Gesamtes Protokol
Einen schö-
nen guten Morgen! Die Sitzung ist eröffnet.
Die Kollegin Birgit Schnieber-Jastram hat am 7. No-
vember 2001 auf ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bun-
destag verzichtet. Die Abgeordnete Antje Blumenthal
hat als Nachfolgerin am 8. November 2001 die Mitglied-
schaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße
die neue Kollegin hiermit herzlich.
Ich rufe den Zusatzpunkt 11 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-
Wohnortprinzips bei Honorarvereinbarungen
für Ärzte und Zahnärzte
Drucksachen 14/5960. 14/6410, 14/ 6450, 14/6699,
14/7342
Berichterstattung:
Abgeordnete Hildegard Wester
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? Das
ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen ge-
wünscht? Auch das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermittlungs-
ausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäfts-
ordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag über
die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt
für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschus-
ses auf Drucksache 14/7342? Wer stimmt dagegen?
Stimmenthaltungen? Der Vormittag beginnt sehr gut mit
einer einstimmig angenommenen Beschlussempfehlung.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a bis c auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften
Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmenge-
setzes und anderer Vorschriften
Drucksache 14/6853
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Maritta Böttcher, Dr. Heinrich Fink, Pia
Maier, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Absicherung der verfassten Studierenden-
schaft
Drucksache 14/5760
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Drucksache 14/7336
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Eckardt
Thomas Rachel
Dr. Reinhard Loske
Ulrike Flach
Maritta Böttcher
Drucksache 14/7350
Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Siegrun Klemmer
Antje Hermenau
Werner Hoyer
Dr. Christa Luft
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
zu dem Antrag der Abgeordneten Maritta
Böttcher, Dr. Heinrich Fink und der Fraktion
der PDS
Personalstruktur- und Dienstrechtsreform
an Hochschulen und Forschungseinrich-
tungen
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard
Friedrich , Thomas Rachel, Ilse
19489
199. Sitzung
Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Beginn: 9.00 Uhr
Aigner, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU
Eckpunkte für eine Reform des Hochschul-
dienstrechts
zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike
Flach, Cornelia Pieper, Birgit Homburger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Dienstrechtsreform an den Hochschulen
konsequent für eine umfassende Hochschul-
reform nutzen
zu dem Antrag der Abgeordneten Maritta
Böttcher, Dr. Heinrich Fink, Angela Marquardt,
Gustav-Adolf Schur und der Fraktion der PDS
Bericht über die Erfahrungen bei der An-
wendung des Hochschulzeitvertragsgesetzes
Drucksachen 14/3900, 14/4382, 14/4415,
14/6212, 14/7336
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Eckardt
Thomas Rachel
Dr. Reinhard Loske
Ulrike Flach
Maritta Böttcher
c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
Drucksache 14/6852
a) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses
Drucksache 14/7356
Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Enders
Meinrad Belle
Cem Özdemir
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Petra Pau
b) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 14/7374
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Werner Hoyer
Gunter Weißgerber
Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
Oswald Metzger
Dr. Christa Luft
Zum Gesetzentwurf zur Änderung des Hochschulrah-
mengesetzes liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU/CSU und drei Änderungsanträge der Fraktion
der PDS vor.
Zum Gesetzentwurf zur Professorenbesoldung liegt
ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Vielleicht machen Sie eine Kurzintervention; dann kön-
nen Sie ja die Debatte verlängern.
Somit eröffne ich die Aussprache und gebe zunächst
der Bundesministerin Edelgard Bulmahn das Wort.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lie-
ben Kollegen und Kolleginnen! Vor Ihnen auf dem Tisch
liegt heute ein Gesetzeswerk für die Hochschulen in
Deutschland, das unsere Wissenschafts- und Forschungs-
landschaft erheblich verändern wird. Es ist die größte Re-
form seit den 60er-Jahren, eine Öffnung der Hochschulen.
Man kann mit Recht von einer Jahrhundertreform spre-
chen.
Die Bundesregierung reformiert und gestaltet eine For-
schungs- und Wissenschaftslandschaft, die lebendig und
kreativ ist, in der junge Menschen hervorragend ausgebil-
det werden und in der spannende Forschung möglich ist.
Mit dieser Reform des öffentlichen Dienstrechts an unse-
ren Hochschulen befreien wir den wissenschaftlichen
Nachwuchs in Deutschland, aber auch die Professorinnen
und Professoren aus einem starren und bürokratischen
Korsett,
das aus dem vorletzten Jahrhundert stammt, ins 21. Jahr-
hundert aber einfach nicht mehr passt. Das langwierige
und undurchsichtige Habilitationsverfahren, jahrelange
persönliche Abhängigkeiten von Professoren oder Insti-
tutsleitern und eine Besoldung, die vor allem das Älter-
werden, nicht aber die Leistung honoriert das alles ist
passé.
Die Entscheidung, die wir heute treffen, stellt die Wei-
chen neu. Es ist eine Entscheidung darüber, ob wir es ernst
damit meinen, unsere Hochschulen zu modernisieren und
ihnen die nötigen Freiräume und Verantwortlichkeiten zu
geben. Wir leiten damit eine neue Ära an unseren Hoch-
schulen ein: Wir sorgen dafür, dass junge Wissenschaftle-
rinnen und Wissenschaftler auch bei uns schon in ihrer
kreativsten Lebensphase mit Ende 20 oder Anfang 30 und
nicht erst mit über 40 Jahren wie bisher üblich selbststän-
dig und unabhängig forschen und lehren können.
Wir machen Schluss mit einer Besoldung, die Dienst-
alter honoriert, und honorieren stattdessen Leistung in
Lehre und Forschung.
Spitzenprofessoren erhalten nach diesem Gesetz künftig
auch Spitzengehälter. Damit stoppen wir die Abwande-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
19490
rung unserer besten Forscherinnen und Forscher und
Nachwuchswissenschaftler in andere Länder oder in die
Industrie. Außerdem stellen wir Fachhochschulen und
Universitäten besoldungssystematisch gleich. Unsere
Hochschulen werden damit endlich auch mit Hochschu-
len in anderen Ländern konkurrenzfähig.
Die ausführliche und breite Diskussion in der Öffent-
lichkeit und in den parlamentarischen Gremien bei uns in
den letzten Monaten hat gezeigt, dass es über die Ziele
und die Notwendigkeit dieser Reform einen breiten Kon-
sens gibt. Wir haben viele Anregungen aus der Diskussion
aufgenommen und in den beiden Gesetzentwürfen, dem
Fünften Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmen-
gesetzes und dem Gesetz zur Reform der Professoren-
besoldung, berücksichtigt.
Wir können es uns einfach nicht leisten, dass die besten
Köpfe ins Ausland abwandern, weil sie dort bessere Be-
dingungen vorfinden.
In den 90er-Jahren sind allein 15 Prozent der promovier-
ten Nachwuchswissenschaftler in die USA abgewandert.
Unsere Hochschulen haben ihnen also offensichtlich gute
Voraussetzungen für den weltweiten Wettbewerb um in-
teressante Stellen geboten, aber zu wenig attraktive Stel-
len im eigenen Land.
Mit der Einführung der Juniorprofessur schaffen wir
deshalb bei uns neue, auch im internationalen Vergleich
attraktive Stellen für den wissenschaftlichen Nachwuchs.
Die Bundesregierung wird die Länder bei der Einrichtung
der ersten 3 000 Juniorprofessuren mit 360 Millionen DM
kräftig unterstützen.
Das Interesse der Hochschulen an diesem Programm
ist überwältigend. Sie reißen sich geradezu um die Junior-
professuren.
Wir haben zig Nachfragen
und wir haben einen wirklichen Wettbewerb der Hoch-
schulen.
Das zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Die Juniorprofessur soll maximal sechs Jahre dauern
und wird die Regel sein. Sie ist aber nicht der einzige
Weg; lassen Sie mich auch das ganz klar sagen.
Eine wissenschaftliche Leistung in einer Forschungsein-
richtung, sei es am Max-Planck-Institut, am Fraunhofer-
Institut oder anderen wissenschaftlichen Instituten, an ei-
ner Hochschule, in der Wirtschaft oder einer Hochschule
im Ausland, stellt eine gleichwertige Voraussetzung für
eine Professur dar.
Deshalb ist ein Teil der Kritik, die geäußert worden ist,
einfach nicht passend. Wir haben Anregungen aufgegrif-
fen und eine entsprechende Regelung in den Gesetzestext
ausdrücklich aufgenommen.
Die Juniorprofessur ist durchweg auf eine wissen-
schaftliche Arbeit ausgerichtet und nicht nur auf den Er-
werb einer formalen Qualifikation. Die Juniorprofessoren
verfügen eigenverantwortlich über ein Forschungs-
budget und nehmen Lehrverpflichtungen wahr. Künftig
haben Professoren damit auch Lehrerfahrung, wenn sie
auf eine Lebenszeitprofessur berufen werden. Es wird
niemand abstreiten, dass das durchaus sinnvoll ist.
In Zukunft wird nicht mehr die abgebende, sondern die
aufnehmende Institution entscheiden, ob ein Nachwuchs-
wissenschaftler sich bewährt hat und auf eine Lebenszeit-
professur berufen wird. Dieses Verfahren ist international
üblich und macht unser Hochschulsystem damit für deut-
sche und ausländische Nachwuchswissenschaftler attrak-
tiver. Genau das ist eine Zielsetzung dieses Gesetzes.
Mit der Möglichkeit des tenure-tracks, den wir nach
den Beratungen im Deutschen Bundestag aufgenommen
haben, ermöglichen wir besonders guten Juniorprofesso-
ren die Fortsetzung ihrer Karriere an der gleichen Hoch-
schule. Junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
können so ihre berufliche Laufbahn besser planen. Das ist
sicherlich besonders wichtig für Wissenschaftlerinnen.
Auch damit schaffen wir internationale Vergleichbarkeit
sowie mehr Wettbewerbsfähigkeit. Dies wurde von den
Hochschulen gewollt; deshalb haben wir es im Gesetz
aufgenommen.
Die Habilitation ist heute nicht mehr zeitgemäß. Des-
halb verliert sie ihre Bedeutung als Königsweg zur Pro-
fessur.
Wir verlassen damit endgültig den Sonderweg bei der Be-
setzung von Professuren.
Auch die Schweiz und Österreich verlassen im Übrigen
diesen Weg. Damit wäre dieser Weg, wenn wir ihn wei-
tergingen, endgültig ein deutscher Sonderweg.
Für die Berufung wird künftig das Berufungsverfahren
selbst ausschlaggebend sein, wie es im Übrigen auch der
internationalen Praxis entspricht. Auch da ist wieder In-
ternationalität unser Grundsatz.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Bundesministerin Edelgard Bulmahn
19491
Frau Bun-
desministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kol-
legin Erika Schuchardt?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Gern.
Frau Ministerin,
Sie sagen, es sei eine Jahrhundertreform. Aber wie erklä-
ren Sie sich, dass die Auffassung der gesamten Hoch-
schulrektorenkonferenz im Widerspruch zu den Aussagen
steht, die Sie hier vorstellen?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Frau Kollegin Schuchardt, Ihre Aussage
ist falsch. Die HRK hat sich keineswegs gegen die Dienst-
rechtsreform gestellt.
Der zweite Absatz im HRK-Entwurf lautet:
Die HRK unterstützt die Ziele der Reform nach wie
vor.
Doch!
Zugleich fordert sie die Länder eindringlich auf, der
Gesetzesnovelle der Bundesregierung zum Besol-
dungsrecht im Bundesrat zuzustimmen.
Das sagt die HRK. Ich bitte Sie, einmal den gesamten Text
zu lesen und im Zusammenhang zu zitieren. Das genau
hat die HRK beschlossen. Das hat sie auch ausdrücklich
gesagt.
Frau Schuchardt, ich würde mich sehr freuen, wenn Sie
in den CDU-regierten Ländern dafür Sorge trügen, dass
die Gesetzesnovelle des Bundes angenommen wird, so
wie auch wir das tun werden. Darüber würde ich mich
wirklich sehr freuen.
Kein Nachwuchswissenschaftler wird gezwungen,
seine Lebensplanung zu verändern. Auch das ist ein
falscher Vorwurf.
Mit der Übergangsregelung von zehn Jahren stellen
wir sicher, dass diejenigen, die bereits habilitiert sind, ge-
rade an einer Habilitationsschrift arbeiten oder diese be-
reits geplant haben, diese auch zu Ende führen können.
Ich habe gehört, dass einige gesagt haben, das sei noch
nicht genug. Wollen Sie wahrlich eine Übergangsvor-
schrift von 20, 30 oder gar 50 Jahren? Das kann doch nicht
Ihr Ernst sein.
Auch für die wissenschaftlichen Mitarbeiter gibt es
Verbesserungen. Wir legen keine Jahresfristen für ein-
zelne Qualifikationsabschnitte fest. Die starre Fünfjahres-
grenze entfällt. Ab dem Ende des Studiums stehen in Zu-
kunft zwölf Jahre für die Qualifikation zur Verfügung.
Damit schaffen wir für den wissenschaftlichen Nach-
wuchs mehr Sicherheit und Transparenz.
Zu einem modernen Dienstrecht gehört vor allem ein
modernes Besoldungssystem. Mit dem neuen Dienstrecht
setzt die Bundesregierung ganz klar auf Leistung und En-
gagement. Nicht mehr das Älterwerden, sondern die Qua-
lität der Arbeit soll in Zukunft die Höhe des Gehalts be-
stimmen. Nur so davon bin ich zutiefst überzeugt
haben unsere Hochschulen die Chance, Spitzenwissen-
schaftler im Wettbewerb mit ausländischen Hochschulen
wie auch im Wettbewerb mit der Industrie durch eine
konkurrenzfähige Bezahlung zu gewinnen und zu halten.
Ich muss leider feststellen, dass viele eines noch nicht
begriffen haben das gilt auch für die Opposition : Zu-
künftig werden die Anfangsgehälter frei ausgehandelt es
gibt keine feste Einstufung in ein Anfangsgehalt mehr ,
wie das auch bei Führungskräften aus der Wirtschaft seit
langem der Fall ist.
Wir legen zum Schutz eine Untergrenze fest, unter die
bei den Verhandlungen nicht gegangen werden darf.
Was zählt, sind herausragende Leistungen in For-
schung und Lehre, die Übernahme besonderer Funktionen
oder Aufgaben in Hochschulgremien, Engagement bei der
Betreuung des wissenschaftlichen Nachwuchses oder
auch Erfolge beim Technologietransfer.
Für die individuelle Besoldung gibt es keine starren
Grenzen mehr, wenn dies zum Beispiel erforderlich ist,
um Spitzenkräfte, die auch von der Wirtschaft oder von
ausländischen Universitäten umworben werden, besser zu
bezahlen. Unsere Hochschulen werden damit endlich mit
Hochschulen in anderen Ländern konkurrenzfähig.
Unwahr ist im Übrigen die Behauptung, dass eine Kür-
zung bei den Ausgaben für Professorengehälter vorgese-
hen sei. Richtig ist vielmehr genau das Gegenteil, nämlich
dass eine solche Kürzung gesetzlich ausgeschlossen wird.
Die im Gesetzentwurf vorgesehene Kostenneutralität
garantiert, dass unter dem Strich kein Pfennig weniger für
die Professorenbesoldung ausgegeben wird.
Die Länder erhalten mit der Dienstrechtsreform die
Möglichkeit, ihr Personalbudget jährlich über die normale
Besoldungsanpassung hinaus um durchschnittlich 2 Pro-
zent zu erhöhen. Mit anderen Worten: Wir öffnen nach
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119492
oben; aber wir schließen eine Öffnung nach unten im Ge-
setzentwurf aus.
Auch bei der Ruhegehaltsfähigkeit stellt der vorlie-
gende Gesetzentwurf sicher, dass das bestehende Versor-
gungsniveau erhalten bleibt.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich wirklich
ganz klar sagen: Mit dieser Reform nutzen wir den Gene-
rationenwechsel an unseren Hochschulen und packen ein
Hauptproblem unseres Hochschulsystems an der Wurzel.
Wir geben damit unseren Hochschulen einen kräftigen
Modernisierungsschub und wir geben vor allem einen
starken Anreiz dafür, dass unsere besten Köpfe nicht mehr
ins Ausland abwandern, sondern unsere Hochschulen im
21. Jahrhundert dann auch aktiv gestalten.
Vielen Dank.
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Dr. Gerhard
Friedrich .
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Minis-
terin, jetzt haben Sie mich in aller Frühe völlig verwirrt.
Sie haben gesagt, wir sprechen heute über die größte
Hochschulreform seit den 60er-Jahren, und gleichzeitig
kommt aus meinem Büro ein Artikel aus der Zeitung Die
Welt mit einem sympathischen Bild von Ihnen; aber die
Überschrift heißt: Reförmchen pflastern ihren Weg.
Irgendetwas kann also nicht stimmen.
Frau Ministerin Bulmahn, Sie haben wahrscheinlich
vergessen, dass wir vor der letzten Bundestagswahl durch
die vierte Novelle zum Hochschulrahmengesetz gemein-
sam den Weg für umfassende Hochschulreformen in den
Ländern frei gemacht haben. Damals war es allerdings
noch üblich, dass sich die Regierung um breite Mehrhei-
ten bemüht hat.
Das zentrale Leitmotiv dieser Reform war: mehr Leis-
tung und auch mehr Profilierung der einzelnen Hoch-
schulen durch mehr Wettbewerb. Auch wir hatten schon
damals vor, in einem weiteren Schritt Leistungen durch
die Besoldung zu honorieren. Insofern haben wir eigent-
lich eine gemeinsame Ausgangsbasis.
Wir stimmen auch in vielen anderen Punkten überein.
Der zweite Schwerpunkt dieser Novelle ist ja eine Neure-
gelung der Qualifizierung des wissenschaftlichen Nach-
wuchses. Hier teilen wir die Auffassung, dass es erstens
sinnvoll ist, den Qualifizierungsweg in Deutschland ent-
sprechend dem, was international üblich ist, zu verkürzen,
und dass es zweitens angebracht ist, den Post-docs, also
den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nach der
Promotion, die sich auf eine Professur vorbereiten, die
Möglichkeit zu geben, früher selbstständig zu forschen
und zu lehren. Deshalb unterstützen wir auch die Junior-
professur.
Für uns ist es ein neuer Weg, zusätzliche wissenschaft-
liche Leistungen nach der Promotion nachzuweisen. Das
Monopol der Habilitation haben wir ja bekanntlich
schon früher gemeinsam abgeschafft; sie spielt in einigen
Fächern kaum noch eine Rolle.
Leider will die Regierungskoalition heute nicht nur ei-
nen zusätzlichen Qualifikationsweg aufzeigen und damit
auch mehr Wettbewerb erzeugen, sondern gleichzeitig die
Habilitation faktisch abschaffen.
In Ihrem Gesetz steht, dass die Habilitation, diese akade-
mische Prüfung, künftig ein Privatvergnügen des Einzel-
nen ist, die bei der Berufung keine Rolle mehr spielen
darf.
Um nicht missverstanden zu werden, zählen Sie in ei-
ner Ergänzung des § 44 Abs. 2 Satz 1 jetzt auch noch die
Alternativen zur Juniorprofessur auf und Sie lassen dabei
die Habilitation bewusst weg. Interessant ist, dass man
sich für die Professur jetzt auch im gesellschaftlichen Be-
reich qualifizieren kann. Die Gewerkschaftssekretäre ha-
ben also eine bessere Chance bei der Berufung als dieje-
nigen, die sich habilitiert haben.
Sie können unseren Eckpunkten zur Dienstrechts-
reform aus dem letzten Jahr entnehmen, dass wir nicht be-
reit sind, dafür Mitverantwortung zu übernehmen. Sie ha-
ben heute den Eindruck erweckt, als hätten Sie sehr viele
Vorschläge aus der Wissenschafts- und Hochschulszene
aufgegriffen. Tatsächlich stellen wir aber fest, dass Ihnen
ein Bündnispartner nach dem anderen abhanden gekom-
men ist.
Ihre Pläne zur Habilitation werden, soweit ich es
überblicken kann, eigentlich nur noch von der Mehrheit
des Wissenschaftsrates unterstützt. Die Hochschulrekto-
renkonferenz hat Ihnen in mehreren Punkten auch in
Sachen Habilitation ausdrücklich die Gefolgschaft ver-
weigert.
Alle großen Verbände der Hochschullehrer, zum Bei-
spiel auch die Hochschulrektorenkonferenz, fordern mehr
Rücksichtnahme auf die unterschiedlichen Fächerkultu-
ren. Darunter mag der eine oder andere sein, der die Juni-
orprofessur unterlaufen möchte.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Bundesministerin Edelgard Bulmahn
19493
Wir wollen das jedenfalls nicht. Wir haben Ihnen angebo-
ten, die Vorschrift, die das Unterlaufen verhindert und die
bereits in Ihrem Gesetzentwurf enthalten ist, dort zu be-
lassen und Sie zu unterstützen. Hätten Sie weitere Vor-
schläge gemacht, hätten wir Sie auch dabei unterstützt.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Besol-
dungsteil. Wir lehnen die zu niedrigen Grundgehaltssätze
ab. Sie haben in Ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme
des Bundesrates festgestellt, dass es keinen Rechtsan-
spruch auf Zulagen gebe. Das bestätigen wir. Es darf auch
keinen Rechtsanspruch auf Zulagen geben. Es kann doch
nicht Sinn von Evaluationsverfahren sein, erst einmal bei
allen Professorinnen und Professoren das Niveau des Ge-
halts auf das in der Verfassung geforderte Niveau anzuhe-
ben. Eine ständige Evaluation jeder evaluiert jeden und
danach wird gleichmäßig alles angehoben kann doch
nicht sinnvoll sein. Deshalb muss die in der Verfassung
geforderte amtsangemessene Besoldung schon durch die
Grundgehälter sichergestellt werden.
Wir schlagen vor ich wiederhole das noch einmal, um
die Beträge, die wir genannt haben, zu erklären , das
Grundgehalt W 2 am jetzigen Grundgehalt eines 35-jähri-
gen C-3-Professors und das Grundgehalt W 3 am jetzigen
Grundgehalt eines 35-jährigen C-4-Professors zu orien-
tieren. Danach würden wir mit ihnen darüber sprechen,
welches zusätzliche Einkommen gewünscht wird. Das
muss man sich durch Leistung verdienen; man bekommt
es nicht einfach, indem man in eine andere Altersstufe
aufrückt.
Wer weniger bietet, nimmt in Kauf, dass die Attrakti-
vität des Berufs des Hochschullehrers weiter schwindet.
In diesem Gesetzespaket gibt es ohnehin noch eine
Regelung, nämlich im Bereich des Ruhestandes, durch
die die Gefahr besteht, dass die Attraktivität sinkt. Es
steht dort nämlich nicht, dass sich alle gewährten Zu-
lagen auch im späteren Ruhegehalt abbilden. Viele
Sachverständige haben uns zu Recht auf die Gefahr auf-
merksam gemacht, dass das Versorgungsniveau der
Hochschullehrer durch diese Reform sinkt. Deshalb ap-
pellieren wir an die Länder, die Möglichkeit zu nutzen,
auch befristete Zulagen bei der Feststellung des Ruhe-
gehalts zu berücksichtigen.
Meine Damen und Herren, wir finden es sehr seltsam,
dass uns die Länder mehrheitlich auffordern, ihnen durch
ein Bundesgesetz zu verbieten, dass sie mehr Geld für ihre
Hochschulen bereitstellen. Das ist ein seltsames Selbst-
verständnis. Wir finden es aber noch seltsamer, dass sich
die Bundesbildungsministerin bereit erklärt, dieses Anlie-
gen auch noch zu unterstützen.
Wenn Sie sagen würden, dass Sie sich diesen Diktato-
ren, den Finanzministern, beugen müssten, dann hätte
ich dafür noch ein gewisses Verständnis. Ich habe aber
kein Verständnis mehr dafür, dass Sie diese Brüder dann
auch noch loben.
Dazu möchte ich nur feststellen, dass die Reform an
der Kostenneutralität zu scheitern droht.
Sie setzt nämlich die Bereitschaft der Mitglieder von Kol-
legialorganen voraus, den Spielraum für eigene Leis-
tungszulagen zu reduzieren, damit Spitzenleute, die hohe
Kosten verursachen, eingekauft werden können. Diese
Sorge haben wir. Deshalb appellieren wir an den Bundes-
rat bzw. an die Länder, für diese Reform zumindest in der
Übergangsphase mehr Geld bereitzustellen.
Vielen Dank.
Ich erteile
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dem Kollegen
Dr. Reinhard Loske das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will
mit dem beginnen, was uns eint, und mit dem enden,
worin Unterschiede bestehen. Über drei Punkte gibt es ein
Einvernehmen, nämlich erstens darüber, dass die Dauer
der Qualifikation des wissenschaftlichen Nachwuchses
in Deutschland zu lang ist, zweitens darüber, dass die
Postdoktoranden bei uns im internationalen Vergleich
über eine unzureichende Selbstständigkeit verfügen, und
drittens darüber, dass bei uns das Erstberufungsalter für
Professoren zu hoch ist.
Wenn man in Deutschland in den Vorolymp derjenigen
aufsteigen will, die vielleicht einmal Professor werden
könnten, dann muss man 13 Jahre zur Schule gehen, im
Durchschnitt sechs Jahre studieren, im Durchschnitt vier
bis fünf Jahre promovieren und sich sechs Jahre habilitie-
ren. Nebenbei orientiert man sich noch anders, bekommt
Kinder und geht eventuell einer Berufstätigkeit nach.
Dann ist man über 40 Jahre alt, wenn man Professor wird.
Wir finden, dass das entschieden zu spät ist. Das ist der
erste Punkt.
Zum zweiten Punkt: Die Selbstständigkeit unserer
Postdoktoranden ist im internationalen Vergleich ein-
fach zu gering. Anlässlich der ersten Lesung habe ich
schon gesagt: Ich würde es niemals so weit treiben, von
der Habilitation als einem Stadium künstlicher Infantilität
zu sprechen, wie das manche böse Zungen tun. Umge-
kehrt kann ich aber auch nicht akzeptieren, wenn bei-
spielsweise Herr Schiedermair feststellt, die Habilitation
sei die Gesellenprüfung.
Man muss einsehen, dass auch im Hochschulbereich das
Zeitalter der Gilden und Zünfte vorbei ist.
Ich habe eher die Sorge, dass manche glauben, sie würden
ihrer Gesellen verlustig gehen. Darum geht es nun wahr-
lich nicht.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Dr. Gerhard Friedrich
19494
Zum dritten Punkt: Das Erstberufungsalter von Pro-
fessoren ist zu hoch. Es liegt bei 42 Jahren. Ich bin der
Letzte, der nicht zugestehen würde, dass es bestimmte
Disziplinen gibt, in denen die wissenschaftliche Produk-
tivität jenseits des Alters von 40 Jahren am höchsten ist.
Das kann in bestimmten Geisteswissenschaften sein.
Auch geht es nicht darum, dem Jugendkult zu huldigen;
das ist nicht der Punkt. Erfahrung ist ein wichtiges Gut.
Dies wird auch in der Zukunft gerade in der Lehre so sein.
Aber eigenständiges Arbeiten mit allen Rechten und
Pflichten eines Professors kann im Alter von Anfang bis
Mitte 30 beginnen. Das ist auf internationaler Ebene so
und das sollte auch bei uns in Zukunft möglich sein.
Deswegen sehen wir hier Änderungen vor. Wir wollen,
dass an unseren Hochschulen junge Menschen eher in
Verantwortung kommen.
Jetzt komme ich zum vierten Punkt, der uns besonders
am Herzen gelegen hat: Herr Kollege Friedrich, ein Pro-
blem an unseren Universitäten ist, dass es eine zu geringe
Offenheit des Systems nach außen gibt. Die Vereinigten
Staaten, die Sie sonst immer in jeder Hinsicht loben,
zeichnen sich beispielsweise gerade dadurch aus, dass
Menschen aus unterschiedlichen Bereichen, zum Beispiel
aus der Wirtschaft, aus der Politik oder aus anderen ge-
sellschaftlichen Bereichen, temporär an die Universität
wechseln und dann wieder in ihren Bereich zurückkehren.
Solch eine Kultur der Offenheit und des Quereinstiegs
fehlt uns bisher. Das soll mit dem vorliegenden Gesetz
möglich gemacht werden. Das ist ein ganz wichtiger
Punkt.
Da geht es nicht vorrangig um Gewerkschaftsse-
kretäre, wenngleich ich das nicht grundsätzlich aus-
schließen will, Herr Kollege Tauss. Vor allen Dingen geht
es aber natürlich darum, dass Menschen, die in anderen
Bereichen, in der Politik, in der Wirtschaft und an anderer
Stelle, Erfahrungen gesammelt haben, an die Universität
wechseln können. Warum soll nicht jemand, der bei Am-
nesty International 20 Jahre lang die Abteilung für Men-
schenrechte geleitet hat, eine Professur im Bereich inter-
nationale Menschenrechte annehmen können? Das kann
ich mir sehr gut vorstellen.
So gesehen tun wir hier einiges. Es geht wahrlich nicht
darum, irgendwelche Zugangswege zu diskriminieren. Es
geht darum damit komme ich zur Habilitation , dass
in Zukunft die aufnehmende Institution darüber entschei-
det, ob jemand qualifiziert ist, und dass nicht die abge-
bende Institution eine entsprechende Prüfung abnimmt.
Das soll derjenige entscheiden, der den Bewerber auf-
nimmt.
Jetzt zum Stellenwert der Habilitation insgesamt
auch darüber haben wir schon oft gesprochen : Ich un-
terstütze wahrlich nicht diejenigen, die die Habilitation
durch den Kakao ziehen. Aber ich glaube schon, dass man
sagen kann: Wenn sich jemand auch in Zukunft habilitie-
ren will, dann heißt das nichts anderes, als dass er oder sie
ein zweites Buch schreibt. Ein guter Wissenschaftler wird
seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt immer dadurch er-
höhen, dass er ein zweites oder ein drittes Buch schreibt.
Insofern liegt hier überhaupt keine Benachteiligung vor.
Ganz im Gegenteil: Es ist so, dass die Qualifikation zur
Professur nicht mehr durch eine Prüfung, sondern durch
eine eigenständige wissenschaftliche Leistung nachge-
wiesen wird. Das ist der neue, tragende Gedanke unserer
Reform.
Ich komme abschließend zu denjenigen, die dabei sind,
sich zu habilitieren, sich gerade habilitiert haben oder da-
rüber nachdenken, sich zu habilitieren. Man muss ganz
klar sagen: Sie sind nicht die Verlierer dieser Reform. Im
Gegenteil: In Deutschland ist es so, dass in der nächsten
Dekade, in den vor uns liegenden acht bis neun Jahren,
sehr viele Türen offen stehen. Ungefähr 50 Prozent der
Vollprofessuren werden in diesem Zeitraum ersetzt. Da
wir logischerweise in diesem Zeitraum bislang kaum Ju-
niorprofessoren haben und vor 2007/2008 wenig Junior-
professoren haben werden, ist die Chance für diejenigen,
die sich gerade habilitiert haben, im Moment besonders
groß. Ihnen stehen alle Türen offen. Sie müssen nur hin-
durchgehen. Das ist der entscheidende Punkt.
Ich will einen weiteren Punkt nennen: den Doktoran-
denstatus. Auch er war uns sehr wichtig. Die Doktoran-
den haben außer in den Kollegs bisher keinen Status. Das
wird in Zukunft anders sein. Sie werden einen Status
bekommen. Vor allen Dingen haben wir es als Koalitions-
fraktionen im Gesetzentwurf durchgesetzt das war un-
serer Fraktion besonders wichtig , dass nicht nur die Pro-
motionsphase besser strukturiert wird, die Betreuung der
Promovierenden besser wird und auch zum Gegenstand
der Leistungsbezogenheit der Professorentätigkeit wird,
sondern dass ihnen darüber hinaus die Möglichkeit gege-
ben wird, akademische Schlüsselqualifikationen wie Mit-
telakquisitionen, Projektmanagement und eigenständige
Lehre an den Universitäten zu erlangen. Das ist für die
Doktoranden ein wichtiger Fortschritt. Das bereitet sie
besser auf das Berufsleben vor.
Ich fasse zusammen: Mit dem Gesetzentwurf, den wir
heute verabschieden, werden die deutschen Hochschulen
jünger, offener und internationaler. Als Aufgabe muss
man in der Tat markieren: Wir Bildungspolitiker müssen
aufpassen, dass die Finanzpolitiker in dieser Diskussion
nicht die Hegemonie gewinnen.
Die Ausgaben für Bildung müssen steigen. Das muss un-
sere gemeinsame Aufgabe sein.
Das Wort
hat nun die Kollegin Ulrike Flach für die Fraktion der
Freien Demokraten.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Dr. Reinhard Loske
19495
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Leider wird im Bundestag nicht über die In-
tentionen einer Reform abgestimmt, Frau Buhlmann;
denn diese teilen wir voll und ganz: Verkürzung der
Qualifikationsphasen, Attraktivität für Spitzenforscher
auch aus dem Ausland, Bezahlung nicht nach Dienstalter,
sondern nach Leistung. Das war der auch von Ihnen selbst
klar definierte Auftrag bei dieser Reform.
Genauso klar ist, dass Sie diesen Auftrag nur sehr unzu-
reichend erfüllt haben.
Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht. Was Sie uns
heute vorlegen, sind ein HRG-Rumpfgesetz und ein Pro-
fessorenbesoldungsgesetz, welches in wenigen Tagen im
Strudel der Bundesratsattacken versinken wird.
Selbstverständlich ist die Einführung der Juniorpro-
fessur richtig. Auch wir sind der Meinung: Junge Wis-
senschaftler sollen früher selbstständig forschen können.
Aber die von Ihnen gewählte Konstruktion krankt nach
Meinung der FDP an ihrer Ausgestaltung. Wie soll neben
den Lehrverpflichtungen, den Beteiligungen an Prüfun-
gen usw. eine Profilierung durch Forschung erfolgen?
Was soll aus denjenigen werden, die nach sechs Jahren
keine Professur erhalten? Was ist außer dem Verlassen der
Hochschule die Perspektive?
Warum gehen Sie mit der Axt an die Habilitation? Sie
können herumreden das haben Sie auch versucht , wie
Sie wollen: Faktisch schaffen Sie die Habilitation ab. Die
FDP will auch bei den Qualifikationswegen Wettbewerb.
Deshalb wollen wir es den Hochschulen selbst überlassen,
ob sie ihren akademischen Nachwuchs über Habilitation,
Juniorprofessur oder Qualifikation in der Wirtschaft ge-
winnen.
Das ist der entscheidende Unterschied in unserer Denk-
weise, Frau Bulmahn. Was Sie machen, ist nicht die Au-
tonomie der Hochschulen, sondern das Diktat des Staates.
Die Unzulänglichkeit Ihrer Gesetzentwürfe betrifft
aber auch das ganze Thema Finanzierung. Sie führen die
Juniorprofessur ein, ohne die Finanzierung abzusichern.
Damit finanzieren Sie sie auf Kosten der Assistentenstel-
len. Der Einstieg in die leistungsorientierte Bezahlung ist
richtig. Trotzdem werden die Hochschulen weiterhin
Spitzenwissenschaftler nicht spitzenmäßig bezahlen kön-
nen. Die Länder ziehen nicht mit. Wenn Sie sich bei den
Ländern nicht durchsetzen, Frau Buhlmahn, dann bleibt
dieses Gesetz reine Fassade.
Das ist der Augenblick der Wahrheit. Sie wissen, dass
Geld erforderlich ist, um aus dem Spatz, den Sie im Au-
genblick in der Hand haben, eine Taube zu machen. Dann
müssen Sie, Frau Bulmahn, auch selbst etwas ausgeben.
Sie sind zwar nicht der Zahlmeister der Länder, wie Sie
das immer so schön formulieren. Aber ohne die notwen-
dige Finanzausstattung pfeift der Wind durch alle Ecken
dieses Gesetzes.
Hinzu kommen wesentliche Strukturmängel. Das Thema
Beamtentum haben Sie nicht angepackt. Das Beamtentum
an den Hochschulen hätte längst abgeschafft werden müs-
sen. Sie nehmen außerdem einem großen Teil der Habili-
tanden und der Promovierenden ihre Zukunftschancen, weil
sie einerseits für die Juniorprofessur zu alt sind und weil an-
dererseits die Assistentenstellen abgebaut werden.
Frau Bulmahn, Sie haben im Verfahren zum eigenen
Gesetzentwurf zahlreiche Änderungsanträge gestellt. Die
Anträge der Oppositionsfraktionen wurden rundweg ab-
gelehnt. Bereitschaft zum Kompromiss konnten wir nicht
erkennen.
Wir können damit leben, dass Sie den Kompromiss nicht
gesucht haben. Die Betroffenen können es sicherlich nicht.
Für die
Fraktion der PDS spricht die Kollegin Maritta Böttcher.
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen!
Nicht das Gerede über die Herstellung der Chancen-
gleichheit, sondern die Herstellung der Chancen-
gleichheit ist Verfassungsgebot. Deshalb stellen wir
heute den Antrag, die Erhebung von Studienge-
bühren im HRG zu untersagen.
Frau Ministerin, das ist ein Zitat aus Ihrer Rede zur vier-
ten HRG-Novelle, die Sie kurz vor der letzten Bundes-
tagswahl gehalten haben. Sie haben 1998 eine Weiterent-
wicklung des HRG versprochen. Davon ist heute keine
Rede mehr. Nutzen Sie die Chance und stimmen Sie un-
serem Änderungsantrag zur Sicherung der Gebühren-
freiheit des Hochschulstudiums zu. Dann können wir
auch gemeinsam das neue HRG verabschieden. Die Stu-
dierenden warten darauf.
Noch einmal zurück zum Jahr 1998: Frau Abgeordnete
Bulmahn beklagte in der abschließenden Beratung der
vierten HRG-Novelle:
Studierende haben ein Recht darauf, ihre Anregun-
gen in den Prozess der inhaltlichen und strukturellen
Modernisierung der Hochschulen einfließen zu las-
sen. Dazu gehört auch die aktive Auseinandersetzung
mit gesamtgesellschaftlichen Problemen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119496
Deshalb wollen wir den Bundesgesetzgeber darauf
verpflichten, für ein Mindestmaß an Einheitlichkeit
im Bundesgebiet zu sorgen. Die Länder sollten ver-
pflichtet werden, an allen Hochschulen die Bildung
von verfassten Studentenschaften zuzulassen.
Sie haben bis heute keine Zustimmung zu dieser For-
derung. Nun meinen SPD und Grüne, der Zeitpunkt dafür
sei ungünstig. Ich frage Sie: Welcher Zeitpunkt ist günsti-
ger als der Tag, an dem der Bundestag über die Änderung
des HRG entscheidet?
Stimmen Sie also unserem Gesetzentwurf zu, wenn Sie es
wirklich ernst meinen.
Auch die vorgelegte Reform des Hochschuldienst-
rechts ist eine unvollkommene, ja zwiespältige Reform.
Die PDS erkennt durchaus an, dass das Fünfte Gesetz zur
Änderung des HRG im Hinblick auf die verknöcherte
Personalstruktur der Hochschulen eine ganze Reihe von
Fortschritten bringt. So begrüßen wir insbesondere die
Einführung der Juniorprofessur. Doch Ihr Reformgesetz
ist halbherzig. Von den Studierenden war schon die Rede.
Darüber hinaus denke ich an die Wissenschaftlerinnen.
Nach wie vor kommt an Deutschlands Hochschulen in der
höchsten Besoldungsgruppe C 4 auf 17 Professoren nur
eine Professorin. Frau Ministerin, ich begrüße es zwar
sehr, dass Sie den Anteil der Professorinnen bis 2005 auf
20 Prozent steigern wollen. Aber dann müssen wir endlich
zu Maßnahmen kommen, die wirklich greifen. Mit Ap-
pellen und gutem Willen der Hochschulleitungen ist es
nicht getan.
Die PDS beantragt daher heute, eine Vorrangregelung
in das Hochschulrahmengesetz aufzunehmen, wonach
40 Prozent aller Stellen, insbesondere auch die der neu zu
besetzenden Stellen für Juniorprofessoren, für qualifi-
zierte Frauen reserviert werden. Wenn sich Gleichstel-
lung bei Ihnen nicht in Lippenbekenntnissen erschöpfen
soll, dann stimmen Sie unserem Antrag zu!
Zu den vergessenen Interessengruppen gehören
schließlich die rund 100 000 Angehörigen des akademi-
schen Mittelbaus. Wir brauchen neben den Qualifikati-
onsstellen mehr Funktionsstellen, auf denen unbefristet
beschäftigte Wissenschaftler Wissenschaft als Beruf aus-
üben können. Wir fordern Sie daher auf, den Weg in eine
tarifliche Regelung der Beschäftigungsbedingungen für
das wissenschaftliche Personal freizumachen. Schließlich
beklagen die Doktorandinnen und Doktoranden zu Recht,
in der Dienstrechtsreform vergessen worden zu sein. Die
Einführung eines Doktorandenstatus in das HRG ist zwar
schön und gut; worauf es aber vor allem ankommt, ist eine
soziale Absicherung. Das Mindeste wäre die Einbezie-
hung in die gesetzliche Krankenversicherung. Die PDS
hat einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt; Sie
brauchen also nur noch zuzustimmen.
Meine Redezeit ist beschränkt; zum Professorenbesol-
dungsreformgesetz daher zum Schluss nur soviel: Die
PDS begrüßt grundsätzlich das Anliegen einer Stärkung
der Leistungsorientierung des wissenschaftlichen Per-
sonals. Wir halten es aber für falsch, dieses Ziel über das
Beamtenrecht zu verfolgen. Ich bin der festen Überzeu-
gung, dass auch auf diesem Feld die Tarifpartner am kom-
petentesten wären, eine wissenschaftsadäquate Lösung zu
finden. Ich hätte mir an diesem Punkt von der Bundesre-
gierung etwas mehr Mut zur Deregulierung, das heißt, zu
Wissenschaftsautonomie und mehr Partizipation der Be-
troffenen, gewünscht. Darauf kommt es an.
Stimmen Sie unseren Änderungsanträgen zu. Dann
können wir auch dem vorgelegten Gesetzentwurf zustim-
men.
Für die
SPD-Fraktion spricht der Kollege Dr. Peter Eckardt.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Ich kenne keinen Gesetz-
entwurf, bei dem ich im letzten Jahr soviel diskutiert habe,
in Deutschland herumgefahren bin und mit Betroffenen
an den Hochschulen gesprochen habe, wie es bei den Ent-
würfen zu den Hochschulreformen der Fall ist. Herr
Thomas Rachel, ich habe bei dieser Gelegenheit sehr viel
Zustimmung gefunden. Das trifft sowohl auf die Hoch-
schulrektorenkonferenz als auch auf den Wissenschaftsrat
zu. Ich denke, in diesem Punkt gibt es keinen Zweifel.
Man muss fairerweise aber auch bekennen, dass es kri-
tische Töne gegeben hat. Diese kritischen Töne haben sich
im Wesentlichen auf zwei Faktoren bezogen. Der erste Be-
reich betraf die perspektivisch vermeintlich schlechter
werdende Finanzlage, der zweite Bereich bezog sich auf
das Zauberwort Kostenneutralität. Um das deutlich zu
machen: Mit dem Verweis auf Kostenneutralität wird der
Versuch unternommen, bei dieser Reform den gesamten
Rahmen der Finanzierung nicht nach unten zu fahren.
In § 34 des Entwurfs zum Professorenbesoldungsre-
formgesetz Herr Minister Frankenberg, Sie werden ja
nach mir noch zu diesem Thema reden steht ganz deut-
lich: Überschreitungen des Vergaberahmens sind in Höhe
von durchschnittlich zwei vom Hundert zulässig. Sie ha-
ben, wenn ich es richtig gehört habe, nach Antritt Ihres
Ministeramts formuliert, Sie lehnten Kostenneutralität ab
und wollten den Vergaberahmen für die Professoren-
gehälter nach Entscheidung des jeweiligen Landes um
jährlich bis zu zwei Prozent ausgedehnt haben. Das halte
ich für in Ordnung und denke, dass es in diesem Punkt
keinen Dissens geben sollte. Es wäre gut, wenn Sie das
aufklärten.
In den fünf Minuten, die mir heute Morgen zur Verfü-
gung stehen, kann ich die Diskussion leider nur knapp zu-
sammenfassen und bewerten: Die sozialdemokratische
Bundestagsfraktion begrüßt und unterstützt die vorgeleg-
ten Reformgesetzentwürfe zur Modernisierung der deut-
schen Hochschulen und wird ihnen zustimmen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Maritta Böttcher
19497
Um den Erfolg der deutschen Wissenschaft im internatio-
nalen Wettbewerb sicherzustellen, wurde diese Reform
von allen ernst zu nehmenden Experten schon seit langem
gefordert. Sie muss jetzt endlich politisch in die Realität
umgesetzt werden. Dies ist unsere Verantwortung. Wir
alle sollten daher den Reformplänen zustimmen.
Kritische Positionen, die sich mit den vermeintlich sin-
kenden Chancen beim persönlichen Fortkommen befas-
sen, nehme ich auch heute noch sehr ernst. Sie können aber
die Richtigkeit der grundlegenden Strukturveränderun-
gen nicht erschüttern. Diese Reform verschafft der deut-
schen Wissenschaft und damit auch unserem Land viele
neue Chancen und Möglichkeiten. Unsere Wissenschaft
und Forschung und damit auch die Qualität der Lehre wer-
den mit diesen Reformen den Weg an die Spitze dieser
Welt nicht verfehlen und vorhandene Defizite überwinden.
Die Anhörung im Hause sowie die vielen im letzten
Jahr zu diesem Thema geführten Gespräche haben ge-
zeigt, dass die Betroffenen an den Hochschulen die Re-
form nicht nur hinnehmen, sondern sie auch aktiv gestal-
ten und unterstützen werden. In diesem Punkt bin ich mir
sehr sicher. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen an den
Hochschulen, dieser Reform mit Engagement zu einer er-
folgreichen Realisierung zu verhelfen. Auch die Länder
sind aufgefordert, in ihrem Entscheidungsbereich, der
sehr breit ist, diese Reform zu ergänzen, mit Leben zu er-
füllen und sie fortzusetzen. Die Hochschulen waren im-
mer dann sehr erfolgreich, wenn sie mit ihrer wissen-
schaftlichen Arbeit auf die Probleme von Wirtschaft und
Gesellschaft eingegangen sind. Auch dieses Ziel soll
durch die Reformgesetze verfolgt werden. Die Habilita-
tion ist eine Prüfungsleistung, die für diese neuen Fähig-
keiten sehr entbehrlich ist. In der tausendjährigen Ge-
schichte europäischer Hochschulen hat die Habilitation
nur in wenigen Jahren eine Rolle gespielt und sie war auch
damals für die akademische Leistungsfähigkeit nicht von
besonderer Bedeutung.
Dass die Habilitation von Herrn Rachel immer noch ver-
teidigt wird zum Beispiel vorgestern im Rheinischen
Merkur , obwohl viele seiner eigenen Leute völlig an-
dere Positionen vertreten, ist zumindest merkwürdig.
Politisch wichtig wäre es vielmehr, alle Gremien und
Institutionen an den Hochschulen an unsere Erwartung zu
erinnern, dass die Reformen an den Hochschulen dazu
genutzt werden, Frauen die gleichen Karrierechancen
einzuräumen wie Männern, um den Anteil der Frauen in
der Wissenschaft zu erhöhen. Hier wäre ein großes
Betätigungsfeld für alle die, die hier Kritik üben.
Ich fasse zusammen. Die geplanten Änderungen zum
Hochschulrahmengesetz und zur Besoldungsreform wer-
den unsere Hochschulen in die Lage versetzen, den inter-
nationalen Wettbewerb um die besten Köpfe erfolgreich
zu bestehen.
Da werden wir abwarten. Hochschulen sind in der Re-
gel in der Lage, auf das, was ihnen vorgegeben wird, sehr
angemessen zu reagieren und so ihren eigenen Erfolg si-
cherzustellen.
Ich bitte Sie deshalb, diesen Entwürfen zuzustimmen.
Für das
Land Baden-Württemberg erteile ich Herrn Minister Pro-
fessor Dr. Peter Frankenberg das Wort.
Hochschulen in Deutschland betreiben Forschung, Ent-
wicklung und Lehre auf hohem Niveau und das bereits
jetzt. Aber es gibt viele Randbedingungen, die die Hoch-
schulen hemmen, international voll wettbewerbsfähig zu
sein, und Wettbewerb ist der einzige Motor für Leistung.
Wenn die Wettbewerbschancen erhöht werden sollen und
wenn man schon über ein modernes Dienst- und Tarif-
recht redet, dann gehörte dazu, dass zumindest auch die
ZVS auf den Prüfstand gestellt wird.
Wir brauchen keine Detaillösungen, die nicht in das Sys-
tem passen, sondern einen umfassenden Ansatz von
Hochschulreform. Wir wollen in der Tat mehr Leistungs-
anreize im Besoldungssystem und wir wollen eine grö-
ßere Attraktivität der Hochschulen für den wissenschaft-
lichen Nachwuchs.
Wir sind uns also über die Ziele einer Reform größten-
teils einig, aber nicht über die Ausprägung dieser Reform.
Denn wie sonst ist es zu erklären, dass den Gesetzent-
würfen der Ministerin Bulmahn eigentlich von allen Sei-
ten, nicht nur von der Opposition, nicht nur von den Län-
dern, sondern auch von der Wissenschaft wer die
Anhörungen wirklich sorgsam verfolgt hat, weiß das ,
eine geharnischte Kritik entgegengestellt wird?
Ich kann lesen.
Durch diese Gesetze wird sich die Hochschulland-
schaft in Deutschland erheblich verändern; es fragt sich
nur, ob zum Besseren hin.
Warum die Kritik? Weil diese Reform letztlich zum
Gegenteil dessen führen wird, was ihr eigentliches Ziel
ist. Wir könnten uns über die Ziele verständigen. Dann
sollten wir uns auch über den Inhalt der Reform verstän-
digen können; denn lassen Sie mich das klarstellen ich
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Dr. Peter Eckardt
19498
bin nicht gegen eine Reform des Hochschuldienstrechts,
ich bin nur gegen diese Reform des Hochschul-
dienstrechts.
Es gibt eine berechtigte Kritik der Länder, es gibt eine
berechtigte Kritik der Oppositionsparteien und es gibt
konstruktive Änderungsanträge der Oppositionsparteien
hier im Bundestag. Ich verstehe überhaupt nicht, warum
man diese nicht in das Gesetz einbaut; denn diese Anträge
sind rein sachlicher Natur. Wenn Sie hier eine Sachdebatte
führen, in der Sache argumentieren und das Gesetz in der
Sache voranbringen wollen, dann stimmen Sie den Ände-
rungsanträgen zu. Dann kann aus dieser Reform noch et-
was Gutes werden.
Mein erster Kritikpunkt: Wenn man den Gesetzentwurf
genau liest, dann stellt man fest, dass die Entwurfsverfas-
ser von einer Kostenneutralität ausgehen. Ein Vergabe-
rahmen ist schön und gut, aber das kommt mir so vor, wie
wenn hier ein kleines Bild gekauft, in einen großen Rah-
men gestellt und von ihm dann gesagt würde: Jetzt haben
wir ein großes Bild. Der Rahmen nützt mir aber nichts;
ich brauche Mittel. Wer aber in der derzeitigen finanzpo-
litischen Situation in Deutschland glaubt, es stünden mehr
Mittel für die Professorenbesoldung zur Verfügung, dem
ist wie durch Nebel der Blick versperrt.
Es geht nicht um den Finanzminister, sondern um die
Wirtschaftskraft dieses Landes. Wir könnten lange da-
rüber diskutieren, wer diese Wirtschaftskraft fördert oder
nicht.
Ich habe, auch in der Öffentlichkeit, folgenden Satz zur
Kostenneutralität geprägt: Es gibt einen bulmahnschen
Dreisatz, der nicht aufgeht. Man kann nicht den einen,
nämlich den Spitzenprofessorinnen und -professoren es
handelt sich um Marktspitzenprofessoren , sehr viel
mehr geben, den anderen aber versprechen: Es gibt nicht
weniger, und gleichzeitig sagen: Es ist kostenneutral.
Diese Arithmetik da haben unsere Finanzminister
Recht geht nicht auf.
Es stimmt, dass das kein richtiger Dreisatz ist.
Das ist eben das Problem der Arithmetik dieser Reform.
Zweiter Kritikpunkt: Die vorgesehenen Grundgehäl-
ter von 7 300 DM und 8 800 DM können nach dem Ge-
setz auch nur als Grundgehälter gezahlt werden. Im Hin-
blick auf die Konkurrenzfähigkeit ist es furchtbar allein
schon aus Gründen der Optik , dass derartig niedrige
Gehälter überhaupt im Gesetz stehen. Es ist dadurch mög-
lich, dass Personen, die erst vor kurzem die Hochschule
absolviert haben, mehr verdienen als die Professoren, bei
denen sie Examen gemacht haben.
Auf die Grundgehälter kommt es wegen des Vergabe-
rahmens an; denn der Vergaberahmen engt die Leistungs-
zulagen ein. Nur 40 Prozent der Zulagen zur Grundver-
gütung sollen ruhegehaltfähig sein. Aus diesem Grunde
wird wir haben sorgfältig nachgerechnet das Lebens-
einkommen vieler Professorinnen und Professoren in
Deutschland in Zukunft abgesenkt sein.
Ich frage mich, ob wir mit der Absenkung des Lebensein-
kommens die Attraktivität des Hochschulsystems in
Deutschland für die Professorinnen und Professoren er-
höhen werden.
Herr Minis-
ter Frankenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Dr. Peter Eckardt?
Herr Minister, ist meine In-
formation richtig, dass Sie als Vizepräsident der HRK die-
sen Reformgesetzen zugestimmt haben?
den Beschluss der HRK nachher noch zu sprechen kom-
men. Ich war das einzige Präsidiumsmitglied der HRK,
das gegen diesen Reformentwurf gestimmt hat.
Ich werde Ihnen zum Schluss noch erklären, warum das
so war. Außerdem werde ich Ihnen meine Interpretation
der Beschlüsse der HRK vom 6. November geben.
Das ist die richtige Interpretation; schließlich war ich
sechs Jahre lang Vizepräsident.
Wir haben im baden-württembergischen Wissen-
schaftsministerium die Konsequenzen dieser Reform
sorgfältig durchgerechnet. Ich nenne Ihnen einige Bei-
spiele: Ein zukünftiger W-3-Professor an einer Fachhoch-
schule wird, wenn man die zur Verfügung stehenden
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Minister Dr. Peter Frankenberg
19499
Mittel und den Vergaberahmen betrachtet, weniger ver-
dienen, als ein C-3-Professor an einer Fachhochschule
heute verdient. Wie soll ich dies unseren Fachhochschul-
professoren als eine attraktive Reform verkaufen?
Ein anderes Beispiel ist der Wegfall des Übergangs von
C 2 nach C 3 an den Fachhochschulen. Für 50 Prozent der
Professorinnen und Professoren an den Fachhochschulen
ergibt sich daraus eine Schlechterstellung gegenüber
ihrem derzeitigen Einkommen. Die Fachhochschulen
sind die eigentlichen Verlierer der durch die Bundesregie-
rung initiierten Reform.
In Ergänzung zu dem vom Kollegen Friedrich ange-
sprochenen Thema Juniorprofessuren, möchte ich noch
einen Satz anführen. Die Einführung von Juniorprofes-
suren ist, wie das Gesetz, im Grunde eine gute Idee; die
Ausführung ist allerdings schlecht gemacht:
Die Grundvergütung ist auch hier starr. Wir brauchen
aber flexible Grundvergütungen. Wir können dieses Amt
mit dieser Grundvergütung nicht attraktiv gestalten. Die
Berufungsverfahren waren auch in der Vergangenheit ent-
scheidend. Im Übrigen sei darauf verwiesen, dass wir be-
reits heute 50 Prozent der Professuren auch an den Uni-
versitäten ohne Habilitation besetzen.
Es stellt sich die Frage nach den Alternativen. Wir
könnten Spitzenprofessoren im außertariflichen Ange-
stelltenverhältnis bezahlen. Ich persönlich sehe nämlich
nicht ein, dass man so viel wie Spitzenkräfte in der Wirt-
schaft zu Bedingungen des Berufsbeamtentums verdie-
nen kann. Auch dieser Frage hätten Sie sich stellen müs-
sen, wenn Sie wirklich eine Reform hätten machen
wollen.
Zum Abschluss noch einige Ausführungen zur Inter-
pretation des Beschlusses der Hochschulrektorenkonfe-
renz vom 6. November. Die Hochschulrektorenkonferenz
hat einstimmig erklärt: Wir unterstützen die Reform der
Bundesregierung nicht länger. Das ist der entscheidende
Satz.
Ich kann ihn als ehemaliger Vizepräsident der HRK sehr
gut interpretieren. Die HRK unterstützt wie wir die Ziele
der Reform, ist aber bezüglich der Juniorprofessuren und
der Ausgestaltung des Hochschuldienstrechtes der Mei-
nung, dass es so nicht geht und dass die Reform negative
Auswirkungen haben wird.
Meine Damen und Herren, gehen Sie auf die Ände-
rungsvorschläge der CDU/CSU-Fraktion ein. Verbessern
Sie das jetzt vorliegende Gesetz. Wenden Sie Schaden
vom deutschen Hochschulsystem ab.
Vielen Dank.
Für die
SPD-Fraktion spricht der Kollege Peter Enders.
Herr Präsident! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Es passt ja richtig gut, dass
jetzt nach Herrn Minister Frankenberg ein Innenpolitiker
spricht. Ich möchte mich deshalb ganz auf die
beamtenrechtlichen Aspekte konzentrieren. Es ist in der
Tat so, dass heute schon Professoren als Angestellte be-
schäftigt werden können. Es liegt ja nun an den Ländern,
von welcher Möglichkeit sie Gebrauch machen. Wir sind
uns natürlich darüber im Klaren, dass dieses Gesetz zu-
stimmungsbedürftig ist; deshalb kann man nicht an den
Wünschen der Länder vorbei ein Gesetz machen. Wenn
viele Länder dies nun einmal wünschen, dann müssen wir
schauen, ob diese Wünsche ins System passen und umge-
setzt werden können.
Lassen Sie mich vor allen Dingen auf zwei strittige
Sachverhalte eingehen, die Sie angeführt haben, erstens
auf das Thema der Grundbezüge: In die Beschlussvor-
lage, wie sie Ihnen jetzt vorliegt, sind die Besoldungser-
höhungen aus den letzten zwei Tarifrunden eingearbeitet
worden. Wir müssen also von höheren Beträgen ausge-
hen. Wenn Sie dann einen Vergleich anstellen, stellen Sie
fest, dass diese Verdienstmöglichkeit durchaus der eines
C-3-Professors in der sechsten Besoldungsdienstalters-
stufe entspricht. Ganz so schlecht ist das also nicht. Hier
setzt natürlich dann die Auseinandersetzung darüber an,
was Grundbezüge bzw. Mindestbezüge sind. Natürlich
können bei einer Berufung schon Zulagen vereinbart wer-
den. Insoweit kommt man da zu vernünftigen Ergeb-
nissen.
Die zweite Bemerkung zum Thema der Ruhegehalt-
fähigkeit: Die 40 Prozent sind ja nicht aus dem hohlen
Bauch gegriffen worden. Wenn Sie sich die Struktur der
bisherigen Bezüge ansehen, stellen Sie fest, dass die Dif-
ferenz in der Tat bei den Leistungszulagen liegt, wir uns
also von der Ruhegehaltsfähigkeit der Bezüge wieder den
alten Besoldungsstrukturen annähern. Auch insoweit ist
dieses Gesetz ganz in Ordnung.
Lassen Sie mich noch etwas Grundsätzliches zum
Thema der Leistungsbezüge sagen. Ich finde es in Ord-
nung und sehe auch keinen Widerspruch zum Art. 5 des
Grundgesetzes, in dem es um Freiheit von Wissenschaft
und Forschung geht, darin, dass Evaluation durchgeführt
wird und Wissenschaftler, die im Bereich der Forschung
tätig sind, bewertet werden. Bei der Ausgestaltung der
Leistungsbezüge und der Festlegung des Verfahrens sind
ja sowieso die Länder gefordert. Im Übrigen weise ich da-
rauf hin, dass wir anders als in der Dienstrechtsreform von
1997 diesmal eine Verfallsklausel eingeführt haben. Bis
zum 31. Dezember 2004 muss das unbedingt von den
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Minister Dr. Peter Frankenberg
19500
Ländern umgesetzt werden, sodass wir endlich im Dienst-
rechtsbereich zu Leistungsbezügen kommen und nicht
wie bisher sehr viele Länder dieses Problem einfach vor
sich her schieben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich noch ein paar Worte zu den Fachhochschulen sa-
gen. Es ist gerade von Ihnen darauf hingewiesen worden,
dass es in der Tat eine ganze Reihe von C-2-Professoren
gibt, die im Prinzip auf C-3-Stellen sitzen. Das Verfahren
ist so offen, Herr Minister Frankenberg, dass sich auf eine
neu ausgeschriebene W-2-Stelle durchaus ein C-2-Profes-
sor bewerben und im Rahmen der Verhandlungen wäh-
rend des Berufungsverfahrens Zulagen aushandeln kann,
wodurch er nachher genauso gut wie ein C-3-Professor
dasteht. Das heißt: Derjenige, der sich bewährt hat,
kommt genauso gut weg wie im alten System. Ihren Vor-
wurf können Sie also nicht aufrechterhalten.
Auch diesen Vorwurf nicht.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich damit zum
Schluss kommen. Die vorgelegte Dienstrechtsreform ist
voll und ganz in sich stimmig. Ich wünsche, dass die Län-
der sie wirklich umsetzen. Damit ist der Weg in eine
Wissenschaftslandschaft des 21. Jahrhunderts frei. Wir
kommen in der Tat zur Konkurrenzfähigkeit der deut-
schen Hochschulen. Lassen Sie uns auf diesem Weg ge-
meinsam vorangehen!
Danke.
Für das
Land Hessen erteile ich das Wort der Frau Staatsministe-
rin Ruth Wagner.
Verehrter
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So habe ich
mir immer meine Zeitzeugenschaft zu Beginn einer neuen
Ära, einer Jahrhundertreform vorgestellt.
Was den heutigen Zeitungen und der öffentlichen Mei-
nung zufolge der großen Mehrheit der deutschen Hoch-
schulen dienen soll, ist ein Reförmchen. Sie, meine Da-
men und Herren von der Koalition, schicken sich an, ein
klassisches Gesetz der Halbschwangerschaft zu be-
schließen. Das ist Tatsache.
Ich will dies in der kurzen Zeit, die mir zur Verfügung
steht, umreißen.
Erstens. Meine Damen und Herren, Sie behaupten, in-
ternationale Wettbewerbsfähigkeit herzustellen und die
Leistungsfähigkeit der Hochschulen zu erhöhen.
Das starre Grundgehalt bei der Professorenbesoldung,
das Sie vorschlagen und das schon in der ersten Stufe ei-
nen Leistungszuschlag verlangt, um das heutige Grund-
gehalt zu erreichen,
bedeutet in Wahrheit die Quadratur des Kreises, die auch
Sie nicht zu lösen in der Lage sind.
Wenn Sie als Bundesregierung im Verein mit der Mehr-
heit Ihrer Finanzminister
Kostenneutralität sozusagen zur zweiten Säule dieser Re-
form machen,
dann werden Sie eine leistungsbezogene Besoldung in
Deutschland nicht erreichen.
Gemeinsam mit meiner Fraktion habe ich den Vor-
schlag gemacht, aus dem auszubrechen, was in Wahrheit
das Handicap einer Besoldungsreform in Deutschland ist,
nämlich aus dem deutschen Beamtenrecht.
Sie, Frau Bulmahn, sagen, frei verhandelte Verträge seien
heute möglich.
Aber doch nicht mit diesen beamtenrechtlichen Vorstel-
lungen!
Es ist doch nicht wahr. Sie können doch heute niemanden
aus Chicago oder Texas bekommen, wenn Sie nicht wirk-
lich auch an die Versorgungsleistungen herangehen.
Hohe Spitzengehälter verpflichten die Leute dazu, eigen-
ständige Altersvorsorge zu treffen.
Das können sie nicht, wenn Sie bei diesen Sätzen bleiben.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Peter Enders
19501
Deshalb hat das Land Hessen in den Bundesrat den Vor-
schlag eingebracht, wenigstens Bandbreiten zu schaffen,
die Flexibilität erlauben. Das haben Sie mit Ihrer Mehr-
heit abgelehnt.
Ich werde das erneut in den Bundesrat einbringen.
Lassen Sie mich zweitens zur Juniorprofessur sagen:
Ich halte die Schaffung der Juniorprofessur für einen
guten zusätzlichen Weg, für ein Modell zur Qualifizierung
des wissenschaftlichen Nachwuchses. Drei von fünf hes-
sischen Universitäten sind in den Modellversuch, den
Frau Bulmahn dankenswerterweise eröffnet hat, einge-
stiegen.
Wir unterstützen diesen Versuch mit hessischem Geld.
Marburg und die Humboldt-Universität waren die bei-
den ersten; Frankfurt und Darmstadt folgen.
Meine Damen und Herren, was wir nicht wollen, ist,
dass dieser Weg zur Regel wird, anstatt nach wie vor Viel-
falt gelten zu lassen. Das ist der eigentliche Punkt.
Drittens. Damit ist verbunden, dass Sie ein verkapptes
Habilitationsverbot einführen wollen.
Frau Bulmahn, die Position, die Sie hier vortragen, ist von
der Realität weit entfernt. Die Habilitation hat interna-
tional nach wie vor ein hohes Ansehen und einen hohen
Rang.
Wir müssen uns mit diesem Qualifikationsnachweis über-
haupt nicht hinter angelsächsischen Mustern verstecken.
Deshalb sage ich Ihnen: In den Geisteswissenschaften,
in den Rechtswissenschaften und in den Wirtschaftswis-
senschaften ist die Habilitation als Nachweis wissen-
schaftlicher Qualifikation notwendig.
Trotzdem haben wir um dem vorzubeugen, Herr Kol-
lege in Hessen in den zwei Jahren, in denen ich im Amt
bin, 50 Prozent der Professorenstellen ohne Habilitation
ausgeschrieben. Dies ist richtig, weil wir den Wechsel von
der Wirtschaft in die Wissenschaft, besonders in die Inge-
nieurwissenschaften und Naturwissenschaften, wollen.
Frau Minis-
terin Wagner, Sie haben selbstverständlich das Recht,
über Ihre Redezeit selbst zu verfügen. Aber ich muss Sie
darauf hinweisen, dass die angemeldete Redezeit
abgelaufen ist.
Herr Präsi-
dent, ich komme zum Schluss.
Deshalb sage ich Ihnen, meine Damen und Herren: Da
wir wirklich wollen, dass aus diesem Reförmchen noch
eine tragfähige Reform wird, werden wir im Bundesrat
konstruktive Nachbesserungen einbringen. Daher wird
das Land Hessen den Vermittlungsausschuss in dieser
Frage anrufen.
Vielen Dank.
Ich schließe
die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Fünften Geset-
zes zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes und an-
derer Vorschriften auf den Drucksachen 14/6853 und
14/7336. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung empfiehlt unter Nr. 1 seiner
Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Es liegen ein Änderungsan-
trag der Fraktion der CDU/CSU sowie drei Änderungsan-
träge der Fraktion der PDS vor, über die wir zuerst
abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/7371? Wer stimmt dage-
gen? Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist mit den
Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS ge-
gen die Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/7389? Wer stimmt dagegen?
Wer enthält sich? Dieser Änderungsantrag ist mit den
Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS abge-
lehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/7392? Wer stimmt dagegen?
Enthaltungen? Auch dieser Änderungsantrag ist mit den
Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS ab-
gelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/7393? Gegenprobe! Enthal-
tungen? Auch dieser Änderungsantrag ist mit den Stim-
men des Hauses gegen die Stimmen der antragstellenden
Fraktion abgelehnt.
Ich bitte nunmehr diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. Wer stimmt dagegen? Enthaltungen?
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stim-
men von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der
PDS angenommen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Staatsministerin Ruth Wagner
19502
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer
stimmt dagegen? Enthaltungen? Der Gesetzentwurf
ist mit der gleichen Stimmenmehrheit wie in der zweiten
Beratung angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktion der PDS zur Absicherung der verfassten Stu-
dierendenschaft auf Drucksache 14/5760. Der Ausschuss
für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 14/7336, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. Gegenprobe! Enthaltun-
gen? Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den
Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS abge-
lehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die
weitere Beratung.
Tagesordnungspunkt 20 b: Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, For-
schung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache
14/7336. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Be-
schlussempfehlung, den Antrag der Fraktion der PDS auf
Drucksache 14/3900 zur Personalstruktur- und Dienst-
rechtsreform an Hochschulen und Forschungs-
einrichtungen abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? Gegenprobe! Enthaltungen?
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hau-
ses gegen die Stimmen der PDS angenommen.
Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik-
folgenabschätzung empfiehlt unter Nr. 4 seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion der CDU/CSU auf der Drucksache 14/4382 mit dem
Titel Eckpunkte für eine Reform des Hochschuldienst-
rechts. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?
Gegenprobe! Enthaltungen? Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grü-
nen und PDS gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Ent-
haltung der FDP angenommen.
Unter Nr. 5 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 14/7336 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/4415
mit dem Titel Dienstrechtsreform an den Hochschulen
konsequent für eine umfassende Hochschulreform nut-
zen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Ge-
genprobe! Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen
und PDS gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der
CDU/CSU angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 6 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der PDS auf Drucksache 14/6212 mit dem Titel
Bericht über die Erfahrungen bei der Anwendung des
Hochschulzeitvertragsgesetzes. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? Gegenprobe! Enthaltungen?
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD,
Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stimmen der
PDS bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen.
Tagesordnungspunkt 20 c: Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Reform der Professorenbesoldung, Drucksachen 14/6852
und 14/7356. Der Innenausschuss empfiehlt, den Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung anzunehmen.
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer
stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
14/7381? Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, Bünd-
nis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. Gegenstimmen? Enthaltungen? Der Gesetz-
entwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der an-
deren Fraktionen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Ge-
genprobe! Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit
der gleichen Mehrheit wie in der zweiten Beratung ange-
nommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Kultur und Medien
zu dem Antrag der Abgeordneten
Günter Nooke, Markus Meckel, Werner Schulz
sowie weiteren Abgeordneten
Errichtung eines Einheits- und Freiheitsdenk-
mals auf der Berliner Schlossfreiheit
Drucksachen 14/3126, 14/7209
Berichterstattung:
Abgeordnete Eckhardt Barthel
Dr. Norbert Lammert
Dr. Antje Vollmer
Hans-Joachim Otto
Dr. Heinrich Fink
Die Fraktionen haben sich auf eine Aussprachedauer
von einer Dreiviertelstunde verständigt. Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich erteile als erstem Redner dem Kollegen und Parla-
mentarischen Staatssekretär Stephan Hilsberg für die
Fraktion der SPD das Wort.
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung:
Ich stehe hier in Solidarität mit denen, die diesen Antrag
für ein Einheits- und Freiheitsdenkmal auf der Berliner
Schlossfreiheit gestellt haben. Selbst habe ich diesen An-
trag nicht mit eingebracht und ich hatte mir das damals
auch genau überlegt. Aber die Intentionen dieses Antrags
habe ich immer geteilt. Mich haben eher taktische Mo-
mente von den Antragstellern unterschieden. Überhaupt
ist mein Eindruck, dass die breite Mehrheit dieses Hauses
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
19503
die hohe Wertschätzung der in dem Antrag enthaltenen
zentralen Werte von Einheit und Freiheit teilt und ge-
meinsam der Auffassung ist, dass diese zu den höchsten
Gütern unseres Volkes zählen.
Dies wird sich auch in unserer heutigen Debatte zeigen.
Schwierig wird es immer dann, wenn Einheit und Frei-
heit ideologisch instrumentalisiert werden. Manchmal
reicht es schon, wenn sie parteipolitisch instrumentalisiert
werden.
Meine Damen und Herren, heute ist der 9. November.
Vor zwölf Jahren war die Maueröffnung, vor 63 Jahren die
Kristallnacht. Damals wurden in deutschen Städten Juden
wie Vieh gejagt. Vor 83 Jahren wurde aus einem Fenster
dieses Hauses heraus die spätere Weimarer Republik aus-
gerufen. Welch ein Auf und Ab ist mit diesem Datum ver-
bunden! Der heutige Tag ist für diese Debatte wirklich gut
gewählt. Der 9. November ist mit den höchsten und bes-
ten, aber auch mit den niedrigsten und traurigsten Ge-
fühlen unseres Volkes verbunden. Er trifft unsere Gesell-
schaft in einem zentralen Punkt: in unserem
Selbstverständnis. Was wollen wir als Bürger, als Gesell-
schaft, aber auch als Nation sein?
Bekanntlich konstituiert sich der Mensch erst durch
seine Freiheit als Bürger. Erst in Freiheit kann er ent-
scheiden, Verantwortung ausüben und am politischen Le-
ben sowie an der politischen Willensbildung teilhaben.
Erst in Freiheit kann ein Mensch bestimmen, was aus ihm
werden soll, erst in Freiheit kann er mit entscheiden, was
aus seiner Gesellschaft werden soll. Erst in Freiheit wird
ein Mensch zu einem sozialen Wesen; denn eine Gesell-
schaft braucht ihre Bürger als Menschen, die sich frei und
nicht geduckt und gezwungenermaßen entscheiden.
Ein Staat, der seinen Bürgern die Freiheit raubt, nimmt
ihnen ihr höchstes Recht. Durch die Freiheitsberaubung
seiner Bürger wird ein Staat erst zu einer Diktatur und zu
einer Gefahr, zunächst im Inland und dann im Ausland,
wie wir es erlebt haben.
Deshalb, meine Damen und Herren, dürfen wir Diktatu-
ren wie das Dritte Reich, aber auch die DDR in Deutsch-
land nie wieder dulden.
Manchmal habe ich den Eindruck, als sei Freiheit für
uns heute schon fast zu normal geworden so sehr, dass
eher über die vermeintlichen Schattenseiten einer freien
Gesellschaft als über ihre Notwendigkeit diskutiert wird.
Dies ehrt uns zwar, aber es zeigt auch eine gewisse Blind-
heit; denn bei Lichte betrachtet gibt es keine dunklen Sei-
ten von Freiheit, wohl aber viel Egoismus, im Grunde also
Verantwortungsverweigerung anderen wie auch sich
selbst gegenüber. Freiheit ohne Verantwortung, das geht
nicht auf. Davor muss sich eine Gesellschaft schützen.
Eine Gesellschaft muss sich ihrer zentralen Werte be-
wusst sein; anderenfalls drohen sie ihr verloren zu gehen.
Sie braucht einen Ort, an dem sie die zentralen Werte wie
Freiheit physisch sichtbar machen kann, eben ein Denk-
mal.
So wie ein Muttermal in unserer Sprache den Begriff für
ein einzigartiges Erkennungszeichen darstellt, so lässt ein
Denkmal Vorstellungen, ja ganze Vorstellungswelten in
uns wachsen und so kann man mit einem Denkmal auch
die äußerst abstrakten Begriffe Freiheit und Einheit für
Generationen, ganze Geschlechter und auch die unter-
schiedlichsten sozialen Gruppen dinglich, begreifbar und
fassbar machen. Aber es muss gut gemacht sein. Der Ort
muss gut gewählt sein. Er muss nicht nur historisch, son-
dern eben auch städtebaulich passen. Deshalb kann man
ein solches Freiheits- und Einheitsdenkmal nicht übers
Knie brechen.
Freiheit, meine Damen und Herren, war für mich wie
für viele Millionen Mitbürger in der DDR ein Zauberwort.
Einige von ihnen das ist spürbar sind heute zwar tief
frustriert über die vermeintlichen oder tatsächlichen Ent-
täuschungen, die die Zeit nach der Wende gebracht hat.
Aber niemand will die gewonnene Freiheit und die Ein-
heit missen und fast niemand will wieder zurück.
Dies zeigt, wie tief der Freiheitswillen auch in Ost-
deutschland verankert ist; nicht nur dies ist eine Ge-
meinsamkeit von Ost- und Westdeutschland.
Haben also die Deutschen zu ihrer Freiheit ein relativ
ungebrochenes Verhältnis, zu ihrer Nation haben sie es
nicht. Das liegt natürlich an unserer Geschichte. Die bei-
den Diktaturen und die deutsche Teilung haben viel
Schmerz und auch viele Trümmer hinterlassen, aber sie
haben auch Irrtümer und Neurosen in unserem Volk be-
wirkt. Nicht alles davon ist heute bereits aufgearbeitet.
Heute sind wir eine gleichberechtigte westliche bzw.
europäische Nation, so wie Frankreich, so wie England
oder Polen, aber auch wie die USA. Das war nicht selbst-
verständlich und das haben auch noch nicht alle in unse-
rem Land nachvollzogen. In diesem Sinne sind wir eine
normale Nation, nicht aber in Bezug auf unsere Ge-
schichte. Sie ist leider einzigartig.
Wir verdanken es bestimmt vielen, dass wir heute über-
haupt wieder eine Nation sind, doch Sie entschuldigen,
wenn ich sage, dass wir es zuerst der friedlichen Revo-
lution in der DDR verdanken.
Ohne sie und die mit ihr verbundene Entmachtung der
SED hätten die Ostdeutschen keine Freiheit erlangt und
ohne die selbst erkämpfte Freiheit der Ostdeutschen hät-
ten auch die Deutschen nicht in freier Selbstbestimmung
ihre Einheit wiedererlangt.
Die Einheit gelang, weil die Ostdeutschen auf jedes
Sendungsbewusstsein, auf jede Missionierungsidee der
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Stephan Hilsberg
19504
übrigen Welt verzichtet hatten. Sie wollten keine beson-
dere Demokratie sein, sie wollten keinen dritten Weg ge-
hen oder aber en passant gleich besser sein als die alte
Bundesrepublik. Sie wollten nur eines: Freiheit und
Selbstbestimmung.
1989 galt, was auch schon 1949 gegolten hat, wie dies
die Väter des Grundgesetzes in Bad Godesberg aufge-
schrieben haben. Auch sie wollten nichts anderes sein,
nichts anderes als das für sich beanspruchen, was für alle
anderen westlich-europäischen Nachbarn selbstverständ-
lich war und was diese den Deutschen damals nicht ab-
schlagen konnten: Freiheit und Selbstbestimmung. Alles
andere wäre auch 1989 schief gegangen, denn die Einheit
war damals nicht selbstverständlich, auch wenn manche
glauben, dass der Druck auf der Straße und die Bewegung
des großen friedlichen Aufstands den Rest von allein ge-
bracht hätte.
Erinnern Sie sich noch an jenen Staatsmann, der da-
mals sagte: Ich liebe Deutschland so sehr, dass ich am
liebsten zwei davon hätte? Oder erinnern Sie sich an die
Gefühle vieler unserer kleinen Nachbarnationen, die nicht
immer sehr Segensreiches von unserem Land erfahren ha-
ben? Woher sollten da der Wunsch und das Vertrauen in
ein dauerhaftes friedliches Zusammenleben kommen?
Nein, die deutsche Einheit war nicht selbstverständ-
lich. Es war trotz aller Voraussetzungen hohe Staatskunst
nötig, um sie damals zustande bringen zu lassen. An eines
muss man auch erinnern: Es waren die USA, die
nachdrücklich und unbeirrbar an der deutschen Einheit
festgehalten und sie auch gegen die damalige Sowjet-
union durchgesetzt haben.
Angesichts dieser außenpolitischen Situation war es
wohl richtig, 1989 in Ostdeutschland nicht die Einheit an
die erste Stelle zu rücken, sondern eben die Freiheit. Es
war richtig, jede Form von Nationalismus oder isolierter
und verfrühter Behandlung der deutschen Einheit sofort
in die Schranken zu verweisen. Klug und bescheiden
musste damals vorgegangen werden. Dies waren der
Schlüssel und der Kurs zur Wiedererlangung der deut-
schen Einheit 1989 und 1990. Bescheidenheit war da-
mals die Schlüsseltugend. Wer hätte in der ersten Hälfte
des letzten Jahrhunderts gedacht, dass Bescheidenheit zu
einer Schlüsseltugend der Deutschen würde?
Doch diese Bescheidenheit darf nicht mit einem Man-
gel an Stolz oder gar an Selbstachtung verwechselt wer-
den, erst recht nicht mit einem Mangel an politischem
Willen. Wir haben unsere Nachbarn nicht getäuscht. Wir
sind im Sinne der Demokratie eine normale westeupä-
ische Nation geworden. Deutschland ist, wie es Heinrich
August Winkler formulierte, angekommen auf seinem
langen Weg nach Westen. Dies bedeutet übrigens auch,
dass wir die in den langen Jahren der Teilung erfahrene
Solidarität beispielsweise von den USA heute zu-
rückgeben. Es bedeutet auch, dass wir unseren Bündnis-
verpflichtungen zwar nicht unkritisch, aber uneinge-
schränkt nachkommen.
Heute ist zu beobachten, dass die Unterstützung dafür
in Ostdeutschland längst nicht so stark ist wie in den alten
Bundesländern, obwohl es auch hier viele kritische Stim-
men gibt. Dies ist vor dem Hintergrund der geschichtli-
chen Erfahrungen erklärbar; aber es ist auch erklärbar und
rational begreifbar zu machen, dass wir die deutsche Ein-
heit ohne die Bündnisverpflichtung der Bundesregierung
und die erfahrene Solidarität heute nicht hätten. Dies muss
auch in Ostdeutschland deutlich gesagt werden.
Bescheiden sind wir wieder eine Nation geworden und
bescheiden sind wir, diese Nation. Hierzulande ist es nicht
nötig, dass wir unsere Zugehörigkeit zu unserer Nation
mit irgendwelchen Winkelementen oder kleinen Fahnen
dokumentieren, wie dies für andere Nationen üblich, aber
auch völlig selbstverständlich ist. Denn es darf nicht pas-
sieren, dass wir diese Bescheidenheit wieder für eine
Welttugend ausgeben oder gar meinen, anderen Völkern
damit ein Beispiel geben zu können. Wir Deutschen soll-
ten über niemanden wieder die Nase rümpfen und wir
sollten trotzdem Freiheit und Demokratie, Menschen- und
Bürgerrechte als das ansehen, was sie sind, nämlich uni-
versell und damit auch zu empfehlen für Völker, die
noch heute meinen, ohne sie auszukommen.
Es ist unsere spezielle Gratwanderung, Zurückhal-
tung zu üben und uns dennoch über den Wert unserer
Form von Freiheit und Demokratie bewusst zu sein. Die-
ses unser nationales Grundverständnis in ein Denkmal für
Freiheit und Einheit zu gießen, wie es der Ausschuss für
Angelegenheiten der neuen Länder meines Erachtens zu
Recht gefordert hat, das ist eine wahrhaft große Heraus-
forderung für den Bundestag und für jeden Künstler, der
einst diesen Auftrag bekommen wird. Es macht nichts,
dass der Bundestag diesen Vorschlag heute voraussicht-
lich ablehnen wird. Er ist richtig und er wird sich durch-
setzen. Wie sagt der Volksmund so schön: Gut Ding will
Weile haben.
Darüber hinaus muss die Einheit noch an vielen Stel-
len unseres Landes vollendet werden. Sie ist ja auch so-
zial zu verstehen. Wenn aber in Ostdeutschland die Ar-
beitslosigkeit manchmal noch doppelt so hoch ist wie im
Schnitt in den alten Bundesländern, dann sind hier noch
große Defizite zu konstatieren. Es gibt weiterhin viel zu
tun, für Demokraten, für Leute, die durch Arbeit beweisen
wollen, dass unsere Idee von 1989/90 richtig war und dass
sie sich durchsetzen wird.
Doch gerade angesichts der vielen Arbeit und der
großen Herausforderungen, die heute vor uns liegen, wäre
es auch gut und wichtig, den zentralen Werten unserer Ge-
sellschaft, der Freiheit und der Einheit, als Symbol dieser
Berliner Republik und als Symbol unseres demokratischen
Selbstverständnisses an einem zentralen, bedeutsamen Ort
ein künstlerisch gelungenes Denkmal zu setzen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile
das Wort dem Kollegen Günter Nooke. Er spricht für die
CDU/CSU-Fraktion.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Stephan Hilsberg
19505
Herr Präsident! Sehr ge-
ehrte Damen und Herren! Als Erstes möchte ich mich für
die staatstragende Rede von Stephan Hilsberg bedanken.
Es ist ja ein Gruppenantrag, über den wir heute hier reden.
Ich finde es gut, dass wir uns noch einmal erinnern. Heute
vor zwölf Jahren fiel die Mauer, wie es immer ein wenig
salopp formuliert wird. Wir erinnern uns an ein legendä-
res Missgeschick, das dem damaligen Politbüromitglied
Günter Schabowski am Abend des 9. November unterlief,
als er seinen Sprechzettel falsch interpretierte und freie
Reisemöglichkeiten ab sofort verkündete. In der Folge
dieses Irrtums strömten die Berliner zu Tausenden an die
Grenzübergänge. Die völlig überforderten Grenzwächter,
von denen einer die Information an seine Kollegen gab:
Wir fluten jetzt, konnten den Strom nicht mehr aufhal-
ten.
Es wurde darauf hingewiesen: Wir alle wissen, dass
dieses Ereignis nur der Schlusspunkt einer Entwicklung
war. Das, was zu diesem Mauerfall vor zwölf Jahren
führte, die friedliche Revolution der Ostdeutschen,
gehört zu den positiven Bezugspunkten deutscher Ge-
schichte, einer Geschichte, die bekanntlich gerade im
20. Jahrhundert viele Tiefen erlebt hat.
Die friedliche Revolution vom Herbst 1989 war die
Voraussetzung für die deutsche Einheit. Eigentlich muss
man sich die Frage stellen, warum es in einem Land, das
zweifellos Affinitäten zu Denkmälern hat, nicht schon
längst ein Denkmal für dieses Ereignis gibt. Ich halte es
mit den 177 Befürwortern unseres Gruppenantrages für
angemessen, dass gerade in der Mitte der Bundeshaupt-
stadt mit einem Freiheits- und Einheitsdenkmal daran er-
innert wird.
Wenn die vielen Besucher unserer Hauptstadt in deren
historische Mitte kommen, dann könnten sie in absehba-
rer Zeit folgendes Panorama erleben: Am sowjetischen
Ehrenmal in Tiergarten vorbei gelangen die Besucher an
der Skulptur der Ruferin über die Mauer hin zum Reichs-
tag. Von da aus wird sie ihr Gang hinüber zum Denkmal
für die ermordeten Juden Europas führen, danach zu der
historischen Meile Unter den Linden. Das Brandenburger
Tor im Rücken geht es am frisch renovierten Denkmal
von Friedrich dem Großen vorbei, unübersehbar die
Standbilder der Brüder Wilhelm und Alexander von
Humboldt und gegenüber auf dem Bebelplatz das in den
Boden eingelassene Mahnmal zur Bücherverbrennung.
Vorbei an der beeindruckenden Pieta von Käthe Kollwitz
in Schinkels Neuer Wache, gegenüber, etwas versteckt
noch, die Offiziere der Befreiungskriege, wird man bald
auf der anderen Seite vor einer großen Baustelle stehen,
dem Berliner Schloßplatz. Am ehemaligen DDR-
Staatsratsgebäude erinnert noch das Portal an das Schloss,
von dessen Balkon aus 1918 die erste deutsche Republik
ausgerufen wurde, die bekanntlich 1933 scheiterte.
Der Platz auf dem Sockel der Schloßfreiheit, der Ende
des 19. Jahrhunderts für das Reiterstandbild Wilhelms I.
errichtet wurde, ist wie kein anderer Ort in der Hauptstadt
geeignet, ein solches Denkmal für die einzige erfolgreiche
Revolution für Freiheit und Einheit zu errichten.
Die Tatsache, dass ein Steinwurf von diesem Ort ent-
fernt in der ehemaligen Volkskammer der DDR am
23. August 1990 der Beschluss zur staatlichen Wieder-
vereinigung gefasst wurde, unterstreicht diesen histori-
schen Anspruch.
Ich will wiederholen, was ich am 13. April 2000 bei der
Einbringung des Antrags für ein Freiheits- und Ein-
heitsdenkmal in diesem Hohen Hause ausgeführt habe:
Dieser Ort ist viel zu wichtig, als dass er vielleicht
nur Abstellplatz für Baucontainer und Anlegeplatz
für Kaffeefahrten mit den Spreedampfern sein sollte.
Als ich mit einer kleinen Gruppe bereits 1998 die Ini-
tiative für ein solches Denkmal ergriff, konnten wir in
kürzester Zeit sehr prominente Befürworter für das Pro-
jekt gewinnen. Darunter waren unter anderem die SPD-
Politiker Richard Schröder und Klaus von Dohnanyi so-
wie der damalige Präsident des Zentralrats der Juden in
Deutschland, Ignaz Bubis.
Mir ist deshalb nicht verständlich, warum zum Beispiel
die Kollegin Angelika Krüger-Leißner ihre ablehnende
Haltung dem Antrag gegenüber damit begründen konnte,
die Notwendigkeit eines solchen Denkmals zu dieser Zeit
an diesem Platz sei zu bezweifeln. Ich denke, auch das,
was Stephan Hilsberg hier eben gesagt hat, macht deut-
lich, dass man das sehr wohl anders sehen kann.
Des Weiteren gaben Sie damals an, der Zeitpunkt sei
ungeeignet, es werde mit einem solchen Denkmal ein
falsches Zeichen gesetzt, da der Einigungsprozess noch
nicht abgeschlossen sei. Soweit das Zitat aus dem Pro-
tokoll der Sitzung des federführenden Kulturausschusses.
Herr Fink von der PDS sekundierte und gab außerdem
Entschuldigung die etwas kryptische Begründung, im
vorliegenden Antrag sei von der Erinnerung an die Revo-
lution nicht die Rede. Da müssen Sie einfach nur den An-
trag richtig lesen. Ich werde bei alledem das Gefühl nicht
so recht los, dass es sich um unangebrachte und unsach-
gemäße Kritik handelt, die vielleicht sogar die prinzipielle
Ablehnung der friedlichen Revolution der Ostdeutschen
verbergen soll.
Das hoffe ich allerdings nicht. Aber das muss man hier
dann auch anders sagen. Ich finde nur, verehrte Kollegin
Krüger-Leißner und Herr Fink, wir sollten darüber reden.
Ich glaube, das ist nicht Ihre Meinung. Ihre Begründung
zur Ablehnung des Antrages im Kulturausschuss ist für
mich zumindest fragwürdig.
Uns die Gelegenheit zu geben wie es auch die Aus-
schussvorsitzende, Frau Griefahn, machte den Antrag
zu überarbeiten und zu irgendeinem späteren Zeitpunkt
noch einmal vorzulegen ist ein vorsichtig formuliert
durchsichtiges Manöver, zumal Sie keinerlei Angaben
dazu machen, welche Stellen des Antrages denn über-
arbeitet werden sollen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119506
Frau Krüger-Leißner meint, ein Denkmal zur Erinne-
rung an die friedliche Revolution und die Wiederherstel-
lung der staatlichen Einheit der Deutschen sei jetzt nicht
möglich, weil der Einigungsprozess noch nicht abge-
schlossen sei. Was soll das? Die zahllosen kunstvollen Es-
says, in denen über angebliche oder tatsächliche mentale
Unterschiede zwischen Ost und West referiert wird, wird
es auch in den nächsten Jahren noch geben. Wir Deutsche
sind nun mal so. Dazu kann man stehen, wie man will.
Aber unzweifelhaft ist doch, dass es die friedliche Revo-
lution und die staatliche Einheit in Deutschland gegeben
hat. Beide Ereignisse gehören nun wirklich zum Besten,
was die deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert aufzu-
weisen hat.
Mit einem Denkmal an diesem Ort würde diesem posi-
tiven Bezug meines Erachtens in angemessener Weise ein
äußeres Zeichen gesetzt. Ich glaube sogar, dass ein sol-
ches Denkmal den Prozess der so genannten inneren Ein-
heit eher beschleunigen würde. Gerade aus der Sicht der
Ostdeutschen ist das wichtig; denn sie hatten in den letz-
ten Jahren manchmal das Gefühl, dass ihr ureigenster Bei-
trag zur deutschen Einheit, nämlich die friedliche Revo-
lution, ein wenig in den Hintergrund des öffentlichen
Interesses getreten war.
Ich glaube, dass mit dem vorliegenden Antrag zur Er-
richtung eines Einheits- und Freiheitsdenkmals, den par-
teiübergreifend 177 Kolleginnen und Kollegen dieses
Hohen Hauses unterschrieben haben, eine gute Vorausset-
zung gegeben ist, diesem positiven Bezugspunkt der deut-
schen Geschichte ein würdiges äußeres Zeichen zu setzen.
Leider ist der positiven Beschlussfassung des Ausschus-
ses für Angelegenheiten der neuen Länder und unserem
Vorschlag, es Freiheits- und Einheitsdenkmal zu nennen
und damit die korrekte Reihenfolge festzusetzen, im fe-
derführenden Ausschuss für Kultur und Medien nicht ge-
folgt worden.
Ich bitte Sie deshalb auch im Namen von Kollegin-
nen und Kollegen aus vier Fraktionen dieses Hohen Hau-
ses , die Beschlussempfehlung des Kulturausschusses
abzulehnen. Ich glaube, auch die Rede von Stephan
Hilsberg hat deutlich gemacht, dass es dafür gute Gründe
gibt.
Danke schön.
Der Re-
debeitrag der Kollegin Dr. Antje Vollmer, Bündnis 90/Die
Grünen, wird zu Protokoll gegeben.1)
Ich gebe nunmehr das Wort der Kollegin Cornelia
Pieper für die Fraktion der FDP.
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! In der Tat, es handelt sich um einen frak-
tionsübergreifenden Antrag und das ist gut so, denn das
Thema der deutschen Einheit sollte nicht nur unser Volk,
sondern dieses Haus einen und nicht spalten. Die Antrag-
steller waren sich durchaus bewusst, dass das Ereignis der
friedlichen Revolution 1989, des Falls der Mauer, herbei-
geführt durch die Ostdeutschen, eine historische Stunde
war. Es war die Stunde der Demokratie, es war die Stunde
des Volkes, das mit Montagsdemonstrationen seine
Stimme für mehr Freiheit und Bürgerrechte erhob. Das
Ergebnis war die deutsche Einheit, durch eine kluge Poli-
tik politisch vollendet.
Die Vollendung der inneren Einheit bleibt die Aufgabe
für uns Deutsche und es bleibt auch die Aufgabe, Leis-
tungen, Lebensleistungen von Ostdeutschen mehr anzu-
erkennen. Es bleibt ferner die Aufgabe, das historische Er-
eignis der friedlichen Revolution mehr anzuerkennen. Es
war die einzige friedliche Revolution, die es je in der Ge-
schichte dieser Welt gab. Es ist ein historisch einmaliges
Ereignis, für viele in Deutschland vielleicht eine Selbst-
verständlichkeit geworden, für uns Liberale wird es nie
eine Selbstverständlichkeit sein.
Ich sage auch, angesichts der Ereignisse am 11. Sep-
tember dieses Jahres sollte uns diese friedliche Revolu-
tion ganz bewusst noch einmal in Erinnerung gerufen
werden.
Gerade als Mahnmal gegen Krieg und Terrorismus, gegen
Gewalt, als Denkmal für Frieden und Freiheit hätte solch
ein Denkmal besonders heute eine unvergleichliche Sym-
bolik, zudem in der Bundeshauptstadt Berlin. Es wäre ein
Zeichen für neu gewonnenes Selbstvertrauen mündiger,
selbstbewusster Bürger, ein Symbol für Patriotismus. Es
wäre ein Symbol für ein neues, modernes nationales
Selbstbewusstsein.
Umso unverständlicher ist mir und meiner Fraktion die
Ablehnung dieses Antrages durch eine Allianz aus SPD
und PDS.
Ja, ich weiß, dass Sie diese Argumentation nicht ertra-
gen. Aber es ist leider die Realität; es steht im Protokoll
des Ausschusses.
Als ich davon erfuhr, dass der federführende Aus-
schuss für Kultur und Medien den Ihnen heute zur Ab-
stimmung vorliegenden Antrag mit den Stimmen der SPD
und der PDS abgelehnt hat, hat es zumindest mir die Spra-
che verschlagen,
weil ich weiß, dass viele Kollegen gerade aus der SPD-
Fraktion diesen Antrag unterstützt haben. Dieser Koa-
lition wollten sich anscheinend nicht einmal die Grünen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Günter Nooke
19507
1) Anlage 4
anschließen, denn bei der Schlussabstimmung im feder-
führenden Ausschuss für Kultur und Medien waren sie
zumindest laut Protokoll nicht anwesend. Frau
Vollmer hat ja auch heute wieder ihre Rede zu Protokoll
gegeben.
SPD und PDS begründeten ihre Ablehnung damit, die
Berliner Schlossfreiheit sei der falsche Platz.
Nein, mein Kollege Nooke hat hier zu Recht schon da-
rauf hingewiesen: Es ist genau der richtige Ort, wo solch
ein Denkmal stehen sollte.
Es ist nicht nur der zentrale Ort für die friedliche Re-
volution, für Freiheit und Demokratie 1989, es ist über-
haupt der Ort der bürgerlichen Revolution. Es ist der
Ort vor dem Schloss, wo 1848 die bürgerliche Revolution
stattgefunden hat, eine blutige Revolution. Ich finde es
ganz wichtig, dass an diesem Ort, wo später eine friedli-
che Revolution stattgefunden hat, symbolisch deutlich ge-
macht werden kann, welche Bedeutung solch ein Ereignis
hatte; immerhin ist die deutsche Einheit wieder hergestellt
worden.
Die Schlossfreiheit ist der Ort, wo das Denkmal Wil-
helms I. stand. Es ist also eigentlich ein wilhelminischer
Platz. Aber man hätte dieser wilhelminischen Architektur,
dieser monarchischen Kultur durch ein neuartiges Denk-
mal für Freiheit und Demokratie die republikanische Be-
scheidenheit entgegenstellen können. Auch deshalb ist es
der richtige Ort.
Meine Fraktion bedauert außerordentlich wie wir es
in der Abstimmung wohl erleben werden , dass seitens
SPD und PDS der Beschlussvorlage aus dem Ausschuss
für Kultur und Medien zugestimmt wird.
Ich habe jegliche Wertschätzung für die Meinung von
Herrn Hilsberg und anderer Kollegen Ihrer Fraktion.
Aber Ihre Begründung im Ausschuss zumindest wie ich
sie dem Protokoll entnehmen konnte war wirklich fa-
denscheinig und nicht nachvollziehbar.
Und da war doch noch etwas! Da war noch etwas, das
nannte sich Chefsache Chefsache neue Bundesländer,
Chefsache Aufbau Ost. Wenn ich hier zur Regierungsbank
schaue, dann sehe ich den Staatsminister für Kultur, aber
sonst niemanden von der Bundesregierung, der zuständig
wäre und sich für dieses Thema interessierte. Lippenbe-
kenntnisse über die Vollendung der inneren Einheit rei-
chen nicht. Wir wollen endlich Taten sehen statt Worte
hören. Deswegen werden wir dieser Beschlussvorlage
nicht zustimmen können.
Vielen Dank.
Für die
Fraktion der PDS spricht der Kollege Professor
Dr. Heinrich Fink.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Ich stimme Herrn Hilsberg
zu: Es ist schon ein historisches Datum, dieser 9. Novem-
ber. In vierfacher Hinsicht ist heute an den 9. November
zu erinnern. Insofern ist der Tag, an dem wir über dieses
Thema reden, ein bedenkenswertes Datum.
Wir reden heute nicht über irgendein Denkmal auf ir-
gendeinem Platz in der Hauptstadt, sondern über das Ein-
heits- und Freiheitsdenkmal, das auf dem Schlossplatz
stehen soll, in der historischen Mitte Berlins. Es gilt fest-
zustellen, dass dieses Areal eine städtebaulich-architekto-
nische Gesamtkonzeption braucht, bei der jedes Teil des
künftiges Ensembles zu einem Ganzen wird.
Darum muss die Schlossplatzgestaltung mit großer
Sorgfalt und darum bitte ich wirklich, Frau Pieper
ohne ideologische Verengung angegangen werden. Von
uns kommt die ideologische Verengung nicht. Diese Ge-
samtkonzeption ist seit Jahren in der Diskussion, liegt
aber noch nicht vor. Wir meinen, dass die historische
Mitte Berlins als Gegengewicht zum Regierungsviertel
und zum Potsdamer Platz öffentlicher Raum bleiben bzw.
wieder werden sollte.
Deshalb wäre der Einzelbeschluss zu einem Denkmal
nach meiner Meinung ein unsachgemäßer Eingriff in ei-
nen offenen Prozess.
In der Begründung der Antragsteller zur Errichtung des
Einheits- und Freiheitsdenkmals heißt es, dass der Prozess
der europäischen Einigung durch den Sieg der freiheitli-
chen, demokratischen und nationalen Bewegungen erst
seine gesamteuropäische Dimension erhalten habe. Die
Antragsteller sehen also die friedliche Revolution von
1989 in der DDR als die Vollendung der niedergeschla-
genen Revolution von 1848. Dass bei diesem kühnen
Brückenschlag die erste deutsche Republik, nämlich die
Weimarer, nicht erwähnt ist,
ist sehr bedenklich.
Ich frage: Kann man ernsthaft wollen, dass die kaiser-
liche Sockelvakanz mit einem Denkmal für die deutsche
Wiedervereinigung und Freiheit besetzt wird?
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Cornelia Pieper
19508
Lässt sich die 1989er-Bürgerrechtsbewegung der DDR in
Metallguss, Marmor oder vielleicht besser noch: als Per-
petuum mobile in Erinnerung behalten? Übrigens waren
die Friedensgruppen das ist eine Begründung, die noch
fehlt , die von dem Helsinki-Verständigungsprozess be-
stimmt waren, doch ein wichtiger Teil der Bürgerbewe-
gung der DDR. Die kirchlichen Gruppen sammelten sich
im konziliaren Prozess in Erinnerung an das 1934 von
Dietrich Bonhoeffer geforderte Konzil für den Frieden
unter dem Thema: Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung
der Schöpfung. Dies sind Themen, die aus historischer
Sicht nicht mit dem Denkmalstichwort Freiheit und Ein-
heit abgedeckt werden. Die biblische Verheißung
Schwerter zu Pflugscharen war das zentrale Symbol für
Christen und Nichtchristen. Das soll doch in Erinnerung
bleiben.
Im vorliegenden Antrag wird ausführlich beschrieben,
dass die Wiedervereinigung Deutschlands 1990 im Ge-
gensatz zu Bismarcks Einigungswerk von oben dem un-
beirrten Engagement unzähliger Basisgruppen von unten
zu verdanken ist. Natürlich stimmt das. Deshalb bin ich
davon überzeugt, dass die Basis, also die Bürgerinnen und
Bürger in den neuen Bundesländern, über ihr Denkmal
mitentscheiden sollten und nicht nur wir als Mandatsträ-
ger im Bundestag unmittelbar darüber bestimmen.
Es hat auch in diesem Hause heftige Debatten darüber
gegeben, ob überhaupt ein Denkmal für die ermordeten
Juden Europas errichtet werden soll. Der Bau dieses
Denkmals hat vor wenigen Tagen begonnen. Ich bin dank-
bar, dass wir am heutigen 9. November 2001 dies sagen
können.
Aber das Denkmal für die im Namen Großdeutschlands
vernichteten Sinti und Roma, für die Euthanasieopfer und
für die Lesben und Schwulen ist bis jetzt noch nicht vor-
handen.
Wir sollten es uns mit der Entscheidung für ein
Einheitsdenkmal schon schwer machen. Vielleicht sollten
wir es überhaupt der nachfolgenden Generation überlas-
sen, ob sie uns ein Denkmal setzen will.
Warten Sie nur.
Meine Fraktion kann aus diesen Gründen dem Antrag
nicht zustimmen.
Vielen Dank.
Ich erteile
dem Kollegen Eckhardt Barthel für die Fraktion der SPD
das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Ich möchte vorwegschicken:
Der Beitrag von Herrn Hilsberg hat mich sehr beein-
druckt. Ich glaube, das war der richtige Beitrag am richti-
gen Tag und am richtigen Ort.
Ich gehe davon aus, dass in diesem Hause hinsichtlich die-
ses Beitrages ein Konsens besteht.
Jetzt sprechen wir aber ich erlaube mir, darauf hin-
zuweisen über die Frage, ob aufgrund der Inhalte, die
Herr Hilsberg dargestellt hat, zum jetzigen Zeitpunkt not-
wendigerweise ein Denkmal entstehen muss. Ich bitte Sie
wirklich, dies nicht miteinander zu vermischen. Es wäre
meines Erachtens ein zu kurzer Schluss.
Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, dann diskutie-
ren wir bereits seit ungefähr anderthalb Jahren über den
vorliegenden Antrag. Meines Erachtens hat es am Anfang
gute Gespräche gegeben. Herr Nooke, wir haben zusam-
mengesessen und uns Gedanken darüber gemacht, was
verändert werden sollte. Ich freue mich zum Beispiel da-
rüber, dass aus dieser Diskussion heraus die Frage, ob das
Denkmal nun als Einheits- und Freiheitsdenkmal oder
als Freiheits- und Einheitsdenkmal bezeichnet werden
soll, beantwortet werden kann. Ich erinnere mich in die-
sem Zusammenhang an Markus Meckel, der hier sagte:
Erst war die Freiheit und dann war die Einheit. Das
sollte aufgenommen werden.
Es gab weitere Diskussionspunkte und viele sind noch
ungeklärt. Ich denke nur an die Frage des Ortes. Sie ha-
ben sich darauf festgelegt, dass es auf der Schlossfreiheit
errichtet werden soll. Herr Nooke, Sie selbst haben in Ih-
rer Rede am 13. April 2000, als wir hier über die Errich-
tung eines Denkmals diskutiert haben, zur Frage des Or-
tes gesagt: Was den Ort anbelangt, so kann und wird man
sicher darüber diskutieren. Es gibt nämlich andere Stim-
men, die durchaus für dieses Denkmal sind und die die
Frage in die Debatte werfen: Wie ist es zum Beispiel mit
Leipzig? Darüber kann man sprechen. Ich halte es für
ein bisschen zu verengt, zu sagen: Dieser Ort muss es sein.
Frau Pieper, Sie haben bezüglich des Denkmals jetzt
alles so festgelegt. Dazu möchte ich Ihnen sagen ich bin
ja Mitglied des Kulturausschusses : Der Kollege Otto,
der immer zu sehr vornehmen und höflichen Formulie-
rungen neigt deswegen schätze ich ihn so; schade, dass
er nicht da ist , meinte zu diesem Antrag, er müsse die-
ses schöne Wort habe ich mir extra aufgeschrieben op-
timiert werden. Das ist nicht geschehen. Ich weiß nicht,
welche Konsequenz das inzwischen für Sie hat.
Erst optimiert man und dann beschließt man, nicht um-
gekehrt. So verstehe jedenfalls ich das.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Dr. Heinrich Fink
19509
Es wurde in der Tat auf die Begründung für die An-
nahme des Antrages hingewiesen. Mir gefällt diese Be-
gründung ausgezeichnet, auch weil die Revolution von
1848 hier mit einbezogen wird. Das hat mir sehr gefallen.
Bei der Denkmalreise, Herr Nooke, die Sie jetzt gemacht
haben, haben Sie ausgerechnet den Platz des 18. März vor
dem Brandenburger Tor vergessen. Daran hat doch je-
mand gedreht.
Es geht um diesen Antrag. Mir liegt wirklich daran,
dass man nicht aus einer Rede ich beschränke mich be-
wusst auf Herrn Hilsberg automatisch folgert, das Denk-
mal müsse errichtet werden.
Mein Name steht mit auf diesem Antrag. Ich habe ihn
aus zwei Gründen mit unterschrieben. Ich fühle mich ver-
pflichtet, sie hier zu nennen. Ich habe unterschrieben, weil
ich meine, dass das Ereignis der friedlichen Revolution
vom Herbst 1989 in der Tat im Stadtbild sichtbar und sinn-
lich erfahrbar sein muss. Die Begründungen hierfür sind
schon genannt worden; ich will sie nicht wiederholen.
Es gab noch einen zweiten Grund. Ich bin davon aus-
gegangen, dass dies ein Antrag ist, hinter dem die Mit-
glieder dieses Hauses aus den neuen Bundesländern ste-
hen. Es ist zu Recht Herr Hilsberg hat dies getan
darauf hingewiesen worden, dass die friedliche Revolu-
tion ihr Beitrag war. Wenn sie sagen, sie wollten dieses
Denkmal, dann kann ich, der ich auf der anderen Seite der
Mauer gelebt habe, dem nicht widersprechen. Deswegen
war ich der Ansicht, dass man diesem Antrag zustimmen
sollte.
Wir alle haben daraufhin einen Brief von Gunter
Weißgerber bekommen. Er war einer der Redner auf den
Montagsdemonstrationen in Leipzig. Gestatten Sie mir,
dass ich daraus einige Sätze vorlese:
Auch glaube ich, dass es Menschen und Demokratien
ohnehin besser ansteht, nicht schon zu Lebzeiten ihr
Denkmal zu bekommen. Anders ausgedrückt: Ich
verspüre ein ungutes Gefühl, wenn wir als die damals
gemeinsam mit Millionen anderen Handelnden und
noch heute zu den Agierenden gehören jetzt oder in
naher Zukunft ein Denkmal schaffen. Ich rate also
von diesem Vorhaben ab.
Ich gestehe: Dieser Brief hat mich beeindruckt. Ich
habe etwas gemacht, was man nicht gerne macht. Ich habe
mich von meiner eigenen Unterschrift auf dem Antrag für
den Bau dieses Denkmals zum jetzigen Zeitpunkt ich
lege Wert auf diese Begrenzung distanziert, weil ich in
der Tat glaube: Dieses Denkmal ist nötig, aber jetzt ist
nicht der richtige Augenblick dafür. Ich bedaure es, wenn
Sie, Frau Pieper, und auch Sie, Herr Nooke, diese Ausei-
nandersetzung, die mir nicht leicht gefallen ist ob Sie
mir das jetzt abnehmen oder nicht, ist mir egal , so sehen,
dass Sie daraus ein Bündnis zwischen SPD und PDS ma-
chen.
Herr Nooke, manches schreibe ich mir auf. Sie wurden
im Focus vom 5. November dieses Jahres folgender-
maßen zitiert: Die Sozialdemokraten wollen kein positi-
ves neues deutsches Nationaldenkmal. Sie wissen, dass
wir unterschiedliche Positionen haben. Ich finde, Sie soll-
ten diese parteipolitische Instrumentalisierung der friedli-
chen Revolution sein lassen, auch wenn mein Appell
keine Wirkung haben wird.
Ich halte den Zeitpunkt für dieses Denkmal für ver-
früht. Deshalb werde ich den Antrag, den ich selbst mit
unterschrieben habe das betone ich noch einmal , ab-
lehnen. Ich sehe für uns zurzeit andere Schwerpunktauf-
gaben. Es ist sicherlich richtig, wenn man sagt: Der Eini-
gungsprozess dauert etwa eine Generation.
Dieses sollte auch für das Denkmal gelten. Es gibt hier
durchaus eine Parallelität. Jeder, der in Berlin lebt und das
letzte Berliner Wahlergebnis mit der politischen Spaltung
mitbekommen hat, wird sagen: Im Moment muss es vor-
rangig darum gehen, nicht ein Einheitsdenkmal zu errich-
ten, sondern den Einigungsprozess voranzutreiben.
Herr Kol-
lege Barthel, möchten Sie noch eine Frage beantworten?
Nein.
Dann gebe ich dem Kollegen Eckart von Klaeden für
die Fraktion von CDU/CSU das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren Kollegen! Der 9. November ist
der Schicksalstag der deutschen Geschichte im letzten
Jahrhundert. Darauf ist schon von einigen Rednern hinge-
wiesen worden. Ausrufung der Weimarer Republik, der so
genannte Marsch auf die Feldherrenhalle, die Reichspo-
gromnacht und schließlich die friedliche Revolution von
1989, verbunden mit dem Fall der Mauer, kennzeichnen
diesen Tag.
Welche Konsequenzen gilt es an einem solchen Tag,
aber nicht nur an diesem zu ziehen? Welche Verantwor-
tung haben wir nicht nur als Bürgerinnen und Bürger, son-
dern auch als Abgeordnete eines in Freiheit und Demo-
kratie geeinten Deutschland? Die Botschaft lautet: Wir
wollen, dass nie wieder Extremisten, bewaffnet oder un-
bewaffnet, die demokratische Ordnung unseres Landes
gefährden oder gar zerstören. Wir wollen, dass nie wieder
in Deutschland Gotteshäuser brennen, dass Menschen nie
wieder wegen ihrer Rasse, ihrer Sprache, ihrer Heimat
und Herkunft, ihres Glaubens oder ihrer religiösen oder
politischen Überzeugungen benachteiligt, verfolgt oder
gar ermordet werden. Wir wollen, dass nie wieder in
Deutschland ein Staat errichtet wird, der nur die Führung
einer Partei kennt, der seine Bürger bespitzelt, der seine
Gegner, die friedlich für Freiheit und Demokratie eintre-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Eckhardt Barthel
19510
ten, benachteiligt, foltert oder gar ermordet und in dem die
Menschen ihr Grundrecht auf Freizügigkeit, zu dem auch
das Recht gehört, das Land verlassen zu dürfen, gegebe-
nenfalls mit dem Tode bezahlen müssen.
Deswegen müssen wir uns an die Opfer erinnern und
müssen auch an diejenigen erinnern, die sich gegen den
DDR-Staat gewehrt haben und die für Freiheit und De-
mokratie eingetreten sind. Eine Demokratie, die die dun-
klen Seiten ihrer Geschichte vergessen machen wollte,
wäre auf Sand gebaut. Sie verletzte erneut die Würde der
Opfer und taugte nicht für die Zukunft.
So ist die Weimarer Republik, die erste Demokratie auf
deutschem Boden, nicht nur an den sich gegenseitig auf-
schaukelnden politischen Extremen und der Machtüber-
nahme der Nationalsozialisten gescheitert, sondern auch
deshalb, weil es zu wenige gab, die sich für Freiheit und
Demokratie einsetzten.
Wir wollen mit dem Denkmal für Freiheit und Einheit
ein Zeichen für die Frauen und Männer setzen, die sich
dafür in der DDR eingesetzt haben.
Deswegen ist die Kritik, die an dieser Idee geäußert wird,
unberechtigt. Ich meine nicht die Kritik, die heute hier
vorgetragen wurde, sondern die, die in der Öffentlichkeit
laut wurde. Ich möchte an einen Artikel in der Berliner
Morgenpost erinnern. Dort heißt es, es gehe um ein
neues nationales Glücksgefühl. Weiter heißt es:
Mögen die von der Last der deutschen Geschichte
Gebeugten also künftig zum Holocaust-Mahnmal
gehen, wer Freude und Stolz empfindet, wendet auf-
recht sich zur Schlossfreiheit.
Gerade darum geht es nicht. Es geht nicht um einen Ge-
gensatz, nicht um Verdrängung. Es geht vielmehr um den
gleichen Gedanken, aus dem heraus wir den Bau des Ho-
locaust-Mahnmals beschlossen haben. Ich habe damals zu
den Rednern meiner Fraktion gehört, die für das Holo-
caust-Mahnmal eingetreten sind. Es geht nämlich um den
Gedanken der Verantwortung für die Demokratie und
die Sorge um die Zukunft unseres Landes, wenn wir uns
heute für die Errichtung eines Freiheits- und Einheits-
denkmals auf der Berliner Schlossfreiheit aussprechen.
Das Selbstverständnis eines demokratischen Staates
lebt auch davon, dass wir derjenigen gedenken und sie uns
zum Vorbild nehmen, die in widriger Zeit für die Ideale des
demokratischen Staates und für Menschenrechte einge-
treten sind. Mein Eindruck ist, dass die Heldinnen und
Helden ich benutze diese Worte bewusst der friedlichen
Revolution von 1989 in den Sonntagsreden und Feierstun-
den zwar immer ihren angemessenen Platz finden, ihre all-
tägliche Behandlung aber nicht gerade zu den Ruhmes-
blättern der jungen vereinten Bundesrepublik gehört.
Ich erinnere nur an das aus meiner Sicht unerträgliche
Missverhältnis zwischen den üppigen Rentenzahlungen
an die Täter auf der einen Seite und den schmalen Ent-
schädigungsleistungen für die Opfer der SED-Diktatur
auf der anderen Seite.
Opfer sind häufig diejenigen gewesen, die sich für
Freiheit und Demokratie eingesetzt haben. Wir haben in
den letzten Jahren aus anderen Gründen zu Recht im-
mer wieder betont, dass wir mehr Zivilcourage wollen.
Häufig ist von dem Pult aus, an dem ich jetzt stehe, der
Appell an die Bevölkerung gerichtet worden, mehr Zivil-
courage zu zeigen. Ich finde, dass wir derjenigen, die Zi-
vilcourage in der DDR gezeigt haben, entsprechend ge-
denken müssen. Es darf nicht der Eindruck entstehen, es
sei sowieso sinnvoller, sich einem menschenverachtenden
System anzupassen, weil man in der Demokratie aus
opportunistischen Gründen aus Gründen der Mehrheits-
bildung schnell bemüht ist, mit den Tätern seinen Frie-
den zu machen, damit man mit ihren Anhängern gemein-
same Koalitionen bzw. gemeinsame Mehrheiten bilden
kann, sodass die Opfer sowie die Widerstandskämpfer
dann hinten herunterfallen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang an die Adresse
der PDS deutlich sagen, dass es mir nicht so sehr um das
Verhalten Ihrer Mitglieder in der Vergangenheit geht. Es
geht mir vielmehr um das Verhältnis, das Sie heute zu Ih-
rer Vergangenheit haben.
Was das in einem konkreten Fall bedeuten kann, hat ja
gestern unser Kollege Werner Schulz in seiner beein-
druckenden Kurzintervention sehr deutlich gemacht.
Ich glaube, dass ein Freiheits- und Einheitsdenkmal
auf der Berliner Schlossfreiheit einen Beitrag zu einem
aufgeklärten Patriotismus leisten kann, der seine
Grundlage in den Werten unserer Verfassung hat.
Die Westdeutschen haben das Glück gehabt, nach der
Niederlage des Zweiten Weltkrieges und der Befreiung
vom Nationalsozialismus die Möglichkeit zu haben, einen
freien Staat aufzubauen. Das war ein Geschenk, das sich
die Westdeutschen nicht selber erstritten haben. Die Ost-
deutschen haben mit der friedlichen Revolution unser
Volk von dem Makel befreit, unsere eigene Freiheit noch
nie selber erkämpft zu haben. Beides zusammen der
Aufbau einer stabilen Demokratie im Westen und das Er-
kämpfen der Freiheit in Ostdeutschland kann zu diesem
gemeinsamen aufgeklärten Patriotismus beitragen.
Dieser aufgeklärte Patriotismus kann seinen Ausdruck
in dem Einheits- und Freiheitsdenkmal finden. Die Vorstel-
lung, dass unsererseits die Einheit vor der Freiheit kommen
könnte, ist allein deswegen schon abwegig, weil wir die
Einheit ohne Freiheit jederzeit hätten haben können. Spätes-
tens nach der Stalinnote ist klar gewesen, dass eine Einheit
in Unfreiheit möglich gewesen wäre. Sie ist von allen in
diesem Hause vertretenen Fraktionen bis auf die schon
erwähnte Ausnahme immer wieder abgelehnt worden.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Eckart von Klaeden
19511
Deswegen meine ich, dass das Einheits- und Freiheits-
denkmal einen wesentlichen Beitrag zu dem Einigungspro-
zess, der von den Kolleginnen und Kollegen zu Recht an-
gesprochen worden ist, leisten kann. Ich glaube nicht, dass
wir auf seine Beendigung warten müssen, sondern dass die
Würdigung der friedlichen Revolution ein wesentlicher
Beitrag zur Beförderung dieses Prozesses sein kann.
Schließlich zum Ort. Sie haben insofern Recht, als in
Leipzig ein solches Denkmal sicherlich angebracht ist.
Ich finde, dass auch in einer westdeutschen Stadt als Re-
verenz an die ostdeutsche Revolution ein solches Denk-
mal angebracht wäre. Da Berlin die Hauptstadt ist, gehört
ein solches Denkmal, wie ich meine, nach Berlin.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Kultur und Medien zu dem
Antrag der Abgeordneten Günter Nooke, Markus Meckel,
Werner Schulz sowie weiterer Abgeordneter zur Errich-
tung eines Einheits- und Freiheitsdenkmals auf der Berli-
ner Schlossfreiheit auf Drucksache 14/7209. Der Aus-
schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3126
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?
Gegenprobe! Enthaltungen? Die Beschlussempfeh-
lung ist angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Reform der arbeitsmarktpolitischen
Instrumente
Drucksache 14/6944
Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Dr. Klaus Grehn, Monika Balt, Dr. Ruth
Fuchs, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verlängerung der Rahmenfrist bei zeitlich
befristeter Erwerbsunfähigkeitsrente, Ände-
rung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch
Drucksache 14/2282
Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Dr. Klaus Grehn, Dr. Ruth Fuchs, Dr.
Heidi Knake-Werner und der Fraktion der PDS
eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes
zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetz-
Drucksache 14/3044
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver-
besserung der grenzüberschreitenden Arbeits-
förderung im Rahmen des SGB III
Drucksache 14/5013
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Sozialordnung
Drucksache 14/7347
Berichterstattung:
Abgeordnete Brigitte Baumeister
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Sozialord-
nung
zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit
Schnieber-Jastram, Dirk Fischer ,
Volker Rühe, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen effektiv
und transparent gestalten Aus den Hambur-
ger Vorfällen Lehren für eine Reform des SGB
III ziehen
zu dem Antrag der Abgeordneten Horst
Seehofer, Karl-Josef Laumann, Birgit Schnieber-
Jastram, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Arbeitsplätze schaffen statt Arbeitslosigkeit
verwalten Reformen für einen besseren Ar-
beitsmarkt
zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit
Schnieber-Jastram, Karl-Josef Laumann, Brigitte
Baumeister, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Arbeit vermitteln statt Arbeitslosigkeit ver-
walten Mehr Beschäftigung durch Effizienz,
Transparenz und Subsidiarität im Arbeitsför-
derungsrecht
zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel,
Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Heinrich L. Kolb,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Für eine wirksame und effiziente Arbeits-
marktpolitik
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus
Grehn, Pia Maier, Dr. Heidi Knake-Werner, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Zusätzliche Arbeitsplätze fördern soziale
Sicherungssysteme festigen
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heidi
Knake-Werner, Dr. Ruth Fuchs, Dr. Klaus
Grehn, Pia Maier und der Fraktion der PDS
Den Einstieg in einen öffentlich geförderten
Beschäftigungssektor ermöglichen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Eckart von Klaeden
19512
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Beschäftigungspolitischer Aktionsplan der
Bundesrepublik Deutschland 2001
Drucksachen 14/6636, 14/6888, 14/6162,
14/6621, 14/5794, 14/7070, 14/5513,
14/7347
Berichterstattung:
Abgeordnete Brigitte Baumeister
Zum Gesetzentwurf zur Reform der arbeitsmarktpoli-
tischen Instrumente liegen vier Änderungsanträge und ein
Entschließungsantrag der Fraktion der PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. Damit sind Sie ein-
verstanden. Ich warte noch einen Augenblick.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die SPD-
Fraktion hat die Kollegin Andrea Nahles.
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Job-Aqtiv-Ge-
setz lösen wir unser Versprechen ein, noch in dieser Le-
gislaturperiode das Arbeitsförderungsrecht umfassend zu
reformieren. Wir geben damit einen wichtigen Impuls für
mehr Beschäftigung, für eine effektivere Vermittlung, für
eine zukunftsfähige Qualifizierung und das ist mir be-
sonders wichtig für eine bessere Vereinbarkeit von Fa-
milie und Beruf.
Die Modernisierung der Arbeitsvermittlung ist dabei
ein Schwerpunkt. Insoweit das muss ich ganz ehrlich sa-
gen war unsere bisherige Arbeitsmarktpolitik vor allem
reaktiv. Der Betroffene musste erst einmal arbeitslos wer-
den, anschließend ordentlich warten und nach sechs Mo-
naten konnten die Maßnahmen überhaupt erst angegan-
gen werden. Damit ist jetzt Schluss, liebe Kolleginnen
und Kollegen.
Die Wartezeiten werden gestrichen. Statt einer reakti-
ven Arbeitsmarktpolitik betreiben wir jetzt eine aktive Ar-
beitsmarktpolitik. Das ist nicht nur ein Spruch. Bereits be-
vor jemand arbeitslos wird, können wir mit dem
Instrument des Profilings herausfinden, wie groß das Ri-
siko desjenigen, der arbeitslos wird, ist, langzeitarbeitslos
zu werden. Diese Chancenprognose gibt uns überhaupt
erst die Möglichkeit, rechtzeitig gegenzusteuern. Das ist
sehr individuell und sehr konkret.
Mit jedem einzelnen Arbeitslosen wird in dem zustän-
digen Arbeitsamt eine Eingliederungsvereinbarung ge-
troffen. Darin werden konkrete Schritte zur Rückkehr in
das Arbeitsleben verabredet. Ich füge hinzu: Bei diesem
Instrument gibt es keine zusätzlichen Druckmittel. Natür-
lich erwarten wir ein Mittun der Arbeitslosen. Wir bieten
den Arbeitslosen aber auch neue Rechte an. Wenn das Ar-
beitsamt nach einem halben Jahr keine Arbeitsstelle ver-
mittelt hat, kann der Arbeitslose einen Dritten einschalten
und diesen mit seiner Vermittlung beauftragen.
Das ist Fördern und Fordern und ein Gleichgewicht der
Kräfte in der genannten Eingliederungsvereinbarung. In-
sofern bitte ich auch an die Adresse der Arbeitslosen, die
uns heute hier zuhören, darum: Begreifen Sie dies als
Chance und packen sie diese beim Schopfe!
Zwar war es bisher nicht etwa so, dass in den Ar-
beitsämtern nichts vermittelt worden ist, aber es war bei
der Arbeitslosigkeit sehr viel zu verwalten. Deswegen ge-
ben wir den Arbeitsämtern hiermit die Chance, 3 000 Ver-
mittler zusätzlich einzustellen. Seit dem 1. Oktober sind
bei den Arbeitsämtern bereits 1 029 zusätzliche Vermittler
eingestellt worden. Zum Beispiel bei dem Arbeitsamt in
meinem Wahlkreis, einem kleineren Arbeitsamt, sind es
sechs zusätzliche Vermittler und bei dem größeren Ar-
beitsamt in Köln 30 zusätzliche Vermittler, die sich ab
1. Januar 2002 mit der Gewinnung von neuen Stellen in
kleinen und mittleren Betrieben beschäftigen werden.
Der zweite Pfeiler, auf dem das Gesetz steht, ist Wei-
terbildung und Qualifizierung. Wahr ist, dass es in
Großunternehmen Weiterbildungsmöglichkeiten gibt.
Wahr ist auch, dass gering Qualifizierte bei der Weiterbil-
dung benachteiligt werden; hoch Qualifizierte haben Wei-
terbildungsoptionen. Wir setzen mit unserem Gesetz dort
an, wo es am nötigsten ist, um Langzeitarbeitslosigkeit,
um Arbeitslosigkeit überhaupt zu verhindern, nämlich bei
den von Arbeitslosigkeit gefährdeten Älteren und bei den
gering Qualifizierten.
Damit wird zum ersten Mal in der Geschichte der Ar-
beitsverwaltung die Möglichkeit eröffnet, dass das Ar-
beitsamt Weiterbildungs- und Lohnkosten übernimmt, um
diesen Menschen einen Berufsabschluss zu ermöglichen
oder um ihre Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten, bevor
das Kind in den Brunnen fällt.
Es gibt ein weiteres Instrument. Das Stichwort lautet
hier Jobrotation. Das haben uns die Skandinavier vorge-
macht, aber auch in Deutschland hat es bereits viele Mo-
dellprojekte im Bereich von Jobrotation gegeben. Anfang
dieser Woche konnte ich mich an einem Beispiel in Bremen
davon überzeugen, dass das sehr interessant und sehr erfolg-
reich ist. Ich möchte das an diesem Beispiel erläutern:
Es gibt einen Riesenbedarf an Fachkräften im Pflege-
bereich. Auf diesem Gebiet gibt es sehr viele ungelernte
Arbeitskräfte; dabei handelt es sich vor allem um Frauen.
In Bremen hat man diese Hilfskräfte über das Mittel
Jobrotation zu Fachpersonal in der Altenpflege quali-
fiziert. Diese Option eröffnen wir neben vielen anderen
Möglichkeiten mit Jobrotation. Wir sorgen dafür, dass
man die Idee der Jobrotation umsetzen kann.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Vizepräsidentin Anke Fuchs
19513
Wir haben ebenfalls dafür gesorgt, dass die Ver-
sicherungspflicht die Zeit des Bezugs von Mutter-
schaftsgeld, die Zeit des Bezugs einer Erwerbsmin-
derungsrente und den Zeitraum von drei Jahren für die
Erziehung von Kindern umfasst. Ich wiederhole es ich
habe es in diesem Hause schon einmal gesagt : Das ist
ein Quantensprung für diejenigen Frauen, die jetzt nicht
nur während der Babypause Anspruch auf bestimmte
Leistungen erwerben, sondern auch danach die Chance
erhalten, an Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik
teilzunehmen. Darüber freue ich mich.
Für Frauen, die sich qualifizieren wollen, sind Kinder-
betreuungskosten ein Problem. Wir erhöhen den
entsprechenden Beitrag so, dass Frauen die Betreuung
ihrer Kinder wirklich sicherstellen können.
Es handelt sich also nicht nur um einen kleinen Zuschuss;
vielmehr wird dank unserer Maßnahme Kinderbetreuung
in Zukunft besser möglich sein.
Frauen sind der Arbeitsmarktpolitik noch immer be-
nachteiligt. Nach der Verabschiedung dieses Gesetz-
entwurfs wird es den Arbeitsämtern möglich sein ich
gebe zu, dass das umstritten war , Frauen gezielt zu
fördern, mindestens entsprechend dem Anteil der Frauen
an der Zahl der Arbeitslosen. Auch das ist ein wichtiger
Punkt.
Ich komme auf die letzte Säule unserer Arbeitsmarkt-
politik zu sprechen.
Das von den Sozialdemokraten vorgelegte Arbeits- und
Strukturförderungsgesetz hat 1995 ganz klar zum Aus-
druck gebracht, dass wir eine Verzahnung von Infra-
strukturpolitik und Arbeitsmarktpolitik wollen. Dem
trägt dieser Gesetzentwurf mit dem neuen Instrument
der so genannten beschäftigungsfördernden Infra-
struktur Rechnung. Ich sage ganz klar: Wir wollen für
strukturschwache Gebiete neue investive Möglichkei-
ten eröffnen. Es geht konkret um zusätzliche Mittel für
die Errichtung bzw. für den Ausbau von Schulen, Kin-
dergärten und für die Erschließung von Gewerbegebie-
ten.
Herr Niebel,
ich bete jeden Abend für die Grünen, dass ich nicht in die
Verlegenheit komme, mit Ihnen einmal Arbeitsmarktpoli-
tik zu machen.
Durch unsere Arbeitsmarktpolitik werden Aufträge an
die Privatwirtschaft vergeben. Wir bieten nicht ir-
gendwelche Maßnahmen an, sondern wir geben Arbeits-
losen für eine gewisse Zeit die Chance das ist wirklich
wichtig , auf dem ersten Arbeitsmarkt in einem normalen
Unternehmen an einem normalen Arbeitsplatz tätig zu
sein. Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt wollen
Sie doch immer, meine Damen und Herren von der Op-
position.
Trotzdem maulen Sie jetzt herum. Keiner von uns hier ist
arbeitslos. Das ist nun wirklich nicht der Fall.
Das ist richtig, Herr Grehn.
Ich möchte den Arbeitslosen sagen: Dieses Gesetz
kann einen Weg in ein Arbeitsverhältnis ebnen. Wir
machen damit ein Angebot und schaffen viele neue Chan-
cen. Packen Sie sie beim Schopfe!
Vielen Dank.
Für die CDU/CSU er-
teile ich jetzt dem Kollegen Karl-Josef Laumann das
Wort.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Diskussion der
letzten zwei Monate, insbesondere seit Einbringung des
Haushaltsgesetzes für das nächste Jahr, und die in dieser
und in der nächsten Woche stattfindenden Revisionssit-
zungen, machen deutlich, dass wir in Deutschland vor ei-
ner außerordentlich schwierigen Situation auf dem Ar-
beitsmarkt stehen. Wir können davon ausgehen, dass es
im nächsten Jahr rund 400 000 Arbeitslose mehr gibt, als
die Regierung noch vor wenigen Monaten angenommen
hat. Wir werden viele Mittel aufbringen müssen, um die-
ses Problem sozial zu flankieren: 4 Milliarden DM mehr
Bundeszuschuss an die Arbeitslosenversicherung,
2,5 Milliarden DM mehr für die Arbeitslosenhilfe.
Die Arbeitsmarktzahlen vom Oktober waren die
schlechtesten seit vier Jahren. Natürlich schnellen die So-
zialversicherungsausgaben in dieser Situation nach oben.
Die Einnahmen aus der Ökosteuer reichen nicht einmal
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Andrea Nahles
19514
mehr aus, um den Rentenversicherungsbeitrag stabil zu
halten, dazu muss jetzt auch noch die Schwankungsre-
serve herangezogen werden. Nach Tabak-, Versicherung-
und Ökosteuer stehen weitere Steuererhöhungen für die
Beschäftigten im Raum.
Dies markiert schlicht und ergreifend die Situation, vor der
wir heute stehen. Ich bin fest davon überzeugt, dass das
Job-Aqtiv-Gesetz an dieser Situation nichts wesentlich
verändern wird. Man kann das gut mit dem Bild umschrei-
ben: Der Berg bebte und es wurde ein Mäuschen geboren.
Ich sage ja gar nicht, dass Sie in diesem Gesetz nur
falsche Maßnahmen vorgesehen haben. In einigen Berei-
chen stellt es auch eine Fortschreibung des von uns ge-
schaffenen SGB III dar. Sie springen aber bei all den The-
menbereichen, die Sie angehen, schlicht und ergreifend
zu kurz.
Meiner Meinung nach führen aber die Instrumente, die
Sie einführen, eher zu einem Aufblähen der Bürokratie in
der Arbeitsverwaltung, als dass sie wesentliche Hilfen für
die Arbeitslosen darstellen. Ich glaube, dass in dieser Si-
tuation viel mutigere Schritte in der Arbeitsmarktpolitik
nötig sind.
Wir brauchen eine Verzahnung von Arbeitslosen- und
Sozialhilfe. Warum machen Sie das jetzt eigentlich nicht?
Wir brauchen Arbeitsangebote und damit einhergehend
eine Verpflichtung zur Arbeit von arbeitsfähigen Hilfe-
empfängern.
Wir brauchen eine Umschichtung von ABM- und SAM-
Mitteln in moderne Maßnahmen wie Kombilohn oder Zu-
schüsse zur Sozialversicherung und zu Einstiegs-
gehältern. Kurzum: Wir brauchen eine Aktivierung der
Beschäftigungspotenziale im Niedriglohnsektor.
Sagen Sie nicht, das gehöre alles ins 20. Jahrhundert.
Der nordrhein-westfälische Arbeitsminister, Herr
Schartau, designierter Vorsitzender des, wie ich glaube,
größten Landesverbandes der SPD, nämlich der SPD
Nordrhein-Westfalen,
fordert seit Wochen so steht es wenigstens in allen nord-
rhein-westfälischen Zeitungen genau dieses.
Ich wundere mich schon darüber, dass die Koalitions-
fraktionen heute im Rahmen eines anderen Tagesord-
nungspunktes einen Entschließungsantrag eingebracht
haben, in dem sie genau dieses Vorgehen bei der Arbeits-
losen- und Sozialhilfe fordern. Warum machen Sie das
dann nicht? Schlicht und ergreifend deswegen nicht, weil
das Arbeitsministerium nicht den Mut hat, dieses Thema
anzupacken.
Deswegen werden hier Chancen auf Beschäftigung, die
im Niedriglohnbereich ohne Zweifel bestehen, vertan.
Auch die Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium,
die Kollegin Wolf von den Grünen, fordert mit Nach-
druck, dass im Niedriglohnbereich etwas geschehen
müsse. Wir reden dabei gar nicht davon, dass es unterta-
rifliche Bezahlung geben soll. Wer möchte, kann in mei-
nem Büro eine Liste anfordern, auf der in Deutschland
existierende Tarifverträge mit Löhnen von unter 13 DM
aufgeführt sind. In vielen Bereichen gibt es schon solche
tariflichen Löhne. Viele Stellen können aber hier nicht be-
setzt werden, weil die Höhe der Sozial- und Arbeitslosen-
hilfe wie eine untere Lohngrenze wirkt. Deswegen müs-
sen wir nach meiner tiefen Überzeugung dieses Thema
sehr entschlossen anpacken.
Ich kann den Koalitionsfraktionen nur den Rat geben,
die Arbeitsmarktpolitik ins Wirtschaftsministerium zu
verlagern, wenn das der jetzige Arbeitsminister nicht mit-
macht.
Das läuft in einigen Bundesländern sehr gut. Die Ham-
burger, die Thüringer und die Sachsen haben sich dafür
entschieden. Ich glaube, dass dies angesichts der jetzigen
politischen Führung des Arbeitsministeriums die einzige
Chance ist, Wirtschaft und Arbeit wieder näher zusam-
menzuführen.
Glauben Sie bloß nicht, dass die von mir vorgeschla-
gene Arbeitsmarktpolitik unsozial wäre. Der Weg, den
auch meine Partei viele Jahre gegangen ist, nämlich den
Menschen, die wir zu der Zeit auf dem Arbeitsmarkt nicht
brauchten, Geld zu geben, sich aber nicht großartig um sie
zu kümmern die Entwicklung, dass die Kommunen sich
um sie kümmern, ist ja auch nicht so neu, seit fünf oder
sechs Jahren nimmt dies immer stärker zu , war unsozial.
Denn Menschen, denen die Gesellschaft vermittelt, sie
würden nicht gebraucht, verändern sich auf Dauer schwer
und können dann manchmal überhaupt nicht mehr für den
Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.
Deswegen wäre es sinnvoller, jedem, der in Sozialhilfe
oder Arbeitslosenhilfe ist, ein Arbeitsangebot oder Aus-
bildungsangebot zu machen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Karl-Josef Laumann
19515
Das bekommen wir nur hin, wenn wir die vorhandenen
Stellen im Niedriglohnbereich des ersten Arbeitsmarktes
attraktiv machen. Darauf kommt es an.
Ich weiß überhaupt nicht, was daran unsozial sein soll,
etwa durch eine degressive Gestaltung der Sozialversi-
cherungsbeiträge gerade in dem Segment der Reini-
gungskräfte und im Gaststättenbereich netto und brutto
wieder näher zusammenzuführen. Bei der Steuer haben
wir das durch die hohen Freibeträge gemacht, aber beim
Sozialversicherungsbeitrag nicht. Kehren Sie um!
Verwenden Sie die Riesenmittel, die Sie für ABM und
SAM aufbringen, um hier endlich etwas zu tun.
Schönen Dank.
Nun erteile ich das
Wort der Kollegin Dr. Thea Dückert für Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kollegen und Kollegin-
nen! Der Beitrag von Herrn Laumann eben war wieder in-
teressant. Er hat es fertig gebracht, zu dem, was wir hier
vorlegen, nämlich zum neuen Job-Aqtiv-Gesetz, so gut
wie gar nichts zu sagen.
Herr Laumann, ich weiß, warum Sie das nicht tun. Das
haben Sie im Ausschuss schon vorgeführt. Denn wenn Sie
sich auf das Job-Aqtiv-Gesetz einlassen, auf besondere
Instrumente, die wir neu einführen, wie zum Beispiel die
Jobrotation,
dann versuchen Sie sogar, die Urheberschaft für diese
neuen Instrumente für sich geltend zu machen.
Meine Damen und Herren, Sie haben kein inhaltli-
ches Argument gegen diese Form der neuen Arbeits-
marktpolitik. Sie fordern hier trotzdem Mut in der
Arbeitsmarktpolitik ein. Aber Ihr Mut in der Arbeits-
marktpolitik in den vergangenen Jahren hat zu nichts
anderem als zu einem Reformstau geführt, den Sie uns
hinterlassen haben. Deswegen haben wir uns vor einem
Jahr darangemacht, dieses umfassende Werk, das wir
hier vorlegen, zu erarbeiten.
Wir reformieren die aktive Arbeitsmarktpolitik im Kern
ihrer Instrumente.
Wir haben viele zentrale Ziele. Das erste Ziel ist es, die
Arbeitsvermittlung zu modernisieren und zu intensivie-
ren.
Wir schaffen für die Arbeitslosen vom ersten Tag an und
für diejenigen, die in die Arbeitslosigkeit kommen wer-
den, auch schon vorher einen Anspruch auf einen Ein-
gliederungsplan, auf maßgeschneiderte Hilfe. Dieser An-
spruch wird eines der zentralen Instrumente sein, um die
Langzeitarbeitslosigkeit abzubauen. Wir nehmen mit die-
sem Gesetz eines der schlimmsten Probleme am Arbeits-
markt, nämlich die Langzeitarbeitslosigkeit, ins Visier.
Das wird eines der zentralen Mittel sein: die frühzeitige
Vermittlung, ja die Prävention, wenn Arbeitslosigkeit
droht, wenn jemand aber noch in Beschäftigung ist.
Diese Konzentration auf das Phänomen der Langzeit-
arbeitslosigkeit wird nicht nur den Betroffenen helfen; es
wird auch der Arbeitsmarktpolitik insgesamt und den
Kassen der Arbeitslosenversicherung helfen. Unter den
7 Millionen Neuzugängen zur Arbeitslosigkeit, die wir im
Moment jährlich haben, sind etwa 10 Prozent gefährdet,
in Langzeitarbeitslosigkeit zu kommen. Das wird die
Gruppe sein, auf die sich die intensive Hilfe konzentrie-
ren wird. Diese 10 Prozent, die von Langzeitarbeitslosig-
keit bedroht sind, stellen im Verlauf fast 50 Prozent der
Arbeitslosen. Das liegt daran, dass sie so lange arbeitslos
sind. Das bedeutet im Umkehrschluss: Wenn es uns ge-
lingt, die Zahl der Langzeitarbeitslosen zu reduzieren,
werden wir in der Lage sein, die Arbeitslosigkeit über-
proportional zu reduzieren. Eine Senkung der durch-
schnittlichen Dauer der Arbeitslosigkeit um einen Monat
bedeutet Einsparungen von 2 Milliarden DM in der Kasse
der Arbeitslosenversicherung. Die Arbeitsvermittlung
schneller und effektiver zu machen wird Spielräume in
den Kassen schaffen, die wir in der Folge ausnutzen wol-
len, um die Lohnnebenkosten, nämlich die Beiträge zur
Arbeitslosenversicherung, zu senken. Wir werden das,
was eingespart wird, an die Beitragszahlerinnen und Bei-
tragszahler zurückgeben.
Ein weiterer Punkt ist, die Effektivität der Arbeitsver-
mittlung zu steigern. Es gibt Pläne zur schnellen Einglie-
derung; es gibt aber auch ein neues Element: Es war ge-
rade für uns Grüne sehr wichtig, dass auch Dritte mit der
Arbeitsvermittlung beauftragt werden können, wenn es
notwendig ist. Ich denke, dass es viele Arbeitsämter gibt,
die sehr intensiv arbeiten, und solche, die zum Teil
überfordert sind. Es gibt aber auch viele Arbeitsämter, de-
nen es gut tut, dass ein Element der Konkurrenz einge-
führt wird.
Ich komme zu einem weiteren Punkt Frau Nahles hat
ihn schon angesprochen : Um die Effektivität der Ar-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Karl-Josef Laumann
19516
beitsvermittlung, also die passgenaue Vermittlung von
vorhandenen Arbeitsplätzen, zu steigern, brauchen wir
das Element der Qualifizierung. Dazu haben wir das neue
Instrument der Jobrotation eingeführt. Die Idee, einem
Arbeitslosen zu einem Beschäftigungsverhältnis auch
wenn es zunächst nur ein kurzfristiges ist , in dem er sich
weiterbilden kann, zu verhelfen, schlägt zwei Fliegen mit
einer Klappe und wird in der Zukunft ungeheuer wichtig
sein. Zum einem verschafft es demjenigen, der an seinem
Arbeitsplatz aufgrund der schnellen Veränderungen und
des damit verbundenen Qualifikationsbedarfes immer
wieder mit neuen Anforderungen konfrontiert wird, die
Möglichkeit, sich weiterzubilden und dadurch seinen Ar-
beitsplatz in Zukunft zu sichern. Zum anderen baut es
demjenigen, der draußen steht, eine Brücke in den ersten
Arbeitsmarkt. Er kann sich dann über Learning by Doing
qualifizieren, wodurch seine Chancen, weiter beschäftigt
zu werden, steigen.
Ich glaube, das ist langfristig gesehen die zentrale Ant-
wort auf die Herausforderungen der Zukunft.
Der nächste Punkt sind die Änderungen. Wir werden
beim Job-Aqtiv-Gesetz nicht nur die zentralen Elemente
der Arbeitsvermittlung und Qualifizierung, die am
schnellsten wirken, verbessern, sondern wir werden auch
das ist das dritte Element in unserer Prioritätenliste die
Instrumente der Lohnsubventionierung sehr viel effek-
tiver gestalten. Sie werden entbürokratisiert. Es gab einen
Dschungel von unterschiedlichen Möglichkeiten der
Lohnsubventionierung. Dieser Bereich wird nun über-
schaubarer. Mit dem Ansatz, dass die Entscheidungen de-
zentral in der Arbeitsmarktregion selbst getroffen werden,
kann die Hilfe über Lohnsubventionierung, am regionalen
Arbeitsmarkt konzentriert, sehr viel flexibler erfolgen.
Ich möchte an dieser Stelle mit einer Mär aufräumen,
die in der Debatte zum Job-Aqtiv-Gesetz auftaucht. Sie
behaupten in der Öffentlichkeit immer wieder, Herr
Laumann das haben Sie heute nicht gemacht, weil Sie
wissen, dass ich Ihnen die entsprechenden Zahlen auf den
Tisch legen kann, die beweisen, dass Ihre Behauptung
nicht stimmt ,
dass wir die Zahl der ABM als Instrument des zweiten Ar-
beitsmarktes aufbauschen würden. Fakt ist, dass wir die
ABM im Vergleich zu dem, was Sie uns hinterlassen ha-
ben, zurückgefahren haben. Wir wollen aber an diesem
Instrument als einer Möglichkeit für die Regionen, die
keinen ausgeprägten ersten Arbeitsmarkt haben und die
ABM daher noch brauchen, festhalten.
Fakt ist aber auch, dass wir im Gegenzug dazu haben
uns die Wissenschaftler geraten die Lohnsubventionie-
rung hochfahren. Sie behaupten jetzt, dass das neue In-
strument der beschäftigungsschaffenden Infrastruktur ein
Instrument sei, das ähnlich wie die ABM in den zweiten
Arbeitsmarkt hineinwirkt. Sie haben mit Verlaub die-
sen Ansatz nicht verstanden.
Die beschäftigungsschaffende Infrastruktur ist exakt auf
den ersten Arbeitsmarkt gerichtet. Sie ist eine Form der
Lohnsubventionierung. Sie wird mit Rahmenbedingun-
gen versehen, die dafür sorgen, dass die Mitnahmeeffekte
eingeschränkt werden.
Lohnsubventionierung bringt immer Mitnahmeeffekte
mit sich. Wir müssen uns aber angesichts der hohen Ar-
beitslosigkeit immer die Frage stellen, ob es sich trotz die-
ser negativen Effekte nicht lohnt, den positiven
Beschäftigungseffekt mitzunehmen. Das gilt auch für
diese Instrumente. Es wird diese Effekte geben. Aber
durch die Rahmenbedingungen, die wir gesetzt haben,
werden entgegen Ihren Behauptungen alle Betriebe,
kleine und große Betriebe, die gleiche Chance haben, an
diese Mittel heranzukommen. Damit erreichen wir etwas,
was wir brauchen, nämlich die marktnähere, die am ers-
ten Arbeitsmarkt orientierte Ausgestaltung der Instru-
mente der Arbeitsmarktpolitik.
Ein weiterer zentraler Punkt: Mit unserem Gesetz ha-
ben wir auch die Gerechtigkeit beim Zugang zum Ar-
beitsmarkt wieder ins Visier genommen. Der Arbeits-
markt schottet ab. Einige Gruppen haben es besonders
schwer hereinzukommen; dazu gehören auch die Frauen.
Wir haben das Gender Mainstreaming in diesem arbeits-
marktpolitischen Ansatz. Die Frauen können entspre-
chend ihrer Quote gefördert werden, sie können so lange
sogar überproportional gefördert werden, solange ihre
gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsmarkt noch nicht
gesichert ist. Das war der erste Punkt.
Auf den zweiten Punkt bin ich besonders stolz, weil
wir viele Widerstände zu überwinden hatten. Wir wollten
eine Ungerechtigkeit ausräumen: Warum sollen Men-
schen, die Kinder erziehen Frauen und hin und wieder
auch Männer , benachteiligt werden, weil sie dieses tun
und ihren einmal erworbenen Anspruch auf Arbeitslosen-
geld, Arbeitslosenunterstützung und Arbeitsvermittlung
durch die Kindererziehung verlieren? Das war in der
Vergangenheit so. Wir haben das jetzt geändert. Ich sage
noch einmal: Das war nicht einfach. Wir hatten viele Wi-
derstände zu überwinden. Hier haben wir eine
Gerechtigkeitslücke geschlossen.
Meine Damen und Herren, wir haben in diesen Bera-
tungen nicht alles erreicht, was wir aus grüner Perspektive
gerne erreicht hätten.
Das habe ich in dieser Woche leider zur Kenntnis nehmen
müssen. Ein Punkt ist zum Beispiel die Überlassungs-
dauer bei Leiharbeit, die wir noch verändern wollten.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Dr. Thea Dückert
19517
Wir haben sie verlängert, aber eine Veränderung konnten
wir hier nicht durchsetzen. Wir hätten es schon gern ge-
habt, dass die jetzigen Tarifverträge der Zeitarbeitsfirmen
ab dem 13. Monat gegolten hätten, einfach um noch ein-
mal Druck auf die Zeitarbeitsfirmen auszuüben, auch in
Tarifbindungen zu gehen. Manchmal gehen Fortschritte
nur schrittweise. Das müssen wir so zur Kenntnis nehmen.
Herr Niebel, auch wenn Sie jetzt dazwischenrufen: Wir
haben es im Gegensatz zu Ihnen erreicht, dass die Über-
lassungsdauer verlängert worden ist.
Wenn Sie das Sie mit all Ihrem lauten Dazwischenrufen
in Ihrer eigenen Koalition erreicht hätten, dann könnten
Sie hier stolz auftreten. So seien Sie mal fein still.
Meine Damen und Herren, wir haben den Kern der In-
strumente renoviert und reformiert. Wir haben nie behaup-
tet, dass mit dem, was hier getan wird, die Arbeitslosigkeit
in der Höhe, wie wir sie haben, abgeschafft werden kann.
Aber wir können uns das habe ich am Anfang gesagt
den zentralen Problemen nähern, um die Dauer der Ar-
beitslosigkeit zu reduzieren. Das ist ein wichtiger Punkt.
Alles andere kann aktive Arbeitsmarktpolitik nicht leisten.
Beschäftigungspolitik ist gefragt, wenn es um die Aus-
dehnung der zusätzlichen Beschäftigung geht.
Frau Kollegin, den-
ken Sie an Ihre Redezeit?
Da sind die Lohnnebenkosten, die Höhe der Sozialabga-
ben zu nennen; Letzteres ist gerade bei niedrig qualifi-
zierten Leuten ein Dreh- und Angelpunkt. An dieser Stelle
werden wir weiterarbeiten, weil wir auch in der Be-
schäftigungspolitik vorangehen wollen.
Ich danke Ihnen. Tschüss.
Für die FDP erteile
ich dem Kollegen Dirk Niebel das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Ich betrachte es schon einmal
als großen politischen Erfolg, Frau Nahles dazu bewegen
zu können, jeden Abend zu beten. Nach der Rede von Frau
Dückert gehe ich allerdings davon aus, dass es an Blas-
phemie grenzt, wenn Sie für die Grünen beten.
Die rot-grüne Bundesregierung kündigt seit Anfang
der Legislaturperiode eine umfassende Reform der Ar-
beitsmarktpolitik an. Das hat jetzt gute drei Jahre gedau-
ert, und nun liegt Riesters neue Bastelarbeit vor, mit eini-
gen kleinen Dingen, die man brauchen kann, und mit
vielem, was nichts bewegen wird. Im Endeffekt ist es al-
les andere als der versprochene große Wurf.
Die Neue Osnabrücker Zeitung schreibt heute in
ihrem Kommentar,
dass die Regierung in der Arbeitsmarktpolitik geradezu
den Eindruck von Lethargie vermittelt und dass insbeson-
dere dieses Gesetz in puncto Flexibilität und Kreativität
im europäischen Vergleich weit hinten anzusiedeln ist.
Die EU-Kommissarin für Beschäftigung und Sozia-
les, Frau Diamantopoulou, hat die Schwachstelle festge-
stellt und spricht das muss man sich auf der Zunge zer-
gehen lassen von dem offensichtlichen Unvermögen,
das Tempo der administrativen Reformen dem Tempo des
Wandels der Gesellschaft anzupassen.
Herr Riester, bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist
das ein absolutes Armutszeugnis. Sie müssen jetzt endlich
die Weichen in der Arbeitsmarktpolitik, dem wichtigsten
innenpolitischen Problemfeld, in dem Sie bisher grotten-
mäßig versagt haben, in die richtige Richtung stellen.
Sie haben mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einige
vernünftige Punkte vorgeschlagen, die wir mittragen
Frau Dückert hat es gerade angesprochen , insbeson-
dere die Abschaffung der Benachteiligung von Eltern.
Dies hätte das Bundesverfassungsgericht wahrscheinlich
ohnehin verlangt; deswegen ist das vorauseilender Ge-
horsam.
Richtig ist auch, die Arbeitsvermittlung als operati-
ves Kerngeschäft der Bundesanstalt für Arbeit zu stärken.
Von 90 000 Mitarbeitern sind im Moment sage und
schreibe ungefähr 8 500 tatsächlich in der Arbeitsvermitt-
lung tätig. Hier kann man nicht wie Herr Jagoda die Kol-
leginnen und Kollegen in den Anlaufstellen und in den
Ärztlichen Diensten mitzählen. Es geht um diejenigen,
die tatsächlich vermitteln. Die wichtigste Aufgabe im
Hinblick auf den Ausgleich des Arbeitsmarkts ist die Ver-
mittlung in Arbeit, Frau Kollegin. Das kostet auch am we-
nigsten Geld für die Beitragszahler und verhindert die
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Dr. Thea Dückert
19518
meisten psychosozialen Folgekosten von Arbeitslosig-
keit. Deswegen ist dieser Ansatz richtig.
Die Jobrotation ist ein Instrument, das man auspro-
bieren sollte. Ich sage Ihnen allerdings voraus abgesehen
davon, dass man sich darüber wundern kann, dass Sie dies
hier im Hause abgelehnt haben, als es von anderer Seite be-
antragt wurde , dass es in erster Linie aufgrund der büro-
kratischen Schwierigkeiten, die damit zusammenhängen
werden, ein Instrument für größere Betriebe sein wird, de-
ren Personalabteilungen sich damit beschäftigen können.
Gerade die kleinen und mittleren Betriebe, die die Masse
der Ausbildungs- und Arbeitsplätze zur Verfügung stellen,
werden dieses Instrument nicht nutzen können.
Auf der anderen Seite belasten Sie Beitragszahlerinnen
und Beitragszahler durch eine Aufblähung kostenintensi-
ver Instrumente. Ganz besonders denke ich hier an die so
genannten beschäftigungsfördernden Infrastrukturmaß-
nahmen. Sie werden erleben, dass kleine Betriebe auf-
grund der Ausschreibungsvoraussetzungen faktisch
von öffentlichen Auftragsvergaben ausgeschlossen wer-
den. Das kostet Arbeitsplätze in kleinen und mittleren Be-
trieben, statt welche zu schaffen.
Bei den größeren Betrieben wird es dazu führen, dass un-
geförderte gegen geförderte Arbeitsplätze ausgetauscht
werden. Es wird hier also einen Verdrängungswettbe-
werb geben.
Frau Dückert, Sie sagten, ein großer Erfolg sei die
Verlängerung der möglichen Verleihdauer. Ich erinnere
mich daran, dass Sie in diesem Hause unseren Antrag
abgelehnt haben, die Verleihdauer auf 36 Monate zu
verlängern.
Der Umstand, dass Sie ab dem 13. Monat die tariflichen
Vertragsbedingungen der Entleihfirma zugrunde legen,
bedeutet faktisch nichts anderes, als dass Sie in die Tarif-
autonomie der Verleihfirmen eingreifen. Die gewerk-
schaftsunterstützte SPD torpediert gesetzgeberisch die
Tarifautonomie von Leasingfirmen.
Obwohl Sie da doch tarifliche Bindungen haben wollen,
wird das dazu führen, dass diejenigen, die jetzt schon Ta-
rifverträge haben, sich aus Wettbewerbsgründen überle-
gen müssen, ob sie sie aufgeben, weil sie in den ersten
zwölf Monaten einen Wettbewerbsnachteil gegenüber der
Konkurrenz haben.
Auch hier haben Sie also nicht weiter gedacht, sondern
nur mit einem Schnellschuss versucht, die Gewerk-
schaftsinteressen zu befriedigen.
Sie hatten ja einen Änderungsantrag im Ausschuss einge-
bracht, den Sie durch einen weiteren Änderungsantrag
zurückgenommen haben, der verhindern sollte, dass ab
dem 13. Monat die tariflichen Bedingungen der Entleih-
firma gelten.
Nein, Sie müssen in der Arbeitsmarktpolitik neue
Wege gehen. Deswegen ist unser Antrag, der hier heute
auch zur Debatte steht, zielführend.
Sie müssen attraktive Rahmenbedingungen schaffen, da-
mit es sich lohnt, Arbeit anzunehmen.
Dazu gehört der liberale Klassiker der Zusammen-
führung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Herr
Riester, die Sozialminister der Länder haben Sie gestern
aufgefordert, hier voranzugehen und die Zusammen-
führung von zwei steuerfinanzierten Leistungen für ein
und denselben Lebenssachverhalt endlich auf den Weg zu
bringen.
Also machen Sie es jetzt und verriestern Sie es nicht erst
nach der Bundestagswahl. Sie müssen jetzt die Chancen
ergreifen, um neue Arbeitsplätze auch im Bereich gering
bezahlter Tätigkeiten zu schaffen.
Sie müssen mehr Flexibilität in der Arbeitslosenversi-
cherung erreichen, zum Beispiel durch Wahltarife.
Warum soll denn in der Arbeitslosenversicherung all das
falsch sein, was in anderen Versicherungssystemen mög-
lich ist? Dadurch würden Sie Spielräume für Beitragssen-
kungen schaffen und könnten Arbeitnehmer und Arbeit-
geber weiter entlasten, was wiederum Arbeitsplätze
schaffen würde.
Wir brauchen in erster Linie Arbeitsplätze. Wenn Sie
im Ausschuss en passant Ihr Ziel aufgeben, unter 3,5 Mil-
lionen Arbeitslose zu kommen, und jetzt für das kom-
mende Jahr mit 3,893 Millionen, also fast 450 000 mehr
Arbeitslosen rechnen, als es Ihr erklärtes Ziel war, an dem
Sie sich jederzeit messen lassen wollten, dann müssen Sie
zu dem Schluss kommen, dass Sie in der Arbeitsmarktpo-
litik, dem wichtigsten innenpolitischen Thema, komplett
versagt haben.
Ich erinnere daran: Der Bundeskanzler, Ihr Bundes-
kanzler, unser Bundeskanzler, Herr Schröder, der Bun-
deskanzler der Deutschen, hat am 21. September 1998 in
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Dirk Niebel
19519
einem Spiegel-Interview Folgendes gesagt; das kann
ich mittlerweile auswendig zitieren:
Wenn wir es nicht schaffen, die Arbeitslosenquote
signifikant zu senken, dann haben wir es nicht ver-
dient, wieder gewählt zu werden, und dann werden
wir auch nicht wieder gewählt werden.
Lassen Sie sich an Ihren Taten messen. Treten Sie von
Rot und Grün gar nicht erst wieder zur Bundestagswahl
an. Hören Sie auf Ihren Kanzler!
Vielen Dank.
Das Wort hat nun der
Kollege Dr. Klaus Grehn für die PDS-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt ein altes Sprich-
wort: Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.
Warum sage ich Ihnen das? Seit zwölf Jahren stehe ich
aktiv in der Arbeitslosenbewegung. In diesen zwölf Jah-
ren habe ich so viel Licht am Ende des Tunnels gesehen,
ich habe so viele Täler durchschritten, ich bin so oft berg-
auf gelaufen, nach jedem neuen Gesetzentwurf wurden
neue Erwartungen aufgehäuft,
dass ich sage: Ich bin diesbezüglich sehr viel zurückhal-
tender. Auch Sie haben Anlass, zurückhaltender zu sein und
nicht Wunschdenken zu verkaufen. Ich will dabei nicht ver-
hehlen dazu stehe ich zu sehr auf der Seite der Arbeitslo-
sen , dass ich Ihnen von ganzem Herzen die Erfüllung Ih-
rer Erwartungen an dieses Job-Aqtiv-Gesetz wünsche.
Aber ich bin in zwölf Jahren ein harter Realist geworden.
Ich sehe in Ihrem Gesetz eine ganze Reihe von Punkten,
die dies nicht erwarten lassen.
Die Zahlen sind Ihnen zu Recht vorgeworfen worden;
sie sind Realität. Sie haben das Gesetz zu einem Zeitpunkt
vorgelegt, zu dem die Arbeitslosigkeit in dramatischer Art
und Weise gestiegen ist. Wir sind 1998 wegen des Regie-
rungswechsels auf die Straße gegangen. Sie haben
versprochen, dass Sie die Arbeitslosigkeit senken werden.
Wir stehen heute wieder an dem Punkt, an dem wir 1998
standen.
Man muss sogar damit rechnen, dass die Situation noch
schlechter wird.
Wir haben alle unterbreiteten Vorschläge stets gründ-
lich analysiert und uns um die Erhöhung ihrer Wirksam-
keit bemüht, indem wir aus unserer Sicht erforderliche
Änderungsvorschläge eingebracht haben. Auch das vor-
gelegte Gesetz ist an der Realität und ihren Erfordernis-
sen zu messen. So gesehen, Kollegin Nahles, ist das Job-
Aqtiv-Gesetz eben keine ausreichende Antwort. Es ist
nicht die große Reform der Arbeitsförderung; es ist
schlichtweg nicht die notwendige, angekündigte und ver-
sprochene Reform des SGB III.
Seien Sie vorsichtig, Herr Kollege.
Ein kleiner Trost mag es sein, meine Damen und Her-
ren von der Regierungskoalition, dass es immerhin besser
ist, sich mit Ihrem Gesetzentwurf statt mit Reformschrit-
ten von CDU/CSU oder FDP zu befassen.
Deren Absichten gehen aus ihren Anträgen hervor. Sie ste-
hen hier mit zur Diskussion. Besonders die FDP sollte
ihren Vorschlag, die Dauer des Bezugs von Arbeitslo-
sengeld drastisch zu kürzen, den Arbeitslosen in den Ar-
beitsämtern erklären. Kollege Niebel, Sie kommen von
dort; erklären Sie es ihnen. Es sind genug da.
Ihre Vorschläge laufen darauf hinaus, den Betroffenen die
unmittelbare Schuld zuzuweisen. Das ist Ihre zentrale
Botschaft.
Dem können wir nicht folgen. Wenn es auch nur ein
Teilschritt ist, so greift die Reform der arbeitsmarktpoliti-
schen Förderinstrumente doch ein wichtiges Thema der
Arbeitsmarktförderung auf. Wir haben das nie verkannt.
Ich will das auch nicht ausführen, denn in unserem Ent-
schließungsantrag haben wir die positiven Seiten Ihres
Gesetzentwurfs hervorgehoben. Davon machen wir auch
keinerlei Abstriche. Das Gesetz bringt eine Reihe von
Verbesserungen. Die Glaubwürdigkeit der Verbesserun-
gen muss sich allerdings an ihrer Finanzierung messen
lassen. Da kommen uns erhebliche Zweifel, die beim Prü-
fen des Etats der Bundesanstalt für Arbeit eher wach-
sen. Ich will nicht auf die 2 Milliarden Euro verweisen;
das ist hinreichend erfolgt. Aber mich bewegt, dass Sie
eine Absenkung des Geldes für ABM um 16,2 Prozent
und für SAM um 30,5 Prozent zugrunde legen, trotz Ihrer
Aussagen, dass Sie die Arbeitsmarktpolitik verstetigen
wollen. Dass dies in besonderer Weise zulasten der neuen
Bundesländer geht, muss ich nicht extra erläutern.
Das ist ein zentraler Punkt unserer Kritik. Prävention ist
gut und richtig, aber sie darf nicht zulasten der betroffe-
nen Arbeitslosen gehen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Dirk Niebel
19520
Wir fordern eine Reihe von Änderungen, die wir in vier
Änderungsanträgen vorgelegt haben, die heute mit zur
Diskussion stehen. Sie sind in einer guten Farbe gedruckt:
auf Rot.
Die wesentlichen Dinge sind: Wir wollen erstens, dass
Sie von der Frist von drei Jahren, die man auf eine
ABM/SAM-Maßnahme warten muss, abgehen. Diese
Frist konterkariert Ihren richtigen Schritt, eine ABM/
SAM ab dem ersten Tag beginnen zu können.
Wir wollen zweitens, dass Sie die Sperrzeitenrege-
lung, die verschärft worden ist auch wenn Sie das be-
streiten , aufheben.
Wir wollen drittens, dass die Verleiharbeit generell
nicht unterstützt wird, sondern ab dem ersten Tag Tarif-
lohn gezahlt wird, wie es in Europa allgemein üblich ist.
Wir wollen schließlich viertens, dass die jährliche
3-prozentige Absenkung der Arbeitslosenhilfe zurück-
genommen wird; das haben Sie einmal versprochen.
Stimmen Sie unseren vier Änderungsanträgen zu, die
schlimme negative Auswirkungen des Gesetzes verhin-
dern. Dann können Sie die Stimmen der PDS-Fraktion zu
Ihren dazuzählen.
Ich erteile das Wort
dem Bundesminister Walter Riester.
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Da-
men und Herren! Gerne lassen wir uns messen.
Bevor wir uns hier in eine Depression hineinreden,
will ich zu den schwierigen wirtschaftlichen Bedingun-
gen eines feststellen: In den letzten drei Jahren ist die
Zahl der Beschäftigungsverhältnisse um 1 Million ge-
stiegen,
die der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungs-
verhältnisse um 750 000. Die Arbeitslosigkeit ist erstmals
um 400 000 abgesenkt,
und dies noch vor der großen Reform der Arbeitsmarkt-
politik.
Warum, meine Damen und Herren? Zuerst einmal,
weil wir gegen Ihre Widerstände eine Steuerreform reali-
siert haben,
zum Zweiten, weil wir gegen Ihre Widerstände eine Ren-
tenreform realisiert haben,
zum Dritten, weil wir gegen Ihre Widerstände ein Ju-
gendsofortprogramm aufgelegt haben, mit dem 330 000
junge Menschen zusätzliche Chancen bekommen haben,
zum Vierten, weil wir gegen Ihre Widerstände das Schwer-
behindertenrecht geändert haben und zwischenzeitlich
25 800 schwerbehinderte Arbeitslose weniger haben.
Das waren die ersten wichtigen Schritte.
Nun führen wir die große Reform der Arbeitsmarktpo-
litik durch. Um was geht es im Kern? Das Herzstück ist
die schnelle und passgenaue Vermittlung arbeitsloser
Menschen.
Es geht darum, dass zukünftig bei Eintritt der Arbeitslo-
sigkeit verbindlich festgelegt wird, welche Chancen und
Risiken es gibt, welche Angebote dem Arbeitslosen ge-
macht werden können, aber auch, was an eigenem Beitrag
zu leisten ist, um ganz schnell und passgenau Arbeit zu
finden. Darum geht es im Kern.
Zweiter Punkt: Qualifizierung. Wenn Beschäftigte an
einer Qualifizierungsmaßnahme teilnehmen, soll die
Möglichkeit bestehen, diese Arbeitsplätze für die Zeit der
Maßnahme mit geeigneten Arbeitslosen zu besetzen,
wofür volle Unterstützung gewährleistet werden soll.
Hier ist einerseits Qualifizierung, andererseits Einbringen
in den Arbeitsmarkt gefordert. Beides gehen wir an.
Herr Minister, es gibt
zwei Bitten um Zwischenfragen. Wollen Sie sie zulassen?
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Nein, ich möchte sie dieses Mal nicht zulas-
sen, sondern ich möchte im Zusammenhang vortragen.
Dritter Punkt: Qualifikation. Wir beenden nicht nur
die Frühverrentungspraxis, sondern wir bieten Alternati-
ven an, und zwar dergestalt, dass Arbeitnehmer ab
50 zukünftig meine Damen und Herren, das ist eines
der wichtigen Programme auch für kleine und mittel-
ständische Betriebe eine bis zu hundertprozentige
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Dr. Klaus Grehn
19521
Unterstützung von der Bundesanstalt für Arbeit für ihre
Qualifizierung bekommen.
Wir wissen, dass in vielen Großbetrieben Qualifikation
systematisch betrieben wird, dass es aber vielen Klein-
und Mittelbetrieben schwer fällt, hier Anstrengungen zu
unternehmen. Hier bedarf es der Unterstützung, und zwar
einerseits für die Beschäftigten, andererseits aber auch für
die Betriebe.
Nächster Punkt. Wir wollen das ist familienfreund-
lich die Möglichkeit schaffen, Kindererziehung und
Berufstätigkeit so zu verbinden, dass der Übergang in
den Arbeitsmarkt wieder möglich ist.
Damit führen wir eine Reform der Arbeitsmarktpolitik
durch,
die Qualifikation und Vermittlung stärkt. Ich bin der Bun-
desanstalt für Arbeit dankbar, dass sie parallel dazu bereits
mehr als 1 000 Vermittler eingestellt hat und schult und mit
insgesamt 2 000 zusätzlichen Stellen in die Vermittlung
eintritt. Wir werden darüber hinaus den Vermittlungspro-
zess außerhalb der Bundesanstalt für Arbeit noch mit etwa
1 000 Stellen bei Dritten fördern. Das ist der größte Schub
in Arbeitsvermittlung, den es jemals gegeben hat.
Damit wird der Steuerreform und der Reform der Sozial-
versicherung die Reform des Arbeitsmarktes folgen.
Nun habe ich in der vorhergehenden Debatte gehört,
dass einige erklärt haben, sie wollten wenn ich Herrn
Laumann richtig verstanden habe sofort unmittelbar die
Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zusammenführen.
Sie haben 16 Jahre lang Zeit gehabt und jetzt fällt es Ih-
nen ein. Das aber nur als Randbemerkung.
Damals war die SPD in der Opposition. Sie haben es
nicht einmal geschafft, eine solche Sache anzugehen, Herr
Laumann.
Jetzt aber haben Sie dem ersten Ansatz, bei der Arbeitslo-
senhilfe eine Korrektur vorzunehmen, sofort Ihr Veto ent-
gegengehalten; daran darf ich Sie erinnern. Selbst an die-
sem Punkt haben Sie versagt.
Gleichzeitig erklären Sie im Parlament, wir bräuchten
einen Niedriglohnbereich und die Arbeitslosenhilfe sei zu
hoch. Wissen Sie, wie hoch die durchschnittliche Arbeits-
losenhilfe ist? Ich will es Ihnen einmal sagen: 985 DM.
Das ist dem Herrn Laumann zu hoch.
Deswegen möchte der Herr Laumann die Arbeitslosen-
hilfe am besten sofort streichen.
Jetzt sind wir bei den Fakten. Wir haben erklärt, wir
wollen die Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammen-
führen.
Die Arbeits- und Sozialministerkonferenz hat das unter-
stützt.
Sie hat gefordert, das im Jahre 2002/2003 anzugehen. Wir
haben die ersten Schritte eingeleitet, auch gegen Ihren Wi-
derstand.
Wir haben die MoZArT-Projekte aufgelegt. In diesen
30 Modellprojekten läuft es hervorragend. Wir werden
das machen das kann ich Ihnen zusagen , auch gegen
Ihren Widerstand.
Herr Niebel, Sie haben ein wahrscheinlich aus
dem Zusammenhang gerissenes Argument der Frau
Diamantopoulou angeführt. Das werden wir nachprüfen.
Ich kann Ihnen aber eines sagen das ist zwischenzeitlich
sicherlich zweifelsfrei : Im Jahre 1997 hat das deutsche
Volk das Wort Reformstau zum Wort des Jahres ge-
wählt. Sie haben die Rentenreform abgelehnt. Sie haben
die Gesundheitsreform torpediert.
Sie haben die Steuerreform abgelehnt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Bundesminister Walter Riester
19522
Sie werden heute die Arbeitsmarktreform ablehnen.
Sie haben nichts dazugelernt.
Wir werden diese Reformen vorantreiben, und zwar
auch gegen Ihren Widerstand. Das werden wir machen.
Das werden wir auch in der Arbeitsmarktpolitik ma-
chen.
Ich habe den Eindruck, dass Sie diese Frage nicht so furcht-
bar interessiert, wenn ich mir die Besetzung anschaue.
Herzlichen Dank.
Jetzt gibt es zwei
Wünsche nach Kurzinterventionen. Die erste, Herr
Dr. Grehn, bitte sehr. Herr Minister, Sie können darauf
antworten.
Es tut mir Leid, aber die
Frage ist mir zu wichtig, als dass ich darauf verzichten
könnte, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich bitte um Ver-
ständnis.
Erstens, Herr Minister, zum Eingliederungsplan. Es
steht mir nicht an zu sagen, dass es für einige Arbeitslose
in Ordnung und richtig ist, ich frage nur hinsichtlich ihrer
hohen allgemeinen Erwartungen: Was nutzen Ihnen Ein-
gliederungspläne für Arbeitslose, wenn in den neuen Bun-
desländern insgesamt auf 22Arbeitslose eine offene Stelle
kommt? Wo wollen Sie da mit Ihren Arbeitslosen hin?
Das müssten Sie mir einmal beantworten.
Zweitens. Ich will davon ableiten, das A und O bleibt
die Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen. Da sehe
ich in Ihrem Gesetz einen Ansatz, der sich im Bereich der
öffentlich geförderten Beschäftigung bewegt. Ich ge-
stehe, dass ich da sehr enge Beziehungen zu unserem An-
trag über einen öffentlich geförderten Beschäftigungssek-
tor sehe. Wir mögen da ein Stück auseinander sein, aber
es gibt dort sehr enge Berührungspunkte. Da wäre es bei-
spielsweise möglich, dies mit der Projektförderung über
einen längerfristigen Zeitraum zu verknüpfen, um das
Hinüberwachsen in den ersten Arbeitsmarkt zu befördern.
Allerdings hätten Sie eine weitere Möglichkeit, wenn
Sie eben nicht die Wartefrist nach einer ABM-Stelle so ge-
neralisierend einführen, wie es hier geschieht. Es steht
nicht da, ob nach einem viertel oder halben Jahr oder ei-
nem Jahr die ABM, werden ja inzwischen gesplittet
die Wartefrist eintritt und sie haben dann nach einer SAM
ebenfalls eine Wartefrist von drei Jahren.
Haben Sie ein Projekt, mit dem Sie ein vernünftiges
Konzept zum Übergang auf den ersten Arbeitsmarkt ha-
ben Ausgründung hat man früher dazu gesagt dann
schaffen Sie das nicht mit einem Personal, das bei ABM
jährlich wechselt und bei SAM dreijährlich wechselt. Je-
der weiß, dass ein Unternehmen fünf bis sieben Jahre
braucht, um sich zu etablieren. Es sei denn, Sie erklären
hier, dass wir immer noch den ursprünglichen Grün-
dungsideen des Arbeitsförderungsgesetzes anhängen, das
eigentlich zum Parken gedacht ist.
Ich meine, es ist an der Zeit, darüber nachzudenken,
dass ein Gutteil der Arbeitsförderung benutzt wird, um in
den ersten Arbeitsmarkt hinüberzuwachsen.
Zu einer weiteren In-
tervention gebe ich Herrn Kollegen Singhammer das
Wort. An sich könnte der Minister auf jede Intervention
antworten, aber wenn Sie sich alle ein bisschen kürzer fas-
sen und er dann zusammenfassend darauf antwortet, wäre
das für den Ablauf der Debatte ganz richtig Herr
Singhammer, bitte sehr.
Sehr gern,
Frau Präsidentin.
Da der Minister nicht in der Lage war, Zwischenfragen
zuzulassen,
wähle ich den Weg der Intervention.
Herr Minister, trifft es zu darauf müssen Sie natür-
lich eingehen , dass jetzt in dieser Woche das Arbeits-
ministerium in dieser Vorlage für die Nachtsitzung des
Ausschusses erstmals offiziell von 3,9 Millionen Arbeits-
losen im Durchschnitt ausgeht, nachdem Sie zuvor
3,5 Millionen als das anzustrebende Ziel genannt haben
und jetzt selbst einräumen, dass es im nächsten
Jahr 3,9 Millionen im Durchschnitt sein werden? Das
bedeutet, dass wir zu den Jahreszeiten, die für den
Arbeitsmarkt ungünstig sind, deutlich über 4 Milli-
onen kommen werden und damit Ihre gesamten
Bemühungen und Anstrengungen auf dem Arbeitsmarkt
gescheitert sind,
weil das natürlich gravierende Auswirkungen nicht nur
auf die Betroffenen haben wird, die um ihren Arbeitsplatz
bangen, sondern auch auf die Sozialversicherungssys-
teme, denen dann die Einnahmen fehlen werden. Die Ein-
nahmen fehlen in der Rentenversicherung, in der Kran-
kenversicherung, in der Pflegeversicherung, in der
Arbeitslosenversicherung.
Dann sage ich Ihnen noch etwas im Zusammenhang
mit der Sozialhilfe, weil Sie hier den Kollegen Laumann
genannt haben.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Bundesminister Walter Riester
19523
Haben Sie schon vergessen, dass die gemeinnützige
Tätigkeit, die wir vielen Sozialhilfeempfängern ermögli-
chen wollten, früher aus Ihren Reihen als Zwangsarbeit
verteufelt wurde?
Das sollten Sie einmal zugestehen.
Nun hat zu einer
Kurzintervention der Kollege Niebel das Wort, bitte sehr.
Herr Minister, Sie haben anklin-
gen lassen, dass Sie vermuten, ich hätte falsch zitiert. Des-
halb erlaube ich mir, Ihnen den Kommentar der Neuen
Osna-brücker Zeitung von heute, auf den ich mich bezo-
gen habe, in Gänze vorzutragen das ist sicher sehr in-
teressant für Sie :
Wie die Dominosteine fallen in diesen Tagen die ein-
zelnen Elemente in Eichels Finanzplanung. Noch be-
vor die Steuerschätzer ihre Hiobsbotschaften aus-
breiten, hat die Bundesanstalt für Arbeit schon das
Loch berechnet, das die Konjunkturflaute im nächs-
ten Jahr in ihre Kasse reißt.
Vier Milliarden wird der Bund zuschießen müssen;
der Finanzminister hatte dafür im Etat bislang keinen
Pfennig vorgesehen. Die Beitragssenkung, die Ar-
beitsminister Riester bereits in Aussicht gestellt
hatte, sie liegt wieder in weiter Ferne. Wenn das Geld
knapp ist, wächst für gewöhnlich der Reformdruck.
Doch bei dieser Regierung scheint dies anders zu
sein; sie vermittelt in der Arbeitsmarktpolitik gera-
dezu den Eindruck von Lethargie.
Mit dem Job-Aqtiv-Gesetz soll zwar die Vermittlung
effizienter gestaltet werden, doch in puncto Flexibi-
lität und Kreativität bei der Nutzung der Beschäfti-
gungschancen liegt die Bundesrepublik im europä-
ischen Vergleich weit hinten.
hat die Schwachstelle genau bezeichnet: das offen-
sichtliche Unvermögen, das Tempo der administrati-
ven Reformen dem Tempo des Wandels der Gesell-
schaft anzupassen.
Riester sollte sich ein Beispiel an seinem Kollegen
Otto Schily nehmen: Der hat in kürzester Frist, weil
es drängte, gleich zwei Sicherheitspakete auf den
Weg gebracht. Der Arbeitsmarkt verlangt nicht we-
niger Einsatz. Dem Job-Aqtiv-Gesetz müssen
schnell weitere Initiativen folgen.
So weit die Neue Osnabrücker Zeitung von heute. Ich
habe das ordnungsgemäß vorgelesen und gebe das so zu
Protokoll.
Herr Riester, Sie sind gescheitert.
Nun erteile ich das
Wort dem Bundesarbeitsminister, der sicherlich keine Le-
sung halten, sondern etwas sagen wird.
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Herr Grehn, in einem Punkt gebe ich Ihnen
Recht: Der Eingliederungsplan wird dann nichts bringen,
wenn es nichts zu vermitteln gibt. Aber wir haben im Mo-
ment immer noch rund 400 000 gemeldete offene Stellen.
Offensichtlich gibt es darüber hinaus noch deutlich mehr
nicht gemeldete offene Stellen.
Deshalb ist es wichtig, dass wir diesen Vermittlungspro-
zess dort, wo es etwas zu vermitteln gibt, wesentlich effi-
zienter und schneller machen. Darum geht es.
Ein zweiter Punkt: Wo es geht, werden wir den Über-
gang vom öffentlich geförderten in den ersten Arbeits-
markt organisieren. Aber wenn es irgendwie geht,
möchte ich die öffentlich geförderte Beschäftigung als
Zwischenstufe von vornherein vermeiden. Ich bin dafür,
Herr Grehn, dass wir dann, wenn wir keine anderen An-
gebote haben, den Menschen, die nicht zu vermitteln sind,
die Möglichkeit eröffnen, im Wege von Strukturanpas-
sungs- oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Arbeit zu
gelangen. Dies ist immer noch besser als die Alternative,
beschäftigungslos alimentiert zu werden. Deswegen ha-
ben wir das jetzt so ausgestaltet, dass eine bessere Ver-
zahnung von Arbeitsmarkt- und Infrastrukturmaßnahmen
erfolgen kann. Aber unser vorrangiges Interesse ist im-
mer, die Brücke in den ersten Arbeitsmarkt zu schlagen.
Herr Singhammer möchte von mir Dinge bestätigt wis-
sen, die ich so natürlich nicht bestätigen kann.
Nach der von der Bundesregierung nicht nur vom Ar-
beitsministerium für das nächste Jahr unterstellten Ar-
beitsmarktentwicklung wird ein Wert erreicht werden, der
unter 3,9 Millionen Arbeitslosen liegt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Johannes Singhammer
19524
Daraus abzuleiten, dass die Arbeitsmarktpolitik geschei-
tert ist, ist schon eigenartig. Nur, um noch einmal darauf
hinzuweisen: Die durchschnittliche Arbeitslosenzahl, die
wir von Ihnen übernommen haben, lag bei 4,3 Millionen.
400 000 Arbeitslose weniger ist kein Scheitern, sondern
Ausdruck aktiver Politik für Arbeitsplätze. Sie wären
wahrscheinlich wie um das goldene Kalb getanzt, hätten
Sie diese Zahl zu Ihrer Zeit erreicht.
Nun zum dritten Punkt. Ich bin froh, dass Herr Niebel
vorgelesen hat es hat zwar ein bisschen Zeit in Anspruch
genommen ,
dass Frau Diamantopoulou nicht die Bundesregierung
oder den Arbeitsminister, sondern die Entwicklung in der
EU angemahnt hat.
Dies war es wert, dass uns Herr Niebel das noch einmal
vorgelesen hat. Genau deswegen habe ich interveniert.
Denn ich weiß, dass ich bei Ihnen besonders vorsichtig
sein muss. Man muss erkennen, in welchen Zusammen-
hang Sie Aussagen von bestimmten Personen stellen.
Herzlichen Dank.
Nun hat die Kollegin
Brigitte Baumeister, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. Bitte
sehr.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, ich wun-
dere mich ein wenig. Ich möchte zwei Dinge, die Sie an-
gesprochen haben, aufgreifen. Glauben Sie denn wirklich,
dass die Rentenreform vor dem Hintergrund, dass Sie an
die Schwankungsreserve herangehen müssen, ein Erfolg
ist?
Glauben Sie wirklich, dass die Steuerreform ein Erfolg ist,
wenn es gleichzeitig zu einer Benachteiligung des Mittel-
standes kommt und Sie Steuererhöhungen durchführen?
Wenn man die Situation auf dem Arbeitsmarkt und in
der Wirtschaft im Allgemeinen ansieht, kann man in der
Tat depressiv werden. Ich sage Ihnen ganz klar: Die Wirt-
schaft lahmt im Augenblick. Die Zahl der Aufträge ist
stark zurückgegangen. Die Arbeitslosigkeit ist gestiegen
und viele Betriebe wollen durch Urlaubsumschichtungen,
durch freiwilligen Lohnverzicht oder durch Verzicht auf
das Weihnachtsgeld den drohenden Stellenabbau verhin-
dern. Sie selbst haben in dieser Woche kundgetan, dass
Sie im Jahre 2002 mit im Durchschnitt 3,89 Millionen Ar-
beitslosen rechnen. Ich frage Sie an dieser Stelle wirklich,
ob Sie damit nicht deutlich Ihr Ziel verfehlt haben.
Wir sind der Meinung, dass es hier zweierlei bedarf:
Erstens. Die Konjunktur muss wieder in Schwung ge-
bracht werden. Dazu bedarf es hier in Deutschland Refor-
men, die mutig sein müssen.
Die Wirtschaft muss wieder die Chance bekommen,
überhaupt Arbeitsplätze schaffen zu können. Ich persön-
lich denke da nicht in erster Linie an ein neu aufgelegtes
Konjunkturprogramm oder an ein Vorziehen der Steuer-
reform. Sie sollten aber einmal den Antrag der
CDU/CSU-Fraktion lesen. In ihm ist die Forderung ent-
halten, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um ins-
gesamt 1 Prozentpunkt zu senken. Das wäre ein deutlicher
Schritt zur Absenkung der Lohnnebenkosten.
Zweitens. Arbeitslose müssen besser und schneller ver-
mittelt werden. Ich habe im Ausschuss kundgetan, dass
ich Ihnen in diesem Punkt zustimme. Dieses Vorhaben ist
in Ihrem Koalitionsvertrag enthalten; doch der Gesetzent-
wurf kommt leider relativ spät.
In zwei Punkten stimme ich Ihnen zu: beim Profiling
und beim Eingliederungsvertrag. Es ist richtig die Ar-
beitsämter verbinden damit in der Tat eine gewisse Hoff-
nung , dass durch diese Instrumente die Situation besser
wird. Grundsätzlich aber möchte ich Ihnen sagen, dass ich
mir beim Eingliederungsvertrag die Frage stelle, was pas-
siert, wenn die Vereinbarungen nicht eingehalten werden.
Was können die Betreuer über die jetzt schon bestehenden
Sanktionen hinaus überhaupt tun? Auf diese Frage habe
ich keine Antwort bekommen.
Ferner beklagen die Arbeitsämter die Regelung in § 49
Abs. 2 SGB III, in der Trainingsmaßnahmen von vier Wo-
chen, Bewerbungsseminare von zwei Wochen und ein be-
triebliches Praktikum von acht Wochen vorgesehen sind.
Die Arbeitsämter hätten es gerne, dass Arbeitslose, wenn
sie in einem Betrieb ein Praktikum nicht erfolgreich ab-
geschlossen haben, in einem anderen Betrieb ein Prakti-
kum von gegebenenfalls noch einmal acht Wochen ma-
chen können. Hierzu sage ich Ihnen: Flexibilität ist nicht
gefragt. Es kommt vielmehr zu Einschränkungen.
Frau Nahles, Sie haben die Leistungen für Frauen
sehr hervorgehoben.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Bundesminister Walter Riester
19525
Ich möchte Sie fragen: Was haben Sie für Alleinerzie-
hende getan? Was haben Sie bei der Kinderbetreuung ge-
macht? Sie haben diese um 1 000 DM gesenkt.
Ihr Schreien nützt nichts; deswegen werde ich nicht lau-
ter. Ich frage Sie auch: Was haben Sie beim Ausbil-
dungsfreibetrag gemacht? Den haben Sie doch gesenkt.
Oder: Was ist mit der Haushaltshilfe? Ab dem 1. Ja-
nuar 2002 wollen Sie die Freibeträge für eine Haushalts-
hilfe abschaffen. Mit Ihrer Familienpolitik können Sie
sich nicht allzu sehr brüsten.
Ich möchte noch einige Bemerkungen zu der im Ge-
setzentwurf vorgesehenen Beschäftigung schaffenden In-
frastrukturförderung machen. Nach Ihrem Gesetzent-
wurf sollen Firmen öffentliche Aufträge, zum Beispiel für
den Bau von Kinderspielplätzen oder öffentlichen Ein-
richtungen, erhalten, wenn sie eine festgelegte Anzahl
von Arbeitslosen beschäftigen, die vom Arbeitsamt finan-
ziert werden.
Es ist richtig, Herr Thönnes: Die Arbeitslosen werden
nicht allein vom Arbeitsamt bezahlt, sondern nur mitfi-
nanziert.
Um es gleich vorwegzunehmen: Ich greife ein Argu-
ment auf, das in der Anhörung genannt wurde. In erster
Linie schadet dies dem Handwerk und dem Mittelstand.
Gerade die Vertreter der Gartenbaubetriebe und der
Bauindustrie haben Ihnen in der Anhörung gesagt, dass
sie sich damit keineswegs einverstanden erklären können.
Ich werde Ihnen aufzeigen, wozu das führt: Arbeitneh-
mer und Arbeitgeber bezahlen über ihre Beiträge zur Ar-
beitslosenversicherung immerhin 6,5 Prozent kom-
munale Infrastrukturprojekte mit. Die Beitragszahlungen
sichern nicht das Risiko von Arbeitslosigkeit ab, sondern
mit Ihnen werden die Langzeitarbeitslosen mitfinanziert.
Ob das tatsächlich der Sinn der Arbeitslosenversicherung
sein kann, frage ich mich ernstlich. Ich frage mich auch,
ob dies nicht ein Subventionstatbestand ist, den Sie immer
wieder kritisieren.
Gravierende Folgen in diesem Gesetzentwurf ich
habe es schon erwähnt werden bei kleinen und mittel-
ständischen Betrieben sowie beim Handwerk sichtbar.
Diese sind in mehrfacher Hinsicht benachteiligt.
Erstens. Diese kleinen Betriebe haben überhaupt nicht
die Möglichkeit, die Obergrenze von 35 Prozent bei ei-
nem Auftrag auszuschöpfen. Das können sie gar nicht.
Zweitens. Es sind vor allem größere Unternehmen, die
gute Kontakte zu den Kommunen pflegen und von dieser
Förderung möglicherweise mehr als kleinere Betriebe
profitieren.
Warten Sie es erst einmal ab!
Drittens. Diese größeren Betriebe stellen mit ihren
günstigen Angeboten eine härtere Konkurrenz für die
kleineren Betriebe dar. Diese Regelung das sage ich Ih-
nen jetzt schon voraus wird mit Sicherheit negative Fol-
gen auf dem Arbeitsmarkt haben.
Manche Betriebe Herr Niebel hat es vorhin schon ge-
sagt könnten sogar animiert werden, regulär Beschäf-
tigte abzubauen und auf dieses Instrument der Förderung
von Arbeitslosen auszuweichen.
Selbst Frau Engelen-Kefer und der Kollege Wiesehügel
schließen nicht aus, dass damit ein Drehtüreffekt eintreten
könnte. Insgesamt ist damit die unausweichliche Gefahr
verbunden, dass Länder und Kommunen ihre Mittel für
öffentliche Investitionen zurückfahren werden.
Ich möchte noch einige wenige Bemerkungen zur
Arbeitnehmerüberlassung machen. Ich bin froh, dass
Sie diesbezüglich Ihre Zweifel ausgeräumt und die Anhe-
bung der Verleihdauer auf 24 Monate übernommen ha-
ben. Aber die Regelung, ab dem 13. Monat den Tarifver-
trag der Firma zu übernehmen, in der der Verleihende
arbeitet, wird in der Praxis große Probleme mit sich brin-
gen. Für die Industrie ist es nur dann attraktiv, wenn der
Leiharbeiter günstiger als der Normalbeschäftigte ist.
Außerdem fehlen in dem Gesetz Deregulierungsschritte.
Ich nenne das von uns angemahnte Synchronisationsver-
bot und das Wiedereinstellungsverbot.
Ich möchte auch noch ein Wort zum Kombilohn sa-
gen. Sie argumentierten im Ausschuss, die bisherigen Er-
fahrungen seien nicht besonders gut. Ich frage Sie:
Warum machen Sie diesen Versuch nicht flächen-
deckend? Dann können wir tatsächlich Erfahrungen sam-
meln. Wir sind der Meinung das ist ein Bestandteil un-
seres Antrages , dass dies eine Maßnahme für den
Niedriglohnsektor sein könnte. Das ist wichtig.
Insgesamt möchte ich betonen: Das Job-Aqtiv-Gesetz
hat einige gute Ansätze, aber in der Gesamtheit wird mit
ihm viel zu kurz gesprungen. Das habe ich bereits im Aus-
schuss gesagt. Sie werden erleben müssen, meine Damen
und Herren von der Regierungskoalition, dass die Oppo-
sition Sie weiterhin daran messen wird, ob Sie mit diesem
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Brigitte Baumeister
19526
Gesetz einen Erfolg erzielen werden, nämlich den Abbau
der Arbeitslosigkeit.
Nun hat die Kollegin
Ute Kumpf für die SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Herr Niebel, eine kleine Qua-
lifizierungsoffensive für Sie: Vielleicht wäre es ganz sinn-
voll, wenn Sie ab und zu weniger Zeitung und dafür mehr
die Ausschussdrucksachen lesen würden.
Ich empfehle Ihnen wärmstens die Ausschussdrucksache
14/1838 als Lektüre.
Wenn wir heute damit leite ich zum Thema über das
Job-Aqtiv-Gesetz verabschieden, dann machen wir den
Weg für eine aktive Arbeitsmarktpolitik frei. Dieses Ge-
setz enthält genau die vier, fünf Punkte, deren Umsetzung
die EU schon vor drei Jahren angemahnt hat, also zu ei-
ner Zeit, als zwar nicht Sie persönlich, Herr Niebel, aber
Ihre Partei in der Verantwortung war. Man sagt immer,
dass man etwas siebenmal wiederholen muss, bis Kinder
es verstanden haben. Vielleicht muss man es für Sie vier-
zehnmal wiederholen.
Ich möchte Ihnen deswegen noch einmal erklären, welche
Grundsätze dem Job-Aqtiv-Gesetz zugrunde liegen.
Wir wollen zuallererst Probleme lösen und nicht aus-
sitzen. Wir wollen den Grundsatz Fordern und fördern
verfolgen. Wir wollen besondere Zielgruppen, Ältere,
Un- und Angelernte und die Frauen zusätzlich fördern.
Wir wollen das neue Instrument der Jobrotation einsetzen.
Wir wollen den Frauen mehr Teilhabe und Chancen-
gleichheit am Arbeitsmarkt einräumen. Wir wollen vor al-
lem die Infrastrukturpolitik mit der Arbeitsmarktpolitik
verzahnen, Frau Baumeister. So etwas können auch wir
im reichen Baden-Württemberg gebrauchen.
Das wird auch bezahlt. Hätten Sie doch bei der An-
hörung gut zugehört! Der Schwabe wird sich freuen; denn
die Verpflichtung zu einer aktiven Arbeitsmarktpolitik
sowie die Verbesserung und Beschleunigung der
Vermittlungsarbeit das müssten auch Sie, Herr Niebel,
wissen haben positive finanzielle Folgen für die Ar-
beitsämter.
Das geht nicht auf meine Berechnungen zurück, son-
dern auf die von Herrn Egle er kommt ja von der Fach-
hochschule Mannheim, an der Sie nach Ihrer Bundes-
wehrzeit vielleicht auch einmal studiert haben ,
die er während der Anhörung vorgetragen hat. Er hat fol-
gende Rechnung aufgemacht: Wenn die Verweildauer um
drei Tage verkürzt wird, dann verringern sich die anfal-
lenden Kosten der Arbeitslosigkeit bezogen auf 200 000
Arbeitslose um rund 2,6 Milliarden DM. Diese 2,6 Mil-
liarden DM können wir dann in die Förderung des Ar-
beitsmarktes investieren.
Das müsste Sie als Schwabe doch freuen.
Ich lasse keine Zwischenfrage zu, weil ich zum Ende
kommen möchte. Ich glaube nicht, dass uns Ihre Einlas-
sungen weiterhelfen würden.
Wir machen mit dem Job-Aqtiv-Gesetz einen Einstieg
zum lebensbegleitenden Lernen möglich. Wir fördern und
unterstützen die Kultur des Lernens getreu dem Motto:
Die Unterweisung muss mehr gelten als die Überweisung.
Sie wissen gerade aufgrund der Erfahrungen, die man im
reichen und sehr gut dastehenden Baden-Württemberg
gemacht hat, dass berufliche Qualifikation notwendig und
wichtig ist.
Einen Moment, darauf komme ich noch zu sprechen.
Herr Grehn würde sich sicherlich freuen, wenn die ost-
deutschen Bundesländer die Arbeitsmarktzahlen aufzu-
weisen hätten, die zum Beispiel wir in Baden-Württem-
berg haben.
Dennoch gibt es ein Problem, nämlich das Problem
der Un- und Angelernten. Sie wissen ganz genau, ein un-
oder angelernter Arbeiter aus der Automobilindustrie
kann nicht einfach in die Gaststätte zum Wischen und
Putzen geschickt werden. Er braucht andere Qualifizie-
rungsangebote, um sich für den Arbeitsmarkt fit zu
machen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Brigitte Baumeister
19527
Es wurde auch etwas getan, Herr Singhammer. In Stutt-
gart wurde zum Beispiel in Vorgriff auf unser neues Ar-
beitsmarktkonzept, das wir mit unserem Job-Aqtiv-Ge-
setz umsetzen, der Anteil der Langzeitarbeitslosen
innerhalb von vier Jahren um 40 Prozent reduziert, und
zwar durch Weiterqualifizierung und Vermittlung. Der
Arbeitsamtsdirektor von Stuttgart, Wolfgang Gerlach
ich zitiere jetzt die Stuttgarter Zeitung, nicht die
Neue Osnabrücker Zeitung , hat gesagt: Die Maßnah-
men Langzeitarbeitslose werden qualifiziert und ver-
mittelt , die zur Stuttgarter Erfolgsgeschichte beige-
tragen haben, wollen wir bundesweit flächendeckend
einführen. Dazu brauchen wir das Job-Aqtiv-Gesetz.
Als ich mir alle Anträge, die Sie im Laufe der Bera-
tungen eingebracht haben, genau angeschaut habe, habe
ich festgestellt: Sie haben schlichtweg nichts dazugelernt.
Sie haben Ihre alten Konzepte, die Sie bis 1998 durchzu-
setzen versucht haben, immer wieder in die Beratungen
sozusagen wiedergekäut eingebracht.
Ihre Forderungen lassen sich auf Deregulierung, Leis-
tungskürzungen und Verfolgen der Arbeitslosen mit der
Meldepflicht das ist ursprünglich eine Forderung der
CDU/CSU reduzieren. Das heißt auch Zusammen-
führen von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe. Es kann
durchaus gut sein, wenn Arbeits- und Sozialämter besser
zusammenarbeiten, Sie aber haben schlichtweg die Kür-
zung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe im Kopf.
Nein, das denke ich nicht, weil auch Ihre Kollegen in
den Gemeinderäten über dieses Thema mit den entspre-
chenden Argumenten diskutieren. Ich glaube, Sie müssen
ein bisschen vorsichtiger sein. Sie können nicht die Hand
zum Schwur heben, wenn Sie behaupten wollten, Sie hät-
ten keine Leistungskürzungen im Auge. Ihr Fraktionsvor-
sitzender hat heute im Morgenmagazin lauthals ver-
kündet,
an dieser Schraube müsse gedreht werden, damit Be-
schäftigung möglich gemacht werden könne. Das ist Ihr
Konzept, das Sie in Bezug auf den Arbeitsmarkt verfol-
gen.
Wir halten Ihr Konzept der Deregulierung und Libera-
lisierung nicht für zukunftsfähig und auch nicht für nach-
haltig.
Wir gehen unseren Weg der Nachhaltigkeit auch in Fra-
gen der Arbeitsmarktpolitik, der Weiterbeschäftigungspo-
litik und der Qualifizierungspolitik.
Ein Wort noch an die Adresse der Arbeitgeber. Wenn
wir heute dieses Gesetz auf den Weg bringen, haben wir
unsere Hausaufgaben erledigt. Wir haben die Aufgaben
erledigt, die wir im Bündnis für Arbeit verabredet haben,
nämlich Rahmenbedingungen für die Arbeitsmarktpolitik
zu schaffen. Ich habe eine Bitte und eine Forderung an die
Arbeitgeber, die auch im Bündnis für Arbeit sitzen. Wir
haben 1,8 Milliarden Überstunden und eine steigende Ar-
beitslosigkeit. Ich glaube, es ist an der Zeit, dass die Un-
ternehmen ihrer Verantwortung gerecht werden, die Über-
stunden in Beschäftigung umzusetzen.
Wir liefern die Instrumente durch Lohnkostenzu-
schüsse, Weiterbildungsangebote und Jobrotation. Diese
Instrumente müssen von den Unternehmen beherzt auf-
gegriffen werden. Wir können keine Arbeitsplätze schaf-
fen. Das müssen letztendlich die Unternehmen tun. Auch
die Präsidentin hat bei der letzten Diskussion, die wir hier
geführt haben, gesagt, wir sollten auf diesen Punkt auf-
merksam machen.
Danke schön.
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Reform der arbeitsmarkt-
politischen Instrumente, Drucksachen 14/6944 und
14/7347. Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
empfiehlt unter Nr. 1 a seiner Beschlussempfehlung die
Annahme des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung.
Hierzu liegen vier Änderungsanträge der PDS vor, über
die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 14/7383? Wer stimmt dagegen? Enthaltungen?
Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses ge-
gen die Stimmen der PDS abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 14/7390? Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich?
Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 14/7391? Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich?
Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 14/7393? Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich?
Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Ute Kumpf
19528
chen. Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? Keine.
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung ange-
nommen.
Dritte Beratung
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? Ent-
haltungen? Keine. Der Gesetzentwurf ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen angenommen worden.
Nun kommen wir zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-
che 14/7379. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen?
Enthaltungen? Keine. Der Entschließungsantrag ist
abgelehnt.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuss für Arbeit und So-
zialordnung unter Nr. 1 b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 14/7347 die Annahme einer Entschließung.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer
stimmt dagegen? Enthaltungen? Die Beschlussemp-
fehlung ist bei Enthaltung der PDS gegen die Stimmen
von CDU/CSU und FDP angenommen.
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/2282 mit dem Titel Gesetz zur
Verlängerung der Rahmenfrist bei zeitlich befristeter Er-
werbsunfähigkeitsrente, Änderung des Dritten Buches
Sozialgesetzbuch. Der Ausschuss für Arbeit und Sozial-
ordnung empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 14/7347, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. Gegenprobe! Enthaltun-
gen? Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei-
tere Beratung.
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/3044 zur Änderung des Dritten
Buches Sozialgesetzbuch. Der Ausschuss für Arbeit und
Sozialordnung empfiehlt unter Nr. 3 seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 14/7347, den Gesetz-
entwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen.
Gegenprobe! Enthaltungen? Keine. Damit ist der Ge-
setzentwurf in zweiter Beratung abgelehnt.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei-
tere Beratung.
Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten
Gesetzentwurf zur Verbesserung der grenzüberschreiten-
den Arbeitsförderung im Rahmen des SGB III, Drucksa-
che 14/5013. Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
empfiehlt unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 14/7347, den Gesetzentwurf für erledigt zu
erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?
Das ist einstimmig. Damit ist die Beschlussempfehlung
angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 b. Unter Nr. 5 seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 14/7347 empfiehlt
der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung die Ableh-
nung des Antrages der Fraktion der CDU/CSU auf Druck-
sache 14/6636 mit dem Titel Arbeitsmarktpolitische
Maßnahmen effektiv und transparent gestalten Aus den
Hamburger Vorfällen Lehren für eine Reform des SGB III
ziehen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?
Gegenprobe! Enthaltungen? Die Beschlussempfeh-
lung ist angenommen.
Unter Nr. 6 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache
14/6888 mit dem Titel Arbeitsplätze schaffen statt Ar-
beitslosigkeit verwalten Reformen für einen besseren
Arbeitsmarkt. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? Gegenprobe! Enthaltungen? Die Beschluss-
empfehlung ist gegen die Stimmen der CDU/CSU-Frak-
tion angenommen.
Unter Nr. 7 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung die Ablehnung
des Antrages der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache
14/6162 mit dem Titel Arbeit vermitteln statt Ar-
beitslosigkeit verwalten Mehr Beschäftigung durch
Effizienz, Transparenz und Subsidiarität im Arbeitsförde-
rungsrecht. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? Gegenprobe! Enthaltungen? Gegen die
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion ist die Beschlussemp-
fehlung angenommen.
Unter Nr. 8 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache
14/6621 mit dem Titel Für eine wirksame und effiziente
Arbeitsmarktpolitik. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? Gegenprobe! Enthaltungen? Die Be-
schlussempfehlung ist gegen die Stimmen der FDP-Frak-
tion angenommen.
Unter Nr. 9 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der PDS auf Drucksache
14/5794 mit dem Titel Zusätzliche Arbeitsplätze för-
dern soziale Sicherungssysteme festigen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? Gegenprobe! Enthal-
tungen? Gegen die Stimmen der PDS-Fraktion ist die
Beschlussempfehlung angenommen.
Unter Nr. 10 seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 14/7347 empfiehlt der Ausschuss für Arbeit und So-
zialordnung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/7070 mit dem Titel Den Einstieg
in einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor er-
möglichen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? Gegen
die Stimmen der PDS-Fraktion ist die Beschlussempfeh-
lung angenommen.
Unter Nr. 11 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung schließlich,
die Unterrichtung durch die Bundesregierung auf Druck-
sache 14/5513 mit dem Titel Beschäftigungspolitischer
Aktionsplan der Bundesrepublik Deutschland 2001 zur
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Vizepräsidentin Anke Fuchs
19529
Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? Kenntnis nehmen alle.
Ich danke Ihnen. Damit haben wir diesen Tagesord-
nungspunkt erledigt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Finanzierung der Terrorbekämpfung
Drucksache 14/7062
a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses
Drucksache 14/7332
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Frank Schmidt
Norbert Barthle
b) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 14/7376
Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Uwe-Jens Rössel
Zu diesem Gesetzentwurf liegt ein Entschließungsan-
trag der Fraktion der FDP vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Sind Sie
damit einverstanden? Das ist der Fall.
Ich eröffne die
Aussprache. Das Wort hat zunächst die Parlamentarische
Staatssekretärin Barbara Hendricks.
D
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Nicht nur für die Wirt-
schaftsentwicklung, sondern auch für das Lebensgefühl
jedes Einzelnen in Deutschland ist es wichtig, dass wir
alle bald das Gefühl der Sicherheit zurückgewinnen, das
vor den Terroranschlägen in den Vereinigten Staaten in
Deutschland herrschte. Sicherheit wurde von jedem als
selbstverständlich angesehen. Jetzt fühlen sich viele latent
bedroht. Das ist Sie alle merken es im Gespräch mit
den Bürgerinnen und Bürgern spürbar. Das zeigt sich auch
in der Kaufzurückhaltung. Sicherheit ist als Basis einer
positiven Wirtschaftsentwicklung unverzichtbar.
Die Bedrohungen durch den Terror fanatischer Funda-
mentalisten haben in der Vergangenheit zweifesohne alle
unterschätzt. Das Gefühl von Sicherheit scheint nun ver-
loren. Wir werden alles tun, um es zurückzugewinnen.
Die Bundesregierung hat sehr schnell reagiert und die not-
wendigen Mittel bereitgestellt, um den Bundesgrenz-
schutz und das Bundeskriminalamt besser auszurüsten.
Auch die Kontrollen an Flughäfen sind schärfer geworden,
als wir das in der Vergangenheit gewohnt waren. Außer-
dem hat die Bundeswehr mehr Mittel bekommen, um sich
auf diese neue Form der Auseinandersetzung einstellen zu
können. Die staatlichen Sicherheitskräfte werden besser
ausgerüstet; die vorbeugende Aufklärung über terroristi-
sche Aktivitäten erhält mehr Möglichkeiten. Das Potenzial
moderner Technologien wollen wir nutzen, um Terror zu
vermeiden. Der Schutz von Botschaften wird verstärkt.
Auf dem Gebiet der inneren Sicherheit gibt es also eine
Vielzahl von Verbesserungen, die alle der grundsätzlichen
Entscheidung der Bundesregierung folgen.
Unsere Strategie umfasst drei Bereiche: Wir wollen die
Entstehung des Terrorismus bekämpfen. Wir wollen ver-
hindern, dass es zu terroristischen Anschlägen in Deutsch-
land kommt. Wir wollen in der Lage sein, gegen jeden hart
zurückzuschlagen, der die Sicherheit unseres Landes ge-
fährdet.
Zu dieser Gesamtkonzeption gehört auch, Geldwäsche
effektiv zu bekämpfen.
Kriminelle und terroristische Organisationen sollen in
Deutschland keinen finanziellen Nährboden finden. Ich
möchte an dieser Stelle noch einmal klarstellen, dass es
mir bei der Bekämpfung der Geldwäsche und dem Auf-
spüren von Finanzierungsströmen nicht um das Auffinden
von Steuersündern geht.
Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt. Es ist Betrug
an der Gesellschaft. Steuerhinterzieher stehen aber nicht
auf gleicher Stufe mit organisierten Kriminellen oder Ter-
roristen.
Wir wollen die Organisationsstrukturen der Kriminel-
len zerschlagen und dem Terror das Geld zur Vorbereitung
nehmen nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Herr Kollege Thiele, nach der Geschäftsordnung darf
die Bundesregierung jederzeit zu denjenigen Punkten re-
den, zu denen sie es möchte. Im Übrigen habe ich Ihnen
bisher einige der Maßnahmen vorgetragen ich werde Ih-
nen noch weitere vortragen , die wir zur Bekämpfung des
Terrors ergriffen haben.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Vizepräsidentin Anke Fuchs
19530
Auf der Tagesordnung steht heute das Gesetz zur Finan-
zierung der Terrorbekämpfung;
deswegen werde ich Ihnen die Maßnahmen, die wir zur
Bekämpfung des Terrors vornehmen, erläutern. Mög-
licherweise erschließt sich dann sogar Ihnen, die Sie
manchmal schwer von Begriff sind, warum wir dafür
Finanzmittel brauchen.
Es ist nötig, die Wirtschaftsentwicklung in den ärm-
sten Ländern der Welt zu stärken. Wir wollen dort eine
positive Entwicklung anstoßen. Armut und mangelnde
Teilhabe sind häufig der Nährboden für Fanatismus und
kennzeichnen undemokratische Systeme. Die Verbesse-
rung der Lebensbedingungen der Menschen in den ärms-
ten Ländern wird den Terrorismus nur schrittweise aus-
trocknen können. Deutschland hat aufgrund seiner
zahlreichen Entwicklungshilfeprojekte dabei einen
guten Weg beschritten. Innerhalb der G 7 gibt es nur ein
Land, das den am höchsten verschuldeten Entwick-
lungsländern mehr Schulden erlassen hat als Deutsch-
land. Wir bemühen uns intensiv, den Ländern der Drit-
ten Welt einen wirtschaftlichen Aufholprozess zu
ermöglichen.
Wir müssen aber auch eingestehen, dass wir noch weit
von diesen Zielen entfernt sind. Deshalb wird ein Teil
der zusätzlichen 3 Milliarden DM, die wir zur Terroris-
musbekämpfung zur Verfügung stellen wollen, auch in
die Entwicklungshilfe fließen.
Prävention ist in der Regel immer vernünftiger und auf
jeden Fall billiger als das nachträgliche Beseitigen von
Schäden.
Die Terroranschläge vom 11. September haben natür-
lich uns alle überrascht. Damit konnte niemand rechnen.
Leider hatten schon andere unvorhergesehene Ereig-
nisse, beispielsweise die BSE-Krise, die Reserven im
Haushalt aufgebraucht. Deshalb brauchen wir jetzt neue
Mittel zur Terrorismusbekämpfung. Ohne die Erhöhung
von Versicherung- und Tabaksteuer hätten wir die
Neuverschuldung ausweiten müssen. Dann wäre das
Ziel, im Jahre 2006 einen Haushalt ohne neue Schulden
vorlegen zu können, noch schwieriger zu erreichen ge-
wesen.
So bleiben wir auf Konsolidierungskurs.
Wir dürfen die Sicherheitserfordernisse von heute
nicht mit Schulden von morgen bezahlen, da wir ansons-
ten den einzigen Weg unterminieren, der uns dauerhaft
Sicherheit und Stabilität bringen kann, nämlich den Weg
aus der Schuldenfalle.
Es ist leicht, zu fordern, die 3 Milliarden DM sollten
im Bundeshaushalt durch Ausgabenkürzungen einge-
spart werden. Sicherlich werden Sie dies auch gleich
wieder fordern. Niemand von Ihnen hat aber bisher
sicherlich wird das auch gleich nicht geschehen kon-
sensfähige Einsparvorschläge vorlegen können.
Wir können den seit Beginn der Legislaturperiode be-
reits vollzogenen Steuerentlastungen von rund 55 Milli-
arden DM jährlich jetzt keine weiteren hinzufügen. Bis
2005 wird das Entlastungsvolumen auch bei geltender
Gesetzeslage auf über 100 Milliarden DM pro Jahr an-
wachsen. Das lässt sich nur bei strikter Haushaltsdiszi-
plin solide finanzieren.
Zusätzlich wird zum nächsten Jahr auch das Kinder-
geld wieder deutlich steigen, und zwar auf rund 300 DM
pro Kind und Monat. Das hat es, wie Sie alle wissen,
noch nie gegeben.
Für die Familien erhöht sich das verfügbare Einkommen
spürbar. Pro Monat und Kind wird das Kindergeld im
nächsten Jahr um rund 30 DM ansteigen. Die höhere
Versicherungsteuer beispielsweise wird die Haushalte
im Schnitt mit etwa 15 DM belasten; das gilt aber bezo-
gen auf ein Jahr und nicht pro Monat. Es gibt wohl kei-
nen Grund, sich darüber aufzuregen.
Im Übrigen sind wir der Zigarettenindustrie und
dem Automatengewerbe durch die stufenweise Umset-
zung des Gesetzes entgegengekommen. In zwei Stufen
wird die Tabaksteuer sowohl zum 1. Januar 2002 als
auch zum 1. Januar 2003 um jeweils 1 Cent steigen.
Dieses Entgegenkommen war nur möglich, weil wir von
den Produzenten eine Einnahmegarantie erhalten haben.
Wir brauchen das Geld zur Terrorbekämpfung.
Diese Sicherheit haben wir jetzt. Deshalb können
wir uns bei der Umsetzung flexibel zeigen. Wir sind
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
19531
zuversichtlich, dass dieser vernünftige Gesetzes-
vorschlag in diesem Hohen Hause eine Mehrheit finden
wird.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Norbert Barthle.
Sehr verehrte Frau
Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir
beraten über das Gesetz zur Finanzierung der Terror-
bekämpfung. Frau Staatssekretärin, Sie haben zwar sehr
vieles zur Terrorbekämpfung gesagt, aber nur einen einzi-
gen Satz zu den Inhalten dieses Gesetzes,
nämlich zur Erhöhung der Tabak- und der Versicherung-
steuer.
Dass wir hinter der Intention der Stärkung der inne-
ren und äußeren Sicherheit stehen, insbesondere nach
dem 11. September, ist, glaube ich, unbestritten.
Ich darf hinzufügen: Die Fraktion in diesem Hohen
Hause, die auch vor dem 11. September immer einen ge-
raden Kurs gefahren ist, wenn es um die Stärkung der in-
neren und äußeren Sicherheit ging, war die CDU/CSU-
Fraktion.
Das wollte ich schon noch einmal betont haben, bevor
wir jetzt zu dem kommen, was die rot-grüne Bundesre-
gierung in Reaktion auf diesen 11. September unterneh-
men wird.
Ihr fällt da ist sie vermutlich die einzige Regierung in
der gesamten Antiterrorallianz zunächst einmal nichts
Besseres ein, als Steuern zu erhöhen. Ich meine, das ist an
sich schon ein Armutszeugnis für die finanzpolitische Ge-
staltungskraft dieser Regierung.
Das glauben nur noch Sie, Herr von Larcher. Das glaubt
draußen niemand mehr.
Wenn Herr Riester hier bekennen muss, dass womög-
lich eine Rentenbeitragserhöhung vor der Tür steht und
dass er, um diese zu vermeiden, in die Schwankungsre-
serve greifen muss, dann besagt das doch viel.
Wenn es um innere und äußere Sicherheit geht, erhöhen
Sie sofort die Steuern; an anderer Stelle greifen Sie aber
zu anderen Maßnahmen.
Lassen Sie mich noch eine Vorbemerkung zum
Gesetzgebungsverfahren machen. Die Anhörung hat mir
sehr gut gefallen; das muss ich Ihnen gestehen. Wir haben
erstmals erlebt, dass aufgrund einer Anhörung ein Gesetz-
gebungsverfahren gestoppt und noch vor In-Kraft-Treten
des Gesetzes nachgebessert wurde. Bisher haben wir das
immer anders erlebt. Bisher wurde immer zuerst das Ge-
setz erlassen und dann nachgebessert.
Dafür lobe ich den Finanzausschuss; dafür lobe ich uns
alle. Ich hoffe, das bleibt so.
Nach dieser Anhörung ist Gott sei Dank die Er-
höhung der Tabaksteuer in einem Zug vom Tisch, zumal
die Automatenaufsteller klipp und klar gesagt haben, sie
wäre faktisch, physisch und logistisch überhaupt nicht
möglich.
Ich lobe Sie dafür, dass Sie auf uns gehört haben. Denn
die Anhörung haben wir betrieben.
Jetzt aber machen Sie eine Steuererhöhung von dem-
selben Umfang in zwei Stufen, verteilt auf die Jahre 2002
und 2003. Die Steuer soll bei den Zigaretten jeweils um
1 Cent steigen. Die Erhöhung der Versicherungsteuer soll
einen Prozentpunkt betragen. Das bleibt falsch. Warum
bleibt das falsch? Ich will Ihnen drei Gründe nennen.
Erstens. Diese Steuererhöhung ist an sich überflüssig.
Wer bei einem von Ihnen erwarteten Volumen von 3 Milli-
arden DM und einem Haushaltsvolumen von 485 Milliar-
den DM und bei ständig steigenden Steuereinnahmen
nicht in der Lage ist, gerade einmal 0,6 Prozent des Haus-
haltsvolumens umzuschichten, der gibt jede Gestaltungs-
kraft auf.
Jetzt kommt wieder Herr von Larcher mit der Forderung
nach Vorschlägen. Herr von Larcher, zum Mitschreiben
nenne ich Ihnen zwei: Der Bundesrechnungshof hat am
16. Oktober seine Mängelliste vorgelegt. 3,3 Milliar-
den DM hätten Sie an Mehreinnahmen, wenn Sie das um-
setzten. Oder machen Sie doch eine globale Minderaus-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
19532
gabe! Auch das hat es schon gegeben. Darüber denken Sie
nicht einmal nach. Nein, Sie machen das, was Rot-Grün
am besten kann, nämlich Steuererhöhungen.
Aber wir haben uns ja schon daran gewöhnt: Wenn Sie
Steuern erhöhen, tun Sie das stufenweise, wie bei der
Ökosteuer. Aber ich wiederhole: Dadurch wird es nicht
besser. Im Gegenteil: Wenn sich die Menschen in der Sil-
vesternacht über den Jahreswechsel und die aufsteigenden
Raketen freuen, dann müssen sie dieses Jahr daran den-
ken, dass schon wieder die nächste Stufe Ihrer Steuer-
erhöhungsraketen zündet. Das wird das Bild sein, das die
Menschen vor Augen haben.
Ich nenne Ihnen einen zweiten Grund, warum diese
Steuererhöhungen falsch sind. Sie sind nämlich schädlich
für unsere Konjunktur. Zusammen mit der Ökosteuer ent-
ziehen Sie den Menschen gute 10 Milliarden DM an
Kaufkraft.
Das ist Gift für die Konjunktur.
Nun hat uns der Kollege Poß in der ersten Lesung er-
läutert, dass Steuererhöhungen auch positive konjunktu-
relle Effekte hätten. Ich halte diese Aussage für so abstrus,
dass sie sich selbst richtet. Ich glaube, das kann er gar
nicht ernst gemeint haben.
Festzuhalten bleibt: Diese Steuererhöhung ist schäd-
lich für die betroffenen Branchen, insbesondere auch für
die mittelständischen Unternehmen; denn an der Tabak-
wirtschaft hängen sehr viele Unternehmen. Wenn wir uns
dann noch vor Augen führen, dass wir eine durchschnitt-
liche Unternehmensteuerbelastung haben, die europaweit
an der Spitze liegt ich betone: innerhalb der europä-
ischen Länder an der Spitze ,
dann müssen wir uns nicht wundern, wenn wir beim Wirt-
schaftswachstum das Schlusslicht sind.
Diese Steuererhöhung ist auch schädlich für die
Arbeitsplätze. Ich wundere mich schon, dass das BMF
sagt, bei der Berechnung des zu erwartenden Steuerauf-
kommens gehe man zwar von einem Konsumrückgang
von zweimal 5 Prozent, also 10 Prozent insgesamt, aus
das wirkt sich auch in Ihrem Finanztableau aus , dass
es aber, wenn man nachfragt, wie sich das auf die Arbeits-
plätze niederschlage, heißt, da habe die Erhöhung keine
Auswirkungen. In der Anhörung durften wir erfahren,
20 000 bis 25 000 Arbeitsplätze seien gefährdet, wenn
man die Steuer auf einen Schlag erhöhe. Wenn man sie
jetzt in zwei Stufen erhöht, sind plötzlich keine Arbeits-
plätze mehr gefährdet. Diese Logik können Sie nieman-
dem erklären. Das passt hinten und vorne nicht zu-
sammen.
Ich nenne Ihnen noch einen dritten Grund, weshalb
diese Steuererhöhung falsch ist. Sie ist nämlich schlicht
und einfach ungerecht. Ich will nur am Rande anmerken,
dass Sie die Steuer für Feinschnitt überproportional um
30 Prozent, die für Zigaretten aber nur um 23 Prozent er-
höhen. Sie tun dies, obwohl der Feinschnitt gemeinhin als
Ausweichprodukt für Zigaretten gilt. Pfeifentabak, Zigar-
ren und Zigarillos bleiben von der Steuererhöhung
ausgenommen.
Verkürzt kann man sagen: Die armen Malocher, die sich
mit klammen Fingern ihre Zigaretten selbst drehen, um
ein paar Pfennig zu sparen, werden abgezockt.
Aber die dicken Pfeifenraucher werden verschont.
Diese Steuererhöhung ist aus einem weiteren Grunde
ungerecht da spreche ich jetzt die Versicherungsteuer
an : Mit der Versicherungsteuer treffen Sie genau die
Branche, die aufgrund der Ereignisse vom 11. Septem-
ber ohnehin schon finanziell gebeutelt ist. Wir alle
wissen, dass die Versicherungsunternehmen die Prämien
aufgrund des erhöhten Risikos vermutlich erhöhen
werden.
Die Versicherungsteuer ist aber nicht vorsteuerabzugs-
fähig.
Das heißt, eine Erhöhung schlägt sofort durch auf die
Kosten der Unternehmen und führt dazu, dass die Kunden
mehr belastet werden. Deshalb ist es ungerecht, wenn Sie
für eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe nur eine einzige
Klientel herauspicken und belasten.
Lassen Sie mich noch ein Beispiel anführen, das mich
besonders bedrückt. Auf die Luftverkehrsgesellschaften
haben Sie keinerlei Rücksicht genommen. Ich nenne in
diesem Zusammenhang die Stichworte Swissair, LTU und
Sabena. Heute beklagt die Air France einen Umsatzver-
lust von 300 Millionen DM seit dem 11. September.
Während die US-Regierung die Subventionen für
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Norbert Barthle
19533
ihre Luftfahrtgesellschaften erhöht, erhöht Rot-Grün die
Steuern. Das ist der Unterschied.
Ich fordere Sie auf: Machen Sie endlich Schluss mit
dieser rein fiskalisch orientierten Steuer- und Finanzpoli-
tik! Geben Sie den Menschen und der Wirtschaft in unse-
rem Land die Chancen, die sie verdient haben! Wenden
Sie drohenden Schaden von den Menschen ab! Lehnen
Sie diesen unsinnigen Gesetzentwurf ab! Folgen Sie uns!
Jetzt haben Sie noch die Chance dazu. Wenn Sie uns nicht
folgen, könnte es durchaus sein, dass Ihnen die Menschen
draußen im Lande, die Wählerinnen und Wähler, eine der
dicksten Zigarren verpassen, die es gibt, und zwar steuerfrei.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Christine Scheel.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Barthle, ich weiß, dass die CDU/CSU Schwierigkei-
ten mit der Erinnerung hat.
Denken Sie doch einmal bitte daran, was 1991 gewesen
ist. Damals ging es um die Finanzierung des Golfkrie-
ges. In diesem Zusammenhang hat die CDU/CSU ge-
meinsam mit der FDP, Herr Thiele, die Versicherung-
steuer und die Tabaksteuer erhöht sowie den Solizuschlag
eingeführt.
Mit dieser Begründung haben Sie Steuern in einem Ge-
samtvolumen von 28 Milliarden DM eingenommen.
16 Milliarden DM hat uns der Golfkrieg gekostet. Den
Rest haben Sie im Haushalt versacken lassen. Das ist die
Wahrheit über Ihre Finanzpolitik des Jahres 1991.
Wir wissen alle, dass Terrorismusbekämpfung nicht kos-
tenlos möglich ist. Es ist politisch unbestritten, dass für
verstärkte Maßnahmen zur wirksamen Bekämpfung des
internationalen Terrorismus und zur Erhöhung der inneren
und äußeren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland
mehr finanzielle Mittel aufgewandt werden müssen. Wir
wissen auch, dass die eingeleiteten Maßnahmen zum Bei-
spiel im Rahmen des Terrorismusbekämpfungsgesetzes
auf Dauer angelegt sind. Ausgaben, die dauerhaft anfallen,
müssen dauerhafte Einnahmen gegenüber stehen, um eine
vernünftige und solide Haushaltspolitik vornehmen zu
können. Aus diesem Grunde haben wir uns für die Anhe-
bung der Tabak- und Versicherungsteuer entschieden.
Das Volumen beträgt insgesamt 1,5 Milliarden Euro im
Jahre 2002. Wir haben auf diesen Punkt haben Herr
Barthle und die Frau Staatssekretärin schon hingewiesen
im Rahmen der Ausschussberatungen die Erhöhung in
zwei Stufen beschlossen, nämlich zum 1. Januar 2002 und
zum 1. Januar 2003 um jeweils 1 Cent. Wir haben damit
eine praktikable Lösung gefunden, die das notwendige
Einnahmevolumen zur Finanzierung der Terrorbekämp-
fung auch auf Dauer sichert. Es ist wichtig, dass man auf
Dauer Klarheit hat.
Wir werden im Rahmen der laufenden Haushaltsbera-
tungen Ende des Monats ist Haushaltsabschluss die
zusätzlichen Steuereinnahmen grundsätzlich den einzel-
nen Aufgabenbereichen zuordnen. Die Frau Staatssekre-
tärin hat auf die Bereiche Katastrophenschutz und Bun-
desgrenzschutz hingewiesen. Meine Fraktion hat sich
sehr stark dafür eingesetzt, dass wir im Bereich der Ent-
wicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe
verstärkt Mittel einsetzen, damit auch dieser Bereich aus-
reichendes Gewicht bekommt.
Wir können weil es immer wieder von Ihnen ange-
sprochen wird diese 3 Milliarden DM nicht einfach
durch Umschichtungen im Haushalt erbringen. Das wissen
wir und das wissen Sie, wenn Sie ehrlich sind, auch. Sie
wissen auch, dass sich dauerhafte Einnahmen nicht ein-
fach aus dem Hut zaubern lassen, sondern dass sie eben ei-
ner seriösen Gegenfinanzierung bedürfen. Das gilt erst
recht angesichts der sehr schwierigen Konjunkturentwick-
lung und auch angesichts der sinkenden Steuereinnahmen.
Aufgrund der Steuerschätzung wissen wir ja jetzt, dass die
Gesamtzahlen für den Bund, für die Länder, vor allen Din-
gen aber auch für die Kommunen rückläufig sind.
Für uns als Regierungsfraktion das möchte ich an
dieser Stelle noch einmal ganz klar sagen hat eine solide
und auf Konsolidierung der Staatsfinanzen orientierte Fi-
nanzpolitik oberste Priorität.
Wir streben weiterhin die Rückführung der Nettokredit-
aufnahme in diesem und auch im nächsten Jahr an. Wir
müssen konjunkturell bedingte Steuermindereinnahmen
hinnehmen. Das ist vollkommen klar; das ist nicht zu än-
dern. Aber auf keinen Fall dürfen wir Entscheidungen
treffen, wie sie uns vonseiten der FDP, aber auch von der
CDU/CSU, nahe gelegt werden.
Die Inflationsrate im Euroraum ist auf mittlerweile 2 Pro-
zent gesunken
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Norbert Barthle
19534
und diese sinkende Inflationsrate hat gemeinsam mit der
Konsolidierung der Haushalte dazu geführt, dass die EZB
gestern die Leitzinsen hat senken können. Sonst wäre das
nicht möglich gewesen.
Das muss man in diesem Zusammenhang ebenfalls sehen.
Damit wird den Unternehmen und auch den Haushalten
die Möglichkeit gegeben, Kredite billiger aufzunehmen.
Nach einem gewissen Timelag werden wir nach der Er-
wartung aller Konjunkturforschungsinstitute die Tal-
sohle werden wir im Winter haben; im Dezember wird es
nicht einfacher sein; das müssen wir ganz klar betrach-
ten im nächsten Jahr mit Sicherheit bessere Zahlen ha-
ben.
Wir teilen auch die Auffassung des EU-Wirtschafts-
kommissars Pedro Solbes, dass der Vorschlag, die nächs-
ten Stufen der Steuerreform vorzuziehen, der von Ihrer
Seite immer wieder kommt, auch stabilitätspolitisch
unverantwortlich ist. Das wäre ein aktiver Verstoß gegen
den Stabilitätspakt der Europäischen Union. Es wäre aus
psychologischen Gründen übrigens auch schlecht für den
Start des Euro-Bargeldes Anfang nächsten Jahres. Das
wäre ein sehr schlechtes Geschenk.
Sie sagen immer nur, was Sie alles haben wollen. Wir
haben es einmal durchgerechnet. Für die Forderungen, die
Sie hier einfach mal so einbringen, benötigten wir rund
140 Milliarden DM, die wir angeblich locker finanzieren
können. Wenn es nach den Vorschlägen von FDP und
CDU/CSU ginge das muss ich auch an diesem Punkt
wieder sagen , wären die Haushalte von Bund, Ländern
und Kommunen nicht mehr verfassungskonform. Das
hätte mit einer Solidität in der Finanzpolitik überhaupt
nichts mehr zu tun. Was Sie hier betreiben, ist absolute
Wodu-Politik. Dazu kann ich nur sagen: Gott sei Dank
sind Sie nicht mehr an der Regierung.
Wir haben für das nächste Jahr zusätzliche Zukunfts-
investitionen geplant.
Wir haben das Zukunftsinvestitionsprogramm be-
schlossen, mit dem im nächsten Jahr wieder 5 Milliar-
den DM zusätzlich in die Bereiche Bildung, Forschung,
Verkehr und Klimaschutz investiert werden.
Ferner greift im nächsten Jahr die nächste Stufe der Fa-
milienentlastung
in einer Größenordnung von knapp 5 Milliarden DM.
Auch das wird die Kaufkraft der Haushalte vor allem der
Familien erhöhen. Außerdem wird im nächsten Jahr das
Steuersenkungsgesetz wirken,
und zwar in einer Größenordnung von 45 Milliarden DM.
Wir werden auch dafür sorgen, dass die Rentenversiche-
rungsbeiträge im nächsten Jahr gesenkt werden, und
zwar aus grüner Sicht auf 19,0 Prozent. Das zeigt, dass
auch die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge ins-
gesamt bei uns auf der Agenda steht. Sie haben sie per-
manent erhöht.
Wir sind seit der Regierungsübernahme bemüht, die
Steuer- und Abgabenbelastung zu senken, und haben auf
diesem Gebiet auch Erfolge erzielt. Diese Steueranhe-
bung um 3 Milliarden DM ist ein Ausreißer.
Aber sie ist notwendig und ehrlich. Sie sichert zugleich
die Solidität der Haushalte.
Danke schön.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Carl-Ludwig Thiele.
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
Es ist schon erstaunlich, was Sie hier vorgetragen haben,
Frau Kollegin. Man konnte fast den Eindruck gewinnen,
dass wir in Christines Märchenstunde sind.
Dass momentan bei den Grünen die Nerven blank liegen,
das weiß jeder. Dafür gibt es Gründe und deswegen wer-
den Sie auch gleich wieder eine Fraktionssitzung abhal-
ten. Aber dass der Solidaritätszuschlag seinerzeit einge-
führt wurde, um den Golfkrieg zu finanzieren,
das ist eine ganz neue Legende, die zwar in Ihrer Basis
derzeit starken Anklang findet, die aber mit der Wirklich-
keit vermutlich relativ wenig zu tun hat.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Christine Scheel
19535
Das war jedenfalls nicht das, was wir in den vergangenen
Jahren unter Solidarität mit den neuen Ländern verstan-
den haben.
Wenn die EZB jetzt die Zinsen senkt, weil die Inflati-
onsrate sinkt, dann erinnere ich Sie nur daran, dass das
Statistische Bundesamt vorgerechnet hat, dass durch die
Steuererhöhungen von Rot-Grün Ökosteuer, Mehrwert-
steuer auf die Ökosteuer, Versicherungsteuer und Tabak-
steuer die Inflationsrate ab dem 1. Januar nächsten Jah-
res um 0,5 Prozent steigen wird. Ginge es nach Christines
Märchenerzählung, müssten deswegen ab dem 1. Januar
die Zinsen leider wieder um einen halben Prozentpunkt
erhöht werden. Das kann ja wohl nicht wahr sein. Deshalb
möchte ich die Märchenstunde hier auch beenden.
Ich möchte mich mit dem Gesetz zur Finanzierung der
Terrorbekämpfung auseinander setzen; denn dieses Ge-
setz ist der erste Teil eines finanzpolitischen Offenba-
rungseides, den wir in den nächsten Wochen hier im Ple-
num sowie im Finanz- und Haushaltsausschuss erleben
werden.
Die Vereinigten Staaten senken die Steuern nach dem
Terroranschlag. Deutschland ist dagegen das einzige
Land, das die Steuern erhöht, weil Rot-Grün immer noch
meint, bei einer Steuererhöhung kämen die öffentlichen
Kassen in den Genuss der Mittel und könnten dann auch
die Ausgaben tätigen. Dieser grundlegende Denkfehler
kennzeichnet Ihre Politik seit Regierungsantritt.
An dieser Stelle rächt sich das Ausblenden der Wirk-
lichkeit, das wir seit dem Frühjahr dieses Jahres immer
wieder moniert haben. Wir haben immer gesagt, die
Wachstumsraten würden optimistisch hoch gerechnet,
und Sie aufgefordert, sich an der Wirklichkeit zu orientie-
ren und einen neuen Haushalt einzubringen, da die Rah-
mendaten alle nicht mehr stimmten. Jetzt erhalten Sie die
Quittung für Ihre verfehlte Steuer- und Finanzpolitik. Das
möchte ich kurz ausführen:
Erstens. Rot-Grün vermittelt den Eindruck, man be-
treibe Steuersenkung. Im Jahre 1998 hatten wir Steuerein-
nahmen von 833 Milliarden DM. Heute sind es nach der
neuesten Steuerschätzung über 900 Milliarden DM pro
Jahr. Diese Steuererhöhungspolitik hat Rot-Grün betrie-
ben und das entlarvt Herrn Eichel auch; die Menschen neh-
men ihm nicht mehr ab, dass sie tatsächlich entlastet wür-
den. In ihrer Geldbörse spüren sie das Gegenteil davon.
Zweitens. Sie reden immer vom Abbau der Neuver-
schuldung. Auch hier wird das Gegenteil dessen, was Sie
sagen, betrieben. Bis zum Ende dieser Legislaturperiode
wird die Neuverschuldung unter Rot-Grün um fast
200 Milliarden DM gestiegen sein.
Das ist die Wirklichkeit. Wenn Sie das Ziel haben, die
Neuverschuldung zu senken, so stimmen wir in diesem
Ziel überein. Wenn wir Ihr Bemühen aber an den Fakten
messen, können wir feststellen: Es ist Ihnen nicht gelun-
gen, die Neuverschuldung auf null zu senken. Vielmehr
haben Sie während der Zeit Ihrer Regierungsverantwor-
tung die Neuverschuldung allein auf Bundesebene um
200 Milliarden DM erhöht.
Drittens. Sie reden vom Sparen, waren aber hinsicht-
lich des Haushalts lediglich Profiteure eines boomenden
Exports und eines schwächelnden Euro. Das hat Ihnen
Wachstumsraten gebracht, das hat auf der Einnahmeseite
Geld gebracht; Sparmaßnahmen auf der Ausgabenseite
sind ausgeblieben.
Viertens. Sie verfehlen Ihr selbst gesetztes Ziel von
3,5 Millionen Arbeitslosen. Damit man nicht über
3,9 Millionen Arbeitslose kommt, rechnet man ganz spitz
und sagt, im nächsten Jahr werden es nur 3,89 Millionen
Arbeitslose sein. Das ist beängstigend.
Wir müssen die Sorgen der Arbeitslosen ernst nehmen.
Wir müssen Rezepte dafür haben, dass sie wieder Be-
schäftigung finden. Insofern ist es für uns nicht hinnehm-
bar, dass Sie diese Ziele verfehlen. Der Bundeskanzler hat
selbst gesagt: Wenn wir dieses Ziel verfehlen, dann lohnt
es nicht, uns wieder zu wählen. Wir werden die Bürger
vor der Wahl daran erinnern.
Fünftens. Sie verkündeten, die Lohnnebenkosten sol-
len unter 40 Prozent gesenkt werden. Das Gegenteil ist der
Fall. Sie bleiben über 41 Prozent. Die Frau Gesundheits-
ministerin Schmidt trickst in der Krankenversicherung
herum. Wir erleben das ist ein Unterschied zur Vergan-
genheit einen Griff des Gesetzgebers in die Renten-
kasse, der die Schwankungsreserve dauerhaft um 20 Pro-
zent reduziert. Wenn Sie das nicht machten, stiege Ihnen
der Rentenversicherungsbeitrag in diesem Jahr trotz Öko-
steuer auf 19,4 Prozent.
Sechstens. Das Kernstück grüner Steuerpolitik, wie
Kollege Metzger das immer bezeichnet hat, ist geschei-
tert;
denn jede Mark Ökosteuer sollte dazu verwandt werden,
die Rentenversicherungsbeiträge zu senken. Sie müssten
im nächsten Jahr schon in der Nähe von 18 Prozent sein.
Diese Marke erreichen Sie nicht.
Diesen Betrug lassen wir Ihnen nicht durchgehen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Carl-Ludwig Thiele
19536
Ich komme zum Fazit: Die rot-grüne Finanzpolitik ist
gescheitert. Finanzminister Eichel ist gescheitert. In den
nächsten Wochen, während der Haushaltsberatungen,
werden Sie mit Tricksereien und mit Einmalprivatisierun-
gen versuchen, den Haushalt des nächsten Jahres zu schö-
nen. Sie werden ein paar Mittel aus der Portokasse der
Post bei der KfW parken; weil es die Post ist, kann man
es durchaus als Portokasse bezeichnen.
Die Wirklichkeit ist leider viel beängstigender, weil Sie
es versäumt haben, die notwendigen Reformen in unse-
rem Lande entschieden anzugehen. Deshalb werden die
nächsten Wochen das Scheitern der rot-grünen Finanzpo-
litik außerordentlich deutlich machen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Barbara Höll.
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Wir diskutieren hier über das Ge-
setz zur Finanzierung der Terrorbekämpfung. Ich sage für
die PDS ganz klar: Wir stehen für Terrorbekämpfung,
aber wir sind gegen die Finanzierung eines Kriegseinsat-
zes in Afghanistan und gegen die deutsche Beteiligung an
diesem Einsatz.
Über die genaue Verwendung der Mittel, die aufgrund
des heute zu verabschiedenden Gesetzes eingenommen
werden sollen, wird noch im Rahmen der Haushaltsbera-
tungen diskutiert werden. Ich finde es gut, dass 200 Mil-
lionen DM beim Entwicklungshilfeministerium veran-
schlagt werden sollen. Ist es aber nicht ein riesiges
Armutszeugnis für die Politik, Frau Staatssekretärin so
musste ich Ihre Rede verstehen , dass es de facto erst ei-
nes Terroranschlages bedurfte, um die Notwendigkeit
klarzumachen, wesentlich mehr Geld für Entwicklungs-
zusammenarbeit zu verwenden?
Klaus Töpfer sagt heute als Leiter des UN-Umwelt-
programms in einem Interview in der Süddeutschen Zei-
tung, dass ich zitiere Armut die giftigste Substanz
auf der Welt ist. Die Schere zwischen Lebens- und
Entwicklungschancen auf der eine Seite und Hoffnungs-
losigkeit auf der anderen Seite geht immer weiter ausei-
nander. Hier ist politisches Handeln insbesondere in den
Industrieländern gefragt.
Es wird nicht mehr lange funktionieren, dass Beratun-
gen in der Wüste wie jetzt in Katar oder in Kanada im
Wald abgehalten werden, dass man de facto vor den Kri-
tikerinnen und Kritikern der Globalisierung flüchtet, um
sich mit dieser Kritik nicht auseinander setzen zu müssen.
Sie haben gesagt, eine Haushaltsumschichtung zur Fi-
nanzierung Ihres Antiterrorpaketes sei nicht möglich und
Sie wollten auch keine Nettoneuverschuldung vorneh-
men. Also bleibt Ihnen nach Ihrer Logik nur der Weg der
Steuererhöhung. Deshalb sollen erstens die Tabaksteuer
und zweitens die Versicherungsteuer von 15 auf 16 Pro-
zent erhöht werden.
Wir lehnen beides ab und wir zeigen Ihnen eine reale
Finanzierungsquelle auf.
Lassen Sie mich noch einmal zur Vermögensbesteue-
rung zurückkommen. Seit 1997 schenken Sie den wirk-
lich Vermögenden in dieser Bundesrepublik Jahr für Jahr
3,5 Milliarden DM. Durch Ihr Gesetz wollen Sie pro Jahr
etwa 2 Milliarden DM einnehmen.
Ich frage mich: Warum kann nicht zum Beispiel die Fa-
milie Albrecht, Eigentümer der Aldi-Märkte, die durch
die nicht mehr erhobene Vermögensteuer jährlich
410 Millionen DM einspart, in realistischem Maße zur
Antiterrorbekämpfung beitragen?
Die Familie Otto spart jährlich 130 Millionen DM ein.
Sie hat ein Vermögen von 13 Milliarden DM. Warum fragt
man nicht Frau Johanna Quandt oder fragt lieber nicht an-
gesichts der 92 Millionen DM, die sie jährlich einsparen
kann, sondern rafft sich hier endlich zu einer Gesetzes-
initiative auf, um Geld zielgerichtet von den wirklich Ver-
mögenden einzuziehen? Dann bräuchten wir hier nicht da-
rüber zu diskutieren, dass man wieder insbesondere die
Menschen mit gar keinem oder einem kleinen Einkommen
belastet, die sich vielleicht trotz Sozialhilfe erlauben, Ziga-
retten zu rauchen, und die Menschen, die sich schon heute
überlegen, wie sie Versicherungen in adäquater Höhe ab-
schließen können. Oftmals haben Menschen gar keineVer-
sicherung oder sind unterversichert.
Lassen Sie mich noch eines speziell zur Tabaksteuer
sagen. Ich habe zur Anhörung auch die Nichtraucher-Ini-
tiative eingeladen; denn ich denke, es ist notwendig, ge-
rade mit Menschen zu sprechen, die sich bisher gegen den
Tabakkonsum eingesetzt haben; denn er ist nun einmal
gesundheitsschädlich und verursacht damit auch riesige
volkswirtschaftliche Kosten.
Ich finde es schon zynisch, wenn man in diesem Zu-
sammenhang dem Druck der Industrie nachgibt und sagt,
man wolle vermeiden, dass der Markt zusammenbreche,
also: Tabaksteuererhöhung ja, aber so, dass viele Men-
schen weiterrauchen wie bisher, denn ansonsten würden
nicht in ausreichendem Maße Steuergelder eingenom-
men. Das ist eine zynische Politik. Sie widerspricht Ihren
eigenen Zielen in der Gesundheitspolitik.
Ich glaube, das zeigt auch das Dilemma, aus dem Sie
nur mit klaren Vorschlägen wie der Neugestaltung und
Wiedererhebung der Vermögensteuer herauskommen.
Dabei haben Sie dann unsere Unterstützung. Ich hoffe, die
dafür vorhandenen einzelnen Stimmen bei den Sozialde-
mokraten schaffen es endlich, wieder eine Mehrheit zu
gewinnen.
Danke.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Carl-Ludwig Thiele
19537
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Frank Schmidt.
Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Thiele, wir
haben schon einige Probleme damit, dass Sie und Ihre
Fraktion offensichtlich an einem gewissen Gedächtnis-
schwund leiden.
Sie haben in diesem Land 29 Jahre mitregiert. Sie haben
16 Jahre mit der CDU/CSU regiert und die Schulden
enorm in die Höhe getrieben. Diese Hinterlassenschaft
mussten wir aufgreifen. Wir greifen sie auch auf, senken
die Steuern sukzessive,
tun gleichzeitig eins nach dem anderen, um die Nettoneu-
verschuldung nicht, wie Sie es wollten, in die Höhe zu
treiben. Aber Sie wollen nichts davon wissen, dass Sie in
diesem Lande mitregiert haben!
Ich weiß, dass Ihnen das unangenehm ist, wenn wir Sie
andauernd auf Ihre 16 Jahre Regierungszeit ansprechen.
Ich weiß auch, dass es Ihnen unangenehm ist, wenn wir
Sie darauf ansprechen, dass Sie Schulden gemacht ha-
ben. Aber das ist Fakt in diesem Land. Sie wollten die
deutsche Einheit aus der Portokasse bezahlen, aber das
ging einfach nicht. Irgendwo sind die Schulden bis heute
geblieben und wir müssen jetzt zusehen, dass wir sie ab-
bauen.
Fakt ist auch: Wer ein entschiedenes Vorgehen gegen
den Terrorismus will, wer etwas für die Sicherheit unse-
rer Bürgerinnen und Bürger tun will, der muss auch
Geldmittel dafür bereitstellen. Reine Worthülsen und
Ankündigungen, wie wir sie heute wieder gehört haben,
und ungedeckte Schecks nützen niemandem in diesem
Land etwas. Eine klare Finanzierung muss her. Die ha-
ben wir vorgelegt. Sie hingegen haben keine Alternati-
ven vorgelegt, sondern nur Worthülsen verbreitet. Es
muss ein klares Konzept her. Ein solches haben Sie
nicht.
Wir halten an unserem Kurs fest; denn das tut Ihnen
weh; das wissen wir ein Markenzeichen dieser Politik,
dieser Regierung ist es, dass wir die Nettoneuverschul-
dung, wie Sie sie nach der Finanzplanung vorgesehen hat-
ten, reduzieren. Wir wollen dafür sorgen, dass 2006 ein
Haushalt vorgelegt wird, der zum ersten Mal keine Netto-
neuverschuldung beinhaltet. Davon waren Sie weit ent-
fernt. Sie haben nicht einmal im Entferntesten daran ge-
dacht, so etwas vorzulegen.
Wir sorgen durch sukzessive Steuersenkungen, die ge-
genfinanziert sind, dafür, dass die Bürgerinnen und Bür-
ger in diesem Land, die Arbeitnehmer und der Mittelstand
entlastet werden. Das ist gegenfinanziert und somit so-
lide.
Sie haben gesagt, die USA fangen jetzt mit Steuersen-
kungen an. Was hat denn der werte Präsident der Verei-
nigten Staaten von Bill Clinton geerbt? Volle Kassen hat
er geerbt. Wir aber haben von Ihnen nur Schulden geerbt.
Warum wir von Ihnen Schulden geerbt haben, wissen
Sie doch selbst: Weil Sie mehr ausgegeben haben, als Sie
eingenommen haben, weil Sie die deutsche Einheit nie-
mals über die Portokasse abwickeln konnten, weil Sie
überhaupt nicht in der Lage waren, solide Finanzpolitik zu
betreiben.
Wir haben den Bürgerinnen und Bürgern seit dem 1. Ja-
nuar 1999 kassenwirksam dies ist also tatsächlich aus-
gezahlt worden 65 Milliarden DM an Steuern zurück-
gegeben. In den nächsten Jahren werden weitere
Milliarden folgen. Allein im nächsten Jahr werden es
19 Milliarden DM sein. Das ist der Abrechnungsmodus.
Das Geld ist den Bürgerinnen und Bürgern wirklich
zurückgegeben worden. Es handelt sich nicht wie bei Ih-
nen um Luftbuchungen.
Sie haben eben davon gesprochen, dass Sie Steuern ge-
senkt haben. Um Gottes willen! Schauen Sie sich doch
bitte einmal das an, was Sie wirklich getan haben. Sie ha-
ben 16 Jahre lang Steuern erhöht. Sie haben von 1983 bis
1998 20-mal Steuern erhöht. Sie haben dreimal die
Mehrwertsteuer und dreimal die Kfz-Steuer erhöht. Sie
haben dreimal die Versicherungsteuer und viermal die Mi-
neralölsteuer erhöht. Sie sind die Steuertreiber dieser Re-
publik.
Man muss sich einmal fragen, was Sie mit all dem Geld
gemacht haben. Bernd Scheelen hat Recht: Man muss sich
einmal fragen, wo das, was Sie eingenommen haben, ge-
blieben ist. Sie haben die Nettoneuverschuldung nicht re-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119538
duziert das hatte ich eben schon gesagt , sondern wei-
terhin Schuldentreiberei gemacht. Sie haben uns 1,5 Bil-
lionen DM an Schulden hinterlassen. Viermal war Ihr
Haushalt nicht verfassungskonform. Das ist etwas, was
bei uns überhaupt nicht vorkommt. 1990, 1993, 1996 und
1997 war die Neuverschuldung höher als die investiven
Ausgaben. Sie betreiben unsolide Finanzpolitik. Sie ha-
ben den Karren in den Dreck gefahren, den wir jetzt wie-
der herausziehen.
Betreiben wir nicht nur Vergangenheitsbewältigung,
sondern schauen wir uns jetzt einmal an, was Sie gegen-
wärtig tun. Eben haben wir gehört, dass die 3 Milliar-
den DM mal so eben bezahlt werden können. Sie haben,
seitdem Sie in der Opposition sind, nicht damit aufgehört,
finanzpolitische Forderungen zu stellen. Sie haben seit
Oktober 1998 Anträge gestellt das kann jeder nachle-
sen , in denen finanzpolitische Forderungen im Umfang
von 428 Milliarden DM erhoben worden sind, ohne dass
ein einziger Deckungsvorschlag hierzu vorgelegt worden
wäre. Sie machen als Opposition genauso weiter, wie Sie
als Regierung aufgehört haben. Sie sind nicht in der Lage,
in diesem Haus eine solide Finanzpolitik vorzulegen.
Unserer Auffassung nach haben Sie auch keine einzige
Konzeption dazu vorgelegt, wie mit diesen Finanzmitteln
umgegangen werden soll. Die Parlamentarische Staatsse-
kretärin hat es eben schon gesagt ich will noch einmal
darauf hinweisen : Wir sorgen nicht nur für die Einnah-
men, sondern gleichzeitig auch dafür, dass die Mittel ziel-
gerichtet ausgegeben werden. Wir wollen Verbesserungen
bei der Bundeswehr. Wir wollen Verbesserungen bei den
Nachrichtendiensten und beim Bundesgrenzschutz. Wir
wollen mehr Sicherheit an den Flughäfen. Wir wollen
auch dafür sorgen, dass der Katastrophenschutz besser
ausgerüstet wird. Wir wollen, insbesondere im Interesse
der Mitarbeiter, eine höhere Sicherheit bei den Auslands-
vertretungen. Wir wollen auch mehr Personal bei der
Bekämpfung der Geldwäsche. Eines ist uns besonders
wichtig das hat Christine Scheel, die jetzt nicht mehr da
ist, bereits erwähnt : Wir wollen mehr Geld für die Kri-
senprävention und die humanitäre Hilfe. Wenn man sich
anschaut, was in der Welt, insbesondere in den Krisenre-
gionen, passiert, dann muss man sagen: Dies ist ein zen-
traler Punkt der zukünftigen Politik. Hier muss mehr Geld
bereitgestellt werden. Wir wollen das tun. Wenn Sie heute
dagegen stimmen, sind Sie auch gegen humanitäre Hilfe
in diesen Bereichen. Wir wollen das Geld dafür bereit-
stellen.
Wir müssen doch feststellen: So etwas ist nicht ohne Geld,
nicht zum Nulltarif zu haben. Sie machen hier weiter Luft-
buchungen und sonst nichts.
Gut, die 7,5 Prozent Soli sind durchaus etwas, was Sie
für die deutsche Einheit eingeführt haben. Aber was ha-
ben Sie denn 1991 gemacht? Sie haben ohne mit der Wim-
per zu zucken die Tabaksteuer erhöht, Sie haben die Ver-
sicherungsteuer um 3 Prozent erhöht, Sie haben die
Mineralölsteuer sogar um 22 Pfennig pro Liter erhöht. Wo
war denn da Ihre wirtschaftspolitische Kompetenz? Sie
haben 16 Milliarden DM Steuererhöhung allein 1991 be-
schlossen, nur für den Golfkrieg! Und im Endeffekt war
es eigentlich nur für die Haushaltssanierung da. Aber ge-
blieben ist nichts. Das ist Ihre Finanzpolitik, die wirt-
schaftsfeindlich ist.
Ich muss darauf hinweisen, dass das, was wir hier auch
im Rahmen der Tabaksteuererhöhung und der Versiche-
rungsteuererhöhung sehr moderat und sehr zielgerichtet
vorschlagen, etwas ist, was die Belastung der Haushalte
oder der Unternehmen die Parlamentarische Staatsse-
kretärin hat es eben schon gesagt kaum trifft. Das ver-
teilt sich sehr moderat über alle Haushalte und trifft einen
Haushalt gerade mit 15 DM im Jahr. Gleichzeitig haben
wir eine Steuerentlastung und eine Kindergelderhöhung
im nächsten Jahr. Das ist etwas, was man für die Sicher-
heit auch mit investieren kann.
Ich weiß, es hat Ihnen nicht gefallen, dass wir jetzt
nach der Anhörung auf das Zweistufenmodell umge-
schwenkt sind. Nur, meine sehr verehrten Damen und
Herren, dafür sind Anhörungen doch da. Man kann durch-
aus auch einmal zuhören, was Sie ja ab und zu nicht tun.
Der Vertreter des Verbandes der Zigarettenindustrie,
die Tabakwarengroßhändler, die Handelsverbände und,
was uns besonders wichtig ist, die Gewerkschaften haben
gesagt: Wir haben ja Verständnis für eure Geldnöte, da
muss auch etwas getan werden, aber bitte macht ein Zwei-
stufenmodell, dann können wir das für in Ordnung erklä-
ren und auch mitmachen, da kann auch die Automatenin-
dustrie mitmachen. Wir haben diese ausgestreckte Hand
ergriffen. Wir haben dafür gesorgt, dass dies entsprechend
geändert wird. Wir sind hier im Gleichklang mit denen,
die diese Anhörung mitgestaltet haben.
Das passt Ihnen natürlich nicht, weil nämlich damit das
Hauptargument entfallen ist. Sie können jetzt nicht mehr
sagen, dass die eine Stufe viel zu groß wird.
Sie können jetzt nicht mehr sagen, dass das wirtschafts-
feindlich ist.
Ich weiß, dass Ihnen das unangenehm ist. Aber sehen
Sie einfach ein, dass diese Regierung in der Lage ist, mit
den Verbänden zusammenzuarbeiten. Wir sorgen für eine
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Dr. Frank Schmidt
19539
solide Haushaltsführung. Wir brauchen das Geld dafür.
Das Geld wird bereitgestellt. Das ist das Ergebnis der An-
hörung. Ich denke, das entspricht auch dem Vorschlag, der
heute hier zur Abstimmung steht.
Wenn ich mir anschaue, was Sie heute hier zum Besten
gegeben und was Sie in der Vergangenheit gefordert ha-
ben, dann muss ich darauf hinweisen, Sie sind genau dort,
wo Sie hingehören, nämlich in der Opposition, weil Sie
nicht in der Lage sind, solide Finanzpolitik in diesem
Hause vorzulegen.
Zu einer Kurz-
intervention erhält der Kollege Thiele das Wort.
Herr Kollege Schmidt,
einige kurze Anmerkungen.
Ich glaube, den Denkprozess bei der Beratung dieses
Gesetzes hätten Sie überhaupt nicht vollzogen, wenn es
nicht eine Anhörung gegeben hätte, die nicht von Ihnen
beantragt worden ist, sondern von der Opposition.
Wenn ich mich noch an die ersten Stellungnahmen des
Finanzministeriums während der Anhörung erinnere,
dann hat dort das Finanzministerium erklärt, Geschenke
der Zigarettenindustrie lehne man ab. Dass es nachher im
Laufe der Beratung anders kam, lag nur an der Anhörung,
die die Opposition betrieben hat.
Ein zweiter Punkt. Wenn Sie erklären, wer gegen diese
Steuererhöhung ist, ist gegen humanitäre Maßnahmen,
dann glaube ich, Sie wären gut beraten, wenn Sie das
selbst zurücknehmen. Denn diesen Zusammenhang her-
zustellen, das ist wirklich unter Niveau.
Der dritte Punkt. Ich habe bei Ihnen das erlebt, was ich
auch beim Bundesfinanzminister permanent erlebe: die
letzten sechzehn Jahre als Einheit zu betrachten und aus-
zublenden was Oskar Lafontaine natürlich immer getan
hat , dass wir 1990 die Wiedervereinigung hatten. Die
letzten sechzehn Jahre der alten Koalition waren zweimal
acht, einmal acht Jahre bis zur deutschen Einheit, und in
der Zeit wurden die Steuern gesenkt, wurde die Staats-
quote gesenkt, und im Jahre 1989 hätten wir ohne deut-
sche Einheit keine Nettoneuverschuldung gehabt.
Wir stehen zur deutschen Einheit und wir haben uns
immer zur Finanzierung der deutschen Einheit bekannt,
denn das sozialistisch ruinierte Ostdeutschland musste
und konnte nur finanziert werden über Erhöhung der
Steuern, über Erhöhung der Sozialbeiträge und über Er-
höhung der Nettoneuverschuldung.
Ich bin glücklich, dass wir eigentlich auf einem guten
Wege des Zusammenwachsens sind und dass in diesen
letzten zehn Jahren in den neuen Bundesländern ein Auf-
schwung erreicht wurde auch wenn dieser nicht aus-
reicht, weil die Befindlichkeiten schlecht, die Lasten auch
viel zu hoch sind. Lassen Sie uns einfach etwas ehrlicher
miteinander umgehen. Denn es nimmt Ihnen beim besten
Willen keiner ab, wenn Sie sagen, dass die finanzielle Si-
tuation nichts mit der deutschen Einheit und mit der sozia-
listisch ruinierten DDR zu tun hätte. Insofern: Bemühen
Sie sich zukünftig um etwas mehr Glaubwürdigkeit!
Das Glaub-
würdigkeitsproblem, Herr Thiele, haben Sie. Schauen Sie
sich die Protokolle der Debatten über die Steuerpolitik aus
dem Jahre 1991 einfach einmal an.
Offensichtlich haben Sie das bislang nicht getan; aber
ich kann Ihnen das gerne in Kopie geben. Sie sollten ein-
mal nachlesen, was damals Herr Faltlhauser seinerseits
noch Abgeordneter dazu gesagt hat: Man dürfe nicht zu
einer Nettoneuverschuldung gelangen. Die Erhöhung des
Soli was auch Inhalt des Gesetzes war um 10 Milliar-
den DM war zur Finanzierung der deutschen Einheit;
gleichzeitig aber wurde die Erhöhung bei den Verbrauch-
steuern eindeutig mit der Finanzierung des Golfkrieges
begründet. So ist es in den Protokollen nachzulesen. Ma-
chen Sie das doch einfach einmal!
Zum anderen hat mein Kollege Detlev von Larcher
ich weise wieder auf das Protokoll des Bundestages hin
schon in der Debatte zur ersten Lesung dieses Gesetzes
zum Ausdruck gebracht, dass wir die Einwände ernst neh-
men, dass wir auch über das Zweistufenmodell diskutieren
werden.
Dann möchte ich noch sagen: Wenn Sie über huma-
nitäre Maßnahmen reden, sollten Sie auch die Gegenfi-
nanzierung im Blick haben. Bis heute haben Sie diesem
Hause dazu nichts vorgelegt. Das Einzige, was vorliegt,
ist unsere moderate Steueranhebung. Da Sie nichts ande-
res haben,
sprechen Sie sich dagegen aus, wenn Sie dagegen sind.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Otto Bernhardt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Dr. Frank Schmidt
19540
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege
Schmidt, erhöhte Lautstärke und das Vorbringen alter Ka-
mellen sind nicht geeignet, eine wirklich ernste Debatte in
diesem Hause zu führen. Ich finde, das war der Debatte
unwürdig.
Ich halte mich an das Thema, um das es geht. Es geht
schlicht um zwei wesentliche Steuererhöhungen.
Ich zitiere einmal aus einer der großen Tageszeitungen,
die sich mit diesem Thema auseinander gesetzt hat:
Insgeheim wird Bundesfinanzminister Hans Eichel
den Tag verfluchen, an dem sein Haus bekanntgab,
zur Finanzierung des Antiterrorpaketes die Steuern
zu erhöhen. Nicht nur, dass er damit seinen Ruf als
konsequenter Steuersenker endgültig verwirkt hat,
auch sein Image als solider Haushälter ist angekratzt.
Meine Damen und Herren, es ist richtig, dass zurzeit alle
Länder in der Welt dabei sind, die Anstrengungen für die
Terrorbekämpfung zu erhöhen. Richtig ist auch, das kein
Land außer der Bundesrepublik Deutschland dafür die
Steuern erhöht. An dieser Stelle würde ich gerne der Kolle-
gin Scheel, die leider nicht mehr im Hause ist, volkswirt-
schaftlichen Nachhilfeunterricht geben. So richte ich mich
an den Kollegen Schmidt: Die Frage, wann man Steuerer-
höhungen durchführt, ist ganz entscheidend abhängig da-
von, wie die konjunkturelle Lage ist. In der jetzigen Situa-
tion ist jede Steuererhöhung Gift für die Konjunktur.
Man erreicht damit genau das Gegenteil dessen, was be-
absichtigt wurde. Einige sollten sich einmal mit Herrn
Brüning beschäftigen. Auch der fing an, diesen Weg zu ge-
hen. Sie erhöhen jetzt die Abgaben, Sie erhöhen die Steu-
ern und wundern sich dann, dass Deutschland erstmalig
Schlusslicht beim Wirtschaftswachstum in Europa gewor-
den ist. Dabei müsste Sie das nachdenklich stimmen.
Ich komme jetzt zur Tabaksteuer. Es geht hier um die
stärkste Erhöhung dieser Steuer, die wir in der deutschen
Geschichte bisher durchgeführt haben.
Sie selber gehen laut Ihren Zahlen davon aus, dass infolge
dieser Steuererhöhung 13 Prozent weniger Zigaretten ge-
kauft werden. Wenn dadurch das Rauchen wirklich um
13 Prozent zurückgehen würde, könnte man mit mir noch
über diese Maßnahme sprechen. Das wäre gesundheits-
politisch unter Umständen gar nicht verkehrt.
Die Wirklichkeit das haben uns in der Anhörung alle
Fachleute bestätigt ist eine andere: Der Schwarzmarkt,
der Grenzverkehr und der Versandhandel werden stärker
genutzt. Wer sind auch das sollte hier einmal gefragt
werden die wirklich Leidtragenden? Das sind die
6 500 kleinen Einzelhändler, für die die Zigarette ein ganz
wichtiger Umsatzfaktor ist. Dies ist wieder ein Zeichen
für Ihre Mittelstandsfeindlichkeit.
Ich komme zur Versicherungsteuer.
Kollege Schmidt hat Prozentpunkt mit Prozentsatz ver-
wechselt. Mit einer Versicherungsteuer in Höhe von 15 Pro-
zent sind wir schon heute der Spitzenreiter in Europa.
Großbritannien hat einen Steuersatz von 4 Prozent und die
Schweiz einen Steuersatz von 5 Prozent. Die Erhöhung
von 15 auf 16 Prozent, um die es jetzt geht, bedeutet, rech-
net man die Mehrwertsteuer hinzu, eine Erhöhung um
8 Prozent. Dies ist ein weiterer Standortnachteil für
Deutschland.
Sie alle wissen, dass die Versicherungsrisiken nach
dem 11. September 2001 neu eingeschätzt werden und
dass es zu höheren Beiträgen kommen wird. Das heißt,
durch das, was Sie gleich gegen unsere Stimmen be-
schließen werden, wird die Versicherungswirtschaft dop-
pelt getroffen.
Wir sollten Sie an Ihren eigenen Aussagen messen.
Auch wenn es Ihnen peinlich ist, werde ich ein zweites Zi-
tat anführen. Ihr Bundeskanzler Schröder
richtig, Herr Kollege , der von Ihnen gestellte Bun-
deskanzler, der auch mein Bundeskanzler ist, hat am
21. September 1998 Folgendes erklärt:
Wenn wir es nicht schaffen, die Arbeitslosenquote
signifikant zu senken, dann haben wir es weder ver-
dient, wiedergewählt zu werden, noch werden wir
wiedergewählt.
Durch das, was Sie heute beschließen, und durch das,
was Sie, bezogen auf die Ökosteuer, schon beschlossen
haben, fehlt im nächsten Jahr bei der Bevölkerung eine
Nachfrage von 10 Milliarden DM.
In vielen Bereichen wird dies zu spüren sein. Daher sage
ich ganz ernst: Was wir zurzeit brauchen, sind weitsich-
tige Finanzpolitiker. Wir brauchen keine engstirnigen
Buchhalter. Wir brauchen Steuersenkungen und keine
Steuererhöhungen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 19541
Ich schließe da-
mit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Finanzierung der Terror-
bekämpfung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. Gegenstimmen? Enthaltungen? Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der ge-
samten Opposition angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben,
wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. Wer
stimmt dagegen? Gibt es Enthaltungen? Der Gesetz-
entwurf ist damit in dritter Lesung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition
angenommen worden.
Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion
der FDP. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf
Drucksache 14/7335? Gegenstimmen? Enthaltungen?
Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Ko-
alitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und
FDP bei Enthaltung der PDS abgelehnt worden.
Ich rufe Zusatzpunkt 12 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Vereinsgesetzes
Drucksache 14/7026
Beschlussempfehlung und des Bericht des
Innenausschusses
Drucksache 14/7354
Berichterstattung:
Abgeordnete Sebastian Edathy
Dr. Hans-Peter Uhl
Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Es besteht
kein Widerspruch. Dann ist auch so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Sebastian Edathy.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Wir haben gerade vom letzten Red-
ner in der letzten Debatte gehört, dass man Mehrausgaben
für mehr Sicherheit am besten durch Steuersenkungen
finanziert. Ich nehme das als originelle Anregung zum
Nachdenken mit ins Wochenende. Möglicherweise wer-
den wir über diesen Tagesordnungspunkt, der auch etwas
mit der Stärkung der inneren Sicherheit zu tun hat, etwas
weniger kontrovers diskutieren müssen; denn dies wird
nicht mit höheren Ausgaben verbunden sein.
Wir beraten heute abschließend über eine Änderung
des Vereinsrechts. Worum geht es dabei? Art. 9 Abs. 1 un-
seres Grundgesetzes garantiert das Recht auf Bildung von
Vereinen. In Abs. 2 folgt die einzige Einschränkung, die
das Grundgesetz für dieses Recht kennt. Es heißt dort
wörtlich ich zitiere :
Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit
den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen
die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Ge-
danken der Völkerverständigung richten, sind verbo-
ten.
Das Grundgesetz selbst allerdings definiert weder, was
ein Verein ist, noch das nähere Verfahren eines Vereins-
verbotes. Die diesbezüglichen Bestimmungen finden sich
im 1964 geschaffenen Vereinsgesetz, über das wir heute
diskutieren. Dort ist ausdrücklich festgehalten, dass
Religionsgemeinschaften und weltanschauliche Vereini-
gungen nicht als Vereine gelten.
Das führt zu einem Problem, das wir heute lösen soll-
ten. Nach geltendem Recht kann der Bundesinnenminis-
ter, der für die Verfügung eines Verbotes überregionaler
Vereine zuständig ist, in der Regel kein Verbot gegenüber
extremistischen Vereinen aussprechen, die sich als Reli-
gions- oder Weltanschauungsgemeinschaft deklarieren.
Wir werden heute darüber zu entscheiden haben, ob das
so bleiben soll oder nicht.
Außer der PDS haben alle Fraktionen im Deutschen
Bundestag im Rechtsausschuss und im Innenausschuss
den Vorschlag der Bundesregierung begrüßt, das so ge-
nannte Religionsprivileg im Vereinsrecht zu streichen und
damit die notwendige Rechtsklarheit dafür zu schaffen,
dass ein Vorgehen gegen Religions- und Weltanschau-
ungsvereine möglich ist, die sich verfassungsfeindlich
betätigen.
Vereinzelt war bei den Ausschussberatungen und in der
öffentlichen Debatte die Befürchtung zu hören, die beab-
sichtigte Rechtsänderung bringe die mögliche Gefahr mit
sich, dass insbesondere gegenüber kleineren Religionsge-
meinschaften willkürlich vorgegangen werden könnte.
Die SPD-Bundestagsfraktion teilt diesen von einer Min-
derheit geäußerten, aber trotzdem ernst zu nehmenden
Einwand nicht.
Vom In-Kraft-Treten des Vereinsgesetzes im Jahr 1964
bis heute sind seitens des jeweiligen Bundesinnenminis-
ters insgesamt 23 Vereinsverbote ausgesprochen wor-
den: 23 Verbote in insgesamt 37 Jahren. Diese Zahl ver-
deutlicht, dass das Mittel des Vereinsverbotes nicht Mittel
der Wahl, sondern Ultima Ratio, also letztes Mittel ist, zu
dem der Staat dann zu greifen hat, wenn Verstöße eines
Vereines gegen die Grundlagen unseres Gemeinwesens so
massiv und schwerwiegend sind, dass das Recht auf Ver-
einsbildung dahinter zurückstehen muss.
Hier ist in der Vergangenheit ganz offenkundig mit
großer Umsicht und großer Sensibilität, rechtsstaatlich
und verhältnismäßig vorgegangen worden, weil die Frei-
heit der Vereinsbildung ein Grundrecht ist, dessen Wahr-
nehmung mit großer, aber das füge ich hinzu eben
nicht mit unbegrenzter Toleranz respektiert werden muss.
So sind denn auch diejenigen Vereinigungen, die in den
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119542
letzten fast 40 Jahren verboten worden sind, keineswegs
unbekannt, sondern Vereinigungen, die eindeutig nahe le-
gen, dass eine aggressive Bekämpfung des Grundgesetzes
ihr Wesensmerkmal ist. Ich will einige davon nennen: Im
letzten Jahr wurde die deutsche Sektion von Blood &
Honour verboten, eine problematische Neonazigruppe.
Zu den verbotenen Vereinigungen gehören auch die
Wehrsportgruppe Hoffmann, die Wiking-Jugend und
die PKK.
Es gibt keinen Grund dafür, im Vereinsrecht nicht ein-
deutig klarzustellen, dass eine einschlägig extremistische
Organisation auch dann verboten werden kann, wenn sie
als religiös oder weltanschaulich motivierte Organisation
in Erscheinung tritt. Insofern stellt sich nach meinem
Dafürhalten weniger die Frage, ob wir das Vereinsrecht
ändern sollten, als vielmehr die Frage, warum wir das
nicht schon längst getan haben. Das Bundesverwal-
tungsgericht beispielsweise hat bereits 1971 kritisch da-
rauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung
des Vereinsrechtes seine Regelungsbefugnis nicht ausge-
schöpft hat.
Die Befürchtung der willkürlichen Umsetzung
der Änderung des Vereinsrechtes ist auch deshalb unbe-
gründet, weil insbesondere bei Religions- und Weltan-
schauungsgemeinschaften neben dem Grundrecht auf
Vereinigungsfreiheit das Grundrecht auf ungestörte Reli-
gionsausübung immer in den Prozess der Abwägung, ob
ein Verbot ausgesprochen werden soll oder nicht, einzu-
beziehen ist. Hinzu kommt natürlich auch, dass ein Ver-
bot gerichtlich überprüft werden kann.
Ich möchte auch gegenüber der Bundesregierung in
aller Offenheit sagen ich schicke voran, dass selbstver-
ständlich die Entscheidung über das Verbot einer überre-
gional tätigen Vereinigung dem Bundesinnenminister ob-
liegt : Ich kenne niemanden in diesem Hause, der es
nicht begrüßen würde, wenn infolge der heute anstehen-
den Gesetzesänderung der so genannte Kalifatsstaat-Ver-
ein des Herrn Kaplan verboten würde.
Wir sind uns sicherlich einig, dass das Verbot einer sol-
chen Vereinigung, die unter anderem das ist in ihren Pu-
blikationen und im Verfassungsschutzbericht 2000 nach-
zulesen zum Sturz demokratisch gewählter Regierungen
aufruft und die nach meinem Dafürhalten zudem den Be-
griff des Islam weniger gebraucht als vielmehr miss-
braucht, möglich sein muss. Wir können und sollten heute
gemeinsam durch die Änderung des Vereinsgesetzes dazu
beitragen, dass ein solches Verbot auch tatsächlich mög-
lich wird.
Lassen Sie mich abschließend eine Bemerkung ma-
chen, die mir besonders wichtig erscheint. Ich bin davon
überzeugt, dass unsere heutige Entscheidung einen guten
und sinnvollen Beitrag zur Stärkung der Wehrhaftigkeit
unserer Demokratie leisten wird. Ich glaube, es muss
möglich sein, dass ein Rechtsstaat mit den Mitteln des
Verbotes gegen seine Feinde vorgeht. Die Frage des Ver-
bots von religiös oder weltanschaulich motivierten Verei-
nigungen können wir heute durch die Änderung des Ver-
einsrechts klären.
Mit etwas anderem wird sich der Bundestag immer
wieder beschäftigen müssen; denn Vereinigungen können
wir verbieten und auflösen, Menschen nicht. Diejenigen,
die sich in extremistischen Vereinigungen organisiert ha-
ben, denen können wir zwar die Infrastruktur und die Or-
ganisationsbasis nehmen. Aber ihre Gesinnung werden
sie deswegen längst nicht aufgeben. Wir sind aufgerufen,
uns dauerhaft darüber Gedanken zu machen, wie
insbesondere junge Menschen und Heranwachsende in
diesem Land zu so selbstbewussten und demokratiebe-
wussten Staatsbürgern werden, dass sie eben nicht extre-
mistischen Rattenfängern auf den Leim gehen und ihnen
hinterherlaufen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dr. Hans-Peter Uhl.
Frau Präsidentin!
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Durch den
nächste Woche zu beschließenden Befehl für den Einsatz
bewaffneter Streitkräfte im Ausland beteiligt sich
Deutschland am internationalen Kampf gegen den Terro-
rismus. Nicht weniger wichtig ist es, dass Deutschland den
Kampf gegen den Terror auch im Inland aufnimmt. Des-
halb muss der Blick für verfassungsfeindliche Organisa-
tionen geschärft werden. Der Blick muss auch für unsere
Grundwerteordnung und für unser Verständnis von Men-
schenwürde geschärft werden, um sich von den Feinden
unserer verfassungsmäßigen Grundordnung abzugrenzen.
Wir können nicht akzeptieren, dass sich Terroristen
und Extremisten unter dem Deckmantel einer Religions-
gemeinschaft verstecken, dann ihren kriminellen Ma-
chenschaften nachgehen und wir keinerlei Handhabe da-
gegen haben. Es muss endlich gehandelt werden. So hat
zuletzt im Januar dieses Jahres der bayerische Innenminis-
ter Beckstein die Abschaffung des Religionsprivilegs ge-
fordert, wohlgemerkt nicht das erste Mal. Er hat diese
Forderung auch schon während der Amtszeit des Vorgän-
gers von Innenminister Schily erhoben.
Der internationale Terrorismus muss konsequent und
energisch bekämpft werden. Wir sollten dabei zur Ge-
meinsamkeit der Demokraten zurückkehren. Eine mög-
lichst breite Mehrheit von Demokraten, die sich über
Ziele und Methoden im Kampf gegen die Feinde der De-
mokratie einig sind, sollte sich im Parlament formieren.
Wir wissen, das Grundrecht auf freie Religionsaus-
übung Art. 4 Abs. 2 des Grundgesetzes ist kein schran-
kenloses Grundrecht. Auch dieses Grundrecht unterliegt
den grundrechtsimmanenten Schranken. Dafür spricht
schon die ganz einfache Überlegung, dass es kein Grund-
recht auf grenzenlose Freiheit geben kann. Hier ist viel-
mehr die Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 des Grundge-
setzes zu beachten: Das Recht auf freie Entfaltung der
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Sebastian Edathy
19543
Persönlichkeit gilt nur, soweit nicht die Grundrechte an-
derer verletzt sind, soweit nicht die verfassungsmäßige
Ordnung tangiert ist oder die Sittengesetze berührt wer-
den.
Sie sehen: Wir sind hier mitten in einer umfassenden
Wertediskussion. Es geht um den Individualwert der
Grundrechte Einzelner. Es geht um den Gemeinschafts-
wert der verfassungsmäßigen Grundordnung und schließ-
lich um moralische Werte unseres Sittengesetzes. Eine
solche umfassende Wertediskussion muss jetzt überall
auch hier im Parlament geführt werden.
Um noch ein Stück deutlicher zu werden und nicht zu
abstrakt verfassungsrechtlich zu argumentieren: Der Um-
gang mit Andersgläubigen oder die Würde der Frau be-
stimmen sich nicht nach irgendeiner Auslegung des Ko-
ran, sondern nach unserer Werteordnung. Das ist der
Punkt, um den es geht. Die Auslegung richtet sich nach
dem sittlichen Bewusstsein unserer Rechtsgemeinschaft.
Wir können nicht akzeptieren, dass in Deutschland le-
bende extremistische Islamisten ihre Interpretation von
Koran und Scharia über unser Grundgesetz stellen. Das
Menschenrechtsverständnis unseres Grundgesetzes mit
der gleichen Wertigkeit und der gleichen Würde des Men-
schen ist mit diesem Islamismus nicht vereinbar. Wir müs-
sen darauf bestehen: Unser Grundgesetz ist nicht verhan-
delbar. Wer bei uns leben möchte, hat sich an unserer
Leitkultur zu orientieren.
Ich weiß, das tut Ihnen weh und Sie wollen keine Dis-
kussion darüber. Aber Sie werden der Diskussion über die
Leitkultur nicht ausweichen können, denn wir sind schon
mittendrin.
In letzter Zeit wurde oft von höchster Stelle man
muss das hier erwähnen ein ziemlich abwegiges Grund-
rechtsverständnis vertreten. So hat vor wenigen Jahren
auf erneuten Vorstoß des bayerischen Innenministers das
Bundesinnenministerium festgestellt, dass der Unterhalt
von Moscheen und die Praktizierung von Riten und Kult-
handlungen der islamischen Religion ausreichen würden,
um unter dem Schutz und Schirm des Gesetzes zu stehen.
Selbst der Vorwurf terroristischer Straftaten tangiere die-
sen Status nicht. Ich nenne eine solche Auffassung eine
Verirrung des Geistes.
Ein derart falsch verstandener Liberalismus schaufelt sich
eines Tages sein eigenes Grab.
Die Väter unseres Grundgesetzes dagegen waren viel
weitsichtiger. Sie wollten eine wehrhafte Demokratie,
eine Demokratie, die allen ihren Feinden den Kampf an-
sagt. Das war der Geist von Herrenchiemsee. Das war der
Geist, der alle Demokraten einte. Warum? Sie hatten das
Terrorregime der Nazis überlebt und das Terrorregime der
Kommunisten vor Augen. Doch in der Folgezeit fehlen-
der Bedrohung legte sich bei nicht wenigen eine überzo-
gen liberalistische Auffassung wie Mehltau über die
Grundrechtsinterpretation.
Bei einer solchen Grundrechtsinterpretation ist es wohl
auch kein Zufall, dass Deutschland zum Ruheraum von
Terroristen werden konnte. Wegen einer falsch verstande-
nen Liberalität konnten sich hier dem Terrorismus zuge-
wandte Personen austoben und die abstrusesten Ideen ver-
breiten. Offensichtlich bedurfte es des furchtbaren
Anschlags von New York durch islamistische Terroristen,
bis für jedermann erkennbar wurde, dass ein solches libe-
ralistisches Grundrechtsverständnis grob fahrlässig ist.
Für den Erhalt der Demokratie muss man Grenzen auf-
zeigen und für die Einhaltung dieser Grenzen kämpfen.
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Edathy.
Ich würde gerne
zum Schluss kommen und Sie im Anschluss zu einer Dis-
kussion einladen.
Zu Recht hat der Staatsschutzsenat des OLG Düssel-
dorf das sollte im Plenum bekannt werden im No-
vember 2000, also vor gut einem Jahr, in seiner Urteils-
begründung zu dem Fall des Kalifen von Köln eine
harsche Politikschelte vorgenommen. In dem Urteil heißt
es:
Nahezu mit Verblüffung musste der Senat zur Kennt-
nis nehmen, dass eine Vielzahl von Zeugen aus den
Reihen des Kaplan-Verbandes, und davon nicht we-
nige mit inzwischen deutscher Staatsangehörigkeit,
mit einer kaum zu glaubenden Unverschämtheit oder
besser Unverfrorenheit erklärten, dass für sie auch
hier in Deutschland nicht die deutschen Gesetze, ja
nicht einmal die deutsche Verfassung, sondern das
islamische Recht, die Scharia, maßgeblich sei. Und
Ziel sei es außerdem nicht nur, ... den Islam auch hier
in Deutschland zu verbreiten, sondern die ganze Welt
müsse der Herrschaft des Islam ... unterworfen wer-
den.
Wir kennen eine ganze Reihe weiterer Zitate von
Metin Kaplan, der in Deutschland immerhin 1100 An-
hänger hat. Hier einige Kostproben: Es lebe die Hölle für
die Ungläubigen, Nieder mit allen Demokratien und al-
len Demokraten!, Wenn wir die Macht übernommen
haben, muss das Parlament ... zerstört und verbrannt und
die Asche ins Meer geschüttet werden, Der Koran wird
die Verfassung, die Scharia das Gesetz, der Islam wird der
Staat. Das alles sind Töne, die in Deutschland von die-
sen Leuten vorgetragen werden, und immer noch nicht ist
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Dr. Hans-Peter Uhl
19544
dieser Verein verboten. Es wird höchste Zeit, dass das Ver-
fahren zu Ende gebracht wird
und die Rädelsführer abgeschoben werden. Sollte sich
dann herausstellen, dass einige der Rädelsführer bereits
einen deutschen Pass erlangt haben und sie deswegen
nicht mehr abgeschoben werden können, wird die deut-
sche Öffentlichkeit mit Recht empört sein.
Von Milli Görüs mit ihren an die 27 000 Mitgliedern
also nicht nur 1100 wie bei Metin Kaplan wissen wir,
dass Teil ihrer offiziellen Vereinspolitik die Aufforderung
an ihre Mitglieder ist, sich einbürgern zu lassen, das heißt,
sich einen deutschen Zweitpass zu besorgen. Meiner Mei-
nung nach müssen wir in den Fällen, in denen sich Men-
schen ganz bewusst einen deutschen Zweitpass beschafft
haben,
die sich nachträglich als verfassungsfeindliche Extremis-
ten herausstellen, Herr Edathy, prüfen, ob wir ihnen die-
sen deutschen Zweitpass wieder entziehen können. Nach
geltendem Verfassungsrecht geht das nicht, wäre aber im
Falle einer entsprechenden Änderung durchaus mit der
Verfassung vereinbar. Lesen Sie einmal nach, wie es zu
der betreffenden Vorschrift kam!
Meine Damen und Herren, die Islamische Gemein-
schaft Milli Görüs e. V. ist im Prinzip gefährlicher als die
Kaplan-Vereinigung, weil sie geschickter vorgeht. Sie hat
als Feindbild nach wie vor unsere Gesellschaftsordnung,
sie torpediert jegliche Integrationsbemühungen, sie will
eine islamistische Parallelgesellschaft in Deutschland er-
richten. Deswegen ist sie gefährlicher. Was sie von dem
NATO-Partner Türkei will, wissen Sie. Die Tochterorga-
nisation dieser Gemeinschaft, die Refah-Partei, wurde
deswegen dort verboten.
Bei den Milli-Görüs-Vereinen handelt es sich noch um
eine Minderheit, aber sie versuchen, Einfluss in allen Le-
bensbereichen auszuüben. Deswegen müssen wir in den
deutschen Schulen viel intensiver prüfen, inwieweit sich
der islamische Religionsunterricht mit unserer verfas-
sungsmässigen Grundordnung deckt. Wenn der Verfas-
sungsschutz zu dem Ergebnis kommt, dass Milli Görüs
verfassungsfeindlich ist, dann werden wir auch hier ein
Verbot aussprechen müssen. Es wird sich zeigen, inwie-
weit im Falle eines anstehenden Verbots der grüne Koali-
tionspartner dem Innenminister den Rücken stärken oder
ihm in den Rücken fallen wird.
Ich komme zum Schluss: Unsere wehrhafte Demokra-
tie, richtig verstanden, gibt den Feinden unserer Verfas-
sung keine Chance. Es wäre auch unerträglich, wenn we-
gen einer völlig überzogenen Laisser-faire-Haltung aus
Deutschland ein Nachtwächterstaat würde. Wenn unsere
freiheitlich-demokratische Grundordnung bedroht wird,
dann hält das Grundgesetz genügend Instrumente zum
Kampf gegen den Terrorismus bereit. Heute tun wir mit
diesem Gesetz einen ersten Schritt zur Bekämpfung des
Terrors im Inland. Im Sicherheitspaket der Bundesregie-
rung werden weitere Schritte folgen. Die Unionsfraktion
wird diesem Sicherheitspaket weitere Vorschläge hinzu-
fügen. Dann wird es uns hoffentlich in großer Mehrheit
gelingen, im Kampf gegen den islamistischen Terror zu
bestehen.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Cem Özdemir.
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die jetzt vorge-
legte Änderung des Vereinsgesetzes ist Teil eines Bündels
von Maßnahmen als Konsequenz aus den schrecklichen
Anschlägen vom 11. September dieses Jahres. Wenn wir
jetzt über einzelne Neuregelungen sprechen, dann dürfen
wir die Gründe, die dazu geführt haben, dass wir uns
heute, aber auch schon bei anderer Gelegenheit mit
Terrorismusbekämpfung, mit der Änderung von Gesetzen
beschäftigen bzw. beschäftigt haben, nicht vergessen.
Ich bedaure, in diesem Zusammenhang sagen zu müs-
sen: Die eine oder andere Kritik an den getroffenen Maß-
nahmen legt den Eindruck nahe, dass man die Kernpro-
blematik, nämlich den 11. September, gelegentlich aus
den Augen verliert.
Wer sich auf eine reine Maßnahmenkritik beschränkt, der
darf nicht vergessen, dass in New York Tausende von
Menschen aus nahezu allen Ländern der Vereinten Natio-
nen, darunter einige deutsche Staatsbürger, ums Leben ge-
bracht worden sind. Angesichts dessen kann niemand von
uns zur Tagesordnung zurückkehren und so tun, als ob
nichts geschehen wäre.
Eine trügerische Sicherheit nach dem Motto Uns wird
es schon nicht treffen kann uns nicht weiterhelfen; denn
niemand von uns ich sage das, ohne Panik verbreiten zu
wollen hat eine Garantie dafür, dass sich das, was in
New York geschehen ist, nicht morgen oder übermorgen
in einem anderen Land Europas oder irgendwo anders in
der Welt ereignet. Weil die Selbsterhaltungskräfte der Ge-
sellschaft gefragt sind, sind wir alle miteinander aufge-
fordert, uns zu überlegen, was wir tun können, um die Si-
cherheit zu erhöhen und vorhandene Lücken so schnell
wie möglich zu beseitigen.
Wir dürfen in diesem Zusammenhang auch nicht ver-
gessen, dass sich einige der Attentäter lange Zeit bei uns
unerkannt aufgehalten haben. Sie haben dieses Land be-
nutzt, um mit verschiedenen Identitäten wie gesagt: un-
erkannt ihre Mordtaten zu planen. Das muss in die Be-
wertung einbezogen werden. Daraus folgt für mich
zwingend, dass wir bei der Bekämpfung des Fundamenta-
lismus schärfer als in der Vergangenheit vorgehen müssen.
In der Öffentlichkeit ist schon mehrfach auf den so ge-
nannten Kalifatsstaat, also auf die Bewegung von Herrn
Kaplan, hingewiesen worden. Diese Bewegung sollte sich
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Dr. Hans-Peter Uhl
19545
nirgendwo verstecken können. Der Terrorismus hat weder
eine Nation noch eine Religion. Er muss dort, wo er auf-
tritt, bekämpft werden. Herr Kaplan kann sich weder auf
den Islam noch auf irgendeine andere Religion berufen.
Ich hätte mir gewünscht, dass auch mein Vorredner wür-
digt, dass der Zentralrat der Muslime und alle großen
muslimischen Organisationen der Bundesrepublik
Deutschland in jeder nur möglichen Deutlichkeit nicht
nur ihr Mitgefühl mit den Opfern erklärt, sondern jede
Form von Terrorismus scharf verurteilt haben. Sie haben
wir sollten nicht das Thema, über das wir heute disku-
tieren, vergessen insbesondere die Änderung des Ver-
einsrechts begrüßt.
Nicht nur die christlichen Kirchen, mit denen wir im
Dialog stehen, sondern auch die muslimischen Organisa-
tionen der Bundesrepublik Deutschland haben dieses Un-
terfangen der Bundesregierung begrüßt und sie haben
diesbezüglich ihre Unterstützung zugesagt. Herr Kollege
Uhl, seitens der Opposition wäre es ein Gebot der intel-
lektuellen Redlichkeit gewesen, das zu würdigen. Die
Mehrzahl der Muslime sieht es nicht anders als wir.
Die Mehrzahl der Muslime wird nach Verabschiedung
dieses Gesetzentwurfs applaudieren, weil sie dafür dank-
bar sein werden, dass sie das geschieht in der Öffent-
lichkeit häufig nicht mehr in Mitleidenschaft gezogen
und verwechselt werden. Diese Muslime werden wahr-
scheinlich glücklicher als die Mehrheit dieses Hauses da-
rüber sein, dass durch dieses Gesetz das Verbot der Akti-
vitäten von Kaplan möglich wird.
Ich möchte Sie davor warnen, hier in falschen Populis-
mus zu verfallen. Ich habe bei allen Reden aufmerksam
zugehört. In allen unseren Reden ist ein Ringen spürbar.
Sie merken, dass keiner von uns hier mehr so redet wie
vor dem 11. September. Wenn ich gelegentlich Kollegen
aus der Union sprechen höre das gilt ausdrücklich nicht
für alle , dann habe ich schon das Gefühl, dass sie die-
selben Reden auch vor dem 11. September hätten halten
können. Ich habe nicht wirklich gemerkt, ob man sich Ge-
danken darüber macht, dass das, was man sagt, zu dem
passt, worum es eigentlich geht.
Im Hinblick auf Milli Görüs empfehle ich Ihnen ein-
fach einmal, das Gespräch mit Ihren Fraktionskollegen,
mit den Außenpolitikern und mit den entsprechenden Ex-
perten, zu suchen. Sie werden Ihnen sagen, dass das, was
Kollege Uhl eben gesagt hat, alles andere als verantwort-
lich ist. Wenn wir solche Maßstäbe an Menschen, die sich
zwar zum politischen Islam bekennen, aber mit Gewalt
überhaupt nichts am Hut haben, anlegen, dann spielen wir
mit dem Feuer. Davor kann ich nur audrücklich warnen.
Herr Özdemir,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
Marschewski?
Ja.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass das, was der Kollege
Uhl vorhin gesagt hat, wörtlich im letzten Verfassungs-
schutzbericht steht? Dort steht, dass Milli Görüs unter
dem Deckmantel einer veränderten Handlungs- und Hal-
tungsweise in Bezug auf früher weiterhin eine Gefahr für
diesen Staat darstellt. Nur das hat der Kollege Uhl be-
hauptet. Sie müssten es wissen.
Ich darf Ihnen an dieser Stelle auch noch sagen fra-
gen Sie Ihre Kollegen , dass alle Aussagen bezüglich
Milli Görüs und PKK neuerdings PKG bestätigt sind.
Das kann ich Ihnen sagen.
Der
Kollege Uhl hat gesagt, dass Milli Görüs sogar noch ge-
fährlicher als die Organisation von Kaplan ist, Herr Kol-
lege Marschewski. Darauf habe ich mich bezogen. Es
geht nicht darum, irgendetwas in Schutz zu nehmen. Ich
möchte sogar Ihre Kritik noch verschärfen: Ich halte es für
völlig unerträglich, wenn zum Beispiel aus Milli Görüs
nahe stehenden Medienkreisen wie in Tageszeitungen und
auch in Fernsehkanälen offener Antisemitismus vertreten
wird ich weise darauf übrigens seit Jahren hin, das nur
am Rande bemerkt ; dem muss Einhalt geboten werden.
Mein Hinweis zielte aber vielmehr darauf, dass es absurd
und absolut fahrlässig wäre, wenn wir denjenigen aus ei-
ner Organisation mit 30 000 Menschen, in der es Tauben
und Falken gibt, wobei nur letztere sich gegen Ver-
änderungen stemmen und eine Parallelgesellschaft auf-
bauen wollen das können weder Sie noch ich wollen ,
den Weg verbauen, die in diese Gesellschaft hineinwach-
sen wollen. Deshalb bitte ich darum, hier sehr differen-
ziert vorzugehen.
Die Holländer haben das einzig Vernünftige gemacht;
sie haben versucht, die Organisation zu spalten, indem sie
diejenigen, die bereit sind, sich auf einen Dialogprozess
einzulassen, in die Gesellschaft eingeladen haben, und
denjenigen, die das nicht wollen, klar gemacht haben,
dass auch unsere Gesellschaften Spielregeln haben. Das
hatte zur Konsequenz, dass sich Milli Görüs in Holland
quasi gespalten hat. In Bezug auf diese Spielregeln sind
wir uns einig: Trennung von Staat und Religion sowie Ak-
zeptanz der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Da-
rüber gibt es hier im Hause wohl keinen Streit.
Meine Bitte ist: Reden Sie noch einmal mit dem Kol-
legen Uhl und machen Sie ihm klar, dass es hier nicht da-
rum gehen kann, die Zahl der Feinde dieser Gesellschaft
zu erhöhen. Damit wäre niemandem gedient. Im Gegen-
teil: Als Sozialpädagoge empfehle ich hier, mit positiven
Verstärkern zu arbeiten und dadurch dazu beizutragen,
dass die Muslime, die bereit sind, in dieser Gesellschaft
Verantwortung zu übernehmen und das ist die Mehr-
zahl , nicht von der Gesellschaft abgestoßen, sondern in
die Gesellschaft eingeladen werden.
Da meine Redezeit schon abgelaufen ist, lassen Sie
mich zum Schluss nur noch eines sagen: Der Kampf ge-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Cem Özdemir
19546
gen den Terrorismus, der Kampf gegen Schläfer, der
Kampf gegen Extremisten kann nur gemeinsam mit den
Muslimen Erfolg haben. Auch der beste Verfassungs-
schutz und die beste Polizei haben keine Chance, wenn sie
in diese Szene nicht hineinkommen. Das werden sie nur
schaffen, wenn die muslimischen Gemeinschaften mit un-
serer Polizei zusammenarbeiten. Damit das der Fall ist,
müssen auch wir Schritte auf sie zugehen. Ich bin mir si-
cher, dass wir so erfolgreich sein werden. Wenn wir die
Gesellschaft polarisieren, werden wir es nicht sein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die FDP-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Max Stadler.
Frau Präsidentin! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Ich möchte die Diskussion
wieder auf den Gesetzentwurf lenken, über den wir gleich
abstimmen. In diesem geht es um die Frage, ob das Reli-
gionsprivileg im Vereinsrecht bestehen bleiben soll oder
nicht. Die FDP-Fraktion wird diesem Gesetzentwurf zu-
stimmen. Wir teilen nämlich das Ziel, verfassungs-
feindliche, extremistische Bestrebungen nicht zuzulassen.
Gleichzeitig bleibt davon war bisher wenig die Rede
das Grundrecht auf Religionsfreiheit in vollem Umfang
erhalten.
Auch wenn wir diesem Gesetz zustimmen, so muss doch
angemerkt werden, dass das Gesetzgebungsverfahren
nicht befriedigend abgelaufen ist. Immerhin befinden wir
uns hier in einem verfassungsrechtlichen Spannungsfeld.
Deswegen hat es im Bundesinnenministerium, wie Frau
Sonntag-Wolgast ja im Ausschuss neulich bestätigt hat,
einen längeren Diskussionsvorlauf gegeben. Das zeigt,
dass das Ganze Anlass zum Nachdenken gegeben hat.
Wenn nun vom Parlament verlangt wird, sehr rasch eine
Entscheidung zu treffen, so steht diese Eile doch in be-
merkenswertem Widerspruch zu der Zeitspanne des Vor-
laufs innerhalb der Bundesregierung.
Meine Damen und Herren, die FDP ist für zügige Be-
ratungen aller Maßnahmen, die die innere Sicherheit er-
höhen. Es muss aber auch mit der dem Parlament ange-
messenen Sorgfalt vorgegangen werden.
Denn das, was wir jetzt erleben, verheißt nichts Gutes für
die Beratungen zum so genannten Sicherheitspaket II.
Der Zeitplan, der bisher bekannt geworden ist, zeigt, dass
im Eilverfahren noch weitreichendere Maßnahmen
durchgepeitscht werden sollen. Ich finde, dass der Bun-
destag sich das nicht hätte gefallen lassen sollen.
Deswegen hat die FDP genau wie die Kollegin Jelpke
im Innenausschuss eine Anhörung von Sachverständigen
zu dem heutigen Thema beantragt. Dies ist leider von den
Regierungsfraktionen und der Union abgelehnt worden,
obwohl übrigens die Kollegen der CDU/CSU aus dem
Rechtsausschuss sehr wohl auch für eine Anhörung ein-
getreten sind.
Was hätte dort noch thematisiert werden sollen? Dort
hätte vor allem die Frage thematisiert werden sollen, ob
die heutige Gesetzesänderung überhaupt erforderlich ist.
Denn entgegen dem Eindruck, den der Kollege Uhl er-
weckt hat, ist die Rechtslage auch bisher schon geklärt.
Der Kollege Uhl hat hier in einer wirklich schlimmen
Weise Richtiges und Falsches miteinander vermischt.
Denn das Bundesverwaltungsgericht hat am
23. März 1971 auf der Basis des geltenden Rechtes ganz
eindeutig entschieden, dass auch Religionsgemeinschaf-
ten selbstverständlich an die verfassungsmäßige Ordnung
gebunden sind und dass sie, wenn sie dagegen verstoßen,
dem Verbot und der Auflösung unterliegen.
Ebenfalls entgegen dem Eindruck, den der Kollege Uhl
hier erweckt hat, ist es natürlich schon nach der geltenden
Rechtslage so, dass einzelne Mitglieder, auch wenn sie ei-
ner Religionsgemeinschaft angehören, selbstverständlich
strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. So ist
ja der selbst ernannte Kalif von Köln, Herr Kaplan, rechts-
kräftig zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden.
Es ist schon sehr eigentümlich, wenn hier von der CSU
der Eindruck erweckt wird, das von Herrn Kanther ge-
führte Innenministerium so musste man Herrn Uhl ver-
stehen habe dazu beigetragen, dass die Bundesrepublik
zu einem Ruheraum für Terroristen geworden sei.
Das ist wirklich absurd.
Ich bin in der eigenartigen Situation, hier Herrn Kanther
gegen die CSU verteidigen zu müssen.
Meine Damen und Herren, abschließend will ich noch
den Hinweis anbringen, dass der Rechtsstaat gegen Ter-
roristen in keiner Weise wehrlos ist. Es kommt darauf an,
das bestehende Recht konsequent anzuwenden. Das ist
auch gegenüber Religionsgesellschaften möglich, die sich
extremistisch verhalten.
Da der Gesetzentwurf aber zu einer Klarstellung
beiträgt, stimmen wir ihm zu, obwohl er nicht unbedingt
erforderlich gewesen wäre.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat jetzt für
die PDS-Fraktion die Kollegin Ulla Jelpke.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Cem Özdemir
19547
Frau Präsidentin! Sehr verehrte
Kollegen und Kolleginnen! Herr Stadler, die Konsequenz,
die Sie ziehen, verstehe ich nicht ganz. Ihren Beitrag kann
ich inhaltlich voll unterstützen. Warum Sie dennoch das
Religionsprivileg abschaffen wollen, ist aus Ihrer Argu-
mentation eigentlich nicht hervorgegangen.
Heute, am 9. November, sei daran erinnert: Aus den Er-
fahrungen der Schoah heraus haben die Väter und Mütter
des Grundgesetzes Religions- und Weltanschauungsge-
meinschaften als etwas Besonderes behandelt. Dieser
Sonderstellung in der Verfassung entspricht das Reli-
gionsprivileg im Vereinsgesetz.
Das Problem ist in der Tat komplex und kompliziert.
Die PDS-Fraktion hat es sich nicht einfach gemacht und
lange diskutiert, wie sie sich zur Abschaffung des Reli-
gionsprivilegs verhalten wird.
Die Befürworterinnen und Befürworter der Streichung
stellen Privilegien grundsätzlich infrage, auch für die
großen Kirchen, die gegenwärtig Körperschaften des öf-
fentlichen Rechts sind und von dieser Streichung nicht be-
troffen sein werden. Wichtig ist meinen Kolleginnen und
Kollegen in diesem Zusammenhang, dass es eine Privile-
gierung weder für Christen noch für Moslems geben kann.
Die Kritikerinnen und Kritiker der Streichung des Re-
ligionsprivilegs kommen im Ergebnis zu der Befürch-
tung, dass die Religionsfreiheit betroffen sein könnte. So
könnte eine Abschaffung des Religionsprivilegs in Zu-
kunft auch etwa Freikirchen oder Weltanschauungsge-
meinschaften wie beispielsweise die Freidenker treffen.
Hinsichtlich des Hauruckverfahrens, mit dem die Ände-
rung im Parlament durchgezogen wird, kann ich mich
Herrn Stadler voll anschließen. Ich brauche die Argu-
mente nicht zu wiederholen.
Wir alle in der Fraktion finden es problematisch, vor
welchem Hintergrund die Debatte um die Streichung des
Religionsprivilegs gegenwärtig stattfindet. Wie hier be-
reits gesagt wurde, wurde dieser Punkt im Zusammen-
hang mit der Terrorismusdebatte auf die Tagesordnung
gesetzt. Es ist wieder vom Kampf der Kulturen die Rede.
Herr Uhl hat das mit seinem Gerede von der Leitkultur
deutlich gemacht. Ich will das nicht wiederholen.
Ich möchte aus der Debatte der vergangenen Tage ein
Zitat des CSU-Generalsekretärs Thomas Goppel bringen.
Er sagte, man solle das Umfeld von terrorismusverdächti-
gen Organisationen internieren. Der Kollege Marschewski
sagte, man könne sie in gefängnisähnlichen Einrichtungen
unterbringen. Ich glaube nicht, dass das die Lösung ist.
Gerade in diesen Tagen und Wochen ist die Streichung
des Religionsprivilegs ein sehr problematisches Signal.
Alle moslemischen Glaubens- und Weltanschauungs-
gemeinschaften werden gegenwärtig unter Generalver-
dacht gestellt, etwas mit Terroristen zu tun zu haben. Die
Aufhebung des Privilegs fällt in eine Zeit, in der das Miss-
trauen gegenüber moslemischen Gläubigen besonders
stark ist. Unseres Erachtens besteht die Notwendigkeit,
das Signal auszusenden, dass alle Menschen also Men-
schen aller Glaubensbekenntnisse und Menschen ohne
Religionszugehörigkeit der Wunsch nach Einheit, Frie-
den und Gerechtigkeit eint.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Jelpke,
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Ja. Ich möchte zum Schluss sa-
gen das ist ein weiterer problematischer Punkt , dass
nächste Woche der Otto-Katalog II auf dem Tisch liegt.
Damit wird die Situation für Ausländervereine weiter ver-
schärft. Demnach können bereits Organisationen verbo-
ten werden, die beispielsweise erhebliche Belange der
Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigen. Wir haben
große Bedenken, welche Vereine alle betroffen sein könn-
ten.
Die Abschaffung des Religionsprivilegs hätte sehr viel
gründlicher behandelt werden müssen. Man hätte Bürger-
rechtsorganisationen anhören und eine öffentliche De-
batte initiieren müssen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.
Dann wäre vielleicht als Ergebnis
herausgekommen, dass das Religionsprivileg nicht so ein-
fach gestrichen werden kann.
Danke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer Kurzinterven-
tion erteile ich jetzt dem Kollegen Erwin Marschewski das
Wort.
Ich melde mich, weil die Kollegin Jelpke mich bezüglich
meines Vorschlages, Terroristen in gefängnisähnlichen
Einrichtungen unterzubringen, angesprochen hat. Es ist
richtig, dass ich diesen Vorschlag in die Diskussion ein-
gebracht habe. Ich habe diesen Vorschlag von dem briti-
schen Innenminister Blunkett, einem Labour-Minister,
übernommen, der einen entsprechenden Gesetzentwurf
eingebracht hat.
Ich stehe als deutscher Innenpolitiker vor folgender
Problematik: Auch wenn feststeht, dass jemand ein Terro-
rist ist er wurde überführt und zu einer Gefängnisstrafe
verurteilt , können wir ihn nach Ablauf seiner Haftzeit
nicht in ein fremdes Land verbringen; denn Abschie-
bungshindernisse auf der einen Seite und § 48 des Aus-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 200119548
ländergesetzes auf der anderen Seite verbieten dies. Sie
können diese Person nach der geltenden Rechtslage selbst
dann nicht abschieben wenn Folter und Todesstrafe
droht, wird er selbstverständlich nicht abgeschoben ,
wenn ihm eine erniedrigende Behandlung droht.
Ich stelle mir daher die Frage, ob man es verantworten
kann, dass man einen Terroristen, der Menschen getötet
hat, nicht in ein fremdes Land verbringen kann, nur weil
ihm eine in Anführungszeichen erniedrigende Be-
handlung droht. So ist aber die Rechtslage. Was will man
machen, wenn Herr Kaplan nicht von der Türkei aufge-
nommen wird? In diesem Fall muss der deutsche Steuer-
zahler dafür aufkommen, dass Herr Kaplan rund um die
Uhr von 20, 30 Polizeibeamten bewacht wird. Er geht
nicht in die Türkei, ausweisen oder abschieben können
wir ihn nicht. Er bleibt hier.
Vor diesem Hintergrund habe ich die Frage gestellt, ob
es dann nicht, wie beim vorbeugenden Unterbindungs-
gewahrsam, gerechtfertigt ist, die Leute vielleicht in
gefängnisähnliche Einrichtungen zu verbringen. Ich sage
noch einmal: Mein Vorbild war der britische Labour-In-
nenminister. Ich halte es für völlig legitim, diese Frage an-
zusprechen. Nur, es so verkürzt darzustellen, wie Sie es
vorhin getan haben, das geht natürlich nicht. Diese Leute
bleiben hier und ich habe den Auftrag, sie festzusetzen, sie
unschädlich zu machen oder sie ins Ausland zu bringen.
Das aber ist nach der derzeitigen Rechtslage nicht mög-
lich.
Ich will noch einen Satz anfügen. Die UNO-Resolution
1353 sagt auch, dass solchen Leuten kein Zufluchtsraum
zu gewähren sei. Man kann vielleicht sogar mit einer In-
terpretation der Europäischen Menschenrechtskonven-
tion oder der UNO-Konvention zu einem ähnlichen Er-
gebnis kommen. Die Frage ist ernst und deswegen sollten
Sie so etwas ernsthaft und nicht nur mit einem Zwi-
schensatz erwähnen.
Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur Erwiderung Frau
Kollegin Jelpke, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
SehrverehrteKolleginnenundKol-
legen!Es istmir schonwichtig,das,wasHerrMarschewski
hier gerade vorgetragen hat, richtig zu stellen.
Erst einmal möchte ich prinzipiell klarstellen, Herr
Marschewski: Auch die PDS setzt sich für eine eindeutige
strafrechtliche Verfolgung von Terroristen ein. Die
gehören vor Gericht, die gehören verurteilt, das kann
überhaupt kein Thema und keine Frage sein.
Zweitens. Es geht um den Bericht in der Bild am
Sonntag vom vergangenen Sonntag, in dem Sie zitiert
worden sind, und um die Debatte, die Sie Anfang dieser
Woche in der Sendung Report mit Ihrem Kollegen
Herrn Goppel, den ich eben zitiert habe, geführt haben.
Sie haben dort in der Tat über den Kampf gegen den Ter-
rorismus gesprochen, aber Sie haben von dem Umfeld ge-
sprochen. Ihr Kollege Herr Goppel, den ich jetzt noch ein-
mal zitiere, hat ganz eindeutig gesagt:
Eine Internierung ist dann notwendig, wenn Gefahr
im Verzug ist. Die einzige Möglichkeit sicherzustel-
len, dass das Umfeld eines solchen Attentäters zu-
mindest zerstört wird, ist die Internierung seiner An-
hängerschaft.
Das erinnert tatsächlich an NS-Zeiten. Ich meine, dass in
einem Rechtsstaat Straftaten wirklich nachgewiesen wer-
den müssen und dass man hier nicht so leichtfertig von In-
ternierung reden sollte, wie das der Kollege getan hat.
Sie, Herr Marschewski, haben in der Sendung dann er-
gänzend gesagt, man könnte sie in gefängnisähnlichen
Einrichtungen unterbringen. Das müsste man überlegen.
Das ist jetzt meine Kommentierung: Früher nannte man
das Schutzhaft. Ich glaube, wir dürfen nicht so weit kom-
men, dass wir mit solchen Maßnahmen den Rechtsstaat in
diesem Land verändern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Parlamentarische Staatssekretärin
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast.
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Kollegen und
Kolleginnen! Auf den letzten Disput will ich jetzt nicht
mehr eingehen,
wohl aber auf das, was der Kollege Stadler und die Kol-
legin Jelpke in ihrer Rede gesagt haben.
Herr Stadler, ich hatte das Gefühl, Sie suchten irgend-
ein Haar in der Suppe bei einer Initiative, die Sie eigent-
lich für gut und richtig halten.
Frau Jelpke, gerade weil wir im Umgang mit den Mus-
limen die Differenzierung und nicht den Generalverdacht
haben wollen, ist diese Initiative so wichtig. Das möchte
ich ganz kurz erklären.
Als der Bundesinnenminister am 5. September, also
sechs Tage vor den Terroranschlägen, den unmittelbar be-
vorstehenden Beschluss des Kabinetts für eine Änderung
des Vereinsgesetzes ankündigte, war das Echo in den
Medien eher mager. Es gab einige Zweispalter in den
überregionalen Zeitungen, mehr nicht. Das hat sich natür-
lich mittlerweile gründlich geändert. Die beiden so ge-
nannten Sicherheitspakete sind inzwischen von der Bun-
desregierung verabschiedet worden und in ihren Rahmen
gehört eben auch die Abschaffung des so genannten
Religionsprivilegs.
Sie soll das Vorgehen gegen terroristische Organisatio-
nen, die sich als Religionsgemeinschaften tarnen, in
Wirklichkeit aber eine erhebliche kriminelle Energie ent-
falten, zu Straftaten aufrufen oder Terroranschläge vorbe-
reiten, erleichtern. Ich erwähne diese Entstehungsge-
schichte der Initiative, um eines klar zu machen: Der
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Erwin Marschewski
19549
Beschluss reifte vor den Terrorangriffen und stand schon
lange auf der Agenda. Übrigens hat sich die jetzige Bun-
desregierung da sehr viel zielstrebiger und konkreter ver-
halten als ihre Vorgängerin.
Meine Damen und Herren, Sie werden unschwer erra-
ten, welche Organisation die Bundesregierung bei ihren
Vorüberlegungen in erster Linie im Visier hatte: natürlich
den islamistisch ausgerichteten Kölner Kalifat-Staat,
dessen Anführer Metin Kaplan eine Strafe verbüßt und
dessen Ziel der Sturz der laizistischen Republik in der
Türkei ist, der aber auch massiv die Bundesrepublik be-
droht. Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes hat es
auch Kontakte dieser Organisation zu Osama Bin Laden
gegeben.
Die Bundesregierung will das Vereinsgesetz auf derar-
tige Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsge-
meinschaften ausdehnen, um Betätigungs- und Vereins-
verbote durchsetzen zu können. Organisationen, die
unsere Gesetze und unsere verfassungsmäßige Ordnung
aggressiv bekämpfen und missachten, muss das Hand-
werk gelegt werden, auch wenn sie im Gewande einer
Glaubensgemeinschaft daherkommen.
Die Änderung des Vereinsgesetzes ist somit auch ein Bau-
stein im Gesamtkonzept der Bundesregierung zur Ein-
dämmung des internationalen Terrorismus.
Manche fragen das haben Sie, Herr Stadler, auch ge-
tan , warum das Religionsprivileg überhaupt so lange
Bestand hatte. Eine Begründung liegt zweifellos darin,
dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des Vereinsgeset-
zes im Jahre 1964 die Probleme und Risiken so nicht
erkennen konnte. Inzwischen haben wir andere Erfahrun-
gen gesammelt, da religiös motivierter Fundamentalis-
mus sehr viel deutlicher zutage tritt. Richtig ist auch, dass
seitens der Kirchen kritische Stimmen im Hinblick auf
eine Änderung des Vereinsgesetzes zu hören waren.
Eine Sorge möchte ich aber gleich ausräumen: Die von
manchen beschworene Gefahr, dass religiöse oder welt-
anschauliche Gruppen willkürlich zerschlagen werden
könnten, stellt sich nicht. Die katholische und die evan-
gelische Kirche sind von der Gesetzesänderung ohnehin
nicht betroffen. Die Verfassung schützt sie vor einem Ver-
bot, weil sie altkorporierte Religionsgemeinschaften sind,
denen der Körperschaftsstatus zugesprochen ist.
Abgesehen davon ist die Schwelle für ein Tätigwerden
des Staates hoch. Bei jeder Entscheidung im Einzelfall ist
die grundrechtlich verbürgte Religionsfreiheit zu beach-
ten. Alle Entscheidungen unterliegen selbstverständlich
der gerichtlichen Überprüfung. Die Maßstäbe für ein Ver-
einsverbot sind die gleichen wie für ein Parteiverbot; nur
liegt die Entscheidungsbefugnis bei so genannten norma-
len Vereinen nicht beim Bundesverfassungsgericht, son-
dern zunächst bei den Innenministerien von Bund und
Ländern.
Eines, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss für uns
eindeutig sein: Religiöse oder weltanschauliche Motiva-
tion darf kein Freibrief für Gewalt, Verfassungsbruch und
Mord sein. Diese Botschaft will unsere Gesetzesänderung
vermitteln. Deswegen begrüße ich sehr, dass wichtige
Vertreter der Muslime und ihrer Organisationen diese Ini-
tiative eindeutig befürworteten. Gerade weil wir die Men-
schen islamischen Glaubens nicht unter einen Pauschal-
verdacht stellen wollen, ist dieser Vorstoß so wichtig.
Gerade jetzt verstärken wir den Dialog mit den friedlich
in Deutschland lebenden Muslimen. Wir wollen mög-
lichst viele Menschen dazu ermuntern, sich differenziert
mit dem Islam zu befassen. Deshalb ist die Abgrenzung zu
denjenigen Kräften so nötig, die die Religion für Terror
und menschenverachtende Taten missbrauchen.
Insoweit beruhige ich diejenigen Vertreter islamischer
Organisationen, die in den vergangenen Wochen die Be-
fürchtung geäußert haben, die Aufhebung des Religions-
privileges richte sich generell gegen sie und beeinträch-
tige sie in der freien Ausübung ihres Glaubens. Diese
Sorge ist nachvollziehbar, aber unbegründet. Die unge-
störte Religionsausübung bleibt wie bisher für alle Reli-
gionsgemeinschaften verfassungsrechtlich gewährleistet.
Das gilt selbstverständlich auch für islamische Religions-
gemeinschaften.
Ein letzter Gesichtspunkt. Leichtfertig oder leicht lässt
sich ein Verbot ohnehin nicht aussprechen. Bereits nach
geltendem Recht muss einem Verein das Verhalten seines
Vorstandes oder seiner Mitglieder erst einmal zugerechnet
werden. Man sollte auch sorgfältig abwägen, Herr Kol-
lege Marschewski, ob ein Verbot unabdingbar ist. Der
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss strikt gewahrt
werden.
Ebenso spielt die Überlegung eine Rolle, wann das Vor-
gehen gegen eine Gemeinschaft eher kontraproduktiv
wirkte oder zur Desintegration der Muslime in Deutsch-
land beitrüge. In einen Verbotswettlauf wollen wir also
nicht eintreten.
Aber der Staat hat eben auch eine Schutzpflicht gegen-
über seinen Bürgern; er muss möglichen Schaden abwen-
den und Gefahren bannen. Das gilt, wenn es sich um reli-
giöse Eiferer handelt, wenn ihr Fundamentalismus in
Terrorismus umschlägt und gegen den Geist der Völker-
verständigung verstößt.
Wir können in solchen Fällen nicht mit Langmut ab-
warten, ob militant formulierende Aktivisten und ihre An-
hänger tatsächlich ihre möglicherweise blumigen Worte
in Taten einmünden lassen. Dann ist es nämlich zu spät.
Lassen sie uns deshalb im Konsens der Demokraten
das Notwendige tun und das Religionsprivileg abschaf-
fen.
Brutstätten des Terrorismus können und dürfen wir nicht
dulden.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Parl. Staatssekretärin Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
19550
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Vereinsgesetzes. Es handelt sich um die Druck-
sachen 14/7062 und 14/7354.
Ich weise Sie darauf hin, dass eine schriftliche Er-
klärung der Kollegin Ulla Jelpke sowie weiterer zehn Ab-
geordneter der PDS-Fraktion zur Abstimmung gemäß
§ 31 der Geschäftsordnung vorliegt.1)
Der Innenausschuss empfiehlt, den Gesetzentwurf an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt
dagegen? Wer enthält sich der Stimme? Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim-
men der Fraktionen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grü-
nen, der CDU/CSU und der FDP sowie mit einigen Stim-
men aus der PDS-Fraktion bei einigen Enthaltungen und
einigen Gegenstimmen von Abgeordneten der PDS-Frak-
tion angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer
stimmt dagegen? Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist
damit mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die
Grünen, der CDU/CSU und der FDP und einiger Abgeord-
neter der PDS bei Enthaltung einiger PDS-Abgeordneter
sowie Gegenstimmen aus der PDS-Fraktion angenommen.
Ich rufe die Zusatzpunkte 13 und 14 auf:
ZP 13 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Be-
stimmung der Schwankungsreserve in der
Rentenversicherung der Arbeiter und Ange-
stellten
Drucksache 14/7284
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
ZP 14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Karl-Josef
Laumann, Horst Seehofer, Brigitte Baumeister,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Keine systemwidrigen Eingriffe bei der
Schwankungsreserve
Drucksache 14/7292
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist die Par-
lamentarische Staatssekretärin Ulrike Mascher.
U
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Die schrecklichen Ereignisse
am 11. September in den Vereinigten Staaten haben
konjunkturelle Abschwächungstendenzen in vielen
Volkswirtschaften verstärkt und beschleunigt.
Natürlich spüren Exportnationen wie Deutschland eine
sinkende Nachfrage auf den Weltmärkten besonders deut-
lich.
Die Zahl der neuen Jobs steigt nicht mehr so schnell wie
noch vor wenigen Monaten.
Das hat Folgen für die Beitragseinnahmen in der ge-
setzlichen Rentenversicherung. Sie entwickeln sich
nicht so wie noch zur Jahresmitte angenommen.
Entsprechend müsste der Beitragssatz im kommenden
Jahr bei realistischer Festsetzung um 0,3 Prozentpunkte
erhöht werden. Das bedeutete, dass wir die Arbeitnehmer
und Arbeitgeber im Jahr 2002 jeweils mit rund 2,4 Milli-
arden DM mehr belasten müssten.
Das kann in dieser Situation niemand ernsthaft wollen,
auch die Opposition nicht. Wir dürfen jetzt den Faktor Ar-
beit nicht verteuern. Die führenden Wirtschaftsfor-
schungsinstitute rechnen mit einem Aufwärtstrend bereits
in wenigen Monaten. In ihren Herbstgutachten beschrei-
ben sie die konjunkturelle Abkühlung als zeitlich be-
grenzte Eintrübung.
Deshalb müssen wir die richtigen Signale aussenden.
Es war immer das Ziel dieser Regierungskoalition,
Lohnnebenkosten zu senken und auf möglichst niedrigem
Niveau zu stabilisieren. Damit wollen wir die Rahmenbe-
dingungen für mehr Beschäftigung schaffen. Diesem Ziel
werden wir treu bleiben. Deswegen halten wir den Bei-
tragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung stabil. Wir
werden den Rentenversicherungsbeitrag auch im kom-
menden Jahr bei 19,1 Prozent halten.
oder?)
Um das zu erreichen, senken wir den Zielwert für die
Schwankungsreserve in der gesetzlichen Rentenversi-
cherung von jetzt einer Monatsausgabe auf 0,8 Monats-
ausgaben. Welche Folgen wird das für die Rentnerinnen
und Rentner haben?
Ich sage es Ihnen: Überhaupt keine. Die Rentenzahlungen
werden wie bisher pünktlich auf allen Bankkonten einge-
hen. Die Schwankungsreserve in der Rentenversicherung
gleicht nämlich heute nur noch jahreszeitlich bedingte
Schwankungen aus. Dazu brauchen wir aber keine volle
Monatsausgabe. Im November und Dezember sind die
Reserven hoch, weil durch zusätzliche Beiträge auf das
Weihnachtsgeld mehr in die Kassen kommt. In den fol-
genden Monaten schmelzen die Reserven dann langsam
ab, um im Oktober ihren Tiefstand zu erreichen.
Eine ganze Monatsausgabe entspricht 2002 rund
30 Milliarden DM. Wenn wir die Schwankungsreserve
jetzt um 0,2 Monatsausgaben senken, verbleiben noch im-
mer 24 Milliarden DM. Das heißt, auch wenn diese
Finanzmittel im Laufe des Jahres saisonal bedingt abneh-
men, haben wir im beitragsschwächsten Monat Oktober
noch immer 12 Milliarden DM an liquiden Reserven. Das
ist ein ausreichender Puffer.
Auch die Rentenexperten des Verbands Deutscher
Rentenversicherungsträger halten eine Schwankungsre-
serve in Höhe von 0,8 Monatsausgaben für ausreichend,
um bei einem Beitragssatz von 19,1 Prozent die
Zahlungsfähigkeit, also die Liquidität, zu gewährleisten.
Wenn wir die Beitragssätze weiterhin realistisch festle-
gen, wird auch in Zukunft keine höhere Rücklage in der
Rentensicherung notwendig sein.
Deswegen wollen wir jetzt den Zielwert der Schwan-
kungsreserve gesetzlich neu regeln. Er kann gefahrlos um
0,2 Monatsausgaben gesenkt werden.
Die Vorgängerregierung hat ganz ohne gesetzliche
Regelung mit schöner Regelmäßigkeit die Schwankungs-
reserve harten Belastungsproben ausgesetzt.
Die finanziellen Reserven lagen in den Jahren 1996 und
1997 bei nur 0,6 Monatsausgaben,
obwohl sie damals noch nach dem Gesetz eine volle Mo-
natsausgabe hätte betragen sollen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Staatssekre-
tärin
U
Aber auch damals
bekamen die Rentner ihr Geld regelmäßig und pünktlich.
Die Kohl-Regierung hat also in ihren Rentenexperimen-
ten bewiesen, dass die Zahlungsfähigkeit der Rentenver-
sicherungsträger trotz einer auf 0,6 Monatsausgaben ge-
schrumpften Reserve jederzeit gewährleistet war.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Staatssekretärin,
ich muss Sie ein zweites Mal bremsen. Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Kolb?
U
Nein, ich denke,
in unser aller Interesse sollten wir hier zügig unsere Bera-
tungen beenden.
Solche Experimente, wie sie die Kohl-Regierung ge-
macht hat, müssen wir nicht wiederholen.
Was Mitte der 90er-Jahre das Vertrauen in die Rente al-
lerdings wirklich erschüttert hat, war die unrealistische
Festsetzung der Beitragssätze. 1995 wurde mit
19,2 Prozent so knapp kalkuliert, dass der Beitragssatz im
Jahr danach um 1,1 Punkte auf 20,3 Prozent gestiegen ist.
Solche wilden Achterbahnfahrten mit Beitragszahlern
wird diese Regierung nicht veranstalten.
Wenn wir die Schwankungsreserve auf 0,8 Monats-
ausgaben senken, machen wir Mittel in Höhe von 6 Mil-
liarden DM frei. Damit können wir verhindern, dass die
Beiträge zur Rentenversicherung und so die Lohnneben-
kosten steigen. Dazu gibt es in der jetzigen wirtschaftli-
chen Situation keine vernünftige ökonomische Alterna-
tive. Die Schwankungsreserve ist in der derzeit gesetzlich
vorgeschriebenen Höhe nicht erforderlich. Wir müssen
diesen Spielraum nutzen, um in der Wirtschaft und auf
dem Arbeitsmarkt nicht eine Negativspirale in Gang zu
setzen. Wir wollen die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber
nicht zusätzlich belasten. Der Rentenversicherungs-
beitrag muss bei 19,1 Prozent bleiben und in den kom-
menden Jahren möglichst weiter sinken. Das stärkt die
Binnennachfrage, das erhöht unsere Konkurrenzfähigkeit
auf dem Weltmarkt, das stärkt das Wirtschaftswachstum
und hilft, neue Jobs entstehen zu lassen.
Ich kann Sie nur herzlich bitten, die Rentnerinnen
und Rentner nicht mit einer Panikdebatte zu verunsi-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Parl. Staatssekretärin Ulrike Mascher
19552
chern. Da ist in den letzten zehn Jahren schon viel zu
viel passiert.
Lassen Sie uns hier mit einer sauberen gesetzlichen Rege-
lung die Rentenfinanzen stabilisieren und dazu beitragen,
dass die Konjunktur wieder mehr Fahrt bekommt.
Danke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Andreas Storm.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Nur wenige Monate nach der Verab-
schiedung der so genannten Jahrhundertrentenreform und
das ist neu noch vor dem In-Kraft-Treten der Reform
präsentieren Sie uns heute einen Gesetzentwurf
Ihre Rede, Frau Kollegin Mascher, hat das gezeigt , der
nichts anderes ist als ein rentenpolitischer Offenbarungseid.
Heute zeigt sich einmal mehr, dass die Rentenpolitik
dieser Bundesregierung von gebrochenen Versprechen,
dreisten Mogelpackungen und üblen Manipulationsversu-
chen geprägt ist.
Sie wollten den Beitragssatz zur gesetzlichen Renten-
versicherung im kommenden Jahr von 19,1 Prozent auf
19,0 Prozent senken. Dafür kassieren Sie ab dem 1. Januar
2002 einen zweiten Rentenbeitrag an der Tankstelle in
Höhe von insgesamt 6 Milliarden DM. Dieser Betrag
kommt zu den 23 Milliarden DM aus den vorhergehenden
Ökosteuerstufen hinzu, die die Bürger bereits berappen
müssen.
Ich habe das Versprechen des Arbeitsministers noch im
Ohr, für jede weitere Ökosteuerstufe werde der Beitrags-
satz zur Rentenversicherung weiter abgesenkt.
Tatsächlich das geht aus Ihrem Eingeständnis her-
vor müsste der Beitragssatz im nächsten Jahr auf
19,4 Prozent steigen,
trotz Rentenreform, trotz Ökosteuer, trotz der Rente nach
Kassenlage im Jahr 2000. Zu behaupten, auch an dieser
Sache sei Bin Laden schuld, ist eine etwas zu starke Form
von Zynismus.
19,4 Prozent Rentenbeitrag vom Lohn plus 1,7 Bei-
tragssatzpunkte dies wäre die Entlastung aus der Öko-
steuer, die an der Tankstelle bezahlt wird macht summa
summarum 21,1 Prozent. Wie Sie sicherlich noch wissen,
betrug der Rentenbeitrag in dem Jahr, als Sie die Regierung
übernommen haben, 20,3 Prozent und war damit niedriger
als die Summe der Belastungen, die sich im nächsten Jahr
aus dem Rentenbeitrag und der Ökosteuer ergibt. Das ist
Ihr Beitrag zur Senkung der Lohnnebenkosten. In Wahr-
heit werden die Menschen nach Strich und Faden abge-
zockt und von Rot-Grün um die Fichte geführt.
Eines ist klar: Diese verfehlte Politik hat die Finanzen
der Rentenversicherung vor die Wand gefahren. Am
Ende Ihrer vierjährigen Regierungszeit präsentiert sich
die Rentenkasse in einem schlimmen Zustand, und das
trotz massiver vertrauensschädigender Eingriffe in die
Leistungen der Rentenversicherung.
Die von Ihnen zu verantwortende Serie rentenpoliti-
scher Tiefschläge begann nur wenige Monate nach der
Bundestagswahl damit, dass Sie willkürlich die netto-
lohnbezogene Rentenanpassungsformel außer Kraft ge-
setzt haben. Weiter ging es, weil Sie dann kalte Füße be-
kommen haben, mit der Ankündigung, dass den Rentnern
als Ersatz dafür ein Inflationsausgleich gewährt wird.
Auch dieses Versprechen war nichts als Schall und Rauch;
denn die bittere Wahrheit ist: Der Anstieg der Lebenshal-
tungskosten war im vergangenen Jahr mit 1,9 Prozent
dreimal so hoch wie die Rentenerhöhung von 0,6 Prozent.
Mit dieser dilettantischen Politik der Rente nach Kas-
senlage haben Sie nicht nur den Rentnern einen erhebli-
chen Kaufkraftverlust beschert, sondern Sie haben das
ist noch viel schlimmer leichtfertig das Vertrauen der
Menschen in die Rentenversicherung aufs Spiel gesetzt.
Mit diesen üblen Tricks haben Sie es nicht geschafft,
eine dauerhafte Stabilisierung der Rentenversicherung zu
erreichen. So müsste, wenn am 1. Januar 2002 die viel ge-
priesene große Rentenreform in Kraft tritt und die Öko-
steuer weiter ansteigt, der Rentenbeitrag auf 19,4 Prozent
angehoben werden. Das aber wäre ein Offenbarungseid;
deshalb hat der Arbeitsminister nach allen Tricks gesucht,
um dies zu vermeiden.
Die Trickkiste, die Sie geöffnet haben, um den wahren
Stand der Dinge zu verschleiern, bedeutet einen kräftigen
Griff in die Reserven der Rentenversicherungsträger. Die
Absenkung der Schwankungsreserve von einer Monats-
ausgabe auf 80 Prozent würde in der Tat knapp 6 Milliar-
den DM freisetzen. Das entspricht einer Größenordnung
von 0,3 Beitragssatzpunkten. Mit dieser dreisten Manipu-
lation könnten Sie den Beitragssatz im nächsten Jahr sta-
bil halten.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Parl. Staatssekretärin Ulrike Mascher
19553
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, das dicke Ende
kommt danach. All Ihre Zusagen, den Beitragssatz bis
zum Jahre 2010 deutlich unter 19 Prozent zu halten, sind
damit Makulatur; denn bevor der Beitrag gesenkt werden
kann, müssen Sie erst einmal die willkürlich zurückge-
fahrene Schwankungsreserve mit den Beitragseinnahmen
späterer Jahre wieder auffüllen. Aber der Blick über das
Wahljahr 2002 hinaus ist Ihnen ja offenbar abhanden ge-
kommen. Deshalb will ich auf die Auswirkungen für das
nächste Jahr zu sprechen kommen.
Sie haben in der Begründung Ihres Gesetzentwurfes
auf die derzeitige konjunkturelle Lage hingewiesen. Frau
Kollegin Mascher hat das eben ganz deutlich gemacht und
auch nicht vergessen, den 11. September zu erwähnen.
Die schwache Konjunktur führt aber nicht nur dazu, dass
der Rentenbeitrag im nächsten Jahr ansteigen müsste, sie
hat nämlich bereits in diesem Jahr erhebliche Folgen für
die Rentenfinanzen.
Schon jetzt ist klar das Arbeitsministerium hat das
vorgestern in unseren Haushaltsberatungen im Aus-
schuss, Kollege Brandner, selbst eingeräumt , dass die
Schwankungsreserve zum Jahresende den Zielwert von
einer Monatsausgabe deutlich unterschreiten wird. Un-
klar ist nur, in welchem Ausmaß. Das Arbeitsministerium
hat vorgestern gesagt, sie rechneten mit 0,92 Monatsaus-
gaben, also deutlich unter dem Soll. Aber seit September
sind die Beitragseinnahmen dramatisch eingebrochen.
Die Rentenversicherungsträger befürchten, dass diese
Entwicklung noch nicht das Ende der Fahnenstange sein
wird, wenn beispielsweise in den nächsten beiden Mona-
ten die Unternehmen die Weihnachtsgeldzahlungen redu-
zieren und damit erneut das Beitragssoll deutlich unter-
schritten wird. Das heißt, es ist gut möglich, dass wir am
Jahresende bereits in der Nähe der 80 Prozent der
Schwankungsreserve sind, die Sie jetzt mit Annahmen,
die vermutlich nicht zu halten sein werden, unterstellen.
Hinzu kommt, dass alle Prognosen für das kommende
Jahr mit einer erheblich höheren Unsicherheit behaftet
sind als sonst üblich. Die Wirtschaftsforschungsinstitute
haben ja bei der Vorlage ihres Herbstgutachtens mit der
Prognose von 1,3 Prozent Wirtschaftswachstum für das
nächste Jahr deutlich gemacht, dass sie eine ernste Rezes-
sionsgefahr am Horizont sehen. Jede negative Abwei-
chung von den Prognosen bedeutet aber ein weiteres un-
geplantes Abschmelzen der Rentenreserven. Gerade in
solch unsicheren Zeiten, in denen wir leben, muss die
Rentenversicherung Sicherheit haben, denn das ist ja Sinn
und Zweck einer solchen Schwankungsreserve.
Sie soll gewährleisten, dass die Renten stets sicher und
pünktlich gezahlt werden können, beispielsweise auch in
den Sommermonaten, wenn sinkende Einnahmen und die
Rentenerhöhung zum 1. Juli die Rücklagen der Renten-
versicherung um bis zu einer halben Monatsausgabe ver-
mindern.
Jetzt kommen Sie daher und wollen diesen Sicher-
heitspuffer vorsätzlich um 20 Prozent zurückfahren. Da-
bei wissen Sie ganz genau, dass mehr als 10 Prozent der
Schwankungsreserve überhaupt nicht liquide verfügbar
sind, weil sie beispielsweise in Immobilien angelegt wur-
den.
Schlimmer ist aber, dass weder Sie noch wir wissen, in
welchem Umfang die Schwankungsreserve in den nächs-
ten Monaten durch die schwierige Konjunkturlage strapa-
ziert wird. Sie gehen damit bewusst das Risiko ein, dass
Sie im kommenden Jahr nicht über die Runden kommen
werden; denn bei anhaltender konjunktureller Schwäche
drohen die Rentenkassen in den Sommermonaten an den
Rand der Zahlungsunfähigkeit zu kommen. Dann werden
die Renten gezahlt das ist klar aber der Bund müsste
einspringen, um die Zahlung der Renten sicherzustellen.
Das wäre ein weiterer Offenbarungseid.
Meine Damen und Herren, mit dieser Maßnahme schä-
digen Sie vorsätzlich das Vertrauen von Beitragszahlern
und Rentnern in die Verlässlichkeit und Pünktlichkeit der
Rentenzahlungen und verspielen damit eines der größten
Pfunde unseres deutschen Sozialstaates. Ihre Rentenre-
form ist auf Sand gebaut. Das haben wir Ihnen immer ge-
sagt.
Wir haben allerdings selber nicht geglaubt, dass es nur
so kurze Zeit dauert, bis das offenbar wird. Mit Ihrer Ab-
sicht, die Rentenkassen durch einen Griff in die Reserven
vorübergehend zu stabilisieren, gestehen Sie diesen Of-
fenbarungseid nun auch selbst ein.
Machen Sie Schluss mit dieser Politik der Verschleie-
rung und Verunsicherung! Unterlassen Sie diese Manipu-
lationen und lassen Sie die Finger von der Schwankungs-
reserve!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Kollegin Katrin
Göring-Eckardt, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen,
hat aufgrund der Fraktionssitzung von Bündnis 90/Die
Grünen ihre Rede zu Protokoll gegeben.1) Ich setze das
Einverständnis aller Kolleginnen und Kollegen voraus.
Deshalb spricht jetzt als nächster der Kollege
Dr. Heinrich Kolb für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte über die Ab-
senkung der Schwankungsreserve ist der Koalition offen-
sichtlich peinlich. Ich schließe das daraus, dass man mit
der Debatte in eine Tagesrandlage gegangen ist, die Ge-
samtredezeit auf 30 Minuten begrenzt, die Grünen bei
diesem Tagesordnungspunkt überhaupt nicht mehr vertre-
ten sind und sich damit der Debatte und der Auseinander-
setzung nicht stellen. Ich muss sagen, das ist der Bedeu-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Andreas Storm
19554
1) Anlage 3
tung dieses Themas in keiner Weise angemessen. Die
Menschen und insbesondere die Rentner in diesem Lande
haben einen Anspruch darauf, dass wir uns mit dieser
Maßnahme auseinander setzen.
Ich frage mich auch: Wo ist denn der zuständige Bun-
desminister?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Als wir vor ei-
nigen Monaten hier die so genannte Jahrhundertreform
verabschiedet haben,
da war Riester natürlich hier und hat sich feiern lassen.
Aber jetzt, wo sich zeigt, dass die Reform zu kurz gegrif-
fen ist, dass das Verfallsdatum noch vor dem 31. Dezem-
ber 2001 liegt, da kneift er, anstatt hier zu sagen, was jetzt
geschehen muss.
Das alles zeigt sehr deutlich, wo Sie stehen. Nicht nur,
dass Sie bei der kleinsten zusätzlichen Herausforderung
Stichwort innere Sicherheit nicht um eine Steuerer-
höhung herumkommen und im Haushalt nachbessern
müssen, nein, auch bei der Sozialversicherung kommen
Sie schon bei dem kleinsten Schwächeanfall der Kon-
junktur in Schwierigkeiten und müssen an die Schwan-
kungsreserve der Rentenversicherung heran. Und damit
nicht genug: Sie brechen zudem Ihr Versprechen, mit der
nächsten Stufe der Ökosteuer die Beitragssätze zur Ren-
tenversicherung zu senken mindestens auf 19 Prozent ,
und bleiben nun mit allerlei Tricks bei gerade 19,1 Pro-
zent stehen. Das ist wirklich der Offenbarungseid Ihrer
Rentenpolitik.
Wir dagegen haben schon im Frühjahr dieses Jahres,
bei der Debatte über die Rentenreform, und jetzt im Vor-
feld der abschließenden Haushaltsberatungen darauf hin-
gewiesen, dass die demographischen und die volkswirt-
schaftlichen Annahmen der Bundesregierung nicht
realistisch sind. Wenn es anders wäre, müssten Sie jetzt
nicht zu solchen Notmaßnahmen greifen. Führende Be-
völkerungswissenschaftler haben schon bei den damali-
gen Beratungen prognostiziert, dass die Lebenserwar-
tung deutlich höher liegen wird, als dies die Bundes-
regierung in ihren Annahmen zugrunde gelegt hat.
Schon früh in diesem Jahr war, Frau Staatssekretärin,
auch erkennbar, dass die optimistische Prognose der Bun-
desregierung, was die konjunkturelle Entwicklung und
die durchschnittliche Arbeitslosenzahl angeht, in keiner
Weise haltbar ist. Jetzt haben wir auf nachhaltigen
Druck der Opposition am Mittwoch im Ausschuss er-
fahren, dass die Bundesregierung anerkennen muss: Im
nächsten Jahr wird es durchschnittlich 3,9 Millionen ar-
beitslose Menschen in unserem Lande geben. Das ist trau-
rig, aber ein Stück weit Ergebnis Ihrer Arbeitsmarktpoli-
tik, die der Bundesarbeitsminister genauso zu verant-
worten hat wie diese missglückte Rentenreform.
Zum Schluss: Sie sind immer fixiert auf die Einnah-
meseite. Aber auch in der gesetzlichen Rentenversiche-
rung gibt es nicht nur eine Einnahme-, sondern auch eine
Ausgabenseite. Warum trauen Sie sich nicht, einmal über
diesen Aspekt nachzudenken? Sie sollten überlegen, wie
man entlastende Maßnahmen für die Rentenversicherung
vielleicht auch auf anderen Feldern ich hätte solche mög-
lichen Neuregelungen gerne noch erläutert, muss hier aber
leider abbrechen, weil meine Redezeit abgelaufen ist
durchsetzen kann.
Zusammenfassend: Die Rentenversicherung verdient
es, sorgfältig und mit langem Atem behandelt zu werden.
Sie aber eilen von Reparatur zu Reparatur. Das ist Aktio-
nismus. Diesen Aktionismus werden wir in den Aus-
schussberatungen offen legen. Wenn es in Ihrer Renten-
versicherungspolitik keine Kurskorrektur gibt, werden sie
damit leben müssen, dass Sie von dieser Seite des Hauses
keine Zustimmung erfahren können.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Kol-
legin Dr. Heidi Knake-Werner für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! An einer Stelle, Herr
Kolb, muss ich Sie korrigieren: Die Regierung hat leider
überhaupt nicht über die Einnahmenseite nachgedacht,
sondern in erster Linie das finden Sie ja besonders gut
über Leistungskürzungen. Genau das haben wir ihr in der
Auseinandersetzung über die Rentenversicherung immer
vorgeworfen.
In einem anderen Punkt stimme ich Ihnen allerdings
zu: Jahrhundertreformen mit einem derart kurzen Ver-
fallsdatum gibt es wirklich selten. Aber ich muss auch sa-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die PDS hat genau dies von
Ihrer Rentenreform befürchtet. Diese Reform ist nicht
nur sozial ungerecht, sondern sie ist auch unseriös, wie
wir nicht erst seit heute wissen. Sie ist deshalb unseriös,
weil Sie von vielen falschen Annahmen ausgegangen
sind. Sie müssen jetzt im Ausschuss Korrekturen vorneh-
men, zum Beispiel was die Arbeitslosenzahlen im nächs-
ten Jahr angeht.
Sie werden die Beiträge zur Rentenversicherung nicht
wie versprochen senken, sondern höchstens stabilisieren
können, und das nur dadurch, dass Sie den Griff in die
Rücklage der Rentenversicherung wagen. Das ist eine Not-
maßnahme, die deshalb fatal ist, weil sie den Menschen er-
neut signalisiert: Die Rente ist nicht sicher. Vor allem
diese öffentliche Verunsicherung werfe ich Ihnen vor.
Wir verhandeln doch heute nicht über Prozentsätze und
Kommastellen. Es geht um die Sicherheitsbedürfnisse der
Menschen und ihr Recht auf ein gesichertes Leben im Alter.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Dr. Heinrich L. Kolb
19555
Das Vertrauen in die gesetzliche Rente ist ohnehin schon
schwer erschüttert. Länger als ein Jahr haben wir hier in
diesem Hause über den richtigen Weg zu einer gesicher-
ten und zukunftsfähigen Alterssicherung gestritten. Sie
haben den künftigen und den heutigen Rentnerinnen und
Rentnern erklärt, im Interesse der Generationengerechtig-
keit sei Verzicht nötig und private Vorsorge unverzichtbar.
Diese Logik haben wir nie geteilt. Wir haben Ihnen Alter-
nativen zur Finanzierung vorgeschlagen. Vielleicht hätten
Sie sie etwas ernsthafter prüfen sollen.
Die Menschen wissen nämlich inzwischen, mit wel-
chen Einbußen sie nach der Rentenreform von Rot-Grün
rechnen müssen. Nun beginnen Sie noch das Tafelsilber
der Rentenversicherung zu verscherbeln. Was glauben Sie
denn wohl, wie das in der Öffentlichkeit wirkt? Das Ver-
trauen in den Sozialstaat schwindet weiter. Die junge Ge-
neration, die Sie im Rahmen der Rentenreform immer zu
Recht beachtet haben, wird die gesetzliche Rente weiter
als Flop ansehen und auf das Solidarprinzip pfeifen. Ge-
nau das wollen wir nicht. Wir wollen das Solidarprinzip
in der Sozialversicherung erhalten.
Genau wegen dieser öffentlichen Wirkung finden wir
den Eingriff in die Schwankungsreserve politisch das
sage ich ausdrücklich verheerend. Natürlich können
Fachleute trefflich darüber streiten, ob es Sinn macht oder
Unsinn ist, die Rentenreserve abzusenken. Rentenpoli-
tisch wird Ihnen das nicht weiterhelfen, wenn nicht
gleichzeitig die Beschäftigtenzahlen zunehmen und Sie
nicht aus der Konjunkturkrise herauskommen, selbst dann
nicht, wenn Sie bei einer Schwankungsreserve von
80 Prozent einer Monatsausgabe bleiben wollen.
Deshalb ein letzter Gedanke zur konjunkturpolitischen
Seite: Jede Beitragssatzerhöhung da stimmen wir Ihnen
völlig zu ist in der jetzigen Situation absolut kontrapro-
duktiv. Aber wenn Sie jetzt 6 Milliarden DM aus der
Reserve lockermachen, dann sollten Sie das mit kon-
junkturpolitischen Maßnahmen, mit denen wirklich
wirksam für mehr Beschäftigung gesorgt werden kann,
verbinden. Wenn Sie das nicht tun, helfen Ihnen diese
6 Milliarden DM überhaupt nicht. Dadurch lösen Sie nicht
die bestehenden Probleme, sondern verschieben sie in das
nächste Jahr. Nutzen Sie also die aktuelle Situation als
Chance! Legen Sie endlich eine sozial gerechte und zu-
kunftsfähige Rentenreform vor!
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Erika Lotz für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen! Liebe Kollegen! Herr Kolb, gestatten Sie mir, dass
ich zuerst auf Sie eingehe.
Ich fand es nicht in Ordnung, dass Sie hier kritisiert ha-
ben, dass die Kollegin Katrin Göring-Eckardt ihre Rede
zu Protokoll gegeben hat, weil sie zurzeit an einer Sitzung
ihrer Fraktion teilnimmt. In der schwierigen Lage, in der
wir uns alle befinden, muss dies möglich sein, ohne dass
hier in der Öffentlichkeit versucht wird, zu unterstellen, es
sei kein Interesse hinsichtlich der Veränderung der
Schwankungsreserve vorhanden.
Lassen Sie mich auch sagen, Herr Storm und Herr
Kolb: Der Kollege Özdemir hat vorhin bei der Debatte
zum Vereinsrecht gesagt, dass die Kollegen ihre Reden
das war an die CDU/CSU gerichtet vor dem 11. Sep-
tember, aber nicht heute hätten halten können.
Das sage ich genauso über Ihre Reden, die Sie vorhin ge-
halten haben.
Herr Storm, ich fand Ihre Rede nicht sehr verantwort-
lich. Ich will das Wort unverantwortlich vermeiden.
Aber Sie haben zu einer gewaltigen Verunsicherung der
Menschen im Land beigetragen, und zwar wider besseres
Wissen. Das ist das Schlimme daran.
Sie haben hier schwadroniert. Sie haben keine Alterna-
tiven angeboten. Sagen Sie doch, dass eine Beitragssatz-
erhöhung die bessere Möglichkeit ist. Sie haben so getan,
als ob die Schwankungsreserve fest angelegt sei.
Sie wissen doch, dass die liquiden Mittel zu 90 Prozent
kurzfristig angelegt sind. Von daher finde ich es nicht in
Ordnung, was Sie hier gemacht haben.
Herr Kolb, Sie haben von anderen Wegen gesprochen,
diese aber hier verschwiegen. Sie haben ein großes Ge-
heimnis daraus gemacht.
Sie hätten Ihre Rede doch anders aufbauen können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin
Lotz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Meckelburg?
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Dr. Heidi Knake-Werner
19556
Nein, ich gestatte keine Zwi-
schenfrage, weil die Kolleginnen und Kollegen sicherlich
ein Interesse daran haben, dass ich hier fortfahre.
Wenn wir das Schwankungsreservebestimmungsge-
setz einbringen, dann tun wir das, weil es uns um Arbeits-
plätze und Arbeitnehmer und gleichzeitig um die Sicher-
heit von Rentnerinnen und Rentner geht. Das ist schon
ein qualitativer Unterschied zur Regierungszeit von
CDU/CSU und FDP.
Als Exportland spüren wir nun einmal die Konjunktur-
schwäche und die Unsicherheit der Menschen in den
USA, in Japan und in anderen Ländern.
Die Beiträge zur Rentenversicherung um 0,3 Prozent
zu erhöhen, um die vorgesehene Schwankungsreserve zu
erreichen, wäre nun einmal kontraproduktiv. An dieser
Stelle denken wir an die Einnahmeseite, weil wir davon
ausgehen, dass sich eine Erhöhung schädlich auf die
Arbeitsplätze auswirken würde.
Deswegen handeln wir aus meiner Sicht verantwort-
lich, indem wir die Schwankungsreserve absenken. Wir
unterscheiden uns deutlich von der Vorgängerregierung.
Das kann man nicht oft genug wiederholen. Schon in den
80er-Jahren haben die finanziellen Reserven teilweise un-
terhalb einer Monatsausgabe gelegen.
Seit 1992 lagen sie regelmäßig deutlich darunter.
1996/1997 war die Schwankungsreserve sogar auf
60 Prozent einer Monatsausgabe abgesunken, weil Sie da-
mals die Kollegin Mascher hat das schon betont, aber
ich sage es noch einmal das Wirtschaftswachstum viel
zu optimistisch eingeschätzt hatten. Der Rentenversiche-
rungsbeitrag lag übrigens bei 20,3 Prozent.
Sie haben wirklich keinen Grund, sich hier so aufzubla-
sen.
Herr Storm, Sie haben noch einmal das von Ihnen so
geliebte Thema Ökosteuer angesprochen. Ich erinnere
daran, dass sich der Beitragssatz von 20,3 Prozent nur hal-
ten ließ, weil auch wir der Erhöhung der Mehrwertsteuer
zugestimmt haben. Nun sagen Sie mir doch einmal: Ist
eine Erhöhung der Mehrwertsteuer besser als die Öko-
steuer, die sogar noch einen Beitrag zur Umwelt- und
Energiepolitik leistet?
Noch einmal für die Öffentlichkeit: Wofür brauchen
wir eine Schwankungsreserve? In der Rentenversiche-
rung werden die Beiträge, die in einem Monat eingenom-
men werden, sofort wieder dafür verwendet, um die Ren-
ten auszuzahlen. Das ist das Umlageverfahren. Die
Einnahmen sind im Laufe eines Jahres ungleichmäßig.
Ich erinnere an das Weihnachtsgeld und die Monate Sep-
tember und Oktober, in denen vielen Menschen gekündigt
wird. Von daher sind die Einnahmen manchmal geringer.
Um dies auszugleichen, gibt es die Schwankungsreserve.
Die Erfahrung hat auch zu Ihrer Zeit gezeigt, dass eine
Schwankungsreserve in Höhe einer Monatsausgabe nicht
notwendig ist.
Wenn wir jetzt die Schwankungsreserve auf 0,8 Mo-
natsausgaben absenken, dann ist dies verantwortlich. Sie
beziehen sich doch gerne auf die Meinungen von VdR,
DGB und Herrn Rürup, wie wir übrigens auch. Aber in
diesem Fall sehen sie diesen Schritt als verantwortliches
Handeln an.
Noch einmal: Das Ganze hat nichts, aber auch gar
nichts mit den Rentenzahlungen zu tun. Wenn Sie jetzt
versuchen, die Rentnerinnen und Rentner zu verun-
sichern, indem Sie so tun, als ob die Schwankungsreserve
der Sparstrumpf wäre das ist eine Formulierung, die in
der gestrigen Sitzung beispielsweise der Kollege
Laumann gebraucht hat , dann muss ich deutlich sagen,
dass das nicht stimmt; denn die Schwankungsreserve
steht nicht für eine zusätzliche Verteilung zur Verfügung.
Ihr Name sagt vielmehr genau das aus, wofür sie verwen-
det werden soll.
Ich sage noch einmal: Wir handeln verantwortlich. Die
Konjunkturschwäche hat uns zwar einen Strich durch die
Rechnung gemacht. Wir wollten die Beiträge sicherlich
noch weiter senken.
Aber das, was wir tun, ist verantwortlich. Bitte hören Sie
auf, die Rentnerinnen und Rentner zu verunsichern.
Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorla-
gen auf den Drucksachen 14/7284 und 14/7292 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 19557
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang
Dehnel, Günter Nooke, Klaus Brähmig, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Finanzierungssicherheit für den Bundesfern-
straßenbau über das Jahr 2002 hinaus
Drucksache 14/7146
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss
Die Kollegin Renate Blank sowie die Kollegen Reinhard
Weis, Albert Schmidt, Horst Friedrich, Dr. Winfried Wolf
und die Parlamentarische Staatssekretärin Angelika
Mertens haben ihre Reden zu Protokoll1) gegeben. Ich
sehe große Begeisterung im Saal.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/7146 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Vorlage
abweichend von der Tagesordnung federführend vom
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen bera-
ten werden soll. Sind Sie damit einverstanden? Das ist
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Einführung und Verwendung eines Kennzei-
chens für Erzeugnisse des ökologischen Landbaus
Drucksache 14/7254
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Einführung und Verwendung eines Kennzeichens
Drucksache 14/6891
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft
Drucksache 14/7346
Berichterstattung:
Abgeordneter Ulrich Heinrich
Die Kolleginnen Steffi Lemke, Maria Sehn, Kersten
Naumann und die Bundesministerin Renate Künast sowie
die Kollegen Matthias Weisheit, Gustav Herzog und
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr wollen ihre Reden zu Proto-
koll2) geben. Sind Sie damit einverstanden? Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Einführung und Verwendung eines Kennzeichens für
Erzeugnisse des ökologischen Landbaus, Drucksa-
chen 14/7254 und 14/7346. Der Ausschuss für Verbrau-
cherschutz, Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt un-
ter I seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
14/7346 die Annahme des Gesetzentwurfs in der Aus-
schussfassung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. Wer stimmt dagegen? Enthaltungen?
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen
die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU und FDP an-
genommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer
stimmt dagegen? Wer enthält sich? Der Gesetzentwurf
ist damit gegen die Stimmen der Fraktionen von
CDU/CSU und FDP angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen ein-
gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung und
Verwendung eines Kennzeichens für Erzeugnisse des
ökologischen Landbaus auf Drucksache 14/6891. Der
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft empfiehlt unter II seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 14/7346, den Gesetzentwurf für erledigt zu
erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?
Gegenprobe! Enthaltungen? Die Beschlussempfeh-
lung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Walter
Hirche, Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, weite-
ren Abgeordneten und der Fraktion der FDP einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Gesetzes zur Sicherung der Energieversor-
gung bei Gefährdung oder Störung der Einfuh-
ren von Erdöl, Erdölerzeugnissen oder Erdgas
Drucksache 14/7151
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Innenausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit
Die Kollegin Michaele Hustedt sowie die Kollegen
Volker Jung, Werner Labsch, Kurt-Dieter Grill, Walter
Hirche und Rolf Kutzmutz haben ihre Reden zu Proto-
koll3) gegeben. Auch darüber herrscht Freude im Saal.
Infraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 14/7151 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Vizepräsidentin Petra Bläss
19558
1) Anlage 5
2) Anlage 6 3) Anlage 7
Vielleicht sollte man den Zuschauerinnen und Zu-
schauern auf der Tribüne die Freudenreaktion erklären:
Wir haben noch zehn weitere Tagesordnungspunkte.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und b auf.
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
Drucksachen 14/6881, 14/7089
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des
Verteidigungsausschusses
Drucksache 14/7235
Berichterstattung:
Abgeordnete Kurt Palis
Werner Siemann
Drucksache 14/7236
Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Volker Kröning
Oswald Metzger
Jürgen Koppelin
Dr. Uwe-Jens Rössel
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten
Gesetzes zur Änderung besoldungsrechtlicher
Drucksache 14/7097
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des
Innenausschusses
Drucksache 14/7352
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Peter Kemper
Meinrad Belle
Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Petra Pau
Drucksache 14/7373
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Werner Hoyer
Gunter Weißgerber
Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
Oswald Metzger
Dr. Christa Luft
Zum Entwurf des Bundeswehrneuausrichtungsgeset-
zes liegt ein Änderungsantrag von der SPD und von
Bündnis 90/Die Grünen und zum Entwurf des Besol-
dungsänderungsgesetzes ein Änderungsantrag der Frak-
tion der CDU/CSU vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Hier wird
wieder geredet werden. Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner zu diesem
Tagesordnungpunkt ist der Kollege Hans-Peter Kemper
für die SPD-Fraktion. Er kämpft sich nach vorne.
Hans-Peter Kemper (von der SPD und von
Abgeordneten der PDS mit Beifall begrüßt): Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nur zur Er-
klärung: Auch ich hätte diese Rede gerne zu Protokoll ge-
geben, um Ihnen eine weitere Freude zu bereiten.
Allerdings haben wir so viel Positives zu vermelden, dass
wir das auch lauthals sagen wollen.
Das Sechste Besoldungsänderungsgesetz ist ein Gesetz
der Strukturverbesserung, der Modernisierung und der
Flexibilisierung und der Gesetzentwurf trägt den Verän-
derungen bei der Euroumstellung Rechnung. Ich will zu
den einzelnen Punkten nur ganz kurz Stellung beziehen.
Die größten Veränderungen gibt es sicher im Bereich
der Bundeswehr; diese sind äußerst positiv. In der Bun-
deswehr fallen künftig die Planstellen der Besoldungsstu-
fen A 1 und A 2 weg und die Eingangsbesoldung wird auf
A 3 festgelegt.
Das ist eine längst überfällige Maßnahme und die Zu-
rufe von der FDP zeugen von einem schlechten Gewissen,
denn Sie hätten das 16 Jahre lang machen können, haben
es aber nicht getan.
Die Besoldungsgruppen A 1 und A 2 sind Relikte aus
der Mottenkiste, die schon vor Jahren hätten beseitigt
werden müssen. Wir beseitigen sie jetzt. Die Anhebung
der Planstellenanteile für die Unteroffiziere in der Besol-
dungsgruppe A 9 trägt der gestiegenen Verantwortung
Rechnung. Auch das war längst überfällig. Das Gleiche
gilt für die Anhebung der Planstellenanteile für die Kom-
paniechefs und Einheitsführer in der Besoldungsgruppe
A 12.
Die Erhöhung der Planstellenanteile im Spitzenamt
A 13 runden das positive Bild für den einfachen, mittleren
und gehobenen Dienst in erfreulicher Weise ab. Die Re-
form ist ein erheblicher Beitrag zur Attraktivitätssteige-
rung und dieser Beitrag war längst überfällig. Die Bun-
deswehr hatte eine solche Maßnahme schon lange
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Vizepräsidentin Petra Bläss
19559
verdient. Deswegen wird sie auch vom Verteidigungsmi-
nisterium ausdrücklich begrüßt.
Das sehen im Übrigen auch die meisten anderen Fraktio-
nen dieses Hauses so. Wie das seit 1998 nun einmal ist:
Wir setzen die Reformen durch, die wir für notwendig er-
kannt haben.
Dieses Gesetz ist ein Beitrag zur Umsetzung des Pro-
gramms Moderner Staat Moderne Verwaltung,
denn er baut unnötige Regelungsdichte ab und trägt drin-
gend nötigen Verwaltungsvereinfachungen Rechnung.
Mit einer erhöhten Durchlässigkeit bei der Berück-
sichtigung von Dienstzeiten für das Besoldungsdienstal-
ter auf EU- und nationaler Ebene passen wir uns den ver-
änderten Bedingungen auf der europäischen Ebene an.
In den B-Bereichen kommt es zu teilweise längst über-
fälligen Verbesserungen. Hier ist vom Direktor des
Beschaffungsamtes über den Präsidenten des Luftfahrt-
Bundesamtes bis hin zum Präsidenten des Bundesverwal-
tungsamtes den Zuwächsen an Verantwortung, an Perso-
nal in den genannten Behörden und Belastungen durch
Stellenhebungen teilweise über drei Besoldungsgrup-
pen hinweg Rechnung getragen worden.
Ich will die Stellenhebungen nicht im Einzelnen erläu-
tern. Ich weiß sehr wohl, dass es sehr viel weiter gehen-
dere Wünsche der einzelnen Fraktionen zu den einzelnen
Punkten des Entwurfs gegeben hat. Insbesondere die
Fraktion der CDU/CSU wollte sich in rührender Weise
ganz besonders um die B-Besoldeten kümmern. Ich kann
das gut verstehen, das ist auch ganz wichtig. Allerdings
will ich darauf hinweisen: Die leiden keine direkte Not.
Für all die gestellten Anträge gab es sicher gute
Gründe. Insbesondere im einfachen Dienst der Justiz
wären wir gerne den Anregungen der CDU gefolgt. Das
ist überhaupt keine Frage. Es waren durchaus wün-
schenswerte Verbesserungen angepeilt worden. Wir hät-
ten Ihnen gerne dabei geholfen, das umzusetzen, was Sie
16 Jahre lang haben liegen lassen, Herr Belle.
Allein, die leeren Kassen zwingen uns dazu, nur die
unabweisbar erforderlichen Stellenhebungen vorzuneh-
men. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition,
haben uns bei der Regierungsübernahme ja nicht gerade
Reichtümer hinterlassen, um es einmal ganz vorsichtig
auszudrücken. Hier konnte nur das Machbare, nicht aber
alles Wünschenswerte umgesetzt werden, zumal es an se-
riösen und nachvollziehbaren Deckungsvorschlägen
fehlte.
Dieses Gesetz ermöglicht es auch den einzelnen Behör-
den, in Zeiten von Personalmangel qualifiziertes Personal
über eine neue Zulagenregelung zu gewinnen. Über diese
Möglichkeit werden besondere Anreize geschaffen, ob-
wohl die Notwendigkeit solcher Anreize bei dem derzeiti-
gen Arbeitsmarkt nicht besteht. Für die Beschaffung qua-
lifizierten Personals ist das aber durchaus hilfreich.
Ich will noch einen anderen Punkt ansprechen, der in
der Vergangenheit eine Rolle gespielt hat. Dabei geht es
zum einen um die Umstellung auf Euro. Das ist mehr
eine technische Sache. Zum anderen geht es um die
Weiterzahlung der Erhöhungsbeträge an kinderreiche Fa-
milien. Vor allem der zuletzt genannte Punkt hätte nicht
zwingend in dem vorliegenden Gesetz geregelt werden
müssen. Allein, die Behandlung hier und heute schafft
eine verlässliche Rechtsgrundlage für die Weiterzahlung
und Planungssicherheit für kinderreiche Beamtenfami-
lien.
Bei der Justiz wird ein neues Amt, nämlich das Amt des
Staatsanwalts beim Bundesgerichtshof, eingeführt, und
zwar in der Besoldungsgruppe R 2. Dieses Amt wird neu
eingerichtet, um die Personalgewinnung beim Bundesge-
richtshof zu erleichtern und Sprungbeförderungen zu ver-
meiden.
Alles in allem ist das ein durchaus gelungenes Geset-
zeswerk, sodass Grund zur Zufriedenheit besteht.
Ich will aber noch einen Problempunkt ansprechen, der
für die Zukunft eine Rolle spielen könnte. Das ist der
Kaufkraftausgleich. Auch dies wird die FDP ärgern;
denn der Kaufkraftausgleich wird in diesem Gesetz wei-
terhin vorgesehen, obwohl wir uns allen Ernstes fragen
müssen, ob eine solche Regelung noch zeitgemäß und auf
Dauer sinnvoll sein kann. In Zukunft wird es einen ein-
heitlichen Euroraum geben, die Mieten, die Kosten, die
Löhne, die Gehälter, alles wird auf Eurobasis abgerech-
net. Hier noch einen Kaufkraftausgleich einzubauen
scheint mir der Fürsorge doch etwas reichlich zu sein.
Deswegen begrüßen wir, dass die Bundesregierung in
diesem Gesetz beauftragt wird, die Entwicklung genau zu
beobachten und zum Ende des Jahres 2003 zu berichten
und gegebenenfalls entsprechende Maßnahmen vorzu-
schlagen.
Ich könnte mir vorstellen, dass die Zeit des Kaufkraft-
ausgleichs begrenzt ist und dass wir im Laufe der nächs-
ten Legislaturperiode sicherlich zu anderen Regelungen
kommen werden. Ich lade Sie ein, sich gerade bei diesem
letzten Punkt noch einmal zu beteiligen. Im Übrigen hat
auch die CDU, weil das ein sehr vernünftiger Vorschlag
ist, ihre Zustimmung signalisiert und ich denke, das
spricht für sich.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Werner Siemann.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Mit dem heute zu be-
ratenden Gesetzentwurf zur Neuausrichtung der Bundes-
wehr nur mit diesem Gesetzentwurf werde ich mich be-
fassen; zu den Besoldungsfragen wird sich der Kollege
Belle äußern sollen die rechtlichen Voraussetzungen für
eine personelle, also konzeptionelle, und strukturelle, also
planerische, Umgestaltung der Bundeswehr geschaffen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Hans-Peter Kemper
19560
werden. Neben der Neuordnung der Laufbahnen sowie
der Aufhebung der Verfügungsbereitschaft sieht der Ent-
wurf im Wesentlichen drei Regelungen vor.
Erstens. Die Dauer des Grundwehrdienstes wird von
zehn Monaten auf neun Monate verkürzt.
Zweitens. Die Grundwehrdienstleistenden können den
Wehrdienst abschnittweise ableisten.
Drittens. Es wird ein Personalanpassungsgesetz ge-
schaffen.
Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt sowohl die Ver-
kürzung der Grundwehrdienstdauer um einen Monat als
auch die Aufhebung der Verfügungsbereitschaft sowie die
Einführung der so genannten Feldwebellaufbahn. Die Er-
eignisse des 11. September und die damit einhergehende
Veränderung der sicherheitspolitischen Lage haben daran
nichts geändert.
Die Ermöglichung der abschnittweisen Ableistung
des Wehrdienstes geht jedoch unseres Erachtens an den
Realitäten vorbei. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass die
potenziellen Grundwehrdienstleistenden praktisch keinen
Gebrauch von dem Angebot der abschnittweisen Wehr-
dienstableistung machen werden.
Aus Unternehmersicht ist eine Zerstückelung des
Wehrdienstes wegen fehlender Planungssicherheit gerade
in mittelständischen Betrieben nicht akzeptabel.
Für die Truppe und für die Wehrverwaltung ergibt sich
aus der Neuregelung ein erheblicher bürokratischer Mehr-
aufwand. Aus rechtlichen Gründen muss jeder Wehr-
dienstleistende, der seinen Dienst in drei Abschnitte un-
terteilt, allein sechsmal ärztlich untersucht werden: drei
Eingangsuntersuchungen und drei Ausgangsuntersuchun-
gen. Außerdem ist es wahrscheinlich, dass jeder dreimal
zumindest teilweise ein- und ausgekleidet werden
muss. Dass dabei unter anderem die Qualität der Ausbil-
dung auf der Strecke bleibt, liegt auf der Hand. Indirekt
räumt das Bundesverteidigungsministerium dies auch ein.
Soldaten, die ihren Wehrdienst splitten, können aus
formalen Gründen nicht mehr freiwillig länger dienen.
Das ist klar. Denn sie müssen das bestätigen. So werden
Grundwehrdienstleistende unterschiedlicher Qualität ge-
schaffen. Unter dem Gesichtspunkt, dass sich Grund-
wehrdienst leistende Soldaten durchschnittlich erst nach
6,4 Monaten das ergibt sich aus den Zahlen der
Hardthöhe entschließen, ihren Dienst bei der Bundes-
wehr freiwillig zu verlängern, ist die Möglichkeit, den
Wehrdienst abschnittsweise zu leisten, wenig sinnvoll.
Letztlich führt die Neuregelung nicht zu einer Flexibi-
lisierung des Wehrdienstes, sondern nur zu einem Mehr
an Verwaltungsaufwand und an Bürokratie sowie zu ei-
nem Weniger an Qualität der Ausbildung und an Quantität
des Nachwuchses.
Mein Hauptkritikpunkt richtet sich allerdings gegen
Art. 4 des Gesetzes zur Neuausrichtung der Bundeswehr.
Durch das Personalanpassungsgesetz soll die unausgewo-
gene Altersstruktur der Offiziere und Unteroffiziere
bereinigt werden. Es sieht vor, dass ab 2002 und in den da-
rauf folgenden vier Jahren 3 000 Berufssoldaten mit ihrer
Zustimmung nach Vollendung des 50. Lebensjahres in
den vorzeitigen Ruhestand versetzt werden. Die Bundes-
regierung selbst bewertet Frühpensionierungsregelun-
gen zur Bewältigung personeller Strukturprobleme
grundsätzlich als ungeeignet. Recht hat sie. Es stellt sich
die Frage: Was soll dann das ganze Personalanpassungs-
gesetz? Diese Frage stellt sich auch der Bundesrat. Seine
Antwort ist eindeutig. Er fordert die Bundesregierung auf,
das ganze Personalanpassungsgesetz schlichtweg ersatz-
los zu streichen.
Dem Einwand der Bundesregierung, die Überalterung
auf einsatzwichtigen Dienstposten müsse verringert wer-
den, ist entgegenzuhalten, dass die Bundeswehr ohnehin
schon besondere Altersgrenzen hat. Die Verabschiedung des
Personalanpassungsgesetzes käme deshalb einem Damm-
bruch gleich. Während landauf, landab über eine Verlänge-
rung der Lebensarbeitszeit das werden Sie nicht bestreiten
können und eine Kürzung der Renten- und Pensionsan-
sprüche diskutiert wird, will die Koalition Soldaten mit
50 Jahren in den vorzeitigen Ruhestand schicken. Das Aus-
scheiden von 50-jährigen Soldaten aus der Bundeswehr ist
gesamtgesellschaftlich indes nicht zu verantworten.
Auch bei der Bundeswehr gibt es im Übrigen einen
nachvollziehbaren Trend zur Verlängerung der Lebensar-
beitszeit. So werden die besonderen Altersgrenzen mit
Ausnahme der Portepéeunteroffiziere schon im nächs-
ten Jahr angehoben. In den darauf folgenden Jahren wird
die Altersgrenze um ein weiteres Jahr angehoben. Auch
das sollte man wissen.
Diesem Trend steht der Entwurf des Personalanpas-
sungsgesetzes entgegen. Der Bevölkerung ist nicht ver-
mittelbar, dass Berufssoldaten die Möglichkeit einge-
räumt werden soll, bis zu elf Jahre früher als eigentlich
vorgesehen in Pension zu gehen; denn sie sind ohnehin
unter der Maßgabe Berufssoldat geworden, bis zur be-
sonderen Altersgrenze zu dienen. Das muss man einmal in
Erinnerung rufen. Ebenso ist es nicht vermittelbar,
3 000 Soldaten vorzeitig zu pensionieren, obwohl der
Bundeswehr 12 000 länger dienende Soldaten fehlen.
Die Frühpensionierten um nicht von den Empfängern
des so genannten goldenen Handschlags zu sprechen
werden selbstverständlich auf den freien Arbeitsmarkt
drängen und aufgrund ihrer gesicherten finanziellen Basis
konkurrenzlos günstig sein. Die Auswirkungen auf unsere
Arbeitslosensituation liegen auf der Hand. Aufgrund der
allgemeinen demographischen Entwicklung stehen die
Alterssicherungssysteme vor erheblichen Finanzierungs-
problemen. Diese Probleme werden derzeit häufig disku-
tiert. Eine unausgewogene Altersstruktur ist kein Spezifi-
kum der Bundeswehr, sondern kennzeichnet vielmehr alle
Personalkörper im öffentlichen Dienst. Von daher lässt
sich eine versorgungsrechtlich relativ großzügige Früh-
pensionierungsregelung für die Bundeswehr nicht recht-
fertigen; zumal damit die Bemühungen des Bundes und
der Länder, den Anstieg der Versorgungsaufwendungen
zu begrenzen, konterkariert würden.
Neben diesen Widersprüchen zeichnet sich der Gesetz-
entwurf auch durch einen eklatanten Mangel an Logik
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Werner Siemann
19561
und ein gehöriges Maß an Willkür aus. Lassen Sie mich
das noch an einigen Beispielen verdeutlichen. Auch wenn
das Gesetz heute verabschiedet würde, könnte die unaus-
gewogene Altersstruktur unserer Armee nicht beseitigt
werden.
Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie entsprechende
Anträge gestellt haben.
In der Begründung des Gesetzestextes ist von einem
strukturellen Überhang in Höhe von etwa 4 500 Berufs-
offizieren und von rund 3 500 Berufsunteroffizieren die
Rede. Gemäß dem vorliegenden Gesetz können in den
kommenden fünf Jahren aber lediglich 3 000 Soldaten
vorzeitig ausscheiden. Auch die Befristung des Gesetzes
bis 2006 macht keinen Sinn, da es nach Berechnung des
BMVg in dem Zeitraum lediglich einen Überhang von
circa 2 600 Soldaten geben wird. Aus dienstlichem und
politischem Interesse würde die Vorgabe von 3 000 zwar
erfüllt, damit entstünden aber neue strukturelle Verwer-
fungen, da auch solche Soldaten gehen würden, die nicht
zum Überhang gehören.
Ferner sind die Versorgungsabschläge für Soldaten ab
A16 aufwärts rational nicht zu erklären. Warum zieht man
eine Grenze zwischen A 15 und A 16? Die Erfahrungen
der Vergangenheit mit Personalstruktur- und Personal-
stärkegesetzen haben letztendlich gezeigt, dass die Bun-
deswehr besonders hoch qualifizierte Soldaten verlieren
wird. Diese werden aufgrund ihrer Qualifikation leichter
gehen können als solche mit nur durchschnittlichen
Fähigkeiten, die kaum eine Chance auf eine lukrative zi-
vile Anschlussverwendung haben. Ein deutlicher Qua-
litätsverlust ist zu erwarten.
Zusammenfassend bleibt deshalb festzustellen: Das
Gesetz eignet sich nicht dafür, die innere Struktur unserer
Bundeswehr der Realität anzupassen. Die Bundesregie-
rung hat es versäumt, alternative Einsatzmöglichkeiten
und intelligente andere Lösungen für die im Überhang be-
findlichen Soldaten etwa im Rahmen von Friedensmis-
sionen der UNO, der OSZE oder der EU zu prüfen. Die
vorgeschlagene Frühpensionierungsregelung steht in kei-
nem Verhältnis zur gesamtgesellschaftlichen und demo-
graphischen Entwicklung. Das Personalanpassungsgesetz
steckt voller Widersprüche und ist in sich unschlüssig.
Vorschläge der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, im
Zuge des Bundeswehrneuausrichtungsgesetzes auch
§ 20 a des Soldatengesetzes zu ändern, wurden trotz Ge-
sprächsbereitschaft unsererseits nicht berücksichtigt, ob-
wohl Zusagen unter anderem von Herrn Staatssekretär
Kolbow vorlagen. Nach einer umfassenden Würdigung
sehen wir uns außerstande, dem vorliegenden Gesetz so
zuzustimmen.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner ist
der Kollege Winfried Nachtwei für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem
Bundeswehrneuausrichtungsgesetz wird der Beschluss
des Bundeskabinetts zur Bundeswehrreform vom Juni
letzten Jahres auf der personellen Ebene umgesetzt.
Hierzu möchte ich vier Anmerkungen bzw. Anregun-
gen machen:
Zunächst einmal komme ich auf die Verkürzung der
Wehrpflicht bzw. des Wehrdienstes auf neun Monate zu
sprechen. Sie können sich vorstellen, dass gerade unsere
Fraktion die Verkürzung um zumindest einen Monat sehr
begrüßt,
weil dies auch einen geringeren Eingriff in die Lebens-
planung junger Männer darstellt.
Bezüglich der Regelung einer abschnittsweisen Ab-
leistung des Wehrdienstes halten wir die Feststellung
des Bundesverteidigungsministeriums für sehr wichtig,
dass diese Möglichkeit nur bei Einvernehmen zwischen
den Behörden und den Wehrpflichtigen besteht. Den
Wehrpflichtigen darf diese je nach Streitkräftebedarf
selbstverständlich nicht einfach aufgezwungen werden.
Die Zweckmäßigkeit dieser Regelung für die Streitkräfte
selbst das denken auch manche von uns wird sich in
Zukunft zeigen müssen.
Zweitens. In den nächsten Jahren wird die Zahl der
zum Wehrdienst eingezogenen Wehrpflichtigen erheblich
sinken. Zugleich wird aber die Zahl der zur Verfügung ste-
henden Wehrpflichtigen ungefähr gleich bleiben. Manche
Beobachter behaupten, dass sich dadurch eine zuneh-
mende Wehrungerechtigkeit entwickeln könnte, also
eine Kluft zwischen denjenigen, die einberufbar sind, und
der geringen Anzahl derjenigen, die einberufen werden.
Würde es so kommen, hätten wir es mit einem erheblichen
Problem der Wehrgerechtigkeit zu tun. Es gäbe dann auch
eine Art Bugwelle von immer mehr Wehrpflichtigen, die
im Laufe der Jahre noch auf ihre Einberufung warten und
eventuell nicht mehr einberufen würden. Sollte sich das so
entwickeln, stünden wir natürlich vor der Aufgabe,
entsprechende Abhilfen zu diskutieren und zu organisie-
ren. Dann wäre es sicher auch angebracht, zu prüfen, ob
die Verfügbarkeitsdauer für die Einberufung zum Wehr-
dienst, zurzeit in der Regel sechs Jahre, erheblich gesenkt
werden könnte.
In diesen Tagen besteht eine wachsende Unsicherheit
unter Wehrpflichtigen, ob sie zu so genannten Auslands-
einsätzen eingezogen werden könnten. Im Soldatenge-
setz sind die Pflichten eindeutig für alle Soldaten gleich.
Da gibt es keinen Unterschied. Aber Konsens in diesem
Haus, aber auch mit dem Verteidigungsministerium war
bisher daran gibt es keinen Zweifel , dass Wehrpflich-
tige nur im Rahmen der Landes- und Bündnisvertei-
digung zum Einsatz kommen können.
Nur haben wir seit den UN-Sicherheitsrats-Resolutio-
nen nach dem 11. September ein gewisses Problem, weil
nämlich in diesem Zusammenhang der Verteidigungsbe-
griff erheblich ausgeweitet worden ist. Er begegnet sozu-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Werner Siemann
19562
sagen den Auslands- und Kriseneinsätzen. Von daher ist
es nur eine selbstverständliche Fortschreibung unseres
bisherigen Konsenses, zu sagen, dass Wehrpflichtige nur
innerhalb des Bündnisgebietes im Rahmen von Landes-
und Bündnisverteidigung eingesetzt werden können und
dürfen.
Ein letzter Punkt zum Personalanpassungsgesetz. We-
gen der ganz anderen Anforderungen der Bundeswehr an
ihr Personal ist dieses Anpassungsgesetz tatsächlich not-
wendig, auch wenn es ganz aus der Reihe des übrigen öf-
fentlichen Dienstrechts tanzt. Aber wir müssen natürlich
feststellen, dass die Frühpensionierung von insgesamt
3 000 Soldaten einiges kostet: im nächsten Jahr 21 Milli-
onen DM, im Jahr 2006 schon 176 Millionen DM.
Der Staat verzichtet dadurch auf das Potenzial von er-
fahrenen, qualifizierten und noch sehr arbeitsfähigen
Männern. Es kann uns nicht ruhen lassen, wenn für viel
Geld solche Potenziale einfach weggegeben werden. Ge-
rade in den zivilen Dimensionen von Friedensmissionen
gibt es einen erheblichen Mangel an professionellen,
schnell verfügbaren Kräften. Es gibt im Verteidigungs-
ausschuss schon ein Einvernehmen zwischen allen Frak-
tionen, dass wir uns Schritte und Möglichkeiten überlegen
wollen, wie dieses enorme Potenzial von oft auch in Kri-
seneinsätzen erfahrenen Offizieren im Rahmen unserer
Sicherheitspolitik, im Rahmen von Friedensmissionen
genutzt werden kann.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt spricht der Kol-
lege Günther Nolting für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Verteidigungsminister
Scharping hat im Februar attraktive Arbeitsplätze, beruf-
liche Perspektiven, angemessene Besoldung bei der Bun-
deswehr versprochen. Herr Kollege Kemper, nachdem
Sie hier dieses Gesetz vehement vertreten und gelobt ha-
ben, wollen wir uns doch einmal ansehen, wie es in der
Bundeswehr wirklich aussieht.
Rot-Grün hat zu wenig unternommen, damit sich die
Nachwuchslage insbesondere bei Spezialverwendungen
verbessert. Der Beförderungsstau hat sich unter rot-grü-
ner Verantwortung vergrößert. Die von Rot-Grün mehr-
fach in Aussicht gestellten weiteren Attraktivitätssteige-
rungen lassen weiter auf sich warten.
Auch der Zeitplan wurde nicht eingehalten. Zudem
schwebt über all diesen ersten Schritten noch das Damo-
klesschwert einer unzulänglichen Finanzierung, die
nämlich mehr auf dem Prinzip Hoffnung als auf konkre-
ter Absprache mit dem Bundesfinanzminister fußt. Auch
der Generalinspekteur beklagt die dramatische Unter-
finanzierung der Bundeswehr.
Ich kann deshalb für die FDP feststellen: Das Gesetz
bringt nicht die überfällige Auflösung struktureller Pro-
bleme. Die Neufassung des Personalanpassungsgesetzes
bleibt weit hinter den Erwartungen und den objektiven Er-
fordernissen einer modernen Bundeswehr zurück.
Es ist noch nicht lange her, da hat Bundesverteidi-
gungsminister Scharping selbst eingestanden, dass sich
gegenwärtig mehr als 8 500 Berufssoldaten im struktu-
rellen Überhang befinden. In den kommenden fünf Jah-
ren können aber nicht einmal 3 000 Berufssoldaten die
Bundeswehr frühzeitig verlassen. Mit dieser marginalen
Reduzierung wird nicht ansatzweise der Einstieg in eine
verjüngte, den internationalen Anforderungen besser an-
gepasste Streitkräftestruktur erreicht. Herr Kollege
Siemann, ich glaube, auch darum geht es.
Sie werden sich daran erinnern, dass wir in den 90er-Jah-
ren zu ähnlichen Mitteln gegriffen haben, um eine bessere
Struktur zu erreichen.
Sie alle wissen, dass auch die Verärgerung bei den
zivilen Beschäftigten ständig steigt. Das müsste auch bei
Rot-Grün angekommen sein. Umso unverständlicher ist
der FDP, warum in dem vorliegenden Gesetzentwurf
diese Gruppe von über 120 000 Beschäftigten nicht mit ei-
ner Silbe Erwähnung findet. Gerade auch die zivilen Be-
schäftigten und deren Familien haben ein Anrecht darauf,
endlich Planungssicherheit für ihre berufliche und per-
sönliche Zukunft zu bekommen.
Herr Kollege Palis, über den Tarifvertrag werden wir
uns bestimmt im Verteidigungsausschuss noch einmal un-
terhalten. Wir werden aufzeigen, welche Lücken und wel-
che Mängel wir dort sehen.
Der vorliegende Entwurf sieht eine erhöhte Einstiegs-
besoldung für Mannschaften und Unteroffiziersanwärter
vor; Herr Kollege Kemper hat bereits darauf hingewiesen.
Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Aber, Herr Kollege Kemper, es ist ein zu kleiner
Schritt. Wenn Sie sich einmal die finanziellen Unter-
schiede im Vergleich zu Polizei und zum Bundesgrenz-
schutz ansehen ich habe vorhin in einem Zwischenruf
darauf hingewiesen , dann werden Sie feststellen, dass es
um Beträge von 600 DM bis 900 DM geht.
Ich denke, diese Zahlen sprechen für sich. Die FDP hat
entsprechende Anträge im Ausschuss gestellt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Winfried Nachtwei
19563
Leider sind diese Anträge von Rot-Grün abgelehnt wor-
den. Auch das muss an dieser Stelle gesagt werden.
Der Gesetzentwurf hält an der Wehrpflicht fest. Er
sieht allerdings eine Flexibilisierung der Wehrpflicht-
dauer vor. Wir Liberalen sagen dagegen: Die Wehrpflicht
hat ausgedient.
Sie ist sicherheitspolitisch nicht mehr zwingend notwen-
dig. Im Gegenteil: Die Wehrpflicht erweist sich immer
mehr als eine strukturelle Bürde.
Das Gerechtigkeitsprinzip ist längst auf der Strecke ge-
blieben. Auch zur Terrorbekämpfung ist die Wehrpflicht
nicht geeignet.
Wir Liberalen werden den vorgelegten Gesetzentwurf
dennoch nicht ablehnen,
weil wir uns auch als Opposition unserer Verantwortung
für die Menschen in der Bundeswehr, für diejenigen in
Uniform und für diejenigen in Zivil, bewusst sind. Wir
werden uns allerdings der Stimme enthalten. Ich sage
noch einmal: Das Gesetz geht in die richtige Richtung,
aber aus unserer Sicht nicht weit genug.
Für eine echte Attraktivitätsoffensive sind für die
FDP unter anderem folgende Maßnahmen erforderlich:
die Zahlung leistungsgerechter Löhne und Gehälter
hierzu gehört besonders die überfällige stufenweise An-
gleichung der Ostgehälter auf Westniveau; auch das hat
Rot-Grün abgelehnt ,
der Abbau sämtlicher Personalüberhänge, um Aufstiegs-
perspektiven für Nachwuchskräfte zu schaffen und den
Beförderungsstau zu beseitigen, die Aussetzung der
Wehrpflicht bei gleichzeitiger Anpassung der Einstiegs-
besoldung an das Niveau von Bundesgrenzschutz und Po-
lizei sowie schließlich die Flexibilisierung des über
50 Jahre alten Dienstrechtes.
Meine Damen und Herren, nur wenn sich die Neuaus-
richtung der Bundeswehr für alle Beschäftigten ich sage
ausdrücklich noch einmal: für die uniformierten, aber
auch für die zivilen Beschäftigten positiv bemerkbar
macht, wird man engagierte und motivierte Soldaten und
Zivilbeschäftigte vorfinden. Ich denke, dies muss unser
gemeinsames Ziel sein.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt spricht der Kol-
lege Wolfgang Gehrcke für die PDS-Fraktion.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Da der Gesetzentwurf zur
Neuausrichtung der Bundeswehr auch in seiner Begrün-
dung auf die Bundeswehrreform selbst Bezug nimmt und
dort verortet wird, muss man sich über die grundsätzli-
chen Weichenstellungen, die damit getroffen worden sind,
noch einmal verständigen. Das heißt, mit uns werden Sie
sich da nicht verständigen.
Wenn wir in die Geschichte zurückgehen, stellen wir
fest, dass die Bundeswehr in ihrem Selbstverständnis eine
Armee war, die alles tun musste vielleicht sogar alles ge-
tan hat um ihren eigenen Einsatz zu verhindern. Der
Nichteinsatz der Bundeswehr war Ziel und Identität der
Bundeswehr, übrigens auch verfassungsrechtlich.
Heute, und dies unter Rot-Grün, hat sich das ins Gegen-
teil gewandelt.
Die Bundeswehr ist zu einer Einsatzarmee umgebaut
worden. Der weltweite Einsatz der Bundeswehr ist nicht
mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Heute ist also der
Einsatz und nicht mehr der Nichteinsatz der Bundeswehr
Ziel und Identität. Das ist der grundsätzliche Wandel, der
festgehalten werden muss.
Wenn ich das zuspitzen wollte, würde ich behaupten, dass
sich die Bundeswehr aus einer Verteidigungsarmee in eine
Kriegsarmee gewandelt hat. Das finde ich tragisch.
Ich darf die Kollegen der CDU/CSU an etwas erinnern.
Kollege Breuer, Ihr Altkanzler Kohl hat einmal einen
Wahlkampf mit der Losung Frieden schaffen mit immer
weniger Waffen geführt. Er hat damit die Losung der
Friedensbewegung Frieden schaffen ohne Waffen ge-
kontert. Wenn ich mir vorstelle, dass sich heute Kollegen
der SPD und der Grünen mit der Losung Frieden schaf-
fen mit immer weniger Waffen in der Öffentlichkeit
erklären, würden sie sofort als zum radikalen, fundamen-
talistischen oder pazifistischen Flügel gehörend abge-
stempelt werden. So hat es sich inhaltlich verändert. Das
merkt man natürlich auch an der Ausrichtung der Bun-
deswehr.
Wenn es nicht von meiner Zeit abginge, würde ich Ihre
Zwischenrufe gern alle einzeln beantworten. Aber regis-
trieren Sie einmal, dass wir hier im Bundestag und nicht
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Günther Friedrich Nolting
19564
im Kasernenhof sind. Einen gewissen Ton verbitte ich
mir.
Wenn man sich anguckt, wie das Konzept umgesetzt
wird, werden Sie sich vorhalten lassen müssen, dass Sie
den Gemeinden und Städten, in denen Standorte ge-
schlossen worden sind, nicht geholfen haben, die Pro-
bleme zu bewältigen. Sie haben die Gemeinden und
Städte, gerade im Osten, allein gelassen.
Der Verkauf von Liegenschaften, übrigens auch der
Verkauf von Waffen, löst das finanzielle Problem der
Bundeswehr nicht. So, wie Sie die Bundeswehr einsetzen
wollen da hat die CDU/CSU Recht , ist sie unterfinan-
ziert. Ich will sie ja nicht so einsetzen. Deshalb ist das
nicht mein Problem; das ist Ihr Problem.
Im Übrigen: Wer heute Waffen ohne sorgfältige Kon-
trolle verkauft, der findet diese Waffen letztendlich auch
auf den terroristischen Märkten wieder. Das müssen Sie
sich auch ins Stammbuch schreiben.
Die Bundeswehr hat die Städte und Gemeinden mit
Hinweis auf ihre Nichtzuständigkeit bei der Bewältigung
der sozialen Probleme allein gelassen. Die Wehrpflicht ist
nicht korrigiert worden, was man hätte tun können. Die
Frühverrentung, um diesen Begriff einmal zu benutzen,
kostet 1 Milliarde DM, die anderswo besser hätte einge-
setzt werden können.
So wie mit den Gemeinden springt das Verteidigungs-
ministerium auch mit den Beamten der Bundeswehr um.
Ich war auf dem Beamtentag der Bundeswehr; Ihr Vertei-
digungsminister hat sich ja gedrückt, weil er zur gleichen
Zeit mit der Wirtschaft reden wollte. Sie hätten einmal
hören sollen, was von den Beamten der Bundeswehr dort
über Ihre Politik ausgeführt wurde. Das würde mich schon
sehr bedenklich stimmen; denn das ist nun nicht die typi-
sche Klientel der PDS.
Das einzig Positive an dem Gesetzentwurf, den Sie zur
Besoldung vorgelegt haben, ist der Wegfall der unteren
Besoldungsgruppen A 1 und A 2.
Dafür wird aber der Verheiratetenzuschlag einkassiert.
Dann gleicht sich das wieder aus. Die unterschiedliche
Besoldungsregelung in Ost und West haben Sie nicht ge-
regelt. Die hätten Sie regeln können. Dann hätten Sie we-
nigstens einen Beitrag zur deutschen Einheit in der Bun-
deswehr geleistet.
Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner ist
der Kollege Kurt Palis für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Wolfgang
Gehrcke, eine Bemerkung musste ich mir notieren: Wenn
Sie uns den Werbespruch der Christdemokraten Frieden
schaffen mit immer weniger Waffen
in Erinnerung rufen und ihn jetzt loben, dann frage ich
mich, warum Sie bei der Debatte zum Mazedonien-Ein-
satz bei diesem Einsatz ging es darum, weniger Waffen
zu schaffen, indem sie bei den albanischen Rebellen ein-
gesammelt werden dagegen gesprochen und dann dage-
gen gestimmt haben.
Damals hätten Sie diesem Spruch doch zum Durchbruch
verhelfen können.
Ich will damit keine Polemik betreiben, lieber Wolfgang,
sondern nur darauf aufmerksam machen, dass der Slogan
mit Leben zu erfüllen ist.
Hier steht auch ihr in der Verantwortung und aus ihr ent-
lassen wir euch nicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in dieser Woche ha-
ben wir wieder hautnah erlebt, dass Deutschland in der
Außen- und Sicherheitspolitik nach dem Wegfall der
Blockkonfrontation vor neuen Aufgaben steht. Dies stellt
auch die Bundeswehr vor neue Herausforderungen und
macht eine Neuausrichtung notwendiger denn je. Die
CDU/CSU-geführte Bundesregierung hat die Kraft zur
Bewältigung dieser großen Aufgabe in ihren letzten Jah-
ren nicht mehr aufbringen können. Erst mit dem Regie-
rungswechsel 1998 wurde sie konkret und zügig ange-
gangen und im Juni letzten Jahres wurde mit dem
Beschluss zum Eckpfeilerpapier diese Neuausrichtung
der Bundeswehr auf den Weg gebracht.
Mit dem heute zu verabschiedenden Bundeswehr-
neuausrichtungsgesetz und mit dem Sechsten Besol-
dungsänderungsgesetz, zu dem mein Kollege Hans-Peter
Kemper schon gesprochen hat werden nun die dafür er-
forderlichen rechtlichen Grundlagen geschaffen. Auf-
grund der Vielzahl von Folgeänderungen in dem Artikel-
gesetz beschränke ich mich hier auf die wesentlichen
Schwerpunkte.
Zunächst zum Wehrpflichtgesetz: Die bedeutsamste
Veränderung besteht hier in der Verkürzung des Grund-
wehrdienstes von zehn auf neun Monate. Damit verbun-
den ist die Möglichkeit, je nach Bedarf der Bundeswehr
diesen Wehrdienst zusammenhängend oder in Abschnit-
ten zu leisten. Mit dieser erweiterten Regelung wird dem
Umstand Rechnung getragen, dass für einen Teil der
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Wolfgang Gehrcke
19565
Wehrpflichtigen zunächst nur eine Basisausbildung von
sechs Monaten erforderlich ist. Die dann fehlenden drei
Monate werden nach Anzahl und Dauer am Bedarf der
Streitkräfte ausgerichtet und bereits durch den Einberu-
fungsbescheid festgelegt.
Wie sich die abschnittsweise Ableistung des Wehr-
dienstes in der Praxis entwickeln wird, muss abgewartet
werden. Grundsätzlich schafft sie aber davon bin ich fest
überzeugt für Wehrpflichtige wie für die betroffenen Ar-
beitgeber ein größeres Maß an Flexibilität. Herr Kollege
Siemann, wenn Sie bezweifeln, dass die Arbeitgeber an-
gesichts dieser Neuregelung nicht mehr über ausreichend
Planungssicherheit verfügten, dann mache ich darauf auf-
merksam, dass sich jemand, der in einem Arbeitsverhält-
nis steht und einberufen wird, sicherlich mit seinem Ar-
beitgeber über die Möglichkeit unterhalten wird, den
Wehrdienst so oder so abzuleisten. Beide werden dann das
für sie Vernünftige von der Bundeswehr abfordern, die an-
schließend darüber zu entscheiden hat, ob es dienstlich
möglich ist, der Forderung nachzukommen. Eine pau-
schale Kritik an dieser Neuregelung, wie sie bei den Be-
ratungen und gelegentlich auch bei der Bundeswehr selbst
geäußert wurde, übersieht, dass der Bedarf der Streitkräfte
den absoluten Vorrang behält.
Die bisherige Härtefallregelung in diesem Zusammen-
hang sowie die Möglichkeit eines zusätzlichen freiwilli-
gen Wehrdienstes bis zu einer Gesamtdauer von 23 Mo-
naten bleiben von der Neuregelung unberührt. Darüber
hinaus wird wegen der erhöhten Anforderungen an die
Wehrpflichtigen der Verwendungsgrad T 7, der überwie-
gend nur Beschäftigung im Innendienst ermöglichte, ge-
strichen.
Mit der Verkürzung der Wehrdienstdauer wird auch die
Dauer des Zivildienstes von elf auf zehn Monate verkürzt
sowie die Mindestverpflichtungszeit für Helfer im Zivil-
und Katastrophenschutz als Voraussetzung für eine Nicht-
heranziehung zum Wehrdienst angepasst.
Der Kollege Nachtwei hat darauf bestanden, dass wir
eine Willenserklärung abgeben, den Wehrpflichtigen kei-
nen Einsatzbefehl für Auslandseinsätze zu erteilen. Dem
stimmen wir zu; es gibt keinen Zweifel, dass wir daran
festhalten wollen.
Weitere wesentliche Änderungen betreffen das Solda-
tengesetz. Hier findet zunächst eine Neuregelung für
wehrdienstbeschädigte Soldaten statt. Dadurch wird es
ermöglicht, solche Soldaten, die ohne grobes Verschulden
eine Wehrdienstbeschädigung erlitten haben und bei de-
nen dadurch begründete Zweifel an der Dienstfähigkeit
bestehen, so zu behandeln, dass sie keinen status- und
dienstrechtlichen Nachteil erleiden. Diese Neuregelung
ist auf Erfahrungen aus den Auslandseinsätzen der Bun-
deswehr zurückzuführen. Ein Zwang zum Verbleib in der
Bundeswehr besteht aber für diese wehrdienstbe-
schädigten Soldaten nicht. Entscheidend ist, dass ein sol-
cher Soldat in geeigneter alternativer Verwendung bei der
Bundeswehr bleiben kann, wenn er dies wünscht.
Ein weiterer wichtiger Teil des Neuausrichtungsgesetzes
ist die Neuordnung der Soldatenlaufbahnen. Damit wird
ein breites Spektrum an Einstiegs-, Wechsel- und Aufstiegs-
optionen eröffnet werden, um die Grundlage für eine bes-
sere Deckung des Personalbedarfs zu schaffen. So werden
unter anderem die lange geforderte so genannte Feldwebel-
laufbahn und eine Fachunteroffizierslaufbahn eingeführt.
Der dritte und letzte große Bereich betrifft die Schaffung
eines Personalanpassungsgesetzes. Das bis Ende 1994 gül-
tige Personalstärkegesetz konnte nicht alle überbesetzten
Jahrgänge erfassen. Bereits damals vorhandene Unwuchten,
bei denen das Personalstärkegesetz nicht gegriffen hat, prä-
gen nach wie vor die Personalstruktur. Insofern ist es
natürlich nicht redlich, davon zu sprechen, das habe diese
Regierung zu verantworten. Nein, Sie haben damals, 1994,
Schluss gemacht. Wir wollen gar nicht nachkarten, warum
dann nicht nachgebessert worden ist. Jetzt sind wir dabei,
den aus der damaligen Zeit verbliebenen Rest aufzuarbeiten.
Ohne gesetzliche Maßnahmen ist ein Abbau dieser
Überhänge erst in 25 Jahren erreichbar. Bei dieser Gele-
genheit will ich diejenigen im Lande, die mit einem Un-
terton von Missgunst kritisieren, dass es den goldenen
Handschlag nur bei den Soldaten gebe, fragen: Welche
politische Entscheidung sollen wir denn treffen? Sollen
wir Menschen, die in ihrer Funktion nicht mehr benötigt
werden, weiter voll besolden oder sollen wir sie mit dem
so genannten goldenen Handschlag nach Hause schicken,
damit wir eine gesunde Personalstruktur bekommen? Ich
bin dafür, Letzteres zu tun.
Im Übrigen haben Sie das auch getan. Darüber sind wir
uns im Grunde einig.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.
Frau Präsidentin, erlauben Sie mir,
noch zwei Hinweise zu geben, die noch nicht angespro-
chen wurden. Wir haben hinsichtlich der Frühpensionie-
rung von Beamten überlegt, in welcher Weise wir helfen
können. Unser Ziel ist es, die Versorgungsbezüge bei In-
anspruchnahme der Altersteilzeitregelung von 83 Prozent
auf 88 Prozent anzuheben. Wir sind dabei auf einem guten
Weg. In diesem Gesetz ist das noch nicht geregelt, aber
dies wird in dem zur Beratung anstehenden Besoldungs-
strukturgesetz geschehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Palis,
jetzt muss ich Sie wirklich ausbremsen.
Ich bedanke mich für die Nachsicht,
Frau Präsidentin.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Kurt Palis
19566
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner ist
der Kollege Meinrad Belle für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und meine Herren! Die Kolleginnen und Kollegen
des Innenausschusses wissen, dass ich den Kollegen
Hans-Peter Kemper sehr schätze. Er musste gestern bei
der Sachverständigenanhörung zum Entwurf des Versor-
gungsänderungsgesetzes sehr frustrierende Erfahrungen
machen. Dieser Gesetzentwurf erfuhr durch die Sachver-
ständigen einen Totalverriss. Angesichts dieser Erfahrun-
gen gönne ich ihm gern die freudige Erregung bei der Dar-
stellung der positiven Punkte dieses Gesetzes, denn er soll
einen guten Einstieg ins Wochenende haben.
Ich spreche zu den dienst- und besoldungsrechtlichen
Vorschriften im Sechsten Besoldungsänderungsgesetz.
Ich werde mich dabei auf einige wesentliche Punkte der
Begründung unseres zur zweiten Lesung eingebrachten
Änderungsantrages beschränken.
Trotz der begrüßenswerten Verbesserung, vor allem für
die Soldaten, hat die Bundesregierung mit ihrem Gesetz-
entwurf die Chance vertan, bereits seit längerer Zeit anste-
hende Verbesserungen besoldungsrechtlicher Vorschriften
zu realisieren. Die von uns im Innenausschuss vorgelegten
Anträge hat die Koalition am Mittwoch abgelehnt. Beson-
ders schmerzlich ist dies natürlich für die unteren Besol-
dungsgruppen. So haben SPD und Grüne im Innen-
ausschuss trotz der in diesem Gesetz vorgesehenen
AbschaffungderBesoldungsgruppenA 1undA 2gegendie
Anhebung des Eingangsamtes für Justizwachtmeister
von der BesoldungsgruppeA3 aufA4 gestimmt. Hier geht
es um die Anhebung des Eingangsgrundgehaltes von
2 814 DM auf 2 878 DM.
Doch selbst diese bescheidene Verbesserung für die nied-
rigsten Besoldungsgruppen wollten die Fraktionen der
Regierungskoalition nicht mittragen.
Wir sind aber der Meinung, dass bei Änderungen be-
soldungsrechtlicher Vorschriften grundsätzlich eine aus-
gewogene Gesamtlösung notwendig ist, die das Besol-
dungsgefüge im Lot hält. Soweit im höheren Dienst
Ungleichheiten entstanden sind, sollten diese ausgeräumt
werden und nicht wegen der üblichen Neidkampagne un-
berücksichtigt bleiben.
Wir haben uns daher entschlossen, unseren Antrag zur
zweiten Lesung nochmals einzubringen. Wir wollen im
Einzelnen entsprechend dem Beschluss der 70. Justizmi-
nisterkonferenz von 1999 das Eingangsamt für den Justiz-
wachtmeisterdienst von A 3 auf A 4 anheben, da die Be-
soldung aus dem bisherigen Eingangsamt wirklich nicht
mehr funktions- und leistungsgerecht ist.
Ebenfalls wollen wir die so genannte Gitterzulage in
eine allgemeine Justizwachtmeisterzulage als Vorführ-
zulage umwandeln. Beamte, die bei Gerichten und
Staatsanwaltschaften überwiegend für die Bewachung
und Vorführung von Gefangenen eingesetzt sind, sollen
diese Stellenzulage erhalten.
Wir wollen die Ämterzuordnung bei der Bundesanstalt
für Arbeit verbessern und zum Teil die Amtsbezeichnun-
gen ändern.
Nachdem wir gerade in der letzten Dienstrechts- und
Versorgungsrechtsreform gemeinsam das Zulagen-
dickicht durchforstet haben, Herr Staatssekretär Körper,
halten wir die Schaffung neuer Sonderzuschläge zur Si-
cherung der Funktions- und Wettbewerbsfähigkeit für
nicht erforderlich, da bereits jetzt § 72 des Bundesbesol-
dungsgesetzes in seiner derzeitigen Fassung die Möglich-
keit eröffnet, flexibel, ganzheitlich und schnell auf
Schwankungen im Angebots- und Nachfragebereich zu
reagieren.
Insbesondere wollen wir bei diesem Gesetzentwurf die
Gelegenheit nutzen, das Beamtenrecht familienfreundlich
fortzuentwickeln. Die Entscheidung des Bundesverfas-
sungsgerichts zum Familienzuschlag für das dritte Kind
und für weitere Kinder wurde auf unsere Initiative mit
Art. 5 des Gesetzes zur Neuordnung der Versorgungsab-
schläge umgesetzt, allerdings nur vorläufig für das
Jahr 2001. Wir haben daher im Innenausschuss den An-
trag auf dynamische Absicherung und Fortführung ab
1. Januar 2002 eingebracht. Diesen Antrag hat die Koali-
tion abgelehnt. Durch die danach erfolgte wortgleiche
Übernahme unseres zuerst gestellten Antrages man höre
und staune! wurde dann zwar das Problem der Fort-
führung des Familienzuschlages gelöst; aber in Ihrem Be-
schluss fehlt der Gesichtspunkt der dynamischen Absi-
cherung. Darum bringen wir diesen Antrag nochmals ein.
Die Sonderurlaubsverordnung sieht bislang nicht vor,
dass dem Ehepartner bei stationärer Geburt eines weiteren
Kindes Sonderurlaub für die Wahrnehmung der Auf-
sichtspflicht für die daheim gebliebenen eigenen min-
derjährigen Kinder gewährt wird. Insbesondere Soldaten,
diesichaufgrundihrerVersetzungshäufigkeitnurseltenauf
die Mithilfe in der Nähe lebender Verwandter stützen kön-
nen, würden von dieser Ergänzung der Sonderurlaubsver-
ordnung profitieren. Wir wollen damit auch das Verfas-
sungsgebot, wonach Ehe und Familie unter dem
besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen, weiter
ausfüllen.
Wir wiederholen auch einen weiteren Antrag, den wir
bereits früher gestellt haben. Die heutige Fassung des § 72 a
des Bundesbeamtengesetzes lässt eine Beurlaubung zum
Zwecke der Kindererziehung maximal für einen Zeit-
raum von zwölf Jahren zu. Alle Frauen- und Familienver-
bände weisen darauf hin, dass dies keine optimale Voraus-
setzung für die bessere Vereinbarkeit von Familie und
Beruf ist, weil die Erziehungszeiten in einer entscheiden-
den Phase der Kindererziehung, nämlich im zwölften Le-
bensjahr des Kindes, abgebrochen werden müssen. Der
Zeitraum sollte daher bis zur Volljährigkeit des Kindes aus-
gedehnt werden. Außerdem sollte eine Unterbrechung die-
ser Elternzeit ermöglicht werden, damit sich die Eltern in
der Kindererziehung abwechseln können.
Im Einvernehmen mit den Kollegen aus dem Verteidi-
gungsbereich stellen wir den Antrag auf Erhöhung des
Wehrsolds um 1 DM pro Tag sowie auf Erhöhung des
Mobilitätszuschlages von jeweils 1 DM in den drei
Entfernungskategorien. Hierzu ist festzustellen, dass der
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001 19567
Verteidigungsausschuss bereits eine Erhöhung des Mobi-
litätszuschlags beschlossen hat, was wir natürlich alle be-
grüßen. Aber diese Maßnahme sollte unserer Ansicht nach
nicht isoliert in Kraft treten. Wir sind der Meinung, dass
auch Wehr- und Dienstpflichtige sowie Wehrübende an
der generellen Einkommenssteigerung beteiligt werden
müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
nutzen Sie die Gelegenheit zur weiteren sinnvollen Ver-
besserung Ihres Gesetzentwurfs dem wir heute zustim-
men werden , insbesondere was die unteren Einkom-
mensempfänger und die Familien angeht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzter Redner in die-
ser Debatte ist der Parlamentarische Staatssekretär Walter
Kolbow.
W
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Die vorliegenden Gesetzentwürfe
der Bundesregierung sind ein wichtiger Meilenstein auf
dem Weg zur Umsetzung der Reform der Bundeswehr.
Beide Gesetze legen den Grundstein zur Verbesserung der
Attraktivität und damit auch zur dringend notwendigen
Erhöhung der Einsatz- und Reaktionsbereitschaft unserer
Streitkräfte. Dies gilt auch und gerade vor dem Hinter-
grund der Herausforderungen, die sich nach den Terror-
anschlägen vom 11. September in den USA ergeben ha-
ben.
Mit dem Bundeswehrneuausrichtungsgesetz ver-
folgt die Bundesregierung einen doppelten Ansatz. Einer-
seits wirken wir der drohenden Überalterung der Streit-
kräfte entgegen. Andererseits passen wir zugleich den
Grundwehrdienst den veränderten sicherheitspolitischen
Gegebenheiten an.
Durch die vorgesehene Neuordnung der Feldwebel-
und Fachunteroffizierslaufbahnen verbessern wir die At-
traktivität des Soldatenberufs nachhaltig. Wir schöpfen
das durch die demographische Entwicklung abnehmende
Bewerberaufkommen konsequenter als bisher aus und
nehmen Rücksicht auf die unterschiedlichen Berufswün-
sche junger Frauen und Männer. Wir setzen ein klares Zei-
chen, indem endlich Schluss gemacht wird mit den von
der Vorgängerregierung hinterlassenen, der Attraktivität
des Dienens schadenden Defiziten.
Es ist wichtig, Ihnen das noch einmal vorzuhalten;
denn Ihre Desinformationspolitik draußen ist mit ursäch-
lich für Demonstrationen, die in diesem Zusammenhang
nun wirklich fehl am Platze sind.
Wir setzen Akzente. Wir gehen gegen die schlechte Be-
zahlung, die geringe Eingangsbesoldung und die Benach-
teiligung gegenüber anderen Bereichen des öffentlichen
Dienstes an. Wir schaffen zukunftssichere Arbeitsplätze
in der Bundeswehr sowie neue Laufbahnperspektiven und
Aufstiegschancen. Wer dann zur Bundeswehr kommt,
wird seine zivilberufliche Qualifikation um mindestens
eine Stufe verbessern können. Wer keinen Beruf hat, er-
hält als Zeitsoldat eine Ausbildung. Wer zum Beispiel als
Geselle einsteigt, verlässt die Bundeswehr als Meister.
Wir holen nach Kollege Kemper und andere haben
darauf hingewiesen , was im übrigen öffentlichen Dienst
schon lange Bestand hat, indem wir die Besoldungs-
gruppe A 3 als Eingangsbesoldung für den jungen Zeit-
soldaten vorsehen.
Wir stellen aber auch sicher, dass der Dienstgrad
Hauptgefreiter deutlich früher als bislang erreicht wird.
Wir bauen den Beförderungsstau zum Oberstabsfeldwe-
bel und zum Stabsfeldwebel durch rund 750 neue oder zu-
sätzliche Planstellen ab. Ferner sorgen wir dafür, dass 634
Stellen für Stabsfeldwebel als echte Dienstposten gesetzt
werden. Wir erhöhen den Anteil der Spitzenämter für Of-
fiziere des militärfachlichen Dienstes. Wir erhöhen die
Besoldung aller Kompaniechefs auf mindestens Besol-
dungsgruppe A 12. Ferner erhöhen wir den Anteil der
Stabsoffiziere um 825 zusätzliche Stellen.
Entgegen Ihren Erwartungen, meine Damen und Her-
ren von der Opposition, ist der Auftritt des Bundesminis-
ters der Verteidigung auf der Versammlung des Bundes-
wehr-Verbandes mit großem Beifall bedacht worden.
Dies ist die Wirklichkeit in den Streitkräften, was auch
hinsichtlich der Personalförderung durch die Leitung des
Bundesministeriums der Verteidigung gilt.
Wir führen eine Vielzahl weiterer Maßnahmen durch,
die den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zugute
kommt. Herr Kollege Nolting, es lohnt sich schon, darauf
zu schauen, was der Tarifvertrag für die zivilen Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter bringt. Nur die persönliche Wert-
schätzung, die ich für Sie habe, hält mich von der Formu-
lierung ab, Ihre Einlassung hier zum Tarifvertrag als die
übliche Arbeitnehmerferne der Liberalen zu bezeichnen.
In der Summe, meine Damen und Herren, investieren
wir in das Personal der Bundeswehr weit mehr, als es je-
mals im zurückliegenden Jahrzehnt unter der Vorgänger-
regierung der Fall war. Wir machen auch Ernst mit dem
zwingend notwendigen Personalabbau. Kollege Palis
ich darf mich ausdrücklich darauf beziehen hat darauf
hingewiesen. Und ich bitte sehr, Kollege Siemann, mitzu-
helfen, hier etwas zu tun, was dringend notwendig ist,
um die Bundeswehrstruktur kleiner, schlanker und effizi-
enter ausgestalten zu können auf das, was wir auch von
den Einsätzen her brauchen, die wir von der Politik her
den Soldaten auftragen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Meinrad Belle
19568
Da wäre es besser, wenn Sie sich nicht selbst wider-
sprechen, weil Sie Kollege Nolting hat fairerweise da-
rauf hingewiesen 1994 selbst diese Instrumente benutzt
haben. Es wäre besser, Sie würden mithelfen, auch die Öf-
fentlichkeit davon zu überzeugen, dass dies gerade für die
Bundeswehr notwendig ist, und nicht populistisch auch
noch Öl in ein Feuer der öffentlichen Diskussion gegen
Soldatinnen und Soldaten gießen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zeitgleich
mit dem tiefgreifenden Wandel befindet sich die Bundes-
wehr im Einsatz. Das Risiko, dass nicht alle Soldatinnen
und Soldaten wohlbehalten zurückkehren, wird größer.
Die Bundesregierung hat daher Regelungen entwickelt,
die sicherstellen, dass Soldatinnen und Soldaten, die im
Auslandseinsatz wehrdienstbeschädigt werden, nicht
mehr wegen Dienstunfähigkeit entlassen werden, son-
dern als Soldat weiterbeschäftigt werden können. Mit die-
ser Regelung schließen wir eine Lücke für diejenigen, die
im Einsatz für unser Land geschädigt werden. Diejenigen,
die in den Einsatz gehen, müssen wissen, dass sie von der
politischen und militärischen Führung bei schweren Ver-
wundungen oder Schädigungen nicht im Stich gelassen
werden. Sie haben Anspruch auf eine bessere Fürsorge.
Ich denke, dass gerade hier das Hohe Haus besonders en-
gagiert zustimmen kann.
Ich denke in dieser Stunde mit Bewegung an unseren
Oberstabsarzt Dieter Eising, der in Georgien, in einem
UN-Hubschrauber im Einsatz befindlich, abgeschossen
worden und zu Tode gekommen ist.
In diesem Zusammenhang sollte die Fürsorge, die in
den beiden Gesetzen für die Streitkräfte zum Ausdruck
kommt, auch den Deutschen Bundestag, Sie, meine Da-
men und Herren, zur Zustimmung zu diesem Gesetz brin-
gen; denn unsere Soldatinnen und Soldaten gewährleisten
unsere äußere Sicherheit gerade in diesen schweren Ta-
gen. Sie verteidigen Frieden, Freiheit, Demokratie und
Menschenwürde, Werte, die wir seit Jahrzehnten gemein-
sam im deutschen Parlament hochhalten und die uns über
Parteigrenzen hinweg verbinden.
Deswegen sind zu diesen Verbesserungen auch breite
Zustimmungen notwendig. Springen Sie hier über Ihren
Schatten, den Sie selbst in Ihrer Regierungszeit nicht
überspringen konnten!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuaus-
richtung der Bundeswehr in der Ausschussfassung,
Drucksachen 14/6881, 14/7089 und 14/7235. Hierzu liegt
ein Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst ab-
stimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf
Drucksache 14/7372? Wer stimmt dagegen? Enthal-
tungen? Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen
von CDU/CSU und PDS bei Enthaltung der FDP ange-
nommen.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung mit der soeben beschlossenen Ände-
rung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer
stimmt dagegen? Wer enthält sich? Der Gesetzentwurf
ist in zweiter Beratung gegen die Stimmen von CDU/CSU
und PDS bei Enthaltung der FDP angenommen.
Interfraktionell ist vereinbart, trotz Annahme eines Än-
derungsantrages in zweiter Beratung jetzt unmittelbar in
die dritte Beratung einzutreten. Ich sehe, Sie sind damit
einverstanden.
Deshalb rufe ich jetzt auf die
dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer
stimmt dagegen? Wer enthält sich? Der Gesetzentwurf
ist gegen die Stimmen von CDU/CSU und PDS bei Ent-
haltung der FDP angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
besoldungsrechtlicher Vorschriften, Drucksachen 14/7097
und 14/7352. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1
seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung anzunehmen.
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer
stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/
CSU auf Drucksache 14/7382? Wer stimmt dagegen?
Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist gegen die Stim-
men der CDU/CSU bei Enthaltung der FDP abgelehnt.
Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die
Stimmen der PDS-Fraktion bei Enthaltung der FDP-Frak-
tion angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer
stimmt dagegen? Enthaltungen? Der Gesetzentwurf
ist damit gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei Ent-
haltung der FDP-Fraktion angenommen.
Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 14/7352 die An-
nahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? Gegenprobe! Enthaltungen?
Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung von CDU/
CSU-, FDP- und PDS-Fraktion angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a und b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Parl. Staatssekretär Walter Kolbow
19569
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Re-
form des Risikostrukturausgleichs in der gesetzli-
chen Krankenversicherung
Drucksache 14/6432
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Reform des Risikostrukturausgleichs in der
gesetzlichen Krankenversicherung
Drucksachen 14/7123, 14/7168
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit
Drucksache 14/7355, 14/7395
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Martin Pfaff
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
regierung
Bericht der Bundesregierung über die Untersu-
chung zu den Wirkungen des Risikostruktur-
ausgleichs in der gesetzlichen Krankenversi-
cherung
Drucksachen 14/5681, 14/7395
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Martin Pfaff
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich ver-
weise aber gleich darauf, dass die Kolleginnen Katrin
Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen, und Dr. Ruth
Fuchs, PDS, ihre Reden bereits zu Protokoll gegeben ha-
ben.1)
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die SPD-
Fraktion ist der Kollege Martin Pfaff.
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Mit der heutigen zweiten und
dritten Lesung des Gesetzes zur Reform des Risikostruk-
turausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung
wird eine weitere Teilstrecke eines langen Weges zurück-
gelegt. Dieser Weg begann in Lahnstein, führte über die
verschiedenen Maßnahmen im Rahmen des Gesund-
heitsstrukturgesetzes und zur Stärkung der Finanzkraft
der Kassen im Osten sowie ein Höhepunkt bisher zum
Niederreißen der Sozialmauer zwischen West und Ost
und schließlich zur Einführung des gesamtdeutschen Ri-
sikostrukturausgleichs. Vor allem die Kolleginnen und
Kollegen aus Teilen der Opposition erinnere ich daran:
Wir haben diesen Weg gemeinsam begonnen und sind ge-
meinsam verantwortlich für Richtung und Route, also
verantwortlich nicht nur für die Chancen, sondern auch
für die Hindernisse, die sich auf diesem Weg aufgetan ha-
ben.
Wenn Teile der Opposition heute ihre Verantwortung
für die Entwicklung des Risikostrukturausgleichs hintan-
stellen und mit vorgeschobenen Argumenten dagegen
vorgehen offensichtlich, um parteipolitisches Kapital
daraus zu schlagen , dann habe ich dafür kein Verständ-
nis. Ich finde das eher traurig.
Auch Sie sollten nicht vergessen: Der Risikostrukturaus-
gleich ist ein Herzstück der gesetzlichen Krankenversi-
cherung und somit der sozialen Marktwirtschaft.
Diese erzielt bekanntlich ihre Erfolge durch eine Kombi-
nation aus Wettbewerb im wirtschaftlichen Bereich und
individueller Sicherheit im sozialen Bereich. Die letzten
Jahrzehnte haben doch hinlänglich nicht nur bewiesen,
dass freie Menschen produktiver sind als Sklaven, son-
dern auch, dass Menschen, die in Sicherheit leben, eben-
falls produktiver sind und zudem ein besseres Leben
führen können als solche, die nicht abgesichert sind. Dies
gilt in ganz besonderer Weise für Krankheit, Behinderung
und Pflegebedürftigkeit.
Auch sollten Sie nicht vergessen, dass der Wettbewerb
an sich kein konstitutives Prinzip einer sozialen Kranken-
versicherung ist. Er war die zwingende Konsequenz der
Ausweitung der Wahlfreiheit. Es wurde nämlich endlich
das Ziel realisiert, dass Arbeiter die gleichen Wahlrechte
haben sollten wie Angestellte. Das war die gesellschafts-
politische Zielsetzung in Lahnstein.
Die so genannte solidarische Wettbewerbsordnung der
GKV kann nur funktionieren, wenn die Faktoren neutra-
lisiert werden, die die einzelne Kasse mit eigener Kraft
zumindest kurzfristig nicht beeinflussen kann: Alter, Ge-
schlecht, Zahl der Mitversicherten und Ähnliches. Das
sind doch keine Wettbewerbsparameter. Nur wenn diese
neutralisiert werden könnten, könnte der Wettbewerb ein
Instrument dahin gehend sein, Effizienz und Innovationen
zu fördern.
Um dies zu erreichen, ist eine solidarische Verteilung
der Risikobelastung zwischen den gesetzlichen Kranken-
kassen erforderlich. Nichts anderes wird mit dem Risiko-
strukturausgleich angestrebt. Deshalb ist er eine un-
verzichtbare, ja dauerhafte Voraussetzung für den Wett-
bewerb der Kassen in einer solidarisch finanzierten GKV.
Auch dies haben Teile der Opposition mittlerweile ver-
gessen. In Lahnstein waren wir uns noch einig: Wettbe-
werb um gute Risiken, Wettbewerb, der aus Rosinen-
picken besteht und sich darin erschöpft, sich auf Junge
und Gesunde zu konzentrieren, weil die Kassen dann ge-
ringere Kosten haben und die Zuweisungen im Rahmen
des Risikostrukturausgleichs höher sind als die tat-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Vizepräsidentin Petra Bläss
19570
1) Anlage 8
sächlichen Kosten, was zu einer Subventionierung der
Beiträge führt, bringt kein Quäntchen an Wirtschaftlich-
keit und kein Quäntchen an Innovationen. Auch deshalb
ist eine Reform des Risikostrukturausgleiches notwendig.
Die Sachverständigen haben dies in ihren Gutachten
belegt: Erstens. Sie sagen eindeutig, dass sich der Risiko-
strukturausgleich grundsätzlich bewährt hat. Ich habe mit
Freude festgestellt, dass dies die CDU/CSU trotz aller
Kritik an diesem Gesetzentwurf bekräftigt hat. Das war
leider nicht immer so. Bei Ihnen, Herr Wolf, mit Ihren Er-
fahrungen im Krankenkassenwesen würde ich das als
selbstverständlich voraussetzen.
Der Risikostrukturausgleich hat sich also bewährt.
Ohne ihn würde jetzt die Beitragssatzspanne zwischen
man höre und staune 7,5 und 20,7 Prozent liegen. Man
muss sich einmal vorstellen, was dies bedeutet: den Zu-
sammenbruch des bewährten Systems. Wenn wir in Lahn-
stein nicht gehandelt hätten, gäbe es die gesetzliche Kran-
kenversicherung in der heutigen Form nicht mehr. Wir
wären in einer anderen Welt. Das darf man nicht ver-
gessen.
Zweitens. Es gibt weiterhin Anreize für Krankenkassen
auch das sagen die Gutachter zu Recht , eine Risiko-
selektion zu betreiben. Wir wollten das nicht. Liebe Kol-
leginnen und Kollegen von der Opposition, wenn sich die
Kassen so verhalten hätten, wie wir das eigentlich durch
den Kontrahierungszwang auf Deutsch: jede Kasse
muss jeden Bewerber aufnehmen festgelegt haben, dann
bräuchten wir dieses Gesetz nicht. Das haben sie aber
nicht getan. Sie haben vielmehr eine Lücke entdeckt.
Morbiditäts- bzw. Krankheitsunterschiede kommen eben
nicht allein durch Alter, Geschlecht, Zahl der Mitversi-
cherten und Invalidität zum Ausdruck. Dies hat dazu ge-
führt, dass in den letzten Jahren, nachdem sich die
Beiträge einander angenähert hatten, eine Risikoent-
mischung stattgefunden hat und dass Wettbewerbsver-
werfungen aufgetreten sind. Im jetzigen RSA gibt es nicht
genug Anreize, dies zu ändern.
Ich frage Sie: Halten Sie es denn für richtig, dass die
gezielte Anwendung der Strategie der Risikoselektion be-
lohnt wird, da für Gesunde mehr zugewiesen wird, als es
den Kosten entspricht, die durch Gesunde tatsächlich ent-
stehen? Halten Sie es denn für richtig, dass im Rahmen
des jetzigen Risikostrukturausgleiches die virtuellen
Krankenkassen, die sich strategisch verhalten, für Ge-
sunde mehr zugewiesen bekommen, als sie für sie brau-
chen, während andere für Kranke weniger zugewiesen be-
kommen, als es den Kosten entspricht, die durch Kranke
tatsächlich entstehen? Man braucht kein Statistiker, kein
Mathematiker und nicht einmal Gesundheitspolitiker zu
sein; der einfache Menschenverstand müsste einem doch
sagen, dass das nicht weiter angeht und eine Reform drin-
gend notwendig ist.
Wir wissen, dass Vergleiche immer hinken, vielleicht
auch meiner. Ich will ihn dennoch bringen: Stellen Sie
sich vor, die Gründungen von virtuellen Betriebskranken-
kassen wirkten ähnlich wie ein Krebsgeschwür im Orga-
nismus der sozialen Krankenversicherungen. Dieses Ge-
schwür entzieht dem Umfeld immer mehr Ressourcen,
schwächt den Organismus, führt zu einem beschleunigten
Wachstum des Krebses und zu immer mehr Metastasen.
Am Ende geht der Organismus zugrunde. Aber der Krebs
tritt nicht als neues System an die Stelle des Organismus.
Was passiert, ist der Zusammenbruch des gesamten Sys-
tems. Dann bekommen Sie wirklich die Einheitskasse, die
Sie in keiner Weise haben wollen
und wir auch nicht. Das sind die Konsequenzen, wenn
heute nichts geschieht. Das sollten Sie erkennen.
Die Ziele dieses Reformgesetzes sind eindeutig:
Erstens. Wir wollen die Anreize zur Risikoselektion
weiter mindern. Wir wollen sie zumindest mittelfristig be-
seitigen.
Zweitens. Wir wollen die Versorgungsqualität bei
chronisch Kranken verbessern.
Dies ist etwas, was die Gutachtergruppen besonders her-
vorgehoben haben. Ich nutze die Gelegenheit, um den
Gutachtergruppen IGES/Wasem/Cassel, aber auch Lau-
terbach/Wille an dieser Stelle für die konstruktiven Anre-
gungen herzlich zu danken, die sie zur Reform des Risi-
kostrukturausgleichs gemacht haben.
Die wichtigsten Instrumente haben wir bei der ersten
Lesung schon angesprochen. Es geht um einen morbi-
ditätsorientierten Risikostrukturausgleich ab 2007.
Dann werden nämlich die Beträge, die für die Gesunden
und die Kranken zugewiesen werden, stimmen. Zum ei-
nen wird keine Subventionierung der Kassen mit vielen
Gesunden und keine Bestrafung der Kassen mit vielen
kranken und älteren Menschen erfolgen. Zum anderen
werden die strukturierten Behandlungsprogramme für
chronisch Kranke den Wettbewerb auf eine ganz neue
Ebene lenken. Es werden höhere standardisierte Ausga-
ben für diese chronisch Kranken in Programmen, die be-
wertet sind und deren Qualität gesichert ist, zugelassen.
Die gute Botschaft diese muss man den Menschen in
Deutschland, vor allem den älteren und kranken Men-
schen verkünden des heutigen Tages ist: In Zukunft wis-
sen sie, dass das Interesse der Krankenkassen nicht nur
den Gesunden gilt. Sie wissen, dass die Krankenkassen
ein Interesse daran haben, etwas für chronisch Kranke zu
tun, dass die Patienten freiwillig mitmachen können sie
müssen es nicht , dass die Programme insbesondere für
chronisch kranke Menschen qualitätsgesichert sind, dass
sie sorgfältig geprüft sind, dass sie bundeseinheitlich zu-
gelassen worden sind.
Das ist auch für die Familienangehörigen eine gute
Botschaft. Sie müssen sich weniger Sorgen um ihre
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Dr. Martin Pfaff
19571
chronisch kranken Familienmitglieder machen. Sie wis-
sen, dass sie im Alter oder im Falle einer Krankheit aus
solchen Programmen Nutzen ziehen können. Dies ist
wirklich eine Entwicklung, die wir alle gemeinsam be-
grüßen sollten. Dies ist ein Wendepunkt in der
Gesundheitspolitik. Umso unverständlicher ist die Reak-
tion von Teilen dieses Hauses.
Durch solche Programme werden die Prävention ge-
stärkt und die Behandlung von Krankheiten gezielt ver-
bessert. Den integrierten Versorgungsformen werden jetzt
Anreize gegeben, damit sie gerade für chronisch Kranke
umfangreicher durchgeführt werden. Ich sage noch ein-
mal: Internationale Erfahrungen zeigen, dass dies der
richtige Weg ist.
Ich komme zum Risikopool. Gegen ihn sind Teile der
Opposition, aber Ihre Variante, nämlich einen Hochrisiko-
pool, kritisieren sie nicht. Er soll keine Ausgabe-
wirkungen zeitigen, aber derjenige, den wir vorschlagen,
sehr wohl. Hier geht es nur um geringe Unterschiede. Das
zeigt die Unlogik dieser Vorgehensweise. Man könnte,
sollte und müsste wirklich einmal die Liste der Kritik-
punkte an Ihrer Haltung fortsetzen. Ich will das nicht tun.
Ich will die positiven Elemente betonen.
Ich sage noch einmal abschließend: Hier und heute
geht es nicht um ein Gesetz unter vielen anderen, sondern
um ein besonderes Gesetz in der Reihe der Gesetze, die
wir zur Gesundheitspolitik beschließen. Es geht das
sage ich noch einmal um ein Herzstück des Sozialstaa-
tes. Letztlich geht es um die Frage, ob Solidarität und
Wettbewerb in einer sozialen Krankenversicherung in
Deutschland eine Zukunft haben werden. Das ist die Zu-
kunftsfrage, die heute beantwortet wird. Letztlich geht es
auch um die Zukunft des gegliederten Systems; denn der
andere Weg, den ich angesprochen habe, führt zum
Zusammenbruch dieses Systems.
Wie lange kann die Entsolidarisierung auf der einen
Seite Kassen mit niedrigen Beiträgen für Gesunde und auf
der anderen Seite Kassen mit hohen Beiträgen für
Kranke noch anhalten, bevor das System zusammen-
bricht? Deshalb stabilisieren wir das ist eine der beab-
sichtigten Wirkungen mit unserem Gesetz das geglie-
derte System mit seiner Vielfalt, die wir alle begrüßen.
Zum Schluss doch noch einen Appell: Ich bitte Sie von
der Opposition, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen,
auch wenn es Ihnen wenn es so ist, finde ich es traurig
noch so schwer fallen sollte. Ich hoffe, dass zumindest im
Bundesrat höhere Einsicht einkehrt; denn das vorliegende
Gesetz geht uns alle an und setzt den Weg fort, den wir alle
gemeinsam begonnen haben. Das ist eine Reform, die
normalerweise keine große Diskussion erforderlich ma-
chen würde. Wir haben gemeinsam Verantwortung auch
für die Verbesserung des Gesundheitswesens. Dieser Ver-
antwortung sollten sich alle in diesem Hause stellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der nächste Redner ist
der Kollege Aribert Wolf für die CDU/CSU-Fraktion.
Was machen Sie dann?
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Entgegen dem Eindruck, den der Kollege Pfaff zu er-
wecken versucht hat, erkennen auch wir, dass es Probleme
und Fehlentwicklungen in der gesetzlichen Krankenversi-
cherung gibt. Auch für uns ist es eine unstreitige Tatsache,
dass es Fehlentwicklungen im Wettbewerb der Kranken-
kassen, insbesondere zwischen den großen Versorgerkas-
sen und den Betriebskrankenkassen, gibt. Deswegen tre-
ten auch wir vehement für Korrekturen ein.
Die Frage ist aber, ob mit dem Gesetz, das die rot-grüne
Koalition heute zur Abstimmung vorgelegt hat, die ge-
wünschten Korrekturen erreicht werden können oder
nicht. Ich sage Ihnen: Sie werden mit Ihrem Gesetz keine
Verbesserungen erreichen. Im Gegenteil: Sie werden mit
Ihrem Gesetz, das Sie dank Ihrer Mehrheit heute
verabschieden werden, noch größere finanzielle, organi-
satorische und qualitative Probleme im Gesundheitswe-
sen heraufbeschwören, als Sie dies in den vergangenen
Jahren ohnehin schon getan haben.
Herr Kollege Pfaff, das bestreiten Sie jetzt natürlich.
Das Spiel kennen wir schon denn Sie haben es schon öf-
ter gespielt : Sie verheißen der Bevölkerung eine wun-
derbare, heile Welt und schieben alle berechtigten War-
nungen der Kritiker beiseite. Hinterher müssen Sie
kleinlaut feststellen, dass die Kritiker Recht behalten ha-
ben. So wird es auch diesmal sein; denn dieses rot-grüne
Gesetz hat einige schwere Geburts- und Konstruktions-
fehler.
Der gravierendste ist bereits Ihre Eingangsthese. Sie
glauben, allein mit einer Reform des Risikostrukturaus-
gleichs gleich zwei Probleme lösen zu können, nämlich
erstens die Zahl der Versorgungs- und Qualitätsde-
fizite insbesondere bei der Versorgung chronisch Kranker
reduzieren zu können und zweitens die Entsolidari-
sierungstendenzen weg von den großen Versorger-
kassen hin zu den so genannten virtuellen BKKs in den
Griff bekommen zu können. Fast alle Experten das müs-
sen Sie doch anerkennen sind sich einig, dass die Ursa-
chen für diese beiden Fehlentwicklungen eben nicht im
Risikostrukturausgleich liegen. Die Ursache das sage
ich Ihnen liegt vielmehr darin, dass Sie von der SPD sich
seit der letzten Bundestagswahl von der ursprünglich ge-
meinsamen Linie von Lahnstein wegbewegt haben.
1992, als der Risikostrukturausgleich mit Ihrer Zu-
stimmung eingeführt wurde, waren wir von CDU, CSU
und FDP zusammen mit der SPD uns noch in drei Punk-
ten einig: Erstens. Der Wettbewerb sollte eine zentrale
Steuerungsfunktion im Gesundheitswesen übernehmen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Dr. Martin Pfaff
19572
Zweitens. Um den Wettbewerb zwischen den Kranken-
kassen zu ermöglichen so sah es unser damaliges Gesetz
vor , sollte ein Finanzausgleich, also der Risikostruktur-
ausgleich, zwischen den Krankenkassen geschaffen wer-
den, damit der Beitragssatz einer Krankenkasse Ausdruck
der Wirtschaftlichkeit und nicht das Ergebnis einer mehr
oder weniger erfolgreichen Risikoselektion ist.
Drittens. Es war bereits damals klar auch das war ge-
meinsame Position , dass sowohl der Wettbewerb als
auch der Risikostrukturausgleich einige Zeit nach den ers-
ten praktischen Erfahrungen weiterentwickelt werden
muss und der Gesetzgeber neue Reformschritte auf den
Weg bringen muss. Damals hat Herr Seehofer dem Sach-
verständigenrat einen entsprechenden Gutachterauftrag
erteilt. Es sollte geprüft werden, wie der Risikostruktur-
ausgleich weiterentwickelt werden kann.
Dann aber haben Sie die Regierung übernommen. Von
da an ging es eigentlich bergab. Sie wollten in der Ge-
sundheitspolitik neue Wege gehen. Das haben Sie auch
getan. Sie haben als Erstes die wettbewerbliche Weiter-
entwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung, die
von Horst Seehofer und der unionsgeführten Bundesre-
gierung bereits beschlossen worden war und schon im Ge-
setzblatt stand zugegeben, es war spärlich formuliert,
weil damals Lafontaine durch seine Blockade im Bundes-
rat weiter gehende Maßnahmen schon im Vorfeld verhin-
dert hat , zurückgenommen.
Als Zweites haben Sie den Gutachtenauftrag von
Seehofer an den Sachverständigenrat zur Weiterentwick-
lung des Risikostrukturausgleichs zurückgenommen.
Dann haben Sie gesehen, dass Sie nicht weiterkommen,
und haben den Auftrag wieder auf den Weg gebracht. Auf
diese Art und Weise haben Sie wertvolle Zeit verloren.
Genau dieses Verhalten rein in die Kartoffeln, raus aus
den Kartoffeln war doch die Ursache dafür, dass wir Ver-
werfungen in der Risikostruktur und Versorgungsdefizite
bei den deutschen Krankenkassen haben.
Lesen Sie einmal nach haben Sie doch die Kraft, jen-
seits des parteipolitischen Hickhacks und der parteipoli-
tischen Auseinandersetzung , was Ihre eigenen Gutach-
ter, Sachverständigen und Experten, die Sie sogar selber
beauftragt haben, zu diesem Problem schreiben.
Sie haben es offensichtlich nicht gemacht, denn sonst
hätten Sie gelesen, dass alle Experten in zwei Punkten
übereinstimmen.
Die Experten haben gesagt, die Erfahrungen seit der
Einführung des Risikostrukturausgleichs hätten gezeigt,
dass dieser seine Aufgaben grundsätzlich erfüllt habe.
Als Zweites zitiere ich Ihren Gutachter, Professor Wa-
sem:
Das Ausgleichsinstrumentarium Risikostrukturaus-
gleich darf nicht überfrachtet werden, zumal eine
Reihe von Wettbewerbsproblemen erkennbar auf Ur-
sachen zurückzuführen sind, die nicht unmittelbar
mit dem Risikostrukturausgleich zu tun haben.
Wenn die Ursachen nicht im RSA liegen, wie kann es
dann richtig sein, die Therapie beim RSA ansetzen zu
wollen?
Genau das machen Sie falsch.
Man merkt, wie Sie jetzt wieder zunehmend unruhig
werden.
In Ihrer gesundheitspolitischen Hilflosigkeit vermischen
Sie die unterschiedlichsten Dinge zu einer gefährlichen
Mixtur, zu einem ausgesprochen komplizierten Gesetz.
Ich sage Ihnen bereits heute: Sie werden damit sowohl die
weitere Finanzentwicklung der gesetzlichen Krankenver-
sicherung als auch eine qualitative Patientenversorgung
nicht verbessern, sondern gefährden.
Wie so oft steckt der Teufel im Detail. Mit Ihren so ge-
nannten Disease-Management-Programmen wollen Sie
zu einer besseren Versorgung chronisch Kranker beitra-
gen. Gegen dieses Ziel haben wir überhaupt nichts einzu-
wenden. Es ist richtig und wichtig, die mangelhafte Ver-
sorgung chronisch Kranker zu verbessern. Natürlich
müssen wir auch die großen Volkskrankheiten gezielter
bekämpfen, Herr Professor Pfaff. In diesem Punkt sind
wir uns einig.
Indem Sie Ihre Disease-Management-Programme es
gibt heute scheinbar nur noch englische Wörter für solche
Maßnahmen in den Risikostrukturausgleich einflechten
und die Kassen mit Zahlungen aus dem Risikostruktur-
ausgleich belohnen, gehen Sie einen sachlich und syste-
matisch völlig verfehlten Weg, der Sie nicht an das ge-
wünschte Ziel führen wird; das sagen Ihnen auch die
Experten und große Teile der Krankenkassen.
Der Risikostrukturausgleich ist so konstruiert, dass er
dem Ausgleich unterschiedlicher Startbedingungen der
Krankenkassen gilt, aber nicht einem Ausgabenausgleich
das Wort reden darf. Wenn Sie solche Anreizstrukturen
schaffen, indem Sie nicht dazu beitragen, eine bessere
Versorgung chronisch Kranker zu erreichen, sondern um-
gekehrt dazu beitragen, dass die Krankenkassen nicht nur
die Kosten für das Chronikerprogramm ausgeglichen er-
halten, sondern alle anfallenden Leistungsausgaben für
Versicherte, die einer solchen Disease-Management-
Gruppe zugeordnet sind, erreichen Sie etwas ganz ande-
res: Sie bewirken damit, dass zum Beispiel auch der Ski-
unfall für einen Asthmatiker ausgeglichen wird, der aber
mit Disease-Management und einer besseren Versorgung
gar nichts zu tun hat. Auch kann der Zahnersatz für einen
Diabetiker ausgeglichen werden. Außerdem nehmen Sie
noch die Verwaltungskosten und sogar noch die Kosten
von Dritten mit hinein. Damit gleichen Sie faktisch alle
Kosten aus. Deswegen prophezeie ich Ihnen: Sie werden
mit Ihrer Mehrheit dieses Gesetz durchsetzen, aber hin-
terher feststellen ähnlich wie Sie das bei der Budge-
tierung im Arzneimittelbereich festgestellt haben ,
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Aribert Wolf
19573
dass Sie dramatische ausgabentreibende Maßnahmen auf
den Weg gebracht haben.
Auch die Techniker-Krankenkasse schätzt also nicht
wir von der Opposition, sondern die Betroffenen selbst ,
dass die Etablierung und Verwaltung dieser Disease-Ma-
nagement-Programme zusätzliche Kosten in Höhe von
2,2 Milliarden DM verursachen werden; das sind keine
Peanuts. Auch im Leistungsbereich kommen weitere Mil-
liarden hinzu. Was das für den Wirtschaftsstandort
Deutschland bedeutet, liegt wohl auf der Hand.
Mit Ihrem Gesetz öffnen Sie Manipulationen Tür und
Tor. Da den Krankenkassen in den Disease-Management-
Programmen alle Kosten ausgeglichen werden, wird jede
Krankenkasse versuchen, ihre teuren Versicherten mög-
lichst schnell in solche Programme hineinzupressen und
damit diese Programme aufzublähen. Dies wiederum
wird dazu führen, dass die Versorgungsqualität bei Ver-
sicherten, die nicht in solche Programme kommen, hint-
angestellt wird.
Das werden Sie erleben. Natürlich sagen Sie heute, das
sei ein Witz. Entsprechendes haben Sie auf berechtigte
Kritik gegenüber früheren Reformgesetzen auch schon
gesagt. Sie haben aber feststellen müssen, dass die Pro-
bleme, die wir aufgezeigt haben, hinterher traurige Wirk-
lichkeit geworden sind.
Sie haben zum Beispiel auch keine Vorkehrung dafür
getroffen, dass Versicherte sogar in mehreren Disease-
Management-Programmen sind. Eine Krankenkasse kann
ja da auch manipulieren.
Sie werden also keine Verbesserung für die Patienten
erreichen, sondern werden lediglich die Kosten in die
Höhe treiben und Sie werden der Subventionsmentalität
der Krankenkassen, darauf zu schauen, möglichst viel
Geld von einer jeweils anderen Kasse zu bekommen, Vor-
schub leisten.
Der Risikostrukturausgleich hat bereits ein riesiges
Finanzvolumen, das um 8 Milliarden DM höher ist als das
Volumen des Länderfinanzausgleichs. Ich prophezeie Ih-
nen: Sie werden erleben, dass das von derzeit 26 Milliar-
den DM jährlich auf bis zu 50 Milliarden DM steigen
wird. Das können Sie erkennen das sage ich Ihnen, wenn
Sie jetzt auch lächeln , wenn Sie sich vor Augen führen,
dass allein die sieben häufigsten chronischen Krankheiten
in Deutschland heute mehr als 50 Prozent der Kosten im
Gesundheitswesen verursachen.
Natürlich haben auch Sie gemerkt, dass es wegen der
Manipulationsmöglichkeiten Probleme geben wird. Des-
wegen sind Sie auf die glorreiche Idee gekommen, dass
das Bundesversicherungsamt das alles kontrollieren und
überprüfen soll. Alle Experten wissen, dass dies nicht
funktionieren wird. Aber Sie haben keine Skrupel, hier ein
bürokratisches Monster zu schaffen, mit dem Sie sich von
dem eigentlichen Ziel, nämlich weniger Bürokratie im
Gesundheitswesen und mehr Aufmerksamkeit für die Pa-
tienten, verabschieden.
Mit diesem Gesetz werden Sie wieder einmal Miss-
brauch Tür und Tor öffnen. Mit Ihren stümperhaften Ein-
zelmaßnahmen stolpern Sie hier wieder einmal von einem
Problem ins nächste. Sie haben niemals den Mut, eine um-
fassende und tief greifende Reform anzupacken. Dahin
kommen Sie erst dann, wenn Sie wieder bereit sind, zu ge-
meinsamen Wurzeln zurückzukehren. Ich kann hier nur
an Sie appellieren: Haben Sie den Mut dazu und lassen Sie
uns miteinander an einer wirklich umfassenden und tief
greifenden Gesundheitsreform arbeiten, damit unser
Gesundheitswesen wieder auf einen erfolgreichen Weg
gebracht werden kann! Durch Ihre Einzelmaßnahmen
wird nichts verbessert, im Gegenteil: Diese kosten nur
Zeit und Geld und werden für die Patienten keine Verbes-
serung mit sich bringen, sondern nur die Bürokratie auf-
blähen.
Ich bedanke mich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzter Redner in die-
ser Debatte ist der Kollege Detlef Parr.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Herr Kollege Pfaff, Sie haben zu Recht ge-
sagt, wir berieten hier ein Gesetz, das uns alle angehe.
Lassen Sie mich mit der Formulierung meines Unmutes
beginnen. Es ist ein schlechter Stil, wenn man ein solches
Thema, das heißt ein milliardenschweres Steuerungsin-
strument, das Millionen von Versicherten betrifft, an ei-
nem Freitagnachmittag mit einer Beratungszeit von
30 Minuten hier debattiert.
Vielleicht gibt es ja gute Gründe dafür, bei diesem Thema
für den Ausschluss der Öffentlichkeit zu sorgen, nämlich
weil der vorliegende Gesetzentwurf voller Mängel steckt.
Herr Kollege Pfaff, Sie haben den Weg von Lahnstein
bis heute beschrieben.
Sie haben das Problem, dass Sie seit 1998 einen Irrweg
nach dem anderen beschreiten.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein Ergebnis von
Überbürokratisierung und Überregulierung, wie sie über-
all im Gesundheitssystem beklagt werden. Alles Gerede
von dem in der GKV angeblich gewollten Wettbewerb
wird damit ad absurdum geführt. Wer Wettbewerb wirk-
lich will, der muss Vielfalt zulassen.
Er muss Konkurrenz nicht nur ertragen, sondern auch als
Methode zur Findung effizienter Lösungen begreifen. Da-
von ist die Politik dieser Bundesregierung nach wie vor
weit entfernt.
Schon längst geht es nicht mehr darum, vernünftige,
sich selbst tragende Strukturen zu schaffen; vielmehr wird
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Aribert Wolf
19574
je nach Bedarf der einen Krankenkasse etwas weggenom-
men und die andere erhält etwas dazu. Das Nachsehen ha-
ben letztendlich die Versicherten.
Denen wird nämlich nach und nach jede Möglichkeit ge-
nommen, sich für eine preiswerte Krankenkasse zu ent-
scheiden, weil sich die Beiträge immer mehr annähern.
Damit wird den Versicherten auch die Möglichkeit ge-
nommen, Geld zu sparen, das sie lieber in anderen Berei-
chen, zum Beispiel auch in solchen des Gesund-
heitswesens, ausgeben wollen.
Dieser Gesetzentwurf gleicht einem Arbeitsbeschaf-
fungsprogramm für die wenigen, die den immer kompli-
zierter werdenden Risikostrukturausgleich wirklich
durchschauen. Nur die Findigen werden Interpretations-
spielräume und Regelungslücken zum Füllen der eigenen
Konten nutzen. Ein fairer Wettbewerb rückt in weite
Ferne.
Auch wir, Herr Professor Pfaff, halten die Disease-Ma-
nagement-Programme für erprobenswert. Das ist über-
haupt kein Thema. Sie haben die Durchführung dieser
Programme zu Recht als einen Weg beschrieben, den man
gehen kann. Aber die Koppelung dieser Programme mit
dem Risikostrukturausgleich ist der falsche Weg. Diese
Koppelung wird einen massiven bürokratischen Aufwand
mit sich bringen.
Frau Schmidt-Zadel, wir haben dazu eine Anfrage ge-
stellt. Die Antwort, in der mitgeteilt wird, wie hoch die zu-
sätzlichen Personalkosten sind und wie dieses Instrument
zu handhaben ist, liegt auf dem Tisch. Es ist nicht prakti-
kabel. Man kann schon unterstellen, dass die rot-grüne
Koalition tatsächlich etwas zur Verbesserung der Ver-
sorgung der chronisch Kranken tun will. Das sollte man
durchaus konzedieren. Allerdings wird die konkrete Poli-
tik dieser Regierung dazu nicht beitragen.
Trotz all des Aufwandes wird das System nicht einmal
gerechter; stattdessen kommt es lediglich zu einer Ver-
schiebung von Ungerechtigkeiten. Für die Krankenkassen
bleibt es von Vorteil, gesunde Versicherte aufzunehmen,
chronisch Kranke aufzunehmen, die möglichst geringe
Kosten verursachen, und bei akut Kranken dafür zu sor-
gen, dass sie über die Grenze des Risikopools hinaus-
kommen. Was bleibt einer Krankenkasse anderes übrig,
als den Ärzten Geld in die Hand zu drücken, mit dem Ziel,
dass sich ihre Patienten in Disease-Management-Pro-
gramme einschreiben, weil die Krankenkasse ansonsten
deutliche Verluste einfährt? Ist das das System der Zu-
kunft, das wir wollen? Sicher nicht!
Krankenkassen mit niedrigen Beitragssätzen werden
systematisch zu Beitragssatzsteigerungen gezwungen.
Das werden die Versicherten zu Beginn des Wahljahres
2002 sehr deutlich spüren.
Damit verlieren die Versicherten preisgünstige Alternati-
ven. Wir sind mit dieser Politik auf dem Weg in eine Ein-
heitsversicherung, Frau Schmidt-Zadel.
Nicht Ausbau, sondern Abbau des Risikostrukturaus-
gleichs ist angesagt. In der Anfangssituation des Kassen-
wettbewerbs war der Risikostrukturausgleich erforder-
lich. Herr Kirschner, darin sind wir völlig einig. Die
Startchancen der Krankenkassen waren ungleich. Aber ir-
gendwann das muss man in aller Klarheit sagen muss
damit Schluss sein, dass ein immer größeres Volumen un-
ter immer komplizierter werdenden Umständen umver-
teilt wird. Einige Krankenkassen müssen bereits jetzt
spürbar mehr als die Hälfte ihrer Beitragseinnahmen zur
Subventionierung anderer Kassen, ihrer Mitbewerber, ab-
führen. Stellen Sie sich einmal vor, BMW müsste von je-
der verdienten Mark 50 Pfennig an Daimler-Chrysler ab-
führen. Das hielte jeder für völlig absurd. Nur bei
Krankenkassen ist das Realität.
Wahlfreiheit und Kontrahierungszwang schützen alle
Versicherten. Niemand ist gezwungen, bei einer Kran-
kenkasse mit einem höheren Beitragssatz versichert zu
bleiben. Niemand ist gehindert, sich schlau zu machen,
wo es günstiger geht. Das gilt auch das muss man im-
mer wieder betonen für die schwer und chronisch Kran-
ken. Wir wollten im Rahmen der Haushaltsberatungen ein
Informationsprogramm auflegen, durch das die chronisch
Kranken über die für sie vorhandenen Möglichkeiten in-
formiert werden. Sie haben das abgelehnt.
Es ist und bleibt wichtig: Weg mit überzogenen staat-
lichen Reglementierungen und mit Fremdbestimmung
freie Fahrt für mehr statt für immer weniger Wettbewerb.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Reform des Risikostruktur-
ausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung,
Drucksachen 14/6432 und 14/7355. Der Ausschuss für
Gesundheit empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussemp-
fehlung in Kenntnis der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung auf Drucksache 14/5681, den Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dage-
gen? Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung gegen die Stimmen von CDU/CSU und
FDP bei Enthaltung der PDS angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Detlef Parr
19575
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer
stimmt dagegen? Enthaltungen? Der Gesetzentwurf
ist damit gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei
Enthaltung der PDS angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss für Gesundheit, in Kenntnis der genannten Un-
terrichtung den Gesetzentwurf der Bundesregierung,
Drucksachen 14/7123 und 14/7168, zur Reform des Risi-
kostrukturausgleichs in der gesetzlichen Krankenversi-
cherung für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? Enthal-
tungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
des ganzen Hauses angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 c auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Fortentwicklung des Unternehmensteuerrechts
Drucksachen 14/6882, 14/7084
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses
Drucksachen 14/7343, 14/7344
Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Schultz
Otto Bernhardt
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Barbara Höll
Drucksache 14/7385
Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Jürgen Koppelin
Dr. Uwe-Jens Rössel
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses zu
dem Antrag der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt,
Heinz-Georg Seiffert, Norbert Barthle, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Mehr Wirtschaftswachstum durch mehr Ge-
rechtigkeit im Unternehmensteuerrecht
Drucksachen 14/6887, 14/7351
Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Schultz
Otto Bernhardt
c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
Drucksache 14/6877
a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses
Drucksachen 14/7340, 14/7341
Berichterstattung:
Abgeordnete Lothar Binding
Elke Wülfing
Heidemarie Ehlert
Drucksache 14/7377
Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Jürgen Koppelin
Dr. Uwe-Jens Rössel
Zu dem Gesetzentwurf zur Änderung steuerlicher Vor-
schriften liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS
vor.
Die Kolleginnen und Kollegen Reinhard Schultz, Elke
Wülfing, Christine Scheel, Gerhard Schüßler und Barbara
Höll sowie die Parlamentarische Staatssekretärin Barbara
Hendricks haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Ich
höre keinen Widerspruch.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Fortent-
wicklung des Unternehmensteuerrechts, Drucksachen
14/6882, 14/7084 und 14/7343. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen?
Wer enthält sich? Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP
bei Enthaltung der PDS angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer
stimmt dagegen? Wer enthält sich? Der Gesetzentwurf
ist damit in dritter Beratung gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der PDS angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 14/7351
zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel
Mehr Wirtschaftswachstum durch mehr Gerechtigkeit
im Unternehmensteuerrecht. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 14/6887 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenprobe!
Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist gegen die
Stimmen von CDU/CSU bei Enthaltung der FDP-Frak-
tion angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Vizepräsidentin Petra Bläss
19576
1) Anlage 9
rung steuerlicher Vorschriften, Drucksachen 14/6877 und
14/7340. Der Finanzausschuss empfiehlt, den Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Dazu
liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS vor, über
den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Ände-
rungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache
14/7363? Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? Der
Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Frak-
tion abgelehnt.
Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der
PDS angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer
stimmt dagegen? Wer enthält sich? Der Gesetzentwurf
ist damit gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei
Enthaltung der PDS angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a und 30 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über rechtliche Rahmenbedingungen für den elek-
Drucksache 14/6098
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie
Drucksache 14/7345
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Martina Krogmann
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie zu dem Antrag der Abgeord-
neten Hubertus Heil, Dr. Ditmar Staffelt, Hermann
Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD sowie der Abgeordneten Margareta
Wolf , Grietje Bettin, Michaele
Hustedt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Deutschlands Wirtschaft in der Informations-
gesellschaft
Drucksachen 14/5246, 14/5974
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Martina Krogmann
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor.
Die Kolleginnen und Kollegen Hubertus Heil,
Dr. Martina Krogmann, Andrea Fischer, Rainer Funke
und Ulla Lötzer sowie der Parlamentarische Staatssekre-
tär Siegmar Mosdorf haben ihre Reden zu Protokoll ge-
geben.1) Auch darüber herrscht Begeisterung im Saale.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf über rechtli-
che Rahmenbedingungen für den elektronischen Ge-
schäftsverkehr, Drucksachen 14/6098 und 14/7345. Der
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt, den
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen.
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/7370 vor, über den wir zu-
erst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsan-
trag? Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? Der Än-
derungsantrag ist gegen die Stimmen von CDU/CSU und
FDP bei Enthaltung der PDS-Fraktion abgelehnt.
Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stim-
men von CDU/CSU, FDP und PDS angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung, auf dass wir nicht aus der Übung
kommen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen?
Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit gegen die
Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU, FDP und PDS
angenommen.
Wir kommen jetzt noch zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und
Technologie auf Drucksache 14/5974 zu dem Antrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
mit dem Titel Deutschlands Wirtschaft in der Informati-
onsgesellschaft. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag
auf Drucksache 14/5246 anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? Gegenprobe! Enthaltun-
gen? Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen
der Fraktionen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung
der PDS angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 sowie die Zusatz-
punkte 15 bis 17 auf:
31. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlänge-
rung von Übergangsregelungen im Bundes-
sozialhilfegesetz
Drucksache 14/7280
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 15 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Vizepräsidentin Petra Bläss
19577
1) Anlage 10
Fördern und Fordern Sozialhilfe modern ge-
stalten
Drucksache 14/7293
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 16 Beratung des Antrags der Abgeordneten Pia Maier,
Dr. Klaus Grehn, Dr. Heidi Knake-Werner, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Eine Grundsicherung in die Arbeitslosenversi-
cherung einführen
Drucksache 14/7294
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 17 Beratung des Antrags der Abgeordneten Pia Maier,
Dr. Barbara Höll, Dr. Klaus Grehn, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der PDS
Die Sozialhilfe armutsfest gestalten
Drucksache 14/7298
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Die Kolleginnen und Kollegen Brigitte Lange,
Wolfgang Meckelburg, Ekin Deligöz, Dr. Heinrich
Kolb und Pia Maier sowie die Parlamentarische
Staatssekretärin Ulrike Mascher haben ihre Reden
ebenfalls zu Protokoll gegeben.1) Auch hier kein Wi-
derspruch.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzent-
wurf auf Drucksache 14/7280 zur federführenden Bera-
tung an den Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung und
zur Mitberatung an den Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend sowie an den Finanzausschuss zu
überweisen. Die Vorlagen auf den Drucksachen 14/7293,
14/7294 und 14/7298 sollen an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Es gibt
keine anderweitigen Vorschläge. Dann sind die Überwei-
sungen so beschlossen.
Deshalb rufe ich jetzt den Tagesordnungspunkt 32
ich glaube, das ist der letzte auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Angelegenheiten der
neuen Länder zu dem Antrag der Abgeordneten
Gerhard Jüttemann, Rolf Kutzmutz, Eva Bulling-
Schröter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der PDS
Arbeitsplatzabbau bei Förderung von Produk-
tionsverlagerungen ausschließen
Drucksachen 14/5248, 14/6618
Berichterstattung:
Abgeordnete Jelena Hoffmann
Günter Nooke
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion der PDS fünf Minuten erhalten soll. Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Zur allgemeinen Beruhigung im Hause: Die Kollegin-
nen und Kollegen Jelena Hoffmann, Ulrich Klinkert,
Werner Schulz und Jürgen Türk haben ihre Reden bereits
zu Protokoll gegeben.2)
Ich eröffne aber jetzt die Aussprache. Das Wort hat der
Kollege Gerhard Jüttemann für die PDS-Fraktion. Da-
nach gibt es noch eine Abstimmung.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ich habe mir im Vorfeld dieser De-
batte noch einmal die Reden aus der ersten Lesung ange-
schaut. Danach müsste es eigentlich für unseren Antrag
ziemlich gut aussehen; denn sachliche Argumente gegen
ihn sind nicht vorgetragen worden.
Der Kollege Röspel aus Hagen fand unsere Forderun-
gen sogar an sich sympathisch. Sie ärgerten ihn aber
trotzdem, weil sie angeblich falsche Hoffnungen weck-
ten. Das Lohnniveau im Osten sei nun einmal niedriger
als im Westen. Auch die SPD bedauere das; aber es sei
eben so. Ich bitte Sie, was ist das für ein Argument? Ers-
tens wecken wir keine falschen Hoffnungen, sondern
sagen, wie es gehen könnte.
Zweitens ist das im Osten geringere Lohnniveau das
Ergebnis Ihrer Politik und der Politik Ihrer Vorgänger-
regierung.
Sie weigern sich bis heute, ein Zeichen dafür zu setzen,
dass Sie das ändern wollen.
Kollege Werner Schulz findet unsere Vorschläge mo-
ralisch hoch integer, aber weder praktikabel noch sinn-
voll. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit soll also weder
praktikabel noch sinnvoll sein.
Nicht ohne Komik war die Bemerkung des Kollegen
Goldmann von der FDP. Er fand unseren Antrag skan-
dalös,
und zwar im Vergleich zu dem Anspruch, den die PDS als
sozialistische Partei ansonsten erhebe,
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2001
Vizepräsidentin Petra Bläss
19578
1) Anlage 11 2) Anlage 12
indem sie sich für die Menschen bzw. für die Schaffung
von Arbeitsplätzen einsetze. Wofür wir uns einsetzen,
das hat er schon einmal gut verstanden.
Nun muss die FDP nur noch den hier zur Debatte ste-
henden Antrag in dieses Anliegen einordnen. Dabei will
ich Ihnen gerne helfen. Denn mit seiner Ablehnung kön-
nen Sie zwar die Interessen der FDP vertreten; die besse-
ren Sozialisten können Sie damit aber nicht werden,
weil die Interessen der FDP und die vieler Menschen mit-
unter voneinander abweichen.
Ich will Ihnen den Antrag und sein Anliegen also noch
einmal erläutern.
Wir wollen erstens, dass keine staatlichen Subventio-
nen fließen, wenn bei Produktionsverlagerungen am alten
Standort mehr Arbeitsplätze abgebaut als am neuen ge-
schaffen werden.
Wir wollen zweitens, dass die Ausnutzung ungleicher
Arbeitsbedingungen in Ost und West nicht mehr staatlich
subventioniert wird. Sonst vergrößert sich die Kluft zwi-
schen Ost und West.
Wir wollen drittens, dass das Ausspielen entgegenge-
setzter Arbeitsplatzinteressen in West- und Ostdeutsch-
land nicht länger mit staatlichen Geldern gestützt wird,
weil das zu einer Entsolidarisierung von Arbeitnehmern
in Ost und West führt. Wir wollen schließlich, dass in der
Vergangenheit erkämpfte soziale Standards nicht heute
mit Unterstützung staatlicher Gelder wieder abgesenkt
werden und zwar in Ost und West.
Diesen Argumenten haben Sie nun nichts anderes ent-
gegenzusetzen, als dass den Leuten im Osten der Spatz in
der Hand doch wohl lieber sei als die Taube auf dem Dach.
Im Herbst 1989 hatte im Osten kaum einer angenommen,
dass es künftig darum gehen würde, im so genannten gol-
denen Westen den Spatzen in der Hand festzuhalten, und
dass sich die Politik strikt weigern würde, einen Fahrplan
für die Angleichung der Lebensverhältnisse vorzulegen.
Stattdessen werden den Ostdeutschen nun schon Minus-
tarifrunden angekündigt. Die Regierung aber veröffent-
licht einen Schönwetterbericht zum Stand der deutschen
Einheit, der nicht einmal das Papier wert ist, auf dem er
gedruckt ist,
weil er auf jede wissenschaftliche Analyse der tatsächli-
chen Situation von vornherein verzichtet.
Am gleichen Tag, an dem die Bundesregierung diesen
Bericht vorgelegt hat, erfuhren wir vom Institut für Wirt-
schaftsforschung in Halle, dass die ostdeutsche Wirtschaft
im ersten Halbjahr erstmals seit der Vereinigung real um
0,6 Prozent geschrumpft ist. Seit 1997 vergrößert sich nun
schon der Abstand zwischen Ost- und Westdeutschland in
den wichtigsten wirtschaftlichen Parametern. Für Sie ist
das offensichtlich kein Grund zum Alarm für uns schon.
Der vorliegende Antrag wendet sich natürlich nur ei-
nem spezifischen Problem zu und kann das Übergeord-
nete nicht lösen. Aber er kann sehr gut dazu beitragen,
ganz im Gegensatz zu Ihren billigen Populismusvorwür-
fen als Ersatz von Argumentation. Sie sollten sich einmal
einen Ruck geben! Ich glaube, das wäre früher auch in
Ihrem Interesse gewesen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Ich wünsche al-
len ein schönes Wochenende.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir kommen zur Ab-
stimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Angelegenheiten der neuen Länder auf Drucksa-
che 14/6618 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem
Titel Arbeitsplatzabbau bei Förderung von Produktions-
verlagerungen ausschließen. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 14/5248 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegen-
probe! Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist
gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Beratungen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 14. November 2001, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.