestellt, etwas mit Terroristen zu tun zu haben. Die
Aufhebung des Privilegs fällt in eine Zeit, in der das Miss-
trauen gegenüber moslemischen Gläubigen besonders
stark ist. Unseres Erachtens besteht die Notwendigkeit,
das Signal auszusenden, dass alle Menschen – also Men-

schen aller Glaubensbekenntnisse und Menschen ohne
Religionszugehörigkeit – der Wunsch nach Einheit, Frie-
den und Gerechtigkeit eint.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419909300
Frau Kollegin Jelpke,
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1419909400
Ja. – Ich möchte zum Schluss sa-
gen – das ist ein weiterer problematischer Punkt –, dass
nächste Woche der „Otto-Katalog II“ auf dem Tisch liegt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das hätten Sie sich wirklich sparen können!)


Damit wird die Situation für Ausländervereine weiter ver-
schärft. Demnach können bereits Organisationen verbo-
ten werden, die beispielsweise erhebliche Belange der
Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigen. Wir haben
große Bedenken, welche Vereine alle betroffen sein könn-
ten.

Die Abschaffung des Religionsprivilegs hätte sehr viel
gründlicher behandelt werden müssen. Man hätte Bürger-
rechtsorganisationen anhören und eine öffentliche De-
batte initiieren müssen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419909500
Frau Kollegin, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1419909600
Dann wäre vielleicht als Ergebnis
herausgekommen, dass das Religionsprivileg nicht so ein-
fach gestrichen werden kann.

Danke.


(Beifall bei der PDS – Sebastian Edathy [SPD]: Die Partei des Sozialismus ist für Privilegien! Das ist ja interessant!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419909700
Zu einer Kurzinterven-
tion erteile ich jetzt dem Kollegen Erwin Marschewski das
Wort.


(Zuruf von der SPD: Ach nein! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Erwin, wir wollen alle nach Hause! Es wird dadurch nicht besser!)



Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1419909800

Ich melde mich, weil die Kollegin Jelpke mich bezüglich
meines Vorschlages, Terroristen in gefängnisähnlichen
Einrichtungen unterzubringen, angesprochen hat. Es ist
richtig, dass ich diesen Vorschlag in die Diskussion ein-
gebracht habe. Ich habe diesen Vorschlag von dem briti-
schen Innenminister Blunkett, einem Labour-Minister,
übernommen, der einen entsprechenden Gesetzentwurf
eingebracht hat.

Ich stehe als deutscher Innenpolitiker vor folgender
Problematik: Auch wenn feststeht, dass jemand ein Terro-
rist ist – er wurde überführt und zu einer Gefängnisstrafe
verurteilt –, können wir ihn nach Ablauf seiner Haftzeit
nicht in ein fremdes Land verbringen; denn Abschie-
bungshindernisse auf der einen Seite und § 48 des Aus-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119548


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ländergesetzes auf der anderen Seite verbieten dies. Sie
können diese Person nach der geltenden Rechtslage selbst
dann nicht abschieben – wenn Folter und Todesstrafe
droht, wird er selbstverständlich nicht abgeschoben –,
wenn ihm eine erniedrigende Behandlung droht.

Ich stelle mir daher die Frage, ob man es verantworten
kann, dass man einen Terroristen, der Menschen getötet
hat, nicht in ein fremdes Land verbringen kann, nur weil
ihm eine – in Anführungszeichen – erniedrigende Be-
handlung droht. So ist aber die Rechtslage. Was will man
machen, wenn Herr Kaplan nicht von der Türkei aufge-
nommen wird? In diesem Fall muss der deutsche Steuer-
zahler dafür aufkommen, dass Herr Kaplan rund um die
Uhr von 20, 30 Polizeibeamten bewacht wird. Er geht
nicht in die Türkei, ausweisen oder abschieben können
wir ihn nicht. Er bleibt hier.

Vor diesem Hintergrund habe ich die Frage gestellt, ob
es dann nicht, wie beim vorbeugenden Unterbindungs-
gewahrsam, gerechtfertigt ist, die Leute vielleicht in
gefängnisähnliche Einrichtungen zu verbringen. Ich sage
noch einmal: Mein Vorbild war der britische Labour-In-
nenminister. Ich halte es für völlig legitim, diese Frage an-
zusprechen. Nur, es so verkürzt darzustellen, wie Sie es
vorhin getan haben, das geht natürlich nicht. Diese Leute
bleiben hier und ich habe den Auftrag, sie festzusetzen, sie
unschädlich zu machen oder sie ins Ausland zu bringen.
Das aber ist nach der derzeitigen Rechtslage nicht mög-
lich.

Ich will noch einen Satz anfügen. Die UNO-Resolution
1353 sagt auch, dass solchen Leuten kein Zufluchtsraum
zu gewähren sei. Man kann vielleicht sogar mit einer In-
terpretation der Europäischen Menschenrechtskonven-
tion oder der UNO-Konvention zu einem ähnlichen Er-
gebnis kommen. Die Frage ist ernst und deswegen sollten
Sie so etwas ernsthaft und nicht nur mit einem Zwi-
schensatz erwähnen.

Herzlichen Dank.


(Sebastian Edathy [SPD]: Wir halten fest: Herr Marschewski ist Labour-Fan!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419909900
Zur Erwiderung Frau
Kollegin Jelpke, bitte.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419910000
SehrverehrteKolleginnenundKol-
legen!Es istmir schonwichtig,das,wasHerrMarschewski
hier gerade vorgetragen hat, richtig zu stellen.

Erst einmal möchte ich prinzipiell klarstellen, Herr
Marschewski: Auch die PDS setzt sich für eine eindeutige
strafrechtliche Verfolgung von Terroristen ein. Die
gehören vor Gericht, die gehören verurteilt, das kann
überhaupt kein Thema und keine Frage sein.

Zweitens. Es geht um den Bericht in der „Bild am
Sonntag“ vom vergangenen Sonntag, in dem Sie zitiert
worden sind, und um die Debatte, die Sie Anfang dieser
Woche in der Sendung „Report“ mit Ihrem Kollegen
Herrn Goppel, den ich eben zitiert habe, geführt haben.
Sie haben dort in der Tat über den Kampf gegen den Ter-
rorismus gesprochen, aber Sie haben von dem Umfeld ge-

sprochen. Ihr Kollege Herr Goppel, den ich jetzt noch ein-
mal zitiere, hat ganz eindeutig gesagt:

Eine Internierung ist dann notwendig, wenn Gefahr
im Verzug ist. Die einzige Möglichkeit sicherzustel-
len, dass das Umfeld eines solchen Attentäters zu-
mindest zerstört wird, ist die Internierung seiner An-
hängerschaft.

Das erinnert tatsächlich an NS-Zeiten. Ich meine, dass in
einem Rechtsstaat Straftaten wirklich nachgewiesen wer-
den müssen und dass man hier nicht so leichtfertig von In-
ternierung reden sollte, wie das der Kollege getan hat.

Sie, Herr Marschewski, haben in der Sendung dann er-
gänzend gesagt, man könnte sie in gefängnisähnlichen
Einrichtungen unterbringen. Das müsste man überlegen.
Das ist jetzt meine Kommentierung: Früher nannte man
das Schutzhaft. Ich glaube, wir dürfen nicht so weit kom-
men, dass wir mit solchen Maßnahmen den Rechtsstaat in
diesem Land verändern.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419910100
Die letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Parlamentarische Staatssekretärin
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419910200
Liebe Kollegen und
Kolleginnen! Auf den letzten Disput will ich jetzt nicht
mehr eingehen,


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Es wäre aber interessant, zu erfahren, was die Regierung dazu sagt!)


wohl aber auf das, was der Kollege Stadler und die Kol-
legin Jelpke in ihrer Rede gesagt haben.

Herr Stadler, ich hatte das Gefühl, Sie suchten irgend-
ein Haar in der Suppe bei einer Initiative, die Sie eigent-
lich für gut und richtig halten.

Frau Jelpke, gerade weil wir im Umgang mit den Mus-
limen die Differenzierung und nicht den Generalverdacht
haben wollen, ist diese Initiative so wichtig. Das möchte
ich ganz kurz erklären.


(Beifall bei der SPD)


Als der Bundesinnenminister am 5. September, also
sechs Tage vor den Terroranschlägen, den unmittelbar be-
vorstehenden Beschluss des Kabinetts für eine Änderung
des Vereinsgesetzes ankündigte, war das Echo in den
Medien eher mager. Es gab einige Zweispalter in den
überregionalen Zeitungen, mehr nicht. Das hat sich natür-
lich mittlerweile gründlich geändert. Die beiden so ge-
nannten Sicherheitspakete sind inzwischen von der Bun-
desregierung verabschiedet worden und in ihren Rahmen
gehört eben auch die Abschaffung des so genannten
Religionsprivilegs.

Sie soll das Vorgehen gegen terroristische Organisatio-
nen, die sich als Religionsgemeinschaften tarnen, in
Wirklichkeit aber eine erhebliche kriminelle Energie ent-
falten, zu Straftaten aufrufen oder Terroranschläge vorbe-
reiten, erleichtern. Ich erwähne diese Entstehungsge-
schichte der Initiative, um eines klar zu machen: Der

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Erwin Marschewski (Recklinghausen)


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Beschluss reifte vor den Terrorangriffen und stand schon
lange auf der Agenda. Übrigens hat sich die jetzige Bun-
desregierung da sehr viel zielstrebiger und konkreter ver-
halten als ihre Vorgängerin.

Meine Damen und Herren, Sie werden unschwer erra-
ten, welche Organisation die Bundesregierung bei ihren
Vorüberlegungen in erster Linie im Visier hatte: natürlich
den islamistisch ausgerichteten Kölner Kalifat-Staat,
dessen Anführer Metin Kaplan eine Strafe verbüßt und
dessen Ziel der Sturz der laizistischen Republik in der
Türkei ist, der aber auch massiv die Bundesrepublik be-
droht. Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes hat es
auch Kontakte dieser Organisation zu Osama Bin Laden
gegeben.

Die Bundesregierung will das Vereinsgesetz auf derar-
tige Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsge-
meinschaften ausdehnen, um Betätigungs- und Vereins-
verbote durchsetzen zu können. Organisationen, die
unsere Gesetze und unsere verfassungsmäßige Ordnung
aggressiv bekämpfen und missachten, muss das Hand-
werk gelegt werden, auch wenn sie im Gewande einer
Glaubensgemeinschaft daherkommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Änderung des Vereinsgesetzes ist somit auch ein Bau-
stein im Gesamtkonzept der Bundesregierung zur Ein-
dämmung des internationalen Terrorismus.

Manche fragen – das haben Sie, Herr Stadler, auch ge-
tan –, warum das Religionsprivileg überhaupt so lange
Bestand hatte. Eine Begründung liegt zweifellos darin,
dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des Vereinsgeset-
zes im Jahre 1964 die Probleme und Risiken so nicht
erkennen konnte. Inzwischen haben wir andere Erfahrun-
gen gesammelt, da religiös motivierter Fundamentalis-
mus sehr viel deutlicher zutage tritt. Richtig ist auch, dass
seitens der Kirchen kritische Stimmen im Hinblick auf
eine Änderung des Vereinsgesetzes zu hören waren.

Eine Sorge möchte ich aber gleich ausräumen: Die von
manchen beschworene Gefahr, dass religiöse oder welt-
anschauliche Gruppen willkürlich zerschlagen werden
könnten, stellt sich nicht. Die katholische und die evan-
gelische Kirche sind von der Gesetzesänderung ohnehin
nicht betroffen. Die Verfassung schützt sie vor einem Ver-
bot, weil sie altkorporierte Religionsgemeinschaften sind,
denen der Körperschaftsstatus zugesprochen ist.

Abgesehen davon ist die Schwelle für ein Tätigwerden
des Staates hoch. Bei jeder Entscheidung im Einzelfall ist
die grundrechtlich verbürgte Religionsfreiheit zu beach-
ten. Alle Entscheidungen unterliegen selbstverständlich
der gerichtlichen Überprüfung. Die Maßstäbe für ein Ver-
einsverbot sind die gleichen wie für ein Parteiverbot; nur
liegt die Entscheidungsbefugnis bei so genannten norma-
len Vereinen nicht beim Bundesverfassungsgericht, son-
dern zunächst bei den Innenministerien von Bund und
Ländern.

Eines, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss für uns
eindeutig sein: Religiöse oder weltanschauliche Motiva-
tion darf kein Freibrief für Gewalt, Verfassungsbruch und
Mord sein. Diese Botschaft will unsere Gesetzesänderung
vermitteln. Deswegen begrüße ich sehr, dass wichtige

Vertreter der Muslime und ihrer Organisationen diese Ini-
tiative eindeutig befürworteten. Gerade weil wir die Men-
schen islamischen Glaubens nicht unter einen Pauschal-
verdacht stellen wollen, ist dieser Vorstoß so wichtig.
Gerade jetzt verstärken wir den Dialog mit den friedlich
in Deutschland lebenden Muslimen. Wir wollen mög-
lichst viele Menschen dazu ermuntern, sich differenziert
mit dem Islam zu befassen. Deshalb ist die Abgrenzung zu
denjenigen Kräften so nötig, die die Religion für Terror
und menschenverachtende Taten missbrauchen.

Insoweit beruhige ich diejenigen Vertreter islamischer
Organisationen, die in den vergangenen Wochen die Be-
fürchtung geäußert haben, die Aufhebung des Religions-
privileges richte sich generell gegen sie und beeinträch-
tige sie in der freien Ausübung ihres Glaubens. Diese
Sorge ist nachvollziehbar, aber unbegründet. Die unge-
störte Religionsausübung bleibt wie bisher für alle Reli-
gionsgemeinschaften verfassungsrechtlich gewährleistet.
Das gilt selbstverständlich auch für islamische Religions-
gemeinschaften.

Ein letzter Gesichtspunkt. Leichtfertig oder leicht lässt
sich ein Verbot ohnehin nicht aussprechen. Bereits nach
geltendem Recht muss einem Verein das Verhalten seines
Vorstandes oder seiner Mitglieder erst einmal zugerechnet
werden. Man sollte auch sorgfältig abwägen, Herr Kol-
lege Marschewski, ob ein Verbot unabdingbar ist. Der
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss strikt gewahrt
werden.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Das habe ich in meinem Leben schon einmal gehört, im ersten Semester Jura!)


Ebenso spielt die Überlegung eine Rolle, wann das Vor-
gehen gegen eine Gemeinschaft eher kontraproduktiv
wirkte oder zur Desintegration der Muslime in Deutsch-
land beitrüge. In einen Verbotswettlauf wollen wir also
nicht eintreten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aber der Staat hat eben auch eine Schutzpflicht gegen-
über seinen Bürgern; er muss möglichen Schaden abwen-
den und Gefahren bannen. Das gilt, wenn es sich um reli-
giöse Eiferer handelt, wenn ihr Fundamentalismus in
Terrorismus umschlägt und gegen den Geist der Völker-
verständigung verstößt.

Wir können in solchen Fällen nicht mit Langmut ab-
warten, ob militant formulierende Aktivisten und ihre An-
hänger tatsächlich ihre möglicherweise blumigen Worte
in Taten einmünden lassen. Dann ist es nämlich zu spät.

Lassen sie uns deshalb im Konsens der Demokraten
das Notwendige tun und das Religionsprivileg abschaf-
fen.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Das war eine gute Empfehlung an Otto Schily!)


Brutstätten des Terrorismus können und dürfen wir nicht
dulden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Parl. Staatssekretärin Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast

19550


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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419910300
Ich schließe die Aus-
sprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Vereinsgesetzes. Es handelt sich um die Druck-
sachen 14/7062 und 14/7354.

Ich weise Sie darauf hin, dass eine schriftliche Er-
klärung der Kollegin Ulla Jelpke sowie weiterer zehn Ab-
geordneter der PDS-Fraktion zur Abstimmung gemäß
§ 31 der Geschäftsordnung vorliegt.1)

Der Innenausschuss empfiehlt, den Gesetzentwurf an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim-
men der Fraktionen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grü-
nen, der CDU/CSU und der FDP sowie mit einigen Stim-
men aus der PDS-Fraktion bei einigen Enthaltungen und
einigen Gegenstimmen von Abgeordneten der PDS-Frak-
tion angenommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die
Grünen, der CDU/CSU und der FDP und einiger Abgeord-
neter der PDS bei Enthaltung einiger PDS-Abgeordneter
sowie Gegenstimmen aus der PDS-Fraktion angenommen.

Ich rufe die Zusatzpunkte 13 und 14 auf:

ZP 13 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Be-
stimmung der Schwankungsreserve in der
Rentenversicherung der Arbeiter und Ange-
stellten
– Drucksache 14/7284 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft

ZP 14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Karl-Josef
Laumann, Horst Seehofer, Brigitte Baumeister,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Keine systemwidrigen Eingriffe bei der
Schwankungsreserve
– Drucksache 14/7292 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist die Par-
lamentarische Staatssekretärin Ulrike Mascher.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wo ist denn der Minister? Das ist ja erstaunlich!)


U
Ulrike Mascher (SPD):
Rede ID: ID1419910400
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Die schrecklichen Ereignisse
am 11. September in den Vereinigten Staaten haben
konjunkturelle Abschwächungstendenzen in vielen
Volkswirtschaften verstärkt und beschleunigt.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Wir sprechen jetzt über die Rente!)


Natürlich spüren Exportnationen wie Deutschland eine
sinkende Nachfrage auf den Weltmärkten besonders deut-
lich.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das ist Ihre große Ausrede!)


Die Zahl der neuen Jobs steigt nicht mehr so schnell wie
noch vor wenigen Monaten.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das ist Ihre Ausrede und Lüge!)


Das hat Folgen für die Beitragseinnahmen in der ge-
setzlichen Rentenversicherung. Sie entwickeln sich
nicht so wie noch zur Jahresmitte angenommen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das Desaster war schon früher erkennbar!)


Entsprechend müsste der Beitragssatz im kommenden
Jahr bei realistischer Festsetzung um 0,3 Prozentpunkte
erhöht werden. Das bedeutete, dass wir die Arbeitnehmer
und Arbeitgeber im Jahr 2002 jeweils mit rund 2,4 Milli-
arden DM mehr belasten müssten.

Das kann in dieser Situation niemand ernsthaft wollen,
auch die Opposition nicht. Wir dürfen jetzt den Faktor Ar-
beit nicht verteuern. Die führenden Wirtschaftsfor-
schungsinstitute rechnen mit einem Aufwärtstrend bereits
in wenigen Monaten. In ihren Herbstgutachten beschrei-
ben sie die konjunkturelle Abkühlung als zeitlich be-
grenzte Eintrübung.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Schauen wir mal!)


Deshalb müssen wir die richtigen Signale aussenden.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie haben ein Best-Case-Szenario gemacht! Jetzt werden Sie von den Ereignissen überrollt!)


Es war immer das Ziel dieser Regierungskoalition,
Lohnnebenkosten zu senken und auf möglichst niedrigem
Niveau zu stabilisieren. Damit wollen wir die Rahmenbe-
dingungen für mehr Beschäftigung schaffen. Diesem Ziel
werden wir treu bleiben. Deswegen halten wir den Bei-
tragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung stabil. Wir
werden den Rentenversicherungsbeitrag auch im kom-
menden Jahr bei 19,1 Prozent halten.


(Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie wollten ihn doch eigentlich senken, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 19551 1)


(C)


(D)


(A)


(B)


oder?)

Um das zu erreichen, senken wir den Zielwert für die
Schwankungsreserve in der gesetzlichen Rentenversi-
cherung von jetzt einer Monatsausgabe auf 0,8 Monats-
ausgaben. Welche Folgen wird das für die Rentnerinnen
und Rentner haben?


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das Vertrauen schwindet!)


Ich sage es Ihnen: Überhaupt keine. Die Rentenzahlungen
werden wie bisher pünktlich auf allen Bankkonten einge-
hen. Die Schwankungsreserve in der Rentenversicherung
gleicht nämlich heute nur noch jahreszeitlich bedingte
Schwankungen aus. Dazu brauchen wir aber keine volle
Monatsausgabe. Im November und Dezember sind die
Reserven hoch, weil durch zusätzliche Beiträge auf das
Weihnachtsgeld mehr in die Kassen kommt. In den fol-
genden Monaten schmelzen die Reserven dann langsam
ab, um im Oktober ihren Tiefstand zu erreichen.

Eine ganze Monatsausgabe entspricht 2002 rund
30 Milliarden DM. Wenn wir die Schwankungsreserve
jetzt um 0,2 Monatsausgaben senken, verbleiben noch im-
mer 24 Milliarden DM. Das heißt, auch wenn diese
Finanzmittel im Laufe des Jahres saisonal bedingt abneh-
men, haben wir im beitragsschwächsten Monat Oktober
noch immer 12 Milliarden DM an liquiden Reserven. Das
ist ein ausreichender Puffer.

Auch die Rentenexperten des Verbands Deutscher
Rentenversicherungsträger halten eine Schwankungsre-
serve in Höhe von 0,8 Monatsausgaben für ausreichend,
um bei einem Beitragssatz von 19,1 Prozent die
Zahlungsfähigkeit, also die Liquidität, zu gewährleisten.
Wenn wir die Beitragssätze weiterhin realistisch festle-
gen, wird auch in Zukunft keine höhere Rücklage in der
Rentensicherung notwendig sein.

Deswegen wollen wir jetzt den Zielwert der Schwan-
kungsreserve gesetzlich neu regeln. Er kann gefahrlos um
0,2 Monatsausgaben gesenkt werden.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das ist unerträglich, was Sie da erzählen!)


Die Vorgängerregierung hat ganz ohne gesetzliche
Regelung mit schöner Regelmäßigkeit die Schwankungs-
reserve harten Belastungsproben ausgesetzt.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Dafür ist sie doch da, Frau Mascher! Das ist eine Frechheit, wie Sie hier reden!)


Die finanziellen Reserven lagen in den Jahren 1996 und
1997 bei nur 0,6 Monatsausgaben,


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Dafür ist die Schwankungsreserve doch da, dass sie genutzt wird!)


obwohl sie damals noch nach dem Gesetz eine volle Mo-
natsausgabe hätte betragen sollen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419910500
Frau Staatssekre-
tärin – –

U
Ulrike Mascher (SPD):
Rede ID: ID1419910600
Aber auch damals
bekamen die Rentner ihr Geld regelmäßig und pünktlich.
Die Kohl-Regierung hat also in ihren Rentenexperimen-
ten bewiesen, dass die Zahlungsfähigkeit der Rentenver-
sicherungsträger trotz einer auf 0,6 Monatsausgaben ge-
schrumpften Reserve jederzeit gewährleistet war.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419910700
Frau Staatssekretärin,
ich muss Sie ein zweites Mal bremsen. Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Kolb?

U
Ulrike Mascher (SPD):
Rede ID: ID1419910800
Nein, ich denke,
in unser aller Interesse sollten wir hier zügig unsere Bera-
tungen beenden.


(Beifall bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Genau! Der Nachmittag ist kurz!)


Solche Experimente, wie sie die Kohl-Regierung ge-
macht hat, müssen wir nicht wiederholen.

Was Mitte der 90er-Jahre das Vertrauen in die Rente al-
lerdings wirklich erschüttert hat, war die unrealistische
Festsetzung der Beitragssätze. 1995 wurde mit
19,2 Prozent so knapp kalkuliert, dass der Beitragssatz im
Jahr danach um 1,1 Punkte auf 20,3 Prozent gestiegen ist.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Da schauen wir mal, wo Sie noch hinkommen!)


Solche wilden Achterbahnfahrten mit Beitragszahlern
wird diese Regierung nicht veranstalten.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Sie sind jetzt schon dabei! Sie erhöhen nur! Sie sind schon wieder bei 19,4!)


Wenn wir die Schwankungsreserve auf 0,8 Monats-
ausgaben senken, machen wir Mittel in Höhe von 6 Mil-
liarden DM frei. Damit können wir verhindern, dass die
Beiträge zur Rentenversicherung und so die Lohnneben-
kosten steigen. Dazu gibt es in der jetzigen wirtschaftli-
chen Situation keine vernünftige ökonomische Alterna-
tive. Die Schwankungsreserve ist in der derzeit gesetzlich
vorgeschriebenen Höhe nicht erforderlich. Wir müssen
diesen Spielraum nutzen, um in der Wirtschaft und auf
dem Arbeitsmarkt nicht eine Negativspirale in Gang zu
setzen. Wir wollen die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber
nicht zusätzlich belasten. Der Rentenversicherungs-
beitrag muss bei 19,1 Prozent bleiben und in den kom-
menden Jahren möglichst weiter sinken. Das stärkt die
Binnennachfrage, das erhöht unsere Konkurrenzfähigkeit
auf dem Weltmarkt, das stärkt das Wirtschaftswachstum
und hilft, neue Jobs entstehen zu lassen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist die Blauäugigkeit der Bundesregierung, die hier demonstriert wird! Und Nachfragen lassen Sie nicht zu!)


Ich kann Sie nur herzlich bitten, die Rentnerinnen
und Rentner nicht mit einer Panikdebatte zu verunsi-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Parl. Staatssekretärin Ulrike Mascher

19552


(C)



(D)



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(B)


chern. Da ist in den letzten zehn Jahren schon viel zu
viel passiert.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Sie fummeln herum, um Beitragserhöhungen zu vermeiden! Sie tun das! – Klaus Brandner [SPD]: Verunsicherung wider besseres Wissen ist unchristlich!)


Lassen Sie uns hier mit einer sauberen gesetzlichen Rege-
lung die Rentenfinanzen stabilisieren und dazu beitragen,
dass die Konjunktur wieder mehr Fahrt bekommt.

Danke.


(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419910900
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Andreas Storm.


Andreas Storm (CDU):
Rede ID: ID1419911000
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Nur wenige Monate nach der Verab-
schiedung der so genannten Jahrhundertrentenreform und –
das ist neu – noch vor dem In-Kraft-Treten der Reform
präsentieren Sie uns heute einen Gesetzentwurf
– Ihre Rede, Frau Kollegin Mascher, hat das gezeigt –, der
nichts anderes ist als ein rentenpolitischer Offenbarungseid.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Quatsch!)


Heute zeigt sich einmal mehr, dass die Rentenpolitik
dieser Bundesregierung von gebrochenen Versprechen,
dreisten Mogelpackungen und üblen Manipulationsversu-
chen geprägt ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie wollten den Beitragssatz zur gesetzlichen Renten-
versicherung im kommenden Jahr von 19,1 Prozent auf
19,0 Prozent senken. Dafür kassieren Sie ab dem 1. Januar
2002 einen zweiten Rentenbeitrag an der Tankstelle in
Höhe von insgesamt 6 Milliarden DM. Dieser Betrag
kommt zu den 23 Milliarden DM aus den vorhergehenden
Ökosteuerstufen hinzu, die die Bürger bereits berappen
müssen.


(Klaus Brandner [SPD]: Das hatten wir schon mal!)


Ich habe das Versprechen des Arbeitsministers noch im
Ohr, für jede weitere Ökosteuerstufe werde der Beitrags-
satz zur Rentenversicherung weiter abgesenkt.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das gilt alles nicht mehr!)


Tatsächlich – das geht aus Ihrem Eingeständnis her-
vor – müsste der Beitragssatz im nächsten Jahr auf
19,4 Prozent steigen,


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: So ist das! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Auch im Ausschuss bestätigt!)


trotz Rentenreform, trotz Ökosteuer, trotz der Rente nach
Kassenlage im Jahr 2000. Zu behaupten, auch an dieser
Sache sei Bin Laden schuld, ist eine etwas zu starke Form
von Zynismus.

19,4 Prozent Rentenbeitrag vom Lohn plus 1,7 Bei-
tragssatzpunkte – dies wäre die Entlastung aus der Öko-
steuer, die an der Tankstelle bezahlt wird – macht summa
summarum 21,1 Prozent. Wie Sie sicherlich noch wissen,
betrug der Rentenbeitrag in dem Jahr, als Sie die Regierung
übernommen haben, 20,3 Prozent und war damit niedriger
als die Summe der Belastungen, die sich im nächsten Jahr
aus dem Rentenbeitrag und der Ökosteuer ergibt. Das ist
Ihr Beitrag zur Senkung der Lohnnebenkosten. In Wahr-
heit werden die Menschen nach Strich und Faden abge-
zockt und von Rot-Grün um die Fichte geführt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Eines ist klar: Diese verfehlte Politik hat die Finanzen
der Rentenversicherung vor die Wand gefahren. Am
Ende Ihrer vierjährigen Regierungszeit präsentiert sich
die Rentenkasse in einem schlimmen Zustand, und das
trotz massiver vertrauensschädigender Eingriffe in die
Leistungen der Rentenversicherung.


(Klaus Brandner [SPD]: Das sehen die Rentenversicherungsträger völlig anders, das wissen Sie doch, Herr Storm!)


Die von Ihnen zu verantwortende Serie rentenpoliti-
scher Tiefschläge begann nur wenige Monate nach der
Bundestagswahl damit, dass Sie willkürlich die netto-
lohnbezogene Rentenanpassungsformel außer Kraft ge-
setzt haben. Weiter ging es, weil Sie dann kalte Füße be-
kommen haben, mit der Ankündigung, dass den Rentnern
als Ersatz dafür ein Inflationsausgleich gewährt wird.
Auch dieses Versprechen war nichts als Schall und Rauch;
denn die bittere Wahrheit ist: Der Anstieg der Lebenshal-
tungskosten war im vergangenen Jahr mit 1,9 Prozent
dreimal so hoch wie die Rentenerhöhung von 0,6 Prozent.

Mit dieser dilettantischen Politik der Rente nach Kas-
senlage haben Sie nicht nur den Rentnern einen erhebli-
chen Kaufkraftverlust beschert, sondern Sie haben – das
ist noch viel schlimmer – leichtfertig das Vertrauen der
Menschen in die Rentenversicherung aufs Spiel gesetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit diesen üblen Tricks haben Sie es nicht geschafft,
eine dauerhafte Stabilisierung der Rentenversicherung zu
erreichen. So müsste, wenn am 1. Januar 2002 die viel ge-
priesene große Rentenreform in Kraft tritt und die Öko-
steuer weiter ansteigt, der Rentenbeitrag auf 19,4 Prozent
angehoben werden. Das aber wäre ein Offenbarungseid;
deshalb hat der Arbeitsminister nach allen Tricks gesucht,
um dies zu vermeiden.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wo ist er denn?)


Die Trickkiste, die Sie geöffnet haben, um den wahren
Stand der Dinge zu verschleiern, bedeutet einen kräftigen
Griff in die Reserven der Rentenversicherungsträger. Die
Absenkung der Schwankungsreserve von einer Monats-
ausgabe auf 80 Prozent würde in der Tat knapp 6 Milliar-
den DM freisetzen. Das entspricht einer Größenordnung
von 0,3 Beitragssatzpunkten. Mit dieser dreisten Manipu-
lation könnten Sie den Beitragssatz im nächsten Jahr sta-
bil halten.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das haben Sie doch auch nie gemacht!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Parl. Staatssekretärin Ulrike Mascher

19553


(C)



(D)



(A)



(B)


Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, das dicke Ende
kommt danach. All Ihre Zusagen, den Beitragssatz bis
zum Jahre 2010 deutlich unter 19 Prozent zu halten, sind
damit Makulatur; denn bevor der Beitrag gesenkt werden
kann, müssen Sie erst einmal die willkürlich zurückge-
fahrene Schwankungsreserve mit den Beitragseinnahmen
späterer Jahre wieder auffüllen. Aber der Blick über das
Wahljahr 2002 hinaus ist Ihnen ja offenbar abhanden ge-
kommen. Deshalb will ich auf die Auswirkungen für das
nächste Jahr zu sprechen kommen.

Sie haben in der Begründung Ihres Gesetzentwurfes
auf die derzeitige konjunkturelle Lage hingewiesen. Frau
Kollegin Mascher hat das eben ganz deutlich gemacht und
auch nicht vergessen, den 11. September zu erwähnen.
Die schwache Konjunktur führt aber nicht nur dazu, dass
der Rentenbeitrag im nächsten Jahr ansteigen müsste, sie
hat nämlich bereits in diesem Jahr erhebliche Folgen für
die Rentenfinanzen.


(Klaus Brandner [SPD]: Fordern Sie eine Beitragssatzerhöhung?)


Schon jetzt ist klar – das Arbeitsministerium hat das
vorgestern in unseren Haushaltsberatungen im Aus-
schuss, Kollege Brandner, selbst eingeräumt –, dass die
Schwankungsreserve zum Jahresende den Zielwert von
einer Monatsausgabe deutlich unterschreiten wird. Un-
klar ist nur, in welchem Ausmaß. Das Arbeitsministerium
hat vorgestern gesagt, sie rechneten mit 0,92 Monatsaus-
gaben, also deutlich unter dem Soll. Aber seit September
sind die Beitragseinnahmen dramatisch eingebrochen.
Die Rentenversicherungsträger befürchten, dass diese
Entwicklung noch nicht das Ende der Fahnenstange sein
wird, wenn beispielsweise in den nächsten beiden Mona-
ten die Unternehmen die Weihnachtsgeldzahlungen redu-
zieren und damit erneut das Beitragssoll deutlich unter-
schritten wird. Das heißt, es ist gut möglich, dass wir am
Jahresende bereits in der Nähe der 80 Prozent der
Schwankungsreserve sind, die Sie jetzt mit Annahmen,
die vermutlich nicht zu halten sein werden, unterstellen.

Hinzu kommt, dass alle Prognosen für das kommende
Jahr mit einer erheblich höheren Unsicherheit behaftet
sind als sonst üblich. Die Wirtschaftsforschungsinstitute
haben ja bei der Vorlage ihres Herbstgutachtens mit der
Prognose von 1,3 Prozent Wirtschaftswachstum für das
nächste Jahr deutlich gemacht, dass sie eine ernste Rezes-
sionsgefahr am Horizont sehen. Jede negative Abwei-
chung von den Prognosen bedeutet aber ein weiteres un-
geplantes Abschmelzen der Rentenreserven. Gerade in
solch unsicheren Zeiten, in denen wir leben, muss die
Rentenversicherung Sicherheit haben, denn das ist ja Sinn
und Zweck einer solchen Schwankungsreserve.


(Klaus Brandner [SPD]: Sie müssen mal erklären, worin die Unsicherheit besteht! Das haben Sie noch nicht getan!)


Sie soll gewährleisten, dass die Renten stets sicher und
pünktlich gezahlt werden können, beispielsweise auch in
den Sommermonaten, wenn sinkende Einnahmen und die
Rentenerhöhung zum 1. Juli die Rücklagen der Renten-
versicherung um bis zu einer halben Monatsausgabe ver-
mindern.

Jetzt kommen Sie daher und wollen diesen Sicher-
heitspuffer vorsätzlich um 20 Prozent zurückfahren. Da-
bei wissen Sie ganz genau, dass mehr als 10 Prozent der
Schwankungsreserve überhaupt nicht liquide verfügbar
sind, weil sie beispielsweise in Immobilien angelegt wur-
den.

Schlimmer ist aber, dass weder Sie noch wir wissen, in
welchem Umfang die Schwankungsreserve in den nächs-
ten Monaten durch die schwierige Konjunkturlage strapa-
ziert wird. Sie gehen damit bewusst das Risiko ein, dass
Sie im kommenden Jahr nicht über die Runden kommen
werden; denn bei anhaltender konjunktureller Schwäche
drohen die Rentenkassen in den Sommermonaten an den
Rand der Zahlungsunfähigkeit zu kommen. Dann werden
die Renten gezahlt – das ist klar – aber der Bund müsste
einspringen, um die Zahlung der Renten sicherzustellen.
Das wäre ein weiterer Offenbarungseid.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, mit dieser Maßnahme schä-
digen Sie vorsätzlich das Vertrauen von Beitragszahlern
und Rentnern in die Verlässlichkeit und Pünktlichkeit der
Rentenzahlungen und verspielen damit eines der größten
Pfunde unseres deutschen Sozialstaates. Ihre Rentenre-
form ist auf Sand gebaut. Das haben wir Ihnen immer ge-
sagt.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Sie sind dabei, das in den Sand zu setzen!)


Wir haben allerdings selber nicht geglaubt, dass es nur
so kurze Zeit dauert, bis das offenbar wird. Mit Ihrer Ab-
sicht, die Rentenkassen durch einen Griff in die Reserven
vorübergehend zu stabilisieren, gestehen Sie diesen Of-
fenbarungseid nun auch selbst ein.

Machen Sie Schluss mit dieser Politik der Verschleie-
rung und Verunsicherung! Unterlassen Sie diese Manipu-
lationen und lassen Sie die Finger von der Schwankungs-
reserve!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419911100
Die Kollegin Katrin
Göring-Eckardt, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen,
hat aufgrund der Fraktionssitzung von Bündnis 90/Die
Grünen ihre Rede zu Protokoll gegeben.1) Ich setze das
Einverständnis aller Kolleginnen und Kollegen voraus.

Deshalb spricht jetzt als nächster der Kollege
Dr. Heinrich Kolb für die FDP-Fraktion.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1419911200
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte über die Ab-
senkung der Schwankungsreserve ist der Koalition offen-
sichtlich peinlich. Ich schließe das daraus, dass man mit
der Debatte in eine Tagesrandlage gegangen ist, die Ge-
samtredezeit auf 30 Minuten begrenzt, die Grünen bei
diesem Tagesordnungspunkt überhaupt nicht mehr vertre-
ten sind und sich damit der Debatte und der Auseinander-
setzung nicht stellen. Ich muss sagen, das ist der Bedeu-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Andreas Storm

19554


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 3

tung dieses Themas in keiner Weise angemessen. Die
Menschen und insbesondere die Rentner in diesem Lande
haben einen Anspruch darauf, dass wir uns mit dieser
Maßnahme auseinander setzen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich frage mich auch: Wo ist denn der zuständige Bun-

desminister?

(Ute Kumpf [SPD]: Nichts gegen Frauen!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419911300
Als wir vor ei-
nigen Monaten hier die so genannte Jahrhundertreform
verabschiedet haben,


(Klaus Brandner [SPD]: Die ist sie auch! Was Sie nicht hinbekommen haben!)


da war Riester natürlich hier und hat sich feiern lassen.
Aber jetzt, wo sich zeigt, dass die Reform zu kurz gegrif-
fen ist, dass das Verfallsdatum noch vor dem 31. Dezem-
ber 2001 liegt, da kneift er, anstatt hier zu sagen, was jetzt
geschehen muss.


(Ute Kumpf [SPD]: Sie haben einen Kolbenfresser, Herr Kolb!)


Das alles zeigt sehr deutlich, wo Sie stehen. Nicht nur,
dass Sie bei der kleinsten zusätzlichen Herausforderung
– Stichwort „innere Sicherheit“ – nicht um eine Steuerer-
höhung herumkommen und im Haushalt nachbessern
müssen, nein, auch bei der Sozialversicherung kommen
Sie schon bei dem kleinsten Schwächeanfall der Kon-
junktur in Schwierigkeiten und müssen an die Schwan-
kungsreserve der Rentenversicherung heran. Und damit
nicht genug: Sie brechen zudem Ihr Versprechen, mit der
nächsten Stufe der Ökosteuer die Beitragssätze zur Ren-
tenversicherung zu senken – mindestens auf 19 Prozent –,
und bleiben nun mit allerlei Tricks bei gerade 19,1 Pro-
zent stehen. Das ist wirklich der Offenbarungseid Ihrer
Rentenpolitik.

Wir dagegen haben schon im Frühjahr dieses Jahres,
bei der Debatte über die Rentenreform, und jetzt im Vor-
feld der abschließenden Haushaltsberatungen darauf hin-
gewiesen, dass die demographischen und die volkswirt-
schaftlichen Annahmen der Bundesregierung nicht
realistisch sind. Wenn es anders wäre, müssten Sie jetzt
nicht zu solchen Notmaßnahmen greifen. Führende Be-
völkerungswissenschaftler haben schon bei den damali-
gen Beratungen prognostiziert, dass die Lebenserwar-
tung deutlich höher liegen wird, als dies die Bundes-
regierung in ihren Annahmen zugrunde gelegt hat.

Schon früh in diesem Jahr war, Frau Staatssekretärin,
auch erkennbar, dass die optimistische Prognose der Bun-
desregierung, was die konjunkturelle Entwicklung und
die durchschnittliche Arbeitslosenzahl angeht, in keiner
Weise haltbar ist. Jetzt haben wir – auf nachhaltigen
Druck der Opposition – am Mittwoch im Ausschuss er-
fahren, dass die Bundesregierung anerkennen muss: Im
nächsten Jahr wird es durchschnittlich 3,9 Millionen ar-
beitslose Menschen in unserem Lande geben. Das ist trau-
rig, aber ein Stück weit Ergebnis Ihrer Arbeitsmarktpoli-
tik, die der Bundesarbeitsminister genauso zu verant-
worten hat wie diese missglückte Rentenreform.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Zum Schluss: Sie sind immer fixiert auf die Einnah-
meseite. Aber auch in der gesetzlichen Rentenversiche-
rung gibt es nicht nur eine Einnahme-, sondern auch eine
Ausgabenseite. Warum trauen Sie sich nicht, einmal über
diesen Aspekt nachzudenken? Sie sollten überlegen, wie
man entlastende Maßnahmen für die Rentenversicherung
vielleicht auch auf anderen Feldern – ich hätte solche mög-
lichen Neuregelungen gerne noch erläutert, muss hier aber
leider abbrechen, weil meine Redezeit abgelaufen ist –


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


durchsetzen kann.

Zusammenfassend: Die Rentenversicherung verdient
es, sorgfältig und mit langem Atem behandelt zu werden.
Sie aber eilen von Reparatur zu Reparatur. Das ist Aktio-
nismus. Diesen Aktionismus werden wir in den Aus-
schussberatungen offen legen. Wenn es in Ihrer Renten-
versicherungspolitik keine Kurskorrektur gibt, werden sie
damit leben müssen, dass Sie von dieser Seite des Hauses
keine Zustimmung erfahren können.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419911400
Das Wort hat die Kol-
legin Dr. Heidi Knake-Werner für die PDS-Fraktion.


Dr. Heidi Knake-Werner (PDS):
Rede ID: ID1419911500
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! An einer Stelle, Herr
Kolb, muss ich Sie korrigieren: Die Regierung hat leider
überhaupt nicht über die Einnahmenseite nachgedacht,
sondern in erster Linie – das finden Sie ja besonders gut –
über Leistungskürzungen. Genau das haben wir ihr in der
Auseinandersetzung über die Rentenversicherung immer
vorgeworfen.


(Beifall bei der PDS)


In einem anderen Punkt stimme ich Ihnen allerdings
zu: Jahrhundertreformen mit einem derart kurzen Ver-
fallsdatum gibt es wirklich selten. Aber ich muss auch sa-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419911600
Die PDS hat genau dies von
Ihrer Rentenreform befürchtet. Diese Reform ist nicht
nur sozial ungerecht, sondern sie ist auch unseriös, wie
wir nicht erst seit heute wissen. Sie ist deshalb unseriös,
weil Sie von vielen falschen Annahmen ausgegangen
sind. Sie müssen jetzt im Ausschuss Korrekturen vorneh-
men, zum Beispiel was die Arbeitslosenzahlen im nächs-
ten Jahr angeht.

Sie werden die Beiträge zur Rentenversicherung nicht
wie versprochen senken, sondern höchstens stabilisieren
können, und das nur dadurch, dass Sie den Griff in die
Rücklage der Rentenversicherung wagen. Das ist eine Not-
maßnahme, die deshalb fatal ist, weil sie den Menschen er-
neut signalisiert: Die Rente ist nicht sicher. – Vor allem
diese öffentliche Verunsicherung werfe ich Ihnen vor.

Wir verhandeln doch heute nicht über Prozentsätze und
Kommastellen. Es geht um die Sicherheitsbedürfnisse der
Menschen und ihr Recht auf ein gesichertes Leben im Alter.


(Beifall bei der PDS)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Dr. Heinrich L. Kolb

19555


(C)



(D)



(A)



(B)


Das Vertrauen in die gesetzliche Rente ist ohnehin schon
schwer erschüttert. Länger als ein Jahr haben wir hier in
diesem Hause über den richtigen Weg zu einer gesicher-
ten und zukunftsfähigen Alterssicherung gestritten. Sie
haben den künftigen und den heutigen Rentnerinnen und
Rentnern erklärt, im Interesse der Generationengerechtig-
keit sei Verzicht nötig und private Vorsorge unverzichtbar.
Diese Logik haben wir nie geteilt. Wir haben Ihnen Alter-
nativen zur Finanzierung vorgeschlagen. Vielleicht hätten
Sie sie etwas ernsthafter prüfen sollen.


(Beifall bei der PDS)


Die Menschen wissen nämlich inzwischen, mit wel-
chen Einbußen sie nach der Rentenreform von Rot-Grün
rechnen müssen. Nun beginnen Sie noch das Tafelsilber
der Rentenversicherung zu verscherbeln. Was glauben Sie
denn wohl, wie das in der Öffentlichkeit wirkt? Das Ver-
trauen in den Sozialstaat schwindet weiter. Die junge Ge-
neration, die Sie im Rahmen der Rentenreform immer zu
Recht beachtet haben, wird die gesetzliche Rente weiter
als Flop ansehen und auf das Solidarprinzip pfeifen. Ge-
nau das wollen wir nicht. Wir wollen das Solidarprinzip
in der Sozialversicherung erhalten.


(Beifall bei der PDS)


Genau wegen dieser öffentlichen Wirkung finden wir
den Eingriff in die Schwankungsreserve politisch – das
sage ich ausdrücklich – verheerend. Natürlich können
Fachleute trefflich darüber streiten, ob es Sinn macht oder
Unsinn ist, die Rentenreserve abzusenken. Rentenpoli-
tisch wird Ihnen das nicht weiterhelfen, wenn nicht
gleichzeitig die Beschäftigtenzahlen zunehmen und Sie
nicht aus der Konjunkturkrise herauskommen, selbst dann
nicht, wenn Sie bei einer Schwankungsreserve von
80 Prozent einer Monatsausgabe bleiben wollen.

Deshalb ein letzter Gedanke zur konjunkturpolitischen
Seite: Jede Beitragssatzerhöhung – da stimmen wir Ihnen
völlig zu – ist in der jetzigen Situation absolut kontrapro-
duktiv. Aber wenn Sie jetzt 6 Milliarden DM aus der
Reserve lockermachen, dann sollten Sie das mit kon-
junkturpolitischen Maßnahmen, mit denen wirklich
wirksam für mehr Beschäftigung gesorgt werden kann,
verbinden. Wenn Sie das nicht tun, helfen Ihnen diese
6 Milliarden DM überhaupt nicht. Dadurch lösen Sie nicht
die bestehenden Probleme, sondern verschieben sie in das
nächste Jahr. Nutzen Sie also die aktuelle Situation als
Chance! Legen Sie endlich eine sozial gerechte und zu-
kunftsfähige Rentenreform vor!

Vielen Dank.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419911700
Die letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Erika Lotz für die SPD-
Fraktion.


Erika Lotz (SPD):
Rede ID: ID1419911800
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen! Liebe Kollegen! Herr Kolb, gestatten Sie mir, dass
ich zuerst auf Sie eingehe.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Gut!)


Ich fand es nicht in Ordnung, dass Sie hier kritisiert ha-
ben, dass die Kollegin Katrin Göring-Eckardt ihre Rede
zu Protokoll gegeben hat, weil sie zurzeit an einer Sitzung
ihrer Fraktion teilnimmt. In der schwierigen Lage, in der
wir uns alle befinden, muss dies möglich sein, ohne dass
hier in der Öffentlichkeit versucht wird, zu unterstellen, es
sei kein Interesse hinsichtlich der Veränderung der
Schwankungsreserve vorhanden.


(Beifall bei der SPD dem BÜNDNIS/90 DIE GRÜNEN und der PDS)


Lassen Sie mich auch sagen, Herr Storm und Herr
Kolb: Der Kollege Özdemir hat vorhin bei der Debatte
zum Vereinsrecht gesagt, dass die Kollegen ihre Reden
– das war an die CDU/CSU gerichtet – vor dem 11. Sep-
tember, aber nicht heute hätten halten können.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ist es!)


Das sage ich genauso über Ihre Reden, die Sie vorhin ge-
halten haben.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Sie stellen eine nicht zulässige Verbindung her! Das sage ich ganz deutlich!)


Herr Storm, ich fand Ihre Rede nicht sehr verantwort-
lich. Ich will das Wort „unverantwortlich“ vermeiden.
Aber Sie haben zu einer gewaltigen Verunsicherung der
Menschen im Land beigetragen, und zwar wider besseres
Wissen. Das ist das Schlimme daran.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Eine sehr gute Rede!)


Sie haben hier schwadroniert. Sie haben keine Alterna-
tiven angeboten. Sagen Sie doch, dass eine Beitragssatz-
erhöhung die bessere Möglichkeit ist. Sie haben so getan,
als ob die Schwankungsreserve fest angelegt sei.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir hatten doch eine Rentenreform beschlossen! – Gegenruf des Abg. Klaus Brandner [SPD]: Die haben Sie doch mitbeschlossen!)


Sie wissen doch, dass die liquiden Mittel zu 90 Prozent
kurzfristig angelegt sind. Von daher finde ich es nicht in
Ordnung, was Sie hier gemacht haben.

Herr Kolb, Sie haben von anderen Wegen gesprochen,
diese aber hier verschwiegen. Sie haben ein großes Ge-
heimnis daraus gemacht.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wenn ich mehr Redezeit gehabt hätte, hätte ich sie genannt!)


– Sie hätten Ihre Rede doch anders aufbauen können.


(Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Auch Sie hätten Ihre Rede anders aufbauen können! Das ist ja lächerlich!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419911900
Frau Kollegin
Lotz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Meckelburg?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Dr. Heidi Knake-Werner

19556


(C)



(D)



(A)



(B)



Erika Lotz (SPD):
Rede ID: ID1419912000
Nein, ich gestatte keine Zwi-
schenfrage, weil die Kolleginnen und Kollegen sicherlich
ein Interesse daran haben, dass ich hier fortfahre.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ich werde Ihnen im Ausschuss die Alternativen schon sagen! Das bleibt Ihnen nicht erspart!)


Wenn wir das Schwankungsreservebestimmungsge-
setz einbringen, dann tun wir das, weil es uns um Arbeits-
plätze und Arbeitnehmer und gleichzeitig um die Sicher-
heit von Rentnerinnen und Rentner geht. Das ist schon
ein qualitativer Unterschied zur Regierungszeit von
CDU/CSU und FDP.

Als Exportland spüren wir nun einmal die Konjunktur-
schwäche und die Unsicherheit der Menschen in den
USA, in Japan und in anderen Ländern.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber das erklärt nicht, warum wir am Ende der Wachstumsskala liegen, obwohl wir die Nummer eins waren!)


Die Beiträge zur Rentenversicherung um 0,3 Prozent
zu erhöhen, um die vorgesehene Schwankungsreserve zu
erreichen, wäre nun einmal kontraproduktiv. An dieser
Stelle denken wir an die Einnahmeseite, weil wir davon
ausgehen, dass sich eine Erhöhung schädlich auf die
Arbeitsplätze auswirken würde.


(Beifall bei der SPD)


Deswegen handeln wir aus meiner Sicht verantwort-
lich, indem wir die Schwankungsreserve absenken. Wir
unterscheiden uns deutlich von der Vorgängerregierung.
Das kann man nicht oft genug wiederholen. Schon in den
80er-Jahren haben die finanziellen Reserven teilweise un-
terhalb einer Monatsausgabe gelegen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir haben sie immer wieder aufgefüllt! Sie wollen sie dauerhaft absenken!)


Seit 1992 lagen sie regelmäßig deutlich darunter.
1996/1997 war die Schwankungsreserve sogar auf
60 Prozent einer Monatsausgabe abgesunken, weil Sie da-
mals – die Kollegin Mascher hat das schon betont, aber
ich sage es noch einmal – das Wirtschaftswachstum viel
zu optimistisch eingeschätzt hatten. Der Rentenversiche-
rungsbeitrag lag übrigens bei 20,3 Prozent.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen!)


Sie haben wirklich keinen Grund, sich hier so aufzubla-
sen.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Dafür ist doch die Schwankungsreserve da! Nehmen Sie das zur Kenntnis!)


Herr Storm, Sie haben noch einmal das von Ihnen so
geliebte Thema Ökosteuer angesprochen. Ich erinnere
daran, dass sich der Beitragssatz von 20,3 Prozent nur hal-
ten ließ, weil auch wir der Erhöhung der Mehrwertsteuer
zugestimmt haben. Nun sagen Sie mir doch einmal: Ist
eine Erhöhung der Mehrwertsteuer besser als die Öko-

steuer, die sogar noch einen Beitrag zur Umwelt- und
Energiepolitik leistet?


(Beifall bei der SPD – Andreas Storm [CDU/ CSU]: Das glauben Sie doch selber nicht!)


Noch einmal für die Öffentlichkeit: Wofür brauchen
wir eine Schwankungsreserve? In der Rentenversiche-
rung werden die Beiträge, die in einem Monat eingenom-
men werden, sofort wieder dafür verwendet, um die Ren-
ten auszuzahlen. Das ist das Umlageverfahren. Die
Einnahmen sind im Laufe eines Jahres ungleichmäßig.
Ich erinnere an das Weihnachtsgeld und die Monate Sep-
tember und Oktober, in denen vielen Menschen gekündigt
wird. Von daher sind die Einnahmen manchmal geringer.
Um dies auszugleichen, gibt es die Schwankungsreserve.
Die Erfahrung hat auch zu Ihrer Zeit gezeigt, dass eine
Schwankungsreserve in Höhe einer Monatsausgabe nicht
notwendig ist.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Zu unserer Zeit haben Sie ganz anders gesprochen!)


Wenn wir jetzt die Schwankungsreserve auf 0,8 Mo-
natsausgaben absenken, dann ist dies verantwortlich. Sie
beziehen sich doch gerne auf die Meinungen von VdR,
DGB und Herrn Rürup, wie wir übrigens auch. Aber in
diesem Fall sehen sie diesen Schritt als verantwortliches
Handeln an.


(Beifall des Abg. Klaus Brandner [SPD])


Noch einmal: Das Ganze hat nichts, aber auch gar
nichts mit den Rentenzahlungen zu tun. Wenn Sie jetzt
versuchen, die Rentnerinnen und Rentner zu verun-
sichern, indem Sie so tun, als ob die Schwankungsreserve
der Sparstrumpf wäre – das ist eine Formulierung, die in
der gestrigen Sitzung beispielsweise der Kollege
Laumann gebraucht hat –, dann muss ich deutlich sagen,
dass das nicht stimmt; denn die Schwankungsreserve
steht nicht für eine zusätzliche Verteilung zur Verfügung.
Ihr Name sagt vielmehr genau das aus, wofür sie verwen-
det werden soll.

Ich sage noch einmal: Wir handeln verantwortlich. Die
Konjunkturschwäche hat uns zwar einen Strich durch die
Rechnung gemacht. Wir wollten die Beiträge sicherlich
noch weiter senken.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir haben Sie frühzeitig, Anfang des Jahres, gewarnt!)


Aber das, was wir tun, ist verantwortlich. Bitte hören Sie
auf, die Rentnerinnen und Rentner zu verunsichern.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419912100
Ich schließe die Aus-
sprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorla-
gen auf den Drucksachen 14/7284 und 14/7292 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 19557


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang
Dehnel, Günter Nooke, Klaus Brähmig, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Finanzierungssicherheit für den Bundesfern-
straßenbau über das Jahr 2002 hinaus
– Drucksache 14/7146 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

Die Kollegin Renate Blank sowie die Kollegen Reinhard
Weis, Albert Schmidt, Horst Friedrich, Dr. Winfried Wolf
und die Parlamentarische Staatssekretärin Angelika
Mertens haben ihre Reden zu Protokoll1) gegeben. Ich
sehe große Begeisterung im Saal.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/7146 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Vorlage
– abweichend von der Tagesordnung – federführend vom
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen bera-
ten werden soll. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Einführung und Verwendung eines Kennzei-
chens für Erzeugnisse des ökologischen Landbaus

(Öko-Kennzeichengesetz – ÖkoKennzG –)

– Drucksache 14/7254 –

(Erste Beratung 197. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Einführung und Verwendung eines Kennzeichens

(ÖkoKennzeichengesetz – ÖkoKennzG –)

– Drucksache 14/6891 –

(Erste Beratung 189. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft

(10. Ausschuss)

– Drucksache 14/7346 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Ulrich Heinrich

Die Kolleginnen Steffi Lemke, Maria Sehn, Kersten
Naumann und die Bundesministerin Renate Künast sowie
die Kollegen Matthias Weisheit, Gustav Herzog und
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr wollen ihre Reden zu Proto-
koll2) geben. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Einführung und Verwendung eines Kennzeichens für
Erzeugnisse des ökologischen Landbaus, Drucksa-
chen 14/7254 und 14/7346. Der Ausschuss für Verbrau-
cherschutz, Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt un-
ter I seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
14/7346 die Annahme des Gesetzentwurfs in der Aus-
schussfassung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen
die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU und FDP an-
genommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf
ist damit gegen die Stimmen der Fraktionen von
CDU/CSU und FDP angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen ein-
gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung und
Verwendung eines Kennzeichens für Erzeugnisse des
ökologischen Landbaus auf Drucksache 14/6891. Der
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft empfiehlt unter II seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 14/7346, den Gesetzentwurf für erledigt zu
erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist einstimmig angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Walter
Hirche, Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, weite-
ren Abgeordneten und der Fraktion der FDP einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Gesetzes zur Sicherung der Energieversor-
gung bei Gefährdung oder Störung der Einfuh-
ren von Erdöl, Erdölerzeugnissen oder Erdgas
– Drucksache 14/7151 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit

Die Kollegin Michaele Hustedt sowie die Kollegen
Volker Jung, Werner Labsch, Kurt-Dieter Grill, Walter
Hirche und Rolf Kutzmutz haben ihre Reden zu Proto-
koll3) gegeben. Auch darüber herrscht Freude im Saal.

Infraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 14/7151 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Vizepräsidentin Petra Bläss

19558


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 5
2) Anlage 6 3) Anlage 7

Vielleicht sollte man den Zuschauerinnen und Zu-
schauern auf der Tribüne die Freudenreaktion erklären:
Wir haben noch zehn weitere Tagesordnungspunkte.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und b auf.

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes

(Bundeswehrneuausrichtungsgesetz – BwNeuAusrG)

– Drucksachen 14/6881, 14/7089 –

(Erste Beratung 189. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des

Verteidigungsausschusses (12. Ausschuss)


– Drucksache 14/7235 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Kurt Palis
Werner Siemann


(8. Ausschuss)


– Drucksache 14/7236 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Volker Kröning
Oswald Metzger
Jürgen Koppelin
Dr. Uwe-Jens Rössel

b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten
Gesetzes zur Änderung besoldungsrechtlicher

(Sechstes Besoldungsänderungsgesetz – 6. BesÄndG)

– Drucksache 14/7097 –

(Erste Beratung 195. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des

Innenausschusses (4. Ausschuss)


– Drucksache 14/7352 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Peter Kemper
Meinrad Belle
Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Petra Pau


(8. Ausschuss)


– Drucksache 14/7373 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Werner Hoyer
Gunter Weißgerber
Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
Oswald Metzger
Dr. Christa Luft

Zum Entwurf des Bundeswehrneuausrichtungsgeset-
zes liegt ein Änderungsantrag von der SPD und von
Bündnis 90/Die Grünen und zum Entwurf des Besol-

dungsänderungsgesetzes ein Änderungsantrag der Frak-
tion der CDU/CSU vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Hier wird
wieder geredet werden. – Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner zu diesem
Tagesordnungpunkt ist der Kollege Hans-Peter Kemper
für die SPD-Fraktion. – Er kämpft sich nach vorne.


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Er ist schneller als ein Fußballer!)


Hans-Peter Kemper (SPD) (von der SPD und von
Abgeordneten der PDS mit Beifall begrüßt): Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nur zur Er-
klärung: Auch ich hätte diese Rede gerne zu Protokoll ge-
geben, um Ihnen eine weitere Freude zu bereiten.
Allerdings haben wir so viel Positives zu vermelden, dass
wir das auch lauthals sagen wollen.


(Beifall bei der SPD – Günther Friedrich Nolting [FDP]: Na! Na! Das ist ja abenteuerlich!)


Das Sechste Besoldungsänderungsgesetz ist ein Gesetz
der Strukturverbesserung, der Modernisierung und der
Flexibilisierung und der Gesetzentwurf trägt den Verän-
derungen bei der Euroumstellung Rechnung. Ich will zu
den einzelnen Punkten nur ganz kurz Stellung beziehen.

Die größten Veränderungen gibt es sicher im Bereich
der Bundeswehr; diese sind äußerst positiv. In der Bun-
deswehr fallen künftig die Planstellen der Besoldungsstu-
fen A 1 und A 2 weg und die Eingangsbesoldung wird auf
A 3 festgelegt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Günther Friedrich Nolting [FDP]: Das im Vergleich zu Polizei und Bundesgrenzschutz!)


– Das ist eine längst überfällige Maßnahme und die Zu-
rufe von der FDP zeugen von einem schlechten Gewissen,
denn Sie hätten das 16 Jahre lang machen können, haben
es aber nicht getan.


(Beifall bei der SPD)


Die Besoldungsgruppen A 1 und A 2 sind Relikte aus
der Mottenkiste, die schon vor Jahren hätten beseitigt
werden müssen. Wir beseitigen sie jetzt. Die Anhebung
der Planstellenanteile für die Unteroffiziere in der Besol-
dungsgruppe A 9 trägt der gestiegenen Verantwortung
Rechnung. Auch das war längst überfällig. Das Gleiche
gilt für die Anhebung der Planstellenanteile für die Kom-
paniechefs und Einheitsführer in der Besoldungsgruppe
A 12.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Erhöhung der Planstellenanteile im Spitzenamt
A 13 runden das positive Bild für den einfachen, mittleren
und gehobenen Dienst in erfreulicher Weise ab. Die Re-
form ist ein erheblicher Beitrag zur Attraktivitätssteige-
rung und dieser Beitrag war längst überfällig. Die Bun-
deswehr hatte eine solche Maßnahme schon lange

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Vizepräsidentin Petra Bläss

19559


(C)



(D)



(A)



(B)


verdient. Deswegen wird sie auch vom Verteidigungsmi-
nisterium ausdrücklich begrüßt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das sehen im Übrigen auch die meisten anderen Fraktio-
nen dieses Hauses so. Wie das seit 1998 nun einmal ist:
Wir setzen die Reformen durch, die wir für notwendig er-
kannt haben.

Dieses Gesetz ist ein Beitrag zur Umsetzung des Pro-
gramms „Moderner Staat – Moderne Verwaltung“,
denn er baut unnötige Regelungsdichte ab und trägt drin-
gend nötigen Verwaltungsvereinfachungen Rechnung.

Mit einer erhöhten Durchlässigkeit bei der Berück-
sichtigung von Dienstzeiten für das Besoldungsdienstal-
ter auf EU- und nationaler Ebene passen wir uns den ver-
änderten Bedingungen auf der europäischen Ebene an.

In den B-Bereichen kommt es zu teilweise längst über-
fälligen Verbesserungen. Hier ist vom Direktor des
Beschaffungsamtes über den Präsidenten des Luftfahrt-
Bundesamtes bis hin zum Präsidenten des Bundesverwal-
tungsamtes den Zuwächsen an Verantwortung, an Perso-
nal in den genannten Behörden und Belastungen durch
Stellenhebungen – teilweise über drei Besoldungsgrup-
pen hinweg – Rechnung getragen worden.

Ich will die Stellenhebungen nicht im Einzelnen erläu-
tern. Ich weiß sehr wohl, dass es sehr viel weiter gehen-
dere Wünsche der einzelnen Fraktionen zu den einzelnen
Punkten des Entwurfs gegeben hat. Insbesondere die
Fraktion der CDU/CSU wollte sich in rührender Weise
ganz besonders um die B-Besoldeten kümmern. Ich kann
das gut verstehen, das ist auch ganz wichtig. Allerdings
will ich darauf hinweisen: Die leiden keine direkte Not.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Für all die gestellten Anträge gab es sicher gute
Gründe. Insbesondere im einfachen Dienst der Justiz
wären wir gerne den Anregungen der CDU gefolgt. Das
ist überhaupt keine Frage. Es waren durchaus wün-
schenswerte Verbesserungen angepeilt worden. Wir hät-
ten Ihnen gerne dabei geholfen, das umzusetzen, was Sie
16 Jahre lang haben liegen lassen, Herr Belle.

Allein, die leeren Kassen zwingen uns dazu, nur die
unabweisbar erforderlichen Stellenhebungen vorzuneh-
men. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition,
haben uns bei der Regierungsübernahme ja nicht gerade
Reichtümer hinterlassen, um es einmal ganz vorsichtig
auszudrücken. Hier konnte nur das Machbare, nicht aber
alles Wünschenswerte umgesetzt werden, zumal es an se-
riösen und nachvollziehbaren Deckungsvorschlägen
fehlte.

Dieses Gesetz ermöglicht es auch den einzelnen Behör-
den, in Zeiten von Personalmangel qualifiziertes Personal
über eine neue Zulagenregelung zu gewinnen. Über diese
Möglichkeit werden besondere Anreize geschaffen, ob-
wohl die Notwendigkeit solcher Anreize bei dem derzeiti-
gen Arbeitsmarkt nicht besteht. Für die Beschaffung qua-
lifizierten Personals ist das aber durchaus hilfreich.

Ich will noch einen anderen Punkt ansprechen, der in
der Vergangenheit eine Rolle gespielt hat. Dabei geht es

zum einen um die Umstellung auf Euro. Das ist mehr
eine technische Sache. Zum anderen geht es um die
Weiterzahlung der Erhöhungsbeträge an kinderreiche Fa-
milien. Vor allem der zuletzt genannte Punkt hätte nicht
zwingend in dem vorliegenden Gesetz geregelt werden
müssen. Allein, die Behandlung hier und heute schafft
eine verlässliche Rechtsgrundlage für die Weiterzahlung
und Planungssicherheit für kinderreiche Beamtenfami-
lien.

Bei der Justiz wird ein neues Amt, nämlich das Amt des
Staatsanwalts beim Bundesgerichtshof, eingeführt, und
zwar in der Besoldungsgruppe R 2. Dieses Amt wird neu
eingerichtet, um die Personalgewinnung beim Bundesge-
richtshof zu erleichtern und Sprungbeförderungen zu ver-
meiden.

Alles in allem ist das ein durchaus gelungenes Geset-
zeswerk, sodass Grund zur Zufriedenheit besteht.


(Zuruf von der FDP: Na!)


Ich will aber noch einen Problempunkt ansprechen, der
für die Zukunft eine Rolle spielen könnte. Das ist der
Kaufkraftausgleich. Auch dies wird die FDP ärgern;
denn der Kaufkraftausgleich wird in diesem Gesetz wei-
terhin vorgesehen, obwohl wir uns allen Ernstes fragen
müssen, ob eine solche Regelung noch zeitgemäß und auf
Dauer sinnvoll sein kann. In Zukunft wird es einen ein-
heitlichen Euroraum geben, die Mieten, die Kosten, die
Löhne, die Gehälter, alles wird auf Eurobasis abgerech-
net. Hier noch einen Kaufkraftausgleich einzubauen
scheint mir der Fürsorge doch etwas reichlich zu sein.

Deswegen begrüßen wir, dass die Bundesregierung in
diesem Gesetz beauftragt wird, die Entwicklung genau zu
beobachten und zum Ende des Jahres 2003 zu berichten
und gegebenenfalls entsprechende Maßnahmen vorzu-
schlagen.

Ich könnte mir vorstellen, dass die Zeit des Kaufkraft-
ausgleichs begrenzt ist und dass wir im Laufe der nächs-
ten Legislaturperiode sicherlich zu anderen Regelungen
kommen werden. Ich lade Sie ein, sich gerade bei diesem
letzten Punkt noch einmal zu beteiligen. Im Übrigen hat
auch die CDU, weil das ein sehr vernünftiger Vorschlag
ist, ihre Zustimmung signalisiert und ich denke, das
spricht für sich.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419912200
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Werner Siemann.


Werner Siemann (CDU):
Rede ID: ID1419912300
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Mit dem heute zu be-
ratenden Gesetzentwurf zur Neuausrichtung der Bundes-
wehr – nur mit diesem Gesetzentwurf werde ich mich be-
fassen; zu den Besoldungsfragen wird sich der Kollege
Belle äußern – sollen die rechtlichen Voraussetzungen für
eine personelle, also konzeptionelle, und strukturelle, also
planerische, Umgestaltung der Bundeswehr geschaffen

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Hans-Peter Kemper

19560


(C)



(D)



(A)



(B)


werden. Neben der Neuordnung der Laufbahnen sowie
der Aufhebung der Verfügungsbereitschaft sieht der Ent-
wurf im Wesentlichen drei Regelungen vor.

Erstens. Die Dauer des Grundwehrdienstes wird von
zehn Monaten auf neun Monate verkürzt.

Zweitens. Die Grundwehrdienstleistenden können den
Wehrdienst abschnittweise ableisten.

Drittens. Es wird ein Personalanpassungsgesetz ge-
schaffen.

Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt sowohl die Ver-
kürzung der Grundwehrdienstdauer um einen Monat als
auch die Aufhebung der Verfügungsbereitschaft sowie die
Einführung der so genannten Feldwebellaufbahn. Die Er-
eignisse des 11. September und die damit einhergehende
Veränderung der sicherheitspolitischen Lage haben daran
nichts geändert.

Die Ermöglichung der abschnittweisen Ableistung
des Wehrdienstes geht jedoch unseres Erachtens an den
Realitäten vorbei. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass die
potenziellen Grundwehrdienstleistenden praktisch keinen
Gebrauch von dem Angebot der abschnittweisen Wehr-
dienstableistung machen werden.

Aus Unternehmersicht ist eine Zerstückelung des
Wehrdienstes wegen fehlender Planungssicherheit gerade
in mittelständischen Betrieben nicht akzeptabel.

Für die Truppe und für die Wehrverwaltung ergibt sich
aus der Neuregelung ein erheblicher bürokratischer Mehr-
aufwand. Aus rechtlichen Gründen muss jeder Wehr-
dienstleistende, der seinen Dienst in drei Abschnitte un-
terteilt, allein sechsmal ärztlich untersucht werden: drei
Eingangsuntersuchungen und drei Ausgangsuntersuchun-
gen. Außerdem ist es wahrscheinlich, dass jeder dreimal
– zumindest teilweise – ein- und ausgekleidet werden
muss. Dass dabei unter anderem die Qualität der Ausbil-
dung auf der Strecke bleibt, liegt auf der Hand. Indirekt
räumt das Bundesverteidigungsministerium dies auch ein.

Soldaten, die ihren Wehrdienst splitten, können aus
formalen Gründen nicht mehr freiwillig länger dienen.
Das ist klar. Denn sie müssen das bestätigen. So werden
Grundwehrdienstleistende unterschiedlicher Qualität ge-
schaffen. Unter dem Gesichtspunkt, dass sich Grund-
wehrdienst leistende Soldaten durchschnittlich erst nach
6,4 Monaten – das ergibt sich aus den Zahlen der
Hardthöhe – entschließen, ihren Dienst bei der Bundes-
wehr freiwillig zu verlängern, ist die Möglichkeit, den
Wehrdienst abschnittsweise zu leisten, wenig sinnvoll.

Letztlich führt die Neuregelung nicht zu einer Flexibi-
lisierung des Wehrdienstes, sondern nur zu einem Mehr
an Verwaltungsaufwand und an Bürokratie sowie zu ei-
nem Weniger an Qualität der Ausbildung und an Quantität
des Nachwuchses.

Mein Hauptkritikpunkt richtet sich allerdings gegen
Art. 4 des Gesetzes zur Neuausrichtung der Bundeswehr.
Durch das Personalanpassungsgesetz soll die unausgewo-
gene Altersstruktur der Offiziere und Unteroffiziere
bereinigt werden. Es sieht vor, dass ab 2002 und in den da-
rauf folgenden vier Jahren 3 000 Berufssoldaten mit ihrer

Zustimmung nach Vollendung des 50. Lebensjahres in
den vorzeitigen Ruhestand versetzt werden. Die Bundes-
regierung selbst bewertet „Frühpensionierungsregelun-
gen zur Bewältigung personeller Strukturprobleme
grundsätzlich als ungeeignet“. Recht hat sie. Es stellt sich
die Frage: Was soll dann das ganze Personalanpassungs-
gesetz? Diese Frage stellt sich auch der Bundesrat. Seine
Antwort ist eindeutig. Er fordert die Bundesregierung auf,
das ganze Personalanpassungsgesetz schlichtweg ersatz-
los zu streichen.


(Georg Janovsky [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Dem Einwand der Bundesregierung, die Überalterung
auf einsatzwichtigen Dienstposten müsse verringert wer-
den, ist entgegenzuhalten, dass die Bundeswehr ohnehin
schon besondere Altersgrenzen hat. Die Verabschiedung des
Personalanpassungsgesetzes käme deshalb einem Damm-
bruch gleich. Während landauf, landab über eine Verlänge-
rung der Lebensarbeitszeit – das werden Sie nicht bestreiten
können – und eine Kürzung der Renten- und Pensionsan-
sprüche diskutiert wird, will die Koalition Soldaten mit
50 Jahren in den vorzeitigen Ruhestand schicken. Das Aus-
scheiden von 50-jährigen Soldaten aus der Bundeswehr ist
gesamtgesellschaftlich indes nicht zu verantworten.

Auch bei der Bundeswehr gibt es im Übrigen einen
nachvollziehbaren Trend zur Verlängerung der Lebensar-
beitszeit. So werden die besonderen Altersgrenzen – mit
Ausnahme der Portepéeunteroffiziere – schon im nächs-
ten Jahr angehoben. In den darauf folgenden Jahren wird
die Altersgrenze um ein weiteres Jahr angehoben. Auch
das sollte man wissen.

Diesem Trend steht der Entwurf des Personalanpas-
sungsgesetzes entgegen. Der Bevölkerung ist nicht ver-
mittelbar, dass Berufssoldaten die Möglichkeit einge-
räumt werden soll, bis zu elf Jahre früher als eigentlich
vorgesehen in Pension zu gehen; denn sie sind ohnehin
unter der Maßgabe Berufssoldat geworden, bis zur be-
sonderen Altersgrenze zu dienen. Das muss man einmal in
Erinnerung rufen. Ebenso ist es nicht vermittelbar,
3 000 Soldaten vorzeitig zu pensionieren, obwohl der
Bundeswehr 12 000 länger dienende Soldaten fehlen.

Die Frühpensionierten – um nicht von den Empfängern
des so genannten goldenen Handschlags zu sprechen –
werden selbstverständlich auf den freien Arbeitsmarkt
drängen und aufgrund ihrer gesicherten finanziellen Basis
konkurrenzlos günstig sein. Die Auswirkungen auf unsere
Arbeitslosensituation liegen auf der Hand. Aufgrund der
allgemeinen demographischen Entwicklung stehen die
Alterssicherungssysteme vor erheblichen Finanzierungs-
problemen. Diese Probleme werden derzeit häufig disku-
tiert. Eine unausgewogene Altersstruktur ist kein Spezifi-
kum der Bundeswehr, sondern kennzeichnet vielmehr alle
Personalkörper im öffentlichen Dienst. Von daher lässt
sich eine versorgungsrechtlich relativ großzügige Früh-
pensionierungsregelung für die Bundeswehr nicht recht-
fertigen; zumal damit die Bemühungen des Bundes und
der Länder, den Anstieg der Versorgungsaufwendungen
zu begrenzen, konterkariert würden.

Neben diesen Widersprüchen zeichnet sich der Gesetz-
entwurf auch durch einen eklatanten Mangel an Logik

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Werner Siemann

19561


(C)



(D)



(A)



(B)


und ein gehöriges Maß an Willkür aus. Lassen Sie mich
das noch an einigen Beispielen verdeutlichen. Auch wenn
das Gesetz heute verabschiedet würde, könnte die unaus-
gewogene Altersstruktur unserer Armee nicht beseitigt
werden.


(Johannes Kahrs [SPD]: 16 Jahre die falsche Regierung!)


– Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie entsprechende
Anträge gestellt haben.

In der Begründung des Gesetzestextes ist von einem
strukturellen Überhang in Höhe von etwa 4 500 Berufs-
offizieren und von rund 3 500 Berufsunteroffizieren die
Rede. Gemäß dem vorliegenden Gesetz können in den
kommenden fünf Jahren aber lediglich 3 000 Soldaten
vorzeitig ausscheiden. Auch die Befristung des Gesetzes
bis 2006 macht keinen Sinn, da es nach Berechnung des
BMVg in dem Zeitraum lediglich einen Überhang von
circa 2 600 Soldaten geben wird. Aus dienstlichem und
politischem Interesse würde die Vorgabe von 3 000 zwar
erfüllt, damit entstünden aber neue strukturelle Verwer-
fungen, da auch solche Soldaten gehen würden, die nicht
zum Überhang gehören.

Ferner sind die Versorgungsabschläge für Soldaten ab
A16 aufwärts rational nicht zu erklären. Warum zieht man
eine Grenze zwischen A 15 und A 16? Die Erfahrungen
der Vergangenheit mit Personalstruktur- und Personal-
stärkegesetzen haben letztendlich gezeigt, dass die Bun-
deswehr besonders hoch qualifizierte Soldaten verlieren
wird. Diese werden aufgrund ihrer Qualifikation leichter
gehen können als solche mit nur durchschnittlichen
Fähigkeiten, die kaum eine Chance auf eine lukrative zi-
vile Anschlussverwendung haben. Ein deutlicher Qua-
litätsverlust ist zu erwarten.

Zusammenfassend bleibt deshalb festzustellen: Das
Gesetz eignet sich nicht dafür, die innere Struktur unserer
Bundeswehr der Realität anzupassen. Die Bundesregie-
rung hat es versäumt, alternative Einsatzmöglichkeiten
und intelligente andere Lösungen für die im Überhang be-
findlichen Soldaten – etwa im Rahmen von Friedensmis-
sionen der UNO, der OSZE oder der EU – zu prüfen. Die
vorgeschlagene Frühpensionierungsregelung steht in kei-
nem Verhältnis zur gesamtgesellschaftlichen und demo-
graphischen Entwicklung. Das Personalanpassungsgesetz
steckt voller Widersprüche und ist in sich unschlüssig.

Vorschläge der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, im
Zuge des Bundeswehrneuausrichtungsgesetzes auch
§ 20 a des Soldatengesetzes zu ändern, wurden trotz Ge-
sprächsbereitschaft unsererseits nicht berücksichtigt, ob-
wohl Zusagen – unter anderem von Herrn Staatssekretär
Kolbow – vorlagen. Nach einer umfassenden Würdigung
sehen wir uns außerstande, dem vorliegenden Gesetz so
zuzustimmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419912400
Nächster Redner ist
der Kollege Winfried Nachtwei für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.


Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419912500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem
Bundeswehrneuausrichtungsgesetz wird der Beschluss
des Bundeskabinetts zur Bundeswehrreform vom Juni
letzten Jahres auf der personellen Ebene umgesetzt.

Hierzu möchte ich vier Anmerkungen bzw. Anregun-
gen machen:

Zunächst einmal komme ich auf die Verkürzung der
Wehrpflicht bzw. des Wehrdienstes auf neun Monate zu
sprechen. Sie können sich vorstellen, dass gerade unsere
Fraktion die Verkürzung um zumindest einen Monat sehr
begrüßt,


(Zuruf von der SPD: Und um weitere neun Monate!)


weil dies auch einen geringeren Eingriff in die Lebens-
planung junger Männer darstellt.

Bezüglich der Regelung einer abschnittsweisen Ab-
leistung des Wehrdienstes halten wir die Feststellung
des Bundesverteidigungsministeriums für sehr wichtig,
dass diese Möglichkeit nur bei Einvernehmen zwischen
den Behörden und den Wehrpflichtigen besteht. Den
Wehrpflichtigen darf diese – je nach Streitkräftebedarf –
selbstverständlich nicht einfach aufgezwungen werden.
Die Zweckmäßigkeit dieser Regelung für die Streitkräfte
selbst – das denken auch manche von uns – wird sich in
Zukunft zeigen müssen.

Zweitens. In den nächsten Jahren wird die Zahl der
zum Wehrdienst eingezogenen Wehrpflichtigen erheblich
sinken. Zugleich wird aber die Zahl der zur Verfügung ste-
henden Wehrpflichtigen ungefähr gleich bleiben. Manche
Beobachter behaupten, dass sich dadurch eine zuneh-
mende Wehrungerechtigkeit entwickeln könnte, also
eine Kluft zwischen denjenigen, die einberufbar sind, und
der geringen Anzahl derjenigen, die einberufen werden.
Würde es so kommen, hätten wir es mit einem erheblichen
Problem der Wehrgerechtigkeit zu tun. Es gäbe dann auch
eine Art Bugwelle von immer mehr Wehrpflichtigen, die
im Laufe der Jahre noch auf ihre Einberufung warten und
eventuell nicht mehr einberufen würden. Sollte sich das so
entwickeln, stünden wir natürlich vor der Aufgabe,
entsprechende Abhilfen zu diskutieren und zu organisie-
ren. Dann wäre es sicher auch angebracht, zu prüfen, ob
die Verfügbarkeitsdauer für die Einberufung zum Wehr-
dienst, zurzeit in der Regel sechs Jahre, erheblich gesenkt
werden könnte.

In diesen Tagen besteht eine wachsende Unsicherheit
unter Wehrpflichtigen, ob sie zu so genannten Auslands-
einsätzen eingezogen werden könnten. Im Soldatenge-
setz sind die Pflichten eindeutig für alle Soldaten gleich.
Da gibt es keinen Unterschied. Aber Konsens in diesem
Haus, aber auch mit dem Verteidigungsministerium war
bisher – daran gibt es keinen Zweifel –, dass Wehrpflich-
tige nur im Rahmen der Landes- und Bündnisvertei-
digung zum Einsatz kommen können.

Nur haben wir seit den UN-Sicherheitsrats-Resolutio-
nen nach dem 11. September ein gewisses Problem, weil
nämlich in diesem Zusammenhang der Verteidigungsbe-
griff erheblich ausgeweitet worden ist. Er begegnet sozu-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Werner Siemann

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sagen den Auslands- und Kriseneinsätzen. Von daher ist
es nur eine selbstverständliche Fortschreibung unseres
bisherigen Konsenses, zu sagen, dass Wehrpflichtige nur
innerhalb des Bündnisgebietes im Rahmen von Landes-
und Bündnisverteidigung eingesetzt werden können und
dürfen.

Ein letzter Punkt zum Personalanpassungsgesetz. We-
gen der ganz anderen Anforderungen der Bundeswehr an
ihr Personal ist dieses Anpassungsgesetz tatsächlich not-
wendig, auch wenn es ganz aus der Reihe des übrigen öf-
fentlichen Dienstrechts tanzt. Aber wir müssen natürlich
feststellen, dass die Frühpensionierung von insgesamt
3 000 Soldaten einiges kostet: im nächsten Jahr 21 Milli-
onen DM, im Jahr 2006 schon 176 Millionen DM.

Der Staat verzichtet dadurch auf das Potenzial von er-
fahrenen, qualifizierten und noch sehr arbeitsfähigen
Männern. Es kann uns nicht ruhen lassen, wenn für viel
Geld solche Potenziale einfach weggegeben werden. Ge-
rade in den zivilen Dimensionen von Friedensmissionen
gibt es einen erheblichen Mangel an professionellen,
schnell verfügbaren Kräften. Es gibt im Verteidigungs-
ausschuss schon ein Einvernehmen zwischen allen Frak-
tionen, dass wir uns Schritte und Möglichkeiten überlegen
wollen, wie dieses enorme Potenzial von oft auch in Kri-
seneinsätzen erfahrenen Offizieren im Rahmen unserer
Sicherheitspolitik, im Rahmen von Friedensmissionen
genutzt werden kann.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419912600
Jetzt spricht der Kol-
lege Günther Nolting für die FDP-Fraktion.


Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1419912700
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Verteidigungsminister
Scharping hat im Februar attraktive Arbeitsplätze, beruf-
liche Perspektiven, angemessene Besoldung bei der Bun-
deswehr versprochen. Herr Kollege Kemper, nachdem
Sie hier dieses Gesetz vehement vertreten und gelobt ha-
ben, wollen wir uns doch einmal ansehen, wie es in der
Bundeswehr wirklich aussieht.


(Johannes Kahrs [SPD]: Besser als bei Ihnen!)


Rot-Grün hat zu wenig unternommen, damit sich die
Nachwuchslage insbesondere bei Spezialverwendungen
verbessert. Der Beförderungsstau hat sich unter rot-grü-
ner Verantwortung vergrößert. Die von Rot-Grün mehr-
fach in Aussicht gestellten weiteren Attraktivitätssteige-
rungen lassen weiter auf sich warten.


(Hans-Peter Kemper [SPD]: Gucken Sie mal in das Gesetz! Es ist alles da! Das haben Sie in 16 Jahren nicht gemacht!)


Auch der Zeitplan wurde nicht eingehalten. Zudem
schwebt über all diesen ersten Schritten noch das Damo-
klesschwert einer unzulänglichen Finanzierung, die
nämlich mehr auf dem Prinzip Hoffnung als auf konkre-
ter Absprache mit dem Bundesfinanzminister fußt. Auch

der Generalinspekteur beklagt die dramatische Unter-
finanzierung der Bundeswehr.


(Beifall bei der FDP)


Ich kann deshalb für die FDP feststellen: Das Gesetz
bringt nicht die überfällige Auflösung struktureller Pro-
bleme. Die Neufassung des Personalanpassungsgesetzes
bleibt weit hinter den Erwartungen und den objektiven Er-
fordernissen einer modernen Bundeswehr zurück.

Es ist noch nicht lange her, da hat Bundesverteidi-
gungsminister Scharping selbst eingestanden, dass sich
gegenwärtig mehr als 8 500 Berufssoldaten im struktu-
rellen Überhang befinden. In den kommenden fünf Jah-
ren können aber nicht einmal 3 000 Berufssoldaten die
Bundeswehr frühzeitig verlassen. Mit dieser marginalen
Reduzierung wird nicht ansatzweise der Einstieg in eine
verjüngte, den internationalen Anforderungen besser an-
gepasste Streitkräftestruktur erreicht. Herr Kollege
Siemann, ich glaube, auch darum geht es.


(Walter Hirche [FDP]: Das ist der Kern!)


Sie werden sich daran erinnern, dass wir in den 90er-Jah-
ren zu ähnlichen Mitteln gegriffen haben, um eine bessere
Struktur zu erreichen.

Sie alle wissen, dass auch die Verärgerung bei den
zivilen Beschäftigten ständig steigt. Das müsste auch bei
Rot-Grün angekommen sein. Umso unverständlicher ist
der FDP, warum in dem vorliegenden Gesetzentwurf
diese Gruppe von über 120 000 Beschäftigten nicht mit ei-
ner Silbe Erwähnung findet. Gerade auch die zivilen Be-
schäftigten und deren Familien haben ein Anrecht darauf,
endlich Planungssicherheit für ihre berufliche und per-
sönliche Zukunft zu bekommen.


(Kurt Palis [SPD]: Sehr guter Tarifvertrag, Herr Nolting!)


– Herr Kollege Palis, über den Tarifvertrag werden wir
uns bestimmt im Verteidigungsausschuss noch einmal un-
terhalten. Wir werden aufzeigen, welche Lücken und wel-
che Mängel wir dort sehen.

Der vorliegende Entwurf sieht eine erhöhte Einstiegs-
besoldung für Mannschaften und Unteroffiziersanwärter
vor; Herr Kollege Kemper hat bereits darauf hingewiesen.
Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.


(Johannes Kahrs [SPD]: Den Sie nie geschafft haben!)


Aber, Herr Kollege Kemper, es ist ein zu kleiner
Schritt. Wenn Sie sich einmal die finanziellen Unter-
schiede im Vergleich zu Polizei und zum Bundesgrenz-
schutz ansehen – ich habe vorhin in einem Zwischenruf
darauf hingewiesen –, dann werden Sie feststellen, dass es
um Beträge von 600 DM bis 900 DM geht.


(Johannes Kahrs [SPD]: Das haben Sie doch durch Ihre Politik eingebrockt!)


Ich denke, diese Zahlen sprechen für sich. Die FDP hat
entsprechende Anträge im Ausschuss gestellt.


(Johannes Kahrs [SPD]: Ohne Deckung! Sie haben nicht gesagt, wie Sie es finanzieren wollen!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Winfried Nachtwei

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Leider sind diese Anträge von Rot-Grün abgelehnt wor-
den. Auch das muss an dieser Stelle gesagt werden.


(Beifall bei der FDP – Johannes Kahrs [SPD]: Wenn man keine Deckung hat, kann man viel versprechen!)


Der Gesetzentwurf hält an der Wehrpflicht fest. Er
sieht allerdings eine Flexibilisierung der Wehrpflicht-
dauer vor. Wir Liberalen sagen dagegen: Die Wehrpflicht
hat ausgedient.


(Johannes Kahrs [SPD]: Vor einem Jahr haben Sie das Gegenteil behauptet!)


Sie ist sicherheitspolitisch nicht mehr zwingend notwen-
dig. Im Gegenteil: Die Wehrpflicht erweist sich immer
mehr als eine strukturelle Bürde.


(Johannes Kahrs [SPD]: Sie ändern Ihre Meinung mit dem Wind!)


Das Gerechtigkeitsprinzip ist längst auf der Strecke ge-
blieben. Auch zur Terrorbekämpfung ist die Wehrpflicht
nicht geeignet.

Wir Liberalen werden den vorgelegten Gesetzentwurf
dennoch nicht ablehnen,


(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist gut! Das erste vernünftige Wort heute!)


weil wir uns auch als Opposition unserer Verantwortung
für die Menschen in der Bundeswehr, für diejenigen in
Uniform und für diejenigen in Zivil, bewusst sind. Wir
werden uns allerdings der Stimme enthalten. Ich sage
noch einmal: Das Gesetz geht in die richtige Richtung,
aber aus unserer Sicht nicht weit genug.


(Beifall bei der FDP)


Für eine echte Attraktivitätsoffensive sind für die
FDP unter anderem folgende Maßnahmen erforderlich:
die Zahlung leistungsgerechter Löhne und Gehälter –
hierzu gehört besonders die überfällige stufenweise An-
gleichung der Ostgehälter auf Westniveau; auch das hat
Rot-Grün abgelehnt –,


(Johannes Kahrs [SPD]: Machen Sie einen Deckungsvorschlag!)


der Abbau sämtlicher Personalüberhänge, um Aufstiegs-
perspektiven für Nachwuchskräfte zu schaffen und den
Beförderungsstau zu beseitigen, die Aussetzung der
Wehrpflicht bei gleichzeitiger Anpassung der Einstiegs-
besoldung an das Niveau von Bundesgrenzschutz und Po-
lizei sowie schließlich die Flexibilisierung des über
50 Jahre alten Dienstrechtes.

Meine Damen und Herren, nur wenn sich die Neuaus-
richtung der Bundeswehr für alle Beschäftigten – ich sage
ausdrücklich noch einmal: für die uniformierten, aber
auch für die zivilen Beschäftigten – positiv bemerkbar
macht, wird man engagierte und motivierte Soldaten und
Zivilbeschäftigte vorfinden. Ich denke, dies muss unser
gemeinsames Ziel sein.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419912800
Jetzt spricht der Kol-
lege Wolfgang Gehrcke für die PDS-Fraktion.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419912900
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Da der Gesetzentwurf zur
Neuausrichtung der Bundeswehr auch in seiner Begrün-
dung auf die Bundeswehrreform selbst Bezug nimmt und
dort verortet wird, muss man sich über die grundsätzli-
chen Weichenstellungen, die damit getroffen worden sind,
noch einmal verständigen. Das heißt, mit uns werden Sie
sich da nicht verständigen.


(Johannes Kahrs [SPD]: Von Ihnen kommt ja auch keiner in den Verteidigungsausschuss!)


Wenn wir in die Geschichte zurückgehen, stellen wir
fest, dass die Bundeswehr in ihrem Selbstverständnis eine
Armee war, die alles tun musste – vielleicht sogar alles ge-
tan hat – um ihren eigenen Einsatz zu verhindern. Der
Nichteinsatz der Bundeswehr war Ziel und Identität der
Bundeswehr, übrigens auch verfassungsrechtlich.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Das war ein gutes Ziel!)


Heute, und dies unter Rot-Grün, hat sich das ins Gegen-
teil gewandelt.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Das ist gefährlich!)


Die Bundeswehr ist zu einer Einsatzarmee umgebaut
worden. Der weltweite Einsatz der Bundeswehr ist nicht
mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Heute ist also der
Einsatz und nicht mehr der Nichteinsatz der Bundeswehr
Ziel und Identität. Das ist der grundsätzliche Wandel, der
festgehalten werden muss.


(Beifall bei der PDS)


Wenn ich das zuspitzen wollte, würde ich behaupten, dass
sich die Bundeswehr aus einer Verteidigungsarmee in eine
Kriegsarmee gewandelt hat. Das finde ich tragisch.


(Peter Zumkley [SPD]: Unglaublich!)


Ich darf die Kollegen der CDU/CSU an etwas erinnern.
Kollege Breuer, Ihr Altkanzler Kohl hat einmal einen
Wahlkampf mit der Losung „Frieden schaffen mit immer
weniger Waffen“ geführt. Er hat damit die Losung der
Friedensbewegung „Frieden schaffen ohne Waffen“ ge-
kontert. Wenn ich mir vorstelle, dass sich heute Kollegen
der SPD und der Grünen mit der Losung „Frieden schaf-
fen mit immer weniger Waffen“ in der Öffentlichkeit
erklären, würden sie sofort als zum radikalen, fundamen-
talistischen oder pazifistischen Flügel gehörend abge-
stempelt werden. So hat es sich inhaltlich verändert. Das
merkt man natürlich auch an der Ausrichtung der Bun-
deswehr.


(Johannes Kahrs [SPD]: Können Sie Ihre billige Wahlkampfrhetorik nicht lassen? – Kurt Palis [SPD]: Sie haben die Entwaffnungsaktion in Mazedonien abgelehnt!)


– Wenn es nicht von meiner Zeit abginge, würde ich Ihre
Zwischenrufe gern alle einzeln beantworten. Aber regis-
trieren Sie einmal, dass wir hier im Bundestag und nicht

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Günther Friedrich Nolting

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im Kasernenhof sind. Einen gewissen Ton verbitte ich
mir.


(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist doch alles eine Bande!)


Wenn man sich anguckt, wie das Konzept umgesetzt
wird, werden Sie sich vorhalten lassen müssen, dass Sie
den Gemeinden und Städten, in denen Standorte ge-
schlossen worden sind, nicht geholfen haben, die Pro-
bleme zu bewältigen. Sie haben die Gemeinden und
Städte, gerade im Osten, allein gelassen.

Der Verkauf von Liegenschaften, übrigens auch der
Verkauf von Waffen, löst das finanzielle Problem der
Bundeswehr nicht. So, wie Sie die Bundeswehr einsetzen
wollen – da hat die CDU/CSU Recht –, ist sie unterfinan-
ziert. Ich will sie ja nicht so einsetzen. Deshalb ist das
nicht mein Problem; das ist Ihr Problem.

Im Übrigen: Wer heute Waffen ohne sorgfältige Kon-
trolle verkauft, der findet diese Waffen letztendlich auch
auf den terroristischen Märkten wieder. Das müssen Sie
sich auch ins Stammbuch schreiben.


(Beifall bei der PDS – Johannes Kahrs [SPD]: Vielleicht sprechen Sie mal zum Thema!)


Die Bundeswehr hat die Städte und Gemeinden mit
Hinweis auf ihre Nichtzuständigkeit bei der Bewältigung
der sozialen Probleme allein gelassen. Die Wehrpflicht ist
nicht korrigiert worden, was man hätte tun können. Die
Frühverrentung, um diesen Begriff einmal zu benutzen,
kostet 1 Milliarde DM, die anderswo besser hätte einge-
setzt werden können.

So wie mit den Gemeinden springt das Verteidigungs-
ministerium auch mit den Beamten der Bundeswehr um.
Ich war auf dem Beamtentag der Bundeswehr; Ihr Vertei-
digungsminister hat sich ja gedrückt, weil er zur gleichen
Zeit mit der Wirtschaft reden wollte. Sie hätten einmal
hören sollen, was von den Beamten der Bundeswehr dort
über Ihre Politik ausgeführt wurde. Das würde mich schon
sehr bedenklich stimmen; denn das ist nun nicht die typi-
sche Klientel der PDS.

Das einzig Positive an dem Gesetzentwurf, den Sie zur
Besoldung vorgelegt haben, ist der Wegfall der unteren
Besoldungsgruppen A 1 und A 2.


(Johannes Kahrs [SPD]: Können Sie wenigstens in den letzten zwei Minuten zum Thema reden?)


Dafür wird aber der Verheiratetenzuschlag einkassiert.
Dann gleicht sich das wieder aus. Die unterschiedliche
Besoldungsregelung in Ost und West haben Sie nicht ge-
regelt. Die hätten Sie regeln können. Dann hätten Sie we-
nigstens einen Beitrag zur deutschen Einheit in der Bun-
deswehr geleistet.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419913000
Nächster Redner ist
der Kollege Kurt Palis für die SPD-Fraktion.


Kurt Palis (SPD):
Rede ID: ID1419913100
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Wolfgang
Gehrcke, eine Bemerkung musste ich mir notieren: Wenn
Sie uns den Werbespruch der Christdemokraten „Frieden
schaffen mit immer weniger Waffen“


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Gut gelungen!)


in Erinnerung rufen und ihn jetzt loben, dann frage ich
mich, warum Sie bei der Debatte zum Mazedonien-Ein-
satz – bei diesem Einsatz ging es darum, weniger Waffen
zu schaffen, indem sie bei den albanischen Rebellen ein-
gesammelt werden – dagegen gesprochen und dann dage-
gen gestimmt haben.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Erst habt ihr sie dorthin verkauft und dann schickt ihr Soldaten zum Einsammeln!)


Damals hätten Sie diesem Spruch doch zum Durchbruch
verhelfen können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich will damit keine Polemik betreiben, lieber Wolfgang,
sondern nur darauf aufmerksam machen, dass der Slogan
mit Leben zu erfüllen ist.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Genau!)


Hier steht auch ihr in der Verantwortung und aus ihr ent-
lassen wir euch nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Peter Zumkley [SPD]: Aber aus der Verantwortung stehlen sie sich raus!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, in dieser Woche ha-
ben wir wieder hautnah erlebt, dass Deutschland in der
Außen- und Sicherheitspolitik nach dem Wegfall der
Blockkonfrontation vor neuen Aufgaben steht. Dies stellt
auch die Bundeswehr vor neue Herausforderungen und
macht eine Neuausrichtung notwendiger denn je. Die
CDU/CSU-geführte Bundesregierung hat die Kraft zur
Bewältigung dieser großen Aufgabe in ihren letzten Jah-
ren nicht mehr aufbringen können. Erst mit dem Regie-
rungswechsel 1998 wurde sie konkret und zügig ange-
gangen und im Juni letzten Jahres wurde mit dem
Beschluss zum Eckpfeilerpapier diese Neuausrichtung
der Bundeswehr auf den Weg gebracht.

Mit dem heute zu verabschiedenden Bundeswehr-
neuausrichtungsgesetz – und mit dem Sechsten Besol-
dungsänderungsgesetz, zu dem mein Kollege Hans-Peter
Kemper schon gesprochen hat – werden nun die dafür er-
forderlichen rechtlichen Grundlagen geschaffen. Auf-
grund der Vielzahl von Folgeänderungen in dem Artikel-
gesetz beschränke ich mich hier auf die wesentlichen
Schwerpunkte.

Zunächst zum Wehrpflichtgesetz: Die bedeutsamste
Veränderung besteht hier in der Verkürzung des Grund-
wehrdienstes von zehn auf neun Monate. Damit verbun-
den ist die Möglichkeit, je nach Bedarf der Bundeswehr
diesen Wehrdienst zusammenhängend oder in Abschnit-
ten zu leisten. Mit dieser erweiterten Regelung wird dem
Umstand Rechnung getragen, dass für einen Teil der

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Wolfgang Gehrcke

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Wehrpflichtigen zunächst nur eine Basisausbildung von
sechs Monaten erforderlich ist. Die dann fehlenden drei
Monate werden nach Anzahl und Dauer am Bedarf der
Streitkräfte ausgerichtet und bereits durch den Einberu-
fungsbescheid festgelegt.

Wie sich die abschnittsweise Ableistung des Wehr-
dienstes in der Praxis entwickeln wird, muss abgewartet
werden. Grundsätzlich schafft sie aber – davon bin ich fest
überzeugt – für Wehrpflichtige wie für die betroffenen Ar-
beitgeber ein größeres Maß an Flexibilität. Herr Kollege
Siemann, wenn Sie bezweifeln, dass die Arbeitgeber an-
gesichts dieser Neuregelung nicht mehr über ausreichend
Planungssicherheit verfügten, dann mache ich darauf auf-
merksam, dass sich jemand, der in einem Arbeitsverhält-
nis steht und einberufen wird, sicherlich mit seinem Ar-
beitgeber über die Möglichkeit unterhalten wird, den
Wehrdienst so oder so abzuleisten. Beide werden dann das
für sie Vernünftige von der Bundeswehr abfordern, die an-
schließend darüber zu entscheiden hat, ob es dienstlich
möglich ist, der Forderung nachzukommen. Eine pau-
schale Kritik an dieser Neuregelung, wie sie bei den Be-
ratungen und gelegentlich auch bei der Bundeswehr selbst
geäußert wurde, übersieht, dass der Bedarf der Streitkräfte
den absoluten Vorrang behält.

Die bisherige Härtefallregelung in diesem Zusammen-
hang sowie die Möglichkeit eines zusätzlichen freiwilli-
gen Wehrdienstes bis zu einer Gesamtdauer von 23 Mo-
naten bleiben von der Neuregelung unberührt. Darüber
hinaus wird wegen der erhöhten Anforderungen an die
Wehrpflichtigen der Verwendungsgrad T 7, der überwie-
gend nur Beschäftigung im Innendienst ermöglichte, ge-
strichen.

Mit der Verkürzung der Wehrdienstdauer wird auch die
Dauer des Zivildienstes von elf auf zehn Monate verkürzt
sowie die Mindestverpflichtungszeit für Helfer im Zivil-
und Katastrophenschutz als Voraussetzung für eine Nicht-
heranziehung zum Wehrdienst angepasst.

Der Kollege Nachtwei hat darauf bestanden, dass wir
eine Willenserklärung abgeben, den Wehrpflichtigen kei-
nen Einsatzbefehl für Auslandseinsätze zu erteilen. Dem
stimmen wir zu; es gibt keinen Zweifel, dass wir daran
festhalten wollen.

Weitere wesentliche Änderungen betreffen das Solda-
tengesetz. Hier findet zunächst eine Neuregelung für
wehrdienstbeschädigte Soldaten statt. Dadurch wird es
ermöglicht, solche Soldaten, die ohne grobes Verschulden
eine Wehrdienstbeschädigung erlitten haben und bei de-
nen dadurch begründete Zweifel an der Dienstfähigkeit
bestehen, so zu behandeln, dass sie keinen status- und
dienstrechtlichen Nachteil erleiden. Diese Neuregelung
ist auf Erfahrungen aus den Auslandseinsätzen der Bun-
deswehr zurückzuführen. Ein Zwang zum Verbleib in der
Bundeswehr besteht aber für diese wehrdienstbe-
schädigten Soldaten nicht. Entscheidend ist, dass ein sol-
cher Soldat in geeigneter alternativer Verwendung bei der
Bundeswehr bleiben kann, wenn er dies wünscht.


(Peter Zumkley [SPD]: Sehr gut!)


Ein weiterer wichtiger Teil des Neuausrichtungsgesetzes
ist die Neuordnung der Soldatenlaufbahnen. Damit wird

ein breites Spektrum an Einstiegs-, Wechsel- und Aufstiegs-
optionen eröffnet werden, um die Grundlage für eine bes-
sere Deckung des Personalbedarfs zu schaffen. So werden
unter anderem die lange geforderte so genannte Feldwebel-
laufbahn und eine Fachunteroffizierslaufbahn eingeführt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Der dritte und letzte große Bereich betrifft die Schaffung
eines Personalanpassungsgesetzes. Das bis Ende 1994 gül-
tige Personalstärkegesetz konnte nicht alle überbesetzten
Jahrgänge erfassen. Bereits damals vorhandene Unwuchten,
bei denen das Personalstärkegesetz nicht gegriffen hat, prä-
gen nach wie vor die Personalstruktur. Insofern ist es
natürlich nicht redlich, davon zu sprechen, das habe diese
Regierung zu verantworten. Nein, Sie haben damals, 1994,
Schluss gemacht. Wir wollen gar nicht nachkarten, warum
dann nicht nachgebessert worden ist. Jetzt sind wir dabei,
den aus der damaligen Zeit verbliebenen Rest aufzuarbeiten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Peter Zumkley [SPD]: Und zwar nachdrücklich!)


Ohne gesetzliche Maßnahmen ist ein Abbau dieser
Überhänge erst in 25 Jahren erreichbar. Bei dieser Gele-
genheit will ich diejenigen im Lande, die mit einem Un-
terton von Missgunst kritisieren, dass es den „goldenen
Handschlag“ nur bei den Soldaten gebe, fragen: Welche
politische Entscheidung sollen wir denn treffen? Sollen
wir Menschen, die in ihrer Funktion nicht mehr benötigt
werden, weiter voll besolden oder sollen wir sie mit dem
so genannten goldenen Handschlag nach Hause schicken,
damit wir eine gesunde Personalstruktur bekommen? Ich
bin dafür, Letzteres zu tun.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Im Übrigen haben Sie das auch getan. Darüber sind wir
uns im Grunde einig.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419913200
Herr Kollege, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.


(Zuruf von der SPD: Sehr schade!)



Kurt Palis (SPD):
Rede ID: ID1419913300
Frau Präsidentin, erlauben Sie mir,
noch zwei Hinweise zu geben, die noch nicht angespro-
chen wurden. Wir haben hinsichtlich der Frühpensionie-
rung von Beamten überlegt, in welcher Weise wir helfen
können. Unser Ziel ist es, die Versorgungsbezüge bei In-
anspruchnahme der Altersteilzeitregelung von 83 Prozent
auf 88 Prozent anzuheben. Wir sind dabei auf einem guten
Weg. In diesem Gesetz ist das noch nicht geregelt, aber
dies wird in dem zur Beratung anstehenden Besoldungs-
strukturgesetz geschehen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419913400
Herr Kollege Palis,
jetzt muss ich Sie wirklich ausbremsen.


Kurt Palis (SPD):
Rede ID: ID1419913500
Ich bedanke mich für die Nachsicht,
Frau Präsidentin.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Kurt Palis

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(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419913600
Nächster Redner ist
der Kollege Meinrad Belle für die CDU/CSU-Fraktion.


Meinrad Belle (CDU):
Rede ID: ID1419913700
Frau Präsidentin! Meine
Damen und meine Herren! Die Kolleginnen und Kollegen
des Innenausschusses wissen, dass ich den Kollegen
Hans-Peter Kemper sehr schätze. Er musste gestern bei
der Sachverständigenanhörung zum Entwurf des Versor-
gungsänderungsgesetzes sehr frustrierende Erfahrungen
machen. Dieser Gesetzentwurf erfuhr durch die Sachver-
ständigen einen Totalverriss. Angesichts dieser Erfahrun-
gen gönne ich ihm gern die freudige Erregung bei der Dar-
stellung der positiven Punkte dieses Gesetzes, denn er soll
einen guten Einstieg ins Wochenende haben.

Ich spreche zu den dienst- und besoldungsrechtlichen
Vorschriften im Sechsten Besoldungsänderungsgesetz.
Ich werde mich dabei auf einige wesentliche Punkte der
Begründung unseres zur zweiten Lesung eingebrachten
Änderungsantrages beschränken.

Trotz der begrüßenswerten Verbesserung, vor allem für
die Soldaten, hat die Bundesregierung mit ihrem Gesetz-
entwurf die Chance vertan, bereits seit längerer Zeit anste-
hende Verbesserungen besoldungsrechtlicher Vorschriften
zu realisieren. Die von uns im Innenausschuss vorgelegten
Anträge hat die Koalition am Mittwoch abgelehnt. Beson-
ders schmerzlich ist dies natürlich für die unteren Besol-
dungsgruppen. So haben SPD und Grüne im Innen-
ausschuss trotz der in diesem Gesetz vorgesehenen
AbschaffungderBesoldungsgruppenA 1undA 2gegendie
Anhebung des Eingangsamtes für Justizwachtmeister
von der BesoldungsgruppeA3 aufA4 gestimmt. Hier geht
es um die Anhebung des Eingangsgrundgehaltes von
2 814 DM auf 2 878 DM.


(Johannes Kahrs [SPD]: Konnten Sie denn eine Deckung anbieten?)


Doch selbst diese bescheidene Verbesserung für die nied-
rigsten Besoldungsgruppen wollten die Fraktionen der
Regierungskoalition nicht mittragen.

Wir sind aber der Meinung, dass bei Änderungen be-
soldungsrechtlicher Vorschriften grundsätzlich eine aus-
gewogene Gesamtlösung notwendig ist, die das Besol-
dungsgefüge im Lot hält. Soweit im höheren Dienst
Ungleichheiten entstanden sind, sollten diese ausgeräumt
werden und nicht wegen der üblichen Neidkampagne un-
berücksichtigt bleiben.

Wir haben uns daher entschlossen, unseren Antrag zur
zweiten Lesung nochmals einzubringen. Wir wollen im
Einzelnen entsprechend dem Beschluss der 70. Justizmi-
nisterkonferenz von 1999 das Eingangsamt für den Justiz-
wachtmeisterdienst von A 3 auf A 4 anheben, da die Be-
soldung aus dem bisherigen Eingangsamt wirklich nicht
mehr funktions- und leistungsgerecht ist.

Ebenfalls wollen wir die so genannte Gitterzulage in
eine allgemeine Justizwachtmeisterzulage als „Vorführ-
zulage“ umwandeln. Beamte, die bei Gerichten und
Staatsanwaltschaften überwiegend für die Bewachung
und Vorführung von Gefangenen eingesetzt sind, sollen
diese Stellenzulage erhalten.

Wir wollen die Ämterzuordnung bei der Bundesanstalt
für Arbeit verbessern und zum Teil die Amtsbezeichnun-
gen ändern.

Nachdem wir gerade in der letzten Dienstrechts- und
Versorgungsrechtsreform gemeinsam das Zulagen-
dickicht durchforstet haben, Herr Staatssekretär Körper,
halten wir die Schaffung neuer Sonderzuschläge zur Si-
cherung der Funktions- und Wettbewerbsfähigkeit für
nicht erforderlich, da bereits jetzt § 72 des Bundesbesol-
dungsgesetzes in seiner derzeitigen Fassung die Möglich-
keit eröffnet, flexibel, ganzheitlich und schnell auf
Schwankungen im Angebots- und Nachfragebereich zu
reagieren.

Insbesondere wollen wir bei diesem Gesetzentwurf die
Gelegenheit nutzen, das Beamtenrecht familienfreundlich
fortzuentwickeln. Die Entscheidung des Bundesverfas-
sungsgerichts zum Familienzuschlag für das dritte Kind
und für weitere Kinder wurde auf unsere Initiative mit
Art. 5 des Gesetzes zur Neuordnung der Versorgungsab-
schläge umgesetzt, allerdings nur vorläufig für das
Jahr 2001. Wir haben daher im Innenausschuss den An-
trag auf dynamische Absicherung und Fortführung ab
1. Januar 2002 eingebracht. Diesen Antrag hat die Koali-
tion abgelehnt. Durch die danach erfolgte wortgleiche
Übernahme unseres zuerst gestellten Antrages – man höre
und staune! – wurde dann zwar das Problem der Fort-
führung des Familienzuschlages gelöst; aber in Ihrem Be-
schluss fehlt der Gesichtspunkt der dynamischen Absi-
cherung. Darum bringen wir diesen Antrag nochmals ein.

Die Sonderurlaubsverordnung sieht bislang nicht vor,
dass dem Ehepartner bei stationärer Geburt eines weiteren
Kindes Sonderurlaub für die Wahrnehmung der Auf-
sichtspflicht für die daheim gebliebenen eigenen min-
derjährigen Kinder gewährt wird. Insbesondere Soldaten,
diesichaufgrundihrerVersetzungshäufigkeitnurseltenauf
die Mithilfe in der Nähe lebender Verwandter stützen kön-
nen, würden von dieser Ergänzung der Sonderurlaubsver-
ordnung profitieren. Wir wollen damit auch das Verfas-
sungsgebot, wonach Ehe und Familie unter dem
besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen, weiter
ausfüllen.

Wir wiederholen auch einen weiteren Antrag, den wir
bereits früher gestellt haben. Die heutige Fassung des § 72 a
des Bundesbeamtengesetzes lässt eine Beurlaubung zum
Zwecke der Kindererziehung maximal für einen Zeit-
raum von zwölf Jahren zu. Alle Frauen- und Familienver-
bände weisen darauf hin, dass dies keine optimale Voraus-
setzung für die bessere Vereinbarkeit von Familie und
Beruf ist, weil die Erziehungszeiten in einer entscheiden-
den Phase der Kindererziehung, nämlich im zwölften Le-
bensjahr des Kindes, abgebrochen werden müssen. Der
Zeitraum sollte daher bis zur Volljährigkeit des Kindes aus-
gedehnt werden. Außerdem sollte eine Unterbrechung die-
ser Elternzeit ermöglicht werden, damit sich die Eltern in
der Kindererziehung abwechseln können.

Im Einvernehmen mit den Kollegen aus dem Verteidi-
gungsbereich stellen wir den Antrag auf Erhöhung des
Wehrsolds um 1 DM pro Tag sowie auf Erhöhung des
Mobilitätszuschlages von jeweils 1 DM in den drei
Entfernungskategorien. Hierzu ist festzustellen, dass der

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 19567


(C)



(D)



(A)



(B)


Verteidigungsausschuss bereits eine Erhöhung des Mobi-
litätszuschlags beschlossen hat, was wir natürlich alle be-
grüßen. Aber diese Maßnahme sollte unserer Ansicht nach
nicht isoliert in Kraft treten. Wir sind der Meinung, dass
auch Wehr- und Dienstpflichtige sowie Wehrübende an
der generellen Einkommenssteigerung beteiligt werden
müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
nutzen Sie die Gelegenheit zur weiteren sinnvollen Ver-
besserung Ihres Gesetzentwurfs – dem wir heute zustim-
men werden –, insbesondere was die unteren Einkom-
mensempfänger und die Familien angeht.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419913800
Letzter Redner in die-
ser Debatte ist der Parlamentarische Staatssekretär Walter
Kolbow.

W
Walter Kolbow (SPD):
Rede ID: ID1419913900
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Die vorliegenden Gesetzentwürfe
der Bundesregierung sind ein wichtiger Meilenstein auf
dem Weg zur Umsetzung der Reform der Bundeswehr.
Beide Gesetze legen den Grundstein zur Verbesserung der
Attraktivität und damit auch zur dringend notwendigen
Erhöhung der Einsatz- und Reaktionsbereitschaft unserer
Streitkräfte. Dies gilt auch und gerade vor dem Hinter-
grund der Herausforderungen, die sich nach den Terror-
anschlägen vom 11. September in den USA ergeben ha-
ben.

Mit dem Bundeswehrneuausrichtungsgesetz ver-
folgt die Bundesregierung einen doppelten Ansatz. Einer-
seits wirken wir der drohenden Überalterung der Streit-
kräfte entgegen. Andererseits passen wir zugleich den
Grundwehrdienst den veränderten sicherheitspolitischen
Gegebenheiten an.

Durch die vorgesehene Neuordnung der Feldwebel-
und Fachunteroffizierslaufbahnen verbessern wir die At-
traktivität des Soldatenberufs nachhaltig. Wir schöpfen
das durch die demographische Entwicklung abnehmende
Bewerberaufkommen konsequenter als bisher aus und
nehmen Rücksicht auf die unterschiedlichen Berufswün-
sche junger Frauen und Männer. Wir setzen ein klares Zei-
chen, indem endlich Schluss gemacht wird mit den von
der Vorgängerregierung hinterlassenen, der Attraktivität
des Dienens schadenden Defiziten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist wichtig, Ihnen das noch einmal vorzuhalten;
denn Ihre Desinformationspolitik draußen ist mit ursäch-
lich für Demonstrationen, die in diesem Zusammenhang
nun wirklich fehl am Platze sind.


(Beifall bei der SPD)


Wir setzen Akzente. Wir gehen gegen die schlechte Be-
zahlung, die geringe Eingangsbesoldung und die Benach-
teiligung gegenüber anderen Bereichen des öffentlichen

Dienstes an. Wir schaffen zukunftssichere Arbeitsplätze
in der Bundeswehr sowie neue Laufbahnperspektiven und
Aufstiegschancen. Wer dann zur Bundeswehr kommt,
wird seine zivilberufliche Qualifikation um mindestens
eine Stufe verbessern können. Wer keinen Beruf hat, er-
hält als Zeitsoldat eine Ausbildung. Wer zum Beispiel als
Geselle einsteigt, verlässt die Bundeswehr als Meister.

Wir holen nach – Kollege Kemper und andere haben
darauf hingewiesen –, was im übrigen öffentlichen Dienst
schon lange Bestand hat, indem wir die Besoldungs-
gruppe A 3 als Eingangsbesoldung für den jungen Zeit-
soldaten vorsehen.

Wir stellen aber auch sicher, dass der Dienstgrad
Hauptgefreiter deutlich früher als bislang erreicht wird.
Wir bauen den Beförderungsstau zum Oberstabsfeldwe-
bel und zum Stabsfeldwebel durch rund 750 neue oder zu-
sätzliche Planstellen ab. Ferner sorgen wir dafür, dass 634
Stellen für Stabsfeldwebel als echte Dienstposten gesetzt
werden. Wir erhöhen den Anteil der Spitzenämter für Of-
fiziere des militärfachlichen Dienstes. Wir erhöhen die
Besoldung aller Kompaniechefs auf mindestens Besol-
dungsgruppe A 12. Ferner erhöhen wir den Anteil der
Stabsoffiziere um 825 zusätzliche Stellen.

Entgegen Ihren Erwartungen, meine Damen und Her-
ren von der Opposition, ist der Auftritt des Bundesminis-
ters der Verteidigung auf der Versammlung des Bundes-
wehr-Verbandes mit großem Beifall bedacht worden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dies ist die Wirklichkeit in den Streitkräften, was auch
hinsichtlich der Personalförderung durch die Leitung des
Bundesministeriums der Verteidigung gilt.

Wir führen eine Vielzahl weiterer Maßnahmen durch,
die den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zugute
kommt. Herr Kollege Nolting, es lohnt sich schon, darauf
zu schauen, was der Tarifvertrag für die zivilen Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter bringt. Nur die persönliche Wert-
schätzung, die ich für Sie habe, hält mich von der Formu-
lierung ab, Ihre Einlassung hier zum Tarifvertrag als die
übliche Arbeitnehmerferne der Liberalen zu bezeichnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Günther Friedrich Nolting [FDP]: Das ist ja wohl ein dummes Zeug!)


In der Summe, meine Damen und Herren, investieren
wir in das Personal der Bundeswehr weit mehr, als es je-
mals im zurückliegenden Jahrzehnt unter der Vorgänger-
regierung der Fall war. Wir machen auch Ernst mit dem
zwingend notwendigen Personalabbau. Kollege Palis
– ich darf mich ausdrücklich darauf beziehen – hat darauf
hingewiesen. Und ich bitte sehr, Kollege Siemann, mitzu-
helfen, hier etwas zu tun, was dringend notwendig ist,


(Peter Zumkley [SPD]: Das tun sie nicht!)


um die Bundeswehrstruktur kleiner, schlanker und effizi-
enter ausgestalten zu können auf das, was wir auch von
den Einsätzen her brauchen, die wir von der Politik her
den Soldaten auftragen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Meinrad Belle

19568


(C)



(D)



(A)



(B)


Da wäre es besser, wenn Sie sich nicht selbst wider-
sprechen, weil Sie – Kollege Nolting hat fairerweise da-
rauf hingewiesen – 1994 selbst diese Instrumente benutzt
haben. Es wäre besser, Sie würden mithelfen, auch die Öf-
fentlichkeit davon zu überzeugen, dass dies gerade für die
Bundeswehr notwendig ist, und nicht populistisch auch
noch Öl in ein Feuer der öffentlichen Diskussion gegen
Soldatinnen und Soldaten gießen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Peter Zumkley [SPD]: Unverantwortlich!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, zeitgleich
mit dem tiefgreifenden Wandel befindet sich die Bundes-
wehr im Einsatz. Das Risiko, dass nicht alle Soldatinnen
und Soldaten wohlbehalten zurückkehren, wird größer.
Die Bundesregierung hat daher Regelungen entwickelt,
die sicherstellen, dass Soldatinnen und Soldaten, die im
Auslandseinsatz wehrdienstbeschädigt werden, nicht
mehr wegen Dienstunfähigkeit entlassen werden, son-
dern als Soldat weiterbeschäftigt werden können. Mit die-
ser Regelung schließen wir eine Lücke für diejenigen, die
im Einsatz für unser Land geschädigt werden. Diejenigen,
die in den Einsatz gehen, müssen wissen, dass sie von der
politischen und militärischen Führung bei schweren Ver-
wundungen oder Schädigungen nicht im Stich gelassen
werden. Sie haben Anspruch auf eine bessere Fürsorge.
Ich denke, dass gerade hier das Hohe Haus besonders en-
gagiert zustimmen kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich denke in dieser Stunde mit Bewegung an unseren
Oberstabsarzt Dieter Eising, der in Georgien, in einem
UN-Hubschrauber im Einsatz befindlich, abgeschossen
worden und zu Tode gekommen ist.

In diesem Zusammenhang sollte die Fürsorge, die in
den beiden Gesetzen für die Streitkräfte zum Ausdruck
kommt, auch den Deutschen Bundestag, Sie, meine Da-
men und Herren, zur Zustimmung zu diesem Gesetz brin-
gen; denn unsere Soldatinnen und Soldaten gewährleisten
unsere äußere Sicherheit gerade in diesen schweren Ta-
gen. Sie verteidigen Frieden, Freiheit, Demokratie und
Menschenwürde, Werte, die wir seit Jahrzehnten gemein-
sam im deutschen Parlament hochhalten und die uns über
Parteigrenzen hinweg verbinden.

Deswegen sind zu diesen Verbesserungen auch breite
Zustimmungen notwendig. Springen Sie hier über Ihren
Schatten, den Sie selbst in Ihrer Regierungszeit nicht
überspringen konnten!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419914000
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuaus-
richtung der Bundeswehr in der Ausschussfassung,
Drucksachen 14/6881, 14/7089 und 14/7235. Hierzu liegt
ein Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und des

Bündnisses 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst ab-
stimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf
Drucksache 14/7372? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen
von CDU/CSU und PDS bei Enthaltung der FDP ange-
nommen.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung mit der soeben beschlossenen Ände-
rung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf
ist in zweiter Beratung gegen die Stimmen von CDU/CSU
und PDS bei Enthaltung der FDP angenommen.

Interfraktionell ist vereinbart, trotz Annahme eines Än-
derungsantrages in zweiter Beratung jetzt unmittelbar in
die dritte Beratung einzutreten. – Ich sehe, Sie sind damit
einverstanden.

Deshalb rufe ich jetzt auf die
dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf
ist gegen die Stimmen von CDU/CSU und PDS bei Ent-
haltung der FDP angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
besoldungsrechtlicher Vorschriften, Drucksachen 14/7097
und 14/7352. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1
seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung anzunehmen.

Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer
stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/
CSU auf Drucksache 14/7382? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist gegen die Stim-
men der CDU/CSU bei Enthaltung der FDP abgelehnt.

Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die
Stimmen der PDS-Fraktion bei Enthaltung der FDP-Frak-
tion angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei Ent-
haltung der FDP-Fraktion angenommen.

Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 14/7352 die An-
nahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung von CDU/
CSU-, FDP- und PDS-Fraktion angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a und b auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Parl. Staatssekretär Walter Kolbow

19569


(C)



(D)



(A)



(B)


eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Re-
form des Risikostrukturausgleichs in der gesetzli-
chen Krankenversicherung
– Drucksache 14/6432 –

(Erste Beratung 179. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Reform des Risikostrukturausgleichs in der
gesetzlichen Krankenversicherung
– Drucksachen 14/7123, 14/7168 –

(Erste Beratung 195. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14. Ausschuss)

– Drucksache 14/7355, 14/7395 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Martin Pfaff

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14. Ausschuss)

regierung
Bericht der Bundesregierung über die Untersu-
chung zu den Wirkungen des Risikostruktur-
ausgleichs in der gesetzlichen Krankenversi-
cherung
– Drucksachen 14/5681, 14/7395 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Martin Pfaff

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich ver-
weise aber gleich darauf, dass die Kolleginnen Katrin
Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen, und Dr. Ruth
Fuchs, PDS, ihre Reden bereits zu Protokoll gegeben ha-
ben.1)

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die SPD-
Fraktion ist der Kollege Martin Pfaff.


Prof. Dr. Martin Pfaff (SPD):
Rede ID: ID1419914100
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Mit der heutigen zweiten und
dritten Lesung des Gesetzes zur Reform des Risikostruk-
turausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung
wird eine weitere Teilstrecke eines langen Weges zurück-
gelegt. Dieser Weg begann in Lahnstein, führte über die
verschiedenen Maßnahmen im Rahmen des Gesund-
heitsstrukturgesetzes und zur Stärkung der Finanzkraft
der Kassen im Osten sowie – ein Höhepunkt bisher – zum
Niederreißen der Sozialmauer zwischen West und Ost
und schließlich zur Einführung des gesamtdeutschen Ri-
sikostrukturausgleichs. Vor allem die Kolleginnen und
Kollegen aus Teilen der Opposition erinnere ich daran:
Wir haben diesen Weg gemeinsam begonnen und sind ge-
meinsam verantwortlich für Richtung und Route, also
verantwortlich nicht nur für die Chancen, sondern auch

für die Hindernisse, die sich auf diesem Weg aufgetan ha-
ben.

Wenn Teile der Opposition heute ihre Verantwortung
für die Entwicklung des Risikostrukturausgleichs hintan-
stellen und mit vorgeschobenen Argumenten dagegen
vorgehen – offensichtlich, um parteipolitisches Kapital
daraus zu schlagen –, dann habe ich dafür kein Verständ-
nis. Ich finde das eher traurig.


(Beifall bei der SPD – Walter Hirche [FDP]: Wenn man in die Sackgasse läuft, muss man wieder raus!)


Auch Sie sollten nicht vergessen: Der Risikostrukturaus-
gleich ist ein Herzstück der gesetzlichen Krankenversi-
cherung und somit der sozialen Marktwirtschaft.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Darum sind wir auch dagegen!)


Diese erzielt bekanntlich ihre Erfolge durch eine Kombi-
nation aus Wettbewerb im wirtschaftlichen Bereich und
individueller Sicherheit im sozialen Bereich. Die letzten
Jahrzehnte haben doch hinlänglich nicht nur bewiesen,
dass freie Menschen produktiver sind als Sklaven, son-
dern auch, dass Menschen, die in Sicherheit leben, eben-
falls produktiver sind und zudem ein besseres Leben
führen können als solche, die nicht abgesichert sind. Dies
gilt in ganz besonderer Weise für Krankheit, Behinderung
und Pflegebedürftigkeit.

Auch sollten Sie nicht vergessen, dass der Wettbewerb
an sich kein konstitutives Prinzip einer sozialen Kranken-
versicherung ist. Er war die zwingende Konsequenz der
Ausweitung der Wahlfreiheit. Es wurde nämlich endlich
das Ziel realisiert, dass Arbeiter die gleichen Wahlrechte
haben sollten wie Angestellte. Das war die gesellschafts-
politische Zielsetzung in Lahnstein.


(Beifall bei der SPD – Aribert Wolf [CDU/ CSU]: Das haben wir durchgesetzt!)


Die so genannte solidarische Wettbewerbsordnung der
GKV kann nur funktionieren, wenn die Faktoren neutra-
lisiert werden, die die einzelne Kasse mit eigener Kraft
zumindest kurzfristig nicht beeinflussen kann: Alter, Ge-
schlecht, Zahl der Mitversicherten und Ähnliches. Das
sind doch keine Wettbewerbsparameter. Nur wenn diese
neutralisiert werden könnten, könnte der Wettbewerb ein
Instrument dahin gehend sein, Effizienz und Innovationen
zu fördern.

Um dies zu erreichen, ist eine solidarische Verteilung
der Risikobelastung zwischen den gesetzlichen Kranken-
kassen erforderlich. Nichts anderes wird mit dem Risiko-
strukturausgleich angestrebt. Deshalb ist er eine un-
verzichtbare, ja dauerhafte Voraussetzung für den Wett-
bewerb der Kassen in einer solidarisch finanzierten GKV.

Auch dies haben Teile der Opposition mittlerweile ver-
gessen. In Lahnstein waren wir uns noch einig: Wettbe-
werb um gute Risiken, Wettbewerb, der aus Rosinen-
picken besteht und sich darin erschöpft, sich auf Junge
und Gesunde zu konzentrieren, weil die Kassen dann ge-
ringere Kosten haben und die Zuweisungen im Rahmen
des Risikostrukturausgleichs höher sind als die tat-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Vizepräsidentin Petra Bläss

19570


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(B)


1) Anlage 8

sächlichen Kosten, was zu einer Subventionierung der
Beiträge führt, bringt kein Quäntchen an Wirtschaftlich-
keit und kein Quäntchen an Innovationen. Auch deshalb
ist eine Reform des Risikostrukturausgleiches notwendig.


(Beifall bei der SPD)


Die Sachverständigen haben dies in ihren Gutachten
belegt: Erstens. Sie sagen eindeutig, dass sich der Risiko-
strukturausgleich grundsätzlich bewährt hat. Ich habe mit
Freude festgestellt, dass dies die CDU/CSU trotz aller
Kritik an diesem Gesetzentwurf bekräftigt hat. Das war
leider nicht immer so. Bei Ihnen, Herr Wolf, mit Ihren Er-
fahrungen im Krankenkassenwesen würde ich das als
selbstverständlich voraussetzen.

Der Risikostrukturausgleich hat sich also bewährt.
Ohne ihn würde jetzt die Beitragssatzspanne zwischen
– man höre und staune – 7,5 und 20,7 Prozent liegen. Man
muss sich einmal vorstellen, was dies bedeutet: den Zu-
sammenbruch des bewährten Systems. Wenn wir in Lahn-
stein nicht gehandelt hätten, gäbe es die gesetzliche Kran-
kenversicherung in der heutigen Form nicht mehr. Wir
wären in einer anderen Welt. Das darf man nicht ver-
gessen.


(Beifall bei der SPD – Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Genau! Das ist der Punkt!)


Zweitens. Es gibt weiterhin Anreize für Krankenkassen
– auch das sagen die Gutachter zu Recht –, eine Risiko-
selektion zu betreiben. Wir wollten das nicht. Liebe Kol-
leginnen und Kollegen von der Opposition, wenn sich die
Kassen so verhalten hätten, wie wir das eigentlich durch
den Kontrahierungszwang – auf Deutsch: jede Kasse
muss jeden Bewerber aufnehmen – festgelegt haben, dann
bräuchten wir dieses Gesetz nicht. Das haben sie aber
nicht getan. Sie haben vielmehr eine Lücke entdeckt.
Morbiditäts- bzw. Krankheitsunterschiede kommen eben
nicht allein durch Alter, Geschlecht, Zahl der Mitversi-
cherten und Invalidität zum Ausdruck. Dies hat dazu ge-
führt, dass in den letzten Jahren, nachdem sich die
Beiträge einander angenähert hatten, eine Risikoent-
mischung stattgefunden hat und dass Wettbewerbsver-
werfungen aufgetreten sind. Im jetzigen RSA gibt es nicht
genug Anreize, dies zu ändern.

Ich frage Sie: Halten Sie es denn für richtig, dass die
gezielte Anwendung der Strategie der Risikoselektion be-
lohnt wird, da für Gesunde mehr zugewiesen wird, als es
den Kosten entspricht, die durch Gesunde tatsächlich ent-
stehen? Halten Sie es denn für richtig, dass im Rahmen
des jetzigen Risikostrukturausgleiches die virtuellen
Krankenkassen, die sich „strategisch“ verhalten, für Ge-
sunde mehr zugewiesen bekommen, als sie für sie brau-
chen, während andere für Kranke weniger zugewiesen be-
kommen, als es den Kosten entspricht, die durch Kranke
tatsächlich entstehen? Man braucht kein Statistiker, kein
Mathematiker und nicht einmal Gesundheitspolitiker zu
sein; der einfache Menschenverstand müsste einem doch
sagen, dass das nicht weiter angeht und eine Reform drin-
gend notwendig ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir wissen, dass Vergleiche immer hinken, vielleicht
auch meiner. Ich will ihn dennoch bringen: Stellen Sie
sich vor, die Gründungen von virtuellen Betriebskranken-
kassen wirkten ähnlich wie ein Krebsgeschwür im Orga-
nismus der sozialen Krankenversicherungen. Dieses Ge-
schwür entzieht dem Umfeld immer mehr Ressourcen,
schwächt den Organismus, führt zu einem beschleunigten
Wachstum des Krebses und zu immer mehr Metastasen.
Am Ende geht der Organismus zugrunde. Aber der Krebs
tritt nicht als neues System an die Stelle des Organismus.
Was passiert, ist der Zusammenbruch des gesamten Sys-
tems. Dann bekommen Sie wirklich die Einheitskasse, die
Sie in keiner Weise haben wollen


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Doch, mittlerweile wollen sie sie!)


und wir auch nicht. Das sind die Konsequenzen, wenn
heute nichts geschieht. Das sollten Sie erkennen.

Die Ziele dieses Reformgesetzes sind eindeutig:
Erstens. Wir wollen die Anreize zur Risikoselektion

weiter mindern. Wir wollen sie zumindest mittelfristig be-
seitigen.

Zweitens. Wir wollen die Versorgungsqualität bei
chronisch Kranken verbessern.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Wollen tut ihr schon, aber machen tut ihr nichts!)


Dies ist etwas, was die Gutachtergruppen besonders her-
vorgehoben haben. Ich nutze die Gelegenheit, um den
Gutachtergruppen IGES/Wasem/Cassel, aber auch Lau-
terbach/Wille an dieser Stelle für die konstruktiven Anre-
gungen herzlich zu danken, die sie zur Reform des Risi-
kostrukturausgleichs gemacht haben.


(Beifall bei der SPD)

Die wichtigsten Instrumente haben wir bei der ersten

Lesung schon angesprochen. Es geht um einen morbi-
ditätsorientierten Risikostrukturausgleich ab 2007.
Dann werden nämlich die Beträge, die für die Gesunden
und die Kranken zugewiesen werden, stimmen. Zum ei-
nen wird keine Subventionierung der Kassen mit vielen
Gesunden und keine Bestrafung der Kassen mit vielen
kranken und älteren Menschen erfolgen. Zum anderen
werden die strukturierten Behandlungsprogramme für
chronisch Kranke den Wettbewerb auf eine ganz neue
Ebene lenken. Es werden höhere standardisierte Ausga-
ben für diese chronisch Kranken in Programmen, die be-
wertet sind und deren Qualität gesichert ist, zugelassen.

Die gute Botschaft – diese muss man den Menschen in
Deutschland, vor allem den älteren und kranken Men-
schen verkünden – des heutigen Tages ist: In Zukunft wis-
sen sie, dass das Interesse der Krankenkassen nicht nur
den Gesunden gilt. Sie wissen, dass die Krankenkassen
ein Interesse daran haben, etwas für chronisch Kranke zu
tun, dass die Patienten freiwillig mitmachen können – sie
müssen es nicht –, dass die Programme insbesondere für
chronisch kranke Menschen qualitätsgesichert sind, dass
sie sorgfältig geprüft sind, dass sie bundeseinheitlich zu-
gelassen worden sind.

Das ist auch für die Familienangehörigen eine gute
Botschaft. Sie müssen sich weniger Sorgen um ihre

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Dr. Martin Pfaff

19571


(C)



(D)



(A)



(B)


chronisch kranken Familienmitglieder machen. Sie wis-
sen, dass sie im Alter oder im Falle einer Krankheit aus
solchen Programmen Nutzen ziehen können. Dies ist
wirklich eine Entwicklung, die wir alle gemeinsam be-
grüßen sollten. Dies ist ein Wendepunkt in der
Gesundheitspolitik. Umso unverständlicher ist die Reak-
tion von Teilen dieses Hauses.


(Beifall bei der SPD)


Durch solche Programme werden die Prävention ge-
stärkt und die Behandlung von Krankheiten gezielt ver-
bessert. Den integrierten Versorgungsformen werden jetzt
Anreize gegeben, damit sie gerade für chronisch Kranke
umfangreicher durchgeführt werden. Ich sage noch ein-
mal: Internationale Erfahrungen zeigen, dass dies der
richtige Weg ist.

Ich komme zum Risikopool. Gegen ihn sind Teile der
Opposition, aber Ihre Variante, nämlich einen Hochrisiko-
pool, kritisieren sie nicht. Er soll keine Ausgabe-
wirkungen zeitigen, aber derjenige, den wir vorschlagen,
sehr wohl. Hier geht es nur um geringe Unterschiede. Das
zeigt die Unlogik dieser Vorgehensweise. Man könnte,
sollte und müsste wirklich einmal die Liste der Kritik-
punkte an Ihrer Haltung fortsetzen. Ich will das nicht tun.
Ich will die positiven Elemente betonen.

Ich sage noch einmal abschließend: Hier und heute
geht es nicht um ein Gesetz unter vielen anderen, sondern
um ein besonderes Gesetz in der Reihe der Gesetze, die
wir zur Gesundheitspolitik beschließen. Es geht – das
sage ich noch einmal – um ein Herzstück des Sozialstaa-
tes. Letztlich geht es um die Frage, ob Solidarität und
Wettbewerb in einer sozialen Krankenversicherung in
Deutschland eine Zukunft haben werden. Das ist die Zu-
kunftsfrage, die heute beantwortet wird. Letztlich geht es
auch um die Zukunft des gegliederten Systems; denn der
andere Weg, den ich angesprochen habe, führt zum
Zusammenbruch dieses Systems.

Wie lange kann die Entsolidarisierung – auf der einen
Seite Kassen mit niedrigen Beiträgen für Gesunde und auf
der anderen Seite Kassen mit hohen Beiträgen für
Kranke – noch anhalten, bevor das System zusammen-
bricht? Deshalb stabilisieren wir – das ist eine der beab-
sichtigten Wirkungen – mit unserem Gesetz das geglie-
derte System mit seiner Vielfalt, die wir alle begrüßen.

Zum Schluss doch noch einen Appell: Ich bitte Sie von
der Opposition, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen,
auch wenn es Ihnen – wenn es so ist, finde ich es traurig –
noch so schwer fallen sollte. Ich hoffe, dass zumindest im
Bundesrat höhere Einsicht einkehrt; denn das vorliegende
Gesetz geht uns alle an und setzt den Weg fort, den wir alle
gemeinsam begonnen haben. Das ist eine Reform, die
normalerweise keine große Diskussion erforderlich ma-
chen würde. Wir haben gemeinsam Verantwortung auch
für die Verbesserung des Gesundheitswesens. Dieser Ver-
antwortung sollten sich alle in diesem Hause stellen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419914200
Der nächste Redner ist
der Kollege Aribert Wolf für die CDU/CSU-Fraktion.


(Detlev von Larcher [SPD]: Sagen Sie einfach, Sie stimmen doch zu, und dann stimmen wir ab!)



Aribert Wolf (CSU):
Rede ID: ID1419914300
Was machen Sie dann? –
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Entgegen dem Eindruck, den der Kollege Pfaff zu er-
wecken versucht hat, erkennen auch wir, dass es Probleme
und Fehlentwicklungen in der gesetzlichen Krankenversi-
cherung gibt. Auch für uns ist es eine unstreitige Tatsache,
dass es Fehlentwicklungen im Wettbewerb der Kranken-
kassen, insbesondere zwischen den großen Versorgerkas-
sen und den Betriebskrankenkassen, gibt. Deswegen tre-
ten auch wir vehement für Korrekturen ein.

Die Frage ist aber, ob mit dem Gesetz, das die rot-grüne
Koalition heute zur Abstimmung vorgelegt hat, die ge-
wünschten Korrekturen erreicht werden können oder
nicht. Ich sage Ihnen: Sie werden mit Ihrem Gesetz keine
Verbesserungen erreichen. Im Gegenteil: Sie werden mit
Ihrem Gesetz, das Sie dank Ihrer Mehrheit heute
verabschieden werden, noch größere finanzielle, organi-
satorische und qualitative Probleme im Gesundheitswe-
sen heraufbeschwören, als Sie dies in den vergangenen
Jahren ohnehin schon getan haben.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das kann nicht sein!)


Herr Kollege Pfaff, das bestreiten Sie jetzt natürlich.
Das Spiel kennen wir schon – denn Sie haben es schon öf-
ter gespielt –: Sie verheißen der Bevölkerung eine wun-
derbare, heile Welt und schieben alle berechtigten War-
nungen der Kritiker beiseite. Hinterher müssen Sie
kleinlaut feststellen, dass die Kritiker Recht behalten ha-
ben. So wird es auch diesmal sein; denn dieses rot-grüne
Gesetz hat einige schwere Geburts- und Konstruktions-
fehler.

Der gravierendste ist bereits Ihre Eingangsthese. Sie
glauben, allein mit einer Reform des Risikostrukturaus-
gleichs gleich zwei Probleme lösen zu können, nämlich
– erstens – die Zahl der Versorgungs- und Qualitätsde-
fizite insbesondere bei der Versorgung chronisch Kranker
reduzieren zu können und – zweitens – die Entsolidari-
sierungstendenzen – weg von den großen Versorger-
kassen hin zu den so genannten virtuellen BKKs – in den
Griff bekommen zu können. Fast alle Experten – das müs-
sen Sie doch anerkennen – sind sich einig, dass die Ursa-
chen für diese beiden Fehlentwicklungen eben nicht im
Risikostrukturausgleich liegen. Die Ursache – das sage
ich Ihnen – liegt vielmehr darin, dass Sie von der SPD sich
seit der letzten Bundestagswahl von der ursprünglich ge-
meinsamen Linie von Lahnstein wegbewegt haben.

1992, als der Risikostrukturausgleich mit Ihrer Zu-
stimmung eingeführt wurde, waren wir von CDU, CSU
und FDP zusammen mit der SPD uns noch in drei Punk-
ten einig: Erstens. Der Wettbewerb sollte eine zentrale
Steuerungsfunktion im Gesundheitswesen übernehmen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Dr. Martin Pfaff

19572


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Zweitens. Um den Wettbewerb zwischen den Kranken-
kassen zu ermöglichen – so sah es unser damaliges Gesetz
vor –, sollte ein Finanzausgleich, also der Risikostruktur-
ausgleich, zwischen den Krankenkassen geschaffen wer-
den, damit der Beitragssatz einer Krankenkasse Ausdruck
der Wirtschaftlichkeit und nicht das Ergebnis einer mehr
oder weniger erfolgreichen Risikoselektion ist.

Drittens. Es war bereits damals klar – auch das war ge-
meinsame Position –, dass sowohl der Wettbewerb als
auch der Risikostrukturausgleich einige Zeit nach den ers-
ten praktischen Erfahrungen weiterentwickelt werden
muss und der Gesetzgeber neue Reformschritte auf den
Weg bringen muss. Damals hat Herr Seehofer dem Sach-
verständigenrat einen entsprechenden Gutachterauftrag
erteilt. Es sollte geprüft werden, wie der Risikostruktur-
ausgleich weiterentwickelt werden kann.

Dann aber haben Sie die Regierung übernommen. Von
da an ging es eigentlich bergab. Sie wollten in der Ge-
sundheitspolitik neue Wege gehen. Das haben Sie auch
getan. Sie haben als Erstes die wettbewerbliche Weiter-
entwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung, die
von Horst Seehofer und der unionsgeführten Bundesre-
gierung bereits beschlossen worden war und schon im Ge-
setzblatt stand – zugegeben, es war spärlich formuliert,
weil damals Lafontaine durch seine Blockade im Bundes-
rat weiter gehende Maßnahmen schon im Vorfeld verhin-
dert hat –, zurückgenommen.

Als Zweites haben Sie den Gutachtenauftrag von
Seehofer an den Sachverständigenrat zur Weiterentwick-
lung des Risikostrukturausgleichs zurückgenommen.
Dann haben Sie gesehen, dass Sie nicht weiterkommen,
und haben den Auftrag wieder auf den Weg gebracht. Auf
diese Art und Weise haben Sie wertvolle Zeit verloren.
Genau dieses Verhalten „rein in die Kartoffeln, raus aus
den Kartoffeln“ war doch die Ursache dafür, dass wir Ver-
werfungen in der Risikostruktur und Versorgungsdefizite
bei den deutschen Krankenkassen haben.

Lesen Sie einmal nach – haben Sie doch die Kraft, jen-
seits des parteipolitischen Hickhacks und der parteipoli-
tischen Auseinandersetzung –, was Ihre eigenen Gutach-
ter, Sachverständigen und Experten, die Sie sogar selber
beauftragt haben, zu diesem Problem schreiben.


(Zuruf von der SPD: Das haben wir doch gemacht!)


– Sie haben es offensichtlich nicht gemacht, denn sonst
hätten Sie gelesen, dass alle Experten in zwei Punkten
übereinstimmen.

Die Experten haben gesagt, die Erfahrungen seit der
Einführung des Risikostrukturausgleichs hätten gezeigt,
dass dieser seine Aufgaben grundsätzlich erfüllt habe.

Als Zweites zitiere ich Ihren Gutachter, Professor Wa-
sem:

Das Ausgleichsinstrumentarium Risikostrukturaus-
gleich darf nicht überfrachtet werden, zumal eine
Reihe von Wettbewerbsproblemen erkennbar auf Ur-
sachen zurückzuführen sind, die nicht unmittelbar
mit dem Risikostrukturausgleich zu tun haben.


(Detlef Parr [FDP]: Das ist der Punkt!)


Wenn die Ursachen nicht im RSA liegen, wie kann es
dann richtig sein, die Therapie beim RSA ansetzen zu
wollen?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Genau das machen Sie falsch.


(Klaus Kirschner [SPD]: Sie stellen eine falsche Diagnose! – Weitere Zurufe von der SPD)


– Man merkt, wie Sie jetzt wieder zunehmend unruhig
werden.


(Zuruf von der SPD: In Ihrer Fraktion kann keiner mehr unruhig werden, weil keiner mehr da ist!)


In Ihrer gesundheitspolitischen Hilflosigkeit vermischen
Sie die unterschiedlichsten Dinge zu einer gefährlichen
Mixtur, zu einem ausgesprochen komplizierten Gesetz.
Ich sage Ihnen bereits heute: Sie werden damit sowohl die
weitere Finanzentwicklung der gesetzlichen Krankenver-
sicherung als auch eine qualitative Patientenversorgung
nicht verbessern, sondern gefährden.

Wie so oft steckt der Teufel im Detail. Mit Ihren so ge-
nannten Disease-Management-Programmen wollen Sie
zu einer besseren Versorgung chronisch Kranker beitra-
gen. Gegen dieses Ziel haben wir überhaupt nichts einzu-
wenden. Es ist richtig und wichtig, die mangelhafte Ver-
sorgung chronisch Kranker zu verbessern. Natürlich
müssen wir auch die großen Volkskrankheiten gezielter
bekämpfen, Herr Professor Pfaff. In diesem Punkt sind
wir uns einig.

Indem Sie Ihre Disease-Management-Programme – es
gibt heute scheinbar nur noch englische Wörter für solche
Maßnahmen – in den Risikostrukturausgleich einflechten
und die Kassen mit Zahlungen aus dem Risikostruktur-
ausgleich belohnen, gehen Sie einen sachlich und syste-
matisch völlig verfehlten Weg, der Sie nicht an das ge-
wünschte Ziel führen wird; das sagen Ihnen auch die
Experten und große Teile der Krankenkassen.

Der Risikostrukturausgleich ist so konstruiert, dass er
dem Ausgleich unterschiedlicher Startbedingungen der
Krankenkassen gilt, aber nicht einem Ausgabenausgleich
das Wort reden darf. Wenn Sie solche Anreizstrukturen
schaffen, indem Sie nicht dazu beitragen, eine bessere
Versorgung chronisch Kranker zu erreichen, sondern um-
gekehrt dazu beitragen, dass die Krankenkassen nicht nur
die Kosten für das Chronikerprogramm ausgeglichen er-
halten, sondern alle anfallenden Leistungsausgaben für
Versicherte, die einer solchen Disease-Management-
Gruppe zugeordnet sind, erreichen Sie etwas ganz ande-
res: Sie bewirken damit, dass zum Beispiel auch der Ski-
unfall für einen Asthmatiker ausgeglichen wird, der aber
mit Disease-Management und einer besseren Versorgung
gar nichts zu tun hat. Auch kann der Zahnersatz für einen
Diabetiker ausgeglichen werden. Außerdem nehmen Sie
noch die Verwaltungskosten und sogar noch die Kosten
von Dritten mit hinein. Damit gleichen Sie faktisch alle
Kosten aus. Deswegen prophezeie ich Ihnen: Sie werden
mit Ihrer Mehrheit dieses Gesetz durchsetzen, aber hin-
terher feststellen – ähnlich wie Sie das bei der Budge-
tierung im Arzneimittelbereich festgestellt haben –,

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Aribert Wolf

19573


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dass Sie dramatische ausgabentreibende Maßnahmen auf
den Weg gebracht haben.

Auch die Techniker-Krankenkasse schätzt – also nicht
wir von der Opposition, sondern die Betroffenen selbst –,
dass die Etablierung und Verwaltung dieser Disease-Ma-
nagement-Programme zusätzliche Kosten in Höhe von
2,2 Milliarden DM verursachen werden; das sind keine
Peanuts. Auch im Leistungsbereich kommen weitere Mil-
liarden hinzu. Was das für den Wirtschaftsstandort
Deutschland bedeutet, liegt wohl auf der Hand.

Mit Ihrem Gesetz öffnen Sie Manipulationen Tür und
Tor. Da den Krankenkassen in den Disease-Management-
Programmen alle Kosten ausgeglichen werden, wird jede
Krankenkasse versuchen, ihre teuren Versicherten mög-
lichst schnell in solche Programme hineinzupressen und
damit diese Programme aufzublähen. Dies wiederum
wird dazu führen, dass die Versorgungsqualität bei Ver-
sicherten, die nicht in solche Programme kommen, hint-
angestellt wird.


(Zuruf von der SPD: Das ist ein Witz!)


– Das werden Sie erleben. Natürlich sagen Sie heute, das
sei ein Witz. Entsprechendes haben Sie auf berechtigte
Kritik gegenüber früheren Reformgesetzen auch schon
gesagt. Sie haben aber feststellen müssen, dass die Pro-
bleme, die wir aufgezeigt haben, hinterher traurige Wirk-
lichkeit geworden sind.

Sie haben zum Beispiel auch keine Vorkehrung dafür
getroffen, dass Versicherte sogar in mehreren Disease-
Management-Programmen sind. Eine Krankenkasse kann
ja da auch manipulieren.

Sie werden also keine Verbesserung für die Patienten
erreichen, sondern werden lediglich die Kosten in die
Höhe treiben und Sie werden der Subventionsmentalität
der Krankenkassen, darauf zu schauen, möglichst viel
Geld von einer jeweils anderen Kasse zu bekommen, Vor-
schub leisten.

Der Risikostrukturausgleich hat bereits ein riesiges
Finanzvolumen, das um 8 Milliarden DM höher ist als das
Volumen des Länderfinanzausgleichs. Ich prophezeie Ih-
nen: Sie werden erleben, dass das von derzeit 26 Milliar-
den DM jährlich auf bis zu 50 Milliarden DM steigen
wird. Das können Sie erkennen – das sage ich Ihnen, wenn
Sie jetzt auch lächeln –, wenn Sie sich vor Augen führen,
dass allein die sieben häufigsten chronischen Krankheiten
in Deutschland heute mehr als 50 Prozent der Kosten im
Gesundheitswesen verursachen.

Natürlich haben auch Sie gemerkt, dass es wegen der
Manipulationsmöglichkeiten Probleme geben wird. Des-
wegen sind Sie auf die glorreiche Idee gekommen, dass
das Bundesversicherungsamt das alles kontrollieren und
überprüfen soll. Alle Experten wissen, dass dies nicht
funktionieren wird. Aber Sie haben keine Skrupel, hier ein
bürokratisches Monster zu schaffen, mit dem Sie sich von
dem eigentlichen Ziel, nämlich weniger Bürokratie im
Gesundheitswesen und mehr Aufmerksamkeit für die Pa-
tienten, verabschieden.

Mit diesem Gesetz werden Sie wieder einmal Miss-
brauch Tür und Tor öffnen. Mit Ihren stümperhaften Ein-

zelmaßnahmen stolpern Sie hier wieder einmal von einem
Problem ins nächste. Sie haben niemals den Mut, eine um-
fassende und tief greifende Reform anzupacken. Dahin
kommen Sie erst dann, wenn Sie wieder bereit sind, zu ge-
meinsamen Wurzeln zurückzukehren. Ich kann hier nur
an Sie appellieren: Haben Sie den Mut dazu und lassen Sie
uns miteinander an einer wirklich umfassenden und tief
greifenden Gesundheitsreform arbeiten, damit unser
Gesundheitswesen wieder auf einen erfolgreichen Weg
gebracht werden kann! Durch Ihre Einzelmaßnahmen
wird nichts verbessert, im Gegenteil: Diese kosten nur
Zeit und Geld und werden für die Patienten keine Verbes-
serung mit sich bringen, sondern nur die Bürokratie auf-
blähen.

Ich bedanke mich.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419914400
Letzter Redner in die-
ser Debatte ist der Kollege Detlef Parr.


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1419914500
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Herr Kollege Pfaff, Sie haben zu Recht ge-
sagt, wir berieten hier ein Gesetz, das uns alle angehe.


(Zuruf von der SPD: Wo sind Sie denn versichert?)


Lassen Sie mich mit der Formulierung meines Unmutes
beginnen. Es ist ein schlechter Stil, wenn man ein solches
Thema, das heißt ein milliardenschweres Steuerungsin-
strument, das Millionen von Versicherten betrifft, an ei-
nem Freitagnachmittag mit einer Beratungszeit von
30 Minuten hier debattiert.


(Beifall bei der FDP – Dr. Uwe Küster [SPD]: Keine Kritik am Präsidium!)


Vielleicht gibt es ja gute Gründe dafür, bei diesem Thema
für den Ausschluss der Öffentlichkeit zu sorgen, nämlich
weil der vorliegende Gesetzentwurf voller Mängel steckt.

Herr Kollege Pfaff, Sie haben den Weg von Lahnstein
bis heute beschrieben.


(Zurufe von der SPD)


Sie haben das Problem, dass Sie seit 1998 einen Irrweg
nach dem anderen beschreiten.


(Beifall bei der FDP – Zuruf von der FDP: Nichts dazugelernt!)


Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein Ergebnis von
Überbürokratisierung und Überregulierung, wie sie über-
all im Gesundheitssystem beklagt werden. Alles Gerede
von dem in der GKV angeblich gewollten Wettbewerb
wird damit ad absurdum geführt. Wer Wettbewerb wirk-
lich will, der muss Vielfalt zulassen.


(Beifall bei der FDP)


Er muss Konkurrenz nicht nur ertragen, sondern auch als
Methode zur Findung effizienter Lösungen begreifen. Da-
von ist die Politik dieser Bundesregierung nach wie vor
weit entfernt.

Schon längst geht es nicht mehr darum, vernünftige,
sich selbst tragende Strukturen zu schaffen; vielmehr wird

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Aribert Wolf

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je nach Bedarf der einen Krankenkasse etwas weggenom-
men und die andere erhält etwas dazu. Das Nachsehen ha-
ben letztendlich die Versicherten.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Welche Versicherten?)


Denen wird nämlich nach und nach jede Möglichkeit ge-
nommen, sich für eine preiswerte Krankenkasse zu ent-
scheiden, weil sich die Beiträge immer mehr annähern.
Damit wird den Versicherten auch die Möglichkeit ge-
nommen, Geld zu sparen, das sie lieber in anderen Berei-
chen, zum Beispiel auch in solchen des Gesund-
heitswesens, ausgeben wollen.

Dieser Gesetzentwurf gleicht einem Arbeitsbeschaf-
fungsprogramm für die wenigen, die den immer kompli-
zierter werdenden Risikostrukturausgleich wirklich
durchschauen. Nur die Findigen werden Interpretations-
spielräume und Regelungslücken zum Füllen der eigenen
Konten nutzen. Ein fairer Wettbewerb rückt in weite
Ferne.

Auch wir, Herr Professor Pfaff, halten die Disease-Ma-
nagement-Programme für erprobenswert. Das ist über-
haupt kein Thema. Sie haben die Durchführung dieser
Programme zu Recht als einen Weg beschrieben, den man
gehen kann. Aber die Koppelung dieser Programme mit
dem Risikostrukturausgleich ist der falsche Weg. Diese
Koppelung wird einen massiven bürokratischen Aufwand
mit sich bringen.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Wo sollen die denn hin?)


– Frau Schmidt-Zadel, wir haben dazu eine Anfrage ge-
stellt. Die Antwort, in der mitgeteilt wird, wie hoch die zu-
sätzlichen Personalkosten sind und wie dieses Instrument
zu handhaben ist, liegt auf dem Tisch. Es ist nicht prakti-
kabel. Man kann schon unterstellen, dass die rot-grüne
Koalition tatsächlich etwas zur Verbesserung der Ver-
sorgung der chronisch Kranken tun will. Das sollte man
durchaus konzedieren. Allerdings wird die konkrete Poli-
tik dieser Regierung dazu nicht beitragen.

Trotz all des Aufwandes wird das System nicht einmal
gerechter; stattdessen kommt es lediglich zu einer Ver-
schiebung von Ungerechtigkeiten. Für die Krankenkassen
bleibt es von Vorteil, gesunde Versicherte aufzunehmen,
chronisch Kranke aufzunehmen, die möglichst geringe
Kosten verursachen, und bei akut Kranken dafür zu sor-
gen, dass sie über die Grenze des Risikopools hinaus-
kommen. Was bleibt einer Krankenkasse anderes übrig,
als den Ärzten Geld in die Hand zu drücken, mit dem Ziel,
dass sich ihre Patienten in Disease-Management-Pro-
gramme einschreiben, weil die Krankenkasse ansonsten
deutliche Verluste einfährt? Ist das das System der Zu-
kunft, das wir wollen? Sicher nicht!


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Doch, wir wollen etwas für die chronisch Kranken tun!)


Krankenkassen mit niedrigen Beitragssätzen werden
systematisch zu Beitragssatzsteigerungen gezwungen.
Das werden die Versicherten zu Beginn des Wahljahres
2002 sehr deutlich spüren.


(Zuruf der Abg. Regina Schmidt-Zadel [SPD])


Damit verlieren die Versicherten preisgünstige Alternati-
ven. Wir sind mit dieser Politik auf dem Weg in eine Ein-
heitsversicherung, Frau Schmidt-Zadel.


(Zuruf des Abg. Klaus Kirschner [SPD])


Nicht Ausbau, sondern Abbau des Risikostrukturaus-
gleichs ist angesagt. In der Anfangssituation des Kassen-
wettbewerbs war der Risikostrukturausgleich erforder-
lich. Herr Kirschner, darin sind wir völlig einig. Die
Startchancen der Krankenkassen waren ungleich. Aber ir-
gendwann – das muss man in aller Klarheit sagen – muss
damit Schluss sein, dass ein immer größeres Volumen un-
ter immer komplizierter werdenden Umständen umver-
teilt wird. Einige Krankenkassen müssen bereits jetzt
spürbar mehr als die Hälfte ihrer Beitragseinnahmen zur
Subventionierung anderer Kassen, ihrer Mitbewerber, ab-
führen. Stellen Sie sich einmal vor, BMW müsste von je-
der verdienten Mark 50 Pfennig an Daimler-Chrysler ab-
führen. Das hielte jeder für völlig absurd. Nur bei
Krankenkassen ist das Realität.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Sie haben das System nicht verstanden!)


Wahlfreiheit und Kontrahierungszwang schützen alle
Versicherten. Niemand ist gezwungen, bei einer Kran-
kenkasse mit einem höheren Beitragssatz versichert zu
bleiben. Niemand ist gehindert, sich schlau zu machen,
wo es günstiger geht. Das gilt auch – das muss man im-
mer wieder betonen – für die schwer und chronisch Kran-
ken. Wir wollten im Rahmen der Haushaltsberatungen ein
Informationsprogramm auflegen, durch das die chronisch
Kranken über die für sie vorhandenen Möglichkeiten in-
formiert werden. Sie haben das abgelehnt.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Die werden doch informiert!)


Es ist und bleibt wichtig: Weg mit überzogenen staat-
lichen Reglementierungen und mit Fremdbestimmung –
freie Fahrt für mehr statt für immer weniger Wettbewerb.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419914600
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Reform des Risikostruktur-
ausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung,
Drucksachen 14/6432 und 14/7355. Der Ausschuss für
Gesundheit empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussemp-
fehlung in Kenntnis der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung auf Drucksache 14/5681, den Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung gegen die Stimmen von CDU/CSU und
FDP bei Enthaltung der PDS angenommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Detlef Parr

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und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei
Enthaltung der PDS angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss für Gesundheit, in Kenntnis der genannten Un-
terrichtung den Gesetzentwurf der Bundesregierung,
Drucksachen 14/7123 und 14/7168, zur Reform des Risi-
kostrukturausgleichs in der gesetzlichen Krankenversi-
cherung für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
des ganzen Hauses angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 c auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Fortentwicklung des Unternehmensteuerrechts

(Unternehmensteuerfortentwicklungsgesetz – UntStFG)

– Drucksachen 14/6882, 14/7084 –

(Erste Beratung 188. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-

ausschusses (7. Ausschuss)

– Drucksachen 14/7343, 14/7344 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Schultz
Otto Bernhardt
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Barbara Höll


(8. Ausschuss)

– Drucksache 14/7385 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Jürgen Koppelin
Dr. Uwe-Jens Rössel

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt,
Heinz-Georg Seiffert, Norbert Barthle, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Mehr Wirtschaftswachstum durch mehr Ge-
rechtigkeit im Unternehmensteuerrecht
– Drucksachen 14/6887, 14/7351 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Schultz
Otto Bernhardt

c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes

(Steueränderungsgesetz 2001 – StÄndG 2001)

– Drucksache 14/6877 –


(Erste Beratung 188. Sitzung)

a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-

ausschusses (7. Ausschuss)

– Drucksachen 14/7340, 14/7341 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Lothar Binding
Elke Wülfing
Heidemarie Ehlert


(8. Ausschuss)

– Drucksache 14/7377 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Jürgen Koppelin
Dr. Uwe-Jens Rössel

Zu dem Gesetzentwurf zur Änderung steuerlicher Vor-
schriften liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS
vor.

Die Kolleginnen und Kollegen Reinhard Schultz, Elke
Wülfing, Christine Scheel, Gerhard Schüßler und Barbara
Höll sowie die Parlamentarische Staatssekretärin Barbara
Hendricks haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) – Ich
höre keinen Widerspruch.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Fortent-
wicklung des Unternehmensteuerrechts, Drucksachen
14/6882, 14/7084 und 14/7343. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP
bei Enthaltung der PDS angenommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf
ist damit in dritter Beratung gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der PDS angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 14/7351
zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel
„Mehr Wirtschaftswachstum durch mehr Gerechtigkeit
im Unternehmensteuerrecht“. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 14/6887 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die
Stimmen von CDU/CSU bei Enthaltung der FDP-Frak-
tion angenommen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Vizepräsidentin Petra Bläss

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(A)



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1) Anlage 9

rung steuerlicher Vorschriften, Drucksachen 14/6877 und
14/7340. Der Finanzausschuss empfiehlt, den Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Dazu
liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS vor, über
den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Ände-
rungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache
14/7363? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Frak-
tion abgelehnt.

Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der
PDS angenommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf
ist damit gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei
Enthaltung der PDS angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a und 30 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über rechtliche Rahmenbedingungen für den elek-

(Elektronischer Geschäftsverkehr-Gesetz – EGG)

– Drucksache 14/6098 –

(Erste Beratung 177. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)

– Drucksache 14/7345 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Martina Krogmann

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Hubertus Heil, Dr. Ditmar Staffelt, Hermann
Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD sowie der Abgeordneten Margareta
Wolf (Frankfurt), Grietje Bettin, Michaele
Hustedt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Deutschlands Wirtschaft in der Informations-
gesellschaft
– Drucksachen 14/5246, 14/5974 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Martina Krogmann

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor.

Die Kolleginnen und Kollegen Hubertus Heil,
Dr. Martina Krogmann, Andrea Fischer, Rainer Funke

und Ulla Lötzer sowie der Parlamentarische Staatssekre-
tär Siegmar Mosdorf haben ihre Reden zu Protokoll ge-
geben.1) – Auch darüber herrscht Begeisterung im Saale.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf über rechtli-
che Rahmenbedingungen für den elektronischen Ge-
schäftsverkehr, Drucksachen 14/6098 und 14/7345. Der
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt, den
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen.
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/7370 vor, über den wir zu-
erst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsan-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Än-
derungsantrag ist gegen die Stimmen von CDU/CSU und
FDP bei Enthaltung der PDS-Fraktion abgelehnt.

Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stim-
men von CDU/CSU, FDP und PDS angenommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung, auf dass wir nicht aus der Übung
kommen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit gegen die
Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU, FDP und PDS
angenommen.

Wir kommen jetzt noch zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und
Technologie auf Drucksache 14/5974 zu dem Antrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
mit dem Titel „Deutschlands Wirtschaft in der Informati-
onsgesellschaft“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag
auf Drucksache 14/5246 anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen
der Fraktionen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung
der PDS angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 sowie die Zusatz-
punkte 15 bis 17 auf:

31. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlänge-
rung von Übergangsregelungen im Bundes-
sozialhilfegesetz
– Drucksache 14/7280 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

ZP 15 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Vizepräsidentin Petra Bläss

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(D)



(A)



(B)


1) Anlage 10

Fördern und Fordern – Sozialhilfe modern ge-
stalten
– Drucksache 14/7293 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

ZP 16 Beratung des Antrags der Abgeordneten Pia Maier,
Dr. Klaus Grehn, Dr. Heidi Knake-Werner, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Eine Grundsicherung in die Arbeitslosenversi-
cherung einführen
– Drucksache 14/7294 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

ZP 17 Beratung des Antrags der Abgeordneten Pia Maier,
Dr. Barbara Höll, Dr. Klaus Grehn, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der PDS
Die Sozialhilfe armutsfest gestalten
– Drucksache 14/7298 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Die Kolleginnen und Kollegen Brigitte Lange,
Wolfgang Meckelburg, Ekin Deligöz, Dr. Heinrich
Kolb und Pia Maier sowie die Parlamentarische
Staatssekretärin Ulrike Mascher haben ihre Reden
ebenfalls zu Protokoll gegeben.1) – Auch hier kein Wi-
derspruch.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzent-
wurf auf Drucksache 14/7280 zur federführenden Bera-
tung an den Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung und
zur Mitberatung an den Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend sowie an den Finanzausschuss zu
überweisen. Die Vorlagen auf den Drucksachen 14/7293,
14/7294 und 14/7298 sollen an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. – Es gibt
keine anderweitigen Vorschläge. Dann sind die Überwei-
sungen so beschlossen.

Deshalb rufe ich jetzt den Tagesordnungspunkt 32
– ich glaube, das ist der letzte – auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Angelegenheiten der
neuen Länder zu dem Antrag der Abgeordneten
Gerhard Jüttemann, Rolf Kutzmutz, Eva Bulling-
Schröter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der PDS
Arbeitsplatzabbau bei Förderung von Produk-
tionsverlagerungen ausschließen
– Drucksachen 14/5248, 14/6618 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Günter Nooke

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion der PDS fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Zur allgemeinen Beruhigung im Hause: Die Kollegin-
nen und Kollegen Jelena Hoffmann, Ulrich Klinkert,
Werner Schulz und Jürgen Türk haben ihre Reden bereits
zu Protokoll gegeben.2)

Ich eröffne aber jetzt die Aussprache. Das Wort hat der
Kollege Gerhard Jüttemann für die PDS-Fraktion. Da-
nach gibt es noch eine Abstimmung.


(Detlev von Larcher [SPD]: Wie lange reden Sie, Herr Kollege?)



Gerhard Jüttemann (PDS):
Rede ID: ID1419914700
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ich habe mir im Vorfeld dieser De-
batte noch einmal die Reden aus der ersten Lesung ange-
schaut. Danach müsste es eigentlich für unseren Antrag
ziemlich gut aussehen; denn sachliche Argumente gegen
ihn sind nicht vorgetragen worden.

Der Kollege Röspel aus Hagen fand unsere Forderun-
gen sogar „an sich sympathisch“. Sie ärgerten ihn aber
trotzdem, weil sie angeblich „falsche Hoffnungen“ weck-
ten. Das Lohnniveau im Osten sei „nun einmal niedriger
als im Westen“. Auch die SPD bedauere das; aber es sei
eben so. – Ich bitte Sie, was ist das für ein Argument? Ers-
tens wecken wir keine „falschen Hoffnungen“, sondern
sagen, wie es gehen könnte.


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Richtig!)


Zweitens ist das im Osten geringere Lohnniveau das
Ergebnis Ihrer Politik und der Politik Ihrer Vorgänger-
regierung.


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Auch richtig!)


Sie weigern sich bis heute, ein Zeichen dafür zu setzen,
dass Sie das ändern wollen.

Kollege Werner Schulz findet unsere Vorschläge „mo-
ralisch hoch integer“, aber weder praktikabel noch sinn-
voll. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit soll also weder
praktikabel noch sinnvoll sein.


(Zuruf von der PDS: Hört! Hört!)


Nicht ohne Komik war die Bemerkung des Kollegen
Goldmann von der FDP. Er fand unseren Antrag „skan-
dalös“,


(Detlef Parr [FDP]: Da hat er Recht!)


und zwar im Vergleich zu dem Anspruch, den die PDS als
sozialistische Partei ansonsten erhebe,


(Detlef Parr [FDP]: Da hat er noch mehr Recht!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001

Vizepräsidentin Petra Bläss

19578


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 11 2) Anlage 12

indem sie „sich für die Menschen bzw. für die Schaffung
von Arbeitsplätzen“ einsetze. – Wofür wir uns einsetzen,
das hat er schon einmal gut verstanden.


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Aber es fiel ihm ziemlich schwer!)


Nun muss die FDP nur noch den hier zur Debatte ste-
henden Antrag in dieses Anliegen einordnen. Dabei will
ich Ihnen gerne helfen. Denn mit seiner Ablehnung kön-
nen Sie zwar die Interessen der FDP vertreten; die besse-
ren Sozialisten können Sie damit aber nicht werden,


(Detlef Parr [FDP]: Wir wollen vieles, aber das nicht!)


weil die Interessen der FDP und die vieler Menschen mit-
unter voneinander abweichen.


(Beifall bei der PDS – Lachen bei der FDP)


Ich will Ihnen den Antrag und sein Anliegen also noch
einmal erläutern.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Keine Drohungen bitte!)


Wir wollen erstens, dass keine staatlichen Subventio-
nen fließen, wenn bei Produktionsverlagerungen am alten
Standort mehr Arbeitsplätze abgebaut als am neuen ge-
schaffen werden.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Sehr vernünftig!)


Wir wollen zweitens, dass die Ausnutzung ungleicher
Arbeitsbedingungen in Ost und West nicht mehr staatlich
subventioniert wird. Sonst vergrößert sich die Kluft zwi-
schen Ost und West.

Wir wollen drittens, dass das Ausspielen entgegenge-
setzter Arbeitsplatzinteressen in West- und Ostdeutsch-
land nicht länger mit staatlichen Geldern gestützt wird,


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Auch richtig!)


weil das zu einer Entsolidarisierung von Arbeitnehmern
in Ost und West führt. Wir wollen schließlich, dass in der
Vergangenheit erkämpfte soziale Standards nicht heute
mit Unterstützung staatlicher Gelder wieder abgesenkt
werden – und zwar in Ost und West.

Diesen Argumenten haben Sie nun nichts anderes ent-
gegenzusetzen, als dass den Leuten im Osten der Spatz in
der Hand doch wohl lieber sei als die Taube auf dem Dach.
Im Herbst 1989 hatte im Osten kaum einer angenommen,
dass es künftig darum gehen würde, im so genannten gol-
denen Westen den Spatzen in der Hand festzuhalten, und
dass sich die Politik strikt weigern würde, einen Fahrplan
für die Angleichung der Lebensverhältnisse vorzulegen.

Stattdessen werden den Ostdeutschen nun schon Minus-
tarifrunden angekündigt. Die Regierung aber veröffent-
licht einen Schönwetterbericht zum Stand der deutschen
Einheit, der nicht einmal das Papier wert ist, auf dem er
gedruckt ist,


(Beifall bei der PDS – Detlev von Larcher [SPD]: Na! Na!)


weil er auf jede wissenschaftliche Analyse der tatsächli-
chen Situation von vornherein verzichtet.

Am gleichen Tag, an dem die Bundesregierung diesen
Bericht vorgelegt hat, erfuhren wir vom Institut für Wirt-
schaftsforschung in Halle, dass die ostdeutsche Wirtschaft
im ersten Halbjahr erstmals seit der Vereinigung real um
0,6 Prozent geschrumpft ist. Seit 1997 vergrößert sich nun
schon der Abstand zwischen Ost- und Westdeutschland in
den wichtigsten wirtschaftlichen Parametern. Für Sie ist
das offensichtlich kein Grund zum Alarm – für uns schon.

Der vorliegende Antrag wendet sich natürlich nur ei-
nem spezifischen Problem zu und kann das Übergeord-
nete nicht lösen. Aber er kann sehr gut dazu beitragen,
ganz im Gegensatz zu Ihren billigen Populismusvorwür-
fen als Ersatz von Argumentation. Sie sollten sich einmal
einen Ruck geben! Ich glaube, das wäre früher auch in
Ihrem Interesse gewesen.


(Beifall bei der PDS)


Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Ich wünsche al-
len ein schönes Wochenende.


(Beifall bei der PDS – Detlef Parr [FDP]: Das ist ein guter Wunsch!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419914800
Wir kommen zur Ab-
stimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Angelegenheiten der neuen Länder auf Drucksa-
che 14/6618 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem
Titel „Arbeitsplatzabbau bei Förderung von Produktions-
verlagerungen ausschließen“. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 14/5248 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Beratungen.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 14. November 2001, 13 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.