Protokoll:
14198

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 198

  • date_rangeDatum: 8. November 2001

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:48 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Nachträgliche Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Dietrich Austermann, Klaus Kirschner und Joachim Schmidt (Halsbrücke) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19281 A Eintritt der Abgeordneten Gabriele Lösekrug- Möller und Klaus Francke in den Deutschen Bundestag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19281 A Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . 19281 B Begrüßung des Präsidenten der Republik Malta und seiner Delegation . . . . . . . . . . . . . 19338 C Zusatztagesordnungspunkt 2: a) Abgabe einer Erklärung des Bundes- kanzlers: Beteiligung bewaffneter deut- scher Streitkräfte an der Bekämpfung des internationalen Terrorismus . . . . 19283 C b) Beratung des Antrags der Bundesregie- rung: Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terro- ristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Art. 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Verein- ten Nationen (Drucksache 14/7296) . . . . . . . . . . . . . 19283 C Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . 19283 D Friedrich Merz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 19287 B Gernot Erler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19289 C Dr. Guido Westerwelle FDP . . . . . . . . . . . . . . 19291 D Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 19293 C Roland Claus PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19296 C Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19298 A Roland Claus PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19298 C Rudolf Scharping, Bundesminister BMVg . . 19298 D Michael Glos CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 19300 C Tagesordnungspunkt 4: a) Abgabe einer Erklärung durch die Bun- desregierung: Jugendpolitisches Pro- gramm der Bundesregierung: „Chan- cen im Wandel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 19301 D b) Große Anfrage der Abgeordneten Kerstin Griese, Hildegard Wester, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Christian Simmert, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Zukunft gestalten – Kinder und Ju- gendliche stärken (Drucksachen 14/5284, 14/6415) . . . . 19302 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jugendpolitisches Programm der Bundes- regierung: „Chancen im Wandel“ (Drucksache 14/7275) . . . . . . . . . . . . . . . 19302 A Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19302 B Maria Eichhorn CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 19305 D Iris Gleicke SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19307 D Plenarprotokoll 14/198 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 198. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 I n h a l t : Klaus Haupt FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19309 D Christian Simmert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19311 D Klaus Haupt FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19313 C Christian Simmert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19313 D Angela Marquardt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 19314 A Kerstin Griese SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19316 A Klaus Holetschek CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 19318 A Grietje Bettin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19319 B Thomas Dörflinger CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 19320 B Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekretär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19321 D Ursula Heinen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 19323 C Rolf Stöckel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19324 C Marlene Rupprecht SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 19325 D Tagesordnungspunkt 5: a) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Gerda Hasselfeldt, Bartholomäus Kalb, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Büro- kratieabbau für kleine und mittel- ständische Betriebe (Drucksache 14/6633) . . . . . . . . . . . . . 19327 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Techno- logie zu dem Antrag der Abgeordneten Hansjürgen Doss, Peter Rauen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Chancen des Mittelstandes inderglobalisiertenWirtschaftstärken (Drucksachen 14/5545, 14/6094) . . . . 19327 C c) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses . . . . . . . . . . . . . . . 19327 D – zu dem Antrag der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt, Heinz Seiffert, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU: Steuerliche Gleichstellung des Mittelstands 19327 D – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.HermannOttoSolms,Hildebrecht Braun(Augsburg),weitererAbgeord- neter und der Fraktion der FDP: Steu- erliche Benachteiligung des Mittel- stands beseitigen (Drucksachen 14/5551, 14/5962, 14/6687) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19327 D d) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt, Heinz Seiffert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Wiederher- stellung des umfassenden Rechts auf Vorsteuerabzug (Drucksachen 14/5223, 14/6448) . . . . 19327 D e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Abgeordne- ten Dr. Ditmar Staffelt, Jelena Hoffmann (Chemnitz), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD so- wie der Abgeordneten Werner Schulz (Leipzig), Michaele Hustedt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Neue Mittelstandspolitik – Motor für Beschäftigung und Innovation (Drucksachen 14/5485, 14/5973) . . . . 19328 A Hansjürgen Doss CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 19328 B Jelena Hoffmann (Chemnitz) SPD . . . . . . . . . 19330 B Rainer Brüderle FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19332 B Margareta Wolf, Parl. Staatssekretärin BMWi 19335 D Dr. Heinrich L. Kolb FDP . . . . . . . . . . . . . . . 19338 C Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 19339 B Margareta Wolf, Parl. Staatssekretärin BMWi 19339 D Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19341 A Dr. Ditmar Staffelt SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 19342 D Dr. Peter Ramsauer CDU/CSU . . . . . . . . . . . 19344 D Klaus Lennartz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19347 C Dr. Peter Ramsauer CDU/CSU . . . . . . . . . 19349 B Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 19350 D Simone Violka SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19352 C Tagesordnungspunkt 33: Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortführung des Solidar- paktes, zur Neuordnung des bundes- staatlichen Finanzausgleichs und zur Abwicklung des Fonds „Deutsche Ein- heit“ (Solidarpaktfortführungsgesetz) (Drucksache 14/7256) . . . . . . . . . . . . . 19354 B b) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung der Leistungen bei häuslicher Pflege von Pflegebe- dürftigen mit erheblichem allgemeinem Betreuungsbedarf (Pflegeleistungs-Er- gänzungsgesetz) (Drucksache 14/7154) . . . . . . . . . . . . . 19354 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001II c) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortsetzung der Dienstrechtsreform (Drucksache 14/3458) . . . . . . . . . . . . 19354 C d) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 98/8/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 über das Inverkehrbringen von Biozid- Produkten (Biozidgesetz) (Drucksache 14/7007) . . . . . . . . . . . . 19354 C e) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 19. September 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die ge- genseitige Hilfeleistung bei Katastro- phen und schweren Unglücksfällen (Drucksache 14/7096) . . . . . . . . . . . . 19354 D f) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Fleischhygienegesetzes (Drucksache 14/7153 [neu]) . . . . . . . . 19354 D g) Antrag der Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Dieter Thomae, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Finanzierung von Umschu- lungsmaßnahmen (Drucksache 14/5692) . . . . . . . . . . . . 19355 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Weitere Überweisungen im vereinfach- ten Verfahren (Ergänzung zu TOP 33) a) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Versorgungsänderungsgesetzes 2001 (Drucksachen 14/7223, 14/7257) . . . . 19355 A b) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Anerken- nungs- und Vollstreckungsausfüh- rungsgesetzes (Drucksache 14/7207) . . . . . . . . . . . . 19355 A c) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sonderver- mögens für das Jahr 2002 (ERP-Wirt- schaftsplangesetz 2002) (Drucksache 14/7259) . . . . . . . . . . . . 19355 B d) Antrag der Abgeordneten Gisela Schröter, Eckhardt Barthel (Berlin), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Antje Vollmer, Grietje Bettin, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Reform der deutschen Filmförderung (Drucksache 14/7178) . . . . . . . . . . . . 19355 B e) Antrag der Abgeordneten Klaus Wiesehügel, Dieter Maaß (Herne), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Werner Schulz (Leipzig), Franziska Eichstädt- Bohlig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Zukunft der deutschen Bauwirtschaft (Drucksache 14/7297) . . . . . . . . . . . . 19355 B f) Antrag der Abgeordneten Dr.-Ing. Rainer Jork, Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Lehrstellenmangel in den neuen Bundesländern bekämp- fen – Reformen in der beruflichen Bildung vorantreiben (Drucksache 14/7281) . . . . . . . . . . . . 19355 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 18: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 12. Juli 2001 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- land und der Volksrepublik China über Sozialversicherung (Drucksache 14/7246) . . . . . . . . . . . . . . . 19355 C Tagesordnungspunkt 34: Abschließende Beratungen ohne Aus- sprache a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Umstellung von Vorschriften aus den Bereichen des Verkehrs-, Bau- und Wohnungswesens sowie der Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf den Euro (Zehntes Euro-Einführungsgesetz) (Drucksachen 14/6810, 14/7251) . . . . 19355 D b) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Übereinkommens vom 14. Juli 1967 zur Errichtung der Welt- organisation für geistiges Eigentum (Drucksachen 14/6260, 14/7273) . . . . 19356 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 III c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Einführung des Euro im Berufsrecht der Rechts- pflege, in Rechtspflegegesetzen der ordentlichen Gerichtsbarkeit und in Gesetzen des Straf- und Ordnungs- widrigkeitenrechts (Drucksachen 14/6371, 14/7349) . . . . 19356 B d) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Wahlsta- tistikgesetzes (Drucksachen 14/6538, 14/7125) . . . . 19356 C e) – Zweite Beratung und Schlussab- stimmung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. März 2001 zwischen der Bun- desrepublik Deutschland und Malta zur Vermeidung der Dop- pelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Drucksachen 14/7039, 14/7353) 19356 D – Zweite und dritte Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. April 2001 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada zur Vermeidung der Doppelbesteue- rung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und bestimmter anderer Steuern, zur Verhinde- rung der Steuerverkürzung und zur Amtshilfe in Steuersachen (Drucksachen 14/7041, 14/7353) 19357 A f) – l) Beschlussempfehlungen des Petitions- ausschusses: Sammelübersichten 304, 305, 306, 307, 308, 309, 310 zu Peti- tionen (Drucksachen 14/7161, 14/7162, 14/7163, 14/7164, 14/7165, 14/7166, 14/7167) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19357 B Zusatztagesordnungspunkt 5: Abschließende Beratungen ohne Aus- sprache (Ergänzung zu TOP 34) a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes über elektroni- sche Register und Justizkosten für Telekommunikation (Drucksache 14/6855, 14/7348) . . . . . 19357 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verord- nung zur Umsetzung des Europä- ischen Abfallverzeichnisses (Drucksachen 14/7091, 14/7195 Nr. 2.1, 14/7339) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19358 A Zusatztagesordnungspunkt 6: Aktuelle Stunde betr.: Massive Mehrkos- ten bei den Baumaßnahmen im Parla- ments- und Regierungsviertel in Berlin sowie Verantwortung der Bundesbauge- sellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19358 B Dr. Uwe-Jens Rössel PDS . . . . . . . . . . . . . . . 19358 C Achim Großmann, Parl. Staatssekretär BMVBW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19359 B Dr.-Ing. Dietmar Kansy CDU/CSU . . . . . . . . 19361 B Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19362 C Jürgen Koppelin FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19363 D Gabriele Iwersen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19365 B Bartholomäus Kalb CDU/CSU . . . . . . . . . . . 19366 C Hans Georg Wagner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 19367 C Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19368 D Steffen Kampeter CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 19369 D Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19371 A Tagesordnungspunkt 6: Unterrichtung durch die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheits- dienstes der ehemaligen Deutschen Demo- kratischen Republik: Fünfter Tätigkeits- bericht der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokrati- schen Republik – 2001 (Drucksache 14/7210) . . . . . . . . . . . . . . . 19371 C Otto Schily, Bundesminister BMI . . . . . . . . . 19371 D Hartmut Büttner (Schönebeck) CDU/CSU 19373 D Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19375 D Dr. Edzard Schmidt-Jortzig FDP . . . . . . . . . . 19377 A Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19378 A Gisela Schröter SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19379 A Vera Lengsfeld CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 19380 D Marianne Birthler, Bundesbeauftragte für Stasi-Unterlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19382 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001IV Tagesordnungspunkt 7: Große Anfrage der Abgeordneten Klaus Brähmig, Ernst Hinsken, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Rahmenbedingungen für die Touris- muswirtschaft innerhalb der Europä- ischen Union (Drucksachen 14/5841, 14/6955) . . . . . . . 19384 A Klaus Brähmig CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 19384 B Birgit Roth (Speyer) SPD . . . . . . . . . . . . . 19386 A Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi 19386 D Albrecht Feibel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 19388 B Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi 19388 D Ernst Burgbacher FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19389 B Siegmar Mosdorf SPD . . . . . . . . . . . . . . . 19390 A Rosel Neuhäuser PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19390 D Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 19391 D Birgit Roth (Speyer) SPD . . . . . . . . . . . . . 19392 C Brunhilde Irber SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 19393 B Eckhard Ohl SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19394 B Tagesordnungspunkt 8: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Aufstiegsfortbil- dungsförderungsgesetzes (Drucksache 14/7094) . . . . . . . . . . . . . . . 19396 D Edelgard Bulmahn, Bundesministerin BMBF 19397 A Werner Lensing CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 19398 C Christian Simmert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19399 D Cornelia Pieper FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19401 A Maritta Böttcher PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19402 A Dr. Ernst Dieter Rossmann SPD . . . . . . . . . . 19402 D Ilse Aigner CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19404 B Christian Lange (Backnang) SPD . . . . . . . . . 19405 D Jörg Tauss SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19407 A Dr. Ernst Dieter Rossmann SPD . . . . . . . . . . 19407 B Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Punktekatalog überarbeiten – Ver- kehrssünderkartei entrümpeln – Bonus- system ausbauen (Drucksache 14/6963) . . . . . . . . . . . . . . . 19407 C Horst Friedrich (Bayreuth) FDP . . . . . . . . . . 19407 C Rita Streb-Hesse SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19409 A Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU . . . 19410 D Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19413 B Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 19414 C Tagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Modulation von Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (Modulationsgesetz) (Drucksache 14/7252) . . . . . . . . . . . . . . . 19415 C Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Ulrich Adam, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Abschaffung der Kapazitätsbeschrän- kungen für Werften in Mecklenburg- Vorpommern (Drucksache 14/6950) . . . . . . . . . . . . . . . 19415 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel, Dr. Ditmar Staffelt, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Andrea Fischer (Berlin), Werner Schulz (Leipzig), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Faire Wettbe- werbsbedingungen für die Werftindustrie in Mecklenburg-Vorpommern (Drucksache 14/7295) . . . . . . . . . . . . . . . 19415 D Tagesordnungspunkt 12: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Verbesse- rung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlas- sung der Ehewohnung bei Trennung (Drucksachen 14/5429, 14/7279) . . . . 19416 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämp- fung von Gewalt gegen Frauen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 V – zu dem Antrag der Abgeordneten Maria Eichhorn, Ilse Falk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Ankündigungen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen umsetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Petra Bläss, Monika Balt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Frauenrechte sind Men- schenrechte – Gewalt gegen Frauen effektiver bekämpfen – zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Entschließung des Europäischen Parlaments zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Par- lament „Weitere Maßnahmen zur Bekämpfung des Frauenhandels“ (Drucksachen 14/2812, 14/5093, 14/5455, 14/4170 Nr. 1.1, 14/6902) . . . . . . . . . . . 19416 B Anni Brandt-Elsweier SPD . . . . . . . . . . . . . . 19416 C Ilse Falk CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19417 D Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19418 D Ina Lenke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19419 C Petra Bläss PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19420 B Tagesordnungspunkt 13: – Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (Drucksachen 14/7009, 14/7334) . . . . 19421 C – Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Entschließung vom 22. Mai 1995 zur Änderung des Übereinkommens vom 18. Dezember 1979 zur Beseiti- gung jeder Form von Diskriminie- rung der Frau (Drucksache 14/7011, 14/7334) . . . . . 19421 D – Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Fakultativprotokoll vom 6. Ok- tober 1999 zum Übereinkommen vom 18. Dezember 1979 zur Beseiti- gung jeder Form von Diskriminie- rung der Frau (Drucksachen 14/7012, 14/7334) . . . . 19421 D Tagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses – zu dem Entschließungsantrag der Ab- geordneten Klaus Riegert, Friedrich Bohl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU – zu dem Entschließungsantrag der Ab- geordnetenDr.KlausKinkel,Hildebrecht Braun (Augsburg), weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP zu der Großen Anfrage der Abgeordneten KlausRiegert,FriedrichBohl,weitererAbge- ordneterundderFraktionderCDU/CSU:Do- ping im Spitzensport und Fitnessbereich (Drucksachen 14/2769, 14/2918, 14/1032, 14/1867, 14/7004) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19422 B Tagesordnungspunkt 15: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Medizinproduktegesetzes (Drucksachen 14/6281, 14/7331) . . . . . . . 19422 D Tagesordnungspunkt 16: a) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Tierschutzbericht 2001 der Bundesregierung (Drucksache 14/5712) . . . . . . . . . . . . . 19423 A b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marianne Klappert, Brigitte Adler, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken, Steffi Lemke, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Verbesserun- gen im Tierschutz national und europaweit vorantreiben (Drucksache 14/7180) . . . . . . . . . . . . . 19423 A Tagesordnungspunkt 17: a) Antrag der Abgeordneten Renate Blank, Dr. Hans-Peter Uhl, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der CDU/CSU: Instandhaltungswerke der Deutschen Bahn AG in Nürnberg und München erhalten (Drucksache 14/7147) . . . . . . . . . . . . . 19423 B b) Antrag der Abgeodneten Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Neues Konzept für Ausbes- serungswerke der Deutschen Bahn AG vorlegen (Drucksache 14/7158) . . . . . . . . . . . . . 19423 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001VI c) Antrag der Abgeordneten Heide Mattischeck, Reinhard Weis (Stendal), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzhofen), Franziska Eichstädt- Bohlig, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Zukunft der Instandhaltungswerke der Deutschen Bahn AG (Drucksache 14/7179) . . . . . . . . . . . . 19423 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Dr. Michael Luther, Wolfgang Dehnel, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Instandhaltungswerke der Deutschen Bahn AG in Delitzsch, Chemnitz, Opla- den und Zwickau erhalten – neue Inves- toren für Stendal, Leipzig-Engelsdorf und Neustrelitz (Drucksache 14/7282) . . . . . . . . . . . . . . . 19423 D Tagesordnungspunkt 18: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Än- derung des Saatgutverkehrsgesetzes (Drucksachen 14/5927, 14/7244) . . . . 19423 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, ErnährungundLandwirschaftzudemAn- trag der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Innovations- potenzial moderner Technologien für mittelständische Pflanzenzüchter er- halten (Drucksachen 14/2297, 14/5907) . . . . 19424 A Tagesordnungspunkt 19: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Heidemarie Ehlert, weiteren Abgeord- neten und der Fraktion der PDS einge- brachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuer- gesetzes (Drucksachen 14/4438, 14/5215, 14/5218) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19424 C b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Heidemarie Ehlert, weiteren Abgeord- neten und der Fraktion der PDS ein- gebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuer- gesetzes (Drucksache14/4437,14/5211,14/5212) 19424 D Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19425 A Zusatztagesordnungspunkt 9: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Aufhebung des Gesetzes zur Förderung der Rationalisierung im Steinkohlenbergbau (Drucksache 14/7238) . . . . . . . . . . . . . . . 19426 C Zusatztagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafrecht- lichen Rehabilitierungsgesetzes (Drucksache 14/7283) . . . . . . . . . . . . . . . 19426 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19426 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 19427 A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Großen Anfrage: Rahmenbedingungen für die Tourismuswirtschaft innerhalb der Europä- ischen Union (Tagesordnungspunkt 15) . . . . 19427 C Sylvia Voß BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . 19427 C Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Modulation von Direktzahlungen im Rahmen der Gemein- samen Agrarpolitik (Modulationsgesetz) (Ta- gesordnungspunkt 10) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19428 D Waltraud Wolff (Wolmirstedt) SPD . . . . . . . . 19428 D Meinolf Michels CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 19429 D Ulrich Heinrich FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19430 C Kersten Naumann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 19431 A Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär BMVEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19431 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 VII Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: a) Abschaffung der Kapazitätsbeschränkun- gen für Werften in Mecklenburg-Vorpom- mern b) Faire Wettbewerbsbedingungen für die Werftindustrie in Mecklenburg-Vorpom- mern (Tagesordnungspunkt 11 und Zusatztagesord- nungspunkt 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19433 A Dr. Margrit Wetzel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 19433 A Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU . . . 19434 B Werner Kuhn CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 19435 A Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19436 A Hans-Michael Goldmann FDP . . . . . . . . . . . 19436 C Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19437 C Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi 19438 A Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: a) des Entwurf eines Gesetzes zur Verbesse- rung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehe- wohnung bei Trennung b) der Beschlussempfehlung und des Berich- tes zu: – der Unterrichtung: Aktionsplanung der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen – dem Antrag: Ankündigungen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen umsetzen – dem Antrag: Frauenrechte sind Men- schenrechte – Gewalt gegen Frauen ef- fektiver bekämpfen – der Unterrichtung: Entschließung des Europäischen Parlaments zu der Mittei- lung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament „Weitere Maßnahmen zur Bekämpfung des Frau- enhandels“ (Tagesordnungspunkt 12 a und b) . . . . . . . . . 19439 A Ronald Pofalla CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 19439 A Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19439 D Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Gesetzentwürfe zu: – Änderung des Gesetzes zu dem Überein- kommen vom 18. Dezember 1979 zur Be- seitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau – Entschließung vom 22. Mai 1995 zur Än- derung des Übereinkommens vom 18. De- zember 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau – Fakultativprotokoll vom 6. Oktober 1999 zum Übereinkommen vom 18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form von Dis- kriminierung der Frau (Tagesordnungspunkt 13) . . . . . . . . . . . . . . . . 19441 D Renate Gradistanac SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 19441 D Renate Diemers CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 19442 D Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19443 D Ina Lenke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19444 C Petra Bläss PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19445 A Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19445 D Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Entschließungsanträgen zu der Großen An- frage: Doping im Spitzensport und Fitnessbe- reich (Tagesordnungspunkt 14) . . . . . . . . . . . 19446 D Dagmar Freitag SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19446 D Klaus Riegert CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 19448 A Winfried Hermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19450 A Dr. Klaus Kinkel FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19450 C Gustav-Adolf Schur PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 19451 B Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI 19451 D Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zum Entwurf ei- nes Zweiten Gesetzes zur Änderung des Medi- zinproduktegesetzes (2. MPG-ÄndG) (Tages- ordnungspunkt 15) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19452 C Dr. Carola Reimann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 19452 D Dr. Sabine Bergmann-Pohl CDU/CSU . . . . . 19454 B Monika Knoche BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19455 B Detlef Parr FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19456 A Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19456 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001VIII Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: a) der Unterrichtung: Tierschutzbericht 2001 der Bundesregierung b) des Antrags: Verbesserungen im Tierschutz national und europaweit vorantreiben (Tagesordnungspunkt 16 a und b) . . . . . . . . . 19457 A Heino Wiese (Hannover) SPD . . . . . . . . . . . . 19457 A Marianne Klappert SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 19457 C Helmut Lamp CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 19459 D Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 19460 D Marita Sehn FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19461 D Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . . 19462 C Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Instandhaltungswerke der Deutschen Bahn AG in Nürnberg und München erhalten – Neues Konzept für Ausbesserungswerke der Deutschen Bahn AG vorlegen – Zukunft der Instandhaltungswerke der Deutschen Bahn AG – Instandhaltungswerke der Deutschen Bahn AG in Delitzsch, Chemnitz, Opladen und Zwickau erhalten – neue Investoren für Stendal, Leipzig-Engelsdorf und Neustrelitz (Tagesordnungspunkt 17 a bis c und Zusatzta- gesordnungspunkt 8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19463 B Horst Schmidbauer (Nürnberg) SPD . . . . . . . 19463 B Dr. Michael Luther CDU/CSU . . . . . . . . . . . 19464 D Renate Blank CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 19466 A Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19467 B Horst Friedrich (Bayreuth) FDP . . . . . . . . . . 19468 A Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19468 D Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zu: – dem Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Saatgutverkehrsgesetzes – der Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Innovationspotenzial moderner Technologien für mittelständi- sche Pflanzenzüchter erhalten (Tagesordnungspunkt 18 a und b) . . . . . . . . . 19469 C Heino Wiese (Hannover) SPD . . . . . . . . . . . . 19469 C Waltraud Wolff (Wolmirstedt) SPD . . . . . . . . 19470 B Meinolf Michels CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 19471 B Helmut Heiderich CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 19472 A Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19472 D Ulrich Heinrich FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19474 C Kersten Naumann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 19474 D Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär BMVEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19475 C Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Entwürfe eines ... Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes (Tagesordnungs- punkt 19 a und b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19476 A Horst Schild SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19476 A Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU . . . . . . . 19476 C Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19479 B Gerhard Schüßler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 19480 A Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zum Entwurf ei- nes Gesetzes über die Aufhebung des Gesetzes zur Förderung der Rationalisierung im Stein- kohlenbergbau (Zusatztagesordnungspunkt 9) 19480 B Norbert Formanski SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 19480 C Wolfgang Weiermann SPD . . . . . . . . . . . . . . . 19481 D Kurt-Dieter Grill CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 19482 D Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19483 A Walter Hirche FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19484 A Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19484 A Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (Zu- satztagesordnungspunkt 10) . . . . . . . . . . . . . . 19484 C Hans-Joachim Hacker SPD . . . . . . . . . . . . . . 19484 C Hartmut Büttner (Schönebeck) CDU/CSU 19485 B Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19486 A Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19486 D Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19487 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 IX Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 Dr. Barbara Höll 19426 (C) (D) (A) (B) 1) Anlage 13 2) Anlage 14 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19427 (C) (D) (A) (B) Adam, Ulrich CDU/CSU 8.11.2001 Andres, Gerd SPD 8.11.2001 Behrendt, Wolfgang SPD 8.11.2001* Bierwirth, Petra SPD 8.11.2001 Brinkmann (Detmold), SPD 8.11.2001 Rainer Flach, Ulrike FDP 8.11.2001 Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 8.11.2001 Frick, Gisela FDP 8.11.2001 Friedhoff, Paul K. FDP 8.11.2001 Friedrich (Altenburg), SPD 8.11.2001 Peter Dr. Haussmann, Helmut FDP 8.11.2001 Dr. Hendricks, Barbara SPD 8.11.2001 Imhof, Barbara SPD 8.11.2001 Kauder, Volker CDU/CSU 8.11.2001 Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 8.11.2001 Lippmann, Heidi PDS 8.11.2001 Meckel, Markus SPD 8.11.2001 Moosbauer, Christoph SPD 8.11.2001 Opel, Manfred SPD 8.11.2001 Reichard (Dresden), CDU/CSU 8.11.2001 Christa Schenk, Christina PDS 8.11.2001 Schlee, Dietmar CDU/CSU 8.11.2001 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 8.11.2001 Hans Peter Simm, Erika SPD 8.11.2001 Dr. Spielmann, Margrit SPD 8.11.2001 Straubinger, Max CDU/CSU 8.11.2001 Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 8.11.2001 Dr. Thomae, Dieter FDP 8.11.2001 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 8.11.2001 DIE GRÜNEN Dr. von Weizsäcker, SPD 8.11.2001 Ernst Ulrich Zapf, Uta SPD 8.11.2001 Zierer, Benno CDU/CSU 8.11.2001* * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Großen Anfrage: Rahmenbedin- gungen für die Tourismuswirtschaft innerhalb der Europäischen Union (Tagesordnungspunkt 7) Sylvia Voß (CDU/CSU): Wir alle wissen: Wenn einer eine Reise tut, dann kann etwas erleben. Nicht mehr erle- ben wird der reiselustige Tourist ab dem kommenden Jahr, dass er zwischen Kofferpacken, Katze zu den Eltern brin- gen, Pflanzen der Nachbarin übereignen und Umtauschen der falsch ausgestellten Bahnplatzkarten noch das hastige Hineinstürzen in eine Bank einplanen muss. Auch die Warteschlange am Bankschalter und die Ungewissheit, ob die Bank seines Vertrauens die nötige Währung gerade vorrätig hat, kann er nicht mehr erleben. Doch wer wird das schon vermissen? Touristen aller beteiligten EU-Län- der profitieren von der Euro-Einführung, Nachteile wer- den beseitigt. Auch die Tourismuswirtschaft hat hiervon Vorteile, zum Beispiel davon, dass die Fremdwährungskosten – immerhin bis zu 5 Prozent der Reisekosten – für grenz- überschreitende Wechsel- und Überweisungsspesen und für die Absicherung von Wechselkurs- und Zinsrisiken entfallen. Diese Kosten entstehen bisher hauptsächlich dadurch, dass die Touristikunternehmen ihre Reisekapa- zitäten bereits ein bis eineinhalb Jahre im Voraus buchen und die Währungen absichern müssen. Aber darüber ha- ben wir schon bei anderer Gelegenheit gesprochen. Klar ist: Es wird sich im Euroland einiges ändern – für Anbie- ter und Kunden. Wettbewerbsvor- und -nachteile werden transparenter wahrnehmbar. Auch die CDU/CSU hat dies erkannt und sofort der Bundesregierung in Form einer Großen Anfrage mitge- teilt. Große Fragen tun sich mir jedoch bezüglich unserer Opposition auf, wenn man sich den Gehalt einiger Fragen anschaut, aber das ist jetzt nicht unser Thema, sondern die Antworten unserer Bundesregierung, die dann hoffentlich einige Klarheit in das Denken der Antragsteller bringen! Wir können feststellen: Der Tourismus kommt in Deutschland nicht zu kurz und er muss sich im Vergleich entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht mit den anderen EU-Ländern keinesfalls verstecken. Wir geben dem wichtigen Wirtschaftszweig dort, wo er unsere Mitarbeit braucht, unsere Unterstützung. Auch wenn wir keinen eigenständigen Tourismusminister haben – wie im Übrigen auch die anderen EU-Länder nicht –, ist die Tou- rismuswirtschaft bei Rot-Grün und dem Bundeswirt- schaftsminister in guten Händen. Zwar ist die Zahl der zu- ständigen Mitarbeiter für Tourismuspolitik in den Ministerien nahezu aller betroffenen EU-Länder gleich – sie liegt zwischen einer und elf Personen –, aber allein die Tatsache, dass von allen EU-Ländern nur Deutschland einen Tourismusauschuss hat, zeigt, wie hoch wir hier die Bedeutung der Branche einschätzen, wieviel Aufmerk- samkeit Regierung und Opposition ihr schenken. Auf dem Weg zu den von uns allen angestrebten glei- chen Wettbewerbsbedingungen für die Tourismuswirt- schaft innerhalb der Europäischen Union sind noch einige Schritte zu gehen. Aber eins macht die Antwort unseren Kollegen von der rechten Seite des Hauses wohl endlich deutlich: Rot-Grün handelt. Rot-Grün ist schon einen guten Teil dieses Weges gegangen. Während die christde- mokratischen Kolleginnen und Kollegen Fragen stellen, haben wir schon längst Artworten gegeben. Zum Beispiel hat Rot-Grün für Deutschland die Mittel der nationalen Tourismusorganisation seit 1998 deutlich angehoben – als einziges EU-Land überhaupt. Wenn Sie ehrlich sind, lie- ber Kollege Brähmig, werden Sie zugeben, dass es das mit einer christlich-liberalen Koalition nicht gegeben hätte. Wir Koalitions-Touristiker haben gezeigt, dass man sich in unseren Fraktionen auch in Zeiten der Haushaltskonso- lidierung mit guten Argumenten durchsetzen kann. Die zusätzlichen finanziellen Mittel sind bei der DZT gut angelegt. Denn sie arbeitet effizient daran, das Deutschlandbild sowohl im In- als auch im Ausland zu verbessern. Durch gezielte Werbung und ländertypische Aktionen weckt die DZT die Neugierde der ausländischen Touristen. Sorgt sich um das gute Image für das Reiseland Deutschland und unterstützt somit das Ziel, Reiseauf- kommen nach Deutschland zu steigern. Nur der gute Wille allein reicht dafür jedoch nicht aus. Deswegen wurde die finanzielle Ausstattung für das Auslandsmar- keting verbessert. Viele ausländische Touristen werden also auch dank der von der Bundesregierung unterstützten DZT in unser Land kommen, um sich von den beein- druckenden Kultur- und faszinierenden Naturschönheiten Deutschlands selbst ein Bild zu machen. Auch die Deut- schen, die am liebsten in ihren eigenen Landesgrenzen verreisen, werden gut umsorgt. Denn nicht zu vergessen ist an dieser Stelle, dass neben dem Bund vor allem die Länder und Kommunen Budgets für das Inlandsmarke- ting bereithalten. Wenn wir nicht schon vor dieser Anfrage davon über- zeugt gewesen wären, dass für den deutschen Gaststätten- bereich und Beherbergungssektor keine Mehrwertsteuer- vergünstigungen gelten sollten, wären wir spätestens nach der Beantwortung durch die Bundesregierung vollständig überzeugt. Dieser Hilfestellung bedurfte es bei uns nicht; vielleicht bringt sie aber unsere christdemokratischen Kol- legen in Ihrem Denken weiter. Deutschland hat mit seinen 16 Prozent einen vergleichsweise geringen Mehrwertsteu- ersatz. Nachteile für die genannten Bereiche bestehen nicht. Wie auch? Lediglich fünf Mitgliedstaaten der EU unterschreiten in allen Bereichen der Gaststättenumsätze den deutschen Mehrwertsteuersatz. Auf dem Weg zu mehr europäischer Einheitlichkeit ist es dennoch ein erklärtes Ziel der Bundesregierung, auf diesem Gebiet die Aus- gewogenheit zwischen den europäischen Ländern zu ver- bessern. Mehr Ausgewogenheit wünschen wir uns auch auf dem Gebiet der Beherbergungsstatistik. Die Tourismusstatis- tik-Richtlinie der Europäischen Union bringt uns hier ei- nen Schritt weiter. Die deutsche Regierung hat ihren Teil zur Umsetzung der Richtlinie geleistet und in das Gesetz- gebungsverfahren gegeben. Für gute Leistungen der Tou- rismusmitarbeiter aller Bereiche und auch für uns Touris- muspolitiker ist eine zuverlässige und vergleichbare Datengrundlage ein mitentscheidendes Kriterium. Es bleibt zu hoffen, dass alle EU-Länder möglichst schnell ihren Beitrag zur Harmonisierung der Beherbergungssta- tistik leisten. Abschließend ein paar Worte zu den EU-Mitteln zur Förderung des Tourismus: Hier können wir feststellen, dass die Förderinstrumente vorrangig dem Strukturaus- gleich für benachteiligte Gebiete der transeuropäischen Zusammenarbeit dienen. Wettbewerbsnachteile entstehen daraus nicht. Im Gegenteil, denn schließlich wird dadurch dafür Sorge getragen, dass schwächeren Regionen unter die Arme gegriffen wird. Dadurch wird es für diese erst wieder möglich, am Wettbewerb teilzunehmen und eben- falls ans Ziel zu gelangen. Wenn letztlich alle Länder die Ziellinie erreicht und überschritten haben, bedeutet das mehr Wettbewerb. Aber Wettbewerb belebt bekanntlich das Geschäft. Das Reiseland Deutschland – das hat die Antwort der Bundesregierung noch einmal deutlich herausgestellt – braucht diesen Wettbewerb nicht zu fürchten. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Modulation von Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (Modulationsge- setz) (Tagesordnungspunkt 10) Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Es ist jetzt fast genau ein Jahr her, seitdem die BSE-Krise einen Stein ins Rollen brachte. Wir wissen alle, dass dies nicht die erste Krise ist, die die Landwirtschaft erschüttert und den lau- fenden Strukturwandel deutlich forciert. Weinskandal, genmanipulierte Lebensmittel, Schweinepest und auch gefundene Pestizidrückstände in Bier beunruhigten schon vor Jahren die Bevölkerung. Jeder wollte doch gern glau- ben, dass man durch die Wissenschaft, durch strengere Gesetze und Kontrollen, die Gefahrenquellen beseitigen kann. Diese Sicherheit gibt es seit BSE nicht mehr. Ge- rade der Stand der wissenschaftlichen Kenntnisse war hauchdünn und viel weiter sind wir leider immer noch nicht. Die erlebte Unsicherheit war es, die dazu führte, dass nach BSE das Vertrauen in die bäuerliche Landwirt- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119428 (C) (D) (A) (B) schaft nicht alleine durch stärkere Kontrollen und stren- gere Gesetze wieder hergestellt werden kann. Zwar haben wir durch das Verfütterungsverbot von Tiermehl, durch den sensiblen Umgang bei der Tötung von Tierbeständen gezeigt, dass wir diese Unsicherheit in der Bevölkerung ernst nehmen und die bestmögliche Sicherheitsstufe ein- räumen, aber es ist offensichtlich, dass Veränderungen an- stehen. In meiner Rede zum Agrarbericht 2001 sagte ich: „Die Landwirte gehören nicht an den Pranger, sondern mit ins Boot“. Ich bin auch nicht der Meinung eine Drohkulisse aufzubauen oder jemanden gegen die Wand laufen zu las- sen. Vielmehr werbe ich dafür, gerade auch unter dem Berufsstand, den eingeschlagenen Weg, hin zu einer um- weltgerechteren Landwirtschaft, gemeinsam zu beschrei- ten. In persönlichen Gesprächen ist die Bereitschaft ja einfach vorhanden, nur muss um den Weg zum Ziel ge- rungen werden. Aus meiner Erfahrung heraus sehe ich nur eine vernünftige Chance im Miteinander! Uns allen liegt eine umweltgerechte Landwirtschaft, Verbraucherschutz, Entwicklung der ländlichen Räume, um nur drei Schlag- lichter zu nennen, am Herzen. Aus diesem Grund liegt heute der Gesetzentwurf zur Modulation von Direktzah- lungen auf dem Tisch und es ist ein wichtiges Element dieser neuen Agrarpolitik. Nicht nur der Bund hat die Mo- dulation als geeignetes Mittel angesehen, um Gelder sinn- voll für eine umweltgerechtere Landwirtschaft umzu- schichten. Auch Vertreter der Länder hatten sich positiv geäußert. Im Juli diesen Jahres einigten sich Bund und Länder auf ein Modell, das bei einem Freibetrag von 20 000 DM eine Prämienkürzung von 2 Prozent vorsieht und ab dem Jahr 2003 in Kraft treten soll. Also: Erhält ein Betrieb mehr als 20 000 DM an Prämiengeldern, dann werden alle weiteren Zahlungen für seine Produkte um 2 Prozent gekürzt. Die EU sieht Kürzungen der Aus- gleichszahlungen von bis zu 20 Prozent vor. Unser Gesetz setzt bei 2 Prozent an. Die Kürzungen der Direktzahlun- gen machen bundesweit 105 Millionen DM aus. 166 Mil- lionen DM würden auf diese Weise zusätzlich für Agrarumweltmaßnahmen und Strukturpolitik im ländli- chen Raum zur Verfügung stehen. Hört sich erst mal gut an, aber insbesondere die Kofinanzierung ist Stein des Anstoßes für die Länder. Ich komme aus Sachsen-Anhalt und weiß, dass schon jetzt die GAK-Mittel nicht voll ab- gerufen werden können, weil die Kofinanzierung nicht mehr gewährleistet ist. Das ist schwer. Mit den geplanten Kürzungen der Direktzahlungen wären zwar besonders die neuen Bundesländer betroffen, aber die Rückführung der Gelder in die Regionen ist realisierbar. Welche Belastungen kommen auf diese Weise auf den Bund und die Länder zu? Der Bund ist bereit, 37 Milli- onen DM zusätzlich für eine Umorientierung in der Landwirtschaft einzusetzen. Eine Umorientierung kann aber nur in einer gemeinsamen Kraftanstrengung gelin- gen, deshalb brauchen wir die Hilfe der Länder und er- warten nun, dass sie ihren Teil dazu beitragen: das sind 24 Millionen DM für eine umweltgerechtere Produktion von Nahrungsmitteln und für die Stabilisierung der länd- lichen Räume. Ein weiterer Stein des Anstoßes ist die Um- setzung, Aufsicht und Verwaltung der Modulation. Hier- für kann der Bund die Verantwortung nicht übernehmen. Ganz klar ist geregelt: Diese Aufgaben sind Landesho- heit! Und ganz abgesehen davon, wäre mit so einer Än- derung von Finanzierungszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern eine Änderung des Grundgesetzes notwen- dig. Diese Forderung ist praktisch undiskutabel. Modulation ist ein geeignetes Mittel, um Gelder für eine nachhaltige Entwicklung der ländlichen Räume um- zulenken. Und das Mittelvolumen von 166 Millionen DM ist dafür eine gute Basis. Übrigens finde ich es falsch, dass Sie, Herr Kollege Heinrich, in mehreren Interviews ver- suchten den Eindruck zu erwecken als seien Subventio- nen ein verbrieftes Recht der landwirtschaftlichen Unter- nehmen, ihre Kürzung unredlich und ein Einsatz in umweltrelevanten Maßnahmen ungeeignet, um die Land- wirtschaft und den ländlichen Raum zu stärken. Ich habe das Gefühl Sie versuchen hier fünf gerade sein zu lassen und setzten in alter FDP-Manier Stützungen mit eigen Erwirtschaftetem gleich! Und letztlich war es doch die Politik von CDU und FDP, die die Abkehr von ökolo- gischen Zielen forciert hat. Nur nichts Neues fordern und entscheiden, immer alles schön beim Alten lassen. Egal, was sich da um uns herum in Europa tut. Wenn wir heute eine geringe Akzeptanz des Berufsstandes unter der Be- völkerung konstatieren müssen, ist das auch ein Ergebnis der jahrelangen umweltignoranten Politik, für die neben der CDU die FDP die Verantwortung mitträgt. Wir wollen zukünftig eine positive Entwicklung vo- rantreiben. Deshalb mein eindringlicher Appell an die Länder unser Gesetz zu unterstützen und nicht kurzsich- tig zu sein. Natürlich sind wir uns bewusst, dass gerade die finanzschwachen neuen Länder jede Mark zweimal umdrehen, ehe sie sie einmal ausgeben. Weshalb aber verschließen sich die südlichen Bundes- länder der Modulation völlig? Das war zwar von Anfang an zu erwarten, verwundert dennoch. Gerade Bayern und Baden-Württemberg rühmen sich, Gelder für Sonderpro- gramme in der Landwirtschaft zur Verfügung zu stellen. Umweltmaßnahmen werden groß geschrieben, heißt es. Wenn das so ist, dann verwundert es einmal mehr, dass das Modulationsgesetz der Bundesregierung so verteufelt wird. Die sachliche Begründung verschließt sich mir völlig. Im Gegensatz dazu lobte der saarländische Umweltmi- nister Mörsdorf noch im Sommer diesen Jahres die neuen Chancen, die das Modulationsgesetz für das Saarland bringen würden. Diese Einsicht wäre beim Votum im Bundesrat sehr hilfreich. Wir werden die Modulation einführen. Auch ohne Bundesrat wäre dies möglich. Allerdings müsste dann die Freibetragsgrenze von 20 000 DM fallen. Davon wäre dann jeder Betrieb in Deutschland betroffen. Kann uns da- ran gelegen sein? Nutzen wir die Zeit, um miteinander im Gespräch zu bleiben und gemeinsam: Bund und Länder für einen gesteigerten Umweltschutz, eine Stärkung der ländlichen Räume und die Interessen unserer Landwirt- schaft zu sorgen. Meinolf Michels (CDU/CSU): Ich habe noch einmal die Protokolle aus der Debatte über die Agrarreform 1992 nachgelesen. Wesentlicher Inhalt dieser Reform war: der Getreide- interventionspreis wurde um über 30 Prozent gesenkt; die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19429 (C) (D) (A) (B) Einkommensverluste sollten über eine Flächenbeihilfe ausgeglichen werden. Sprecher aller Fraktionen haben auf die Gefahr hingewiesen, die sie in der Möglichkeit staat- licher Kürzungen sehen. Recht hatten sie – nun wird’s wahr! Die Getreidepreise sind zumal in diesem Jahr schlechter denn je. Und dann hat die Kommission in Brüs- sel die Importzölle gesenkt und die Exportbeihilfen ge- strichen. Lassen Sie sich doch einmal über die Getreide- marktsituation berichten. Der vorliegende Gesetzentwurf zur Einführung einer Modulation wird von den Regierungsfraktionen als wei- terer Meilenstein der so genannten Agrarwende gefeiert. Vorab möchte ich dies zum Anlass nehmen, um aus- drücklich klar zu stellen, dass die CDU/CSU-Fraktion – sei es in Zeiten, als wir die Regierung stellten, aber auch jetzt in der Opposition eine Fortentwicklung der Agrarpo- litik immer als notwendig angesehen hat. Wir haben stets konstruktiv zu diesem Prozess beigetragen. Ich möchte nur an die gerade erwähnte Mac Sherry Re- form 92 erinnern. Wir haben mit viel Geld den Struktur- wandel in der Landwirtschaft begleitet – und dadurch er- träglicher gemacht. Und dies besonders in sozialer Hinsicht. Sie, Frau Künast, propagieren eine Agrarwende – das bedeutet weg vom bisher Dagewesenen. Meine Berufs- kollegen sagen, „Nun soll alles, was wir mit viel Arbeit geleistet haben, falsch sein ?“ „Wir haben doch die Men- schen bestens ernährt.“ Es sind gerade die jungen Bauern, die den Mut verlieren. Ja sie empfinden sich gedemütigt. Die in Ihrem Hause gefertigten Papiere zeigen vor allem eins: immer weniger Hilfe! Die Agrarpolitik der Bundes- regierung ist für die Betriebe nicht mehr kalkulierbar. Bei der Agrardebatte 92 hat der damalige Obmann der SPD, unser Kollege Oostergetelo, zu Recht ausgeführt, „Verlässlichkeit ist ein wesentliches Element in der Poli- tik.“ Obwohl die gegenwärtige Beschlusslage der EU eine Laufzeit bis 2006, 2008 hat, will die Bundesregierung den deutschen Landwirten in dieser Zeit die Planungssicher- heit streitig machen. Das können wir schon heute unein- geschränkt festhalten: dass die Einführung der Modula- tion in der vorliegenden Form für einen großen Teil der deutschen Landwirte eine weitere Verschlechterung ihrer Wirtschaftslage bedeutet. Ich bleibe mit meiner Kritik doch sehr moderat, wenn ich da lese, was die Mehrheit der Länder im Bundesrat als Stellungnahme zu diesem Thema vorgetragen hat. Schon laufende Länderprogramme wie zum Beispiel K.U.L.A.P. in Bayern können mit diesen Mitteln nicht auch finanziert werden. Es müssen neue sein. Ich betone noch einmal, wir sträuben uns nicht gegen Fortentwicklung oder Moderni- sierung im Bereich der Landwirtschaft, nur es muss dann auch für diesen Wirtschaftsbereich sinnvoll sein. Ihr Gesetzentwurf sieht vor, dass ein großer Teil der den Bauern vorenthaltenen 54 Millionen Euro landwirt- schaftsfremd investiert werden soll. Dazu werden die 31 Millionen Euro Kofinanzierung ebenfalls an den unser Volk ernährenden Bauern vorbei fließen. Frau Künast, ich möchte Sie wirklich dringend bitten, mit uns gemeinsam zu prüfen, ob wir nicht wenigstens einen Teil der Mittel für die Einführung des Vorruhestands in der Landwirt- schaft und gleichzeitig auch einen weiteren Schritt zur Altersabsicherung der Frauen in der Landwirtschaft tun können. Es ist ausdrücklich zu begrüßen, dass für den ländlichen Raum Programme mit finanzieller Unterstüt- zung des Bundes aufgelegt werden sollen. Aber es ist er- wiesenermaßen ausdrücklich volkswirtschaftlich falsch, wenn dies mit Geldern geschieht, die den praktisch täti- gen Bauern entzogen werden. Gestatten Sie mir abschließend, für alle wohlwollend darauf hinzuweisen, dass wir hier und gerade in der jetzi- gen Zeit für alle unsere Mitmenschen eine große Verant- wortung tragen. Jeden Fehler, den wir hier machen, müs- sen unsere Mitmenschen ausbaden. Nehmen wir doch nicht alles für selbstverständlich!! Stellen Sie sich doch einmal vor, die gegenwärtige Resignation bei unseren jun- gen Bauern würde dazu führen, dass Milch und Brot Man- gelware würden. In der Landwirtschaft liegt zwischen Saat und Ernte eine lange Zeit. Ulrich Heinrich (FDP): Die FDP-Bundestagsfraktion wird das Gesetz zur Modulation ablehnen, da es die deut- sche Landwirtschaft in keiner Weise fördert. Gefördert wird nur die Bürokratie, die in keinem vernünftigen Ver- hältnis zum Nutzen steht. Denn für 2 Prozent Modulation muss letztendlich der gleiche bürokratische Aufwand ge- trieben werden wie für 20 Prozent. Wir lehnen auch eine Umverteilung von produktbezogenen Hilfen ab. Denn derzeit gibt es keinen Spielraum für politische Umvertei- lungsmäzchen. Dies hat auch der Bundesrat so erkannt und hat aus Frau Künasts großen Plänen die Luft heraus- gelassen. Die Forderungen der Länder sind sehr berech- tigt, dass das eingesparte Geld auch im Land verbleiben soll. Selbst Agrarkommissar Fischler sprach nur von einem schmalen Hauch, wie er sich ausdrückte, der im Zusam- menhang mit der Modulation in Deutschland gegangen werden soll. Darüber hinaus hat er angekündigt, dass die Grundlagen der Modulation geändert werden würden, un- ter anderem soll auch verhindert werden, dass die Ge- samtausgaben für die Landwirtschaft insgesamt in die Höhe getrieben werden. Die FDP sieht – wie gesagt – in diesem Ansatz keinen in die Zukunft weisenden Weg. Wir wollen einen echten Umbau der Hilfen für die Landwirt- schaft erreichen, der nach einer längeren Übergangsphase in einer produktunabhängigen Förderung münden soll. Zu einer auf die Zukunft gerichteten Agrarpolitik gehören klare und verlässliche Rahmenbedingungen, mit denen die Landwirte mittel- und langfristig kalkulieren können. Frau Künast wird mit derartigen Gesetzesvorlagen kaum in der Lage sein, die notwendigen Reformen auf den Weg zu bringen. Eine geeignete Vorbereitung der deutschen Landwirtschaft auf die unmittelbar bevorstehende WTO- Runde und EU-Osterweiterung finden leider nicht statt. Ein weiterer Grund zur Ablehnung der Modulation ist, dass bereits vorhandene Landesprogramme wie das Meka und das Kulap mit diesem Vorhaben nicht in Überein- stimmung zu bringen wären. Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal deutlich herausstellen, dass vonsei- ten der Landwirtschaft kein finanzieller Spielraum für Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119430 (C) (D) (A) (B) Umverteilungsprogramme vorhanden ist und der büro- kratische Aufwand nicht akzeptiert werden kann. Kersten Naumann (PDS): Wir reden einerseits über Modulation und andererseits über Einkommenssenkun- gen bei einem Großteil der Landwirte. Der Einstieg in die Modulation ist ein Einstieg in intensiveren Wettbewerb. Es ist ein Einstieg in stärkeren Kostendruck und der Be- ginn eines schleichenden Ausstiegs aus Direktzahlungen. Die Modulation ist keine geeignete Alternative zur Neuausrichtung der Agrarpolitik und widerspricht der regionalspezifischen Fördergerechtigkeit. Dagegen würde ein gleichberechtigtes Konzept der Verteilung von Di- rektzahlungen aus Mitteln der GAP und von Mitteln in die ländliche Entwicklungspolitik bedeuten, dass natürliche regionale Standortbedingungen Berücksichtigung finden. Ich denke hier auch an die jeweilige Wirtschaftskraft der Bundesländer und insbesondere an die sozialpolitischen Faktoren wie die Arbeitslosenquote. Es zeigt sich: Die europäische Agrarpolitik und ihre stetige Reformierung zu mehr Wettbewerbsfähigkeit ist eine verfahrene Kiste. Hinterherhinkend sollen Verfah- rensfehler durch eine Förderung des ländlichen Raumes und für eine umweltgerechtere Produktion wieder gut- gemacht werden, was zu neuen Ungerechtigkeiten führt. Die PDS wird sich nicht gegen die Modulation aus- sprechen. Allerdings gibt es noch eine Reihe von Pro- blemen zu klären. So darf einer Türöffnerfunktion mit 2 Prozent auf keinen Fall eine – wenn auch schrittweise – Erhöhung bis zu 20 Prozent folgen. Modulation darf nicht zu Entwicklungs- und Liquiditätsproblemen der Agrar- betriebe führen. Zuerst muss unseres Erachtens das Pro- blem der Kofinanzierung geklärt werden. Eine steigende Modulationsquote führt zu einseitigen Mehrbelastungen gerade der neuen Bundesländer. Deshalb muss sicher- gestellt werden, dass genügend nationale und Kofinan- zierungsmittel der Bundesländer zur Verfügung stehen. Die Umschichtung von Mitteln zugunsten der länd- lichen Entwicklung sollte zur Erweiterung des finanziel- len Spielraumes für außerlandwirtschaftliche Aktivitäten, keinesfalls jedoch zur Substitution von Mitteln der GA „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ führen. Im Zuge der Neuorientierung der Agrarpolitik sollten ökologisch wirtschaftende Betriebe von der Kür- zung ausgenommen und der Freibetrag für die Klein- erzeuger für die Zukunft gesichert werden. Vorab sollte sorgfältig geprüft werden, ob und welche Wirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und die Be- schäftigung im ländlichen Raum ausgehen. lm vorgeleg- ten Referentenentwurf ist außerdem nicht hinreichend ge- klärt, wofür die Mittel tatsächlich eingesetzt werden sollen. Fakt ist auch, dass ein höherer Verwaltungsaufwand auf allen Ebenen nicht von der Hand zu weisen ist. Die Bundesregierung macht es sich da ziemlich einfach, einen höheren Aufwand zuzugeben, aber gleichzeitig zu be- haupten, dass dieser mit dem vorhandenen Personal und den vorhandenen Sachmitteln zu bewerkstelligen ist. Soll das etwa heißen, dass die Verwaltungsbehörden zurzeit nicht ausgelastet sind? Abschließend bleibt die Frage: Warum diese Eile? Wessen Interessen sollen hier durchgezogen werden? Ich empfehle der Bundesregierung mehr Übersicht bei den zu bewältigenden Problemen im ländlichen Raum, mehr Weitsicht bei ihren Entscheidungen und mehr Durchsicht bei ihren eigenen Gesetzentwürfen, damit die Menschen in der Landwirtschaft und im ländlichen Raum eine gute Aussicht haben. Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Mit dem Entwurf des Modulationsgeset- zes legt die Bundesregierung einen weiteren zentralen Baustein für eine zukunftsfähige und auf Nachhaltigkeit gerichtete Agrarpolitik vor. Wer öffentliche Mittel vergibt, muss dies begründen können. Eine Dekade nach der Agrarreform von 1992 ver- blasst die Rechtfertigung für pauschale Direktzahlungen. Das Argument „Direktzahlungen werden gewährt, weil die Landwirte vor 10 Jahren Preissenkungen bei ihren Produkten hinnehmen mussten“ verliert inzwischen an Gewicht. Anders ist es, wenn Sie den Steuerzahlern sagen: „Diese Mittel werden zunehmend für Leistungen der Landwirtschaft zur Verbesserung der Umwelt, für art- gerechte Tierhaltung und für eine nachhaltige ländliche Entwicklung eingesetzt“. Das sind gesellschaftlich er- wünschte Leistungen. Das Problem ist, dass diese Leis- tungen nicht oder nur teilweise über den Markt abgegol- ten werden. Deshalb bedarf es weiterer Anreize. Und genau dazu verschafft uns die Modulation neue Möglich- keiten. Es geht also künftig um gezielte Anreize für er- wünschte Leistungen – statt Verteilungspolitik mit der Gießkanne. Das Prinzip muss zunehmend lauten: Keine staatliche Leistung ohne Gegenleistung. Im Grundsatz ist diese schrittweise Neuorientierung auch bereits auf brei- ter Basis akzeptiert. So haben bei der Agrar- und Um- weltministerkonferenz am 13. Juni 2001 in Potsdam der Bund und alle Länder einmütig festgehalten: „Die Modu- lation ist grundsätzlich ein geeignetes Instrument, um durch Umschichtung von EU-Finanzmitteln von der 1. in die 2. Säule der gemeinsamen Agrarpolitik die Förderung besonders umweltgerechter Produktionsverfahren zu ver- stärken.“ Wir sind uns also im Grundsatz einig: Die schrittweise Verlagerung von Mitteln aus dem Marktbereich in eine gezielte Förderung in der 2. Säule ist sinnvoll und unver- zichtbar. Bei der praktischen Umsetzung versuchen aber einige „auf Zeit zu spielen“. Da wird auf die BSE-Krise und die Einkommenssituation der Landwirte verwiesen. Bei allen verständlichen Problemen in der Bullenmast: Die Situa- tion für die Masse der Landwirte ist besser als sie dar- gestellt wird. Ich erinnere an Milcherzeugerpreise, die 10 Prozent über dem Vorjahr liegen. Ich erinnere an die sehr gute Getreideernte. Ich verweise auf die letzte Um- frage des ifo-Instituts, nach der die Landwirte ihre wirt- schaftliche Situation als besser einschätzen als im Vorjahr. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19431 (C) (D) (A) (B) Da wird weiter auf die anstehende Halbzeitbewertung der Agenda 2000 verwiesen. Die Einführung der Modula- tion müsse zurückgestellt werden, bis klar ist, was die Kommission für die plane. Dazu kann ich nur sagen: Ge- nau umgekehrt wird ein Schuh draus: Wenn wir jetzt nicht zeigen, was wir wollen, brauchen wir uns nicht zu wun- dern, wenn am Ende Vorschläge auf dem Tisch liegen, die nicht den deutschen Interessen entsprechen. Das sage ich mit besonderem Nachdruck an die Adresse der Abgeord- neten von CDU und CSU. Ich erinnere an die Worte von Kommissar Fischler, der Ihnen diese Zusammenhänge auf dem CDU-Landwirtschaftskongress im Mai diesen Jahres glasklar dargelegt hat. Wir müssen uns an die Spitze der Diskussion in Europa stellen. Sonst laufen wir Gefahr, dass Mittel im Zuge der Osterweiterung nicht innerhalb der Landwirtschaft zu- gunsten des ländlichen Raumes umverteilt werden, son- dern verloren gehen. Deshalb appelliere ich an alle: Las- sen Sie uns jetzt diese Chance nutzen, Agrarpolitik zukunftssicher zu machen. In der bisherigen Diskussion über die Modulation war es mir ein wichtiges Anliegen, zu einer breit getragenen Lösung zu kommen. Deswegen bin ich insbesondere den Wünschen der Länder weit entgegengekommen. Mit dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf haben wir aus meiner Sicht einen akzeptablen Kompromiss gefunden: Wir set- zen einerseits ein deutliches Zeichen für eine Neuorien- tierung der Agrarförderung. Wir gehen andererseits mit einem mäßigen Kürzungssatz von 2 Prozent auch auf die Landwirtschaft zu, zumal die gekürzten Mittel der Land- wirtschaft nicht verloren gehen, sondern ergänzt um zu- sätzliche nationale Kofinanzierungsmittel für gezielte Fördermaßnahmen zur Verfügung stehen. Mit dem vorge- sehenen Freibetrag von 10 000 Euro nehmen wir Rück- sicht auf kleinere Betriebe. Gleichzeitig wird verhindert, dass die Modulation einseitig zulasten bestimmter Regio- nen, insbesondere der neuen Bundesländer geht. Durch die Verschiebung auf 2003 bleibt genügend Zeit, die ver- waltungsmäßige Umsetzung sorgfältig vorzubereiten und insbesondere ein überzeugendes Wiederverwendungs- konzept zwischen Bund und Ländern abzustimmen. Bei der Ausgestaltung dieses Wiederverwendungskonzepts sind wir schon gut vorangekommen. Der Bund hat den Ländern bekanntlich bei der Ver- wendung von Modulationsmitteln seine Beteiligung über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruk- tur und des Küstenschutzes“ angeboten. Im Vordergrund stehen dabei Maßnahmen zur Stärkung einer nachhal- tigen, umweltgerechten Landbewirtschaftung, die über gesetzliche Mindeststandards hinausgehen. Mir geht es darum, dass zum Beispiel enge Fruchtfolgen erweitert werden, durch Zwischenfruchtanbau und Winterbegrü- nung Vorsorge gegen Erosion und Nitratauswaschung ge- troffen wird und Emissionen durch Anwendung moderner Gülleausbringungstechnik vermieden werden. Darüber hinaus möchte ich denjenigen Landwirten eine Förderung anbieten, die besonders umwelt- und tiergerechte Hal- tungsverfahren praktizieren. Derzeit werden entsprechende Fördermaßnahmen in- tensiv mit den Ländern beraten. Damit sollen den Ländern differenzierte Maßnahmen angeboten werden, die je nach den regionalen Besonderheiten und Bedürfnissen in An- spruch genommen werden können und deren Einhaltung kontrolliert werden kann. Mein Ziel ist, dass Bund und Länder im Dezember über die Grundzüge für die Umsetzung der Modulation über die Gemeinschaftsaufgabe beschließen. Bekanntlich hat der Bundesrat zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zwar grundsätzlich eine positive Haltung eingenommen, dies aber mit einer Reihe von Forderungen verbunden. Die Länder fordern unter anderem, gesetzlich festzulegen, dass die Wiederverwendung der Mittel vorrangig in dem Land erfolgen soll, wo die Mittel durch Kürzung angefal- len sind. Dieses Grundprinzip hatten wir bereits anlässlich der Agrarministerkonferenz am 9. Juli 2001 vereinbart. Die Bundesregierung steht zu dieser politischen Verein- barung und kann daher einer gesetzlichen Festlegung zu- stimmen. Anders sieht es dagegen bei den übrigen Gesetzes- anpassungen aus, die die Länder fordern. Vorrangig geht es hier um die Finanzierungsfrage. Der Bund ist wie bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ bereit, 60 Pro- zent der Kosten zu übernehmen. Die Länder – ich kann das ja aus deren Sicht verstehen – fordern mehr zu über- nehmen. Der Streitwert, über den wir uns unterhalten, be- trägt 12 Millionen Euro, aufzuteilen auf 16 Länder. Die- ser Betrag käme der Landwirtschaft zusätzlich zugute. Er flösse in Maßnahmen, die in den Ländern noch nicht aus- reichend berücksichtigt werden. In Anbetracht des Streit- wertes bin ich optimistisch, dass wir gemeinsam eine Lö- sung finden. Schließlich noch eine Bemerkung zum Thema Verwal- tungsaufwand. Ich bestreite nicht, dass die Modulation ei- nen gewissen zusätzlichen Verwaltungsaufwand mit sich bringt. Dieser ergibt sich vor allem aus dem vorgesehenen Freibetrag. Der aber ist Kernelement des gefundenen Kompromisses und geht auch auf den Wunsch zahlreicher Länder zurück. Insoweit muss der daraus resultierende Aufwand akzeptiert werden. Im Übrigen sind wir dabei, auf Fachebene gemeinsam mit den Ländern ein Verwaltungsverfahren zur Durch- führung der Modulation zu entwickeln. Es zeichnet sich inzwischen eine Lösung ab, die administrierbar und mit vertretbarem Aufwand umsetzbar ist. Meine Damen und Herren, allen Versuchen von CDU/CSU und FDP zum Trotz: Die Modulation wird kommen! Wir müssen für die offenen Fragen nicht heute oder morgen eine Lösung finden. Ich bin optimistisch, dass wir das bis 2003 schaffen. Und ich bin sicher: Es wird Ihnen nicht gelingen, mithilfe der Länder dieses wichtige Element der Agrarwende zu torpedieren. Die Modulation ist ein Chance. Eine Chance für eine umweltverträgliche Landwirtschaft mit artgerechter Tier- haltung. Eine Chance für eine zukunftsfähige und auf Nachhaltigkeit gerichtete Agrarpolitik. Wir sollten sie nicht länger ungenutzt lassen! Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119432 (C) (D) (A) (B) Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: a) Abschaffung der Kapazitätsbeschränkungen für Werften in Mecklenburg-Vorpommern b) Faire Wettbewerbsbedingungen für die Werft- industrie in Mecklenburg-Vorpommern (Ta- gesordnungspunkt 11 und Zusatztagesord- nungspunkt 7) Dr. Margrit Wetzel (SPD): In den 90er-Jahren erhiel- ten die Werften in Mecklenburg-Vorpommern hohe In- vestitionsbeihilfen aus öffentlichen Mitteln, um ihre Umstrukturierung zu modernen, wettbewerbs- und leis- tungsfähigen Schiffbaubetrieben zu ermöglichen. Da sie mit diesen Beihilfen keine grundlegenden Wettbewerbs- vorteile gegenüber anderen europäischen Werften auf- bauen sollten, wurden von der EU Kapazitätsbegrenzun- gen in Höhe von insgesamt 327 000 cgt auferlegt, die für die Schiffbaubetriebe in Wismar, Rostock, Stralsund und Wolgast bis zum Jahre 2005 gelten. Die Modernisierung der Werften ist mit beispielhafter Kreativität gelungen: Leistungsfähige moderne Betriebe mit überzeugendem Management, mit hoher Systemkom- petenz und Präzisionsfertigung sind zugleich Vorbild für neue Kooperationsformen, in denen komplexe Module an Subunternehmer abgegeben, bestimmte Fertigungstech- niken gebündelt ausgegliedert und schließlich in der Produktverantwortung der Werft zu modernen, zeitge- recht fertig gestellten, qualitativ hochwertigen High-Tech- Schiffen zusammengebaut und abgeliefert werden. Die Leistungsfähigkeit und Ablieferungsqualität der ostdeut- schen Werften ist im Reigen der westlichen Industrielän- der wettbewerbsfähig; entsprechend konnten Aufträge ak- quiriert werden. Und doch musste trotz voller Auftragsbücher in Wis- mar und Warnemünde Kurzarbeit verhängt werden. Der Grund: die von der EU festgelegten Kapazitätsbegren- zungen zum Schutz der anderen europäischen Werften. Tatsächlicher Wettbewerber der ostdeutschen Werften sind aber nicht vorrangig die europäischen Mitbewerber, sondern ist die koreanische Schiffbauindustrie. Aufträge, die bei ostdeutschen Werften platziert sind und aufgrund der Kapazitätsbegrenzungen nicht ausgeführt werden können, gehen umgehend nach Korea und schwächen da- mit nicht nur den ostdeutschen, sondern den gesamten eu- ropäischen Schiffbaumarkt. Der Weltschiffbaumarkt hat sich durch das Zusam- menwirken der hohen Leistungsfähigkeit der modernen, großen koreanischen Werften mit einer unverantwortli- chen koreanischen Dumpingpreispolitik, bei der Schiffe bis zu 40 Prozent unter den eigenen Gestehungskosten an- geboten werden, dramatisch verändert. Korea hält inzwi- schen mehr als 50 Prozent der Marktanteile bei Schiffs- neubauten. Wir haben im Deutschen Bundestag mehrfach Debatten darüber geführt und der Bundesregierung mit der breiten Mehrheit aller Fraktionen den Rücken gestärkt für eine überzeugende deutsche und europäische Politik gegen das unseriöse Vorgehen Koreas und die Klageerhe- bung vor der WTO. Bereits im Jahr 2000 beantragte die Bundesregierung eine Überprüfung der nicht mehr zeitgemäßen Kapa- zitätsbeschränkungen der Ostwerften. Es ist nicht nachzu- vollziehen, dass Korea seine Schiffbaukapazitäten mit Geldern des IWF ausbaut und ostdeutsche Werften gleich- zeitig im Auftrag europäischer Wettbewerbshüter Auf- träge ablehnen sollen, die die hier dringend notwendige Arbeit sichern könnten. Der Antrag der Bundesregierung wurde von der EU-Kommission unter Verweis auf die Überkapazitäten am Weltschiffbaumarkt negativ beschie- den. Insofern ist die im CDU-Antrag erhobene Forderung mehr als unrealistisch und entspricht auch nicht den Ver- einbarungen, mit denen wir überfraktionell die Arbeit des Wirtschaftsministeriums politisch begleitet haben. Ich darf an dieser Stelle gerade auch dem Bundeswirtschafts- minister, seinen Staatssekretären und Beamten danken, die uns imAusschuss regelmäßig und umfassend über ihre Bemühungen, die Schwierigkeiten der Verhandlungen in Brüssel und mögliche Erfolgsaussichten in Teilbereichen unterrichtet haben. Herzlichen Dank für diese vertrauens- volle Zusammenarbeit, mit der Sie sich auch immer die Unterstützung des ganzen Hauses gesichert haben! Der enge Rahmen der jährlich und pro Werft festge- legten Produktionsbeschränkungen macht es den Werften unmöglich, betriebswirtschaftlich sinnvoll auf ihre Pro- duktivitätsentwicklungen, auf die Verringerung der Ferti- gungstiefe oder auf technologisch bedingte Änderungen der Produktionsplanungen zu reagieren. Die Bundes- regierung hat nach der Ablehnung des Antrages im Jahr 2000 deshalb Spielräume gesucht, wie man diesem Umstand Rechnung tragen und den Werften, auf ihre faktischen Gegebenheiten gründend auf eine akzeptable und faire Weise Luft verschaffen könnte. Die Regierung hat nach zahlreichen langwierigen und intensiven Gesprächen mit der Europäischen Kommission ausge- handelt, dass die für die Werften in Mecklenburg-Vor- pommern bis 2005 weiterhin geltenden Kapazitätsbe- grenzungen ab 2001 flexibel gehandhabt werden können: Die ostdeutschen Werften dürfen Kapazitäten, die sie in einem Jahr nicht ausnutzen, auf das nächste Jahr übertra- gen. Sie dürfen Kapazitäten untereinander austauschen, indem sie nicht selbst genutzte Anteile auf eine andere ostdeutsche Werft übertragen, und sie dürfen werfttypi- sche arbeitsintensive Leistungen, die sie an Dritte verge- ben – eine bei den deutschen Werften inzwischen übliche Praxis zur Erzielung höherer Effizienz – bei der Berech- nung ihrer Schiffbauproduktion berücksichtigen. Diese von der Europäischen Kommission genehmigte neue Regelung sichert den ostdeutschen Werften größere betriebswirtschaftliche Spielräume und schafft ihnen Luft, weil die Regelung bereits für 2001 gilt. Die Kurzar- beit konnte aufgehoben werden und die Bundesregierung hat in enger Abstimmung mit dem Ministerpräsidenten des Landes wesentlich dazu beigetragen, die Werftar- beitsplätze in Mecklenburg-Vorpommern zu sichern. Wir freuen uns über diesen Verhandlungserfolg, der ein für die Werften praktikables Ergebnis erzielt hat. Wir alle hätten lieber eine Aufhebung der Kapazitätsbeschränkun- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19433 (C) (D) (A) (B) gen gehabt, sollten nach der erfolgten Ablehnung des ent- sprechenden Antrages durch die Kommission aber die Leistung der Bundesregierung, die mit hoher Kreativität, Kompetenz, Sensibilität und Nachdruck in den Verhand- lungen erbracht wurde, auch entsprechend würdigen und anerkennen. Noch einmal: Dank für dieses Ergebnis, ma- chen Sie weiter auf diesem Weg, begleiten Sie unsere Werften politisch auf dem knallhart umkämpften Schiff- baumarkt! Ich möchte diese Gelegenheit aber auch nutzen, noch einmal wieder darauf hinzuweisen, dass die deutschen Werften keine Beihilfen und Subventionen bräuchten, wenn wir endlich faire Wettbewerbsbedingungen auf dem Weltmarkt hätten: Wir brauchen ein OECD-Schiffbauab- kommen, dem sich alle wichtigen Schiffbaunationen ver- pflichtet wissen, einAbkommen, das faire Regelungen der Preisgestaltung enthält und Sanktionen bei Verstößen vor- sieht. Wir gehen davon aus, dass die Bundesregierung uns in Kürze einen Bericht zu den Fortschritten bei diesen in- ternationalen Verhandlungen vorlegen wird. Das Stich- wort Sanktionen erinnert daran, dass das Parlament die Regierung beauftragt hat, zu eruieren, inwieweit der In- ternationale Weltwährungsfonds ein Mandat erhalten könne, sich zur Überwachung und Bewertung der Einhal- tung von Kreditbedingungen auch mit sektoralen Angele- genheiten zu befassen. Wir sind nach wie vor nicht bereit, zu akzeptieren, dass deutsche und europäische Gelder des IWF in Korea – und sei es auch nur indirekt – dazu ver- wandt werden, den Weltschiffbaumarkt dramatisch in sei- nem Gefüge zu stören, deutsche und andere europäische Werften um ihre Existenzgrundlagen zu bringen und ein langfristig selbstzerstörerisches Dumpingpreisgefüge am Markt zu etablieren, das durch die entstehenden Überka- pazitäten auch noch dazu beiträgt, die Umsatzentwicklung des gesamten Schifffahrtsmarktes ins Wanken zu bringen. Ich bitte deshalb alle Fraktionen des Hauses, in den Ausschussberatungen doch wieder zu einer einvernehm- lichen Linie zu finden und unserem Antrag zuzustimmen. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): „Wir stehen vor dem Scherbenhaufen, den die Politik hinter- lassen hat“, urteilte vor kurzem der Betriebsrat der Aker- MTW-Werft in Wismar und brachte die Stimmung unter den Wismarer Schiffbauern auf den Punkt: „Trotz vieler Aufträge Kurzarbeit. Wer soll das verstehen?“ Die SPD- Bürgermeisterin dieser Hansestadt stellte knallhart fest: „Ich bin von Landes- und Bundesregierung enttäuscht.“ Die Werften in Mecklenburg-Vorpommern leiden un- ter dem Diktat aus Brüssel. Noch immer gelten die Kapa- zitätsobergrenzen. Kurzarbeit bei vollen Auftrags- büchern, Brüssel zeigt der Bundesregierung auch für den Schiffbau die rote Karte. Das jetzt als Erfolg verkaufte Austauschverfahren zwi- schen den Werften ist lediglich ein Verfahrenstrick unterhalb der Deckelung ohne tatsächliche Lösung. Neue Aufträge können nicht angenommen, zusätzliche Arbeitsplätze nicht geschaffen werden. Das Verfahren selbst ist fragwürdig. Keine Werft will freiwillig ihr Kontingent aufgeben, keine auf Auftragschancen verzichten. Allein die von Brüssel genehmigte so genannte Out- sourcing-Formel bringt eine geringe Erleichterung. Die Peene-Werft in Wolgast kann damit pro Kalenderjahr ein Viertel Schiffe mehr bauen. Eine Zukunftslösung ist das keinesfalls, so Gewerkschaftsvertreter. Was wir brauchen, ist ein fairer Wettbewerb für die Küste ohne Kontingente, Subventionen und Reglementie- rungen; und das weltweit. Dafür muss sich die Bundesre- gierung bei OECD, den G-7-Staaten, in Brüssel, aber auch in Fernost, einsetzen. Ohne Wettbewerbsverzerrung ha- ben deutsche Werften eine Zukunft, weil deren Bauten weltweit für Qualität stehen. Bleibt es bei Staatshilfen, ist die Zukunft von 50 der 100 Werften extrem gefährdet. Schiffbau und Schifffahrt stehen vor den größten He- rausforderungen, die sie je gehabt haben: Nicht gelöst sind die unfairen Handelspraktiken der Südkoreaner. Bis zu 40 Prozent unter den Herstellungskosten verkaufen sie ihre Boote. Korea ist im Weltschiffbau Nr. Eins, Japan folgt und China holt auf. Seit drei Jahren zaudert und zögert die EU-Kommis- sion bei Sanktionen gegen Fernost. Deutschland als wich- tigstes europäisches Schiffbauland bleibt ohne Durch- setzungskraft, Dänemark dominiert in Brüssel das Geschehen. Immer mehr zeigt sich: Es war falsch, auf die EU und den guten Willen der Koreaner zu setzen. Besser wäre eine OECD- oder G-7-Vereinbarung über klare faire Handelsbedingungen im Weltschiffbau gewesen. Drei Jahre hat man nichts unternommen, nun dramatisiert sich die Lage. Es muss endlich gehandelt werden. Chefsache muss der Schiffbau werden. Nicht gelöst ist, ob die auslaufende Abwehrbeihilfe für die Werften vom EU-Industrieministerrat verlängert wird. Nicht gelöst ist, ob das derzeit laufende Programm be- grenzt bleibt auf Ablieferungstermine bis 2003. Ungewiss ist auch, ob es für bestehende Schiffsneubauaufträge bis 2004 gestreckt wird. Was macht die Bundesregierung? Sie veranstaltet eine publikumswirksame zweite Maritime Konferenz; halbherzig ohne Kanzler, ohne den zuständi- gen Wirtschaftsminister. Die erste Konferenz dieser Art in Emden endete mit Appellen, und dabei blieb es; das Ros- tocker Treffen ist dieser Ausrichtung treu geblieben. Wird jetzt nicht konkret und knallhart gehandelt, sind besonders die mittelständischen Werften existenziell ge- fährdet; darauf weisen die Fachverbände mit großer Sorge hin. Damit geriete auch die maritime Wirtschaft insge- samt in Bedrängnis, denn der Schiffbau ist und bleibt die Kernbranche. Ein Einbruch hier hätte nicht nur verhee- rende Folgen für die Küste, sondern auch Konsequenzen bei den Zulieferern. 70 Prozent der Wertschöpfung eines Schiffes kommen aus Süd- und Westdeutschland. 220 000 Arbeitskräfte sind in Deutschland in der ma- ritimen Wirtschaft beschäftigt. Die Schifffahrt mit 49 000 Beschäftigten und einem Umsatz von 18 Milliar- den Mark stellt den größten Anteil. Die maritime Zulie- ferindustrie und der Schiffbau mit zusammen 96 000 Be- schäftigten, die einen Umsatz von 24 Milliarden Mark erwirtschaften, folgen. Die Wettbewerbshilfe ist anerkennenswert, sie stärkt die Wirtschaft. Doch seit Mai vergangenen Jahres gibt es ein Gezerre um die Werften in Schleswig-Holstein. Der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119434 (C) (D) (A) (B) Bundesregierung ist es nicht gelungen, die Landesregie- rung in Kiel zur Einhaltung ihres Anteils bei der Kofinan- zierung der Werftenhilfe zu bewegen; alle anderen vier norddeutschen Länder haben den Vertrag eingehalten, eine Situation zum Nachteil des Schiffbaulandes Schles- wig-Holstein. Solange Bundeswirtschaftsminister und Bundeskanz- ler nicht ihre ganze Autorität für den Schiffbau einsetzen, bleibt es bei reinen Ankündigungen. Eine Zukunft für das Werftenland Deutschland entsteht daraus nicht. Werner Kuhn (CDU/CSU): An der mecklenburgi- schen und vorpommerschen Küste gab und gibt es etliche traditionsreiche Schiffsbauplätze mit einer wechselrei- chen Geschichte, geprägt von einem stetigen Struktur- wandel über die Jahrhunderte. Nach dem Krieg bis Ende der 80er-Jahre hat sich das Kombinat „Schiffbau“ in der ehemaligen DDR auf eine Jahreskapazität von über 500 000 BRT bei 35 000 Beschäftigten entwickelt. Nach der Wende erfolgte durch die Treuhandanstalt die erste Privatisierung, die komplett auf den Bremer Vulkan Verbund zugeschnitten war. Wie sich im Nachhinein he- rausstellte, wurde das Geld für die Investitionsbeihilfe zweckentfremdet genutzt und das Cash-Management von Herrn Hennemann war die zarteste Versuchung, seit es Plünderungen gibt. Ein schwerer Rückschlag für die Plat- zierung der ostdeutschen Werften Wismar, Rostock, Stral- sund und Wolgast am internationalen Markt. Dann erfolgte der zweite Anlauf, unsere Werften in Mecklenburg-Vorpommern zu wettbewerbsfähigen Kon- taktwerften umzurüsten. Das erfolgte mit finanziellen Mitteln der Europäischen Union aus dem GA-Fonds und den Investitionszulagen aus dem Land. Für die Förder- mittel der EU wurde – wieder im Nachhinein betrachtet – aber ein zu hoher Preis bezahlt. Eine Kapazitätsbegren- zung für alle vier Werftstandorte von 327 000 CGT über einen Zeitraum von zehn Jahren ist viel zu starr und un- flexibel, um auf den internationalen Wettbewerb zu rea- gieren. Sicher hat die Bundesregierung mit der Übertragbar- keit von Teilen der Quote von einem Geschäftsjahr ins an- dere, mit einer möglichen Verschiebung der Anteile in- nerhalb des Werftenverbundes Ost für eine kurzfristige Entlastung der angeschlagenen Werften in Mecklenburg- Vorpommern gesorgt. Das Grundproblem der deutschen Werften am internationalen Markt ist damit aber keines- falls gelöst. Durch die anhaltenden Wettbewerbsverzer- rungen der Koreaner mit ihren Dumpingpreisen, die mit bis zu 40 Prozent unter den Herstellungskosten liegen, verliert die deutsche maritime Verbundwirtschaft von Monat zu Monat immer mehr Marktanteile. Es kann nicht angehen, dass die Koreaner mit verdeck- ten und sogar offenen Subventionen wie Betriebskos- tenzuschüssen, Steuernachlässen, Schiffbaubeihilfen und der Vergabe zinsloser Kredite einen Auftrag nach dem an- deren im Frachtschiffbau verbuchen können und unsere hochmodernen Kompaktwerften wegen der besagten Ka- pazitätsbegrenzung sich nicht einmal am Wettbewerb be- teiligen können. Mittlerweile konzentrieren sich mehr als 50 Prozent der Kapazität im Weltschiffbau auf Südkorea und deutsche Unternehmen sind gezwungen, nur noch als Zulieferer oder Lizenzgeber Stück für Stück ihre System- führerschaft aus der Hand zu geben. Von diesem Preis- kampf besonders geschädigte Marktsysteme sind Contai- nerschiffe, Chemikalien- und Produktentanker. Wie Ihnen sicher bekannt ist, liegt Mecklenburg-Vor- pommern mit seinem Bruttoinlandsprodukt aufgrund der Strukturschwäche im unteren Drittel im Vergleich der Länder in der Bundesrepublik. Die vier Kompaktwerften sind mittlerweile die einzigen noch verbliebenen industri- ellen Kerne im Nordosten. Eine Lösung, die Ferti- gungstiefe der Werften zu verringern und mit Outsourcing die Kapazität scheinbar zu erhöhen, bringt keine wirkli- che Verbesserung der Industrielandschaft und keine ent- sprechende Entlastung des Arbeitsmarktes in Mecklen- burg-Vorpommern. Die Hauptzulieferer – das können sie in allen einschlägigen Statistiken nachlesen – befinden sich im Westen und Süden Deutschlands. Die Funktion der Werften als Kristallisationspunkte für die Entwick- lung von kleinen- und mittelständischen Unternehmen ist von der jetzigen Bundesregierung und von der rot-roten Landesregierung sträflich vernachlässigt worden. Bei einer Arbeitslosenquote, die sich Richtung 20 Pro- zent bewegt, und einem Wirtschaftswachstum in Meck- lenburg-Vorpommern, das mittlerweile rote Zahlen schreibt, nutzen den Menschen, deren Existenz vom Schiffbau abhängt, keine langwierigen bilateralen Ver- handlungen zwischen der Bundesregierung und Korea. Eine Klage vor der Welthandelsorganisation wegen un- zulässiger Subvention mag ja zum Erfolg führen, ist aber ebenfalls kein probates Mittel der Soforthilfe. Das jetzt schon über zehn Jahre in Aussicht gestellte OECD-Ab- kommen über einen fairen Schiffbauwettbewerb wird wohl eher das Jüngste Gericht entscheiden, als dass wir auch nur mittelfristig klare Verhältnisse haben werden. Deshalb fordert die CDU/CSU-Fraktion in ihrem Antrag die Bundesregierung und die Europäische Union eindeu- tig auf, die wirtschaftsfeindlichen Kapazitätsbeschrän- kungen der Werften in Mecklenburg-Vorpommern inner- halb des kommenden Jahres komplett aufzuheben. Weiterhin fordern wir: Erstens. Damit die deutsche ma- ritime Industrie nicht weiter an Boden verliert, ist die un- bedingte Wiedereinführung der Schiffbaubeihilfe in Höhe von mindestens 300 Millionen DM für das Haushaltsjahr 2002 zu vollziehen. Hier müssen besonders die bereits er- wähnten Marktsegmente wie Containerschiffe, Chemie- und Produktentanker wieder international wettbewerbs- fähig gemacht werden. Zweitens. Wir fordern die Bundesregierung auf, fol- gende Änderungen im steuerlichen Bereich mit sofortiger Wirkung zu realisieren: Zulassungen von Rückstellungen für Drohverluste im Schiffbau, Änderungen der Mehr- wertsteuererhebung während der Bauzeit von Schiffen. Drittens. Die deutsche Schiffbauindustrie darf ihre Technologieführerschaft nicht kampflos aufgeben. Des- halb muss Forschung und Entwicklung zielorientiert gefördert werden. Die Bewilligungsprozesse müssen be- schleunigt werden und die Förderquote F und E muss auch komplett ausgeschöpft werden. Die politische Ex- portunterstützung besonders für öffentliche Aufträge von Drittländern muss intensiviert werden. Das Gleiche gilt Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19435 (C) (D) (A) (B) für eine großzügigere Anwendung des Garantieprozede- res für ausländische Besteller. Die Werftindustrie in Mecklenburg-Vorpommern ist längst noch nicht über dem Berg. Das zeigen die nur rar gefüllten Auftragsbücher für die kommenden Jahre. Trotz der erreichten Flexibilität bezüglich der Schiffbauquote ist kein Normalzustand in dieser Industriebranche in Mecklenburg-Vorpommern zu verzeichnen. Ganz konkret fordern wir die Bundesregierung auf, die bestehenden Ka- pazitäten der ostdeutschen Werftindustrie für den Auftrag Korvette K 130 in vollem Umfang zu nutzen. Es kann nicht angehen, dass bei einem Gesamtauftragsvolumen von 1,72 Milliarden nur 1,5 Prozent – sprich 26 Millionen DM – in unserem Bundesland realisiert werden. Wenn sie den Aufbau Ost wirklich ernst nehmen, dann erwarten wir hier volles Engagement, damit die Menschen auch in Mecklenburg-Vorpommern wieder Zuversicht erreichen. Wo ist die „Chefsache“ Aufbau Ost, Herr Bundeskanzler? Dazu genügt nicht die ruhige Hand, denn Arbeit schafft man nicht mit links. Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die Zukunft der Werften in Mecklenburg-Vor- pommern ist eine der Angelegenheiten, die sich praktisch alle Fraktionen zu Eigen gemacht haben. Schon in der Vergangenheit waren oft nur wenige Unterschiede zu er- kennen. Ich darf daran erinnern, dass wir erst im Frühjahr einen breiten überfraktionellen Konsens erzielt haben. Uns eint die Sorge um die ökonomische Zukunft der Werften und die Sorge um die Sicherheit der Arbeitsplätze in der Werftindustrie. Bündnis 90/Die Grünen stellen fest, dass es der Bun- desregierung nach langen, schwierigen und zähen Ver- handlungen gelungen ist, die Europäische Kommission zu einer positiven Entscheidung in der Frage der Kapazitäts- begrenzungen zu bewegen. Dies ist umso bemerkenswer- ter, als noch im vergangenen Jahr der Wunsch der Bun- desregierung nach einer entsprechenden Überprüfung durch die EU-Kommission negativ beschieden wurde. Uns allen ist bewusst, dass der enge Rahmen der jähr- lich und pro Werft festgelegten Produktionsbeschränkun- gen wenig sinnvoll ist. Diese Kapazitätsbegrenzungen sind eine Fessel für die Produktivitätsentwicklung und eine Bremse für notwendige ökonomische Planungen und Entscheidungen für die Zukunft. Wir begrüßen es daher ausdrücklich, dass die Bundesregierung mit großem Engagement und mit hohem Nachdruck die Interessen Mecklenburg-Vorpommerns, die Interessen der in den Werften Beschäftigten und natürlich der Werftindustrie selbst gegenüber der EU-Kommission vertreten hat. So ist es gelungen – übrigens ohne großen öffentlichen Wirbel zu veranstalten –, ein erfreuliches und vor allem ein hand- habbares Ergebnis zu erzielen. Der Antrag der Union, der heute überwiesen werden soll, ist aus meiner Sicht erledigt. Im Interesse der Sache wäre es daher hilfreich, wenn die Opposition diesen An- trag zurückziehen würde und dem Antrag der Koalitions- fraktionen beitreten oder diesem zumindest zustimmen würde. Die Bundesregierung hat zwar die Kapazitätsobergren- zen nicht wegverhandeln können. Sie hat aber erreicht, dass diese Obergrenzen ab sofort flexibel und damit den betrieblichen Erfordernissen entsprechend angewandt werden können. Das heißt im Klartext, dass nicht genutzte Kapazitäten von einem Jahr auf das nächste übertragen werden können. Das heißt konkret, dass nicht selbst ge- nutzte Kapazitäten auf eine andere ostdeutsche Werft übertragen werden können. Diese vereinbarte neue Rege- lung trägt mehr zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der ostdeutschen Werften bei, als alle Anträge der Oppo- sition zusammen. Dank unserer intensiven und erfolgrei- chen Bemühungen haben die Werften größere betriebs- wirtschaftliche Spielräume. Gleichzeitig haben wir damit einen erheblichen Beitrag zur Sicherung der Arbeitsplätze geleistet. Hans-Michael Goldmann (FDP): Die zweite Natio- nale Maritime Konferenz am Anfang dieser Woche in der Hansestadt Rostock hat gezeigt, welche große Bedeutung die maritime Wirtschaft, nicht nur an der Küste, sondern insgesamt in Deutschland hat. Die Säulen dieser maritimen Wirtschaft sind: Schiff- bau und Werften, Seeverkehrs- und Hafenwirtschaft, ma- ritime Zulieferer und Dienstleister, Meerestechniken, ma- ritime wissenschaftstechnische Infrastruktur: Aber auch maritimer Tourismus und Fischereiwesen, Meeresbiolo- gie und Meeresmedizin sind außerordentlich bedeutend, sie sichern eine Vielzahl hoch qualifizierter Arbeitsplätze und haben aufgrund ihres Eigenpotenzials und angemes- sener politischer Begleitung sehr gute Zukunftschancen. Unter diesem Gesichtspunkt ist es zu begrüßen, dass sich die Wettbewerbsbedingungen durch Kapazitätsver- änderungen für die Werftindustrie in Mecklenburg-Vor- pommern ein bisschen verbessert haben. Die Werften in Mecklenburg-Vorpommern haben in den 90er-Jahren hohe Investitionsbeihilfen erhalten, sodass moderne Wett- bewerbs- und leistungsfähige Schiffbaubetriebe entstehen konnten. Als Ausgleich dafür wurden den Werften in Wis- mar, Rostock, Stralsund und Wolgast Kapazitätsbegren- zungen auferlegt (327 000 cgt), die bis zum Jahre 2005 gelten sollen. Ab 2005 sollten diese Kapazitätsbegren- zungen flexibel gehandhabt werden. Es war immer Anlie- gen aller an der maritimen Wirtschaft, an den Werften und ihren Arbeitsplätzen Interessierten, diese Kapazitätsbe- schränkungen aufzuweichen. Lange hat sich die europäische Ebene dagegen ge- wehrt. Vor allem die Dänen waren es, die sich deutschen Bestrebungen entgegenstellten. Es ist gut, dass es jetzt der Bundesrepublik Deutschland mit Unterstützung der Län- der und aller werftinteressierten Menschen geglückt ist, eine Regelung auf europäischer Ebene zu erreichen, die ein bisschen mehr Freiheit für die Werftindustrie in Meck- lenburg-Vorpommern mit sich bringt. Aber die neue Frei- heit, die im Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bejubelt wird, weil die Bundesregierung in „ganz hervor- ragender Weise“ den Werften in Mecklenburg-Vorpom- mern Rechnung getragen hat, sie relativiert sich bei ge- nauem Hinsehen doch sehr stark. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119436 (C) (D) (A) (B) Denn die Werften in Mecklenburg-Vorpommern nut- zen ihre Kapazitäten jährlich; insofern gibt es keine Ka- pazitätsübertragung auf das nächste Jahr. Ein Verschieben von Kapazitäten sozusagen innerhalb der Werftenland- schaft Mecklenburg-Vorpommerns gibt es auch nicht. Dafür ist auch die Konzernkonkurrenz zu stark. Und die Vergabe werftypischer arbeitsintensiver Leistungen bei der Berechnung ihrer Schiffbauproduktion in der Großenordnung von 10 Prozent an andere schafft ver- gleichsweise wenig neue Luft für die Werften. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen und von der sozialdemokratischen Partei, Sie übertreiben in Ihrem Antrag, wenn Sie sagen, dass diese von der europäischen Kommission genehmigte neue Regelung zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Werften in besonderer Weise dazu beiträgt, ihnen größere betriebswirtschaftliche Spielräume zu verschaffen und insbesondere Werftarbeitsplätze zu sichern. Dies ist nicht der Fall. Wir müssen weiter kämpfen, und zwar für unsere Werften, für unsere Werften insgesamt. Der Blick muss dabei nach Südkorea gehen. Die Ver- handlungen mit Südkorea bezüglich einer Einschränkung der äußerst aggressiven Marktpreisdumpingpolitik sind bis jetzt nicht von Erfolg gekrönt. Es reicht überhaupt nicht aus, wenn der Rat der Europäischen Union die Kom- mission unter anderem auffordert, sich weiter um faire Wettbewerbsbedingungen für den maritimen Bereich, für die Werften zu bemühen, indem unverzüglich konstruk- tive Verhandlungen mit der Republik Korea aufzunehmen sind, um dem unlauteren Wettbewerb Einhalt zu gebieten. Mit Rechtsmitteln muss nicht nur gedroht werden, son- dern sie müssen mit Nachdruck vorangetrieben werden. Europa muss Farbe bekennen. Die Europäische Union und nicht die europäische Schiffbauindustrie muss Klage gegen Korea erheben. Aber es gibt noch eine weitere Bedrohung, die die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Werften aushebelt. Da- bei ist die Rede von der neuen Regelung für Exportkredite für Schiffe (CIRR-Commercial Interest Reference Rate). Mit Inkraftsetzen, der in Aussicht genommenen Zinsrege- lung zu Beginn des Jahres 2002, besteht die Gefahr, dass mit diesem neuen Instrument wiederum internationale Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der EU und welt- weit, das heißt insbesondere mit Korea entstehen. Wir be- grüßen ausdrücklich, dass der Antrag von SPD/ Die Grü- nen zum CIRR-Sachverhalt einen Bericht einfordert. Da sitzen wir im selben Boot. Deshalb haben wir zu dieser außerordentlich bedeutsa- men Regelung bei Schiffbaukrediten (CIRR) als jüngstes Beispiel für Wettbewerbsverzerrungen im Schiffsbau und als ein Beispiel der Benachteiligung deutscher leistungs- fähiger Werften eine Kleine Anfrage gestellt. Die Antwort der Bundesregierung ist sehr interessant. Ich freue mich, dass die CDU/CSU-Bundestagsfrak- tion sowie SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit Anträgen und Aktivitäten dazu beigetragen haben, die Wettbe- werbsbedingungen für die Werftindustrie in Mecklen- burg-Vorpommern zu verbessern. Die verbesserten Rah- menbedingungen fallen in Mecklenburg-Vorpommern auf fruchtbaren Boden. Ich finde es außerordentlich posi- tiv, dass die IHK Rostock einen Arbeitsausschuss „Mari- time Wirtschaft“ für ihren IHK-Bereich und einen Ge- samtausschuss „Maritime Wirtschaft“ für das Land Meck- lenburg-Vorpommern etabliert hat, der sich als Sprachrohr aller ihrer Industrie- und Handelskammern für die maritime Wirtschaft versteht. Die FDP-Bundestagsfraktion wird auch zukünftig alle Anstrengungen unternehmen, um der maritimen Wirt- schaft in Deutschland den Stellenwert zu geben, der ihr richtigerweise zusteht. Rolf Kutzmutz (PDS): Auch ich möchte namens der PDS-Fraktion von dieser Stelle aus dem maritimen Koor- dinator der Bundesregierung, Herrn Staatssekretär Dr. Gerlach, für sein bisheriges engagiertes und unterm Strich recht erfolgreiches Wirken für die Zukunft der Werften – gerade auch in Mecklenburg-Vorpommern, ausdrücklich danken. Wir begleiten diese Prozesse be- kanntlich schon seit Jahren konstruktiv und offensiv – wie bisher eigentlich alle Fraktionen dieses Hauses. Und wer die freudigen Reaktionen auf die erzielten und noch ab- sehbaren Kompromisse auf der zweiten maritimen Kon- ferenz am Dienstag in Warnemünde miterleben konnte, der weiß, dass solche Politik auch von den Betroffenen honoriert wird. Umso mehr erstaunt und enttäuscht mich, dass die von mir an sich geschätzten Kollegen Wolfgang Börnsen und Ulrich Adam – und mit ihnen ihre Fraktion – seit Ende September mit dem heute hier debattierten Antrag von Bord gegangen sind. Sie von der CDU/CSU müss- ten doch aus in langjähriger Regierungsverantwortung erwachsener intimer Kenntnis der Brüsseler Szene ei- gentlich am besten wissen, dass dort gerade bei Schiff- baufragen das Florett intensiver Verhandlungen viel Er- folg versprechender als der Säbel solcher Anträge mit Maximalforderungen ist. Und ich finde es ausgespro- chen unverfroren, dass ausgerechnet die Partei von Frau Breuel und den Herren Kohl, Waigel und Seite, die den Vulkan-Skandal politisch zu verantworten haben, sich jetzt hinstellt, als könne man von Brüssel und den ande- ren EU-Mitgliedstaaten das Blaue vom Himmel verlan- gen. Ohne die notwendige Zweitfinanzierung nach dem Vulkan-Debakel bräuchten wir uns heute nicht mit Ka- pazitätsbeschränkungen auseinander setzen, wäre das Misstrauen in die deutsche Beihilfepolitik allerorts nicht so groß. Wer heute – einen Monat vor den entscheidenden Rats- entscheidungen zur befristeten Fortführung der Werften- hilfe – so ein Spektakel anzettelt wie die CDU/CSU, der setzt sich schon dem Verdacht aus, das Gegenteil von dem erreichen zu wollen, was er öffentlich verkündet. Ich glaube aber nicht, dass solches populistisches Vor-Wahl- kampf-Getöse bei den Betroffenen verfängt. Es sollte mich nicht wundern, wenn es auf seine Urheber zurück- fällt. Natürlich unterstützt die PDS in dieser Situation den Antrag der Koalition. Wir alle sollten aber nicht die Au- gen davor verschließen, dass nicht nur – ja wahrscheinlich nicht mal in erster Linie – auf internationalem Parkett – in Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19437 (C) (D) (A) (B) Brüssel und bei der WTO –, sondern hier zu Hause noch Aufgaben zu erledigen sind, wenn der deutsche Schiffbau weiter in der Weltklasse mitspielen will. Ich meine die auch in Warnemünde erneut angemahnte stärkere Koope- ration über alle Phasen des Wertschöpfungsprozesses hin- weg – von der Qualifizierung des Personals über For- schung bis Vertrieb der Produkte. Erfolgreiche Ansätze, wie das in Mecklenburg-Vorpommern entwickelte Inno- regio-Projekt „Maritime Allianz“ müssen auch andernorts angeschoben und gefördert werden. Und ich meine auch, dass wir bei einer Wiederauflage einer modifizierten Werftenhilfe noch einmal über deren Kostenverteilung reden müssen. Es geht nicht an, dass zwei Drittel von den Küstenländern zu tragen sind, aber 30 Prozent der damit subventionierten Wertschöpfung allein in Bayern und Baden-Württemberg stattfinden. Wenn sich die CDU/CSU in dieser Frage mal zu einer Ini- tiative aufschwingen würde, dann könnten wir sie auch wieder ernst nehmen. Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Wirtschaft und Technologie: Die Problematik der Kapazitätsbegrenzungen der Werften in Mecklen- burg-Vorpommern muss vor dem Hintergrund des hier geltenden europäischen Rechts beurteilt werden. Wie Sie wissen, haben in den Neunzigerjahren die ost- deutschen Werften hohe Investitionsbeihilfen aus öffent- lichen Mitteln erhalten: 5 Milliarden DM. Diese von der Europäischen Kommission auf der Grundlage der so ge- nannten „Siebten Schiffbaurichtlinie“ genehmigten Bei- hilfen ermöglichten die erfolgreiche Privatisierung und Erhaltung dieser Werften. Als wettbewerblicher Ausgleich gegenüber den ande- ren europäischen Werften mussten die ostdeutschen Schiffbaukapazitäten bis Ende 1995 um 40 Prozent auf insgesamt 327 000 cgt – compensated gross tonnage, eine Maßzahl für die schiffbauliche Leistung – reduziert und für zehn Jahre auf diese Höhe begrenzt werden. Übrigens entsprach dieser Kapazitätsabbau etwa dem Schrump- fungsprozess, der auch in den Schiffbauindustrien der an- deren EU-Staaten in den Achtzigerjahren stattgefunden hat. Das schon erwähnte einschlägige europäische Recht ließ es zu, dass die EU-Kommission nach fünf Jahren – also nach Ablauf des Jahres 2000 – und nach Maßgabe der weltweiten Verhältnisse von Angebot und Nachfrage auf den Schiffbaumärkten die Kapazitätsbegrenzungen hätte lockern oder aufheben können. Dieser Rechtslage steht seit langem entgegen, dass seit Jahren eine Lockerung wünschenswert ist. Denn um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, hatten die ostdeut- schen Werften auch nach ihren Umstrukturierungen – weltweiten Trends im Schiffbausektor folgend – ihre Fertigungstiefen weiter verringert. Auf die damit erreich- ten hohen Produktivitätszuwächse konnte wegen der star- ren Kapazitätsbegrenzungen nur mit weiterem Arbeits- platzabbau reagiert werden. Auf diese Situation haben die Landesregierung Meck- lenburg-Vorpommern und die Bundesregierung zum Ab- lauf der Fünfjahresfrist rechtzeitig reagiert. Im Frühjahr 2000 – ein Jahr vorher – stellte die Bundesregierung bei der EU-Kommission den Antrag auf Lockerung der Ka- pazitätsgrenzen. Dieser Antrag ist von der EU-Kommis- sion abgelehnt worden. Sie hat ihre Ablehnung mit den bestehenden hohen Überkapazitäten auf dem Schiffbauweltmarkt begründet. Sie verwies darauf, dass die ostdeutschen Werften zwar zum größten Teil Containerschiffe bauen, dass sie aber auch in der Lage sind – und es auch tatsächlich tun –, bei- spielsweise Kreuzfahrtschiffe zu bauen. Damit stehen sie im Wettbewerb mit anderen europäischen Werften. Bei Containerschiffen ist die Lage auf den Weltschiff- baumärkten nach wie vor angespannt. Es gab auch aus einzelnen Mitgliedstaaten entsprechend deutliche ableh- nende Signale. Eine formale Anhebung der Kapazitätsgrenzen der ostdeutschen Werften hat aufgrund der geltenden Rechts- lage und gegenwärtigen Marktlage keine Chancen. Die- ser Tatsache Rechnung tragend, unterbreitete die Bun- desregierung den Vorschlag, eine systemkonforme Neubewertung der bis 2005 weiter geltenden Kapazitäts- grenzen vorzunehmen. Diesem Vorschlag, durch den die ostdeutschen Werften größere betriebswirtschaftliche Spielräume erhalten, ist die EU-Kommission jetzt weit- gehend gefolgt. Angesichts intensiver Bemühungen der Bundesregie- rung hat die Kommission vor wenigen Tagen die Ent- scheidung getroffen, dass die Kapazitätsbegrenzungen der Werften in Mecklenburg-Vorpommern in Zukunft fle- xibel gehandhabt werden können. Ab 2001 dürfen in ei- nem Jahr nicht genutzte Kapazitäten auf das nächste Jahr oder eine andere Werft übertragen und an Dritte verge- bene Leistungen bei der Berechnung der Schiffbaupro- duktion berücksichtigt werden. Das ist das bestmögliche Ergebnis, das den ostdeut- schen Werften mehr Luft zum Atmen lässt und den größ- ten Teil ihrer Probleme löst. Die von der Europäischen Kommission genehmigte Regelung trägt zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und zur Erhaltung der Arbeits- plätze der ostdeutschen Werften bei. Beispielsweise – und das ist ein sehr greifbares Resultat – könnte daraufhin bei der Aker-MTW-Werft, Wismar, seit Oktober anberaumte Kurzarbeit für rund 400 Mitarbeiter wieder beendet wer- den. Alle Werften haben die Flexibilisierung begrüßt. Sie eröffnet durch die jetzt mögliche Übertragung von 2001 auf 2002 bei einigen Werften im nächsten Jahr sogar noch mehr Spielraum. Lassen Sie mich – anknüpfend an diese für einen großen Bereich des deutschen Schiffbaus wichtige Ver- besserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen – kurz über die vorgestern stattgefundene Zweite Nationale Maritime Konferenz berichten. Die Konferenz hat ein Si- gnal für alle am Schiffbau Beteiligten gegeben, gemein- sam die Zukunftschancen für den maritimen Sektor in Deutschland zu ergreifen. Stichworte waren neue Technologien, mehr Koopera- tion, Schaffung eines Netzwerkes, Maßnahmen gegen Ausflaggung. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119438 (C) (D) (A) (B) Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: a) des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des zivilrechtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Tren- nung b) der Beschlussempfehlung und des Berichtes zu: – der Unterrichtung: Aktionsplan der Bun- desregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen – dem Antrag: Ankündigungen zur Bekämp- fung von Gewalt gegen Frauen – dem Antrag: Frauenrechte sind Menschen- rechte – Gewalt gegen Frauen effektiver bekämpfen – der Unterrichtung: Entschließung des Eu- ropäischen Parlaments zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Euro- päische Parlament „Weitere Maßnahmen zur Bekämpfung des Frauenhandels“ Ronald Pofalla (CDU/CSU): Gewalt darf in unserer Gesellschaft keine Chance haben. Auch die Familie oder die Partnerschaft sind kein rechtsfreier Raum. Durch den vorliegenden Gesetzentwurf wird insoweit Klarheit ge- schaffen. Es werden Regelungslücken geschlossen sowie Instrumentarien zur Eindämmung der Folgen von Gewalt eingeführt. Diesem Gesetzentwurf kommt daher Signal- wirkung zu. Er sorgt dafür, dass zum einen derjenige, der prügelt und Gewalt gegen den Partner oder auch die Kin- der anwendet, sich über die Folgen im Klaren sein muss. Er sorgt weiterhin dafür, dass den Opfern häuslicher Ge- walt Möglichkeiten gegeben werden, sich vor weiteren Gewalttaten und Erniedrigungen zu schützen. Das Optimum wäre natürlich, Gewalt von vornherein zu verhindern, doch das ist nicht möglich. Aber andau- ernde Gewalt und ständige Misshandlungen können nun bekämpft werden. Der Eingriff in die Privatsphäre der Fa- milie bzw. Partnerschaft bleibt zugleich erträglich und ist auch gerechtfertigt. Prügeln ist eben nicht Privatsache. Der Gesetzentwurf verdient deshalb grundsätzlich un- sere Zustimmung, nicht zuletzt auch deswegen, weil ent- scheidende Änderungen im Laufe des Gesetzgebungsver- fahren vorgenommen worden sind. So ist insbesondere zu begrüßen, dass nunmehr das Kindeswohl als Tatbestandsmerkmal in § 2 Abs. 6 des Ge- setzentwurfes ausdrücklich berücksichtigt wird. Erst jetzt schützt das Gesetz umfassend und lässt keinen Raum mehr für Interpretations- und Auslegungsversuche. Ge- rade Kinder müssen vor der Saat der Gewalt geschützt werden, die leider manchmal bereits in der Familie gelegt wird. Durch die Änderungen und die Aufnahme des Kin- deswohls ist endgültig und eindeutig geklärt: Auch Kin- der müssen vor häuslicher Gewalt geschützt werden. Obwohl die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dem Ge- setzentwurf im Großen und Ganzen zustimmt, lehnen wir gleichwohl die Art. 10 und 11 des Entwurfes, in denen die Situation gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften berücksichtigt wird, ab. Es soll hier keine präjudizierende Wirkung für das noch im Streit befindliche Lebenspart- nerschaftsgesetz von der Entscheidung über den vorlie- genden Gesetzentwurf ausgehen. Ein wichtiger Grund für die Zustimmung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist jedoch auch die Art und Weise des Gesetzgebungsvorgangs selbst. Ganz im Gegensatz zu den Gesetzgebungsverfahren beispiels- weise bei der unseligen ZPO-Reform oder gar dem so ge- nannten Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, bei dem die Gesetzentwürfe mehr oder minder am Bundestag und sei- nen Gremien in hohem Tempo vorbeigezogen wurden, fand im vorliegenden Fall eine gute und konstruktive Zu- sammenarbeit zwischen der Regierung und den Bundes- tagsfraktionen statt. Tatsache ist, dass hier mit der Regierung – namentlich mit dem Parlamentarischen Staatssekretär, dem Herrn Kollegen Professor Pick – und mit den Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen ein reibungsloses und sachliches Zusammenarbeiten möglich war. Frei von ideologischen Scheuklappen und persönlichen Eitelkeiten konnten hier sinnvolle Lösungen gefunden werden. Eine Situation, die man leider in letzter Zeit aufgrund des Re- formierungseifers der Ministerin und den daraus resultie- renden Hoppla-Hopp-Gesetzen nicht sehr häufig im Rechtsausschuss vorfinden konnte. Gerade deswegen möchte ich mich bei dem Kollegen Herrn Staatssekretär Professor Pick bedanken, der meines Erachtens sehr viel Ruhe in die Diskussion gebracht hat, für die Art und Weise der Berichterstattergespräche. Auch den Kolleginnen und Kollegen Berichterstatterin- nen und Berichterstattern gilt mein Dank für ein erfolg- reiches Verfahren. Hier insbesondere der Kollegin Frau von Renesse, der es gelungen ist, ein gutes Arbeits- und Dis- kussionsklima unter den Berichterstattern zu schaffen. Ihre Besonnenheit und Sachkunde waren hier sehr von Nutzen. Von Anfang an konnten Opposition und Koalition mitei- nander diskutieren. Der Erfolg liegt nun auf der Hand: ein durchdachtes, von allen Fraktionen getragenes Gesetz. Ich würde es sehr begrüßen, wenn wir in Zukunft mehr Gesetze in dieser Form verabschieden könnten. Damit wäre allen geholfen, vor allem aber den Bürgerinnen und Bürgern. Denn auf vernünftige und durchdachte Gesetze haben die Bürgerinnen und Bürger einen Anspruch. Wenn aber Gesetze nur aufgrund parlamentarischer Mehrheiten und nicht durch politischen Diskurs in die Welt gesetzt werden, können sie nicht die Qualität von Gesetzen ha- ben, die durch Konsensfindung und aufgrund fachlicher Diskussionen in den Ausschüssen entstanden sind. Dieses bitte ich die Kolleginnen und Kollegen der Regierungs- koalition und insbesondere auch die Frau Ministerin in Zukunft zu bedenken. Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der Justiz: Ich finde es bedauerlich, dass wir angesichts der Bedeutung dieses wichtigen Gesetzes nur so wenig Zeit haben, um uns mit der Bekämpfung der Gewalt gegen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19439 (C) (D) (A) (B) Frauen und der häuslichen Gewalt insgesamt zu befassen. Gerade in einer Zeit, in der sich viele Menschen ange- sichts äußerer Bedrohungen in die eigenen vier Wände zurückziehen, ist es doch besonders tragisch, wenn einige auch dort den erhofften Frieden und die ersehnte Gewalt- losigkeit nicht finden können. Deshalb ist es umso wichtiger, dass viele Frauen den heutigen Tag, an dem der Deutsche Bundestag endlich nach vielen Jahren der vergeblichen Forderungen dieses Gewaltschutzgesetz beschließt, als guten Tag rot in ihrem Kalender anstreichen. Ich freue mich auch, dass viele Frauen aus Frauenhäusern und aus dem Berliner Inter- ventionsprojekt trotz der späten Abendstunde hierher in den Bundestag gekommen sind, um diesen Beschluss selbst mitzuerleben. Lassen Sie mich gleich zu Beginn meines Beitrages klarstellen: Bei der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen geht es nicht darum, irgendeinen Geschlechter- kampf mit pauschalen Schuldzuweisungen an das eine oder andere Geschlecht auszufechten. Das Gewaltschutz- gesetz ist kein „Antimännergesetz“, obwohl – das ist eine schreckliche Zahl – rund 85 Prozent der Geschlagenen Frauen sind. Vielmehr geht es darum, dass Gewalt als Mittel zur Lösung von privaten Konflikten nicht akzepta- bel ist, egal ob die Gewalt von Männern gegen Frauen oder von Frauen gegen Männer – auch das soll in circa acht Prozent der Fälle so sein – verübt wird. Unser Rechtsstaat kann sie nicht tolerieren; Polizei, Gerichte, Gesetzgeber dürfen nicht wegsehen. Wenn die von uns allen gewünschte Gesellschaft mit weniger Gewalt Wirklichkeit werden soll, ist es eine un- serer wichtigsten Aufgaben, unsere Anstrengungen auch und gerade auf die Verhinderung häuslicher Gewalt zu richten. Wir müssen dies schon deshalb tun, weil Gewalt- erfahrung bei Kindern eben auch dazu führt, dass dies spä- ter als falsche Konfliktslösungsmuster weitergegeben werden, sprich: Gewalt gebiert Gewalt. So verewigt sich der Gewaltkreislauf. Da mein Zeitbudget so begrenzt ist, möchte ich nur drei mir besonders wichtig erscheinende Punkte hervor- heben: Erstens. Das Gewaltschutzgesetz ist ein Meilenstein bei der Bekämpfung von Gewalt im häuslichen Bereich. Zweitens. Das Gewaltschutzgesetz muss in der Praxis mit Leben erfüllt werden. Drittens. Wir dürfen in unseren Bemühungen, in den Köpfen der Menschen die Einstellung zu häuslicher Ge- walt zu verändern, nicht nachlassen; denn dies ist ein lan- ger und mühevoller Weg. Zum ersten Punkt: Das Gewaltschutzgesetz ist ein Mei- lenstein. Häusliche Gewalt hat es zu allen Zeiten gegeben und wird es wohl leider auch in Zukunft – trotz aller Bemühungen – immer geben. Sicherlich sind die Zeiten längst vorbei, als die Juristen – unter ausdrücklicher Billi- gung durch kirchliche Autoritäten – den Ehemännern ein Recht zur Züchtigung ihrer Ehefrauen zugestanden haben. Den betroffenen Frauen mag es wenig genutzt haben, dass die Züchtigung erst am Ende eines Stufenplans – freundliche Ermahnung; wenn dies nicht nutzte, heftiges Schelten; dann körperliche Züchtigung – stand und nur „mäßig“ ausgeübt werden sollte, denn die Demütigung, die Ohnmacht und die Verletzungen blieben. In der Regel wa- ren die Frauen der Gewalt hilflos ausgesetzt. Die Obrigkeit schritt nur bei exzessivem Gebrauch des Züchtigungsrechts ein. Dann war sie aber auch erfinderisch bei den Strafen, wie ein Wirtshausverbot für schlagende Männer belegt. Da wir schon bei der Rechtsgeschichte sind: Hier fin- det sich auch etwas über Männer, die Opfer ihrer Ehe- frauen geworden sind. Hatten Männer sich von ihren Ehe- frauen schlagen lassen, so wurden sie dafür von der Obrigkeit bestraft; denn dies wurde als ein Verstoß gegen die göttliche Ordnung angesehen. Entweder wurde als Eh- renstrafe wie in der Stadt Zwickau das Dach des Wohn- hauses abgedeckt, da der Ehemann dessen Schutz nicht mehr würdig war. Eine besonders schimpfliche Strafe war der so genannte Eselsritt: Der Esel galt schon damals als Inbegriff der Dummheit, der Lasterhaftigkeit, Trägheit und Störrigkeit. Der arme Sünder musste einen Ritt auf dem Esel durch die Stadt machen, wobei er dem Gespött der Mitbürgerinnen und Mitbürger ausgesetzt war. Eine besonders demütigende Variante beim Eselsritt war, dass die Person rücklings auf dem Tier sitzen und sich mit den Händen an dessen Schwanz festklammern musste. Zurück in die Gegenwart: Das Züchtigungsrecht des Ehemannes ist schon lange nicht mehr anerkannt, und trotzdem ist doch lange Zeit entschieden zu wenig zur Verhinderung dieser Gewalt unternommen worden. Es ist nämlich erst 25 Jahre – ich wiederhole: 25 Jahre – her, dass hier in Berlin das erste Frauenhaus in Deutschland eingerichtet worden ist und das Tabuthema „häusliche Gewalt“ ans Tageslicht geholt wurde. Heute gibt es sechs dieser Zufluchtsstätten in Berlin und die vorhandenen Plätze reichen gerade einmal aus. Die Zahl der wegen häuslicher Gewalt um Rat suchenden Frauen hat daneben stetig zugenommen. Aber so wichtig Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen sind und auch in Zukunft bleiben werden: Wir müssen das Übel an der Wurzel packen. Wir müssen die häusliche Gewalt an der Wurzel bekämpfen und den Tätern durch geeignete Sanktionen klar machen, dass körperliche Gewalt zur Lösung von privaten Kon- flikten nicht geduldet wird. „Der Schläger geht, die Geschlagene/der Geschlagene, das Opfer bleibt.“ Diesen Grundsatz werden wir mit dem Gewaltschutzgesetz verankern. Wir muten es den Opfern nicht mehr länger zu, selber für ihren Schutz zu sorgen und dabei auch den Verlust der vertrauten Wohnung und Umgebung in Kauf nehmen zu müssen. Aber den Tätern muten wir nicht nur den – zumeist vorläufigen – Verlust zu. Der gerichtlich verordnete Wohnungsverlust hilft ih- nen dabei, sich der eigenen Probleme bewusst zu werden. Viele leugnen ja die Anwendung der Gewalt überhaupt oder, wenn sie sie zugeben, verniedlichen sie sie. Das wis- sen wir nicht erst seit der „unbewussten ausholenden Handbewegung“, die vor einigen Wochen für Schlagzei- len in den Medien sorgte. Ganz besonders müssen wir an die Kinder denken, die Gewalt unter ihren Eltern oder bei einem Elternteil mit dessen Partner miterleben und deshalb miterleiden. Ich kann daher nur unterstützen und begrüßen, dass der Aspekt des Kindeswohls als Ergebnis der parlamentarischen Be- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119440 (C) (D) (A) (B) ratungen noch stärker im Gewaltschutzgesetz berücksich- tigt wird. Wir wollen im Rahmen der Beratungen zum Ge- setzentwurf des Kinderrechte-Verbesserungsgesetzes noch nach weiteren Möglichkeiten suchen, um den Schutz der Kinder bei häuslicher Gewalt zu verbessern. Wenn wir heute – übrigens im Gegensatz zum Gesetz, in dem wir die Gewalt als Mittel der Erziehung geächtet haben, glücklicherweise über die Grenzen der Fraktionen hinweg – gemeinsam das von der Bundesregierung erar- beitete Gewaltschutzgesetz verabschieden werden, so ist dies wirklich ein Meilenstein. Damit haben wir wirklich ein Denkmal gesetzt. Zum zweiten Punkt: Das Gewaltschutzgesetz muss in der Praxis mit Leben erfüllt werden. Wir alle wissen: Das beste Gesetz nutzt nichts, wenn es in der Praxis nicht rich- tig angewendet wird. Deshalb appelliere ich an die Län- der, uns bei unserem Bemühen zu unterstützen. Ganz be- sonders ist es zu begrüßen, wenn in einigen Bundes- ländern eigene Aktionspläne zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen aufgelegt werden. Wir wissen: Ein schnel- les Eingreifen und damit ein Eingreifen der Polizei ist bei häuslichen Gewalttaten zum Schutz der Opfer unabding- bar. Es gibt Modellversuche in einigen Ländern, deren Wirkungen heute schon abgeschätzt werden können: Der Erfolg ist klar. Deshalb sind einige Bundesländer auch schon dabei, ihre Polizeigesetze zu ändern und die Woh- nungsverweisung durch die Polizei ausdrücklich zu re- geln. Ich freue mich, dass wir in den Länderpolizeigeset- zen dem österreichischen Wegweisungsrecht entsprech- ende Regelungen bekommen. Ich erinnere nur an das bre- mische Gesetz, dort steht die entsprechende Regelung schon im Gesetzblatt vom 26. Oktober 2001. An die Bundesländer, die ihre Polizeigesetze – aus wel- chen Gründen auch immer – nicht ergänzen wollen, appel- liere ich, von den bestehenden polizeirechtlichen Mög- lichkeiten Gebrauch zu machen und verstärkt Wohnungs- verweisungen bei häuslicher Gewalt auszusprechen. Ein gutes Funktionieren der gesetzlichen Regelungen in der Praxis erfordert aber auchAus- und Fortbildungsmaßnah- men bei der Polizei, bei der Justiz, bei den Beratungsstel- len und Frauenhäusern, und ich kann hier auch nur an die Länder appellieren, hier die nötigen Maßnahmen zu tref- fen. Damit komme ich auch zu meiner dritten und ab- schließenden Bemerkung: Wir dürfen in unseren Bemühun- gen, in den Köpfen der Menschen die Einstellung zu häus- licher Gewalt zu verändern, nicht nachlassen. Wir müssen hier zu einem Umdenken gelangen. Häusliche Gewalt ist keine Privatangelegenheit; es ist keine bloße Familienstrei- tigkeit, wie sie auch oft verharmlosend genannt wird. Es geht hier um wichtige Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit oder Freiheit; Menschenrechte, für deren Schutz sich die Rechtsordnung doch sonst so stark macht und einsetzt. Der Schutz kann nicht an der Haustür enden. Mit dem Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung haben wir das Recht eines jeden Kindes auf gewaltfreie Erziehung im Bürger- lichen Gesetzbuch verankert. Mit vielen Maßnahmen ver- suchen wir zu einer Veränderung im Bewusstsein der Eltern – auch der künftigen – beizutragen. Auch bei der häuslichen Gewalt unter Erwachsenen müssen wir das Bewusstsein dafür schaffen, dass Gewalt nicht Recht ist. Das Reichsgericht hat in einer Entscheidung in Straf- sachen aus dem Jahr 1885 zum Züchtigungsrecht des Ehe- mannes ausgeführt: „Ein Erziehungsrecht oder eine Er- ziehungspflicht des Mannes gegenüber der Ehefrau ergibt sich aus diesen Bestimmungen“ – gemeint ist das Preußi- sche Allgemeine Landrecht – „in keiner Weise und ein solches Erziehungsrecht ist die Grundlage des Züchti- gungsrechts. Beim Mangel dieses Rechtes und einer aus- drücklichen gesetzlichen Bestimmung fehlt es für die An- nahme eines Züchtigungsrechtes des Ehemannes gegen die Ehefrau im preußischen Rechte an jeder Grundlage.“ In seiner Entscheidung beruft sich das Reichsgericht zur Bestätigung seiner Auffassung auf ein Reskript aus dem Jahre 1812 – aus dem Jahre 1812 – sowie auf die ständige Rechtsprechung des Obertribunals zu Berlin. Am Ende der Entscheidung heißt es dann, dass das Strafge- setzbuch – ich zitiere – „unzweideutig zu erkennen gebe, dass es weder den Tatbestand der Körperverletzung noch deren Verfolgbarkeit als mit dem Wesen der Ehe unver- träglich ansieht.“ Wenn also schon seit fast 200 Jahren für einen großen Teil unseres Landes anerkannt ist, dass sich ein Ehemann bei Misshandlung seiner Ehefrau wegen Körperverlet- zung strafbar macht, warum sind dann so lange Zeit so viele Straftaten von den staatlichen Organen und der Ge- sellschaft geduldet worden? Ich meine, dieses Beispiel zeigt, dass das Problem in den Köpfen der Menschen sitzt, wie hartnäckig sich alte Vorstellungen in den Köpfen hal- ten können. Da müssen wir nun ansetzen. Dass Recht und Gewalt sich nicht vereinbaren lassen, belegt schon ein al- tes deutsches Rechtssprichwort: „Wo Gewalt Recht ist, hat das Recht keine Gewalt“. Heute können wir gemeinsam der Gewalt das Recht entgegensetzen und damit einen wichtigen Beitrag für un- seren Rechtsstaat leisten! Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Gesetzentwürfe zu: – Änderung des Gesetzes zu dem Übereinkom- men vom 18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau – Entschließung vom 22. Mai 1995 zur Ände- rung des Übereinkommens vom 18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form der Diskri- minierung der Frau – Fakultativprotokoll vom 6. Oktober 1999 zum Übereinkommen vom 18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau Renate Gradistanac (SPD): „Bisher war sie eine zahnlose Tigerin, die UN-Konvention zur Beseitigung je- der Form von Diskriminierung der Frau, kurz: CEDAW. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19441 (C) (D) (A) (B) Ab jetzt können diskriminierte Frauen direkt vor dem UN-Frauenrechtsausschuss klagen oder die Überprüfung eines frauenfeindlichen Gesetzes beantragen.“ – So weit mein Zitat aus der letzten „Emma“. Frauen oder Frauenrechtsorganisationen können also künftig ihre Rechte vor dem UN-Frauenrechtsausschuss geltend machen, wenn der nationale Rechtsweg ausge- schöpft ist. Damit stärkt das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskri- minierung der Frau die nationalen und internationalen Rechte der Frauen. Das über 20-jährige CEDAW-Abkommen hat Schwächen durch das Recht der Vertragsstaaten auf Vor- behalte. Auch die Bundesrepublik Deutschland hat 1985 ihren Vorbehalt bei der Hinterlegung der Ratifizierungs- urkunde erklärt. Der Grund dafür war, dass der freiwillige Dienst von Frauen mit der Waffe in der Bundeswehr da- mals nicht möglich war. Heute ist dies verfassungsrecht- lich geklärt und der Vorbehalt kann zurückgenommen werden. Eine Reihe von Vertragstaaten begründet ihre Vorbe- halte mit dem Verweis auf Religion und religiöses Recht oder mit dem Verweis auf traditionelle Gebräuche. Vorbehalte gibt es zum Beispiel gegen Art. 16 – Ehe und Familie – von Staaten mit islamischer Religion. Dadurch wird die Wirksamkeit des Übereinkommens erheblich eingeschränkt. Das Frauenrechtsübereinkommen hat im Übrigen die meisten Vorbehalte von allen Menschenrechtsüberein- kommen. Anfang des Jahres 2000 wurden die deutschen Staa- tenberichte, die die Situation in Deutschland bis 1998 wi- derspiegeln, präsentiert. Der CEDAW-Ausschuss zeigte sich betroffen darüber, dass Teilzeitbeschäftigung vor al- lem im Bereich gering qualifizierter Tätigkeiten angebo- ten wird und deshalb weniger Möglichkeiten für berufli- ches Vorankommen bestehen. Weiter war der Ausschuss betroffen darüber, dass Einrichtungen, die zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf gedacht sind, wie zum Beispiel Kinderkrippen, Ganztagskindergärten und Betreuungseinrichtungen für Kinder im schulpflichtigen Alter, nur im geringen Umfang zur Verfügung stehen und insbesondere Ganztagsschulen in Deutschland die Aus- nahme darstellen. Der CEDAW-Ausschuss lobte die neue SPD-geführte deutsche Bundesregierung dafür, dass sie eine große De- legation mit einem umfangreichen Sachverstand ge- schickt hat, die von der Parlamentarischen Staatssekretä- rin Edith Niehuis im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geleitet wurde. Der Aus- schuss lobte die neue Regierung weiterhin für ihre breit angelegten gesetzgeberischen und politischen Initiativen, Programme und Projekte, die der verfassungsrechtlichen Garantie der Gleichberechtigung von Frauen und Män- nern tatsächliche Geltung verschaffen sollen, insbeson- dere das Programm „Frau und Beruf“, das darauf ausge- richtet ist, die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen zu ermöglichen. Mit unserem Aktionsprogramm zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, mit dem Kernstück des heute ver- abschiedeten Gewaltschutzgesetzes, haben wir die Anre- gungen des Ausschusses aufgenommen, Schritte zur Bekämpfung häuslicher und familiärer Gewalt zu unter- nehmen. Positiv wurde vermerkt, dass die SPD-geführte Bundesregierung eine Studie über die Lebenssituation und soziale Integration ausländischer Frauen und Mädchen in Auftrag gibt. Der Ausschuss bittet darum, im nächsten Bericht eine umfassende Bewertung der Situa- tion ausländischer Frauen vorzunehmen, einschließlich ihres Zugangs zu Bildung und Ausbildung, zu Arbeit und den damit verbundenen Sozialleistungen sowie zur Kran- ken- und Sozialversicherung. Ich gehe davon aus, dass das CEDAW-Beschwerde- recht lebendiges Recht sein wird, das von Frauen und Frauenbewegten aktiv für die Herstellung von tatsächli- cher Gleichberechtigung genutzt werden wird. Vorrangi- ges Ziel muss es jetzt sein, nachdem man sich auf das neue Instrument geeinigt hat, dass möglichst viele CEDAW- Vertragsstaaten das Zusatzprotokoll ratifizieren; denn nur Frauen aus diesen Vertragsstaaten werden es anwenden können. Lobenswert finde ich dass die SPD-geführte Bundes- regierung erstmals eine Broschüre herausgegeben hat, um CEDAW einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Ich wünsche mir, dass in Zukunft für die Frauenbewe- gung, die seit jeher international vernetzt und gut organi- siert ist, die Hemmschwelle, sich auf ein internationales Verfahren einzulassen, geringer wird. Diskriminierung und Benachteiligung von Frauen ist nicht nur als soziales oder politisches, sondern auch als rechtliches Problem zu sehen. Renate Diemers (CDU/CSU): Seit einigen Tagen wird in der Presse – insbesondere in den Berliner Tages- zeitungen – über einen Aufsehen erregenden Fall von Dis- kriminierung berichtet. Es handelt sich um die Tochter ei- nes Diplomaten aus einem befreundeten moslemischen Land. Dem 15-jährigen Mädchen wird von ihrem Vater vor- geworfen, sie habe Kontakt zu einem Jungen gehabt. Nachdem sie deswegen zur Strafe von ihrem Vater ge- schlagen worden war, flüchtete sie in ein Berliner Heim für moslemische Mädchen. Dort bat sie um Hilfe, da sie um ihr Leben fürchte. Ihr drohe im Heimatland der Tod wegen Verletzung der Familienehre. Der Vater buchte tatsächlich in der Zwischenzeit einen Flug für die Tochter nach Hause. Derzeit wird der Fall vor dem Vormundschaftsgericht vorbereitet. Der Entzug des Sorgerechtes ist wegen der diplomatischen Immunität des Vaters zwar nicht unmöglich, aber im Prinzip nicht zu er- warten. Nach Einschätzung von Fachleuten bei UNICEF und Amnesty International scheinen nun zwei Fakten festzustehen: Zum Ersten droht dem Mädchen in der Tat die Steinigung oder die Zwangsheirat und zum Zweiten gestaltet es sich sehr schwierig, dem Mädchen trotz des derzeitigen Aufenthaltes in Deutschland zu helfen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119442 (C) (D) (A) (B) Ich möchte mit diesem Fall, der sich direkt vor unseren Augen zu einer Tragödie entwickelt, auf die Vielschich- tigkeit des Themas Diskriminierung aufmerksam ma- chen. Diskriminierung ist viel mehr als Benachteiligung und es ist keineswegs nur eine ungerechte Behandlung. Derartige Diskriminierung wie in dem aktuellen Fall ist zutiefst menschenverachtend, sie ist entwürdigend und widerspricht allen Menschenrechten. So ist Diskriminie- rung keine Familienangelegenheit. Allerdings dürfen wir das Problem der Diskriminie- rung nicht immer nur anhand von Einzelfällen themati- sieren, sondern es ist zwingend notwendig, die Problema- tik insgesamt mit ihren kompletten systematischen Strukturen anzugehen. Sehr hilfreich und absolut notwen- dig war, dass in den UN-Übereinkommen von 1979 der Begriff Diskriminierung eindeutig definiert wurde: Beab- sichtigte und unbeabsichtigte Diskriminierungen gehören dazu. Die krassen und krassesten Beispiele für Diskriminie- rung sind relativ bekannt: Drangsalierungen, Berufsver- bote, Beschneidungen und auch die offene Androhung ei- ner Tötung bei „angeblichem“ Fehlverhalten. Aber auch für uns inzwischen selbstverständliche Rechte wie zum Beispiel das Wahlrecht, die Wohnortwahl, die Teilnahme am kulturellen Leben, Mitarbeit in Vereinen oder schlicht- weg Autofahren oder der Besuch von Schulen werden den Frauen und Mädchen in vielen Ländern bis heute vorent- halten. Diese Verbote bzw. frauenverachtenden Gesetze wer- den vielfach mit kulturellen Unterschieden, religiösen Aspekten und anderen Traditionen begründet. Aber sind wirklich die besagten kulturellen oder religiösen Unter- schiede, die anderen Sitten und Gebräuche in vielen Staa- ten die Hauptursache für Diskriminierungen? Diese Frage wird meistens – auch bei uns – mit einem Ja beantwortet und ich muss zugeben, dass es vordergründig auch so scheint. Wir sollten uns jedoch darüber im Klaren sein, dass wir – wenn wir dieser Argumentation folgen – zugleich eine Unvermeidlichkeit der Situation akzeptieren. Das heißt, es wäre dann eben aufgrund der unterschiedlichen kultu- rellen und religiösen Traditionen nahezu selbstverständ- lich, dass Frauen diskriminiert werden. Außerdem möchte ich an dieser Stelle noch hinzufü- gen, dass dieser Versuch einer Erklärung mit der immer noch bestehenden allgemeinen Tabuisierung des Themas Gewalt gegen Frauen einhergeht. Allein schon aus diesen Gründen lehne ich die Scheinargumentation hinsichtlich der Traditionen und Religion ab. Keine Diskriminierung, also auch von Frauen und Mädchen, ist durch irgendetwas zu rechtfertigen, weder durch Religion noch durch Sitten oder Traditionen. Wir sollten, wir müssen offen und mu- tig mit dieser Frage umgehen und das Kernproblem von Ungleichbehandlung beim Namen nennen: Die eigentli- che Ursache liegt in der Machtverteilung zwischen Frauen und Männern. Sobald diese Machtfrage als Hauptursache erkannt und auch anerkannt ist, werden ganz neue Handlungsmöglichkeiten und Ziele sichtbar. Wir müssen uns konsequent dafür einsetzen, dass die Macht zwischen Frauen und Männern anders, nämlich ge- recht, verteilt wird. Wir sind uns sicher einig, dass Frauen keine Sonderrechte benötigen, weder bei uns noch in an- deren Ländern, sondern sie haben lediglich den Anspruch auf die gleichen Rechte wie Männer. Das heißt im Klar- text, Frauen fordern nicht mehr Rechte, sondern aus- drücklich nur nicht weniger Rechte als Männer. Solange diese Chancengleichheit allerdings nicht er- reicht ist, nicht selbstverständlich ist, sind gesetzliche Maßnahmen nicht nur gerechtfertigt, sondern weitere dringend erforderlich. Dies ist eine zentrale Verantwor- tung aller demokratischen Rechtsstaaten. Ein weiterer kleiner Schritt zur Chancengleichheit ist es, wenn wir heute einige Korrekturen beim UN-Über- einkommen von 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vornehmen. Ein Gesetzentwurf bezieht sich auf den Dienst von Frauen mit der Waffe, der in dem Übereinkommen geregelt ist. Da unser Grundge- setz in der Zwischenzeit geändert wurde, liegt es nahe, auch den bisher geltenden Vorbehalt Deutschlands gegen diesen Punkt zurückzunehmen. Die zweite Maßnahme betrifft die Tagungsdauer des Ausschusses bei den Vereinten Nationen, der im Rahmen des Abkommens eingerichtet wurde. Es lag kein objekti- ver Grund vor, dass ausgerechnet dieser UN-Ausschuss eine zeitliche Beschränkung in der Tagungsdauer hatte. Kein anderer Menschenrechtsausschuss der Vereinten Na- tionen hat eine derartige zeitliche Vorgabe. Darum stim- men die Mitglieder meiner Fraktion diesem Gesetz zu. Schließlich stimmen wir heute über einen Gesetzent- wurf zum Fakultativprotokoll zu dem Abkommen ab, durch das Frauen nun mehr Möglichkeiten erhalten, sich wegen Diskriminierungen an den Ausschuss zu wenden. Das heißt, Frauen können sich nun direkt und persönlich an den Ausschuss wenden und der Ausschuss kann ab so- fort auch von sich aus tätig werden. Dieser UN-Ausschuss verfügt dann über die gleichen Möglichkeiten, wie sie bei anderen Menschenrechtsübereinkommen der Vereinten Nationen sowieso schon bestehen. Es gab auch hier kei- nen Grund für eine Ungleichbehandlung und es wurde Zeit für die Änderungen, die wir heute für Deutschland beschließen. Aber uns muss bewusst sein, dass auch weiterhin poli- tische Initiativen, gesetzliche Regelungen, Druck der Öf- fentlichkeit und Veränderungen im Denken notwendig sind. Wir sind nur dann glaubwürdig, wenn wir selbst alle – also auch wir Politikerinnen und Politiker – im Grund- satz von der Notwendigkeit einer Chancengleichheit wirk- lich überzeugt sind. Gegenseitige Achtung, Respekt und Normalität im Umgang miteinander sind in diesem Zu- sammenhang grundlegende und unverzichtbare Elemente, in anderen Ländern und ausdrücklich auch hier bei uns. Irmgard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): „Eine Revolution hat begonnen.“ Dieser Eröff- nungsausruf der Weltfrauenkonferenz im Jahr 1995 sollte im „Jahrhundert der Emanzipation“ eine Trendwende sig- nalisieren. Vom größten Frauentreffen des letzten Jahr- hunderts gingen großer Optimismus und Zuversicht aus. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19443 (C) (D) (A) (B) Deklarationen und Regierungsversprechungen sollten den neuen Weg weisen in eine frauenfreundliche Zukunft. Ein wichtiges Ziel der Weltfrauenkonferenz war die weltweite Ratifizierung des Zusatzprotokolls der Frauenkonvention. 1993 stellten die Vereinten Nationen der so genannten Anti-Diskriminierungs-Konvention – CEDAW –, die bereits 1979 verabschiedet wurde, die- ses Zusatzprotokoll zur Seite. Jahrelang hatte sich die Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP geweigert, dieses wichtige Überein- kommen der Vereinten Nationen zu unterzeichnen. So- lange solche Abkommen jedoch nur auf dem Papier ste- hen und gar nicht erst ratifiziert werden, bleiben universelle Menschenrechte für Frauen ein unerreichba- res Ziel. Die rot-grüne Koalition hat erkannt: Die Ratifi- zierung des Zusatzprotokolls ist ein großer Schritt zur Stärkung der Frauenrechte. Bis heute war die „UN-Konvention zur Beseitigung je- der Form von Diskriminierung der Frau“ eine zahnlose Tigerin. Alle paar Jahre überprüften die Vereinten Natio- nen die Lage der Frauen in allen 148 Unterzeichnerlän- dern. Sollten dabei Diskriminierungen von Frauen offen- sichtlich werden, wurde die betreffende Regierung gerügt, meist jedoch ohne Folgen. Nach 22 Jahren des Be- stehens der Frauenrechtskonvention kann von einem Ende der Diskriminierungen von Frauen in den Unter- zeichnerstaaten nicht gesprochen werden. Grund dafür ist: Die Frauen selbst können im Falle einer Diskriminie- rung nichts unternehmen. Dies wird sich nun durch das Zusatzprotokoll ändern. Das rechtliche Instrumentarium der Konvention wird gestärkt. Ab jetzt können diskriminierte Frauen wie auch Frau- enrechtsorganisationen direkt vor dem UN-Frauenaus- schuss klagen. Außerdem kann der UN-Ausschuss jeder- zeit eigenständig Untersuchungen durchführen, wenn Hinweise auf schwerwiegende oder systematische Rechtsverletzungen vorliegen. Das heißt also, wem die Menschenrechte der Frauen missachtet werden. Das neue Instrument zur Sicherung der Menschenrechte umfasst sowohl die Diskriminierung von Frauen im „privaten“ Bereich, also im Arbeitsleben und in der Familie, wie auch strukturelle Aspekte. Die Unterzeichnerstaaten der Frauenrechtskonvention verpflichten sich, alle vier Jahre einen Rechenschaftsbe- richt über die Umsetzung der Konvention vorzulegen. Dieser Verpflichtung ist die rot-grüne Bundesregierung im vergangenen Jahr nachgekommen. In diesem Bericht hat sich die Bundesregierung auch zu Maßnahmen der Bekämpfung von Frauenhandel geäußert. In seiner Emp- fehlung hat der UN-Frauenrechtsausschuss ausdrücklich auf rechtliche Verbesserungen im Umgang mit Opfern von Menschenhandel hingewiesen. Bereits im Herbst des vergangenen Jahres hat die rot- grüne Koalition die Verwaltungsvorschriften zum Aus- ländergesetz geändert. Dies ist jedoch nicht ausreichend. Noch immer werden die Opfer von Menschenhandel als Täterinnen wahrgenommen, die gegen das Ausländerge- setz verstoßen haben. So kommt es, dass in den europä- ischen Gefängnissen mehr Opfer als Täter von Men- schenhandel sitzen. Das dürfen wir nicht länger dulden. Wir brauchen hier dringend einen Perspektivwechsel. Mehr Effektivität bei der Verfolgung der Täter kann nur durch einen stärkeren Opferschutz und durch eine engere internationale Zusammenarbeit erreicht werden. Der UN-Frauenrechtsausschuss hat die hohe Erwerbs- losigkeit der Frauen in Ostdeutschland kritisiert. Eine leichte Senkung hat es seitdem gegeben, aber wir müssen noch enorme Anstrengungen unternehmen. Ein anderer Kritikpunkt war die mangelnde Verbesse- rung der rechtlichen und sozialen Lage von Prostituierten. Dies haben wir inzwischen erledigt. Frauenrechte sind auf der ganzenWelt noch nicht durch- gesetzt.Auch bei uns ist die Demokratie zwischen den Ge- schlechtern nicht durchgesetzt. Jetzt haben wir ein gutes Instrument zur Durchsetzung. Das sollten wir nutzen. Ina Lenke (FDP): Vor nunmehr 22 Jahren wurde das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskri- minierung der Frau (CEDAW) geschlossen. Die Ratifi- zierung dieses Abkommens war ein Meilenstein in der Gleichstellungsgeschichte. Erstmals gelang es Frauen- rechte als Menschenrechte umfassend in allen Lebensbe- reichen zu definieren. 168 Staaten haben bisher diese Übereinkommen ratifiziert, allerdings mit zahlreichen Vorbehalten. Auch Deutschland ratifizierte dieses Ab- kommen nur unter dem Vorbehalt, dass Frauen keinen Dienst an der Waffen leisten müssen. Nachdem nach den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes die Bun- desregierung endlich genötigt wurde, diese alte liberale Forderung nach vollständiger Gleichstellung der Frauen auch in den Streitkräften umzusetzen, ist es an der Zeit, dass auch der Vorbehalt bei der Ratifizierung des Über- einkommens entfallen muss. Die Änderung des Artikels 12 a Grundgesetz war ein wichtiger Schritt auf nationaler Ebene zur vollkommenen Gleichberechtigung der Frau in unserer Gesellschaft. Lei- der wurde dieser Schritt von den Regierungsfraktionen nur unter Zwang und nicht aus Überzeugung umgesetzt. Ich möchte in Erinnerung rufen, dass die Anträge der FDP-Fraktion zur Änderung des Artikels 12 a Grund- gesetz noch kurz vor der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes von Rot-Grün abgelehnt wurden.Wie wich- tig auch heute noch das unabdingbare Beharren auf die Anerkennung von Frauenrechten als Menschenrechte ist, zeigen in erschreckender Weise die jüngsten Ereignisse: Besonders die Frauen, die unter radikalmuslimischen Re- gimes leben müssen, sind schlicht rechtlos und es wird ohne internationale Hilfe noch nicht einmal möglich sein, ihnen auch nur annähernd menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. An dieser Stelle wird deutlich, dass Frauenrechte kein „alter Hut“ sind, sondern ein brandaktuelles Thema, wel- ches an Bedeutung vielleicht sogar noch ernster zu neh- men ist. Aus diesem Grund ist es dringend notwendig, das nun vorliegende Zusatzprotokoll umzusetzen, um die Gleichstellung des CEDAW mit den anderen Menschen- rechtsausschüssen der Vereinten Nationen zu gewährleis- ten und um zu unterstreichen, dass der Weg zur Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119444 (C) (D) (A) (B) Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern ein un- umkehrbarer und integraler Bestandteil der Zivilisation ist. Die Liberalen vertreten aus ihrer gesamten politischen Grundhaltung seit jeher die Auffassung, jede Form von Diskriminierung entschieden zu bekämpfen. Dies gilt so- wohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Die vorliegenden Gesetzentwürfe fügen den vorhande- nen Instrumentarien des Übereinkommens wichtige In- strumente wie Untersuchungsverfahren und Individual- beschwerderecht hinzu. Die Fraktion der FDP unterstützt ausdrücklich die vorliegenden Gesetzentwürfe. Petra Bläss (PDS): Wir haben heute über die wirksa- mere Handhabung des umfassendsten internationalen Menschenrechtsinstruments für Frauen zu befinden. Bei dem Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau handelt es sich um ein völker- rechtlich verbindliches Dokument. Es hat eine zentrale Rolle auf der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking und im Peking plus fünf-Prozess gespielt. Seit 1979 ist in ihm die Anerkennung von Frauenrechten als Menschenrechten festgeschrieben. Maßstabsetzend ist die Definition von Frauendiskriminierung in Art. 1 als jede mit Geschlecht begründete Unterscheidung, Ausschließung oder Be- schränkung bei Inanspruchnahme von Menschenrechten und Grundfreiheiten. Ebenso ist es der in Art. 5 geforderte Abbau stereotyper Rollenzuweisung. Zur heutigen Beschlussfassung stehen drei Vorlagen. Erstens geht es um die Änderung des Tagungsmodus des CEDAW-Ausschusses. Diese ist unstrittig, wird doch hier einer Forderung der Mitglieder nachgekommen. Zweitens soll der Vorbehalt der Gleichbehandlung im Militär gestrichen werden. Unabhängig von unserer Auf- fassung zum Militärdienst von Frauen stimmen wir dem zu, weil wir uns den hier notwendigen Gleichstellungs- maßnahmen nicht verweigern wollen. Die wichtigste Entscheidung ist die – überfällige – Ra- tifizierung des Fakultativprotokolls vom Oktober 1999. Das Übereinkommen wird dazu um zwei Kontrollverfah- ren ergänzt: Bei Verletzung der im Dokument festge- schriebenen Rechte sind künftig direkte Beschwerden von Einzelpersonen oder Gruppen beim CEDAW-Aus- schuss möglich – vorausgesetzt, Übereinkommen und Fa- kultativprotokoll wurden ratifiziert und alle nationalen Rechtsmittel ausgeschöpft. Sowohl das Untersuchungs- verfahren als auch das Individualbeschwerdeverfahren haben das Ziel, den Schutz von Menschenrechten von Frauen zu verbessern. Es handelt sich zweifellos um eine neue Qualität internationaler Instrumente zum Schutz von Menschenrechten. Gestatten Sie mir noch drei Anmerkungen zum Um- gang mit diesen internationalen Dokumenten: Erstens zur Öffentlichkeitsarbeit: Es ist notwendig, dieses neue Rechtsinstrument bekannt zu machen. Neben der vorgesehenen Publikation scheint mir die gezielte Ar- beit mit Multiplikatorinnen besonders sinnvoll. Frauen- politisch Engagierte sind hier zweifellos die wichtigste Stütze. Zweitens zur notwendigen nationalen Berichterstat- tung an das CEDAW-Komitee: Der nächste Bericht wird im August 2002 fällig. Wir fordern die Transparenz des Verfahrens. Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis hat auf meine Anfrage hin bereits im Ausschuss zugesichert, dass wir unterrichtet werden. Notwendig aber ist hier auch die Einbeziehung der Nichtregierungsorganisationen. Dass ihre Kompetenz ein großer Gewinn ist, haben wir im Pe- king-Prozess erfahren. Nicht unwichtig ist der Umgang mit der Einschätzung des letzten nationalen Berichts durch das CEDAW-Komi- tee vom Jahresanfang 2000 – auch wenn die Masse der Kritikpunkte noch auf das Konto der Kohl-Regierung geht. Seinerzeit wurde die Bundesregierung klar aufge- fordert, die immer noch andauernde Benachteiligung von Frauen zu beenden. Besonders hervorgehoben wurde die Abstimmung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Neben der Lohndiskriminierung und dem Mangel an weiblichen Führungskräften wurde auch Kritik an den begrenzten Anstrengungen und Maßnahmen, gleiche Rechte und Chancen auf den privaten Sektor auszuweiten, geübt. Weiterhin wird auf die besondere Benachteiligung ost- deutscher Frauen, insbesondere ihr überproportional ho- her Anteil an den Arbeitslosen, den erheblichen Mangel an Kinderbetreuungseinrichtungen und die unbefriedi- gende rechtliche Situation ausländischer Frauen in Deutschland erwähnt. Drittens hat die Politik eine große Verantwortung, die Bedeutung des Übereinkommens zu stärken: Das heißt zum Beispiel, sich bei allen Gesetzge- bungsverfahren darauf zu beziehen, was im Übrigen jetzt auch zunehmend geschieht. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass – wie Inge von Bönninghausen, die Vorsitzende des Deutschen Frauenrates meinte – CEDAW kein Geheimkürzel bleibt. Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin bei der Bun- desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Mit dem vorliegenden Gesetz zu dem Fakultativprotokoll zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau bittet die Bundesregierung um Ihre Zustimmung, dieses internationale Abkommen ratifi- zieren zu können. Noch im März 1998 gehörte Deutschland in New York zu den Bedenkenträgern, als das Fakultativprotokoll auf UN-Ebene verhandelt wurde. Aber wenn es um die Si- cherung von Menschenrechten geht, haben demokrati- sche Staaten nicht zuvorderst Bedenkenträger zu sein, sondern mitzuhelfen, die Respektierung von Menschen- rechten überall durchzusetzen. Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass der Schritt von massiven Menschenrechtsverletzungen zur Diktatur und zum Terror nur ein kleiner Schritt ist, dann ist die ge- genwärtige Situation ein Beweis dafür. Die Taliban ver- letzen seit Jahren die Menschenrechte von Frauen auf ver- achtenswürdige Art und Weise und sie sind es auch, die den internationalen Terrorismus unterstützen. Darum las- sen Sie uns das Mögliche tun, Frauenrechte als Men- schenrechte international durchzusetzen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19445 (C) (D) (A) (B) Das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau ist über 20 Jahre alt. Es ist das wichtigste internationale Dokument, das klarstellt: Frau- enrechte sind Menschenrechte. Obwohl dieses Überein- kommen auf UN-Ebene 1979 beschlossen wurde, gab es in der Folgezeit immer wieder Versuche, die Menschen- rechte der Frauen eben nicht als unveräußerlichen und in- tegralen Bestandteil der allgemeinen Menschenrechte anzuerkennen. Darum war es notwendig, auf der Men- schenrechtsweltkonferenz 1993 für den Schutz der Frau- enrechte einzutreten, ebenso auf den Weltfrauenkonferen- zen, zuletzt 1995 in Peking. Sie haben nicht nur noch einmal bekräftigt, dass Frauenrechte universale Men- schenrechte sind, sondern auch gefordert, für Durchset- zungs- und Überwachungsmechanismen zu sorgen, die die menschenrechtlichen Forderungen für Frauen über- haupt erst zur Wirkung kommen lassen können. Darum brauchen wir das heute zur Abstimmung ste- hende Fakultativprotokoll. Darum haben wir auch als da- mals noch neue Bundesregierung im Rahmen unserer EU- Präsidentschaft bei den Verhandlungen Anfang 1999 aktiv daran mitgewirkt, dass das Fakultativprotokoll auf UN- Ebene beschlossen wurde. Das war – für alle sichtbar – ein fortschrittlicher Re- formschritt in der deutschen Frauenpolitik, auch ein Para- digmenwechsel. Deutschland gehörte dann am 10. Dezember 1999 zu den ersten Staaten, die das Fakultativprotokoll zeichne- ten – ein notwendiger Schritt, damit das Protokoll über- haupt von den Staaten ratifiziert werden kann. Es lohnt sich, dem Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau zum Durch- bruch zu verhelfen. Dieses Übereinkommen definiert um- fassend den Begriff „Diskriminierung der Frau“ und ver- pflichtet darüber hinaus die Vertragsstaaten, durch geeignete gesetzgeberische und sonstige Maßnahmen, ge- gebenenfalls auch Sanktionen, Diskriminierungen von Frauen zu unterbinden. Was ist nun das Besondere am Fakultativprotokoll? Es ermöglicht einen Standard, der auch bei anderen UN- Menschenrechtsübereinkommen üblich ist, nämlich das Individualbeschwerdeverfahren. Das heißt, es ermöglicht Frauen oder Frauengruppen, nach Ausschöpfung des in- nerstaatlichen Rechtsweges einen eventuellen persönli- chen Diskriminierungsfall vom Ausschuss zur Beseiti- gung jeder Form von Diskriminierung auf UN-Ebene überprüfen zu lassen. Diesem Ausschuss, dem 23 von den Mitgliedstaaten gewählte unabhängige Sachverständige angehören, obliegt die Aufgabe, die Individualbe- schwerde zu überprüfen. Aber nicht nur das: Er hat da- rüber hinaus die Möglichkeit, ein Untersuchungsverfah- ren gegen diejenigen Vertragsstaaten einzuleiten, die sys- tematisch und schwerwiegend gegen die im Übereinkom- men niedergelegten Rechte verstoßen. Dieses Untersuchungsverfahren ist eine wichtige Er- gänzung zum Individualbeschwerdeverfahren. Das Fa- kultativprotokoll ist damit besonders bedeutsam für Frauen in den Ländern, die kein dicht geknüpftes rechtli- ches Netz zum Schutz vor Diskriminierung haben. Der Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminie- rung der Frau ist auf UN-Ebene für die Frauen in der Welt ein bedeutender Ausschuss. Bislang hat er die Einhaltung der Konvention mittels Prüfung der von den Vertragsstaa- ten in regelmäßiger Folge vorzulegenden Staatenberichte vorgenommen. Die Bundesrepublik hat mittlerweile vier Berichte vor- gelegt und im vergangenen Jahr vor dem Ausschuss vor- gestellt. Im nächsten Jahr werden wir erstmalig einen Bericht vorlegen, der die Arbeit der jetzigen Bundesre- gierung dokumentieren wird. Mit der Auswertung der Berichte der 168 Vertragsstaa- ten und der Formulierung daraus folgender Empfehlun- gen hatte dieser UN-Ausschuss schon viel Arbeit. Hinzu kommt nun die Umsetzung des Fakultativprotokolls. Die- ser enorme Arbeitsanfall ist der Grund, warum die Bun- desregierung das Begehren des Ausschusses unterstützen möchte, die geltende Beschränkung der Tagungsdauer auf zwei Wochen im Jahr aufzuheben. Auch hierzu bitten wir Sie um Ihr zustimmendes Votum, ebenso wie für die Rücknahme des Vorbehalts, den die Bundesrepublik 1985 bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde erklärt hat. Nachdem der freiwillige Dienst von Frauen mit der Waffe in der Bundeswehr im vergangenen Jahr auf eine klare verfassungsrechtliche Grundlage gestellt und zugleich er- möglicht wurde, fehlt dem damals erklärten Vorbehalt die Grundlage. 43 Staaten haben das Fakultativprotokoll bisher ge- zeichnet, 27 ratifiziert. Die Bundesrepublik Deutschland hat gezeichnet und möchte nun das Fakultativprotokoll ratifizieren, das heißt auch für Deutschland in Kraft treten lassen. Mit der Ratifikation möchten wir auch ein Signal geben gegenüber den Staaten, die noch zögern, diesem Fakultativprotokoll beizutreten, sie ermutigen, ebenfalls zu ratifizieren. Ich würde mich freuen, wenn der Deutsche Bundestag diesem Weg mit großer Mehrheit zustimmen könnte. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Entschließungsanträgen und der Großen Anfrage: Doping im Spitzensport und Fitnessbereich Dagmar Freitag (SPD): Wir befassen uns heute mit der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion zu Doping im Spitzensport und Fitnessbereich und mit den Entschließungsanträgen, die CDU/CSU und FDP dazu gestellt haben. Ich bedauere außerordentlich, dass das Thema heute zu später Stunde auf der Tagesordnung steht. Das wird weder seiner Be- deutung noch dem öffentlichen Interesse an der Proble- matik gerecht. Der Sportausschuss hat sich in zwei Anhörungen – am 26. Januar 2000 zu Doping im Spitzensport und am 14. März 2001 mit Doping im Freizeit- und Fitnessbereich Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119446 (C) (D) (A) (B) – mit den aufgeworfenen Fragen beschäftigt. Lassen Sie mich zunächst noch einmal auf die einleitenden Feststel- lungen in der Großen Anfrage eingehen. Herr Kollege Riegert, die SPD-Bundestagsfraktion stimmt mit Ihnen durchaus in der Bewertung überein, dass es die vordringliche Aufgabe des Sports selbst ist und auch bleiben soll, in eigener Verantwortung Doping zu bekämpfen. Dies wird auch in unserem Antrag vom 3. Juli 2001 deutlich, in dem festgestellt wird: „die Verantwor- tung, Doping im Spitzensport wirkungsvoll zu bekämp- fen, liegt zunächst bei den Organisationen des Sports.“ Von daher, Herr Kollege Riegert, sind Ihre wiederhol- ten Einlassungen, der deutsche Sport würde von unserer Seite „ständig Verdächtigungen“ ausgesetzt, gar „krimi- nalisiert“, nun wirklich überhaupt nicht nachvollziehbar. Wer wie wir offen und konstruktiv die objektiv vorhande- nen Probleme – davon gibt es wahrlich eine Reihe – an- spricht, bringt den Sport nicht in Verdacht; im Gegenteil: Unsere Diskussionen sind ausschließlich vom Bemühen um einen manipulationsfreien Sport und einen fairen sportlichen Wettbewerb geleitet. Das muss im Interesse des Steuerzahlers, des Zuschauers, vor allem aber im In- teresse derjenigen Sportlerinnen und Sportler sein, die ohne den Einsatz von unerlaubten Substanzen in den Wettkampf gehen. Ich habe im Übrigen keinen Zweifel, dass die Ent- scheidungsträger im deutschen Sport sehr wohl zwischen einer konstruktiven Diskussion und Worthülsen unter- scheiden. In den Diskussionen vor allem der letzten Wochen ha- ben wir uns mit dem Doping der Vergangenheit und sei- nen Folgen beschäftigt. Gesundheitliche Beeinträchtigun- gen mit erheblichen physischen, aber auch psychischen Schäden sind erkennbare Folgen eines menschenverach- tenden Dopingsystems. Doping ist aber – ob es uns gefällt oder nicht – auch ein Thema der Gegenwart und ich bin sicher, es ist nicht vermessen, anzunehmen, auch ein Thema der Zukunft. Die Dopingmethoden erfahren neue Entwicklungen, die zur Leistungssteigerung verwendeten Substanzen än- dern sich, die Konsumenten und Dealer sind nicht allein im Hochleistungssport, sondern ebenso in Teilbereichen des Breitensports und in der Bodybuildingszene zu fin- den. Sich verändernde Bedingungen erfordern neue Ant- worten. Es ist – nicht nur, aber auch – unsere Aufgabe, uns diesen Herausforderungen zu stellen. Ich begrüße ausdrücklich, dass eine zentrale Forderung unseres Antrags mit dem Bundeshaushalt 2002 realisiert wird, nämlich die Beteiligung des Bundes am Stiftungs- kapital der Nationalen Anti-Doping-Agentur, mit deren zukünftiger Arbeit wir alle ein Stück Hoffnung verbinden. Alle für den Sport relevanten Kräfte sind aufgerufen, sich einzubringen – nicht nur mit guten Worten und Wün- schen, sondern auch mit einer spürbaren Beteiligung am Stiftungskapital! Der Bund jedenfalls nimmt seine Rolle auch an dieser zentralen Stelle der Dopingbekämpfung wahr. Machen wir uns aber nichts vor – die NADA allein wird die vielfältigen und zum Teil ungeklärten Probleme nicht vollständig lösen können. Es wäre fatal, sich jetzt zurückzulehnen und lediglich wieder die nächsten Erfah- rungen abwarten zu wollen. Wir warten, nicht erst seit gestern, gemeinsam auf die endgültige Bewertung der Verschärfungen im Arzneimittelgesetz. Dieses Verfahren ist im Hinblick auf weitere Diskussionen keineswegs zu beanstanden. Ich kann jedoch nicht erkennen, dass diese Wartezeit jegliche weitere Überlegung zur Doping- bekämpfung zu unterbinden hat. Selbstverständlich muss es legitim sein, auch schon jetzt über mögliche weiter ge- hende Schritte nachzudenken, vor allem wenn Fachleute bereits hilfreiche Hinweise dazu gegeben haben. Die Sachverständigen haben in der Anhörung die Än- derung des AMG als einen Schritt in die richtige Richtung bezeichnet. Dennoch muss heute festgestellt werden, dass die Staatsanwaltschaften nur in wenigen Fällen aufgrund von entsprechenden Anzeigen der Verbände Ermittlungs- verfahren einleiten. Nach unseren Informationen sind alle Verfahren bislang eingestellt worden. Der Grund hierfür dürfte nach Aussage von Experten unter anderem darin liegen, dass kaum zu ermitteln ist, wer dem Athleten die Dopingsubstanzen verschafft hat – und der Athlet selbst hat vermutlich nur wenig Interesse an entsprechender Aufklärung. Wer das Dopingproblem glaubwürdig lösen will, muss erkannte Lücken schließen. Mit Beschluss der 24. Konfe- renz am 19./20. Oktober 2000 in Potsdam haben die Sportminister der Länder die Auffassung vertreten, die Diskussion um ein Anti-Doping-Gesetz müsse „ernsthaft aufgegriffen und forciert“ werden. Die Konferenz hat die Sportreferentenkonferenz beauftragt, gemeinsam mit dem Deutschen Sportbund und dem Nationalen Olympi- schen Komitee die damit zusammenhängenden Fragen zu klären und gegebenenfalls Vorschläge für einen Gesetz- entwurf zu erarbeiten. Dabei geht es doch gar nicht um die Frage, ob der au- tonome Sport oder der Staat das Doping wirkungsvoller bekämpfen kann. Die einzig sinnvolle Frage ist, wie Do- ping gemeinsam am besten sanktioniert werden kann. Da- her sind alle Partner nicht nur aufgefordert, sondern aus meiner Sicht verpflichtet, ihre Aufgaben ernst zu nehmen. Das gilt auch für den Gesetzgeber. Meine Fraktion ist der Überzeugung, dass ein Anti-Do- ping-Gesetz, das die bestehenden Vorschriften bündelt und notwendige Ergänzungen aufnimmt, ein guter und richtiger Weg wäre. Der darüber eingeleitete Dialog hat bereits positive Signale ergeben. Bedenkenträger im or- ganisierten Sport, vor allem aber die Hardliner in den Uni- onsfraktionen sollten sich endlich von der Vorstellung lö- sen, der Gesetzgeber sei ein Gegner des Sports. Um es zum wiederholten Mal deutlich zu machen: Im Mittel- punkt unserer Überlegungen steht eindeutig der Schutz des sauberen Sportlers und der Schutz des fairen sportli- chen Wettbewerbs. Von dieser Haltung lassen wir uns auch durch Unterstellungen nicht abbringen. Die öffentli- che Diskussion über ein Anti-Doping-Gesetz ist im Gang – und das ist gut so. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19447 (C) (D) (A) (B) Klaus Riegert (CDU/CSU): Die Große Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die Antwort der Bundesre- gierung und die Anhörung zum Thema „Doping“ haben mehr als deutlich gemacht, dass sich Doping nicht auf den Spitzensport beschränkt. Doping ist in fast allen gesell- schaftlichen Bereichen ein Phänomen. In der Regel ohne ärztliche Verordnung und Kontrolle werden verbotene, oft il- legal eingeführte Substanzen eingenommen. Allein im Frei- zeit- und Fitnessbereich geht man von bis zu 350 000 Bür- gerinnen und Bürgern aus, die sich mit anabolen Steroiden aufpuschen und sich einer dauerhaften körper- lichen und psychischen Schädigung aussetzen – ohne öf- fentliche Aufmerksamkeit. Diese wird fast ausschließlich auf wenige spektakuläre Fälle im Spitzensport gelenkt, dem einzigen Bereich, in dem Kontrollen durchgeführt werden. Deshalb ist es von einigen Koalitionspolitikern höchst fahrlässig, Doping immer wieder am Spitzensport festzumachen. Warum wollen Sie im Freizeitbereich nur Erkenntnisse über Doping gewinnen und aufklären? Im Spitzensport wollen Sie Kontrollen, ein Gesetz und Be- strafung. Dort wollen Sie Doping als Straftatbestand fest- machen und im Freizeitbereich lediglich über Doping in- formieren. So steht es in ihrem Antrag! Dies macht Sie in der Bekämpfung des Dopings unglaubwürdig! Zwei Jahre haben die Koalitionsfraktionen gebraucht, um nach der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion „Doping im Spitzensport und Freizeitbereich“ im Sportausschuss ei- nen eigenen Antrag vorzulegen, 16 Monate nach den An- trägen der Bundestagsfraktionen der CDU/CSU und der FDP. Wir finden es richtig, dass die Koalitionsfraktionen die Anträge von CDU/CSU und FDP inhaltlich im We- sentlichen übernommen, um nicht zu sagen: schlicht und einfach abgeschrieben haben. Dazu hätte es nicht andert- halb Jahre bedurft. Zwei wesentliche Unterschiede müssen jedoch heraus- gehoben werden: Die Koalitionsfraktionen glauben nach wie vor, Doping durch ein ausschließlich – ich betone das – den Sport betreffendes Anti-Doping-Gesetz wir- kungsvoll bekämpfen zu können und vermeiden im An- trag konkrete Vorschläge, durch welche Maßnahmen die Bundesregierung unmittelbar dem Sport bei der Bekämp- fung des Dopings helfen kann, zum Beispiel durch eine stärkere finanzielle Unterstützung bei der Ausweitung der unangemeldeten Trainingskontrollen. Einen gemeinsa- men Antrag wollten Sie nicht, weil sie ein ausschließlich den Sport betreffendes Anti-Doping-Gesetz wollen, wohl wissend, dass Ihre eigene Bundesregierung dies nicht tun wird. Sie wissen genau, dass Sie für dieses Anti-Doping- Gesetz noch nicht einmal die Rückendeckung der Rechts- und Gesundheispolitiker der eigenen Fraktion haben. Sie sollten eigentlich wissen, dass Ihr Parlamentarischer Ge- schäftsführer Wilhelm Schmidt ein Anti-Doping-Gesetz in dieser Legislaturperiode aus schwerwiegenden rechtli- chen Bedenken für nicht machbar hält. Sie stellen einen Scheinantrag! Mehr nicht. Er soll der eigenen Rechtferti- gung dienen. Der Sache dient er nicht. Er läuft ins Leere: bei der eigenen Fraktion, bei der Bundesregierung; der Deutsche Sportbund will ein solches Gesetz nicht, das Na- tionale Olympische Komitee nicht, die Sportler nicht. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht sich in ihrer Ablehnung eines auf den Sport zugeschnittenen Anti-Do- ping-Gesetzes durch die Haltung der Bundesregierung bestätigt. In ihrer Antwort vom 27. Oktober 1999, Druck- sache 14/1867, weist die Bundesregierung auf die Ver- schärfungen des Arzneimittelgesetzes hin. Durch die Än- derung des Arzneimittelgesetzes haben wir das Inverkehrbringen von Dopingmitteln, das Verschreiben und Anwenden unter Strafe gestellt. Eine umfassende Auswertung der im Vollzug des novellierten AMG ge- wonnenen Erfahrungen liegt noch nicht vor. Warum kön- nen Sie diese Erkenntnisse nicht abwarten? Die Bundes- regierung weist mit Recht darauf hin, dass der Hinweis auf gesetzliche Regelungen anderer Länder wie zum Bei- spiel Frankreich und Italien aufgrund fundamental unter- schiedlicher Rechtslagen unzutreffend ist. Sie hat Recht! Die Bundesregierung hat sich wiederholt aus straf- rechtlichen und verfassungsrechtlichen Gründen gegen die Schaffung eines Straftatbestandes ausgesprochen, der das aktive Dopen durch Sportler unter Strafe stellt. Auch hier unterstützen wir die Haltung der Bundesregierung. Wir sehen uns auch in diesem Punkt durch die Haltung des Deutschen Sportbundes und des Nationalen Olympischen Komitees bestätigt! Ein eigenständiges, auschließlich den Sport betreffendes Anti-Doping-Gesetz kriminalisiert den Sport. Ein solches Gesetz lässt Dopingvergehen in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen unkontrolliert und ungestraft zu. Dies ist nicht unsere Auffassung. Deshalb lehnen wir diesen Teil Ihres Antrages entschieden ab. Wir lassen nicht zu, dass der Sport – insbesondere der Spit- zensport – kriminalisiert werden soll, andere Bereiche des Dopingmissbrauchs durch Sie bagatellisiert werden. Wir wollen eine sorgfältige Auswertung, wie sich die Ver- schärfungen des Arzneimittelgesetzes im Hinblick auf eine wirksame Bekämpfung des Dopings ausgewirkt ha- ben. Sollte sich Handlungsbedarf ergeben, sollen Lösun- gen im Rahmen vorhandener gesetzlicher Regelungen an- gestrebt werden. Was nützen übrigens Anti-Doping-Gesetze wie in Frankreich oder Italien, auf die Koalitionspolitiker bei je- der sich bietenden Gelegenheit hinweisen, wenn dort jähr- lich nur 800 bzw. 500 unangemeldete Trainingskontrollen durchgeführt werden? Wo nicht oder kaum kontrolliert wird, schrecken auch Gesetze nicht ab. Der Sport hat in eigener Zuständigkeit mit subsidiärer Hilfe des Staates ein Kontrollsystem aufgebaut, dass gut funktioniert, aber durchaus verbesserungsfähig ist. In Deutschland werden rund 4 000 unangemeldete Trainingskontrollen durchge- führt, fünfmal so viel wie in Frankreich, achtmal so viel wie in Italien. Dies ist wirksame Abschreckung und Prävention. Wir sollten uns dennoch nicht der Illusion hingeben, der Sport, insbesondere der Spitzensport, sei dopingfrei oder werde es eines Tages sein. Die Versuchung, sich durch Ein- nahme unzulässiger Substanzen Wettbewerbsvorteile ver- schaffen zu wollen, wird angesichts zunehmender Profes- sionalisierung und Kommerzialisierung eher größer werden. Die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger an unsere Athleten und die medienwirksame Herausstellung von Spitzenleistungen der Athleten erhöhen den Leis- tungsdruck permanent. Deshalb wird Doping mit großer Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119448 (C) (D) (A) (B) Wahrscheinlichkeit nie ganz auszuschließen sein. Aber wir können noch besser werden: Wir brauchen noch mehr un- angemeldete Trainingskontrollen, vor allem im C- und D- Kader Bereich. Es kann nicht angehen, dass talentierte Nachwuchssportler einmal in drei Jahren kontrolliert wer- den. Wir müssen unser Kontrollsystem verfeinern und ver- stärkt kontrollieren. Statt Staatsanwälte und Gerichte mit Dopingverfahren zu überfrachten, sollen wir dieses Geld besser für Prävention und mehr Kontrollen aufwenden. Unsere Forderung, der Bund müsse mehr Geld für Kontrollen zur Verfügung stellen, nützt den Sportlerinnen und Sportlern. Sie wollen kontrolliert werden, um nicht dem Verdacht ausgesetzt zu sein, zu manipulieren. Sie sollten sich unserer Forderung nach mehr Kontrollen an- schließen statt Luftnummern zu fordern. Dies ist Wohlge- fälligkeitsverhalten gegenüber der Regierung. Sonst nichts. Der Sport allein kann das nicht leisten. Hier ist der Bund gefordert, mehr Mittel zur Verfügung zu stellen. Der Bundesminister verkündet öffentlich ständig mehr Geld für die Bekämpfung des Dopings. Die Haushaltszahlen sprechen eine andere Sprache. Das Hin- und Herschieben von Haushaltsmitteln, wie es der Bundesminister des In- nern zurzeit tut, ist wenig hilfreich. Er will den Anschein erwecken, als erhöhe er die Mittel. In Wirklichkeit kürzt er oder verteilt die Kürzungen um. Wir brauchen endlich die Einrichtung der von den Sportverbänden unabhängigen Nationalen Anti-Doping- Agentur und die Ausweitung der Befugnisse im Bereich der Sportgerichtsbarkeit. Hier hätten wir von der Bundes- regierung mehr Initiative und mehr Vorbildfunktion er- wartet. Von 60 Millionen DM Stiftungskapital war die Rede. Staat, Wirtschaft und Sport sollten sich beteiligen. Heute sprechen wir von 10 Millionen vom Bund, von ei- ner Beteiligung der Länder von rund 2 Millionen DM und von einer nicht genau bezifferten Beteiligung der Wirt- schaft an den laufenden Kosten. Es wäre besser gewesen, der Bundesminister des Innern hätte nicht so die Backen aufgeblasen, sondern erst die Mittel bereitgestellt bzw. eingesammelt. Ein hohes einmaliges Stiftungskapital ist für eine unabhängige Arbeit von großer Bedeutung. Wir halten die Finanzierung der NADA durch den Bund für völlig unzureichend. Ganze 10 Millionen DM aus dem Verkauf der Liegenschaft des Bundesinstituts für Sportwissenschaft in Köln stellt er zur Verfügung. Dies sind keine zusätzlichen Mittel. Dafür kürzt die Bundesre- gierung im Gegenzug die Mittel für den Spitzensport um über 20 Millionen DM. Durch ihre Hinhaltetaktik und den unzureichenden eigenen Beitrag hat die Bundesregierung die Wirtschaft von einem stärkeren Engagement für die NADA verprellt. Dennoch bleibt die Wirschaft gefordert, einen nennenswerten Beitrag zum Stiftungskapital zu leisten. Wir fordern die Bundesregierung auf, nur 10 Mil- lionen DM der Kürzungen für den Spitzensport zurück- zunehmen und der NADA zuzuführen. Dies wäre ein glaubwürdiger Beitrag der Bundesregieung zur wirkungs- vollen Bekämpfung des Dopings. Die Nationale Anti-Do- ping-Agentur muss eng mit der World Anti-Doping- Agency (WADA) zusammenarbeiten. Erfolgreiche Bekämpfung des Dopings ist nur international erreichbar. Nationale Alleingänge – auch im Gesetzgebungsverfah- ren – sind wenig hilfreich. Hier sind in erster Linie die Spitzensportverbände gefordert, ein einheitliches, für alle internationalen Spitzensportverbände verbindliches Re- gelwerk zu schaffen. Die Politik muss diese Bemühungen unterstützen. Wir brauchen ein abgestimmtes Forschungsprogramm. Neueste wissenschaftliche und medizinische Erkennt- nisse müssen umfassend und unmittelbar in die Bekämp- fung des Dopings einfließen können. Das Bundesinsitut für Sportwissenschaft muss hier federführend tätig wer- den, damit Forschungsaufträge gezielt vergeben und ko- ordiniert werden können. Wir brauchen ein energisches, konsequentes und abgestimmtes Vorgehen der Bundesre- gierung und der Länder zur Eindämmung des Dopings im Freizeit- und Fitnessbereich. Neueste Studien besagen eindeutig, dass im Fitness- und Freizeitbereich der Miss- bruch von Dopingsubstanzen, die unkontrollierte Ein- nahme zu dauerhaften gesundheitlichen Schädigungen bis hin zu Todesfällen führt. Es ist beängstigend, wenn immer mehr junge Menschen zu leistungsteigernden Substanzen greifen, ohne sich über die Folgewirkungen Gedanken zu machen. Dies ist ein gesellschaftliches Pulverfass. Was die Koalitionsfraktionen in ihrem Antrag fordern, ist ein- deutig zu wenig. Sich auf die Gewinnung von Kenntnis- sen zu beschränken, um dann aufklären zu können, zeigt, dass sie die Gefährdung junger Menschen durch Doping im Fitness- und Freizeitbereich unterschätzen. Es muss ernsthaft geprüft werden, inwieweit auch un- angemeldet Kontrollen bei Sportveranstaltungen oder im Fitnessbereich durchgeführt werden können. Wir können diese Entwicklung nicht einfach zur Kenntniss nehmen, uns mit Untersuchungen zufrieden geben. Erkenntnisse und Aufklärung ja, aber auch wirkungsvolle Kontrollen und Unterbindung des illegalen Handels. Wir müssen Maßnahmen ergreifen, um diese Besorgnis erregende Grauzone in den Griff zu kriegen. Doping wird von den Koalitionsfraktionen in weiten gesellschaftlichen Bereichen tabuisiert. Nur nicht im Spitzensport. Hier wird kontrolliert und sanktioniert. Was wir brauchen, sind international verbindliche Regeln und Sanktionen unter der Verantwortung des Sports. Dies ist richtig und wichtig. Spitzensport hat eine Vorbildfunktion für den gesamten Sport, insbesondere für junge Menschen. Deshalb müssen die Anstrengungen bei der Bekämpfung des Dopings im Spitzensport fortgesetzt und verstärkt werden, national und international. Dazu brauchen wir kein eigenes, auf den Sport zugeschnittenes Anti-Doping- Gesetz. Wir müssen endlich aufhören, Doping allein am Spitzensport festzumachen. Wir müssen die öffentliche Aufmerksamkeit viel stärker auf die Gefahren der unkon- trollierten Einnahme leistungsfördernder Substanzen len- ken und wirksame Maßnahmen ergreifen. Hier sind Hun- dertausende junger Menschen gefährdet. Wir werden in der Bekämpfung des Dopings nur glaubwürdig sein, wenn wir Doping als unerlaubte und gefährliche Manipulation des eigenen Körpers und des Geistes brandmarken und bekämpfen, und zwar umfassend. Deshalb geift ein Anti- Doping-Gesetz zu kurz und ist ausschließlich gegen den Sport gerichtet. Dies ist mit uns und – so wie es aussieht – mit dieser Bundesregierung und dem Sport nicht zu ma- chen. Und das ist gut so! Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19449 (C) (D) (A) (B) Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zentrales Thema der heutigen Debatte ist die Auseinan- dersetzung um die notwendigen Maßnahmen zur Doping- bekämpfung im Sport. Das weiterhin ungelöste Problem des Dopings im Sport ist uns in drei öffentlichen An- hörungen im Sportausschuss durch viele Experten be- stätigt worden. Dabei ist zunehmend die Forderung nach einem Anti-Doping-Gesetz in den Mittelpunkt gerückt. Der von der Opposition wiederholt ins Spiel gebrachte vermeintliche Gegensatz eines autonomen Sports auf der einen Seite und eines sich ausbreitenden Staates auf der anderen Seite hat sich längst überholt. Die gute Zusam- menarbeit von Sport und Staat in der Dopingbekämpfung lässt sich auch durch die Opposition nicht schlechtreden. Die staatliche Förderung der Kontrolllabore in Köln und Kreischa hat wesentlich dazu beigetragen, dass in Deutschland ein dichtes Netz von Dopingkontrollen ent- standen ist. Dopinganalytik und Dopingforschung werden auch weiterhin von uns mit den notwendigen finanziellen Mitteln ausgestattet werden. Diese Mittel werden in Zu- kunft bei der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA) zusammengefasst. Sport und Staat werden gemeinsam unter dem Dach dieser Institution einen wichtigen Beitrag für die weitere Verbesserung der Dopingbekämpfung leisten. Die Partnerschaft von Sport und Staat kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich auch die internationa- len und nationalen Rahmenbedingungen des Sports ver- ändert haben. Die internationale Bedeutung des Sports zeigt sich besonders bei den Großereignissen wie Olym- pischen Spielen oder Weltmeisterschaften. Der Sport ist längst zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor in unserer Gesellschaft geworden. Wir brauchen Strukturen, die diese Entwicklung be- gleiten. Die zunehmende Kommerzialisierung des Sports und der sportliche Wettbewerb benötigen einen Rahmen, in dem sich dieses Schutzgut Sport mitsamt seines kon- stitutiven Fairnessgedankens weiterentwickeln kann. Längst wissen viele Experten und auch Vertreter des Sports, dass es bei einem nationalen Anti-Doping-Gesetz nicht um einen staatlichen Eingriff in die Autonomie des Sports geht, sondern um eine ergänzende Regelung, durch die auch der Staat deutlich macht, dass Doping im Sport gesamtgesellschaftlich nicht zu akzeptieren ist. Es geht der Regierungskoalition dabei vor allem da- rum, dem umfassenden Dopingproblem ein wirksames Gesamtkonzept entgegenzustellen. Dafür müssen bishe- rige Gesetzesregelungen zusammengefasst und Gesetzes- lücken geschlossen werden. Die NADA muss im nächs- ten Jahr ihre Arbeit aufnehmen können. Die Aufklärungsarbeit über die gesundheitlichen Gefahren des Doping muss verstärkt werden. Kernpunkt unserer Strategie muss aber die staatliche Sanktionierung des Dopingbetrugs im Sport sein. Der sich selbst dopende Sportler verletzt bewusst den sportlichen Wettbewerb und betrügt seine Konkurrenten. Gerade die- ser Bereich wird durch die bisherigen Gesetze nicht er- fasst, sondern muss durch ein Anti-Doping-Gesetz gere- gelt werden. Die Debatte um mögliche Vollzugsdefizite beim Arzneimittelgesetz läuft daher am Kernproblem vorbei. Der Münchner Mediziner Dr. Strasburger hat erst kürz- lich in einer Stellungnahme für den Sportausschuss vor- geschlagen, die Dopingbekämpfung in Deutschland auf drei Säulen zu stellen: Erstens. Die Dopingpraxis in der ehemaligen DDR gehört aufgearbeitet und den gesund- heitlich geschädigten Opfern dieser Dopingpraxis muss geholfen werden. Zweitens. Dem Doping im Sport müsse durch eine „Proklamation drastischer Sanktionen“ begeg- net werden. Drittens. Für Dopingkontrollen, Prävention und Rechtsverfahren müssen die erforderlichen Mittel und Rechtsrahmen bereitgestellt werden. Die für dieses „Drei-Säulen-Modell der Dopingbekämpfung“ notwendi- gen Institutionen liegen auf der sportpolitischen Hand: DDR-Dopingopferfonds, Anti-Doping-Gesetz, Nationale Anti-Doping-Agentur. Es muss jetzt aus unserer Sicht darum gehen, dieses „Drei-Säulen-Modell“ parallel umzusetzen. Die NADA wird im nächsten Jahr ihre Arbeit aufnehmen. Ein Fonds zur Unterstützung der DDR-Dopingopfer sollte im Zuge der Haushaltsschlussberatungen eingerichtet werden. Der Entwurf für ein Anti-Doping-Gesetz muss unter Mitwir- kung der Sportorganisationen parlamentarisch weiter vo- rangebracht werden. Und zwar so schnell wie möglich. Dr. Klaus Kinkel (FDP): Doping ist in aller Mun- de – und das leider nicht nur im übertragenen Sinne! Do- ping ist eine Denaturierung des Sports, eine schlimme Geißel – gerade jetzt, wo Deutschland sich um die Olym- pischen Sommerspiele 2012 bewerben will, müssen wir uns das immer wieder bewusst machen. Deutschland will die Olympischen Spiele – aber saubere Spiele, bitte schön! Es darf nicht zu einem olympischen Wettstreit der Pharmaindustrie kommen! Die Devise im Leistungssport lautet im Zeichen von Über-Kommerzialisierung und „Hollywoodisierung“ stärker als je zuvor: Immer höher, schneller, weiter! Wenn der Körper am Ende seiner Steigerungsfähigkeiten ange- langt ist, treiben Sportler allzu oft auf das Doping zu. Do- ping ist aber leider beileibe nicht auf den Spitzensport be- schränkt – die schlimmen Vorfälle dort sind nur die Spitze des Eisbergs. Das hat die Anhörung des Sportausschusses vor einem halben Jahr gezeigt – Experten sagen, dass allein über 200 000 Freizeit-Bodybuilder in deutschen Fit- ness-Studios zu Doping-Mitteln greifen – 300 Millio- nen DM gehen dabei über den Tresen. Die schlimmen ge- sundheitlichen Schäden, die das Doping hervorrufen kann, zeigen sich am deutlichsten bei den Opfern des sys- tematischen DDR-Staatsdopings. Der Staat muss bei die- sen zum Teil schlimmen Einzelschicksalen helfen – des- halb hat die FDP in den laufenden Haushaltsberatungen den Antrag eingebracht, 2002 endlich einen Dopingopfer- Entschädigungsfonds mit 2 Millionen DM ins Leben zu rufen. Was lernen wir aus der DDR-Erfahrung und den schlimmen Doping-Fällen der letzten Jahre? Wir müssen dem Doping den rücksichtslosen Kampf ansagen! Aber muss da gleich wieder der Gesetzgeber her? Die Regie- rungskoalition will ein Anti-Doping-Gesetz. Muss es im Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119450 (C) (D) (A) (B) deutschen Sport wirklich so weit kommen? Wollen wir Fitness-Studios wirklich mit Polizeihunden durchforsten? Gehört ein erwachsener Sportler, der sich mit unerlaubten Mitteln Vorteile gegen andere Sportler verschafft und sich vor allem selbst schadet, wirklich vor den Kadi? Ist es Sa- che der staatlichen Justiz und damit des Steuerzahlers, über die Einhaltung der Wettbewerbsregeln im Sport zu richten? Nein. Solange es geht, sollte der Sport das mit seinen starken, unabhängigen Verbänden möglichst ei- genverantwortlich regeln. Die Autonomie des Sports ist ein hohes Gut. Der Staat sollte nur subsidiär eingreifen. Er steckt mit dem Strafrecht, dem Arzneimittelgesetz und mit den Jugendschutzbestimmungen einen Rahmen. Da- rüber hinaus sollte der Staat nur dann eingreifen, wenn das zum Schutz der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ordnung wirklich unabdingbar ist. Im Übrigen: Wer den Staat ruft, wird ihn so schnell nicht wieder los! Trotzdem: Die öffentliche Hand darf sich beim Sport nicht ganz raushalten – dazu ist er gesell- schaftspolitisch zu wichtig. Auch finanziell muss der Staat dem autonomen Sport helfen. So muss die nationale Anti-Doping-Agentur jetzt endlich ihre Arbeit aufnehmen können – das darf nicht an der Finanzierung scheitern. Sportverbände und Wirtschaft dürfen nicht aus der Pflicht entlassen werden, sich an der Finanzierung der NADA zu beteiligen. Beide müssen ein überragendes Interesse an einem sauberen Sport haben – nicht zuletzt als Werbe- träger – und sollten bei der Finanzierung der NADA mit einem angemessenen Beitrag mithelfen. Aber niemand beteiligt sich freiwillig an einem Phantom – der Bund sollte deshalb im nächsten Halbjahr zeigen, dass es ihm Ernst ist mit der NADA, damit sie wirklich endlich auf die Füße kommt. Darüber hinaus fordert die FDP-Bundestagsfraktion die Bundesregierung auf, sich für eine weltweite Harmo- nisierung der Doping-Bekämpfung stark zu machen und die europäische und die internationale Zusammenarbeit im Bereich des Zolls und bei der Bekämpfung des Inter- net-Handels mit Doping-Mitteln auszubauen. Denn auf diesem Gebiet ist der Staat wirklich der richtige Akteur! Das können die Verbände nicht allein – genauso wenig, wie die dringend erforderliche Datenerhebung zum Do- ping im Fitness-Sport und eine verstärkte Aufklärungsar- beit über Gefahren des Dopings. Hier sollten Bund, Län- der und Sportverbände, auch mit Unterstützung der Wirtschaft und der Medien, dazu beitragen, das Bewusst- sein über Doping-Gefahren unter den Sportlern und Trai- nern und in der Bevölkerung, im Breitensport, weiter zu schärfen. Wir dürfen uns den Sport durch das Doping nicht kaputtmachen lassen! Aber wir dürfen den autono- men Sport auch nicht selbst kaputtmachen, indem wir gleich auf die Knute des Gesetzes setzen. Gustav-Adolf Schur (PDS): Doping ist ein uner- schöpfliches Thema, es beschäftigt uns in geradezu beängstigender Regelmäßigkeit im Deutschen Bundestag und in seinen Ausschüssen: Parlamentsdebatten, aufwen- dige Expertenanhörungen, Evaluierungsgespräche zu Stiftungsgründungen, WADA und NADA, Dopingopfer- verbände und, und, und. Bisher steht gesichert zu dieser Problematik fest: Der Dopingmissbrauch in Deutschland steigt, sowohl im Spitzen- als auch im Fitnessbereich. Er bewegt sich in Schwindel erregenden Höhen und hat die Zahl von zwei- hunderttausend weit überschritten. Kriminelle Energie er- wies sich bisher stärker als alle Regeln, als Recht und Ge- setz. Es geht um Maximalprofite für Drogenhersteller und Drogenhändler; für Athleten aller Leistungskategorien mit Siegambitionen gibt es einen hemmungslos aufberei- teten Markt für das Erreichen von so genannten Sieger- typen bzw. Schönheitskönigen und -königinnen. Uns fehlen Maßnahmen, die den Drogenhandel min- destens so verfolgen wie den Dopinghandel, den Drogen- missbrauch konsequent bestrafen und eine wirkungsvolle Aufklärung und Prävention garantieren. Ersteres sollte mit der Novellierung des Arzneimittelgesetzes gewähr- leistet werden. Zum Zweiten ist ein Anti-Doping-Gesetz, wie bereits in Frankreich und Italien installiert und Erfolg versprechend praktiziert, unbedingt notwendig bzw. überfällig. Selbstverständlich erfordert das eine zielstre- bige und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen dem Gesundheitsministerium, dem Bundesinnenministerium, den Bildungseinrichtungen der Länder und dem Deut- schen Sportbund. Der Zeitraum bis zur Sommerpause ist dazu angemessen. Wenn aber heute immer mehr Töne laut werden, man müsse erst den Erfahrungsbericht zur Novellierung des Arzneimittelgesetzes abwarten und dann erst ein Anti- Doping-Gesetz entwickeln, dann sind die Olympischen Spiele 2004 von Athen bereits Geschichte und Dopingtote im Fitnessbereich gehören zur Normalität, ehe ein Anti- Doping-Gesetz verabschiedet ist. Dass eine zügige, gewissenhafte und fachliche Vorbe- reitung des Gesetzentwurfes nicht zur Wahlkampffarce verkommen darf, liegt doch einzig und allein an uns allen. Die PDS unterstützt jede Initiative in dieser Richtung. Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister des Innern: Die Dopingbekämpfung im Sport ist ein Kernelement der Sportpolitik der Bundesregierung. Nach der von der Verfassung vorgegebenen Zuständig- keitsverteilung konzentriert sich die Bundesregierung auf die Dopingbekämpfung im Spitzensport sowie auf den Gesundheitsschutz von Sportlerinnen und Sportlern. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass in erster Line der Sport selbst auf nationaler und internationaler Ebene für die Dopingbekämpfung und insbesondere für die Durchführung der gebotenen Trainings- und Wettkampf- kontrollen sowie für die konsequente Durchführung ab- schreckender Sanktionen zuständig ist. Die Bundesregierung ist bereit, da unterstützend ein- zugreifen, wo die Mittel des Sports nicht weiterhelfen. Sie wird nicht nachlassen, ihren Einfluss geltend zu machen, um erkennbare Defizite bei der Dopingbekämpfung zu beseitigen. Eine Maßnahme zur effektiveren Dopingbekämpfung wurde mit der Verschärfung des Arzneimittelgesetzes ge- troffen. Damit das gesetzliche Dopingverbot für das Um- feld der Sportlerinnen und Sportler, den Arzt, Trainer oder Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19451 (C) (D) (A) (B) sonstige Betreuer, auch wirksam durchgesetzt werden kann, müssen den Ermittlungsbehörden die einen An- fangsverdacht begründenden Tatsachen allerdings auch bekannt werden. Wie wichtig dies ist, zeigt auch die Stu- die des Lübecker Mediziners Dr. Boos über Dopingmiss- brauch in Fitnessstudios. In 17 Prozent der Fälle, bei de- nen sich ein Anabolikamissbrauch ergab, wurden anabole Steroide ärztlich verordnet. Die Große Anfrage zu Doping im Spitzensport und Fitnessbereich sowie die Antwort der Bundesregierung darauf lassen keinen Zweifel daran, dass es nicht nur im Spitzensport, sondern auch im Fitness- und Freizeitbe- reich ein Dopingproblem gibt. Auch das wurde durch die Studie von Dr. Boos eindringlich bestätigt. Der Dopingmissbrauch im Freizeit- und Fitnessbereich ist ein ernsthaftes gesellschaftliches Problem, bei dessen Bewältigung in erster Linie die Bundesländer gefordert sind. Die Möglichkeiten des Bundes sind hier begrenzt. Eine besondere Rolle bei der Bekämpfung des Doping im Freizeit- und Fitnessbereich spielt die umfassende Auf- klärung über Auswirkungen des Doping auf die Gesund- heit des Fitnesstreibenden. Ich begrüße es daher sehr, dass die Sportministerkonferenz bereits im Dezember 1999 die Verantwortlichkeit der Länder bekräftigt hat. Große Hoffnung im Hinblick auf eine effektive Do- pingbekämpfung setze ich auf die Gründung der Stiftung Nationale Anti-Doping-Agentur. Ihre Gründung wird von der Bundesregierung nachhaltig unterstützt. So ist beab- sichtigt, die bisherige Bundesförderung von über 2 Milli- onen für die Dopinganalytik in die NADA zu überführen. Außerdem wird der Bund 10 Millionen DM in das Stif- tungsvermögen der NADA einbringen. Darüber hinaus soll die Forschungsförderung zur Dopingbekämpfung im bisherigen Rahmen fortgeführt werden. Auch die Bun- desländer beabsichtigen, 2 Millionen DM zum Stiftungs- kapital beizutragen. Um die NADA zu einem unabhängigen Instrument der Dopingbekämpfung zu entwickeln, sollten alle gesell- schaftlichen Kräfte, die für Fairness und Chancengleich- heit eintreten, bei der NADA eingebunden werden. Eine neue Form der Partnerschaft von Sport und Poli- tik wurde erstmals mit der Gründung der Welt-Anti- Doping-Agentur im November 1999 geschaffen. In den Gremien der WADA sind staatliche Stellen und Sportor- ganisationen gleichermaßen vertreten. Ich halte die WADA für ein wichtiges, wenn nicht gar das wichtigste Instrument der Dopingbekämpfung auf internationaler Ebene. Von ihr erwarte ich wichtige Impulse für eine ein- heitliche, von allen Beteiligten akzeptierte, Doping- bekämpfung. Was die Schaffung eines Anti-Doping-Gesetzes anbe- langt, sollten wir nicht in Aktionismus verfallen, sondern zunächst sorgfältig prüfen, ob sich die Verschärfung des Arzneimittelgesetzes bewährt hat und ob eventuell noch Handlungsbedarf besteht und wo sich Lücken in der Do- pingbekämpfung auftun. Mit dem Sport wurde seinerzeit vereinbart, nach etwa zwei Jahren eine entsprechende Auswertung des Arzneimittelgesetzes vorzunehmen. Leider liegen uns noch nicht alle erforderlichen Infor- mationen von allen Bundesländern vor, sodass derzeit keine abschließende Bewertung möglich ist. Es zeigt sich jedoch, dass die Verbotsregelungen des Arzneimittelge- setzes erste Wirkungen zeigen, insbesondere bezüglich der Aufdeckung ärztlichen Fehlverhaltens. Allerdings müssten die Sportverbände noch mehr als bisher den Strafverfolgungsbehörden die für einen An- fangsverdacht erforderlichen Tatsachen mitteilen, damit diese ein Ermittlungsverfahren einleiten können. Ich un- terstütze daher das Vorgehen des Deutschen Sportbundes, der seine Mitgliedsverbände verpflichtet hat, Anzeige bei der Staatsanwaltschaft zu stellen, wenn sich ein Verdacht der verbotenen Weitergabe von Dopingsubstanzen durch Trainer oder Sportarzt ergibt. Denn nur die Sportorgani- sationen verfügen über entsprechende Informationen, da sich in ihrer Sphäre die Dopingverstöße ereignen. Wir sollten uns mit dem Sport bemühen, für eine kon- sequente Umsetzung der bestehenden Vorschriften zu sor- gen. Wenn wir dann jedoch zu der Erkenntnis kommen, dass weiterhin gesetzliche Defizite bestehen, so sollten wir gemeinsam mit dem Sport nach möglichen Rege- lungsmöglichkeiten suchen. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zum Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Ände- rung des Medizinproduktegesetzes (2. MPG- ÄndG) (Tagesordnungspunkt 15) Carola Reimann (SPD): Wir beraten heute einen Ge- setzentwurf, der den Verbraucherschutz in der Medizin zum Wohle des Patienten verbessert. Gleichzeitig wird es von der Medizinprodukte-Industrie schon längst erwartet und ist ein Beispiel dafür, dass wirtschaftliche Interessen und Verbraucherschutz Hand in Hand gehen können. Der Entwurf setzt zwei EU-Richtlinien, die Richtlinie 98/79/EG und die Richtlinie 2000/70/EG, und bezieht da- mit In-vitro-Diagnostika und Medizinprodukte, die sta- bile Derivate aus menschlichem Blut oder Blutplasma enthalten, in den Anwendungsbereich des Medizinpro- duktegesetzes ein. In-vitro-Diagnostika sind im Wesentli- chen Reagenzien und Geräte für medizinische Laborun- tersuchungen; zu den Medizinprodukten, die stabile Derivate aus menschlichem Blut oder Blutplasma enthal- ten, gehören zum Beispiel mit Albumin beschichtete Ka- theter. Mit den neuen Regelungen wird der Marktzugang für diese Produkte wesentlich erleichtert. Sie sind im ge- samten europäischen Wirtschaftsraum verkehrsfähig, wenn sie die im Gesetz vorgegebenen Voraussetzungen für das Inverkehrbringen erfüllen und die CE-Kennzeich- nung tragen. Der Markt für medizintechnische Produkte ist ein globaler Wachstumsmarkt. Er wächst in den Indu- strienationen um circa 5 bis 7 Prozent jährlich. Der Welt- markt für Medizinprodukte hat bereits jetzt ein geschätz- tes Volumen von etwa 200 Milliarden DM pro Jahr. Das Produktionsvolumen der deutschen Medizinprodukte-In- dustrie, die in 1 200 Betrieben rund 110 000 Mitarbeiter Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119452 (C) (D) (A) (B) beschäftigt, liegt bei circa 28 Milliarden DM. Der Expor- tanteil von mehr als 50 Prozent unterstreicht die interna- tionale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Medizinpro- dukte-Industrie. Über die Umsetzung europäischen Rechts hinaus verfolgt das Gesetz eine Reihe weiterer Ziele. So trägt es den bisherigen Erfahrungen in der An- wendung des Medizinprodukterechts Rechnung, indem es Korrekturen und Klarstellungen vornimmt sowie Rege- lungslücken schließt. Auf einige Schwerpunkte des Gesetzes – außerhalb der Richtlinienumsetzung – möchte ich näher eingehen: Dies sind zum einen die neuen Regelungen zur Aufbereitung von Medizinprodukten, die keimarm oder steril angewen- det werden. Wichtig war uns eine Lösung, die zum einen dem vorbeugenden Verbraucherschutz, andererseits aber auch der Finanzierbarkeit unseres Gesundheitswesens Rechnung trägt. Ich möchte Ihnen die zentralen Neurege- lungen kurz skizzieren: Für die Aufbereitung, auch von so genannten Einmalprodukten, dürfen nur Verfahren ange- wendet werden, die sicherstellen, dass der Erfolg nach- vollziehbar gewährleistet ist und die Sicherheit und Ge- sundheit von Patienten, Anwendern oder Dritten nicht gefährdet wird. Bindend hierfür ist die gemeinsame Emp- fehlung zu den Anforderungen an die Hygiene bei der Aufbereitung von Medizinprodukten, die von der Kom- mission für Krankenhaushygiene und Infektionspräven- tion am Robert-Koch-Institut und vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ausgegeben wird. In der Vergangenheit haben sich Betriebe als externe Dienst- leister etabliert, die im Auftrag von Krankenhäusern Me- dizinprodukte aufbereiten. Die Anforderungen an die Aufbereitung gelten nun auch für diese Betriebe. Darüber hinaus müssen sich Betriebe und Einrichtungen anzeigen, die Medizinprodukte für andere aufbereiten. Damit wird eine wirkungsvolle Überwachung durch die zuständigen Behörden erst möglich. Ein weiterer Schwerpunkt des Gesetzes ist die Neustrukturierung und teilweise Ände- rung der Vorschriften über die Anzeigepflichten sowie zur Überwachung und zur Abwehr von Risiken. Das Gesetz differenziert künftig klar und deutlich zwischen den Re- gelungen über die allgemeinen Bestimmungen für die Durchführung der Überwachung, den Regelungen über die Maßnahmen bei unrechtmäßiger und unzulässiger Anbringung der CE-Kennzeichnung und den Regelungen zu den Verfahren zur Abwehr von Risiken. Diese werden deshalb auch gesondert in einzelnen Paragraphen gere- gelt, was bisher nicht der Fall war. In diesem Zusammenhang wird auch der Umfang der behördlichen Überwachung neu geregelt. Bislang sieht das geltende Recht nur eine stichprobenartige Überwa- chung vor. Die generelle Einschränkung der Überwa- chung auf Stichproben hat sich aber als nicht sachgerecht erwiesen. Daher wird einerseits die bisherige Einschrän- kung des Überwachungsauftrages aufgehoben, es ande- rerseits aber den Behörden überlassen, den Umfang der Überwachung unter Berücksichtigung des Risikopotenzi- als der jeweiligen Medizinprodukte selbst zu bestimmen. Im Zusammenhang mit der Überwachung und der Ab- wehr von Risiken bei Medizinprodukten möchte ich auch auf den Sicherheitsplan für Medizinprodukte hinweisen. Auf der Grundlage des Medizinproduktegesetzes werden hier die Einzelheiten zur Erfassung, Bewertung und Ab- wehr von Risiken bei Medizinprodukten geregelt. Die Ri- sikobewertung bei Medizinprodukten erfolgte bisher auf der Grundlage der europäischen Richtlinien, des Medi- zinproduktegesetzes, der Medizinprodukteverordnung, der von der europäischen Kommission erarbeiteten Leit- linien und einer Bekanntmachung des BMG. Dabei sind vereinzelt Schwierigkeiten aufgetreten, weil detaillierter verbindliche Vorgaben gefehlt haben. Zur Vermeidung von Defiziten im Gesundheitsschutz werden die Ver- pflichtungen der Beteiligten und die zu beachtenden Ver- fahren künftig in dieser Verordnung konkretisiert. Wich- tig war uns auch die Deregulierung und Straffung des Medizinproduktegesetzes. In diesem Zusammenhang ha- ben wir eine Reihe von Verordnungsermächtigungen und Verweisungsketten gestrichen. Lassen Sie mich hierzu ein Beispiel nennen: Nach den Vorgaben der europäischen Richtlinien müssen Medizinprodukte, damit Sie in den Verkehr gebracht werden dürfen, unter anderem die so ge- nannten grundlegenden Anforderungen erfüllen. Diese sind in den Anhängen der entsprechenden europäischen Richtlinien verbindlich vorgeschrieben. Bisher enthält das Gesetz die Regelung, dass Voraussetzung für das In- verkehrbringen von Medizinprodukten die Erfüllung der grundlegenden Anforderungen ist. Weiterhin gibt es eine Ermächtigung, dass das Bundesgesundheitsministerium durch Rechtsverordnung die grundlegenden Anforderun- gen an Medizinprodukte bestimmen kann. In der Verord- nung – dies ist die Medizinprodukteverordnung – wird dann auf die einschlägigen Anhänge der Richtlinien ver- wiesen. Jetzt haben wir im Gesetz selbst auf die Anhänge der Richtlinien verwiesen und uns den Umweg über die Verordnung gespart. Wir haben eine gleitende Verwei- sung vorgesehen, sodass Änderungen in den Anhängen der Richtlinien automatisch auch im deutschen Medizin- produktegesetz zu berücksichtigen sind. Dass der Ansatz einer Regelung im Gesetz zu einer besseren Lesbarkeit und zu einem besseren Verständnis des Gesetzes beiträgt, wurde uns von verschiedenen Sei- ten bestätigt. Ähnlich wie mit den grundlegenden Anfor- derungen sind wir mit der Klassifizierung von Medizin- produkten, mit der klinischen Bewertung einschließlich klinischer Prüfung und den Mindestkriterien für die Be- nennung von Prüfstellen umgegangen. Auch diese Rege- lungen sind unmittelbar in das Gesetz aufgenommen. Da- gegen kann auf die Ermächtigungsnorm zur Regelung einer Zertifizierung von Sachverständigen ganz verzich- tet werden, da wir unter Aspekten des Gesundheits- schutzes keine Notwendigkeit sehen, speziell im Medi- zinproduktegesetz bundeseinheitliche Anforderungen an Sachverständige zu stellen. Weitere Punkte der Deregu- lierung sind der Bund-Länder-Ausschuss sowie der bis- lang noch nicht etablierte Ausschuss für Medizinpro- dukte. Diese sollten das Bundesministerium für Gesundheit dabei unterstützen, sich notwendige Informa- tionen für Entscheidungen zu verschaffen. Der erforderli- che Abstimmungs- bzw. Beratungsbedarf mit den Län- dern und den betroffenen Kreisen kann jedoch auf andere Weise gezielter und flexibler erfolgen. Deshalb können die beiden Ausschüsse entfallen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19453 (C) (D) (A) (B) Im Rahmen des 2. MPG-ÄndG wird auch das Heilmit- telwerbegesetz (HWG) geändert. Das Heilmittelwerbege- setz betraf bislang nur Medizinprodukte, soweit es sich um Gegenstände handelte. Die Besonderheiten der Medi- zinprodukte blieben damit aber unberücksichtigt. Daher soll das Heilmittelwerbegesetz künftig grundsätzlich auf Medizinprodukte anwendbar sein. Da Medizinprodukte in Laienhand im Hinblick auf ihr Gefährdungspotenzial nicht mit Arzneimitteln vergleichbar sind, erfolgt jedoch eine differenzierte Ergänzung des Heilmittelwerbegeset- zes. Im Ergebnis wird somit eine verbesserte Aufklärung und Information der Patienten erreicht. Das wird unserem Ziel gerecht, den Patienten mündiger zu machen. Da auch die rasante Entwicklung im Bereich der Medien – Stich- wort Internet – für den Verbraucher positiv genutzt wer- den soll, ist die Werbung für Medizinprodukte nicht mit der für Arzneimittel gleichgestellt. Die Neuregelungen berücksichtigen jedoch auch den grundsätzlichen An- spruch des Verbrauchers auf einen Schutz vor unsach- gemäßer Beeinflussung. Letztendlich überwiegt aber in einer aufgeklärten Gesellschaft der Anspruch auf Infor- mation, die auch mittels Werbung erfolgen kann. Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Punkt nen- nen, der im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens heftig diskutiert wurde: Die Frage der Zulässigkeit privater Prüfzeichen neben der CE-Kennzeichnung. Mit dem vor- liegenden Gesetz dürfen neben der CE-Kennzeichnung zusätzliche Zeichen angebracht werden, wenn sie nicht in die Irre führen und die Sichtbarkeit und Lesbarkeit der CE-Kennzeichnung nicht beeinträchtigen. Mit dem zu- sätzlichen privaten Prüfzeichen muss auch künftig ein zu- sätzlicher Nutzen verbunden sein. Dr. Sabine Bergmann-Pohl (CDU/CSU): Die Bun- destagsfraktion der CDU/CSU begrüßt den vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Medizinprodukte- gesetzes. Das Medizinproduktegesetz hat sich nach meinem Eindruck in den vergangenen nunmehr fast sieben Jahren weitgehend bewährt. Aber auch Bewährtes gilt es weiter- zuentwickeln. Hinzu kommen die Notwendigkeit der Umsetzung von EG-Recht in deutsches Recht und die für die Beteiligten löbliche Vereinfachung von Regulie- rungsvorschriften mit dem Ziel einer größeren Transpa- renz – ein Anliegen, das meine Fraktion uneingeschränkt unterstützt. Lassen Sie mich nun auf einige Punkte des Gesetzent- wurfes näher eingehen, die mir und meiner Fraktion be- sonders wichtig sind: Das vorliegende Gesetz ist ein gutes Beispiel dafür, wie man rechtliche Vorschriften ver- schlanken und Überregulierungen vermeiden kann. Dop- pelnennungen, unnötige Verweisungsketten und überflüs- sige Vorschriften wurden gestrichen. Beispielsweise finde ich den Verzicht auf den Bund-Länder-Ausschuss für Me- dizinprodukte und den Ausschuss für Medizinprodukte beim BMG gut, da solche Gremien zwar in der Ge- schäftsführung erheblichen bürokratischen Aufwand be- deuten, im inhaltlichen Output aber häufig bescheidene Ergebnisse nach dem Motto „Ist gut, dass wir darüber ge- sprochen haben“ produzieren. Bund-Länder-Arbeitsgruppen oder themenspezifische Ad-hoc-Gruppen können auch ohne gesetzliche Regelun- gen bei gegebenem Anlass tagen. Und sie tun es auch, wie beispielsweise die Task Force beim RKI zum Thema: „Überlegungen und Empfehlungen zur Minimierung des Risikos einer iatrogenen Übertragung der vCJK durch po- tenziell kontaminierte Medizinprodukte“ beweist, die in Kürze ihre Ergebnisse präsentieren wird. Man braucht also nicht unnötige Paragraphen, die ein schnelles, ziel- gerichtetes Agieren eher behindern. Im Ergebnis der Neustrukturierung des Gesetzes hat sich nicht nur die Lesbarkeit, sondern auch vor allem die praktische Handhabbarkeit für die Beteiligten verbessert. Man hat bei den Beratungen zum Gesetz die Empfeh- lungen und Erfahrungen der Praxis durch Auswertung ei- nes Erfahrungsberichts berücksichtigt. Qualitätsgesichtspunkte sind bei der Herstellung, dem Betreiben, der Anwendung und der Instandhaltung von Medizinprodukten außerordentlich wichtig. Meine Frak- tion begrüßt, die Intensität der Überwachung durch die Länder am Risikopotenzial des Medizinproduktes zu ori- entieren. Eine CE-Kennzeichnung kann eine Marktüber- wachung nicht überflüssig machen. Ein besonderes Anliegen ist für uns die Wiederaufbe- reitung von Medizinprodukten, insbesondere von Ein- malprodukten. Lassen Sie mich dies erläutern. Medizini- sche Instrumente werden immer ausgereifter. Früher bestanden diese Instrumente hauptsächlich aus Metall, Keramik und Glas. Diese ließen sich einfach sterilisieren. Heute hingegen werden bei der Herstellung von medizi- nischen Instrumenten in großer Zahl Kunststoffe einge- setzt. Das macht die Instrumente funktionaler und viel- seitig einsetzbar. Kunststoffe lassen sich aber schwerer sterilisieren. Problem ist in diesem Zusammenhang, dass diese Produkte bei der Herstellung oft vom Hersteller nicht für eine Aufbereitung oder Wiederverwertung aus- gelegt werden – warum auch immer. So werden bestimm- te Produkte als Einmalprodukte bezeichnet, obwohl eine Wiederaufbereitung nach heutigem Stand der Technik möglich ist. Moderne medizinische Instrumente sind oftmals teuer, so kosten einige über 1 000 DM. In der Anhörung wurde deutlich, dass aufgrund des erheblichen Kostendruckes in den Krankenhäusern kostenintensive Einmalprodukte, die zum Beispiel in der minimal invasiven Chirurgie ein- gesetzt werden, aufbereitet werden. In etlichen Kranken- häusern gibt es keine Voraussetzungen, mittels validierter Verfahren eine ordnungsgemäße Wiederaufbereitung nachzuweisen. Das kann die Sicherheit der Patienten ge- fährden. Die finanzielle Situation wird sich bei der Ein- führung der DRGS eher noch verschärfen. Experten ha- ben errechnet, dass bei der Wiederaufbereitung so genannter Hightech-Medizinprodukte bis zu einer Milli- arde DM an Einsparungen zu erbringen sei. Wir müssen also abwägen zwischen einem möglichst optimalen vor- beugenden Verbraucherschutz und den finanziellen Mög- lichkeiten der GKV. Ich halte den jetzt eingeschlagenen Weg, die Anforde- rungen an die Aufbereitung im Medizinproduktegesetz, in Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119454 (C) (D) (A) (B) der Medizinprodukte-Betreiberverordnung und in der neuen „Hygiene-Richtlinie“ des Robert-Koch-Institutes für geeignet, beiden Interessen gerecht zu werden. Aller- dings müssen die Vorschriften vor Ort strikt eingehalten und auch streng kontrolliert werden. Meiner Bitte an das Bundesministerium für Gesundheit, im Rahmen der Ge- sundheitsministerkonferenz dieses Thema anzusprechen, wurde von der Parlamentarischen Staatssekretärin ent- sprochen, wofür ich dankbar bin. Die Länder müssen durch angemessene Kontrollen und eine kontinuierliche Überwachung der Wiederaufbereitung von Medizinpro- dukten mittels produktspezifischer validierter Verfahren die Sicherheit der Patienten und Anwender gewährleisten. Das Gesetz regelt weiterhin die Werbung für Medizin- produkte. Bisher fehlte es an einer ausdrücklichen Rege- lung. In der Rechtsprechung gab es divergierende Ent- scheidungen. So haben die Gerichte für Medizinprodukte in bestimmten Fällen das Heilmittelwerbegesetz ange- wandt. Die Beseitigung bisher bestehender gesetzlicher Unsicherheiten wird von uns begrüßt. Es war dabei eine Abwägung zwischen dem Schutz des Verbrauchers und seinem Informationsrecht einerseits und den wirtschaftli- chen Interessen von Herstellern andererseits zu treffen. Medizinprodukte fallen jetzt grundsätzlich unter das Heilmittelwerbegesetz. Aber die strukturellen Unter- schiede von Medizinprodukten gegenüber Arzneimitteln wurden berücksichtigt. Arzneimittel können vielfach Wir- kungsweisen und Nebenwirkungen entfalten, die der Ver- braucher ohne weiteres nicht überblicken kann. Hier be- darf der Verbraucher eines stärkeren Schutzes als bei bestimmten Medizinprodukten. Beispielsweise bei Bril- len, Hörgeräten oder Blutzuckermessgeräten überwiegt das Informationsinteresse des Verbrauchers. So ist auch zukünftig eine Werbung für diese Medizinprodukte mög- lich. Dieses Gesetz ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Po- litik mit Gesetzen nur einen Rahmen für das Handeln der Beteiligten vorgeben sollte. Selbstregulierung, Selbstver- pflichtungen und Eigenverantwortung der Beteiligten sollte zunächst der Vorrang eingeräumt werden. Wirk- same flankierende Kontrollmechanismen sind unerläss- lich, wenn es um die Gesundheit der Patienten und An- wender geht. Aber folgender Grundsatz muss aus meiner Sicht beachtet werden: Kontrolle mit Augenmaß – ja, Überregulierungen und Bürokratie – nein. Vielleicht sollte Rot-Grün diese Methode der Deregu- lierung auch in anderen Bereichen der Gesundheitspolitik anwenden. Das wäre gegenüber der bisherigen chaoti- schen Regulierungswut im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung bestimmt für alle Beteiligten eine Erleichterung. Monika Knoche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir haben es ja bereits vernommen: Die Novelle des 2. MPG- Änderungsgesetzes ist in erster Linie ein Gesetz zur Ak- tualisierung, Vereinfachung bzw. zur Deregulierung und Anpassung einzelstaatlicher Gesetze, die die Mindest- standards, klinische Prüfung, Marktüberwachung, Inver- kehrbringen und Kennzeichnungen von Medizinproduk- ten regeln. Diese Maßnahmen werden von der Fachwelt und Industrie begrüßt. Dennoch ist das 2. MPG-Ände- rungsgesetz als mehr als nur eine rein technische Umset- zung zweier EU-Richtlinien in deutsches Recht zu verste- hen. Das Gesetz, über das wir heute abschließend reden, lässt eine Reihe von Auswirkungen und eine Fülle von Bezügen zu anderen gesetzlichen Regelungen erkennen. Denn das eigentliche Novum des Medizinproduktege- setzes „2. MPG-Änderungsgesetz“ besteht darin, dass zum einen In-Vitro-Diagnostika „IVD“, zum anderen De- rivate humanen Ursprungs, wie zum Beispiel Bestandteile aus menschlichem Blut, neu in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes aufgenommen werden. Das ist von größerer Bedeutung. Denn diese neue Res- source humanbiologischer Herkunft wird einem weiteren Zuwachs unterliegen. Gerade wegen der neuen Regelun- gen für IVD und Derivate menschlichen Ursprungs kann dieses Gesetz nur in Kenntnis und im Zusammenhang mit einer Reihe ebenfalls berührter gesetzlicher Regelungen betrachtet werden. Ich nenne hier nur ein paar Beispiele, damit wir diese Zusammenhänge nicht aus den Augen verlieren. Manches davon wird systemisch weiterzuentwickeln sein, respek- tive Gesetzesnovellen an anderer Stelle nach sich ziehen. Stichwort Probandenschutz. Da es an den forschenden Universitätskliniken gängige Praxis ist, den Patienten für die Bio- und Gentechnik Blut, Gewebe und Zellen, also genetisches Material, zu entneh- men, sind die Probleme des Probandenschutzes sowie der informierten Zustimmung von Spendern und Empfängern als Problemkreis berührt. Das Medizinproduktegesetz hat keine Antworten auf Fragen des informed consent, der nicht nur für Empfän- ger, sondern gerade auch für Spender gilt. Bekannte Fra- gen dabei sind: Wie wird im klinischen Alltag sicherge- stellt, dass der informed consent bzw. die Einwilligung der Spender zur Beforschung ihrer – die genetische Iden- tität – einschließenden Körpersubstanzen gewährleistet ist? Wissen die Patienten, zu welchem Forschungszwecke sie gegebenenfalls ihre Einwilligung an der Entnahme und wissenschaftlichen Verwendung ihrer Körpersub- stanzen gegeben haben? Was geschieht mit lagerungs- fähigen Gewebe- und Zeltspenden, die ja alle die geneti- schen „Fingerabdrücke“ ihrer Spender enthalten? Bei der Anhörung kamen diese Fragen zur Sprache. Wir haben uns darauf verständigt, dies alles weiter zu diskutieren und hier die Erarbeitungen der Enquete-Kom- mission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ zu be- achten. Denn allein den Ethikkommissionen der Kran- kenhäuser können diese Entscheidungen in Zukunft nicht mehr überlassen werden. Zu Fragen des Leistungskata- logs der gesetzlichen Krankenversicherung machten während der Anhörung Vertreter der Spitzenverbände der Krankenkassen darauf aufmerksam, dass es einiger Klar- stellungen bedarf, was die Versorgungsansprüche der Ver- sicherten und den medizintechnischen Fortschritt angeht. Denn auch hiervon handelt das Medizinproduktegesetz. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19455 (C) (D) (A) (B) Sie merken es schon, meine Herren und Damen, es geht hier um Ressourcenallokation in Zeiten anhaltenden fi- nanziellen Drucks auf die Kassen. Damit Allokationsentscheidungen nicht zu Vertei- lungsfragen werden – die, wie allgemein gesehen wird, ethische Fragen in der modernen Medizin sind – sollten wir im Arzneimittelgesetz, Heilmittelwerbegesetz, Trans- fusionsgesetz, Sozialgesetzbuch und gegebenenfalls in ei- nem Gentestgesetz das Weitere bearbeiten. Das MPG ist weitgehend eine technische Umsetzung. Es genoss bei der Anhörung überaus übereinstimmende Zustimmung. Was auf die gute Arbeit des BMG zurückzuführen ist. Detlef Parr (FDP): Auch wenn das Gesetz vornehm- lich die Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Recht vornimmt, gibt es einige interessante Aspekte, die mit dieser Novelle angegangen werden. Zu begrüßen ist, dass der Versuch unternommen wird, das Medizinpro- dukterecht praktikabler und handhabbarer zu gestalten. Überregulierungen werden abgeschafft. Stattdessen wird der Selbstverpflichtung der Betroffenen weitgehend Prio- rität eingeräumt. Viel ist im Vorfeld diskutiert worden über den Sicher- heitsplan, der den Rahmen für die Marktüberwachung vorgibt. Alle Beteiligten waren Sich dabei einig, dass die Marktüberwachung der Länder besser koordiniert werden muss und der Informationsaustausch besser funktionieren muss als in der Vergangenheit. Allerdings, auch das ist klar, kann es eine ständige Überprüfung bereits auf dem Markt befindlicher Medizinprodukte nicht geben. Das ist viel zu aufwendig und das macht auch keinen Sinn. Es wird vielmehr darauf ankommen, in der Praxis ein risiko- abgestuftes Verfahren zu entwickeln. Das Gefährdungs- potenzial eines Medizinproduktes sollte ausschlaggebend dafür sein, wie engmaschig das Überwachungssystem ist. Die Anforderungen sollten nach Gefahrenstufen gestaffelt werden. Intensive Diskussionen hat es um die Frage gegeben, inwieweit eine Wiederaufbereitung von Medizinproduk- ten möglich sein soll. Dabei haben insbesondere zwei Aspekte eine Rolle gespielt: An erster Stelle die Sicher- heit für die Patienten und an zweiter Stelle die Wirt- schaftlichkeit. Fest steht: Es muss sichergestellt sein, dass Patienten keinesfalls durch wiederaufbereitete Medizin- produkte zu Schaden kommen können. Nur dann, wenn Produkte ohne Risiken für die Patienten wieder aufberei- tet werden können, ist es möglich, das zuzulassen. Nur bei hohen Sicherheitsanforderungen sollte hierauf nicht verzichtet werden, wenn dadurch knappe Ressourcen geschont werden können. Aber diese Produkte müssen unbedingt die gleichen Anforderungen erfüllen wie neu- wertige. Kritisch sehe ich die Erweiterung des Prüfungsauftrags der Ethik-Kommissionen, die das Gesetz nun vorsieht. Bereits heute sind die Kommissionen überlastet. Die Mit- glieder müssen hauptsächlich Forscher sein. Im Neben- amt – wie es heute geschieht – sind die erweiterten Auf- gaben nur schwerlich zu erfüllen. Wenn wir eine durchgreifende Gesundheitsreform wollen, müssen wir auch das Heilmittelwerbegesetz auf den Prüfstand stellen. Überregulierungen finden sich auch hier. Die Werbung von Medizinprodukten soll jetzt den Regelungen dieses Gesetzes unterworfen werden. Zu den zukünftig verbotenen Werbemethoden soll auch die un- verlangte Abgabe von Proben zählen. Wir halten eine sol- che Restriktion für überflüssig. In der Anhörung wurde deutlich, dass das Gesetz im Hinblick auf Hinweise, die auf europäische Richtlinien und deren Anhänge gemacht werden, schwer lesbar ist. Die Umsetzung europäischen Rechts in nationales Recht gestaltet sich offenbar immer wieder schwierig. Wir werden die Entwicklung in den nächsten Monaten sehr intensiv beobachten, um zu sehen, ob sich die ge- troffenen Entscheidungen auch in der Praxis bewähren. Dr. Ruth Fuchs (PDS): Das Zweite Gesetz zur Ände- rung des Medizinproduktegesetzes setzt EU-Richtlinien über In-Vitro-Diagnostika sowie über Produkte, die sta- bile Derivate aus menschlichem Blut oder Blutplasma enthalten, in nationales Recht um. Zum anderen gibt es Antworten auf herangereifte Probleme, die sich in den letzten Jahren aus der Arbeit mit dem Medizinprodukte- gesetz ergeben haben. Dieser Rechtsbereich ist in der Bundesrepublik bekanntlich noch relativ neu. Es ist des- halb verständlich, dass jetzt die bisher gesammelten Er- fahrungen ihren Niederschlag in einer Gesetzesnovellie- rung finden. Das Gesetz schließt bestehende Lücken und hilft, die Sicherheit für Patienten und Anwender beim Umgang mit Medizinprodukten zu erhöhen. In diesem Zusammenhang finden wir es auch wichtig, dass die Aufgaben der zustän- digen Bundesoberbehörde bei der Erfassung und Bewer- tung von Vorkommnissen bei der Anwendung von Medi- zinprodukten genauer bestimmt werden. Ebenso zu begrüßen ist die Klarstellung, dass Werbung für Medizin- produkte grundsätzlich unter die Bestimmungen des Heil- mittelwerbegesetzes fallen soll. Das jetzt vorliegende Gesetz wird angesichts der dy- namischen wissenschaftlich-technischen Entwicklung wiederum nur für einen gewissen Zeitraum Bestand ha- ben können. Das sollte der Gesetzgeber schon jetzt im Blick behalten. Eine kontinuierliche Analyse der ein- tretenden Veränderungen – gegebenenfalls durch eine ständige Arbeitsgruppe des Bundesministeriums für Ge- sundheit – könnte dem Rechnung tragen. Schon jetzt scheinen sich einige Felder abzuzeichnen, die entspre- chend beobachtet werden sollten. Beispielsweise werden gemäß Art. 11 ergänzende Regelungen zu Kontrollunter- suchungen und Vergleichsmessungen in medizinischen Laboratorien in die Medizinproduktebetreiber-Verord- nung aufgenommen. Hier wäre in der Folgezeit darauf zu achten, ob künftig nicht vom Hersteller verlangt werden sollte, die Qualität von In-Vitro-Diagnostika auch durch Prüfung der Einsatzstoffe und durch Funktionsprüfungen unter Standardbedingungen zu sichern. Ähnliches gilt nach unserer Auffassung für die Anforderungen an die Tätigkeit der Medizinprodukteberater. Absehbar ist, dass Medizinprodukte hinsichtlich Sortiment, Qualität und Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119456 (C) (D) (A) (B) Einsatzhäufigkeit weiter an Bedeutung gewinnen. Die Frage einer Zertifizierung dieser Sachverständigen, die jetzt negativ entschieden wurde, sollte deshalb noch nicht ad acta gelegt werden. Schließlich geht es darum, die Be- ratung der Ärzte für den Umgang und bei der Anwendung von Medizinprodukten stets mit gesicherter Sachkunde und Eindeutigkeit zu gewährleisten. Dem vorliegenden Gesetz geben wir unsere Zustim- mung. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: a) der Unterrichtung: Tierschutzbericht 2001 der Bundesregierung b) des Antrags: Verbesserungen im Tierschutz national und europaweit vorantreiben (Tages- ordnungspunkt 16 a und b) Heino Wiese (Hannover) (SPD): Ich möchte mich zunächst bei Marianne Klappert bedanken; sie hat uns eine komplexe Darstellung der offenen Themen im Tier- schutzbereich präsentiert. Dass der Kollege Ronsöhr dem in vielen Punkten nicht beipflichtet, ist mir auch klar. Ich halte die Legehennenverordnung für ein wichtiges Signal an die Geflügelhalter. Ich glaube nicht, dass die Verordnung die optimale Schnittmenge zwischen Tier- schutz, Hygiene, ökologischen Rahmenbedingungen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten abbildet. Ich glaube, dass bei objektiver wissenschaftlicher Betrachtung andere und bessere Formen artgerechter Haltung gefunden wer- den können. Aber das ist jetzt nicht mehr die Frage. An der langjährigen Verweigerungshaltung der Eierproduzenten ist das gescheitert. Aber es gibt ja auch noch die Geflü- gelhaltung zu Mastzwecken und da rate ich den Geflügel- haltern, schnell zu eigenen konstruktiven Vorschlägen zu kommen. Wenn mir da jemand sagt: „Die Mastputen wer- den doch gar nicht in Käfigen gehalten“, so halte ich das für blanken Zynismus. Wenn sich die Puten aufgrund ih- rer überzüchteten großen Brüste nicht mehr bewegen kön- nen, braucht man ja auch keinen Käfig mehr. Die Öffent- lichkeit und die Medien sind hinreichend aufmerksam, dass ihnen diese Tierquälerei das Putenfleisch sehr schnell verleiden wird. Die Geflügelwirtschaft muss also schnellstens konstruktive Vorschläge machen. Sonst wer- den emotionale Reaktionen Platz greifen. Zu einer Position von Marianne Klappert habe ich eine etwas andere Auffassung. Vielleicht liegt das daran, dass mir das Fleisch von Weideochsen besonders gut schmeckt. Ich halte die Kastration bei männlichen Rin- dern für vertretbar, wenn dadurch die Haltung aus dunk- len engen Ställen auf die Weide verlagert wird. Natürlich sollte man die Kastration sachgerecht und hygienisch ein- wandfrei durchführen und nicht durch unerfahrene Aus- zubildende. Die Prämisse lautet, dem Tier möglichst keine Schmerzen zuzufügen. Ich bin aber der Meinung, dass man beim Tierschutz nicht eindimensional denken darf. Wenn Tiere durch vermeintlich artgerechte Haltung krank werden oder in Dauerstress geraten oder nur durch Medikamenteneinsatz lebensfähig sind, so ist das auch eine Form von Leiden, die dem Tier zugefügt werden. Halterinnen und Halter von Haustieren, die ihre kleinen Lieblinge buchstäblich zu Tode füttern oder streicheln, sind auch Tierquäler. Ein wesentlicher Grundsatz im Umgang mit Tieren sollte aber sein, dass es sich nicht um Sachen oder Pro- dukte handelt, sondern um Mitgeschöpfe. Wenn sich das alle Handelnden bewusst machen, dann haben wir eine Chance auf mehr Mitgefühl für die Tiere. Um diese Chance zu verbessern, lassen Sie uns einen erneuten Ver- such machen und den Tierschutz im Grundgesetz veran- kern. Die lieben Kolleginnen und Kollegen aus den Parteien, die das große C im Namen führen, sollten zeigen, dass für sie die christliche Nächstenliebe auch für die Mitge- schöpfe gilt. Alle anderen Parteien im Deutschen Bun- destag haben die Notwendigkeit der grundgesetzlichen Verankerung lange eingesehen. Zeigen Sie, dass auch Sie einsichtsfähig sind! Marianne Klappert (SPD): Tierschutzpolitik ist keine einfache Sache. Sie fand jahrelang eher unter Ausschluss einer größeren Öffentlichkeit statt oder ohne größeres öf- fentliches Interesse. Lediglich in Zeiten besonderer emo- tionaler „Anfälligkeit“, zum Beispiel Weihnachten oder Ostern, wurde den Missständen bei der Tierhaltung eine größere Beachtung geschenkt – in Form von aufrütteln- den, gelegentlich reißerischen, nicht immer seriösen Me- dienberichten. Leider verebbte die daraufhin einsetzende Empörungswelle recht schnell wieder, wenn das Thema aus den Medien verschwunden war. Das ist seit der BSE- und MKS-Krise anders gewor- den. Damit erhalten Tierschutzanforderungen nicht nur einen höheren Stellenwert und eine höhere Beachtung, es gibt auch – öffentlich unterstützt – eine größere, viel größere Chance, diese Anforderungen auch durchzuset- zen. Allerdings hält die Geschwindigkeit von Veränderun- gen in diesem Bereich nicht immer mit den Erfordernis- sen Schritt. Das hat vor allem damit zu tun, dass Tier- schutz schon lange keine nationale Angelegenheit mehr ist, sondern eine europäische, ja sogar weltweite. Und da- mit verlängern sich erfahrungsgemäß die Entscheidungs- prozesse. Darüber hinaus ist Tierschutzpolitik aber auch das Bohren von dicken Brettern. Nicht selten dauert es bis zu durchgreifenden Erfolgen in diesem Bereich Jahre, gar Jahrzehnte. Die Legehennenhaltungsverordnung ist ein Beispiel dafür, das Tierschutzgesetz ein anderes. Das muss zunächst einmal zur Kenntnis genommen werden. Dies hat viel mit politischer Vernachlässigung der The- matik zu tun. Mit dieser Nachrangigkeit hat die jetzige Bundesregie- rung aufgeräumt. Der Tierschutzbericht der Bundesregie- rung ist ein Beleg dafür. Aber nicht nur der Tierschutzbe- richt, über den die Bundesministerin schon ausführlich Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19457 (C) (D) (A) (B) informiert hat, belegt dies, viel mehr noch die heftig um- strittene, jetzt aber mit deutlicher Mehrheit durchgesetzte Legehennenhaltungsverordnung. Sie markiert nichts we- niger als einen Paradigmenwechsel in der Tierschutzpoli- tik. Zum ersten Mal werden nicht wirtschaftliche Interes- sen in den Vordergrund gestellt, zum ersten Mal gilt eine Verordnung in diesem Bereich nicht in erster Linie dem Produzentenschutz, sondern dem Tierschutz. Ich gebe zu: Ich habe eine Verordnung in dieser Form lange Zeit nicht für möglich gehalten. Umso erfreuter bin ich, dass sie in dieser Form durchgesetzt werden konnte. Und ich will dafür nicht nur der Ministerin danken, son- dern auch den Bundesländern, die im Bundesrat dieser Verordnung zugestimmt haben. Dabei waren auch Bun- desländer mit einer CDU- oder CSU-geführten Regie- rung. Und diese haben sich mit ihrer positiven Entschei- dung als deutlich innovativer und fortschrittlicher erwiesen, als die Unionsfraktion, die mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit von EU-weit gleichen Regelungen am liebsten den Status quo zementiert hätte. Bundesministe- rium und Bundesländer haben mit dieser Verordnung ei- nen Meilenstein für den Tierschutz gesetzt. Und damit ist eine alte Forderung der SPD-Bundestagsfraktion nun Wirklichkeit geworden. Das heißt nicht, dass wir uns nicht auch europaweit für eine Abschaffung der Käfighal- tung von Legehennen einsetzen müssen und werden. Aber einer muss den Anfang machen, wir haben ihn gemacht. Ich will aber nicht verhehlen, dass der Tierschutzbe- richt der Bundesregierung keine reine Erfolgsstory ist. Er kann es nicht sein. Zu komplex ist dieser Bereich, zu stark sind die Versäumnisse der Vergangenheit. Deshalb zielt unser Antrag darauf, diese Versäumnisse wenigstens teil- weise auszugleichen und auf dem eben begonnenen Weg zu tatsächlich nachhaltigen Verbesserungen beim Tier- schutz weitere Schritte voranzukommen. Und da ist und bleibt die zentrale Forderung, den Tierschutz nun endlich verfassungsrechtlich abzusichern. Darüber ist jetzt fast ein Jahrzehnt intensiv beraten und sehr kontrovers diskutiert worden und manchmal hatte es den Anschein, als stünde bei dieser Frage der Fortbestand des christlichen Abendlandes auf dem Spiel. Dabei wol- len wir Befürworter eigentlich nichts mehr, als dem Tier- schutz auch im Rechtssystem dieser Republik den Rang einzuräumen, den er braucht, um sich gegen andere Rechte behaupten zu können. Für dieses beklagenswerte Defizit ist allerdings nicht die Regierung verantwortlich zu machen, auch nicht die Regierungsfraktionen, sondern ganz allein die Fraktion von CDU und CSU. Ich weiß, dass die CDU/CSU-Fraktion, hier immer ihr Dauerargument anführt, dass sie dem praktischen Tier- schutz den Vorzug gibt vor dem eher symbolischen, wie sie es nennt. Das würde ich ja gerne glauben, wenn dem ihre Taten entsprechen würden. Sie will den symbolischen Tierschutz in Form eines Staatszieles nicht, obwohl es in der Partei da – Gott sei Dank – durchaus andere Ansich- ten gibt. Aber sie will auch wirkliche Verbesserungen im praktischen Tierschutz nicht, sonst wäre sie nicht Sturm gelaufen gegen die Legehennenhaltungsverordnung. Ihre Tierschutzpolitik – wenn man sie überhaupt so nennen kann – bewegt sich im Ungefähren und für die Tiernutzer damit im Ungefährlichen. Aber wir werden sie im einen wie im anderen Fall nicht aus der Verantwortung ent- lassen. Im einen Fall: Auch wenn die Abstimmung über ein Staatsziel Tierschutz vor eineinhalb Jahren nicht erfolg- reich verlaufen ist, weil die CDU/CSU dagegen gestimmt hat, so bleibt dieses Thema doch auf der Tagesordnung des Bundestages. Wir werden dieses Thema in den nächs- ten Monaten noch einmal in den Ausschüssen beraten und im Plenum darüber abstimmen. Dann wird sich zeigen, ob sie sich weiterhin so verbohrt verhält wie bisher. Wer sich vor dem Staatsziel Tierschutz fürchtet, hat große Angst vor einem maßvollen Tierschutz. Ich bleibe dabei, dass Tierschutz ein Maßstab für den moralischen Standard einer Gesellschaft ist. Der Schutz leidensfähiger Tiere ist für den Menschen auch dann eine Verpflichtung, wenn man selbst von ihnen nichts zurück bekommt. Und weil ich diese Verpflichtung uneinge- schränkt bejahe, plädiere ich auch heute wiederum nachdrücklich dafür, den Tierschutz auch verfassungs- rechtlich abzusichern. Im anderen Fall: Unser Antrag zählt eine Reihe von Maßnahmen auf, die dem praktischen Tierschutz voran- helfen werden. Ich lade alle ein, diese Maßnahmen mit uns in den Ausschussberatungen und hier im Plenum auf den Weg zu bringen. Dann wird sich zeigen, ob sich die Tierschutzpolitik der CDU/CSU in Lippenbekenntnissen erschöpft – die kosten zwar nichts, helfen aber auch nicht weiter –, oder ob sie mit uns den Tierschutz in Deutsch- land und in Europa voranbringen will. Die Legehennenhaltungsverordnung mit ihrer zu- kunftsweisenden Tierschutzpolitik kann nur der Anfang sein. Es gibt natürlich auch andere Tierhaltungen, die dringend tierschutzgerechter gestaltet werden müssen. Ich nenne hier den großen Bereich der Masttierhaltung. Was sich da vielfach abspielt, spottet oft jeder Beschrei- bung. Da werden Hochleistungsrassen einseitig auf Schnellwüchsigkeit und Muskulatur gezüchtet, in der Pu- tenmast zum Beispiel. In 21 Wochen erreichen Puten ihr Schlachtgewicht von 20 Kilogramm. Dass sie dann viel- fach nicht mehr stehen oder laufen können, weil der Brustmuskel zu schwer geworden ist, wird nur gelegent- lich öffentlich. Immer noch werden – zur Anpassung an Haltungssysteme – Amputationen von Körperteilen vor- genommen. Das ist an sich ein perverser Vorgang: Anstatt die Haltungsbedingungen den Tieren anzupassen, wie es nicht nur der Tierschutz fordert, sondern auch der gesunde Menschenverstand, werden die Tiere den Haltungssyste- men angepasst. Das ist ohne Zweifel billiger. Aber es ist und bleibt ein Tierschutzskandal. Oder – um ein anderes Beispiel anzuführen –: die Schweinehaltung. Deutschlands beliebtester Fleischlie- ferant ist buchstäblich eine arme Sau. Da werden männ- liche Schweine kastriert, um den penetranten Ebergeruch zu verhindern. Diese Kastration geschieht in den ersten Lebenswochen ohne Betäubung. Anschließend stehen die Tiere vielfach in dunklen Boxen, auf Spaltenböden aus Beton. Jedes Beschäftigungsmaterial fehlt. Diese Ein- tönigkeit führt zu Verhaltensstörungen, zum Beispiel Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119458 (C) (D) (A) (B) zu Kannibalismus. Das heißt: Die Tiere beißen sich ge- genseitig die Schwänze ab. Damit das nicht geschieht, werden die Schwänze schon vorher abgekniffen und die Eckzähne von Schweinen abgeschliffen. Sieht so ein ver- antwortungsbewusster Umgang mit dem Mitgeschöpf Tier aus? Man könnte diese Liste beliebig verlängern. Aber zur Beschreibung der Probleme und der politischen Aufga- benstellung reicht das wohl. Wenn hier nicht auf tierschutzverantwortliches Handeln der Halter gesetzt werden kann – und so sieht es vielfach wohl aus – , dann bleiben nur gesetzliche Regelungen. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, die relevanten Haltungsverord- nungen zu überprüfen und sie strikt an einer artgerechten Tierhaltung auszurichten. Ich bin fest davon überzeugt, dass es uns gelingen wird, auch in diesen Bereichen zukünftig mehr Tierschutz durchzusetzen. Ein Dauergegenstand der Tierschutzdiskussionen sind die Schlachttiertransporte. Hier ist – auch dank der Bun- desregierung – auf EU-Ebene manches erreicht worden. Aber die Defizite sind unübersehbar. Das fängt bei der im- mer noch zu langen Transportzeit an und endet bei den häufig unzureichenden Kontrollen. Und es ist nach wie vor nicht einzusehen, warum für solche Transporte immer noch Exporterstattungen gezahlt werden. Die SPD-Fraktion unterstützt die Bundesregierung nachdrücklich in ihrem Bemühen, diese Erstattungen radi- kal zu kürzen bzw. abzuschaffen. Aber das allein wird die Langzeittransporte nicht verhindern und die sich damit er- gebenden Probleme nicht beseitigen. Deshalb ist es drin- gend geboten, absolute Transportzeitbegrenzungen vor- zuschreiben. Ich habe mit großem Interesse gelesen, dass meine Kollegen und Kolleginnen von der Union in einem Antrag europaweit eine Beschränkung der Transportzeit auf sechs Stunden fordern; das lese ich gern. Ich glaube, dass wir hier eine Doppelstrategie fahren müssen, um zum Erfolg zu kommen: eine europaweit für alle verbindliche Transportzeitbegrenzung unterhalb des gegenwärtigen Niveaus von acht Stunden und national eine noch darüber hinaus gehende Verringerung der Transportzeit. Selbst der Deutsche Bauernverband hält national eine Begrenzung der Transporte auf vier Stunden für machbar. Aber viel- leicht müssen wir ja gar nicht den Weg einer gesetzlichen Begrenzung beschreiten. Vielleicht genügt es ja, diese Transportzeitverringerung auf vier Stunden zu einem Kri- terium des konventionellen Siegels zu machen. Dass die Kontrollen verbessert werden müssen – der Bericht der EU-Kommission listet in diesem Bereich eine ganze Reihe, von Defiziten auf –, dass vor allem auch in Dritt- staaten die Verladung von Schlachttieren nach denselben Anforderungen durchzuführen ist wie innerhalb der EU, das sind außerordentlich wichtige tierschutzpolitische Forderungen, bei der die Bundesregierung auf die nach- drückliche Unterstützung hoffentlich des ganzen Parla- ments rechnen kann. Aber die Tiertransportprobleme dür- fen natürlich nicht nur auf die Transportzeitdauer verengt werden. Mindestens genauso wichtig ist das Wie des Transports, die Transportdurchführung. Wenn die Bedürf- nisse der Tiere, zum Beispiel nach Wasser und Futter tat- sächlich erfüllt werden und nicht nur auf dem geduldigen Papier des Transportplans, dann wird ein großer Teil der gravierenden Missstände abgestellt sein. Und darum müs- sen wir kämpfen. Abschließend noch ein Wort zur Tierversuchsproble- matik: Ich habe an dieser Stelle für meine Fraktion schon häufiger darauf hingewiesen, dass es nicht um ein Verbot von Tierversuchen geht. Ein solches Verbot wäre unrealis- tisch und unethisch. Aber ich bin sehr dafür, dass die Zahl der Tierversuche und die Zahl der Versuchstiere zurück- geführt wird. Auch diese Forderung bleibt Dauerthema in der Tierschutzpolitik. Eine solche Formulierung, wie sie die Union in einem Antrag benutzt hat, die Zahl der Tier- versuche auf das unbedingt notwendige Maß zu reduzie- ren und dazu die Entwicklung von Ersatz- und Ergän- zungsmethoden zum Tierversuch weiter voranzutreiben, klingt zwar gut, ist aber an sich eine bare Selbst- verständlichkeit. Ein bisschen konkreter wäre schon schön. Und weil es eine bare Selbstverständlichkeit ist, wollen wir das natürlich auch. Doch erscheint es uns sinn- voller, zunächst von der Bundesregierung einen geson- derten Bericht zu erbitten über die aktuellen Tierver- suchszahlen, – die sich gegenüber früher ja auch aufgrund anderer statistischer Erhebungen verändern werden. Erst danach wird man Handlungsstrategien entwickeln kön- nen, wie Tierversuche und Tierversuchszahlen verringert werden können. Der Tierschutz hat in der Bundesregierung und in den sie tragenden Fraktionen einen hohen Stellenwert, einen ungleich höheren, als er ihn zu Zeiten der konservativ ge- führten Regierung hatte. Wir erschöpfen uns nicht in Lip- penbekenntnissen, sondern treiben den Tierschutz kon- kret voran. Aber wir vergessen auch nicht, dass eine Bewusstseinsänderung in der Bevölkerung hin zu mehr Tierschutz auch von dem Stellenwert abhängt, den das Parlament dem Tierschutz zuschreibt. Deshalb müssen wir das eine tun – nämlich den Tierschutz konkret ver- bessern, und das andere nicht lassen, nämlich die funda- mentale Rechtsverbesserung durch Aufnahme des Tier- schutzes in das Grundgesetz leisten. Zu beidem werden wir noch in dieser Legislaturperiode Gelegenheit haben, nicht zuletzt bei der Beratung unseres Antrags in den Aus- schüssen. Helmut Lamp (CDU/CSU): Ich möchte meine Aus- führungen mit einem sehr bemerkenswerten Zitat der Tierschutzbeauftragten der SPD-Fraktion, unserer Kolle- gin Marianne Klappert, beginnen: „Die rot-grüne Regie- rung hat in ihrer kurzen Amtszeit schon mehr für den Tier- schutz getan, als die vorherige Bundesregierung in 16 Jahren.“ – Ich staune über so viel Sarkasmus gegen- über der eigenen Regierung. Das hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut, liebe Kollegin. Denn wir wissen doch alle, wie erschreckend traurig der „Tierschutz“ dieser Regierung in der Praxis wirklich aussieht. Hier einige wenige Beispiele: Im Zusammenhang mit der BSE-Krise hat diese Regie- rung bisher über 70 000 nachweislich gesunde Rinder ins Feuer geschickt – ohne mögliche Alternativen zu suchen oder von sich aus ernsthaft zu prüfen. Ich habe selbst erfah- ren müssen, dass es dem Landwirtschaftsministerium eher lästig war, wenn eventuelle Verwertungsmöglichkeiten für Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19459 (C) (D) (A) (B) das zur Verbrennung bestimmte Fleisch aufgezeigt wurden. Von einem vernünftigen Grund für das Töten der Rinder, wie ihn das Tierschutzgesetz fordert, kann keine Rede sein. In Frankreich werden etwa 20 000 ausgewachsene Bul- len kastriert – mit ausdrücklicher Zustimmung der deut- schen Verbraucherministerin. Alleiniger Grund: Siche- rung von Prämien für die französische Landwirtschaft. Ich wundere mich über die relative Gleichgültigkeit der Medien gegenüber der Tatsache, dass unter dieser Re- gierung die Tierversuche von 1996 zu 1999 um knapp 4 Prozent zugenommen haben. Was bedeuten diese 4 Pro- zent mehr Tierversuche in der Realität? Das bedeutet un- ter anderem, dass 425 Hunde, 516 Schweine, 656 Rinder, 17 866 Mäuse und Ratten, 17 329 Vögel, 39 703 Fische mehr als im letzten Jahr der Kohl-Regierung für Ver- suchszwecke ihr Leben lassen mussten. Die Bundesregierung will offensichtlich nicht zur Kenntnis nehmen, dass auch die Haltungsformen der Bio- landwirtschaft dringend einer kritischen Prüfung unterzo- gen werden müssen – gerade auch aus Sicht des Tier- schutzes. Die „Frankfurter Rundschau“ hat ja Recht wenn sie schreibt: „Nicht jedes Schnitzel aus ökologischer Tier- zucht stammt von glücklichen Tieren!“ Sehr viele der Bioschweine sind die reinsten Wurmbiotope und werden oft nicht bedarfsgerecht gefüttert. Dementsprechend mi- serabel sind die täglichen Gewichtszunahmen der Schweine in den Ökoställen. Auch muss es doch nach- denklich stimmen, dass aus jedem vierten Öko-Ferkel kein Öko-Schwein wird, weil es das Ökoleben nicht aus- hält und krepiert! Und nun noch die neue „Hennenhaltungsverordnung“ – ein Akt der Selbstbefriedigung unserer Regierung ohne Nutzen für das Federvieh. Die Fraktionen der SPD und der Grünen müssten eigentlich vehemente Gegner dieser Verordnung sein, verurteilen sie doch mit ihrem Antrag vom 17. Oktober 2001 Tierhaltungsformen, die mit ho- hem Medikamenteneinsatz und Verstümmelung der Tiere verbunden sind. Und genau das wird nun durch die neue Verordnung erheblich gefördert. Die Form der Hühner- haltung, die die Regierung anstrebt – Freilandhaltung in großen Herden – ist nicht wirklich tiergerecht. Eier, die überdurchschnittlich teuer sind, die überdurchschnittlich viele Krankheitskeime oder Medikamentenrückstände aufweisen, stammen in aller Regel aus solchen und ähnli- chen Haltungsformen. Die Mortalitätsrate dieser Hal- tungsform liegt nicht selten über 20 Prozent. Ständige Neuinfizierung mit Krankheiten und ausgeprägter Kanni- balismus schaffen Platz in den großen Hühnerställen mit Auslauf. Kannibalismusopfer müssen stundenlange, schreckliche Todesqualen aushalten, bevor der Tod sie er- löst. Sie werden Stück für Stück von ihren Artgenossen bei lebendigem Leib zerrissen. Diese Qualen der Frei- landhühner lassen sich allein durch Stutzen der Schnäbel mindern. Für viele Hühner ist es ein relatives Glück, dass die Hühnerhalter ihre Produktion ins nahe Ausland – nach Belgien, Holland, Tschechien – verlegen werden, in Län- der, die gar nicht daran denken, die Käfighaltung aufzu- geben. Natürlich ist auch die Käfighaltung keine befriedi- gende Form der Hühnerhaltung, doch Kirchturmpolitik entpuppt sich gerade im Tierschutz immer wieder als reine Augenwischerei. Besonders bedauerlich ist, dass erste hoffnungsvolle Ansätze zu wirklich tiergerechten Haltungsformen von Ministerin Künast mit dem Wort „Käfig ist Käfig“ er- schlagen werden. Die Ministerin verhindert damit die weitere Entwicklung von Volieren für Kleingruppenhal- tung mit Sitzstangen, Schar- und Ruheräumen. Abschließend möchte ich einige Problembereiche des Tierschutzes ansprechen, die wir schon bald in den zu- ständigen parlamentarischen Gremien behandeln sollten: Wir müssen uns um die Haltung von Heimtieren küm- mern. Es gibt viermal mehr Hunde und Katzen als Schafe in Deutschland. Bis auf eine Minderheit sind die Schaf- halter in der Tierhaltung ausgebildete Fachkräfte, die al- lermeisten Hunde- und Katzenhalter sind dies jedoch nicht. Wir sollten neben Tierexporten ebenso Tierimporte und Transittransporte kritisch beleuchten. Nicht nur der Transportdauer, sondern eher noch den Transportbedin- gungen und der Qualifikation des Begleitpersonals sollte unser besonderes Interesse gelten. Es kann zum Beispiel nicht länger geduldet werden, dass polnische Pferde auf dem Transport nach Frankreich quer zur Fahrtrichtung in den Waggons aufgestellt werden. Jedes Abbremsen oder Anfahren des Zuges führt so zwangsläufig zum gegensei- tigen Treten der Tiere. Das betäubungslose Schlachten von Tieren aus religiö- sen Gründen, das so genannte Schächten, ist rechtlich nach wie vor umstritten. Hier muss schnell Klarheit ge- schafft werden. Darüber hinaus ist zu überlegen, wie die wahrscheinlich hohe Dunkelziffer in diesem Bereich ein- gegrenzt werden kann. Nicht nur Qualzüchtungen sind zu verbieten, sondern umgehend sollten wir auch die Haltung von qualgezüch- teten Tieren verbieten, solange Importe nicht unterbunden werden können. Es gibt also noch erhebliche Problemfelder im Bereich des Tierschutzes, die einer Lösung harren. Hierzu hat uns die frühere Regierung mit einer Steilvorlage bedacht. Ich zitiere den Tierschutzbericht 2001 der jetzigen Bundesre- gierung: „Das Tierschutzgesetz, das zuletzt im Jahr 1998 umfassend novelliert worden war, hat sich grundsätzlich bewährt. Der Tierschutz in Deutschland wurde maßgeb- lich verbessert.“ Hier werden die Verdienste der ehemali- gen Kohl-Regierung um den Tierschutz ausdrücklich an- erkannt! Also, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koali- tion, weg mit den Nebelkerzen und hin zum wirklichen, praxisgerechten Tierschutz der Vorgängerregierung! Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit der Neuorientierung in der Landwirtschaft haben wir auch für den Tierschutz die Weichen neu gestellt. Er ist wichti- ger Bestandteil unserer neuen Agrarpolitik – denn eine ökonomisch erfolgreiche und nachhaltige Landwirtschaft ist nur mit gesunden Tieren in artgerechter Haltung mög- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119460 (C) (D) (A) (B) lich. Dies haben die Erfahrungen mit BSE nur allzu deut- lich gezeigt. Wir lösen unser Versprechen ein, die Haltungsbedin- gungen für Tiere konsequent zu verbessern. Den wohl sichtbarsten Erfolg in Richtung artgerechte Tierhaltung haben wir vor kurzem erreicht. Mit der Verabschiedung der neuen Legehennenverordnung wird es in Deutschland zukünftig keine Legebatterien mehr geben, sondern nur noch Hühner in Boden-, Volieren- oder Freilandhaltung. Bereits ab In-Kraft-Treten der Verordnung, also ab An- fang nächsten Jahres, ist der Bau von neuen Legebatterien verboten. Die bereits existierenden Käfigbatterieanlagen erhalten eine fünfjährige Übergangsfrist: Sie dürfen nur noch bis Ende 2006 betrieben werden und müssen bereits ab 2003 circa 20 Prozent mehr Platz für die Hühner zur Verfügung stellen. Mit der vollständigen Abschaffung der Käfighaltung – auch der in der EU weiterhin zugelassenen so genann- ten ausgestalteten Käfige mit Sitzstangen und Nest – sind wir Vorreiter in Europa in Sachen Tierschutz. Gleichzei- tig schaffen wir Bedingungen, die die Umstellung auf art- gerechte Tierhaltung erleichtern und die Wettbewerbs- position dieser Betriebe unterstützen: Landwirte werden durch Investitionsförderungen bei der Umstellung auf die artgerechte Boden- und Freilandhaltung unterstützt, eine verstärkte Forschung soll die Entwicklung von entspre- chenden Haltungsformen optimieren. Die Kennzeich- nung von Eiern sowie eine Informationskampagne für den Verbraucher sollen den Absatz von artgerecht erzeugten Eiern steigern und sichern. Damit haben bäuerliche und mittelständische Betriebe in der Eierproduktion und Ge- flügelhaltung wieder eine Chance. Billigeier aus nicht tiergerechter Produktion sollen keine ungerechtfertigten Vorteile gegenüber artgerecht erzeugten Eiern haben. Auch für andere Tiere wird die rot-grüne-Bundesregie- rung entsprechende Haltungsverordnungen vorlegen. Dringend erforderlich sind Verbesserungen für die ca. 25 Millionen Schweine in Deutschland sowie für Mastge- flügel und Puten. Aber auch die Haltung von Tieren außer- halb der Landwirtschaft kann und muss durch Haltungs- verordnungen verbessert werden. So haben wir durch die neue Tierschutz-Hundeverordnung Anforderungen an die Haltung von Hunden festgelegt, wie beispielsweise An- forderungen an Auslauf und genügend Betreuung. Drin- gend erforderlich sind auch Verbesserungen in der Pelz- tierhaltung, wie sie von uns schon lange eingefordert werden. Ab 2003 werden veränderte Förderrichtlinien in der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserungen der Agrarstruk- tur und des Küstenschutzes“ (GAK) und das Bundespro- gramm „Tiergerechte Haltungsverfahren“ die artgerechte Tierhaltung in der Landwirtschaft unterstützen. Gleich- zeitig fordern wir die Streichung von Privilegien für ge- werblich-industrielle Massentierhaltung, beispielsweise im Baurecht. Zur artgerechten Tierhaltung gehören neben den Hal- tungsbedingungen auch eine artgerechte Tierernährung: Das bedeutet einerseits eine klare Kennzeichnung von Futtermitteln hinsichtlich ihrer Inhaltstoffe, andererseits aber auch die Minimierung des Arzneimitteleinsatzes in der Tierhaltung. Zur Vermeidung von durch Massentier- haltung begünstigten Krankheiten und zur Förderung ei- nes schnellen Wachstums werden Nutztieren eine Viel- zahl von Medikamenten, unter anderem Antibiotika, verabreicht. Die Folgen sind Resistenzen bei den Tieren und ernsthafte Gefahren für die menschliche Gesundheit. Der Einsatz von antibiotischen Leistungsförderern muss jetzt beendet werden. Wir wollen den Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung minimieren und eine bessere Kontrolle der Medikamentenabgabe in der Tierhaltung sicherstel- len. Deswegen unterstützen wir Verbraucherministerin Renate Künast darin, mithilfe einer verbindlichen Selbst- verpflichtung der Futtermittelindustrie Antibiotika als Leistungsförderer aus dem Futter zu verbannen. Zur ver- besserten Kontrolle der Medikamentenvergabe ergreifen wir mit Nordrhein-Westfalen die Initiative zur Novellie- rung des Arzneimittelgesetzes und des tierärztlichen Dis- pensierrechts. Nicht akzeptabel ist die Lange Liste der Verstöße ge- gen den Tierschutz bei Tiertransporten. Wir fordern daher international bessere Standards, eine Verkürzung der zulässigen Höchstdauer von Schlachttiertransporten von acht auf vier Stunden und die Streichung der EU-Export- erstattung für lebendes Schlachtvieh. Das geplante Qua- litätssiegel für konventionell erzeugte Lebensmittel bietet eine gute Chance, schnell eine Begrenzung der Trans- portzeiten für einen großen Anteil der Fleischproduktion zu erreichen. Daher setzen wir uns dafür ein, dass die Be- grenzung der Tiertransportzeit als Kriterium für das Qua- litätssiegel aufgenommen wird. Schon aus Vorsorgegründen angesichts der Maul-und-Klauenseuche oder Schweinepest muss vermieden werden, dass die meisten Schweine in Deutschland vier- bis fünfmal transportiert werden und so einen erheblichen Teil ihres kurzen Lebens auf der Auto- bahn verbringen. Daher ist es notwendig, geschlossene Pro- duktionssysteme und regionale Strukturen bei Schlacht- höfen und Metzgereien stärker zu fördern. Ebenso bedauerlich ist die – wenn auch geringfügige – Zunahme der Tierversuche, insbesondere weil sie sich aus der Zunahme an gentechnischen Versuchen begründet. Hier ist es vorrangig, die internationale Anerkennung von Alternativmethoden voranzutreiben, um Tierversuche im großen Stil zu verringern. Zur besseren rechtlichen Absicherung des Tierschutzes werden wir noch in dieser Legislaturperiode einen erneu- ten Antrag auf Aufnahme des Tierschutzes ins Grundge- setz stellen. Die Verankerung des Tierschutzes im Grund- gesetz ist überfällig, da das Tierschutzgesetz alleine nicht den beabsichtigten Schutz für die Tiere bietet. Entschei- dungen aus der Justiz haben immer wieder gezeigt, dass der Tierschutz gegenüber grundgesetzlich garantierten Rechten wie der Berufsfreiheit den Kürzeren zieht. Durch eine Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz soll eine faire Abwägung der Rechtsgüter sichergestellt werden. Marita Sehn (FDP): „Das deutsche Tierschutzgesetz hat nach seiner Novellierung eine weitere spürbare Ver- besserung des Tierschutzes gebracht“, so steht es in dem Entschließungsantrag von Rot-Grün. Trotzdem waren vor fünf Jahren weder SPD noch Grüne, geschweige denn die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19461 (C) (D) (A) (B) PDS, bereit, der Novelle der christlich-liberalen Koalition zuzustimmen. Auch wenn Grün-Rot immer so tut, als hätten sie den Tierschutz erfunden – vielleicht darf ich Sie daran erin- nern: Es war die FDP, die bereits 1992 die Verankerung des Tierschutzes als Staatsziel in das Grundgesetz gefor- dert hat. Auch zu Beginn dieser Legislaturperiode haben wir erneut die Initiative ergriffen. Natürlich hat die FDP eine andere Vorstellung vom Tierschutz als die Bundesregierung. Tierschutz muss im- mer im Zusammenhang mit Ökologie, mit Ökonomie und den sozialen Aspekten gesehen werden. Wer dies ver- nachlässigt, der handelt kurzsichtig und richtet mehr Schaden an, als er Gutes tut. Lassen Sie es mich so zu- sammenfassen: Wir wollen einen ethischen, wissen- schaftlich begründeten Tierschutz und keinen ideologi- schen. Die FDP wird sich nicht an dem Kampf um die Lufthoheit über den Ökostammtischen beteiligen. Nicht umsonst hat die SPD bei der Debatte um die No- velle des Tierschutzgesetzes die „sachliche und rationale Argumentation und Diskussion“ unter der alten Bundes- regierung so gelobt. Davon kann heute keine Rede mehr sein. Die Legehennenverordnung ist ein gutes Beispiel dafür. Die Geflügelhaltung einfach ins Ausland zu verla- gern, damit ist dem Tierschutz nicht gedient, der Wirt- schaft aber geschadet. Ist der Schutz der Hühner im Aus- land denn weniger wichtig als der in Deutschland gehaltenen? Die Bundesregierung betriebt eine Pharisäerpolitik: Wasser predigen, Wein trinken – das ist das Motto von Grün-Rot. In Deutschland die Käfighaltung verbieten und dann die Billigeier aus dem Ausland importieren. In Deutschland den Atomausstieg proklamieren und billigen Atomstrom importieren – das ist die Moral der Bundesre- gierung. Tierschutz kann sich nicht auf den Export von Tier- schutzproblemen ins Ausland beschränken. Manchmal ist es sinnvoller, weniger für viele Tiere zu erreichen als al- les für keine. Aber genau das macht die Legehennenver- ordnung. Sie vertreibt die Geflügelhaltung aus Deutsch- land und ignoriert die Haltungsbedingungen im Ausland. Mit den ausgestalteten Käfigen haben die Geflügelhal- ter eine interessante Alternative zu der bisherigen Käfig- haltung vorgestellt. Ein hohes Maß an Umwelt- und Tier- schutz bei einer sehr guten Hygiene und einer Wirtschaftlichkeit, welche die gesicherte Existenz der Be- triebe ermöglicht. So könnte für die FDP eine zukunfts- orientiertes Haltungssystem aussehen. Aber Sachargumente haben in der gesamten Diskus- sion keine Rolle gespielt. Mit dem Argument: „Ich will keine ausgestalteten Käfige, ich will überhaupt keine Kä- fige“ hat Frau Künast jede fachliche Auseinandersetzung im Keim erstickt. Das ist Politik nach dem Trotzköpfchen- Prinzip. Die Regierung setzt anstatt auf Information und den mündigen Bürger auf Restriktion und den bevormundeten Bürger. Anstatt in eine Aufklärung der Bürger zu inves- tieren, um eine Veränderung des Einkaufverhaltens zu er- reichen, setzt die Bundesregierung lieber auf Verbote. Aber die Regierung hat ein Problem mit ihrer Politik des Ladentheke, wenn die Verbraucher an der Ladenkasse nicht mitmachen. Dann gibt es genau das, was Frau Künast angeblich nicht will: Es gibt die grüne Zwangsbe- glückung. Die Grünen, die Partei der Basisdemokratie, wollen nicht den mündigen Bürger, sie wollen den bevor- mundeten. Die FDP will den Tierschutz als Staatsziel in der Ver- fassung verankert sehen. Gerade Tierschutz ist ein Anlie- gen, das alle Bürgerinnen und Bürger bewegt. Gerade Tierschutz ist ein Bereich, in dem sich mit Information oftmals mehr ausrichten lässt als mit Restriktion. Gerade Tierschutz, die Achtung und der Respekt vor den Mitge- schöpfen, lässt sich nicht verordnen. Der Tierschutz, als Staatsziel im Grundgesetz fixiert, zeigt die Vision – und das, ohne gleich auf Restriktion zu setzen. Eva Bulling-Schröter (PDS): Schmerzen sind Schmerzen, ob bei einem Tier oder beim Menschen. Tiere können sich vielleicht nicht ganz so deutlich artikulieren; aber sie leiden genauso, oft versteckt oder auch stumm. Wir Menschen haben es in der Hand, das Leid der Tiere, welches ihnen nach wie vor auch hier in Deutschland zu- gefügt wird, endlich zu beenden. In Tierschutzbericht 2001 werden wieder deutlich stei- gende Zahlen bei Versuchstieren registriert. Ich zitiere: Die Zahl der verwendeten Affen und Halbaffen ist im Vergleich zum Vorjahr um 21,8 Prozent gestiegen. Auch die Zahl der verwendeten Hunde und Katzen ist im Berichtszeitraum angestiegen. Voraussichtlich, so der Bericht weiter, ist für das Jahr 2000 ein deutlicher Anstieg der erfassten Tiere zu erwar- ten, weil die neue Versuchstiermeldeverordnung wesent- lich mehr Tiere erfasst. – Warum sich dann die Diskussion über die Versuchstierzahlen nicht mehr auf die Gesamt- zahl, sondern auf die einzelnen Teilbereiche konzentrie- ren wird, wie der Bericht meint, ist mir schleierhaft. Sind denn Tiere, die aus wissenschaftlichen Zwecken oder zur Transplantation getötet werden, keine Versuchstiere? „Die Ursache für die Steigerung der Versuchstierzah- len geht auf die gewachsene Bedeutung der Grundlagen- forschung zurück“, so der Bericht. Wenn in Gesprächen mit Wissenschaftlern dann festgestellt wird, dass bei- spielsweise nur jedes zehnte genmanipulierte Tier über- haupt verwertbar ist, muss sich die Bundesregierung fra- gen lassen, was sie denn tut, um Alternativmethoden endlich zum Durchbruch zu verhelfen. Nach wie vor gilt, dass die Ergebnisse vieler Tierver- suche nicht auf den Menschen übertragbar sind. Ein Me- diziner wird dadurch nicht schlechter ausgebildet, wenn er nicht am lebenden Tier übt bzw. bestimmte Operatio- nen per Computeranimation ausführt. Dafür gibt es in- zwischen genügend Beispiele. Ich fordere Frau Ministe- rin Künast auf, sich hier endlich mit der Pharmalobby anzulegen und Alternativmethoden auf die Tagesordnung zu setzen. Das Ganze muss natürlich, sofern es öffentliche Forschungseinrichtungen oder Ämter betrifft, mit einer vernünftigen finanziellen und personellen Ausstattung Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119462 (C) (D) (A) (B) verbunden werden, unter anderen auch bei der ZEBET, der Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Er- satz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch. Jetzt zu etwas Positiverem: Das Engagement von Frau Ministerin Künast hat in der Hennenhaltung etwas be- wegt. Mit dem Beschluss des Bundesrates über ein Verbot der Käfighaltung von Legehennen bis 2006 ist ein erster Meilenstein erreicht. Viele Tierschutzverbände hätten sich noch kürzere Fristen gewünscht; leider war das nicht durchsetzbar. Machen wir uns deutlich, worüber wir spre- chen: 42 Millionen Legehennen vegetieren jährlich in Drahtgitterkäfigen dahin. Das bleibt ein Skandal. Ein anderer ist die traurige Tatsache, dass es diesem Bundestag immer noch nicht gelungen ist, den Tierschutz im Grundgesetz zu verankern. Vor allem die christlichen Parteien CDU und CSU finden merkwürdigerweise nach wie vor keinen Grund, „Mitgeschöpfe“ verfassungsrecht- lich zu schützen. Der so genannte Standort Deutschland oder, anders gesagt, gewisse Lobbygruppen sind eben in dieser Frage für sie maßgeblicher als die Tierlobby. Ver- gessen sollte man nicht, dass in Deutschland 4,8 Milli- onen Hunde und 5,5 Millionen Katzen leben. Deren Be- sitzer und Besitzerinnen haben meist eine hohe Sensibilität für dieses Thema. Sie werden sich sehr genau ansehen, wie Parteien zur Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz stehen. Zum Schluss: Das Verbot der Käfighaltung ist ein ers- ter Schritt, weitere Schritte müssen folgen, ob in der Frage der Tiertransporte, der Putenhaltung oder beim Verbot der Pelztierzucht. Wir werden die Regierung bei jedem Schritt in Richtung eines besseren Tierschutzes unterstützen. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Instandhaltungswerke der Deutschen Bahn AG in Nürnberg und München erhalten – Neues Konzept für Ausbesserungswerke der Deutschen Bahn AG vorlegen – Zukunft der Instandhaltungswerke der Deut- schen Bahn AG – Instandhaltungswerke der Deutschen Bahn AG in Delitzsch, Chemnitz, Opladen und Zwickau erhalten – neue Investoren für Sten- dal, Leipzig-Engelsdorf und Neustrelitz (Tagesordnungspunkt 17 a bis c und Zusatzta- gesordnungspunkt 8) Horst Schmidbauer (Nürnberg) (SPD): Wenn bei der Debatte um die Instandhaltungswerke der Bahn AG eine Initiative zuallererst zu begrüßen ist, dann ist es nicht etwa die allzu durchsichtige politische Feuerwehraktion der CSU-Landesgruppe, sondern dann ist es die Initiative von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Er hat die Zukunft der Instandhaltungswerke zur Chefsache gemacht. Er hat in konstruktiven Gesprächen mit Bahnvorstand, Gewerk- schaft und Betroffenen für die Werke in den neuen Bun- desländern bereits tragfähige Lösungen auf den Weg ge- bracht. Wir begrüßen diese positive Entwicklung sehr, zum Beispiel für den Erhalt des Werkes Leipzig-Engelsdorf, das laut Bahnvorstandsbeschluss von 25. September an eine Investorengruppe verkauft wird. Zum Erhalt der an- deren sächsischen Werke, Delitzsch, Zwickau und Chem- nitz laufen konkrete Verhandlungen über mögliche Joint Ventures und Privatisierungen zwischen Vertretern der Kommunen, des Landes und des Bahnvorstandes. Erfolg gab es auch für das Werk Stendal in Sachsen- Anhalt: Hier wurde bereits ein LOI mit Alstom zur ge- meinsamen Modernisierung ausgemusterter Dieselloko- motiven unterzeichnet. Verhandlungen über ein Joint Venture, mit dem diese Aktivitäten weitergeführt werden können, laufen. Auch über das Werk Neustrelitz in Mecklenburg-Vor- pommern laufen bereits zielorientierte Verhandlungen zwischen Land und Bahn. Dort soll das Thema betriebs- nahe Instandhaltung für verschiedene Bahnbetreiber wei- ter verfolgt werden. Ich bin mir also sicher: Der Bundeskanzler wird auch Lösungen für die anderen Werke in den strukturschwa- chen Regionen erreichen. Der Bundeskanzler – das kommt auch in dem gemein- samen Antrag der Koalitionsfraktionen zum Ausdruck – hat erkannt, dass „Gewerkschafter auf der einen Seite und Unternehmen auf der anderen Seite zusammenzu- bringen sind und dass beide verstehen müssen, dass ein so großes Unternehmen wie die Bahn AG nicht nur einen betriebswirtschaftlichen Auftrag hat, sondern dass es auch immer um Strukturpolitik und um Rücksicht auf Arbeit- nehmer geht.“ So der Kanzler wörtlich in seiner Presse- konferenz am 30. August. Das ist richtig so; dem kann ich nur voll beipflichten. Für diese Rolle des klugen und umsichtigen Mittlers ge- bührt dem Bundeskanzler ein großes Dankeschön. Wir Sozialdemokraten sind uns völlig einig: Es liegt in unser aller Interesse, nicht zuletzt im Interesse der Bahn- beschäftigten selbst, dass die Bahn zu einem konkurrenz- fähigen, am Markt operierenden Unternehmen wird. Die Politik der Bundesregierung hat hier unübersehbare Er- folge erzielt. Die Bahn hat endlich die Chance, zu einem prosperierenden Unternehmen zu werden. Da nützen alle Krokodilstränen nichts, wenn jetzt Unionspolitiker, die einst die lautstärksten Anwälte der Privatisierung waren, in heftigem Kontrast zu ihrer sonstigen Marktphilosophie laut nach unmittelbarem staatlichen Interventionismus schreien. Klar ist – und von uns so erkannt – aber auch: Die Aus- besserungswerke stellen in strukturschwachen Gebieten einen wichtigen Standortfaktor dar und die Arbeits- platzängste der Bahnmitarbeiter werden von niemandem ernster genommen als von uns Sozialdemokraten. Da wird es keiner CSUlerin und keinem CDUler gelingen, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19463 (C) (D) (A) (B) uns links zu überholen, um dann bei nächster Gelegenheit wieder scharf nach rechts abzubiegen! Ein erster wichtiger Schritt ist damit erreicht, dass Bundesregierung, Bahnvorstand und die Transnet sich darin einig sind, dass Instandhaltungsaufgaben ein Kern- geschäft des Bahnkonzerns sind und bleiben werden. Un- ter dieser Voraussetzung lässt sich auch die jetzt noch an- stehende schwierige Aufgabe der noch in Diskussion befindlichen Werkschließungen sachlich und zielorien- tiert behandeln. Das wird auch geschehen. Es ist gut, wenn jetzt auch seitens der DB AG erst ein- mal die vom Kanzler geschaffene Pause genutzt wird: Zum Nachdenken, zum Nacharbeiten, um neue Rahmen- bedingungen und neue Sachinformationen aufzunehmen und ernst zu nehmen, mit dem Ziel, von dem Personalab- bau wegzukommen. Es gilt, diese Phase als Chance zu nutzen, um neue, nicht nur betriebswirtschaftlich, sondern auch gesell- schaftspolitisch verträgliche Denkansätze und Lösungen zu entwickeln. Es gilt, die Chance zu nutzen, um die Erhaltung der un- bestritten hohen Kompetenz vor Ort und das Gebot der Wirtschaftlichkeit auf einen Nenner zu bringen. Es gilt, die Chance zu nutzen, um einen Beitrag zur Standortsi- cherung in strukturmäßig angeschlagenen Orten – wie zum Beispiel in Nürnberg – zu leisten und die enorme Kompetenz und Arbeitsleistung der dortigen Bahnmitar- beiter nicht verloren gehen zu lassen. Es gilt die Chance zu nutzen, um die Ergebnisse des neuen, neutralen Gutachtens gründlich zu würdigen. Es wird sich ja womöglich zeigen, dass die Bahn noch ganz andere, bessere Zukunftsperspektiven hat, wenn man über den Tellerrand des magischen Jahres 2005 hinausschaut. Der steigende Bedarf der Folgejahre, die politischen An- forderungen an die Verkehrszuwächse auf der Schiene, das alles kann und muss nochmals sauber gegengerechnet werden. Es gilt, die Chance zu nutzen, um die Sicherheit durch eine Zertifizierung der Instandhaltung zu stärken. Ich er- innere mich gerne und leidenschaftlich daran, wie dank- bar Politik und Bahnvorstand nach der Katastrophe von Eschede waren, als es dem Nürnberger Werk gelang, die Sicherheitsanforderungen und -überprüfungen in einer enormen Arbeitsleistung und mit höchster Qualität in kür- zester Zeit zu bewerkstelligen. Dankbarkeit darf nicht vergessen werden. Sie verpflichtet auch für die Zukunft. Es gilt, die Chance zu nutzen, dass die Bahn die Aus- gewogenheit bei ihren Standorten sowohl zwischen Ost und West wie auch zwischen Nord und Süd wahrt und es keinen Kahlschlag in Süddeutschland gibt, wo es die stärkste Nachfrage nach Instandhaltungsleistung gibt. Es gilt, die Chance zu nutzen, um auch mit weiteren Bundesländern, wie zum Beispiel mit Bayern, zu einer Kooperation hinsichtlich finanzieller Unterstützung und Investitionsförderung zu kommen. So sehr wir uns freuen, dass die bayerische CSU jetzt aktiv geworden ist und auch zur Strukturförderung für die Bahn bereit ist, so springt die CSU doch wieder einmal zu kurz. Nicht Feuerwehr spielen, wenn das Feuer schon auf dem Dach der bayeri- schen Instandhaltungswerke ist, sondern frühzeitig das Großunternehmen Bahn mit in den Blick nehmen, wenn es um Landesentwicklung und Standortsicherung geht: Das hätten die CSU und ihre Regierung im Freistaat tun müssen. Da hilft es wenig, wenn man jetzt zähneknirschend auf das schaut, was Nordrhein-Westfalen längst in großer Voraussicht für seine eigenen Interessen auf dem Bahn- sektor zu tun und zu leisten bereit war. Was gerade Nürnberg angeht, so weiß ich nur zu gut, dass die bayerische Staatsregierung die Entwicklung die- ses Standorts zu einem erstklassigen Kompetenzzentrum der Verkehrstechnologie – das wäre Nürnberg schon aus Tradition, von Haus aus, dank der vorhandenen Arbeits- kräfte, dank der ansässigen Ideenschmieden – schlicht und einfach verschlafen hat. Dieser Ausbau des Kompe- tenzzentrums mit freistaatlicher Hilfe wäre der Schlüssel zum Erfolg auch in der Problematik des Instandhaltungs- werkes gewesen. Dieser Schlüssel wurde weggeworfe- nen. Jetzt aber – nach dem Motto: Hoppla, da gibt es ja Probleme – wird es höchste Zeit, den Rettungsanker von 50 Millionen DM zu werfen. Mit einiger Ironie kann ich es nur sehen, dass man of- fensichtlich auch in der Unionsfraktion erkannt hat, dass es heute nicht nur um die spezifisch bayerischen Pro- bleme geht, sondern dass die Bahn Deutschland in seiner Gesamtheit verpflichtet ist. Man hat in der Fraktionsspitze der Union wohl selbst erkannt, dass der Antrag Blank, Uhl, Wöhrl und Co. wirklich nur ein lokalpolitischer Ali- biantrag ist, und ruck-zuck wurde in den letzten Stunden noch ein neuer Antrag der CDU/CSU nachgeschoben, der den Horizont in Sachen Bahn wieder etwas über den weiß-blauen Horizont hinaus weitet. Auf die innere Un- zulänglichkeit und Widersprüchlichkeit der jetzt vorlie- genden beiden Unionsanträge werde ich jetzt nicht näher eingehen. Ich kann Ihnen, meine Damen und Herren der Union, nur raten: Springen Sie über Ihren schwarzen Schatten. Sehen Sie die Probleme ebenso differenziert wie ziel- orientiert und in ihrer ganzen Komplexität, wie wir es in unserem SPD/Grünen-Antrag tun, und stimmen Sie die- sem unserem Antrag zu. Damit machen wir das Tor auf für vernünftige Lösungen im Interesse der Bahn, der Bahn- mitarbeiter in Bayern und in der ganzen Republik und bringen die Probleme auf die richtige Schiene. Dr. Michael Luther (CDU/CSU): Seit Monaten wird nun schon in der Öffentlichkeit die Schließung von In- standhaltungswerken der DB AG diskutiert. Das sich pri- vatisiert nennende Unternehmen Bahn AG hat sich vor- genommen, wirtschaftlicher zu arbeiten und hatte deshalb die Unternehmensberatung Roland Berger beauftragt, die wirtschaftliche Situation der Instandhaltungswerke zu be- gutachten. lm Ergebnis dieses Gutachtens sollen eine Reihe von Werken für die schwere Instandhaltung in ganz Deutschland – davon in Sachsen alle vier vorhandenen Werke – geschlossen werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119464 (C) (D) (A) (B) Seit langem bemühen sich Kommunalpolitiker, Lan- despolitiker, wir als Bundespolitiker, Gewerkschaften, Betriebsräte und Mitarbeiter der betroffenen Unterneh- men, diese Werke zu retten. Zwischenzeitlich sind drei Gegengutachten zum so genannten „Berger-Gutachten“ der Öffentlichkeit bekannt geworden, die jeweils für ein- zelne bestimmte Standorte aufgestellt wurden und nach- weisen, dass die Zahlen des Berger-Gutachtens falsch sind. An dieser Stelle hätten die Bundesregierung, der Bundeskanzler, der Bundesverkehrsminister und nicht zu- letzt Staatsminister Schwanitz eingreifen müssen, um das alte Konzept der Bahn AG überprüfen zu lassen. Das ist aber offensichtlich von Rot-Grün nicht gewollt. Nicht anders ist zu erklären, warum diese Kahlschlagpo- litik der Bahn Unterstützung des Bundeskanzlers findet. Was will also Schröder? Das erste, was mir aufgefallen ist: Nach Vollendung der Schließungspläne wird es in den Ländern Saarland, Baden-Württemberg, Bayern, Thürin- gen und Sachsen kein einziges Werk für schwere Instand- haltung mehr geben. Ein Schelm, der dabei Böses vermu- tet. Es geht – und das werfe ich vor – darum, ob ein Standort wirtschaftlich ist oder nicht. Ich habe den Ein- druck, dass ausschließlich politische Interessen der SPD durchgesetzt werden sollen. Nun könnte jemand einwen- den, da gibt es doch noch ein Werk in Kassel, in Hessen – ebenfalls CDU-regiert –, dass erhalten bleibt und sogar einen Arbeitskräftezuwachs erfahren soll. Der Wahlkreis- abgeordnete in Kassel ist Bundesfinanzminister Eichel. Ein Schelm, der hier Böses vermutet. Speziell für das sächsische Instandhaltungswerk in Zwickau engagiere ich mich selbst seit geraumer Zeit. In diesem Werk bemüht sich schon seit längerem der dortige Betriebsrat gemeinsam mit der Unternehmensleitung an- dere Aufträge ins Werk zu holen. So gab es bereits erfolg- versprechende Kontakte zu Spezialwagenbetreibern, bei- spielsweise Bau und Reparatur von PKW-Transportern, da, wie ja allen bekannt, das VW-Werk Mosel in der Nähe liegt. Leider verhinderte die Bahn-Zentrale kategorisch diese Bemühungen! Warum? Ich möchte im Weiteren beim Zwickauer Beispiel blei- ben. Viele Zwickauer Politiker bemühten sich in der Ver- gangenheit, auf dem riesigen bislang ungenutzten Bahn- gelände Voraussetzungen zu schaffen, um neue Industrie anzusiedeln. Zusammen mit dem Kernbestand des In- standhaltungswerkes könnte somit ein sinnvoller Indus- triestandort entwickelt werden. Im Rahmen dieser Bemühungen haben wir in Zwickau alleine drei Jahre dafür gebraucht, herauszubekommen, wer für die einzel- nen Grundstücke dieses Geländes bei der DB AG zustän- dig ist. Ein Schelm, der hier nichts Böses vermutet. Die Geschichte lässt sich beliebig fortsetzen. Genannt sei bei- spielsweise auch die Container-Verladestation in Zwickau, die nur mit unermüdlichem Einsatz der privaten Investoren und sächsischen Politikern aus der Deutschen Bahn AG gebrochen werden konnte. Nahezu die Hälfte der Arbeitsplätze, die bei der Bahn vernichtet werden sol- len, fallen auf Sachsen. Der Region gehen damit 2 370 Ar- beitsplätze verloren. Arbeitsämter warnen schon heute vor dem sprunghaften Anstieg der Arbeitslosenzahlen. Der Freistaat Sachsen hat in den vergangenen zehn Jahren – ohne die SPD – einen hoffnungsvollen wirt- schaftlichen Aufschwung erfahren. 1998 ging die SPD zu- sammen mit ihrem Bundeskanzler mit dem Versprechen in den Wahlkampf, den Aufbau Ost endlich zur Chefsache machen zu wollen. Sie sind jetzt für diese schlimme Ent- wicklung verantwortlich. Auf seiner Ostreise im August dieses Jahres wollte der Bundeskanzler seine Erfolge ver- künden. Dabei hätte der Bundeskanzler am Donnerstag, dem 23. August 2001, auf eine Demonstration von zu Recht entrüsteten Bahnwerkern treffen sollen. Unser Me- dienkanzler wollte sich dieser Begegnung mit dem Volk nicht stellen und hat gekniffen. Ihm kam dabei die Maze- donien-Entscheidung nur recht. Obwohl er andere Mög- lichkeiten gehabt hätte, rief er sein Bundeskabinett just an diesem Tag zusammen. Großzügig hat er dann die Betriebsräte für einen späte- ren Termin in das Bundeskanzleramt geladen, natürlich ohne große Medienbegleitung. Im Rahmen dieses Ge- spräches wurde ein Kompromiss ausgehandelt, wonach bis zum 30. November dieses Jahres – also in 22 Tagen – die Konzepte nochmals überprüft werden sollen. Was ist geschehen? Nichts! Niemand bei der Deutschen Bahn AG nimmt die drei vorhandenen Gegengutachten, welche das Zahlenwerk des Berger-Gutachtes wiederlegen, über- haupt zur Kenntnis. In Gesprächen mit Betriebsräten muss man erfahren, dass schon heute Tatsachen geschaf- fen werden, die einen Fortbestand der Werke nicht mehr zulassen. Herr Bundeskanzler, Sie haben noch nicht ein- mal die von Ihnen selbst zugesagte Schamfrist eingehal- ten. Meine Damen und Herren von der Regierungskoali- tion, mit ihrem Antrag wollen sie nun den Eindruck er- wecken, dass sie sich zusammen mit ihrem Bundeskanz- ler noch einmal ganz ernsthaft um den Erhalt der Instandhaltungswerke kümmern. Das kann doch aber nur schlicht und einfach mit dem berühmten Nasenring verglichen werden, mit dem sie die Bahnwerker herum- führen wollen. Die einzige Sorge, die sie offensichtlich jetzt noch haben, ist die anstehende Bundestagswahl 2002. So haben sie in Engelsdorf bei Leipzig 150 der 300 Beschäftigten die Hoffnung gemacht, dass sie einen Inves- tor hätten, der sie – man höre und staune – bis Ende 2002 – also bis kurz nach der Bundestagswahl – übernehmen will. In Delitzsch sagten sie den 330 Beschäftigten zu, dass ihr Bahnwerk noch ein Jahr länger bestehen soll – bis 2003 – also bis kurz nach der Bundestagswahl. Lediglich den Chemnitzer Bahnwerkern versprachen sie die even- tuelle Sicherung von 100 der bisherigen 880 Arbeitsplät- zen zu. Ein Schelm, der hier nichts Böses denkt. Herr Bundeskanzler, laut Grundgesetz haben Sie in Ih- rer Funktion die Aufgabe, die Interessen aller Bundeslän- der in gleicher Weise zu vertreten und keines zu bevorzu- gen oder zu vernachlässigen. Doch Sie tun das Gegenteil. Sie vernachlässigen Sachsen, weil die Sachsen vorrangig CDU wählen und weil es ein neues Bundesland ist. Ich weiß, dies ist ein herber Vorwurf. Aber die von mir ge- nannten Fakten sind nun einmal ein schwer zu widerle- gender Anscheinsbeweis. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19465 (C) (D) (A) (B) Herr Bundeskanzler, ändern Sie endlich Ihre Hand- lungsweise! Setzen Sie sich für den Erhalt der Instand- haltungswerke in den neuen Bundesländern ein! Auch Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoali- tion, sind hier gefordert. Machen Sie sich wirklich für den Erhalt der Werke stark. Stimmen Sie unserem Antrag zu! Renate Blank (CDU/CSU): Der 26. Juni 2001 wird in die Geschichte der traditionsreichen Eisenbahnstadt Nürnberg als Schreckenstag eingehen. An diesem Tag ver- kündete der Vorstand der Deutschen Bahn AG die Schlie- ßung von acht Instandhaltungswerken im Bundesgebiet, darunter die Standorte Nürnberg und München-Neuaubing. Zum 31. Dezember 2003 sollen in Nürnberg und Mün- chen die Lichter ausgehen. Nach diesem unsinnigen Plan von Herrn Mehdorn sollen in Bayern rund 1 000 Mitar- beiterinnen und Mitarbeiter – im gesamten Bundesgebiet rund 6 000 – ihre Arbeitsplätze verlieren. Eine sehr ver- ständliche Empörung, ja sogar Wut und große Enttäu- schung machten sich bei den Arbeitnehmerinnen und Ar- beitnehmern breit. Meinem Kollegen Dr. Uhl aus München und mir als Nürnbergerin, in deren Wahlkreisen die betroffenen Werke liegen, sind die Reaktionen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vollkommen verständlich und nach- vollziehbar. Zudem kann ich als Verkehrspolitikerin diese unüberlegte Entscheidung absolut nicht nachvollziehen, zumal das Werk Nürnberg nach dem Unglück von Eschede, das uns alle zutiefst betroffen gemacht hat, her- vorragende Arbeit leistete. Damals ist gerade das Nürn- berger Ausbesserungswerk der Bahn noch für die schnelle Überholung von 59 ICE-Garnituren der ersten Generation gelobt worden. Hoch qualifizierte Mitarbeiter und Spe- zialisten haben damals nicht abgewartet, sondern selbst- verständlich energisch angepackt – ohne auf Überstunden und Feiertage zu achten. Der Dank: Jetzt, nur drei Jahre später und unter einem neuen Bahnchef, wird die Kom- petenz der rund 700 Nürnberger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über Nacht in Abrede gestellt – für mich ein Skandal! Ein anderes Bahn-Argument, dass der Wartungsbedarf bei den ICE- Zügen der dritten Generation nicht mehr so hoch sei – mir sind die ganzseitigen teuren Zeitungsan- zeigen der Bahn noch gut im Gedächtnis, worin sie unter dem Motto „Neue Züge brauchen weniger Wartung“ der Öffentlichkeit suggerieren wollte, dass einige Instandhal- tungswerke durchaus entbehrlich seien – ist ebenfalls falsch, denn der Instandhaltungsaufwand vom ICE I im Vergleich zum ICE III steigt um das 2,7fache. Weder mit dem Vergleich von Fixkosten noch von Investitions- bedürfnissen kann die Schließung vom noch im Bundes- eigentum stehenden Unternehmen Deutsche Bahn AG be- gründet werden, auch wenn sich das Berger-Gutachten, das sich in zahlreiche Widersprüche verstrickt, reichlich Mühe geben musste, hier negative Zahlen für die Werke Nürnberg und München zu konstruieren. Wie anders ist es zu erklären, dass nun ein neues Gutachten in Auftrag ge- geben wurde? Ich bin überzeugt, dass dieses neue Gut- achten aufzeigen wird, dass die Schließung der Werke vollkommen unangebracht ist. Uns drängt sich ohnehin der Verdacht auf, ja, ich bin sogar davon überzeugt, dass die Schließung der beiden bayerischen Werke nichts mit betriebswirtschaftlicher Planung zu tun hat, sondern einzig und allein eine gezielte politische Aktion gegen Bayern ist. Dieses rücksichtslose Vorgehen – nach dem Motto von Bundeskanzler Schröder: „Steine statt Brot für Bayern“ – stellt eine reine parteitaktische Strafaktion von Rot und Grün dar. Wenn die Stilllegungspläne verwirklicht werden, gibt es kein einziges Ausbesserungswerk mehr im Süden Deutsch- lands. Und welch ein Wunder: Statt Reduzierung oder Schließung gibt es eine Ausbesserungswerkserweiterung ausgerechnet in Kassel, der – ja, so ein Zufall! – politi- schen Heimat von Bundesfinanzminister Hans Eichel. Dies ist ein starkes Stück, übrigens auch im Hinblick auf die lapidare Art und Weise, wie gerade die Betroffenen in Nürnberg und München von der praktisch überfallartigen Entscheidung erfahren haben. Des Weiteren deutet die Akzeptanz und Passivität der Bundesregierung und insbesondere des Verkehrsministers offenkundig darauf hin, dass hier eine klar erkennbare parteipolitische Strategie zugrunde liegt. Und ich wieder- hole meinen Vorwurf, ob es Ihnen passt oder nicht, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen: Die Stilllegungspläne sind das Produkt von rot-grüner Kunge- lei in Berlin und eine massive Benachteiligung Bayerns. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich das überaus bewundernswerte Engagement der Belegschaft für dem Erhalt ihrer Werke loben: In Nürnberg kämpften sie im wahrsten Sinne Tag und Nacht für den Erhalt des Werkes; einige hatten sich sogar an das Werkstor gekettet und lange einen Hungerstreik durchgehalten. Hut ab vor die- ser Leistung! Vom Einsatz der Mitarbeiterinnen und Mit- arbeiter, dem Engagement des Betriebsrats und der Ge- werkschaften konnte ich mich vor Ort und in vielen Gesprächen überzeugen. Mein Kollege Dr. Uhl und ich haben bereits im Som- mer den Beschäftigten zugesagt, uns für den Erhalt der Werke Nürnberg und München mit einem Antrag im Deutschen Bundestag einzusetzen; dies ist nun heute auf den Weg gebracht. Zu den Werken außerhalb Bayerns wird ja noch der Kollege Dr. Luther entsprechende Aus- führungen machen. Schade ist, dass die bayerischen Bun- destagsabgeordneten von SPD und Grünen im Vorfeld nicht auf unser Angebot reagiert haben, sich unserem An- trag anzuschließen, obwohl es im bayerischen Landtag zu einem parteiübergreifenden Beschluss zum Erhalt der Werke in Nürnberg und München gekommen ist. Nachdem unser Antrag längst vorlag und Rot-Grün die Brisanz erkannt hatte, ist eiligst noch ein eigener Antrag zusammengeschustert worden. Was haben Sie sich ei- gentlich bei Ihrem nichts sagenden Antrag gedacht? Die Mitarbeiter sind bereit, für ihr Werk zu kämpfen und Sie tönen vollmundig vor Ort, um dann so einen inhaltslosen Antrag zu fabrizieren. Es genügt eben nicht, wie gesche- hen, die SPD-Fahne vor dem Nürnberger Werkstor zu his- sen. Man sollte schon konkrete Beschlüsse fassen. Wenn die SPD in ihrem Antrag die Vermittlung von Verkehrsminister Bodewig lobt, der zwar ein Gespräch Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119466 (C) (D) (A) (B) mit Gewerkschaften und Betriebsräten geführt hat, aber zu keinerlei Zusagen bereit war, und die konsequente politische Unterstützung durch Regierung und rot-grüne Fraktion begrüßt, ist das einfach absurd. Minister Bodewig und auch der Kanzler haben die Entwicklung schlicht verschlafen und sind viel zu spät aufgewacht – und das, obwohl es sich bei der Bahn nicht um irgendein privates Unternehmen handelt. Eigentümer ist ja immer- hin der Bund; da kann der Unternehmensvorstand nicht in geradezu selbstgefälliger Weise derart weittragende Ent- scheidungen treffen. Wenn der Bundeskanzler immer wieder betont, wie wichtig ihm die Arbeitsplätze in unse- rem Lande sind, dann kann diese Bundesregierung nicht tatenlos zusehen, wie Teile eines Unternehmens mit dem unverkennbaren Siegel des Bundeseigentums aufgegeben werden. Die Bundesregierung kann sich nicht mit Hinweisen auf betriebswirtschaftliche Argumente des Bahnvorstands ihrer sozialpolitischen Verantwortung entziehen. Wenn Rot-Grün im Antrag schreibt: „Das Ziel muss sein, dass keiner der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der DB AG durch die Sanierungsmaßnahmen in die Arbeitslosigkeit entlassen wird“, dann ist dies reine Augenwischerei; denn es ist bekannt, dass spätestens nach drei Jahren die Ar- beitslosigkeit droht. Die Zusage von Kanzler Schröder, bis zum 30. November 2001 ein neues Gutachten erarbei- ten zu lassen, ist doch nur vor dem Hintergrund zu sehen, dass er beim SPD-Parteitag Mitte November in Nürnberg keinesfalls Demonstrationen brauchen kann; vielleicht verkündet er ja auch auf dem Parteitag den Erhalt der Werke in Nürnberg und München. Einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung der Werke leis- tet der Freistaat Bayern, obwohl er dazu nicht verpflichtet wäre, da es sich um ein Unternehmen im Eigentum des Bundes handelt. Der bayerische Wirtschafts- und Ver- kehrsminister Otto Wiesheu, dem ich an dieser Stelle aus- drücklich für seinen intensiven Einsatz danke, hat bereits finanzielle Mittel für Umstrukturierungsmaßnahmen in Aussicht gestellt. Klar ist: Die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Ar- beitnehmer sowie die Gewerkschaften sind durchsichtige parteitaktische Manöver leid; sie wollen nicht mit wohl- tönenden Worten abgespeist werden, sondern verlangen zu Recht klare Entscheidungen von der Politik. Wir wer- den weiter um den Erhalt der Werke und damit der Arbeitsplätze ringen. Die Belegschaft hat grandios gekämpft, der bayerische Wirtschaftsminister leistet sei- nen Beitrag und die Medien haben die Bedeutung der Werke und den Einsatz der Mitarbeiterinnen und Mitar- beiter stets ausführlich begleitet. Jetzt sind Sie am Zug: Stimmen Sie unserem Antrag zu! Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die allermeisten von uns werden mit mir ei- nig sein, dass mit der Umstrukturierung der DB AG auch eine Produktivitätssteigerung verbunden sein muss. Ge- eignete Maßnahmen zur Konsolidierung und Verbesse- rung der Gesamtwettbewerbsfähigkeit der DB AG sowie zur Zukunftssicherheit sind unbedingt erforderlich. Dass dies auch mit schwierigen Einschnitten verbunden ist, die sozialverträglich abgefedert werden müssen, ist unbestrit- ten. Hier erfüllt der Bund als Eigentümer seine Verpflich- tungen: Neben der der Steigerung der Schieneninvestiti- onsmittel auf fast 9 Milliarden DM, mit der auch eine Beschäftigungsoffensive im Bahnbereich verbunden ist stellt die Bundesregierung zusätzlich 2,3 Milliarden DM jährlich für die soziale Absicherung der Bundesbahnbe- schäftigten zur Verfügung. Als einen weiteren Beitrag zur Sozialverträglichkeit hat das Kabinett zudem die Verlän- gerung der Vorruhestandsregelung beschlossen. Darüber hinaus hat sich Bundeskanzler Schröder als Moderator Zwischen der DB und der Transnet zur Verfü- gung gestellt, um die Wirtschaftlichkeit der DB-Werke noch einmal zu überprüfen. Hierbei muss gerade auch im Zuge des zunehmenden Wettbewerbs auf der Schiene überprüft werden, ob nicht mehr Fremdaufträge von an- deren Bahnen zu einer höheren Auslastung der betroffe- nen Werke führen werden. Ein Ansatz zum Beispiel von 3 Prozent Fremdaufträgen für die DB-Werke erscheint mir bei einer zunehmenden Zahl von NE-Eisenbahnen in Deutschland sehr unrealistisch zu sein. Der Bund erwartet aber auch vom Vorstand der DB AG, dass er seiner besonderen sozialen und strukturpolitischen Verantwortung nachkommt und den Sanierungsprozess sozialverträglich gestaltet. Dazu muss ein offensives Standortmanagement betrieben werden und die aktive Su- che nach potentiellen Investoren fortgesetzt werden. Dass dies sehr erfolgreich sein kann, beweist das Werk in Stendal. Nachdem der Alsthom-Konzern 51 Prozent der Anteile übernommen hat, ist der Fortbestand des Wer- kes nicht mehr gefährdet. Ja, mit innovativen betriebs- wirtschaftlichen Konzepten wie der Instandsetzung und Modernisierung von Wagen und Loks mit anschließen- dem Leasinggeschäft wird eine gute Auslastung des Wer- kes erreicht. Wo die Länder, die DB und der Bund an ei- nem Strang ziehen, werden ebenfalls gute Ergebnisse erzielt. Die Standortsicherung des Werkes in Delitzsch ist so gut wie sicher; das Land Nordrhein-Westfalen hat das Werk Krefeld mit 60 Millionen DM Investitionsbeihilfen zukunftsfähig gemacht. Geradezu scheinheilig ist in die- sem Zusammenhang der CDU/CSU-Antrag zur Rettung des ICE-Werkes in Nürnberg. Die CSU-Mehrheit im Bayerischen Landtag hat sich kürzlich geweigert, mit ei- ner Wirtschaftshilfe von 60 Millionen DM den Standort Nürnberg zu modernisieren und damit wie in Krefeld das Spitzen-Know-how der Beschäftigten für die Zukunft zu sichern. Ich halte das Werk in Nürnberg unter den Bedin- gungen des Zusammenwirkens aller Beteiligten für durchaus zukunftsfähig. Auch wenn ein Abbau der Kapazitäten möglicherweise nicht überall zu vermeiden ist, muss als sicher gelten: Kei- ner der betroffenen Eisenbahnerinnen und Eisenbahner wird in die Arbeitslosigkeit entlassen. Zwei Drittel der Beschäftigten haben tariflichen Anspruch auf Weiterbe- schäftigung. Auszubildende können ihre Ausbildung ab- schließen. Beschäftigte werden durch die Erschließung neuer Betätigungsfelder, durch Qualifizierungsmaßnahmen und durch Jobsuche unterstützt. Durch die Installation einer Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19467 (C) (D) (A) (B) Jobbörse konnten beispielsweise in München-Neuaubing bereits 120 Mitarbeiter vermittelt werden. Der Bundesregierung hat deutlich gemacht, dass sie gemeinsame Modernisierungsbemühungen von DB, Gewerkschaft, Ländern und Investoren vorbehaltlos un- terstützt. Wir brauchen eine moderne, wettbewerbs- fähige Bahn, um die verkehrspolitischen Herausforde- rungen zu meistern. Ein Erfolg der Bahnreform liegt im ureigensten Interesse der Beschäftigten und natürlich der Millionen Fährgäste, die täglich mit der Bahn un- terwegs sind. Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Sie werden sich daran erinnern, dass wir uns 1993 in diesem Hause über die Gründe für die Bahnreform einig waren. Der wesent- liche Punkt war dabei die gemeinsame Auffassung, dass die Bahn zukünftig unternehmerisch geführt und damit von solcher politischen Einflussnahme befreit werden sollte, die nicht ordnungspolitisch, sondern wahlkreisspe- zifisch motiviert ist. Dass damit nicht nur der Verzicht auf Zusatzforderungen – etwa weitere Haltepunkte für Fern- verkehrszüge in der eigenen Region –, sondern auch die Hinnahme von zu erwartenden Härten durch den Um- strukturierungsprozess bei der Bahn verbunden ist, war immer klar. In diesem Punkt ist absolute Einigkeit nötig. Wenn wir wieder mit einem Wettlauf darüber anfangen, wer die mei- sten Staatsgelder der Bahn in seine Region lenkt, ist jeder Kollege gezwungen, dieses Spiel mitzuspielen, und wir können den Erfolg der Bahnreform gleich vergessen. In- sofern gefallen mir einige Anträge, die hier heute debat- tiert werden, überhaupt nicht, Andererseits wundert es mich auch nicht, dass die Haupt- und Staatspartei Bay- erns, die CSU, hier vorprescht. Die FDP ist sicher nicht weniger besorgt um die Men- schen in den betroffenen Orten, sie weigert sich aber, sich auf dieses überholte Argumentationsmuster einzulassen, weil sie das Ganze im Blick behält. Es muss in diesem Land auch möglich sein, die ökonomische Wahrheit zu sa- gen. Wer das nicht tut und immer durch Staatsinterventio- nen überlebensunfähige Betriebe stützt, wird eines Tages Wirtschaftszustände ernten, die wir im Osten unseres Landes gerade überwunden haben. Voraussetzung für eine solch klare Sprache ist aller- dings die Unanfechtbarkeit der ökonomischen Argu- mente. Darüber kann man streiten, in diesem besonderen Fall muss man darüber sogar streiten, und hier setzt auch die Kritik der FDP am Standortschließungskonzept der Bahn ein. Die DB AG verfügt über ein – im Übrigen von der Po- litik wegen der hohen Verantwortung gewollt – hoch be- zahltes Management mit vielen hoch qualifizierten und hoch bezahlten Fachleuten. Deren Standortanalysen soll- ten von solcher Qualität sein, dass die damit verbundenen Entscheidungen auch Prüfung und Kritik in der Sache standhalten. Stattdessen hat die DB AG in starkem Maße den Ein- druck erweckt, unsachgemäß und willkürlich zu handeln. Nach den ersten massiven Protesten gegen die ursprüng- lich als wirtschaftlich zwingend notwendig bezeichnete Schließung mehrerer Werke wurden die Pläne relativiert. Ursprünglich nicht beabsichtigte Privatisierungen wurden nun kurzfristig in das Konzept einbezogen. So geht das, wenn ein Bundeskanzler die Analysen der Bahn prüft. Dass die Bahnverantwortlichen bei dieser Prüfung durchgefallen sind, ist äußerst blamabel und ver- unsichert alle diejenigen, die auch künftig mit der Bahn zu tun haben werden bzw. von deren Entscheidungen abhän- gig sind. Der Vorwurf der Willkürlichkeit und mangelnder Pro- fessionalität trifft daher auch die Bundesregierung, auf deren Intervention hin die ursprünglichen Pläne hastig und in für Außenstehende nicht nachvollziehbarer Weise überarbeitet wurden. Dieses Parlament hat deshalb ein berechtigtes Interesse daran, die maßgeblichen Fakten nachvollziehen zu kön- nen. Dies gilt in noch stärkerem Maße für die Bedienste- ten der betroffenen Standorte, die sich von der DB AG und der Bundesregierung verschaukelt fühlen. Nicht nur die Politik hat also die Verpflichtung, sich aus einzelnen Entscheidungen des Unternehmens DB AG herauszuhalten, sondern auch die Bahnmanager haben die Verpflichtung, zunächst einmal richtig zu rechnen und nur aufgrund belastbarer Analysen zu entscheiden. Nicht nur die Politik, wie von Herrn Mehdorn immer wieder einge- fordert, sondern auch die Bahn hat mit dem Auftrag der Bahnreform gefälligst sorgfältig und verantwortlich um- zugehen, sonst gefährdet sie selbst die Ziele eines Erstar- kens des Schienenverkehrs in Deutschland, Solche Fälle wie der vorliegende legen einen Makel auch auf zukünftige Entscheidungen der Bahn, weil nie- mand sicher sein kann, ob sie wirklich sachgerecht sind. Das ist für die Akzeptanz auch zukünftig notwendiger Umstrukturierungen katastrophal, weil das Signal ausge- sandt wird, die Politik werde es schon richten. Kurzfristig stiftet der Bundeskanzler mit Blick auf den Wahlzettel 2002 Frieden, längerfristig ist diese Politik zum Scheitern verurteilt. Dr. Winfried Wolf (PDS): Vor wenigen Monaten, am 27. Juni 2001, protestierte die PDS heftig gegen die Ab- sicht der Deutschen Bahn AG, acht von 18 Standorten der Fahrzeug-Instandhaltung zu schließen. Die Kapa- zitäten zur Instandhaltung von Loks und Wagen würden auf ein Minimum reduziert, 6 000 Arbeitsplätze – rund die Hälfte der bisher hier vorhandenen – würden damit abgebaut. Die PDS begrüßt es, dass die Protest-Aktionen erste Erfolge zeigen: Nicht zuletzt durch das Engagement der betroffenen Landesregierungen werden die Standorte Neustrelitz, Stendal und Leipzig-Engelsdorf unabhängig von der Deutschen Bahn AG weiterarbeiten können. Die übrigen zur Schließung vorgesehenen Instandsetzungs- werke werden noch einmal überprüft. Das Ergebnis wird erst Ende des Monats bekannt werden. Bahnchef Mehdorn nannte die Schließungsabsichten „Konsolidierung“ und mit dem Interesse, das Unter- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119468 (C) (D) (A) (B) nehmen für den Börsengang gewinnträchtig zu machen, „betriebswirtschaftlich notwendig“. Die PDS nennt dies „gedankenlose Zerstörung von Ressourcen“ und „ver- kehrspolitisch unsinnige Opfer im Interesse der Gewinn- maximierung“. Mehdorn begründet den geplanten Abbau wiederholt mit zukünftigen Investitionen in neue Loks und in neues Wagenmaterial, die den Instandhaltungsbedarf drastisch reduzieren würden. Tatsächlich sind jedoch Lokomo- tiven und Waggons überaltert, wenn auch noch immer unverzichtbar. Die Instandhaltung hinkt immer mehr hin- terher. Dies hat massive Ausfälle zur Folge. Die alten Fahrzeuge werden länger benötigt, als es steuerliche Ab- schreibung und anspruchsvolle Investitionspläne der Deutschen Bahn vermuten lassen. Das aber heißt: Der In- standhaltungsbedarf ist enorm. Die Werke könnten voll und ganz ausgelastet werden, und zwar für mehrere Jahre. Die von Mehdorn ins Auge gefasste Hauruck-Investi- tion mit „völlig neuer Technologie“ musste die Bahn in den letzten Jahren schon mehrfach ausbaden. Dies mün- dete fast immer darin, dass Lokomotiven und Triebwagen ohne ausreichende Tests und Probezeiten in den laufenden Schienenbetrieb übernommen wurden. Sie erwiesen sich in der Folge als extrem instandhaltungsintensiv, wobei zu- vor entsprechende Kapazitäten für die Instandhaltung weder in der Bahn-Industrie noch bei der Bahn selbst aufgebaut worden waren. Auch das heißt: Der Instandhal- tungsbedarf bleibt hoch. Fast täglich betont Bundesminister Bodewig, dass in den nächsten Jahren der Schienen-Güterverkehr sich ver- doppeln und der Personenverkehr erheblich anwachsen werden. Stimmen diese Vorgaben – und es sind die Vor- gaben des zukünftigen Bundesverkehrswegeplans –, dann wären für einen massiv erneuerten und wohl auch erheb- lich erweiterten Lok- und Wagenpark eher höhere Kapa- zitäten der Instandhaltung erforderlich, als gegenwärtig vorgesehen. In der Realität stellt sich der von der Deutschen Bahn AG geplante Abbau der Instandhaltung – ähnlich wie der Interregio-Abbau – als ein weiterer Beweis für den Rück- zug der Schiene dar. Die Schrumpfbahn kommt. Die PDS spricht sich entschieden für den Erhalt aller betroffenen Bahnwerke aus. Wir weisen darauf hin, dass durch die weiterhin drohende Schließung der Standorte in Chemnitz, Delitzsch und Zwickau erneut und in besonderem Maße Arbeitsplätze der Deutschen Bahn in den neuen Ländern betroffen wären. Es ist nicht nachzuvollziehen, wie die Deutsche Bahn mehr Verkehr auf der Schiene bewältigen will, wenn in der Instand- haltung der Fahrzeuge keine Reserven vorgehalten wer- den. Und da mehr Verkehr auf der Schiene eine Forderung der offiziellen Verkehrspolitik ist, ist hier auch der Bund gefordert. Die PDS unterstützt deshalb die Anträge, die Erhalt und Zukunft für Bahn-Instand- haltung fordern. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zu a) Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Saatgutverkehrsgesetzes b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts: Innovationspotenzial moderner Technolo- gien für mittelständische Pflanzenzüchter erhalten (Tagesordnungspunkt 18 a und b) Heino Wiese (Hannover) (SPD): Dass das Saatgut- verkehrsgesetz so spät am Abend beraten werden soll, sagt nicht nur etwas über unsere Arbeitszeiten und die Ar- beitsfülle des Parlamentes, es sagt auch etwas über den Stellenwert in der Öffentlichkeit, den dieses Gesetzesvor- haben erfährt. Leider, denn es ist für viele Pflanzenzüch- ter und Sortennehmer von großer Bedeutung. Bei der Anhörung im Ausschuss haben sich daher fast alle Experten für die umfassende Neuregelung bedankt, die aufgrund der großen Zahl von Veränderungen der Saatgutrichtlinien der EG notwendig geworden waren. Der Deutsche Bauernverband hat uns – sehr zum Leid- wesen von Ihnen, Herr Kollege Carstensen – sogar aus- drücklich für das Gesetz gelobt. Ich möchte das Lob an unsere Kollegin Steffi Lemke weitergeben, die sich außerordentlich um die Neufassung verdient gemacht hat. Das Saatgutverkehrsgesetz ist ein Verbraucherschutz- gesetz. Es stellt sicher, dass Landwirte und Gartenbaube- triebe Saatgut und Vermehrungsmaterial der verschiede- nen Sorten in hoher Qualität erhalten können. Gute Qualität des Endproduktes und damit gute Äpfel, Toma- ten, Kartoffeln und andere Lebensmittel für die Verbrau- cherinnen und Verbraucher. Außerdem gibt das neue Ge- setz Rechtssicherheit für das Bundessortenamt in Hannover, das jetzt klare Vorgaben für die Zulassung neuer Sorten bekommen hat. Wichtig dabei ist auch die Kompetenz, schädlichen Sorten die Zulassung zu entziehen. Wir sind mit diesem Gesetz ein großes Stück weitergekommen, was die Rege- lung des Saatgutrechtes betrifft. Eine wesentliche Aufgabe, die jetzt dazukommt, ist die Neuregelung des Sortenschutzes, eine Aufgabe, der wir uns schnellstmöglich annehmen sollten. Dafür gibt es eine Reihe von dringenden und wichtigen Gründen. Der wich- tigste ist für mich die unsägliche Nachbauregelung, die zu Hunderten oder sogar Tausenden von Gerichtsverfahren geführt hat. Allein 900 Verfahren sind zurzeit vor dem Eu- ropäischen Gerichtshof. Die Saatguttreuhand, die augen- scheinlich große Schwierigkeiten hat, zwischen privat- rechtlichen Verträgen und öffentlich-rechtlichen Aufgaben zu unterscheiden, hat sich Verhaltensweisen angemaßt, die ihr in keiner Weise zustehen. Den Fehler hat hierbei aber der Gesetzgeber gemacht, weil aus Opportunitätsgründen auf eine klare gesetzliche Regelung verzichtet wurde; zugunsten eines so genannten Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19469 (C) (D) (A) (B) Kooperationsabkommens zwischen Pflanzenzüchtern und Bauernverband und zulasten der Bauern. Ein zweiter wichtiger Grund ist die Frage: Wie gehen wir mit GVO in neuen Sorten um? Die nin der Diskussion stehende Biopatentrichlinie wird uns vor neue Herausfor- derungen stellen. In diesem Zusammenhang möchte ich kurz auf den An- trag der FDP eingehen. Ich glaube nicht, dass die Biopa- tenrichtlinie und die Zulassung von neuen gentechnisch veränderten Sorten wirklich, wie die FDP behauptet, die mittelständischen Züchter stärken. Ich bin vielmehr ziem- lich sicher, dass damit eine Wettbewerbsverzerrung zu- gunsten der großen Unternehmen eingeleitet wird. Natür- lich können die größeren Unternehmen viel eher patentrechtliche und biotechnische Apparate aufbauen, als das durch kleinere Mittelständler erreicht werden kann. Ich möchte nicht missverstanden werden: Ich bin aus- drücklich dafür, die Chancen der grünen Gentechnik zu nutzen. Dafür müssen wir den Sortenschutz aber in der Tat so gestalten, dass wir die einzigartige Vielfalt der mittel- ständischen Saatzuchtunternehmen in Deutschland erhal- ten und schützen. Das Saatgutverkehrsgesetz war der erste Teil einer transparenten und umfassenden Regelung des Saatgutrechtes; für das Sortenschutzgesetz werden wir das in ähnlich verantwortlicher Weise tun. Wir haben auch in diesem Bereich viel vor uns und wir werden es tun. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Es ist jetzt fast genau ein Jahr her, seitdem die BSE-Krise einen Stein ins Rollen brachte. Wir wissen alle, dass dies nicht die erste Krise ist, die die Landwirtschaft erschüttert und den laufenden Struk- turwandel deutlich forciert. Weinskandal, genmanipu- lierte Lebensmittel, Schweinepest und auch gefundene Pestizidrückstände in Bier beunruhigten schon vor Jahren die Bevölkerung. Jeder wollte doch gern glauben, dass man durch die Wissenschaft, durch strengere Gesetze und Kontrollen, die Gefahrenquellen beseitigen kann. Diese Sicherheit gibt es seit BSE nicht mehr. Gerade der Stand der wissenschaftlichen Kenntnisse war hauchdünn und viel weiter sind wir leider immer noch nicht. Die erlebte Unsicherheit war es, die dazu führte, dass nach BSE das Vertrauen in die bäuerliche Landwirtschaft nicht alleine durch stärkere Kontrollen und strengere Gesetze wieder- hergestellt werden kann. Zwar haben wir durch das Verfütterungsverbot von Tiermehl oder durch den sensiblen Umgang bei der Tö- tung von Tierbeständen gezeigt, dass wir diese Unsicher- heit in der Bevölkerung ernst nehmen und die bestmögli- che Sicherheitsstufe einräumen, aber es ist offensichtlich, dass Veränderungen anstehen. In meiner Rede zum Agrarbericht 2001 sagte ich: „Die Landwirte gehören nicht an den Pranger, sondern mit ins Boot“. Ich bin auch nicht der Meinung eine Drohkulisse aufzubauen oder jemanden gegen die Wand laufen zu las- sen. Vielmehr werbe ich dafür, „gerade auch unter dem Be- rufsstand,“ den eingeschlagenen Weg, hin zu einer um- weltgerechteren Landwirtschaft, gemeinsam zu beschrei- ten. In persönlichen Gesprächen ist die Bereitschaft vorhanden, nur muss um den Weg zum Ziel gerungen werden. Aus meiner Erfahrung heraus sehe ich nur eine vernünftige Chance im Miteinander. Uns allen liegt eine umweltgerechte Landwirtschaft, Verbraucherschutz, Ent- wicklung der ländlichen Räume „um nur drei Schlaglich- ter zu nennen,“ am Herzen. Aus diesem Grund liegt heute der Gesetzentwurf zur Modulation von Direktzahlungen auf dem Tisch und ist ein wichtiges Element dieser neuen Agrarpolitik. Nicht nur der Bund hat die Modulation als geeignetes Mittel angesehen, um Gelder sinnvoll für eine umweltge- rechtere Landwirtschaft umzuschichten. Auch Vertreter der Länder hatten sich positiv geäußert. Im Juli diesen Jahres einigten sich Bund und Länder auf ein Modell, das bei einem Freibetrag von 20 000 DM eine Prämienkürzung von 2 Prozent vorsieht und ab dem Jahr 2003 in Kraft treten soll. Also: Erhält ein Betrieb mehr als 20 000 DM an Prä- miengeldern, dann werden alle weiteren Zahlungen für seine Produkte um 2 Prozent gekürzt. Die EU sieht Kür- zungen der Ausgleichszahlungen von bis zu 20 Prozent vor. Unser Gesetz setzt bei 2 Prozent an. Die Kürzungen der Direktzahlungen machen bundes- weit 105 Millionen DM aus. 166 Millionen DM würden auf diese Weise zusätzlich für Agrarumweltmaßnahmen und Strukturpolitik im länd- lichen Raum zur Verfügung stehen. Das hört sich erstmal gut an, aber insbesondere die Kofinanzierung ist Stein des Anstoßes für die Länder. Ich komme aus Sachsen-Anhalt und weiß, dass schon jetzt die GAK-Mittel nicht voll abgerufen werden können, weil die Kofinanzierung nicht mehr gewährleistet ist. Das ist schwer. Mit den geplanten Kürzungen der Direktzah- lungen wären zwar besonders die neuen Bundesländer be- troffen, aber die Rückführung der Gelder in die Regionen ist realisierbar. Welche Belastungen kommen auf diese Weise auf den Bund und die Länder zu? Der Bund ist bereit, 37 Milli- onen DM zusätzlich für eine Umorientierung in der Land- wirtschaft einzusetzen. Eine Umorientierung kann aber nur in einer gemeinsamen Kraftanstrengung gelingen, deshalb brauchen wir die Hilfe der Länder und erwarten nun, dass sie ihren Teil dazu beitragen: Das sind 24 Mil- lionen DM für eine umweltgerechtere Produktion von Nahrungsmitteln und für die Stabilisierung der ländlichen Räume. Ein weiterer Stein des Anstoßes ist die Umsetzung, Aufsicht und Verwaltung der Modulation. Hierfür kann der Bund die Verantwortung nicht übernehmen. Ganz klar ist geregelt: Diese Aufgaben stehen in der Landeshoheit. Und ganz abgesehen davon, wäre mit so einer Änderung von Finanzierungszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern eine Änderung des Grundgesetzes notwendig. Diese Forderung ist praktisch undiskutabel. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119470 (C) (D) (A) (B) Modulation ist ein geeignetes Mittel, um Gelder für eine nachhaltige Entwicklung der ländlichen Räume um- zulenken. Und das Mittelvolumen von 166 Millionen DM ist dafür eine gute Basis. Übrigens finde ich es falsch, dass Sie, Herr Kollege Heinrich, in mehreren Interviews ver- suchten, den Eindruck zu erwecken als seien Subventio- nen ein verbrieftes Recht der landwirtschaftlichen Unter- nehmen, ihre Kürzung unredlich und ein Einsatz in umweltrelevanten Maßnahmen ungeeignet, um die Land- wirtschaft und den ländlichen Raum zu stärken. Ich habe das Gefühl, Sie versuchen hier fünfe gerade sein zu lassen und setzten in alter FDP-Manier Stützungen mit eigen Erwirtschaftetem gleich! Und letztlich war es doch die Politik von CDU und FDP, die die Abkehr von ökologischen Zielen forciert hat. Nur nichts Neues for- dern und entscheiden, immer alles schön beim Alten las- sen. Egal, was sich da um uns herum in Europa tut. Wenn wir heute eine geringe Akzeptanz des Berufsstandes unter der Bevölkerung konstatieren müssen, ist das auch ein Er- gebnis der jahrelangen umweltignoranten Politik, für die neben der CDU die FDP die Verantwortung mitträgt. Wir wollen zukünftig eine positive Entwicklung vo- rantreiben. Deshalb mein eindringlicher Appell an die Län- der, unser Gesetz zu unterstützen und nicht kurzsichtig zu sein. Natürlich sind wir uns bewusst, dass gerade die fi- nanzschwachen neuen Länder jede Mark zweimal umdre- hen, ehe sie sie einmal ausgeben. Weshalb aber verschließen sich die südlichen Bundes- länder der Modulation völlig? Das war zwar von Anfang an zu erwarten, verwundert dennoch. Gerade Bayern und Baden-Württemberg rühmen sich Gelder für Sonderpro- gramme in der Landwirtschaft zur Verfügung zu stellen. Umweltmaßnahmen werden großgeschrieben, heißt es. Wenn das so ist, dann verwundert es einmal mehr, dass das Modulationsgesetz der Bundesregierung so verteufelt wird. Die sachliche Begründung verschließt sich mir völ- lig. Im Gegensatz dazu lobte der saarländische Umweltmi- nister Mörsdorf noch im Sommer dieses Jahres die neuen Chancen, die das Modulationsgesetz für das Saarland bringen würde. Diese Einsicht wäre beim Votum im Bun- desrat sehr hilfreich. Wir werden die Modulation einführen. Auch ohne den Bundesrat wäre dies möglich. Allerdings müsste dann die Freibetragsgrenze von 20 000 DM fallen. Davon wäre dann jeder Betrieb in Deutschland betroffen. Kann uns da- ran gelegen sein? Liebe Kolleginnen und Kollegen, nut- zen wir die Zeit, um miteinander im Gespräch zu bleiben und gemeinsam Bund und Länder für einen gesteigerten Umweltschutz, eine Stärkung der ländlichen Räume und die Interessen unserer Landwirtschaft zu sorgen. Meinolf Michels (CDU/CSU): Ich habe noch einmal die Protokolle aus der Debatte über die Agrarreform 1992 nachgelesen. Wesentlicher Inhalt dieser Reform war: der Getreide- interventionspreis wurde um über 30 Prozent gesenkt; die Einkommensverluste sollten über eine Flächenbeihilfe ausgeglichen werden. Sprecher aller Fraktionen haben auf die Gefahr hingewiesen, die sie in der Möglichkeit staat- licher Kürzungen sehen. Recht hatten sie – nun wird’s wahr! Die Getreidepreise sind zumal in diesem Jahr schlechter denn je. Und dann hat die Kommission in Brüs- sel die Importzölle gesenkt und die Exportbeihilfen ge- strichen. Lassen Sie sich doch einmal über die Getreide- marktsituation berichten. Der vorliegende Gesetzentwurf zur Einführung einer Modulation wird von den Regierungsfraktionen als wei- terer Meilenstein der so genannten Agrarwende gefeiert. Vorab möchte ich dies zum Anlass nehmen, um aus- drücklich klar zu stellen, dass die CDU/CSU-Fraktion – sei es in Zeiten, als wir die Regierung stellten, aber auch jetzt in der Opposition eine Fortentwicklung der Agrarpo- litik immer als notwendig angesehen hat. Wir haben stets konstruktiv zu diesem Prozess beigetragen. Ich möchte nur an die gerade erwähnte Mac Sherry Re- form 92 erinnern. Wir haben mit viel Geld den Struktur- wandel in der Landwirtschaft begleitet – und dadurch er- träglicher gemacht. Und dies besonders in sozialer Hinsicht. Sie, Frau Künast, propagieren eine Agrarwende – das bedeutet weg vom bisher Dagewesenen. Meine Berufs- kollegen sagen, „Nun soll alles, was wir mit viel Arbeit geleistet haben, falsch sein ?“ „Wir haben doch die Men- schen bestens ernährt.“ Es sind gerade die jungen Bauern, die den Mut verlieren. Ja sie empfinden sich gedemütigt. Die in Ihrem Hause gefertigten Papiere zeigen vor allem eins: immer weniger Hilfe! Die Agrarpolitik der Bundes- regierung ist für die Betriebe nicht mehr kalkulierbar. Bei der Agrardebatte 92 hat der damalige Obmann der SPD, unser Kollege Oostergetelo, zu Recht ausgeführt, „Verlässlichkeit ist ein wesentliches Element in der Poli- tik.“ Obwohl die gegenwärtige Beschlusslage der EU eine Laufzeit bis 2006, 2008 hat, will die Bundesregierung den deutschen Landwirten in dieser Zeit die Planungssicher- heit streitig machen. Das können wir schon heute unein- geschränkt festhalten: dass die Einführung der Modula- tion in der vorliegenden Form für einen großen Teil der deutschen Landwirte eine weitere Verschlechterung ihrer Wirtschaftslage bedeutet. Ich bleibe mit meiner Kritik doch sehr moderat, wenn ich da lese, was die Mehrheit der Länder im Bundesrat als Stellungnahme zu diesem Thema vorgetragen hat. Schon laufende Länderprogramme wie zum Beispiel K.U.L.A.P. in Bayern können mit diesen Mitteln nicht auch finanziert werden. Es müssen neue sein. Ich betone noch einmal, wir sträuben uns nicht gegen Fortentwicklung oder Moderni- sierung im Bereich der Landwirtschaft, nur es muss dann auch für diesen Wirtschaftsbereich sinnvoll sein. Ihr Gesetzentwurf sieht vor, dass ein großer Teil der den Bauern vorenthaltenen 54 Millionen Euro landwirt- schaftsfremd investiert werden soll. Dazu werden die 31 Millionen Euro Kofinanzierung ebenfalls an den unser Volk ernährenden Bauern vorbei fließen. Frau Künast, ich möchte Sie wirklich dringend bitten, mit uns gemeinsam zu prüfen, ob wir nicht wenigstens einen Teil der Mittel für die Einführung des Vorruhestands in der Landwirt- schaft und gleichzeitig auch einen weiteren Schritt zur Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19471 (C) (D) (A) (B) Altersabsicherung der Frauen in der Landwirtschaft tun können. Es ist ausdrücklich zu begrüßen, dass für den ländlichen Raum Programme mit finanzieller Unterstüt- zung des Bundes aufgelegt werden sollen. Aber es ist er- wiesenermaßen ausdrücklich volkswirtschaftlich falsch, wenn dies mit Geldern geschieht, die den praktisch täti- gen Bauern entzogen werden. Gestatten Sie mir abschließend, für alle wohlwollend darauf hinzuweisen, dass wir hier und gerade in der jetzi- gen Zeit für alle unsere Mitmenschen eine große Verant- wortung tragen. Jeden Fehler, den wir hier machen, müs- sen unsere Mitmenschen ausbaden. Nehmen wir doch nicht alles für selbstverständlich! Stellen Sie sich doch einmal vor, die gegenwärtige Resignation bei unseren jun- gen Bauern würde dazu führen, dass Milch und Brot Man- gelware würden. In der Landwirtschaft liegt zwischen Saat und Ernte eine lange Zeit. Helmut Heiderich (CDU/CSU): Die Novellierung des Saatgutrechtes ist veranlasst durch die Aufnahme ver- schiedener EU-Regelungen, die schon aus dem Jahr 1998 datieren, in das deutsche Recht. Diese Gelegenheit hätte genutzt werden müssen, das schon seit Jahren immer komplexer gewordene Rege- lungswerk zu durchforsten und zu vereinfachen. Stattdes- sen werden durch den Regierungsentwurf und insbeson- dere durch den Änderungsantrag der Regierungskoalition zusätzlich bürokratische Hürden aufgebaut. So spricht die Bundesregierung selbst von einer Ausweitung der behördlichen Tätigkeit bei Bund und Ländern. Nach dem, was bisher erkennbar ist, werden dadurch zusätzliche Kosten verursacht: Da diese als Gebühren weitergegeben werden, ist abzusehen, dass sich das im Er- gebnis negativ auf die Preise deutschen Z-Saatgutes aus- wirkt. Damit wird sowohl die Wettbewerbsfähigkeit der mittelständischen Saatgutzüchter beeinträchtigt, wie auch die Kostenbelastung der Landwirte erhöht. Während in al- len anderen Wirtschaftsbereichen ständig von Deregulie- rung geredet wird, werden im Agrarbereich immer neue Auflagen gemacht und zusätzliche Prüfungen gefordert. Dass der Großteil der konkreten Ausgestaltung im Ge- setzentwurf nicht enthalten ist, sondern auf noch zu erlas- sende Verordnungen verlagert wird, macht diese Proble- matik noch schwerwiegender. Wenn der Bundestag in einem solchen Umfang, wie hier vorgesehen, Ermächti- gungen an die Bundesregierung gibt, dann gibt er in ho- hem Maße seine Einflussmöglichkeiten aus der Hand. Nach den rechtsbeugenden bzw. rechtswidrigen Eingrif- fen der Bundesregierung in die Zulassung gentechnisch verbesserter Sorten im Vorjahr und in diesem Jahr muss jedem klar sein, dass mit einem solchen offenen Gesetz- entwurf dem willkürlichen Handeln der Bundesregierung Tür und Tor geöffnet wird. Im Ergebnis werden dann die Abgeordneten in der Öf- fentlichkeit für Belastungen durch die Regierung verant- wortlich gemacht, auf welche sie keinerlei Einfluss mehr gehabt haben. Die aktuelle Diskussion um die Verschär- fung der Immissionsschutzregeln gibt ein entsprechend negatives Beispiel. So muss die Einführung des allgemei- nen Begriffs „die Umwelt“ als Risikogrund für die Sor- tenzulassung als weiteres Einfallstor willkürlicher Argu- mente befürchtet werden. Ebenso untergräbt die Veränderung des Begriffes „lan- deskultureller Wert“ in seiner bewährten Form durch den Änderungsantrag von Rot-Grün zusätzlich die Verläss- lichkeit des bisherigen Saatgutrechts. Hinderlich sind auch die Verschärfungen und Erweite- rungen für gentechnisch fortentwickeltes Saatgut. Zu recht moniert der Antrag der FDP die seit Jahren ideolo- gische Blockade dieser Zukunftstechnologie durch grüne Minister und deren Fraktion. Europäisches Parlament und europäische Kommission haben gerade in den letzten Mo- naten und Wochen starke Aktivitäten entfaltet, um den jahrelangen Stillstand in Europa zu überwinden. 81 Studien der letzten Jahre in der EU haben deutlich gemacht, dass diese Technologie ausgereift ist. Dass sie kein Risiko für Umwelt oder Gesundheit mit sich bringt. Auch der 2. Gentechnikbericht der Bundesregierung be- stätigt, dass die häufig geäußerten Bedenken keine Be- stätigung gefunden haben. Deswegen ist es kontrapro- duktiv, jetzt neue zusätzliche Hürden für gentechnisch verbessertes Saatgut im Saatgutverkehrsgesetz aufzu- bauen. Solche Erschwernisse werden allenfalls dazu bei- tragen, die Abwanderung dieser Technologie aus Deutschland zu verstärken. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert deshalb im Einklang mit der Europäischen Kommission und dem Gentechnikbericht der Bundesregierung eine Vereinfa- chung und Verschlankung der Zulassungsverfahren. Dazu gehört insbesondere die Festlegung von Schwellenwerten für alle Saatgutbereiche. Dazu gehört die Validierung von Untersuchungsverfahren und Prüfstellen, die der Bundes- regierung bis heute nicht gelungen sind. So bleibt dem Zufall nach wie vor Tür und Tor geöff- net. Wie in diesem Sommer in Brandenburg werden da- durch Zerstörungsmaßnahmen amtlich angeordnet, die sich bei der Nachprüfung durch Fachlabors als „Fehlalarm“ herausstellen. In diesem Bereich muss die Bundesregierung ihre Entscheidung endlich auf die wissenschaftlichen Fakten begründen, statt durch rechts- beugende Eingriffe die Verlässlichkeit des Anerken- nungsverfahrens zu gefährden. Wir lehnen diese Gesetzesnovellierung, die zu einer Kostensteigerung für die Landwirte, zu weiterer Bürokra- tisierung, zu stärkerer Regierungsabhängigkeit der Ver- fahren sowie zur Wettbewerbsverschlechterung für Saat- gutunternehmen und -anwender führt, ab. Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gegen- stand der heutigen Debatte ist das Saatgutverkehrsgesetz: ein Gesetz, das die Voraussetzungen regelt, unter denen Saatgut „in den Verkehr gebracht“, sprich: gehandelt oder abgegeben werden darf, ein Gesetz, das in dieser Form seit dem Jahre 1953 besteht und seitdem zahlreichen Än- derungen und Ergänzungen unterworfen war, ein Gesetz, das von Normalsterblichen aufgrund seiner komplizierten Struktur und Regelungen eigentlich nicht mehr verstan- den werden kann. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119472 (C) (D) (A) (B) Die diesem nationalen Gesetz übergeordneten EU- Richtlinien wurden im Februar 1999 aus zwei Gründen geändert: Zum einen war es dringend notwendig, die be- sonderen Anforderungen an gentechnisch verändertes Saatgut zu regeln. Und zum Zweiten schien es wegen des zunehmenden Rückgangs der biologischen Vielfalt auch in der Landwirtschaft erforderlich, die Zulassung auch von solchen Sorten zu ermöglichen, die den sehr strengen Kriterien nicht genügen und dies eigentlich auch gar nicht sollen, wie zum Beispiel alte Sorten oder Landsor- ten. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung setzt diese Änderungen auf EU-Ebene nunmehr in das deutsche Recht um. Darüber hinaus wurden auf Initiative der Koalitionsfraktionen im Laufe des Gesetzgebungs- verfahrens einige Verbesserungen und Ergänzungen vor- genommen, die ich nachfolgend kurz darstellen möchte. In der nicht öffentlichen Anhörung am 10. Oktober 2001 zum vorliegenden Gesetzentwurf fand der entsprechende Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen fast durchweg die Zustimmung der anwesenden Sachverständigen. Zunächst zu den Anforderungen für gentechnisch ver- ändertes Saatgut. Die saatgutrechtliche Zulassung einer Pflanzensorte kann zukünftig von vorneherein versagt werden, wenn „hinreichende Gründe für die Annahme bestehen, dass die Sorte ein Risiko für die Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen oder die Umwelt darstellt“ – im Bereich gentechnisch veränderter Sorten eine unerlässliche Handlungsoption. Wir erinnern uns alle an den Fall der Bt-Maissorte, als das Bundessorten- amt gar keine rechtliche Grundlage gehabt hätte, einer solchen Sorte die Zulassung zu verweigern, obwohl es Hinweise darauf gab, dass sie ein Risiko für die Umwelt darstellt. Diesem Umstand haben wir durch die neue Regelung abgeholfen – und das Bundessortenamt hat dies im Rahmen der Anhörung begrüßt. Ebenso haben wir dafür gesorgt, dass eine Gefährdung der Umwelt durch eine Sorte bzw. deren Anbau zu einer Rücknahme einer bestehenden Zulassung führen kann. Auch das war bislang nicht möglich. Wir haben durch weitere Ergän- zungen die lückenlose Kennzeichnung von gentechnisch verändertem Saatgut in allen Phasen des Inverkehrbrin- gens sichergestellt. Kommen wir zum zweiten Bereich, der durch die geän- derte EU-Richtlinie verbessert werden sollte, nämlich zur Erhaltung der biologischen Vielfalt in der Landwirtschaft durch die Saatgutgesetzgebung beizutragen. Erst kürzlich hat der Wissenschaftliche Beirat der Bun- desregierung den gegenwärtigen und unwiederbringli- chen Verlust der Gen- und Artenvielfalt als „dramatische Krise der Biosphäre“ bezeichnet. Auch die genetischen Ressourcen landwirtschaftlicher Nutzpflanzen aus jahr- hundertealter traditioneller Zucht und Bewirtschaftung stünden auf dem Spiel. Pflanzenzüchtung, die den jetzt noch gar nicht absehbaren Erfordernissen der Zukunft ge- wachsen sein will, braucht biologische Vielfalt. Und wir müssen erhebliche Anstrengungen unternehmen, um wei- tere irreversible Verluste an lebensnotwendiger Vielfalt zu verhindern. Konkret haben wir deshalb im Saatgutverkehrsgesetz folgende Änderungen vorgesehen: Der Spielraum bei der Sortenzulassung wurde dahingehend erweitert, dass ungünstige Eigenschaften einer Sorte durch andere günstige Eigenschaften ausgeglichen werden können. Dies ist unter anderem auch für ökologisch gezüchtete Sorten von Vorteil. Die neue Formulierung des so ge- nannten landeskulturellen Wertes orientiert sich damit am Wortlaut der EU-Richtlinie. Darüber hinaus bleibt die Abgabe von Saatgut zu Ausstellungszwecken zum Beispiel für Freilichtmuseen und Schaugärten weiterhin erlaubt. In der EU-Richtlinie war das ursprünglich nicht vorgesehen. Dies ist aber für die zahlreichen Initiativen, die sich um den Erhalt der biologischen Vielfalt bemühen, eine wesentliche Voraussetzung für ihre wert- volle Arbeit. Ein weiteres Stichwort in diesem Zusammenhang: Er- haltungssorten. Leider bedarf es zunächst einer konkreten Durchführungsverordnung von EU-Seite, bevor auch in Deutschland solche Sorten tatsächlich zugelassen werden können. Wir halten es für dringend erforderlich, und ha- ben dies auch in einer entsprechenden Entschließung zum Ausdruck gebracht, dass sich die Bundesregierung ein- setzt, damit diese konkreten Regelungen so rasch wie ir- gend möglich erlassen werden. Die Zulassungskriterien für diese Erhaltungssorten müssen dabei so gestaltet wer- den, dass keine unüberwindbaren Hürden für die Initiati- ven und Züchter geschaffen werden, sei es in finanzieller oder bürokratischer Hinsicht oder durch zu strenge An- forderungen an die Sorten. Viele Erhaltungsinitiativen oder ökologische Züchter stehen seit Jahren schon in den Startlöchern und warten darauf, dass sie ihre Sorten schlicht und ergreifend an andere abgeben dürfen. Da dies bislang verboten ist, entgehen der Landwirtschaft aber auch den Verbrauchern die enormen Potenziale, die in ei- ner größeren biologischen Vielfalt im verfügbaren Sor- tenspektrum liegen. Lassen Sie mich nun noch ein paar grundsätzliche An- merkungen zur Saatgutgesetzgebung machen: Seinen Ur- sprung hat das heutige Saatgutverkehrsgesetz in der im Jahre 1934 erlassenen „Verordnung über Saatgut“. Mit dieser Verordnung griff zum ersten Mal der Staat in die bis dahin privatwirtschaftlich organisierte Saatgutprüfung ein. Das war damals angesichts der Ernährungslage der Bevölkerung im letzten Jahrhundert und nach den beiden Weltkriegen auch durchaus sinnvoll und notwendig: Der Staat sorgte mit der Prüfung der Saatgutqualität vor der ei- gentlichen Aussaat dafür, dass Missernten so weit wie möglich vermieden und durch die im Laufe der Jahre ent- standenen hohen Auflagen ein gewaltiger Zuchtfortschritt gerade im Bereich der Erträge erreicht wurde. Doch man kann durchaus mal die Frage stellen: Ist ein derart kompliziertes und überregeltes Gesetzeswerk noch zeitgemäß? Ist angesichts der heutigen Höchsterträge un- serer landwirtschaftlichen Kulturarten und der Überpro- duktion ein solches System noch sinnvoll? Oder gibt es Möglichkeiten, andere transparentere und auch kosten- günstigere Systeme, die eine vernünftige Saatgutversor- gung sicherstellen können, ohne die Beteiligten in ein allzu enges Paragraphenkorsett zu zwängen? Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19473 (C) (D) (A) (B) Durch die strikten Auflagen des heutigen Saatgutver- kehrsgesetzes wird es tatsächlich vielen züchterisch täti- gen Landwirten, Erhaltungsinitiativen, die sich um die Bewahrung der biologischen Vielfalt bemühen, oder Züchtern insbesondere im Bereich der ökologischen Züchtung unverhältnismäßig erschwert, für ihre Anbau- verfahren geeignetes Saatgut oder Saatgut, das eine pflan- zengenetische Ressource darstellt, in den Verkehr zu brin- gen oder auszutauschen. Dies ist eine kontraproduktive Einschränkung sowohl des wirtschaftlichen Handelns der züchterisch Tätigen als auch des Rechts der Landwirte und sonstigen Saatgutanwender auf eine eigenverant- wortliche Auswahl aus einem angemessenen Sortenspek- trum. Die Entscheidung darüber, welche Sorte überhaupt anbauwürdig ist, wurde bislang ausschließlich von den staatlichen Stellen getroffen. Eine stärkere Rückführung dieser Verantwortung in die Praxis liegt jedoch im öffent- lichen Interesse. Ein ausreichendes Qualitätsniveau des Saatgutes könnte meines Erachtens weitgehend auch über die Marktmechanismen erreicht werden. Für die Sicherung von rechtlichen Ansprüchen an eine bestimmte Saatgut- qualität würden Gewährleistungsansprüche, wie sie in an- deren Wirtschaftsbereichen üblich sind, genügen. Denk- bar wäre zum Beispiel, dass Saatgut, das einige wichtige Kriterien der Saatgutanerkennung, insbesondere Keim- fähigkeit, Gesundheit und Reinheit als Mindestanforde- rung an die Saatgutqualität erfüllt, ohne weitere Ein- schränkungen, jedoch mit einer ausführlichen und eindeutigen Kennzeichnung, in den Verkehr gebracht werden darf. Darüber hinaus könnte Saatgut neben der Saatgutaner- kennung zusätzlich das Verfahren der heutigen Sortenzu- lassung durchlaufen. Dies entspricht dem derzeit für das Inverkehrbringen von Saatgut vorgeschriebenen Verfah- ren, um wie bisher als zertifiziertes Saatgut in den Verkehr gebracht werden. Saatgut dieser Sorten genügt über die Mindestanforderungen hinaus weitergehenden bzw. ande- ren Ansprüchen. Ich halte es für ziemlich unwahrschein- lich, dass es solches System dazu führen würde, dass sämtlicher Zuchtfortschritt infrage gestellt wäre, oder die Landwirte einer unabsehbaren Gefahr ausgesetzt sein würden, durch Saatgut minderer Qualität Missernten zu erleiden. Vor diesem Hintergrund haben die Koalitionsfraktio- nen die Bundesregierung in einer Entschließung aufge- fordert, innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren die Saatgutgesetzgebung auf den Prüfstand zu stellen und Vorschläge für ihre Vereinfachung und Liberalisierung zu unterbreiten. Diese Forderung wurde in der Anhörung zum Saatgutverkehrsgesetz am 10. Oktober 2001 von al- len Experten einhellig unterstützt und ist ein weiterer Schritt in Richtung eines modernen Saatgutrechts. Eine Anmerkung zum Schluss: Den Antrag der FDP, der hier in Form der Beschlussempfehlung ebenfalls noch mal zur Debatte steht, habe ich bereits im Februar dieses Jahres in meiner Rede hier im Hause ausreichend kriti- siert. Und mehr Aufmerksamkeit hat er aus meiner Sicht nun wirklich nicht verdient. Ulrich Heinrich (FDP): Auch das Saatgutverkehrsge- setz reiht sich nahtlos in die für die rot-grüne Bundesre- gierung so typischen Gesetze ein, die der deutschen Land- wirtschaft das Leben und die Zukunft zunehmend schwerer machen. Nicht nur aus diesem Grund wird die FDP der Änderung des Saatgutverkehrsgesetzes nicht zu- stimmen. Entscheidend für die Ablehnung meiner Fraktion sind insbesondere zwei zentrale Schwachpunkte in diesem Ge- setzentwurf. Erstens: Wieder einmal enthält ein Gesetz der Bundes- regierung eine Fülle von „Persilscheinen“ in Form von Ermächtigungen. Diese Ermächtigungen ermöglichen es der Bundesregierung, weitreichende Entscheidungen am Parlament vorbei zu treffen. Das ist schon aus grundsätz- lichen Erwägungen abzulehnen. Für die FDP gilt weiter- hin der Grundsatz, dass wichtige politische Entscheidun- gen im Parlament zu diskutieren und zu treffen sind. Mit diesem Gesetz wird dieser Grundsatz meiner Fraktion zum wiederholten Mal unterlaufen. Zweitens. Das gilt umso mehr, wenn wie im vorliegen- den Fall des Saatgutverkehrsgesetzes ein so sensibler Be- reich wie die grüne Gentechnik berührt wird. Gerade hier wird von der Bundesregierung ein ideologischer Kon- frontationskurs gegen die Wirtschaft und Pflanzenzüchter gefahren. Insbesondere die Tatsache, dass SPD und Grüne nicht bereit sind, verlässliche Rahmenbedingungen für die Zukunft der Grünen Gentechnik zu schaffen; muss uns zu äußerster Vorsicht mahnen. Nur ein Beispiel: Anstatt die Vorschläge der EU-Kom- mission zur Beendigung des De-facto-Moratoriums zu un- terstützen, setzt sich die zuständige grüne Bundesminis- terin Künast weiterhin für eine Nullwert-Regelung bei Saatgut mit GVO-Anteilen ein. Eine Kennzeichnungs- vorschrift für GVO macht aber erst ab einer Grenze von 1 Prozent Sinn. Das hat sich in der Vergangenheit schon bei der Kennzeichnung von Nahrungsmitteln bewährt. Außerdem ist ein Nullwert unrealistisch und lässt natürli- che Phänomene unberücksichtigt. Hier müssen endlich verlässliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, da- mit die Wirtschaft auch weiterhin am Standort Deutsch- land in moderne Technologien investiert. Für die FDP-Bundestagsfraktion fordere ich Bundes- kanzler Schröder nochmals nachdrücklich auf, auch bei der Grünen Gentechnik endlich eine Politik ohne Scheu- klappen umzusetzen. Weiteres Zögern und Zaudern kön- nen wir uns nicht mehr erlauben. Kersten Naumann (PDS): Die Bundesregierung hat sich mit der Umsetzung der EG-Rechtsvorschriften zum Saatgutverkehr viel Zeit gelassen. Nun wird wieder halb- herzig und im Nachhinein mit zu lösenden Problemen gekämpft, für deren Vollzug erst ein Änderungsantrag ein- gebracht werden musste. Verabschiedet wird ein Gesetz, bei dem schon jetzt klar ist, dass weitere Änderungen im Nachgang zu erwarten sind. Das komplexe Saatgutrecht hätte längst auf seine ökonomische Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit unter nationalen Bedingungen geprüft werden können. Über Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119474 (C) (D) (A) (B) 60 Paragraphen und allein 30 Verordnungsermächtigun- gen zeugen nicht gerade von Transparenz und Einfach- heit in der Anwendung des Gesetzes. Der tatsächliche Bedarf eines derart ausgestalteten Rechtssystems hätte längst einer generellen Überprüfung unterzogen werden können. Was wir brauchen, ist eine gläserne Produktion auch bei der Saatgutproduktion, bei der Verwendung und dem Inverkehrbringen von Saatgut, insbesondere deshalb, weil mit dem Gesetz zwei Schwerpunkte neu behandelt wer- den: die Nutzung, der Umgang und der Handel mit gen- technisch verändertem Saatgut und der Erhalt genetischer Ressourcen insbesondere alter Landsorten für den ökolo- gischen Landbau. Wir begrüßen, dass für Saatgut gentechnisch veränder- ter Sorten Kennzeichnungsvorschriften aufgenommen werden und gesetzliche Ermächtigungen geschaffen wer- den, um künftig in Verordnungen insbesondere das In- verkehrbringen von Saatgut aus pflanzengenetischen Ressourcen sowie von Saatgut für den ökologischen Landbau regeln zu können. Die Frage der rechtlichen Grundlagen für das Inver- kehrbringen von GVO durch Saatgut ist diffizil: Einer- seits wird das Tor für weitreichende Anwendungen im Saatgutbereich geöffnet, andererseits will sich die Bun- desregierung rechtlich absichern, eingreifen zu können. Letzteres ist, wie die belegten Beispiele der Handhabung des Bt-Maises im Jahr 2000 und T-25-Maises Artuis bei der Aussetzung der Sortenzulassung zeigen, bereits fak- tisch angewendet worden. Hier ist das Widerrufsrecht gesetzlich zu verankern, und zwar nicht nur, wenn es ausschließlich und den Schutz der Umwelt geht. Bereits bestehende und nachge- wiesene negative Auswirkungen einer GVO-Sorte auf an- dere Sorten, zum Beispiel durch Pollenflug einer transge- nen Pflanze auf andere Feldbestände, werden nicht bzw. nicht ausreichend berücksichtigt. Da wissenschaftlich im- mer noch nicht nachgewiesen ist, was GVO in der Um- welt anrichten kann, zum Beispiel erste Auswirkungen wie resistente Superunkräuter in Kanada, die ursprünglich von ehemaligen Kulturpflanzen stammen und nicht ernst genommen werden, ist es keinesfalls vertretbar, dass GVO-Saatgut einem konventionellen Saatgut gleichge- stellt wird. Dem Gesetzentwurf kann aus diesen Gründen nicht zugestimmt werden. Noch ein Wort zum Antrag der FDP. Ihr Versuch, der Gentechnik über die Saatgutzüchtung aufs Trapez zu ver- helfen, ist ein weiteres Belegexemplar für die ausgespro- chene Risiko- und Wirtschaftsfreundlichkeit ohne Rück- sicht auf Verluste. Verbraucherinteressen, nachhaltige Produktion auch im Interesse zukünftiger Generationen und Schutz der ohnehin in Mitleidenschaft gezogenen natürlichen Ressourcen sind wohl Fremdwörter für die FDP. Angesichts der dramatischen Veränderungen in der Landwirtschaft durch BSE, mehrere Seuchen – MKS, Schweinepest – und den Tierarzneiskandal ist dieser An- trag hinsichtlich der Förderungsablehnung ökologischer Produktionsweisen und der Kritik an Naturschutzflächen schlichtweg überholt und abzulehnen. Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Der vorliegende Gesetzentwurf geht im Wesentlichen auf umfassende Änderungen der Saatgutrichtlinien der EG zurück. Die Änderungen im Gemeinschaftsrecht wurden vorgenommen, um diesen Rechtsbereich weitergehend zu harmonisieren und den Gegebenheiten des Binnenmark- tes anzupassen. Zudem galt es, neueren Entwicklungen im Bereich der Pflanzenzüchtung und des Saatgutwesens Rechnung zu tragen. Die Änderungen der Saatgutrichtlinien betreffen fol- gende Regelungen: Die Begriffsbestimmung des Inver- kehrbringens von Saatgut wurde neu gefasst. Danach soll das Abgeben von Saatgut an amtliche Prüf- und Kontroll- stellen und an Erbringer von Dienstleistungen zur Saat- gutaufbereitung oder zu Erzeugung landwirtschaftlicher Rohstoffe, zum Beispiel Biodiesel, künftig nicht mehr den saatgutrechtlichen Inverkehrbringensregelungen unterlie- gen. Des Weiteren soll es möglich sein, zusätzliche Qua- litätsanforderungen an chemisch behandeltes Saatgut so- wie weniger restriktive Anforderungen an Saatgut zur Er- haltung genetischer Ressourcen und an Saatgut zur Nutzung im ökologischen Landbau zu stellen. Für so genannte Erhaltungssorten sollen vereinfachte Voraussetzungen für die Sortenzulassung festgelegt wer- den können. Dies ist wichtig, um auch für diese erhal- tenswerten, überwiegend regionalspezifischen Sorten die Saatgutvermarktung zu eröffnen. Entsprechend dem Stand der modernen Pflanzenzüch- tung sollen in das Saatgutrecht Zulassungsvoraussetzun- gen für gentechnisch veränderte Pflanzensorten aufge- nommen werden. Dabei muss insbesondere sichergestellt werden, dass die Anforderungen der gentechnikrechtli- chen Freisetzungsrichtlinie bezüglich der vorzunehmen- den Umweltverträglichkeitsprüfung in vollem Umfang Anwendung finden. Zudem sollen spezifische Kenn- zeichnungsvorschriften für gentechnisch verändertes Saatgut festgelegt werden. Weitere gemeinschaftsrechtliche Änderungen betref- fen die Novellierung der speziellen Anforderungen an die Erzeugung von Saatgutmischungen, die Festlegung von Vorschriften für die Eignung von Sortenbezeichnungen und die Anforderungen an Vermehrungsmaterial von Zierpflanzen. Diese komplexen Novellierungen des Ge- meinschaftsrechts werden durch den Entwurf eines Zwei- ten Gesetzes zur Änderung des Saatgutverkehrsgesetzes in das nationale Recht umgesetzt. Da die beschriebenen Änderungen der Saatgutrichtli- nien den bislang noch ausstehenden Erlass umfassender gemeinschaftsrechtlicher Durchführungsvorschriften er- fordern, ist es bei der obligatorischen Umsetzung unum- gänglich, im Saatgutverkehrsgesetz mittels einer Vielzahl von Verordnungsermächtigungen die spätere Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Durchführungsvorschriften in den saatgutrechtlichen Verordnungen zu eröffnen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19475 (C) (D) (A) (B) Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Entwürfe eines ... Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes (Tages- ordnungspunkt 19 a und b) Horst Schild (SPD): Die zwei vorliegenden Gesetz- entwürfe der PDS-Fraktion betreffen einkommensteuerli- che Regelungen: Zum einen die Anhebung der Freibe- träge für Arbeitnehmerabfindungen, zum anderen die unbegrenzte Absetzbarkeit der Kosten im Rahmen der doppelten Haushaltsführung. Als Begründung führt die PDS unter anderem an, die Besteuerung von Arbeitneh- mern sei in den letzten Jahren verschärft worden. Wie beurteilt denn die Fraktion der PDS unsere im letz- ten Jahr verabschiedete Steuerreform, die allein in der ers- ten Stufe im Jahr 2001 eine Entlastung für Arbeitnehmer, Unternehmen und Familien von 45 Milliarden DM bringt? Alle Steuersenkungsstufen bis 2005 zusammen bedeuten eine Steuerentlastung von 95 Milliarden DM. Davon entfällt der Großteil, nämlich 67 Milliarden DM, auf private Haushalte. Das ist eine beispiellose Steuerent- lastung in der Geschichte der Bundesrepublik. Und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer spüren das ganz konkret an ihrer Lohn- und Steuerabrechnung. Die von der PDS nun eingebrachten Vorschläge führen zu zusätzlichen Steuerausfällen von rund 1,5 Milliarden DM. Wenn Sie sich die aktuellen Haushaltsdaten von Bund, Ländern sowie den Kommunen anschauen – und die mor- gige Steuereinschätzung wird diesen Befund bestätigen –, so müssen Sie zur Kenntnis nehmen, dass die Grenze der fiskalischen Belastbarkeit für alle Gebietskörperschaften erreicht ist. Die Steuereinnahmen sinken stark, was vor allem auf die derzeitige schwache konjunkturelle Lage zurückzu- führen ist. Deutschland kann sich nicht von der weltwirt- schaftlichen konjunkturellen Entwicklung abkoppeln. Sinkende Steuereinnahmen, die nun alle Gebietskörper- schaften zu verkraften haben, sind die unmittelbare Folge. Und die Fraktion der PDS will ja sicher nicht die Haus- halte noch zusätzlich unter Druck setzen, sodass Bund, Länder und Kommunen Kürzungen im investiven oder sozialen Bereich vornehmen müssten. Vor diesem Hintergrund müssen wir die Anträge zum jetzigen Zeitpunkt ablehnen. Sie würden auch schon aus dem schlichten und abseh- baren Grund scheitern, dass im Bundesrat keine Mehrheit für die Vorstellungen besteht. Was die steuerliche Behandlung von Arbeitnehmerab- findungen angeht, so stehen wir derzeit im fachlichen Dis- kussionsprozess. Was die Regelungen zur doppelten Haushaltsführung angeht, so plädiere ich dafür, diese und zahlreiche andere Normen im Rahmen einer umfassenden Reform des Ein- kommensteuerrechts auf den Prüfstand zu stellen. Das wird unsere große Aufgabe in der nächsten Legislaturpe- riode sein. Der Bürger hat ein Recht auf ein verständli- ches, einfaches, transparentes und gerechtes Steuersys- tem. Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Soweit mit dem Antrag 14/4437 beantragt wird, Aufwendungen für die doppelte Haushaltsführung länger als zwei Jahre als Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben zuzulassen, hat dies zunächst einen steuertechnischen Aspekt. In unserem Steuerrecht gilt das Nettoprinzip. Das heißt, alle Aufwen- dungen, die zur Erzielung von Einnahmen gemacht wer- den, sind von den Erlösen abzuziehen. Nur was dann als Differenz übrig bleibt, ist zu versteuern. Aufwendungen, die der privaten Lebensführung dienen, können nicht steuerlich geltend gemacht werden. Theoretisch ist die Abgrenzung von Aufwendungen der privaten Lebens- führung und der Aufwendung zur Erzielung von Einnah- men ganz einfach. In der Praxis gibt es jedoch Grenzbe- reiche und auch Aufwendungen, die beiden Bereichen dienen. Bei den Kosten für eine Zweitwohnung handelt es sich um einen solchen Grenzbereich. Zweifelsohne ist der mit der Arbeitsaufnahme an einem anderen Ort verbun- dene Aufwand zunächst einmal Aufwand zur Erzielung von Einkünften. Allerdings ist dies nicht von Dauer. Der natürliche Verlauf ist, dass man sich in die Nähe seiner Ar- beit mit seinem Lebensmittelpunkt begibt. Wer dies nicht tut, betreibt privaten Aufwand. Der Zeitpunkt, zu dem die Betriebskosten in Kosten der privaten Lebensführung umschlagen, kann objektiv nur schwer bestimmt werden, und es ist von Fall zu Fall sicherlich anders. Deshalb war es dem Gesetzgeber erlaubt, eine allgemeine Frist von zwei Jahren durch das Jahressteuergesetz 1996 einzu- führen. Sofern Sie eine Ungleichbehandlung zwischen Arbeit- nehmern und Abgeordneten als Begründung für Ihr Än- derungsbegehren anführen, verkennen Sie die Tatsachen. Ein Abgeordneter hat im Prinzip zwei Arbeitsplätze gleichzeitig. Er ist zum einen am Parlamentssitz tätig und zum anderen im Wahlkreis. Diese zwei Arbeitsorte hat er für die Dauer seiner Wahl. Deshalb können die Lebens- sachverhalte überhaupt nicht miteinander verglichen wer- den. Dem Antrag fehlt insoweit die sachliche Grundlage, deshalb kann ihm nicht zugestimmt werden. Soweit mit der Drucksache 14/4438 die Verbesserung bei der Besteuerung von Abfindungen bei Arbeitnehmern bei Kündigung oder Gerichtsurteil angestrebt wird, ist das berechtigt. Wir hatten hierzu bereits mit unserem Entsch- ließungsantrag vom 11. Oktober 2000, 14/4285, entspre- chende Forderungen gestellt. Es gibt zwei Wege, um an dieser Stelle Gerechtigkeit herzustellen: erstens Anhebung der Freibeträge nach § 3 Nr. 9 EkStG und/oder zweitens Einbeziehung in das Ver- fahren zur Besteuerung von außerordentlichen Einkünf- ten mit dem halben Steuersatz nach 34 Abs. 3 EkStG. Diesen Weg wollten wir mit unserem Antrag zur Wie- dereinführung des halben Steuersatzes für Gewinne aus der Betriebsveräußerung und auch der selbstständigen Handelsvertreter auch bei den Arbeitnehmerabfindungen – zum Steuersenkungsergänzungsgesetz Umdruck Nr. 6 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119476 (C) (D) (A) (B) gehen. Dies sollte nicht nur für die Zukunft gelten, son- dern rückwirkend ab 1. Januar, weil es häufig nicht in der freien Bestimmung, der Betroffenen lag und liegt, wann sie ausscheiden oder einen Betrieb aufgeben. Niemand sollte in das durch den Pannenbetrieb der Koalition ent- standene Loch fallen. Wir stützten uns bei unserem Vor- schlag auf die eindeutigen Ergebnisse der Anhörung vom 25. Oktober 2000. Dies wurde leider abgelehnt und die Umsetzung bei den Handelsvertretern und Arbeitnehmer- abfindungen für später versprochen. Bis heute ist nichts erfolgt. Auch die Regelungen für die Betriebsaufgabe sind – trotz ihrer Nachbesserungsversuche – völlig unbefriedi- gend, sodass wir zum Unternehmensteuerfortentwick- lungsgesetz wieder Anträge gestellt haben. Auch diese haben Sie am Mittwoch im Finanzausschuss abgelehnt. Da der Inhalt der Anträge nicht besonders schwer zu bewältigen ist, bleibt die Gelegenheit, einen Blick auf die Steuerpolitik zu werfen. Die Kürzungen durch das Steuerentlastungsgesetz ge- rade bei den Arbeitnehmern machen die soziale Schief- lage der Steuerpolitik von Rot-Grün deutlich. Während Konzerne künftig Veräußerungsgewinne steuerfrei kas- sieren dürfen, werden Arbeitnehmer nur in geringfügigem Umfang entlastet. Dieser Tage war in der Presse zu lesen, dass allein durch die Erleichterung bei den Kapitalgesell- schaften beim Verkauf von Aventis 1 Milliarde Euro Steu- ern gespart wird. Ich empfinde es als einen Skandal, dass ausgerechnet Sozialdemokraten eine solche Schieflage produzieren. Eine solch unsoziale Regelung hätten wir einst als Union einmal leisten sollen! Welchen verbalen Krieg hätten Sie hier im Hause mit Unterstützung der Ge- werkschaften angezettelt? Aber Sozialdemokraten mei- nen, alles zu dürfen. Wenn zwei das Gleiche tun, dann ist das eben noch nicht das Gleiche. Aber: Murks bleibt Murks. Das gilt für große Teile Ihrer „Reformen“. Ich wundere mich über das Stillhalten der Gewerkschaften und der sie hier vertretenden Kolleginnen und Kollegen. Wie ungerecht Ihre Reform ist und wie unsozial sie sind, macht auch die Stellungnahme der Kirchen zur An- passung der Besteuerungsgrundlagen deutlich: Die Kirchen weisen darauf hin, dass durch das Halbeinkünf- teverfahren Personen nicht mehr nach ihrer Leistungsfä- higkeit zur Steuer herangezogen werden. Durch die 1975 unter Ihrem Kanzler Helmut Schmidt eingeführte Vollan- rechnung der Körperschaftsteuer auf die Einkommen- steuer und die damit erfolgte endgültige Versteuerung auf der personalen Ebene wurde dem Sozialstaatsprinzip vollends Rechung getragen. Nur in diesem System gibt es tatsächlich die Versteuerung nach Leistungsfähigkeit. Beim Halbanrechungsverfahren wird dieses verwischt, weil die Einkünfte aus Körperschaften nur noch zur Hälfte in den sozialen Ausgleich einbezogen werden. Die übrige Hälfte wird bei der Leistungsfähigkeit nicht berücksichtigt. Ausgerechnet Sozialdemokraten konzi- pieren ein solch kapitalfreundliches Recht. Die von der Regierung bisher durchgeführte Steuerre- form ist für den größten Teil der arbeitenden Menschen keine Steuerentlastung, sondern eine Belastung. Die Bei- spiele zeigen, dass mit dem Tarif 2005 noch nicht einmal die heimlichen Steuererhöhungen kompensiert werden. Der Kollege Rauen hat das hier mehrfach vorgerechnet. Dabei muss man berücksichtigen, dass es bei der augen- blicklichen Inflationsrate sicherlich nicht bei den im Bei- spiel unterstellten Lohnerhöhungen von 2,5 Prozent blei- ben wird. Der moderne „Brotpreis“, nämlich die Preise für Benzin und Energie, treibt die Inflationsrate nach oben. Wir liegen gegenwärtig bei 2,5 Prozent. Da wären Lohnerhöhungen von 2,5 Prozent gerade der Inflations- ausgleich. Ich kann mir kaum vorstellen, dass sich die Ge- werkschaften damit begnügen werden. Ankündigungen in dieser Richtung gibt es ja schon reichlich. Dementspre- chend wird die Lohn- und Preisentwicklung noch stärker angeheizt und es bleibt nach der kalten Progression für den Arbeitnehmer nichts mehr übrig. Ich will in diesem Zusammenhang noch einmal ver- deutlichen, dass die von der Koalition vorgelegten Vor- stellungen im Wesentlichen Menschen mit höherem Ein- kommen und die großen Kapitalgesellschaften entlasten. Handwerkern, Facharbeitern und insbesondere dem Mit- telstand haben Ihre Vorstellungen wenig Entlastung ge- bracht. Der Mittelstand wurde zunächst einmal belastet und seine Entlastung tritt dann am Sankt-Nimmerleins- Tag oder im Jahre 2005 ein. Die wenigen Verbesserungen, die noch lange keine gute Reform ausmachen, sind aus- schließlich unserem harten Widerstand im Bundestag zu verdanken. Wir haben uns bei Gegenfinanzierungsmaß- nahmen immer um einen Gleichschritt mit den Entlas- tungsmaßnahmen bemüht. Davon kann hier keine Rede sein: Belastungen ab 1. Januar 2000 und Entlastungen ab 2005. Das ist der Unterschied zwischen der Koalitionspo- litik und einer Telefonzelle: Bei der Telekom müssen Sie erst bezahlen und können dann wählen. Bei Schröder wählen Sie erst und bezahlen dann. Auch das Märchen von der Mittelstandsentlastung erweist sich als solches. Im Rahmen der verschie- denen Steuergesetze wird die Mittelstandsentlastung mit 29,8 Milliarden DM bezeichnet. Allerdings kommen erst die Belastungen und dann 2005 die Entlastungen. In der Großen Anfrage, Drucksache 14/4603, bestätigen sie, dass bis jetzt allenfalls eine Entlastung von 4,5 Milliarden DM erfolgte. Dies wird auch bei den Abschreibungen deutlich. Der Mittelstand schreibt überwiegend nach den Allgemeinen Tabellen ab, diese wurden zum 1. Januar 2001 verändert – verschlechtert. Als nun die Branchentabellen, nach denen überwiegend die großen Gesellschaften abschreiben, geändert werden sollten, wird das Verfahren ausgesetzt. Eine erhebliche Benachteiligung des Mittelstandes durch eine massive Wettbewerbsverzerrung. Sie sind und bleiben die Koalition der Steuererhöhun- gen. Ein Blick auf die Steuerquote macht dies deutlich. Sie betrug 1982 24,9 Prozent, 1993 24,4 Prozent, 1998 22,0 Prozent und wird voraussichtlich 1999 22,85 Pro- zent, 2000 22,98 Prozent und 2001 23 Prozent betragen. Also ein Anstieg. Dies wird auch nicht durch die infolge der Ökosteuer gesunkenen Rentenbeiträge wettgemacht. Auch wenn Sie mit Ihrer ständig wiederholten Floskel, es handle sich um die größte Steuerreform in der Ge- schichte Deutschlands, den Menschen etwas anderes weismachen wollen: Die Fakten sind andere. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19477 (C) (D) (A) (B) Ihre Politik senkt die Binnenkaufkraft. Die Ökosteuer brachte im Jahr 2000 zusätzlich 7,8 Milliarden DM mehr in die Steuerkassen. In dieser Höhe haben sie die Mehr- leistungen an die Rentenversicherung in der Antwort auf die Kleine Anfrage, Drucksache 14/4410, bezeichnet. Das hätte rechnerisch zu einer Absenkung der Rentenversi- cherungsbeiträge um 0,5 Beitragspunkte reichen müssen. Gesenkt haben sie aber nur 0,2, das heißt, Sie haben 3,32 Milliarden DM zurückgegeben und 7,8 Mil- liarden DM eingenommen. Also unter dem Strich 4,4 Mil- liarden DM abkassiert. Alles andere ist Augenwischerei. Sie haben den Eindruck erzeugt, dass durch Rasen für die Rente etwas Gutes für die Rentenversicherung getan wird. Sie haben den Eindruck erzeugt, die Ökosteuer würde 1 : 1 zur Beitragssenkung eingesetzt, deshalb belaste sie die Menschen nicht. Im Gegenteil, Sie haben sogar von einer doppelten Dividende gesprochen. Das ist angesichts der Fakten ein Betrug der Menschen. Sie setzen weniger als die Hälfte zur Beitragssenkung ein. Ich nenne das mo- derne Wegelagerei an der Tankstelle, beim Heizöl und beim Strom. Dies hat Finanzminister Eichel auch in der Regie- rungsbefragung vom 20. Juni 2001 bestätigt, indem er einräumte, dass eigentlich eine Erhöhung des Rentenbei- trages um 0,2 oder 0,3 Punkte notwendig gewesen wäre, und dass deshalb die Ökosteuer nur ausgereicht habe, um eine geringere Erhöhung zu machen. Damit ist klar, dass eben das gerade nicht 1 : 1 wieder zurückgegeben worden ist. Dies ist der falsche Weg. Diesen Kurs wollen Sie mit der Erhöhung der Tabak- und Versicherungsteuer weiter vorantreiben. „Nachdem Sie die Richtung endgültig ver- loren hatten, verdoppelten sie ihre Anstrengungen“ fällt mir dazu nur ein. Es ist überhaupt nicht einzusehen, dass einzelne Gruppen zur Finanzierung dieses gesellschafts- politischen Problems herangezogen werden. Richtiger wäre es, durch Umschichtungen im Haushalt die erfor- derlichen Mittel freizumachen. Man darf das Ziel der langfristigen Senkung der Staatsquote nicht aus dem Auge verlieren. Dies ist wieder einmal ein Schritt in die falsche Richtung. Ebenso wenig wie man dem Energieverbrauch faktisch ausweichen kann, gibt es praktisch keine Möglichkeit, der Tabak- und Versicherungsteuer auszuweichen. Verträge sind geschlossen und in der Regel nur langfristig änder- bar. Auch können Raucher ihr Verhalten ohne psychische Folgen kaum kurzfristig abändern. Deshalb wird die für die Terrorismusbekämpfung geplante Steuererhöhung di- rekt die Konsumkraft beeinträchtigen. Wie bei der Öko- steuer muss für dieselbe Leistung mehr Geld aufgewandt werden. Da die Verbraucher nicht über zusätzliche Einanhmen verfügen, wird dieses zulasten anderer Aus- gaben gehen. Dies wiederum wird direkte Folgen für die Konjunktur haben. Im Verbund mit der gegenwärtig lau- fenden Benzinpreiserhöhung wird sich diese Entwicklung noch verstärken. Der private Verbrauch als wichtiger Fak- tor für die Konjunktur wird durch den Staat erneut belas- tet und damit wird ein negatives Konjunktursignal ge- setzt. Bei dieser Gelegenheit wollen Sie sich auch noch eine „Sparkasse“ schaffen. Der Eichel will sich wie ein Eich- hörnchen einen „Wahlvorrat“ anlegen, aus dem dann Wahlgeschenke oder Maßnahmen zur Ankurbelung der Konjunktur „wahlwerbewirksam“ finanziert werden sol- len. Sie weisen wegen angeblicher Verhaltensänderungen die durch die Erhöhung der Tabaksteuer zu erwartenden Einnahmen viel zu niedrig aus. Sie rechnen sich künstlich arm, weil sich in der Vergangenheit gezeigt hat, das sich dieses Verhalten nach einer gewissen Zeit wieder aus- gleicht. Es werden 5,6 Milliarden DM Mehreinnahmen statt der ausgewiesenen 3 Milliarden DM. Am Beispiel der Ökosteuer wird die Politikmethode der rot-grünen Bundesregierung und ihres Kanzlers be- sonders deutlich. Nimm dir ein sympathisches Thema: „Ich tue etwas für die Umwelt und die Rente.“ Vergiss deine Versprechen von gestern: „6 Pfennig sind genug, es bleibt bei der nettolohnbezogenen Rente, weitere Stufen der Ökosteuer gibt es nur im Rahmen der Europäischen Union.“ Gib einigen Menschen ein kleines Stück, zum Beispiel die Senkung der Lohnnebenkosten, gib ihnen das Gefühl, etwas für die Umwelt zu tun. Nimm vielen gleichzeitig ein Mehrfaches von dem, was du gegeben hast, unter einer anderen Überschrift, damit die Menschen nichts merken, zum Beispiel Steuersenkung und Er- höhung der Bemessungsgrundlage. Das ist „linke Ta- sche“, „rechte Tasche“. Auf der einen Seite gibt der Bundesfinanzminister mit dem Steuersenkungs- und dem Steuersenkungsergän- zungsgesetz, der Erhöhung der Kilometerpauschale und Heizkostenzuschüsse und auf der anderen Seite nimmt er ein Vielfaches davon über Abschreibungen und Ökosteuer wieder weg. Aus der linken Tasche nimmt er mehr als das, was er vorher in die rechte Tasche hineingetan hat. Ich nenne das „Eicheln“. Unter dem Strich macht der Staat immer ein gutes Geschäft dabei. Dieses „Eicheln“ scheint sich zu einer Regierungsmethode zu entwickeln. Ganz nebenbei wird der Staatskuchen immer größer, was ja auch sozialistischer Ideologie entspricht. Im Ergebnis bedeutet dies immer mehr Bevormundung der Menschen, weil sie anstelle der eigenen Entscheidung sich mit der kollektiven Wertschätzung abfinden müssen. Dazu wächst die Bürokratie, weil natürlich für die Verteilung auch Auf- wand entsteht. Für den Bürger bedeutet das im Endeffekt weniger Entscheidungsfreiheit und damit auch weniger Verantwortung; für mich heißt das Entmündigung und für die Verteilungskosten geht immer mehr von der Substanz verloren. Wenn durch die Ökosteuer rund 5 Milliarden DM ein- genommen und 3,2 Milliarden allein für die Wiedergut- machung von sozialen Folgen in Form von Kilometer- pauschale und Heizkostenpauschale ausgegeben werden, dann wird der Unsinn hier besonders deutlich. Wer misst eigentlich die Bürokratiekosten? Wenn man hier einmal ehrlich wäre, müsste man feststellen, dass sich die Öko- steuer aus der Sicht des Fiskus als Nullsummenspiel er- weist. Dafür werden die Bürger mit viel Ärger überzogen und es gibt Verzerrungen, weil die Reparaturmaßnahmen natürlich nicht unbedingt bei denen ankommen, die be- lastet werden. Trotz aller Bürokratie wird dies nie richtig möglich sein. Deshalb: Sinnvoll ist nur, den Unsinn mit Stumpf und Stiel auszurotten und die Ökosteuer abzu- schaffen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119478 (C) (D) (A) (B) Ein anderes Beispiel für die Regierungsmethoden: Ver- sprich den Menschen etwas und lass es andere bezahlen. Ein beredtes Beispiel für diese Politik ist das Kindergeld. Es wird zu zwei Dritteln von Ländern und Gemeinden fi- nanziert, während sich der Bund als „Spender“ abfeiern lässt. Das nenne ich „Schrödern“. Zum Schrödern gehört auch, den Menschen etwas wegzunehmen und sich dafür noch als Held abfeiern zu lassen. Den Bürgern wird ange- droht, ihnen etwas zu nehmen, was sie nicht entbehren wollen oder notwendig brauchen, wie zum Beispiel im Rahmen der Steuerreform bei den Abschreibungen. Wenn der Widerstand dann groß wird, stellt sich der Kanzler hin, nimmt ein kleines Stück davon zurück und lässt sich dafür feiern. Die Verbände reden nur über das Zurückgenom- mene, weil sie ja ihre Leistung gegenüber ihrer Mitglied- schaft rechtfertigen müssen. Im Ergebnis merken die Menschen aber gar nicht, dass unter dem Strich ihnen durch die Regierung etwas genommen ist. Symbolhaft: Durch ein Kabinettsmitglied lässt der Kanzler androhen: Wir hauen euch den Arm ab. – Der Kanzler sorgt dann dafür, dass es nur die Hand ist. Die Menschen meinen, weil sie den Arm behalten haben, sei ihnen etwas Gutes geschehen, und übersehen dabei, dass am Ende die Hand fehlt. Langsam, aber sicher verstehen die Bürger Ihre Me- thode und kommen Ihnen auf die Schliche. Ihre Politik besteht aus „Schrödern“ und „Eicheln“. Aber sie dient nicht den Menschen. Die Früchte Ihrer falschen Politik können Sie jetzt am Arbeitsmarkt ernten. Wir haben nun 3,73 Millionen Ar- beitslose. Die normalerweise übliche Herbstbelebung bleibt aus. Die saisonbereinigte Arbeitslosenquote stieg im Oktober auf 9,5 Prozent. Dies können Sie nun nicht auf die Folgen der Ereignisse vom 11. September 2001 abschieben. Die Bundesanstalt für Arbeit hat laut „Frank- furter Allgemeine Zeitung“ vom 7. November 2001 deut- lich gemacht, dass der Arbeitsmarkt kaum vom Terror be- lastet sei. Wenn der Aufschwung im Wahljahr ein Aufschwung des kommenden Kanzlers Schröders war, dann hat der Abschwung auch einen Namen: Gerhard Schröder. Wer wirklich etwas für die Menschen tun will, der muss für eine bessere Konjunktur sorgen. Dazu wäre eine richtige Steuerreform notwendig. Nur das hilft auch den Arbeitnehmern nachhaltig. Teilanträge wie die Vor- schläge der PDS tun dies nicht, deshalb lehnen wir diese Anträge ab. An die Koalition richten wir den Appell: Tun Sie endlich etwas, sorgen Sie dafür, dass die „ruhige Hand“ des Kanzlers sich endlich bewegt und richtige Maßnahmen vorschlägt. Sie brauchen sich nur an unseren Anträgen zu orientieren, die Sie heute und morgen ableh- nen. Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich teile nicht die Ansicht der PDS, dass die Freibeträge für Abfindungen generell erhöht werden sollten. Freibeträge sind steuerliche Subventionen und müssen inhaltlich ge- rechtfertigt und angemessen sein. Der derzeitige Freibe- trag beträgt grundsätzlich 16 000 DM. Für ältere Arbeit- nehmer mit langjähriger Betriebszugehörigkeit gelten darüber hinaus noch höhere Freibeträge, so dass bis zu 24 000 DM steuerfrei bleiben können. Außerdem haben wir im Steuerentlastungsgesetz die Fünftelungsregelung eingeführt. Damit wird auch bei Abfindungen, die diese Freibeträge übersteigen, die Steuerprogression nicht übermäßig stark wirksam. Auch das sind Subventionen, aber maßvolle und des- halb gerechtfertigt. Denn letztendlich sollen Abfindungen ja einen Zweck erfüllen. Sie entschädigen den Arbeitneh- mer für den Verzicht auf Zukunftseinkommen, das ja we- sentlich auf seinem im Laufe der Betriebszugehörigkeit angesammelten Wissen und seinen Erfahrungen beruht. Es ist deshalb durchaus gerechtfertigt, ja sogar notwendig, Abfindungen günstiger zu besteuern als andere Einkünfte. Bei den älteren Arbeitnehmern kommt aber noch ein Argument hinzu: Für sie ist die Abfindung nicht nur eine Entschädigung für entgangenes Einkommen, sondern sie finanziert häufig den Einkommensausfall bis zum Über- gang in die Rente, ist also eine Altersvorsorge. Aus die- sem Grunde sollten Abfindungen, die der Altersvorsorge dienen, zukünftig stärker steuerlich begünstigt werden. Für die Inhaber von kleinen und mittelständischen Un- ternehmen haben wir im Steuersenkungsgesetz den Frei- betrag für Gewinne aus Betriebsveräußerung und -auf- gabe von bisher 60 000 DM auf jetzt 100 000 DM erhöht. Auch diese steuerliche Begünstigung von Veräußerungs- gewinnen soll einer besseren Altersvorsorge – hier des be- troffenen Unternehmers – dienen. Schon aus Gründen der Gleichbehandlung darf diese Begünstigung aber nicht auf Unternehmer beschränkt bleiben. Vielmehr muss eine vergleichbare Steuerbegünstigung auch für Arbeitnehmer geregelt werden. Die Fraktionen des Bündnisses 90/Die Grünen setzt sich deshalb schon seit dem letzten Jahr dafür ein, dass auch für Arbeitnehmer ab dem 55. Lebensjahr oder bei Berufsunfähigkeit einmal im Leben ein erhöhter Freibe- trag auf Abfindungen gewährt wird. Ich habe bislang eine Freibetragshöhe von 100 000 DM in die Debatte einge- bracht. Grundsätzlich sollte die steuerliche Behandlung von Abfindungen sobald wie möglich neu geregelt werden. Das ist zwischen den Koalitionsfraktionen unstrittig und das haben wir übereinstimmend im Ausschuss erklärt. Al- lerdings wird eine Neuregelung der Abfindungen sicher- lich nicht billig. Gerade vor dem Hintergrund der morgi- gen Steuerschätzung müssen wir genau prüfen, was die öffentlichen Haushalte insbesondere im nächsten Jahr noch an Steuerausfällen verkraften können, bevor hier eine positive Entscheidung fallen kann. Unsere Arbeitswelt fordert in immer höherem Maße den flexiblen und mobilen Arbeitnehmer. Das ist eine ganz unbestreitbare Tatsache. Das Steuerrecht muss dem natürlich Rechnung tragen. Und das tut es auch. Die Kos- ten der Mobilität können als Werbungskosten steuerlich geltend gemacht werden: zum einen über die Entfer- nungspauschale, zum anderen über die auf zwei Jahre begrenzte steuerliche Anerkennung von doppelter Haus- haltsführung und konsequenterweise über die steuerliche Anerkennung von arbeitsplatzbedingten Umzugskosten. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19479 (C) (D) (A) (B) Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat im August dieses Jahres die Ergebnisse ei- ner Studie der Universität Mainz zum Thema Mobilität vorgelegt. Eine wichtige Erkenntnis aus der Studie über- rascht nun sicherlich nicht übermäßig, andererseits wis- sen wir es nun auch wissenschaftlich abgesichert: Die meisten mobilen Lebensformen gibt es nur deshalb, weil eine ganz bestimmte Form von Mobilität, nämlich ein Umzug, vermieden werden soll. Man entscheidet sich also bewusst für eine bestimmte Form, mobil zu sein. Und das ist richtig so, denn natürlich soll jeder und jede selbst entscheiden können, wo und wie er oder sie wohnen und arbeiten will. Aber, ab einem bestimmten Punkt ist diese Entscheidung dann Privatsache und es ist nicht mehr ge- rechtfertigt, die Kosten dieser privaten Entscheidung der Allgemeinheit aufzubürden. Meiner Ansicht nach sind zwei Jahre hinreichend lang, um sich für einen neuen Wohnort zu entscheiden. Dass ein doppelter Haushalt da- nach nur noch als Privatangelegenheit angesehen wird, ist absolut gerechtfertigt. Ich lehne es deshalb ab, diese Be- fristung wieder aufzuheben. Gerhard Schüßler (FDP): Die von der PDS einge- brachten Gesetzentwürfe enthalten Anliegen, über die man durchaus diskutieren kann. Das gilt insbesondere für die Begrenzung der Anerkennung der Kosten für die dop- pelte Haushaltsführung. Diese Befristung hat im Jahre 1995 die SPD im Vermittlungsverfahren zum Jahressteu- ergesetz 1996 durchgesetzt. In einer Zeit, in der immer mehr Mobilität gefordert wird, ist die Beschränkung der Mobilitätskosten beim Werbungskostenabzug eigentlich widersinnig. Auf der anderen Seite ist das Argument nicht von der Hand zu weisen, dass eine länger als zwei Jahre dauernde doppelte Haushaltsführung auch privat veran- lasst ist. Nach geltendem Recht dürfen gemischt veran- lasste Kosten in diesem Fall nicht als Werbungskosten ab- gezogen werden. Die FDP wird sich bei diesem Gesetz enthalten. Wir sind der Auffassung, dass privat und beruflich veranlasste Kosten aufzuteilen sind. Der beruflich veranlasste Teil sollte abzugsfähig sein. Das gilt auch für die doppelte Haushaltsführung. Ablehnen werden wir den zweiten Gesetzentwurf der PDS. Zwar ist auch hier die Begründung nachvollziehbar. Die Ausweitung der Steuerfreiheit für Abfindungen und Übergangsgelder passt allerdings nicht zu einer durch- greifenden Steuerreform mit niedrigen Tarifen und mög- lichst keinen Sondertatbeständen, wie sie der FDP vor- schwebt. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zum Entwurf eines Gesetzes über die Aufhebung des Gesetzes zur Förderung der Rationalisie- rung im Steinkohlenbergbau (Zusatztagesord- nungspunkt 9) Norbert Formanski (SPD):Anfang der 60er-Jahre er- wies es sich als notwendig, den deutschen Steinkohlen- bergbau an die grundlegend veränderte energiewirtschaft- liche Situation anzupassen und hierfür unterstützende staatliche Regelungen zu ergreifen. Sie zielten darauf ab, die Bemühungen des Bergbaus um eine verbesserte Pro- duktivität und um geringere Kosten zu fördern, durch Ka- pazitätsanpassungen die Förderung zu drosseln und durch Zusammenschlüsse wirtschaftlicher arbeitenden Schacht- anlagen zu schaffen. Das Gesetz zur Förderung der Rationalisierung im Steinkohlenbergbau schuf daher zum 1. September 1963 den Rationalisierungsverband des Steinkohlenbergbaus, RatV, als bundesunmittelbare Körperschaft des öf- fentlichen Rechts und übertrug ihm im Wesentlichen Finanzierungsaufgaben. Mitglieder des Rationalisierungsverbandes mussten damals alle Gesellschaften werden, die zum Zeitpunkt der Errichtung des Verbandes mindestens ein Steinkohlen- bergwerk – mit einer verwertbaren Förderung von 100 000 Tonnen pro Jahr – betrieben. Mit der Stilllegung von Zechen und der Bildung von bergbaulichen Großein- heiten in allen Revieren ging jedoch die Zahl der Mit- glieder fortlaufend – bis auf fünf Gesellschaften Ende 2000, von denen lediglich zwei noch Schachtanlagen be- trieben – zurück. Der Rationalisierungsverband kann mithin als eine frühe Antwort auf die strukturellen und finanziellen Pro- bleme des heimischen Steinkohlenbergbaus verstanden werden, indem er dank öffentlicher Körperschaft die Fi- nanzierung privater Investitionen in einem wichtigen Sek- tor der Gesamtwirtschaft ermöglichte. Nach einer Zeit von rund 38 Jahren hat sich nicht nur die gesellschaftsrechtliche Situation des Steinkohlenberg- baus durch die Zusammenfassung aller deutschen Zechen in der Deutschen Steinkohle AG, DSK, geändert, auch die Finanzmarktverhältnisse sowie die strategische ener- giewirtschaftliche Lage machen es nicht länger erforder- lich, ein Sonderfinanzierungsinstitut aufrechtzuerhalten. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist somit die logische Konsequenz aus der faktischen Entwicklung. Der Rationalisierungsverband des Steinkohlenbergbaus hat seine Tätigkeit zum 31. Dezember 2000 eingestellt. Der Rechnungsabschluss des Verbandes fand den un- eingeschränkten Bestätigungsvermerk einer Wirtschafts- prüfungsgesellschaft. Der Verwaltungsrat und die Ver- bandsversammlung haben dem Vorstand Entlastung erteilt. Der Rationalisierungsverband des deutschen Steinkohlenbergbaus besteht somit seit dem 31. Dezem- ber 2000 nicht mehr. Über diese Fakten kann nicht ernsthaft kontrovers disku- tiert werden, da das Gesetz nur den Ist-Zustand nachvoll- zieht. Es hat keine Auswirkungen auf die gegenwärtige und zukünftige Kohlepolitik. Sollte sich die Opposition jedoch Sorgen über den Fortgang der Rationalisierung im Bergbau machen, kann ich Ihnen versichern: Diese Sorgen sind un- berechtigt. Der deutsche Steinkohlenbergbau arbeitet auf High-Tech-Niveau und wird es auch zukünftig weiter unter dem Dach der DSK tun. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119480 (C) (D) (A) (B) Sollte es Ihnen darüber hinaus generell um die Zukunft des Steinkohlenbergbaus gehen, kann ich auch hier Ihre Sorgen entkräften. Die SPD-Bundestagfraktion hat im Juli 2001 in einem Entschließungsantrag klar Position für die deutsche Steinkohle bezogen. Der Antrag ist ein klares Signal nach Brüssel, um in der Diskussion über die Nach- folge des EGKS-Vertrages, der am 23. Juli 2002 ausläuft, die deutsche Position zu markieren. Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt die Auffas- sung der Bundesregierung, dass ein nationales Steinkohlenkonzept erforderlich ist. Sie unterstützt in diesem Zusammenhang auch die Forderung der Bun- desregierung gegenüber der Europäischen Kommission nach einem nationalen Energiesockel, in eigener na- tionaler Zuständigkeit. Der deutsche Steinkohlenbergbau ist als wichtiger Be- standteil des Energiemixes zu erhalten und die rechtlichen und finanziellen Grundlagen für ein nationales Stein- kohlenkonzept sind zu schaffen. Drei weitere Kernforderungen müssen erfüllt werden: Die nationale Kohlevereinbarung zum sozialverträg- lichen Abbau der Steinkohlenförderung bis 2005 muss gesichert sein. Aus Gründen der langfristigen Planungs- sicherheit muss die Fortführung dieser Vereinbarung bis 2015 ermöglicht werden. Das Fördervolumen muss auch über diesen Zeitraum hinaus einen lebens- und leistungs- fähigen Steinkohlenbergbau in Deutschland sowie den Zugang zu den heimischen Lagerstätten gewährleisten. Als Bergmann und Gewerkschafter sind für mich zwei weitere Punkte unverzichtbar: Erstens. Die uneingeschränkte Sozialverträglichkeit der Anpassung bleibt unverzichtbar. Betriebsbedingte Kündigungen darf es im Steinkohlenbergbau auch zu- künftig nicht geben. Trotz der Nutzung innovativer per- sonalpolitischer Instrumente bleibt die Anpassungsgeld- regelung unverzichtbar. Sie muss deshalb verlängert werden. Ein lebens- und leistungsfähiger Bergbau erfordert, dass die Belegschaftsentwicklung der DSK wieder ein ausgewogenes Maß findet. Der ausschließlich haushalts- politisch erzwungene Vorrang des Personalabbaus vor einer langfristigen Belegschaftsentwicklung hat zu einem wachsenden Know-how-Verlust und zur Ausdünnung in den jüngeren Jahrgängen geführt. Zu den erforderlichen Maßnahmen gehört deshalb nicht nur die Einstellung und Übernahme von Auszubildenden für Untertage-Berufe, sondern auch die Neueinstellung junger Facharbeiter. Nur dann können die Voraussetzungen für einen langfristig lebens- und leistungsfähigen Bergbau geschaffen werden. Auf dem Kongress der IGBCE am 24. Oktober 2001 in Frankfurt hat unser Bundeskanzler Gerhard Schröder den Bergleuten noch einmal ausdrücklich versichert, dass der deutsche Steinkohlenbergbau, auch vor dem Hintergrund des 11. September, für die Versorgungssicherheit in unse- rem Land unverzichtbar ist. Bei der Nachfolge des EGKS-Vertrages geht es nun darum, der heimischen Steinkohle ihren Platz in der Ener- gieversorgung zu sichern. Sie ist als heimischer Ener- gieträger angesichts unserer weitreichenden Importab- hängigkeit, aber auch als Kern der bergbau- und maschi- nenbautechnischen Industrie unverzichtbar. Sie steht aus geologischen Gründen außerhalb des Wettbewerbs und ist deshalb auch weiterhin auf staatliche Subventionen ange- wiesen. Wir bringen diese Subventionen weiterhin auf, weil die Entscheidung über den Primärenergieträger-Mix – bei der Kernenergie wie bei den erneuerbaren Energien und ebenso bei der Steinkohle – weiterhin unserer politischen Verantwortung unterliegt. Wir können diese Entschei- dung weder dem Wettbewerb anheim stellen, noch an die Europäische Kommission delegieren. Der bisherige Vorschlag der EU-Kommission für eine Verordnung des Rates über staatliche Beihilfen für den Steinkohlenbergbau beinhaltet noch viele Ungereimthei- ten und muss nachgebessert werden. Positiv ist sicherlich, dass die EU-Kommission einen Sockel heimischer Primärenergieträger als „strategisches Instrument ... zur Sicherung der Energieversorgung“ zulassen will. Durch die Bezugsgröße Produktionseinheit müssten die Kosten und Beihilfen für jede Schachtanlage allerdings differen- ziert ausgewiesen werden und die EU-Kommission könnte sich vorbehalten, über die Verwendung der Beihil- fen pro Schachtanlage zu entscheiden. Der geforderte Stilllegungsplan ist nicht akzeptabel, besser wäre die Dis- kussion über die Fördermenge und daraus abgeleitet dann der Beschluss über stillzulegende Bergwerke, wobei so- ziale und regionale Belange natürlich berücksichtigt wer- den müssen. Der geforderte „kontinuierliche und nennenswerte Ab- bau“ der Beihilfen für die laufende Förderung und die Auslaufbergwerke ist ein klarer Widerspruch zum lang- fristigen nationalen Energiesockel in der eigenen Ent- scheidungskompetenz der EU-Mitgliedstaaten. Bis spätestens 31. Dezember 2006 will die Kommis- sion zusätzlich einen Bericht über die Erfahrungen mit dieser Verordnung vorlegen. Aufgrund dieses Berichtes und unter Berücksichtigung der Entwicklung der erneuer- baren Energieträger soll dann der Anteil der Kohle am Sockel der heimischen Energieträger bestimmt werden. Hier wird ein künstlicher Konflikt zwischen Kohle und erneuerbaren Energieträgern konstruiert und in unzulässi- ger Weise in die nationalen Zuständigkeiten der Mit- gliedsländer eingegriffen. Gestützt auf das Wort des Bundeskanzlers und den Ent- schließungsantrag der SPD-Bundestagsfraktion können die Beschäftigten des Steinkohlenbergbaus den anstehen- den Verhandlungen mit der EU-Kommission mit Opti- mismus entgegensehen. Wolfgang Weiermann (SPD): Der Rationalisie- rungsverband wurde am 1. September 1963 durch das Gesetz zur Förderung der Rationalisierung im Steinkoh- lenbergbau als bundesunmittelbare Körperschaft des öf- fentlichen Rechts errichtet. Zum Zeitpunkt seiner Errich- tung zählte er 39 Mitglieder; seine Tätigkeit wurde wiederholt verlängert, zuletzt durch das sechste Ände- rungsgesetz vom 15. Dezember 1995. Ende des Jahres Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19481 (C) (D) (A) (B) 2000 waren nur noch zwei Bergbauunternehmen unter dem Dach der RAG AG aktiv. Der Rationalisierungsverband hatte den gesetzlichen Auftrag, durch Bewährung von Darlehen und Bürgschaf- ten an seine Mitglieder die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Steinkohlenbergbaus zu steigern, seine Pro- duktionsseinrichtungen und Produktionsverfahren zu ver- bessern, zur Anpassung der Absatzmöglichkeiten beizu- tragen und dazu Rationalisierungsinvestitionen finanziell zu sichern. Die vom Rationalisierungsverband durchgeführten Maßnahmen beinhalteten die Finanzierung der Rationali- sierungsinvestitionen im Umfang von 3,4 Milliarden DM, von Lagerbeständen an Steinkohle und Koks mit 1,3 Mil- liarden DM, die Finanzierung der nationalen Steinkoh- lenreserve mit 1,4 Milliarden DM und die Mobilisierung der Einbringungsforderungen nach Gründung der Ruhr- kohle AG im Jahr 1968 mit l,1 Milliarden DM für die langfristige Finanzierung von Investitionen, zu denen die Bergbaugesellschaften bis 1973 verpflichtet waren. Der Geschäftsumfang des Rationalisierungsverbandes belief sich im Zeitraum seines Bestehens auf 7,2 Milli- arden DM. Seit 1995 hatten die Mitglieder des Verbandes keine neuen Kredite beantragt. Gemäß Verordnung über die Auflösung des Rationali- sierungsverbandes des Steinkohlenbergbaus vom 6. Ok- tober 2000 hat der Verband am 31. Dezember 2000 seine aktive Tätigkeit beendet und wurde zum gleichen Zeit- punkt aufgelöst. Der Vorstand hat die Abwicklung durch- geführt und zum 31. Mai 2001 abgeschlossen. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft C & L Deutsche Revision AG hat dem Rechungsabschluss zum 31. Mai 2001 und dem Jahresbericht für das Rumpf-Haushalts- jahr vom 1. Januar bis zum 31. Mai 2001 den uneinge- schränkten Bestätigungsvermerk erteilt. Verwaltungsrat und Verbandsversammlung haben den Vorstand entlastet. Damit können die Rechtsvorschriften zum Rationalisie- rungsverband des Steinkohlenbergbaus aufgehoben wer- den. Die beteiligten Bundesressorts und Länderministerien haben dem Gesetzentwurf zugestimmt. Bund, Länder und Gemeinden werden durch die Aufhebung von Rechtsvor- schriften nicht mit Kosten belastet. Auswirkungen auf Einzelpreise, das Preisniveau, insbesondere das Verbrau- cherpreisniveau, sind nicht zu erwarten. Eine Befristung des Gesetzes entfällt. Der Gesetzent- wurf ist mit dem Recht der Europäischen Union verein- bar. Ich möchte noch einmal festhalten: Es geht bei diesem Gesetzentwurf nicht um die zukünftige Kohlepolitik und es geht bei diesem Gesetzentwurf nicht um die 1997 ab- gestimmte Kohlefinanzierungsregelung, den so genann- ten Kohlekompromiss. Von der eigentlichen Entschei- dung, die mit diesem Gesetzentwurf zu treffen ist, ist die Auseinandersetzung und die Entwicklung um die Zu- kunft, das heißt die Planungssicherheit der Kohle nicht berührt. Dies sind Fragen, die im Rahmen der Gemeinschafts- regelungen der EU-Staaten zugunsten des Steinkohlen- bergbaus beantwortet werden müssten. Stichworte hierzu sind unter anderem: nationaler Energiesockel, EGKS- Nachfolgeregelungen und Referenzbergbau. Aus Gründen der Versorgungssicherheit, sofern so be- schieden, müsste eine Steinkohleförderung auch nach 2005 staatlich unterstützt werden. Ein nationalen Ver- sorgungssockel, dessen wesentlicher Bestandteil für Deutschland die einheimische Steinkohle ist, könnte durch die Mitgliedstaaten in eigener Verantwortung fest- gelegt und von einer beihilferechtlichen Kontrolle durch die Kommission freigestellt werden. Die nationale Stein- kohleförderung könnte dann bis auf das – noch zu defi- nierende – Sockelniveau zurückgeführt werden. In dem im November 2000 vorgelegten Grünbuch „Hin zu einer europäischen Strategie für Energieversor- gungssicherheit“ hat die Kommission dank der intensiven Bemühungen der Bundesregierung diese Notwendigkeit der Aufrechterhaltung eines Sockelbergbaus zur Absiche- rung gegen Import- und Preisrisiken anerkannt. Als Nachfolgeregelung zum EGKS-Vertrag, dessen völliges Auslaufen wir bedauern, hat die Kommission mit dem Vorschlag vom 25. Juli 2001 Vorschriften für die Ge- währung staatlicher Beihilfen zugunsten des Steinkohle- bergbaus empfohlen. Der Vorschlag hat eine Laufzeit bis 2010; die Anwendung der konkreten Regelungen für die Beihilfegewährung ist aber nur bis 2007 gesichert. Kri- tisch ist, dass Planungssicherheit nur bis zum Jahr 2007 besteht, weil die Regelungen für die Zeit danach erst 2007 getroffen werden sollen. Dies schafft keine sichere Per- spektive für die Steinkohleindustrie und ihre Mitarbeiter. Die deutsche Bergbauindustrie ist weltweit technisch führend in Bereich der Förder-, Umwelt-, Sicherheits- und Kraftwerktechnik. Gerade diese Kombination macht einen erheblichen Teil ihrer Stärke aus. Um diesen Standard hal- ten und verbessern zu können, ist jedoch eine einheimische Kohleförderung vonnöten. In dem schon erwähnten Grün- buch hat die EU-Kommission unter anderem auch die Not- wendigkeit zur Bewahrung und Förderung des techni- schen Know-hows im Steinkohlebergbau und damit die Notwendigkeit von Referenzbergwerken anerkannt. Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Der Gesetzentwurf ist ein Beitrag dazu, überflüssige und überholte Gesetze ab- zuschaffen. Der Rationalisierungsverband des Steinkoh- lenbergbaus wurde 1963 mit einer klaren und richtigen Zielsetzung sowie in einer entsprechend angemessenen Struktur eingerichtet. Entgegen der ursprünglichen Idee, diese Körperschaft des öffentlichen Rechts – in letzter Zeit bestand sie nur noch aus einem Mitglied – nur für kürzere Zeit einzusetzen, hat der Rationalisierungsver- band zum 31. Dezember des letzten Jahres seine unter- stützenswerte Tätigkeit auf dem Gebiet der Finanzierung von Investitionen und weiteren Maßnahmen der Bergbau- unternehmen beendet. Diese Tätigkeit wurde in den letz- ten Jahren ohnehin durch die Rückführung der Subven- tionen im deutschen Steinkohlebergbau zumindest flankiert. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt da- her dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung zu. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119482 (C) (D) (A) (B) Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Situation des deutschen Steinkohlenbergbaues ist ge- prägt von der Verringerung der Förderkapazitäten, dem Abbau der Beschäftigungszahlen und den immer geringer werdenden Subventionen. Während 1996 noch 10,4 Mil- liarden DM an öffentlichen Hilfen für die Steinkohle be- zahlt wurden, waren es 1998 nur noch 8,5 Milliarden DM. Bis 2005 werden diese Zahlungen bis 5,3 Milliarden DM weiter verringert werden. 1970 gab es noch 69 Stein- kohlebergwerke in Deutschland, heute sind noch 12 in Betrieb. Das hat einen schwierigen Strukturwandel in den Bergbauregionen zur Folge gehabt. Die betroffenen Regionen haben große Anstrengungen unternommen, andere beschäftigungspolitische Schwer- punkte zu setzen. Dieser Strukturwandel ist auch noch nicht an seinem Ende angekommen. Der Grund dafür ist bekannt: Die heimische Steinkohle ist im internationalen Wettbewerb nicht konkurrenzfähig. Steinkohle, die im Ta- gebau gewonnen wird, ist immer günstiger als die unter- tage abgebaute deutsche Steinkohle. Wir können mit Kohlepreisen von 250 DM pro Tonne nicht gegen 70 DM pro Tonne konkurrieren. Diese Tatsache führte zu dem Steinkohlekompromiss von 1997 zwischen dem Bund, den Ländern und den be- troffenen Unternehmen und Gewerkschaften. Durch ihn wurde der Weg für die Förderung der deutschen Stein- kohle bis 2005 vorgezeichnet. Damit haben sowohl die Beschäftigten als auch die Unternehmen einen verlässli- chen Plan für die nähere Zukunft in der Hand. Wir werden an diesem Kompromiss festhalten. Ein gezieltes Herun- terfahren der deutschen Steinkohleförderung verringert die eingesetzten Subventionen und lässt den betroffenen Menschen die Zeit, sich umzuorientieren. Wir werden uns auch auf der EU-Ebene dafür einsetzen, dass der Kom- promiss bis 2005 umgesetzt wird. Das Auslaufen des Eu- ropäischen Kohle- und Stahlvertrages im nächsten Jahr darf nicht dazu führen, dass die Zechen von einem Tag auf den anderen geschlossen werden und Zehntausende Men- schen auf einen Schlag arbeitslos werden. Der Abbau der Kohlesubventionen muss auf jeden Fall sozialverträglich erfolgen. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein weiterer Hin- weis auf die schwindende Bedeutung des deutschen Stein- kohlenbergbaues. Der 1963 errichtete Rationalisierungs- verband des Steinkohlenbergbaues hatte zu Beginn 39 Mitglieder und zwischenzeitlich einen Geschäftsum- fang von 7,2 Milliarden DM. Im letzten Jahr waren es nur noch zwei Bergbauunternehmen und drei Bergbau-Altge- sellschaften, die in diesem Verband organisiert waren. Seit 1995 hat kein Mitglied des Rationalisierungsverban- des mehr neue Kredite beantragt. Folgerichtig wurde der Rationalisierungsverband zum 31. Dezember 2000 aufge- löst. Der vorliegende Gesetzentwurf dient nun der Aufhe- bung der gesetzlichen Grundlagen dieses Verbandes. Es ist nun an der Zeit, den Blick nach vorne zu richten und neue Wege für die betroffenen Regionen zu ebnen. Es geht darum, den Menschen Möglichkeiten zu eröffnen, Arbeitsplätze in Zukunftsindustrien zu bekommen. Die Regionen müssen sich aus den alten Strukturen lösen und neue Wege beschreiten. Dies wurde bereits in Nord- rhein-Westfalen erfolgreich in Angriff genommen. Industriezweige wie die chemische Industrie, der Ma- schinenbau, die Nahrungsmittelindustrie, die Elektro- industrie, der Fahrzeugbau und vor allem die Umwelt- industrie rangieren längst vor der immer stärker schrumpfenden Montanindustrie. Auch der Dienstleis- tungssektor ist in NRW deutlich gewachsen und liegt mit 62,7 Prozent der Erwerbstätigen über dem Durchschnitt in Deutschland. In den vergangenen Jahren hat sich das Land NRW immer stärker zu einem internationalen Me- dienstandort entwickelt. Unter den zahlreichen Zeitungs- und Buchverlagen befindet sich mit dem Gütersloher Ber- telsmann-Konzern auch eines der weltgrößten Medienun- ternehmen. Die Grünen in NRW haben schon in den vergangenen Jahren mit der Gründungsoffensive „GO!“ die Förderung von Existenzgründungen gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen äußerst effektiv vorangetrieben. Auf Antrag der Grünen und der SPD wurde die Mittelstandsoffensive NRW, die Initiative für mehr Beschäftigung und Innova- tion, in den Landtag eingebracht und beschlossen. Eine weitere innovative Branche, die genauere Be- trachtung verdient, ist der Anlagenbau. In Deutschland werden effiziente und technisch hochwertige Anlagen hergestellt, die sich auch im Export gut behaupten. Effizi- ente Kohlekraftwerke sind für die Länder wie China, die noch lange auf Kohle setzen werden, ein begehrtes Im- portgut. Auch diese Kraftwerkstechnologien haben eine Zukunft, unabhängig davon, in welchem Maße in Deutschland Kohle abgebaut wird. Auch die erfolgreiche Förderung der erneuerbaren Energien durch die rot-grüne Bundesregierung bietet neue Möglichkeiten für den Strukturwandel. Zurzeit arbeiten 120 000 Menschen in der Erneuerbaren-Energien-Bran- che. Jedes Jahr kommen 10 000 Arbeitsplätze hinzu. Die- ser Boom wurde möglich durch die umfangreiche Förde- rung der erneuerbaren Energien. Hier ist vor allem das Erneuerbare-Energien-Gesetz zu nennen. Die festen Ein- speisevergütungen für Wind, Sonne, Wasser und Bio- masse haben zu einem Boom in den verschiedenen Bran- chen geführt und einen Innovationsschub ausgelöst. In diesen Branchen wird nicht nur der Bedarf an Anlagen in Deutschland gedeckt, sondern auch die Grundlagen für den Export von morgen gelegt. Beispielhaft für den enormen Erfolg des EEG ist das rasante Wachstum der Windenergie. Mit einer Gesamt- leistung von fast 7 000 Megawatt, Mitte 2001, hat Deutschland seinen Spitzenplatz weltweit ausgebaut. Mehr als die Hälfte des europäischen Windstroms und über ein Drittel der Weltproduktion werden in Deutsch- land erzeugt. Die Windenergie trägt mittlerweile 2,5 Pro- zent zur Stromerzeugung in Deutschland bei und hat über 30 000 Arbeitsplätze geschaffen. Ähnliche Entwicklungschancen bietet der Bereich der Bioenergien, in dem wir mit der Biomasse-Verordnung die richtigen Weichen gestellt haben. Bioenergien wie Holz, Pflanzenabfälle oder Gülle stehen in ausreichender Form zur Verfügung und sind äußerst vielseitig verwendbar. Mit Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19483 (C) (D) (A) (B) der neuen Regelung wird endlich der Investitionsstau in diesem Bereich aufgelöst; Arbeitsplätze vor allem im ländlichen Raum werden geschaffen. Dazu kommen noch das 100 000-Dächer-Programm für Photovoltaik und das Marktanreizprogramm für er- neuerbare Energien. Hier entstehen Arbeitsplätze. Die vom Strukturwandel betroffenen Regionen sind gut bera- ten, diese für Umwelt und Wirtschaft vorteilhaften Alter- nativen weiter auszubauen. Wer heute einen Schwerpunkt in dieser Branche setzt, sichert sich Arbeitsplätze auf lange Sicht. Walter Hirche (FDP): Das Gesetz hat seinen Zweck verloren und soll aufgehoben werden. Dazu kann man nur dreimal Ja sagen – in der ersten, der zweiten und der drit- ten Lesung. Die Chance, derartig überflüssig gewordene Gesetze aufzuheben, würden wir gern öfter nutzen. Rolf Kutzmutz (PDS): Mit der heutigen Debatte wird ein zweifellos wichtiges Kapitel westdeutscher Energie- und Strukturpolitik geschlossen. Allein schon die in der Gesetzesbegründung genannten, vom Rationalisierungs- verband bewegten Milliardenbeträge signalisieren seine Bedeutung für Struktur- und Regionalentwicklung, insbe- sondere in Nordrhein-Westfalen und im Saarland. Allein in den 60er-Jahren, als der Verband das Hauptinstrument einer auch sozial abgefederten Rückführung der Stein- kohleförderung war, wurden auf diesem Wege 39 Großschachtanlagen und 28 Kleinzechen mit einem jährlichen Fördervolumen von 30 Millionen Tonnen still- gelegt. Dafür flossen damals knapp 350 Millionen DM an öffentlichen Mitteln. Rund 270 000 Arbeitsplätze ver- schwanden seinerzeit durch Stilllegung und forcierte Ra- tionalisierung. In den folgenden Jahrzehnten traten andere Instru- mente zur Bewältigung der weltwirtschaftlich und tech- nologisch bedingten „Kohlenkrise“ in den Vordergrund. Strukturpolitische Erwägungen, auf die mit dem Rationa- lisierungsverband 1963 eine durchaus zeitgemäße Ant- wort gegeben wurde, spielen heute gewiss nicht mehr eine solche Rolle wie vor vier Jahrzehnten. Die energiepoliti- sche Frage von damals ist aber auch heute nach wie vor aktuell: Wie viel können und müssen uns die deutschen Steinkohlevorräte und ihre Förderung wert sein? Zwar ist Steinkohle – wegen ihrer Emissionen und zu- mindest die deutsche wegen ihrer Kosten – energiepoli- tisch nicht mehr die erste Wahl. Anders als Atomkraft- werke bleibt sie aber als Option für die kommenden Generationen unverzichtbar. Ich meine: Wir dürfen arbei- tende Kohlegruben nicht unwiederbringlich absaufen las- sen, nur weil deren Förderung anderswo zu einem Drittel des Preises zu kaufen wäre. Natürlich brauchen wir heute nicht – wie nach der ersten Energiekrise 1974 – wieder eine unter Trägerschaft eines Rationalisierungsverbandes stehende nationale Steinkohlereserve auf Halde fahren zu lassen. Aber gerade Zeiten wie die heutigen beweisen, dass die Fähigkeit zu autarker Energieversorgung lebens- wichtig bleibt. Wie viel wir aus diesen lebenden Gruben jedoch tatsächlich fördern, dass sollte in erster Linie eine finan- zielle und in zweiter eine regionalpolitische Frage sein. Auch der bloße Erhalt bestehender Förderfähigkeiten wird jedes Jahr noch Milliarden kosten. Und klar muss meines Erachtens sein, dass diese Aufgabe keine regio- nale, sondern eine nationale ist. Denn es ist eine Fähigkeit, die dem Saarland ebenso wie Baden-Württemberg zugute kommt. Dass damit in den Kohleländern auch noch Arbeitsplätze gesichert werden, wäre wichtig, aber eben nur ein Nebeneffekt, der nicht rechtfertigt, ihnen allein oder auch nur überwiegend diese finanziellen Lasten auf- zubürden. Ich glaube, unter solchen Prämissen ließe sich auch ge- genüber der EU ein neues Kapitel Kohlepolitik schreiben. Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafrechtlichen Rehabilitie- rungsgesetzes (Zusatztagesordnungspunkt 10) Hans-Joachim Hacker (SPD): Am 19. Oktober 2001 hat der Deutsche Bundestag in erster Lesung den FDP- Entwurf eines Rehabilitierungsänderungsgesetzes bera- ten. In meiner Rede bin ich bei dieser Gelegenheit aus- führlich auf die Erfordernisse eingegangen, die sich auf dem Gebiet der Wiedergutmachung von SED-Unrecht er- geben haben und die vom deutschen Gesetzgeber nach der Wiedervereinigung zu leisten waren. Hierbei habe ich so- wohl das Erreichte dargestellt – hierzu zähle ich insbe- sondere die Rehabilitierung, die den Betroffenen Ehre zurückgibt – als auch die materiellen Entschädigungsleis- tungen. Erneuern muss ich meine kritische Bewertung der Leistungen von CDU/CSU und FDP in ihrer damaligen Regierungsverantwortung. Das Gesetzgebungswerk war Stückwerk und hatte schwere Schieflagen. Erst mit dem Zweiten Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtli- cher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR im Jahre 1999 hat die rot-grüne Ko- alition die Schieflagen beseitigt und damit zentrale Wahl- versprechen der SPD gegenüber den Opferverbänden ein- gelöst. An dieser Stelle möchte ich auf eine Wiederholung der einzelnen Regelungen verzichten, da dies meiner Rede vom 19. Oktober 2001 entnommen werden kann. In meiner Stellungnahme zum FDP-Gesetzentwurf habe ich zugesagt, dass die Koalition den bestehenden Handlungsrahmen ernsthaft prüfen und dafür sorgen wird, dass eine notwendige Novellierung rechtzeitig er- folgt. Mit dem heute diskutierten Gesetzentwurf wird diese Zusage eingelöst. Nach Prüfung des Sachverhaltes kommen wir zu dem Ergebnis, dass die Antragsfrist gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 des Strafrechtlichen Rehabilitie- rungsgesetzes erneut um zwei Jahre, nunmehr bis zum 31. Dezember 2003, verlängert werden muss. Nach Rück- fragen bei den neuen Ländern steht fest, dass immer noch eine gleich bleibend hohe Zahl von Rehabilitierungsan- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119484 (C) (D) (A) (B) trägen eingeht. Wir müssen davon ausgehen, dass auch im nächsten und übernächsten Jahr mit einer nicht unbedeu- tenden Zahl von Anträgen auf Rehabilitierung zu rechnen ist. Hierbei handelt es sich um einen erheblichen Antrags- rückstau und wir wollen nicht, dass die Opfer von rechts- staatswidrigen Verfolgungsmaßnahmen wegen des Ab- laufens der bislang geltenden Antragsfrist Rechtsverlust erleiden. Das heißt, es würde nicht nur die Rehabilitierung formal unmöglich werden, sondern auch Ansprüche auf Kapitalentschädigung und Unterstützungsleistungen wür- den entfallen. Das wäre eine unvertretbare Härte für die Opfer der zweiten deutschen Diktatur. Wir sorgen mit un- serem Gesetzentwurf dafür, dass diese Folge nicht eintritt. Ich rufe an dieser Stelle auch die zuständigen Landes- behörden auf, alle Möglichkeiten zu nutzen, um in der Öf- fentlichkeit die neue Rechtslage nach Verabschiedung des Gesetzes darzustellen. Damit wollen wir erreichen, dass alle Antragsberechtigten ihre Rechte wahrnehmen. Ein gleicher Appell geht an die Opferverbände. An die Bun- desregierung, konkret an das Bundesjustizministerium, muss ich diesen Appell nicht richten; denn ich weiß, dass die Öffentlichkeitsarbeit des BMJ auf diese Problematik eingestellt ist. Im Vergleich zum Inhalt des FDP-Gesetzentwurfes muss ich feststellen, dass wir einen so weit gehenden Re- gelungsbedarf, wie ihn die FDP-Fraktion sieht, nicht se- hen, weder im Beruflichen noch im Verwaltungsrechtli- chen Rehabilitierungsgesetz. Die Regelungsmethodik dieser beiden Gesetze ist so angelegt, dass eine auffal- lende Zahl von Antragstellungen nach dem 31. Dezember 2001 nicht erwartet wird. Vielmehr gehe ich davon aus, dass Verwaltungsunrecht – oftmals in Verbindung mit Vermögenseingriffen – abgearbeitet wurde und auch die beruflichen Fördermaßnahmen nach der Wiedervereini- gung durch die Opfer politischer Verfolgung genutzt wor- den sind. Da diese Frage in der öffentlichen Diskussion bereits angesprochen wurde, will ich auf folgende Regelung ver- weisen: Das Berufliche Rehabilitierungsgesetz regelt in § 20 Abs. 2 unter Buchstabe b, dass nach Ablauf der An- tragsfrist in diesem Gesetz – 31. Dezember 2001 – der An- trag nach § 17 Abs. 1 auf Ausstellung einer Bescheinigung über das Vorliegen politischer Verfolgung bis zum 31. De- zember 2006 vom Rentenversicherungsträger gestellt werden kann, soweit dies zum Ausgleich von Nachteilen in der Rentenversicherung erforderlich ist. Auch in dieser Sache sollte seitens der Verfolgten rechtzeitig mit den Rentenversicherungsträgern Kontakt aufgenommen wer- den. Ich fordere die Mitglieder des federführenden Rechts- ausschusses sowie der mitberatenden Ausschüsse auf, die Beratungen des Gesetzentwurfes zügig durchzuführen, damit das Gesetz, wie beabsichtigt, am 1. Januar 2002 in Kraft treten kann. Hartmut Büttner (Schönebeck) (CDU/CSU): Die Lan- desbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheits- dienstes der ehemaligen DDR hatten allen Mitgliedern des Bundestages bereits im Februar diesen Jahres einen interessanten Vorschlag zugeleitet. Die fünf Landesbeauf- tragten von Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Berlin, Thüringen und Sachsen regten an, die am 31. De- zember dieses Jahres auslaufende Frist zur Antragstellung für die beiden SED-Unrechtsbereinigungsgesetze unbe- fristet zu verlängern. Als Begründung wurde genannt, dass noch breite Kreise von Berechtigten von den recht- lichen Möglichkeiten der Rehabilitierung nichts erfahren hätten. Als Beleg wurden Aktionen der Landesbeauf- tragten in Thüringen und Sachsen-Anhalt genannt, nach denen zahlreiche Personen erstmals Anträge nach Vor- Ort-Beratungen gestellt hätten. Die Landesbeauftragten waren selbst überrascht über das plötzliche zahlenmäßige Ansteigen der Antragstellungen nach den Informations- aktionen. Auch elf Jahre nach der Wiedervereinigung be- steht offensichtlich immer noch ein Beratungsbedarf und wir haben viele ehemaligen Opfer noch nicht erreichen können. Im Oktober hatten die Landesbeauftragten einen er- neuten Vorstoß unternommen, um zu einer Entfristung oder zumindest einer Fristverlängerung zu kommen. Am schnellsten haben die Kollegen der FDP darauf reagiert und uns einen Gesetzentwurf zur Verlängerung der An- tragsfristen um zwei Jahre vorgelegt. Diesen Gesetzent- wurf hatten wir in der letzten Sitzung in erster Lesung be- raten. Von der Bundesregierung und die sie tragenden Parteien war monatelang in dieser Frage gar keine Reak- tion zu vernehmen gewesen, geschweige denn ein Ge- setzentwurf vorgelegt worden. Nachdem sich meine Frak- tion für eine Verlängerung um fünf Jahre ausgesprochen hatte, habe ich mit viel Interesse die Beiträge aus der Sit- zung vom 19. Oktober des Redners der Grünen und des Redners der SPD nachgelesen. Hören konnte bekanntlich diese Reden niemand, wurden sie doch alle zu Protokoll gegeben. Der Grund hierfür verdeutlicht leider auch, welchen Stellenwert die Probleme der Opfer der SED-Diktatur mittlerweile in diesem Hohen Haus haben. Die Debatte sollte am späten Freitagnachmittag stattfinden. Der heuti- gen Debatte wird es vermutlich nicht besser ergehen: letz- ter Punkt der Tagesordnung in der Nacht von Donnerstag auf Freitag von 2 Uhr 10 bis 2 Uhr 45. Wir sollten uns gemeinsam bemühen, die zweite und dritte Lesung der Gesetzentwürfe zu einer etwas interessanteren Zeit statt- finden zu lassen. Ansonsten dokumentieren wir den SED- Opfern, dass auch der Deutsche Bundestag sie nur als lästige Übung am Rande des parlamentarischen Gesche- hens empfindet. Hans-Christian Ströbele, der Redner der Grünen, mit dem ich in den meisten politischen Fragen nicht überein- stimme, hatte diesmal sehr richtig ausgeführt, dass Opfer von Verfolgungen nicht im Takt der bundesdeutschen Bürokratie denken und handeln. Diese Menschen seien durch das Leben gezeichnet und sie hätten oft traumati- sche Erfahrungen mit dem Staat gehabt. Deshalb spreche er sich gegen zu enge Befristungen bei Entschädigungs- gesetzen von Opfern aus. Er äußerte auch die Hoffnung, sich in den Ausschussberatungen auf praktikable gemein- same Verlängerungsregelungen zu einigen. Umso enttäuschter war ich vom Debattenbeitrag des von mir ansonsten geschätzten SPD-Kollegen Hans- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19485 (C) (D) (A) (B) Joachim Hacker. Er schlug tatsächlich allen Ernstes nur eine Verlängerung der strafrechtlichen Rehabilitierung um zwei Jahre vor. Für Leistungen nach den verwal- tungsrechtlichen und beruflichen Rehabilitierungsgeset- zen sah Herr Hacker keine Verlängerungsnotwendigkeit. Herr Hacker erläuterte mit keinem Satz der Begründung solch eine gespaltene und zwiespältige Haltung. Heute liegt uns nun ein Gesetzentwurf der Koalitions- fraktionen vor. Dieser Gesetzentwurf entspricht auch nur dem unzureichenden und dürftigen Verlängerungsvor- schlag des Kollegen Hacker. Die Verlängerung allein nur für Leistungen nach dem strafrechtlichen Reha-Gesetz würde außer den direkten Haftopfern alle anderen Opfer- gruppen außer Acht lassen. Nach den Enttäuschungen der Opfer über die Weige- rung der Bundesregierung, eine Ehrenpension von mo- natlich 1 000 DM für die Haft- und Zersetzungsopfer des SED-Regimes zu zahlen, sollte man den Opfern keinen neuen Grund geben, über die Prioritätensetzung im ge- einten Deutschland zu Recht entsetzt zu sein. Deshalb kann ich nur anregen, einmal auf Berichterstatterebene zusammenzukommen, um möglichst zu einer gemeinsa- men Haltung der Bundestagsfraktionen zu kommen. Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Mit dem hier vorgelegten Gesetzentwurf beweist die Koalition, dass die Opfer der Verfolgung aus der DDR nicht befürchten müssen, dass ihr Schicksal in Vergessen- heit gerät. Insofern schließt sich diese Aussprache gut an die Diskussion vom Nachmittag zu zehn Jahren Stasi-Un- terlagen-Gesetz an. Es ist an der Zeit, diesen Gesetzentwurf einzubringen. Bundestag und Bundesrat werden jetzt zügig arbeiten müssen, um bis zum Jahresende die nötige Gesetzesände- rung herbeizuführen. Ich bin froh darüber, dass die zu Un- recht Inhaftierten über das Jahresende hinaus die Mög- lichkeit haben, ihre berechtigten Ansprüche auf Haftentschädigung anzumelden. Das gilt auch für jene, die von den russischen Behörden erst jetzt rehabilitiert werden und von daher erst jetzt oder noch später Anträge stellen können. Wenn ich zu Beginn meiner Ausführungen von „den“ Opfern des staatlichen Verfolgung in der DDR spreche, dann beschränke ich mich absichtlich nicht nur auf die Opfer strafrechtlicher Verfolgung in der früheren DDR. Nicht ohne Grund haben wir nicht nur das strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz unter dem Dach des Unrechtsbe- reinigungsgesetzes, sondern auch das Berufliche, und das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz. Wir soll- ten die anstehenden Beratungen in den Ausschüssen nut- zen, um sehr sorgfältig darüber zu beraten, ob das Ablau- fen der Antragsfristen, insbesondere des im Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes, möglicherweise Härten zur Folge hat, die wir alle nicht in Kauf nehmen wollen. Bei den Rentenregelungen im Beruflichen Rehabilitierungs- gesetz wird die Härte des Ablaufs der individuellen An- tragsfrist dadurch gemildert, dass bis 2006 die BfA von sich aus die Ansprüche der Betroffenen überprüft. An die- ser Stelle mag der Fristablauf hinnehmbar sein. Sorgen macht mir aber etwas anderes: Der § 8 des Be- ruflichen Rehabilitierungsgesetzes regelt beispielsweise auch Ausgleichsleistungen für besonders Bedürftige. Würden die Antragsfristen nach dem BerRehaG auslau- fen, könnte es passieren, dass sozial besonders Benach- teiligte Ansprüche verlieren würden. Wir müssen sorgsam prüfen, ob die HHG-Stiftung in der Lage wäre, das alles aufzufangen. Ich habe offen gestanden Zweifel, ob die Verbände der Betroffenen in den wenigen verbleibenden Wochen des zu Ende gehenden Jahres noch in der Lage sein werden, mögliche Anspruchsberechtigte noch recht- zeitig dazu zu bewegen, Anträge zu stellen. Einen ge- naueren Überblick müssen wir uns auch noch über die Personen machen, die in der Vergangenheit rehabilitiert worden sind, aber noch keinen Antrag auf Kapitalent- schädigung gestellt haben. Das sind auch jene, die schon vor Inkrafttreten der Unrechtsbereinigungsgesetze die Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 des Häftlingshilfegeset- zes erhalten, aber noch immer keinen Entschädigungsan- trag gestellt haben. Es muss aber in diesem Zusammenhang auch darauf verwiesen werden, dass der Zugang zur Stiftung für ehe- malige politische Häftlinge für alle erhalten bleibt. Es geht – um dies deutlich herauszustellen – nur um die Ka- pitalentschädigung für die erlittene Haft, nicht um fort- laufende Leistungen zum Lebensunterhalt. Beim Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz haben wir es hauptsächlich mit Enteigneten aus den Grenzbezirken zu tun, deren Verfahren bereits abge- schlossen ist. Allem Anschein nach versuchen zurzeit eine Reihe der Bodenreformopfer (1945 bis 1949) ihr Glück auf diesem Wege. Nach meiner Übersicht entstünde durch einen Fristablauf zum Jahresende keine unvertretbare Re- gelungslücke. Lassen Sie mich zum Abschluss noch Dank sagen dem für die Unrechtsbereinigung zuständigen Referatsleiter des Bundesjustizministeriums, Herrn Jürgen Lehman, der in diesen Tagen in den Ruhestand tritt. Herr Lehmann hat mit großem Engagement über Jahre hinweg dieses Rechtsgebiet geprägt und – nicht nur meiner Fraktion – immer wieder als überaus sachkundiger Berater zur Ver- fügung gestanden. Ich möchte ihm im Namen meiner Fraktion für seine Arbeit herzlich danken und für den neuen Lebensabschnitt alles Gute wünschen. Rainer Funke (FDP): Zum Gesetzentwurf der Koali- tionsfraktionen zur Änderung des strafrechtlichen Reha- bilitierungsgesetzes kann man mit den Worten Schillers sagen: „Spät kommt ihr, doch ihr kommt. Der lange Schlaf entschuldigt euer Säumen nicht.“ Mit den beiden Unrechtsbereinigungsgesetzen von 1992 und 1994 beabsichtigte der Gesetzgeber diejenigen Personen zu rehabilitieren, die in der damaligen DDR un- ter rechtsstaatswidrigen Maßnahmen gelitten haben. Dazu zählt die strafrechtliche, aber auch die verwaltungs- und berufsrechtliche Rehabilitierung. In beiden Rehabili- tierungsgesetzen ist die Antragstellung bis zum 31. De- zember 2001 befristet. Es hat sich herausgestellt, dass die möglicherweise von den Rehabilitierungsgesetzen Be- troffenen noch nicht in dem Umfang von den Möglich- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119486 (C) (D) (A) (B) keiten Gebrauch gemacht haben, die die Rehabilitie- rungsgesetze einräumen. Das mag vor allem mit der man- gelnden Aufklärung in manchen Bundesländern zusam- menhängen. Deswegen hat die FDP-Fraktion schon am 30. Mai 2001 einen Gesetzentwurf eingebracht, der eine Verlän- gerung der Antragsfrist bis zum 31. Dezember 2003 so- wohl für die strafrechtliche als auch für die verwaltungs- rechtliche Rehabilitierung vorsieht. Mit dem Entwurf der FDP-Fraktion ist man sehr sorglos umgegangen mit dem Hinweis, irgendwann käme auch ein Regierungsentwurf. Dieser kommt nun am Jahresende in großer Hast auf den letzten Drücker und dann auch nur noch in abgespeckter Form: nämlich nur bezogen auf die strafrechtliche Reha- bilitierung. Dabei ist häufig das Unrecht durch verwal- tungsrechtliches Handeln der DDR nicht geringer zu ach- ten als die strafrechtliche Verfolgung. Bei der abgespeckten Version der Koalitionsfraktionen haben die Finanzminister von Bund und Ländern die Hand geführt. Das werden die Opfer aber zu Recht nicht verstehen. Mangelnde Aufklärung, die ja zu einer Verlän- gerung der Fristen führen soll, kann nicht in strafrechtli- ches und verwaltungsrechtliches Handeln aufgespalten werden. Der Antrag der Koalitionsfraktionen ist ein schlechtes Gesetz und muss unbedingt in den Ausschus- sberatungen nachgebessert werden. Petra Pau (PDS): Die Koalitionsfraktionen legen kurz vor dem Verfall der Antragsfristen zur strafrechtlichen Rehabilitierung von Menschen, welche in der DDR Un- recht erlitten haben, einen Verlängerungsantrag vor. So- viel ich weiß, sind die Bundesländer Thüringen und Sach- sen im Bundesrat aktiv geworden. Am 19. Oktober dieses Jahres haben wir einen ähnlichen Antrag der FDP beraten. Sie alle wollen, dass die Antragsfrist verlängert wird, die SED-Opfer haben, um rehabilitiert zu werden. Das unterstütze ich grundsätzlich, weil Betroffene er- fahrungsgemäß immer in einer schwächeren Situation sind, nicht nur SED-Opfer. Außerdem würde eine solche Fristverlängerung gegen keinerlei rechtsstaatliche Prinzi- pien verstoßen. Das unterstütze ich konkret, weil ich aus zahlreichen Gesprächen weiß, dass viele Betroffene bislang nicht ein- mal wissen, dass sie rehabilitiert werden können, und was sie dafür tun müssen, womit ich bei meinem ersten Ein- wand wäre. Die Fristverlängerung wird wenig helfen, wenn sie nicht zugleich so verkündet wird, dass die Betroffenen sie auch erfahren. Ich fordere also von der Bundesregierung eine begleitende Öffentlichkeitskampagne. Eine Fristver- längerung um zwei Jahre könnte so sinnvoll und ausrei- chend sein. Zweitens erinnere ich daran, dass die PDS-Fraktion be- antragt hatte, weitere bürokratische Hürden abzubauen, etwa für politisch Verfolgte, die in DDR-Haftanstalten ge- sundheitlich Schaden nahmen, ohne dies nun mit einem amtlichen Attest und Siegel nachweisen zu können. Lei- der fanden sich dafür bislang keine parlamentarischen Mehrheiten. Auch die Nachzahlung der erhöhten Entschädigungen von Amts wegen fand bisher keine parlamentarische Mehrheit. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19487 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1419800000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gratuliere ich
den beiden Kollegen Dietrich Austermann und Klaus
Kirschner nachträglich zu ihrem 60. Geburtstag und dem
Kollegen Joachim Schmidt (Halsbrücke) zu seinem
65. Geburtstag. Ich spreche ihnen die besten Glückwün-
sche des ganzen Hauses aus.


(Beifall)

Sodann möchte ich eine neue Kollegin und einen neuen

Kollegen begrüßen. Für den Abgeordneten Dietmar
Schütz (Oldenburg), der am 31. Oktober 2001 auf seine
Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet hat,
hat die Abgeordnete Gabriele Lösekrug-Möller am
1. November 2001 die Mitgliedschaft im Deutschen Bun-
destag erworben.


(Beifall)

Als Nachfolger für den Abgeordneten Gunnar Uldall,

der am 6. November 2001 auf seine Mitgliedschaft im
Deutschen Bundestag verzichtet hat, hat der Abgeordnete
Klaus Francke, den wir schon aus früheren Wahlperio-
den kennen, am 7. November 2001 die Mitgliedschaft im
Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße die neue
Kollegin und den neuen Kollegen herzlich.


(Beifall)

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene

Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen
vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:

1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:
Anspruch des Bundeskanzlers, die Lohnnebenkosten un-
ter 40 Prozent senken zu wollen, angesichts der Wirklich-
keit steigender Beiträge (siehe 197. Sitzung)


2. a) Abgabe einer Erklärung des Bundeskanzlers: Beteiligung be-
waffneter deutscher Streitkräfte an der Bekämpfung des
internationalen Terrorismus

b) Beratung des Antrags der Bundesregierung: Einsatz bewaff-
neter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der ge-
meinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die
USA auf Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten
Nationen und des Art. 5 des Nordatlantikvertrags sowie
der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicher-
heitsrats der Vereinten Nationen – Drucksache 14/7296 –

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

3. Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Ju-
gendpolitisches Programm der Bundesregierung „Chan-
cen im Wandel“ – Drucksache 14/7275 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien


(Ergänzung zu TOP 33)


a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrach-
ten Entwurfs eines Versorgungsänderungsgesetzes 2001
– Drucksachen 14/7223, 14/7257 –

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwufs eines Gesetzes zur Änderung des Anerken-
nungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes – Druck-
sache 14/7207 –

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwufs eines Gesetzes für die Feststellung des Wirtschafts-

(ERPWirtschaftsplangesetz 2002)


Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)


19281


(C)



(D)



(A)



(B)


198. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Beginn: 9.00 Uhr

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gisela Schröter,
Eckhardt Barthel (Berlin), Hans-Werner Bertl, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abge-
ordneten Dr. Antje Vollmer, Grietje Bettin, Rita
Grießhaber, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Reform der deut-
schen Filmförderung – Drucksache 14/7178 –

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Wiesehügel, Dieter Maaß (Herne), Dr. Axel Berg, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abge-
ordneten Werner Schulz (Leipzig), Franziska Eichstädt-
Bohlig, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Zukunft
der deutschen Bauwirtschaft – Drucksache 14/7297 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.-Ing. Rainer
Jork, Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen), Thomas Rachel,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU:
Lehrstellenmangel in den neuen Bundesländern
bekämpfen – Reformen in der beruflichen Bildung vo-
rantreiben – Drucksache 14/7281 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Auschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder


(Ergänzung zu TOP 34)


a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über elektroni-
sche Register und Justizkosten für Telekommunikation

(Erste Beratung 190. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses

(6. Ausschuss) – Drucksache 14/7348 –


Berichterstattung:
Abgeordnete Alfred Hartenbach
Dr. Wolfgang Götzer
Volker Beck (Köln)

Rainer Funkte
Dr. Evelyn Kenzler

b) Beratung der Beschlussempehlung und des Berichts des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Raktorsicher-
heit (16. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregie-
rung: Verordnung zur Umsetzung des Europäischen
Abfallverzeichnisses – Drucksachen 14/7091, 14/7195
Nr. 2.1, 14/7339 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrike Mehl
Georg Girisch
Michaele Hustedt
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

6. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der PDS: Mas-
sive Mehrkosten bei den Baumaßnahmen im Parlaments-

und Regierungsviertel in Berlin sowie Verantwortung der
Bundesbaugesellschaft

7. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel,
Dr. Ditmar Staffelt, Gerd Andres, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Andrea Fischer

(Berlin), Werner Schulz (Leipzig), Kerstin Müller (Köln), wei-

terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN: Faire Wettbewerbsbedingungen für
die Werftindustrie in Mecklenburg-Vorpommern – Druck-
sache 14/7295 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

8. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Michael Luther,
Wolfgang Dehnel, dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der CDU/CSU: Instandhaltungs-
werke der Deutschen Bahn AG in Delitzsch, Chemnitz, Op-
laden und Zwickau erhalten – neue Investoren für Stendal,
Leipzig-Engelsdorf und Neustrelitz – Drucksache 14/7282 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschusss für Vekehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

9. Erste Bratung des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes über die Aufhebung des Gesetzes zur
Förderung der Rationalisierung im Steinkohlenbergbau
– Drucksache 14/7238 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung

10. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Änderung des Strafrechtlichen Rehabili-
tierungsgesetzes – Drucksache 14/7283 –

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

11. Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach
Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem
Gesetz zur Einführung des Wohnortprinzips bei Hono-
rarvereinbarungen für Ärzte und Zahnärzte – Drucksa-
chen 14/5960, 14/6410, 14/6450, 14/6699, 14/7342 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Hildegard Wester

12. Zweite und dritte Bratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung

(Erste Beratung 192. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses

(4. Ausschuss) – Drucksache 14/7354 –


Berichterstattung:
Abgeordnete Sebastian Edathy
Dr. Hans-Peter Uhl
Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke

13. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Bestimmung der Schwakungsreserve in
der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten
– Drucksache 14/7284 –

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Präsident Wolfgang Thierse

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Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft

14. Beratung des Antrags der Abgeordneten Karl-Josef Laumann,
Horst Seehofer, Brigitte Baumeister, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU: Keine systemwidrigen Ein-
griffe bei der Schwankungsreserve – Drucksache 14/7292 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Auschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft

15. Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Fördern und Fordern –
Sozialhilfe modern gestalten – Drucksache 14/7293 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

16. Beratung des Antrags der Abgeordneten Pia Maier, Dr. Klaus
Grehn, Dr. Heidi Knake-Werner, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der PDS: Eine Grundsicherung in die Arbeits-
losenversicherung einführen – Drucksache 14/7294 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

17. Beratung des Antrags der Abgeordneten Pia Maier,
Dr. Barbara Höll, Dr. Klaus Grehn, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der PDS: Die Sozialhilfe armutsfest gestalten
– Drucksache 14/7298 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit
erforderlich, abgewichen werden.

Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Ausschuss-
überweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerk-
sam:

Die in der 179. bzw. 190. Sitzung des Deutschen Bun-
destages überwiesenen nachfolgenden Gesetzentwürfe
sollen nachträglich dem Haushaltsausschuss gemäß
§ 96 GOBT überwiesen werden.

Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zur Neure-
gelung des Rechts des Naturschutzes und der
Landschaftspfelge und zur Anpassung ande-
rer Rechtsvorschriften (BNatSchGNeuRegG)

– Drucksache 14/6378 –

(Erste Beratung 179. Sitzung)

Überwiesen:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Sportausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss § 96 GO

Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neurege-
lung des Rechts des Naturschutzes und der
Landschaftspflege und zur Anpassung ande-

rer Rechtsvorschriften (BNatSchGNeuRegG)

– Drucksache 14/6878 –

(Erste Beratung 190. Sitzung)

Überwiesen:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Sportausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss § 96 GO

Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich rufe die Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf:

a) Abgabe einer Erklärung des Bundeskanzlers
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an der Bekämpfung des internationalen Terro-
rismus

b) Beratung des Antrags der Bundesregierung
Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei
der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion
auf terroristische Angriffe gegen die USA auf
Grundlage des Art. 51 der Satzung der Verein-
ten Nationen und des Art. 5 des Nordatlan-
tikvertrags sowie der Resolutionen 1368 (2001)

und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Verein-
ten Nationen
– Drucksache 14/7296 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der PDS
zur Regierungserklärung vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung
eine Stunde vorgesehen, wobei die Fraktionen der FDP
und PDS jeweils zwei Minuten zusätzliche Redezeit er-
halten sollen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es
so beschlossen.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundeskanzler, Gerhard Schröder.


Gerhard Schröder (SPD):
Rede ID: ID1419800100
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Der Deutsche Bundestag unterstützt die Bereitschaft
der Bundesregierung, den Bekundungen der unein-
geschränkten Solidarität mit den Vereinigten Staaten
konkrete Maßnahmen des Beistands folgen zu las-
sen. Dazu zählen politische und wirtschaftliche
Unterstützung sowie die Bereitstellung geeigneter

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Präsident Wolfgang Thierse

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militärischer Fähigkeiten zur Bekämpfung des inter-
nationalen Terrorismus.

Dies hat dieses Hohe Haus bereits am 19. September die-
ses Jahres mit großer Mehrheit beschlossen. Es geht jetzt
darum, die Konsequenzen aus diesem Beschluss des
Deutschen Bundestages zu ziehen.

Rufen wir uns in Erinnerung: Am 11. September 2001
haben skrupellose, kaltblütige Terroristen mit entführten
Flugzeugen Anschläge in New York und Washington ver-
übt. Diesen barbarischen Attentaten sind Tausende un-
schuldiger Menschen zum Opfer gefallen. Ich kann verste-
hen, wenn Einzelne, sogar viele Einzelne angesichts des
Grauens der Bilder, die man nicht täglich ertragen kann, zur
Verdrängung dessen neigen, was geschehen ist. Das ist
menschlich nachvollziehbar. Aber dies kann und darf nicht
die Leitlinie politischer Entscheidungen sein; denn diejeni-
gen, die politische Entscheidungen dieser Tragweite zu tref-
fen haben, können und dürfen, so sehr sie das individuell be-
dauern mögen, nicht verdrängen, sondern sie müssen immer
wieder den Gegebenheiten ins Auge schauen und die – ge-
legentlich leider – notwendigen Konsequenzen ziehen.

Das ist der Grund, warum der Sicherheitsrat der Ver-
einten Nationen schon unmittelbar nach den Anschlägen
vom 11. September die völkerrechtlich verbindliche Re-
solution 1368 einstimmig verabschiedet hat. Darin wird
festgestellt – auch das gilt es immer wieder in Erinnerung
zu rufen –, dass die Angriffe eine Bedrohung des interna-
tionalen Friedens und der Sicherheit darstellen und dass
die Folge dessen die legitimierte Inanspruchnahme des
Selbstverteidigungsrechtes nach Art. 51 der Charta der
Vereinten Nationen ist. Mir ist es im Hinblick auf die Öf-
fentlichkeit wichtig – hier im Hohen Hause weiß man das
ja –, festzustellen, dass alle Maßnahmen einschließlich
der militärischen exakt auf dieser völkerrechtlich ver-
bindlichen Basis getroffen worden sind, also durch die
Staatengemeinschaft und durch das internationale Recht
in vollem Umfang legitimiert sind.

Der NATO-Rat hat am 4. Oktober dieses Jahres erst-
malig in der Geschichte des Bündnisses den Bündnisfall
nach Art. 5 des NATO-Vertrages festgestellt. Das ist eine
Entscheidung von großer Tragweite, die uns übrigens
nicht nur formal, also nach den Buchstaben des Vertrages,
verpflichtet. Nein, ich denke, unsere Verpflichtung geht
weiter, als lediglich eine Bündnispflicht zu erfüllen. Wir
haben gemeinsam immer wieder darauf hingewiesen,
dass insbesondere die Angriffe auf New York und Wa-
shington, also die Angriffe auf die Vereinigten Staaten von
Amerika, nicht nur Angriffe auf die Werte waren, nach de-
nen sich die Amerikaner politisch konstituieren, sondern
auch Angriffe auf jene Werte, die für uns politisch konsti-
tutiv sind, nämlich die Werte des Grundgesetzes. Deshalb
geht es nicht nur um eine formale Verpflichtung, die aus
Bündnispflichten resultiert. Das ist sie auch und das ist
bereits wichtig genug. Es geht vielmehr darum: Solida-
rität darf in einem Bündnis keine Einbahnstraße sein. Wir
haben über Jahrzehnte Solidarität erfahren. Deshalb ist es
schlicht unsere Pflicht – das entspricht unserem Verständ-
nis von Selbstachtung –, wenn wir in der jetzigen Situa-
tion Bündnissolidarität zurückgeben.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


In der Öffentlichkeit sind zum Beispiel die Fragen ge-
stellt worden: Warum leistet ihr denn Solidarität? Ist denn
der Erfolg dieser Bündnisleistung gewährleistet? – Nie-
mand kann das sagen, jedenfalls nicht mit letzter Sicher-
heit. Aber was wäre das für eine Solidarität, die wir vom
Erfolg einer Maßnahme abhängig machten?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Deswegen denke ich: Wir haben uns gemeinsam, also das
gesamte Hohe Haus – ich habe eingangs aus dem ent-
sprechenden Beschluss des Bundestages zitiert –, zu un-
eingeschränkter Solidarität verpflichtet. Wir haben sie
jetzt als Konsequenz aus unseren eigenen Entscheidungen
auch zu leisten.

Vor diesem Hintergrund hat die amerikanische Regie-
rung konkrete Anfragen an uns gerichtet. Sie umfassen
die Bereitstellung von ABC-Abwehrkräften, einer Einheit
zur Evakuierung von Verletzten, von Spezialkräften der
Bundeswehr, von Lufttransportkräften zum Transport von
Personen und Material sowie von Seestreitkräften zum
Beispiel zur Kontrolle des freien Schiffsverkehrs und zum
Schutz von Schiffen mit gefährlicher Ladung. Das Bun-
deskabinett hat gestern beschlossen, dieser Bitte der Ver-
einigten Staaten zu entsprechen. Wir erfüllen damit die an
uns gerichteten Erwartungen und leisten das, was uns ob-
jektiv möglich ist und was in dieser Situation politisch
verantwortet werden kann.

Alles in allem werden an der Operation „Enduring
Freedom“ maximal 3 900 deutsche Berufs- und Zeitsol-
daten beteiligt sein. Das ist eine Obergrenze, die auf der
Basis der konkreten Anforderungen berechnet worden ist.
Ich habe in jeder öffentlichen Verlautbarung darauf hin-
gewiesen, dass man diese Zahlen nicht als exakte Zahlen
nehmen kann; diese Obergrenze ist aber festgestellt und
steht auch in dem Antrag, den die Bundesregierung dem
Deutschen Bundestag zugeleitet hat. Ein gleichzeitiger
Einsatz aller Soldaten ist nicht zu erwarten.

Das Mandat ist – nach unserer Auffassung richtiger-
weise – auf zwölf Monate begrenzt. Dies entspricht auch
den Erwartungen unserer Bündnispartner. Bei einer Ver-
längerung müsste der Deutsche Bundestag erneut befasst
werden. Mir ist wichtig, festzustellen, dass letzte Ent-
scheidungen über Einsätze in vollem Umfang bei der
Bundesregierung verbleiben. Ebenso wichtig ist mir,
festzuhalten, dass keine Absicht besteht, die militärischen
Maßnahmen auf ein anderes Land auszudehnen. Im Übri-
gen, kann es Einsätze – ich betone das – nur mit Zustim-
mung der Regierung des entsprechenden Landes geben.
Das ist die Konsequenz dessen, was wir vorschlagen.

Zunächst geht es nur um die Bereitstellung der deut-
schen Kräfte – natürlich um die Bereitstellung zu einem
Einsatz –, auch wenn der Bundestag schon jetzt um die
Zustimmung zu einem späteren Einsatzbeschluss gebeten
wird.

Bezogen auf die juristischen Bedenken, die gelegent-
lich geäußert worden sind, will ich sagen, dass das Ver-
fahren, das wir Ihnen vorschlagen, nicht neu ist. Genauso
hat der Bundestag in völligem Einklang mit der Verfas-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Bundeskanzler Gerhard Schröder

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sung und der Rechtslage bei seinem Kosovo-Beschluss
vom 16. Oktober 1998 gehandelt.

Mir ist besonders wichtig festzuhalten: Es geht weder
um eine deutsche Beteiligung an Luftangriffen noch um
die Bereitstellung von Kampftruppen am Boden. Der Bei-
trag, den wir leisten wollen, ist auch Ausdruck unserer
Bereitschaft, der gewachsenen Verantwortung Deutsch-
lands in der Welt durch konkretes Handeln Rechnung zu
tragen. Es muss deutlich werden: Es geht nicht um ir-
gendeine außenpolitische Strategie; es geht um die Ver-
tretung der eigenen Interessen und um den Schutz der ei-
genen Werte, nach denen wir leben und weiter leben
wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Natürlich stellen sich viele Menschen in Deutschland
jetzt besorgt die Frage, welche Konsequenzen der deutsche
Beitrag für uns hat und insbesondere für die Soldaten ha-
ben wird. Niemand hat darauf eine endgültige Antwort. Je-
dem – nicht zuletzt mir – ist bewusst, das jeder Ausland-
seinsatz Risiken und Gefahren in sich birgt. Aber klar ist,
dass die Bundesregierung alles tun wird, um die bestmög-
liche Sicherheit unserer Soldaten zu gewährleisten.

Im Übrigen sind wir nicht die einzigen, die gebeten
worden sind, ihrer Verantwortung auch durch einen mi-
litärischen Beitrag zur Bekämpfung des internationalen
Terrorismus nachzukommen. Kanada und Australien
zählen ebenso wie Großbritannien – das ist bekannt –, die
Türkei, die Tschechische Republik sowie Frankreich und
Italien als weitere europäische Partner zu den Staaten, die
sich an den Maßnahmen beteiligen. Auch das gilt es zu be-
denken, wenn hier im Hohen Hause darüber nachgedacht
wird, ob man zustimmen kann und will oder nicht. Auch
die Konsequenzen für Gemeinsamkeiten mit unseren
Partnern in Europa sind bei einer politisch verantwortlich
zu treffenden Entscheidung zu berücksichtigen.

Die militärischen Operationen richten sich auf der
Grundlage der Resolution 1368 des Weltsicherheitsrates
gegen das terroristische Netzwerk von Osama Bin Laden
und gegen das den Terrorismus unterstützende Talibanre-
gime in Afghanistan. Ich bitte Sie, sich in Erinnerung zu
rufen und niemals zu vergessen, dass es sich um ein Ge-
waltregime handelt, das den Tod vieler Tausend Afghanen,
vor allem Kinder und Frauen, Unterdrückung und
Massenvertreibung, auch Akte kultureller Barbarei zu ver-
antworten hat. All das fand statt – das ist für die öffentli-
che Diskussion wichtig –, lange bevor die militärischen
Maßnahmen gegen dieses Regime begonnen hatten.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Wenn es ein Versäumnis der internationalen Staaten-
gemeinschaft gibt, dann dies – das sollten wir in einer sol-
chen Debatte selbstkritisch eingestehen –, dass wir alle
nach dem Abzug der vormaligen Sowjettruppen aus
Afghanistan dieses Land und die Barbarei in diesem Land
viel zu lange nicht beachtet haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es handelt sich um ein Regime, das darüber hinaus
terroristische Bestrebungen mit dem Ziel fördert, die
Stabilität arabischer und muslimischer Staaten zu er-
schüttern – wiederum mit gefährlichen außen- und si-
cherheitspolitischen Folgen nicht nur für die angegrif-
fenen Vereinigten Staaten, sondern für die gesamte
zivilisierte Welt. Deshalb betone ich noch einmal: Der
Kampf gegen den internationalen Terrorismus ist nicht
allein mit militärischen Mitteln zu gewinnen; das wissen
wir sehr wohl. Deshalb müssen wir dauerhafte Anstren-
gungen auf vielerlei Ebenen unternehmen, um dieser He-
rausforderung zu begegnen. Wir können und dürfen den
militärischen Beitrag daher nicht losgelöst von einer sol-
chen umfassenden Strategie, einer Strategie für Sicherheit
und für Stabilität in der Welt, diskutieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, während meiner Reise nach
Pakistan, Indien, China und dann auch Russland in der
vergangenen Woche habe ich eine große Übereinstim-
mung darüber feststellen können, dass die Überwindung
des Talibanregimes als wesentliche Voraussetzung für
eine menschenwürdige Zukunft Afghanistans gesehen
wird. Auf die Staatengemeinschaft kommen in diesem
Zusammenhang langfristig enorme Aufgaben zu. Das gilt
vor allem für die Europäische Union. Ich bin der Auf-
fassung, dass in dem Prozess, den man Post-Taliban-
Prozess nennt, nicht nur die Nationalstaaten, die ganz
natürlicherweise Adressat der Beistandserwartungen der
angegriffenen Amerikaner waren und sind, Gesicht zei-
gen müssen, sondern dass – das ist auch in dem Gespräch
deutlich geworden, das die europäischen Regierungschefs
am letzten Sonntagabend in London geführt haben – vor
allem auch das integrierte Europa, das dabei ist, eine ge-
meinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu schaffen, Ge-
sicht zeigen und seine Rolle wahrnehmen muss. Wir in
Deutschland treten dafür ein, dass dies für Europa mög-
lich wird und dann auch so geschieht.

Es geht jetzt in erster Linie um humanitäre Anstren-
gungen, mit denen das Leid von Millionen von Afghanen
gelindert werden kann. Viele scheinen das Ausmaß der
humanitären Katastrophe noch gar nicht richtig erfasst
zu haben. Es geht dabei nicht nur um die Versorgung von
Flüchtlingen, von Flüchtlingen übrigens – das gilt es her-
vorzuheben –, die völlig unabhängig von den militä-
rischen Maßnahmen, die angeordnet worden sind, weil sie
notwendig sind, auf der Flucht waren und sind, sondern es
geht auch um die Versorgung von Menschen, die als Folge
der Unterdrückung und der Unfähigkeit des Regimes Hun-
ger leiden. Wir müssen befürchten, dass Abertausende ver-
hungern. Auch um diese Menschen geht es uns.

Jedenfalls müssen und werden wir unsere Anstren-
gungen zur Abwehr von Hunger und Flüchtlingselend
noch einmal verstärken. Wenn diesem so vielfach gebeu-
telten Land nach Beseitigung des Terrorregimes eine
Perspektive gegeben werden soll, dann brauchen wir auch
eine Vorstellung davon und die Bereitschaft dazu, den
Wiederaufbau zu unterstützen.

Nicht zuletzt wird es darum gehen, an den Rahmenbe-
dingungen für das friedliche Zusammenleben der Bevöl-
kerungsgruppen Afghanistans mitzuwirken. Ich sage noch

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Bundeskanzler Gerhard Schröder

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einmal: Wir treten gemeinsam mit unseren europäischen
Partnern für eine Lösung ein, die nicht von außen oktroy-
iert sein darf – das ist übrigens auch die Auffassung unse-
rer amerikanischen Freunde –, sondern die sich aus dem
Land heraus entwickeln muss. Es geht um eine Lösung, die
alle ethnischen Gruppen einbezieht und die die berechtig-
ten Interessen der Nachbarstaaten berücksichtigt.

Dabei kann diese Lösung für eine gewisse Zeit nur un-
ter dem Dach der Vereinten Nationen herbeigeführt wer-
den. In diesem Prozess dürfen sich Europa und damit
Deutschland ihrer Verantwortung nicht entziehen und sie
werden es auch nicht tun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Darüber hinaus wollen und werden wir unsere Zusam-
menarbeit mit den zentralasiatischen Staaten ausbauen.
Wir sind daran interessiert, eine Destabilisierung durch
den von Afghanistan ausgehenden internationalen Terro-
rismus zu vermeiden.

Schließlich dürfen wir in unseren Bemühungen um
eine Lösung des Nahostkonfliktes nicht nachlassen. Der
ungelöste Nahostkonflikt darf keine Berufungsgrundlage
für das verbrecherische Handeln der Terroristen sein.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bezogen auf die Anstrengungen zur Lösung dieses Kon-
flikts, gilt auch: Es gibt keine direkte Beziehung zwischen
dem internationalen Terrorismus und dem schwelenden
Konflikt im Nahen Osten. Anders ausgedrückt: Auch wenn
dieser Konflikt morgen gelöst wäre, dann dürfte man nicht
nachlassen, den internationalen Terrorismus zu bekämpfen,
weil er unabhängig von diesem Konflikt besteht.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Richtig!)

Die Lösung des Konfliktes – natürlich auch aus sich

selbst heraus – ist nicht zuletzt deshalb wichtig, weil er
den Terroristen die Mobilisierung von Massen für ihr ver-
brecherisches Handeln immer wieder erlaubt hat und
– wenn wir zu keiner Lösung kommen – weiterhin erlau-
ben wird.

Der unermüdliche Einsatz des Bundesaußenministers
zur Überwindung der Gegensätze in der Region hat den
Respekt vieler seiner und vieler meiner Kollegen. Er ver-
dient auch unseren Respekt und unsere Anerkennung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])


Wir würden die Möglichkeiten Deutschlands – dabei
geht es auch, aber nicht nur um Personen – falsch ein-
schätzen, weil wir sie überschätzten, wenn wir glaubten,
dass dieser Konflikt allein durch unsere oder durch
gemeinsame europäische Anstrengungen zu lösen
wäre. In dieser zutiefst Besorgnis erregenden Situation ist
es erforderlich, dass insbesondere die Vereinigten Staaten
erkennen, dass sie im Nahen Osten auf höchster Ebene
– möglicherweise gemeinsam mit Russland, mit der Eu-
ropäischen Union und naturgemäß mit den Vereinten Na-

tionen – eine herausgehobene Verantwortung für die Lö-
sung dieses Konflikts tragen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Eindämmung des internationalen Terrorismus ver-
langt – das ist klar – große Anstrengungen und vor allen
Dingen einen langen Atem. Wir haben ein gemeinsames
Interesse, die militärischen Operationen zu einem raschen
und erfolgreichen Ende zu führen. Wir begrüßen aus-
drücklich die Zusage der amerikanischen Regierung, alle
nur möglichen Vorkehrungen zu treffen, um zivile Opfer
zu vermeiden.

Gerade mit Bezug auf die öffentliche Debatte bitte ich
auch in diesem Fall um Fairness. Die Fairness besteht
darin, dass man nicht einerseits sagt, man solle so vor-
gehen, dass möglichst wenig zivile Opfer zu beklagen
sind, andererseits aber zugleich den Vorwurf erhebt, dass
ein solches Vorgehen dann naturgemäß länger dauert, als
wenn man anders vorginge. Beides lässt sich nicht gut
verbinden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Man muss sich entscheiden. Ich denke, auch das gehört
zur Redlichkeit im Umgang miteinander und im Umgang
mit unseren Partnern und muss bei Entscheidungen im
Deutschen Bundestag beachtet werden.

Mit unseren humanitären Bemühungen machen wir zu-
gleich deutlich, dass sich die militärischen Operationen
eben nicht gegen das afghanische Volk richten, sondern
gegen den internationalen Terrorismus, der vom Taliban-
regime unterstützt wird, welches insoweit Teil des inter-
nationalen Terrorismus ist. Allein Deutschland hat übri-
gens – das können wir ruhig selbstbewusst sagen – in den
vergangenen Jahren humanitäre Leistungen in Höhe von
mehr als 100 Millionen DM erbracht. Afghanistan war
– das gilt ungeachtet der selbstkritischen Bemerkungen,
die ich gemacht habe – immer ein Schwerpunktland un-
serer humanitären Hilfe. Auch deswegen haben wir in die-
sem Jahr den Vorsitz in der Afghanistan Support Group
inne.

Mindestens ebenso wichtig wie militärisches und hu-
manitäres Engagement sind politische und diplomatische
Bemühungen. Wirtschaftliche Maßnahmen ebenso wie
die notwendige Zusammenarbeit der Nachrichtendienste
müssen hinzukommen. Schließlich müssen wir uns auch
der geistigen Auseinandersetzung mit dem Terrorismus
stellen. Das heißt, wir müssen uns vor allem der Tatsache
stellen, dass Terroristen kulturelle, soziale und politische
Missstände für ihre mörderischen Zwecke instrumenta-
lisieren. Diese geistige Auseinandersetzung haben wir im
Dialog mit den muslimischen Gesellschaften zu führen,
die dabei – auch das gilt es einzufordern – auch ihrer ei-
genen Verantwortung nachkommen müssen, um das Ziel
einer gemeinsamen friedlichen und humanen Entwick-
lung zu erreichen.

Nur auf der Grundlage eines so umfassenden Konzep-
tes und gemeinsamen Handelns wird die internationale
Koalition im Kampf gegen den Terrorismus am Ende er-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Bundeskanzler Gerhard Schröder

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folgreich sein. Dieser Erfolg ist nicht nur notwendig, son-
dern – davon bin ich überzeugt – er wird auch erreicht
werden. Wir stehen im Kampf gegen den Terrorismus vor
einer großen Herausforderung. Sie ist nicht zu bewäl-
tigen, ohne Risiken einzugehen. Niemand hat das be-
hauptet und niemand kann das behaupten. Sie birgt aber
auch die Chance, Gefahren für die friedliche Existenz und
das friedliche Zusammenleben der Völker zu Beginn des
21. Jahrhunderts dauerhaft zu beseitigen.

Ich will aber noch auf eines hinweisen: Bei der anste-
henden Entscheidung geht es auch um die Bündnisfähig-
keit Deutschlands, also darum, dass wir die richtige
Konsequenz aus dem, was wir alle miteinander erklärt
und bekannt haben, ziehen. Ich möchte mich in diesem
Zusammenhang ausdrücklich dafür bedanken, dass es
möglich gewesen ist, die ganze Zeit über so miteinander
umzugehen und uns gegenseitig so zu informieren, wie
das dem Thema angemessen ist. Diesen Dank spreche ich
dem ganzen Haus aus, allen, die dabei sind. Ich habe den
Fraktions- und Parteivorsitzenden zugesagt – ich habe das
auch dem Bundeskabinett berichtet, welches das zustim-
mend zur Kenntnis genommen hat –, dass ich diese ange-
messene Informationspolitik auch weiterführen werde,
insbesondere dann, wenn es um die Konsequenzen aus
dem hoffentlich mit breiter Mehrheit gefällten Beschluss
in der nächsten Woche geht.

Mehr als 50 Jahre – lassen Sie mich das abschließend
sagen, meine Damen und Herren – haben die Vereinigten
Staaten in Solidarität zu uns gestanden. Es waren nicht zu-
letzt die Amerikaner, die uns die Rückkehr in die Völker-
gemeinschaft ermöglicht, die unsere Freiheit garantiert
und letztlich unsere staatliche Einheit und deren Werden
unterstützt haben.

Über viele Jahrzehnte haben wir diese Solidarität
Amerikas für selbstverständlich gehalten und haben un-
seren Nutzen daraus gezogen. Bündnissolidarität ist aber
keine Einbahnstraße. Deshalb geht es jetzt – nicht nur,
aber auch – darum, unseren praktischen Beitrag zur Soli-
darität, die unseren gemeinsamen Werten, unseren ge-
meinsamen Zielen und unserer gemeinsamen Zukunft in
Sicherheit und Freiheit gilt, zu leisten. Wir tun das, wie
sich zeigt, in offener, in demokratischer und auch in kriti-
scher Diskussion; das ist kein Nachteil in unserer Gesell-
schaft. Ich hoffe aber auch, dass wir das in großer Ge-
schlossenheit und mit einem entsprechenden Ergebnis
tun.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.


(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1419800200
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion.


Friedrich Merz (CDU):
Rede ID: ID1419800300
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Am 19. September, we-
nige Tage nach den Terroranschlägen von New York und
Washington, haben wir dem amerikanischen Volk hier im
Deutschen Bundestag mit außergewöhnlich großer Mehr-

heit unsere uneingeschränkte Solidarität im Kampf gegen
den Terrorismus zugesagt. In dieser und in der nächsten
Woche steht für Deutschland die Klärung der Frage an, ob
den Worten von der uneingeschränkten Solidarität auch
Taten folgen, ob wir bereit sind, Risiken und Gefahren bei
der Bekämpfung des internationalen Terrors mitzutragen.
Wir wissen: Eine so weit reichende Entscheidung ist von
uns bisher noch nie gefordert worden.

Wir haben wiederholt festgestellt – Herr Bundeskanz-
ler, Sie haben das in Ihrer Regierungserklärung erneut und
richtigerweise getan –, dass die Terroranschläge nicht nur
gegen die USA gerichtet waren. Wir alle – ich denke, das
gilt auch für die meisten Menschen in Deutschland – sind
uns bewusst geworden: Die Anschläge hätten auch Paris,
Frankfurt, London oder Berlin treffen können. Diese Er-
kenntnis verbindet uns mit Amerika und in der NATO.
Diese Erkenntnis ist Grundlage der internationalen Alli-
anz gegen den Terrorismus.

Der Wille zur Verteidigung der Freiheit ist die Grund-
lage der von Ihnen, Herr Bundeskanzler, zu Beginn zi-
tierten Resolution des UN-Sicherheitsrates. Die erstma-
lige Feststellung des Bündnisfalles in der NATO und das
Recht zur Selbstverteidigung nach der Charta der Ver-
einten Nationen sind die unbezweifelbare völkerrechtli-
che Grundlage für den seit dem 7. Oktober auch mit
militärischen Mitteln geführten Kampf gegen den Terro-
rismus.

Wir dürfen heute von dieser Stelle, von Deutschland
aus keinen Zweifel daran lassen, dass auch wir bereit sind,
einen militärischen Beitrag zu leisten, um diesen Kampf
erfolgreich zu bestehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Neu für uns ist, dass ein solcher militärischer Einsatz
fernab von Deutschland notwendig sein soll. Wir müssen
uns klar darüber sein, dass die geographische Entfernung
in der Welt des 21. Jahrhunderts keine Bedeutung mehr
hat. Die Globalisierung bringt uns nicht nur große wirt-
schaftliche Vorteile, sie bedeutet auch globale Verantwor-
tung in der Gemeinschaft zivilisierter Völker.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Es gibt – das sage ich all denjenigen, die beabsichtigen,
den Antrag der Bundesregierung abzulehnen – nur schein-
bar die Alternative, sich herauszuhalten und stattdessen
die anderen, die sich schon entschieden haben, den Weg
weiter gehen zu lassen. Mit klarem Verstand und
Überzeugung müssen wir sagen, dass ein deutscher
Sonderweg, ein Sich-Heraushalten in unserer Welt eine
Illusion ist. Deutschland trägt Verantwortung wie andere
Staaten dieser Welt auch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte deshalb für die CDU/CSU-Bundestags-
fraktion zunächst feststellen: Wir sind der festen Über-
zeugung, dass es richtig ist, den Amerikanern und allen
anderen Nationen der Anti-Terror-Allianz auch mit

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Bundeskanzler Gerhard Schröder

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militärischen Mitteln im Kampf gegen den Terrorismus
beizustehen. Wir werden uns auch in der Opposition un-
serer Verantwortung stellen.

Wir unterstützen die Bundesregierung bei ihrem Vor-
haben, Einheiten der Bundeswehr zu entsenden, um mit-
zuhelfen, die terroristischen Strukturen zu zerschlagen.
Wir tun dies – auch hier sind wir uns einig, Herr Bundes-
kanzler –, weil wir den Vereinigten Staaten von Amerika
die Freiheit und ganz wesentlich auch die Einheit unseres
Landes verdanken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber damit kein Zweifel entsteht, sage ich: Dank an Ame-
rika allein ist es nicht, warum wir handeln. Genauso wich-
tig ist, dass die deutsche Beteiligung am militärischen
Einsatz gegen den Terrorismus in unserem eigenen natio-
nalen Interesse liegt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Bundeskanzler, ich will in diesem Zusammen-
hang die Irritationen ansprechen, die gestern entstanden
sind und die ich durch Ihre Regierungserklärung sowie
durch die darin enthaltene Wortwahl im Vergleich zu den
Erklärungen, die von der amerikanischen Administration
abgegeben worden sind, für nicht ausgeräumt halte. Ich
möchte angesichts dieser Irritationen betonen, dass wir
nur hoffen können, dass Sie nach Konsultationen mit der
amerikanischen Regierung nicht nur auf deren Anforde-
rung reagiert haben, sondern selbst die Initiative ergriffen
haben. Denn nur dann ist die Begründung, im Interesse
des eigenen Landes zu handeln, auch wirklich glaubhaft.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion brauchen Sie sich,
Herr Bundeskanzler, jedenfalls nicht hinter einer ameri-
kanischen Anforderung zu verstecken. Sie können sagen,
wie es wirklich ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zu unserem eigenen Interesse zählt auch, dass wir
ernsthaft und gewissenhaft abwägen, ob wir es verant-
worten können, die Soldaten der Bundeswehr in diesen
Einsatz zu schicken, in den gefährlichsten Einsatz – das
ist ohne Zweifel der Fall, wie Sie selbst gesagt haben –,
den die Bundeswehr je zu bestehen hatte.


(Zurufe von der SPD)


– Ich kann die Unruhe bei Ihnen verstehen. Aber diese
Probleme, meine Damen und Herren von der SPD und
den Grünen, müssen Sie in den nächsten Tagen unter sich
klären.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kehren Sie vor der eigenen Haustür! – Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Diese billige innenpolitische Münze!)


Wir erwarten von Ihnen, Herr Bundeskanzler, Ihrer
Regierung und insbesondere vom Verteidigungsminister,

dass nicht nur der konkrete Einsatz beschlossen wird, son-
dern dass zuvor alles getan wird, um unsere Soldaten opti-
mal auf diesen Einsatz vorzubereiten und sie im Einsatz
zu schützen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir fordern Sie und Ihre Regierung seit nunmehr drei Jah-
ren aus leider immer dringlicher werdendem Anlass auf,
mehr für die Bundeswehr zu tun. Sie haben die Bundes-
wehr hinsichtlich der Ausrüstung in den letzten drei Jah-
ren so stark vernachlässigt, dass ihre Einsatz- und Bünd-
nisfähigkeit – das sind nicht meine Worte, sondern die des
Generalinspekteurs der Bundeswehr – nicht mehr in
vollem Umfang gewährleistet ist. Wenn Sie Soldaten jetzt
in einen Einsatz schicken, der schwieriger und gefährli-
cher ist als alle Einsätze, die in den vergangenen zehn Jah-
ren beschlossen worden sind, dann erwarten diese Solda-
ten und ihre Familien von Ihnen, Herr Bundeskanzler,
dass Sie in der Verantwortung Ihres Amtes alles, aber auch
wirklich alles tun, um den Soldaten einen optimalen
Schutz zu gewährleisten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Diese Verantwortung tragen Sie, Herr Bundeskanzler,
auch nach einem zustimmenden Parlamentsbeschluss.
Diese Verantwortung nimmt Ihnen das Parlament nicht ab.

Die Lage in und um Afghanistan ist sehr viel unüber-
sichtlicher und sehr viel schwieriger als bei allen Einsät-
zen zuvor. Es ist deswegen aus unserer Sicht völlig selbst-
verständlich, dass der Deutsche Bundestag nicht an die
Stelle der politischen und militärischen Führung der
eingesetzten Streitkräfte tritt. Wir können Einzelheiten
der tatsächlich eingesetzten Soldaten, der Einsatzzeit-
punkte, der Einsatzorte und der Einsatzziele nicht festle-
gen. Dies kann auch die Bundesregierung heute noch
nicht. Zum Teil dürfen die Einsätze aus Gründen des
Schutzes der Soldaten auch überhaupt nicht oder erst nach
vollständigem Abschluss des Einsatzes bekannt werden.

Aus diesen Gründen enthält der Beschluss des Bun-
deskabinetts vom gestrigen Tag richtigerweise einen
großen Handlungsspielraum für die Bundesregierung und
für den Einsatz deutscher Soldaten. Dieser notwendige
Handlungsspielraum, Herr Bundeskanzler, darf aber Sinn
und Zweck des von unserer Verfassung gebotenen Parla-
mentsvorbehalts bei sich möglicherweise verändernden
Umständen nicht infrage stellen.


(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Tut er auch nicht!)


Deshalb sagen wir: Die Größe des Einsatzes, die territo-
riale Ausdehnung des Einsatzgebietes und die Dimension
der Aufgabe, die es jetzt zu verantworten gilt, erfordern
eine angemessene Möglichkeit der Überprüfung unserer
Zustimmung, die die Bundesregierung in der nächsten
Woche erhalten soll. Diese Überprüfung muss gegebe-
nenfalls auch vor Ablauf der zwölfmonatigen Frist, die
Sie beantragt haben, durch den Bundestag selbst erfolgen
können. Für uns gibt es jedenfalls zur Dauer des Mandats
Beratungsbedarf in den nächsten Tagen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Friedrich Merz

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Lassen Sie mich zum Abschluss noch einmal auf die
humanitäre Katastrophe in Afghanistan selbst zu spre-
chen kommen. Das furchtbare Schicksal, das die Men-
schen in Afghanistan seit einem Jahrzehnt zu tragen ha-
ben, das jetzt in vielen Fernsehbildern wieder gezeigt
wird, ist nicht die Folge der militärischen Schläge gegen
das Talibanregime, sondern es ist das menschenverach-
tende Talibanregime selbst, das die Verantwortung trägt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie haben auf die Dimension dieser Katastrophe bereits
hingewiesen. In den letzten zehn Jahren sind über
4 Millionen Menschen aus Afghanistan geflohen und
über 300 000 Kinder im Land verhungert. Westliche
Hilfseinrichtungen werden beim Zugang systematisch be-
hindert; sie werden bedroht und zum Teil aus dem Land
gejagt. Bis heute weigern sich die Machthaber im Süden
des Landes, Flüchtlingslager des Roten Kreuzes an der
pakistanischen Grenze zu ermöglichen. Deswegen will
auch ich noch einmal ganz klar sagen: Wir führen keinen
Krieg gegen Afghanistan, sondern wir bekämpfen Terro-
risten und ein unmenschliches, menschenverachtendes
Regime, das sie deckt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In diesem Zusammenhang, Herr Bundeskanzler, hat der
britische Außenminister vollkommen zu Recht die Fest-
stellung getroffen, dass eine Feuerpause das Leiden des
afghanischen Volkes nur verlängern würde. Er hat Recht.

Herr Bundeskanzler, ich will es bei dieser Gelegenheit
auch sagen: Wir sind nicht bereit, eine Arbeitsteilung der-
gestalt vorzunehmen, dass Mitglieder Ihrer Regierung öf-
fentlich sagen, es müsse eine Feuerpause eintreten, und
damit sozusagen wie ein Friedensengel durch das Land
rauschen – Sie wissen genau, wen ich meine: die Minis-
terin für wirtschaftliche Zusammenarbeit –


(Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist kein Engel!)


und wir, diejenigen, die Ihre Politik unterstützen, als die
Kriegstreiber in diesem Land genannt werden. Diese Ar-
beitsteilung geht nicht.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Je schneller dieses unmenschliche Regime der Taliban ge-
stürzt wird, desto besser ist es für das afghanische Volk
und die gesamte Region.

Meine Damen und Herren, nach Beendigung der mi-
litärischen Aktionen muss die internationale Hilfe wieder
verstärkt werden. Aber auch dann, Herr Bundeskanzler,
müssen Ihren Worten Taten folgen; denn hier geht es um
die Glaubwürdigkeit der deutschen Politik: im Inneren, in
der Außenpolitik, aber auch gegenüber den Menschen, die
unsere Unterstützung und unsere Hilfe brauchen.

Herzlichen Dank.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1419800400
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Gernot Erler, SPD-Fraktion.


Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1419800500
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Bereits am 19. September hat der
Deutsche Bundestag mit sehr deutlicher Mehrheit die
große Solidarität mit dem am 11. September angegriffe-
nen Amerika zum Ausdruck gebracht, die in den Tagen
der Tragödie von New York und Washington von den
Menschen in Deutschland ausging und zugleich von der
deutschen Politik aufgegriffen wurde. Es hieß, diese Soli-
darität werde nicht verbal oder virtuell, sondern konkret
sein.

Schon damals, acht Tage nach den Terroranschlägen,
haben wir uns zu politischer und wirtschaftlicher Unter-
stützung sowie zur Bereitstellung geeigneter militärischer
Fähigkeiten zur Bekämpfung des internationalen Terro-
rismus bekannt. Dann folgte in dem Beschluss ein Satz,
den ich zitiere:

Über diese Maßnahmen ist nach Kenntnis der ameri-
kanischen Unterstützungswünsche in eigener Verant-
wortung und gemäß der verfassungsrechtlichen Vor-
gaben zu entscheiden.

Genau an diesem Punkt sind wir heute angelangt: Die
amerikanische Regierung hat ihre Wünsche artikuliert,
die Bundesregierung hat daraufhin erklärt, welche Art der
Unterstützung sie für leistbar und geeignet hält. Herr Kol-
lege Merz, selbstverständlich hat die Bundesregierung da-
bei unsere eigenen Interessen vertreten; Sie sollten nicht
mit einer so kleinkarierten Philisterei unsere Debatte be-
lasten, wie Sie es getan haben.


(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Weil es in Deutschland nach unserer Verfassung in sol-
chen Fällen ein Entscheidungsrecht des Deutschen Bun-
destages, den so genannten Parlamentsvorbehalt, gibt,
müssen wir jetzt prüfen und entscheiden, ob wir die Vor-
schläge der Regierung für überzeugend und verantwort-
bar halten.

Nach dem Kabinettsbeschluss sollen fünf Kategorien
militärischer Fähigkeiten bereitgestellt und im Bedarfs-
fall auch eingesetzt werden. Lassen Sie mich diese etwas
näher beleuchten:

Erstens. Wer will eigentlich widersprechen, wenn
Deutschland Sanitätskräfte, besonders solche zur Ret-
tungsevakuierung von verwundeten Zivilisten oder Sol-
daten, bereitstellen will?

Zweitens. Dasselbe gilt für Lufttransportmittel, die
ebenso militärisches Gerät wie zivile Hilfsgüter aufneh-
men können.

Drittens. Die Bundeswehr hat gerade mit dem Spür-
panzer Fuchs besonders anerkannte ABC-Schutzkräfte.
Einen Teil davon jetzt auf einen eventuellen Einsatz vor-
zubereiten macht Sinn, auch wenn wir alle hoffen, dass
dieser Einsatz gar nicht notwendig wird.

Viertens. Marinekräfte sollen zum Beispiel am Horn
von Afrika den Seetransport schützen, also in einer

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Region, in der es in den vergangenen Wochen schon einen
Anschlag auf ein Fahrzeug gegeben hat und weitere Ter-
rorangriffe auf die zivile Seeschifffahrt nicht ausge-
schlossen werden können.

Fünftens. Schließlich geht es um 100 Mann Spezial-
kräfte, die über polizeiähnliche Zugriffsmöglichkeiten im
so genannten Hit-and-Run-Verfahren verfügen und be-
sonders geeignet sind, identifizierte mutmaßliche Täter
dingfest zu machen.

Zu diesen fünf Fähigkeiten nennt der Kabinettsbe-
schluss jeweils zahlenmäßige Obergrenzen, die sich auf
die genannten 3 900 Soldaten addieren.

Die Fachausschüsse werden alle Einzelheiten sorgfäl-
tig beraten. Aber schon jetzt kann man den Eindruck ge-
winnen, dass diese Zusammenstellung von zahlenmäßig
limitierten militärischen Fähigkeiten die Grenze des
Leistbaren und des Verantwortbaren nicht überschreitet.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich möchte aber betonen, dass für die SPD-Bundes-
tagsfraktion einige Punkte in diesem Zusammenhang be-
sonders wichtig sind. Wir finden es richtig und wichtig,
dass in Kapitel 7 hinsichtlich des Einsatzgebietes eine
eindeutige Eingrenzung des Operationsrahmens für die
deutschen Kräfte ausdrücklich festgelegt wird. Diese Ein-
grenzung heißt: Afghanistan oder Länder, bei denen eine
Zustimmung der Regierung vorliegt. Wir betonen diesen
Punkt deshalb so ausdrücklich, weil wir davon überzeugt
sind, dass der Kampf gegen den Terrorismus auf die große
politische Allianz, die sich gebildet hat, angewiesen ist.
Diese große politische Allianz ist gegenwärtig davon ab-
hängig, dass der Kampf gegen den Terrorismus einen Tä-
terbezug bewahrt. Die Spuren der Täter vom 11. Septem-
ber führen nun einmal nach Afghanistan und nirgends
anders hin.

Wichtig ist für uns auch die Frage, mit welcher Sicher-
heit wir ausschließen können, dass die bereitzustellenden
deutschen Kräfte nicht in Szenarien geraten können, in
denen das Geschehen von unserer Seite weder kontrolliert
noch gesteuert werden kann. Deswegen war für uns die
Aussage des Bundeskanzlers wichtig – er hat sie eben
noch einmal wiederholt und wir verlassen uns auf
sie –, dass es bei jedem Einsatz deutscher Kräfte bei einer
Entscheidung in deutscher Verantwortung und auch bei
einer deutschen Kommandoverfügung bleiben wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Schließlich weise ich auf einen dritten wichtigen Punkt
hin. Unsere Verfassung sieht vor, dass der Bundestag zu der
Entscheidung, welche und wie viele militärische Kräfte für
wie lange und für welche Zwecke bereitgestellt und einge-
setzt werden, seine Zustimmung geben muss. Das Bundes-
verfassungsgericht hat uns aber auch klar gemacht, dass
Entscheidungen über die Modalitäten, die Umfänge und die
Dauer der Einzeleinsätze Sache der Exekutive sind.

Der Kabinettsbeschluss ersucht uns nun, die
Einzelentscheidungen für zwölf Monate in die Hand der
Bundesregierung zu legen. Es ist unbestreitbar vernünf-

tig, Herr Kollege Merz, bei den Besonderheiten der
terroristischen Herausforderung einen solchen relativ lan-
gen Zeitraum vorzusehen, aber dieser Antrag enthält auch
ebenso unbestreitbar Elemente eines Vertrauens-
vorschusses. Herr Bundeskanzler, wir sind bereit zu die-
sem Vertrauen, aber wir bitten Sie zugleich – da unter-
scheidet sich meine Bitte von der von Herrn Merz – um
eine Rückzahlung in Raten, nämlich in Form regelmäßi-
ger und detaillierter Informationen an den Deutschen
Bundestag über den Verlauf, die Ergebnisse und die Er-
fahrungen mit den deutschen Einsätzen im Kampf gegen
den weltweiten Terrorismus.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Jörg van Essen [FDP] – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das ist aber nicht viel! Monitoring!)


In diesem Punkt präzisiere ich diese Bitte sogar noch.
Das Kapitel 5 „Einzusetzende Kräfte“ gibt Obergrenzen
für die einzelnen militärischen Fähigkeiten an, also bei-
spielsweise 1 800 Mann Seestreitkräfte und 100 Mann
Spezialkräfte. Dann ist aber davon die Rede, dass es auch
unterhalb der Gesamtobergrenze je nach Einsatzerforder-
nis Abweichungen von den genannten Einzelgrößenord-
nungen geben kann. Im Extremfall könnte das eine Um-
kehrung dieser Kräfteverhältnisse bedeuten. Wir wissen
natürlich ganz genau, dass das praktisch gar nicht möglich
wäre. Es ist aber, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, der
Vorschlag der SPD-Bundestagsfraktion als ein Ergebnis
unserer gestrigen vielstündigen Beratungen, der Bundes-
verteidigungsminister solle bei signifikanten Abweichun-
gen von diesen Einzelgrößenordnungen die Fachaus-
schüsse informieren und sie kontinuierlich befassen,
natürlich nicht im Sinne konstitutiver Beschlüsse, son-
dern im Sinne einer fachlichen Begleitung.


(Beifall bei der SPD –Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das sind ja gewaltige Zugeständnisse!)


Wir glauben, dass eine entsprechende Zusage von Ihnen,
so zu verfahren, die weitere Beratung des Kabinettsbe-
schlusses in den Ausschüssen erleichtern würde.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stellen uns jetzt
der Aufgabe, eine verantwortbare deutsche militärische
Beteiligung im Kampf gegen den Terrorismus freizuge-
ben. Wir wissen dabei sehr gut: Das militärische Vorgehen
ist notwendig, aber allein nicht hinreichend. Es muss zu-
gleich ein politisches Gesamtkonzept geben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


In den letzten Wochen ist deutlich geworden: Im poli-
tischen Bereich hat die Bundesregierung gleich auf meh-
reren Feldern stark an Profil gewonnen. Das ist interna-
tional anerkannt worden und das unterstützen wir hier
ausdrücklich. Kein einziges Land hat so schnell und ener-
gisch die Mittel für humanitäre Hilfe heraufgesetzt, von
16 auf 86 Millionen DM. Das wirkt sich auf die Versor-
gungslage vor Ort bereits aus.


(Beifall bei der SPD)


Es gibt sonst kein so großes Engagement bei der Frage der
politischen Perspektiven in dieser Region und für Afgha-
nistan. Bei dem so genannten Post-Taliban-Prozess und
bei der Nahostpolitik schauen heute doch wirklich viele

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Gernot Erler

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auf Europa und auf Deutschland, wenn es darum geht, die
Friedensverhandlungen endlich wieder aufzunehmen.

Herr Außenminister, wir unterstützen voll Ihren Ein-
satz und Ihre Vermittlungsversuche, die darauf abzielen,
diesen Friedensprozess wieder aufzunehmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber eines muss klar bleiben und das sollte uns auch bei
dem folgenden Beratungsprozess begleiten: Wer weiter-
hin will, dass die Bundesregierung in diesem politischen
Bereich gestaltend etwas beiträgt, der kann nicht eine Ar-
beitsteilung zwischen risikolosen und risikobehafteten
Aufgaben wollen, sondern der muss auch einen risikorei-
chen militärischen Beitrag der Bundesrepublik Deutsch-
land unterstützen. Unsere Freunde und Alliierten werden
eine solche Arbeitsteilung, bei der wir das politisch Kon-
zeptionelle, das Populäre, das Risikolose und alles andere
die anderen machen, nicht akzeptieren. Das ist auch der
Grund, weshalb schon jetzt 14 verschiedene Länder in Eu-
ropa und jenseits des Atlantiks entweder militärische Zu-
sagen gemacht oder sie in Aussicht gestellt haben: weil
eine solche Arbeitsteilung nicht geht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wenn wir jetzt darangehen, die Zusagen, die wir ge-
macht haben, auch einzulösen, dann machen wir uns
keine Illusionen. Wir alle gehen, was die Reaktionen der
Menschen in unseren Wahlkreisen anbelangt, schweren
Tagen und schwierigen Diskussionen entgegen. Die öf-
fentliche Meinung ist gespalten. Die Verunsicherung rührt
auch daher, dass es bei der Planung und Durchführung der
militärischen Operationen in Afghanistan offensichtlich
eine Reihe von Fehleinschätzungen und einige zum Teil
tragische Fehlentwicklungen gab. Es war übrigens Ame-
rika selbst, wo eine öffentliche kritische Diskussion da-
rüber begonnen wurde.

Die Unterteilung – auch da unterscheide ich mich von
Herrn Merz – in Friedensengel auf der einen Seite und
Kriegstreiber auf der anderen Seite


(Michael Glos [CDU/CSU]: Furien auf der anderen Seite!)


hat niemand gemacht und sie ist auch völlig unsinnig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen uns alle, Herr Merz, den kritischen Fragen
und Positionen von Bürgern,


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist nicht der Punkt! Das wissen Sie!)


von Menschenrechtsorganisationen, von Kirchen und
Verbänden offen und zur Argumentation bereit stellen und
uns mit ihnen auseinander setzen. Dazu gehört auch ein
eigenes Risiko für uns als gewählte Abgeordnete. Aber
– darauf möchte ich besonders hinweisen – wie wir das

machen, wie überzeugend und wie entschlossen wir das
tun, das wird auch von außen sehr genau beobachtet, ganz
besonders in den arabischen und islamisch geprägten
Ländern, deren gemäßigte Regierungen ein unvergleich-

lich höheres Risiko eingegangen sind, als sie sich in die-
ser herausfordernden Situation an die Seite von Amerika
und in diese große Allianz gestellt haben, und die dabei
bleiben, auch wenn sie täglich mit gewaltsamen Demons-
trationen fanatisierter Gegner konfrontiert werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir sind darauf angewiesen, dass sie bei dieser Linie blei-
ben. Aber das heißt, wenn wir ihnen helfen wollen, müs-
sen auch wir bei unserer Linie bleiben. Aufmunternde
Worte allein reichen nicht.

Ich meine, dass wir für die kommenden schwierigen
Beratungen noch eine Klarheit mitnehmen sollten. Wir
alle sind auch und nicht zuletzt dafür gewählt worden, den
Menschen Sicherheit zu geben. Nach dem 11. September
müssen wir dafür zusätzliche Anstrengungen erbringen.
Nicht zufällig werden in diesem Haus parallel, praktisch
gleichzeitig, Antiterrorpakete zur inneren Sicherheit und,
wie heute, Maßnahmen zur äußeren Sicherheit beraten,
also defensive und offensive Schutzmaßnahmen. Wer die
Verantwortung für die offensiven Maßnahmen, also den
militärischen Druck gegen die Netze des Terrors und ihre
Beschützer, nicht übernehmen will, der muss automatisch
mehr im Inneren tun,


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Wo ist da die Logik?)


also noch mehr die Freiheitsrechte einer offenen demo-
kratischen Gesellschaft einschränken, um mehr passiven
Schutz zu schaffen.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Das geht gegen Schily!)


Das ist ein wichtiges Argument bei der Diskussion
darüber, ob der Antrag der Bundesregierung auf die Be-
reitstellung und den Einsatz zahlenmäßig begrenzter mili-
tärischer Kräfte mit einem verantwortbaren Auf-
gabenradius unsere Zustimmung verdient oder nicht. Wir
stellen uns auch in diesem Punkt unserer Verantwortung.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1419800600
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Guido Westerwelle, FDP-Fraktion.


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1419800700
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundes-
kanzler, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung auf die
Erklärung des Deutschen Bundestages vom 19. Septem-
ber Bezug genommen. Ebenso hat der Kollege Merz seine
Rede begonnen. Ich möchte darauf aufmerksam machen,
dass in dieser Regierungserklärung unter Bezugnahme
auf die Entscheidung des Deutschen Bundestages die
Rede von der uneingeschränkten Solidarität mit den Ver-
einigten Staaten und davon ist, dass konkrete Maßnahmen
des Beistands folgen werden.

Wir Freien Demokraten haben dieser Erklärung hier im
Deutschen Bundestag am 19. September einstimmig

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Gernot Erler

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zugestimmt. Wir wussten damals um die Konsequenz die-
ser Entscheidung und wir wissen auch heute darum.

Man sollte mit den folgenden Worten vorsichtig sein.
Aber ich glaube, dass die Bezeichnung „Zäsur“, vielleicht
sogar „historische Zäsur“, für unsere Außen- und Sicher-
heitspolitik an dieser Stelle zutrifft. Deswegen sollte sich
jeder – gleich, ob er auf der Oppositionsseite oder auf der
Regierungsseite ist – der besonderen Verantwortung in die-
ser Stunde und auch in der nächsten Woche bewusst sein.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Danach wird sich die Außen- und Sicherheitspolitik
Deutschlands verändert haben.

Wir haben einen gemeinsamen Kampf gegen den Ter-
rorismus zu führen. Dabei gibt es keine Neutralität. Es
wird in Diskussionen gelegentlich so getan, als könne es
bei der Bekämpfung von Terror eine neutrale Position der
Deutschen geben. Wir Deutschen sind bei der Bekämp-
fung des internationalen Terrorismus nicht neutral. Das
sind wir auch und gerade deshalb nicht, weil wir selber
von diesem internationalen Terrorismus bedroht sind.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Die Menschen der zivilisierten Welt, egal, welcher Re-
ligion sie angehören, müssen diesen Kampf gemeinsam
führen; denn sie sind alle bedroht. Mir liegt daran, dies im
Hinblick auf manche Diskussion, die zurzeit feuilletonis-
tisch in Deutschland geführt wird, klarzustellen. Das ist
kein Kampf von Glauben gegen Glauben. Das ist kein
Kampf von Christen gegen Moslems. Das ist übrigens
auch kein Kampf des Westens gegen Afghanistan. Es ist
der selbstverteidigende Kampf des Rechts gegen das Un-
recht des Terrors.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir alle haben jetzt in der Tat schwierige Diskussionen
vor uns, Herr Kollege Erler. Aber ich kann uns allen nur
eine Empfehlung geben, wenn ich mir das an dieser Stelle
erlauben darf: Stimmungen muss man sehr ernst nehmen,
auch wenn sie in unseren Wahlkreisen und in unserer Be-
völkerung manchmal heftig ausschlagen. Aber letzten En-
des erwarte ich ganz persönlich, dass sich kein Abgeord-
neter des Deutschen Bundestages in dieser Frage zum
Resonanzboden von Stimmungen macht, sondern dass er
diese Entscheidung aus sich selbst heraus verantwor-
tungsbewusst und mit Festigkeit trifft.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wenn wir in dieser Frage nur das Echo von Stimmun-
gen wären, dann würden wir vielleicht auf Parteitagen
oder da oder dort von irgendwelchen Gruppen begeistert
gefeiert werden, aber wir würden unserer Verantwortung
nicht gerecht.

Ich möchte Ihnen an dieser Stelle eines sagen, weil Sie
an den Herrn Kollegen Merz auch kritische Worte gerich-
tet haben. Ich meine, mit Verlaub gesagt, dass die Bemer-
kungen des Herrn Kollegen Merz völlig zutreffend sind.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Das gilt insbesondere für die Bemerkung hinsichtlich der
Arbeitsteilung der Regierenden. Ich sage Ihnen das auch
deshalb, weil sich in der gesamten Diskussion bisher kein
Regierungsmitglied, kein Vertreter der Koalitionsfrak-
tionen darüber beklagen konnte, dass die Opposition
– gleich, welche Fraktion man betrachtet – ihrer staats-
politischen Verantwortung nicht gerecht geworden wäre.
Es ist doch in Wahrheit so: Der Bundeskanzler muss sich
in der Außen- und Sicherheitspolitik gelegentlich auf die
Opposition mehr verlassen, als er sich auf die eigenen
Leute verlassen kann.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wenn Sie Herrn Kollegen Merz hier jetzt kleinkarierte
Kritik unterstellen, dann möchte ich Ihnen sagen: Ich habe
mir in der Diskussion in den letzten beiden Tagen, auch
nach den Unterrichtungen im Bundeskanzleramt, bei Ih-
nen, Herr Bundeskanzler, einmal vorgestellt, was jetzt in
Deutschland eigentlich los wäre, wenn die alte Koalition
noch die Regierungsverantwortung hätte.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Die halbe Bundesregierung müsste man vor Bundeswehr-
kasernen von Sitzblockaden wegtragen.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass Sie heute lernen
müssen, dass man Frieden und Freiheit nicht mit Sitz-
blockaden sichert.


(Detlev von Larcher [SPD]: Seien Sie nicht so hochmütig!)


Es kommt jetzt darauf an, dass wir eine wehrhafte Demo-
kratie sind. So wie wir nach innen wehrhaft sein müssen,
müssen wir auch nach außen wehrhaft sein, sonst legen
wir die Axt an die Wurzel unseres Gemeinwesens.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, wir Freien Demokraten un-
terstützen den Kurs einer wehrhaften Demokratie und es
ist dabei aus unserer Sicht völlig klar, dass die Deutschen
hier mehr Verantwortung übernehmen müssen als in Form
von finanziellen Leistungen. Aber gerade weil die Oppo-
sition hier diese Verantwortung wahrnimmt, will ich an
dieser Stelle doch noch auf einige Dinge hinweisen.

Die Tatsache, Herr Bundeskanzler, dass Sie in der Un-
terrichtung im Bundeskanzleramt und anschließend vor
der Presse sagen, es habe fünf konkrete Anforderungen
der Vereinigten Staaten gegeben, und der amerikanische
Verteidigungsminister dem noch am selben Tag expressis
verbis widersprochen hat, ist an sich schon bedenklich ge-
nug. Aber dass gestern der deutsche Verteidigungsminis-
ter behauptet, es gebe sogar eine schriftliche Anforderung
der Vereinigten Staaten, im Fernsehen auch noch ein Brief
gezeigt wird und Sie rufen: „Das stimmt!“ dazu kann ich
Ihnen nur sagen: Herr Bundesverteidigungsminister,
wenn es diese schriftliche Anforderung gibt, wie Sie es
gesagt haben, dann möchte ich als Abgeordneter diese
schriftliche Anforderung sehen, hier in diesem Hohen
Hause. Denn die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Dr. Guido Westerwelle

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(B)


Es kann nicht in Ordnung sein, dass auf diese Art und
Weise mit Nebel Politik gemacht wird, um die Eigenen
ruhig zu stellen. Das ist nicht vernünftig und das können
wir nicht akzeptieren.

Ich will eine zweite Sache anmerken, die wir in der
nächsten Woche und in den Beratungen sicherlich noch
weiter diskutieren werden. Das ist nämlich die Frage, wer
jetzt eigentlich handelt. Ich finde es gut, Herr Bundes-
kanzler, dass Sie darauf hingewiesen haben, dass für
Deutschland die nationale Endentscheidung bestehen
bleibt. Aber die Frage ist, wenn man bündnispolitisch ei-
nen Schritt weiter denkt, schon berechtigt: Das Bündnis
hat den Bündnisfall ausgerufen, wer aber handelt jetzt?
Handelt das Bündnis? Handeln die Amerikaner? Handeln
die 14 Staaten, von denen im Augenblick die Rede ist?
Handeln wir Deutsche? Die bündnispolitische Qualität
dieses Vorgangs ist in meinen Augen noch nicht reflektiert
und das wird in den Ausschüssen eine wichtige Aufgabe
der nächsten Woche sein.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zu dem Zweiten, das Sie gesagt haben. Herr Bundes-
kanzler, Sie haben darauf hingewiesen, dass Sie am Sonn-
tagabend einen so genannten kleinen Gipfel gehabt haben.
Sie haben so ein wenig darauf hingewiesen, als sollte das
noch Anerkennung finden. Ich möchte Ihnen aus meiner
Sicht sagen: Gerade weil wir bereit sind, Ihre Außen- und
Sicherheitspolitik zu unterstützen, müssen diese kriti-
schen Anmerkungen erlaubt sein. Ich stelle mir schon die
Frage: Soll das die neue Qualität der Außenpolitik
Europas werden, dass wir künftig in kleinen Zirkeln in
Wahrheit Europa entmachten?


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nein, das ist nicht das, was wir uns an europäischer Poli-
tik auch in diesen Fragen vorgestellt haben. Aus unserer
Sicht ist das nicht sinnvoll.

Eine letzte Bemerkung, weil wir die abschließende De-
batte in der nächsten Woche führen werden und heute der
entsprechende Antrag nur eingebracht wird. Ich möchte
Sie bitten, Herr Bundeskanzler, die Frage der Befristung
wirklich noch einmal zu überdenken. Wir haben die der-
zeit laufende Mazedonienentscheidung zu Recht auf drei
Monate begrenzt, um anschließend neu zu bewerten und
zu entscheiden. Deswegen frage ich mich, warum wir eine
zwölfmonatige Grenze setzen. Frau Kollegin Merkel und
Herr Kollege Stoiber haben gestern ebenfalls darauf hin-
gewiesen. Ich sage Ihnen aus meiner Sicht: Wenn wir eine
Parlamentsarmee haben wollen, wenn sich das Parlament
insgesamt für die Bundeswehr verantwortlich fühlen will,
dann sollte nach meiner Überzeugung das Parlament in
dieser Woche nicht quasi einmal nicken, einmal entschei-
den, und dann in einem Jahr, vielleicht nach der Bundes-
tagswahl, noch einmal gefragt werden. Dann sollte hier
diese wichtige, vielleicht sogar historische Entscheidung
immer wieder zur Diskussion stehen. Das mag Ihnen in-
nenpolitisch manches Bauchgrimmen bescheren. Dem
können Sie sich aber nicht entziehen. Wir müssen hier in
kürzeren Fristen zusammenkommen, um den Erfolg und

die Akzeptanz dieser Entscheidung, die wir mit zu treffen
bereit sind, zu diskutieren.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1419800800
Ich erteile Bundes-
minister Joseph Fischer das Wort.


(Ulrich Irmer [FDP]: Die Regierung kennen wir ja, wir wollen wissen, was die Grünen sagen! – Michael Glos [CDU/CSU]: Kommen jetzt wieder Rücktrittsdrohungen, wie gestern Abend?)



Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419800900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundes-
kanzler und die Vorredner haben darauf hingewiesen, dass
es sich bei der jetzt anstehenden Entscheidung um eine
der schwierigsten und auch schwerwiegendsten Entschei-
dungen des Deutschen Bundestages, der Bundesrepublik
Deutschland in der Außen- und Sicherheitspolitik handeln
wird. Diese schwierige und schwerwiegende Entschei-
dung wirft selbstverständlich die Frage auf, ob es nicht
gangbare, verantwortbare Alternativen dazu gibt.

Es ist eine Entscheidung, die auf die Frage gründet:
Krieg oder Frieden? Es ist d i e zentrale Entscheidung.
Deutschland tut sich vor dem Hintergrund unserer eigenen
Geschichte besonders schwer. Nicht umsonst ist die Men-
schenwürde in Art. 1 des Grundgesetzes als unantastbar
gesetzt worden: aufgrund der Erfahrungen mit Kriegen
und furchtbarer, blutiger Diktatur. Diese Erfahrung sitzt,
quer durch alle Generationen und quer durch alle politi-
schen Lager, sehr tief; wir haben das im Zusammenhang
mit dem Kosovo-Krieg alle gespürt und erlebt. Der Krieg
in diesem Land hat furchtbare Verheerung mit sich ge-
bracht; an diesem Gebäude kann man es sehen. Aber vor
dem Krieg war die Unterdrückung, war die Diktatur,
wurde die Menschenwürde mit Füßen getreten. Das führte
zur Zerstörung Deutschlands und auch dieses Gebäudes.

Insofern haben wir eine Verantwortung, die sich nicht
nur auf dem Imperativ gründen kann, alles zu tun, um Ge-
walt zu vermeiden. Vielmehr müssen wir der Gewalt dort
entgegentreten, wo sie die elementarsten Grundsätze
friedlichen Zusammenlebens gefährdet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Krieg ist widerwärtig. Es gibt keinen klinisch sauberen
Krieg. Zum Wesen des Krieges gehört es vor allen Din-
gen, dass es auch unschuldige Opfer gibt. Oft werden, wie
wir wissen, die Ungerechten zuletzt getroffen; es werden
viele Gerechte getroffen. Angesichts der Tragweite der
Entscheidung, vor der wir stehen, verstehe ich insofern all
die Skrupel, verstehe ich auch die Emotionen. Aber ich
möchte an diesem Punkt nochmals darauf hinweisen – das
habe ich bei meinen jüngsten Reisen, auch in vielen Ge-
sprächen, wiederholt erfahren –: Nicht Amerika hat an-
gegriffen. Es ist Amerika, es ist das amerikanische Volk,
das angegriffen wurde, und zwar nicht zum ersten Mal.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Dr. Guido Westerwelle

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Am 11. September wurde das Furchtbare, das schon
1993 geplant war – nämlich mit einem mörderischen At-
tentat den Nordturm des World Trade Center auf den Süd-
turm stürzen zu lassen –, Wirklichkeit. Auf diese ver-
suchten Attentate haben die USA damals nicht militärisch
reagiert. In den USA wird jetzt eine Debatte darüber ge-
führt, ob das nicht ein Fehler war. Man hat polizeilich rea-
giert, man hat ermittelt, man hat die Beteiligten festge-
nommen, vor Gericht gestellt und rechtsstaatlich
verurteilt. Das alles hat den 11. September nicht verhin-
dert.

Niemand, meine Damen und Herren, führt Krieg gegen
Afghanistan. Und so furchtbar es ist: Es gibt so etwas wie
eine pazifistische realpolitische Konsequenz. Wir können
nicht überall humanitär intervenieren, das Elend zwar se-
hen, unser Bestes mit endlichen Mitteln versuchen – aber
nicht allerorts etwas dagegen tun.

Dieselben Kräfte haben in Ägypten zugeschlagen. Die-
selben Kräfte haben in Algerien im vergangenen Jahr-
zehnt ein Desaster verursacht, das bis zu 100 000 bzw.
150 000 Toten führte. Wir sind betroffen; ich meine das
mit tiefem Ernst. Aber wir können nicht überall eingrei-
fen. Auch das himmelschreiende Unrecht in Afghanistan
ist nicht der hinreichende Grund für die Abwägung aller
Möglichkeiten, sondern die Tatsache, dass seit dem
11. September von Afghanistan in Verbindung mit
al-Qaida und Bin Laden eine Gefahr für den Weltfrieden
und damit auch für uns ausgeht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Dies hat und muss Konsequenzen haben; wir müssen jetzt
eingreifen. Ich sage das besonders vor dem Hintergrund
der Grundüberzeugung meiner Partei und meiner Frak-
tion, die gerade aus der Forderung „Nie wieder Krieg!“
hervorgegangen ist.

Herr Westerwelle, es geht hier – das haben auch Sie ge-
sagt; ich weiß, dass wir hier die gleiche Position haben –
um die elementaren Grundwerte unserer Demokratie.
Aber dazu gehört eben auch, dass es immer wieder junge
Menschen geben wird, die das Recht auf Sitzblockaden
wahrnehmen wollen. Das ist auch gut so; das ist richtig so.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS – Michael Glos [CDU/CSU]: Sie sind auf unsere Gesetze vereidigt, Herr Außenminister! Sie rufen zum Gesetzesbruch auf! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


Ich rufe hier nicht zu Sitzblockaden auf, auch wenn ich
mir nicht sicher bin, Herr Glos, ob Sie Ihre Kandidaten-
frage in der CDU/CSU am Ende nicht noch mit Sitz-
blockaden entscheiden werden.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Nein, Sie rufen zum Gesetzesbruch auf!)


Aber das ist eine völlig andere Frage.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich rufe hier nicht zu Sitzblockaden auf. Vielmehr
stelle ich fest: Zum Wesen einer offenen Gesellschaft, ei-
ner Demokratie gehört es auch, dass junge Menschen
Sitzblockaden machen.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Schämen Sie sich! Sie sind der Gleiche geblieben, der Sie immer waren! Sie sind ein Flegel!)


Man wird mit ihnen diskutieren und ihnen entgegentreten.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Da liegen die Nerven aber blank!)


Da, wo sie das Recht übertreten, wird das Recht durchge-
setzt werden.

Meine Damen und Herren, welches Verständnis von
Demokratie haben Sie eigentlich, wenn Sie schon bei ei-
ner solch einfachen Aussage hier im Plenum einen der-
artigen Aufstand machen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Michael Glos [CDU/CSU]: Flegel in Flanell! – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Dem Kanzler ist das ganz schön peinlich!)


Zurück zur Sache. Die entscheidenden Konsequenzen,
die wir aus dem 11. September ziehen müssen, beruhen
auf der Grundlage der Sicherheitsratsresolutionen der
Vereinten Nationen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Zu früh gelobt, Herr Bundeskanzler!)


In den Sicherheitsratsresolutionen 1368 und 1373 wird
klar gemacht, dass es hier um eine Gefahr für den Welt-
frieden geht, dass wir in der Tat alles tun müssen, um dem
derzeit bestehenden terroristischen Netzwerk das Hand-
werk zu legen und all denen, die angegriffen werden,
Beistand zu leisten. Das wurde durch Ausrufen des Bünd-
nisfalles gemäß Art. 5 des NATO-Vertrages deutlich
gemacht; der Bundeskanzler hat darauf hingewiesen.

Die entscheidende Frage – das ist die Kernfrage –, vor
der wir stehen und um deren Beantwortung wir uns nicht
drücken können, ist – man mag viel über die Strategie, die
die USA eingeschlagen haben, diskutieren und sie mei-
netwegen auch kritisieren; die USA tun das selbst –: Kön-
nen wir in dieser Situation, in der die Bevölkerung und die
Regierung der Vereinigten Staaten angegriffen wurden,
unseren wichtigsten Bündnispartner, der auf diesen An-
griff antwortet und sich gegen diesen Angriff auf klarer
völkerrechtlicher Grundlage zur Wehr setzt, allein lassen,
ja oder nein? Diese Entscheidung hat dieses Haus zu tref-
fen.


(Dr. Peter Struck [SPD]: So ist es!)


Wenn diese Entscheidung mit Nein beantwortet wird,
wird das weitreichende Konsequenzen für die Bundesre-
publik Deutschland, für deren Sicherheit und deren Bünd-
nisfähigkeit haben.


(Widerspruch des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])


Ich füge hinzu: Dies wird weitreichende Konsequenzen
auch für die weitere Entwicklung Europas haben. Denn
alle unsere Partner in Europa führen die gleiche innenpo-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Bundesminister Joseph Fischer

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litische Diskussion. Alle – eingeschlossen Großbritan-
nien – haben die gleiche innenpolitische Stimmung. Aber
alle wichtigen Partner kommen zu der Konsequenz, dass
es für sie, für Europa und für unsere gemeinsame Sicher-
heit ein fataler Fehler wäre, wenn wir die USA alleine
ließen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das stimmt doch gar nicht!)


Deswegen werden wir uns jetzt dieser Frage zuwenden
müssen. Auch an diesem Punkt geht es nicht darum, ir-
gendein Ziel auszusuchen, sondern es ist für mich ein-
deutig, wer die Haftung für die Anschläge vom 11. Sep-
tember dieses Jahres zu übernehmen hat. Er hat sie
übernommen. Es ist eindeutig, dass das Talibanregime
nicht nur die eigene Bevölkerung unterdrückt, sondern
dass das Talibanregime Osama Bin Laden und sein Netz-
werk aktiv unterstützt und ihm Rückzugsmöglichkeiten
bietet.

An dieser Erkenntnis führt kein Weg vorbei. Wir mei-
nen es ernst damit, dass es sich hier um eine Gefahr für
den Weltfrieden handelt. Ich bin der festen Überzeugung:
Wenn wir nichts tun, werden weitere Aktionen folgen. Es
wird nicht so sein, dass Zuwarten irgendetwas positiv ver-
ändern wird. Auch wenn wir uns in anderen Bereichen po-
litisch und humanitär engagieren, wird es nicht so sein,
dass irgendetwas anders werden wird. Wir werden mit
dieser Herausforderung fertig werden müssen. Das ist die
ganze bittere Wahrheit.

Dazu wird gehören, dass man die Rückzugsgebiete
dieses terroristischen Netzwerkes nicht mehr akzeptiert,
dass man dort die notwendigen militärischen Maßnahmen
ergreift und im Rahmen der Verhältnismäßigkeit, basie-
rend auf den Grundwerten, für die wir einstehen, alles tut,
damit dieses Netzwerk zerschlagen und zerstört wird und
nicht weiter das Leben unschuldiger Menschen gefährden
kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


In diesem Zusammenhang hat der Bundeskanzler ein
Gesamtkonzept vorgestellt. Besonderes Augenmerk ver-
dient eine große internationale Anstrengung. Ich werde in
New York nochmals mit allem Nachdruck in der Rede vor
der Generalversammlung der Vereinten Nationen und
in den vielen Gesprächen, die dort zu führen sind, anspre-
chen, dass wir eine große humanitäre Anstrengung für das
afghanische Volk in seiner Bedrängnis leisten und dass
wir eine politische Lösung – dabei werden die kommen-
den Gespräche in den vor uns liegenden Tagen in New
York eine zentrale Rolle spielen – voranbringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Mit diesem Krieg, der schon 22 Jahre andauert, muss
Schluss sein. Das afghanische Volk braucht eine Perspek-
tive zum Wiederaufbau in Frieden. Es darf nicht mehr hin-
genommen werden, dass in diesem Land die höchste
Sterblichkeitsrate bei Neugeborenen weltweit herrscht,

dass dieses Land eine dauerhafte Katastrophe für die
Menschen darstellt, in dem Interessen von regionalen
Mächten und Kriegsherren sowie die Unterdrückung
durch die Taliban dazu geführt haben, dass dieses Volk
seit 22 Jahren keine Perspektive hat.

Auch dem müssen wir uns verpflichtet fühlen, wenn
wir uns entscheiden, gemeinsam mit unseren Partnern mi-
litärisch einzugreifen. Ich denke, diese politische Per-
spektive ist gemeinsam mit der humanitären Unterstüt-
zung von zentraler Bedeutung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Lassen Sie mich an diesem Punkt etwas ansprechen:
die Lösung der Regionalkonflikte. Ich will es anders for-
mulieren: Ich halte es für ziemlich verantwortungslos,
wenn behauptet wird, der Nahostkonflikt sei die Ursache
für Bin Laden und Israel trage an der Entwicklung des is-
lamistischen Terrorismus Schuld. Ich halte dies für eine
verantwortungslose These, weil Israel an der Invasion der
Sowjetunion in Afghanistan nicht schuld gewesen ist. Is-
rael ist am Kaschmir-Konflikt nicht schuld. Israel ist an
den innenpolitischen Problemen auf der arabischen Halb-
insel und in anderen Staaten nicht schuld. Israel ist an der
Katastrophe von Algerien nicht schuld. All das muss man
wissen. Auch muss man wissen, Herr Westerwelle, dass
Israel seit seiner Gründung in der arabischen Welt instru-
mentalisiert wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1419801000
Kollege Fischer, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bonitz?


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419801100

Nein, ich möchte mit meinen Ausführungen zum Ende
kommen.

Dies möchte ich eindeutig klarstellen. Wir sollten all
jenen, die in der Öffentlichkeit etwas anderes behaupten,
entgegentreten. Der Bundeskanzler hat zu Recht gesagt:
Wenn wir morgen den Nahostkonflikt gelöst hätten, wäre
das Problem des islamistischen Terrorismus mitnichten
gelöst. – Dennoch ist es sehr wichtig, dass wir die Regio-
nalkonflikte lösen. Das ist der entscheidende Punkt. Wir
müssen im Nahostprozess vorankommen. Wir setzen da-
rauf, dass unsere amerikanischen Partner im Rahmen die-
ser Antiterrorkoalition erneut die Führung übernehmen,
und zwar auf der Grundlage gemeinsamer Positionen.
Diese Chance zur Zusammenarbeit mit Europa, mit Russ-
land und dem VN-Generalsekretär hat es noch nie gege-
ben. Das sehen wir als einen ganz entscheidenden Punkt
an.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir diskutieren hier über die Frage von Krieg und Frie-
den. Die Angriffe des islamistischen Terrorismus auf New
York und Washington waren kalte Berechnung. Der
Tod Tausender Menschen wurde kalt berechnend in Kauf

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Bundesminister Joseph Fischer

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genommen, um einen großen Konflikt in der islamisch-
arabischen Welt, im Nahen und Mittleren Osten, aus-
zulösen. Weitere Anschläge werden folgen, wenn wir sie
nicht verhindern können, wenn wir den Terroristen nicht
das Handwerk legen. Europa ist ein Nachbar dieser Re-
gion. Zu meinen, dass wir zuwarten könnten, ist ein
großer Irrtum; denn wenn die Terroristen erfolgreich
wären, dann würden wir in einem Maße mit der Frage von
Krieg und Frieden konfrontiert werden, wie es sich die
meisten Menschen – Gott sei Dank – heute noch nicht ein-
mal träumen lassen.

Wir sind an dieser Konfliktregion zu nah dran, als dass
wir uns der Illusion hingeben könnten, wir könnten uns
heraushalten. Der Einsatz von Gewalt ist die Ultima Ra-
tio und muss immer die Ultima Ratio bleiben. Aber wenn
man mit Gewalt konfrontiert wird und weiß, dass sie hin-
ter der nächsten Ecke lauert, dann wird man sich gegen sie
wehren müssen. Aber dabei dürfen wir, wie gesagt, nie
vergessen, dass der Einsatz von Gewalt die Ultima Ratio
ist. Wir dürfen vor allen Dingen auch nicht vergessen,
dass die Probleme in dieser Region politisch und humani-
tär gelöst werden müssen; denn im Kern sind sie poli-
tische Probleme.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn wir uns etwas vorzuwerfen haben, dann ist es die
Tatsache, dass wir im vergangenen Jahrzehnt die Illusion
hatten, eine Friedensdividende einnehmen zu können,
ohne Investitionen in den Frieden vorzunehmen.


(Zurufe von der FDP – Beifall bei Abgeordneten der FDP)


– Nein, ich möchte Ihnen erklären, woran das liegt – ich
hoffe, Sie wollen jetzt nicht eine Debatte führen, die an
diesem Punkt unangebracht wäre –: Der Rückzug der Ers-
ten Welt in den Unilateralismus – die USA haben ihn
Schritt für Schritt vollzogen – ist durch die Anschläge
vom 11. September unterbrochen worden. Für mich ist
eine der Lektionen des 11. Septembers, dass die USA
nicht wieder in den Unilateralismus zurückgestoßen wer-
den dürfen. Wer das nicht einsieht, der verkennt, dass die
USA gemeinsam mit Europa eine große Chance haben,
Konflikte zu lösen, und der begreift nicht, dass Friedens-
politik im 21. Jahrhundert vor allen Dingen multilaterale
Verantwortungspolitik bedeutet, dass wir nie wieder ei-
nen Rückzug der reichen Welt zulassen dürfen – wenn
man vor der Entscheidung steht, ob man militärisch han-
deln soll oder nicht, ist es meistens schon zu spät –, dass
wir uns vielmehr im Rahmen einer präventiven Friedens-
politik mit der Lösung der Probleme der Dritten Welt, ins-
besondere in Asien und Afrika, beschäftigen müssen – ich
betone: präventiv, nicht militärisch – und dass die Länder
der reichen Welt das gemeinsam tun müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir müssen die Vereinten Nationen deshalb stärken.
Sie werden in Afghanistan eine bedeutende Rolle spielen.
Ich behaupte, die Debatte über die Reform der Vereinten
Nationen beginnt jetzt erst. Auch hier haben wir im Rah-

men unserer Entscheidungsbefugnisse Verantwortung zu
übernehmen. Die Entscheidung „Deutschland nimmt
nicht teil“ würde auch eine Schwächung Europas bedeu-
ten und würde letztendlich bedeuten, dass wir keinen Ein-
fluss auf die Gestaltung einer multilateralen Verantwor-
tungspolitik hätten. Genau darum wird es in den
kommenden Jahren gehen.

Ich bedanke mich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1419801200
Ich erteile dem Kolle-
gen Roland Claus, PDS-Fraktion, das Wort.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1419801300
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Der amerikanische Professor
David Fromkin hat – man höre und staune – bereits vor
24 Jahren gesagt:

Es ist die Strategie der Terroristen, ihr Ziel nicht
durch ihre Handlungen, sondern durch die Reaktio-
nen darauf zu erreichen.

Ich denke, mit dieser Überlegung sind wir auch heute kon-
frontiert, wenn wir uns die Frage stellen: Vereiteln Bom-
ben auf Afghanistan die Ziele der Terroristen oder bedie-
nen sie deren wahnsinnige Logik nur?


(Beifall bei der PDS)

Nach vier Wochen Krieg gegen Afghanistan stellt sich

die Frage nach der Bilanz. Keines der selbst gesteckten
Ziele ist bisher erreicht worden: Die Sicherheit in den Ver-
einigten Staaten und in Europa hat sich für die Bürgerin-
nen und Bürger nicht spürbar erhöht. Die internationalen
terroristischen Strukturen sind nicht beseitigt. Das
Talibanregime regiert weiter. Die Antiterrorkoalition
bröckelt. Des Weiteren droht eine Destabilisierung im ara-
bischen und zentralasiatischen Raum. Ich möchte in die-
sem Zusammenhang nur auf die gefährliche Situation in
Kaschmir hinweisen.

Der PDS ist in diesen schwierigen Tagen häufig unter-
stellt worden, sie suche nur nach einfachen Antworten.
Das Gegenteil ist der Fall. Wir tun uns im Ringen um
diese Antworten ebenso schwer wie Sie. Ich will Ihnen
aber eines sagen: Auch wer wie wir zugibt, nicht alles zu
wissen, muss nicht zwingend einen falschen Weg mitge-
hen.


(Beifall bei der PDS)

Herr Bundeskanzler, das hat überhaupt nichts damit zu
tun, dass wir die Ereignisse des 11. September verdrängen
wollten. Das ist nicht der Fall.

In dieser schwierigen Situation sagen wir: Wir wissen,
dass Krieg das falsche Mittel im Kampf gegen den Ter-
rorismus ist.


(Beifall bei der PDS)

Krieg vermehrt die terroristische Gefahr, er schränkt sie
nicht ein. Der Kampf gegen den Terrorismus ist zu ge-
winnen, ein Krieg aber nie.


(Beifall bei der PDS)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Bundesminister Joseph Fischer

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Weil wir gegen den Krieg als Mittel gegen den Terroris-
mus sind, sagen wir auch Nein zur deutschen Kriegsbe-
teiligung.


(Beifall bei der PDS)


Wir finden, dass die deutsche Beteiligung die Situation
verschlimmert. Wir haben uns immer für die Wahrneh-
mung der diplomatischen politischen Mission des Bun-
desaußenministers ausgesprochen; man kann das nachle-
sen. Aber die Spielräume, die Deutschland bislang hatte,
sind mit dem Eintritt in die Kriegshandlungen dahin.

Herr Bundeskanzler, Sie haben noch vor kurzem gesagt:
Risiko ja, Abenteuer nein. Wir fürchten, das ist nun hinfäl-
lig. Wir fürchten, dass jetzt ein militärisches Abenteuer be-
ginnt, und zwar schon deshalb, weil Sie die relativ einfache
Frage nicht beantworten können: Was muss geschehen, da-
mit deutsche Soldaten zurückkehren? In welcher Situation,
Herr Bundeskanzler, befinden wir uns: Bündnisfall, Bei-
standsfall oder Kriegszustand? Sagen Sie das den Men-
schen in Deutschland. Sie haben ein Recht darauf.


(Beifall bei der PDS)


Ich will zu dem Antrag kommen. Es gab heute weiter-
hin Irritationen darüber, auf welche Weise es zu dieser
Anforderung kam. Ich will Ihnen etwas sagen, was Sie
vielleicht nicht erwarten: Nach dem, was mir bekannt ist,
hat der Bundeskanzler über das Zustandekommen dieser
Anforderung korrekt informiert. Diese Tatsache ist von
Oppositionskollegen in Zweifel gezogen worden. Herr
Bundeskanzler, ich stelle die einfache Frage: Wenn es sol-
che anhaltenden Irritationen gibt, warum haben Sie dann
nicht die Möglichkeit genutzt, vor dem Bundestag das
konkrete Zustandekommen dieser Anforderungen – mög-
lichst unter Zuhilfenahme von Schriftstücken – klarzu-
stellen? Das wäre durchaus möglich gewesen. In diesem
Zusammenhang hätten Sie nicht die Kronzeugenschaft
der PDS gebraucht.


(Beifall bei der PDS)


Der Antrag wirft gewaltige Fragen auf: Was bedeuten die
riesigen Einsatzgebiete, über die schon geredet wurde?
Was heißt „geltende Einsatzregeln für militärische Ge-
walt“? Wie kommen Spürpanzer zum Einsatz, wenn
Deutschland nicht am Boden agieren will? Können Pan-
zer fliegen?


(Beifall bei der PDS)


Sie setzen ausschließlich auf die Nordallianz. Die
Nordallianz mag in der Lage sein, gegen die Taliban das
eine oder andere Gefecht zu gewinnen. Die Schlacht oder
den Kampf gegen den Terrorismus kann die Nordallianz
nicht erfolgreich bestreiten.


(Beifall bei der PDS – Rudolf Bindig [SPD]: Alles falsche Mutmaßungen!)


Es darf nicht vergessen werden, dass die Nordallianz und
die Taliban zusammen seinerzeit mit über 6 Milliarden
Dollar für den Kampf gegen die Sowjets aufgerüstet wur-
den.

Herr Bundeskanzler, Sie haben völlig zu Recht das
nicht hinzunehmende Elend von Frauen in Afghanistan

angesprochen. In diesem Punkt von der Nordallianz ir-
gendetwas an Verbesserung zu erwarten ist doch eine
glatte Illusion.


(Beifall bei der PDS)


Ich möchte Sie – vor allem diejenigen Kolleginnen und
Kollegen, die beabsichtigen, dem vorliegenden Antrag
zuzustimmen – bitten: Lassen Sie nicht zu, dass erneut ein
Vorratsbeschluss gefasst wird. Der Antrag, mit dem wir es
zu tun haben, ist eine Art Freibrief.


(Beifall bei der PDS)


Im Text ist sogar das Wort „Ermächtigung“ enthalten.
Lassen wir nicht zu, dass die Souveränität des Parlaments
eingeschränkt wird. Lassen wir auch nicht zu, dass mit
kritischen Stimmen in dieser gesellschaftlichen Situation
vonseiten der Regierungskoalition und vonseiten des
Bundeskanzlers weiter so umgegangen wird wie bisher.


(Beifall bei der PDS)


Herr Bundeskanzler, der Maulkorb, den Sie der IG
Metall verpasst haben, gehört genau zu der von mir kriti-
sierten Position. In diesem Zusammenhang will ich an ei-
nes erinnern: Bundeskanzler Kohl hat so manchen Strauß
mit den Gewerkschaften ausgefochten, aber den Gewerk-
schaften das Recht auf Friedenspolitik abzusprechen ist
ein Novum, das erst unter Rot-Grün eingeführt worden
ist, und das wollen wir so nicht hinnehmen.


(Beifall bei der PDS – Detlev von Larcher [SPD]: Das ist Blödsinn!)


– Das ist leider kein Blödsinn.


(Detlev von Larcher [SPD]: Doch!)


Ich wünschte mir, es wäre Blödsinn, Herr Kollege.

Im Übrigen spricht die Delegitimierung aller Kriegs-
kritiker nicht etwa für Souveränität dieser Regierung, son-
dern für Schwäche im Umgang mit Kritikerinnen und Kri-
tikern.


(Beifall bei der PDS)


Meine Damen und Herren, ich denke, es gibt noch im-
mer die Chance zur Umkehr auf diesem Weg. Noch ha-
ben wir eine Woche Zeit bis zur Beschlussfassung. Lassen
Sie uns umkehren und wieder hinkommen zu einer Do-
minanz des Politischen, des Diplomatischen, des Juristi-
schen, meinethalben auch des Polizeilichen! Lassen Sie
uns von der uneingeschränkten Solidarität zu dem kom-
men, was wir im Deutschen Bundestag „kritische Solida-
rität“ genannt haben! Lassen Sie uns für wirksame Flücht-
lingshilfe und Aufbauhilfe in Afghanistan eintreten! Ich
sage noch einmal: Wenn dem globalisierten Terror der
globalisierte Krieg folgte, dann hätte sich nicht die Logik
der Zivilisation, sondern dann hätte sich der Wahnsinn der
Terroristen durchgesetzt und das können und wollen wir
nicht zulassen.


(Beifall bei der PDS)


Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, fällt mir zum
Schluss nur ein, Ihnen zuzurufen: Sagt Nein!


(Beifall bei der PDS)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Roland Claus

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Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1419801400
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich das Wort dem Kollegen Werner Schulz.

Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Kollege Claus, Sie haben die uneingeschränkte
Solidarität Deutschlands infrage gestellt und abgelehnt,
eine Solidarität, die bedeutet, dass kein Bereich von Hilfe
und Unterstützung von vornherein ausgeschlossen ist,
eine Solidarität, die nicht zuerst nach Garantieleistung
fragt, sondern die Notwendigkeit sieht. „Uneinge-
schränkte Solidarität“ heißt nicht „bedingungslose Soli-
darität“.


(Zurufe von der PDS: Doch!)


Bedingungslose Solidarität, Gregor Gysi, hat es von 1980
bis 1989 in einem Teil Deutschlands gegeben, in einer
Zeit also – um das einmal deutlich zu machen –, als du und
viele andere deiner Partei


(Zuruf von der PDS: Jetzt nicht mehr!)


als Mitglieder der Sozialistischen Einheitspartei


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Keine Wiederholung!)


in fester Waffenbrüderschaft an der Seite der Sowjetunion
standen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Es gibt ein Maß von Heuchelei, finde ich, das unerträglich
ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP – Beifall bei der PDS – Rolf Kutzmutz [PDS]: Schwerter zu Pflugscharen!)


Die Probleme von heute haben etwas mit der Vergan-
genheit zu tun, und zwar sehr konkret.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Eben!)


Was die gewundenen Erklärungen zu Mauerbau und
Zwangsvereinigung angeht, so muss ich sagen: Da waren
viele von uns noch nicht geboren oder noch Kinder. Aber
Afghanistan ist ein anderer Konflikt.

Ich will einen ganz interessanten Zacken aus meiner
Biografie erwähnen, der seit 1990 im Handbuch des Deut-
schen Bundestages steht. Ich habe nicht gedacht, dass das
in irgendeiner Weise noch einmal eine Rolle spielen
würde.

Ich bin 1980 mit meiner halb fertigen Dissertation von
der Humboldt-Universität geflogen, weil ich Protest ge-
gen den Einmarsch der Russen in Afghanistan gewagt
habe. Von der SED habe ich da von Kritik kein Sterbens-
wörtchen gehört. Ihre Position heute wäre glaubwürdiger,
wenn Sie keine einfachen Antworten geben würden,


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Weil wir gelernt haben!)


sondern wenn Sie erklären könnten, warum Sie in dem
grausamen Krieg damals neun Jahre lang bedingungslose
Solidarität geübt haben und sich heute bei der Beteiligung

am Kampf gegen den Terrorismus verweigern. Das müs-
sen Sie der deutschen Öffentlichkeit erklären!


(Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1419801500
Kollege Claus, Sie ha-
ben die Gelegenheit zu einer Erwiderung.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1419801600
Herr Kollege Schulz, Sie kön-
nen sich mit der Mehrheit im Deutschen Bundestag mög-
licherweise auf den Verweis auf die Geschichte meiner
Partei zurückziehen. Sie können unsere Kritik an Ihnen
auf diese einfache Art zurückweisen.


(Beifall bei der PDS – Detlev von Larcher [SPD]: Das haben Sie selbst verursacht!)


Sie können aber eines nicht zurückweisen: In dieser
Gesellschaft gibt es inzwischen viel mehr Stimmen als die
aus meiner Partei und aus meiner Fraktion, die sagen, dass
die Begrifflichkeit von der „uneingeschränkten Solida-
rität“ für dieses Land ein unheilvolles Bekenntnis war,


(Beifall bei der PDS)


weil es dazu führt, dass es zu einer bedingungslosen Soli-
darität kommt. Ich muss hier doch nicht die Namen der
Prominenten aufzählen – angefangen von Günter Grass
über viele weitere Schriftsteller –, die in diese Kritik ein-
gestimmt haben. Wir werden an unserer Position festhal-
ten. Dabei werden wir uns auf den Rückhalt in unserer
Gesellschaft stützen können. Die Mehrheitsverhältnisse
sehen dort anders aus als hier, im Deutschen Bundestag.


(Beifall bei der PDS – Rudolf Bindig [SPD]: Keine Antwort! – Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Du gehst überhaupt nicht auf das Problem ein, das er angesprochen hat!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1419801700
Ich erteile das Wort
dem Bundesminister Rudolf Scharping.


Rudolf Scharping (SPD):
Rede ID: ID1419801800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In mehreren
sicherheits- und außenpolitischen Debatten in diesem
Parlament hat eine Erkenntnis eine Rolle gespielt, die
auch heute wichtig ist: Allein, also für sich, können Staa-
ten ihre Sicherheit wenn überhaupt, dann nur schwer ge-
währleisten; sie sind auf Zusammenarbeit angewiesen.
Zusammenarbeit ist nicht nur wegen der Bedrohung in
Form eines zwischenstaatlichen Krieges – diese Wahr-
scheinlichkeit ist sehr gering geworden – erforderlich,
sondern auch, weil Zusammenarbeit zur Gewährleis-
tung gemeinsamer Sicherheit die unabdingbare Voraus-
setzung für den Schutz vor asymmetrischen Bedrohungen
ist. Es geht beispielsweise um Bedrohungen, die zwar
nicht unmittelbar von Staaten ausgehen, aber möglicher-
weise von ihnen unterstützt werden. Das kann der Fall bei
terroristischen Bedrohungen sein.

Ich muss offen sagen: Bestimmte Teile der Debatte
sind in meinen Augen zu sehr innenpolitisch motiviert.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119298


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir haben es mit einer ernsten, den Weltfrieden und die
globale Stabilität herausfordernden Bedrohung zu tun.
Wir haben es mit einer Bedrohung zu tun, die auf das Er-
zeugen von Angst und Unsicherheit in den westlichen,
den offenen, den freiheitlichen Gesellschaften zielt. Wir
haben es mit einer Bedrohung zu tun, die über diesen Weg
zugleich die Stabilität der arabischen, islamisch geprägten
Gesellschaften und Staaten in Gefahr bringen will.

Es ist deshalb wichtig – allerdings ist es erstaunlich,
dass dieser Gesichtspunkt bei unseren Erwägungen hier
kaum eine Rolle spielt –, dass die arabische Welt in dieser
sehr herausfordernden, schwierigen und mit schwerwie-
genden Entscheidungen verbundenen Situation ausdrück-
lich gesagt hat: Weder die Taliban noch Osama Bin Laden
können sich auf den Islam berufen. Die islamischen Staa-
ten verurteilen den Terrorismus und engagieren sich
genauso – übrigens aus wohl erwogenen eigenen Interes-
sen – gegen diese Entwicklung im Rahmen einer interna-
tionalen Koalition.

Wenn es stimmt, dass man sich gegen Bedrohungen
dieser Art besser und erfolgversprechender gemeinsam
wehren kann, dann wird deutlich, worin unsere Interessen
und die sich daraus ergebenden Verpflichtungen bestehen.
Es gibt einen untrennbaren Zusammenhang zwischen der
Freiheit und der Sicherheit offener Gesellschaften, demo-
kratischer Rechtsstaaten im Innern, und der Gewährleis-
tung ihrer äußeren Sicherheit.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr richtig!)


Vor diesem Hintergrund beantwortet sich nicht nur die
Frage, ob wir die Vereinigten Staaten aus Gründen der So-
lidarität, der historischen Dankbarkeit oder aus anderen
Gründen unterstützen. Nein, es geht um viel mehr: Es geht
um unser eigenes Interesse an der Bewahrung der Frei-
heit, der Rechtsstaatlichkeit, der demokratischen Sub-
stanz der eigenen Gesellschaft. Wir müssen uns gegen ter-
roristische Bestrebungen wehren und dürfen nicht in die
Gefahr kommen, zum Spielball von Entscheidungen zu
werden, die nicht wir, sondern die terroristischen Organi-
sationen – Gewissenlose und zum Teil scheinbar Ver-
rückte – treffen; denn anders kann man das, was Herr Bin
Laden gegenüber den Vereinten Nationen, dem General-
sekretär und den Führungen arabischer und islamisch ge-
prägter Staaten gesagt hat, nicht qualifizieren.


(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn das unter uns klar ist, können wir die Frage stellen,
ob wir das Richtige tun. Wenn wir allerdings unseren Bür-
gerinnen und Bürgern signalisieren würden, dass das rich-
tige Tun ausschließlich aus Militärischem bestünde, be-
gingen wir einen schweren Fehler.

Wie wir alle wissen, ist das Handeln mehrdimensional.
Es bezieht Fragen der inneren Sicherheit, der Finanzquel-
len, der Ausbildung, der Organisationsstruktur und vor al-
len Dingen weit reichende außen- und sicherheitspoliti-
sche Bemühungen ein. Es bezieht den Versuch ein, die
Nachbarstaaten zu stabilisieren und regionale Konflikte,
zum Beispiel in Kaschmir, im Nahen Osten und andern-
orts, die eine explosive Kraft entfalten können, einzu-
dämmen. Auf all das – das wird oft genug übersehen –

nehmen die militärischen Maßnahmen, die heute
durchgeführt werden, nicht nur Rücksicht, sondern sie
folgen diesen politischen Zielen. Anders könnte man
– um es mit einem scheinbar technischen Detail zu unter-
mauern – nicht erklären, dass während des Krieges gegen
den Irak zur Befreiung Kuwaits pro Tag 1 500 bis 2 000
und während des Krieges im Kosovo pro Tag 250 bis
300 militärische Einsätze geflogen wurden, jetzt aber
– stark limitiert – nur etwa 100 pro Tag.

Wer in der deutschen Öffentlichkeit entweder behaup-
tet oder die Behauptung verbreitet, es gebe Flächenbom-
bardements und einen sinnlosen, überbordenden und
überschießenden Einsatz militärischer Mittel, der versteht
entweder die Fakten nicht bzw. will sie nicht verstehen
oder er hat ein anderes Interesse.

Dann kann man die Frage stellen, ob die militärischen
Maßnahmen und deren Unterstützung durch Bereitstel-
lung von Fähigkeiten der Bundesrepublik Deutschland
diesen Zielen gerecht werden. Diese Frage kann man von
zwei Seiten her beantworten. Die eine Frage lautet: Was
geschieht, wenn nichts geschieht und wir uns nicht betei-
ligen? – Wir werden zum Spielball des Terrors. Wir ver-
lieren unsere Fähigkeit, Amerika zu beeinflussen und eine
auf multilaterale Verantwortung und gemeinsames Vorge-
hen abzielende Politik durchzusetzen. Wir verspielen un-
sere eigenen Möglichkeiten in der NATO. Wir sondern
uns von den europäischen Staaten, von Frankreich, Groß-
britannien, Italien, Spanien, Tschechien und Polen, ab.
Wir verlieren unseren Einfluss bei der Gestaltung der
Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union.
Hier steht nicht nur der Erfolg des Kampfes gegen den
Terrorismus auf dem Spiel, sondern hier steht auch die
Rolle der Bundesrepublik Deutschland in einer sich
entwickelnden, auf multilateraler Verantwortung beru-
henden Politik innerhalb der NATO und der Europäischen
Union zur Debatte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die zweite Frage lautet: Wen ermutigen wir, wenn wir
nicht zum Erfolg dieses Ringens beitragen? Was wird in
den arabischen und den islamisch geprägten Gesellschaf-
ten los sein, wenn sich der Eindruck verfestigt, wir seien
nicht tapfer und standhaft genug, um dieses Ringen zu ei-
nem erfolgreichen Ende zu führen? Die Ermutigung des
Terrorismus und von Radikalismen, die daraus erwach-
sen würden, würde unabsehbare Folgen für Freiheitlich-
keit, das Maß an Offenheit und die demokratische Natur
unserer Gesellschaften haben. Wir sollten uns da nichts
vormachen.

Im Lichte all dieser Fragen will ich hinsichtlich der Un-
terstützung der Bundesrepublik Deutschland sagen: Der
Antrag der Bundesregierung folgt nicht nur, sondern er
geht weit über das Maß an Präzisionen hinaus, welches
das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung
vom 12. Juli 1994 verlangt hat. Dort steht:

Der der Regierung von der Verfassung für außen-
politisches Handeln gewährte Eigenbereich exekuti-
ver Handlungsbefugnis und Verantwortlichkeit wird
durch den Parlamentsvorbehalt nicht berührt. Das
gilt insbesondere hinsichtlich der Entscheidung über

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Bundesminister Rudolf Scharping

19299


(C)



(D)



(A)



(B)


die Modalitäten, den Umfang und die Dauer der
Einsätze, die notwendige Koordination in und mit
Organen internationaler Organisationen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1419801900
Herr Minister, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Irmer von der
FDP?


Rudolf Scharping (SPD):
Rede ID: ID1419802000

Im Augenblick nicht. Ich bitte dafür um Verständnis. –
Wenn man diese Passage des Urteils zugrunde legt, dann
wird leichter deutlich, worin unsere Fähigkeiten bestehen:
Sie sind im Wesentlichen defensiv und werden im We-
sentlichen in Deutschland bereitgestellt.

Sie, Herr Kollege Westerwelle, wissen hinsichtlich der
Frage der Koordination in und mit Organen internationa-
ler Organisationen, im Fall der NATO auch mit Bünd-
nispartnern so gut wie ich: Wenn ein Bündnispartner seine
Anforderungen als geheim einstuft, ist allein er in der
Lage, diese Einstufung zu verändern. Wir können das
nicht. Das wissen Sie so gut wie ich.

Der Zweifel, der gesät werden soll, hat eine innenpoli-
tische Intention, hat darüber hinaus aber auch eine außen-
politische Wirkung. Wenn es von einem amerikanischen
Regierungsmitglied eine missverständliche Formulierung
gegeben hat, dann darf das nicht dazu führen, dass wir in
Deutschland plötzlich beginnen, kleinkarierte Debatten
darüber zu führen, welche Anforderungen in welcher
Form vorliegen. Jeder von uns, jeder, der an solchen Pro-
zessen beteiligt ist, weiß doch, dass Anforderungen – das
ist völlig normal – auf operative Kategorien umgerechnet
werden können.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Keine Geheimnisse ausplaudern!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1419802100
Herr Minister, Sie müs-
sen zum Ende kommen. Ihre Redezeit ist überschritten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rudolf Scharping (SPD):
Rede ID: ID1419802200

Herr Präsident, meine Damen und Herren, zum Schluss
möchte ich auf folgenden Punkt aufmerksam machen: Die
Fähigkeiten, die bereitgestellt werden sollen, können zum
Teil sehr schnell verfügbar gemacht werden. Das betrifft
die medizinische Evakuierung und den Lufttransport. Sie
bedürfen zum Teil einer sehr sorgfältigen Vorbereitung
und auch – das betrifft beispielsweise Spezialkräfte – ge-
meinsamer Ausbildung.

Meine dringende Bitte ist, dass wir im Parlament und
in der Regierung uns auch angesichts des einen oder an-
deren spekulativen Berichts nicht selber in Hektik verset-
zen und uns zu Spekulationen verleiten lassen, die einer
nüchternen, abwägenden und verantwortungsbewuss-
ten Entscheidung alles andere als förderlich sind.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1419802300
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Michael Glos, CDU/CSU-Fraktion.


Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID1419802400
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Entgegen meiner ur-
sprünglichen Absicht möchte ich einige Bemerkungen zu
dem machen, was wir heute hier gehört haben. Zum einen
ist der Außenminister wieder rückfällig geworden und hat
offen zum Gesetzesbruch aufgerufen.


(Lachen bei der SPD – Rudolf Bindig [SPD]: Kleinkarierter Einstieg!)


Sitzblockaden sind eine Nötigung. Wenn in Gorleben
nicht nachdrücklich zu Sitzblockaden aufgerufen würde,
müssten wir 18 000 Polizisten weniger einsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rudolf Bindig [SPD]: Kleinkarierter Glos!)


Paulus, einer der beliebtesten Heiligen in der katholischen
Kirche, war vorher Saulus. Ich weiß nicht, ob auch er zwi-
schendurch rückfällig geworden ist.


(Rudolf Bindig [SPD]: Es ist zum Aus-demSaal-Treiben, wie Sie hier rumreden!)


Zweitens. Herr Bundeskanzler, ich fand, es gab wieder
eine unsägliche Rede von der PDS. Die PDS wird von Ih-
nen, was Information und Einbeziehung ins Parlament an-
geht, noch immer gleichberechtigt behandelt.


(Rudolf Bindig [SPD]: Das müssen Sie gerade sagen!)


Gerade angesichts dessen, was der Kollege Schulz heute
gesagt hat, sollten Sie sich das einmal durch den Kopf ge-
hen lassen. Dabei sollten Sie insbesondere darüber nach-
denken, ob es angesichts der Schwierigkeiten in unserer
Zeit angemessen ist, dass es gemeinsame Regierungen
mit der PDS gibt.


(Heino Wiese [Hannover] [SPD]: Er schafft es einfach nicht, staatstragend zu werden!)


Sie haben bekanntlich über eine französische Zeitung di-
rekt aus Indien ein Machtwort darüber gesprochen, was
in Berlin zu geschehen hat. Ein ähnliches Machtwort soll-
ten Sie, diesmal vielleicht über eine deutsche Zeitung, für
Mecklenburg-Vorpommern oder in Sachsen-Anhalt spre-
chen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Gernot Erler [SPD]: Das ist bayerische Weltpolitik?)


Ein weiterer Punkt. Herr Bundeskanzler, ich bitte Sie
sehr herzlich, dass Sie den verbliebenen Widerspruch auf-
lösen; Ihr Verteidigungsminister war dazu entweder nicht
in der Lage, konnte oder wollte es nicht. Dieser Wider-
spruch besteht darin, dass Sie heute – ich habe genau zu-
gehört – einmal von einer konkreten Anfrage der ameri-
kanischen Regierung gesprochen haben, mit der wir es zu
tun hätten, also von einer Anfrage und nicht von einer An-
forderung.

Sie haben dann später gesagt – Sie können es im Pro-
tokoll nachlesen –: Wir sind der Aufforderung nachge-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Bundesminister Rudolf Scharping

19300


(C)



(D)



(A)



(B)


kommen. – Ich weiß aber immer noch nicht, ob es eine
Anfrage, Aufforderung oder ein Angebot war. Ich stehe
natürlich zu dem, was hier gesagt worden ist. Es ist rich-
tig, dass wir unsere Hilfe anbieten müssen, weil wir Mit-
glied dieser Antiterrorkoalition sind. Aber wenn in einer
so schwierigen und ernsten Situation der Bundeskanzler
die Fraktionsvorsitzenden des Parlaments einlädt und an-
schließend die deutsche Öffentlichkeit unterrichtet, dann
hat dieses Parlament einen Anspruch auf die Wahrheit und
einen Anspruch darauf, genau zu erfahren, wie es gewe-
sen ist. Wir würden die Entscheidung auch mit tragen,
wenn es keine konkrete Aufforderung gegeben hätte, Herr
Bundeskanzler.


(Heino Wiese [Hannover] [SPD]: Darüber kann man eine halbe Stunde reden!)


Wie es an anderer Stelle aussieht, ist nicht unser Bier und
wird auch nicht Maßstab unseres Abstimmungsverhaltens
sein. Darauf können Sie sich verlassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rudolf Bindig [SPD]: Sie sollten das Rednerpult verlassen!)


Herr Bundeskanzler, viele sagen, wir seien eine
schlechte Opposition, weil wir trotz dieser Schwierigkei-
ten bereit sind, die Bundesregierung zu stützen. Ich finde,
dass die Aufgabe der Opposition selbstverständlich das
Kontrollieren und das Offenlegen von Widersprüchen ist.
Wir sind aber auch gewählt, das Beste für unser Land zu
erreichen. Es ist gut für dieses Land und seine Zukunft
und für die Sicherheit seiner Menschen, wenn wir fest an
der Seite der Verbündeten stehen. Hier geht es nämlich
auch um deutsche Interessen. Es liegt im deutschen Inte-
resse, dass der Terror überall dort, wo er sich zeigt, be-
kämpft und ausgemerzt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dass man vorher nicht genau sagen kann, wo, wie und
wann möglicherweise Spezialtruppen eingesetzt werden
– heute sagt man zu solchen Aktionen „hit and run“ –, das
wissen wir alle. Wir verlangen das auch nicht. Wir wollen
nicht, dass solche Aktionen vorher in Ortsvereinen und in
Ortsverbänden, auf lokalen Parteitagen und auf Landes-
parteitagen diskutiert werden, bevor in den Fraktionen des
Parlaments darüber beraten wird, ob da oder dort zuge-
griffen werden kann. Wir haben Vertrauen in das Handeln
der militärischen Führung, wir haben Vertrauen in die
Amerikaner und wir haben Vertrauen in Sie. Denn Sie ha-
ben in dieser Zeit eine gute Figur gemacht.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Der will auch in die Regierung!)


Deswegen haben Sie es eigentlich nicht nötig, dass Sie ge-
rade diesen gefährlichen Einsatz mit Zweifeln belasten.
Es wäre vielleicht ganz gut, wenn Sie ein paar Worte dazu
sagen würden, wie es wirklich gewesen ist.

Wir möchten natürlich auch – das sind wir unseren Sol-
daten und auch denen, die uns gewählt haben, schuldig –,
dass wir nach angemessener Zeit erneut damit befasst
werden, damit dem Parlament eine Zwischenbilanz vor-
gelegt werden kann und damit es über die Erfolgsaus-
sichten diskutieren kann. Ich habe eigentlich wenig Zwei-

fel, dass Sie dann wieder unsere Zustimmung bekommen.
Deshalb lautet meine Bitte: Überlegen Sie es sich, ob die
Befristung nicht auf ein halbes Jahr begrenzt sein sollte,
damit wir uns nach dieser Zeit damit erneut befassen kön-
nen! Wir selbst können die im Antrag vorgesehene Befris-
tung nicht ändern. Deshalb habe ich diesen Punkt an die-
ser Stelle angesprochen.

Eine letzte Bemerkung. Herr Bundeskanzler, beziehen
Sie diejenigen, die Verantwortung mit übernehmen, stär-
ker ein. Ich glaube, dass diesbezüglich bei uns noch ein
entsprechendes Gremium fehlt. Wir brauchen für diese
schwierige Zeit – ich befürchte, sie wird nicht leichter – ein
Gremium, das auch Verantwortung mit übernimmt. Dazu
gehört natürlich, dass vorher vertraulich informiert wird.

Die Zustimmung des Parlaments – sie ist ohne Zweifel
vorhanden – ist möglicherweise leichter zu erreichen als
eine ständige Zustimmung und der Konsens der Mehrheit
der deutschen Öffentlichkeit, die man in schwierigen
Zeiten braucht. Das wird letztlich nicht ohne die
CDU/CSU gehen. Deshalb meine Bitte, entsprechende
Überlegungen anzustellen. Wenn Sie uns im Interesse un-
seres Landes brauchen, stehen wir selbstverständlich zur
Verfügung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind uns
alle in diesem Hause darüber klar, dass wir in schwierigen
Zeiten über schwierige Fragen diskutieren. Wir sollten
weder die Geschichte verharmlosen, um rascher Zustim-
mung zu bekommen, noch – und das geht auch an die
Adresse der veröffentlichten Meinung – zu sehr Panik und
Hektik verbreiten. Wenn ich heute in großen Boulevard-
zeitungen lesen muss, wie gefährdet wir sind und welch
schlimme Anschläge wir möglicherweise zu erwarten ha-
ben, wenn wir zustimmen, dann beunruhigt das. Vielleicht
könnte der Bundesinnenminister auch dazu ein paar
Worte sagen; denn wir wollen keine Verunsicherung, son-
dern Sicherheit der Bevölkerung und auch Sicherheit für
die Zukunft. Bei all diesen Maßnahmen haben Sie uns an
Ihrer Seite.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1419802500
Ich schließe die Aus-
sprache. Der Antrag der Bundesregierung auf Drucksache
14/7296 soll an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse überwiesen werden. Der Haushaltsausschuss
soll den Antrag abweichend von der Tagesordnung jedoch
nur gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen be-
kommen. Der Entschließungsantrag der Fraktion der PDS
auf Drucksache 14/7333 soll an dieselben Ausschüsse
überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das
ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b sowie
Zusatzpunkt 3 auf:

4 a) Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregie-
rung
Jugendpolitisches Programm der Bundesregie-
rung: „Chancen im Wandel“

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Michael Glos

19301


(C)



(D)



(A)



(B)


b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Kerstin Griese, Hildegard Wester, Iris Gleicke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Christian Simmert,
Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Zukunft gestalten – Kinder und Jugendliche
stärken
– Drucksachen 14/5284, 14/6415 –

ZP 3 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Jugendpolitisches Programm der Bundesregie-
rung „Chancen im Wandel“
– Drucksache 14/7275 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik-
folgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

Zur Großen Anfrage der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen liegt je ein Entschließungsan-
trag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen sowie der Fraktion der FDP vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung
eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist so beschlossen.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend, Christine Bergmann.

Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum ersten Mal
wird im Bundestag über ein ressortübergreifendes
Regierungsprogramm für die junge Generation gespro-
chen. Das ist sehr gut so. Es zeigt, welchen Stellenwert
diese Bundesregierung der Jugendpolitik zumisst.


( V o r s i t z : Vizepräsidentin Petra Bläss)


Unter dem Titel „Chancen im Wandel“ haben wir ein
Zehnpunkteprogramm vorgelegt, an dessen Bearbeitung
sich alle Ressorts beteiligt haben. Wir stellen in diesem
Programm unsere jugendpolitische Reformpolitik dar, die
sowohl die Weiterentwicklung bewährter Programme
einschließt als auch neue Projekte beinhaltet.

Jugendpolitik heißt für uns nicht nur Politik für, son-
dern auch Politik mit der Jugend.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir nehmen die junge Generation als Partner ernst. Wir
wollen sie dabei unterstützen, ihren eigenen Weg in unse-
rer Gesellschaft und im zusammenwachsenden Europa zu
finden. Wir alle sind auf die junge Generation angewie-
sen, auf ihre Ideen und ihre Anregungen. Nur so bleibt un-
ser Land offen für die Zukunft. Kein Bereich der Politik,
ob Arbeit, Wirtschaft oder Soziales, ob Außen- oder In-
nenpolitik, kann es sich leisten, die Interessen der Ju-
gendlichen zu vernachlässigen.

Wir leben in einer Zeit des schnellen gesellschaftlichen
und wirtschaftlichen Wandels und Jugendliche müssen
sich diesem Wandel in ganz besonderer Weise stellen. Sie
brauchen dabei unsere Unterstützung. Es geht darum, ihre
Fähigkeiten und Talente zu fördern. Es geht aber auch da-
rum, Jugendliche aufzufordern, eigenständig und selbst-
bewusst in die Zukunft zu gehen, sich gut zu qualifizieren,
sich einzumischen, mitzureden und sich für die Demo-
kratie zu engagieren.

Diese Bundesregierung will, dass Jugendliche in Frei-
heit und in Sicherheit aufwachsen. Ich denke, dass auch
die vorangegangene Diskussion dazu einen wesentlichen
Beitrag geleistet hat. Jugendliche sollen ihre Persönlich-
keit frei entwickeln können und sie sollen das in einem
Klima der sozialen Anerkennung und des menschlichen
Zusammenhalts tun können. Sie sollen das in dem Gefühl
tun können, sichere materielle Grundlagen und Perspekti-
ven für ihr Leben zu finden.

Mit dem Zehnpunkteprogramm verfolgen wir zwei
wesentliche jugendpolitische Ziele. Zum einen geht es da-
rum, der jungen Generation bessere und gerechte Chan-
cen auf Arbeit und Bildung zu ermöglichen, zum anderen
darum, die Erziehung zu Demokratie, Toleranz und
Weltoffenheit verstärkt zu fördern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, lassen Sie mich angesichts
der aktuellen Ereignisse und der vorangegangenen Dis-
kussion einen Gedanken hinzufügen: Die Terroranschläge
vom 11. September haben uns gezeigt, wie verletzlich un-
sere offenen Gesellschaften sind. Insoweit ist es verständ-
lich, dass alle, insbesondere die Jugendlichen – das merke
ich im Moment in vielen Diskussionen mit Jugendlichen,
aber auch mit Kindern –, beunruhigt sind. Daher sage ich
ihnen an dieser Stelle, dass sie sich in ihren Wünschen und
Lebensplänen nicht verunsichern lassen, sondern an ihnen
festhalten sollen. Darin hat mich die Debatte, die wir ge-
rade geführt haben, bestärkt. Der Bundeskanzler hat heute
Morgen deutlich gemacht, dass die Bundesregierung
ebenso entschlossen wie besonnen handelt. Ich bin froh,
dass es in diesem Hause eine breite Zustimmung zu die-
ser Politik der Bundesregierung gibt. Hier geht es auch
um Sicherheit und Freiheit für Jugendliche.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Klar ist, dass wir unsere demokratischen Werte künftig
entschiedener als bisher verteidigen müssen. Dazu ist das
innenpolitisch Notwendige auf den Weg gebracht worden.
Es gibt in unserer Gesellschaft aber auch Unsicherheiten,
Vorurteile und Klischees im Umgang miteinander. Das le-
bendige Gespräch über unterschiedliche kulturelle, reli-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Präsident Wolfgang Thierse

19302


(C)



(D)



(A)



(B)


giöse und ethnische Hintergründe muss nicht nur bei Ju-
gendlichen, bei ihnen aber in besonderer Weise eine
größere Rolle spielen.

Diesen so genannten interkulturellen Dialog wird die
Bundesregierung stärker fördern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Damit wollen wir erreichen, dass Jugendliche ein Wissen
um Gemeinsamkeiten, aber auch um Unterschiede ent-
wickeln, aus dem der gegenseitige Respekt, das Verständ-
nis und das Interesse aneinander wachsen können. Zugleich
geht es darum, das Wissen um die eigenen Werte voranzu-
bringen. Dieser Prozess braucht Zeit; aber dieser Dialog
muss mehr denn je gefördert werden, um in unserem Land
das freie und friedliche Zusammenleben von Jugendlichen
mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen auf Dauer
zu ermöglichen. Daher habe ich alle Jugendverbände und
Träger der Jugendarbeit, die von uns gefördert werden, auf-
gefordert, im kommenden Jahr in ihrer Arbeit deutliche
Schwerpunkte bei diesem Thema zu setzen. In meinem
Haus werden gerade zusätzliche Projekte vorbereitet.

Wir werden auch den internationalen Jugend-
austausch weiter ausbauen. Im letzten Jahr haben
350 000 junge Menschen am internationalen Jugendaus-
tausch teilgenommen. Wir alle wissen, dass dieser Aus-
tausch gut geeignet ist, das Zusammenleben von Jugend-
lichen zu fördern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In diesen Jugendaustausch sollen künftig mehr Jugendli-
che aus allen Schulformen einbezogen werden, woran es
heute an der einen oder anderen Stelle noch hapert. Auch
soll dieser Austausch stärker mit der Arbeitswelt Jugend-
licher verknüpft werden. Schließlich sollen mehr junge
Menschen aus Migrantenfamilien an ihm beteiligt wer-
den, als es bisher der Fall ist.

Die Bundesregierung arbeitet daran, alle Jugendlichen
an der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwick-
lung teilhaben zu lassen. Vor drei Jahren haben wir damit
begonnen, unsere neue Jugendpolitik mit konkreten Pro-
grammen umzusetzen. Dabei hat die Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit höchste Priorität. Das, was wir hier in
den letzten Jahren erreicht haben, kann sich sehen lassen:
Wir haben das Bündnis für Arbeit ins Leben gerufen, ei-
nen Ausbildungskonsens gefunden und unter anderem mit
dem Sofortprogramm JUMP die Arbeitslosigkeit von Ju-
gendlichen beträchtlich abgebaut. Die Jugendarbeitslo-
sigkeit ist von 11,8 Prozent im Jahre 1998 auf 8,6 Prozent
Ende Oktober 2001 gesunken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Jeder Jugendliche, der arbeitslos ist, ist einer zu viel. Aber
an diesen Zahlen wird deutlich, was unsere Programme
bewegt haben.

Auch auf dem Ausbildungsmarkt ist die Trendwende
erreicht: Seit dem vergangenen Jahr übersteigt die Zahl
der unbesetzten Stellen die Zahl der noch nicht vermittel-
ten Bewerberinnen und Bewerber. In diesem Zusammen-

hang rufe ich in Erinnerung, dass wir 1998 eine Bugwelle
von mehreren Hunderttausend Jugendlichen übernom-
men haben, die seit zwei und mehr Jahren auf einen Aus-
bildungsplatz und damit auf eine Chance im Hinblick auf
das Berufsleben gewartet haben. Wir haben diese Bug-
welle weitestgehend abgebaut.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich kann mich erinnern, dass bis 1998 in jedem Som-
mer die Schlagzeilen mit der Zahl der Jugendlichen ge-
füllt waren, die noch auf einen Ausbildungsplatz warte-
ten. Dies ist drastisch zurückgegangen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Sagen Sie mal, in welchen Bundesländern!)


Ich kann mich nicht erinnern, in diesem Jahr solche Zah-
len gelesen zu haben. Dies ist das Ergebnis der verstärk-
ten Anstrengungen in diesem Bereich.

Natürlich haben wir noch Probleme. Vor allem gibt es
deutliche regionale Unterschiede zwischen Ost und West.
Wir wissen, dass die meisten Ausbildungsplätze im Osten
mit staatlichen Mitteln gefördert werden und hier noch
viel zu tun ist.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419802600
Frau Ministerin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dehnel?

Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Nein, jetzt nicht. Das
können wir nachher klären.

Meine Damen und Herren, das JUMP-Programm wird
bis Ende 2003 fortgesetzt. Wir werden dafür jährlich rund
2 Milliarden DM aufwenden. 50 Prozent dieser Mittel
– darauf sollte sich Ihre Frage sicher beziehen – fließen in
die neuen Länder.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Insgesamt konnten seit 1999 aufgrund dieses Programms
rund 333 000 junge Menschen gefördert werden. Wie Sie
wissen, haben wir für die neuen Länder zusätzliche Pro-
gramme wie zum Beispiel das Bund-Länder-Programm
aufgelegt, um Ausbildungsplätze zu schaffen, weil die
Not dort so groß ist.


(Wolfgang Dehnel [CDU/CSU]: Aber der Erfolg ist nicht da!)


Diese Politik wird selbstverständlich fortgesetzt.

Mit dem Job-Aqtiv-Gesetz werden die arbeitsmarktpo-
litischen Instrumente weiterentwickelt und reformiert.
Wir wollen, dass allen arbeitslosen Jugendlichen inner-
halb von sechs Monaten nach Eintritt der Arbeitslosigkeit
ein Arbeitsplatz, eine Ausbildung bzw. eine Umschulung
angeboten oder der Erwerb von Berufserfahrung ermög-
licht wird. Das werden wir mithilfe individueller Einglie-
derungsvereinbarungen, durch die entsprechende Ange-
bote bereitgestellt werden, auch schaffen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Bundesministerin Dr. Christine Bergmann

19303


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(D)



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(B)


Wir haben uns allerdings nicht nur um die Quantitäten
gekümmert. Auch hinsichtlich der Qualität der Berufs-
ausbildung haben wir eine ganze Menge erreicht. Wir ha-
ben Berufsbilder modernisiert und neue Berufsbilder ge-
schaffen, weil das dazu beiträgt, dass Jugendliche bessere
Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben; denken wir an das
Beispiel der Informations- und Telekommunikationsin-
dustrie.

Die entscheidende Grundlage für die Berufschancen
von Jugendlichen sind gute Bildung und Ausbildung. Das
sind auch wichtige Voraussetzungen, um am gesellschaft-
lichen Leben teilzunehmen und um sich in der Informati-
onsgesellschaft des 21. Jahrhunderts orientieren zu kön-
nen. Unsere Gesellschaft hat dabei die Aufgabe, allen
Jugendlichen entsprechend ihrer Begabung Bildung und
Ausbildung zu ermöglichen. Wir haben diese Aufgabe als
Auftrag angenommen. Diese Bundesregierung hat eine
Bildungsoffensive gestartet und wird die Ausgaben im
nächsten Jahr zum vierten Mal in Folge – auf dann rund
16,4 Milliarden DM – erhöhen. Wir haben hierfür also
jährlich mehr Geld aufgewandt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auch in die Modernisierung der Hochschulen wurde er-
heblich mehr Geld investiert. Wir streben gleichen Zu-
gang zu Bildung und bestmögliche Ausbildung für alle an.

Ebenso haben wir bei der Ausbildungsförderung wie-
der mehr Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit
hergestellt. Das war auch dringend nötig. Mehr als
80 000 Schülerinnen und Schüler sowie Studentinnen und
Studenten haben seit diesem Jahr zusätzlich Anspruch auf
BAföG. Im Rahmen der BAföG-Reform haben wir rund
1,3 Milliarden DM zusätzlich mobilisiert, weil eben nicht
der Geldbeutel der Eltern über Zukunftschancen von Kin-
dern entscheiden darf, sondern einzig die Fähigkeiten der
Kinder.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es geht uns aber auch um die Jugendlichen, die mit den
herkömmlichen Möglichkeiten nicht erreicht werden und
die von diesen Programmen nicht profitieren. Deswegen
werden wir im Rahmen des Regierungsprogramms
„Chancen im Wandel“ im nächsten Jahr ein neues Pro-
gramm in sozial schwachen Regionen starten, in dessen
Rahmen gezielt individuelle Kompetenzen und soziale
Schlüsselqualifikationen der Jugendlichen gefördert wer-
den.


(Wolfgang Dehnel [CDU/CSU]: Was sind „sozial schwache Regionen“?)


Dabei wird ein abgestimmter Mix von sozial-, jugend-
und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen eingesetzt.
Dafür stehen im nächsten Jahr 25 Millionen DM zur Ver-
fügung.

Wir haben mit dem Programm „Entwicklung und
Chancen junger Menschen in sozialen Brennpunkten“ Er-
fahrungen gemacht und wissen, dass es nicht ausreicht,
nur staatliche Angebote zu machen, sondern dass wir in
diesen Regionen die Zusammenarbeit aller brauchen. Wir

fordern die Jugendlichen stärker, wir fordern die Eltern
stärker, wir fordern die Sozialpartner, wir treten an die
Unternehmen heran. Es besteht wirklich eine Zusammen-
arbeit, um ein Klima zu schaffen, in dem Jugendliche
auch ermutigt werden, ein Stück begleitet werden und ei-
nen Einstieg in die Berufswelt finden. Das ist uns wichtig,
weil uns keiner verloren gehen darf, auch nicht diejeni-
gen, die die Schule oder eine Ausbildung abgebrochen ha-
ben. Sie müssen ihre Chance bekommen. Die Erfahrun-
gen mit E & C zeigen, dass dies durchaus möglich ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn wir über Chancengleichheit reden, reden wir
aber nicht nur über sozial Benachteiligte; es geht auch um
Chancengleichheit zwischen Jungen und Mädchen. Da
haben wir eine ganze Menge aufzuholen. Wir wissen zum
Beispiel, wie wenig junge Frauen sich in dem zukunfts-
trächtigen Bereich der Berufe der Informations- und
Kommunikationstechnologien wiederfinden. Deswegen
haben wir über die Initiative D 21 eine ganze Menge ins
Rollen gebracht, Betriebe gewonnen, die Ausbildungs-
plätze zur Verfügung stellen, die werben. Wir unterstützen
dies, auch mit finanziellen Mitteln. Ich denke, dass wir
unser Ziel erreichen müssen, in diesen Bereichen bis zum
Jahr 2005 40 Prozent Mädchen zu haben.

Der Umgang mit den neuen Informations- und
Kommunikationstechnologien wird immer mehr zur
Schlüsselqualifikation. Deshalb hat die Bundesregierung
unter dem Motto „Anschluss statt Ausschluss“ das Kon-
zept IT in der Bildung entwickelt. Hier stehen im Zeit-
raum von 2000 bis 2004 rund 1,4 Milliarden DM zur Ver-
fügung. Das ist nicht wenig. Außerdem haben wir es in
Zusammenarbeit mit der Wirtschaft erreicht, dass bis
Ende des Jahres alle Schulen, Berufsschulen und Hoch-
schulen mit Computern und Internetanschlüssen ausge-
stattet werden. Das ist ein Riesenerfolg; hier ist eine Rie-
senlücke geschlossen worden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Natürlich wollen wir immer noch mehr erreichen; das
ist klar. Deswegen geht es darum, die Einrichtungen der
Jugendarbeit ans Netz zu bringen. Wir werden zusammen
mit Unternehmen mittelfristig die rund 50 000 Jugend-
hilfeeinrichtungen mit Computern und Internet ausstat-
ten. Hier laufen zurzeit konkrete Verhandlungen, damit
wir bald mit der ersten Tranche beginnen können; denn
wir wollen auch Bildungsangebote bereitstellen, die über
eine Bildungsplattform an Jugendliche herangebracht
werden können.

Wir alle kennen die Klagen, die junge Generation sei
politikverdrossen, sie habe eine zunehmend größere Dis-
tanz zur Politik, sie traue der Politik nicht zu, dass ihre
Probleme gelöst würden. Häufig wird auch beklagt, dass
die junge Generation egoistisch, nicht mehr bereit sei,
Verantwortung zu übernehmen oder sich dauerhaft zu en-
gagieren. Meine Erfahrung spricht dagegen. In meinen
Gesprächen mit Schülerinnen und Schülern und vielen Ju-
gendlichen vor Ort stelle ich immer wieder fest, dass Ju-
gendliche erstens in vielen Bereichen aktiv sind, zweitens

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Bundesministerin Dr. Christine Bergmann

19304


(C)



(D)



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(B)


eine große Bereitschaft haben mitzumachen, etwas zu tun,
etwas zu verändern, aber häufig auf Barrieren stoßen. Das
heißt, das Angebot an Jugendliche, sich aktiv zu beteili-
gen, entspricht durchaus nicht den Wünschen, die Ju-
gendliche tatsächlich haben.

An diesem Punkt müssen wir anknüpfen. Wir wollen
die Möglichkeiten für Jugendliche, sich in unserer Ge-
sellschaft zu engagieren, ausbauen. Da haben wir schon
einiges erreicht. Denken wir daran, dass wir in den letzten
Jahren eine beträchtliche Steigerung der Zahlen der Plätze
für ein freiwilliges soziales und freiwilliges ökologisches
Jahr zu verzeichnen hatten. Wir werden das Angebot in
diesem Bereich im nächsten Jahr noch einmal um 50 Pro-
zent aufstocken können. Wir werden nicht nur mehr
Plätze zur Verfügung stellen können, sondern das An-
gebot auch auf andere Bereiche ausdehnen, auf den Be-
reich der Kultur und den Bereich des Sportes; dort laufen
schon jetzt Modelle. Darüber hinaus werden wir berufs-
orientierende und berufsqualifizierende Elemente in die
Freiwilligendienste aufnehmen. Außerdem wollen wir
die Freiwilligendienste flexibler gestalten, damit junge
Menschen freiwilliges Engagement besser in ihre per-
sönliche Lebensplanung einpassen können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich habe es schon angesprochen: Wenn über Jugendli-
che geredet wird, dann häufig im Zusammenhang mit Pro-
blemen, Gewalt, Drogenkonsum, Erziehungsnotstand
und Ähnlichem. Ich halte das für falsch. Es ist schlicht-
weg falsch, Kinder und Jugendliche vor allem als Pro-
blemgruppe zu sehen; denn junge Leute sind in der Mehr-
zahl engagiert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der PDS)


Wenn sie Kontakt mit der Politik und der Verwaltung ha-
ben, dann wollen sie nicht hören, was alles nicht geht,
sondern sie wollen hören, was machbar ist. Daran, denke
ich, mangelt es manches Mal.

Deshalb haben wir vor wenigen Tagen die Bundesini-
tiative „Beteiligungsbewegung“ gestartet. Wir werben
damit für eine stärkere Beteiligung junger Menschen in
der Politik vor Ort, in Schulen, in Verbänden, in Kommu-
nen. Unser Ziel ist es, Politik erlebbar und erfahrbar zu
machen. Wir möchten außerdem, dass die Institutionen
für Jugendliche transparenter und auch zugänglicher wer-
den. Es gibt eine große Bereitschaft von Jugendorganisa-
tionen, Freizeiteinrichtungen, Ausbildungsstätten, Schu-
len und Kommunen, hier mitzumachen, um mehr Be-
teiligungsmöglichkeiten für Jugendliche zu schaffen. Wir
müssen uns einfach stärker für die Ideen und Anregungen
der Jugendlichen öffnen. Ich freue mich jedenfalls da-
rüber, dass es so viel Bereitschaft zur Mitwirkung gibt.

Wir wollen das aber noch ausweiten. Wir werden im
nächsten Jahr eine neue experimentelle Form der Beteili-
gung von Jugendlichen für Jugendliche unbürokratisch
fördern. Wir möchten, dass Jugendliche selbst für sich
Projekte machen. Sie sollen nicht nur darüber entschei-
den, ob sie ein Angebot annehmen, sondern sie sollen Pro-

jekte mit entwickeln können. Dafür werden wir im Rah-
men des Kinder- und Jugendplans Mittel zur Verfügung
stellen; denn ich meine, wir gewinnen die aktive Beteili-
gung der Jugendlichen vor allem, wenn wir ihnen Verant-
wortung geben und ihren Projekten Vertrauen schenken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht. Denken
wir nur an das Aktionsprogramm „Jugend für Demokratie
und Toleranz – gegen Rechtsextremismus und Gewalt“.
In diesem Zusammenhang haben Jugendliche selbststän-
dig Projekte entwickelt. Sie haben Anstöße in ihrer Kom-
mune gegeben und Initiativen gestartet, um Fremden-
feindlichkeit zu bekämpfen, um bürgerschaftliches En-
gagement in diesem Bereich zu unterstützen. Sie haben
die von ihnen entwickelten Projekte selbst umgesetzt.

Sie wissen, in diesem Jahr standen 90 Millionen DM
für diese Arbeit zur Verfügung. Im nächsten Jahr werden
Mittel in gleicher Höhe bereitstehen. Meiner Ansicht nach
stärken wir damit nicht nur das aktive zivile Engagement
der jungen Generation für unsere freiheitliche und weltof-
fene Demokratie, sondern wir erreichen auf diese Weise
auch mehr Überzeugungskraft, mehr Glaubwürdigkeit,
mehr Vertrauen und mehr Begeisterung bei Jugendlichen.
Das ist nicht von oben zu verordnen; das wissen wir. Da
muss man Jugendlichen Möglichkeiten geben, sich selbst
zu erproben und sich Verdienste zu erwerben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung verfolgt eine Politik, in der die
Interessen der Jugendlichen bei der Gestaltung der Zu-
kunft schon heute mit einbezogen werden. Dieses Prinzip
der Nachhaltigkeit verfolgen wir in allen Ressorts. Das
reicht vom Schutz unserer Umwelt bis zur Sanierung der
öffentlichen Haushalte. Ziel ist es, der Jugend ebenso gute
Chancen einzuräumen, wie sie vorangegangene Genera-
tionen als selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen
konnten. Uns ist dabei immer bewusst: Wie wir heute mit
der jungen Generation umgehen, welche Perspektiven wir
ihnen ermöglichen, welche Werte wir ihnen vermitteln,
entscheidet darüber, wie unsere Gesellschaft morgen aus-
sehen wird.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419802700
Für die Fraktion der
CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Maria Eichhorn.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Ein bisschen mehr Schwung nach diesem Seniorenvortrag!)



Maria Eichhorn (CSU):
Rede ID: ID1419802800
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Chancen im
Wandel“ – mit diesem Titel ist das jugendpolitische
Programm der Bundesregierung überschrieben worden.
Aber was sagt er aus? Nichtssagender geht es kaum. Wir

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Bundesministerin Dr. Christine Bergmann

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(C)



(D)



(A)



(B)


warten schon seit Jahren auf die Verwirklichung der an-
gekündigten Gesetze, Frau Ministerin.


(Beifall bei der CDU/CSU)


In der für unser aller Zukunft so wichtigen Jugendpolitik
ist in den Jahren der rot-grünen Regierungszeit kaum et-
was passiert,


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Nichts! – Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Null!)


und das, obwohl sich die Lebensbedingungen von Ju-
gendlichen in den vergangenen Jahrzehnten maßgeblich
verändert haben. Der ökonomische Strukturwandel, der
sich vollzogen hat, erzeugt einen enormen Anpassungs-
druck. Der gesellschaftliche Wandel hin zu Eigenverant-
wortlichkeit bedeutet Freiheit, aber auch mehr Risiko und
Unsicherheit.

Die Mehrheit der Jugendlichen von heute ist in ihren
Lebensplänen mobiler und flexibler als frühere Genera-
tionen. Das Problem aber ist: Wer den Anforderungen an
Mobilität und Flexibilität nicht entspricht oder nicht ent-
sprechen kann, ist von Benachteiligungen und sozialer
Ausgrenzung bedroht. Um dieser Gefahr zu begegnen,
haben Sie in den drei Jahren Ihrer Regierungszeit nichts
getan. Im Gegenteil: Der Druck, der auf Familien, Kin-
dern und Jugendlichen lastet, hat sich verstärkt.

Für uns steht fest, dass Politik für die Jugend und mit
der Jugend auf einem Wertefundament basieren muss.
Werte wie Toleranz, Ehrlichkeit, Offenheit, Vertrauen und
Moral müssen erlernt und vorgelebt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Selbstvertrauen der jungen Generation in die eigenen
Fähigkeiten und Fertigkeiten muss gefördert werden.

Soziale Kompetenz ist die Grundvoraussetzung für
eine stabile Persönlichkeit. Zur Schaffung positiver Leit-
bilder unter Förderung der Beteiligung junger Menschen
ist eine enge Verzahnung der familien-, jugend- und bil-
dungspolitischen Programme und Initiativen notwendig.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Nutzung
von Internet, Video und Computer nimmt immer mehr zu.
Angesichts dieser Entwicklung ist ein verstärkter Ju-
gendmedienschutz erforderlich – und Sie haben wieder
keinen Ton dazu gesagt, Frau Ministerin.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Bundesregierung hat hier bisher nichts getan. Gerade
bei diesem wichtigen Thema Medienschutz versagt sie
auf der ganzen Linie.

Kinder und Jugendliche sind heute einer Überflutung
von Darstellungen ausgesetzt, die Gewalt verharmlosen.
Dies hat weit reichende Folgen. Die Reaktion auf die Er-
eignisse des 11. September macht es deutlich. Dass Kin-
der den Terroranschlag als tolle Action bezeichnen, zeigt,
dass sie nicht mehr zwischen Realität und Fiktion unter-
scheiden können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Auch der so genannte Eventradikalismus lässt sich auf die
Gewöhnung der Jugend an Gewalt und Brutalität zurück-
führen. Der Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Ge-
waltdarstellungen ist daher eine dringend notwendige
Aufgabe, der die Bundesregierung nicht gerecht wird.

Die Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen
für die junge Generation ist und bleibt eine der größten
Herausforderungen der nächsten Jahre. Damit allen jun-
gen Menschen Chancen auf einen Ausbildungs- und Ar-
beitsplatz eröffnet werden, müssen Wirtschaft, Staat und
Arbeitsverwaltung zusammenarbeiten. Gefordert ist eine
Wirtschaftspolitik, die das Wachstum fördert und nicht
durch einschränkende Gesetze behindert.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dazu müssen Impulse für neue Technologien und Un-
ternehmen gesetzt und ein wirtschaftsfreundliches Klima
erzeugt werden. Junge Menschen, die den Weg in die Aus-
bildungs- und Arbeitswelt aus eigener Kraft nicht finden,
müssen durch den Staat unterstützt werden. Das Jugend-
sofortprogramm JUMP ist dafür nicht geeignet, wie die
Erfahrungen zeigen. Und wenn Sie nun JUMP in das
SGB III bringen wollen – wie Sie in Ihrem Entschlie-
ßungsantrag ankündigen – wird es dadurch nicht er-
folgreicher werden.

Die Jugendarbeitslosigkeit ist in Deutschland, Frau
Ministerin, auf einem besorgniserregend hohen Stand. Im
letzten Jahr waren in Deutschland fast 430 000 junge
Menschen unter 25 Jahren arbeitslos. Mehr als die Hälfte
von ihnen war ohne eine Berufsausbildung. Bei den unter
20-Jährigen waren es sogar 77 Prozent. Entgegen Ihrer
Behauptung, die gestern im Ausschuss gefallen ist, gibt es
in der Bundesrepublik langzeitarbeitslose Jugendliche.
Im Juni letzten Jahres waren es 18 817 junge Menschen
unter 25 Jahren, die ein bis zwei Jahre arbeitslos waren,
und 2 368, die sogar länger als zwei Jahre arbeitslos wa-
ren.

Auch im europäischen Vergleich nimmt Deutschland
bei der Jugendarbeitslosigkeit einen beschämenden Platz
ein. Die Quote der arbeitslosen Jugendlichen unter 25 Jah-
ren war in den Niederlanden um die Hälfte niedriger. In
Portugal, Irland, Österreich und Luxemburg war sie eben-
falls niedriger als in Deutschland. In diesen Ländern sank
auch die Jugendarbeitslosigkeit zwischen 1999 und 2001
kontinuierlich, in Deutschland stieg sie aber stetig an. Im
Durchschnitt lag die Jugendarbeitslosigkeit in Deutsch-
land 1998 bei 9 Prozent, im Jahr 1999 bei 9,2 Prozent und
im letzten Jahr, Frau Ministerin, im Durchschnitt bei
9,5 Prozent. Und da sprechen Sie von Erfolg? Ich sehe
hier nur Misserfolg.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Durch die verschiedenen arbeitsmarktpolitischen In-
strumente wurden 1998 noch rund 472 000 Arbeitslose
unter 25 Jahren gefördert; im letzten Jahr waren es um
50 000 weniger. Auch die Teilnehmerzahlen des Jugend-
sofortprogramms gingen von 87 000 im Jahre 1999 auf
77 000 im letzten Jahr zurück.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Maria Eichhorn

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In den neuen Bundesländern waren im letzten Jahr
156 000 Jugendliche arbeitslos; das sind 16,6 Prozent der
unter 25-Jährigen. Diese Zahl bedeutet, dass die Jugend-
arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern im letzten
Jahr um 13 Prozent angestiegen ist. Wo kann man da von
Erfolg sprechen?


(Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Eine Katastrophe!)


Als Folge der Arbeitslosigkeit fühlen sich die Jugend-
lichen sinnlos, ungebraucht. Sie finden nicht ihren Platz
in der Gesellschaft. Sie selber sprechen in Ihrem Pro-
gramm davon, dass ein erfolgreicher Einstieg in die Ar-
beitswelt gegen Perspektivlosigkeit hilft. Warum nur ha-
ben Sie dann so lange tatenlos zugesehen?


(Kerstin Griese [SPD]: Sie haben 16 Jahre lang tatenlos zugesehen!)


Der gewünschte Erfolg Ihres Programms ist nicht einge-
treten. Belügen Sie sich doch nicht selbst!

Bayern hatte im Jahr 2000 nach Baden-Württemberg
mit 4,8 Prozent die niedrigste Jugendarbeitslosenquote.


(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Der Süden!)


Grundlage dafür sind die gute bayerische Schulpolitik
und eine Reihe von gezielten Initiativen, die wirksam ge-
worden sind. Die Verankerung solcher erfolgreichen
Strukturen und Ideen fehlt in Ihrem Programm. Das
JUMP-Programm ist, meine Damen und Herren, un-
wirksam.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie sind doch ignorant!)


Mehr als 70 Prozent der Teilnehmer gehören nicht zu
der Gruppe der anvisierten Leistungsschwachen. Zudem
sind die ausländischen Jugendlichen in den Maßnahmen
unterrepräsentiert. Aber auch andere Problemgruppen des
Arbeitsmarktes werden durch dieses Programm nicht er-
reicht: Jugendliche ohne Schulabschluss stellen nur
14,1 Prozent der Teilnehmer. Nur ungefähr jeder Dritte be-
ginnt nach Ende der Maßnahme eine Ausbildung oder eine
Beschäftigung. Der Rest, nämlich zwei Drittel, ist weiter-
hin arbeitslos oder wechselt die Maßnahme. Diese Fakten
stehen in keinem Verhältnis zu den jährlich fast 2 Milliar-
den DM, die Sie aufwenden, und in keinerlei Verhältnis zu
dem, was Sie behaupten, Frau Ministerin.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir benötigen mehr differenzierte Ausbildungsberufe,
auch für weniger qualifizierte Jugendliche. Zudem muss
die Maxime „Qualifikation schafft Integration“ stärker
umgesetzt werden. Die in Deutschland lebenden auslän-
dischen Jugendlichen sind immer weniger in Berufen und
Betrieben integriert. Etwa ein Drittel der ausländischen
Jugendlichen verlässt die beruflichen Schulen ohne einen
Abschluss. Das sind doppelt so viele wie bei den deut-
schen Jugendlichen. Mehr als die Hälfte der 18- bis 20-
jährigen Nichtdeutschen hat keinen Berufsabschluss.

Wenn Sie jetzt in Ihrem Gesetz zur Zuwanderung die
Obergrenze für das Zuzugsalter bei 14 Jahren ansetzen,

haben ausländische Jugendliche auch in Zukunft kaum
Chancen zur Integration.

Die Qualifizierung junger ausländischer Arbeitsloser
durch die verschiedenen Förderprogramme der Bundes-
anstalt für Arbeit muss intensiviert werden. Ausbildungs-
projekte, in denen Zweisprachigkeit gezielt genutzt wird,
müssen vermehrt gefördert werden.

Meine Damen und Herren, wir fordern Sie auf, durch
wirksame Reformen in der Arbeitsmarkt-, Bildungs-
und Sozialpolitik endlich die Jugendarbeitslosigkeit in
Deutschland zu senken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Aufgrund der in den nächsten Jahren noch steigenden
Zahl von Schulabgängern muss eine vernünftige beruf-
liche Perspektive für alle Jugendlichen aufgezeigt wer-
den. Den unterschiedlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten
muss mehr als bisher Beachtung geschenkt werden. Wir
fordern Sie auf, für eine effizientere Umsetzung Ihres
JUMP-Programms zu sorgen. Dafür ist auch die Integra-
tion in und mit den Betrieben notwendig. Primär sollten
Benachteiligte, zum Beispiel Jugendliche ohne oder mit
schlechtem Schulabschluss, gefördert werden, und dies
zuerst in strukturschwachen Gebieten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)


So ist auch bei der Verweigerung zumutbarer Angebote
konsequent vorzugehen: Im Rahmen von flächendecken-
den Kombilöhnen könnte eine Öffnung des Arbeitsmark-
tes für gering qualifizierte Jugendliche erreicht werden.
Mit dieser Maßnahme würden bisher nicht nachgefragte
Arbeitsplätze in Niedriglohnbereichen entstehen und be-
setzt werden können. Für jugendliche Sozialhilfeemp-
fänger sind stärkere Anreize zu schaffen, damit sie eine
Ausbildung annehmen.

So stellen wir uns ein glaubwürdiges jugendpolitisches
Programm vor. Die Jugendlichen in der Bundesrepublik
Deutschland haben einen Anspruch auf konkrete Ange-
bote und auf konkrete Maßnahmen. Wo bleibt die Umset-
zung Ihrer Wahlversprechen von 1998?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Der Schriftsteller Heinrich Seidel sagt:

Was sich in uns in späteren Jahren zu Bäumen aus-
wächst, findet seine Wurzelkeime in frühen Jugend-
eindrücken.

Frau Ministerin, es wird höchste Zeit, dass Sie einen
fruchtbaren Nährboden bereiten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419802900
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Iris Gleicke.


Iris Gleicke (SPD):
Rede ID: ID1419803000
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Wenn wir für die Jugendlichen glaub-
würdige Perspektiven entwickeln wollen, dann müssen
wir dies im Dialog mit den Jugendlichen tun. Wenn wir er-
reichen wollen, dass Jugendliche Vertrauen in die Zukunft
gewinnen, dann müssen wir ihr Vertrauen gewinnen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Maria Eichhorn

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(C)



(D)



(A)



(B)


Unsere Debatte wird von der deutschen Beteiligung an
militärischen Einsätzen gegen den internationalen Terro-
rismus überschattet. Dabei geht es um die Bewahrung von
Freiheit und Demokratie. Dies der nachwachsenden Ge-
neration deutlich zu machen, und zwar nicht im Sinne
irgendeiner billigen Propaganda, sondern in Form eines
offenen, ernsthaften Gesprächs, halte ich für eine funda-
mentale Aufgabe.

Jugendliche haben ein sehr feines Gespür dafür, ob ihre
berechtigten Fragen mit Sprechblasen beantwortet oder
ernst genommen werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Genau wie wir müssen die Jugendlichen in dieser und mit
dieser Gesellschaft leben und zurechtkommen. Was nützt
eine Politik – und sei sie auf all ihren Feldern auch noch
so nachhaltig –, wenn sie in der nächsten Generation nicht
fortgesetzt wird? Politik muss sich tauglich zeigen, die
Probleme der Gegenwart und der Zukunft zu lösen.

Wir können und sollten darüber diskutieren, welche
Werte und Botschaften unsere Gesellschaft den Jugend-
lichen vielfach vermittelt. Geht es wirklich nur darum, er-
folgreich zu sein, gut auszusehen und gut zu verdienen?
Oder ist es nicht vielmehr so, dass die Jugendlichen eine
Chance haben wollen, etwas aus ihrem Leben zu machen?
Jugendliche wollen sich vom Elternhaus lösen und ihr ei-
genes Leben leben. Das ist ein ganz natürlicher Prozess,
den alle Eltern kennen. Ich glaube, die jungen Leute wol-
len in ihrer überwiegenden Mehrheit ihre persönliche Zu-
kunft gestalten. Sie sind davon überzeugt, das auch hin-
zubekommen. Wenn sie diese Chance nicht bekommen,
dann steht die Wertschätzung des Einzelnen in der Ge-
meinschaft auf dem Spiel und das individuelle Selbst-
wertgefühl gerät in Gefahr.

Wir wissen: In der Jugend gibt es oft rasch wechselnde
Orientierungen, Stimmungslagen und Verhaltensweisen.
Jugendliche, die zu der Überzeugung gelangen, keine
Chance zu haben, sind stärker als andere anfällig für
Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit oder Antise-
mitismus. Wer unzufrieden ist, wer keine Anerkennung
findet, wer dem Druck nicht standhält und sich als Ver-
sager fühlt, sucht und findet Sündenböcke. Das geht oft
mit Alkohol- und Drogenmissbrauch einher.

Aber nach ihren Lebenszielen befragt, setzen Jugend-
liche heute Sicherheit, Geborgenheit, Recht und Ordnung,
soziale Gerechtigkeit, Verantwortungsbewusstsein und
Freiheit ganz oben auf die Werteskala. Das Heranwachsen
im vereinten Deutschland muss deshalb von einem stär-
keren Gemeinschaftsgefühl für unsere Demokratie ge-
prägt sein.

Schon in der Familie, in Schulen und in Vereinen muss
demokratische Kultur eingeübt, gepflegt und ausgebaut
werden. Die Beteiligung der jungen Generation am poli-
tischen Meinungsbildungsprozess ist deshalb ein zentra-
les Element der Stabilität und Weiterentwicklung einer
Demokratie, die lebendig sein will und lebendig sein
muss, wenn sie nicht in Formeln erstarren soll.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Beteiligung von Jugendlichen am politischen und
gesellschaftlichen Leben muss deshalb noch viel stärker
im öffentlichen Bewusstsein verankert werden. Wichtig
erscheinen mir vor allem solche Ansätze, die Dialog und
Beteiligung in den Mittelpunkt stellen und nicht auf ein-
zelne Felder der Politik reduziert bleiben. Jugendpolitik,
die sich selbst ernst nimmt, Jugendpolitik in unserem Ver-
ständnis ist eine Querschnittsaufgabe und damit eine
ressortübergreifende Aufgabe.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große An-
frage dokumentiert die Verankerung der Jugendpolitik in
den verschiedenen Politikfeldern.

Lassen Sie mich einige der wichtigsten dieser Poli-
tikfelder beispielhaft nennen. Wir haben das BAföG ver-
bessert, weil wir Gerechtigkeit und Chancengleichheit wol-
len. Diese Chancengleichheit, für die Sozialdemokraten
immer gekämpft haben, nahm im Zuge der „geistig-mora-
lischen Wende“ des Herrn Dr. Kohl schweren Schaden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Den Konservativen ging es damals darum, die Inte-
ressen selbsternannter Eliten zu bedienen. Die Bilanz die-
ser nach 1990 auch dem Osten der Republik aufgestülp-
ten Ideologie war von deprimierender Trostlosigkeit: eine
Jugendarbeitslosigkeit, Frau Kollegin Eichhorn, in Re-
kordhöhe, verbunden mit einem für die Volkswirtschaft
katastrophalen Fachkräftemangel.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dem Land wurde damit unermesslicher Schaden zuge-
fügt. Wir brauchen Ausbildungsplätze und Arbeit für alle
Jugendlichen. Die Jugendarbeitslosigkeit muss deshalb
weiter bekämpft werden, gerade in dieser schwierigen
wirtschaftlichen Situation.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mit Recht sagen junge Leute: Was nützt uns die Freiheit,
wenn wir keine Arbeit und keine Perspektive haben? Des-
halb wird das JUMP-Programm, das Sie von der Union
immer abschaffen wollten, weitergeführt. Nach dem Rede-
beitrag von Frau Eichhorn kann man immer noch nicht da-
von ausgehen, dass sich Ihre Meinung geändert hat. Wir
werden uns von Ihnen aber nicht beirren lassen.

Ihr Realitätsverlust ist wirklich erstaunlich. Als wir die
Regierung übernommen haben, lag die Jugendarbeitslo-
sigkeit bei über 12 Prozent. Jetzt liegt sie bei 8,6 Prozent.
Ich finde es zynisch und ärgere mich darüber, dass Sie
dies nicht als Erfolg für jeden einzelnen jungen Menschen
in diesem Lande ansehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ihre Ignoranz macht mich wütend!


(Klaus Haupt [FDP]: Vorsicht! Vorsicht!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Iris Gleicke

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Die Jugendarbeitslosigkeit ist bei uns die niedrigste in
Europa. Das war unter Ihrer Regierung nicht der Fall.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Klaus Haupt [FDP]: Nicht so global!)


– Herr Haupt, wir werden Ihrem Redebeitrag gespannt
folgen.


(Klaus Haupt [FDP]: Ich hoffe es!)


Die technologische Entwicklung der Medien und die
neuen Kommunikationstechnologien mit ihrem wachsen-
den Bedarf an gut ausgebildeten Arbeitskräften müssen
weiter in die Ausbildungsgänge einbezogen werden. Des-
halb haben wir damit begonnen, neue Berufsbilder und
Berufsmodule zur besseren Anerkennung der Ausbildung
zu schaffen und die Ausbildungsverordnungen zu ent-
rümpeln. Wir werden dafür sorgen, dass Mädchen und
junge Frauen an dieser Entwicklung ordentlich beteiligt
werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir wollen die Chancen nutzen, die in den modernen
Kommunikationsformen liegen. Deshalb haben wir die
Schulen ans Netz gebracht. Auch die Jugendfreizeit-
einrichtungen werden wir ans Netz bringen. Es geht um
die gerechte Teilhabe. Es geht darum, Benachteiligungen
zu verhindern und Missbrauch im Umgang zu vermeiden.
Die Jugendlichen erwarten von der Politik in erster Linie
die verlässliche Ausgestaltung einer Chancengesellschaft
mit realistischen Optionen und praktischen Lösungsange-
boten für ihre Lebensplanung.

Zur Lebensplanung gehört mit neuem Stellenwert auch
die Familie. Es geht für junge Frauen und Männer um die
tatsächliche Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Eine
aktive Gleichstellungspolitik muss und wird ohne jede
ideologische Begleitmusik mehr Gerechtigkeit schaffen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Politik, die die gerechte Teilhabe aller zum Ziel hat,
steht vor einer doppelten Aufgabe: Einerseits muss sie
sicherstellen, dass jungen Menschen die Kompetenzen
vermittelt werden, die über gesellschaftlichen und wirt-
schaftlichen Fortschritt von morgen entscheiden. Ande-
rerseits muss sie angesichts steigender und neuer
Qualifikationsanforderungen die soziale Ausgrenzung
von Jugendlichen verhindern. Entscheidungen über die
Köpfe der Betroffenen hinweg darf es dabei nicht geben.
Es gilt, einen konkreten und lebensnahen Dialog mit den
Jugendlichen zu führen. Es geht um einen Dialog, in dem
die Gesprächspartner einander ernst nehmen. Wir wollen
diesen Dialog.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir vertrauen dabei darauf, dass die heutige junge Ge-
neration nicht weniger solidarisch ist als die jungen Ge-
nerationen vor ihr und dass sie ebenso viele Ideale hat.
Diese Solidarität, diese Sehnsucht nach Gerechtigkeit
findet man überall. Man muss sie nur sehen wollen. Man

findet sie in unserem reichen Land bei engagierten Ju-
gendlichen an den Schulen und den Universitäten sowie
bei erfolgreichen Jungunternehmern. Man findet sie aber
auch bei den Ärmsten der Armen, bei den gescheiterten
Existenzen und bei den so genannten Verlierern unserer
Gesellschaft, die oft an Jahren noch so jung und deren Ge-
sichter schon so entsetzlich alt sind.

Mich bedrückt es sehr, wenn ich höre, wie junge Leute
von „Losern“ oder von „Asis“ reden. Ich glaube, dahinter
verbergen sich zumeist eigene Ängste und die hilflose
Einsicht, dass es noch immer zu wenig Gerechtigkeit gibt.
Wir können den jungen Leuten nur dann etwas von dieser
Angst und Hilflosigkeit nehmen, wenn sie spüren, dass
wir es mit ihnen ernst meinen und dass wir sie brauchen,
wenn wir die Zukunft erfolgreich meistern wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Politik der sozialen Kälte in diesem Land haben
wir überwunden. Jetzt arbeiten wir daran, gemeinsam mit
der jungen Generation ein Klima der sozialen Wärme zu
schaffen.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419803100
Das Wort hat der Kol-
lege Klaus Haupt für die FDP-Fraktion.


Klaus Haupt (FDP):
Rede ID: ID1419803200
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Das jugendpolitische Programm
der Bundesministerin Bergmann mit dem Titel „Chancen
im Wandel“ ist erhellend, zukunftsweisend und trotzdem
nichts sagend. Jugendpolitik soll als Querschnittspolitik
verankert werden. Dieser außerordentlich neuartig anmu-
tende Ansatz findet – das wird Sie überraschen – unsere
heftigste Zustimmung.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aktivierende Jugendpolitik soll ein Leitbild sein. Die
Stärken der Jugendlichen sollen gefördert werden. Wun-
derbar! „Wir wollen“, so heißt es, „die Jugendlichen als
Partner gewinnen“ und „setzen ... auf eine breite Allianz
mit der Jugend“. Frau Bergmann, das findet unsere nach-
haltige Unterstützung.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das jugendpolitische Programm „Chancen im Wandel“
liest sich wie ein Kompendium aller wohlmeinenden Ab-
sichtserklärungen, die in Sachen Jugendpolitik in diesem
Hohen Hause unbestritten sind.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Aber einen jugendpolitischen Quantensprung kann ich je-
denfalls in diesem Programm nicht erkennen.

Ausbildung und Qualifizierung der Jugend entschei-
den über die Zukunft unserer Gesellschaft. Ja, der

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Iris Gleicke

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weltweite Wettbewerb beginnt im Klassenzimmer. Doch
Ihre bildungspolitischen Aktivitäten sind recht beschei-
den geblieben. Wir haben einen zukunftsweisenden Ent-
wurf zum Bundesausbildungsförderungsgesetz vorgelegt.
Sie haben ihn abgelehnt. Wir haben verschiedene Anträge
zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Uni-
versitäten vorgelegt. Sie haben sie abgelehnt. Deutsch-
lands Studierende treten im Durchschnittsalter von
28,5 Jahren in das Berufsleben ein. Das ist im Vergleich
zu unseren europäischen Partnern fünf Jahre zu spät.

Das hat Gründe: Die mehr als überfällige Hochschul-
reform in Deutschland kommt ebenso wenig voran wie
die Abschaffung der Wehrpflicht und – damit einherge-
hend – des Zivildienstes. Auch die Abschaffung des
13. Schuljahres ist schon lange im Gespräch. Zur
Verkürzung der überlangen Ausbildungszeiten in
Deutschland wäre sie dringend wünschenswert.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die junge Generation zahlt den Preis solcher Reformträg-
heit in Deutschland.

Wir haben auch Anträge zur Weiterbildung, zum
Berufsausbildungssystem, zur Förderung des naturwis-
senschaftlichen Unterrichts an deutschen Schulen und
zum Wirtschaftsunterricht vorgelegt. Einige sind noch in
der parlamentarischen Beratung. Dürfen wir angesichts
der jetzigen Debatte darauf hoffen, dass Sie diesen Anträ-
gen zustimmen werden, obwohl sie von der FDP sind?
Das wäre eine Chance zum Wandel von Absichtser-
klärungen hin zu wirklich erreichten Zielen. Es sollte uns
allen bewusst sein, dass Bildung d i e soziale Frage des
21. Jahrhunderts ist.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Welch eine Erkenntnis!)


Es ist schon mehrfach von meinen Vorrednern darauf
hingewiesen worden: Jugendarbeitslosigkeit ist das
schwerwiegendste jugendpolitische Problem in unserem
Lande. Die FDP begrüßt es daher, dass die Bun-
desregierung auf diesem Feld noch gesteigerten Hand-
lungsbedarf sieht. Frau Gleicke, ich komme aus einer Re-
gion mit einer Arbeitslosenrate von 24 Prozent. Die
Notwendigkeit staatlicher Feuerwehrprogramme ist für
mich unbestritten. Aber: Immer neue Staatsprogramme
helfen nicht, der Jugendarbeitslosigkeit auf Dauer Herr zu
werden.


(Iris Gleicke [SPD]: Deshalb führen wir es ja fort!)


Das zeigt die Entwicklung der Arbeitsmarktdaten sehr
deutlich. Trotz Rückenwind durch die demographische
Entwicklung – bekanntlich scheiden pro Jahr etwa
250 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr aus
dem Arbeitsleben aus, als Personen auf den Arbeitsmarkt
drängen – verschärft sich die Arbeitsmarktlage in
Deutschland. Saisonbereinigt steigt die Zahl der Arbeits-
losen und damit auch der betroffenen Jugendlichen konti-
nuierlich an. Die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen stieg
in diesem Jahr im Westen um 1,5 Prozent, im Osten sogar
um 2,5 Prozentpunkte.

Ein nachhaltiger Abbau der Jugendarbeitslosigkeit ist
nur dann zu erreichen, wenn die Rahmenbedingungen in
Deutschland wieder stimmen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir brauchen endlich ein radikal vereinfachtes Steuersys-
tem, einen umfassenden Bürokratieabbau und eine mutige
Bildungsreform.


(Iris Gleicke [SPD]: All das, was Sie in 16 Jahren nicht geschafft haben!)


– Ich komme noch darauf.

Viele Gesetze, die die Bundesregierung in den letzten
drei Jahren fabriziert hat, stehen zu diesem Erfordernis
leider in krassem Widerspruch. Ich muss in diesem Zu-
sammenhang an die unsinnige Neuregelung der 630-DM-
Arbeitsverhältnisse erinnern, die auch und vor allem Ju-
gendliche betrifft.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Weiter erinnere ich an die Neuregelung des Kündigungs-
schutzes, die nicht vor Kündigungen, aber wirksam vor
Neueinstellungen schützt. Ich erinnere an Ihren Versuch,
die so genannte Scheinselbstständigkeit zu bekämpfen,
das Gesetz bezüglich der Pflicht zur Teilzeitbeschäfti-
gung, das völlig an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes
vorbeigeht,


(Beifall bei der FDP)


oder die Verschärfung des Betriebsverfassungsgesetzes,


(Zuruf der SPD: Die Jugendvertretungen sind gestärkt worden!)


die unsere mittelständischen Unternehmen in einem Re-
gelungswust ersticken lässt. Hinzu kommen Wirtschafts-
blocker wie Ökosteuer oder die angekündigte Erhöhung
der Tabak- und der Versicherungsteuer.


(Horst Kubatschka [SPD]: Haben Sie mal eine neue Platte?)


Zudem hat die Bundesregierung eingestanden, dass sie ihr
Ziel, die Lohnnebenkosten unter 40 Prozent zu drücken,
nicht erreichen wird.

Wenn bisher drei Viertel aller Ausbildungsplätze in
Handwerk und Mittelstand entstanden sind, dann ist es
doch richtig zu sagen: Die beste Ausbildungsplatzpolitik
ist eine gute Mittelstandspolitik.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Mittelstand braucht Entlastung und Luft. Nur so kann
er Motor für mehr Beschäftigung und Ausbildung sein.
Weder akute Staatsprogramme noch Regulierungswut
werden das Problem der Jugendarbeitslosigkeit lösen
können.


(Beifall bei der FDP)


Das Problem verschärft sich, wenn man die Situation
in den neuen Ländern betrachtet: Hier hat die Jugend

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Klaus Haupt

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eine so schlechte Perspektive, dass die Mobileren und
Qualifizierteren abwandern. In meinem schönen Sachsen
beispielsweise wird die Einwohnerzahl von heute 4,4 Mil-
lionen bis zum Jahr 2030 auf 3,6 Millionen zurückgehen.
Pro Jahr machen sich 6 000 Jungen und Mädchen im
Lehrlingsalter auf, um ihrer Heimat den Rücken zu keh-
ren. Wie sollen Länder in Zukunft existieren, denen die
Hoffnungsträger den Rücken kehren, weil sie keine Chan-
cen haben? Die Perspektivlosigkeit der Jugend, die zu
geringen Chancen sind doch auch die Hauptursachen für
ein Demokratiedefizit, das wir bei einem Teil der Ju-
gendlichen feststellen. Die Lösung des Problems der Per-
spektivlosigkeit ist die zentrale Aufgabe. Demokratie
muss sich auf diesem Feld als handlungsfähig erweisen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn junge Menschen keine Perspektive haben, sich
in den Städten und Gemeinden, in denen sie zu Hause
sind, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und beruflich
eine Zukunft zu haben, wird es schwer, die daraus folgen-
den Frustrationen aufzufangen und die viel beschworene
Bürgergesellschaft zu stärken. Wir müssen der Jugend
Chancen bieten, Talente und Fähigkeiten zu entfalten so-
wie eine Aufgabe zu haben. Dazu gehören die Stärkung
der ehrenamtlichen Tätigkeit in unserer Gesellschaft, ein
attraktives und modernes Angebot der Vereine für Sport
oder Kultur und gesellschaftliches Engagement. Hier ist
nicht nur der Staat, sondern unsere Gesellschaft als
Ganzes und auch jeder Einzelne gefordert.

Darüber hinaus muss Demokratie natürlich erlebbar,
erfahrbar sein. Wir müssen schon den ganz jungen Men-
schen die Möglichkeit geben, mitzureden, mitzugestalten,
mitzuentscheiden. Die UN-Kinderrechtskonvention sieht
ein solches Recht zur Partizipation ausdrücklich vor.
Aber die Kinder in unserem Land erfahren zu wenig über
ihre Rechte. Die in der Konvention festgelegten Rechte
müssen sich endlich auch in den Lehrplänen unserer
Schulen und in den Ausbildungsplänen für Lehrer wie-
derfinden. Nur wer seine Rechte kennt, kann sie nutzen.
Nur dann wird die freiheitlich-demokratische Grundord-
nung für die jungen Menschen erfahrbar.


(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Auch internationale Verständigung und friedliches
Zusammenleben müssen für Jugendliche erfahrbar sein,
damit die Ängste vor Globalisierung, vor Migration und
vor mulitkulturellen Begegnungen abgebaut werden kön-
nen. Deshalb ist es richtig, dass es verstärkt Programme
geben muss, die solche Erfahrungen möglich machen. Es
muss in Projekte der Weltoffenheit der Jugendlichen in-
vestiert werden – mit Schwerpunkt in den neuen Bundes-
ländern. Dazu gehört die verstärkte Förderung des inter-
nationalen Jugendaustauschs für alle Schulformen.

Die FDP fordert mit Nachdruck auch die Errichtung
eines deutsch-russischen Jugendwerks.


(Beifall bei der FDP)


Gerade mit der Jugend Russlands muss ein Austausch zu-
stande kommen, damit auch auf dieser Ebene das größte

Land Europas in die europäische Völkergemeinschaft,
wie es sich Präsident Putin in seiner denkwürdigen Rede
an diesem Platz wünschte, besser eingebunden wird.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sehr richtig!)


Schließlich muss für die junge Generation insgesamt
erfahrbar werden, dass es eine Gerechtigkeit zwischen
den Generationen gibt. Den heutigen jungen Be-
rufstätigen muten wir beispielsweise zu, gleichzeitig für
die Rente der gegenwärtigen Ruheständler aufzukommen
und für die eigene Rente privat vorzusorgen. Dieser
Druck wird sich verstärken. Die demographischen Fakten
sprechen da eine eindeutige Sprache.

Junge Menschen wollen heute durchaus Familie grün-
den, aber die junge Generation möchte Familie und Beruf
verbinden können.


(Zuruf von der SPD: Das ist auch gut so!)


Beide Bereiche sind für drei Viertel der Jugendlichen
gleichermaßen wichtig. Das belegt die 13. Shell-Jugend-
studie sehr deutlich. Doch gerade Familien mit Kindern
sind unverhältnismäßigen Belastungen ausgesetzt. Kin-
der dürfen in unserer Gesellschaft nicht zum Wohlstands-
risiko werden. Die gesellschaftlichen Gegebenheiten
müssen es der jungen Generation ermöglichen, ihre
individuellen Lebensentwürfe zu verwirklichen, ohne auf
Kinder zu verzichten. Kindertagesbetreuung in ihren un-
terschiedlichen Formen schafft dafür eine wichtige Vo-
raussetzung. Ein umfassendes und flexibles Betreuungs-
angebot ist Voraussetzung für eine kinderfreundlichere
Gesellschaft. Dazu gehört aber nicht nur der Rechtsan-
spruch auf einen Kindergartenplatz; vielmehr müssen
Betreuungskosten auch steuerlich absetzbar sein. Liebe
Kolleginnen und Kollegen, ich bin sogar der Meinung,
dass wir gemeinsam darüber nachdenken sollten, wie
dafür gesorgt werden kann, dass ein Kinderbetreuungs-
platz in Deutschland ebenso kostenfrei ist wie der Schul-
besuch.

Meine Damen und Herren, „Chancen im Wandel“ wird
die Jugend in Deutschland nur haben, wenn unsere Ge-
sellschaft endlich die Chance zum Wandel ergreift und der
Jugend wirklich neue Perspektiven eröffnet. Mit schönen
Ankündigungen und einer Sammlung guter Absichten
und Erklärungen ist es wirklich nicht getan.

Danke.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419803300
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege
Christian Simmert.


Christian Simmert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419803400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Streckenweise hatte man das Gefühl, Sie be-
fänden sich eher in einer wirtschaftspolitischen als in ei-
ner jugendpolitischen Debatte, Herr Kollege.


(Klaus Haupt [FDP]: Zusammenhänge, Herr Kollege!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Klaus Haupt

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Ganz interessant wäre es, Ihre Vorschläge zu lesen,
wenn Sie sie zu Papier gebracht hätten. Man muss aber
feststellen, dass heute weder die CDU/CSU noch die FDP
einen eigenständigen Antrag vorgelegt hat. Ein Ände-
rungsantrag zu unserem Antrag liegt vor, aber ansonsten
sehen wir von der Opposition herzlich wenig.


(Widerspruch bei der CDU/CSU – Ina Lenke [FDP]: Sie haben ein Kurzzeitgedächtnis!)


Die Regierungskoalition hat gehandelt und das finden
wir gut.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es wird Sie nicht überraschen, meine Damen und Herren,
dass Bündnis 90/Die Grünen das Aktionsprogramm der
Bundesregierung als richtigen Impuls begrüßen. Beson-
ders in den Bereichen der Ausbildung – trotz der Kritik
der Opposition – und der Förderung des Engagements Ju-
gendlicher liegen die gemeinsamen Erfolge, die wir in
diesem Aktionsprogramm gebündelt haben.

Das wird man draußen sehr deutlich wahrnehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419803500
Herr Kollege Simmert,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Haupt?


Christian Simmert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419803600

Ich möchte mich erst einmal ein Stück weit warm laufen.
Vielleicht kann ich später ein paar Fragen beantworten.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr gut! – Ina Lenke [FDP]: Erst dicke Backen machen!)


– Frau Lenke, ganz ruhig.

Mit JUMP, dem Aktionsprogramm zur Senkung der
Jugenderwerbslosigkeit, sind seit 1999 über 300 000 Ju-
gendliche gefördert worden. Junge Frauen werden ent-
sprechend ihrem Anteil an der Erwerbslosigkeit gefördert.
50 Prozent der Mittel werden inzwischen für Jugendliche
in den neuen Bundesländern eingesetzt. Das Programm
hat also Erfolg. Bündnis 90/Die Grünen sind deshalb er-
folgreich dafür eingetreten, dass bewährte Instrumente in
die Regelförderung, die das Job-Aqtiv-Gesetz vorsieht,
überführt werden.

Sicherlich könnte die Entwicklung der Jugenderwerbs-
losigkeit noch positiver sein. Auch ich bin mir bewusst,
dass es über JUMP hinaus wesentlich mehr Anstrengun-
gen bedarf. Doch das zu tun liegt bekanntermaßen nicht
ausschließlich in der Hand der Politik, sondern vor allem
in der Hand der Arbeitgeberinnen und der Arbeitgeber.
Auch das muss man sehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Angela Marquardt [PDS])


Wir können nicht damit zufrieden sein, dass zurzeit nur
57 Prozent aller Betriebe ausbildungsberechtigt sind. Das

Recht auf Ausbildung gilt für alle; denn alle jungen
Frauen und Männer brauchen gleiche Chancen. Weil das
so ist, ist aus grüner Sicht gerade die berufliche Benach-
teiligtenförderung zu intensivieren. Die stärkere Zusam-
menarbeit von Schulen und Ausbildungsträgern ist
hierfür unabdingbar; deshalb begrüßen wir das Programm
„Berufliche Qualifizierung für Zielgruppen mit besonde-
rem Förderbedarf“. Wir legen allerdings ein besonderes
Augenmerk auf die Tatsache, alle Jugendlichen in die
Lage zu versetzen, moderne Informations- und Kommu-
nikationstechnologien zu nutzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir sehen die Gefahr einer digitalen Spaltung in Deutsch-
land. Für uns ist es unabdingbar, diese zu verhindern.
Meine Kollegin Grietje Bettin wird darauf später noch ge-
nauer eingehen.

Ziel unserer Politik ist es heute, Rahmenbedingungen
zu schaffen, die dazu beitragen, dass junge Menschen für
sich eine Zukunft sehen. Die Zugangsgerechtigkeit bei
der Ausbildung herzustellen ist dafür die Grundlage.
Diese Anstrengung allein genügt aber nicht. Für
Bündnis 90/Die Grünen stehen die Stärkung der Zivil-
gesellschaft, der Kampf gegen Rechtsextremismus und
für Toleranz sowie die Erweiterung des internationalen
Erfahrungsschatzes von jungen Menschen ebenfalls auf
der Agenda.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die meisten Jugendlichen suchen gerade heute Mög-
lichkeiten, sich in der Gesellschaft zu engagieren. Sie zei-
gen große Neugier auf Europa und auf außereuropäische
Länder. Für die Politik gilt es, diese Neugier aufzugreifen
und zu fördern. Das werden die Koalitionsfraktionen tun.

Ich möchte, dass meine Tochter Pia in einer interkultu-
rellen, in einer offenen Welt groß wird. Ich möchte, dass
sie die Chancen dazu erhält, und, wie alle anderen Kinder
in dieser Gesellschaft, eine Struktur vorfindet, die dies er-
möglicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Mit der Novellierung des Gesetzes zur Förderung eines
freiwilligen sozialen Jahres und des Gesetzes zur Förde-
rung eines freiwilligen ökologischen Jahres werden wir
neue Möglichkeiten für dieses Engagement schaffen.
Junge Menschen werden rechtlich und sozial besser ab-
gesichert. Das freiwillige Jahr wird künftig auch in neuen
Bereichen, wie im Sport, in der Kultur und im Denkmal-
schutz, sowohl im In- als auch im Ausland ermöglicht.


(Ina Lenke [FDP]: Das hat die Ministerin aber in Bezug auf den Zivildienst ganz anders gesagt vor einem Jahr!)


Gerade der Ausbau der Freiwilligendienste bietet aus
grüner Sicht verstärkt die Möglichkeit für Jugendliche,
ihre soziale und interkulturelle Kompetenz zu steigern.
Aber nicht nur die Freiwilligendienste, beispielsweise die
ausgezeichnete Arbeit von Aktion Sühnezeichen, sondern

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Christian Simmert

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auch der Jugendaustausch – Herr Haupt, in diesem
Punkt haben Sie Recht – sind ein wichtiges Instrument.
Wir begrüßen ausdrücklich, dass von der rot-grünen Bun-
desregierung die Förderung – auch mit Blick auf Ost-
europa – ausgebaut wird. Das kann in der Tat nicht das
Ende der Fahnenstange sein. Da gebe ich Ihnen vollkom-
men Recht.

Die Möglichkeiten für Jugendliche, ihre eigene Umge-
bung mitzugestalten, müssen aus unserer Sicht ausgebaut
werden, wenn Demokratie für junge Menschen erfahrbar
werden soll. Mitbestimmungsmöglichkeiten in der Schule,
in der Berufsausbildung, im Studium und im Alltag sind
notwendig, damit Jugendliche ihren Platz in der Gesell-
schaft selbstbewusst einnehmen können. Nur wenn Betei-
ligung an Entscheidungsprozessen erlebt wird, findet
auch wirklich eine Auseinandersetzung mit den Gegeben-
heiten statt. Deshalb ist meine Fraktion der Auffassung,
dass wir über das Aktionsprogramm hinaus weitere
Schritte unternehmen müssen. Die ASten brauchen zum
Beispiel das allgemeinpolitische Mandat, da das den Ein-
fluss der Studierenden stärkt.


(Beifall des Abg. Carsten Hübner [PDS])


Junge Menschen in außerbetrieblichen Ausbildungsstät-
ten benötigen mehr Mitbestimmungsrechte. Letztere wird
die Koalition im Berufsbildungsgesetz verankern.


(Angela Marquardt [PDS]: Das stimmt nicht!)


Meine Damen und Herren, Rechtsextremismus,
Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz sind nicht aus-
schließlich Jugendprobleme. Dennoch müssen wir auch
in der Jugendpolitik Gewalt von rechts deutlich entge-
gentreten. Bündnis 90/Die Grünen setzt sich deshalb für
eine starke Zivilgesellschaft ein. Mit den Programmen
Civitas und Xenos übernimmt die Bundesregierung
Verantwortung im Opferschutz und für die Förderung von
Initiativen und Projekten, die sich für eine demokratische
Gesellschaft engagieren. Wir freuen uns, tragen diese Pro-
gramme doch, zumindest ein bisschen, eine grüne Hand-
schrift.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber nicht nur der Bund, auch die Länder und Kommu-
nen stehen in der Verantwortung, lokale Partnerschaften
und Netzwerke gegen Rechtsextremismus und zur Stär-
kung der Zivilgesellschaft auszubauen. Bündnis 90/Die
Grünen sehen den präventiven Ansatz des Kinder- und Ju-
gendhilfegesetzes als zentral für die offene Jugend- und
Jugendverbandsarbeit an. Wir begrüßen, dass die Bun-
desregierung ihre Anstrengungen in diesem Bereich fort-
setzt.

Wir fordern die Bundesregierung jedoch auch auf, be-
stehende Leistungen und Hilfen für Kinder und Jugend-
liche mit Migrationshintergrund zu öffnen, also den ein-
geschlagenen Weg noch ein Stück weiterzugehen.
Interkulturelle Kompetenzen der politisch und adminis-
trativ Handelnden sind hier mindestens genauso gefragt
wie Angebote für jugendliche Migrantinnen und Migran-
ten. Die ungleichen Zukunftsperspektiven von Jugendli-
chen mit und ohne Migrationshintergrund, die immer
noch existieren, sind für uns nicht akzeptabel.

Wir sollten alle gemeinsam dafür kämpfen und uns ein-
setzen, dass Jugendliche insgesamt bessere Chancen be-
kommen als zurzeit. Wir sind alle gemeinsam aufgerufen,
das umzusetzen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419803700
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Klaus
Haupt, FDP.


Klaus Haupt (FDP):
Rede ID: ID1419803800
Lieber Kollege Simmert, Sie ha-
ben mich zu Beginn zweimal persönlich angesprochen,
deswegen nehme ich mir die Freiheit heraus, zu reagieren.

Erstens. Sie warfen mir vor, der wirtschaftspolitische
Sprecher zu sein. Ich lege Wert darauf, dass ich noch der
jugendpolitische Sprecher meiner Fraktion bin. Ich habe
mich hier bloß befleißigt, Ihrem Anspruch, Jugendpolitik
als Querschnittsaufgabe zu verstehen, gerecht zu werden
und umfassend über den Tellerrand hinauszuschauen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der PDS)


Dass die FDP das auch zu ihrem Grundsatz gemacht hat,
erkennen Sie daran, dass der wirtschaftspolitische Spre-
cher hier selbstverständlich zugegen ist, weil die jugend-
politische Debatte so wichtig ist.

Zweite Bemerkung: Ich bin etwas enttäuscht, dass Sie
meinen Sachverstand als Kollegen im Ausschuss eher ge-
ring einschätzen. Sie haben mir ja fast unterstellt, dass ich
hier am Rednerpult bloß dahergeschwätzt hätte.


(Christian Simmert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Meine Güte!)


– Selbstverständlich, Sie sagten, nichts liege vor. Zur Eh-
renrettung muss ich sagen, dass zwei Papiere vorliegen,
eines von den Koalitionsfraktionen SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen und ein fast so dickes von einer im Mo-
ment noch etwas kleineren Partei, das in der Fraktion
durchzubringen ich mir erlaubt habe. Ich denke einmal,
dass Sie mit dem Ausdruck des Bedauerns die Aussage
zurücknehmen, dass es keine Papiere seitens der FDP
bzw. des Kollegen Haupt gebe.

Danke.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419803900
Zur Erwiderung, Herr
Kollege Simmert, bitte.


Christian Simmert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419804000

Eine ganz kurze Erwiderung: Von meiner Partei sind nicht
nur Mitglieder der Fraktion anwesend, die sich im wirt-
schaftlichen Bereich auskennen, sondern auch unsere
Staatssekretärin ist bei der Debatte zugegen. Von daher

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Christian Simmert

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möchte ich noch einmal deutlich machen, dass natürlich
auch wir über den Tellerrand hinausschauen. Es sind auch
noch Vertreter weiterer Ministerien anwesend, die diese
Debatte verfolgen.


(Klaus Haupt [FDP]: Die bringen wir nächstes Jahr mit!)


Das ist auch nichts Außergewöhnliches, sondern eher eine
Selbstverständlichkeit.

In der Tat haben Sie hierzu ein Papier vorgelegt. Aller-
dings hätten Sie ruhig einmal darauf eingehen können. Ich
wäre sehr daran interessiert, mit Ihnen eine wirkliche Aus-
einandersetzung über die Positionen zu führen und nicht
bloß immer wieder Themen wie Ökosteuer und 630-DM-
Jobs als Kernaussagen in einer jugendpolitischen Debatte
zu hören. Das ist mir einfach zu wenig. Ich glaube, das
geht den Kolleginnen und Kollegen ähnlich.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419804100
Nächste Rednerin in
der Debatte ist die Kollegin Angela Marquardt für die
PDS-Fraktion.

Angela Marquardt (PDS) (von der PDS mit Beifall
begrüßt): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Da mich die Kurzintervention Ihres Kollegen Schulz
sehr wütend gemacht hat, will ich es mir nicht sparen, am
Anfang meiner Rede darauf hinzuweisen, dass wir hier
ein jugendpolitisches Programm diskutieren, das im Kern
aussagt – ich zitiere –:

Zum Kernbestand unserer Demokratie gehört die
Fähigkeit, Konflikte in einer Atmosphäre gegenseiti-
ger Toleranz und Akzeptanz auszuhandeln und fried-
lich zu lösen.


(Beifall bei der PDS)


Heute früh hat dieselbe Bundesregierung, auch Ihr
Kollege Werner Schulz, den Kriegseinsatz der Bundes-
wehr gerechtfertigt und damit das Mittel der Gewalt zur
Konfliktlösung sozusagen legitimiert. Ich weiß nicht, wer
mehr Zynismus und Heuchelei an den Tag legt: diejeni-
gen, die zumindest Fragen stellen, oder diejenigen, die
Kritik an dem Vorgehen zurückweisen.


(Beifall bei der PDS)


Auch das sind Werte, die man Jugendlichen vorleben
sollte.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In dieser Frage sollten Sie die letzten 20 Jahre aufarbeiten!)


Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass in Ihrem Pro-
gramm und in Ihrem Entschließungsantrag viele richtige
und wichtige Punkte stehen. Bildung und Ausbildung sind
die Voraussetzung für einen chancengleichen Start ins Be-
rufsleben; das ist hier schon angesprochen worden. Sie
sind die Basis für die Entwicklung unserer Gesellschaft.
Niemand, weder Staat noch Wirtschaft, darf sich der Ver-

antwortung entziehen, die Grundlage dafür zu legen, dass
Bürgerinnen und Bürger nicht immer mehr für die Schul-
ausbildung und das Studium ihrer Kinder zahlen müssen.
Das bedeutet für mich auch, dass Schülerinnen und
Schüler an weiterführenden allgemeinbildenden Schulen
und an Berufsfachschulen endlich Zugang zum Schüler-
BAföG bekommen müssen.


(Beifall bei der PDS)


Unter Ihren Qualifizierungsprogrammen loben Sie vor
allem immer das JUMP-Programm. Ich will nicht ver-
hehlen, dass es jungen Leuten Chancen geboten hat. Aber
der Erfolg des Programmes kann nicht nur an der Zahl der
geförderten Jugendlichen gemessen werden. Es muss
auch darum gehen, wie viele Jugendliche tatsächlich den
Sprung in das Berufsleben geschafft haben.


(Beifall bei der PDS)


Wenn man diesen Maßstab zugrunde legt, dann muss man
feststellen, dass die Bilanz relativ mager aussieht. Die
Förderung besteht nämlich auch aus Trainingsprogram-
men und Maßnahmen, die die Motivation und die Ar-
beitsbereitschaft fördern sollen usw. Hier werden also
nicht ausschließlich Ausbildungsplätze oder Jobs ge-
schaffen, sondern es sind Maßnahmen, die vor allem zur
Bereinigung der Statistik beitragen.

Natürlich, Christian, entziehen sich viele Unternehmen
nach wie vor ihrer Verantwortung für die Ausbildung. Als
ich noch bei der SPD Politik gemacht habe, hat sie eine
Umlagefinanzierung gefordert; das muss ich nicht wei-
ter erklären. Nun frage ich mich aber: Warum stehen Sie
nicht mehr zur Umlagefinanzierung? Warum setzen Sie
sie nicht durch, obwohl Sie sie jahrelang gefordert haben?


(Beifall bei der PDS – Walter Hirche [FDP]: Man sollte sich über diesen Lernprozess freuen!)


Frau Bergmann, in Ihrem Programm steht, dass der Ar-
beitgeber, wenn er Jugendliche für eine Qualifizierung
freistellt, das Gehalt weiter zahlt. Das ist auch richtig. Was
ich an dieser Situation aber nicht verstehe, ist, warum Sie
den Unternehmen anbieten, diese Kosten teilweise zu
übernehmen. Der Staat ist doch nicht für die Finanzierung
der Wirtschaft verantwortlich.


(Beifall der Abg. Dr. Barbara Höll [PDS])


Die Wirtschaft muss gezwungen oder – was natürlich sehr
viel besser ist – davon überzeugt werden, die Verantwor-
tung für Qualifizierung und Ausbildung ihres eigenen
Nachwuchses zu übernehmen und dies zu finanzieren.
Dabei hat der Staat nicht die Aufgabe, der Wirtschaft das
Geld zuzuschieben.


(Beifall bei der PDS)


Da wir gerade beim Geld sind: Auch die Kindergeld-
erhöhung wird an dieser Stelle immer wieder gelobt. Ich
finde, jede Erhöhung ist ein wichtiger Schritt. Sie müssen
aber zugeben, dass die Kindergelderhöhung und die da-
durch entstandenen Mehrausgaben zum Teil durch die
steuerliche Höherbelastung der Alleinerziehenden gegen-
finanziert werden. Dazu hatte die PDS einen Vorschlag
gemacht, auf den ich aber nicht näher eingehe; wir haben
oft genug darüber diskutiert.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Christian Simmert

19314


(C)



(D)



(A)



(B)


Zu Recht ist hier die Medienbildung angesprochen
worden. Ich finde, das ist ein Thema, dem sich die Bun-
desregierung wirklich widmet, das sie immer wieder auf
die Tagesordnung setzt. Ich freue mich darüber, dass, wie
Sie verkünden, alle Schulen mit Internetzugängen und
PCs ausgestattet werden sollen. Aber Sie müssen zuge-
ben, dass dieses zum Teil von den Schulen und Eltern sel-
ber finanziert werden muss. Wo das nicht möglich ist, set-
zen Sie mit Ihrer D-21-Initiative auf die Wirtschaft. Ich
habe kein Problem damit, dass die Wirtschaft für die Qua-
lifizierung sozusagen blechen soll. Man kann aber nicht
nur auf die Wirtschaft setzen. Der Staat darf sich seiner
Verantwortung nicht entziehen. Wenn nämlich Medien-
bildung ausschließlich vom Sponsoring und damit von
der Gunst der Wirtschaft abhängig ist – diese Tendenz
können wir beobachten –, dann kann das schief laufen.
Wir alle in diesem Hause wissen – unabhängig davon, wie
man zum Sponsoring steht –, dass es interessenfreies
Sponsoring durch die Wirtschaft nicht gibt.


(Beifall bei der PDS)


Diese Bedenken möchte ich zumindest zum Ausdruck
bringen.

Ich finde es gut – ich weiß nicht, ob es zum ersten Mal
schriftlich formuliert wurde –, dass es in dem Ent-
schließungsantrag eine kleine Passage zur Filtersoftware
gibt. Auch Sie sagen, dass Filtersoftware kein geeigneter
Jugendmedienschutz ist. Frau Eichhorn, ich muss Ihnen
sagen: Nicht das Internet ist das Problem, sondern dieje-
nigen, die es für Gewaltverherrlichung und für den
Rechtsextremismus missbrauchen.


(Beifall bei der PDS, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen muss man nicht gegen das Internet vorgehen,
sondern gegen diejenigen, die auf der Straße den Rechts-
extremismus repräsentieren. Man sollte aber nicht das In-
ternet zensieren.

Ich habe mich gefreut, dass das Thema Rechtsextre-
mismus in den letzten Wochen und Monaten eine derar-
tig breite Aufmerksamkeit gefunden hat. Aber die eine
oder andere Maßnahme ist inkonsequent oder nicht zu
Ende gedacht. Gerade auf diesem Gebiet geht es nicht
ausschließlich darum, den rechtsextremen Jugendklubs
Geld zu geben, damit mit diesen Jugendlichen gearbeitet
werden kann. Es geht im Gegenteil darum, die Gegenkul-
tur zu fördern, das heißt, antirassistische Jugendinitiati-
ven zu fördern und aufzubauen. Wir brauchen eine Ge-
genbewegung; man sollte sich nicht ausschließlich nur
immer an den Rechten abarbeiten.


(Beifall bei der PDS)


Es sollten vielmehr inhaltliche Voraussetzungen geschaffen
werden, dass auch andere Strukturen entstehen können.

Wenn Sie der Meinung sind, dass das Engagement der
Jugendlichen unterstützt werden muss, dann bitte ich Sie
an dieser Stelle: Streichen Sie antirassistische und anti-
faschistische Jugendinitiativen aus dem Verfassungs-
schutzbericht! Hören Sie auf, sie zu beobachten und durch
die Polizei zu kriminalisieren!


(Beifall bei der PDS)


Diese Initiativen sind in vielen Orten – das gilt gerade für
die neuen Bundesländer; ich bin dort viel unterwegs –
praktisch die einzigen, die einer Nazidominanz in den
Kommunen Widerstand entgegensetzen.

Rassismus ist nun einmal das Fundament des heutigen
Rechtsextremismus. Ich bin froh, dass auch Sie der Mei-
nung sind – das ist in den Anträgen deutlich geworden –,
dass Rassismus ein Ausgangspunkt für Rechtsextremis-
mus ist. Wenn aber die deutsche Wirtschaft „gute“ Aus-
länderinnen und Ausländer auswählt, wenn gleichzeitig
die anderen gefälligst draußen bleiben sollen und wenn
vor dem Hintergrund der Ereignisse des 11. Septembers
ausländische Studierende in der Bundesrepublik in Anträ-
gen als Terroristen per se stigmatisiert werden, dann kann
man Jugendliche nicht von ihrem rechten Weg abbringen,
sondern dann arbeitet man ihren Überzeugungen zu.


(Beifall bei der PDS)


Mich hat ein wenig gewundert, dass das Thema
Drogenpolitik völlig fehlt. Sie wurde zwar angespro-
chen, aber die Probleme wurden nicht thematisiert. Auch
wenn es nicht allein ein jugendspezifisches Thema ist, so
muss man doch sagen, dass gerade junge Menschen Um-
gang mit weichen Drogen haben. Ich habe mich schon ge-
wundert, warum gerade Rot-Grün – Sie haben in der Ver-
gangenheit immer die Legalisierung von weichen Drogen
wie zum Beispiel Cannabis gefordert – in diesem Punkt
nichts unternommen hat. Seit Rot-Grün regiert, ist dieses
Thema leider nicht wieder aufgetaucht.


(Walter Hirche [FDP]: Das ist aber auch eine harte Droge, dass Rot-Grün regiert! – Zuruf von der CDU/CSU: Die macht süchtig!)


Lassen Sie mich zum Schluss auf das Thema politische
Partizipation eingehen. Niemand wird bestreiten, dass
dieses Thema wichtig ist. Wir müssen Formen finden,
damit junge Leute Spaß an Politik haben. Ihre
Beteiligungsbewegung ist daher eine gute Initiative. Sie
darf aber nicht nur zum Zuschauen verkommen, sondern
sie muss das Engagement von jungen Leuten fördern.
Wenn aber, wie in Berlin geschehen, während der Schul-
zeit eine Schülerdemonstration stattfindet und Schülerin-
nen und Schüler Tadel und Verweise dafür bekommen,
weil sie an dieser Demonstration teilgenommen haben
– ihnen wurde von Lehrerinnen und Lehrern sozusagen
verboten, an dieser Demonstration teilzunehmen –, dann
bin ich doch sehr verwundert. Jetzt engagieren sich Ju-
gendliche endlich einmal und sofort bekommen sie eines
auf den Deckel.


(Beifall bei der PDS)


Frau Bergmann, Sie haben während der Präsentation
des Projektes Beteiligungsbewegung gesagt, dass man
auch nach der Schule demonstrieren kann. Aber warum
sollen sich Jugendliche nicht auch einmal während der
Schulzeit engagieren?


(Beifall bei der PDS)


Schule muss Allgemeinbildung vermitteln. Da muss auch
die politische Partizipation Bestandteil der Bildung sein.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Angela Marquardt

19315


(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419804200
Frau Kollegin
Marquardt, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.


Angela Marquardt (PDS):
Rede ID: ID1419804300
Wenn ein Engagement
gleich wieder abgebügelt wird, entsteht natürlich Poli-
tikverdrossenheit. Das kann ich verstehen. Ich bin aber
frohen Mutes, dass sich das ändern wird.

Danke.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419804400
Das Wort hat die Kol-
legin Kerstin Griese für die SPD-Fraktion.


Kerstin Griese (SPD):
Rede ID: ID1419804500
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Eigentlich ist die Wahrnehmung
vieler Jugendlicher richtig: Jugendliche spielen in der Po-
litik keine oder eine zu geringe Rolle. Das, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, ändern wir gerade, und zwar auch
schon seit 1998. Wir stellen Kinder und Jugendliche, ihre
Interessen und Perspektiven in den Mittelpunkt.

Lassen Sie mich etwas zu Herrn Haupt sagen, der be-
hauptet hat, es seien nur schöne Worte im Regierungspro-
gramm zu finden. Neben schönen Worten finden Sie auch
eine ganze Menge Fakten, Programme und finanzielle
Mittel. Wenn Sie die Antwort auf die Große Anfrage „Ju-
gend“ durchlesen, sehen Sie, was wir alles getan haben,
um diesen Bereich zu verstärken.


(Beifall bei der SPD)


Sie haben selbst gesagt, Bildung sei das Wichtigste. Da
stimme ich Ihnen voll und ganz zu. Aber schauen Sie doch
einmal in Ihre Regierungszeit zurück! Sie haben den Bil-
dungsetat permanent gekürzt. Die FDP war in dieser Re-
publik fast 30 Jahre an der Regierung. Wir haben die Kür-
zungen aufgehoben, wir investieren jetzt wieder in
Bildung.


(Walter Hirche [FDP]: Als die FDP den Bildungsminister stellte, wurden die Mittel ausgeweitet! Möllemann eins, zwei und drei – Milliarden-Programme für die Jugend!)


Das ist für die Zukunft der jungen Generation wichtig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich gehöre mit 34 Jahren noch zu den jungen Abge-
ordneten in diesem Hohen Hause. Ich glaube nicht, dass
alle Probleme damit gelöst sind, wenn ausschließlich
junge Leute Interessen in der Politik vertreten. Aber die
Verstocktheit und die Blockaden der Regierung Kohl
wurden auch durch einen Generationenwechsel abgelöst.
Ein Bestandteil dieses Generationenwechsels sind viele
jüngere Abgeordnete und wenn Sie sich die Zahlen anse-
hen, so sehen Sie, dass die vor allem auf den Bänken der
Regierungsfraktionen, der SPD und der Grünen, zu finden
sind.


(Zurufe von der CDU/CSU)


– Das stimmt. Doppelt so viele junge Abgeordnete wie bei
Ihnen von der CDU/CSU, Frau Heinen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir machen ein An-
gebot an die Jugendlichen. Wir wollen zum Einsatz für
unsere demokratische Gesellschaft herausfordern. Der
Vorwurf, Jugendliche würden nicht gefragt, gilt nicht
mehr. Wir machen Angebote zur Diskussion und zur Mit-
gestaltung. „Ich mache Politik“, das ist der Slogan der
Beteiligungsbewegung, die von der Ministerin ins Leben
gerufen worden ist und die in dieser Woche begonnen hat.
Zuerst einmal hört jetzt die Politik zu, wenn Jugendliche
den Ministerinnen und Ministern ihre Meinung sagen. Ich
finde, das ist auch gut so.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Angela Marquardt [PDS])


Jugendliche geben oft Anstöße für gesellschaftliche
Debatten und Bewegungen, die ein gerechteres Miteinan-
der der Menschen zum Ziel haben. Gerade nach den An-
schlägen vom 11. September haben wir alle beobachtet,
wie Tausende von Jugendlichen, wie zig Schulklassen
ihre Solidarität mit den USA, ihre Toleranz, aber auch ihre
Friedenssehnsucht ausgedrückt haben – vor der amerika-
nischen Botschaft in Berlin und in vielen anderen Städten
in der Bundesrepublik. Ich denke, dieses Engagement
muss man würdigen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Dies zeigt auch, dass Jugendliche nicht unpolitisch
sind. Sie interessieren sich zum Beispiel für den Ausstieg
aus der Atomenergie, für den Abbau der Staatsschulden,
für eine gesunde Umwelt und für einen interessanten Job.
Genau von diesen Entscheidungen hängt die Zukunft un-
serer Gesellschaft ab. Deshalb bedeutet unsere Jugendpo-
litik, dass alle Ressorts, vom Arbeitsministerium bis zum
Wirtschaftsministerium, von der Bildung bis zur Entwick-
lungshilfe, die Belange von Kindern und Jugendlichen be-
achten und fördern; denn – und das steht bei uns im Mit-
telpunkt – Generationengerechtigkeit ist ein Ziel unserer
Politik.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kinder und Jugend-
liche wollen sich engagieren und die Gesellschaft gestal-
ten. Sie wollen sich selbst organisieren; das ist das
Prinzip der Jugendverbände. Um kontinuierliche Partizi-
pation zu gewährleisten, ist die Arbeit der Jugendver-
bände unverzichtbar. Deshalb möchte ich an dieser Stelle
den Aktiven im Deutschen Bundesjugendring und seinen
Mitgliedsverbänden, in denen Millionen von Jugendli-
chen ehrenamtlich aktiv sind, für ihre wichtige Arbeit
danken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich freue mich, dass Gaby Hagmans, die Vorsitzende des
Deutschen Bundesjugendrings, an dieser Debatte teil-
nimmt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte insbesondere auf ein Thema eingehen.
Beim Rechtsextremismus stehen wir vor einem gesamt-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119316


(C)



(D)



(A)



(B)


gesellschaftlichen Problem. Es wäre falsch, allein Ju-
gendliche für Gewalt und Fremdenfeindlichkeit verant-
wortlich zu machen, und es wäre genauso falsch, allein
nach Ostdeutschland zu gucken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])


Die Ursachen sind vielfältig – das wissen und akzeptieren
wir hoffentlich alle –: mangelnde Ausbildungs- und Ar-
beitsperspektiven, fehlender Halt in der Familie und die
Suche nach einfachen Lösungen, um nur einige zu nen-
nen. Deshalb gehört für Sozialdemokraten die Bekämp-
fung von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit
zu den wichtigsten Aufgaben unserer Politik. Eine konti-
nuierliche Jugendpolitik ist die beste Prävention gegen
Rechtsextremismus.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])


Wir müssen dabei neben den natürlich notwendigen re-
pressiven Maßnahmen gerade diejenigen Jugendlichen,
die sich schon in Richtung Rechtsextremismus orientie-
ren und Gewaltbereitschaft zeigen, in die gesellschaftli-
che Mitte zurückholen. Und wir müssen – das tun wir mit
unseren Programmen auch, Frau Marquardt – diejenigen,
die in der Mitte der Gesellschaft stehen und sich für De-
mokratie und Toleranz einsetzen, aktiv unterstützen.

Hier haben wir Schwerpunkte gesetzt. Unser Pro-
gramm heißt „Jugend für Toleranz und Demokratie“,
womit wir betonen, wofür sich die Jugendlichen einset-
zen sollen. In diesem Jahr haben wir die Stärkung des
demokratischen Engagements junger Menschen mit
30 Millionen DM gefördert. Aus diesen Mitteln wird zum
Beispiel der Ideen- und Aktionswettbewerb der Evangeli-
schen Jugend, „Auf dich kommt es an“, gefördert, dessen
Symbol ein Spiegel ist, der nicht nur den Einzelnen, son-
dern auch die Welt dahinter zeigen soll. Die SPD-Fraktion
setzt sich für die Verstetigung dieser Haushaltsmittel ein.
Ihnen von der CDU/CSU ist dazu ja nur eingefallen, das
Wort „Rechts“ zu streichen, wobei Sie meines Erachtens
die tatsächlichen Probleme in unserem Land verkennen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Maria Eichhorn [CDU/ CSU]: Es gibt auch Linksextremismus!)


Des Weiteren erwähne ich das Programm Civitas, das
in diesem Jahr mit 10 Millionen DM Projekte zur Bera-
tung, Ausbildung und Unterstützung von Initiativen ge-
gen Rechtsextremismus und zur Opferberatung in den
neuen Bundesländern fördert. Gerade Ansätze, in denen
sich Jugendliche auf der lokalen Ebene für Jugendliche
engagieren, halte ich für besonders sinnvoll. Zum Bei-
spiel arbeiten in Sachsen im Netzwerk „Demokratie und
Courage“, das von der DGB-Jugend unterstützt wird,
Schülerinnen und Schüler mit anderen Schülern in Works-
hops daran, Vorurteile zu erkennen und zu hinterfragen.
Das ist ein sinnvoller Beitrag zum Abbau von Fremden-
feindlichkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Haupt [FDP])


Schließlich nenne ich das Programm „Xenos – Leben
und Arbeiten in Vielfalt“, das antirassistische und arbeits-
marktbezogene Maßnahmen verknüpft. Dieses Pro-
gramm ist deshalb so wichtig, weil es dort ansetzt, wo
Menschen gemeinsam arbeiten und lernen. Dazu gehören
zum Beispiel Konfliktmanagement und interkulturelles
Training in Berufsschulen. Das ist eine sinnvolle Präven-
tionsarbeit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein wichtiges Feld ist
die internationale Jugendarbeit. Gerade nach dem
11. September halten wir es für wichtig, die intensive Aus-
einandersetzung mit anderen Ländern, Kulturen und Re-
ligionen zu verstärken. Daher habe ich mich auch über die
geplante Aufstockung der Mittel für das deutsch-polni-
sche Jugendwerk und über die Eröffnung des Koordinie-
rungsbüros für den deutsch-israelischen Jugendaustausch
in Wittenberg gefreut.


(Antje Blumenthal [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Wir halten die Verbesserung der sozialen Situation
benachteiligter Kinder und Jugendlicher für eine wichtige
Aufgabe. Kinder und Jugendliche sollen gemeinsam auf-
wachsen und miteinander lernen und leben. Das ist am
besten in Kinderbetreuungseinrichtungen möglich. Der
Ausbau der Kinderbetreuung ist ein wichtiger Schritt zur
sozialen Integration.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn Frau Eichhorn in jeder Debatte das Bundesland
Bayern hervorhebt, muss ich sie wirklich nach der Be-
treuung der unter Dreijährigen in Bayern fragen. Hier
sieht Bayern nämlich ganz schlecht aus.


(Beifall bei der SPD)


Dazu gehört auch, dass Kinder mit Migrationshintergrund
in Betreuungseinrichtungen besser die deutsche Sprache
lernen können, was für die Integration unerlässlich ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Willy Brandt rief
Anfang der 70er-Jahre der jungen Generation zu: „Mehr
Demokratie wagen“. Viele von denen, die hier – zumin-
dest auf dieser Seite des Hauses – sitzen,


(Rainer Brüderle [FDP]: Links oder rechts?)


kommen aus dieser Generation und haben sich davon an-
gesprochen gefühlt. Heute sagt die Bundesregierung von
Gerhard Schröder und Christine Bergmann: „Den Ju-
gendlichen Chancen geben“. Jetzt kommt es darauf an,
diese Chancen wahrzunehmen. Deshalb, liebe Kollegin-
nen und Kollegen, müssen wir den Jugendlichen zeigen,
dass die Politik nicht jugendverdrossen ist. Die rot-grüne
Bundesregierung hat damit angefangen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419804600
Das Wort hat der Kol-
lege Klaus Holetscheck für die Fraktion der CDU/CSU.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Kerstin Griese

19317


(C)



(D)



(A)



(B)



Klaus Holetschek (CSU):
Rede ID: ID1419804700
Frau Präsidentin!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie haben 1998 ver-
sucht, die Jugendlichen mit viel Show, trendigen Kino-
spots und Slogans zu umwerben. Am 1. Mai hat die Ju-
gend dem Kanzler höchstpersönlich gezeigt, was sie von
ihm hält. Der „Spiegel“ schreibt dazu:

Tausend jugendliche Besucher der Job-Parade in
Schwerin haben Bundeskanzler Gerhard Schröder
ausgepfiffen. Geplant war eine Diskussion mit Ju-
gendlichen zum Thema Arbeitslosigkeit. Angesichts
der Buh-Rufe verabschiedete sich der Bundeskanz-
ler nach wenigen Minuten mit dem Satz: „Ich wün-
sche euch eine Menge Spaß, macht’s gut und feiert
schön!“

So kann man natürlich auch das Thema Jugendarbeitslo-
sigkeit behandeln.


(Beifall des Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/ CSU] – Christian Simmert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist euer Antrag?)


Wir sind uns doch einig, dass Sie bei der Jugendpolitik
nicht viel zu bieten haben. Das Programm spricht für sich.
Was Sie schon am Anfang der Wahlperiode getan haben,
wiederholen Sie auch am Schluss: Sie versuchen, kurz-
fristig etwas aufzulegen, was sich gut anhört; aber Taten
lassen Sie den guten Sprüchen nicht folgen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Außerdem kaschieren Sie Ihre mangelhafte Jugendpolitik
mit einer Großen Anfrage aus den eigenen Reihen. Allein
das sagt schon fast alles.

Das Thema Jugendarbeitslosigkeit ist eines der zen-
tralen Themen; darüber sind wir uns über die Parteigren-
zen hinweg einig.


(Kerstin Griese [SPD]: Deshalb tun wir da auch so viel!)


Ihr Programm JUMP erreicht nicht das, was Sie und viele
andere sich davon versprochen haben. Die Zahlen der Ju-
gendarbeitslosigkeit in Europa – Frau Kollegin Eichhorn
hat es vorhin schon dargestellt –, die das europäische sta-
tistische Amt herausgibt, sprechen für sich: So beträgt die
Jugendarbeitslosigkeit in Dänemark 6,9 Prozent, in Portu-
gal 8,9 Prozent, in Österreich 5,8 Prozent, in Irland 5,9 Pro-
zent, in den Niederlanden 4,1 Prozent, in Luxemburg
7,1 Prozent. Spitzenreiter ist Deutschland mit 9,5 Prozent.
Diese Fakten können wir doch nicht wegdiskutieren.

Genauso wenig können wir die Tatsache wegdiskutie-
ren, dass ganze Regionen in den neuen Ländern ausblu-
ten, dass die jungen Menschen dort keine Lehrstellen
mehr finden, dass sie ihre Region, ihre Heimat verlassen
müssen und wir dort ein Riesenproblem haben. Das sind
die Fakten, denen Sie sich stellen müssen. Wir müssen
diesen Trend mit allen Mitteln stoppen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Wo bleibt der Aufbau Ost?)


Kollege Simmert, wenn wir über Jugendarbeitslosig-
keit sprechen, müssen wir auch über die Wirtschaft spre-

chen, weil die Wirtschaft die Rahmenbedingungen setzt.
Wir müssen über den Mittelstand sprechen. 80 Prozent
der Ausbildungsplätze werden vom Mittelstand zur Ver-
fügung gestellt. Die Politik Ihrer Regierung trägt nicht
dazu bei, dass sich der Mittelstand in Deutschland entfal-
ten kann. Das 630-DM-Gesetz, das Gesetz zur Bekämp-
fung der Scheinselbstständigkeit, die Ökosteuer, das Be-
triebsverfassungsgesetz, die Steuerreform – das alles
sind Gesetze gegen den Mittelstand, Gesetze gegen die
Ausbildung von Jugendlichen in der Bundesrepublik
Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wenn man sich den Internetauftritt des Programms
JUMP anschaut – auch das ist recht interessant –, so fin-
det man dort einen Jugendlichen, den man über viele Hin-
dernisse zum Arbeitsamt treiben muss. Manchmal hat
man das Gefühl, dass Ihre Politik in der Wirklichkeit nicht
anders ist. Es werden viele Knüppel zwischen die Beine
geworfen und heraus kommt ziemlich wenig.

Wir haben zahlreiche Anträge zur Förderung des Mit-
telstandes gestellt; wir debattieren nachher darüber. Sie
hätten die Chance gehabt, auf diesen Zug aufzuspringen
und tatsächlich etwas für die Ausbildung in unserem Land
zu tun.

Beim Thema neue Medien zeigt sich genau dasselbe
Bild. Die Impulse für die Initiative „Schulen ans Netz“
wurden noch in unserer Regierungszeit gegeben. Von Ih-
nen kommt relativ wenig.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir sprachen vorhin das Thema Jugendschutz an. In
Ihrem Programm taucht dieser Punkt so gut wie gar nicht
auf. So müssen wir wirklich aufpassen, dass wir auf die-
sem Gebiet nicht insgesamt zum Schlusslicht werden.

Familienpolitik ist ebenfalls eine wichtige Facette der
Jugendpolitik. Eine werteorientierte, ganzheitliche Fami-
lienpolitik ist einer der besten Ansätze für eine wirksame
Jugendpolitik.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben ein Konzept; Sie haben keines.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Auch die Novelle zum Gesetz über Freiwilligendiens-
te ist bereits seit langem angekündigt. Bis jetzt habe ich
sie immer noch nicht gesehen. Wo sind denn die entspre-
chenden Gesetzentwürfe? Ich hoffe, sie kommen bald;
denn Sie haben in der Koalitionsvereinbarung groß an-
gekündigt, Sie wollten etwas für die Freiwilligen im Aus-
land tun.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Tun wir auch!)


Bis jetzt haben wir noch nichts gesehen. Wir warten und
werden das kritisch begleiten. Wir hoffen, dass Sie dies-
bezüglich einmal Wort halten.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nicht nervös werden!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119318


(C)



(D)



(A)



(B)


Was mich wirklich ärgert, ist Ihre Missachtung des
Ehrenamtes. Ich erlebe in meiner Heimatstadt Bad
Wörishofen, dass viele Vereine dort eine wirklich gute Ju-
gendarbeit leisten. Bei Ihnen vermisse ich allerdings
Bemühungen um die Stärkung des Ehrenamtes. Sie haben
einerseits eine Enquete-Kommission eingerichtet, aber
andererseits vieles verhindert, wodurch bürgerschaftli-
ches Engagement sich hätte entfalten können und wirk-
lich gefördert worden wäre.


(Iris Gleicke [SPD]: Die Betriebskosten für die Jugendzentren müssen uns die CDU-Bürgermeister geben!)


Unterstützen Sie die Vereine in der Bundesrepublik
Deutschland! Sie leisten eine wertvolle Jugendarbeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Meine Damen und Herren, es ist relativ wenig passiert.
Ihr Programm „Chancen im Wandel“ sollten Sie auf das
letzte Jahr Ihrer Regierungsarbeit anwenden; denn ich bin
sicher, der Wähler versteht das anders: Er wird Sie zur
zukünftigen Opposition wandeln.


(Zuruf von der SPD: Wir haben noch ein paar Jahre!)


Die Leute können sehr gut unterscheiden, was Show,
was Verpackung und was Inhalt ist. Das können auch die
Jugendlichen sehr gut.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Nicht nur in der Jugendpolitik, aber auch da machen Sie
viel Show und haben viel Verpackung, aber wenig Sub-
stanz und wenig Inhalte.

Meine Damen und Herren, ich fordere Sie auf: Geben
Sie der Jugend Zukunft, geben Sie ihr Perspektive! Tun
Sie etwas und machen Sie nicht nur Sprüche!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419804800
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Grietje Bettin für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen.


Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419804900
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ju-
gendpolitische Programm der Bundesregierung trägt den
Titel „Chancen im Wandel“. Große Chancen liegen auch
in dem Bereich, mit dem sich der Bericht unter dem Titel
„Medienkompetenz für alle“ befasst und auf den ich mich
in dieser Rede konzentrieren möchte.

In einem medialen Zeitalter, in dem Programme immer
mehr nach kommerziellen als nach inhaltlichen An-
sprüchen gestaltet werden, gewinnt die Fähigkeit der Be-
völkerung, verantwortungsbewusst mit Medien umzuge-
hen, ständig an Bedeutung. Dies gilt insbesondere für
Kinder und Jugendliche. Medienkompetenz umschreibt
hierbei die grundlegende Fähigkeit eines Individuums,
sich in einer von Medien geprägten Welt zurechtzufinden
und entsprechend zu handeln. Der Einzelne soll befähigt
werden, Wirkung und Ziele von Medien zu verstehen und

aus dem Spektrum der Angebote bewusst auszuwählen,
statt der Flut medialer Eindrücke passiv ausgesetzt zu
sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dies beinhaltet neben dem notwendigen Erwerb tech-
nischen Wissens hauptsächlich die so genannte qualitative
Medienkompetenz, also die inhaltliche Auseinanderset-
zung mit Informationen. Gerade um die Entstehung einer
medialen Zweiklassengesellschaft zu vermeiden, ist die
Förderung von Medienkompetenz aufgrund ihrer alltägli-
chen Relevanz für die politische Partizipation der Men-
schen ganz entscheidend.

Die Vermittlung von Medienkompetenz ist also ein
sehr breit gefächertes Aufgabengebiet. Um größtmögli-
che Wirkung zu erzielen, sollte bei der Entwicklung von
Konzepten angesichts der sich rapide verändernden
Medienlandschaft und der ständig neuen technischen Er-
rungenschaften jede Statik vermieden werden. Zukunfts-
offene Konzepte sind also gefragt. Vor allem jedoch müs-
sen diese stets so genau wie möglich auf ihre Adressaten
abgestimmt sein.

Nahe liegend scheint uns hier zunächst eine Differen-
zierung nach Altersgruppen. Wichtiger jedoch ist die ge-
sellschaftliche Rolle der Adressaten, zum Beispiel dieje-
nige als Elternteil, als Verbraucher oder auch als politisch
Interessierter, die eine jeweils eigene Form von Medien-
kompetenz einfordert. Außerdem ist noch die Funktion
der Mediennutzung zu beachten, etwa ob es sich um Un-
terhaltung, Weiterbildung oder Information handelt. Für
eine effiziente Vermittlung von Medienkompetenz ist die
Beachtung dieser von mir gerade genannten Kriterien von
sehr großer Bedeutung.

Die Bundesregierung ist hier auf einem sehr guten Weg.
Bis Ende 2001 werden alle Schulen und Berufsschulen in
Deutschland mit Internetzugängen ausgestattet sein.
Ausdrücklich begrüßen wir ebenfalls die Initiative
„Jugendarbeit ans Netz“, mit der auch Freizeiteinrichtun-
gen für Kinder und Jugendliche ans Netz angeschlossen
werden sollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Angela Marquardt [PDS])


Mängel sehen wir bei den bereits bestehenden bundes-
weiten Projekten jedoch noch in deren mangelnder Ver-
knüpfung sowie der häufig fehlenden wissenschaftlichen
Begleitforschung. Als sinnvollen Ansatz zur Lösung die-
ser Probleme befürworten Bündnis 90/Die Grünen die
Schaffung eines bundesweiten Netzwerks, welches die
Kommunikation zwischen einzelnen Trägern verbessern
und bedarfsgerechte Modellprojekte entwickeln soll.

Hierzu haben Bündnis 90/Die Grünen ein Konzept ent-
wickelt, das wir bereits mit großem Erfolg der Öffent-
lichkeit präsentiert haben. Unser Konzept sieht folgende
Eckpunkte vor: Wir streben die Schaffung einer Plattform
an, welche die Kommunikation zwischen den einzelnen
Trägern optimieren und koordinieren soll. Als Aufgaben
dieser Koordinierungsstelle sehen wir unter anderem die

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Klaus Holetschek

19319


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Bestandsaufnahme der bereits bestehenden Projekte zur
Förderung von Medienkompetenz, das Aufzeigen von
Trends, Lücken und Defiziten in diesem Bereich, das Ent-
wickeln und Anbieten konkreter zielgruppenspezifischer
Modellprojekte und die Aktivierung der Kommunikation
innerhalb und außerhalb des Netzwerks.

Bündnis 90/Die Grünen und die rot-grüne Bundesre-
gierung sind also mit konkreten Programmen und Kon-
zepten bereits bestens auf die Herausforderungen der In-
formationsgesellschaft vorbereitet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Medienkompetenz ist hierbei eine der wichtigsten Quali-
fikationen für unsere Kinder und Jugendlichen, um fit im
Umgang mit neuen Medien zu sein. Technische Kompe-
tenz allein reicht jedoch bei weitem nicht aus. Es geht
vielmehr darum, den sinnvollen Umgang mit den neuen
und alten Medien zu lernen. Die sozialen und pädagogi-
schen Komponenten dürfen hierbei niemals zu kurz kom-
men. Erst dann können wir sagen: Unsere Kids sind wirk-
lich medienfit.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS – Walter Hirche [FDP]: Was ist denn mit unseren Kindern? Ich höre immer was von „Kids“!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419805000
Nächster Redner ist
der Kollege Thomas Dörflinger für die Fraktion der
CDU/CSU.


Thomas Dörflinger (CDU):
Rede ID: ID1419805100
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! „Chancen im Wandel“ – toll! „Si-
cherheit im Wandel“ – noch toller! Merken Sie was? Die
frappierenden Wortähnlichkeiten legen den Verdacht
nahe, dass mindestens der Titel, wenn nicht auch der In-
halt dieses Barackenpapierchens


(Zuruf von der SPD: Na, na, na! Nicht so despektierlich!)


aus der Feder des Kollegen Müntefering stammt.


(Kerstin Griese [SPD]: Wir haben den Verdacht, dass das sozialdemokratische Regierungspolitik ist!)


Es ist völlig legitim – das haben auch wir gemacht –, dass
man in Regierungsprogramme den einen oder anderen
Tropfen Parteipolitik einfließen lässt. Aber man sollte es
ein kleines bisschen unauffälliger und ein kleines biss-
chen handwerklich besser machen, als Sie das tun.


(Beifall bei der CDU/CSU – Iris Gleicke [SPD]: Wir sind aber nun einmal Sozialdemokraten!)


Ein Programm soll das also sein. Ein Programm ist je-
doch getreu dem Wortstamm auf die Zukunft gerichtet.
Sie aber listen auf über 25 Seiten lediglich das auf, was
Sie mehr oder weniger erfolgreich bereits getan haben. In-

sofern ist das kein Programm, sondern eigentlich ein Epi-
gramm. Was denn in drei Teufelsnamen hat – bei aller
Wichtigkeit dieses Themas – der Ausstieg aus der Kern-
energie mit der Jugendpolitik zu tun? Das könnte man
auch an vielen anderen Beispielen deutlich machen. Wenn
man das Epigramm inhaltlich reduziert, ist der Wert
schlussendlich unter einem Mikrogramm.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)


Eben ist von den Entschließungsanträgen gesprochen
worden, die dem Deutschen Bundestag noch zugeleitet
werden. Lassen Sie mich einige Bemerkungen dazu ma-
chen.

Wenn sich die Regierungsfraktionen mit einem Ent-
schließungsantrag an die Regierung wenden, dann ist es
normalerweise so, dass die Lobeshymnen nur so sprudeln.
Das ist hier nicht so; denn es wird an einigen Stellen deut-
lich auf Versäumnisse hingewiesen.


(Iris Gleicke [SPD]: Das ist bei uns anders, als das Ihre Vorgänger gemacht haben! Fragen Sie einmal Ihren Vater!)


So wird beispielsweise unter Punkt A 14 ausgeführt,
die Bundesregierung solle etwas für den Kinder- und
Jugendmedienschutz tun. Das findet unsere volle Zu-
stimmung. Zu diesem Thema haben wir einen Antrag im
Plenum eingebracht, den Sie allerdings abgelehnt haben.


(Kerstin Griese [SPD]: Wir haben einen besseren Antrag!)


Ich frage mich, wann Sie in diesem Bereich endlich etwas
tun. Es geht nicht darum – dieser Vorwurf wurde vorhin
an die Kollegin Eichhorn gerichtet –, das Internet zu ver-
bieten. Das Internet kann man genauso wenig verbieten
wie Regen. Das ist Unsinn. Es geht darum, vernünftige
Regelungen zu finden, um denjenigen das Handwerk zu
legen, die das Internet missbrauchen. Darauf warten wir.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kerstin Griese [SPD]: Das tun wir gerade! Aber dafür brauchen wir die Länder!)


Es finden sich noch viel tollere Dinge. So findet sich in
dem Entschließungsantrag von Rot-Grün die Forderung,
die Förderung nach dem Kinder- und Jugendplan
zukünftig daraufhin abzuklopfen, ob das Prinzip von
Gender Mainstreaming dort eingehalten wurde oder nicht.
Das erinnert mich an die ebenfalls von Rot-Grün erho-
bene Forderung, in die Verdingungsordnung für Bauleis-
tungen den Passus aufzunehmen, dass es darauf an-
komme, ob der Betrieb, an den zu vergeben sei, eine
Gleichstellungsbeauftragte beschäftige oder nicht.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Werden Sie mal nicht frauenfeindlich! – Iris Gleicke [SPD]: Das, was Sie hier abliefern, ist ja nun wirklich der letzte Husten!)


Wie soll denn in Deutschland noch etwas funktionieren,
wenn Sie alles mit Bürokratie überziehen? Das ist weder
denjenigen, denen es nutzen soll, noch der Politik förderlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Klären Sie das mal in Ihrer Partei!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Grietje Bettin

19320


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Bezeichnend ist – der Kollege Holetschek hat darauf
hingewiesen –, dass weder in dem – angeblichen – Pro-
gramm „Chancen im Wandel“ noch in dem Entschlie-
ßungsantrag von Rot-Grün das Wort „Verein“ vorkommt.
Man kann doch nicht ein Programm oder einen Ent-
schließungsantrag zur Jugendpolitik in Deutschland for-
mulieren und dabei das, was in Vereinen zwischen Flens-
burg und Garmisch in Deutschland geschieht, mit keinem
Wort erwähnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kerstin Griese [SPD]: Es heißt „Jugendverbände“!)


Das zeigt, dass Sie gegenüber der etablierten Jugend-
verbandsarbeit im Grunde genommen ein tiefes Miss-
trauen haben;


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch Unsinn!)


denn der Passus, Herr Schmidt, findet sich in Ihrem Ent-
schließungsantrag unter der Unterüberschrift „Neues En-
gagement fördern“. Da Sie neues Engagement fördern
wollen, sind Sie offensichtlich mit dem bisherigen nicht
zufrieden. Sonst bedürfte es dieser Überschrift nicht.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was verstehen Sie unter Verbänden? Verbände fördern wir! Auch das ist gesagt worden!)


Lassen Sie mich einige Worte zu dem Entschließungs-
antrag der FDP sagen. Es geht um den Wegfall der Ab-
zugsfähigkeit beispielsweise von Kosten für hauswirt-
schaftliche Beschäftigungsverhältnisse, die Senkung des
Ausbildungsfreibetrages, der Wegfall des Haushaltsfrei-
betrages für Alleinerziehende ab 2005. Herr Kollege
Haupt hat schon darauf hingewiesen.

Ich war gestern beim Parlamentarischen Abend der
Deutschen Landfrauen.


(Zuruf von der SPD: Oh!)


Die Beteiligung von Regierungsseite war erstaunlicher-
weise relativ dünn. Genau diese Punkte sind dort ange-
sprochen worden. Die Vereinbarkeit von Familie und
Beruf leidet unter ebendiesen Maßnahmen. Politik für
den ländlichen Raum ist das, was Sie hier tun, auch nicht
gerade. Deswegen sollten Sie wenigstens hin und wieder
die Gelegenheit nutzen, um mit den Verbänden ins Ge-
spräch zu kommen, und im Plenum des Deutschen Bun-
destages nicht nur sagen, dass Sie das getan hätten.


(Kerstin Griese [SPD]: Wir tun das regelmäßig! – Iris Gleicke [SPD]: Aber wir fragen Sie da nicht um Erlaubnis!)


Meine Damen und Herren, Politik muss Perspektiven
eröffnen. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie beispielsweise
eine Aussage zur Zukunft der Jugendhilfe treffen – dazu
findet sich in diesem Programm nichts – und dass sich
darin eine Aussage dazu findet, wie denn die Förderung
von Jugendprojekten zukünftig erfolgen soll, eher institu-
tionell, was die Verbandsarbeit angeht, oder projektbezo-
gen. Wie wollen Sie das in Zukunft händeln? Auch dazu
findet sich keine Aussage.

Verschiedentlich ist auf die Ausbildungsplatzsituation
in Deutschland abgehoben worden. Wollen Sie zukünftig
auch im Rahmen der Wirtschafts-, Sozial- und Steuerpo-
litik für diesen Bereich etwas tun oder verlassen Sie sich
auf das, was beim Programm JUMP – entweder mehr oder
weniger – herauskommt, sowie auf das, was das Bündnis
für Arbeit außer schönen Pressekonferenzen und Fern-
sehterminen noch so alles produziert, nämlich nichts? Das
führt uns im Grunde überhaupt nicht weiter.

Meine Damen und Herren, es ist selten, dass die Uni-
onsfraktion mit der PDS einig ist. Aber der Hinweis, dass
sich in dem Programm zur Drogenpolitik keine Aussage
befindet, stimmt.


(Kerstin Griese [SPD]: In der Antwort auf die Große Anfrage findet sich dazu etwas! Das müssen Sie nur lesen!)


– Das mag sein; das steht heute aber nicht zur Debatte.
Heute steht das Programm der Bundesregierung „Chan-
cen im Wandel“ zur Debatte und darin befindet sich keine
Aussage zur Drogenpolitik.

Es geht schlussendlich darum: Wenn Sie beispiels-
weise den interkulturellen Dialog fördern wollen, dann
sind wir sehr dafür. Aber zunächst einmal müssen Sie jun-
gen Menschen eine Orientierung vermitteln, eine Orien-
tierung auch über das Gemeinwesen der Bundesrepublik
Deutschland, damit man anschließend fähig ist, sich mit
anderen Kulturen und anderen Gesellschaften auseinan-
derzusetzen.

Es ist auch richtig, wie Isa Vermehren kürzlich bei
Biolek gesagt hat, dass man einem jungen Menschen
zunächst einmal beibringen muss, worüber er redet, bevor
man ihn zur Kritikfähigkeit erziehen kann. Das ist die
natürliche Abfolge der Dinge und genau die halten Sie
nicht ein.

Jugendpolitik in Deutschland braucht nicht Reglemen-
tierung, sondern Freiräume. Junge Menschen in Deutsch-
land wollen einfach etwas tun. Lassen Sie sie!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419805200
Das Wort hat der Par-
lamentarische Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen.

W
Wolf-Michael Catenhusen (SPD):
Rede ID: ID1419805300
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke,
die Debatte hat gezeigt, dass mit dem heute zur Diskus-
sion stehenden Programm der Bundesregierung „Chancen
im Wandel“ die Jugendpolitik ein ganzes Stück nach vorn
gebracht wird. Wir verdeutlichen mit dieser Debatte un-
sere politischen Prioritäten für die Jugend und für die Zu-
kunft unseres Landes. Dass Bildung dabei ein zentrales
Handlungsfeld für die Sicherung von Chancengleichheit
und -gerechtigkeit ist, ist selbstverständlich.

Herr Dörflinger, bei all den Themen, über die wir heute
diskutieren, wird natürlich zugleich auch deutlich, dass
die Situation, in der wir mit unserer Politik angefangen
haben, für die Jugendlichen in vielen Bereichen nicht

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Thomas Dörflinger

19321


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berauschend war. Machen Sie nicht den Fehler, mit dem
Finger auf Wunden zu zeigen, die aber durch Ihre Untätig-
keit entstanden sind und die wir gerade schließen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Angela Marquardt [PDS] – Zuruf von der SPD: Das ist leider wahr!)


War denn bei Ihrer früheren Arbeitgeberin Frau Nolte das
Thema „Zukunftschancen von Migrantenkindern in
Deutschland“ ein wirkliches Thema? Was haben Sie da
eigentlich getan? Wurde nicht in den 90er-Jahren die
Chance in dieser Gesellschaft vertan, die Konsequenzen
von De-facto-Einwanderung zur Kenntnis zu nehmen und
ein zukunftsorientiertes Konzept für junge Menschen zu
entwickeln, die aus anderen Ländern kommen und in
Deutschland aufwachsen?


(Beifall bei der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Jetzt bauen wir Ihre Versäumnisse ab.

Herr Dörflinger, ich fand, wie gesagt, interessant, dass
Sie in Ihrer Rede versucht haben, mit Ihren praktischen
Erfahrungen die Untätigkeit einer früheren Ministerin ein
bisschen zu kompensieren, von der heute keiner mehr re-
det, was auch Gründe hat.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sie reden doch von ihr!)


Bildung und Qualifizierung sind die wichtigsten Vo-
raussetzungen für die Verwirklichung von Lebenschan-
cen. Die Zukunft des Einzelnen sowie die gesellschaft-
liche und wirtschaftliche Entwicklung hängen natürlich
ganz entscheidend davon ab, ob es uns gelingt, heute so-
wohl das Wissen als auch die sozialen und kulturellen
Kompetenzen zu vermitteln, die gerade junge Menschen
brauchen.

Eine qualifizierte Ausbildung ist als Voraussetzung
für eine eigene Berufstätigkeit heute noch entscheidender,
noch wichtiger. Sie ist gerade für unsere jungen Menschen
die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit. Deshalb ist
die Investition in Bildung im besten Sinne Investition in
die Zukunft unserer jungen Menschen.

Meine Damen und Herren, die Leistungsfähigkeit un-
seres Bildungssystems entscheidet maßgeblich darüber,
ob der Generationenvertrag in unserer Gesellschaft auch
vonseiten der jungen Menschen als solidarischer Vertrag
verstanden wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb müssen die jungen Menschen von uns erwarten,
dass Bildung nach wie vor ein Bereich der öffentlichen
Verantwortung bleibt. Bildung ermöglicht Teilhabe am
politischen und gesellschaftlichen Leben, ist Navigati-
onshilfe in einer Welt, die ständig komplexer wird. Sie
fördert und fordert Persönlichkeiten.

Es ist schon deutlich gemacht worden, dass die 90er-
Jahre unter Ihrer Regierung Jahre des Rückgangs der Aus-

gaben für Bildung und Forschung waren. Das haben wir
kräftig korrigiert.


(Beifall bei der SPD)


Das Jahr 2002 wird das vierte Jahr, in dem die Bildungs-
ausgaben des Bundes trotz eines strengen Haushaltskon-
solidierungskurses steigen werden.

Wenn darüber gesprochen wird, dass dieses Programm
keine Zukunftsaussagen enthält, dann will ich Ihnen eines
kurz sagen: Heute Abend wird hier im Bundestag über die
Reform des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes
gesprochen. Es ist eine Reformruine, die Sie uns hinter-
lassen haben, die nicht funktioniert hat, und wir verspie-
len dort einen entscheidenden Baustein auch im Sinne ei-
ner zukunftsorientierten Mittelstandspolitik. Wir wollen
vielen jungen Menschen, auch und gerade aus dem Be-
reich des Handwerks, die interessiert und qualifiziert sind,
die Chance bieten, sich staatlich gefördert fortzubilden,
ihren Meister zu machen, Betriebe zu gründen und damit
zur Schaffung von Arbeitsplätzen und Ausbildungsplät-
zen beizutragen. Das ist unser praktischer Baustein, um
im Sinne einer wohlverstandenen Mittelstandspolitik die
Chancen junger Menschen zur Weiterqualifikation, zu
Unternehmensgründungen und zur Schaffung von Aus-
bildungs- und Arbeitsplätzen zu realisieren.

Ich will einen zweiten Punkt nennen. Natürlich ist die
Situation auf dem Ausbildungsmarkt nach wie vor ange-
spannt. Aber man muss doch darauf hinweisen, dass der
Ausbildungskonsens im Bündnis für Arbeit nun im drit-
ten Jahr zu einer schrittweisen Entspannung auf dem Aus-
bildungsmarkt beiträgt. Wir sind Gott sei Dank in diesem
Jahr erstmals wieder in der Situation – letztmalig war das
etwa 1993/94 der Fall –, dass die gegenwärtig verfügba-
ren Ausbildungsangebote, betrieblich wie öffentlich
geförderte, bundesweit gesehen ausreichen, um jedem un-
vermittelten Jugendlichen einen Ausbildungsplatz anbie-
ten zu können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich will das nicht schönreden. Natürlich ist die Situation
in Ostdeutschland und übrigens auch in einigen Regionen
Westdeutschlands nach wie vor besorgniserregend. Des-
halb hat das Bundesministerium für Bildung und For-
schung mit den Ländern vereinbart, dass auch weiter, bis
2004, außerbetriebliche Ausbildungsplätze die notwen-
dige Ergänzung zu den Ausbildungsanstrengungen der
Wirtschaft in Ostdeutschland darstellen sollen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Zum Thema „Was hat sich eigentlich getan?“ will ich
Sie noch zart darauf hinweisen, dass Sie im BAföG-Be-
reich allein in den letzten fünf Jahren Ihrer Regierungs-
zeit 700 Millionen DM eingespart haben. Während also
den jungen Menschen von Ihnen 700 Millionen DM ge-
nommen worden sind, schaffen wir es in einem Ruck,
1,1 Milliarden DM zusätzlich für das BAföG zu mobili-
sieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Parl. Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen

19322


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(B)


Somit können wir wieder davon reden, dass junge Men-
schen nicht aufgrund ihrer sozialen Herkunft in der Ent-
faltung ihrer Begabungsreserven gebremst werden, son-
dern unabhängig von ihrer sozialen Herkunft ihre
Bildungschancen auch im Hochschulbereich wahrneh-
men können. Wir hoffen, dass an Schulen und Hochschu-
len dadurch 80 000 junge Menschen zusätzlich Anspruch
auf eine Ausbildungsförderung erhalten, die diesen Na-
men auch verdient.

Ich will noch auf einen weiteren Punkt Bezug nehmen,
den Sie in der Debatte angesprochen haben. Wir haben im
Bündnis für Arbeit mit den Gewerkschaften und mit den
Arbeitgebern Maßnahmen zur Erhöhung der Bildungs-
und Berufsbeteiligung von jungen Migrantinnen und Mi-
granten beschlossen, die, so hoffen wir, in den nächsten
Jahren greifen werden. Denn über eines sollten wir uns
doch hier klar sein: Wir haben in den 90er-Jahren – das
war nicht nur ein Versagen der alten Bundesregierung –
die Probleme infolge fehlender Integration junger Men-
schen dramatisch unterschätzt und sind gut beraten, an
dieser Stelle keine Scheindiskussion zu führen. Das muss
unser gemeinsames Anliegen sein. Die Reform des Zu-
wanderungsgesetzes wird – denken Sie an die Frage der
Sprachausbildung – den nächsten Baustein unserer
Bemühungen bilden, dass junge Menschen aus Migran-
tenfamilien durch eine Förderung des Sprachunterrichts,
durch eine Förderung im Bildungssystem zum vollen Mit-
glied der Gesellschaft werden können. Gerade diese Men-
schen brauchen nämlich ihre zweite Chance in der Bil-
dung, wenn sie im ersten Schritt nicht den Weg in den
Arbeitsmarkt gefunden haben.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])


Lassen Sie mich mit zwei kurzen Bemerkungen zum
Thema Multimedia schließen. Beim Amtsantritt dieser
Regierung waren 15 Prozent der deutschen Schulen an
das Netz angeschlossen; vor wenigen Wochen ist nun-
mehr die letzte Schule an das Netz angeschlossen worden.
Wir sind, europäisch gesehen, nach einem hoffnungslosen
Rückstand in die Spitzengruppe vorgerückt,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


auch deshalb, weil wir das in Partnerschaft mit der Wirt-
schaft und zusammen mit den Bundesländern organisie-
ren konnten.

Ein zweiter Punkt. Wir wissen alle: Es ist gut, dass
diese Ausrüstung da ist. Aber Medienkompetenz in die-
sem Sinne funktioniert nur, wenn mit diesen neuen Me-
dien vernünftige Lerninhalte vermittelt werden. Dass das
Bundesministerium für Bildung und Forschung in vier
Jahren 650 Millionen DM dafür in die Hand nehmen wird,
um Bildungssoftware für die berufliche Aus- und Weiter-
bildung an Schulen und Hochschulen zur Verfügung zu
stellen, wird den nächsten Schritt sicherstellen: Die tech-
nischen Möglichkeiten werden zu einer neuen Qualität in-
teressanten Unterrichts führen. So wird im Multimedia-
zeitalter verhindert werden, dass diejenigen, die keine
Computer zu Hause haben, benachteiligt sind gegenüber
denjenigen, die in ihren Familien alles vorfinden. Das

können wir nur verhindern, wenn in den Bildungseinrich-
tungen attraktive, multimediagestützte Angebote zur Ver-
fügung stehen.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419805400
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Ursula Heinen für die Fraktion der
CDU/CSU.


Ursula Heinen (CDU):
Rede ID: ID1419805500
Frau Präsidentin! Sehr
geehrte Damen und Herren! Das Magazin „Der Spiegel“
hat in seiner Ausgabe vor 14 Tagen mit vier Berliner Jung-
wählern über ihre Wahlentscheidung vom 21. Oktober
2001 gesprochen. Julian, ein etwa 20 Jahre alter Fotogra-
fenauszubildender vom Prenzlauer Berg, hat zum Ab-
schluss des Interviews gesagt:

Die meisten in unserem Alter haben keinen Glauben
mehr daran, etwas verändern zu können ...

Weiter sagte er:

Die Politik kann in Wahrheit viel weniger schaffen,
als Politiker uns immer glauben machen wollen.

Dies, Frau Ministerin Bergmann, ist erschütternd.
Zeigt es uns doch die wachsende Distanz zwischen der
Politik und den jungen Menschen bei uns.

Dabei kennzeichnet die heutige junge Generation al-
les andere als Pessimismus und Null-Bock-Stimmung.
In der Shell-Studie wurde festgestellt – sie ist vom Kol-
legen Haupt schon angesprochen worden –, dass sich
Jugendliche im Alter von 15 bis 24 Jahre durch beson-
deren Optimismus und besondere Leistungsbereit-
schaft auszeichnen. Mehr als die Hälfte aller Jugendli-
chen antwortet auf die Frage, wie sie ihre persönliche
Zukunft einschätzen, „eher zuversichtlich“. Nur 9 Pro-
zent sehen sie „eher düster“. In Ihrer Antwort auf die
Große Anfrage zur Jugendpolitik sprechen Sie selbst von
der großen Bereitschaft junger Menschen zum Engage-
ment.

Das sind Fakten, die uns eigentlich sehr froh stimmen
müssten – wenn nicht das immer weiter nachlassende po-
litische Interesse erkennbar wäre. In der Shell-Studie
– um sie noch einmal zu zitieren – heißt es dazu:

Die Jugendlichen entfernen sich nicht etwa bewusst
vom politischen System, sie lassen es mehr und mehr
links liegen.

Wie begegnet die rot-grüne Bundesregierung dieser
Entwicklung? Drei Jahre nach der Ankündigung schlägt
die Jugendministerin ein Programm vor. „Chancen im
Wandel“ heißt es und soll – so das hehre Ziel – der jungen
Generation bessere und gerechtere Chancen auf Arbeit,
Bildung und Teilhabe ermöglichen und die Erziehung zu
Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit verstärken. Dies
sind Ziele, die wir alle hier im Deutschen Bundestag un-
terstützen können und wollen. Doch wenn Sie sich dieses
Programm einmal genauer anschauen, dann erkennen Sie

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Parl. Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen

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(C)



(D)



(A)



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leider: Es ist heiße Luft und ist mit heißer Nadel gestrickt
worden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Lassen Sie mich einige Beispiele nennen. Da heißt das
Kap. III: „Wandel gestalten – Generationengerechtigkeit
sichern“. Immerhin sind Sie zu der Einsicht gelangt, dass
dies ein wichtiges Thema ist. Wo aber bleibt die ernsthafte
und glaubwürdige Befassung mit dieser Aufgabe? Wenn
Ihnen die Generationengerechtigkeit so sehr am Herzen
liegt, warum haben Sie dann den Antrag meiner Fraktion
abgelehnt, in dem wir mehr Generationengerechtigkeit ge-
fordert haben und verlangt haben, dass sich die heutige Po-
litik an den Erfordernissen von Morgen messen lassen
muss? Wo bleibt eine Diskussion darüber, dass Gesetze,
die wir heute machen, auch daraufhin geprüft werden müs-
sen, wie sie auf künftige Generationen wirken?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wenn Ihnen Nachhaltigkeit und Generationenge-
rechtigkeit so sehr am Herzen liegen, warum ist dieses
Programm dann nur Lyrik? Warum stellen Sie in der Wirt-
schaftspolitik, in der Sozialpolitik und in der Finanzpoli-
tik nicht die Weichen so, dass künftige Generationen
Chancen für eine gute Zukunft haben?

Sie betrachten Ihr jugendpolitisches Programm als
Querschnittsaufgabe. Das ist absolut richtig. Dann erwar-
ten wir von Ihnen aber auch, dass Sie Ihren Ressortkolle-
gen Druck im Hinblick auf eine generationengerechte Po-
litik machen, und zwar in allen Politikfeldern, Frau
Bergmann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Lassen Sie mich noch ein anderes Beispiel nennen: In
Ihrem Programm treten Sie energisch für mehr Mitspra-
cherechte und Teilhabemöglichkeiten junger Menschen
ein. Sie sprechen in Ihrer Antwort auf die Große Anfrage
in diesem Zusammenhang sogar von „prioritär“. Auch das
unterstützen wir. Denn Jugendliche brauchen mehr Mit-
spracherechte in der Politik. Aber wie sieht die praktische
Umsetzung aus? Sie machen eine Kampagne – Sie selbst
sprachen von einer bundesweiten Beteiligungswoche –,
laden 50 junge Menschen ein und die Bundesjustizminis-
terin unterhält sich mit Berliner Schülern über Konflikt-
lotsen. War es das? Teilhabe an politischen Entscheidun-
gen heißt etwas ganz anderes. Teilhabe heißt, dass wir
junge Menschen und ihre Anliegen ernst nehmen, dass wir
Projekte entwickeln, die Jugendliche stärker in die Politik
einbinden, und keine Experimente durchführen, wie Sie
es vorhin genannt haben.

Ich nenne als Beispiel Baden-Württemberg, wo es in
vielen Kommunen Kinder- und Jugendparlamente gibt,
wo junge Menschen sehr früh lernen, ihre wichtigen In-
teressen zu formulieren und durchzusetzen. Selbst der
Deutsche Bundestag veranstaltet regelmäßig „Jugend und
Parlament“. Die CDU wird auf ihrem Parteitag im De-
zember einen Jugendparteitag durchführen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Manchmal habe ich das Gefühl, dass sich die Wert-
schätzung des Bundeskanzlers in der Bezeichnung, die er
für Ihr Ministerium gebraucht hat, zeigt, nämlich:
Ministerium für Familie und Gedöns. Frau Bergmann, ich
kann Ihnen dazu nur eines sagen: Das würde ich mir nicht
bieten lassen. Das dürfen Sie sich im Interesse der jungen
Menschen bei uns in Deutschland nicht bieten lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Hubertus Heil [SPD]: Das ist die Rede von 1998!)


Alle Jugendstudien zeigen, dass sich junge Menschen
immer dann engagieren, wenn sie das Gefühl haben, sie
können mitbestimmen und etwas erreichen. Deshalb: Ma-
chen Sie mit der Beteiligung Ernst. Machen Sie keine
Kampagnen und politische Inszenierungen, sondern Kon-
zepte. Unterstützen Sie wirkliche Beteiligungsformen.
Dann werden junge Menschen in Deutschland wieder
Freude haben, Politik zu machen. Dann wird auch Julian,
den ich eingangs erwähnt habe, vielleicht Sie und Ihre Po-
litik wieder ernst nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – HansPeter Repnik [CDU/CSU]: Ich würde sagen: Solange er uns wählt, sind wir zufrieden!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419805600
Der nächste Redner ist
der Kollege Rolf Stöckel für die SPD-Fraktion.


Rolf Stöckel (SPD):
Rede ID: ID1419805700
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Frau Eichhorn, Sie haben angemahnt, die
moralische Basis und die Werte zu nennen, die der Kin-
der- und Jugendpolitik der rot-grünen Bundesregierung
zugrunde liegen. Auch wir hätten damals, als Sie die geis-
tig-moralische Wende zu Beginn Ihrer Regierungszeit an-
gekündigt hatten, gerne erfahren, was denn der Inhalt die-
ser geistig-moralischen Wende sein sollte. Die FDP, Herr
Haupt, hat in 29 Jahren Regierungsbeteiligung auch in
sozialliberalen Koalitionen jugendpolitische Initiativen
blockiert.


(Klaus Haupt [FDP]: Nicht der Herr Haupt! – Christel Riemann-Hanewinckel [SPD]: Herr Haupt nicht! Das stimmt!)


Wenn ich diese alle aufzählen wollte, dann würden meine
fünf Minuten Redezeit mit Sicherheit nicht ausreichen.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters)


Ich will Ihnen sagen, welche Botschaft, die an die Kin-
der, Jugendlichen und Eltern gerichtet ist, sich durch das
Aktionsprogramm und die Antwort auf die Große Anfrage
durchzieht: Gleich welcher Herkunft und welchen Ge-
schlechts, in welcher Familienform auch immer lebend,
ob ehelich oder unehelich geboren, Kinder und Jugend-
liche sind die Zukunft des Landes und müssen beteiligt
werden.


(Beifall bei der SPD)


Ferner: Ihr habt gleiche Rechte und Chancen, aber auch
soziale Pflichten. Ihr seid unserem Staat gleich viel wert.
Er bietet euch Schutz. Ihr sollt ohne Gewalt und in einer

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Ursula Heinen

19324


(C)



(D)



(A)



(B)


möglichst gesunden Umwelt aufwachsen. Ihr sollt bei al-
len kulturell angeeigneten Unterschieden, weil ihr per-
sönlich einzigartig seid, friedlich zusammenleben, Viel-
falt, Demokratie und Pluralismus als Reichtum begreifen
und unvermeidbare Konflikte friedlich lösen lernen.


(Klaus Haupt [FDP]: Das ist liberal!)


Damit ihr die neuen Herausforderungen in einer sich im-
mer schneller wandelnden Welt bestehen könnt, tun wir
alles, um euch die bestmögliche Ausbildung zu ermög-
lichen. Allerdings gehören Risiken und Scheitern, Be-
hinderungen und Schwächen zum Leben. Aber diese Ge-
sellschaft lässt niemanden fallen. Sie lässt euch nicht am
Rande liegen.

Wir wissen partei- und fraktionsübergreifend, dass es
bei allen Bemühungen noch viel zu tun gibt, um diese
Botschaft für alle Kinder in diesem Land Wirklichkeit
werden zu lassen. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist
aber, dass Kinder- und Jugendpolitik gemäß dem Kin-
der- und Jugendhilfegesetz als wichtige Querschnittsauf-
gabe auf allen politischen Ebenen im Bund, den Ländern
und Kommunen anerkannt und umgesetzt wird. Deshalb
begrüßen wir ausdrücklich, dass die Bundesregierung
– die Ministerin hat dies in ihrer Erklärung untermauert –
deutliche Zeichen gesetzt hat und in ihren Anstrengungen
selbst bei angespannter Haushaltslage auch in Zukunft
nicht nachlassen wird.


(Beifall bei der SPD)


Dabei ist der Abbau der Staatsverschuldung und das, was
wir zukünftigen Generationen hinterlassen werden, nicht
minder wichtig. Wir sind überzeugt, dass Kinder Träger ei-
gener Rechte sind, orientiert an der UN-Kinder-
rechtekonvention, die die ganzheitliche Förderung, die Be-
teiligung der Kinder an Entscheidungen, die ihre Belange
betreffen, und den Schutz der Kinder als gleichrangige Ziele
einer umfassenden Kinder- und Jugendpolitik versteht.

Der mit der letzten Kindschaftsrechtsreform ein-
geschlagene Weg der Stärkung der Rechtsstellung des Kin-
des, des gemeinsamen Sorgerechts und der Berücksich-
tigung des Kindeswillens im Umgangsrecht wird
konsequent weitergegangen. Das Gesetz zur Ächtung der
Gewalt in der Erziehung und die Begleitkampagne „Mehr
Respekt vor Kindern“ haben deutlich gemacht, dass wir
ernsthaft ein Klima erzeugen wollen, in dem Kinderfreund-
lichkeit ein konstitutives Merkmal der Gesellschaft wird.


(Beifall bei der SPD)


Wir wollen die Eltern in ihrer Verantwortung und Er-
ziehung, die sie leisten, unterstützen und gemeinsam mit
Ländern, Kommunen, freien Trägern und Jugendverbän-
den Angebotsstrukturen schaffen, die den heutigen An-
forderungen an berufliche und familiäre Gleichstellung,
Mobilität, Flexiblität und Integration entsprechen. Erst
diese Regierung hat die Rahmenbedingungen mit dem
Teilzeitgesetz sowie mit den entsprechenden Verbesse-
rungen im Gesetz zum Erziehungsgeld und zur Elternzeit
geschaffen.


(Beifall der Abg. Iris Gleicke [SPD])

Es ist längst überfällig – Herr Haupt hat darauf hinge-

wiesen –, dass die Verbesserung der Angebote im Ele-

mentarbereich von null bis sechs Jahren sowie der
Horte, Kindergärten und bei der Ganztagsbetreuung
nicht nur im Sinne der Vereinbarkeit von Familie und Be-
ruf, sondern auch im Sinne der Erfüllung einer grundle-
genden Bildungsaufgabe der Gesellschaft verstanden
wird. In den ersten Lebensjahren werden die grundlegen-
den Rollen, Verhaltens- und Einstellungsmuster einge-
übt. Kompetenzen zur Lösung sozialer Konflikte werden
erlernt. Neugierde, Fantasie, Kreativität und Selbstbe-
wusstsein werden entwickelt oder auch nicht. Das, was in
dieser Phase versäumt wird, kann auch in Schulen, die
noch so viel Wissen einpauken, die wieder strenger und
ordentlicher werden sollen und die noch so viele Internet-
anschlüsse haben, kaum ausgebügelt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Klaus Haupt [FDP])


Nachdem der Rechtsanspruch auf einen Kindergarten-
platz ab 3 Jahren unter großen Anstrengungen der Länder
und Gemeinden sowie unter unserer Mitarbeit während
Ihrer Regierungszeit verwirklicht wurde, gilt es jetzt
– hier ist auch der Bund in der Pflicht –, die nächste Qua-
litätsstufe zu erreichen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Opposition macht es sich nach Jahren eigener Ver-
säumnisse zu leicht, wenn sie jetzt – das ist populistisch
und völlig unrealistisch – die Einführung eines Familien-
geldes von 1 200 DM pro Monat vorschlägt. Das war der
Vorschlag von Herrn Stoiber.


(Zuruf von der CDU/CSU: Finanzierbar! – Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Guter Vorschlag!)


Im FDP-Antrag wird erst gar keine Zahl genannt. Ich
halte das schlicht für unseriös.

Die rot-grüne Regierungsmehrheit wird keine Ver-
sprechungen machen, die nicht einzuhalten sind.


(Lachen bei der CDU/CSU)


Die Förderung der Familien und der Kinder steht weiter-
hin im Mittelpunkt unserer Regierungspolitik. Deshalb
bitte ich um Unterstützung für unseren Entschlie-
ßungsantrag. Wir werden uns von unserer Linie nicht ab-
bringen lassen. Darauf können sich die Familien und
Kinder verlassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419805800
Das Wort
hat nun die Kollegin Marlene Rupprecht für die SPD-
Fraktion.


Marlene Rupprecht (SPD):
Rede ID: ID1419805900
Herr Präsident! Kolle-
ginnen und Kollegen! Es wurde sehr viel Blumiges und
Wolkenreiches gesagt.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Von der Frau Ministerin! – Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Da brauchen Sie sich nur Ihr Programm anzusehen!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Rolf Stöckel

19325


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich bin wie meine Ministerin der Ansicht, dass man kon-
krete Dinge vortragen muss. Das hat sie – ebenso wie
meine Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und der
SPD – getan. Ich werde Ihnen zum Schluss meiner Rede
ein konkretes Projekt vorstellen.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Zur Sache!)


Vorweg möchte ich Ihnen, Herr Dörflinger, sagen: In
der Tagesordnung wird auf unsere Große Anfrage, Druck-
sache 14/5284, und auf die Antwort der Bundesregierung,
Drucksache 14/6415, hingewiesen. Diese hätten Sie sich
anschauen müssen. Es wird auch auf das Jugendpro-
gramm verwiesen. Sie sollten sich die Tagesordnung beim
nächsten Mal genauer anschauen.

Ich möchte meinen Kollegen aus Bayern, die sich zum
Ehrenamt geäußert haben, sagen: Wir haben als Erstes die
Übungsleiterpauschale um 50 Prozent angehoben und den
Kreis der Berechtigten erweitert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Walter Hirche [FDP]: Doch nur, weil Sie den Unsinn mit den 630-MarkVerträgen gemacht haben!)


Wenn Sie über Bayern reden, dann muss ich Ihnen
sagen – ich wohne seit 30 Jahren gern in Bayern –: Sie
sollten einmal dafür sorgen, dass das Kinder- und Jugend-
hilfegesetz – eines der guten Gesetze aus Ihrer Re-
gierungszeit – tatsächlich umgesetzt wird und nicht in ir-
gendeiner Schublade bleibt. Die Umsetzung dieses
Gesetzes wäre dringend notwendig. Die Menschen rufen
danach.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Sie lenken vom Thema ab! Bayern ist Vorbild in der Jugendarbeit!)


Trotzdem ist sie bisher immer wieder gescheitert. Daran
sollten Sie arbeiten, anstatt hier überflüssige Reden zu
halten.


(Beifall bei der SPD)


Im Jahr des Ehrenamtes ist es neben all dem, was schon
erwähnt worden ist, ganz selbstverständlich und nahe lie-
gend, dass wir die Freiwilligendienste an die modernen
Anforderungen anpassen.

Sie wissen: Seit vielen Jahren besteht für junge Men-
schen, die sich ganz bewußt für andere Menschen oder die
Umwelt einsetzen wollen, die Möglichkeit, ein so ge-
nanntes freiwilliges soziales Jahr, ein freiwilliges ökolo-
gisches Jahr oder einen Freiwilligendienst im europä-
ischen Ausland abzuleisten.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Aber zu ganz miesen Bedingungen!)


Junge Menschen können bisher zwischen dem 17. bzw.
dem 16. und dem 27. Lebensjahr einen freiwilligen Dienst
für zwölf Monate absolvieren. Sie erhalten dafür von den
Trägern ein Taschengeld, Unterkunft und Verpflegung;
also keine Entlohnung im eigentlichen Sinn.

Die eben von mir angesprochene Altersregelung in Be-
zug auf das 17. bzw. 16. Lebensjahr führte bisher dazu,
dass der Großteil der an den Programmen beteiligten Ju-

gendlichen fast ausschließlich Abiturientinnen und Abitu-
rienten sind. Junge Menschen mit Hauptschulabschluss
gibt es in den Freiwilligendiensten faktisch nicht. Ursache
dafür ist aber nicht ein Desinteresse an diesen Program-
men, sondern die bisher gesetzlich vorgeschriebene Min-
destaltersgrenze. Hauptschülerinnen und Hauptschüler
müssen eine zeitliche Lücke zwischen Schulpflicht und
Beginn des Freiwilligendienstes überbrücken. Deshalb
haben sie häufig solche Dienste nicht geleistet.

Unsere Reform erfüllt die Forderung, endlich auch et-
was für Hauptschülerinnen und Hauptschüler zu tun. Wir
eröffnen den Zugang zu den Freiwilligendiensten, in-
dem wir ihn nicht mehr an eine Altersgrenze binden, son-
dern im Gesetz die Regelung über die Altersgrenze durch
die Formulierung „nach Erfüllung der Vollzeitschul-
pflicht“ ersetzen. Damit eröffnen wir Chancengleichheit
für alle Jugendlichen,


(Beifall bei der SPD)

vor allem für diejenigen, die bisher kaum die Chance hat-
ten, solche Dienste leisten zu können. Das betrifft bei-
spielsweise benachteiligte Jugendliche oder Jugendliche
im Osten, die bisher selten ein solches Angebot wahrneh-
men konnten.

In all den Jahren wurden die Freiwilligendienste – ent-
gegen der landläufigen Meinung, die Jugend wolle sich
gesellschaftlich nicht mehr engagieren – stark nachge-
fragt. Seit 1993 hat sich die Zahl der Teilnehmerinnen und
Teilnehmer um 70 Prozent erhöht. Nach wie vor fragen
mehr junge Menschen Plätze nach als angeboten werden.
Das heißt: Wir können bisher nicht so viele Plätze anbie-
ten, wie benötigt werden.

Damit eine Erweiterung der Einsatzfelder und damit
eine Ausweitung des Platzangebotes erreicht werden
kann, können nun auch in Einrichtungen für außerschu-
lische Jugendbildung und Jugendarbeit Freiwilligen-
dienste abgeleistet werden. Darunter fallen zum Beispiel
Sport und Kultur. Ich habe heute Morgen festgestellt, dass
der Berliner Rundfunk aktueller ist als Sie. Er hat nämlich
bereits mitbekommen, was wir vorhaben. Er hat darüber
berichtet, dass die Berliner Theater für diesen Bereich der
Freiwilligendienste Plätze bereithalten. Ich finde das ganz
hervorragend.


(Beifall bei der SPD und der PDS)

Die bisherigen gesetzlichen Rahmenbedingungen se-

hen einen Einsatz im Inland und EU-Ausland vor. Wir se-
hen das als eine Einengung und haben deshalb die Frei-
willigendienste auf das Nicht-EU-Ausland ausgeweitet.
Das betrifft zum Beispiel Israel oder auch Australien. Bei
einem Besuch dort konnte ich feststellen, dass Freiwilli-
gendienste angeboten werden, die aber bisher nicht ange-
nommen werden konnten, weil es die rechtliche Lage
nicht zuließ. In Altersheimen, in denen Auswanderer un-
tergebracht sind, deren Muttersprache Deutsch ist und die
im Alter wieder auf ihre Muttersprache zurückgreifen,
wären junge deutsche Freiwillige ganz herzlich willkom-
men. Das war bisher nicht machbar, wird aber nach der
Gesetzesänderung machbar sein. Wir werden allerdings
einen obligatorischen Vorbereitungsdienst und eventuell
einen Sprachkurs einführen, da die Jugendlichen einen
Schutz brauchen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Marlene Rupprecht

19326


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(B)


Im Inland wollen wir die Freiwilligendienste flexibili-
sieren, das heißt, der Dienst kann bis zu 18 Monaten aus-
gedehnt und in zeitlichen Abschnitten innerhalb eines
Zeitraums von 24 Monaten abgeleistet werden. Das ist das
Neue. Wir haben ebenfalls – das ist eine Erweiterung – für
das freiwillige soziale und für das freiwillige ökologische
Jahr ein Angebot für Zivildienstleistende geschaffen. Sie
können statt Zivildienst diesen Dienst leisten; das wird
angerechnet. Der Einsatz von Jugendlichen, die einen
Freiwilligendienst machen, im Zivildienst soll allerdings
nicht auf Kosten der bisherigen Plätze gehen, sondern es
sollen zusätzliche Plätze zur Verfügung gestellt werden.

Wir wissen: Rund 13 000 junge Menschen leisten jähr-
lich einen Freiwilligendienst. Dieser Freiwilligendienst
darf aber nicht zum Nachteil und zum Risiko der Jugend-
lichen und ihrer Eltern werden. Deshalb sind die Jugend-
lichen sozialversicherungsrechtlich abgesichert. Die
Eltern erhalten für die Kinder im In- und Ausland Kin-
dergeld. Mit ihrem Träger haben sie eine Vereinbarung zu
treffen, damit sie dann auch etwas vorweisen können. Es
muss schriftlich vereinbart werden, wie der Dienst ausge-
staltet ist. Am Ende des Dienstes werden sie – das ist ganz
neu – auf Verlangen ein Zeugnis bekommen, das ihre
berufliche Qualifikation bescheinigt.

Es ist unbestritten, dass freiwilliges soziales und öko-
logisches Engagement die persönliche Entwicklung der
teilnehmenden Jugendlichen fördert. Es kann ebenfalls
zur Berufsfindung und -orientierung beitragen. In einer
Welt, in der Verantwortungsbewusstsein, Offenheit und
Flexibilität zur Lebensbewältigung und auch zur Lebens-
qualität beitragen, kann ein freiwilliger Dienst, auch im
Ausland, die beste Schule fürs Leben sein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Durch eine massive Ausweitung der Mittel realisieren
wir so einen wichtigen Baustein im jugendpolitischen
Programm. Wir hoffen, dass die Bundesländer ihren An-
teil an dieser Reform entsprechend umsetzen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Damit, denke ich, haben wir einen wichtigen Teil erfüllt.
Wir haben nicht Luftblasen produziert, sondern konkrete
Schritte unternommen. Ich hätte mir gewünscht, auch Sie
hätten das getan. Wir haben ein Programm von 38 Seiten.
Das Programm Ihrer 16 Jahre hätte auf eine Seite gepasst.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419806000
Ich schließe
die Aussprache.

Wir kommen zu den Abstimmungen. Wer stimmt für
den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/7330
zu der Großen Anfrage? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen
von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der PDS ange-
nommen.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 14/7299 zu der Großen Anfrage? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ent-
schließungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen
die Stimmen der FDP abgelehnt.

Zusatzpunkt 3. Interfraktionell wird Überweisung der
Vorlage auf Drucksache 14/7275 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Das
Haus ist damit einverstanden. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 e auf:

a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Gerda
Hasselfeldt, Bartholomäus Kalb, Heinz Seiffert,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion der
CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zum Bürokratieabbau für kleine und mit-
telständische Betriebe
– Drucksache 14/6633 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft
Ausschuss für Tourismus

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Hansjürgen Doss, Peter Rauen, Ernst
Hinsken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Chancen des Mittelstandes in der globalisierten
Wirtschaft stärken
– Drucksachen 14/5545, 14/6094 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Ditmar Staffelt

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Gerda

Hasselfeldt, Heinz Seiffert, Norbert Barthle,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Steuerliche Gleichstellung des Mittelstands

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hermann
Otto Solms, Hildebrecht Braun (Augsburg),
Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Steuerliche Benachteiligung des Mittelstands
beseitigen
– Drucksachen 14/5551, 14/5962, 14/6687 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Jörg-Otto Spiller
Gerda Hasselfeldt

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Marlene Rupprecht

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dem Antrag der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt,
Heinz Seiffert, Norbert Barthle, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der CDU/CSU
Wiederherstellung des umfassenden Rechts auf
Vorsteuerabzug
– Drucksachen 14/5223, 14/6448 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Heidemarie Ehlert

e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Dr. Ditmar Staffelt, Jelena Hoffmann

(Chemnitz), Dr. Axel Berg, weiterer Abgeordneter

und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Werner Schulz (Leipzig), Michaele Hustedt,
Andrea Fischer (Berlin), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Neue Mittelstandspolitik – Motor für Beschäf-
tigung und Innovation
– Drucksachen 14/5485, 14/5973 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Hansjürgen Doss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Auch zu
diesem Vorschlag gibt es keinen Widerspruch. Dann ist so
beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe als erstem Redner
dem Kollegen Dr. Hansjürgen Doss das Wort. Er spricht
für die Fraktion der CDU/CSU.


Dr. Hansjürgen Doss (CDU):
Rede ID: ID1419806100
Herr Präsident!
Meine lieben Kollegen! Diese Debatte steht im Schatten
der gravierenden Entscheidungen zur Weltpolitik, zur
Terrorismusbekämpfung und zum Militäreinsatz, die im
Hohen Hause zu treffen sind. Dabei ist die Lage unserer
Wirtschaft so ernst, dass sie meines Erachtens unsere un-
geteilte Aufmerksamkeit haben müsste. Wenn ich die Auf-
merksamkeit, die ich hier feststellen kann, zu bewerten
hätte, würde ich sagen: Daran können wir noch arbeiten,
nicht nur bei uns Abgeordneten – so sage ich einmal
selbstkritisch –,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Klasse statt Masse!)


sondern auch auf der Regierungsbank, auf der nur die
Staatssekretärin Wolf sitzt.


(Hubertus Heil [SPD]: Was heißt denn „nur“?)


– Gut, weiter hinten sitzen noch mehr.


(Hubertus Heil [SPD]: Für die CDU reden ja auch nur Sie! – Heiterkeit)


Die Wirtschaftsinstitute sagen uns, dass Deutschland
am Rande einer Rezession steht. Doch das ist noch nicht
genug: Die Regierungskoalition tut alles dafür, dass es
noch schlimmer kommt. Während in dieser schwierigen

weltwirtschaftlichen Lage überall die Steuern gesenkt
werden, werden bei uns ab dem 1. Januar 2002 Versiche-
rungsteuer, Tabaksteuer und Ökosteuer erhöht. Des Wei-
teren wird darüber spekuliert, die Vermögensteuer wieder
einzuführen. So wird man in Deutschland kein Wachstum
erreichen, sondern Attentismus herbeireden. Wirtschafts-
politik hat bekannterweise sehr viel mit Psychologie zu
tun.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Nachdem wir uns im Wirtschaftsausschuss gestern da-
rüber unterhalten hatten, dass wir auch in der Wirt-
schaftspolitik ein Stück zusammenrücken müssen, war
die darauf folgende Diskussion über Maßnahmen, Entlas-
tungen für den Mittelstand zu erreichen, ausgesprochen
ernüchternd. Unser diesbezüglicher Versuch ist an der
rot-grünen Mehrheit gescheitert. Statt für mehr Entlas-
tung zu sorgen, wurde für mehr Belastung gesorgt, und
das in einer für mich unerträglichen Form.


(Beifall bei der CDU/CSU – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch gar nicht wahr!)


– Frau Scheel, vielen Dank für Ihren Zwischenruf.

Finanzbeamte sollen in Zukunft ohne vorhergehende
Ankündigung und ohne Tatverdacht Unterlagen in Unter-
nehmen prüfen können.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Aktiv für den Mittelstand haben Sie sich nicht eingesetzt!)


Ich halte das für unerträglich.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das erinnert mich an Stasi-Methoden und ist eines
Rechtsstaats nicht würdig. Das muss ich hier mit aller
Nachdrücklichkeit sagen.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um die Umsatzsteuer!)


Ein weiteres Beispiel: Unternehmen sollen für die
nicht abgeführte Umsatzsteuer ihrer Zulieferer in Haftung
genommen werden. Unglaublich! Das kann kein Mensch
überblicken, verantworten oder kontrollieren. Ehrliche
Unternehmer haften für die schwarzen Schafe, die es
selbstverständlich auch gibt.

Die Auszahlung der Vorsteuererstattung wird künftig
von Sicherheitsleistungen abhängig gemacht. Sie wissen
um die Eigenkapitalquote der mittelständischen Betriebe.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Offensichtlich nicht!)


Zusätzliche Sicherheitsleistungen schränken die Liqui-
dität weiter ein. Das ist doch absurd. Ich weiß nicht, wie
man sich so etwas einfallen lassen kann.


(Klaus Haupt [FDP]: Der wird jedenfalls nicht viel Ahnung haben! – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Konkursverwalter!)


Die Bundesregierung sieht im Unternehmertum in
Deutschland nach wie vor eine Art Selbstbedienungsla-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

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(B)


den, in dem man je nach Bedarf zugreift und den man un-
gestraft abzockt. Das ist unerträglich!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU )


Die Ergebnisse, die sich in der Zwischenzeit eingestellt
haben, sind eindeutig.

Das rot-grüne Netzwerk der Regulierungen liegt wie
Mehltau auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt.


(Rainer Brüderle [FDP]: Guter Satz!)


Ich erinnere noch einmal daran – penetrant sein ist ganz
wichtig und gehört zum politischen Handwerkszeug –,
dass die Neuregelung der 630-Mark-Jobs einen flexiblen
Personaleinsatz nahezu unmöglich macht. Es handelt sich
um ein Schwarzarbeiterförderungsgesetz. Wie Sie alle
wissen, ist die Schwarzarbeit das Einzige, was in
Deutschland wächst. Mittlerweile werden 16 Prozent des
Bruttosozialprodukts durch Schwarzarbeit erwirtschaftet.
Unerträglich!

Das Gesetz gegen die so genannte Scheinselbststän-
digkeit ist ein Selbstständigkeitsverhinderungsgesetz.
Die Ökosteuer ist eine Mittelstandssondersteuer. Der
Rechtsanspruch auf Teilzeit macht die Personalplanung in
mittelständischen Unternehmen nahezu unmöglich. Der
Attentismus, den das neue Betriebsverfassungsgesetz er-
zeugt hat, ist für den Mittelstand katastrophal. Es schafft
Kosten, Bürokratie sowie Fremdbestimmung und es de-
motiviert die Unternehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Mit der Steuerreform wurden die großen Kapitalge-
sellschaften einseitig entlastet, während der Mittelstand
auf 2005 vertröstet wurde. Das Versprechen, die Lohnzu-
satzkosten zu senken, wurde bekanntermaßen nicht ein-
gehalten.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Es gilt das gebrochene Wort!)


Die verheerende Folge rot-grüner Politik für den Mittel-
stand ist, dass die Kosten der Betriebe gestiegen sind und
weiter steigen. Der Umfang der Bürokratie eskaliert und
die Handlungsspielräume der Mittelständler werden im-
mer enger. Die Kapitalbeschaffung wird gleichzeitig im-
mer schwieriger. Zudem steht Basel II als weiteres Unge-
mach am Firmament.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben wir doch gemeinsame Interessen zu Basel II, oder?!)


– Wir wollen Sie nur ermutigen. Folgen Sie unseren Vor-
schlägen und schon geht es in Deutschland aufwärts.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vielen Dank für Ihren Hinweis!

Die Konkurrenz durch Staatsbetriebe, ABM und
Schwarzarbeit ist unerträglich.

Im Übrigen haben Sie Recht, wenn Sie darauf hinwei-
sen, dass sich der Bundeskanzler in dieser Form eingelas-

sen hat. Auch ich finde das gut. Das ist einer der wenigen
Punkte, die wir positiv zur Kenntnis nehmen können.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Das kostet auch nichts!)


Wir stellen fest, dass sich die Konjunktur im Sturzflug
befindet. Meines Erachtens müsste deswegen das Plenum
voll und die Regierungsbank besetzt sein; schließlich geht
es hier um die nationale Wirtschaft. Bekanntermaßen ist
ohne eine funktionierende Wirtschaft alles nichts. Ich
halte auch die Aufmerksamkeit – ich habe das schon ein-
mal erwähnt – vonseiten der Bundesregierung hier für
nicht überwältigend.

Die Konkursraten nehmen drastisch zu. Hartmut
Schauerte wird darauf noch eingehen. Im ersten Halbjahr
wurde ein Plus von 18 Prozent verzeichnet. Banken und
Großindustrie überbieten sich bei Entlassungen von Mit-
arbeitern. Im Mittelstand herrschen praktisch Einstel-
lungsstopp und Existenzangst. Deutschland ist das
Wachstumsschlusslicht in Europa. Die Arbeitslosenzahl
steigt und erreicht bald die 4-Millionen-Grenze. Das darf
nicht unter den Teppich der augenblicklichen Situation
gekehrt werden, das muss uns elektrisieren. Die Steuer-
einnahmen gehen dramatisch zurück, den Sozialversiche-
rungen fehlen Milliardenbeträge und die Gewerkschaften
haben bereits hohe Lohnforderungen angedroht. Wenn
diese höheren Löhne noch dazukommen, dann gnade uns
Gott.

Diese wirtschaftliche Misere lässt sich auf den Punkt
bringen: Die Arbeitnehmer verdienen netto zu wenig und
kosten brutto zu viel. Unsere Betriebe ächzen unter der
hohen Steuer- und Abgabenlast. Deswegen fordern wir:
Runter mit dem Einkommensteuerspitzensatz auf weniger
als 40 Prozent! Weg mit der Ökosteuer! Sie wirkt sich ver-
heerend aus, ist schlecht und bekanntermaßen eine Ar-
beitsplatzvernichtungsteuer.


(Rainer Brüderle [FDP]: Sehr gut! – Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir schon einmal gehört! Das ist nichts Neues!)


Stattdessen sollten nachhaltige Reformen unserer sozia-
len Sicherungssysteme durchgeführt werden, damit die
Sozialversicherungsbeiträge endlich unter 40 Prozent sin-
ken.

Meine Damen, meine Herren, die Investitionen im
Bundeshaushalt – Sie wissen das – bewegen sich auf ein
Nachkriegsrekordtief zu. Die deutsche Bauwirtschaft
muss diese Politik mit einem schmerzhaften Schrump-
fungsprozess und einem massiven Beschäftigungsabbau
bezahlen. Sie wissen alle: In den letzten fünf Jahren ging
die Zahl der dort Beschäftigten von 1,4 Millionen auf
940 000 zurück. Der Abwärtstrend ist ungebrochen. Wir
fordern deshalb mehr Finanzmittel für den beschleunigten
Ausbau von Straßen, Schienenwegen und kommunaler
Infrastruktur.


(Hubertus Heil [SPD]: Das ist ja witzig!)


– Es gibt ein paar Ankündigungen, das finde ich auch gut.
Ich hoffe nur, dass sie am Ende dann auch eingehalten
werden.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Dr. Hansjürgen Doss

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(D)



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Die Arbeitsmarktpolitik dieser Bundesregierung
dient einzig und allein der Verschleierung der Arbeitslo-
sigkeit. Sie ist mit erheblichen Wettbewerbsverzerrungen
zulasten mittelständischer Betriebe verbunden. Wir
fordern deshalb: Der Wildwuchs bei den Arbeitsbe-
schaffungsmaßnahmen muss endlich beseitigt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Brüderle [FDP])


Sonst kann mittelständisches Gewerbe keine Steuerkraft
entwickeln und nicht erfolgreich wirtschaften. Wir for-
dern ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren und die
Reduzierung von bürokratischen Auflagen.

Ich will ein paar Beispiele nennen: Zur Neuregelung
der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse hat das
Arbeitsministerium einen Leitfaden herausgegeben, der
50 Seiten umfasst und 19 verschiedene Fallgestaltungen
aufführt.


(Rainer Brüderle [FDP]: Und drei Bilder vom Minister! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Da hat es sich ja kurz gefasst!)


Statistisch gesehen muss jeder Handwerksbetrieb im
Jahr durchschnittlich 324 Stunden für Hand- und Spann-
dienste aufwenden, das sind 40,5 Arbeitstage je Be-
schäftigten. Jeder Handwerksbetrieb wird durch solche
administrative Leistungen pro Jahr mit über 31 000 DM
belastet. Anders als die Großkonzerne verfügen mittel-
ständische Betriebe über keine Stabsabteilungen, die
sich durch diesen Wust an bürokratischen Vorschriften
wühlen können.

In dieser Lage ist die Metapher des Bundeskanzlers
von der ruhigen Hand verfehlt. Investoren und Verbrau-
cher brauchen Signale, die den Weg nach vorne weisen.
Jedes weitere Zögern würde der Wirtschaft und dem Mit-
telstand teuer zu stehen kommen. Wir brauchen eine kon-
zertierte Offensive für den Mittelstand. Rot-grüne Brems-
klötze müssen aus dem Weg geräumt werden. Nicht die
ruhige Hand von Herrn Schröder, sondern energisches
Zupacken ist gefragt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Machen Sie
es so, wie wir vorschlagen, und es geht mit uns aufwärts.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hubertus Heil [SPD]: Eine brilliante Rede!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419806200
Für die
SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Jelena Hoffmann.


Jelena Hoffmann (SPD):
Rede ID: ID1419806300
Sehr geehrter
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
muss gestehen, dass es mir schwer fällt, nach der Diskus-
sion von heute früh zur Tagesordnung überzugehen. Wir
müssen heute trotzdem den wichtigen Themenbereich
Mittelstand beraten.

Die rund 3,3 Millionen mittelständischen Unterneh-
men und Selbstständigen bilden das Herzstück der deut-

schen Wirtschaft. Wenn man über Wirtschaft in Deutsch-
land spricht, wird man immer über den Mittelstand spre-
chen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Man soll aber nicht nur darüber sprechen, sondern hierfür auch etwas tun, Frau Kollegin!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
wenn Sie unsere Mittelstandspolitik, Herr Hinsken, ohne
parteipolitische Vorurteile betrachten, werden Sie zuge-
ben müssen, dass die Bundesregierung eine breite
Unterstützung für kleine und mittlere Unternehmen an-
bietet


(Zuruf von der CDU/CSU: Das merkt man bei den Abschreibungen!)


und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mittel-
standsfreundlich gestaltet.


(Beifall bei der SPD)


Nehmen Sie das Aktionsprogramm Mittelstand der
Bundesregierung. Darin werden zentrale Themen eines
konkurrenzfähigen Mittelstandes aufgegriffen: Innovati-
onsfähigkeit, die Aus- und Weiterbildung, das Gründer-
klima sowie die Exportfähigkeit der Unternehmen.

Die Innovationsfähigkeit unseres Mittelstandes
braucht Forschung und Entwicklung auf höchstem Ni-
veau. Viele kleine und mittlere Unternehmen können aber
selber nicht immer entsprechende Entwicklungskapazitä-
ten aufbringen. Deshalb unterstützen wir die Kooperation
und Vernetzung zwischen Unternehmen und Forschungs-
einrichtungen. Im vorigen Jahr haben rund 1 650 KMUs
davon profitiert. Die Modernisierung der Bereiche Aus-
und Weiterbildung ist durch die Reform von 54 Ausbil-
dungsverordnungen sowie der Meisterprüfung in Gang
gesetzt worden. Zusätzlich wurden 18 neue Ausbildungs-
berufe geschaffen, die die Wirtschaft dringend braucht.

Eine absolute Notwendigkeit in Deutschland ist es, ein
gutes Geschäftsklima und Gründungsklima zu stärken.
Impulse dafür erwarten wir von der Errichtung von Exis-
tenzgründerlehrstühlen und der Förderung von Existenz-
gründungen. Auslandsmesseförderung und Hermesbürg-
schaften, die vernünftige Kreditfinanzierung auch im
Rahmen der Basel-II-Entscheidungen und die Verringe-
rung der Steuern- und Abgabenlast sind wichtige Maß-
nahmen zur Stärkung unseres Mittelstandes.


(Rainer Brüderle [FDP]: Basel II muss weg!)


Oder zum Beispiel die Steuerreform und die Unter-
nehmensteuerreform: Wir entlasten den Mittelstand bis
zum Jahr 2005 um netto 30 Milliarden DM.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Das glaubt ihr ja selber nicht!)


– Das brauchen Sie nicht zu glauben, Frau Kollegin, das
sind Tatsachen.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Warum bessert ihr dann ständig nach? Weil ihr wisst, dass das nicht stimmt!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Dr. Hansjürgen Doss

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(D)



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Die Gesamtheit der Steuerzahler behält circa 96 Milliar-
den DM in der Tasche. Hinzu kommen Erleichterungen
durch die zweite Stufe des Familienleistungsausgleichs.
Ich weiß, dass ein Teil dieser Entlastungen durch die hohe
Inflationsrate von Anfang bis Mitte dieses Jahres aufge-
braucht wurde und dass die Sparquote in Deutschland
wächst. Und doch kann man die Augen nicht vor der Tat-
sache verschließen, dass die Steuerentlastungsmaßnah-
men die Kaufkraft der Bevölkerung stärken. Dies wie-
derum dient dem Mittelstand und kräftigt die
Binnenkonjunktur, die in den letzten Jahrzehnten ver-
nachlässigt wurde.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Die geht doch immer weiter zurück!)


Das ist vor allem in Ostdeutschland nicht zu unterschät-
zen, da die Exportaktivität nicht immer zu den Stärken der
ostdeutschen Unternehmen gehört. Kleine Unternehmen
und Handwerker agieren meist regional und sind in einer
besonderen Weise auf die einheimische Kaufkraft ange-
wiesen.

Wir haben auch den schwierigen, aber bitter notwendi-
gen Prozess der Haushaltskonsolidierung konsequent
eingeleitet. Ohne die Sanierung des Staatshaushaltes
würde uns in der Zukunft das Geld für mehr Existenz-
gründungen, für Forschung und Entwicklung, für Bildung
und für andere notwendige Maßnahmen gerade für kleine
und mittlere Unternehmen fehlen.

Es ist zwar Ihr gutes Recht, sehr geehrte Kolleginnen
und Kollegen von der Opposition, noch mehr Entlastun-
gen für die Wirtschaft von uns zu fordern, etwa das Vor-
ziehen der Steuerreform. Ich bitte Sie aber: Fassen Sie
sich erst einmal an die eigene Nase und fragen Sie sich
selbst, um wie viele Milliarden Sie den Mittelstand ent-
lastet haben, als Sie an der Regierung waren.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Unzählbar viele!)


Weiterhin möchte ich, dass Sie sich fragen, womit
mehr positive Impulse für die Wirtschaft zu erreichen
sind: mit einer schnelleren steuerlichen Entlastung um
weitere knapp 13 Milliarden DM oder mit gezielten, lang-
fristig wirkenden Investitionen in die Zukunft des Mittel-
standes?


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Es investiert doch keiner mehr! Insolvenz!)


Für beides reicht leider das Geld nicht aus, da Sie uns ei-
nen riesigen Schuldenberg hinterlassen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/ CSU)


Meine verehrten Damen und Herren der CDU/CSU-
Fraktion, in Ihrem Antrag über die Chancen des Mittel-
standes in einer globalisierten Welt fordern Sie die Bun-
desregierung auf, einige Maßnahmen zur Entbüro-
kratisierung zu überprüfen. Zu diesem Thema ist der
Antrag der Opposition – das muss ich deutlich sagen –
sehr dünn geraten. Denn das, was Sie fordern, ist ja schon
längst im Prozess der Umsetzung.

Im März dieses Jahres hat die Bundesregierung den
Bericht über den Stand der Initiative „Abbau bürokrati-
scher Hemmnisse“ vorgestellt. Über 80 Maßnahmen – das
können Sie in dem Bericht nachlesen – sind bereits um-
gesetzt oder in Vorbereitung. Ich gebe zu: Noch sind es
keine großen Sprünge, eher kleinere Notwendigkeiten,
die das Leben eines Unternehmers erleichtern. Darunter
befinden sich: die Vereinfachung und Angleichung von
Formularen und Statistiken, die Vereinheitlichung von
Verdienstbescheinigungen, die Überprüfung der Gewer-
beordnung und anderer Verordnungen, eine Datenbank
für Existenzgründer oder eine einheitliche Wirtschafts-
nummer.

Aber ich erzähle Ihnen ja nichts Neues, liebe Opposi-
tionskolleginnen und -kollegen. Auch unter Ihrer Regie-
rung hat die so genannte Waffenschmidt-Kommission
Empfehlungen zum Abbau von Bürokratie erarbeitet.
Doch weiter als zur Herausgabe einer Broschüre im Jahre
1994 sind Sie nicht gekommen, obwohl Sie noch vier
Jahre regieren konnten.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: In der Broschüre waren sogar viele Schreibfehler!)


– Das stimmt; aber es waren auch einige positive Dinge
enthalten. – Vielleicht liegt es daran, dass Sie sich sonn-
tags in Ihren Reden vor den Verbänden in den Wahlkrei-
sen weniger Bürokratie wünschen, aber montags im Bun-
destag die Interessen der einzelnen Branchen oder
Handwerker vertreten und mehr Regulierungen fordern.


(Beifall bei der SPD)


Unsere Regierung hat ihre Energie in die praktische Um-
setzung investiert.

Jetzt möchte ich ein Thema ansprechen, das für die Zu-
kunft des Mittelstandes besonders wichtig ist: die Durch-
führung des Generationswechsels. Dazu machen Sie in
Ihrem Antrag keinen konkreten Vorschlag, obwohl von
der Frage, wie die Nachfolge geregelt werden soll, jedes
Jahr fast 80 000 Unternehmen und damit fast 1 Million
Arbeitsplätze betroffen sind. Heute sind fast 35 Prozent
der Unternehmerinnen und Unternehmer zwischen 50
und 60 Jahre alt. Aber über die Frage der Nachfolgerege-
lung wird wenig diskutiert. So kommt es dazu, dass jedes
Jahr etwa 6 000 Unternehmen stillgelegt werden. Das
Bundeswirtschaftsministerium hat zusammen mit Ver-
bänden, Vertretern der Wirtschaft, des Kreditwesens und
der freien Berufe die Kampagne „nexxt“ ins Leben geru-
fen und einen One-Stop-Shop eingerichtet. Planungshil-
fen und Beratungen stehen schnell und unkompliziert im
Internet zur Verfügung.

Die Anhebung des Freibetrages bei Betriebsveräuße-
rungen von 60 000 auf 100 000 DM und die Wiederein-
führung des halben Steuersatzes beim Verkauf des Be-
triebes ab dem 55. Lebensjahr sind vernünftige Elemente
für den Prozess der Übernahme eines Unternehmens, wo-
bei ich allerdings gestehen muss, dass unsere Finanzspe-
zialisten lieber eine andere Lösung herbeigeführt hätten.
Sie sehen, dass wir vieles tun. Wir helfen, wo es geht. Wir
können aber nur unterstützen und nicht die Initiative der
Unternehmen ersetzen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Jelena Hoffmann (Chemnitz)


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Damit komme ich zu meinem letzten Thema: die Er-
weiterung der Europäischen Union. Dieses Thema liegt
mir als ostdeutsche Abgeordnete besonders am Herzen,
weil ich aus einer Region komme, die 60 Kilometer von
der tschechischen Grenze entfernt ist. Während wir hier in
Berlin mehr über die Chancen der EU-Osterweiterung
sprechen, wird an der Grenze über Risiken diskutiert.
Deshalb ist es wichtig, dass die Bundesregierung darauf
besteht, dass die Übergangsfristen zustande kommen und
flexibel gestaltet werden. Wir haben dafür gesorgt, dass
die EU-Kommission ein Programm zur Stärkung der
Grenzregionen auflegt, und wir haben die Investitionszu-
lage für diese Regionen erhöht.


(Beifall bei der SPD)


Unternehmen in den neuen Bundesländern haben gute
Voraussetzungen für den Handel mit Osteuropa. Kurze
Wege, die hohe Qualität der Leistungen, traditionell gute
Kontakte zu den osteuropäischen Standorten und Länder-
kenntnisse verschaffen unseren ostdeutschen Unterneh-
men einen guten Vorsprung. Kleine und mittlere Unter-
nehmen können hier ihre Chancen nutzen und wir werden
sie auf diesem Weg begleiten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419806400
Ich erteile
dem Kollegen Rainer Brüderle für die FDP-Fraktion das
Wort.


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1419806500
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Es ist höchste Zeit, dass wir uns im Bun-
destag Zeit nehmen, über die Situation im deutschen
Mittelstand zu reden. Vergegenwärtigen Sie sich die Zei-
tungen von gestern oder heute. Die „Süddeutsche Zei-
tung“, die ja der Regierung nicht gerade böse gesonnen
ist, sondern in der Grün-Rot gut behandelt wird, schreibt
vom „Abschwungkanzler“; in der „FAZ“ ist die Rede vom
„Schlusslicht in der europäischen Entwicklung“ und der
Bundesbankpräsident, Herr Welteke – das ist keiner von
uns, sondern ein Sozi, ein langjähriger aktiver Sozialde-
mokrat –, schildert in der „FAZ“ in düsteren Farben die
Entwicklung und die Situation. Sie können doch nicht
länger die Opposition beschimpfen, wenn sie die Wahr-
heit sagt.

Der Mittelstand ist das Rückgrat der Entwicklung in
unserem Land. Im Mittelstand sind zwei Drittel der
Arbeitsplätze, 80 Prozent der Ausbildungsplätze und über
die Hälfte der gesamten Wertschöpfung Deutschlands. Ich
habe nie verstanden, weshalb Grün-Rot den Mittelstand
so schlecht behandelt


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ich auch nicht! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das sind die ideologischen Scheuklappen bei denen!)


mit einer Schieflage in der Steuerreform, nach der Groß-
konzerne sofort die volle Entlastung bekommen und der
Mittelstand sie erst in Raten bis 2005 bekommt.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Oder gar nicht!)


Wir haben eine Schieflage bei der Veräußerung von
Unternehmensbeteiligungen und viele andere Punkte
mehr. Die SPD sprach einmal von ihrem Eigenanspruch
für soziale Gerechtigkeit. Was ist da sozial, was ist ge-
recht, wenn die Großkonzerne bevorzugt werden und der
Mittelstand diskriminiert wird?


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist in höchstem Maße dumm, wenn man das so macht!)


Sie haben ein schlechtes Gewissen.


(Hubertus Heil [SPD]: Nein!)


Deshalb haben Sie jetzt die Reinvestitionsrücklage auf
den Weg gebracht. Da dachte ich: Hoppla, die machen we-
nigstens mal ein Stückchen Ausgleich. – Aber was Sie
jetzt auf den Weg gebracht haben, ist eine Witznummer.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Die Reparatur der Reparatur der Reparatur!)


Ich nenne die 50 000 Euro, die gestern im Wirtschafts-
ausschuss beschlossen wurden. Alle sozialdemokrati-
schen Mitglieder und alle grünen Mitglieder haben ge-
meinsam mit den anderen die Auffassung vertreten, dass
der Ansatz in keiner Weise richtig ist, sondern dass 1 Mil-
lion DM angemessen wäre, um hier überhaupt eine Wir-
kung zu erzielen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie haben wider besseres Wissen Ihrer Fachleute und Ih-
rer Wirtschaftspolitiker Unsinn beschlossen, um ein biss-
chen Kosmetik in die Landschaft zu schmieren. Ihr
schlechtes Gewissen muss bleiben, weil Sie hier keine
Verbesserungen für den Mittelstand auf den Weg bringen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Sie müssen die schon beschlossenen nächsten Schritte der
steuerlichen Entlastung vorziehen,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist nötig!)


damit sie schneller wirken, damit die Konjunktur nicht
völlig abschmiert. Wir gehen doch auf ein Nullwachstum
zu und möglicherweise in die Rezession hinein. Ich
glaube nicht, dass das, was bisher auf den Weg gebracht
worden ist, hilft, das zu vermeiden.

Langfristig müssen darüber hinaus Steuern weiter ge-
senkt werden. Vor allen Dingen muss das Steuersystem
vereinfacht werden. Sie haben überhaupt nichts verein-
facht.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Sie haben Chaos angerichtet!)


Alles ist komplizierter geworden. Das ist gerade für den
Mittelstand besonders schlimm. Wir haben ein klares, ein-
faches Steuermodell: 15, 25 und 35 Prozent und Schluss
damit.

Die Grünen haben im Bundestag die Maske fallen las-
sen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist wahr!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Jelena Hoffmann (Chemnitz)


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Der Obergrüne, Herr Joseph Fischer, hat hier das Ende des
Niedrigsteuerstaats verkündet.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Mehrfach!)


Also will er einen Hochsteuerstaat.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wo lebt der denn? Der ist zu oft in Amerika!)


Dann kommt Rezzo Schlauch, hechelt hinterher und ver-
kündet das Ende des Minimalstaats. Ich weiß nicht, in
welchem Land der lebt. Wir haben rund 50 Prozent Staats-
anteil in Deutschland. Wollen Sie wieder 70 Prozent oder
wollen Sie eine totale Staatswirtschaft in Deutschland?


(Widerspruch bei der SPD)


Dann kommt noch Herr Bsirske, ein Grüner, Vorsitzender
der ÖTV, jetzt von der Gewerkschaft Verdi, die nach dem
Zusammenschluss ständig Mitglieder verliert. Der will
die Vermögensteuer wieder einführen. Das ist doch klar
die Marschrichtung grüner Politik. Herr Fischer sagt:
„Ende des Niedrigsteuerstaats“, Herr Schlauch sagt:
„Ende des Minimalstaats“ und Herr Bsirske, ein Grüner,
fordert die Einführung der Vermögenssteuer.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Zurück zum Klassenkampf!)


Das ist ein tolles Programm. Da wird klar, was Grüne wol-
len: Mehrbelastung, höhere Steuern, mehr Staat, mehr
Staatseinfluss. Das ist genau die falsche Richtung. So sen-
ken wir in Deutschland die Arbeitslosigkeit nie. So errei-
chen wir auch nie einen Fortschritt in der Wachstumsdy-
namik.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Hier liegen Sie absolut falsch.


(Zuruf von der SPD: Wie viele Jahre Schauspielschule hatten Sie denn?)


Hören Sie lieber zu und denken Sie nach. Sie sollten ein-
mal ernst nehmen, was die Menschen denken. Die Ar-
beitslosigkeit steigt in diesem Jahr von Monat zu Monat.
Die Sachverständigen sagen vorher, dass die Arbeitslosig-
keit im Winter eine Höhe von 4,3 Millionen erreichen wird.
Sie müssen die Menschen, die mit ihren Familien draußen
stehen und Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes haben,
ernst nehmen. Aber für die tun Sie nichts; darüber gehen Sie
arrogant hinweg. Genau dies ist die Situation.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf von der FDP: Leider wahr!)


Auch die grünen Feigenblätter, Frau Scheel und Herr
Metzger, laufen immer, wenn Unsinn beschlossen wird,
draußen herum und sprechen von Steuersenkungen und Ver-
einfachungen. Herr Metzger sprach erst jetzt wieder von
dem bürokratischen Monster der 630-DM-Verträge. Aber
sie sind Unsinn. All diejenigen, die draußen lautstark Kritik
üben, haben hier in diesem Hause die Hand gehoben und zu-
gestimmt. Es ist unaufrichtige Politik, so vorzugehen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die nächste Chance, die Steuern zu erhöhen, werden
die Grünen morgen haben. Morgen werden die Erhöhun-

gen der Tabak- und der Versicherungsteuer beschlos-
sen. Dies ist ein weiterer Schritt in der Strategie der Grü-
nen hin zu Nullwachstum. Bald werden sie ihr Ziel er-
reicht haben.

Meine Damen und Herren, Sie sehen, dass alle Berei-
che falsch strukturiert sind. Ein Beispiel ist die Öko-
steuer: In Deutschland bezahlen wir die Rentenversiche-
rungsbeiträge an der Tankstelle. Wer jetzt weniger Auto
fährt, gefährdet die Sozialkassen.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Ein Lump ist das!)


Die Schlussfolgerung daraus ist: Rasen für die Rente.

Ein anderes Beispiel ist die Raucherbesteuerung nach
der Devise „Sicherheit durch Tabak“. Wer jetzt weniger
raucht – Frau Fischer, unsere ehemalige Gesundheitsmi-
nisterin, raucht ja Gott sei Dank viel –, gefährdet damit die
Sicherheit.


(Zuruf von der SPD: Das ist gar nicht neu, Herr Brüderle!)


Wahrscheinlich werden Sie bald entdecken, dass Sie jah-
relang sträflich den Zivilschutz vernachlässigt haben.
Vielleicht kann man ja auch noch das Trinken besteuern.
Dann müssen wir noch „saufen“ für die zivile Sicherheit
in diesem Lande.


(Beifall bei der FDP – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Sehr innovativ!)


Das nenne ich ein wirklich rundes Konzept für mehr
Arbeitsplätze in Deutschland!

Ausschlaggebend ist, dass Sie es geschafft haben, das
Klima für den Mittelstand in diesem Land ganz entschei-
dend kaputt zu machen.


(Ilse Janz [SPD]: Das ist doch eine Büttenrede, die Sie da vortragen! Wie immer!)


Die Unternehmer haben einfach keine Lust und Freude
mehr daran, Unternehmer zu sein, wenn sie mit dem Ver-
dacht, sie würden Umsatzsteuer hinterziehen, politisch
kriminalisiert werden, wenn sie eine Zwangsteilzeit auf-
erlegt bekommen, wenn sie nicht nur mit ihren Mitarbei-
tern, sondern auch mit den Gewerkschaftsfunktionären
sprechen müssen und wenn sie als Scheinselbstständige
eingestuft werden.

Dadurch haben Sie ein Klima geschaffen, das exakt
dazu führt, dass im Mittelstand große Schwierigkeiten be-
stehen. Aber er ist der Hoffnungsträger für Arbeitsplätze
in Deutschland. Die Großkonzerne haben schon Stellen-
streichungen angekündigt: Siemens in der Größenord-
nung von 17 000, die Post von 5 000 und die Hypo-Ver-
einsbank von 9 000.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Jetzt machen Sie ja Klassenkampf, Herr Brüderle!)


– Ja, aber so ist es. Wir sind für die Mittelständler und die
kleinen Leute. Die Hilfeschreie des Mittelstandes über-
hören Sie geflissentlich.


(Zuruf von der FDP: Der Kanzler setzt auf die Großunternehmen!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Rainer Brüderle

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Wenn das Handwerk heute verkündet – AP hat es gemel-
det –, dass 200 000 Arbeitsplätze im Mittelstand akut ge-
fährdet sind,


(Zuruf von der FDP: Ruhige Hand! – Zurufe von der CDU/CSU: Leider wahr! Überall, in allen Kreisen!)


dann müssten bei Ihnen alle Alarmglocken schrillen, so-
dass Sie eine Trendumkehr vornehmen. Weil Sie dies
nicht tun, ist die Situation so, dass wir mit unserem Null-
wachstum das Schlusslicht in Europa sind.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die Krise ist hausgemacht!)


Kein Land der Europäischen Union ist hinsichtlich seiner
Wachstumsrate in einer schlechteren Situation als
Deutschland. Dies ist das Ergebnis Ihrer Politik. Ich bin
sicher, dass Werner Schulz, wenn er später spricht, wieder
als Hofsänger von Rot-Grün verkünden wird, dass wir das
Land nicht schlecht reden sollen. Aber irgendwann müs-
sen Sie die Wahrheit einmal hören, damit Sie vielleicht
nachdenken und ihre Politik verändern.

Entscheidend ist, dass der Mittelstand durch dieses
Klima und solch eine Stimmung extrem behindert wird.
Denn Mittelstand ist auch eine Geisteshaltung, die Geis-
teshaltung, sich etwas zuzutrauen, etwas anzupacken und
Hand anzulegen, statt die Hand aufzuhalten.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist schon gut, wenn man überhaupt eine Geisteshaltung hat, Herr Brüderle!)


Sie haben den Arbeitsmarkt nicht flexibilisiert. Es
rächt sich fatal, dass Sie in diesem Bereich nichts getan
haben. Die bescheidenen Reformen der alten Regierung
– sie hätte mehr tun müssen – haben Sie als Erstes aufge-
hoben.


(Zuruf von der FDP: Das war ein Fehler!)

Jetzt wundern Sie sich, dass es mit dem Arbeitsmarkt
nicht aufwärts geht. Die Zahl von 4,3 Millionen Arbeits-
losen ist eine dramatische Zahl. Leider müssen wir noch
so manches befürchten. Denn die Folgen des 11. Septem-
ber sind in die aktuellen Konjunkturdaten noch gar nicht
mit eingegangen.


(Zuruf von der FDP: Die wirken sich noch gar nicht aus!)


Frau Fischers Gesundheitspolitik ist gescheitert. Da-
raufhin ist sie geschasst worden. Auch in dem Bereich der
Gesundheitsreform tun Sie nichts mehr, weil Sie Angst
haben, den Bürgern vor der Wahl die Wahrheit zu sagen
und die möglichen Lösungen umzusetzen, damit wir vo-
rankommen.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Ach!)

Ich möchte Ihnen noch einen konkreten Vorschlag für

den Fall, dass Sie die Arbeitslosenversicherung re-
formieren, mit auf den Weg geben: In die Arbeitslosen-
versicherung haben Sie sehr viel hineingepackt. Die
Fremdlasten der Arbeitslosenversicherung betragen rund
25 Milliarden DM. Reduzieren Sie die Arbeitslosenversi-
cherung wieder auf eine Versicherung gegen Einkom-
mensausfall durch die wirtschaftliche Entwicklung. Dann

können Sie den Beitrag sogar um zwei Punkte senken.
Aber senken Sie ihn doch wenigstens um einen Punkt, da-
mit die Differenz zwischen Brutto und Netto geringer
wird, damit die Anreize zur Schwarzarbeit in diesem Land
geringer werden und damit die Lohnnebenkosten in die-
sem Land wenigstens ein bisschen gedämpft werden.


(Beifall bei der FDP)


Sie kommen ja nicht unter 40 Prozent, wie Sie verkündet
haben, sondern marschieren im Eilschritt auf 43 Prozent
zu. Das ist natürlich auch ein Faktor, der die Neigung des
Mittelstandes, Neueinstellungen vorzunehmen und neue
Arbeitsplätze zu schaffen, sehr erhöhen wird.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Und dann noch die Ökosteuer!)


Sie haben gerade im Bereich des Mittelstandes noch
die Chance, durch schnelles Handeln die Weichen anders
zu stellen; wenn Sie nichts tun, wird es weiter so laufen
wie bisher. Die Arbeitslosigkeit wird weiter von Monat zu
Monat steigen. Sie zerstören das Klima in einem Sektor,
der für die gesellschaftliche Stabilität im Land entschei-
dend ist. Der Mittelstand ist nicht nur Beschreibung klei-
ner und mittlerer Unternehmen, sondern er ist der Anker
in unserer Gesellschaft.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Richtig!)


Mittelständler sind Menschen, die mit ihrem Vermö-
gen, mit ihrem Eigentum voll für ihre Entscheidungen
einstehen, anders als Funktionäre, die im Extremfall ihren
Arbeitsplatz verlieren und eine Abfindung bekommen,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist auch eine Geisteshaltung!)


Das sind Leute, die ihr komplettes Eigentum verlieren
können, wenn sie Fehlentscheidungen treffen.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist das!)


Deshalb ist es besonders wichtig, die Qualität von Ent-
scheidungen im Mittelstand in unserem Land zu erhalten.
Deshalb ist eine gute Mittelstandspolitik auch eine gute
Beschäftigungs- und eine gute Wachstumspolitik. Wer
dem Mittelstand faire Chancen gibt, gibt auch der Wirt-
schaft faire Chancen für ihre Entwicklung. Noch haben
Sie Zeit, das Allerschlimmste zu verhindern. Das gelingt
nicht, wenn Sie weiter uneinsichtig den Mittelstand kne-
beln, ihn behindern, statt ihm Freiraum zu geben, wenn
Sie ihn mit noch mehr Bürokratie belasten. Diejenigen,
die in diesem Land etwas machen wollen, bekommen ge-
radezu bürokratische Handschellen angelegt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Knüppel zwischen die Beine – das ist die rot-grüne Politik! – Hubertus Heil [SPD]: Gibt es Ihre Rede eigentlich schon auf CD?)


– Sie können mitschreiben, damit Sie es verstehen. Ich
weiß, der erste Versuch kommt bei Ihnen nicht an, aber
Sie haben die Chance, die Rede nachzulesen. Beim drit-
ten Mal werden Sie vielleicht die Kernpunkte erkennen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie können sie übrigens im Internet abrufen!)


Deshalb ist es gut, dass es Protokolle gibt.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Rainer Brüderle

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(C)



(D)



(A)



(B)


Entscheidend ist die Weichenstellung für den Mittel-
stand. Hierin liegt die einzige Chance, die weitere ver-
heerende Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt abzuwen-
den.

Es ist klar, dass Sie von der PDS da nicht mitkommen.
Sie träumen immer noch vom Staatssozialismus. Er ist
schon gegen die Wand gefahren. Aber Sie haben jetzt neue
Verbündete, die offenbar Ihre früheren Fehler wiederho-
len wollen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419806600
Ich gebe
nunmehr der Parlamentarischen Staatssekretärin beim
Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, der Kol-
legin Margareta Wolf, das Wort.

M
Margareta Wolf-Mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419806700
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man muss sich
als Parlamentarier bisweilen die Frage stellen, mit wem
Herr Brüderle überhaupt spricht, wenn er in diesem Ho-
hen Haus eine Rede hält und vorgibt, mit uns zu sprechen.


(Walter Hirche [FDP]: Reden Sie als Parlamentarierin oder für den abwesenden Minister?)


Ich kann mich nicht erinnern, von Herrn Brüderle in den
letzten zweieinhalb Jahren schon einmal eine andere Rede
gehört zu haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Brüderle, vielleicht sollten Sie sich einmal bei den
Verbänden und beim Mittelstand erkundigen, wie die Ihre
platten Schönwetterreden finden. In ihnen ist kein Kon-
zept enthalten.


(Rainer Brüderle [FDP]: Sie verstehen es vielleicht nicht!)


Vielleicht sollten Sie sich dort auch einmal erkundigen,
was sie von Ihrer Regierungsfähigkeit halten.

Es gab nie so hohe Steuern in Deutschland wie unter
Schwarz-Gelb – Ihre Partei hat meistens den Wirtschafts-
minister gestellt –, es gab nie eine so hohe Haushaltsver-
schuldung wie unter einem FDP-Wirtschaftsminister, es
gab auch nie so hohe Lohnnebenkosten.


(Rainer Brüderle [FDP]: Und die deutsche Einheit wird völlig vergessen!)


Das, was Sie hier gerade wieder abgeliefert haben, spricht
auch nicht dafür, dass Sie etwas hinzugelernt hätten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, erlauben Sie
mir zu Beginn meines Beitrages, den Wirtschaftsminister
zu entschuldigen. Er hätte gern an dieser Debatte teilge-
nommen, liegt aber mit einer sehr schmerzhaften Krank-
heit zu Bett. Ich hoffe, dass Sie dafür Verständnis haben.

Einer aktuellen Umfrage des Bundesverbandes der
jungen Unternehmer zufolge erwartet jeder dritte deut-
sche Mittelständler trotz der sich abschwächenden Kon-
junktur steigende Gewinne. Das sollten wir positiv zur
Kenntnis nehmen. Ähnliche Umfragen gibt es von der
KfW und von den Wirtschaftsjunioren. Auch die Zahl der
Beschäftigten steigt laut diesen Umfragen. 27,8 Prozent
wollen zusätzlich Personal einstellen, 21,8 Prozent dage-
gen Personal abbauen.

Wir haben heute Morgen über die Beteiligung der Bun-
deswehr und die Bereitstellung deutscher Einsatzkräfte
gesprochen. Wir wissen alle, dass seit dem 11. September
in unserer Bevölkerung und in unseren Betrieben eine
große Verunsicherung herrscht. Von daher wäre es, ver-
ehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, im
Interesse des Gemeinwohls und auch im Interesse unserer
Wirtschaft und der Beschäftigung, wenn wir fraktions-
übergreifend auf Nebelkerzenwerferei verzichten und
eher gemeinsam darum werben würden, dass weiter in un-
serem Land investiert wird.


(Walter Hirche [FDP]: Wir müssen die Bedingungen verändern, damit investiert wird!)


Wir haben in Europa insgesamt im Moment eine sehr
schlechte wirtschaftliche Situation; das will ich gar
nicht kleinreden. Wir haben eine Rezession in Japan und
in Amerika. Aber zu sagen, dass wir nichts für den Mit-
telstand tun und hier Wahlkampfhuberei veranstalten, ist
schlicht und ergreifend unverantwortlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Gesundbeten hilft nicht!)


Wir werden für den Mittelstand allein in diesem Jahr
5,6 Milliarden Euro über ERP und Eigenkapitalhilfe aus-
geben. Die KfW und die DtA reichen in diesem Jahr ein
Volumen von mehr als 7,5 Milliarden Euro für den Mit-
telstand durch.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419806800
Frau Kolle-
gin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst
Hinsken?

M
Margareta Wolf-Mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419806900
Ich möchte jetzt
erst einmal diese Punkte zu Ende bringen. Herr Hinsken,
immer gerne, aber jetzt bringen Sie mich bitte nicht aus
dem Konzept.


(Lachen bei der CDU/CSU)


– Ich finde die Situation, auch die wirtschaftliche, wirk-
lich nicht lustig.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber Sie haben die Verantwortung dafür!)


Ein zweiter Punkt, der auf der Tagesordnung steht
– und das schon seit Jahrzehnten, Herr Kollege Hinsken –
ist die Unternehmensnachfolge. Darum hat sich bis 1998
kein Mensch gekümmert,


(Walter Hirche [FDP]: Das stimmt doch einfach nicht!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Rainer Brüderle

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(C)



(D)



(A)



(B)


mit der Folge, dass wir im Moment 80 000 Unternehmen
pro Jahr haben, bei denen die Nachfolgefrage nicht ge-
klärt ist.


(Walter Hirche [FDP]: Sie sagen bewusst die Unwahrheit! Das ist die Unwahrheit! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Lassen Sie eine Zwischenfrage zu, Frau Wolf!)


Daran hängen auch zahlreiche Arbeitsplätze.

Wir haben im Mai zusammen mit den Verbänden des
Handwerks, der Wirtschaft und der freien Berufe eine
Kampagne beschlossen, Herr Kollege Kolb, bei der wir
gemeinsam die Fragen der Unternehmensnachfolge re-
geln. Der Deutsche Steuerberatertag hat sich am Montag
mit der Frage beschäftigt; denn es ist eine ganz wichtige
Frage für die Zukunft unseres Standortes Deutschland.
Die Kollegin Hoffmann hat darauf hingewiesen: Wir
haben in den letzten zweieinhalb Jahren über 40 Ausbil-
dungsberufe modernisiert und wir haben 20 neue Ausbil-
dungsordnungen geschaffen, zusammen mit den Sozial-
partnern. Das war ganz wichtig. Vor allem in den neuen
Berufen entstehen zahlreiche neue Ausbildungsplätze, die
auch nachgefragt werden. Ich finde, das ist ein sehr posi-
tiver Punkt.

Nächster Punkt. Wir haben das Meister-BAföG refor-
miert. Herr Catenhusen hat vorhin schon darauf hinge-
wiesen. Ihres funktionierte nicht. Jetzt unterstützen wir
ganz direkt die Meisterschüler und sind sehr optimistisch,
dass das endlich greift.

Nächster Punkt. Wir haben die Kampagne „Famili-
enfreundlicher Betrieb“ gestartet, weil wir natürlich
wissen, dass die Betriebe aufgrund der demographischen
Entwicklung in zwei, drei Jahren qualifiziertes Personal
nachfragen werden. Sie alle wissen, dass Frauen heute
besser qualifiziert sind als Männer. Hier sind wir tätig. Mit
unserem Außenhandelsportal, das wir mit den Verbänden
gegründet haben – Ixpos –, tun wir auch etwas für die Ex-
portfähigkeit des deutschen Mittelstandes.

Außerdem haben wir – um dies als Letztes zu nen-
nen – seit 1998 42 Existenzgründerlehrstühle gegründet.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber das war doch nicht Ihre Initiative, Frau Wolf! Das haben doch wir gemacht!)


Ich könnte zahllose weitere Beispiele nennen und da-
rüber referieren. Ich erspare mir das jetzt. Wir haben hier
ein umfassendes Programm vorgelegt, das Sie einmal stu-
dieren sollten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zu den Steuern. Schon in diesem Jahr entlasten wir
den Mittelstand durch die Steuerreform um 13,7 Milliar-
den DM. Insgesamt – man kann es nicht oft genug sa-
gen – wird die Entlastung des Mittelstandes 30 Milliar-
den DM betragen.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Da haben Sie aber die Belastungen nicht abgerechnet!)


Unsere Reform ist solide finanziert. Indem wir sie stu-
fenweise verwirklichen, tragen wir dem elementaren Ziel

der Haushaltskonsolidierung Rechnung. Ich freue mich
darüber, dass wir von sehr ordnungspolitisch gestrickten
Journalisten, wie zum Beispiel Herrn Barbier, hierbei
nachhaltig unterstützt werden. Die Opposition muss uns
einmal sagen, ob sie Haushaltskonsolidierung will oder
neuerdings ein absoluter Keynes-Anhänger ist und eine
Politik des schnellen Geldes vertritt.

Gestern konnten wir im „Handelsblatt“ lesen, dass
Konsolidierung das beste Wachstumsprogramm sei.

Dort bescheinigt ein Wissenschaftler, nämlich Joachim
Scheide, dieser Bundesregierung Folgendes:

Eine neue Welt in der Finanzpolitik scheint sich
anzubahnen, waren doch zuvor Haushaltslöcher häu-
fig dadurch gestopft worden, dass man Steuern oder
Sozialabgaben erhöhte.

Damit haben wir aufgehört.


(Lachen der Abg. Elke Wülfing [CDU/CSU])


Wir werden durch ein Konsolidierungsprogramm auf dem
Wachstumspfad fortschreiten. Das sind wir schon unseren
Kindern schuldig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Im Übrigen wissen Sie auch, dass die jüngsten Emp-
fehlungen des Kieler Instituts genau in diese Richtung
weisen, nämlich in die Richtung eines konsequenten Kon-
solidierungskurses.

Ich möchte Sie um noch eines bitten: Hören Sie endlich
auf mit der These, die Steuerreform benachteilige die Wirt-
schaft. Sie kennen die Deutsche-Bank-Research-Studie
und Sie kennen die Boston-Consult-Studie. Ich könnte Ih-
nen jetzt zahllose Studien präsentieren. Das mache ich aber
nicht. Diese These stimmt schlicht und ergreifend nicht.


(Walter Hirche [FDP]: Wer darf denn steuerfrei veräußern? Darf ein Mittelstandsbetrieb steuerfrei veräußern?)


Was Sie vertreten, Herr Kolb, zeigt letztlich nur, dass Sie
die Komplexität der Fragestellung offensichtlich immer
noch nicht ausreichend erkannt haben, wenngleich wir
jede Woche in diesem Haus eine Lehrveranstaltung dazu
durchführen.


(Beifall bei der SPD – Elke Wülfing [CDU/ CSU]: Sind die Mittelständler zu blöd?)


– Nein, die Mittelständler sind nicht zu blöd. Mit denen
rede ich – im Gegensatz zu Ihnen – täglich. Ein Vergleich
von Durchschnittssteuersätzen greift entschieden zu
kurz. Das aber machen Sie immer. Bei einem soliden Ver-
gleich muss zum Beispiel in beiden Fällen an den Durch-
schnittssteuersätzen angesetzt werden – ich glaube, das
wissen Sie eigentlich auch –, muss die Gewerbesteueran-
rechnung bei Personenunternehmen berücksichtigt wer-
den, muss das Ausschüttungsverhalten der Kapitalgesell-
schaften in die Überlegungen einbezogen werden; nicht
zuletzt darf der Blick auf die Rechtsnachfolge nicht ver-
gessen werden.

Herr Kollege Brüderle, wir werden unseren mittel-
standsfreundlichen Kurs auch mit der Fortsetzung der

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Parl. Staatssekretärin Margareta Wolf

19336


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(A)



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Unternehmensteuerreform konsequent beibehalten. Sie
haben vorhin gesagt, das, was gestern im Finanzausschuss
beschlossen worden ist, sei absurd.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Chaos war das!)


Ich möchte aus der Pressekonferenz von Herrn Philipp
zitieren. Herr Philipp ist bekanntermaßen der schärfste
Kritiker dieser Bundesregierung, was vielleicht mit sei-
nem Parteibuch zu tun hat. Zitat:

Wir sehen mit Erleichterung, dass unsere Argumente
für Nachbesserungen im laufenden Gesetzgebungs-
verfahren am so genannten Unternehmensteuer-
fortentwicklungsgesetz bei den Vertretern der Koali-
tionsfraktionen überzeugt haben. Wir begrüßen es
sehr, dass der Finanzausschuss gestern die Behaltefris-
ten beim Mitunternehmererlass und der so genannten
Realteilung für Personenunternehmen gestrichen hat.
Auch die Nachbesserung der Reinvestitionsrücklage
für Personenunternehmen durch die Ausweitung der
Übertragungsmöglichkeiten auf Grundstücke und
Maschinen ist aus unserer Sicht ein richtiger Schritt ...

So der ZDH-Präsident Dieter Philipp.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Sie haben nur den alten Rechtszustand wiederhergestellt, der bei uns geherrscht hat!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419807000
Frau Kolle-
gin, gestatten Sie nunmehr eine Zwischenfrage des Abge-
ordneten Rainer Brüderle?

M
Margareta Wolf-Mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419807100
Nein, von Herrn
Brüderle möchte ich jetzt keine Zwischenfrage beantwor-
ten. – Ich möchte aber nicht verhehlen, dass meine Frak-
tion, das Wirtschaftsministerium und auch ich es für
glücklicher gehalten hätten, wenn es zu keiner Deckelung
bei der Reinvestitionsrücklage gekommen wäre. Aber da
kann Herr Brüderle im Kontext der Beratungen des Bun-
desrates vielleicht noch seine bekannten Strippen ziehen.


(Joachim Poß [SPD]: Aber da muss er die Finanzierung mitbringen!)


Dieses war nicht mit dem Prinzip der Haushaltskonso-
lidierung vereinbar, wenngleich ich mir wirklich ge-
wünscht hätte, wir wären hier ohne Deckel ausgekommen.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu einem wei-
teren Punkt kommen. Sie wissen, ein zentrales Anliegen
unserer Mittelstandspolitik ist die Sicherstellung der Unter-
nehmensfinanzierung. Das betrifft sowohl die Bereitstel-
lung von Eigen- wie von Fremdkapital. Auf ERP, KfW, DtA
und die Eigenkapitalhilfe habe ich vorhin hingewiesen.

Im Hinblick auf Basel II setzt sich die Bundesregierung
intensiv dafür ein, dass bei den neuen Regelungen für die
Eigenkapitalunterlegung mittelstandspolitische Belange
eine zentrale Berücksichtigung finden.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Da haben Sie wohl ein bisschen geschlafen, gnädige Frau!)


Herr Doss hat vorhin dankenswerterweise schon den
Kanzler erwähnt. Wir konnten – gegen alle anderen euro-
päischen Länder – durchsetzen, dass es eine weitere Kon-
sultationsrunde gibt. Ich glaube, dass dies Gelegenheit
bietet, Benachteiligungen gerade bei den langfristigen
Krediten, wie Basel sie vorsieht, aufzuheben und die
Frage der Anerkennung von Sicherheiten und den Einsatz
von Retail-Portfolios im Sinne von kleinen und mittleren
Unternehmen zu regeln.

Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich sage
auch ganz deutlich: Eine Benachteiligung deutscher Mit-
telständler durch Basel II wird es mit der Bundesregie-
rung nicht geben – Punkt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Wie wollen Sie das denn verhindern?)


Darüber hinaus werden wir mit unserer öffentlichen
Förderung weiterhin einen wichtigen Beitrag zur Kredit-
finanzierung leisten. Der Stellenwert der Haftungsent-
lastung bei der Förderung wird immer größer. Hierzu
gehören natürlich auch neue Instrumente, wie die Ver-
briefung von Mittelstandskrediten, die die KfW allen
Gruppen der Kreditwirtschaft anbietet. Dies führt zu einer
Entlastung der Banken von Kreditrisiken – das ist gerade
angesichts der gegenwärtigen Wettbewerbssituation sehr
wichtig – und schafft neue Spielräume für Mittelstands-
kredite.

Darüber hinaus – wir bleiben mit dem Denken ja nicht
stehen – denken wir zusammen mit der Kreditwirtschaft,
vornehmlich den öffentlich-rechtlichen und den Raiffei-
senbanken, über die Einführung von Globaldarlehen für
Mittelstandskredite nach. Kreditinstitute würden auf
diese Weise in bestimmten Segmenten eine Rahmenzu-
sage erhalten. Nach vorgegebenen Regeln entscheiden sie
dann selbst und legen auch Laufzeit und Tilgungsmoda-
litäten fest.

Ich denke, dass diese Globaldarlehen grundsätzlich
mehr Flexibilität in der Ausgestaltung von neuen, kosten-
günstigeren Finanzierungsmöglichkeiten für den Mittel-
stand schaffen würden.

Der hohe Kapitalbedarf wachstumsstarker Unterneh-
men lässt sich – das wissen wir inzwischen alle – nur mit
echtem Eigenkapital finanzieren. Hier brauchen wir die
organisierten Kapitalmärkte. Die brauchen wir mehr denn
je. Damit die Börsen ihre Finanzierungsfunktion wahr-
nehmen können, muss das Vertrauen der Anleger wieder
gewonnen werden. Es muss im Falle des Neuen Marktes
neu gewonnen werden.

Dazu dient in erster Linie der vom Finanzminister vor-
gelegte Entwurf des Vierten Finanzmarktförderungsge-
setzes, der sowohl auf eine Verbesserung des Anleger-
schutzes als auch auf eine erhöhte Funktionsfähigkeit der
Börsen abzielt, diese auch wettbewerbsfähig macht.
Darin werden auch die von meinem Haus angeregten Vor-
schläge zur Einbeziehung der Arbeit der Analysten ent-
halten sein, die zu mehr Markttransparenz und Marktinte-
grität beitragen werden.

Ich möchte an dieser Stelle aber auch sagen, ich
finde es ausgesprochen bedauerlich, dass der Deutsche

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Parl. Staatssekretärin Margareta Wolf

19337


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Presserat, wie ich finde, seiner Verantwortung gegenüber
dem Neuen Markt nicht gerecht wird, wenn er sich aus
diesem Verfahren ausgeklinkt hat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Ab-
schluss vielleicht noch das eine oder andere Wort zur
Bürokratie. Die Kollegin Hoffmann hat ja schon relativ
viel gesagt.

Vorab vielleicht ein Satz zu dem Gesetzentwurf der
CDU/CSU, den wir heute beraten. Ehrlich gesagt, ver-
ehrte Kollegen, ich hätte mir unter einer Überschrift, die
da heißt „Bürokratieabbau für kleine und mittelständische
Betriebe“, mehr erwartet als lediglich die Änderung der
Buchführungsgrenzen in § 141 der Abgabenordnung. Das
steht in Ihrem Antrag drin.

Erstens ist das nicht schrecklich neu; ich habe bereits
im März dieses Jahres im Bericht „Abbau bürokratischer
Hemmnisse“ angekündigt, dass wir die Anhebung der
Buchführungspflichtgrenzen beabsichtigen. Möglicher-
weise ist Ihnen bekannt, dass der BMF


(Zurufe von der CDU/CSU: Machen!)


– hören Sie erst einmal zu Ende zu – die Länder mit
Schreiben vom 19. April dieses Jahres um Stellungnahme
gebeten hat und es wird nunmehr eine Entscheidung ge-
troffen. In der Sache stimmen wir hier ganz grundsätzlich
überein. Wir machen das auch.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Steuerpo-
litik und der Abbau von Bürokratie sind Beispiele dafür,
was wir gemacht haben. Die 80 Punkte hat Frau
Hoffmann schon angesprochen.

Für meine Begriffe ist das Schlimmste, was wir jetzt
machen können – das tun Sie leider im Moment –, Kon-
junkturpessimismus zu verbreiten, Schlechtreden der
wirtschaftlichen Lage zu verbreiten. Wir sind hier alle ge-
fordert, gemeinsam die Verantwortung für die kleinen und
mittleren Unternehmen zu übernehmen.

Eine letzte Bemerkung, Herr Präsident, zu den 630ern.
Meine Fraktion wie auch das Wirtschaftsministerium so-
wie Herr Schartau aus NRW, wir werden mit dem Bun-
desarbeitsministerium, mit allen Akteuren Gespräche
über eine Erleichterung führen, über den Abbau von Büro-
kratie in diesem Bereich. Ich könnte mir vorstellen, dass
kurzfristig die Versicherungsbeiträge von einer zentralen
Stelle eingezogen und dann nach einem vorher festgeleg-
ten Schlüssel von dieser Stelle an die Krankenkassen wei-
ter verteilt werden können. Ich kann mir auch vorstellen,
dass man von den monatlichen Kontrollmeldungen weg
zugunsten einer Halbjahres- oder Jahresfrist kommt.

Wir sind hier im Gespräch. Ich finde es wichtig, wenn
uns die BfA sagt, der Verwaltungsaufwand sei für diese
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dreimal so hoch
wie für normale Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Deshalb werde ich mich als Mittelstandsbeauftragte der
Bundesregierung hier für eine Vereinfachung einsetzen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419807200
Liebe Kol-
leginnen und Kollegen, auf der Ehrentribüne haben der
Präsident der Republik Malta und seine Delegation Platz
genommen. Ich heiße Sie im Namen des Hauses herzlich
willkommen.


(Beifall)


Es ehrt uns, dass Sie im Rahmen Ihres Besuches Gele-
genheit nehmen, den Deutschen Bundestag hier im
Reichstagsgebäude zu besuchen.

Sie vertreten ein Land, das mit Geschichte und Kultur
in der europäischen Tradition tief verankert ist. Auch des-
wegen freuen wir uns darauf, Malta in naher Zukunft im
Kreise der Mitglieder der Europäischen Union begrüßen
zu können.

Ich hoffe, dass Ihre Gespräche und Begegnungen hier in
Deutschland dazu beitragen, die guten und vertrauensvol-
len Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern weiter
zu vertiefen. Wir wünschen Ihnen noch einen angenehmen
Aufenthalt in unserem Lande und eine gute Rückkehr.


(Beifall)


Nun liegen zwei Wünsche auf Kurzintervention vor.
Ich gebe zunächst dem Kollegen Dr. Heinrich Kolb das
Wort, dann dem Kollegen Ernst Hinsken. Wenn sie das
möchte, kann die Parlamentarische Staatssekretärin an-
schließend erwidern. – Herr Kollege Kolb.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1419807300
Frau Staatssekretärin
Wolf, auch ich möchte die Gelegenheit nehmen, zunächst
Ihrem Minister die besten Genesungswünsche zu über-
bringen. Sagen Sie ihm aber auch: Es genügt nicht, dass
er gesund wird, sondern es ist an der Zeit, dass er sich wie-
der einmal in die wirtschaftspolitische Debatte einmischt.
Das nämlich ist das Problem: In dieser Bundesregierung
gibt es keine Stimme des Mittelstandes mehr. Wenn sich
einmal jemand äußert – so wie Sie in der 630-Mark-
Frage, unterstützt von meinem Kollegen Rainer
Brüderle –, dann wird das im Nachhinein als Privatmei-
nung hingestellt. Das ist einer der Gründe, warum die Frus-
tration im Mittelstand in Deutschland so ausgeprägt ist:
weil diese Regierung keine Ahnung mehr von den Pro-
blemen hat und sich nicht mehr damit identifiziert.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen hier auch nicht schlechtreden, Frau Kolle-
gin Wolf. Die Bundesregierung hat gestern im Ausschuss
für Arbeit und Sozialordnung die Karten auf den Tisch ge-
legt: Sie gehen davon aus, dass wir im nächsten Jahr im Jah-
resdurchschnitt 3,9 Millionen Arbeitslose haben werden.
Zu der Bildung eines solchen Durchschnitts gehört ganz
zwangsläufig, dass die Arbeitslosigkeit in einzelnen Mo-
naten des Jahres deutlich oberhalb von 4 Millionen liegen
wird. Darüber hinaus gehen Sie in Ihren Prognosen davon
aus, dass es praktisch keinen Zuwachs bei der Beschäfti-
gung geben wird. Das ist die nackte Realität. Wir wollen Sie
nur sensibilisieren, damit Sie sich endlich der Realität stel-
len. Das ist auch der Hintergrund dieser Debatte.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Parl. Staatssekretärin Margareta Wolf

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„Debatte“ heißt im Übrigen, miteinander zu reden,
auch Widerspruch zuzulassen. Ich finde es schon dreist,
Frau Staatssekretärin – bei allem Respekt vor der Bun-
desregierung –, wenn Sie sich hier hinstellen und sich, um
es deutlich zu sagen, mit fremden Federn schmücken,
aber gleichzeitig Zwischenfragen ausweichen. So geht es
nun wirklich nicht.

Wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit
will ich dies nur an wenigen Punkten deutlich machen. Sie
haben gesagt, wir hätten in der letzten Legislaturperiode
nichts für die Existenzgründung getan. Das Gegenteil ist
der Fall. Wir haben die Existenzgründungsförderung auch
für Unternehmensübernahmen geöffnet. Das war ein
ganz entscheidender Schritt dafür, dass Unternehmens-
übernahmen – die ja in der Regel mit einer umfassenden
Finanzierung verbunden sind – möglich geworden sind.

Zum Thema Existenzgründungslehrstühle: Wenn
Sie ehrlich sind, Frau Staatssekretärin, geben Sie zu, dass
deren Einrichtung auf eine Initiative Ihres Vorgängers im
Amt, nämlich des damaligen Staatssekretärs Heinrich
Kolb, FDP, zurückzuführen ist


(Beifall bei der FDP)


und dass schon in der letzten Legislaturperiode die ersten
dieser Lehrstühle erfolgreich gegründet wurden.

Ich sage Ihnen noch ein Letztes: Wir brauchen uns über
Existenzgründungen und Unternehmensübernahmen
überhaupt keine Gedanken mehr zu machen, wenn wir es
nicht schaffen, in diesem Land ein Klima herbeizuführen,
in dem Menschen bereit sind, sich zu engagieren und un-
ternehmerisch tätig zu werden. Das ist das Hauptproblem
der rot-grünen Politik: dass Sie zwar kokettieren mit den
Unternehmen, aber nach wie vor ein klassenkämpferisch
motiviertes Problem mit dem Unternehmer haben. Das
eine lässt sich aber von dem anderen nicht trennen. Un-
ternehmen ohne Unternehmer gibt es nicht. Solange Sie
das nicht einsehen, haben Sie ein Problem.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419807400
Kollege
Ernst Hinsken.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1419807500
Sehr geehrte Frau
Staatssekretärin, wenn Sie meine Zwischenfrage zugelas-
sen hätten, dann bräuchte ich mich jetzt nicht einzubrin-
gen. Gerade heute haben Sie wieder Dinge angesprochen,
die für den Mittelstand als nachrangig zu sehen sind. Die
neuralgischen Punkte aber, die den Mittelstand belasten,
haben Sie einfach außen vor gelassen. Deshalb möchte ich
Sie als Erstes fragen, verehrte Frau Wolf – persönlich
schätze ich Sie ja –: Was haben Sie bislang – Sie sind jetzt
fast ein Jahr im Amt als Mittelstandsbeauftragte der
Bundesregierung – konkret für den Mittelstand geleistet?

Als Zweites: Warum haben Sie in Ihrer Rede – Sie hat-
ten ja eine Menge Redezeit – nicht darauf verwiesen, dass
die Steuerbelastungsquote, im Gegensatz zu dem, was
vorher gesagt wurde, nicht sinkt, sondern insbesondere
für die Betriebe nach wie vor bei über 40 Prozent liegt? Es
kann nicht sein, dass der Mittelstand hier außen vor ge-

lassen wird. Warum haben Sie nichts zu dem Versprechen
der Bundesregierung gesagt, die Sozialquote auf unter
40 Prozent zu senken? Warum haben Sie nicht angespro-
chen, dass die Bundesregierung, insbesondere Bundes-
kanzler Schröder, vor drei Jahren zugesagt hat, die Staats-
quote zu senken? Überall gibt es Erhöhungen; ansonsten
tut sich beim Mittelstand nicht viel. Sie bringen, wie ich
eingangs sagte, sehr viele unbedeutende Dinge ein; ich
möchte sie nicht noch einmal der Reihe nach vortragen.

Warum haben Sie nichts zu den großen Themen gesagt,
die insbesondere den Mittelstand belasten, zum Beispiel
zur 630-DM-Regelung, zur Verschlechterung der Bedin-
gungen befristeter Arbeitsverhältnisse, zu den von die-
ser Regierung zurückgenommenen Kürzungen bei der
Lohnfortzahlung, zur weiteren Senkung der Schwellen-
werte im Rahmen der Kleinbetriebsregelung, zu dem
den Mittelstand sehr belastenden Betriebsverfassungs-
gesetz – Kollege Doss hat bereits darauf hingewiesen –,
das einfach durchgepaukt wurde und ein Schlag in das
Gesicht des Mittelstandes ist, oder zur Einführung eines
Rechtsanspruches auf Teilzeitarbeit?

Frau Wolf, ich frage Sie: Was haben Sie konkret für den
Mittelstand getan? Auf öffentlichen Veranstaltungen wer-
den wir immer wieder gefragt, was wir für den Mittelstand
tun. Wir müssen dann immer kleinlaut darauf verweisen,
dass wir in der Opposition sind und dass sich die Men-
schen noch ein bisschen gedulden müssen, Herr Staffelt,
bis wir wieder an der Regierung sind, um dann erneut eine
Mittelstandspolitik aufzulegen, die der Mittelstand
benötigt. Diese wird die Bundesrepublik Deutschland
nach vorne bringen und nicht dazu führen, dass, wie allein
im letzten Jahr geschehen, 50 000 mittelständische Be-
triebe in Insolvenz gegangen sind. Das waren übrigens
18 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Das berührt den Mit-
telstand. Dazu haben Sie nichts gesagt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Junge, Junge, Junge!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419807600
Frau Kolle-
gin Wolf, bitte.

M
Margareta Wolf-Mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419807700
Herr Hinsken,
ich würde gerne einmal von Ihnen zu einer solchen Ver-
anstaltung eingeladen werden, auf der Sie kleinlaut darauf
verweisen, dass Sie leider nicht an der Regierung sind. Ich
würde gerne einmal erleben, dass Sie kleinlaut sind.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ilse Janz [SPD]: Das ist wirklich schwer vorstellbar! – Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Klein und laut!)


Aber dies nur als Vorbemerkung, Herr Kollege. Auch ich
schätze Sie.

Herr Kollege Hinsken, Sie haben gerade wieder den
gesamten Katalog von der Teilzeitarbeit bis hin zur Be-
triebsverfassung heruntergebetet. Ich werde schriftlich
darauf eingehen. Denn wir sprechen hier andauernd

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Dr. Heinrich L. Kolb

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(C)



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(A)



(B)


darüber. In jeder Sitzungswoche gibt es eine Aktuelle
Stunde zu diesem Thema.

Aber auf zwei Punkte möchte ich eingehen: Zunächst
zur Betriebsverfassung. Das entsprechende Gesetz gibt
es – das wissen Sie – seit 1921. Das haben nicht wir er-
funden.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Wir haben es erfunden!)


Es wurde regelmäßig modifiziert.


(Zuruf von der FDP)


– Es ist einfach so. Dass in kleinen und mittleren Unter-
nehmen Betriebsräte gebildet werden, steht seit 1921 im
Gesetz.


(Zuruf des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das macht 9 000 DM aus!)


– Herr Hinsken, wenn Sie mir jetzt nicht zuhören, werden
Sie mir in der nächsten Woche die gleiche Frage stellen.

Für die kleinen und mittleren Unternehmen ändert sich
tatsächlich nur das Wahlverfahren. Für größere Unterneh-
men mit mehr als 200 Arbeitskräften – Stichwort: Schwel-
lenwertabsenkung – ändert sich wirklich etwas. Das ist
richtig.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Das sind Kosten!)


– Er hat ja über die kleinen und mittleren Unternehmen
gesprochen.

Nächster Punkt: die Teilzeitarbeit. Sie haben mich ge-
fragt, was ich durchsetzen konnte. Das Ministerium
konnte durchsetzen, dass nach zwei Jahren überprüft
wird, ob das Teilzeitgesetz tatsächlich eine taugliche
Grundlage dafür ist, in den Betrieben mehr Teilzeitbe-
schäftigung durchzusetzen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Und dann?)


Wenn es dies nicht ist, wird darüber zu diskutieren sein,
ob dieses Gesetz nicht abgeschafft werden sollte.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Das glaubt keiner!)


Im Vergleich zu allen anderen europäischen Staaten hat-
ten wir bis 1998 ein geringes Volumen an Teilzeitarbeits-
kräften. Deshalb haben wir dieses Gesetz beschlossen. Es
greift aber erst bei Betrieben ab 16 Mitarbeitern.

Auf den Rest Ihres Kataloges, Herr Hinsken, werde ich
schriftlich eingehen – denn ich habe ja nur eine geringe
Redezeit –, damit Sie auf Ihren Veranstaltungen nicht
mehr kleinlaut sein müssen.

Eines möchte ich noch im Hinblick auf den Bürokra-
tieabbau feststellen: In Zusammenarbeit mit den Ländern
haben wir durchgesetzt – Sie können sich vorstellen, dass
das relativ schwierig war –, dass man Handelsregisterein-
tragungen, Lohnsteuer- und Einkommensteuererklärun-
gen, Gewerbeanmeldungen jetzt online, das heißt über
das Internet, vornehmen kann. Wir verhandeln mit den
Ländern über eine einheitliche Wirtschaftsnummer. Das
würde ein erhebliches Maß an Bürokratie abbauen. Wir
haben das Land Bayern dankenswerterweise dafür ge-
winnen können, mit uns einen Probelauf hinsichtlich der

Einführung einer einheitlichen Wirtschaftsnummer durch-
zuführen.

Meinem Hause und meiner Fraktion möchte ich auch
das zugute halten, was gestern im Finanzausschuss im Zu-
sammenhang mit den Begriffen Reinvestitionen, Mit-
unternehmererlass und Realteilung beschlossen wor-
den ist. Das ist den mittelstandspolitischen Aspekten der
Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung ganz maßgeb-
lich im positiven Sinne anzulasten.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Sie haben nur den alten Rechtszustand der Regierung wieder hergestellt!)


– Herr Kolb, stellen Sie mir eine Frage und ich beantworte
sie. Das Krakeele, das Sie in jeder Debatte anfangen, ist
kein Beitrag. Man kann kaum sein eigenes Wort verstehen.

Was haben wir gemacht?


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Sehr wenig!)


Herr Kolb, Sie haben Recht: Sie haben sich in der Zeit, in
der Sie den Job hatten, den ich heute habe, um die Frage
der Finanzierung bei einer Unternehmensnachfolge
wirklich gekümmert.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Guter Mann!)


Aber Unternehmensübernahmen sind ein breit angelegtes
Problem. Dem haben wir uns zugewandt. Es ist weniger
eine Frage des Geldes als vielmehr ein psychologisches
Problem. Herr Hirche, lachen Sie ruhig, aber es ist so, dass
unser alter guter Mittelstand mit der Herr-im-Haus-Men-
talität die Übergabe eher als einen Verlust von Lebensleis-
tung wahrnimmt.


(Walter Hirche [FDP]: Natürlich!)


Deshalb müssen wir diese Frage aus ihrer Nische heraus-
holen. Der Verlust der Lebensleistung tritt erst dann ein,
wenn der Betrieb nach dem Ausscheiden nicht qualifiziert
weitergeführt wird. Daher müssen wir dem Mittelständler
vornehmlich mit den Steuerberatern helfen und ihm sa-
gen: Dein Lebenswerk lebt nur dann weiter, wenn du dich
frühzeitig um eine Nachfolge kümmerst. Das ist ein
schwerwiegendes psychologisches Problem, mit dem wir
uns beschäftigen.

Es ist richtig, dass das Bundeswirtschaftsministerium
meines Wissens ab 1996 mit der DtA in Richtung Exis-
tenzgründungen etwas angeschoben hat. Wenn ich es rich-
tig in Erinnerung habe, hatten wir 1998 zwei Existenz-
gründerlehrstühle. Jetzt sind es 42.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: So ist es!)


Wir haben hier sehr viel getan. Wir führen inzwischen
auch Unternehmenswettbewerbe in den Schulen durch,
um damit die Schulen für die Wirtschaft zu öffnen, weil
wir genau diese neue Unternehmenskultur für mehr
Selbstständigkeit in diesem Land etablieren wollen.

Ich bedanke mich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Walter Hirche [FDP]: Tun Sie etwas für Unternehmer, nicht nur für Unternehmen!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Parl. Staatssekretärin Margareta Wolf

19340


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419807800
Für die
Fraktion der PDS erteile ich dem Kollegen Rolf Kutzmutz
das Wort.


Rolf Kutzmutz (PDS):
Rede ID: ID1419807900
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Wir haben im März dieses Jahres über
einen Teil der heute vorliegenden Anträge geredet. Wei-
tere Anträge sind hinzugekommen. Während die Koali-
tion erklärt, alles was sie tue, sei gut und diene dem Mit-
telstand, kommt aus der CDU/CSU und der FDP
permanent der Ruf nach Vorziehen der nächsten Stufe
der Steuerreform.

Aus meiner Sicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der CDU/CSU, geht Ihre Forderung am Leben vorbei.
30 Milliarden DM an vorgenommenen Steuersenkungen
haben nicht zu einer Stabilisierung oder gar zu einem Auf-
schwung in der Wirtschaft geführt. Die Rezession ist da
oder zumindest in Sicht. Ostdeutschland trifft sie beson-
ders hart. Woher nehmen Sie die Gewissheit – das frage
ich mich immer wieder, wenn Sie Ihre Anträge vorstel-
len –, dass weitere Steuersenkungen das Handeln der
Wirtschaft im gewünschten Maße beeinflussen?


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Man muss eine Nettoentlastung machen!)


Steuerausfälle wären in jedem Fall die Folge. Dann
würden Sie wieder nach Geld vom Staat zur Förderung
des Mittelstandes rufen, das nicht vorhanden ist. In be-
wegten Zeiten wie jetzt sind Verlässlichkeit auch der fis-
kalischen Rahmenbedingungen gerade für die Wirt-
schaft wichtiger als ungedeckte Schecks auf die Zukunft.


(Beifall bei der PDS)


Was haben denn Bushs milliardenschwere Steuerschecks
wie auch die Zinspolitik der Fed in den USA bisher ge-
bracht? Nichts.

Der 11. September dieses Jahres hat die Welt verändert.
Angst und Unsicherheit schlagen ebenso wie der Krieg in
Afghanistan auf die Wirtschaft durch. Für diesen Krieg
werden Sie sich mit haftbar machen, wenn Sie dem An-
trag folgen, der heute früh gestellt wurde. Er fördert we-
der Zuversicht noch Vertrauen.


(Beifall bei der PDS)


Unsicherheit ist die eine Seite der Wirtschaftslage. Wer
aber jetzt, wie es bei den Vorrednern Herrn Doss und
Herrn Brüderle zu hören war, wieder darüber philoso-
phiert, Spitzensteuersätze zu senken, der kurbelt nicht
die Wirtschaft an, sondern nur die Umverteilung von un-
ten nach oben. Soziale Netze werden zwangsläufig zer-
rissen. Noch mehr Menschen geraten ins gesellschaftliche
Aus. Von deren Kaufkraft aber hängen gerade die Mittel-
ständler ab.

Den Mittelstand gibt es nicht, obwohl wir uns das im-
mer wieder vormachen. Es gibt eine Vielfalt an Defini-
tionen. Viele ziehen die Grenze bei 500 Beschäftigten.
Die EU hat schon 1996 die Obergrenze bei 250 Beschäf-
tigten festgelegt. Herr Schauerte hat eine eigene Defini-
tion. Er sagt – ich zitiere aus dem Kopf, Sie können mich

berichtigen –: Jeder, der Pleite gehen kann, ohne dass der
Staat eingreift, ist ein Mittelständler.


(Walter Hirche [FDP]: Richtig! Die Regierung handelt bei Holzmann, aber sonst nicht!)


Es gibt noch eine weitere Definition. Ich habe sie in der
vergangenen Woche von einem Herrn der Dresdner Bank
gehört. Diese Definition hat mich wirklich fasziniert. Er
hat gesagt: Bei uns ist jeder ein Mittelständler, der eine
Mark Umsatz macht. Ich sage Ihnen: Ausgerechnet die
Dresdner Bank, die sich von den Mittelständlern verab-
schiedet hat und diese bittet, die Bank zu wechseln, weil
sie zu viel Arbeit machten, bietet eine solche Definition
zum Mittelstand. Deshalb ist es falsch, vom Mittelstand
an sich zu sprechen. Wir müssen die Differenziertheit des
Mittelstandes zur Kenntnis nehmen.


(Beifall bei der PDS)


Ich selbst bin im Offenen Wirtschaftsverband kleiner
und mittlerer Unternehmer, Selbstständiger und Freibe-
rufler organisiert. In diesem Verband sind Unternehmer
organisiert, in deren Betrieben zwei, drei, zehn und – da-
rauf bin ich ganz stolz – 30 Mitarbeiter beschäftigt sind.
Solche Betriebsgrößen sind in Ostdeutschland der Regel-
fall. Sie selber haben immer auf die 500 000 Selbst-
ständigen und die 3,2 Millionen Beschäftigten hingewie-
sen. Man braucht keine Eins in Mathematik und kein
Abitur, das man erst nach 13 Schuljahren machen kann,
um den Durchschnitt auszurechnen. Ich sage Ihnen eines:
Diese Selbstständigen haben nichts von der Diskussion
über die Höhe des Spitzensteuersatzes. Die haben auch
keine Anteile an Kapitalgesellschaften, die sie verkaufen
könnten, um einen Vorteil zu erzielen, der sich in einer
kleinen, begrenzten steuerfreien Investitionsrücklage aus-
drückt. Wie viele Mittelständler kennen Sie, die, gemes-
sen an der Zahl der Beschäftigten und der geschaffenen
Arbeitsplätze, unter diese Regelung fallen?


(Walter Hirche [FDP]: Aber die haben einen Nachteil, wenn die anderen das steuerfrei machen können!)


Mittelständischen Betrieben in der Größenordnung,
wie ich sie vorhin aufgelistet habe, hilft höchstens eine be-
fristete steuerfreie Investitionsrücklage für ihre laufen-
den Einkünfte. Aber vor allem muss es um eine dezentrale
Strukturpolitik, um mehr Aufträge, um eine bessere Zah-
lungsmoral und um weniger Bürokratie gehen – darin
stimmen wir überein –, wenn die öffentliche Hand den
Mittelstand tatsächlich fördern will.


(Beifall bei der PDS – Ernst Hinsken [CDU/ CSU]: Vor allem bessere Zahlungsmoral!)


Da helfen keine Selbstbeweihräucherung, kein Aussitzen
und auch keine Kampagnen.

In der gestrigen Sitzung des Unterausschusses ERP
wurde zum Beispiel festgestellt, die Nachfrage nach Exis-
tenzgründer- und Mittelstandsdarlehen sei dramatisch
rückläufig. Aber es wird nicht als Erstes darüber nachge-
dacht, wie man schnellstens neue Förderinstrumente ent-
wickeln kann, damit in diesem Bereich wieder Arbeits-
plätze geschaffen werden. Nein, es wird konstatiert:
Es gibt keine Liquiditätsprobleme, um den Anteil von

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19341


(C)



(D)



(A)



(B)


Daimler-Chrysler an den milliardenschweren Kosten für
die Entwicklung eines Superjumbos zu einem Drittel
vorzufinanzieren. Allein dieses kleine Beispiel zeigt: In
der Ordnungspolitik muss umgesteuert werden.

Dazu gehört für uns natürlich auch das Austrocknen
der Schwarzgeldströme der Terroristen. Aber auch
Steuerbetrug muss bestraft und vor allen Dingen gesell-
schaftlich geächtet werden; denn aus gesetzlichen Steuer-
lasten tatsächliche zu machen hilft, öffentliche Haushalte
zu konsolidieren und verlässlich in Arbeitsplätze mün-
dende Investitionen zu organisieren. Solche Arbeits-
plätze, meine Damen und Herren von der Koalition, ent-
stehen jedoch kaum auf sechsspurigen Autobahnen. Da
hat ein Mittelständler keine Chance. Die hat er vielmehr
vor Ort, bei der Befriedung des regional ermittelten Infra-
strukturbedarfs. Es muss also über wachsende statt sin-
kende kommunale Investitionspauschalen geredet wer-
den.

Nehmen wir ein Beispiel für eine mittelstandsfreundli-
che Energiepolitik. Statt um das für den Jahreswechsel
geplante „Verhinderungsgesetz“ für Kraft-Wärme-Kopp-
lungs-Anlagen muss es um eine konsequent vorangetrie-
bene Energiewende gehen.


(Beifall bei der PDS)


Noch mehr erneuerbare Energien und dezentrale KWK-
Anlagen wären nicht nur praktizierte Sicherheitspolitik,
wenn ich an die seit dem 11. September zu Recht stärker
gewordenen Ängste vor den Gefahren der Atomkraft-
werke und ihrer Abfälle denke. Sie wären auch nicht nur
praktizierte Umweltpolitik, sondern eben auch Mittel-
standspolitik. Sie hilft nicht nur den überwiegend
mittelständischen Anlagenbauern, sondern schafft und si-
chert viel mehr Arbeit für Wartungsunternehmen und an-
dere Dienstleister, als es in bestehenden Großanlagen
möglich ist, und das ohne einen einzigen Steuercent; denn
die Beschaffung und Verteilung öffentlicher Mittel sind
nur eine Seite der Medaille. Bessere Zahlungsmoral – da-
rauf habe ich schon hingewiesen; Herr Hinsken hat mir
sogar zugestimmt – und ein neue Chancen schaffendes In-
solvenzrecht beispielsweise würden Kreativität für neue
zusätzliche Arbeitsplätze ebenfalls viel eher als noch so
niedrige Steuern freisetzen.

Ebenso sollten Vorschläge zur Entbürokratisierung wie
der heute in erster Lesung beratene CDU/CSU-Antrag zur
steuerlichen Buchführungspflicht von der Koalition
ernsthaft und ohne Ansehen ihrer Herkunft geprüft wer-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419808000
„Wir sind in einem
Boot; wir stimmen darin überein“, dann halte ich es für
notwendig und richtig, das kurzfristig umzusetzen. Das
gilt natürlich auch für Anträge der PDS.

Ich finde es schon bemerkenswert, wenn die „Berliner
Zeitung“ in ihrer Ausgabe vom 31. Oktober, also nach der
Wahl in Berlin, unter der Überschrift „Berliner Wirtschaft
fordert transparente Verwaltung“ den Chef eines Berliner
Wirtschaftsklubs mit folgenden Worten zitiert:

Um Verfahren effektiv zu gestalten, können wir uns
gut an Mecklenburg-Vorpommern orientieren.

In der Tat arbeitet das seit April bestehende neue Tandem
aus Arbeitsminister Helmut Holter und Wirtschaftsminis-

ter Otto Ebnet vergleichsweise gut, auch und gerade für
die Mittelständler und die Existenzgründer.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Müssen wir jetzt aufstehen, Herr Kutzmutz?)


– Das ist doch ein Minister Ihrer Partei. Sie können auf-
stehen, wenn Sie wollen. Er ist übrigens ein Bayer. Dann
können die anderen auch noch aufstehen.

Arbeitsmarkt-, Wirtschafts- und Strukturpolitik wer-
den von beiden Ministern als Beschäftigungspolitik
praktiziert. Deshalb entstehen Netzwerke. Deshalb wer-
den Existenzgründungen unterstützt. Deshalb gibt es auch
den Vorschlag zu einem Bündnis für Arbeit, für Aufträge
und Ansiedlungen.


(Walter Hirche [FDP]: Und „Holter“-diepolter die meisten Arbeitslosen!)


Mein letzter Satz, Herr Präsident: „Wenn wir den Mit-
telstand nur vom Materiellen her begreifen, wenn man die
Zugehörigkeit zum Mittelstand sozusagen nur aus der
Steuertabelle ablesen kann, ist dem Mittelstandsbegriff
meiner Meinung nach eine sehr gefährliche Wendung ge-
geben.“ Das hat Ludwig Erhard 1956 gesagt. Ich sage Ih-
nen: Was 1956 richtig war, ist auch heute richtig. Es geht
um verlässliche Rahmenbedingungen, die man überprü-
fen muss, und es geht um tatsächliches, praktisches Han-
deln.

Danke schön.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419808100
Nun gebe
ich dem Kollegen Dr. Ditmar Staffelt für die Fraktion der
SPD das Wort.


Dr. Ditmar Staffelt (SPD):
Rede ID: ID1419808200
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Es ist leider wenig begeis-
ternd, wenn wir die Debatte alle Monate wieder – so kann
ich fast sagen – mit ähnlichen Argumenten führen,


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Weil Ihre Politik nicht besser wird! – Dr. Hansjürgen Doss [CDU/CSU]: Ihr müsst etwas tun!)


ohne dass es eine notwendige sachliche Auseinanderset-
zung mit den derzeitigen Problemen auf makroökono-
mischer Ebene gibt.

Ich bin entzückt von Herrn Brüderle, der gestern im
Wirtschaftsausschuss in der ihm eigenen Art die neue
Sachlichkeit und Nachdenklichkeit betont hat, heute aber
wieder genau das gemacht hat, was wir seit Monaten von
ihm kennen, nämlich ein kleines Affentheater für die
Wählerinnen und Wähler der FDP.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der FDP)


Das ist nicht ausreichend, Herr Brüderle. Wenn das alles
so einfach wäre, hätten Sie in all den Jahrzehnten, in de-
nen Sie die Bundesrepublik Deutschland politisch geführt
haben, alle Probleme des Mittelstandes lösen können. Das
haben Sie augenscheinlich nicht gemacht. Vielmehr wa-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Rolf Kutzmutz

19342


(C)



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ren wir nach der Übernahme der Regierung gehalten, eine
Vielzahl von Verbesserungen vorzunehmen, die unmittel-
bar den kleinen und mittleren Unternehmen zugute ge-
kommen sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selber nicht!)


Lassen Sie mich etwas zu den Rahmendaten sagen:
Wir können zwar im Moment – das müssen Sie wissen –
noch so viele kleine Schritte vorbereiten und Entschei-
dungen treffen, aber wichtig ist der Gesamtrahmen. Für
die Gestaltung des Gesamtrahmens hat diese Regierung
unendlich viel mehr getan als Sie in den 16 Jahren Ihrer
Regierungszeit.


(Walter Hirche [FDP]: Aber das Falsche!)


Das ist auf internationaler Ebene unbestritten. Sowohl
im Hinblick auf die OECD als auch den IWF gilt: Die
Bundesrepublik Deutschland hat den Einstieg in die Mo-
dernisierung durch Haushaltskonsolidierung, Steuer- und
Rentenreform realisiert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ihnen wird in den Gesprächen mit Experten in den Verei-
nigten Staaten von Amerika immer wieder gesagt: Ihr müsst
auch etwas bei der Deregulierung eurer Arbeitsmärkte tun.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ja!)


Zu diesem Thema sagen wir: Die Tarifpartner sollen ge-
meinsam mit der Bundesregierung ihren Beitrag dazu
leisten, die notwendigen Spielräume zu schaffen.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419808300
Herr Kol-
lege Staffelt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Hirche?


Dr. Ditmar Staffelt (SPD):
Rede ID: ID1419808400
Nein, das möchte ich nicht.
Ich möchte hinzufügen, dass alleine das Job-Aqtiv-Ge-

setz bereits einen Rahmen bietet, um vielzählige Mög-
lichkeiten und Räume für neue Formen der Beschäftigung
zu finden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Sie ignorieren immer alles, was wir liefern. Wir haben
den bekannten Brief von Herrn Müller und Herrn Riester
an die Vertreter der großen Verbände in Deutschland ge-
lesen. In diesem Brief wird minutiös aufgeführt, was das
Job-Aqtiv-Gesetz bietet, was die Verbände fordern und
welche Möglichkeiten das Job-Aqtiv-Gesetz vorsieht.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Haben Sie die Antwort gelesen?)


Das alles nehmen Sie gar nicht zur Kenntnis. Sie sind
nicht bereit, sich auf den Weg zu begeben, der die einzige
Chance bietet, gemeinsam an den richtigen Stellschrau-
ben zu drehen.

Zur Frage des Vorziehens der Steuerreform kann ich
Ihnen nur sagen: Wir sind doch nicht ideologisch verna-
gelt und wollen dies deshalb nicht tun, weil wir keine wei-

tere Senkung der Steuern oder keine weiteren Vorteile für
die Arbeitnehmerschaft oder die Selbstständigen in unse-
rem Lande wünschten. Ganz im Gegenteil! Wir fragen uns
nur, ob weitere Steuersenkungen tatsächlich die Effekte
an den Märkten erzielen, die zu einer wirklichen Bele-
bung der Konjunktur insgesamt beitragen. Viele wirt-
schaftswissenschaftliche Institute unterstützen uns in der
Auffassung, dass das im Moment nichts brächte.

Herr Brüderle hat gerade gestern, wie bekannt, im Aus-
schuss gesagt, wir seien in einer schwierigen Zeit, in ei-
ner Zeit der weltwirtschaftlichen Anspannung und Krise.
Da ist es natürlich, dass viele – seien es Privathaushalte
oder auch Unternehmen – das, was sie an zusätzlichen
Einnahmen aus der Steuerreform haben, sparen, zurück-
legen, daraus Reserven bilden; Sie nannten das
Eichhörncheneffekt. Das ist ein Effekt, der auch dann,
wenn wir die Steuerreform vorziehen, nicht ohne weiteres
außer Kraft gesetzt werden kann, der weiter wirkt, weil er
in hohem Maße psychologisch bedingt ist.

Lassen Sie mich noch eines zum Thema Verantwortung
sagen. Ich finde es ziemlich verantwortungslos, dass Sie
die derzeitige Gesamtsituation so herunterreden – ich sage
ganz ausdrücklich: herunterreden – und damit genau einen
Effekt erzielen, den wir heutzutage gar nicht gebrauchen
können: Die Hoffnungen, die auch die wirtschaftswissen-
schaftlichen Institute für die Belebung der Konjunktur im
nächsten Jahr sehen, werden wieder kaputtgemacht. Maß-
nahmen wie die heutige Zinssenkung um 50 Basispunkte
seitens der EZB laufen sozusagen wieder ins Leere. Wir
tragen hier Verantwortung. Sie haben gar nicht das Recht,
nur parteipolitische Polemik zu betreiben.


(Beifall bei der SPD)

Auch Sie haben Verantwortung für dieses Land, selbst wenn
Sie in der Opposition sind, meine Damen und Herren.

Lassen Sie mich noch einmal darauf verweisen, dass
wir in den letzten Monaten eine Vielzahl von Maßnah-
men getroffen haben. Sie wissen das sehr genau. Ich
könnte alle diese Maßnahmen noch einmal aufzählen und
vielleicht muss man es ja auch tun. Also: Reinvestitions-
zulage, Aussetzung der Abschreibungstabellen, Solidar-
pakt II – für Ostdeutschland von zentraler Bedeutung –,
Job-Aqtiv-Gesetz – ich habe davon gesprochen –, Stadt-
umbau Ost – wesentlicher Punkt zur Belebung der Bau-
wirtschaft –, Vergaberecht – die Novellierung steht an –
und Zukunftsinvestitionsprogramm. Das ist schon ein
Maßnahmenpaket, das sich sehen lassen kann. Deshalb
sehe ich überhaupt keinen Grund, die Kritik, die von Ih-
nen hier vorgetragen wird, ernst nehmen zu müssen. Wir
können sehr selbstbewusst auf das verweisen, was wir in
den letzten Monaten für kleine und mittlere Unternehmen,
für den Mittelstand getan haben.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Die haben nur nichts davon! Die gehen reihenweise Pleite! Um 25 Prozent sind die Insolvenzraten gestiegen!)


– Auch damit kann ich Sie konfrontieren. Sie reden ein-
fach irgendetwas daher.


(Zuruf von der SPD: Wie immer!)


Das ist etwas, was ich nicht vertragen kann.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Dr. Ditmar Staffelt

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Schauen Sie sich einmal die Steuerquote im interna-
tionalen Vergleich an! Deutschland 22,9, Dänemark 48,5,
Schweden 38,5, Italien 30,3, Großbritannien 30,3 Pro-
zent. Was sollen wir denn noch alles machen?


(Beifall bei der SPD)

Schauen Sie sich die Belastung des Mittelstands an!

Frankreich 46,8 Prozent, Niederlande 32 Prozent, USA
32 Prozent, Deutschland 31 Prozent. Das kann sich im in-
ternationalen Vergleich doch sehen lassen!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Unternehmensgründungen: Im Jahr 1996 gab es klägli-
che 137 000 Unternehmensgründungen, 1997 nur 129 000.
In diesem Jahr sind es 202 000 Unternehmensgründungen.

Meine Damen und Herren, Sie gehen einfach darüber
hinweg, ignorieren alles und sagen: Die gehen serien-
weise Pleite. So kann man in Fragen der deutschen Wirt-
schaft doch nicht ernsthaft debattieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Die Insolvenzzahlen lesen Sie nicht vor!)


Ich will Ihnen noch etwas sagen: Auch bei den freien Be-
rufen, bei den Selbstständigen – Sie behaupten ja immer,
das sei Ihre Klientel; das hat sich glücklicherweise nach-
haltig geändert – gibt es eine Zunahme um mehr als 20 000
mit dem Effekt, dass insgesamt weitere 80 000 Menschen
bei diesen Selbstständigen beschäftigt werden.

Es ist also Quatsch, hier nur von einer Negativbilanz zu
reden. Wir können eine Vielzahl von Indikatoren aufwei-
sen, die besagen: Wir haben die richtigen Rahmenbedin-
gungen gesetzt. Da, wo es möglich ist, und da, wo es
erforderlich ist, werden wir diese Rahmenbedingungen
– davon können Sie ausgehen – auch weiter verbessern.

Schließlich will ich an dieser Stelle ein Wort zu einem
Punkt sagen, der für Sie ganz typisch ist. Die Schwarz-
arbeit ist ein wesentliches Thema, das uns drückt. Kaum
haben wir damit begonnen, Maßnahmen zur Bekämpfung
von Schwarzarbeit einzuleiten – Ähnliches gilt für andere
Bereiche, wo Steuerhinterziehung praktiziert wird; Herr
Kutzmutz hat das angesprochen –, schon sind die FDP
und im Zweifel auch die CDU/CSU die Ersten, die
schreien. Wenn Sie nicht einmal bereit sind, Maßnahmen
zur Herstellung ordentlicher Wettbewerbsbedingungen
mitzutragen – es geht darum, im wirtschaftlichen Wettbe-
werb die Ehrlichen besser als die Unehrlichen zu stellen –,
dann sollten Sie sich nicht über Verzerrungen wundern,
die einen Einfluss auf die Arbeitslosenzahlen haben und
die Unternehmen kaputtmachen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


In dieser Hinsicht sind Sie gegenüber dem braven Hand-
werksmeister, der sich bemüht, Steuern zu zahlen und sich
an Recht und Gesetz zu halten, nicht wirklich ehrlich.


(Rainer Brüderle [FDP]: Richtig machen wir es!)


Das sollten Sie einmal nacharbeiten, Herr Brüderle.

Summa summarum: Wir sollten weiterhin über Mittel-
stand reden. Halten Sie sich ein Stück mehr daran, Sach-
lichkeit zu üben! Wir sind immer gesprächsbereit, gerade
in Bezug auf Fragen der Wirtschaft.


(Walter Hirche [FDP]: Reden reicht nicht! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Der Worte sind genug gewechselt!)


Sie kennen mich: Ich bin immer bereit, mit Ihnen und al-
len, die daran interessiert sind, diesen Dialog zu führen.
Um es ehrlich zu sagen: Es kommt mir zum Halse heraus,
dass ich mir anhören muss, wie Sie gebetsmühlenartig
dieselben Provokationen vortragen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Uns auch!)


Das bringt uns keinen Schritt weiter. Ändern Sie Ihre Art!
Vielleicht helfen die Koalitionsverhandlungen in Berlin
ein bisschen dabei, dass Sie auf den Teppich zurückkeh-
ren. Herr Brüderle, in diesem Sinne!

Danke.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Er freut sich, dass er es geschafft hat! Er ist richtig erleichtert! Das ist ein schwacher Verteidiger! – Dr. Hansjürgen Doss [CDU/CSU]: Sie müssen Ihre Reden mit der Realität in Beziehung bringen!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419808500
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege Dr. Peter
Ramsauer.


Dr. Peter Ramsauer (CSU):
Rede ID: ID1419808600
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Her-
ren! Lieber Herr Kollege Staffelt, was wir uns von Ihnen
soeben haben anhören müssen, war mehr als eine mittel-
standspolitische Geisterbahnfahrt. Das, was Sie hier alles
erzählt und als Bündel von Maßnahmen für den Mit-
telstand bezeichnet haben, ist nichts anderes als die
Gesamtheit der Folter- und Marterinstrumente, die Sie in
den letzten drei Jahren zur Traktierung des Mittelstands
eingeführt haben.


(Hubertus Heil [SPD]: Sachlichkeit!)


Dass Sie einige Maßnahmen mittlerweile zurückgenom-
men haben, liegt daran, dass Sie eingesehen haben, wozu
das Ganze führt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das nennen Sie dann Maßnahmenbündel.

Lieber Herr Kollege Staffelt, wenn es wirklich so wäre,
wie Sie gesagt haben und wie es uns die Mittelstandsbe-
auftragte der Bundesregierung, die Kollegin Wolf, in
ihren regierungsamtlichen Verlautbarungen hat wissen
lassen, dann hätte sie kein mittelstandspolitisches Papier,
das das Datum 30. Oktober trägt, vorlegen müssen. Darü-
ber wurde leider in viel zu wenigen Zeitungen berichtet.
Ich komme auf dieses Papier noch zu sprechen.

Schlimm ist, dass die rot-grüne Bundesregierung mit
dieser Politik die gesamte mittelständische Wirtschaft in

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Dr. Ditmar Staffelt

19344


(C)



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(A)



(B)


Deutschland in den verheerenden Sog ihrer katastropha-
len Wirtschafts- und Sozialpolitik hineinzieht. Dass Sie
jetzt versuchen, diese Entwicklung hinter der Außenpoli-
tik zu verstecken, lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Die
Rutschbahn, auf der wir in die wirtschaftspolitische
Katastrophe geraten, besteht nicht erst seit dem 11. Sep-
tember, sondern schon viel länger, nämlich seit mehr als
drei Jahren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ganz genau! Das ist bereits seit Anfang des Jahres so!)


Sie können das von Ihnen produzierte wirtschaftliche
Chaos nicht hinter dem 11. September verstecken. Sie
sind seit drei Jahren an der Regierung und seit drei Jahren
geht das Wachstum massiv zurück.

Im Oktober wurde eine verheerende Arbeitslosenstatis-
tik vorgelegt. Die Beratungen des Bundeshaushalts für
das nächste Jahr sind, weil die Grundannahmen nicht
mehr stimmen, nur noch Makulatur. Das i-Tüpfelchen ist
Ihre Reaktion: Sie erhöhen die Steuern. Eine aberwit-
zigere Idee hätten Sie nicht haben können. Sie bewirken
dadurch nämlich das Gegenteil von dem, was wir brau-
chen. Was Sie tun, ist Gift für die Konjunktur, denn es
hemmt die Investitionsbereitschaft der Unternehmen und
es hemmt den privaten Konsum.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Freilich ist es nichts anderes als eine Schwäche des Fi-
nanzministers, wenn er es nicht einmal fertig bringt,
ganze 0,6 Prozent des geplanten Haushaltsvolumens an
anderer Stelle einzusparen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Er steht mit dem Rücken zur Wand!)


Indem Sie das jetzt dadurch hereinholen wollen, dass
Sie die Mittel für Investitionen im Haushalt kürzen, ma-
chen Sie wiederum genau das Falsche. Sie haben in den
letzten drei Jahren die Investitionsquote im Bundeshaus-
halt ohnehin laufend zurückgefahren. Wer bei den Inves-
titionen kürzt, der nimmt diesem Land ein Stück seiner
Zukunft. Investitionen kürzen heißt Zukunft verbauen.
Genau das werfen wir der rot-grünen Bundesregierung
vor.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dass die Konjunktur schwächelt, hat seine Gründe.
Man darf sich darüber nicht wundern, wenn man sieht,
dass gerade der Wachstumsmotor Mittelstand regelrecht
abgewürgt wird. Es ist verschiedentlich auf das lange
Sündenregister hingewiesen worden. Sie haben mit der
Neuregelung der 630-Mark-Verträge ein flexibles Ar-
beitsmarkt- und Beschäftigungsinstrument praktisch voll-
kommen unbrauchbar gemacht. Genauso schlimm ist,
dass Sie mit dem Gesetz zur Scheinselbstständigkeit auch
die Möglichkeit, flexibel in die Selbstständigkeit hinein-
zugleiten, verbaut haben. Was soll da noch Ihr Gerede von
mehr jungen Unternehmen und mehr jungen Menschen,
die sich selbstständig machen sollen?


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Das ist leider Fakt! Aber das ignorieren Sie ja dauerhaft! Sie wollen ja keine positive Entwicklung!)


Kündigungsschutz, Rechtsanspruch auf Teilzeit – man
kann nicht oft genug sagen, dass mit dem Teilzeitgesetz
die Personalplanung gerade für mittelständische Unter-
nehmen zu einem Lotteriespiel verkommen ist.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Unternehmer sagen uns selbst, dass sie damit keine Probleme haben! So ein Käse!)


Das haben Sie zu verantworten, da Sie durch eine völlig
falsche Sozialpolitik leider Gottes noch zusätzliche Be-
schäftigungshürden in den Betrieben errichten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Mittelstand, der bei der letzten Bundestagswahl

von Gerhard Schröder nicht ganz ohne Erfolg umworben
wurde, ist schwer enttäuscht. Er ist weder gefördert noch
gestärkt oder unterstützt worden. Er ist vielmehr abge-
zockt, getäuscht und gemolken worden.

Meine Damen und Herren, man spürt so richtig, dass es
in dieser Bundesregierung, angefangen beim Wirtschafts-
minister über die Mittelstandsbeauftragte bis hin zum
Bundeskanzler, niemanden gibt, der sich in das Ge-
schehen in einem mittelständischen Betrieb hineindenken
kann und sich mit dem Mittelstand wirklich identifiziert.


(Dr. Hansjürgen Doss [CDU/CSU]: Richtig! – Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Wieso denn? Erzählen Sie so etwas doch nicht! Entschuldigen Sie mal, ich habe lange genug in einem mittelständischen Unternehmen gearbeitet! Unglaublich!)


– Sie als Allerletzter, Herr Staffelt. – Weil Sie sich nicht
wirklich mit dem Mittelstand identifizieren, kann auch
keine glaubwürdige Mittelstandspolitik von Ihnen ge-
macht werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das beste Beispiel hierfür haben wir in dieser Woche

vorgelegt bekommen, als der Sozialminister Walter
Riester über Sie, Frau Wolf, hergefallen ist und auf Sie
wegen Ihrer Vorschläge eingedroschen hat. Ich habe bis-
her immer geglaubt, dass man von Ihnen als Mittel-
standsbeauftragte, liebe Frau Kollegin Wolf, überhaupt
nichts hören wird, und habe in Ihnen deswegen eigentlich
immer das personifizierte mittelstandspolitische Desin-
teresse dieser Bundesregierung gesehen. Jetzt haben Sie
endlich – das finde ich toll – mit Datum vom 30. Oktober
ein Papier mit der Überschrift „Gedanken zur Mittel-
standspolitik“ vorgelegt. Darin sind hochinteressante
Ansätze enthalten, die wirklich diskussionswürdig sind.
Sie nehmen zum Beispiel unter der Überschrift „Steuer-
politik“ Bezug auf die Reinvestitionsrücklage, deren Ein-
führung im Rahmen des Gesetzes zur Fortentwicklung
der Unternehmensteuerreform geplant ist. Ich zitiere aus
dem Papier:

Durch eine in der Debatte befindliche Deckelung bei
100 000 DM

– für diese Rücklage –
wird die notwendige Wirkung bei den mittelständi-
schen Unternehmen verfehlt,

(Beifall der Abg. Elke Wülfing [CDU/CSU])


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Dr. Peter Ramsauer

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der Vorwurf der Ungleichbehandlung gegenüber den
Veräußerungsgewinnen der Kapitalgesellschaften
geradezu bestätigt.


(Beifall der Abg. Elke Wülfing [CDU/CSU])


Klarer kann man nicht unter Beweis stellen, wie falsch Ihr
Gesetzentwurf ist. Liebe Frau Wolf, ich stimme Ihnen hier
zu.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Das ist Rabulistik!)


– Klar, dass Sie das anders sehen. Es ist nämlich so, dass
die grüne Frau Wolf mit einem glühenden mittelstandspo-
litischen Spieß in Ihren mittelstandspolitischen Wunden
und Defiziten herumstochert. Das soll sie ruhig tun, ge-
rade auch auf diesem Feld.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: So können nur Funktionäre reden!)


Unter dem Stichwort „Absenkung der Lohnneben-
kosten“ heißt es:

Es ist gelungen, die Rentenbeiträge um 1,2 Prozent-
punkte abzusenken. Dabei dürfen wir nicht stehen
bleiben.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Es müssen alle Anstrengungen unternommen wer-
den, im nächsten Jahr das Ziel der Sozialversiche-
rungsbeiträge von 40 Prozent zu erreichen.

Wenn es so wäre, wäre es schön, liebe Frau Wolf. Ich
glaube aber, Sie verwechseln die Richtung der Entwick-
lung beim Gesamtsozialversicherungsbeitrag. Wir wer-
den nächstes Jahr bei 41,5 oder 41,6 Prozent landen.

Zu den 630-DM-Beschäftigungsverhältnissen schrei-
ben Sie:

Die 630-DM-Beschäftigungsverhältnisse müssen für
Beschäftigte und Arbeitgeber attraktiver werden.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Jawohl! Zustimmung!)


Wie kommt mir das denn vor? Das klingt ja so, als ob wir
dieses Instrument kaputtgemacht hätten. Nein, diese Re-
gierung hat es kaputtgemacht. Wenn man weiter liest
– dazu fehlt leider die Zeit –, merkt man: Ihr ganzes
mittelstandspolitisches Papier, liebe Frau Wolf, ist eine
Anklageschrift gegen die Wirtschafts- und Mittelstands-
politik dieser Bundesregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich wünsche mir, dass dieses Papier, liebe Frau Wolf, zu
großer Berühmtheit kommt.

Ich habe dann in einer Agenturmeldung gelesen – ich
zitiere auch daraus –:

Müllers

– der Wirtschaftsminister ist gemeint –

Sprecherin Regina Wierig erklärte am Montag in
Berlin, bei Wolfs Vorstoß handele es sich um ein per-

sönliches Papier der Staatssekretärin als Grünen-Ab-
geordnete und nicht um ein Papier des Wirtschafts-
ministeriums.

Wenn Sie sich vom eigenen Wirtschaftsminister zurück-
pfeifen lassen würden, dann hätte ich dafür noch Ver-
ständnis. Dass er das aber nicht einmal selber macht, son-
dern eine Sprecherin beauftragt, ist mehr als eine
Beleidigung, die ich mir an Ihrer Stelle nicht gefallen
ließe.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Renate Rennebach [SPD]: Kleinkariert!)


Meine Damen und Herren, die paar Beispiele allein
zeigen schon, dass in der Politik dieser Regierung jegli-
che Mittelstandskomponente fehlt. Der Bundeskanzler,
d
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419808700
Es nützt nichts. Diese Lippenbe-
kenntnisse und Sonntagsreden, die wir heute wieder
gehört haben – auch von Ihnen, Herr Staffelt –, nimmt Ih-
nen niemand mehr ab.

Was vor uns liegt, steht in der Kontinuität dieser bisher
schon falschen Wirtschaftspolitik und Mittelstandspoli-
tik: Erhöhung der Ökosteuer, weitere angekündigte Steu-
erreformschritte, die gerade dem Mittelstand wehtun, die
Abschreibungsbedingungen, die Sie verschlechtert ha-
ben, das Betriebsverfassungsgesetz, das gerade die mit-
telständischen Betriebe – Ihre Argumente haben den Vor-
wurf nicht entkräftet, Frau Wolf – mit Bürokratiekosten
belastet, und – das ist das Allerbeste in Ihrer Pipeline – das
von Ihnen vorgelegte Steuerverkürzungsbekämpfungsge-
setz – es ist schon schwierig, das auszusprechen. Dieses
Gesetz ebnet den Weg für die Rollkommandos der
Finanzämter hinein in die mittelständischen Betriebe
und – noch schlimmer – es stellt alle Mittelständler unter
den Generalverdacht, Steuerhinterzieher zu sein.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Ach, wer macht denn so etwas? Das ist ja wirklich ein Katastrophenszenario der CSU!)


Auch das dürfen wir nicht durchgehen lassen. Das fördert
nicht gerade das Vertrauen in die Regierungspolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren von der Bundesregierung
und der Koalition, Sie kennen leider Gottes nur Unter-
nehmen ab einer bestimmten Größenordnung. Der Bezug
zu kleinen Betrieben fehlt Ihnen. Der Fall Holzmann hat
vor Jahren schon eindrucksvoll bewiesen, dass Ihnen nur
daran liegt, mitbestimmte Großbetriebe unter staatlichen
Schutz zu stellen und den Mittelstand an den Rand zu
drängen. Anders wäre es nicht möglich, dass der Unter-
schied zwischen einem Industriebetrieb wie Holzmann
und einem Mittelständler der ist: Wenn Holzmann Pleite
macht, kommt der Bundeskanzler selbst nach Frankfurt;
wenn das Gleiche einem Mittelständler passiert, dann
kommt der Gerichtsvollzieher. Auch das dürfen wir Ihnen
nicht durchgehen lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wo man bei einer Bundesregierung wenigstens ein
bisschen mittelstandspolitische Seele erwarten würde, ha-

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ben Sie von Rot-Grün von jeher nur Hornhaut gehabt.
Leider Gottes deutet auch alles darauf hin, dass dies so
bleibt.

Wir wollen eine Offensive für den Mittelstand. Die An-
träge, die wir heute vorgelegt haben, beinhalten dies; nicht
zuletzt, weil Mittelstandspolitik auch Arbeitsplatzför-
derung ist. Ein Mittelständler denkt nicht wie derzeit
viele Industrie- und Großbetriebe. Er überlegt nicht: Wie
kann ich Arbeitsplätze abbauen? Vielmehr überlegt er, da
er ein intensives Verhältnis zu seiner Belegschaft hat: Wie
kann ich die Arbeitsplätze in meinem Betrieb erhalten?
Bei einem Mittelständler geht es vielleicht weniger um
den Shareholder-Value. Er überlegt aber: Wie kann ich
meine Belegschaft vergrößern und wie kann ich in meiner
Region, draußen auf dem flachen Land, attraktive
Arbeitsplätze bieten und auch im Niedriglohnsektor den-
jenigen von Nutzen sein, die auf der Straße stehen?

Wir von der CSU haben das Credo unserer Wirt-
schaftspolitik auf folgenden Nenner gebracht: 3 mal 40.
Das heißt, die Staatsquote unter 40 Prozent drücken, den
Spitzensteuersatz unter 40 Prozent drücken und den
Gesamtsozialversicherungsbeitrag unter 40 Prozent
drücken. Mit Rot-Grün werden wir das leider Gottes nicht
erreichen.

Die Bilanz dieser rot-grünen Bundesregierung sieht
auf mittelstands- und wirtschaftspolitischem Gebiet mise-
rabel aus. Man muss sagen, dass alle Ziele und damit das
Klassenziel – ein Vorrücken ist eigentlich nicht möglich –
verfehlt wurden. Sie haben den Arbeitsmarkt verkommen
und verlottern lassen.


(Zurufe von der SPD: Oh!)


Sie haben Reformen vertagt. Wenn Sie jetzt wenigstens
noch etwas anpacken würden! Ihre Haltung ist durch
Feigheit und durch Angst vor dem Wähler geprägt. Des-
wegen ist Ihre Mittelstandspolitik noch nicht einmal ein
Placebo.

Der Bundeskanzler hat in seiner ersten Regierungser-
klärung am 10. November 1998, also fast auf den Tag ge-
nau vor drei Jahren, erklärt:

Vor uns liegen gewaltige Aufgaben. Die Menschen
erwarten, dass eine bessere Politik für Deutschland
gemacht wird. Wir wissen: Ökonomische Leistungs-
fähigkeit ist der Anfang von allem.

Ich sage dazu: Ihre ökonomische Unfähigkeit ist der An-
fang vom Niedergang.


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Wir sind hier doch nicht im Bierzelt!)


Für den Mittelstand ist diese Bundesregierung leider zum
Langzeithärtetest geworden.

Der Mittelstand empfindet die Wirkung Ihrer Wirt-
schafts-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik so wie die Wir-
kung, die die Brandrodung auf den tropischen Regenwald
hat. Mittelständer sagen immer häufiger: Wir halten es un-
ter diesen Rahmenbedingungen nicht mehr aus. Sie er-
kennen mehr und mehr, dass sie verheizt werden und dass
sie als Stimmvieh missbraucht worden sind. Deswegen
gehen wir ganz sicher davon aus, dass Sie bei der nächs-

ten Bundestagswahl für diese Politik vom Mittelstand die
Quittung erhalten werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Träumt weiter! – Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Verhaltener Beifall der Wirtschaftsexperten der CDU/CSU-Fraktion!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419808800
Ich erteile
dem Kollegen Klaus Lennartz für die SPD-Fraktion das
Wort.


(Jörg Tauss [SPD]: Jetzt wird es wenigstens wieder seriös!)



Klaus Lennartz (SPD):
Rede ID: ID1419808900
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Ramsauer,
während Ihrer Rede habe ich Ihren neuen wirt-
schaftspolitischen Sprecher, Herrn Wissmann, beobach-
tet. Ich habe gesehen, wie er kopfschüttelnd den Saal ver-
ließ. Ich kann mir das nur so erklären, dass er mit Ihrer
Rede nicht einverstanden war. Er hat demonstrativ den
Saal verlassen. Ich würde mich an Ihrer Stelle einmal bei
ihm erkundigen, woran das wohl gelegen haben könnte.
Ich habe Verständnis für sein Verhalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Riesenhuber hat nervös an der Fliege gespielt! Das habe ich genau beobachtet! – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Ich habe eine Frage an Sie, Herr Kollege Ramsauer. Sie
haben eben vom Mittelstand gesprochen. Sie haben Zah-
len genannt, die zeigen, dass 46 Prozent aller Bruttoinves-
titionen durch den Mittelstand geleistet werden, dass der
Mittelstand 70 Prozent aller Ausbildungsplätze und
80 Prozent aller Arbeitsplätze stellt. Sind Ihnen diese Zah-
len erst seit den Jahren 1998/99 bekannt geworden oder
gab es diese Zahlen schon vorher? Warum haben Sie Ihre
Politik nicht an diesen Zahlen ausgerichtet, Herr Kollege
Ramsauer? Sie machen in Verbalradikalismus. Dabei hat-
ten Sie 16 Jahre lang Zeit, praktische Politik zu machen.
Warum haben Sie das nicht getan?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Peter Ramsauer [CDU/ CSU]: Da haben Sie auf den Oppositionsbänken geschlafen!)


Wenn Sie in dieser Frage mit dem Finger auf uns zeigen,
dann zeigen vier Finger auf Sie zurück, Herr Kollege.

Wenn es um den Mittelstand geht, dann verfährt die
Opposition gerne nach dem Ballonprinzip:


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Genau!)

Es gibt viel heiße Luft für den Auftrieb. Aber bei der ers-
ten Berührung mit der Realität des Machbaren platzt der
Ballon. Zurück bleibt nur heiße Luft und Sie fallen auf
den Boden der Tatsachen zurück.

Bundeskanzler Gerhard Schröder hat vor drei Wochen
Basel II öffentlich als nicht akzeptabel für unseren Mit-
telstand bezeichnet


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Sehr spät!)


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und offenen Widerstand dieser Regierung bei der EU an-
gekündigt. Wo waren Sie eigentlich?


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Wo waren Sie? Wer hat sich dazu geäußert? Wo war Frau
Merkel? Wo war Herr Merz? Wo war Herr Stoiber? Wo
war Herr Schäuble? Wo waren Sie? Waren Sie noch in der
Unterhaltung darüber, wer etwas sagen darf? Gab es
Kompetenzgerangel um die Frage: Wer darf diese Posi-
tion des Kanzlers unterstützen? – Das war Politik für den
Mittelstand. Ich hätte gern von Ihnen ein klares Wort
gehört, dass Sie in diesen den Mittelstand betreffenden
Grundsatzfragen die Position der Bundesregierung un-
mittelbar unterstützen würden. Sendepause bei Ihnen!
Das ist Ihre Politik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ihre Blaupausenpolitik ist schon Makulatur, bevor sie die
Werkstatt erreicht. Das macht Sie, meine Damen und Her-
ren von der Opposition, bei den Menschen nicht gerade
glaubwürdig.

Sie haben in Ihrer 16-jährigen Regierungszeit mehr
Probleme als Lösungen hinterlassen; das kann man Ihnen
nicht oft genug sagen. Sie befinden sich in einem psy-
chologischen Verdrängungsprozess. 1 500 Milliarden DM
Schulden haben Sie in dieser Republik hinterlassen. Fast
5 Millionen Menschen haben Sie in die Arbeitslosigkeit
getrieben. Wir hatten die höchste Steuer- und Abgaben-
last, meine Damen und Herren. Das ist Ihre Politik.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Blick nach vorn! Immer gucken, was jetzt zu tun ist! Sie regieren, um zu handeln!)


– Lieber Herr Kollege, der Sie hier als ehemaliger Staats-
sekretär sprechen: Ich habe Verständnis dafür, dass man
versucht, seine positiven Ergebnisse darzustellen. Aber es
gehört auch ein Stück Redlichkeit dazu, selbstkritisch zu
sein und Fehler, die man gemacht hat, einzugestehen. Sie
haben mit Ihrer Regierung Fehler genug gemacht.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie gucken immer zurück, Herr Lennartz! Das ist das Problem!)


– Nein, wir schauen nach vorn. Wir kommen noch dazu,
keine Sorge. – Wir müssen diese Fehler Schritt für Schritt
abbauen, das heißt, wir müssen unseren Konsolidie-
rungskurs beibehalten. Falls Sie es nicht verstehen: Das
heißt Ordnung schaffen bei dem, was Sie uns hinterlassen
haben.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Oh!)

Das ist eine Herkulesarbeit, die von uns durchgeführt wer-
den muss. Das ist kein einfacher Weg, aber wir gehen ihn
konsequent und zielorientiert.

Meine Damen und Herren, die Wiedergewinnung der
Zukunftsfähigkeit in Deutschland erfordert Verantwor-
tung, auch und gerade über den Tag hinaus. Deshalb sind
die Reformvorhaben dieser Bundesregierung als langfris-
tige Prozesse angelegt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Da geht Ihnen aber anscheinend zwischendurch die Luft aus!)


Wir gehen einen geraden Weg, auch wenn er manchmal
steil ist. Zukunftsinvestitionen statt Zinszahlungen, Zu-
kunftsinvestitionen statt Neuverschuldung – das sind die
Wege, die wir gehen.


(Beifall bei der SPD)


Durch unsere Steuerpolitik werden Bürger und Wirt-
schaft, Handwerk, Handel und Gewerbe im Jahr 2005 im
Vergleich zu 1998 um rund 93 Milliarden DM entlastet,


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Privathaushalte um rund 68 Milliarden DM, und über
30 Milliarden DM geben wir zugunsten des Mittelstandes.


(Rainer Brüderle [FDP]: Sie haben es mit der Ökosteuer kaputtgemacht!)


– Ich sage Ihnen ganz offen: 30 Milliarden Mittelstands-
entlastung. Herr Brüderle, haben Sie diese Zahlen irgend-
wann in Ihren letzten Regierungsjahren aufweisen kön-
nen? Sie haben davon gesprochen, aber nicht gehandelt.
Reden ersetzt nicht das Handeln, auch bei Ihnen nicht.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Wenn das die Leute erfahren!)


Meine Damen und Herren von der Opposition, wir ha-
ben Steuersenkungen nicht auf Pump durchgeführt, so
wie Sie es gemacht haben.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Der glaubt noch, was er sagt!)


Unsere Steuersenkungen sind lang erwartete Entlastun-
gen, die im Mittelstand bestehende Arbeitsplätze sichern
und neue schaffen. Wir handeln und schaffen günstige
und verlässliche Rahmenbedingungen, die Mittelstand,
Handwerk, Handel und Gewerbe helfen. Beispielhaft
nenne ich den Eingangssteuersatz, der von 25,9 Prozent
im Jahre 1996 auf den historischen Tiefstand von 15 Pro-
zent im Jahr 2005 sinkt. Das hätten Sie ebenfalls machen
können. Die Steuerquote sinkt bereits 2001 auf den his-
torischen Tiefstand von 21,5 Prozent. Kennen Sie eigent-
lich noch Ihre Zahlen, Herr Ramsauer? Oder ist das
auch wieder ein psychologischer Verdrängungsprozess?
24 Prozent Steuerquote, das waren Ihre Zahlen.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Und wer hat sich bei unserer Steuerreform quer gelegt?)


Der Spitzensteuersatz sinkt von 53 Prozent im Jahre 1998
auf 42 Prozent im Jahr 2005. Das ist der niedrigste Spit-
zensteuersatz seit Bestehen der Bundesrepublik Deutsch-
land.

Durch unsere Steuerreform stehen sich rund 90 bis
95 Prozent aller persönlich haftenden Einzel- und Perso-
nenunternehmer besser als Kapitalgesellschaften. Denn
um die Steuerbelastung einer Kapitalgesellschaft zu errei-
chen, müsste ein verheirateter Unternehmer im Jahr 2005
ein Einkommen von rund 480 000 DM erzielen, ein ledi-
ger ein Einkommen von fast 250 000 DM.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu versteuerndes Einkommen!)


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Jetzt kommen wir einmal zur Realität: Fast 80 Prozent
– genau gesagt: 78 Prozent – aller unserer Unternehmer
verdienen nur circa 100 000 DM im Jahr. Das heißt kon-
kret, also in der Realität: Das, was wir durchführen, be-
deutet Entlastung.

Herr Ramsauer, ich lese Ihnen einmal aus der Druck-
sache 14/5551 einen Satz vor, den Sie als Begründung
eingefügt haben. Sie schreiben:

Umfragen haben ergeben, dass viele mittelständische
Unternehmen, welche mit einem Einkommensteuer-
spitzensatz von bis zu 48,5 Prozent belastet werden,
vor dem Hintergrund des niedrigen Körperschaft-
steuersatzes von 25 Prozent und der Steuerbefreiung
bei Veräußerungsgewinnen beim Verkauf von Betei-
ligungen in die Rechtsform der Kapitalgesellschaft
„flüchten“.

Hören Sie mal: Mit welchen Attributen soll ich diesen
Satz belegen? – Unkenntnis? Lüge? Hirngespinst? Ver-
gessen Sie einfach, Herr Kollege, dass zu dieser Körper-
schaftsteuer auch noch die Gewerbesteuer addiert werden
muss?


(Zuruf von der CDU/CSU: Vielleicht lesen Sie einfach mal Seite 2!)


Denn dann kämen Sie auf ungefähr 39,6 Prozent. Wir ha-
ben den Spitzensteuersatz auf 42 Prozent gesenkt. Wenn
Sie dann noch die Grundfreibeträge einrechnen, sehen
Sie, dass wir für die Personengesellschaften mehr getan
haben, als Sie jemals auch nur zu tun gedacht haben. Aber
damit müssen Sie sich selber auseinander setzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419809000
Herr Kol-
lege Lennartz, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Ramsauer?


Klaus Lennartz (SPD):
Rede ID: ID1419809100
Ja, gerne.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419809200
Herr Kol-
lege Ramsauer, bitte.


Dr. Peter Ramsauer (CSU):
Rede ID: ID1419809300
Herr Kollege
Lennartz, sind Sie wenigstens bereit einzugestehen, dass
Sie eine wesentlich umfangreichere Steuerreform für
den Mittelstand, die Wirtschaft und die Bürger auch noch
wesentlich früher hätten haben können,


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Drei Jahre früher!)


wenn Sie nicht vor 1998 zwei fertige Steuerreformen
mit einer unverantwortlichen Obstruktionspolitik à la
Lafontaine verhindert hätten?

Sie stellen sich hierher und tun so, als hätten Sie das
steuerpolitische Rad neu erfunden. Unter dem Finanz-
minister Theo Waigel haben wir unsere Steuerreformen
durchgeführt. Aber Sie haben sie im Bundesrat mit einer
roten Mehrheit kaputtgemacht. Deswegen ist das, was Sie

machen, Heuchelei. Sind Sie wenigstens bereit zuzu-
gestehen, dass Sie im Bundesrat ein paar Mal alles ka-
puttgemacht haben?


(Zuruf von der FDP: Da hat er Recht, Herr Lennartz!)



Klaus Lennartz (SPD):
Rede ID: ID1419809400
Herr Kollege, Sie hatten zu
einer Zwischenfrage angesetzt und sind zu einem um-
fangreichen Wortbeitrag gekommen.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Ich erspare Ihnen lieber eine Kurzintervention! Denn die fällt schlimmer für Sie aus!)


– Ein bisschen Contenance muss noch sein. Hören Sie
sich lieber meine Antwort an. Ich habe mir Ihre Frage ja
auch angehört. Man sollte schon die mitteleuropäischen
Gepflogenheiten einhalten.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Allergnädigst, Ihro Gnaden!)


Herr Ramsauer, was haben wir denn verhindert? Herr
Kollege Spiller hat Ihnen von diesem Pult aus doch schon
mehrfach gesagt, dass wir Ihrer Steuerreform damals
natürlich nicht zustimmen konnten. Denn Sie hatten nur
die Großunternehmen im Fokus. Nur, wir wollten den
Mittelstand entlasten, wie wir es auch getan haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist der entscheidende Punkt. Wir haben das Gröbste
im Interesse des Mittelstandes verhindert. Genau das, was
Oskar Lafontaine und wir alle damals zugesagt haben, set-
zen wir jetzt durch diesen Gesetzentwurf um.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: 15 bis 35 Prozent Steuersatz! Dann sind die Mittelständler dran!)


– Frau Kollegin, darauf komme ich noch einmal zurück.

Herr Ramsauer, ich gehe noch auf Ihre Frage ein. Wenn
Sie schon eine Frage stellen, dann müssen Sie auch meine
Antwort ertragen. Ich frage Sie: Wo sind Ihre Vorlagen,
aus denen hervorgeht, dass Sie den Steuersatz auf 42 Pro-
zent und den Eingangssteuersatz auf 15 Prozent senken
wollen? Wo sind sie? Ich habe das nirgendwo gelesen.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Dann haben Sie es vergessen! Es gibt drei Vorlagen! Da steht alles drin!)


Herr Ramsauer, ich war immer noch bei Ihnen. Aber
ich entlasse Sie jetzt. Ich kann mir vorstellen, dass Sie un-
ter der Bürde dieser Worte zusammenbrechen. Dafür habe
ich Verständnis.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Unter-
nehmer, von denen ich sprach, sparen im Vergleich zu
1998 im Jahre 2005 rund 25 Prozent ihrer Steuerbe-
lastung. Die von der Opposition häufig vorgebrachten Be-
hauptungen, dass unsere Steuerreform eine Benachtei-
ligung des persönlich haftenden Mittelständlers zur Folge
hätte, sind mit den Zahlen, die ich eben vorgetragen habe,

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eindrucksvoll widerlegt. Ich sage Ihnen: Das Gegenteil ist
der Fall.

Herr Kollege Spiller, Ihnen gebührt ein ausdrücklicher
Dank von uns allen. Denn gestern haben wir im Finanz-
ausschuss die Fortentwicklung des Unternehmensteu-
errechtes verabschiedet. Ich bin Herrn Philipp, dem Prä-
sidenten des Zentralverbands des Deutschen Handwerks,
der dies sehr gelobt hat, äußerst dankbar. Sie wissen ja
selbst, Herr Spiller, wie schwer es war, bestimmte Punkte
noch einzubringen. Deshalb verstehe ich es nicht, wenn
Sie von Union und FDP die erreichten Erleichterungen
beispielsweise hinsichtlich der Umwandlung und Um-
strukturierung von Personenunternehmen mit Wirkung
zum 1. Januar 2002 oder hinsichtlich der Reinvestition
von Erlösen aus der Veräußerung von Beteiligungen an
Kapitalgesellschaften, die gegenüber dem Regierungsent-
wurf auch dank Ihrer Mithilfe erweitert wird, schlecht re-
den.

Glauben Sie nicht, dass Frau Staatssekretärin Wolf
ebenso wie wir beim reinvestierten Gewinn einen Betrag
von 1 Million oder 300 000 Euro lieber gesehen hätte als
die jetzt festgelegten 50 000 Euro?


(Zuruf von der CDU/CSU: Ergebnisse zählen!)


Meine Damen und Herren, akzeptieren Sie doch bitte,
dass dieses Gesetz ein Anfang war. Wir hätten noch mehr
getan, wenn Sie uns nicht eine solche Verschuldung hin-
terlassen hätten. Sie müssen doch die Kausalität sehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich sage in diesem Hause sehr offen: Das war hinsichtlich
der reinvestierten Gewinne der Einstieg. Da wir die
Regierung im Jahr 2002 wiederum stellen werden – es
kommt kein Einspruch von Ihnen; ich bedanke mich –,
werden wir diese Bemühungen fortsetzen,


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie sollten Valium nehmen! Das wäre besser!)


sodass wir dann auch die nächsten Schritte auf diesem
Gebiet realisieren können.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419809500
Herr Kol-
lege Lennartz, kommen Sie bitte zum Schluss.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das ist ein guter Vorschlag!)



Klaus Lennartz (SPD):
Rede ID: ID1419809600
Herr Präsident, ich werde
Ihren Worten aufmerksam folgen.

Meine Damen und Herren, um Ihnen die gestern be-
schlossene Zahl noch nachzuliefern: Zu den 30 Milli-
arden DM, um die wir bereits entlastet haben, kommt eine
zusätzliche Entlastung von circa 450 Millionen DM
hinzu. Mit dieser deutlichen Entlastung haben wir finan-
zielle Freiräume geschaffen.

Herr Präsident, gestatten Sie mir noch zwei Bemer-
kungen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419809700
Nein, ich
kann Ihnen leider keine Bemerkungen mehr gestatten.


Klaus Lennartz (SPD):
Rede ID: ID1419809800
Dann nur noch eine Bemer-
kung.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419809900
Sie haben
Ihre Redezeit schon um zwei Minuten überschritten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Hinsetzen!)


Bitte, Herr Kollege Lennartz, kommen Sie zum
Schluss.


Klaus Lennartz (SPD):
Rede ID: ID1419810000
Meine Damen und Herren,
durch diese Politik – dies nur noch als letzte Bemerkung –
und die Freiräume, die wir dadurch geschaffen haben, ist
die Zahl der Patentanmeldungen in der Bundesrepublik
auf rund 110 000 angestiegen. Wir wissen, dass wir nur
drei Ressourcen haben: Braunkohle, Steinkohle und Salz.
Die wichtigste Ressource ist unser Wissen. In diese Res-
source investieren wir. Die Mittel für diese Investition
werden durch unsere Steuerreform freigesetzt.

Ich bedanke mich bei Ihnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419810100
Als
nächster Redner hat der Kollege Hartmut Schauerte von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1419810200
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr
Kollege Lennartz, ich habe mir gerade vorgestellt, ein
Mittelständler hätte Sie hier reden hören. Ihm wäre durch
den Kopf gegangen: Uns brennt der Dachstuhl, unsere
Sorgen sind enorm, und hier wird von einem Charakter-
darsteller – ich will nicht beschreiben, welcher Art von
Charakter – ein Schauspiel in theatralischen Einzel-
stückchen vorgeführt, das mit der Wirklichkeit nichts,
aber auch gar nichts zu tun hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


So sollten wir mit dem Thema nicht umgehen.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Diese Variante parlamentarischen Lebens kennen Sie ja gar nicht, Herr Schauerte, nicht wahr?)


Wir stehen am Beginn einer schweren Rezession. Sie
wird heftiger sein, als wir im Moment sagen und be-
schreiben wollen, denn auch wir wollen nicht unnötig
Angst verbreiten.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Also, Entschuldigung, das stimmt doch nicht! Jetzt gehen die Übertreibungen schon wieder los!)


Man könnte auf Angstmacherei und die Beschreibung ei-
ner schlimmen Wirklichkeit ein Stück weit verzichten,
wenn wir den Eindruck haben könnten, dass die Sozial-

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demokraten und die Regierung das Problem genauso ernst
nehmen, wie es das verdient. Wenn man aber den Ein-
druck hat, dass sie diese Tatsache eher als fast normal und
unausweichlich ansehen, dann muss man den Druck er-
höhen und beschreiben, was denn droht; sonst kommt
man nicht weiter.

Ich will jetzt überhaupt nicht streiten, ob wir mit unse-
ren Vorschlägen oder Sie mit Ihren Vorschlägen Recht
haben. Es ist aber immer wichtig, zunächst einmal den
Tatbestand zu verdeutlichen. Wir können feststellen: In-
folge dessen, was Sie in den letzten drei Jahren beschlos-
sen haben, gibt es einen konkreten, jetzt messbaren Be-
fund, der sich bei der Arbeitslosigkeit zeigt. Sie liegt
heute um 160 000 Personen niedriger als im Okto-
ber 1998. Die Arbeitslosigkeit ist also in drei Jahren um
160 000 gesunken. Ich will gar nicht die Versprechungen
des Bundeskanzlers in Erinnerung rufen, der noch im
Frühjahr von 3 oder 3,5 Millionen Arbeitslosen sprach. Im
Moment steigt diese Zahl.

Dieser Rückgang der Arbeitslosigkeit um 160 000 be-
deutet, dass sie im Jahr um durchschnittlich etwa 50 000
abgebaut wurde, obwohl altersbedingt 200 000 Arbeit-
nehmer mehr ausgeschieden als nachgewachsen sind.
Wenn Sie in dem Tempo weitermachen – Sie wollen ja
Ihren Kurs, den Sie als richtig beschreiben, fortsetzen –,
werden Sie 15 Jahre brauchen, um auf die 3 Millionen zu
kommen, die der Kanzler als Ziel am Ende dieser
Legislaturperiode im nächsten Jahr noch für richtig ge-
halten hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das kann Sie doch nicht zufrieden stellen! Das ist eine
Situation, die Ihnen Angst machen muss.

Das Wirtschaftswachstum ist an keiner Stelle zufrie-
den stellend und macht auch uns nicht froh. Wir können
zwar sagen, dass dort, wo die CDU in Deutschland regiert,
die Wachstumsraten doppelt so hoch sind wie dort, wo die
SPD regiert; aber das macht uns nicht froh, denn Sie re-
gieren in vielen Gegenden. Deswegen ist das Wachstum
unter jedem akzeptablen Niveau. Es gilt leider die Aus-
sage: Je röter eine Regierung, desto schlechter sind die
Wachstumsraten,


(Lachen des Abg. Klaus Lennartz [SPD])


im Osten wie im Westen unseres Vaterlandes. Das können
Sie nicht wegdefinieren.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Richtig!)


Baden-Württemberg hat eine halb so hohe Arbeitslo-
sigkeit wie Nordrhein-Westfalen und ein doppelt so hohes
Wirtschaftswachstum wie Nordrhein-Westfalen, und die
halb so hohe Arbeitslosigkeit in Baden-Württemberg
nimmt doppelt so schnell ab wie in Nordrhein-Westfalen.
Nordrhein-Westfalen hat 18 Millionen Einwohner. Das
sind 3 Millionen Einwohner mehr, als alle neuen Länder
zusammen haben – das als kleinen Einwurf zur Begrün-
dung, warum wir in Deutschland nicht vom Fleck kom-
men. Da können Sie doch nicht sagen: Alles, was wir ge-
macht haben, ist gut, wir sind sehr zufrieden, die Dinge
laufen, worüber regen sich die Leute eigentlich auf?

Ich könnte Ihnen das mit Prozentzahlen belegen. In
Nordrhein-Westfalen droht jetzt ein Nullwachstum in der
Wirtschaft. So schreibt es Herr Klemmer vom RWI-Insti-
tut, ein durchaus angesehener Mann.

Was erzählen Sie denn hier, Herr Lennartz, über die
Steuerquote und die Abgabenquote? Die Abgabenquote
in Deutschland betrug im Oktober 1998 42,3 Prozent. Bis
Februar 2001 – eine andere Zahl haben wir nicht – ist sie
auf 43 Prozent gestiegen. Die volkswirtschaftliche Steu-
erquote lag am Ende unserer Regierungszeit bei 22 Pro-
zent. Heute liegt sie bei 23,1 Prozent. Das heißt, die Ab-
gaben und die Steuern sind gestiegen. Jetzt können Sie
sagen, Sie hätten doch alles Mögliche gemacht. In Ord-
nung, aber das Ergebnis ist eher schlechter denn besser
geworden und das kann uns doch nicht zufrieden stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Mich interessiert eine Fragestellung vor dem Hinter-

grund der Diskussion über den Terroranschlag. Wir haben
auf diesen Anschlag in Bezug auf die Sicherheitspolitik
umfassend reagiert, konsequent und weitgehend überein-
stimmend. Sie hatten dabei eine ausgesprochen verant-
wortungsvolle Opposition. Eine solche Opposition hätten
wir uns in den zurückliegenden Jahren in der einen oder
anderen Fragestellung wirklich gewünscht.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Richtig! – Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Das ist sehr wahr!)


Aber das tun wir aus eigenem Antrieb. Wir haben in al-
lem, was die Sicherheit betrifft, so grundlegend reagiert,
Frau Scheel, dass zum Beispiel die eigentlich eingetra-
genen Pazifisten mittlerweile Ja zum Kriegseinsatz sagen.
So viel ist in unseren Köpfen angesichts einer konkreten
Bedrohung verändert worden.

Wir haben jetzt eine Bedrohung durch den Abschwung,
durch die Rezession, die unsere Menschen existenziell er-
fassen wird, möglicherweise mehr als der Terroranschlag;
denn da geht es wirklich um ihre tägliche Situation. Aber
Sie sind nicht bereit, darüber nachzudenken, ob Sie etwas
ändern müssen, sondern Sie sagen: Wir haben doch alles
richtig gemacht, was regt ihr euch denn eigentlich auf? –
Ich will unsere Vorschläge gar nicht einzeln einbringen
und sagen, das und das müsst ihr tun, sondern nur fest-
stellen: Die Situation ist atemberaubend schlecht und wir
können nicht einfach so weitermachen. Wir warten auf
Vorschläge, wo Sie etwas ändern wollen. Sonst müssen
Sie sich gefallen lassen, dass wir sagen: Sie sind mit der
Situation so zufrieden, dass Sie meinen, dass alles so blei-
ben kann, wie es ist. Das kann doch wohl nicht wahr sein.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben gestern drei Gesetze verabschiedet!)


– Aber die Ergebnisse, die ich benannt habe, sind doch zu-
treffend beschrieben und Sie beschleunigen sie eher in die
negative Richtung! Aber Sie erklären hier: Was habt ihr
eigentlich? Greift uns nicht an!

Wir haben Maßnahmen über Maßnahmen vorgeschla-
gen. Jede einzelne wurde abgelehnt und von Ihnen kommt
fast nichts, und das vor einem Hintergrund, der wirklich
bedrückend ist. Die einzige Reaktion auf den Terroran-
schlag, die Sie weltweit als Erster und Einziger praktiziert

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Hartmut Schauerte

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haben, war eine Steuererhöhung – das hilft. Sie erhöhen
die Steuern insgesamt: die Versicherungsteuer um 2 Mil-
liarden DM, die Tabaksteuer um 4 Milliarden DM, die
nächste Stufe der Ökosteuer bedeutet eine Erhöhung um
7 Milliarden DM. Das macht insgesamt 13 Milliar-
den DM. Allein mit diesen Maßnahmen zerstören Sie die
Konsumpotenziale im kommenden Jahr um 0,8 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts. Das ist Ihre Methode. Ich ga-
rantiere Ihnen: Die Dinge werden noch viel schlimmer,
wenn Sie nicht umsteuern, auch im Sinne des Mittelstan-
des.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Das wünschen Sie ja!)


Dass Sie umsteuern, wollten wir mit dieser Debatte errei-
chen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


3,3 Millionen Mittelständler werden keine Menschen
mehr einstellen, wenn sie Angst haben. Ihre Politik macht
ihnen mittlerweile Angst.


(Widerspruch bei der SPD)


– Ja, was denn sonst?


(Zuruf von der SPD: Sie machen den Menschen Angst!)


Alles andere ist doch dummes Zeug. Herr Philipp, der ein
enger Freund von mir ist, hat Ihnen geschrieben, dass er
dankbar dafür ist, dass Sie einen eigenen Fehler korrigie-
ren. Sie können doch aber nicht erwarten, dass Sie dafür
besonders gelobt werden. Es ist die Korrektur Ihrer Feh-
ler, für die er sich bei Ihnen bedankt. Es ist ein Dank dafür,
dass Sie im Ansatz vernünftig geworden sind und von un-
vernünftigem Tun ablassen. Nun loben Sie sich doch nicht
für einen solchen selbstverständlichen Vorgang!

Gehen Sie in den Mittelstand hinein, dann werden Sie
feststellen: Er hat Angst. Er stellt nicht ein, sondern er ent-
lässt. Im Handwerk drohen 200 000 zusätzliche Arbeits-
lose. Das ist die Wirklichkeit. Die Verantwortung dafür
können Sie nicht auf die damalige Regierung oder die
Verschuldung schieben; das ist auf Ihre dreijährige Re-
gierungskunst zurückzuführen. Sie aber ändern nichts.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419810300
Herr Kol-
lege Schauerte, kommen Sie bitte zum Schluss.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1419810400
Einen Schlussge-
danken möchte ich noch äußern. Jeden Tag gehen mehr
als 150 Unternehmen Konkurs. Jeden Tag verlieren dabei
mehr als 1 500 Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz. Es brennt
unter dem Dachstuhl. Sie aber sitzen hier, verteidigen Ihre
Linie und sagen: Wir haben nichts zu tun. – Tun Sie end-
lich etwas und werden Sie den Menschen mit ihren Sor-
gen gerecht. Es ist höchste Zeit, ernsthaft Korrekturen
vorzunehmen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419810500
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Simone Violka von der
SPD-Fraktion das Wort.


Simone Violka (SPD):
Rede ID: ID1419810600
Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Ramsauer, ich
habe die ersten beiden Seiten meiner vorbereiteten Rede
beiseite gelegt, weil ich zu Ihnen noch etwas sagen
möchte.

Was die Wirtschaftskompetenz anbelangt, so empfehle
ich Ihnen, einfach einmal die Biografien in den Hand-
büchern zu lesen. Sie werden in allen Reihen einige Leute
finden, die über Wirtschaftskompetenz verfügen.

Ich kann Ihnen einiges von wirtschaftskompetenten
Leuten erzählen, die noch vor der Regierungsübernahme
mit wehendem Mantel in die Betriebe gekommen sind
und als Erstes gefragt haben, wie groß denn ihr Dienst-
wagen sei, und erst als Zweites gefragt haben, was die
Firma überhaupt herstellt.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das haut uns um! – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Auf welchem Niveau diskutieren wir denn? – Weitere Zurufe)


– Das kann ich Ihnen sagen.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Diese Leute sollen vornehmlich aus dem Sauerland gekommen sein!)


Die Leute hatten – das muss ich Ihnen leider sagen – auch
Ihren Dialekt. Aber der Generalverdacht kam vorher von
einer anderen Seite. Die Kompetenz habe ich am eigenen
Leib erlebt. Ich habe auch erlebt, dass sich Leute plötzlich
Wirtschaftskompetenz holen mussten, um zu überleben.
Gucken Sie einmal in die Bücher hinein; da werden Sie si-
cherlich einige Biografien dazu finden.

Was das Thema Holzmann angeht, so fragen Sie doch
einmal nach, wie viele kleine Mittelständler bei Holz-
mann drangehangen haben. Glauben Sie vielleicht, ein
einziger von den Parkettlegern oder Fensterbauern hätte
eine müde Mark gesehen? Denken Sie vielleicht, die Ban-
ken hätten auf ihren Anteil an der ganzen Sache verzich-
tet? Sie sind die Ersten. Die Banken kriegen bei einem
Konkurs immer die großen Brocken – das wissen Sie ganz
genau – und für die kleinen Mittelständler bleibt über-
haupt nichts mehr übrig. Das müssten Sie eigentlich wis-
sen, wenn Sie für sich Wirtschaftskompetenz in Anspruch
nehmen.

Gehen Sie einmal durch das gesamte Land und fragen
Sie, wie viele Mittelständler – im Osten wie im Westen –
drangehangen haben, die heilfroh waren, dass es diese Fi-
nanzspritze gab, weil sie dadurch die Möglichkeit hatten,
ihr Geld zu bekommen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Wir haben den Eingangssteuersatz bis zur letzten Stufe
um 11 Prozent gesenkt. Davon profitieren vor allem
kleine und mittlere Einkommen und natürlich auch viele
kleine, weniger ertragsstarke Unternehmen und Familien-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Hartmut Schauerte

19352


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betriebe. Dazu kommt noch die Entlastung durch die
pauschalierte Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Ein-
kommensteuerschuld. Die Abschaffung der Gewerbe-
steuer ist eine Forderung vieler Mittelständler. Aber das
ist nicht machbar – das wissen Sie ganz genau –, weil
dann auch die Städte und Gemeinden laut schreien. Durch
die pauschalierte Anrechnung werden die Mittelständler
jedoch zumindest entlastet.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 10 Milliarden DM!)


Wichtig für den Mittelstand ist auch die Absicherung
im Alter. Häufig ist die Betriebsveräußerung ein elemen-
tarer Bestandteil. In diesem Fall wurde der Steuerfreibe-
trag von 60 000 DM auf 100 000 DM erhöht. Es sind also
40 000 DM mehr steuerfrei.

Außerdem wird alternativ zur Fünftelungsregelung
einmal im Leben der halbe Steuersatz gewährt. Diese
Regelung gilt ab dem Veranlagungszeitraum 2001 für Un-
ternehmer mit Vollendung des 55. Lebensjahres, bei dau-
ernder Berufsunfähigkeit auch früher. Somit können aus-
scheidende Unternehmer Gewinne aus Veräußerung und
Aufgabe von landwirtschaftlichen, gewerblichen und
freiberuflichen Betrieben und Mitunternehmeranteilen
mit dem halben durchschnittlichen Steuersatz besteuern
lassen. Dies geschieht noch unter Berücksichtigung des
Freibetrags von 100 000 DM.

Neuerdings behauptet die CDU/CSU auch noch, es
gebe bei der Aufgabe von Gewerbebetrieben eine Ver-
schärfung; Teile des Mitunternehmeranteils seien nicht
mehr steuerbegünstigt. Richtig ist, dass diese Änderung
lediglich eine Verwaltungsanweisung ausräumt, für die es
nie eine Rechtsgrundlage gab. Das betrifft aber nicht den
Bäckermeister oder den Fliesenleger, der seinen Betrieb
an den Sohn oder an die Tochter übergibt, sondern eher
den Rechtsanwalt, der sich nicht sofort total aus seiner
Kanzlei zurückziehen will und daher nur Anteile aufgibt,
sich also nur stückchenweise zurückzieht. Wenn er sich
dann endgültig aus dieser Kanzlei zurückzieht und auch
all die stillen Reserven aufgedeckt werden, stehen natür-
lich auch ihm alle Steuervergünstigungen zur Verfügung.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Tat-
sache, dass die CDU/CSU-Fraktion gestern im Ausschuss
keinen Änderungsantrag zu genau diesem Punkt einge-
bracht hat. Da kam nichts!


(Zuruf von der SPD: Woher auch?)


Dann kommen wir noch einmal zu dem aufflackernden
und immer wieder unterstellten Vorwurf der Opposition,
der Mittelstand würde gegenüber den Kapitalgesellschaf-
ten immens benachteiligt. Das ist schlicht und einfach
falsch. Herr Lennartz hat es Ihnen doch vorhin vor-
gerechnet. In der letzten Stufe müsste ein verheirateter
Einzelunternehmer ein zu versteuerndes Einkommen
von 480 000 DM haben und ein Lediger eines von
250 000 DM. Erst dann hätte er den gleichen Steuersatz
wie eine Körperschaft, nämlich 38,6 Prozent.

Jetzt verraten Sie mir doch bitte mal, welcher Mittel-
ständler so einen Gewinn hat. Das ist ja kein Jahresum-

satz, das ist Gewinn. Herr Hinsken, wie viele Ihrer Kolle-
gen im Konditoreigewerbe haben denn solche Gewinne
im Jahr?


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Genau!)


Fragen Sie doch einmal! Ich kenne viele Mittelständler,
die wären heilfroh, wenn sie nur die Hälfte davon hätten.
Schauen Sie doch einmal in die Einkommensteuerstatistik
hinein. 95 Prozent der Steuerpflichtigen mit gewerblicher
Tätigkeit machen Einkünfte unter 250 000 DM geltend
und 78 Prozent sogar unter 100 000 DM. Das heißt, Sie
vertreten an dieser Stelle den Mittelstand, allerdings nur
in Größenordnungen von 5 Prozent. Dann sagen Sie doch
aber auch den Mittelständlern vor Ort, dass Sie hier nur
5 Prozent der Mittelständler vertreten wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir brauchen alle den Mittelstand. Es ist Aufgabe von
allen, diesen Mittelstand auch in Land und Kommune zu
unterstützen, so weit es geht. Wenn Sie jetzt auch noch
einwerfen, dann senkt doch die Steuern für den Mittel-
stand weiter, dann muss ich leider auf den Konsolidie-
rungskurs verweisen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Eine Ausrede findet sich immer!)


– Wenn wir so mit Geld umgehen würden wie Sie, hätten
wir wahrscheinlich in ein paar Jahren noch ein paar Mil-
lionen oder Milliarden Schulden mehr.


(Beifall bei der SPD – Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Euro!)


Aber die Steuerreform steht nicht auf tönernen Füßen,
sondern sie ist real kalkuliert und da ist für Steuersenkun-
gen kein Spielraum mehr. Weitere Schritte würden die
Konsolidierung gefährden. Das würde bedeuten: keine
Absenkung der Staatsverschuldung, keine Absenkung der
Zinsausgaben und keine größer werdenden Ausgaben-
spielräume in Zukunft.

Es gibt aber nicht nur eine zukünftige Generation, die
mit dem Bundesetat zurecht kommen muss, es gibt auch
eine zukünftige Generation der Mittelständler, die entwe-
der den Familienbetrieb weiterführen oder auch neue
Unternehmen gründen. Diese zukünftigen Unternehmer-
generationen brauchen auch dann existenzfördernde Rah-
menbedingungen. Die können nur gewährt werden, wenn
wir jetzt mit der Haushaltskonsolidierung den Grundstein
dafür legen. Daher werden wir nicht vom Kurs abweichen
und diesen Weg auch weitergehen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419810700
Ich
schließe die Aussprache.

Zu Tagesordnungspunkt 5 a: Interfraktionell wird
die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksa-
che 14/6633 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vor-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Simone Violka

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schläge? – Das ist nicht der Fall; dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 5 b: Wir kommen zur Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie auf Drucksache 14/6094 zu dem Antrag der Fraktion
der CDU/CSU mit dem Titel „Chancen des Mittelstandes
in der globalisierten Wirtschaft stärken“.

Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksa-
che 14/5545 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer ist dagegen? – Wer enthält
sich? – Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die
Stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen.

Tagesordnungspunkt 5 c: Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksa-
che 14/6687. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/5551 zur steu-
erlichen Gleichstellung des Mittelstandes abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP.

Weiterhin empfiehlt der Finanzausschuss die Ablehnung
des Antrages der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/5962
mit dem Titel „Steuerliche Benachteiligung des Mittel-
stands beseitigen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den gleichen Mehrheitsver-
hältnissen angenommen.

Tagesordnungspunkt 5 d: Wir kommen jetzt zur Be-
schlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag
der Fraktion der CDU/CSU zur „Wiederherstellung des
umfassenden Rechts auf Vorsteuerabzug“, Drucksache
14/6448. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck-
sache 14/5223 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der PDS.

Tagesordnungspunkt 5 e: Schließlich stimmen wir ab
über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirt-
schaft und Technologie auf Drucksache 14/5973 zu dem
Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen mit dem Titel „Neue Mittelstandspolitik – Motor
für Beschäftigung und Innovation“. Der Ausschuss emp-
fiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/5485 anzunehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung
ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
bei Gegenstimmen von CDU/CSU, FDP und PDS.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 33 a bis g und Zu-
satzpunkt 4 a bis 4 f sowie Zusatzpunkt 18 auf:

33. Überweisungen im vereinfachten Verfahren

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fort-
führung des Solidarpaktes, zur Neuordnung des

bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Ab-

(Solidarpaktfortführungsgesetz – SFG)

– Drucksache 14/7256 –
Überweisungsvorschlag:
Sonderausschuss Maßstäbe-/ Finanzausgleichsgesetz (f)

Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergän-
zung der Leistungen bei häuslicher Pflege von
Pflegebedürftigen mit erheblichem allgemeinem

(Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz – PflEG)

– Drucksache 14/7154 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung

c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Fortsetzung der
Dienstrechtsreform
– Drucksache 14/3458 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-
zung der Richtlinie 98/8/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998
über das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten

(Biozidgesetz)

– Drucksache 14/7007 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit

e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Vertrag vom 19. September 2000 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Tschechi-
schen Republik über die gegenseitige Hilfeleis-
tung bei Katastrophen und schweren Un-
glücksfällen
– Drucksache 14/7096 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Tourismus

f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur
Änderung des Fleischhygienegesetzes
– Drucksache 14/7153 (neu) –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

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g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Irmgard
Schwaetzer, Dr. Dieter Thomae, Detlef Parr, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Finanzierung von Umschulungsmaßnahmen
– Drucksache 14/5692 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit

ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Versorgungsände-
rungsgesetzes 2001
– Drucksachen 14/7223, 14/7257 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Anerkennungs- und Vollstreckungs-
ausführungsgesetzes
– Drucksache 14/7207 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sonder-

(ERP-Wirtschaftsplangesetz 2002)

– Drucksache 14/7259 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gisela
Schröter, Eckhardt Barthel (Berlin), Hans-Werner
Bertl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD sowie der Abgeordneten Dr. Antje Vollmer,
Grietje Bettin, Rita Grießhaber, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Reform der deutschen Filmförderung
– Drucksache 14/7178 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Wiesehügel, Dieter Maaß (Herne), Dr. Axel Berg,
weiterer Abgeordneter der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Werner Schulz (Leipzig),

Franziska Eichstädt-Bohlig, Kerstin Müller

(Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des

BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Zukunft der deutschen Bauwirtschaft
– Drucksache 14/7297 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten

(Erlangen)

und der Fraktion der CDU/CSU
Lehrstellenmangel in den neuen Bundeslän-
dern bekämpfen – Reformen in der beruflichen
Bildung vorantreiben
– Drucksache 14/7281 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

ZP 18 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Abkommen vom 12. Juli 2001 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Volksre-
publik China über Sozialversicherung
– Drucksache 14/7246 –

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen.

Der Gesetzentwurf zu dem Abkommen mit China
über Sozialversicherung, Drucksache 14/7246 – Zusatz-
punkt 18 –, soll zur federführenden Beratung an den Aus-
schuss für Arbeit und Sozialordnung und zur Mitberatung
an den Ausschuss für Gesundheit überwiesen werden.

Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 34 a
bis 34 l sowie zu den Zusatzpunkten 5 a und 5 b. Es han-
delt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen
keine Aussprache vorgesehen ist.

Zunächst Tagesordnungspunkt 34 a:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umstellung von Vorschriften aus den Berei-
chen des Verkehrs-, Bau- und Wohnungswesens
sowie der Familie, Senioren, Frauen und Jugend

(Zehntes Euro-Einführungsgesetz – 10. EuroEG)

– Drucksache 14/6810 –

(Erste Beratung 190. Sitzung)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

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Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

(15. Ausschuss)

– Drucksache 14/7251 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Hermann Kues

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 34 b:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Änderung des Übereinkom-
mens vom 14. Juli 1967 zur Errichtung der
Weltorganisation für geistiges Eigentum
– Drucksache 14/6260 –

(Erste Beratung 179. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/7273 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dirk Manzewski
Dr. Norbert Röttgen
Volker Beck (Köln)

Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler

Der Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache
14/7273, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu
erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 34 c:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Einführung des Euro im Berufsrecht der
Rechtspflege, in Rechtspflegegesetzen der or-
dentlichen Gerichtsbarkeit und in Gesetzen des
Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts
– Drucksache 14/6371 –

(Erste Beratung 182. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/7349 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Alfred Hartenbach
Dr. Norbert Röttgen

Hans-Christian Ströbele
Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig ange-
nommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 34 d:

Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Wahl-
statistikgesetzes
– Drucksache 14/6538 –

(Erste Beratung 182. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 14/7125 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Barbara Wittig
Erwin Marschewski (Recklinghausen)

Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke

Der Innenausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/7125,
den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU gegen
die Stimmen von FDP und PDS angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
CDU/CSU gegen die Stimmen von FDP und PDS ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 34 e:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. März
2001 zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und Malta zur Vermeidung der Doppelbe-
steuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Ein-
kommen und vom Vermögen
– Drucksache 14/7039 –

(Erste Beratung 195. Sitzung)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

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(B)


Zweite und dritte Beratung und Schlussabstim-
mung des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen
vom 19. April 2001 zwischen der Bundesrepu-
blik Deutschland und Kanada zur Vermeidung
der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der
Steuern vom Einkommen und bestimmter an-
derer Steuern, zur Verhinderung der Steuer-
verkürzung und zur Amtshilfe in Steuersachen
– Drucksache 14/7041 –

(Erste Beratung 195. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/7353 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Heidemarie Ehlert
Klaus Lennartz
Heinz Seiffert

Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/7353, den
Gesetzentwurf auf Drucksache 14/7039 anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
len, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.

Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe b sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/7353, den
Gesetzentwurf auf Drucksache 14/7041 anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
einstimmig angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit einstimmig angenommen.

Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Peti-
tionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 34 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 304 zu Petitionen
– Drucksache 14/7161 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 304 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der
FDP bei Enthaltung der PDS angenommen.

Tagesordnungspunkt 34 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 305 zu Petitionen
– Drucksache 14/7162 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 305 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der
FDP bei Enthaltung der PDS angenommen.

Tagesordnungspunkt 34 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 306 zu Petitionen
– Drucksache 14/7163 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 306 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der
FDP bei Enthaltung der PDS angenommen.

Tagesordnungspunkt 34 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 307 zu Petitionen
– Drucksache 14/7164 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 307 ist mit dem glei-
chen Stimmenverhältnis angenommen.

Tagesordnungspunkt 34 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 308 zu Petitionen
– Drucksache 14/7165 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 308 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von
CDU/CSU, FDP und PDS angenommen.

Tagesordnungspunkt 34 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 309 zu Petitionen
– Drucksache 14/7166 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 309 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der PDS bei Gegenstimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.

Tagesordnungspunkt 34 l:
Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 310 zu Petitionen
– Drucksache 14/7167 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 310 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der FDP bei Ge-
genstimmen der PDS angenommen.

Wir kommen zum Zusatzpunkt 5 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

19357


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über elektronische Register und Justizkosten
für Telekommunikation – ERJuKoG
– Drucksache 14/6855 –

(Erste Beratung 190. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht
des Rechtsausschlusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/7348 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Alfred Hartenbach
Dr. Wolfgang Götzer
Volker Beck (Köln)

Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen.
– Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf
ist einstimmig angenommen.

Wir kommen zum Zusatzpunkt 5 b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschlusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Ver-
ordnung der Bundesregierung
Verordnung zur Umsetzung des Europäischen
Abfallverzeichnisses
– Drucksachen 14/7091, 14/7195 Nr.2.1,
14/7339 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrike Mehl
Georg Girisch
Michaele Hustedt
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung auf Druck-
sache 14/7091 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist damit einstim-
mig angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der PDS
Massive Mehrkosten bei den Baumaßnahmen
im Parlaments- und Regierungsviertel in Berlin
sowie Verantwortung der Bundesbaugesell-
schaft

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner für die
antragstellende Fraktion hat der Kollege Dr. Uwe-Jens
Rössel von der PDS-Fraktion das Wort.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ob er davon etwas versteht, ist sehr zweifelhaft!)



Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS):
Rede ID: ID1419810800
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Nach vorliegenden Informa-
tionen verursachen der Umbau des Reichstagsgebäudes,
der Neubau des Bundeskanzleramtes sowie die neuen Ge-
bäude für den Deutschen Bundestag Mehrkosten in einem
Umfang von insgesamt etwa einer halben Milliarde DM.
Geplant waren Gesamtkosten in einem Umfang von
3,0 Milliarden DM. Zum Vergleich: Diese Mehrkosten
machen die Hälfte des Bundesumwelthaushaltes im
Jahr 2001 aus. Das zeigt die Größenordnung.

Auf der Grundlage der bislang geprüften Abrechnun-
gen werden beispielsweise beim Neubau des Bundes-
kanzleramtes die geplanten Kosten in Höhe von 398 Mil-
lionen DM auf mindestens 513 Millionen DM anwachsen.
Das sind 115 Millionen DM mehr, als ursprünglich ge-
nehmigt. In der Kostenexplosion der Bundesbauten ist
aber längst noch nicht das Ende der Fahnenstange er-
reicht. Es muss mit weiteren 300 Millionen DM bis
500 Millionen DM Mehrkosten gerechnet werden. Nach
wie vor sind nämlich Rechnungen zwischen bau-
ausführenden Firmen und der Bundesbaugesellschaft
Berlin in dreistelliger Millionenhöhe strittig.

Vielen Firmen, die am Bau der Bundesbauten beteiligt
waren, drohen wegen nicht bezahlter Rechnungen seitens
der Bundesbaugesellschaft weiterer Arbeitsplatzabbau,
weitere Kurzarbeit und sogar Insolvenzen. Dies geschieht
in einer Zeit, in der die Lage bei der Bauwirtschaft, beim
Bauhandwerk und beim Baunebenhandwerk zusehends
dramatischer wird. Bereits jetzt, so die Zahlen, gibt es
über 650 000 arbeitslose Bauleute in Deutschland. Das ist
eine fürwahr unverantwortliche Situation.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Was wollen Sie denn? Mehr oder weniger ausgeben? – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sind Sie für oder gegen Mehrkosten, Kollege Rössel?)


– Herr Kollege Kampeter, ich freue mich, dass Sie sich
schon jetzt so aktiv an der Debatte beteiligen. Ich will
Ihnen an dieser Stelle sagen: Die genannten Baumaßnah-
men haben selbstverständlich das Antlitz im Spreebogen
und das Stadtbild verändert. Die Glaskuppel auf dem
Reichstagsgebäude ist in der Tat ein Besuchermagnet.
Aber die von der Bundesbaugesellschaft Berlin mit be-
schränkter Haftung gemanagten Bauvorhaben sind auch
von Gigantismus – ich verweise nur auf das Bundeskanz-
leramt –, von akuten Qualitätsmängeln, von damit einher-
gehenden, teilweise erheblichen Terminüberschreitungen
und schließlich von hohen Mehrkosten begleitet. Die
Bauleistungen der Bundesbaugesellschaft, deren 100-
prozentiger Gesellschafter der Bund ist, können – etwas
salopp formuliert – als Management von Pleiten, Pech und
Pannen charakterisiert werden.

Die PDS hatte 1992 im Bundestag die Bildung der
Bundesbaugesellschaft – diese war schon damals sachlich
nicht gerechtfertigt – vehement abgelehnt und sieht sich
in dieser Entscheidung bis heute bestätigt. Ich möchte
auch nicht verhehlen, dass die Privatisierung damals vor
allem von CDU/CSU und FDP massiv vorangetrieben
worden ist.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

19358


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Anlässlich der Unterzeichnung des Gesellschafter-
vertrages am 10. September 1993 erklärte die damalige
schwarz-gelbe Bundesregierung, dass „mit der Wahl der
privaten Rechtsform“ anstelle der Bundesbaudirektion
– die jetzt folgenden Worte sollte man sich auf der Zunge
zergehen lassen – „eine flexiblere Planung und Untersu-
chung der Baumaßnahmen möglich“ ist. Aufgabe der
privaten Gesellschaft sei es, „für eine zügige und insbe-
sondere auch sparsame“ – ich betone: sparsame – „Um-
setzung der Baumaßnahmen zu sorgen“.

Die jetzt vorliegende Bilanz hinsichtlich der Bauten
am Spreebogen zeigt, dass die Bundesbaugesellschaft
selbst und ihre Aufsichtsgremien, darunter auch das Bun-
desministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
und das Bundesministerium der Finanzen, so manche der
ihr übertragenen Aufgaben mit Füßen getreten haben. Die
Privatisierung hat auch in diesem Falle – die Fakten
liegen auf dem Tisch – zu einem Fiasko geführt. Zu of-
fensichtlich ist, dass sie damals wohl in erster Linie ver-
anlasst worden ist, um den Spitzenmanagern der Bau-
gesellschaft Topgehaltskonditionen zu verschaffen, die
nach dem öffentlichen Dienstrecht nicht, und zwar auch
nicht annähernd, möglich gewesen wären. Für diese er-
heblichen Mehrkosten sollen wiederum die Steuer-
zahlerinnen und Steuerzahler aufkommen. Wir meinen:
Kein Kavaliersdelikt! Unverantwortliche Lage!

Die PDS-Fraktion verlangt, dass die Bundesregierung
den gesamten Vorgang gründlich auswertet. Dem Deut-
schen Bundestag sind umgehend kontrollfähige Schluss-
folgerungen vorzulegen. Auch die Einsetzung eines parla-
mentarischen Untersuchungsausschusses ist denkbar und
sollte geprüft werden.


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])


Die Verantwortlichen sind unter anderem auch mithilfe
der vorhandenen Haftungsregelungen persönlich zur Re-
chenschaft zu ziehen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419810900
Für die Bun-
desregierung spricht jetzt der Parlamentarische Staatsse-
kretär Achim Großmann.

A
Achim Großmann (SPD):
Rede ID: ID1419811000
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bun-
destag hat am 20. Juni 1991 beschlossen, seinen Sitz von
Bonn nach Berlin zu verlegen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist zutreffend!)


Dies bedeutete, dass in kurzer Zeit ein immenses Bauvo-
lumen realisiert werden musste. Uns stellte sich eine ein-
zigartige Aufgabe in einer bisher völlig unbekannten
Größenordnung. Die damalige Bundesregierung und der
Deutsche Bundestag diskutierten und überlegten gemein-
sam, wie diese Herausforderung am effektivsten zu be-
wältigen wäre. Die vorhandenen Kapazitäten der Bauver-

waltung – darüber bestand über alle Parteigrenzen hinweg
Einigkeit – waren jedenfalls für diese einmalige Aufgabe
nicht ausgelegt und so wurde unter Leitung der damaligen
Bundesbauministerin Irmgard Schwaetzer von der FDP
die Gründung einer privatrechtlichen Gesellschaft auf
Zeit favorisiert.

Im zweiten Zwischenbericht der Konzeptkommission
des Ältestenrates des Deutschen Bundestages vom
17. Juni 1992 wird auf Folgendes hingewiesen:

Zur zügigen Bewältigung der Baumaßnahmen von
Bundestag und Bundesregierung im Wettbewerbsge-
biet Spreebogen soll eine Bau-GmbH im Eigentum
der Bundesrepublik Deutschland gegründet werden,
die die grundsätzlich vorgeschriebene Verantwor-
tung des zuständigen Bundesministers gegenüber
dem Deutschen Bundestag wahrt


Weiter heißt es, dass „alle grundlegenden Entscheidungen
für Bauvorhaben des Deutschen Bundestages von diesem
selbst getroffen ... werden“. – Dies ist unter anderem Auf-
gabe der Baukommission des Ältestenrates des Deut-
schen Bundestages, die zugleich als Beirat der Bundes-
baugesellschaft fungiert und in der auch – nur zur
Information – Mitglieder der PDS-Fraktion sitzen.

Im selben Zwischenbericht steht – das ist ein ganz
wichtiger Satz –:

Die Einflussmöglichkeiten des Bundesministers für
Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, nament-
lich auch durch die baufachlichen Prüfungen, müs-
sen im Interesse der Effektivität auf ein Mindestmaß
zurückgeführt werden und im Rahmen des haus-
haltsrechtlich Erforderlichen auf Stichproben und
Plausibilitätskontrollen beschränkt sein.

Das war ein klarer Hinweis auf das, was damals vom Par-
lament und von der alten Bundesregierung gewollt war,
nämlich möglichst wenig Einfluss auf das Agieren der
Bundesbaugesellschaft.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Teilen Sie das?)


Auch im dritten Zwischenbericht der Konzeptkommis-
sion des Ältestenrates vom 17. Januar 1994 werden unter
Nummer 4, Bundesbaugesellschaft Berlin mbH, die so-
eben zitierten Ausführungen des zweiten Zwischenbe-
richts deutlich hervorgehoben.

Das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen ist der Baugesellschaft gegenüber nicht wei-
sungsbefugt und auch ist nicht – im Unterschied zur Bau-
verwaltung – deren oberste technische Instanz. Die somit
reduzierten Aufgaben nimmt die Bundesregierung, dem
privatwirtschaftlichen Charakter der Bundesbaugesell-
schaft und den zugrunde liegenden Verträgen entspre-
chend, verantwortungsvoll wahr.

Alle Verträge des Bundes mit der Bundesbaugesell-
schaft – also Gesellschaftsvertrag, Rahmenvertrag und
die Projektverträge – sind erst nach Zustimmung des
Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages
geschlossen worden. Somit war der Deutsche Bundestag

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Dr. Uwe-Jens Rössel

19359


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an allen maßgeblichen Entscheidungen bezüglich seiner
Bauvorhaben intensiv beteiligt.

Nun einige Worte zur zeitlichen Entwicklung. Die
Bundesbaugesellschaft Berlin wurde am 19. September
1993 in Berlin gegründet. Entsprechend dem Gesell-
schaftervertrag obliegt der BBB „die Organisation und die
Koordination der Planung und Durchführung von Bau-
maßnahmen“.

Die Bundesbaugesellschaft handelt eigenverantwort-
lich. Zu ihren Baumaßnahmen gehört zum Beispiel der
Umbau des Reichstagsgebäudes, termingerecht fertigge-
stellt zur Eröffnung im April 1999. Herr Rössel, da Sie al-
les zusammengefasst haben, sollten wir auch noch sagen,
dass nach dem jetzigen Stand die Kosten für das Reichs-
tagsgebäude, die ursprünglich auf 600 Millionen DM ver-
anschlagt wurden, auf 607 Millionen DM geschätzt wer-
den. Allerdings sind noch einige Rechnungen strittig,
sodass wir unter Umständen punktgenau bei 600 Milli-
onen DM landen könnten. Man muss also die einzelnen
Gebäude, die Sie alle in einen Topf geworfen haben, sehr
unterschiedlich beurteilen.

Zu den Baumaßnahmen zählen weiter die Betriebs-
kindertagesstätte und die Neubauten des Bundeskanzler-
amtes, des Paul-Löbe-Hauses, des Jakob-Kaiser-Hauses
und des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses. Die meisten
dieser Gebäude sind in Betrieb genommen; beim Jakob-
Kaiser-Haus hat der Umzug im Oktober 2001 begonnen.
Das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus wird am spätesten
fertig gestellt. Hinzu kommen natürlich auch die In-
frastrukturmaßnahmen, die parallel dazu durchgeführt
werden.

Wie Ihnen bekannt ist, standen alle Baumaßnahmen
terminlich unter höchstem Zeitdruck. Die Terminpläne
waren von Anfang an sehr ehrgeizig und die Bundesbau-
gesellschaft hat alle Anstrengungen unternommen, diese
einzuhalten. So schlug sie zum Beispiel ein Überlappen
der einzelnen Leistungsphasen vor. Der Haushaltsaus-
schuss des Deutschen Bundestages hat am 20. September
1995 einvernehmlich der teilweise überlappenden Pla-
nung – Entwurfs- und Ausführungsplanung – und der vor-
gezogenen Bauausführung der Baugruben für die großen
Neubaumaßnahmen zugestimmt.

Zusätzlich wurden alle diese Neubaumaßnahmen
durch unvorhersehbare Gründungsprobleme bzw. -schä-
den – unterschiedlich in Ursache und Umfang – belastet,
die einen gestörten Bauablauf zur Folge hatten. Teilweise
wird gesagt, man hätte sich den Boden genauer ansehen
müssen. Hätte man das getan, so hätte das nur zur Folge
gehabt, dass man schon damals zu höheren Kostenschät-
zungen gekommen wäre. Im Ergebnis hätten sich ähnli-
che Summen ergeben. Die Klärung der Ursachen und
Haftungsfragen in zeitaufwendigen Gutachter- und Ge-
richtsverfahren sind beim Jakob-Kaiser-Haus und beim
Marie-Elisabeth-Lüders-Haus noch nicht abgeschlossen.
Dies bezieht sich auf die gestörten Bauabläufe. Ich will
auch anmerken, dass wir über Regressforderungen an Fir-
men nicht nur nachdenken, sondern der Aufsichtsrat da-
rüber schon entschieden hat.

Ein Wort zu den Mehrkosten. Ein detaillierter Bericht
der Bundesbaugesellschaft zu den Mehrkosten und deren
Ursachen wurde dem Haushaltsausschuss seitens der
Bundesregierung vorgelegt und von ihm gestern, also in
seiner Sitzung am 7. November 2001, zur Kenntnis ge-
nommen. Am Vortag haben wir den Berichterstattern die
Möglichkeit gegeben, auch mit den Verantwortlichen der
Bundesbaugesellschaft darüber ausführlich zu sprechen.
Herr Rössel, Sie haben sich wegen eines Fraktionstermins
vorzeitig verabschiedet. Wenn Sie bei der Informations-
veranstaltung geblieben wären, dann hätten Sie sich Ihre
Rede heute hier sparen können.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das ist wohl wahr! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Nach diesem Bericht ist voraussichtlich mit insgesamt
rund 200 Millionen DM Mehrkosten wegen Baugrund-
schäden und des dadurch bedingten gestörten Bauablaufs
bei den Baumaßnahmen zu rechnen. Diese Baugrund-
schäden waren aus den vor Baubeginn aufgestellten Bau-
grundgutachten – ich habe schon darauf hingewiesen –
nicht vorherzusehen. Unabhängig davon werden seitens
der Bundesbaugesellschaft bei den einzelnen Bauvorha-
ben Mehrkosten in Höhe von 374 Millionen DM erwartet.
Dabei ist das Restrisiko schon eingerechnet, das Sie ge-
rade noch draufgesattelt haben. Ihre Zahlen stimmen also
nicht.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Er hat in Zloty gerechnet!)


Es hat sich übrigens herausgestellt, dass bei den Ver-
handlungen die Firmen Forderungen in dreistelliger Mil-
lionenhöhe zurückgezogen haben. Das zu Ihrem Vorwurf,
Rechnungen würden nicht bezahlt. Hätten wir denn unbe-
rechtigt gestellte Rechnungen bezahlen sollen? Wäre das
für die Steuerzahler der richtige Weg gewesen? Nein, der
richtige Weg ist, mit den Firmen knallhart zu verhandeln;
denn nicht alle Firmen legen Rechnungen vor, an die man
direkt einen Haken machen kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Das hat dem Steuerzahler Kosten in dreistelliger Millio-
nenhöhe erspart.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Ich möchte an dieser Stelle noch einmal hervorheben,
dass die Baukostensteigerungen ihre Ursache weder in
zusätzlichen Nutzerwünschen noch in einer qualitativ
höheren Bauausführung hatten. Die Mehrkosten hatten
verschiedene Ursachen: Im Bereich der Planung und Aus-
schreibung wurden Planungsfortschreibungen, Massen-
mehrungen und Bauumstellungen erforderlich. Es gab
Störungen im Bauablauf. Daraus resultierten Verschie-
bungen der Fertigstellungstermine. Schließlich dauert da-
durch der erforderliche Interimsbetrieb länger und auch
das kostet Geld.

Grundsätzlich sind erst nach Vorliegen und Endab-
rechnung der Schlussrechnungen, was noch geraume Zeit
nach Baufertigstellung in Anspruch nehmen wird, ab-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Parl. Staatssekretär Achim Großmann

19360


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schließende Angaben zu den endgültigen Kosten möglich,
aber vom Bauablauf her sind bei fertig gestellten Gebäu-
den keine Risiken mehr vorhanden.

Der Haushaltsausschuss hat in seiner Sitzung am
16. Mai 2001 den Bundesrechnungshof gebeten, zur Ver-
tragsgestaltung sowie zu Fragen der Haftung der Bundes-
baugesellschaft wegen der Nichteinhaltung von Kosten
und Terminen Stellung zu nehmen. Auch dieser Bericht
des Rechnungshofs ist dem Haushaltsausschuss in der
gestrigen Sitzung vorgelegt und dort zur Kenntnis ge-
nommen worden.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass es keine An-
haltspunkte für ein Fehlverhalten der Geschäftsführer
oder der Aufsichtsratsmitglieder der Bundesbaugesell-
schaft gibt. Wir alle ärgern uns über die Mehrkosten, die
mit so großen Bauwerken nun einmal zusammenhängen.
Wir haben einige Gebäude ohne Mehrkosten, einige mit
deutlichen Mehrkosten fertig gestellt. Über die Ursachen
habe ich gesprochen. An dieser Stelle müssen wir, meine
ich, Gerechtigkeit walten lassen. Die Bundesbaugesell-
schaft hat weitestgehend gut gearbeitet und das sollte man
an dieser Stelle auch einmal festhalten.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Steffen Kampeter [CDU/CSU] – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Mäßiger Applaus auch von uns! – Zurufe von der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419811100
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Dietmar Kansy
von der CDU/CSU-Fraktion.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Der könnte schuld sein! – Heiterkeit)



Dr.-Ing. Dietmar Kansy (CDU):
Rede ID: ID1419811200
Ein Glück für
dich, dass du nicht auf meine Landesliste musst!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Es ist wohl wahr: Es läuft etwas nicht gut mit der
BBB. Wenn etwas nicht gut läuft, werden Schuldige ge-
sucht. Das ist überall im Leben so. Das ist auch im deut-
schen Parlament so,


(Zuruf des Abg. Hans Georg Wagner [SPD])


auch bei den Bundestagsbauten, Herr Kollege Wagner,
und bei der Entwicklung der Kosten für diese Bauten.
Aber wenn man dabei in Kenntnis der derzeitigen Sach-
lage Showdebatten anzettelt,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Unglaublich!)


dann ist das nicht zielführend, dann ist das nicht auf-
klärend, dann ist das eher vernebelnd. Wenn Sie auch
noch gleichzeitig weniger Geld für mehr Bauarbeiter aus-
geben wollen, wie beantragt, dann ist das nicht mehr
nachzuvollziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, wir sollten uns einmal da-
ran erinnern, wie das alles begann. Staatssekretär
Großmann hat es angedeutet. Ich will noch etwas mehr
Klartext reden.

Als wir 1993 nach zweijähriger Diskussion die BBB
gegründet haben, war eine Hoffnung, die lange Klagelita-
nei über die damalige Bundesbaudirektion, mit der wir
unsere Parlamentsbauten in Bonn gebaut haben, in Berlin
nicht erneut anstimmen zu müssen.


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: „Hoffnung“!)


– Ja, das war unsere Hoffnung. – Hauptkritikpunkte an der
Bundesbauverwaltung waren damals nicht ausreichende
Termintreue, nicht ausreichende Kostentreue


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Was hat sich geändert?)


und nicht ausreichende Mängelbeseitigung vor Übergabe
der Gebäude. Ich erinnere Sie an die spektakuläre Über-
nahme unseres Parlamentsneubaus in Bonn. Während der
Haushaltsrede von Theo Waigel traten derartige techni-
sche Probleme auf, dass wir für ein halbes Jahr wieder ins
Wasserwerk ziehen mussten.

Wir haben etwas Neues versucht. Die BBB hat nun
Probleme, unter anderem mit den Baukosten. Wie auch
der Bericht des Bundesrechnungshofes an den Haushalts-
ausschuss zeigt, ist es jetzt dennoch zu früh, Vorverurtei-
lungen vorzunehmen. Wenn man den Bericht des Bun-
desrechnungshofes an den Haushaltsausschuss mit dem
Bericht, den der Bundesminister für Verkehr, Bau und
Wohnungswesen in gleicher Sache dem Parlament zu-
kommen ließ, vergleicht, dann ist man ausreichend sach-
kundig, um zu dem Ergebnis zu kommen: Man sollte
natürlich weiterhin zielstrebig daran arbeiten, endgültige
Klarheit zu schaffen. Das gilt auch in Bezug auf die Mehr-
kosten, die die PDS pauschal als „massiv“ bezeichnet.

Weil es gerade so schön passte – der Staatssekretär hat
schon darauf hingewiesen –, haben Sie in Ihrer Rede auch
angesprochen, dass für das Reichstagsgebäude statt
600 Millionen DM 607 Millionen DM ausgegeben wur-
den. Der Anstieg der Kosten um ungefähr 1 Prozent geht
auf die Mehrwertsteuererhöhung während der Bauzeit
zurück. Das wurde noch gar nicht erwähnt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Lesen Sie die Rede nach!)


Gerade angesichts des Ergebnisses, das wir im Hin-
blick auf den Umbau des Reichstagsgebäudes erzielt ha-
ben, hätte ich Ihnen wirklich den guten Rat gegeben, die-
ses Gebäude in dieser Debatte überhaupt nicht in den
Mund zu nehmen.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das Gebäude haben wir ja gar nicht in den Mund genommen! – Heiterkeit im ganzen Hause)


Neben dem Reichstagsgebäude gibt es das Jakob-
Kaiser-Haus, unser Sorgenkind, was die Parlamentsbau-
ten angeht. Ich darf auf Folgendes hinweisen: Die
Kostenschätzung stammt aus dem Jahr 1994. In diesem

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Parl. Staatssekretär Achim Großmann

19361


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Zeitraum wurde das Berlin/Bonn-Gesetz verabschiedet.
Seitdem sind mehr als sieben Jahre vergangen.

Bei der Errichtung des Jakob-Kaiser-Hauses, unseres
Problemkindes – Sie können es den Berichten entnehmen –,
kam es – wenn man die Kosten für die einzelnen Gewerke
zusammenfasst – zu Mehrkosten in der Größenordnung
von 12 bis 16 Prozent. Zwar sind die Kosten in diesen Jah-
ren für Rohbauten nicht so stark angestiegen, wie es
früher immer der Fall war; allerdings entfallen mehr als
50 Prozent der Kosten für unsere Bauten auf die techni-
schen Gewerke. Wer davon redet, dass es in dem Zeitraum
von mehr als sieben Jahren Kostensteigerungen von über
12 Prozent gab, der hat das alles nicht berücksichtigt. Es
wäre zielführender, in der Debatte ein Stückchen Fairness
walten zu lassen, als nur deswegen populistisch auf dem
politischen Gegner herumzuhauen, weil es gerade in die
Landschaft passt.

Mit der Konstruktion der BBB hat sich das ganze Par-
lament die Möglichkeit genommen – Staatssekretär
Großmann hat es bereits gesagt –, irgendjemandem in die-
ser Gesellschaft direkte Anweisungen zu geben.


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Mit welcher Konsequenz?)


Wir haben uns aus dem operativen Geschäft zurückge-
zogen.


(Hans Georg Wagner [SPD]: So war es!)


– Ja, so war es. Nachdem wir beim Umbau des Parla-
mentsgebäudes in Bonn mit den Beamten sehr große Pro-
bleme hatten, haben wir uns gedacht, dass wir es beim
Umbau des Parlamentsgebäudes in Berlin mit einer neuen
Konstruktion versuchen. Nachdem wir alles aufgeklärt
haben, sollten wir den Mut haben zu bilanzieren. Wir wis-
sen dann vielleicht, wie wir es in der Zukunft besser ma-
chen. Ich wehre mich nur gegen billige Vorverurteilungen
– von wem auch immer –, bevor der Bundesrechnungshof
und andere die Kosten unserer Bauvorhaben endgültig be-
urteilt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans Georg Wagner [SPD])


Langer Rede kurzer Sinn: Lassen Sie uns auf dem Tep-
pich bleiben!


(Jürgen Koppelin [FDP]: Wenn er erst mal verlegt ist, dann ist es ja gut!)


Erst sollte man sich informieren, dann sollte man nach-
denken und erst dann sollte man Aktuelle Stunden bean-
tragen! Besser noch ist es, Aktuelle Stunden dieser Art gar
nicht zu beantragen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419811300
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Franziska Eichstädt-
Bohlig von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


(Zuruf von der SPD: Wer hat nun Schuld, Frau Kollegin?)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

ginnen und Kollegen! Was die Schuldfrage angeht, soll-
ten wir es uns nicht ganz so einfach machen.

Als Erstes möchte ich ganz deutlich sagen: Ich glaube
nicht, dass wir hier über das Thema der privatrechtlichen
Konstruktion streiten müssen. Wir sollten nicht der
Rechtskonstruktion die Schuld in die Schuhe schieben.
Wenn noch mehr Zeit vergangen ist, dann sollte der Rech-
nungshof einmal in einer sehr ernsten Form und auf der
Grundlage vernünftiger Kriterien einen Vergleich zwi-
schen der Arbeitsweise des Bundesbauamtes und der Ar-
beitsweise der BBB im Hinblick auf die von diesen
Behörden durchgeführten Projekte vornehmen. Man
könnte dann sehen, ob wir aus den Erfahrungen mit der
privatrechtlichen Konstruktion à la longue Konsequenzen
ziehen müssen. Das könnte dabei helfen, die Effizienz der
Arbeit des Bundesbauamtes zu hinterfragen. Ich bitte da-
rum, das Thema „privatrechtliche Konstruktion“ geson-
dert zu behandeln. Jedes Unternehmen, das Projektmana-
gement bei Bauten solcher Größenordnung betreibt, hat es
mit unerwarteten Kostensteigerungen, mit Terminplänen
und mit Mängeln zu tun. Von daher halte ich es für rich-
tig, die Effizienzfrage zu stellen. Aber ich bin nicht dafür,
gleich das Kind mit dem Bade auszuschütten.

Da gerade ich, seitdem ich an dem ganzen Verfahren
beteiligt bin, am deutlichsten Kritik ausgesprochen habe
und immer wieder gewarnt und geschimpft habe sowie
der Bundesbaugesellschaft Berlin sehr viele Vorhaltungen
gemacht habe, möchte ich an dieser Stelle angesichts der
enormen Bauvolumina und Probleme, die abzuwickeln
und zu bewältigen waren, der BBB meinen Dank aus-
sprechen. Ich bin der Meinung, dass sich Kritik auf der ei-
nen Seite und Anerkennung auf der anderen Seite nicht
ausschließen müssen. Wir sollten vielmehr die richtige
Relation bei beidem bewahren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der PDS)


Ich möchte die Gelegenheit nutzen – von daher ist
diese Aktuelle Stunde gar nicht einmal so schlecht –, auf
ein paar Punkte hinzuweisen. Hierbei spielt der Aspekt
eine Rolle, dass ich glaube, dass es falsch wäre, einseitig
alles nur der BBB in die Schuhe zu schieben;


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Nicht alles!)


vielmehr tragen auch wir als Parlament und unsere Bau-
kommission – ich sage bewusst: wir – und der damalige
Haushaltsausschuss ein Stück Mitverantwortung für eine
Reihe von wirklichen Fehlentscheidungen, die damals
schon hätten erkannt werden können.

Als Erstes nenne ich die Zeitplanung. Es ist zu viel Zeit
in der Vorentscheidungsphase vertan worden,


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Stimmt!)


während die eigentlich geplante Bauzeit vom ersten Tag
an – das haben Leute, die davon Ahnung hatten, sofort ge-
sehen – zu knapp bemessen war.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Dr.-Ing. Dietmar Kansy

19362


(C)



(D)



(A)



(B)


Der zweite Punkt ist, dass die Kostenobergrenze in
Höhe der berühmten 20 Milliarden DM, die vom Haus-
haltsausschuss gesetzt worden war, meines Erachtens sehr
großzügig bemessen war; aus meiner damaligen Sicht war
sie zu hoch angesetzt. Einen aus meiner Sicht entschei-
denden Fehler im Zusammenhang damit habe ich den Ar-
chitekten und der BBB bis heute nicht verziehen, nämlich
dass sie mit der Kostenplanung für die jeweiligen Projekte
gnadenlos bis knapp an die Obergrenze gegangen sind. Es
wurde teilweise nicht einmal ein Sicherheitseinbehalt von
10 Prozent vereinbart. Angesichts derartig komplizierter
Projekte hätten mindestens 20 Prozent Sicherheitseinbe-
halt vorgesehen werden müssen. Die Schuld dafür sollte
man nicht nur einer Seite anlasten, sondern sie muss so-
wohl der Auftraggeber- als auch der Auftragnehmerseite
angerechnet werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der dritte Fehler war, dass die BBB der Meinung war,
dass über das Vergabeverfahren Kosten eingespart wer-
den könnten. Es war ein großer Fehler zu hoffen, dass die
Kosten durch Konkurrenz so gedrückt werden könnten,
dass die Gesamtkosten abnähmen. Stattdessen ist gleich
beim ersten Anlauf, weil die BBB die Gründungs-
probleme nicht ernst genommen hat, das ganze auf dem
Vergabeverfahren beruhende Vertragssystem mit den
verschiedenen Auftragnehmern wie Dominosteine zu-
sammengebrochen. Dadurch entstand eine Kette von Kos-
tensteigerungen, Zeitverzögerungen und Nachtragsver-
fahren, die uns heute noch belasten. Insofern liegt aus
meiner Sicht der Grund für diesen Fehler in der Anfangs-
phase, als diese Projekte festgelegt worden sind.

Ich spreche noch einen Punkt deutlich an, der mich da-
mals sehr geärgert hat: Dass die Bundesbaugesellschaft
Berlin die Gründungsprobleme schon in der Planungs-
phase nicht ernst genommen hat, halte ich wirklich für ein
sehr ernstes Versäumnis; denn von den Fachleuten vor Ort
hat es deutliche Warnungen gegeben. Aber die BBB
meinte – in dieser Frage war sie wohl sehr westdeutsch
geprägt –, dass der Berliner Baugrund und das hier vor-
handene Urstromtal keine ernst zu nehmenden Faktoren
seien und dass sie deshalb diesbezügliche Warnungen in
den Wind schlagen könnte. Auf diese Auffassung sind wir
alle gemeinsam hereingefallen. Darauf gehen ja auch die
Kostensteigerungen hauptsächlich zurück und auch die
Folgeeffekte haben sehr viel damit zu tun.

Ich weiß, dass meine Redezeit gleich zu Ende ist.
Trotzdem möchte ich noch deutlich meine Kritik bei den
Architekten anmelden. Diese haben zu sehr auf Design
und zu wenig auf den Gebrauchswert geachtet


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der PDS)


und ihrerseits die Gelegenheit genutzt – wohl in der Mei-
nung, dass man es bei einem so noblen Bauherrn, den man
nur einmal in seinem Berufsleben bekommt, machen
könnte –, praktisch bis an die Oberkante Unterlippe zu ge-
hen. Wir spüren das ja auch heutzutage – ich möchte das
deutlich sagen –, dass der Architektenkollege Braunfels
die Länge der Wegstrecken, die wir vom Reichstag bis zu

unseren Büros zurücklegen müssen, nicht beachtet hat.
Ich finde, das sind schon schlimme Architektenfehler.

Last but not least ein weiterer Fehler, den sich das Par-
lament selbst zuschreiben muss: Das sind die zu kleinen
Arbeitsräume. Da ist einfach aus der Angst heraus das alte
Maß – 18 Quadratmeter – aus dem Schürmann-Bau fort-
geschrieben worden.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Conradi war das!)


Insofern wird alle Parlamentarier – uns selbst und unsere
Nachfolger – das Problem verfolgen, dass wir Luxusde-
sign in Foyers, in Fluren und in Treppenhäusern haben,
dass wir als Arbeitsräume aber kleine Buchten haben, de-
ren Gebrauchswert wirklich nicht den Aufgaben ange-
messen ist, die wir und unsere Mitarbeiter und Mitarbei-
terinnen zu erledigen haben. Das halte ich für den
gröbsten Fehler. Den sollten wir aber auch gemeinsam
schultern; daran ist nicht die BBG schuld.

Ich danke Ihnen allen. Wir haben da viel nachzuarbei-
ten. Das sollten wir gemeinsam tun und nicht rechthabe-
risch gegeneinander.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419811400
Als
nächster Redner hat der Kollege Jürgen Koppelin von der
FDP-Fraktion das Wort.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1419811500
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Man darf hier noch einmal daran
erinnern: Aufgabe der Bundesbaugesellschaft sollte es
sein, für eine zügige und insbesondere auch sparsame
Umsetzung der Baumaßnahmen hier in Berlin zu sorgen.
Das war die Leitlinie. Nun muss man vergleichen und ab-
checken, ob wirklich alles so gelaufen ist. Ich sage einmal
an Bündnis 90/Die Grünen und an die PDS gerichtet: Es
ist richtig, Sie haben früher eine andere Haltung gehabt,
auch zu dieser Bundesbaugesellschaft.


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Das hat sich auch nicht geändert!)


– Das hat sich nicht geändert. – Ich muss Ihnen allerdings
auch sagen: Ich halte ein Parlament, ich halte Abgeord-
nete für völlig überfordert, wenn sie solche Baumaß-
nahmen in der Form begleiten sollten, wie Sie das damals
vorgesehen hatten.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Am besten Baukommissare, nach Parteizugehörigkeit!)


Insofern war es schon richtig, eine solche Gesellschaft zu
gründen. Das Parlament selbst konnte doch eigentlich nur
zusammen mit dem damaligen und dem jetzigen Bundes-
bauministerium sowie mit der Bundesbaugesellschaft
Rahmenrichtlinien für termingerechtes Bauen erstellen
und die Kostenentwicklung entsprechend begleiten.

Heute müssen wir feststellen, dass diese gute Zielset-
zung, die wir damals hatten, enttäuscht worden ist. Die

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Franziska Eichstädt-Bohlig

19363


(C)



(D)



(A)



(B)


Bundesbaugesellschaft hat uns deutlich gemacht: Sie ist
weder in der Lage, termingerecht zu bauen, noch ist sie in
der Lage, den Kostenrahmen einzuhalten.


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Noch waren sie in der Lage, Qualität zu liefern! – Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr wolltet ja keine Kostenkontrolle!)


Die Bundesbaugesellschaft – besonders das werfe ich
ihr vor – hatte sich allerdings auch verpflichtet, den Bund
unverzüglich zu unterrichten, wenn absehbar wäre, dass
die Kostenobergrenze und die vereinbarten Termine nicht
eingehalten werden könnten. Lieber Herr Kollege Kansy
– ich spreche Sie als Vorsitzenden der Baukommission an –,
wir alle müssen uns vorwerfen lassen, dass wir zu lange all
das geglaubt haben, was uns in schriftlichen Berichten von
der Bundesbaugesellschaft präsentiert worden ist; dazu ha-
ben Sie leider nicht Stellung genommen. Wir sind doch
alle völlig überrascht gewesen – da haben wir selber nicht
so hinterfragt, wie es in unserer Verantwortung gestanden
hätte; ich schließe mich da mit ein –, dass wir 14 Tage vor-
her noch einen Bericht von der Bundesbaugesellschaft be-
kommen hatten und dann auf einmal das Chaos herrschte.
Das kann doch alles nicht wahr sein. Sie haben uns
schlecht informiert; sie haben uns falsch informiert. Vor al-
lem das werfe ich ihnen vor. Wir konnten das teilweise
nicht begleiten, weil wir falsche Informationen hatten. Sie,
auch Sie persönlich, haben das alles leider zu oft geglaubt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS – Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/ CSU]: Ich hatte überhaupt keine Möglichkeit, darauf Einfluss zu nehmen!)


Es reicht nicht, dem Präsidenten bei der Einweihung den
goldenen Schlüssel zu überreichen; vielmehr muss man
das in seinem Job auch entsprechend begleiten.

Insofern ist das Ganze zu einem Trauerspiel geworden.
Wir haben eine Kostenexplosion; die Bundesbaugesell-
schaft deutet selber an, dass die Mehrkosten über 500 Mil-
lionen DM betragen. Ich befürchte allerdings, dass sie
sich in einer Sache wieder vertan haben: Es sind nicht
D-Mark, sondern Euro. Wir kommen also fast an 1 Milli-
arde DM heran, befürchte ich.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Es geht um D-Mark, lieber Kollege Koppelin!)


Ich sage Ihnen ganz offen: Wenn ich mir die Berichte
noch einmal anschaue, die wir von der Bundesbaugesell-
schaft bekommen haben, dann muss ich feststellen, dass
ich denen heute kein Wort mehr glaube – kein Wort mehr!
Die Umzugstermine sind zigmal gekippt worden. Warum
sind sie nicht realistisch gewesen?

Lieber Herr Kansy, ich spreche Sie auch noch einmal
persönlich an.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Ich kann mich leider in einer Aktuellen Stunde nicht wehren! Das ist nicht besonders fair, Herr Kollege!)


– Trotzdem müssen Sie sich das anhören. Ich will Sie ja
nicht persönlich angreifen. Daran sind noch mehrere Ab-

geordnete aus allen Fraktionen beteiligt; ich sehe Sie aber
gerade und Sie haben es zu sehr verteidigt.

Wir haben nebenan das Gebäude eingeweiht. Das
sollte eine Einweihung sein? Ich hatte eher den Eindruck,
es war eine Feierstunde wie auf einem Richtfest. So sah
es dort jedenfalls aus. Das sind doch Dinge, die wir uns
nicht bieten lassen können.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS)


Es sind so viele Berichte geschrieben worden. Sie ha-
ben alle nicht gestimmt. Das werfe ich der Bundesbauge-
sellschaft vor. Dann kommt plötzlich der Hammer: die
großen Beträge, die großen Nachforderungen.

Was ist mit den vielen Verfahren? Natürlich weiß jeder:
Bei einer so großen Bauangelegenheit wird es auch Pro-
zesse geben. Wir haben bereits jetzt weit über 20 Pro-
zesse. Schauen Sie sich einmal die Summe an, um die es
dabei geht.

Wir sprechen alle auch sehr viel von Privatwirtschaft.
Glauben Sie denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass
ein Privatunternehmer so bauen könnte, wie der Bund hier
gebaut hat, dass ein privater Unternehmer Kostenüber-
schreitungen in dieser Größenordnung akzeptieren
könnte? Er wäre längst pleite!
Die Gesellschaften, die für uns bauen, und auch die
Bundesbaugesellschaft wissen natürlich, dass der Bund
nicht Pleite gehen kann und dass man alles machen kann,
weil das schon irgendwie zurechtgebogen werden wird
und weil zum Schluss diverse Kommissionen und Gre-
mien alles abnicken werden.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ihr habt doch die Kostenkontrolle im Haushaltsausschuss verweigert!)


Man kann diese Mängel nicht mit Wasserschäden und mit
Störungen in der Bauanfangsphase entschuldigen. Ich
habe die Befürchtung, dass schon von Anfang an einiges
schief gelaufen ist, worüber uns die Bundesbaugesell-
schaft nicht informiert hat.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir haben damals einen Untersuchungsausschuss beantragt! Den habt ihr nicht gewollt!)


Wenn hier davon gesprochen wurde, es sei knallhart
verhandelt worden – so hat es der Herr Staatssekretär ge-
sagt –, dann frage ich mich, warum der Bundestags-
präsident teilweise persönlich mit den Unternehmen ver-
handeln musste, um noch einiges in Gang zu bringen.


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Genau!)

Das soll knallhartes Verhandeln gewesen sein?

Wir Freien Demokraten hätten es deshalb begrüßt,
wenn ein Untersuchungsausschuss eingesetzt worden
wäre.


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Jawohl!)

Ich sage Ihnen ganz offen: Wir alle tragen Verantwortung.
Es geht nicht darum, zu sagen, dieser und jener hat
Schuld. Das gesamte Parlament trägt die Verantwortung.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Jürgen Koppelin

19364


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir hätten der deutschen Öffentlichkeit zeigen können,
dass wir zu unserer Verantwortung stehen und dass wir
aus Fehlern lernen. Im Vorgespräch – der Kollege Rössel
war dabei – haben CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die
Grünen unseren Vorschlag nicht unterstützt. Ich gebe zu,
dass die PDS bereit war, die Einsetzung eines Untersu-
chungsausschusses zu unterstützen.


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Gute Sachen machen wir zusammen!)


Eine solche Maßnahme wäre besser gewesen. Dann hät-
ten wir der Öffentlichkeit zeigen können, dass wir als Par-
lament zu unseren Fehlern stehen.

Ich kann nur festhalten: Das Kapitel Bundesbaugesell-
schaft ist für uns nicht abgeschlossen.


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Für uns auch nicht!)


Wir werden Konsequenzen ziehen müssen. Es werden
personelle Konsequenzen bei der Bundesbaugesellschaft
gezogen werden. Es werden Fragen nach der Haftung von
Geschäftsführern der Bundesbaugesellschaft zu stellen
sein.

Die Bundesbaugesellschaft hat den Bund als Bauherrn
lächerlich gemacht und ihn bis auf die Knochen blamiert,
indem sie ihn als unfähigen Bauherrn in der Öffentlichkeit
vorgeführt hat. Das Ergebnis können wir heute sehen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419811600
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Gabriele Iwersen von
der SPD-Fraktion das Wort.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Jetzt rücken Sie mal einiges zurecht, Frau Kollegin! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ist die in der Baukommission?)



Gabriele Iwersen (SPD):
Rede ID: ID1419811700
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Es ist eine Freude, zuzuhören, wie hier
ein Haufen Blinder von der Farbe redet. Anders kann man
es wirklich nicht bezeichnen.


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Man kann sich auch blind stellen! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Da kann nur von Koppelin die Rede sein!)


Es mag ja sein, dass der eine oder andere von Ihnen lesen
kann. Aber von der Planung und von der Bauausführung
haben offensichtlich alle, die bisher geredet haben – mit
Ausnahme der Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig –, keine
Ahnung.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Moment! Und Dietmar Kansy?)


– Dietmar Kansy schwebt über allen Dingen. Ihn kann
man wirklich nicht dazu zählen.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Er hat schon beim ersten Spatenstich den goldenen Schlüssel in der Tasche!)


Ein Punkt ist jedenfalls klar: Es bedurfte einiger Zeit
für die vorbereitende Planung, da zum Beispiel eine ent-
sprechende Bauleitplanung fehlte. Wettbewerbe mussten
durchgeführt und entschieden werden. Dafür musste
zugegebenermaßen viel Zeit aufgewendet werden. Auf
denjenigen, die daran gearbeitet haben, lastete ein gewal-
tiger Druck. Aus der Sicht von Außenstehenden sind fünf
Jahre für die Verwirklichung eines solchen Projektes und
die Durchführung des Umzuges viel Zeit. Das stimmt im
Grunde genommen auch. Wenn man die Vorlaufzeit, also
die Planungsphase und die Genehmigungsphase, abzieht,
dann kommt man auf Bauzeiten von fünf bis sechs Jahren.
Das ist eigentlich eine angemessene Zeit für die Erstel-
lung von Gebäuden dieser Größenordnung.

Ich komme auf den Reichstag zu sprechen. Früher
wurde er als ein alter, grauer Kasten, der finster und ab-
weisend ist, eingestuft. Er hat aber durch den Umbau sehr
an Qualität gewonnen und hat sich zu einem Symbol für
diese Demokratie entwickelt. Das wäre unter der Regie
der PDS niemals möglich gewesen. Da können Sie sicher
sein.


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Eine primitive Argumentation!)


Eines ist klar: Es ist ein Meisterstück, einen Umbau
dieser Größenordnung mit einer Kostenüberschreitung
von nur etwa 2 Prozent durchzuführen. Wenn Sie ein biss-
chen Ahnung von der Materie hätten, dann könnten Sie
das auch würdigen.


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Unterstellen Sie doch nicht, dass Sie Ahnung haben!)


– Ich habe Ahnung. Sie werden sich noch wundern.


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Das ist doch unverschämt!)


– Nun reicht es langsam!


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Machen Sie mal weiter im Text!)


Eines ist jedenfalls völlig klar und eindeutig: Die Be-
völkerung sieht es anders als Teile dieses Parlaments.
Über die Frage, ob es ein alter, grauer Kasten ist oder
nicht, wurde mit den Füßen abgestimmt. So verhält es sich
auch mit anderen Teilbereichen dieses Parlamentsviertels.

Aus dem Innern, von denen, die jeden Tag gucken, ob
die Klopapierrolle richtig hängt, geschmäht und mit Kri-
tik überzogen, hat sich das Reichstagsgebäude ganz ein-
deutig zu einem Anziehungspunkt für die Berliner und für
ihre Gäste und vor allen Dingen für unsere Gäste ent-
wickelt. Das ist eine hervorragende Leistung. Die Bau-
kommission hat es begleitet aus der entsprechenden Dis-
tanz, die uns zugemutet worden ist. Trotzdem haben wir
kräftig gestritten und durchaus auch Veränderungen her-
beigeführt,


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Ihr habt die Aufsichtspflicht vernachlässigt!)


Frau Eichstädt-Bohlig hauptsächlich gegen Waschbecken
kämpfend und ich für Behindertentoiletten kämpfend. Da
hatten wir ausnahmsweise sogar die Unterstützung von

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Jürgen Koppelin

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(C)



(D)



(A)



(B)


Herrn Dr. Seifert. Das ist die einzige Stelle, an der wir
über diese Kommission bewusst Mehrkosten verursacht
haben, weil wir die Barrierefreiheit dieser Gebäude her-
beiführen wollten. Es war sicherlich schon ein bisschen
spät; aber es ist noch relativ gut gelungen und es hat natür-
lich auch Geld gekostet.

Wir haben ja nicht nur dieses Gebäude vorzuweisen.
Das Kanzleramt ist genauso mit unheimlich viel Kritik
überzogen worden; Sie haben es vorhin schon gesagt. Es
wird von Gigantomanie und dergleichen mehr gespro-
chen.


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Von Mehrkosten vor allem!)


Das Gebäude ist seiner Nutzung angemessen. Es hat
natürlich auch eine gewisse Symbolkraft. Die Tatsache,
dass trotz der kritischen Würdigung die Leute sich ganz
schlicht und einfach darum reißen, auch nur einen Blick
in das Gebäude werfen zu können, ist ein Glücksfall für
diese Demokratie. Das muss ich Ihnen sagen.


(Zustimmung bei der CDU/CSU – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Endlich ein bisschen Begeisterung dafür!)


Man hat mit den Bauten tatsächlich Neugier und Interesse
am Regieren und an der Arbeit dieses Parlaments erzeugt.
Dafür sollten wir dankbar sein.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sagen Sie das dem Kollegen Koppelin doch einmal!)


Dass die BBG ihre Arbeit nicht in jeder Hinsicht so ge-
macht hat oder so hat durchführen können, wie wir es uns
erhofft haben, steht außerhalb jeder Diskussion. Der Bun-
desrechnungshof hat dazu seine Meinung geäußert und
sicherlich ist es auch noch nicht das Ende der Untersuchun-
gen. Für uns ist vor allen Dingen die Gegenüberstellung der
beiden Systeme wichtig – das hat auch Frau Eichstädt-
Bohlig schon erwähnt –, um daraus Konsequenzen für
spätere öffentliche Baumaßnahmen zu ziehen.

Ich glaube, wir haben mit dieser Aktuellen Stunde der
Öffentlichkeit wieder einmal gezeigt, wie unzufrieden
deutsche Parlamentarier mit allem sind, was man ihnen
präsentiert. Dem einen ist das Zimmer mit 18 Quadrat-
metern zu klein. In Bonn hatten fast alle eineinhalb Zim-
mer, à 18 Quadratmeter.


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Von Ihnen ist doch kein Wort dazu gefallen! Hier geht es um Geld! So eine primitive Argumentation!)


Als die Grünen auftauchten und das Gebäude voll war,
bekamen sie Plätze in einem größeren Haus mit größeren
Räumen. Sie haben hinter dem Museum gesessen.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein, im Tulpenfeld!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419811800
Frau Kol-
legin Iwersen, kommen Sie bitte zum Schluss. Wir sind in
der Aktuellen Stunde und Sie haben ihre Redezeit schon
um eine Minute überschritten.


Gabriele Iwersen (SPD):
Rede ID: ID1419811900
Sie können sich jedenfalls
darauf verlassen, dass alle, die vorher größere Räume hat-
ten,


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Die Überschrift heißt doch nicht: zu wenig Quadratmeter! So ein Käse!)


die neuen Räume jetzt als zu klein erachten. Diejenigen
aber, die vorher in gleich großen Räumen arbeiten muss-
ten, sind höchstgradig zufrieden damit, dass sie so schöne
Büros haben. Ich möchte mich glattweg noch beim Ar-
chitekten bedanken.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419812000
Als
nächster Redner hat der Kollege Bartholomäus Kalb von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Bartholomäus Kalb (CSU):
Rede ID: ID1419812100
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin,
ich fand es nicht sehr charmant, dass Sie den hier anwe-
senden Kollegen vorwerfen, sie würden von den Dingen re-
den wie die Blinden von der Farbe. Ich nehme nicht an, dass
Sie den Fachkollegen Wagner, Frau Kollegin Eichstädt-
Bohlig, den Kollegen Kansy und Ihre Staatssekretärin
persönlich beleidigen wollten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist ja rich-
tig, dass die Bundesbaugesellschaft gegründet wurde, um
die Maßnahmen im Spreebogen abzuwickeln. Durch die
Gründung der Bundesbaugesellschaft sollte vermieden
werden, dass wir ähnliche Erfahrungen machen müssten
wie bei einer Reihe von Baumaßnahmen in Bonn.

Wir haben mit der Gründung der Bundesbaugesell-
schaft Hoffnungen und Erwartungen in Bezug auf Zeit-
disziplin und Kostendisziplin verbunden. Diese Er-
wartungen haben sich so nicht erfüllt, vielleicht zum Teil
auch nicht erfüllen lassen.

Ich tue mich persönlich schwer, wenn ich jetzt in der
Begründung für die Kostensteigerungen lesen muss, dass
ein ganz wesentlicher Teil, nämlich rund 200 Millionen
DM, mit so genannten baugrundbedingten Mehrkosten
begründet werden. Jeder, der die Verhältnisse in Berlin ein
wenig kennt, weiß, wie hoch das Grundwasser hier steht,
und auch, wie ungünstig die Bodensituation für Bauvor-
haben ist. Das war vorhersehbar und nicht etwa unvor-
hersehbar.

Allerdings wäre es auch nicht ganz fair, der Baugesell-
schaft allein die Schuld zu geben.


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Machen wir auch nicht!)


Die dramatische Entwicklung der Bauwirtschaft in den
zurückliegenden Jahren hat zu einem ruinösen Wettbe-
werb geführt. Die Unternehmen kauften und kaufen sich
die Aufträge – so sagt man in der Branche – und kalkulie-
ren Preise, die von vornherein kein Auskommen garantie-
ren können.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: So ist es nämlich!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Gabriele Iwersen

19366


(C)



(D)



(A)



(B)


Umso schlechter die Angebotspreise und die Submis-
sionsergebnisse sind, umso stärker ist natürlich der Drang,
das fehlende Geld über Nachtragsforderungen und Nach-
tragsangebote wieder hereinzubekommen. Das ging und
geht dann zu Lasten des Steuerzahlers und so mancher
mittelständischer Betriebe, die als Subunternehmer tätig
waren.

Das ist im Übrigen auch nicht nur ein Problem bei den
Bauten des Bundes und des Bundestages, sondern mitt-
lerweile auch bei fast allen öffentlichen Aufträgen. Ein öf-
fentlicher Bauherr – ein Parlament allzumal – ist in einer
ungleich ungünstigeren und schwächeren Situation als je-
der andere Bauherr. Auch das muss man bedenken. Das
liegt natürlich auch an der Dichte der Regelungen und des
Regelwerkes – angefangen bei der HOAI über die VOB,
die VOL, die EU-Koordinierungsrichtlinie, die besonde-
ren Richtlinien zur Durchführung von Bauten des Bundes
bis hin zu dem, was es in diesem Bereich sonst noch alles
gibt.

Wir sollten die Gelegenheit zum Anlass nehmen, in-
tensiv darüber nachzudenken, wie dieses Regelwerk und
auch die Vergabepraxis geändert werden müssen. Ge-
rade gestern haben wir im Haushaltsausschuss die Frau
Präsidentin des Bundesrechnungshofes gebeten, uns in
dieser Frage noch einmal mit Rat und Tat zur Seite zu
stehen.

Frau Kollegin, bei Ihnen hat vorhin etwas durchge-
schimmert, das mich ein wenig an die Arroganz mancher
Leute erinnert. Wir müssen über die Macht der Planer und
Architekten mit ihren tatsächlichen und vermeintlich sehr
weit reichenden Rechten am Bauwerk nachdenken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich bin nämlich schon der Meinung, dass wir nicht für die
Architekten bauen, sondern die Architekten für uns.


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])


Natürlich ist es gut, wenn sich ein Architekt etwas einfallen
lässt und ein Bauwerk bzw. ein Gebäude schön ist – was im-
mer man subjektiv darunter verstehen mag. Die Anforde-
rungen der Nutzer und die Nutzerfreundlichkeit – Frau
Kollegin, dafür haben Sie auch meine Zustimmung – soll-
ten bei Baumaßnahmen im Mittelpunkt stehen und nicht
zur Nebensächlichkeit verkommen. Genau diesen Ein-
druck haben aber viele Kolleginnen und Kollegen dieses
Hauses. Wenn Parlamentarismus funktionieren soll, müs-
sen auch die Arbeitsbedingungen des, – ich betone – ein-
fachen Abgeordneten – Helmut Esters hätte früher gesagt:
der Abgeordneten zu Fuße – in Ordnung sein. Funktiona-
lität und Attraktivität eines Bauwerkes müssen sich nicht
gegenseitig ausschließen.

Ich persönlich finde es im Sinne unseres Parlaments
und unserer parlamentarischen Demokratie beispiels-
weise sehr gut – das ist vorhin schon angeklungen –, dass
der Sitz unseres Parlaments, der Reichstag mit seiner
Kuppel, so interessant, imposant und attraktiv geworden
ist. Wenn ich die Zahlen recht in Erinnerung habe, dann
haben mittlerweile mehr als 5 Millionen Besucher hier
Zugang gefunden; sie haben sich das Bauwerk angesehen
und sind in die Kuppel gegangen. Ich denke, es ist auch

für uns, für die Demokratie und für die Arbeit des Parla-
ments sehr positiv, wenn das Parlamentsgebäude eine sol-
che Aufmerksamkeit erfährt, wie es offensichtlich der Fall
ist.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Der Reichstag mit seiner Kuppel – ich erinnere daran,
dass die sehr nachdrückliche Anregung dazu aus dem Par-
lament kam – ist mittlerweile unbestritten zum Wahrzei-
chen Berlins und auch des wiedervereinigten Deutsch-
lands geworden.


(Zuruf von der PDS: Das ist gut so!)


Das ist gut für unsere parlamentarische Demokratie. Ich
habe nicht gesagt: Das ist gut so.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419812200
Nächster
Redner ist der Kollege Hans Georg Wagner von der SPD-
Fraktion.


Hans Georg Wagner (SPD):
Rede ID: ID1419812300
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wenn Peter Conradi dem Parlament noch
angehörte – das ist ja leider nicht der Fall –, stünde Kol-
lege Kansy nicht so allein da.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/ CSU]: Wenn Sie das nicht gesagt hätten, hätte heute wirklich etwas gefehlt!)


– Herr Kansy, ich kann Sie beruhigen. Die Tatsache, dass
von den neun Rednern – außer Herrn Staatssekretär
Großmann, der dem Haushaltsausschuss nicht angehört –
sechs Redner Mitglied des Haushaltsausschusses sind, be-
deutet natürlich auch, dass wir ein schlechtes Gewissen
haben. An der Schaffung der Bundesbaugesellschaft wa-
ren wir seinerzeit nicht ganz unbeteiligt. Es ist zwar nicht
das herausgekommen, was wir uns vorgestellt hatten, aber
wir standen in Kenntnis der in Bonn entstandenen Bauten
der Sache in den vorangegangenen Jahren immer sehr kri-
tisch gegenüber.

Man sollte die ganze Angelegenheit einmal aus einem
anderen Blickwinkel betrachten. Ich bin stolz auf das, was
wir hier in Berlin gebaut haben. Ich bin auch froh darüber,
dass wir einen internationalen Architekten- und Ingeni-
eurwettbewerb dazu ausgeschrieben haben. Alle Bauten
sind auf der Grundlage von Wettbewerbsergebnissen ent-
standen. Deshalb unterscheidet sich das moderne Berlin,
die jetzige Bundeshauptstadt, auch von dem Zucker-
bäckerstil auf der anderen Seite, in der ehemaligen Haupt-
stadt der DDR. Die Stalinallee war ein Komplex, der den
Bauten in Moskau nachempfunden war. Sie von der PDS
kennen den stalinistischen Zuckerbäckerstil noch aus ei-
gener Anschauung.


(Zurufe von der PDS)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Bartholomäus Kalb

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(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn ich das transparente Gebäude des Deutschen
Bundestages mit dem Palast der Republik vergleiche, des-
sen Außenhaut noch steht, dann erscheint der Reichstag,
der Sitz des Deutschen Bundestages, als transparentes
Gebäude einer lebendigen Demokratie.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Wir können stolz darauf sein, dass das so ist und wir da-
mals für Weltoffenheit und Transparenz gesorgt haben.
Mich als einen der Vertreter der deutschen Architekten
freut, dass junge deutsche Architekten Wettbewerbe in
Berlin gewonnen haben. Das zeigt die Qualitäten meines
Berufsstandes und das ist erfreulich und gut so.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ob das nun so gut ist?)


In einem Punkt teile ich völlig die Auffassung, die
Bartholomäus Kalb geäußert hat. Es geht um die Haltung
der Bauwirtschaft, aber nicht nur in Bezug auf die Bauten
des Bundes. Das bezieht sich in gleicher Weise auf die
Bahn; sie ist privatisiert und somit ein privater Bauherr.
Als solcher erlebt es auch die Bahn, dass bei den Aus-
schreibungen Preise angeboten werden, die nicht gehalten
werden können.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Ich habe ja auch von öffentlichen Bauherren gesprochen!)


Es ist sehr schwierig, die wirtschaftliche Prüfung nach der
VOB vorzunehmen. Bei den später eingehenden Nachträ-
gen legen die Firmen eine Unverschämtheit an den Tag,
die man nicht akzeptieren kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Verschiedene Bauten sind innerhalb des vorgegebenen
Preislimits errichtet worden. Zum Beispiel wurde das von
uns zu verantwortende Gebäude der Deutschen Parla-
mentarischen Gesellschaft unterhalb des vereinbarten
Preises erstellt. Wenn sich der Bauherr intensiv darum
kümmert, kann man ein Gebäude also durchaus auch zu
geringeren Kosten als vorgesehen errichten.

Ansonsten muss die Moral in der Bauwirtschaft wieder
besser werden, denn ich kann es nicht akzeptieren, dass in
der deutschen Bauwirtschaft Firmen mit ganz großen Na-
men, die ja auch die von Präsidenten sind, auf ihrer Bau-
stelle acht deutsche Bauarbeiter beschäftigen, während
alle anderen aus dem Ausland stammen, für 3 oder 4 DM
pro Stunde arbeiten und bei uns schon die Tariflöhne in-
frage gestellt werden.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das ist nämlich das Problem!)


Das ist nicht zu akzeptieren.

Bekanntlich wird man aus Schaden klug. Wir werden
also versuchen, auch dies künftig noch etwas intensiver zu
untersuchen, obwohl das ganz schwierig ist.

Nun zur Bundesbaugesellschaft selbst. In der Tat dach-
ten wir damals, wenn wir eine private Bundesbaugesell-
schaft mit der Durchführung eines solchen Baus beauftra-
gen, die Mitsprache des Parlaments auf die Mitwirkung
einer Baukommission reduzieren, dann läuft das alles viel

besser. Das Ergebnis ist meiner Meinung nach eine Wie-
dergutmachung an der Bundesbaudirektion. Es wurde ge-
sagt, dabei komme nichts Gutes heraus. Beispiele dafür
sind das Hotel Petersberg, der Schürmann-Bau und das
Parlamentsgebäude. Bei allem, was in Bonn entstanden ist,
kritisierten wir, dass sie es einfach nicht hinkriegen. Aber
siehe da – das ist ein Grund, darüber nachzudenken –, die
privaten Firmen, die Bundesbaugesellschaft haben die
gleichen Probleme wie die Bundesbaudirektion. Das
spricht also nicht unbedingt gegen die Qualität der
Bundesbaudirektion. Vielleicht ist es auch ein Teil Wie-
dergutmachung, dass dies so ist.

Nun müssen wir natürlich sehen, wie das alles bezahlt
wird. Denn es gab ja doch Baupreisexplosionen, zum Teil
natürlich auch bedingt durch die Umstände, die „Grün-
dungsverhältnisse“ genannt worden sind, die allerdings
bei der Gründung hätten vorhersehbar sein müssen. Nach
meiner Einschätzung war das nicht der Fall. Es ist auch
nicht entsprechend gehandelt worden.

Ich sage zusammenfassend: Ich freue mich, dass wir
eine so große Transparenz in das Gebäude gebracht haben
und dass das Gebäude wirklich angenommen wird. Sie
hören vermutlich genau wie ich, dass viele, nicht nur die
Besuchergruppen, unbedingt in die Kuppel wollen; denn
die Kuppel ist das Wahrzeichen der deutschen Demokra-
tie nach der Wiedervereinigung geworden. Das wird an-
erkannt und man versteht, dass das auch etwas mehr kos-
ten muss. In dieser Größenordnung hätte es nicht sein
müssen, aber es ist nun einmal so. Wo gehobelt wird, da
fallen Späne und dann bleiben Baukostensteigerungen
nicht aus.

Wir sollten insgesamt zufrieden sein, der Bevölkerung
danken, dass sie diese Bauwerke annimmt, und uns
freuen, dass das demokratische Leben hier transparent
dargestellt werden kann.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419812400
Das Wort
hat nun der Kollege Dr. Ilja Seifert von der PDS-Fraktion.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1419812500
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Wir reden heute über Baupreissteigerungen
und über die Verantwortung der Bundesbaugesellschaft,
nicht über 18-Quadratmeter-Räume und nicht über die
Schönheit der Kuppel. Das ist ein anderes Thema und da-
rüber können wir ein anderes Mal reden.

Aber dass wir hier auf morastigem Boden stehen, das
lernt jeder Berliner Schüler und jede Berliner Schülerin
im Heimatkundeunterricht. Man hätte es also wissen kön-
nen. Der Grund dafür, dass das jetzt noch als Hauptargu-
ment für alle weiteren Verzögerungen genannt wird, liegt
darin, dass die Baugesellschaft, als der Fehler passierte,
sich nicht getraut hat, alle Verträge zu kündigen und neue
zu schließen. Das hätte etwas gekostet, aber es wäre bes-
ser gewesen. Bis heute ist noch nicht einmal klar: War es
der Gutachter, war es die Baugesellschaft, war es die Bau-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Hans Georg Wagner

19368


(C)



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(B)


firma, die Fehler gemacht haben? Das ist ja wohl ziemlich
lächerlich.

Aber das Problem liegt eigentlich woanders. Der Be-
schluss 1991 lautete – Herr Kansy hat daran erinnert –,
dass der Umzug von Bonn nach Berlin innerhalb von fünf
Jahren stattfinden sollte.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Vier!)


– Innerhalb von vier Jahren; ich war schon etwas großzü-
gig. – Nach fünf Jahren waren gerade mal die Planungen
abgeschlossen, weil mit sehr großer Energie verhindert
wurde, dass der Umzug schnell stattfinden konnte. Wenn
der Umzug schnell stattgefunden hätte, dann wären solche
Prachtbauten überhaupt nicht möglich gewesen, dann
hätte es – von der baulichen Substanz her – ein anderes
Parlament und eine andere Regierung gegeben. Dann
wäre Berlin hier in Mitte nicht zugebaut worden. Wir ha-
ben, als wir noch in Bonn waren, immer gesagt, es soll
keine Stadt in der Stadt entstehen. Was haben wir denn
jetzt hier? Wir haben eine Stadt in der Stadt. Man kann
hier nicht mehr wohnen.


(Gabriele Iwersen [SPD]: Eine Stadt, die ein Magnet ist, haben wir jetzt!)


– Es ist eine Stadt, die ein Magnet ist, aber hier wohnen
keine Menschen mehr, sie arbeiten hier nur; das hatten wir
schon zu DDR-Zeiten so.


(Gabriele Iwersen [SPD]: Früher war hier eine Wüste! Hier war der Todesstreifen!)


– Ich kann mich sehr gut daran erinnern, Frau Iwersen.
Das ändert nichts an der Tatsache, dass man hier eine an-
dere städtebauliche Variante hätte finden können als diese
Klotzhäuser, die – das ist ja nun eine Tatsache – keine
vernünftigen Arbeitsbedingungen für uns und für unsere
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bieten, mit denen aber
die Stadt zugebaut wurde.

Das ist das Problem, vor dem wir stehen: Die Verzöge-
rungen, die am Anfang durch Konzeptkommissionen,
durch Beamte, die umzugsunwillig waren, usw. stattge-
funden haben, führen zu einem großen Teil der Mehrkos-
ten, die wir jetzt haben. Dass die privatwirtschaftlich or-
ganisierte Bundesbaugesellschaft nicht in der Lage war,
diese Mehrkosten und diese Verzögerungen zu verhindern
– wie es alle von Ihnen, mit Ausnahme der PDS, vermu-
tet haben –, kommt dann noch erschwerend hinzu.

Ich finde es ziemlich unanständig von den Geschäfts-
führern der Baugesellschaft, wenn sie immer sagen, dass
sie auch das zahlen. Nein, das bezahlt nicht die Bundes-
baugesellschaft, das bezahlen die Frauen und Männer in
diesem Lande, die Steuern zahlen. Das ganze Geld wird
von Steuern finanziert. Insofern hätte es auch die Bun-
desbaudirektion ausgeben können; das wäre kein Unter-
schied gewesen. Ein Unterschied hätte lediglich darin
bestanden, dass die Gehälter der Chefs der Bundesbauge-
sellschaft etwas üppiger sind als die von hochrangigen
Beamten der Bundesbaudirektion, die jedoch auch gut be-
zahlt werden.

Mir geht es um Folgendes: Wenn wir eine ehrliche
Schlussbilanz ziehen – ich gebe Herrn Dr. Kansy Recht:

Wir dürfen keine voreiligen Schlüsse ziehen –, dann müs-
sen wir sagen: Große Fehler wurden aufgrund der Verzö-
gerungstaktik innerhalb des Bundestages, der Regierung
und der Beamtenschaft gemacht. Man muss jedoch fest-
stellen, dass sie wirkungsvoll gearbeitet haben.

Es haben Schlampereien stattgefunden, indem Gege-
benheiten in der Stadt einfach nicht zur Kenntnis genom-
men wurden. Wie gesagt, das mit dem Baugrund ist das
Lächerlichste, was man sich vorstellen kann.

Eine Schlamperei ist vor allem, dass man nicht den
Mut aufgebracht hat zu sagen: Wenn sich sowieso schon
alles so weit verzögert, dass wir keinen Zeitplan mehr ein-
halten können, keine Firma mehr an ihren Zeitplan erin-
nern können, auch kein Vertrag mehr eingehalten werden
muss, weil ohnehin alle Zeitpläne durcheinander sind,
dann machen wir einen Neuanfang. Wir kündigen die Ver-
träge, schreiben neu aus und schließen neue Verträge
ab. – Das aber hat nicht stattgefunden.

Jetzt können wir nur noch Schadensbegrenzung betrei-
ben. Dies wird – das will ich deutlich sagen – in der Bau-
kommission mit großem Verantwortungsbewusstsein ver-
sucht, wenn auch der Erfolg nur begrenzt möglich ist, weil
wir uns jeglichen Eingriffs in die Baugesellschaft selbst
beraubt haben, indem Sie sie privatwirtschaftlich organi-
siert haben. Das ist nun einmal so.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419812600
Das Wort
hat jetzt der Kollege Steffen Kampeter von der
CDU/CSU-Fraktion.


Steffen Kampeter (CDU):
Rede ID: ID1419812700
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte
nähert sich dem Ende.


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Dem Höhepunkt!)


Jeder, der zugehört hat, wird wissen, dass Bauen in der
Demokratie ein ausgesprochen komplexer und schwieri-
ger Vorgang ist. Wenn ich in die Runde schaue, dann stelle
ich fest, dass hier eine Reihe von Expertinnen und Exper-
ten sitzt. Bezogen auf das gesamte Parlament wird deren
Zahl die Größe einer Hundertschaft überschreiten. Bauen
in der Demokratie ist für jeden, der baut, ein ungewöhn-
lich schwieriger Vorgang.

Bei aller Mäkelei, die vonseiten der PDS vorgetragen
wird,


(Zuruf von der PDS: Das war keine Mäkelei, das war ernsthafte Kritik!)


müssen wir uns einfach einmal überlegen, was dabei he-
rausgekommen ist. Wenn ich mir das Regierungsviertel
mit dem Kanzleramt und den Neubauten anschaue und
sehe, wie viele Menschen tagtäglich zum Teil ein bis zwei
Stunden Schlange stehen und sich am Bundeskanzleramt
die Nasen platt drücken, dann muss ich sagen: Trotz die-
ses komplexen Vorganges, Bauen in der Demokratie, ist

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Dr. Ilja Seifert

19369


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das Ergebnis eine gute Visitenkarte für die Bundesrepu-
blik Deutschland, auf die wir wirklich stolz sein können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die Frage, die hier aufgeworfen worden ist, lautet: Ge-
hen wir beim Bauen in der Demokratie verantwortungs-
voll mit den Steuergeldern um, die uns die Menschen an-
vertraut haben?


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Genau das ist der Sinn dieser Aktuellen Stunde!)


Das ist die zentrale Frage. Es hat in den Beiträgen der PDS
keinen Beleg dafür gegeben, dass das anders ist.


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Selbstverständlich!)


Auch der Bericht des Rechnungshofs belegt nicht, dass
vonseiten des Parlaments Schickimicki gemacht worden
ist, durch Mehrforderungen Geld verschwendet worden
ist. Es gibt unabweisbare Mehrkosten und solche, die hät-
ten verhindert werden können. Die Mehrkosten, von
denen heute gesprochen worden ist, waren in der Regel
unabweisbar und sind nicht durch irgendwelche Sperenz-
chen aus dem parlamentarischen Bereich hervorgerufen
worden. Das muss an dieser Stelle einmal festgehalten
werden.

Es hat mich schon etwas betroffen gemacht, dass der
Kollege Seifert hier von Prachtbauten gesprochen hat.
Herr Kollege Seifert, vor etwas mehr als zehn Jahren war
hier der Todesstreifen, war hier Wüste. Das, was jetzt ent-
standen ist, ist das Ergebnis einer normalen demokrati-
schen Entwicklung,


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Das leugnet doch niemand!)


die Sie nicht mit der Gigantomanie totalitärer Systeme
und dem Begriff „Prachtbauten“ denunzieren können.


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Wenn Sie kein besseres Argument haben als das!)


Den Menschen, die hier oben sitzen und uns besuchen,
scheint es insgesamt zu gefallen. Sie kommen gerne hier-
her. Ich höre gelegentlich Kritik, aber das betrifft Ge-
schmacksfragen. Auch ich finde nicht alles super. Aber im
Grunde ist das zu unterstützen, was der Kollege Wagner
gesagt hat: Wir können stolz darauf sein, wie offen und
transparent sich die Demokratie hier im Spreebogen zeigt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich will darauf hinweisen, dass der Anlass unserer De-
batte ein Rechnungshofbericht ist. Im Rechnungshofbe-
richt muss man die Frage stellen: Hat da irgendeiner einen
Fehler gemacht? Als Mitglied des Haushaltsausschusses
sage ich: Wir sind sehr daran interessiert, dem auf die Fin-
ger zu klopfen und ihm die Hammelbeine lang zu ziehen,
wenn irgendjemand einen Fehler gemacht hat, ob es nun
der Geschäftsführer der Bundesbaugesellschaft ist oder
ob es die ausführenden Firmen sind. Wir müssen aber
rechtlich dazu in der Lage sein. Daran müssen wir nicht
erst durch die Aktuelle Stunde der PDS erinnert werden,
sondern es ist die ureigenste Aufgabe des Haushaltsaus-

schusses, sorgfältig darauf zu achten, dass wir sparsamer
mit den Steuergeldern umgehen und die Aufgaben ehrlich
erledigt werden.

Wir sind dabei nicht ohne Fehler. Aber wenn wir Hin-
weise bekommen, wo wir etwas besser machen können,
nehmen wir sie begierig auf und setzen sie um. Ich glaube
zwar nicht, dass wir noch einmal einen solchen Umzug
veranstalten können, aber für zukünftige Bauvorhaben
und für zukünftige komplexe Bauaufgaben werden wir als
Haushaltsausschuss im Interesse aller Steuerzahlerinnen
und Steuerzahler über alle Parteigrenzen hinweg darauf
achten, dass mit der Mark oder zukünftig mit dem Euro
der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler vernünftig umge-
gangen wird.

Ich will auch einmal eine Lanze für den Rechnungshof
brechen. Der Rechnungshof ist ein wichtiger Partner des
Parlaments. Er gibt uns Hinweise, er kontrolliert überall
da, wo öffentliche Gelder in Anspruch genommen und
ausgegeben werden, er gibt uns Ratschläge. Er ist manch-
mal unangenehm. Insbesondere wenn man in der Regie-
rungsverantwortung ist, möchte man den Rechnungshof
gelegentlich abschaffen, weil er unangenehme Fragen
stellt.


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Du bist ja nicht in der Regierung!)


Aber er ist ein unverzichtbares Hilfsinstrument. Deswe-
gen glaube ich, dass der Rechnungshof – besser als jeder
Untersuchungsausschuss, weil er dauerhaft für uns tätig
ist – Informationen geben kann, wie wir das Sparsam-
keitsgebot umsetzen können.

Ich will abschließend darauf hinweisen: Dies war eine
Aktuelle Stunde, die ausschließlich vom Populismus der
PDS geprägt worden ist.


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Das ist aber ganz bös!)


Sie war nicht von sachlichen Erwägungen getragen.
Wenn heute der Kollege Rössel hier beklagt hat, dass

zu große Kosten entstanden sind, und im gleichen Satz er-
klärt, dass die Rechnungen noch nicht bezahlt sind, dann
zeigt das, wie schizophren die politische Argumentation
der PDS ist.

Abschließend will ich einen Sparvorschlag machen.
Wir haben vorhin vom Palast der Republik gesprochen.
Die PDS verlangt, dass wir ihn restaurieren. Weder will
ich das Gesellschaftssystem restaurieren, noch glaube ich,


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Primitiver geht es gar nicht! Ein Superwahlkampf, den Sie für uns machen mit diesen dummen Bemerkungen! Schönen Dank!)


dass wir nach der Asbestsanierung irgendeine zusätzliche
Mark geben sollten, um den Palast der Republik so her-
zustellen, dass er uns an die SED-Herrschaft erinnert.
Dies ist ein Sparvorschlag, von dem ich mir wünschen
würde, dass ihn auch die PDS rasch aufgreift.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der SPD)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Steffen Kampeter

19370


(C)



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Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419812800
Das Wort
hat jetzt noch einmal die Kollegin Franziska Eichstädt-
Bohlig von Bündnis 90/Die Grünen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Hat sie nicht schon einmal geredet?)


– Sie darf auch zweimal reden.


(Susanne Kastner [SPD]: Aber sie hat uns noch viel zu sagen! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das werden wir erst abwarten!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

haben, habe ich mich doch noch einmal gemeldet, und
zwar zum Beitrag des Kollegen Koppelin. Aber jetzt
möchte ich auch dem Kollegen Kampeter antworten.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Bitte nicht die Ehre teilen!)


– Egal, mit und ohne Ehre.

Sie fordern einen parlamentarischen Untersuchungs-
ausschuss, Kollege Koppelin. Da möchte ich nur sagen:
Wohlan! Ich glaube, wir werden als Erstes die Entschei-
dung von Frau Schwaetzer zu untersuchen haben;


(Hans Georg Wagner [SPD]: Das macht dem Koppelin nichts aus!)


denn sie hat praktisch Mitverantwortung. Das Folgende
möchte ich in Ihrer beider Richtung für die Zeit ab 1994,
wo ich dabei war, ganz deutlich sagen – deswegen habe
ich mich noch einmal gemeldet –: Sie, Kollege Kampeter,
haben eben erklärt: Wenn wir im Haushaltsausschuss Hin-
weise bekommen, wo wir etwas besser machen können,
dann nehmen wir sie ernst. – Da wollte ich hier noch ein-
mal deutlich sagen: In der letzten Legislaturperiode hat
unsere Fraktion und habe ich persönlich sehr viele Hin-
weise gegeben und Sie haben sie nicht ernst genommen.
Wir haben einen Unterausschuss beantragt, weil wir wuss-
ten, dass nicht nur unsere Parlamentsbauten, sondern auch
die Regierungsbauten insgesamt ein riesiges Volumen
ausmachen. Da war Kostenkontrolle dringend erforder-
lich. Sie haben es abgelehnt.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist doch keine Gremienfrage gewesen! Wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründe ich einen Arbeitskreis oder einen Unterausschuss!)


Sie haben den Unterausschuss abgelehnt; Sie haben die
Kostenkontrolle abgelehnt. Ich habe intensiv dafür ge-
worben, von diesem Tunnelprojekt Abschied zu nehmen,
weil wir wussten, dass dieses Tunnelprojekt wesentlich
teurer werden würde, als uns damals von der BBB gesagt
worden ist. Es ist mehr als doppelt so teuer geworden. Wir
wissen bis heute nicht, welche Kosten in den anderen Pro-
jekten versteckt sind.

Sie haben es abgelehnt, diese Argumente ernst zu neh-
men. Sie haben damals als Mehrheit im Haushaltsaus-
schuss alle Warnungen in den Wind geschlagen, die wir
Ihnen gegeben haben. Von daher muss ich sagen: Es ist
schon eine Ironie der Geschichte, wenn Sie meinen, jetzt

einen Untersuchungsausschuss beantragen zu sollen, um
nachträglich noch einmal zu prüfen, warum die Gründung
schief gegangen ist. Da machen Sie sich wirklich selbst
lächerlich. Sie sollten sich an Ihre eigene Nase fassen,
statt im Nachhinein selbstgefällig die Schuld auf andere
schieben zu wollen. Das finde ich echt nicht fair. Sie soll-
ten sich überlegen, wo Sie selbst Verantwortung haben,
und nicht große Sprüche machen, dass Sie allen Hinwei-
sen nachgegangen seien. Seien Sie also bitte etwas ehrli-
cher!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD Die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik Fünfter Tätigkeitsbericht der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik – 2001 – Drucksache 14/7210 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner erteile ich das Wort dem Bundesminister Otto Schily. Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Die Vorlage des diesjährigen Berichtes der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR fällt in die zeitliche Nähe des zehntes Jahrestages des Stasi-Unterlagen-Gesetzes. Das ist Grund genug, über den üblichen Zweijahresbericht hinaus eine Zwischenbilanz zu ziehen. Ich beschränke mich für meinen Teil auf einige wesentliche Punkte, die in dem Bericht angesprochen werden. Es dürfte weder in diesem Hohen Hause noch in der Öffentlichkeit ernst zu nehmenden Widerspruch geben, wenn wir feststellen, dass sich das Stasi-Unterlagen-Gesetz in den letzten zehn Jahren im Ganzen bewährt hat. Es hatte sich zum Ziel gesetzt: erstens dem Einzelnen zu ermöglichen, den Einfluss der Stasi auf sein Schicksal aufzuklären; zweitens den Einzelnen davor zu schützen, durch den Umgang mit MfS-gespeicherten Informationen in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt zu werden; drittens die historische, politische und die juristische Aufarbeitung der Stasi-Tätigkeit zu fördern und viertens für öffentliche und nicht öffentliche Stellen die erforderlichen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19371 Informationen für die Zwecke des Gesetzes bereitzustellen. Diese Ziele sind als überparteilicher Konsens formuliert worden. Sie sind in der Praxis auch in großem Umfang erreicht worden. Das lässt sich schon anhand einiger Zahlenangaben verdeutlichen. Insgesamt sind bei der Gauck-Behörde – wenn ich das so sagen darf; ich müsste sie besser „Birthler-Behörde“ nennen – bis heute knapp 5 Millionen Anträge auf Auskunft, Einsicht in und Herausgabe von Unterlagen durch Bürger, von Medien, für Zwecke der Wissenschaft und politischen Bildung und auf Ersuchen öffentlicher und nicht öffentlicher Stellen eingegangen. Im Monatsdurchschnitt gingen in den letzten beiden Jahren 10 000 Anträge auf private Akteneinsicht ein, davon rund die Hälfte Erstanträge. Die Zahl der Einsichtsanträge für Forschungszwecke – insgesamt über 5 200 – nimmt zu. Was sich in diesen Zahlen manifestiert, ist ein nach wie vor anhaltendes gesellschaftliches Interesse an der Aufarbeitung der Stasi-Hinterlassenschaft, sowohl auf der Ebene der individuellen Klärung der jeweiligen Lebenssituation als auch auf der Ebene der gesellschaftlichen Diskussion. Hier verlagert sich das Interesse inzwischen von der Klärung bestimmter Einzelfälle zunehmend auf eine vertiefte, auch wissenschaftlich gesicherte Analyse des DDR-Repressionsapparates und des SED-dominierten Staates allgemein. Diese Entwicklung bestätigt die Erwartung derer, die vor zehn Jahren darauf drängten, diese Akten nicht unter Wahrung der üblichen 30-jährigen Schutzfrist unter Verschluss zu halten, sondern sie nach einem geregelten Verfahren der Aufarbeitung zugänglich zu machen. Es waren insbesondere die Mitglieder von Bürgerrechtsgruppen aus der damals untergehenden DDR, die sich für dieses Ziel eingesetzt haben. Insofern kann dieses Gesetz mit Recht als ein Erbe des Volksaufstandes in der ehemaligen DDR vom Herbst 1989 angesehen werden. Es ist aber mehr als das: In diesem Gesetz verbinden sich die rechtsstaatlichen Traditionen des freiheitlichen demokratischen Staates mit den Notwendigkeiten, die Erblasten einer totalitären Diktatur – der zweiten auf deutschem Boden – aufzuarbeiten. Dadurch ist das Gesetz ein wichtiges Element des inneren Einigungsprozesses in Deutschland geworden. Sie werden sich daran erinnern, dass es anfangs mancherlei Besorgnisse dahin gehend gab, die Akteneinsicht für Betroffene werde gesellschaftlichen Unfrieden stiften. Zum Glück ist nichts dergleichen eingetreten. Im Gegenteil: Die Akteneinsicht hat nach allgemeiner Überzeugung eher zu einer innergesellschaftlichen Befriedung beigetragen. Die Stasi-Unterlagen-Behörde, der die Umsetzung dieses Gesetzes obliegt, hat in diesen Jahren eine beeindruckende, im Inund Ausland anerkannte Leistung erbracht, besonders auch in unseren Nachbarstaaten, beispielsweise in Polen und in den anderen Staaten dieser Region. Daher nutze ich gern die heutige Gelegenheit, um den beiden Bundesbeauftragten, dem früheren Bundesbeauftragten Herrn Dr. Gauck und der jetzigen Bundesbeauftragten Frau Birthler, aber vor allem auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Behörde in der Zentrale und in den Außenstellen den Dank und die Anerkennung der Bundesregierung für die bis heute geleistete Arbeit auszusprechen. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419812900
Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1419813000

(C)


(D)


(A)


(B)


Ausdruck für diese Anerkennung war auch die Tatsache,
dass Bundeskanzler Schröder vor nicht allzu langer Zeit
die Behördenzentrale in Berlin besucht und sich unmittel-
bar einen Eindruck von der Leistungsfähigkeit der
Behörde verschafft hat.

Die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit bleibt
auch in Zukunft eine notwendige innenpolitische Auf-
gabe. Der Zeitablauf mag die Akzente verändern, aber er
mindert nicht die Bedeutung, im Gegenteil: Je größer die
Zahl derer wird, die keine eigene Erinnerung an die DDR
haben, und je weiter die Erinnerung der Mitlebenden
durch neue Erfahrungen und Probleme überlagert wird,
umso wichtiger wird es, Ursachen, Verläufe und Struktu-
ren auch der totalitären Staatsstruktur der ehemaligen
DDR wissenschaftlich zu erhellen und gesellschaftlich zu
erörtern. Die Überwindung der Folgelasten – auch der
materiellen – der ehemaligen DDR wird umso erfolgrei-
cher sein, je mehr es zugleich gelingt, eine gesellschaftli-
che Verständigung über die untergegangene Diktatur und
die aus ihr zu ziehenden Konsequenzen zu finden.

Die quellengestützte Kenntnis der historischen und
ideologischen Wurzeln der Diktatur, ihrer Durchset-
zungsmechanismen und ihrer Herrschaftspraxis beugt
nachträglichen Legendenbildungen vor und immunisiert
gegen neue totalitäre Gefahren. Die Einsicht, die die bei-
den Enquete-Kommissionen zur DDR-Aufarbeitung for-
muliert haben und der der Deutsche Bundestag zuge-
stimmt hat, bleibt richtig – ich zitiere –:

Zu den geistigen Grundlagen einer innerlich gefes-
tigten Demokratie gehört ein von der Gesellschaft
getragener antitotalitärer Konsens.

Die Aufarbeitung der Diktatur ist somit politische Bil-
dung für die Demokratie. Darum bleibt sie auch weiterhin
notwendig.

Die Aufarbeitung der Vergangenheit dient, wenn sie
richtig betrieben wird, aber auch der inneren Verständi-
gung in der Gesellschaft. Denn diese Verständigung setzt
zwei Dinge voraus: zum einen die Bereitschaft zur Wahr-
heit und zur Ehrlichkeit, zum anderen die Bereitschaft
zum Verständnis der sehr unterschiedlichen Bedingun-
gen, unter denen die Menschen im West- und Ostteil
Deutschlands 45 Jahre lang ihr Leben zu gestalten hatten.
Zur Veranschaulichung: Ende der 80er-Jahre – auch das
belegen die Stasi-Akten – kamen in der DDR auf 180 Ein-
wohner ein hauptamtlicher und zwei inoffizielle Stasi-
Mitarbeiter. – Es kommt darauf an, zu verstehen, dass die
Verurteilung des diktatorischen Systems keine Verurtei-
lung der Menschen bedeutet, die genötigt waren, in die-
sem System zu leben. Es kommt darauf an, denjenigen
Gehör zu verschaffen, die unter diesem System gelitten
haben, die durch Verlust von Leben, Gesundheit, Freiheit
oder Eigentum, aber auch durch Verlust von Bewegungs-
und Entfaltungschancen zu Opfern und zu Geschädigten
dieses Systems geworden sind.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Bundesminister Otto Schily

19372


(C)



(D)



(A)



(B)


Zu einer Zwischenbilanz der Aufarbeitung der Stasi-
Unterlagen gehört gewiss auch die Beantwortung der
Frage, inwieweit durch die bisherige Praxis Unklarheiten
im Stasi-Unterlagen-Gesetz oder bei seiner Anwendung
erkennbar geworden sind.

In den zurückliegenden Monaten hat eine lebhafte
Diskussion über die Frage stattgefunden, inwieweit Stasi-
Unterlagen über Personen der Zeitgeschichte, Inhaber
politischer Funktionen oder Amtsträger für Forschung,
politische Bildung und Medien zur Verfügung zu stellen
sind. Die Diskussion entzündete sich zwar an einem pro-
minenten Einzelfall, aber sie hat darüber hinaus grundsätz-
liche Bedeutung.

Es geht dabei den Beteiligten – das nehme ich auch für
mich in Anspruch – nicht um eine Einschränkung der Auf-
arbeitung. Es geht vielmehr allein um die Frage der
rechtsstaatlichen Sicherung der Persönlichkeitsrechte
derer, über die die Stasi Informationen zusammengetra-
gen hat. Die Persönlichkeitsrechte von Personen der Zeit-
geschichte sowie Funktions- und Amtsträgern, die zu Op-
fern von Stasi-Maßnahmen geworden sind, müssen
beachtet werden. Man darf nicht vergessen, dass die
meisten der dort zusammengetragenen Informationen auf
rechtsstaatswidrigem Wege gewonnen sind. Das Verwal-
tungsgericht Berlin hat mit seinem noch nicht rechtskräf-
tigen Urteil vom 4. August 2001 bestätigt, dass solche In-
formationen grundsätzlich nur mit Einwilligung der
Betroffenen zugänglich gemacht werden dürfen.

Es ist notwendig, dass Betroffene von Stasi-Maßnah-
men davor geschützt werden, dass unrechtmäßig gewon-
nene vertrauliche Informationen über sie ohne ihre Zu-
stimmung verwendet werden. Es ist allerdings auch
notwendig, dass der Schutz, den das Stasi-Unterlagen-
Gesetz den Betroffenen, – untechnisch gesprochen: den
Opfern von Stasi-Maßnahmen – gewährt, nicht solchen
Personen zugute kommt, die das Unterdrückungssystem
mitgestaltet und mitgetragen haben.

Ich bin der Auffassung, dass wir in der Frage der He-
rausgabe personenbezogener Informationen die notwen-
dige Austarierung zwischen Persönlichkeitsschutz einer-
seits und Aufarbeitungsinteresse andererseits im Lichte
der inzwischen vorliegenden Erfahrungen nochmals über-
denken sollten. Das könnte im Rahmen einer Anhörung
des Deutschen Bundestages geschehen. Dabei könnte
auch die weitere Frage geprüft werden, ob diese Austa-
rierung auch bei der Regelung des § 14 des Stasi-Unter-
lagen-Gesetzes gelungen ist, die die Anonymisierung
oder Vernichtung archivierter Unterlagen vom 1. Janu-
ar 2003 an ermöglicht. Auf diese Frage haben in letzter
Zeit wieder namhafte Historiker hingewiesen, obwohl ich
natürlich nicht der Auffassung bin, dass die Historiker
dankbar sein sollten, dass es die Stasi gegeben hat, ohne
die sie ihre historischen Forschungen nicht leisten könn-
ten.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Zum weiteren Vorgehen ist geplant, dass eine frak-
tionsübergreifende Arbeitsgruppe, an der sich das BMI
und die Behörde beteiligen, diese Fragen erörtern und da-
bei die Ergebnisse der bevorstehenden Anhörung auswer-

ten wird. Auf der Grundlage der Überlegungen und Emp-
fehlungen dieser Arbeitsgruppe wird dann zu entscheiden
sein, ob eine Novellierung des Gesetzes erforderlich ist,
um für die Arbeit der Behörde die notwendige Rechts-
sicherheit und für die Betroffenen den notwendigen Per-
sönlichkeitsschutz zu gewährleisten.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Lassen Sie mich abschließend auf Folgendes hinwei-
sen: Vor zwölf Jahren, im Herbst und im Win-
ter 1989/1990, wurden in der DDR und in Ostberlin Stasi-
Quartiere besetzt, MfS-Akten vor der Vernichtung
gerettet und für die Aufarbeitung sichergestellt. Den Zu-
gang zum Herrschaftswissen der Geheimpolizei zu öffnen
war ein Akt der Selbstbefreiung. Der Prozess der Befrei-
ung setzt sich seither in der nunmehr gesetzlich geregel-
ten Nutzung dieses Wissens fort. Wir brauchen dieses
Wissen für den gesellschaftlichen Dialog über Ursachen,
Strukturen und Konsequenzen der Diktatur. Wir können
für die innere Einigung und die demokratische Stabilisie-
rung unseres Landes nichts Besseres tun, als diesen ge-
sellschaftlichen Dialog mit Offenheit, dem Willen zur
Ehrlichkeit – auch da, wo sie schmerzt – und mit wech-
selseitiger Aufgeschlossenheit fortzuführen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Aufgabe der Politik bleibt es, hierfür die notwendigen
Grundlagen und Mittel weiterhin sicherzustellen.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419813100
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hartmut Büttner.


Hartmut Büttner (CDU):
Rede ID: ID1419813200
Frau
Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wir behandeln heute ganz bewusst gemeinsam den Fünf-
ten Tätigkeitsbericht der Bundesbeauftragten mit der
Erinnerung an die Verabschiedung des Stasi-Unterlagen-
Gesetzes vor zehn Jahren.

Es war der wichtigste Auftrag der DDR-Bürgerbewe-
gung, die Hinterlassenschaft des untergegangenen Minis-
teriums für Staatssicherheit nicht zu vernichten, sondern
sie den ehemals Unterdrückten zu öffnen. Diese Grund-
sätze hatte zuerst die frei gewählte Volkskammer und
dann auch der Deutsche Bundestag aufgegriffen. Schließ-
lich wurde nach intensiven Beratungen das Stasi-Unter-
lagen-Gesetz am 20. Dezember 1991 mit großer Mehr-
heit verabschiedet.

Dieses Gesetz ist nach Geist und Buchstabe zuallererst
ein Gesetz zugunsten der Bespitzelten. Dem Einzelnen
sollte Klarheit über das Einwirken der Stasi auf seinen
Persönlichkeitsbereich gegeben werden. Die Chance, die
eigene Biografie in Ordnung zu bringen, haben immerhin
gut 1,8 Millionen Menschen genutzt. Allein 1992 prassel-
ten 520 000 Anträge auf Akteneinsicht auf die damals

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Bundesminister Otto Schily

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neu errichtete Behörde nieder. Aber das Interesse hat sich
auch heute noch nicht erschöpft. Jeden Monat – Herr
Schily hat schon darauf hingewiesen – gehen durch-
schnittlich 10 000 neue Anträge ein. Die Opfer sollten
weiterhin davor geschützt werden, noch heute durch
Stasi-Materialien in ihren Persönlichkeitsrechten beein-
trächtigt zu werden.

Das Stasi-Unterlagen-Gesetz ist außerdem ein Veröf-
fentlichungsgesetz, das ausdrücklich die historische, po-
litische und juristische Aufarbeitung der Tätigkeit des
MfS gewährleisten und fördern will. Schließlich gibt die
Behörde der Bundesbeauftragten an alle öffentlichen und
nicht öffentlichen Stellen die erforderlichen Informatio-
nen für die vielfältigen, im Gesetz genannten Verwen-
dungszwecke. Bei zahlreichen Fragen der Rehabilitierung
bieten häufig allein die Stasi-Akten die Möglichkeit eines
Beweises. Strafverfolgungsbehörden erhalten Informatio-
nen über Straftaten und Verbrechen, die im Zusammen-
hang mit dem SED-Regime begangen worden sind. Vor
allem wurden bisher 1,6 Millionen Anträge von öffent-
lichen und nicht öffentlichen Stellen auf Überprüfung ei-
ner etwaigen Tätigkeit im Staatssicherheitsdienst gestellt.

Das Gesetz erfüllt aber auch eine nachgewiesene Funk-
tion des Schutzes vor ungerechtfertigten Beschuldigun-
gen. Ein negativer Beweis ist häufig nur mithilfe der
Stasi-Unterlagen möglich und kann mittlerweile sehr
rasch erbracht werden. Wie viele Menschen sind bei uns
politisch hingerichtet worden, als die Behörde noch nicht
über entsprechende Möglichkeiten verfügte! Das Wort
„Stasi“ reichte vollkommen aus, um so manchen politisch
unmöglich zu machen.

Andere Zahlen belegen, wie enorm die Arbeitsbelas-
tung der circa 3 000 Mitarbeiter der Behörde der Sonder-
beauftragten ist und wie intensiv die im Gesetz vorgese-
henen Möglichkeiten genutzt worden sind. Auch hierzu
hat Herr Schily etliche Zahlen und Daten genannt. Inter-
essant ist, dass in den letzten zehn Jahren 4 907 267 An-
träge und Ersuche – Stand September dieses Jahres – an
die Behörde herangetragen wurden.

Viele Abgeordnete des Deutschen Bundestages hatten
bei der Erarbeitung des Gesetzes große Bedenken hin-
sichtlich der Nennung der Klarnamen der Täter gegen-
über den Opfern. Heute kann ich durchaus mit etwas
Stolz verkünden: Unser Vertrauen in den Gerechtigkeits-
sinn der Menschen war richtig. Bisher ist kein einziger
Fall bekannt geworden, in dem sich ein Opfer an dem
nunmehr identifizierten Täter gerächt hat. Die Menschen
sind also verantwortlich mit dem Wissen um ihre eigene
Vergangenheit umgegangen. Das ist ein ganz wesent-
licher Punkt.

Der Tätigkeitsbericht zeigt aber auch sehr deutlich,
dass die Stasi kein reines DDR-, sondern durchaus ein ge-
samtdeutsches Problem war.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Immer mehr Menschen wird heute bewusst, dass das Mi-
nisterium für Staatssicherheit auch im alten Bundesgebiet
sehr aktiv war. Das wachsende Interesse in den westlichen

Bundesländern ist auch daran zu erkennen, dass etwa ein
Fünftel aller Anträge auf Akteneinsicht von Bürgern aus
dem Westen Deutschlands gestellt wird. Wir wissen jetzt
auch, dass die Gleichung „Opfer gab es in West und Ost;
aber der Stasi-Täter kam ausschließlich aus Deutschland
Ost“ nicht nur zu undifferenziert, sondern einfach falsch
ist.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Laufe der Jahre haben 20 000 bis 30 000 Westdeutsche
als inoffizielle Mitarbeiter für das MfS gearbeitet. Manch
ein westdeutscher Redakteur wird hoffentlich etwas
demütiger, wenn er sich an eine seiner oft sehr reiße-
rischen Berichterstattungen über die Stasi-Verseuchung
im Osten Deutschlands erinnert. Eine solche undifferen-
zierte Betrachtungsweise hat nicht nur das Selbstwertge-
fühl der Menschen aus den neuen Ländern hart getroffen.
Es hat auch dazu beigetragen, den Graben in den Herzen
und Hirnen der Deutschen zu vertiefen. Sie ließ auch kei-
nen Raum für die Wahrheit, die durch diesen Tätigkeits-
bericht ans Licht kommt. In der DDR waren die Men-
schen, die Anstand bewahrten und Zivilcourage zeigten,
in der Mehrheit. Trotz schwierigster Umstände in einer
Diktatur scheiterten drei von fünf Anwerbeversuchen des
Staatssicherheitsdienstes. In Westdeutschland wurde eine
Stasi-Mitarbeit zumeist freiwillig – ohne die vielfältigen
Pressionen des SED-Staates – erklärt.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Vielfach wird geringschätzig gemeint, wir hätten auch
dieses schwierige Problem unserer Geschichte typisch
deutsch geregelt, und zwar mit Akribie, mit Sorgfalt und
mit einer Behörde. Viele von denen, die uns dafür ge-
scholten oder auch nur belächelt haben, stehen heute in ei-
ner Reihe von interessierten Besuchern. Wir erleben der-
zeit ein gewaltiges Interesse aus allen Teilen der Welt an
diesem deutschen Lösungsweg. Das Erbe der Diktaturen
war in allen postkommunistischen Ländern Mittel- und
Osteuropas ähnlich. Es wurden aber sehr unterschiedliche
Wege beschritten, um die Diktatur der kommunistischen
Parteien und Repressionsorgane aufzuarbeiten. Die Ber-
liner Normannenstraße und die 15 Außenstellen der
Behörde der Sonderbeauftragten wurden zu Pilgerstätten
für ausländische Besucher. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz
ist zu einem Exportschlager geworden.

Mittlerweile gibt es kaum noch eine politische Kraft,
die die Richtigkeit der Entscheidung des Deutschen Bun-
destages aus dem Jahr 1991 anzweifelt. Im Gegenteil:
Fast jeder will dabei gewesen sein. Das ist eine ganz aus-
gezeichnete Entwicklung – das ist wirklich gut so –, zeigt
sie doch, dass wir mit den damals getroffenen Grundaus-
sagen richtig lagen. Die getroffenen Regelungen waren
ohne Beispiel und Vorbild. Hingegen betrachten viele ge-
standene westdeutsche Juristen das Stasi-Unterlagen-Ge-
setz auch zehn Jahre nach dessen In-Kraft-Treten als
Fremdkörper in der deutschen Rechtsordnung. Dabei
wäre es gänzlich unmöglich gewesen, mit rein westlich
juristischen Maßstäben der Aufarbeitung einer menschen-
feindlichen Diktatur gerecht zu werden. Wenn ein ganzer

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Hartmut Büttner (Schönebeck)


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Staat auf rechtswidrigen Grundlagen basiert, dann konnte
im Nachhinein niemand allein die Messlatte des Rechts-
staates anwenden wollen. Die mögliche Alternative wäre
die Vernichtung der Stasi-Akten gewesen. Nur, dann hät-
ten die Opfer niemals erfahren, ob und wann sie Ziel von
Maßnahmen des Staatssicherheitsdienstes gewesen wa-
ren.

Es war für die Akzeptanz dieses Gesetzes in der Be-
völkerung sehr wichtig, dass wir uns über Parteigrenzen
hinweg einigen konnten. Außer der PDS und einigen Ab-
geordneten der Grünen stimmten alle Mitglieder des
Deutschen Bundestages 1991 für das Stasi-Unterlagen-
Gesetz. 1991 bildete sich eine Koalition der Vernunft aus
SPD, FDP, Grünen und der Union, welche auch die bis-
herigen fünf Novellierungen dieses Gesetzes einver-
nehmlich erarbeitet und politisch getragen haben.

Im Jahr 10 seines Bestehens steht das Stasi-Unterla-
gen-Gesetz vor einer großen – vielleicht seiner größten –
Belastungsprobe. Die Aufgeregtheit dieser Tage über die
Auswirkungen des Urteils des Berliner Verwaltungsge-
richts zur Verwendung von Stasi-Unterlagen für For-
schung und Medien droht die großartige Akzeptanz des
Stasi-Unterlagen-Gesetzes in der Bevölkerung in den
Hintergrund zu drängen. Die Gefahr der heutigen Diskus-
sion ist, dass einige, denen die ganze Richtung nicht passt,
Morgenluft wittern und am liebsten das ganze Gesetz über
Bord werfen würden. Ich kann in diesem Zusammenhang
nur zu Besonnenheit und Augenmaß raten.

Von dem Rechtskonflikt sind etwa 1 400 der 2 000 vor-
liegenden Anträge von Forschern und Medien betroffen.
Alle anderen Bereiche der Arbeit der Stasi-Unterlagen-
Behörde sind vom Berliner Urteil nicht tangiert. Die Ak-
teneinsicht, die Überprüfung auf eine mögliche Stasi-
Mitarbeit und andere Formen der Aufarbeitung der Arbeit
des Staatssicherheitsdienstes können weiter so durchge-
führt werden wie bisher. Insoweit sind auch Äußerungen
unseres Kollegen und Bundestagspräsidenten Wolfgang
Thierse, das Urteil bedeute das Ende des öffentlichen Um-
gangs mit den Stasiakten, falsch und, wie ich meine, auch
ein wenig fatalistisch.

Ich finde es gut, dass durch das Urteil der Persönlich-
keitsschutz der Bespitzelten und Abgehörten verstärkt
wird, auch wenn diese Menschen Politiker, Amtsträger
oder Personen der Zeitgeschichte sind. Damit ist die auch
von mir seit langem vertretene Interpretation durch das
Berliner Verwaltungsgericht als richtig anerkannt wor-
den. Für einen Nichtjuristen ist das eigentlich gar nicht
schlecht.

Sollte das Urteil unverändert Rechtsgültigkeit erlan-
gen, dann brächte meiner Meinung nach ein Wirkungs-
bereich allerdings größte Schwierigkeiten mit sich. Die
Aufarbeitung der Akten von früheren DDR-Funk-
tionären, beispielsweise von Richtern, Bürgermeistern
oder Abgeordneten, wäre dann ebenfalls von deren Ein-
willigung abhängig. Sie bekämen damit die Macht, be-
stimmte Informationen zurückzuhalten oder Zeitge-
schichte in ihrem Sinne zu beeinflussen. Ich hoffe, dass
die Koalition der Vernunft die Kraft und die Kreativität
hat, auch für diesen Problemkreis eine einvernehmliche
Lösung zu erarbeiten. Dieser inhaltliche Konflikt darf kei-

nesfalls sämtliche anderen Aufgaben überdecken und die
Aufarbeitungskräfte völlig lähmen.

Leider, Frau Präsidentin, sind durch diese Diskussion
auch die ursprünglich geplanten Beratungen des Deut-
schen Bundestages kräftig zurückgeschnitten worden.
Von dem geplanten zweitägigen Symposium ist lediglich
diese Debatte am späten Donnerstagnachmittag übrig ge-
blieben. Schade! Ich hätte gerade im Interesse der Milli-
onen von Opfern eine etwas ausführlichere Behandlung
durch den Deutschen Bundestag für angemessener gehal-
ten.


(Beifall bei der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der FDP)


Wir hätten dann sicherlich auch vielen Menschen in an-
gemessenerer Form Dank sagen können, die sich um die
Aufarbeitung und die Bewältigung der zweiten deutschen
Diktatur verdient gemacht haben.

Danken müssen wir zuerst den mutigen, couragierten
Menschen in der DDR.

Danken müssen wir all den beteiligten Kollegen, de-
nen in der frei gewählten Volkskammer ebenso wie de-
nen im Deutschen Bundestag, welche die Grundlagen für
ein bürgerfreundliches Stasi-Unterlagen-Gesetz gelegt
haben.

Danken müssen wir vor allem auch Joachim Gauck,
der diese Behörde entscheidend geprägt hat. Was für ein
größeres Kompliment über seine Verdienste kann es noch
geben, als wenn man auch heute noch von der Gauck-
Behörde spricht?

Danken möchten wir aber ebenso der engagierten und
im guten Sinne des Wortes streitbaren Nachfolgerin
Marianne Birthler.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Nicht zuletzt danken wir den 3 000 Mitarbeitern der
Behörde.

Sie alle haben sich um die Aufarbeitung der Diktatur
und für das friedliche Zusammenleben der Menschen in
Deutschland verdient gemacht.

Ich darf feststellen: Das Stasi-Unterlagen-Gesetz hat
sich grundsätzlich bewährt. Der 20. September 1991 war
ein guter Tag für Deutschland und ein guter Tag für unsere
Demokratie.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419813300
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Cem Özdemir.


Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419813400
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe
Marianne Birthler! Sie werden sich vielleicht darüber
wundern, dass zu diesem Tagesordnungspunkt ein anato-
lischer Schwabe spricht. In meiner Fraktion gab es einige
Diskussionen darüber, wer dazu sprechen soll, und wir

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Hartmut Büttner (Schönebeck)


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haben uns ganz bewusst dafür entschieden, nicht einen
Abgeordneten aus den neuen Ländern sprechen zu lassen;
denn Herr Büttner hat Recht mit dem, was er gesagt hat,
nämlich dass es um ein gesamtdeutsches Anliegen geht,
dass es nicht ausschließlich ein Problem der neuen Län-
der ist. Vielmehr ist dieses Gesetz ein Gesetz für die Bun-
desrepublik Deutschland. Damit ist in der Rechtsge-
schichte der Bundesrepublik Deutschland eine neue Seite
geschrieben worden. Darauf können Ossis wie Wessis,
Nordis wie Südis, alle gemeinsam stolz sein. Dieses Ge-
setz hat sich bewährt und es gibt keinerlei Veranlassung,
diese Seite zu schließen oder zu sagen, dass wir die Auf-
arbeitung beendet hätten. Im Gegenteil, meine Damen
und Herren.

Ich möchte diese Gelegenheit auch nutzen, um namens
meiner Fraktion Marianne Birthler, ihrem Vorgänger
Joachim Gauck, aber auch allen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern der Behörde herzlich zu danken. Die Bitte
geht an Sie, diesen Dank wohl namens aller Fraktionen an
all Ihre Mitarbeiter weiterzugeben. Wir sind stolz auf die
Arbeit dieser Behörde und sind der Meinung, dass sich
diese Behörde nicht nur bewährt hat, sondern dass ihre Ar-
beit fortgesetzt werden muss.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Ich möchte nicht vergessen, in meinen Dank diejenigen
Parlamentarierinnen und Parlamentarier einzuschließen,
die an der Erarbeitung des Gesetzes beteiligt waren. Ich
will nicht diejenigen aufzählen, die noch heute im Bun-
destag sind. Stellvertretend für andere möchte ich aber
diejenigen nennen, die heute nicht mehr im Bundestag
sind: Ich denke an Ingrid Köppe vom damaligen Bünd-
nis 90, aber auch an Burkhard Hirsch von der FDP-Frak-
tion, die maßgeblich dazu beigetragen haben, dass es die-
ses Gesetz heute gibt. Das sollte man heute nicht
vergessen, denn wir verdanken ihnen, dass dieses Gesetz,
das sich bewährt hat, heute ein fester Bestandteil der
Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland ist.

Der Kollege Büttner hat bereits auf die große Zahl de-
rer hingewiesen, die bis heute Anfragen stellen, um Ein-
blick in die Akten zu nehmen. Die Zahl von fast 5 Milli-
onen Antragstellerinnen und Antragsteller zeigt, dass
diejenigen, die die Akten damals heimlich vernichten, die
sie schließen wollten, die sie bunkern oder den Betroffe-
nen auf andere Weise entziehen wollten, nicht Recht hat-
ten. Diese Enteignung der Menschen ist gescheitert und
sie wird auch in Zukunft scheitern. Wir alle stehen in der
Verpflichtung gegenüber denjenigen, die damals die
friedliche Revolution in den neuen Ländern möglich ge-
macht haben. Es gilt heute auch derjenigen zu gedenken,
die dazu beigetragen haben, dass wir heute ein vereinig-
tes Deutschland haben, dass Ost und West zusammen-
wachsen konnten.

Ich möchte die Gelegenheit aber auch nutzen, mich an
die Kolleginnen und Kollegen von der Union zu richten.
Ich weiß, dass der Fall Helmut Kohl sehr kontrovers dis-
kutiert wird. Ich möchte alle bitten – das gilt für alle Frak-
tionen –, keine unzulässige Vermischung zwischen dem
Parteispendenskandal, der mit dem Fall Helmut Kohl ver-
bunden ist – er muss bei anderer Gelegenheit aufgearbei-

tet werden –, und der Arbeit der so genannten Stasi-Un-
terlagen-Behörde vorzunehmen. Wir würden der Behörde
und dem Gesetz mit einer solchen Vermischung nicht ge-
recht werden.


(Beifall der Abg. Gisela Schröter [SPD])


Das gilt sowohl für diejenigen, die ein Interesse an der
Aufklärung dieses Falls haben, als auch für diejenigen,
die ein Interesse an der Weiterarbeit der Behörde haben.

Ich habe die Rede vorhin so verstanden, dass es inter-
fraktionell ein Bemühen gibt, eine Verständigung zu er-
zielen. Für meine Fraktion kann ich sagen – das gilt si-
cherlich auch für die anderen Fraktionen –, dass wir im
Interesse der Behörde bereit sind, eine vernünftige Lö-
sung zu finden. Wir müssen all diejenigen zurückweisen,
die versuchen, anhand dieses Falles die Arbeit der
Behörde einzuschränken oder gar zu beenden.


(Beifall der Abg. Gisela Schröter [SPD])


Eine gesetzliche Klarstellung ist nach dem, was wir ge-
genwärtig wissen, sicherlich notwendig. Wir müssen die
Ergebnisse der geplanten Anhörung im Innenausschuss
abwarten. Namens meiner Fraktion sage ich: Wir müssen
darauf achten, dass wir bei einer Neufassung keine neuen
Gräben zwischen Ost und West aufreißen.


(Beifall der Abg. Gisela Schröter [SPD])


Mich hat die Darstellung von Marianne Birthler sehr
beeindruckt. Sie hat darauf hingewiesen – das wusste ich
als jemand, der im Westen aufgewachsen ist, bisher nicht –,
dass es auch in den neuen Ländern auf lokaler Ebene
Funktionäre gab, die sich dem Missbrauch durch die Stasi
entzogen haben.


(Gisela Schröter [SPD]: Richtig!)


Nicht jeder Funktionär hat sich durch die Stasi missbrau-
chen lassen. Auch das muss man in diesem Kontext er-
wähnen und deutlich machen.


(Gisela Schröter [SPD]: So ist es!)


Deshalb wäre eine Beschränkung auf Funktionäre nicht
gerechtfertigt und falsch. Wir müssen auch heute darauf
achten, dass wir keine Gesetze machen, die denjenigen,
die kein Interesse daran haben, dass die Gräben zwischen
Ost und West zugeschüttet werden, die Arbeit erleichtern.

Zum Schluss möchte ich namens meiner Fraktion den
Opfern der Verfolgung durch die Stasi danken, die auf be-
eindruckende Art und Weise der Versuchung widerstan-
den haben, Rache zu nehmen. Unter den Opfern befinden
sich auch einige Kolleginnen und Kollegen aus unserem
Hause; eine Kollegin wird nachher noch selbst sprechen.
Sie widerstanden der Versuchung, obwohl Schreckliches
mit ihnen gemacht wurde, Rache zu üben. Vergebung
kann nur von den Opfern ergehen, nicht vom Staat. Die
Einzigen, die das Recht haben, zu vergeben, sind die Op-
fer. Auf deren Stimme müssen wir heute hören.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP und der Abg. Dr. Ruth Fuchs [PDS])


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Cem Özdemir

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Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419813500
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Schmidt-Jortzig.


Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (FDP):
Rede ID: ID1419813600
Frau Präsiden-
tin! Verehrte Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Fünfte
Tätigkeitsbericht der – früher des – so genannten Stasi-
Unterlagen-Beauftragten – der volle Titel ist, wie der
Bericht zu Recht vermerkt, etwas sperrig – stellt ein be-
sonderes Ereignis dar. Er gibt Anlass für eine Zwischen-
bilanz. Dies nicht nur, weil dieser Bericht der erste ist, den
Sie, verehrte liebe Frau Birthler, während Ihrer Amtszeit
hier vorlegen, sondern auch, weil gemäß unserem Dezi-
malbewusstsein ein Jubiläum zu beachten und zu begehen
ist. Auch ich will mich dieser Zwischenbilanz stellen.

Insgesamt kann man sicherlich – das ist in den Beiträ-
gen bisher in hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck
gekommen – sagen, dass sich Auftrag und Arbeit der
Stasi-Unterlagen-Behörde in hohem Maße bewährt ha-
ben. Das können und dürfen auch Streitigkeiten nicht ver-
decken, die sich an Einzelpunkten entzündet haben und
gewiss immer wieder einmal entstehen mögen. Das Ge-
heimnis für dieses erfolgreiche Wirken ist nach meiner
Sicht der ganz überwiegende Bezug aller Bemühungen
auf die Opfer bzw. – wie es im Stasi-Unterlagen-Gesetz
heißt – die Betroffenen der systematischen staatlichen Be-
spitzelung in der DDR, genauer könnte man vielleicht
noch von den Getroffenen sprechen. Eben deren Verlet-
zungen, Schädigungen, Traumatisierungen und Gerech-
tigkeitsenttäuschungen sind ja Punkte, welche einen
rechtsbewussten, republikanischen, demokratischen Staat
wie die Bundesrepublik Deutschland auf den Plan rufen
mussten. Denn die Empfindungen und Bedürfnisse seiner
Bürger bezüglich dieser Punkte machen seine Legitima-
tionsgrundlage aus und die Ernstnahme und Verarbeitung
eben dieser psychologischen wie atmosphärischen Bedin-
gungen können Integration der bisher Ausgegrenzten be-
wirken.

Ganz offenbar hat auch gerade dieser Punkt so bei-
spielgebend gewirkt, dass sich verschiedene Staaten, de-
ren Ordnung sich aus einer totalitären in eine freiheitlich-
demokratische gewandelt hat, an Auftrag, Einrichtung
und Arbeit des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterla-
gen zu orientieren versuchten. Darauf ist ja auch schon
Bezug genommen worden. Ich denke da nicht nur an die
vielen Konversionsstaaten in Mittel- und Osteuropa, son-
dern auch und speziell etwa an Südafrika oder an Chile.
Erst vorgestern haben wir in der deutsch-polnischen Par-
lamentariergruppe von einem Polen, der die dortigen
Verhältnisse genauestens kennt, gehört, dass die Brüche,
die Uneinheitlichkeit, das öffentliche Desinteresse oder
– das würden wir sagen – die Politikverdrossenheit der
polnischen Gesellschaft, die sich zuletzt etwa auch in der
niedrigen Wahlbeteiligung niedergeschlagen hat, mit da-
rauf zurückzuführen seien, dass man eben eine Auf-
arbeitung, wie sie in Deutschland die Stasi-Unterlagen-
Behörde leistet, dort nicht vorgenommen hat.

Mir scheint, meine Damen und Herren, die Besinnung
auf dieses Kernanliegen der Gesetzgebungsinitiative von
vor zehn Jahren ist angesichts der Tatsache, dass
– womöglich wegen Zunahme des zeitlichen Abstandes

oder auch kurzfristiger anderer Aktualitäten – die Kon-
stellationen auch zu anderen Zwecken stärker genutzt
werden sollen, besonders wichtig. § 1 des Gesetzes vom
20. Dezember 1991 hat eindeutig die Ermöglichung des
Zugangs durch die betroffenen Einzelnen zu den von der
Stasi über sie gesammelten Informationen und den Schutz
der Persönlichkeitsrechte dieser Opfer seinen Regelun-
gen als Ziel vorgegeben. Die allgemeine wissenschaftli-
che Aufarbeitung der Stasi-Tätigkeit und die öffentliche
Information darüber sind erst danach aufgeführt worden
und dürfen die Grundintention nicht verwischen.

Wenn ich es richtig sehe, hat bisher die Tätigkeit der
Stasi-Unterlagen-Behörde diesen Vorgaben auch in aller
Regel Rechnung getragen. Wo man einmal die Persön-
lichkeitsrechte des betroffenen Einzelnen gegenüber dem
öffentlichen Informationsbedürfnis und -interesse hint-
anstellen wollte, ist das rasch beanstandet worden. Das
geschah etwa 1995 durch das Kieler Landgericht gegen
den bekannten Untersuchungsausschuss des Schleswig-
Holsteinischen Landtages; in einem anderen Fall ist das
1996 durch den Bundesbeauftragten für Datenschutz mo-
niert worden und hat jüngst – darauf wurde schon hinge-
wiesen – das Berliner Verwaltungsgericht einschreiten
lassen. Bei circa 5 Millionen Benutzungsanträgen, davon
über 250 000 solchen auf Herausgabe von Unterlagen,
war das aber stets die absolute Ausnahme. Die Be-
hauptung jedenfalls, es habe eine langjährige Gegenpra-
xis der Behörde gegeben, ist augenscheinlich falsch; denn
wo immer sonst das allgemeine Informationsinteresse
die Offenlegung auch von Persönlichkeitsdaten bewirkt
hat, geschah dies immer mit Zustimmung der betroffenen
Einzelnen.

Diese Linie – das soll mein Fazit sein – muss auch
künftig durchgehalten werden, und zwar natürlich selbst
dann – das richte ich insbesondere an Sie, Herr Özdemir,
der Sie richtigerweise von Gräben, die wir nicht auf-
reißen, sondern zuschütten sollen, gesprochen haben –,
wenn die Betroffenen respektive die Opfer der Bespitze-
lung damals wie heute bekannte Personen sind oder wa-
ren, und völlig unabhängig davon, ob sie damals oder
heute ihren Wohnsitz im Westen oder im Osten hatten
oder haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Im Übrigen begrüßen wir es – auch das sei noch ange-
merkt, ist aber selbstverständlich; wir haben das auch
schon persönlich ausgedrückt –, dass demnächst noch
eine Sachverständigenanhörung die fortdauernde
Gediegenheit der in ihrem Großteil immerhin schon zehn
Jahre alten Gesetzestatbestände und die Entwicklungs-
perspektiven der Stasi-Behörden-Arbeit ausführlich aus-
leuchten soll. Wenn es auch noch gelingt, dass die
Behörde selber eine etwas breiter angelegte, durchaus re-
präsentative Veranstaltung zu diesem Thema plant, dann
ist das nicht nur der Sache dienlich, sondern würde gleich-
falls sehr begrüßt werden.

Danke sehr.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19377


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Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419813700
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ulla Jelpke.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1419813800
Frau Präsidentin! Sehr geehrte
Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Birthler!
Frau Birthler, Sie haben die Bitte geäußert, dass wir uns
zehn Jahre nach In-Kraft-Treten des Stasi-Unterlagen-Ge-
setzes Gedanken über die Erfahrungen und über die Pro-
bleme machen müssen. Ausgangspunkt ist hierbei der
Rechtsstreit zwischen Ihrer Behörde und dem früheren
Bundeskanzler Kohl bzw. dem Innenminister Schily.

Wir halten diese Auseinandersetzung auf jeden Fall für
notwendig; denn wir meinen auch, dass sich eine ganze
Reihe von Problemen, deren Aufarbeitung jetzt angesagt
ist, in diesen zehn Jahren angehäuft haben. Dabei muss
von vornherein klar sein, dass Betroffene auch in Zukunft
ein uneingeschränktes Recht auf Einsicht in ihre Akten
haben. Daran darf auf gar keinen Fall gerüttelt werden.

Wir erleben aber jetzt im Fall Kohl den Versuch einer
Änderung des Umgangs mit den Stasi-Akten. Ich plä-
diere dabei keineswegs für ein Vorgehen nach dem Mus-
ter „Gleiches Unrecht für alle“. Ganz im Gegenteil: Es
darf nicht sein, dass jetzt nur für Kohl verboten wird, was
vorher jahrelang für Menschen mit Ostbiografien erlaubt
war und möglicherweise auch in Zukunft erlaubt sein
wird.


(Beifall bei der PDS – Dr. Edzard SchmidtJortzig [FDP]: Das stimmt eben nicht! – Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Das ist doch Demagogie!)


Fakt ist nämlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
CDU, dass die Stasi-Unterlagen-Behörde in der Vergan-
genheit bei Personen aus der ehemaligen DDR durchaus
locker mit personenbezogenen Informationen an die
Öffentlichkeit getreten ist, obwohl diese Personen Opfer
oder Betroffene im Sinne des Stasi-Unterlagen-Gesetzes
waren.


(Hartmut Büttner [Schönebeck] [CDU/CSU]: Aber nur, wenn es Täter waren! – Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Nennen Sie einen einzigen Fall, Frau Kollegin!)


– Herr Büttner, Sie wissen ganz genau, auf welchen Fall
ich hier anspiele.

Dieser Fehler sollte von der Behörde meines Erachtens
auch eingestanden werden, wenn es um die Aufarbeitung
geht. Ansonsten bleibt der bittere Eindruck, dass erneut
Westprominente gegenüber Ostprominenten privilegiert
werden bzw. dass durch Westprominente diese Diskus-
sion überhaupt erst möglich geworden ist. Das können Sie
wohl nicht bestreiten.

Des Weiteren stellt sich die Frage nach der Aufarbei-
tung der deutsch-deutschen Geschichte. Im Streit zwi-
schen Kohl und der Stasi-Unterlagen-Behörde geht es
auch um den Konflikt zwischen dem Recht der Öffent-
lichkeit auf Aufklärung des Regierungshandelns und dem
Anspruch des Einzelnen auf Schutz seiner Persönlichkeit.

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts hat deutlich
gemacht – das ist schon gesagt worden –, dass es eine
Rechtsunsicherheit bei der Anwendung von § 32 des
Stasi-Unterlagen-Gesetzes gibt. Dieser Paragraph ist
beispielsweise für die Forschung nicht ohne Bedeutung.
Hier müssen einige Punkte geklärt werden. Wörtlich heißt
es in § 32:

... stellt der Bundesbeauftragte folgende Unterlagen
zur Verfügung: ... Unterlagen mit personenbezoge-
nen Informationen über Personen der Zeitge-
schichte, Inhaber politischer Funktionen oder Amts-
träger in Ausübung ihres Amtes,

– jetzt folgt der Halbsatz, der diesen Streit ausgelöst hat –

soweit sie nicht Betroffene oder Dritte sind.

In diesem Zusammenhang möchte ich sagen: Wenn
Kohl abgehört wurde, dann ist er ein Betroffener. Das ha-
ben wir immer gesagt. Die Daten, die durch illegales Ab-
hören gesammelt wurden, haben unserer Meinung nach
nichts in der Öffentlichkeit zu suchen, auch nicht ange-
sichts der Tatsache, dass Kohl eine Person der Zeitge-
schichte ist. Trotzdem bleibt das Problem in der Auseinan-
dersetzung, in der es um Erkenntnisse über das Denken und
Handeln der Spitzenpolitiker der Bundesrepublik geht.

Ich denke, wer die deutsch-deutsche Geschichte ver-
nünftig aufarbeiten und ausleuchten will, der muss die
Akten von zeitgeschichtlicher Relevanz insgesamt auf
den Tisch legen. Mit diesem Konflikt, wie weit geforscht
werden kann, und mit den vorhandenen zeitgeschichtli-
chen Interessen muss man sich meiner Meinung nach aus-
einander setzen; denn auch in den Akten, die über Kohl
existieren, gibt es politisch interessante Punkte, die für die
Aufarbeitung sehr wichtig sein können.

Es darf ebenfalls nicht zu einer einseitigen Aufarbei-
tung kommen. Im Moment besteht die Gefahr im doppel-
ten Sinne des Wortes. Bei anderen Archiven gibt es Sperr-
fristen von zum Teil mehreren Jahrzehnten, während die
Akten der früheren DDR offen liegen. Problematisch ist
auch, dass die Stasi-Unterlagen-Behörde im Augenblick
die Akten zusätzlich sortiert – es gibt Wissenschaftler, die
das zurzeit kritisieren – und nur die Akten herausgibt, von
denen sie meint, sie herausgeben zu können. Ob die
Behörde will oder nicht, übt sie auch hier einen indirek-
ten Einfluss auf die Aufarbeitung der Geschichte aus.

Wir stehen hier also vor einem doppelten Problem der
Gleichbehandlung. Was für den Umgang mit staatlichen
Akten der früheren DDR gilt, muss auch für die Akten der
früheren Bundesrepublik Deutschland gelten. Persön-
lichkeitsrechte für Menschen mit Westbiografien müssen
auch für Menschen mit Ostbiografien gelten.


(Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Tun sie doch!)


Das gilt es aufzuarbeiten, wenn die Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts im Fall Kohl gefallen ist. Wir
begrüßen es, dass es hierzu, wie der Innenminister an-
gekündigt hat, eine Anhörung geben soll.

Dabei ist nicht nur das Stasi-Unterlagen-Gesetz zu prü-
fen. Viel wäre geholfen, wenn wir die Fristen für die Ge-
heimhaltung aller Regierungsakten verkürzen und den

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119378


(C)



(D)



(A)



(B)


Zugang dazu verbessern würden. Dazu würde auch
gehören, den Zugang der Öffentlichkeit zu den Akten aller
Geheimdienste, also auch der westdeutschen, zu korri-
gieren.


(Beifall bei der PDS)


Das sage ich ganz bewusst als Westdeutsche, die der Mei-
nung ist, dass diese einseitige Aufarbeitung nicht weiter
bestehen darf.

Das wäre unserer Meinung nach ein Schritt zu mehr de-
mokratischer Transparenz und zur besseren Kontrolle der
Regierung mit Auswirkungen auch auf die aktuelle Poli-
tik. Das wäre auch ein Schritt zu mehr Gerechtigkeit und
Gleichbehandlung im Umgang mit der deutsch-deutschen
Geschichte.

In diesem Sinne danke ich Ihnen für Ihre Aufmerk-
samkeit.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419813900
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Gisela Schröter.


Gisela Schröter (SPD):
Rede ID: ID1419814000
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Wir beraten heute den Fünften
Tätigkeitsbericht der Bundesbeauftragten für die Unterla-
gen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR.
Wir tun dies in einer Zeit, in der wir zugleich innen- und
außenpolitische Antworten von größter Tragweite auf die
Ereignisse des 11. September finden müssen. Ich wünsche
mir, dass die öffentliche Aufmerksamkeit für unsere heu-
tige Debatte trotzdem nicht geschmälert wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir nehmen heute
nicht nur einen jährlichen Tätigkeitsbericht zur Kenntnis;
alle meine Vorredner haben schon darauf hingewiesen.
Ich möchte mich dem Dank an die Behörde und an sämt-
liche Mitarbeiter, auch in den Außenstellen, die in den
letzten Jahren eine ganz wichtige und sehr gute Arbeit ge-
leistet haben, anschließen.

Gestern haben wir den ersten Bericht von Marianne
Birthler entgegengenommen. Ich freue mich, sie heute
hier begrüßen zu können. Allmählich gewöhnt man sich
auch an den Namen Birthler-Behörde, ich denke, auch
dank des entschiedenen Auftretens von Frau Birthler.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eine Bemerkung am Rande: Wenn wir in der letzten
Zeit die Frage einer Novellierung des Stasi-Unterlagen-
Gesetzes auch kontrovers diskutiert haben, sind wir uns,
denke ich, in einem auf alle Fälle einig. Eine Gesetzesän-
derung ist unstrittig: Überall, wo im Gesetz „der Bundes-
beauftragte“ steht, sollte jetzt „die Bundesbeauftragte“
oder „der oder die Bundesbeauftragte“ stehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich denke, dass wir das bei der nächsten Gelegenheit er-
ledigen können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir blicken auf zehn
Jahre Erfahrung mit einem Gesetz zurück. Meine Vorred-
ner haben aus ihrer jeweiligen Position darauf zurückge-
blickt. Gestatten Sie mir, auch einmal meine Gedanken
dazu hier zu sagen.

Auf der Grundlage dieses Gesetzes konnten bereits
Hunderttausende – das ist richtig – Aufschluss über die
näheren Umstände und Hintergründe ihrer individuellen
Lebens- und oftmals auch Leidensgeschichte bekom-
men. Ich möchte auch hier daran erinnern, dass es einige
gibt – unter anderem zwei Freunde von mir –, die es nicht
mehr erlebt haben, weil sie sich aufgrund des Drucks, der
auf sie ausgeübt wurde, das Leben genommen haben.
Diese Opfer standen nicht im Mittelpunkt oder in der Öf-
fentlichkeit. Meine Freunde kamen aus einem kleinen
thüringischen Städtchen, wo man nicht die Möglichkeit
hatte, irgendetwas zu mobilisieren, um auf sich aufmerk-
sam zu machen. Es ist mir wichtig, heute an sie zu erin-
nern, weil es mir wirklich ein Bedürfnis ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Stasi-Unterla-
gen-Gesetz ist auch mit entscheidend dafür, dass die Men-
schen aus den neuen Ländern in der Gesellschaft des ver-
einten Deutschlands angekommen sind. Mehr noch, die
Aufarbeitung der eigenen Geschichte ist eine Vorausset-
zung dafür, dass die Menschen nicht nur in der Demokra-
tie ankommen, sondern auch den Blick auf die gemein-
same Zukunft richten und an ihrer Gestaltung teilnehmen
können.

Als Ostdeutsche möchte ich an dieser Stelle aber auch
die Bilanz von zehn Jahren Stasi-Unterlagen-Gesetz beto-
nen, weit über den integrativen und die Einheit festigen-
den Beitrag hinaus. Dass wir uns mit den MfS-Unterlagen
beschäftigen und uns fragen, wie wir damit umgehen wol-
len, darf nicht zu einer lästigen Aufgabe werden, die sich
in wenigen Jahren von selbst erledigt. Nein, in der Ausei-
nandersetzung mit einem diktatorischen Regime liegt die
große Chance, die Grundpfeiler unseres freiheitlich-de-
mokratischen Gemeinwesens zu stärken.

Liebe Kollegen und Kolleginnen, 1989 und 1991 ha-
ben wir uns ganz bewusst dafür entschieden, aus den Feh-
lern nach 1945 zu lernen, wo man die Geschichte nicht
sofort richtig aufgearbeitet hat, wo man bestimmten Kon-
frontationen aus dem Wege gegangen ist. Wir wissen,
diese Vergangenheit hat uns immer wieder eingeholt.
Diese Erfahrungen wollten wir mit dem Stasi-Unterlagen-
Gesetz vermeiden. Heute, nach zehn Jahren, können wir
sagen: Das ist uns gelungen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Auf diesem Wege, liebe Kolleginnen und Kollegen, müs-
sen wir weiter gehen.

Ganz bewusst haben wir uns dafür entschieden, die
Unterlagen des MfS nicht, wie vorhin schon gesagt wor-
den ist, dem Bundesarchivgesetz zu unterwerfen, in dem
lange Sperrfristen vorgesehen sind. Wir wollten die

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Ulla Jelpke

19379


(C)



(D)



(A)



(B)


Offenlegung, die direkte Konfrontation mit den Zeugnis-
sen eines menschenverachtenden Regimes.

Heute, nach zehn Jahren, können wir sagen: Dieses
Stasi-Unterlagen-Gesetz ist kein Auslaufmodell. Viel-
mehr ist es nach wie vor im positivsten Sinne des Wortes
eine ostdeutsche Mitgift für die Festigung der freiheitlich-
demokratischen Zukunft der Bundesrepublik.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Ich denke, dem entspricht auch das breite Spektrum der
Aufgaben der Behörde, die ich hier nicht alle zu wieder-
holen brauche. Schon ein flüchtiger Blick in den vorlie-
genden Tätigkeitsbericht gibt ein anschauliches Bild von
der Vielfalt und der Notwendigkeit dieser Aufgaben. Über
die Zahl der Bürger, die nach wie vor dort Einsicht neh-
men wollen und auch können, ist vorhin schon gespro-
chen worden.

Die jüngste Geschichte des Stasi-Unterlagen-Gesetzes
ist – auch darauf wurde hingewiesen – von einer Verunsi-
cherung über die Anwendung seiner Normen – es geht
um bestimmte Paragraphen – gekennzeichnet. Es gibt Pa-
ragraphen, über die neun Jahre lang nicht diskutiert
wurde, die in jüngster Vergangenheit aber um so heftiger
infrage gestellt worden sind. Die Beauftragte selber hat
den Gesetzgeber um eine Präzisierung gebeten. Ich
denke, dass wir dieser Bitte auch nachkommen werden.
Es ist darauf hingewiesen worden, dass wir eine Exper-
tenanhörung durchführen werden. Wir sollten auch darü-
ber diskutieren, wie wir weiter damit umgehen.

Ich meine: Zehn Jahre Erfahrungen mit dem Stasi-Un-
terlagen-Gesetz sind ein guter Anlass, um eine umfas-
sende Bestandsaufnahme zu machen. Wir sollten uns
dann unabhängig von noch ausstehenden Rechtsprechun-
gen darüber unterhalten, ob es einen Novellierungsbedarf
gibt und wenn ja, wo und in welcher Weise. Das sollten
wir vollkommen offen diskutieren. Ich denke, hier sind
wir auf einem guten Weg. Dabei werden wir natürlich
nach den Intentionen des Gesetzgebers fragen müssen, als
er 1991, nach einer fast zweijährigen Debatte, das Stasi-
Unterlagen-Gesetz beschlossen hat. Diese Intentionen
dürfen wir nicht außer Acht lassen.


(Beifall des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich weiß, dass wir damals ganz heftig darum gestritten ha-
ben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ob es dabei zu einer
Akzentverschiebung kommt, wird sich erst am Ende der
Debatte und nicht schon am Anfang, also erst nach der
Anhörung, zeigen. Ich bitte, dass wir ganz offen mit die-
ser schwierigen Problematik umgehen.

Gleichgültig, ob und in welchen Punkten es am Ende
zu einer Novellierung kommt: Für mich ist entscheidend,
dass die eminent wichtigen Aufgaben des Stasi-Unterla-
gen-Gesetzes für die innere Verfassung unserer Gesell-
schaft dadurch nicht infrage gestellt werden. Der Beitrag
dieses Gesetzes für die politische Kultur in unserem Land
ist beträchtlich. Damit kein Raum für Missverständnisse
bleibt, möchte ich noch einmal klarstellen: Hierbei geht es

nicht nur um die Aufarbeitung von DDR-Geschichte. Ich
bin meinen Kollegen dankbar, die darauf hingewiesen ha-
ben. Es ist ein Teil deutscher Geschichte. Deshalb haben
hier nicht nur Ostdeutsche die Aufgaben zu erledigen; es
geht uns alle an.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der FDP und der PDS)


In einer Zeit, in der der freiheitlich-demokratische
Rechtsstaat seine Wehrhaftigkeit gegen terroristische
Bedrohungen verstärken muss, bekommen die MfS-Un-
terlagen und der Umgang mit ihnen eine zusätzliche Be-
deutung. In seiner Monströsität ist dieses Erbe Mahnung
dafür, wohin es führen kann, wenn das Verhältnis zwi-
schen Freiheit und Sicherheit aus der Balance gerät.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Damit sind das Stasi-Unterlagen-Gesetz und – auf sei-
ner Grundlage – die Arbeit der Behörde beständige Auf-
forderung, dass wir dieses Spannungsverhältnis ebenso
wie das Verhältnis zwischen den Persönlichkeitsrechten
und dem öffentlichen Informationsinteresse immer wie-
der ausbalancieren. Dieser Prozess spiegelt rechtsstaatli-
che Normalität wider. Wenn die Balance gelingt, festigen
wir auch die freiheitlich-demokratischen Grundlagen un-
seres Zusammenlebens im Osten wie im Westen: in unse-
rer gemeinsamen deutschen Demokratie.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419814100
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Vera Lengsfeld.


Vera Wollenberger (CDU):
Rede ID: ID1419814200
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der größte Teil der Mitglieder
dieses Hauses ist sich einig, dass das Stasi-Unterlagen-
Gesetz eine Erfolgsgeschichte ist. Ich erinnere noch ein-
mal daran, dass diese Akten geöffnet worden sind, damit
die Opfer von Stasiverfolgung ihre Akten einsehen kön-
nen. Sie haben das in einer verantwortungsvollen Art und
Weise getan. Jedenfalls ist es nicht zu dem vor der Ak-
tenöffnung prophezeiten Bürgerkrieg gekommen, auch
nicht zu allen anderen Gräueltaten, aber sie hat natürlich
zu einem geführt: Mit der Öffnung der Stasi-Akten wurde
das Gerüst einer Diktatur bloßgelegt und es wurden die
Täter, die dieser Diktatur gedient haben, kenntlich ge-
macht.

Bevor ich auf diesen Punkt zu sprechen komme, weise
ich auf eines ganz entschieden hin. Da die Akten vor allen
Dingen für die Opfer geöffnet worden sind, muss auch der
Opferschutz in der Weise, wie er zu Beginn intendiert
war, erhalten bleiben. Ich persönlich würde mich gegen
alles wehren, was diesen Opferschutz einschränkte, unab-
hängig davon, ob es sich bei diesen Opfern um unbe-
kannte Personen oder so genannte Personen der Zeitge-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Gisela Schröter

19380


(C)



(D)



(A)



(B)


schichte handelt. Das ist kein Ost-West-Problem, sondern
ein Täter-Opfer-Problem. Diese Tatsache darf in dieser
Debatte nicht verwischt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Ich bin auch im Zweifel, ob diese Stasi-Unterlagen vor-
dergründig als Material für Geschichtsaufarbeitung ge-
schützt werden müssen, denn sie sind zum Beispiel hin-
sichtlich der Stasi-Vermerke über die Opfer eher
unzuverlässig. In anderer Hinsicht sind sie sehr zuverläs-
sig. Sie sind sehr hilfreich für die Identifikation der Tä-
ter. Auch das ist bei vermuteten 20 000 bis 30 000 West-
spionen kein Problem von Ost oder West.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich nutze die Gelegenheit, um einmal vorzuführen,
welches Demagogenstück uns heute von der PDS zuge-
mutet wurde. Jetzt sind nur noch drei Abgeordnete dieser
Fraktion anwesend. Zwei davon waren inoffizielle Mitar-
beiter der Staatssicherheit.

Frau Abgeordnete Jelpke, Sie zelebrierten hier das Kla-
gelied der geschundenen Ostbiografie. Ich zeige Ihnen jetzt
eine exemplarische Ostbiografie eines im Plenarsaal anwe-
senden Abgeordneten auf. Ich spreche von Professor
Heinrich Fink, IM „Heiner“. Als er Chef der Christlichen
Friedenskonferenz war und Bärbel Bohley, Freia Klier und
andere, unter anderem auch ich, im Stasigefängnis saßen
und anschließend abgeschoben wurden, hatte IM „Heiner“
von der Staatssicherheit den Zersetzungsauftrag, diese Ab-
geschobenen in Kirchenkreisen des Westens zu diffamie-
ren. Er hat diesen Auftrag zuverlässig erfüllt.

Dieser Mann sitzt heute im Bundestag und kann hier
sprechen. Von geschundener Ostbiografie kann in diesem
Zusammenhang überhaupt nicht die Rede sein. Eher frage
ich mich, wie dem berechtigten Anliegen der Bürgerbe-
wegung, dass inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit
zumindest nicht mehr in herausragenden politischen
Funktionen tätig sein sollen, in diesem Falle Rechnung
getragen wurde.


(Dr. Heinrich Fink [PDS]: In dieser Zeit waren Sie in der SED!)


Ich führe gleich ein noch viel bekannteres Beispiel an,
weil man dieses Lied von der PDS immer hört.


(Zuruf von der SPD: Wir sind nicht im Gerichtssaal!)


In dieser ganzen Stasi-Diskussion wird immer gesagt, Po-
litiker aus dem Osten mussten sich gefallen lassen, was
man Kohl nicht zumuten will. In diesem Zusammenhang
wird immer von Dr. Gregor Gysi gesprochen. An dieser
Stelle verlese ich, was der Bundestag festgestellt hat und
was in diesem Hohen Hause noch nicht verlesen worden ist.


(Ulla Jelpke [PDS]: Jetzt reicht es aber!)


Nach dem Ergebnis einer sorgfältigen Recherche unter
Auswertung von über 1 000 Blatt IM-Akten hat der Im-
munitätsausschuss Folgendes festgestellt:


(Ulla Jelpke [PDS]: Der Tätigkeitsbericht ist dran!)


Dr. Gysi hat nach Überzeugung des Ausschusses
seine Anwaltstätigkeit

in der DDR
dazu benutzt, um im Rahmen seiner inoffiziellen
Zusammenarbeit mit dem MfS Informationen über
seine Mandanten zu liefern und Arbeitsaufträge des
MfS auszuführen. Die Überprüfung der verschiede-
nen Mandatsverhältnisse hat in jedem der genannten
Fälle ergeben, dass Rechtsanwalt Dr. Gysi personen-
bezogene Informationen, Einschätzungen und Be-
wertungen zu seinen Mandanten an das MfS weiter-
gegeben hat.

Aber er hat noch mehr gemacht:
Dr. Gregor Gysi hat in der Zeit seiner inoffiziellen
Tätigkeit Anweisungen seiner Führungsoffiziere
über die Beeinflussung seiner Mandanten ausgeführt
und über die Erfüllung seiner Arbeitsaufträge berich-
tet. Er hat sich hierauf nicht beschränkt, sondern
auch eigene Vorschläge an das MfS herangetragen.
Dr. Gysi hat seine herausgehobene berufliche Stel-
lung als einer der wenigen Rechtsanwälte in der
DDR genutzt, um als Anwalt auch international be-
kannter Oppositioneller die politische Ordnung der
DDR vor seinen Mandanten zu schützen. Um dieses
Ziel zu erreichen, hat er sich in die Strategien des
MfS einbinden lassen, selbst an der operativen Bear-
beitung von Oppositionellen teilgenommen und
wichtige Informationen an das MfS weitergegeben.
Auf diese Erkenntnisse war der Staatssicherheits-
dienst zur Vorbereitung seiner Zersetzungsstrategien
dringend angewiesen. Das Ziel dieser Tätigkeit unter
Einbindung von Dr. Gysi war die möglichst wirk-
same Unterdrückung der demokratischen Opposition
in der DDR.

Dieser Mann sitzt heute nicht nur im Bundestag, son-
dern auch in allen Talkshows. Die große Frage ist immer:
War er es oder war er es nicht? Ich sage es Ihnen hier von
diesem Pult aus: Er war es.

Leider ist meine Redezeit zu Ende; sonst hätte ich Ih-
nen noch einmal erklärt, wie die Zersetzungspläne der
Staatssicherheit ausgesehen haben, die jetzt durch die Ak-
tenöffnung offensichtlich geworden sind. Diese Zer-
setzungspläne gingen bis hin zur Planung von Morden.
Mein Freund Jürgen Fuchs hat drei solcher Mordan-
schläge überstanden; einer davon betraf seine ganze
Familie. In diese Zersetzungspläne der Staatssicherheit
eingebunden zu sein war kein Kavaliersdelikt, sondern ist
eine Sache, zu der man, wenn man sich als Volksvertre-
ter und vor allen Dingen als Vertreter ostdeutscher Inte-
ressen aufspielt, wenigstens ehrlich stehen sollte. Das tut
Dr. Gregor Gysi leider nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich Fink [PDS]: Wann berichten Sie denn über Ihre SED-Vergangenheit?)


– War das jetzt eine Zwischenfrage? Dann würde ich sie
gerne noch beantworten.


(Susanne Kastner [SPD]: Nein, das war keine, Frau Präsidentin!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Vera Lengsfeld

19381


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Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419814300
Die Redezeit ist
zu Ende.


Vera Wollenberger (CDU):
Rede ID: ID1419814400
Darüber habe ich im-
mer und überall offen geredet. Jeder, der mich kennt, und
jeder, der das liest, was ich veröffentlicht habe – das kön-
nen auch Sie in meinen Büchern nachlesen –, weiß, dass
ich das immer ganz offen sage. Es besteht, bitte schön, ein
Unterschied, ob man in irgendeiner Partei gewesen ist
– das waren Sie ja auch –


(Dr. Heinrich Fink [PDS]: Aber Sie waren in der SED!)


oder ob man für die Staatssicherheit gearbeitet hat und
sich in die Zersetzungspläne der Staatssicherheit hat ein-
binden lassen. Das ist Ihr Problem.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Heinrich Fink [PDS]: Das ist Ihr Problem!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419814500
Ich weise darauf
hin, dass Kollegen dieses Hauses, die persönlich ange-
sprochen worden sind, das Recht haben, zu ihrer Person
Stellung zu nehmen, wenn sie das möchten.

Als Nächste hat die Bundesbeauftragte für die Stasi-
Unterlagen, Marianne Birthler, das Wort.

Marianne Birthler, Bundesbeauftragte für die Unter-
lagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deut-

(von Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD mit Beifall begrüßt)

men und Herren! Zehn Jahre sind seit der Verabschiedung
des Stasi-Unterlagen-Gesetzes vergangen. Das ist ein
guter Anlass für mich, zu Ihnen zu sprechen. Sie haben am
14. November 1991 den Weg dafür frei gemacht, dass die
Aufarbeitung des Unrechts einer Diktatur so erfolgen
konnte, wie es historisch und weltweit bisher nie möglich
war. Sie haben seither parteiübergreifend dafür Sorge ge-
tragen, dass nicht nur die rechtlichen Grundlagen, son-
dern auch die nötigen Ressourcen für die Arbeit meiner
Behörde zur Verfügung standen. Dies hier zu würdigen ist
mir eine große Freude.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Der Bundestag war damals, wie schon einmal in der
deutschen Geschichte, herausgefordert, mit der Hinterlas-
senschaft einer Diktatur umzugehen, mit den Wunden der
Opfer und ihrer Hoffnung auf Gerechtigkeit, mit Verbre-
chen, für die es kein Strafrecht gab, mit Staatsdienern, de-
nen ihr Staat abhanden gekommen war, mit den politi-
schen und kulturellen Schäden einer Gesellschaft nach
fast sechs Jahrzehnten in zwei Diktaturen.

Das Stasi-Unterlagen-Gesetz ist ein eindrücklicher Be-
leg für das Bemühen, 17 Millionen Menschen nicht nur in
die Bundesrepublik zu integrieren, sondern sich auch ih-
rer Geschichte zu stellen. Grundlage dafür war die Ent-
schiedenheit, mit der die Abgeordneten der Volkskam-
mer zuvor die Öffnung der Stasi-Akten – im Übrigen

gegen die Skepsis beider Regierungen – durchgesetzt hat-
ten.

Niemand konnte damals wissen, welche Wirkungen
dieses Gesetz entfalten würde. Ob den Opfern der Stasi
die erhoffte Genugtuung zuteil werden würde, ob Men-
schen überhaupt wünschten, ihre Akten zu sehen, auch ob
die Stasi-Akten für die zeitnahe Aufarbeitung durch Me-
dien und Wissenschaft genutzt würden, musste sich erst
erweisen. Und: Welche Folgen würde es haben, wenn die
Namen der Täter offenkundig würden?

Um es kurz zu sagen: Das Gesetz hat sich als überaus
praxistauglich erwiesen und wurde in einem unerwarteten
Maß in Anspruch genommen. Die Zahlen sind heute
schon mehrfach genannt worden. Abgesehen von den
Überprüfungen vor allem im öffentlichen Dienst deutet
nichts auf einen Rückgang der Nachfrage hin. Letzteres
ist die einzige Aufgabe nach dem Stasi-Unterlagen-Ge-
setz, die zeitlich befristet wurde.

Wichtigstes Ziel der Aktenöffnung war, es den Opfern
der Diktatur zu ermöglichen, ihr Schicksal aufzuklären.
Die Begegnung mit der Wahrheit war und ist oft schmerz-
haft. Manche wagen es erst jetzt, nach jahrzehntelangem
Abstand, ihre Akte einzusehen. Billiger aber als mit die-
sem Schmerz ist die Überwindung von Unrecht, ist die
von vielen ersehnte individuelle oder auch gesellschaftli-
che Versöhnung nicht zu haben.


(Dr. Edzard Schmidt-Jortzig [FDP]: Sehr richtig!)


Mit der Aktenöffnung war auch die Hoffnung darauf
verbunden, dass das Personal in öffentlichen Ämtern, in
Behörden, Schulen oder auch Rundfunkanstalten zumin-
dest hinsichtlich einer Zusammenarbeit mit der Stasi un-
belastet sein sollte.

Eine glückliche Entscheidung des Gesetzgebers war
es, dass die Behörde darauf beschränkt ist, auf Antrag
Auskünfte zu erteilen. Die Bewertungsmaßstäbe, auch die
Verfahren, sind in der Praxis von Ländern und Kommu-
nen sehr unterschiedlich. Überprüfungsverfahren verlan-
gen Augenmaß und viel Mühe. Gute Erfahrungen werden
überall dort gemacht, wo zum einen Verfahren und Maß-
stäbe transparent waren und wo zum anderen eine diffe-
renzierte Einzelfallüberprüfung erfolgte.

Die Erforschung von Struktur und Wirkungsweise des
MfS schließlich erbrachte wichtige Erkenntnisse über das
Wesen von Diktaturen. Überwachung und Repression wa-
ren Schlüsselfunktionen für den Machterhalt der SED.
Die Arbeit im Archiv, die Publikationen, die Öffentlich-
keitsarbeit, die Ausstellungen und Veranstaltungsreihen,
die neuen Ansätze für die politische Bildungsarbeit in
Schulen und mit Jugendlichen können hier nur erwähnt,
aber nicht beschrieben werden.

Wichtig ist mir – gerade im Hinblick auf die Frage, wie
diese Akten auch für Jugendliche nutzbar gemacht wer-
den können – der Hinweis darauf, dass die Akten eben
nicht nur Beispiele für Verrat und Schande enthalten, son-
dern auch zahllose Beispiele für Mut und für ganz alltäg-
liche Anständigkeit Hunderttausender.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119382


(C)



(D)



(A)



(B)


Wenig bekannt in der Öffentlichkeit ist die Tatsache,
dass sich in den Unterlagen des MfS erhebliche Bestände
an NS-Akten befanden. Sie sind im Übrigen auch ein Be-
leg dafür, dass die SED recht instrumentell mit diesem
Erbe umgegangen ist. Mit ihrer Hilfe ist die Aufarbeitung
mancher Verbrechen aus der Zeit des nationalsozialisti-
schen Regimes erst heute ermöglicht worden.

Zu den Aufgaben der Behörde in diesem Zusammen-
hang gehört auch ein Antrag von Yad Vashem. Auf diesen
Antrag hin wurden bislang 90 000 Kopien herausgegeben.

Herr Büttner hat schon darauf hingewiesen: Im Zuge
der Erfüllung all dieser Aufgaben nimmt das Interesse an
der Aufarbeitung der kommunistischen Diktaturen
über Ländergrenzen hinweg zu. Die Stasi-Unterlagen-
Behörde der Bundesrepublik Deutschland gilt aufgrund
ihres Erfahrungsvorlaufs als Modell und ist gefragter
Partner für Informationsaustausch und Kooperation. Ge-
nauso wie mein Vorgänger Joachim Gauck pflege ich
diese Kontakte sehr gern, nicht zuletzt mit Blick auf die
Perspektive eines gemeinsamen Europas. Wenn wir ein
europäisches Gemeinwesen begründen wollen, so gehört
dazu auch die Beschäftigung mit der europäischen Ge-
schichte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP)


Der Kommunismus war ja nicht nur ein nationales, son-
dern ein europäisches Phänomen. Ich persönlich meine,
dass die Zeit für eine europäische Institution, die sich der
Erforschung des Kommunismus in Europa widmet, bald
gekommen sein müsste.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der CDU/CSU)


Nachdem das Verwaltungsgericht Berlin im Juli dieses
Jahres der Klage von Dr. Helmut Kohl stattgegeben hat,
liegt das Verfahren nun beim Bundesverwaltungsgericht.
Aber wie auch immer die Entscheidung ausfallen wird,
deutlich geworden ist längst, dass die Frage, wessen Ak-
ten unter welchen Bedingungen an wen herausgegeben
werden dürfen, der politischen Klärung bedarf. Ich freue
mich deshalb, dass sich der Bundestag dieser Frage an-
nehmen wird.

Die Hinterlassenschaft der Stasi ist nun einmal so be-
schaffen, dass die für die Aufarbeitung wichtigen Infor-
mationen auf das Engste mit personenbezogenen Infor-
mationen verwoben sind. Genau dies war der Grund
dafür, dass der Gesetzgeber die Nutzung personenbezo-
gener Daten ermöglicht hat, obwohl diese nahezu aus-
schließlich rechtswidrig erhoben wurden. Ihre Nutzung
freilich ist an strenge Restriktionen gebunden, die seitens
meiner Behörde seit Jahren peinlichst beachtet werden.
Eine dieser Bindungen ist die Zweckbindung aus dem § 1
des Gesetzes.

Nun kann man ja Verständnis für sehr viel Neugierde
haben, auch Verständnis dafür, dass der Aufklärungswille
sehr groß ist. Aber ich sage hier eindeutig: Das Stasi-Un-
terlagen-Gesetz ist für die Aufklärung der MfS-Tätigkeit
– wenn Sie so wollen: für die Aufklärung der DDR-Dik-

tatur – gemacht worden und nicht für die Aufklärung der
bundesdeutschen Spendenaffären.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Dass die Herausgabe von Daten sowohl bei Mitarbei-
tern wie auch bei Betroffenen stets unter der Maßgabe
überwiegend schutzwürdiger Belange erfolgt, haben wir
in vielen Fällen erlebt. Wenn wir in den letzten zehn Jah-
ren in der Behörde Klagen oder Beschwerden bekommen,
so bezogen sie sich im Allgemeinen fast ausschließlich
darauf, dass wir zuviel anonymisiert, zuviel gestrichen
oder abgedeckt haben und nicht zu wenig.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch noch
auf einen Zungenschlag eingehen, der gelegentlich im
Zusammenhang mit dem Aktenstreit in der Öffentlichkeit
zu hören ist, der aber meines Erachtens der Richtigstel-
lung bedarf. Man kann sicherlich nicht abstreiten: Die
Tatsache, dass die Stasi auch im Westen sehr aktiv war, hat
die Sensibilitäten auch im Westteil unseres Landes erhöht.
Aber eines ist einfach nicht wahr: dass wir in der Vergan-
genheit Unterlagen nach unterschiedlichen Maßstäben
herausgegeben hätten, je nachdem ob es sich um Ost- oder
Westdeutsche handelte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD der CDU/CSU und der FDP)


Das Stasi-Unterlagen-Gesetz sieht einfach verschiedene
Verfahren vor, je nachdem ob es sich um Mitarbeiter oder
Betroffene handelt. Und das macht den Unterschied aus.


(Hartmut Büttner [Schönebeck] [CDU/CSU]: Genauso ist es!)


– Ich bin gar nicht sicher, ob ich auf Zwischenrufe rea-
gieren darf. Ich glaube nicht. Ich würde es gerne tun.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wir sind ein freies Land!)


Trotz dieser Klagen über eine zu restriktive Handha-
bung bei der Herausgabe der Akten muss ich darauf hin-
weisen: Das Gesetz, auf dessen Grundlage wir arbeiten,
lässt nichts anderes zu, denn es ist eben beides. Es ist zu-
gleich Aktenöffnungs- und Datenschutzgesetz.

Ich bin sehr froh, dass die Debatte aus Anlass des Fünf-
ten Tätigkeitsberichtes nicht hinter der zum Teil heftig ge-
führten Debatte über die Herausgabe von Unterlagen nach
§§ 32 und 34 verschwindet. Das hätte die Arbeit, die seit
zehn Jahren in dieser Behörde geleistet wird, nicht ver-
dient.


(Beifall des Abg. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig [FDP])


Trotzdem wird uns diese Frage noch reichlich beschäfti-
gen.

Zehn Jahre nach seiner Verabschiedung ist festzustel-
len, dass das Interesse an den Stasi-Akten nicht nur bei
den einzelnen Bürgerinnen und Bürgern wach und leben-
dig geblieben ist. In diesen Wochen und Monaten gibt es
zahlreiche Veranstaltungen, Tagungen und Diskussionen
zum Thema und ich darf Sie natürlich auch von hier aus
schon zur Festveranstaltung der Behörde aus Anlass des

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Marianne Birthler

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zehnten Jahrestages der Verabschiedung des Gesetzes am
28. November sehr herzlich einladen.

Das Ende der Aufarbeitung, der berühmte Schluss-
strich, ist nicht in Sicht. Er wäre auch weder wünschens-
wert noch machbar; denn die Erfahrung mit der ersten
deutschen Diktatur zeigt, dass sich nach dem Ende einer
Diktatur im Laufe der Jahrzehnte immer neue Fragen stel-
len und nach Antwort verlangen. Elf Jahre, das ist keine
lange Zeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419814600
Wir sind damit
am Ende der Debatte.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/7210 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:

7. Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Klaus Brähmig, Ernst Hinsken, Anita Schäfer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Rahmenbedingungen für die Tourismuswirt-
schaft innerhalb der Europäischen Union
– Drucksachen 14/5841, 14/6955 –

Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP
vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Dage-
gen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlos-
sen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Klaus Brähmig.


Klaus Brähmig (CDU):
Rede ID: ID1419814700
Sehr geehrte Frau Prä-
sidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Glaube, Liebe
und Hoffnung zeichnen die momentane Wirtschaftspoli-
tik der rot-grünen Bundesregierung aus. Die rot-grüne
Bundesregierung glaubt an die Omnipotenz des Staates.
Auch für die Wirtschaftspolitik gilt das Motto: Alle Macht
geht vom Staate aus. Die rot-grüne Bundesregierung liebt
ein Jahr vor der Bundestagswahl wieder die unbrauchba-
ren wirtschaftspolitischen Ansätze der Gewerkschafts-
lobby. Das Motto lautet: Tausche neue Mitte gegen alte
Linke.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: So ein Quatsch!)


Die rot-grüne Bundesregierung hofft auf einen erneuten
Aufschwung der Weltwirtschaft. Das Motto lautet: Lieber
die Politik der ruhigen Hand als aktive Wirtschaftspolitik
mit handwerklichem Können.


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Schlimm!)


Die Hoffnung auf den Aufschwung wird allerdings
spätestens in der Sonne des Spätsommers 2002 dahin-
schmelzen. Warum? Weil Sie mit dem Job-Aqtiv-Gesetz
den zweiten und dritten Arbeitsmarkt zusätzlich subven-
tionieren, anstatt mit Kombilöhnen Bewegung in den ers-
ten Arbeitsmarkt zu bringen; weil Sie mit dem neuen Mit-
bestimmungsrecht den Faktor Arbeit zusätzlich um
mehrere Milliarden DM belasten und ausschließlich die
Arbeitnehmerrechte ausweiten, anstatt die unternehmeri-
sche Freiheit zu stärken; weil Sie durch die Erhöhung der
Tabak-, Versicherung- und Ökosteuer die Kauf- bzw. In-
vestitionskraft von Bürgern und Unternehmen zusätzlich
abschöpfen, anstatt eine schnelle und umfassende Steuer-
erleichterung durchzusetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich bin davon überzeugt: Am 22. September 2002 wer-

den Sie die Quittung für vier verlorene Jahre bei der Ent-
wicklung Deutschlands im weltweiten Wettbewerb erhal-
ten.


(Widerspruch bei der SPD)

Neben diesen grundsätzlichen Fehlern, die Sie in der

Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik begehen, lassen Sie
aber auch den Mut vermissen, in die Wachstumsbranche
Tourismus zu investieren, die weltweit als Jobmotor gilt.
Eine Expertenkommission der Europäischen Union errech-
nete für den Zeitraum bis 2010 allein innerhalb der EU ein
Potenzial von 3,3 Millionen neuen Arbeitsplätzen in der
Tourismuswirtschaft. Auch nach dem 11. September 2001
gilt der Tourismus als Hoffnungsträger bei der Sicherung
bestehender und der Schaffung neuer Arbeitsplätze – übri-
gens nicht exportierbarer Arbeitsplätze in Deutschland.

Durch kreative Entscheidungen und die richtige Festle-
gung der Prioritäten könnte auch Deutschland von der
Leitökonomie des 21. Jahrhunderts profitieren. Während in
anderen Ländern Europas der Entwicklung des Tourismus
und anderer Dienstleistungssektoren eine sehr hohe Prio-
rität eingeräumt wird, führt dieser Bereich in Deutschland
vergleichsweise ein Schattendasein. Genau aus diesem
Grund hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion diese Große
Anfrage zu den Rahmenbedingungen für die Tourismus-
wirtschaft innerhalb der Europäischen Union eingebracht.

Die uns vorliegende Antwort der Bundesregierung do-
kumentiert mit umfangreichem Zahlenmaterial, dass die
deutsche Tourismuswirtschaft bei wichtigen Kennzahlen
der europäischen Konkurrenz hinterherhinkt. Deutsch-
land sitzt nicht im Führerhaus der Lokomotive, sondern
im Bremserhäuschen.


(Zurufe von der SPD: Ach!)

An folgenden Beispielen möchte ich das verdeutlichen.

Spanien und Großbritannien stellen aus öffentlichen Kas-
sen jährlich 151 bzw. 114 Millionen DM für nationale
Tourismuswerbung zur Verfügung. Selbst das kleine Ös-
terreich investiert hier 68 Millionen DM.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Deutschland fällt mit 42 Millionen DM deutlich zurück.
Beim Vergleich der Pro-Kopf-Ausgaben sind wir sogar
das absolute Schlusslicht der Europäischen Union.


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Rote Laterne!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Marianne Birthler

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Während die Schweiz und Österreich nach den Terror-
anschlägen auf New York und Washington sogar noch zu-
sätzliche Finanzmittel für das Auslandsmarketing bereit-
stellen, wurde der Antrag der CDU/CSU-Fraktion, die
Mittel für die DZT um bescheidene 6 Millionen DM auf-
zustocken, von den Koalitionsfraktionen in den Aus-
schüssen brüsk abgebügelt. Die Begründung lautet, es sei
kein Geld für dieses dringend notwendige Standortmar-
keting vorhanden bzw. die Union habe keine Deckungs-
vorschläge eingebracht.


(Brunhilde Irber [SPD]: So ist es!)


Gleichzeitig werden innerhalb von kürzester Zeit
500 Millionen DM für die Erhöhung der Kosten der Bun-
desbauten in Berlin als überplanmäßige Ausgaben dekla-
riert und durch den Haushaltsausschuss abgenickt. Das-
selbe geschieht bei den EXPO-Kosten sowie bei den
Kosten für andere aktuelle Ereignisse. Das Totschlag-
argument, es sei kein Geld für Standortmarketing vorhan-
den, gilt also nur für gewisse Teilbereiche der Etat-
planung.


(Jörg Tauss [SPD]: Das Geld habt ihr versaubeutelt!)


Aber nicht nur bei der Etatplanung scheinen andere eu-
ropäische Regierungen die richtigen Prioritäten zu setzen.
Auch die Steuerpolitik wird von allen anderen europä-
ischen Regierungen innovativ zur Tourismusförderung
eingesetzt. Der in Deutschland gültige normale Mehr-
wertsteuersatz von 16 Prozent ist im Vergleich zu ande-
ren EU-Ländern niedrig. Betrachten wir aber das per-
sonalintensive Hotel- und Gaststättengewerbe und die
Freizeitwirtschaft, dann wenden fast alle europäischen
Konkurrenten einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf
diese Dienstleistungen an. Der Vorteil für unsere unmit-
telbaren Nachbarn bei den Kosten für die Beherbergung
beträgt in Österreich 6 Prozent, in den Niederlanden 10,
in Frankreich 11,5 und in Luxemburg sogar 13 Prozent.
Dort wird nationale Steuerpolitik zum Standortmarketing
genutzt.

Ich frage die rot-grüne Bundesregierung: Wo bleibt die
versprochene Initiative zur Harmonisierung der Mehr-
wertsteuersätze? Wo bleibt die Initiative für einen er-
mäßigten Mehrwertsteuersatz in Deutschland?


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Richtig! – Zuruf von der SPD: Wo bleibt die Initiative für die Sächsische Schweiz?)


Wie andere europäische Regierungen ihre Freizeitwirt-
schaft stützen bzw. wie sie mit hohen Subventionen zur
weiteren Wettbewerbsverzerrung beitragen,


(Jörg Tauss [SPD]: Subventionen wollt ihr?)


sieht man am Beispiel der Freizeitparks: Der Europa-
Park Rust der mittelständischen Unternehmerfamilie
Mack steht unter anderem in direkter Konkurrenz mit dem
Freilichtmuseum Ecomusée in Ungersheim im Elsass.
Der französische Konkurrent erhielt im Gegensatz zum
Europa-Park eine Startspritze von 30 Millionen DM.
Euro-Disney in Paris erhielt vom französischen Staat so-
gar 500 Millionen DM. Auch beim ebenfalls in Ungers-
heim geplanten Bioscope-Freizeitpark beteiligt sich die

französische Regierung mit 120 Millionen DM. Zusätz-
lich übernimmt Paris eine Beteiligung von 49 Prozent und
damit auch 49 Prozent der Anlaufverluste. Nach der An-
laufphase soll die Beteiligung an die Betreibergesellschaft
Parc Asterix abgetreten werden.

Unser deutscher Mittelstand geht bei Investitionsvor-
haben auf Bittstellertour bei den Banken und die franzö-
sische Konkurrenz wird mit Subventionen hochgepäp-
pelt.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Wollen Sie auch Subventionen?)


Unser Mittelstand will keine Subventionen, aber er
möchte Chancengleichheit im europäischen Wettbewerb.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich frage Herrn Wirtschaftsminister Müller: Wo bleibt die
Initiative zur Beseitigung dieser eklatanten Wettbewerbs-
nachteile für unsere mittelständischen Unternehmen?


(Abg. Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Die Initiative fehlt wie der Minister!)


Meine Damen und Herren, Sie sehen: Fragen über Fra-
gen, aber es gibt leider keine Antworten.


(Zuruf von der SPD: Das sind die falschen Fragen!)


Genau in 54 Tagen, am 1. Januar 2002, erhalten
Deutschland und elf weitere Mitgliedstaaten der Europä-
ischen Union eine einheitliche Währung: den Euro. Dies
ist ein historischer Augenblick. Dieses Datum stellt ge-
rade für die europäische Tourismusbranche eine große
Chance dar. Denn von Görlitz bis zur Algarve und von
Sizilien bis nach Helsinki sorgt der Euro ab dem 1. Januar
2002 für einzigartige Preistransparenz. Mein Vorwurf an
die rot-grüne Bundesregierung lautet: Durch wirtschafts-
politische Fehlentscheidungen und Untätigkeit beim Ab-
bau von Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der EU be-
trügen Sie Deutschland um seine Chance auf neue
Arbeitsplätze.


(Jörg Tauss [SPD]: Die Sie Stück für Stück aufgebaut haben!)


Selbst das von uns initiierte Jahr des Tourismus in
Deutschland haben Sie leider ungenutzt verstreichen las-
sen.


(Brunhilde Irber [SPD]: Also, jetzt reicht es aber!)


Meine Forderung an die Bundesregierung lautet: Sorgen
Sie endlich für fairen Wettbewerb in Europa! Sorgen Sie
endlich für Chancengleichheit in Europa! Sorgen Sie end-
lich für die Interessen des deutschen Mittelstandes!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419814800
Herr Kollege
Brähmig, gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Klaus Brähmig (CDU):
Rede ID: ID1419814900
Ja, bitte.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Klaus Brähmig

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Birgit Roth (SPD):
Rede ID: ID1419815000
Herr Kollege, würden Sie
mir bitte einmal erklären, wie Sie denn auf die Idee kom-
men, dass die Bundesregierung im Bereich des Tourismus
im Bremserhäuschen sitzt? Ich möchte Sie nur darauf
hinweisen, dass Sie in Ihrer Regierungszeit die Zahlungen
an die DZT, die in Millionenhöhe erfolgen, gnadenlos he-
rabstufen wollten. Darf ich Sie darauf hinweisen, dass wir
es trotz der von Ihnen übernommenen Staatsverschuldung
geschafft haben, die Zahlungen an die DZT Jahr für Jahr zu
erhöhen und dass wir heute bei 45 Millionen DM liegen?

Sie haben eben von wirtschaftspolitischen Fehlent-
scheidungen gesprochen. Ich wäre Ihnen dankbar gewe-
sen, wenn Sie heute bei der Mittelstandsdebatte anwesend
gewesen wären. Dann hätten Sie erfahren, was in den letz-
ten drei Jahren alles gemacht wurde. Ich möchte Ihnen
gern ein Beispiel geben, zu dem Sie Stellung beziehen
sollten.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419815100
Frau Kollegin,
Sie tun etwas, was Sie bei einer Zwischenfrage nicht ma-
chen dürfen, nämlich eine Rede halten. Sie haben sich zu
einer Zwischenfrage gemeldet, die in der Regel aus einer
einzigen Frage besteht.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So geht das nicht, Frau Kollegin Roth!)



Birgit Roth (SPD):
Rede ID: ID1419815200
Würden Sie mir bitte er-
klären – –


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419815300
Nein, Frau Kol-
legin, Sie dürfen nicht weiter fragen. Sie müssen stehen
bleiben, während Sie jetzt Ihre Antwort bekommen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Stehen bleiben! Wenn schon, denn schon!)



Klaus Brähmig (CDU):
Rede ID: ID1419815400
Zu dem Vorwurf, ich sei
bei der Mittelstandsdebatte nicht dabei gewesen: Ich habe
sie mir im Fernsehen in meinem Büro angesehen. Ich
denke, meine Kollegen haben mich bei der Diskussion gut
und seriös vertreten. Sie haben den Finger in die offene
Wunde gelegt und die Defizite aufgezeigt. Ich habe ange-
sprochen, was der Wirtschaftsstandort Deutschland drin-
gend braucht.

Frau Kollegin Roth, ich habe einen längeren Brief an
Herrn Staatssekretär Mosdorf zu dem Thema DZT ge-
schrieben. Ich hoffe, dies mildert Ihre Einstellung zu der
Problematik der Förderung. Das ist eine Schallplatte, die
Sie seit dem Dezember 1998 auflegen. Wenn Sie es wün-
schen, kann ich dies gern noch einmal darstellen. Sie wis-
sen genau wie ich, dass wir uns in der Bundesregie-
rung 1996 dafür eingesetzt haben, dass die DZT
fortbesteht. Wir haben das damals mit Herrn Dr. Kaub
und mit seiner Nachfolgerin, der Geschäftsführerin Frau
Schörcher, vernünftig geregelt.

Es hat Überlegungen gegeben, die Mittel des Bundes
für die Deutsche Zentrale für Tourismus zu reduzieren.


(Jörg Tauss [SPD]: Aha!)


Allerdings müssen Sie wissen, dass der damalige Verwal-
tungschef der DZT, Herr Klein, bei uns im Ausschuss zu
Protokoll gegeben hat, er brauche kein Geld vom Steuer-
zahler, sondern er bringe 50 Millionen DM aus der Porto-
kasse der Wirtschaft mit.


(Ernst Burgbacher [FDP]: So war es!)


Natürlich war der damalige Wirtschaftsminister, Herr
Rexrodt, aber auch Finanzminister, Herr Waigel, darüber
nicht böse. Herr Waigel hat schon damals dafür Sorge ge-
tragen, dass die Staatsfinanzen konsolidiert werden.


(Zuruf von der SPD: Ohne Erfolg!)


Das ist keine Erfindung der Regierung Schröder/Fischer.
Nicht erst seit dem Oktober 1998 wird versucht, die
Staatsfinanzen zu konsolidieren, sondern dies war eine
klare Option der Regierung von Helmut Kohl.

Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Sie können dies
bei jeder Gelegenheit in die öffentliche Diskussion brin-
gen. Ich bin gern bereit, noch einmal einen detaillierten
Brief an Herrn Wirtschaftsminister Müller, an Frau Kol-
legin Irber oder Herrn Mosdorf zu schreiben, wenn dies
gewünscht wird. Allerdings habe ich mich mit Herrn
Staatssekretär Mosdorf insofern geeinigt, als wir das
Thema nach einer gründlichen Klärung im beiderseitigen
Interesse bei dem jetzigen Sachstand belassen. Ich hoffe,
dass Sie sich an diese Abmachung halten. Wenn Sie das
nicht wollen, kann ich mich darauf einstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419815500
Das Wort hat
jetzt der Herr Staatssekretär Mosdorf.

S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1419815600
Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bedaure sehr,
Herr Brähmig, dass Sie sich zu Beginn Ihrer Rede darauf
konzentriert haben, bei einem so wichtigen Thema Partei-
polemik zu betreiben.


(Beifall bei der SPD)


Ich muss sagen: Sie müssen sich einmal entscheiden,
ob Sie mehr oder weniger Staat wollen. Am Anfang haben
Sie uns vorgeworfen, der Staat würde zu sehr eingreifen.
Nachher haben Sie pausenlos mehr Eingriffe vom Staat
gefordert. Was wollen Sie denn nun? Sie müssen sich
schon entscheiden. Es geht nur eines von beiden.


(Beifall bei der SPD)


Es ist wichtig, dass wir uns mit dem Thema Tourismus
seriös beschäftigen. Seriös heißt, dass wir nicht nur die
Große Anfrage der CDU/CSU gewissenhaft beantworten,
Herr Brähmig. Sie haben sich schließlich nachhaltig auf
die Fakten gestützt, die wir Ihnen als Antwort gegeben ha-
ben. Vielmehr müssen wir uns in der jetzigen Situation
mit Sonderfaktoren beschäftigen. Es ist klar, dass in der
Zeit nach dem 11. September weniger interessant ist, wie
viele Mitarbeiter Frankreich oder Italien in ihrer Touris-
musbehörde beschäftigen. Von größerem Interesse ist,

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119386


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wie die weltweiten Auswirkungen der Ereignisse vom
11. September aussehen werden. Dazu haben Sie wenig
gesagt.


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Jetzt sind Sie doch dran! Sagen Sie mal, was Sie machen wollen! Legen Sie mal los!)


– Das mache ich auch. Warten Sie doch einmal ab! Ich
merke, wie gespannt Sie darauf warten, endlich etwas
Neues zu hören, nachdem Sie von Ihrem Kollegen nichts
Neues erfahren haben. Nach der Rede von Herrn Brähmig
kann ich Ihre Ungeduld verstehen.

Der 11. September bedeutete für die gesamte Dienst-
leistungswirtschaft, insbesondere für die Tourismus- und
Luftverkehrswirtschaft, einen erheblichen Einschnitt. Die
jetzt vorliegenden Daten belegen, dass das Aufkommen
im Luftverkehr deutlich zurückgegangen ist. So ist bei-
spielsweise das Flugverkehrsaufkommen in Europa seit
dem 11. September um 18,9 Prozent zurückgegangen.
Das hat natürlich auch etwas mit der Entwicklung im Tou-
rismus zu tun. Viele touristische Ziele sind unmittelbar
von den Folgen der Anschläge vom 11. September be-
troffen. Viele Hotels stehen leer und müssen um ihr wirt-
schaftliches Überleben kämpfen.

Eines muss man aber klar sagen: Die ersten Zahlen, die
nach dem 11. September veröffentlicht wurden und die
uns jetzt vorliegen, signalisieren, dass jetzt sehr viel mehr
Deutsche im Inland Urlaub machen. Das wollen wir doch
eigentlich – ohne jemanden davon abhalten zu wollen,
drei- oder viermal im Jahr nach Mallorca zu fliegen; das
ist die private Entscheidung jedes Einzelnen –: dass mehr
Deutsche im Schwarzwald, in der schönen Gegend rund
um den Bodensee, an der Ostsee oder im Bayerischen
Wald Urlaub machen. Warum sollen die Deutschen das
nicht tun? Die ersten Zahlen – das ist ganz wichtig – sig-
nalisieren einen positiven Trend beim Inlandtourismus.

Sie wissen, dass diese Bundesregierung in den letzten
drei Jahren sehr viel für den Tourismus getan hat. Das hat
sich übrigens in der Tourismusbranche auch herumge-
sprochen. Sie ist für uns ein wichtiger Partner. Diese
Branche erkennt an, dass wir trotz der erheblichen Kon-
solidierungsanstrengungen, die wir unternehmen müssen,
weil uns ansonsten die Staatsverschuldung schier zu er-
drosseln droht, sehr viel für die Förderung des Touris-
mus getan haben.

Die Zahlen sind durchaus positiv. Mit 19 Millionen
Ankünften von Touristen aus dem Ausland lag Deutsch-
land weltweit auf Rang zehn der beliebtesten Reiseländer.
Unter den EU-Mitgliedstaaten belegt es Platz 5, wobei
man nicht vergessen darf, dass es in Europa sehr wichtige
und interessante Reiseländer wie Spanien, Frankreich und
Italien gibt, die sehr hohe Touristenzahlen aufweisen. Der
Zuwachs von 10,5 Prozent im Jahr 2001 – bezogen auf die
internationale Reisetätigkeit – lag deutlich über dem von
der Welttourismusorganisation ermittelten Durchschnitts-
wert von 7,4 Prozent. Trotz dieser hohen Vorgabe aus dem
vergangenen Jahr, die hauptsächlich auf die EXPO
zurückzuführen ist, gab es bis August dieses Jahres einen
Zuwachs von 1 Prozent. Ich finde, das ist ein positiver
Grundtrend, der gerade unserer heimischen Wirtschaft

sehr hilft. Das wird auch bestätigt. Die touristischen Re-
gionen merken, dass sich viele für Deutschland interes-
sieren.


(Beifall bei der SPD)


Wir haben die Absicht, dies auszubauen. Das ist der
Grund, Herr Brähmig, warum wir seit unserem Regie-
rungsantritt die DZT gestärkt haben. Deshalb sollten Sie
nicht von Einigung mit mir sprechen, wenn es um die Sa-
che geht; denn die DZT bekam – das ist völlig unstrittig –
1997 Zuwendungen in Höhe von 35 Millionen DM.


(Brunhilde Irber [SPD]: Genau! – Jörg Tauss [SPD]: Das halten wir erst einmal fest!)


Das ist Fakt. Theo Waigel hat damals angekündigt – dafür
kann Herr Brähmig nichts –, dass die Höhe der Zuwen-
dungen auf 20 Millionen gesenkt werden müsste.


(Jörg Tauss [SPD]: Der Waigel war es!)


– Dafür könnt ihr Herrn Brähmig keine Schuld geben. Er
hat doch auf Theo Waigel gar keinen Einfluss gehabt.
Wenn man keinen Einfluss auf die Politik hat, dann darf
man sich auch nicht wundern.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419815700
Herr Staatsse-
kretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord-
neten Feibel?

S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1419815800
Nein, ich
möchte gerade die Ungeduld des Abgeordneten mit neuen
Fakten befriedigen. Deshalb möchte ich fortfahren.

Wir haben die Zuwendungen an die DZT um über
20 Prozent erhöht. Im nächsten Jahr werden 44 Milli-
onen DM an die DZT fließen.


(Beifall bei der SPD)


Das ist eine Riesenleistung, wenn man bedenkt, dass wir
gleichzeitig einen Haushalt mit einer enormen Staatsver-
schuldung sanieren. Das wird auch fortgesetzt werden,
weil wir der Auffassung sind, dass die enormen Potenziale
der Tourismusbranche international stärker vermarktet
werden müssen. Das werden wir weiterhin engagiert tun.
Die DZT ist für uns eine wichtige Agentur. Die Probleme,
die die DZT während Ihrer Regierungszeit hatte, sind
– Gott sei Dank – überwunden. Ich bin froh darüber; denn
wir haben mit der DZT einen Partner in der wichtigen
Tourismusbranche, den wir dringend brauchen, gerade
wenn wir viele unserer Freunde aus Amerika und Asien
für Deutschland interessieren wollen.

Im Bereich des Welttourismus ist auch in Zukunft mit
guten Wachstumsraten zu rechnen; davon bin ich über-
zeugt. Wir werden alles tun müssen, um unseren Anteil an
diesem Welttourismus weiter zu erhöhen. Die Bundes-
regierung wird deshalb ihre Konzeption weiter verfolgen:
Stärkung des Mittelstands, Fortführung der Steuerreform
mit den entsprechenden Wirkungen, weitere Entlastung
des Staates mit der gleichzeitigen Chance, auch investiv
etwas zu tun, und Fortsetzung der Investitionsförderung
mittels Gemeinschaftsaufgabe. Das betrifft gerade die

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf

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Tourismusbranche. Sie wissen, dass wir auf diesem Feld
sehr viel investiert haben. Es handelt sich um einen drei-
stelligen Millionenbetrag, der der Tourismusbranche zu-
gute kommt. Auch für die neuen Bundesländer spielen
diese Maßnahmen eine große Rolle; ich denke speziell an
die Ziel-1-Gebiete. Unsere Kollegen aus den neuen Bun-
desländern wissen das; auch Sie, Herr Brähmig, wissen
das. Wir machen eine Menge. Sie sollten unsere Aktivitä-
ten nachhaltig unterstützen. Dann haben wir eine gute
Chance voranzukommen.

Das Jahr des Tourismus hat inzwischen positive Er-
gebnisse. Wir haben das Projekt gemeinsam auf die
Schiene gesetzt und daran gearbeitet; das war nicht ein-
fach. Ich möchte mich ausdrücklich bei allen Mitgliedern
des Hauses herzlich dafür bedanken, dass sie das Jahr des
Tourismus nachhaltig unterstützt haben. Es handelt sich
um ein ganz wichtiges Projekt.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der PDS)


Aus der Idee ist eine starke Gemeinschaftsaktion ge-
worden. Insbesondere durch das Sponsoring der Bahn,
der Post und der Reisebranche wird es ein erfolgreiches
Jahr werden. Wenn wir nächstes Jahr das Jahr des Öko-
tourismus ausrufen – auch als UNO-Thema, das uns
ebenso in Bezug auf Nachhaltigkeit berührt; es handelt
sich um eine besondere Qualität von Tourismus, auf die
gerade Gäste in Deutschland Wert legen –, dann ist das
eine Verlängerung der Aktivitäten, die wir eingeleitet ha-
ben, um den Tourismusstandort Deutschland zu stärken.
Wir glauben, dass wir exzellente Angebote haben, und
zwar sowohl in den neuen als auch in den alten Bundes-
ländern. Wir sollten alles tun, um diese Angebote interna-
tional zu vermarkten; nach dem 11. September zwar in ei-
nem schwierigeren Umfeld, aber in einem Umfeld, in dem
die Menschen gerade auf Nachhaltigkeit und Qualität
Wert legen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419815900
Zu einer Kurz-
intervention erhält der Kollege Feibel das Wort.


Albrecht Feibel (CDU):
Rede ID: ID1419816000
Herr Staatssekretär
Mosdorf, Sie haben leider keine Zwischenfrage zugelas-
sen. Deshalb bin ich dafür dankbar, meine Meinung zu
Ihren Auslassungen auf diese Weise kundtun zu können.

Die Sondersituation nach dem 11. September – es gibt
wirklich eine Sondersituation – hätte es angebracht er-
scheinen lassen, dass Sie heute auf diese Problematik ein-
gegangen wären.


(Jörg Tauss [SPD]: Das hat er mehrfach gemacht!)


Das haben Sie leider nicht gemacht. Die Sondersituation
für die Reisebranche in Deutschland bedeutet, dass so-
wohl bei den Reiseveranstaltern als auch bei den Reise-
mittlern derzeit ein Einbruch von 25 bis 30 Prozent fest-
zustellen ist. Das sind gigantische Zahlen.

Vor allen Dingen gilt das, wenn man nicht – wie Sie
und Ihr Minister – immer nur die Umsatzzahlen, sondern
auch die Renditezahlen dieser Branche betrachtet. Die
Renditerate liegt seit Jahren bei 0,6 bis 0,8 Prozent.


(Jörg Tauss [SPD]: Und das liegt an der Bundesregierung?)


Ich kenne kaum eine andere Branche, die eine so geringe
Umsatznettorendite hat. Man muss sich vorstellen, was es
vor dem Hintergrund einer solch geringen Rendite bedeu-
tet, wenn der Umsatz um 25 bis 30 Prozent einbricht.

Die betroffenen mittelständischen Unternehmen er-
warten keine Subventionen, wie das hier ständig in Zwi-
schenrufen behauptet wird. Die Bundesregierung muss
sich aber überlegen, in welcher Weise sie diesem Gewerbe
behilflich sein kann. Die Reisebranche will keine Bürg-
schaften oder Hilfen in Höhe von 100 Millionen DM, wie
das bei der Bauwirtschaft geschehen ist, wo der Bundes-
kanzler als Retter erschienen ist. Das muss auf diesem
Feld nicht sein.

Aber irgendwo hat auch die Tourismusbranche in
Deutschland eine gewisse Gleichbehandlung einzufor-
dern. Eine solche Gleichbehandlung haben Sie heute lei-
der nicht in Aussicht gestellt. Deshalb würde ich Sie da-
rum bitten: Vielleicht nutzen Sie die Gelegenheit der
Erwiderung auf meine Intervention dazu, einmal darzule-
gen, was die Bundesregierung nun wirklich zu tun ge-
denkt, um in dieser außerordentlich schwierigen Situation
insbesondere den mittelständischen, aber auch den großen
Unternehmen das Überleben zu sichern. Es geht in dieser
Branche auch um etliche tausend Arbeitsplätze und es
geht natürlich auch darum, dass die ganze Hotellerie und
Gastronomie in Europa in Mitleidenschaft gezogen wird.
Sicherlich ist es erfreulich, dass in Deutschland die Um-
sätze steigen, und es ist sicherlich auch erfreulich, dass bei
den erdgebundenen Transportmitteln Umsatzzuwächse zu
verzeichnen sind. Aber insgesamt haben Sie das eigentli-
che Problem, nämlich das Problem der Zeit nach dem
11. September, nicht angesprochen und Sie haben keine
Perspektiven eröffnet. Darum möchte ich Sie jetzt sehr
herzlich bitten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1419816100
Verehrter Herr
Kollege Feibel, Sie sind erst seit Ende 1999 in diesem Ho-
hen Hause.


(Zurufe von der CDU/CSU)


– Sie wissen doch noch gar nicht, was ich sagen will.
Seien Sie nicht so aufgeregt, seien Sie ganz ruhig! – Ich
freue mich sehr darüber, dass wir mit Ihrem Sachverstand
im Tourismusausschuss eine gute Ergänzung bekommen
haben. Sie kommen aus der Branche und kennen sich da
gut aus.


(Beifall des Abg. Eckart von Klaeden [CDU/CSU])


Das ändert nichts daran, dass wir heute eine Große An-
frage Ihrer Fraktion zu beantworten hatten, in der es um

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf

19388


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(B)


viele Detailfragen geht, aber nicht um die eigentlich wich-
tige Frage der Situation nach dem 11. September. Wir
müssen uns in der Regierung damit pausenlos beschäfti-
gen. In den neun Minuten meiner Redezeit konnte ich
nicht alle Details darlegen. Das werden Sie verstehen. Ich
bin aber gern bereit, Ihnen das noch einmal im Detail
darzulegen.

Sie haben jetzt vor allem die Reiseveranstalter ange-
sprochen, die in der Tat am meisten davon betroffen sind.
Wir wissen, dass es in der heimischen Tourismuswirt-
schaft eher positive Signale gibt. Da bemerkt man auch
leichte Gesteinsverschiebungen, indem manche sagen:
Bevor ich dahin oder dorthin fliege, mache ich lieber Ur-
laub zu Hause. – Das ist ein positiver Trend, den wir ei-
gentlich erreichen wollten.


(Zurufe von der CDU/CSU)


Bei den Reiseveranstaltern und den Reisemittlern spielt
diese Frage der Buchung von Fernreisen, insbesondere
von Flugreisen, aber in der Tat eine ganz große Rolle. Das
ist keine Frage.

Deshalb noch einmal meine Bitte: Lassen Sie uns die
Branche insgesamt betrachten. Die Branche insgesamt
umfasst auch unsere Hotellerie und Gastronomie und die-
jenigen, die in der heimischen Tourismusbranche tätig
sind und die jetzt positive Zahlen verspüren. Auch dies re-
gistrieren wir. Wir sind dabei, uns an vielen Fronten mit
einer Reihe von schwierigen Fragen, auch wirtschaftlich
schwierigen Fragen der unmittelbaren Auswirkungen des
11. September zu befassen.

Gegenstand der heutigen Debatte ist jedoch die Beant-
wortung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU,
auf die wir sehr faktenreich, zum Beispiel auch mit einer
ganzen Reihe von Umfragen, die in europäischen Nach-
barstaaten durchgeführt worden sind, antworten. Was
Herr Brähmig und Sie angesprochen haben, sind alte The-
men, zum Beispiel die Steuerharmonisierung. – Herr
Brähmig, schütteln Sie nicht den Kopf! Sie haben uns
keine harmonisierten Steuern hinterlassen.

Wir und auch der Bundesfinanzminister arbeiten an
vielen Fronten und in vielen Bereichen an der Harmoni-
sierung. Da brauchen wir Ihre Unterstützung, aber nicht
Ihre Polemik.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419816200
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Ernst Burgbacher.


Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1419816300
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich mit
einem Wort zum 11. September beginnen. Die FDP-Frak-
tion hat gestern einen Antrag im Deutschen Bundestag
eingebracht, in dem ein ganzes Bündel von Maßnahmen
zur Abfederung der Folgen des 11. September vorge-
schlagen wird. In den fünf Minuten Redezeit habe ich jetzt
keine Möglichkeit, das alles hier darzustellen. Auf einen
einzigen Punkte möchte ich aber schon eingehen.

Sicherheit ist eine staatliche Hoheitsaufgabe. Es kann
nicht sein, dass wir auf der einen Seite eine höhere Si-

cherheit vorschreiben, höhere Standards verlangen und
dass wir auf der anderen Seite das alles auf die Reise-
büros, Veranstalter und Kunden überwälzen. Der Staat hat
die Aufgabe, hier einzutreten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich möchte jetzt auf das Thema der heutigen Ausspra-
che kommen. Verehrter Herr Staatssekretär Mosdorf, Sie
haben am Thema vorbei argumentiert. Das Thema heißt:
Rahmenbedingungen für die Tourismuswirtschaft in der
Europäischen Union. Worum geht es denn? Zum 1. Ja-
nuar 2002 wird der Euro als Bargeld eingeführt. Das wird
die Landschaft im Tourismus, den Wettbewerb im Touris-
mus selbstverständlich verändern. Dem Kunden, auch
dem Privatkunden, ist es dann ziemlich egal, ob er in Kehl
oder in Straßburg, in Maastricht oder in Aachen, in Lin-
dau oder in Bregenz übernachtet. Das wird Folgen für die
stark mittelständisch geprägte Tourismuswirtschaft ha-
ben. Der Hinweis von vorhin war schon richtig. Ich habe
die Mittelstandsdiskussion, die heute stattfand, hier im
Plenarsaal verfolgt. Wir können an das, was da gesagt
wurde, unmittelbar anknüpfen: Es geht nicht um irgend-
welche tollen Programme oder um das Leeren des Sub-
ventionstopfes, sondern darum, dass unsere mittelständi-
sche Wirtschaft Wettbewerbsbedingungen vorfindet, die
einen fairen Wettbewerb mit unseren Nachbarländern
ermöglichen. Das ist die Kernfrage.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich bin überzeugt, dass unser Mittelstand in diesen
Wettbewerb eintreten wird. Er ist leistungsfähig und er
verfügt über eine hohe Qualität. Jetzt ist die Politik gefor-
dert, auf das Datum 1. Januar 2002 hin bestimmte Dinge
zu verändern.

Erstens. Wenn in unseren Nachbarländern, zum Bei-
spiel in Frankreich – Kollege Brähmig hat es erwähnt –,
Freizeitparks mit Subventionen in Millionenhöhe be-
glückt werden,


(Zuruf von der SPD: Bei uns auch!)


was bei uns zum Glück nicht der Fall ist, dann hat unsere
Bundesregierung die Aufgabe, durch ein entsprechendes
Eintreten bei der EU dafür zu sorgen, dass das nicht län-
ger der Fall ist.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Zweitens. In den Ländern der Europäischen Union gibt
es unterschiedliche Mehrwertsteuersätze. Das war zwar
in der Vergangenheit hinzunehmen, ist es aber nicht mehr
nach der Euroeinführung. Deshalb muss für die Hotelle-
rie jetzt ein reduzierter Mehrwertsteuersatz eingeführt
werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419816400
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mosdorf?


Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1419816500
Eine Frage des Abgeord-
neten Mosdorf gestatte ich immer gern.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf

19389


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(B)



Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1419816600
Lieber Herr Kollege
Burgbacher, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass
das Bundesfinanzministerium und damit unsere Bundes-
regierung bei der EU-Kommission die Überprüfung die-
ser Subventionen veranlasst hat?


(Jörg Tauss [SPD]: Was hat die alte Bundesregierung in der Richtung getan?)



Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1419816700
Herr Abgeordneter
Mosdorf, wenn das so ist, dann begrüße ich das aus-
drücklich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich nehme das sehr gern zur Kenntnis.


(Zuruf von der SPD: Eine gute Regierung!)


Wir diskutieren hier allerdings über Rahmenbedingun-
gen. Ich bitte Sie wirklich, dieses Anliegen zu verfolgen;
denn die jetzige Situation ist für unsere privaten Unter-
nehmer ein riesiges Problem.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Jörg Tauss [SPD])


Ich komme auf einen weiteren Punkt zu sprechen. In
allen 15 Mitgliedsländern der Europäischen Union wird
theoretisch das Trinkgeld besteuert. Faktisch findet diese
Besteuerung aber in 10 von 15 EU-Ländern überhaupt
nicht statt. Ich finde die entsprechende Antwort der Bun-
desregierung interessant; denn auf meine Anfrage vor
zwei Jahren hat die Bundesregierung noch etwas ganz an-
deres gesagt.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: So ist es gewesen!)


Was bedeutet die unterschiedliche Steuerpraxis für die
heimische Wirtschaft? Bei uns bekommt ein Kellner ei-
nen Steuerbescheid – ich habe das neulich in Berlin wie-
der erfahren –, der ihn zu einer Nachzahlung in Höhe von
7 000 DM verpflichtet. Ein anderes Beispiel: Ein Hotel
mit Restaurantbetrieb am Rhein hat einen Bescheid über
eine Nachzahlung in Höhe von 26 000 DM Sozialbeiträge
plus 11 000 DM Säumniszuschlag bekommen, beruhend
auf Schätzungen über die Höhe von Trinkgeld. In den an-
deren Ländern lacht man darüber, weil dergleichen bei ih-
nen überhaupt nicht kontrolliert wird.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Lachhaft!)


Das geht nicht. Deshalb sage ich: Die Trinkgeldbesteue-
rung muss weg, und zwar lieber heute als morgen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Richtig!)


Den Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU muss
ich sagen: Ich bitte Sie wirklich, endlich über Ihren Schat-
ten zu springen und dem FDP-Antrag zuzustimmen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Jetzt stimmt einmal zu! – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das nützt doch gar nichts!)


Es gibt ein weiteres Problem. Es gibt in der Euro-
päischen Union sehr viele unterschiedliche Auflagen,
Standards und Normen, unter denen gerade kleine und
mittlere Betriebe sehr leiden. Fragen Sie einmal in einem
deutschen Hotel oder in einem Restaurant am Rhein, was
kontrolliert wird, und dann tun Sie dasselbe im angren-
zenden Ausland. Wir müssen ganz einfach zur Kenntnis
nehmen, dass es für die Betriebe um unterschiedliche
Kosten geht. Dieses Problem muss untersucht und Ände-
rungen müssen vorgenommen werden.

Selbstverständlich muss auch noch anderes getan wer-
den. Herr Staatssekretär Mosdorf, Sie haben darauf hin-
gewiesen. Wir müssen die Strukturen beim Deutschland-
tourismus verändern. Wir müssen auch mehr Geld für die
Deutsche Zentrale für Tourismus aufbringen.

Noch eines sei zu diesem Thema gesagt: Ich möchte
nicht, dass ein Einstieg in eine europäische Tourismus-
politik stattfindet. Ich bin sehr wohl dafür, einheitliche
Daten zu erheben und aussagefähige Statistiken zu erstel-
len. Ich wende mich aber dagegen, etwa Kompetenzen an
Brüssel abzugeben.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das machen wir nicht!)


Die entsprechenden Aufgaben können wir sehr gut alleine
und im internationalen Wettbewerb bewältigen.

Ich komme zum Schluss. Die FDP hat im Zusammen-
hang mit der Beratung der Beantwortung der Großen An-
frage einen Entschließungsantrag vorgelegt. Er beinhal-
tet, Herr Staatssekretär, eine ganz konkrete Auflistung
von Dingen, die jetzt zu tun sind und auch in der Debatte
angesprochen wurden, um unsere kleinen und mittelstän-
dischen Unternehmen fit für den Euro zu machen. Ich
bitte Sie sehr herzlich, das aufzugreifen, und Sie, liebe
Kolleginnen und Kollegen, diesem Antrag zuzustimmen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419816800
Die Kollegin
Sylvia Voß hat gebeten, Ihre Rede zu Protokoll geben zu
können.1) Sind Sie damit einverstanden? – Dann verfah-
ren wir so.

Jetzt hat das Wort die Abgeordnete Rosel Neuhäuser.


Rosel Neuhäuser (PDS):
Rede ID: ID1419816900
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon oft gesagt wor-
den, dass wir heute über die Antwort der Bundesregierung
auf die Große Anfrage „Rahmenbedingungen für die Tou-
rismuswirtschaft innerhalb der Europäischen Union“ und
einen Entschließungsantrag der FDP diskutieren. Ich kann
vorneweg sagen, dass wir die Antwort zur Kenntnis neh-
men, den Antrag der FDP aber leider aus verschiedenen
Gründen ablehnen werden.

Beim Durchlesen der Großen Anfrage haben wir oft
darüber nachgedacht, ob wir die Antworten kommen-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119390


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(B)


1) Anlage 2

tieren sollen oder ob wir nicht lieber überlegen sollten,
inwieweit wir die Rahmenbedingungen für die Tou-
rismuswirtschaft innerhalb der EU verbessern und die
Tourismuswirtschaft unterstützen können. Wir sind uns
sicherlich darüber einig, dass, obwohl sich die Tou-
rismuswirtschaft in den letzten Jahren als sehr krisenfest
erwiesen hat, nach dem 11. September nichts mehr ist,
wie es einmal war, denn die Tourismusbranche wurde von
diesen Ereignissen besonders betroffen. Viele Desti-
nationen auf allen fünf Kontinenten verzeichnen riesige
Einbrüche. Einige Zahlen hat Herr Mosdorf hier darge-
stellt.

Fluggesellschaften, Reiseveranstalter, die Hotellerie
und weitere nachfolgende bzw. angegliederte Dienstleis-
tungsunternehmen sehen sich einer schwierigen Situation
gegenüber. Diese Situation macht es notwendig, dass die
für den Tourismus zuständigen nationalen und europä-
ischen Institutionen einen wirksamen Beitrag zur Ent-
wicklung des Tourismus leisten. Das heißt, dass sich die
europäischen Länder möglichst an gemeinsamen Zielen
bei der Entwicklung des Tourismus orientieren. Das be-
deutet aber auch, dass man sich darüber klar werden muss,
wie die Akteure aller Ebenen des europäischen Tourismus
die nachhaltige Entwicklung der Branche durch Verbes-
serung der föderalen Zusammenarbeit unterstützen kön-
nen. Obwohl die wirtschaftlichen und sozialen Auswir-
kungen des Tourismus, die Chancen, die er bietet, und
seine zunehmend grenzüberschreitenden Verflechtungen
analysiert wurden, bleibt sein Potenzial oft noch unge-
nutzt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wussten Sie eigent-
lich, dass innerhalb der Europäischen Union die techni-
schen Standards – Herr Burgbacher hat darauf hinge-
wiesen – und nicht nur diese so weit auseinander driften,
dass beispielsweise im grenzüberschreitenden Schienen-
verkehr zwischendurch die Loks gewechselt werden müs-
sen, weil die nationalen Eisenbahnsysteme untereinander
nicht kompatibel sind? Wissen Sie auch, wie oft ich um-
steigen muss, um von meinem Heimatort Seebach oder
aus Eisenach nach Bordeaux zu kommen, um vielleicht
einmal einen guten Rotwein zu trinken? Das gilt auch für
andere Richtungen, zum Beispiel für die Verbindung nach
Oslo. Wussten Sie, dass die Qualifikationsmerkmale sehr
unterschiedlich und die sozialpolitischen Bedingungen
sowie Gesundheits- und Arbeitsschutzbestimmungen für
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer überall anders
sind?

Genau diese Details stehen aber nicht im Vordergrund,
wenn man Europa nur als Reiseland sieht, an dessen in-
neren Grenzen man keinen Pass mehr zeigen muss und in
dem es ein einheitliches Zahlungsmittel gibt. Offensicht-
lich geht es aber in der europäischen Politik um weit mehr.

Wohin soll also die Reise gehen? Wenn man über Rah-
menbedingungen und über Wettbewerbsbedingungen im
Euroland spricht, dann können wir nicht nur an betriebs-
wirtschaftliche Probleme wie höchste Qualität der Pro-
dukte, gleiche Marktzugangsbedingungen für alle Unter-
nehmen oder umweltfreundliche Produkte denken. Es
geht nämlich in diesem Bereich um mehr. Es muss auch
um den Wettbewerb um die geringste Arbeitslosigkeit und

um hohe soziale Standards gehen. Nur in dieser Kopplung
sehe ich eine Chance, in den unterschiedlich entwickelten
Regionen regionale Wirtschaftskreisläufe aufzubauen,
die dazu führen, dass die Menschen sozial abgesichert
werden und dadurch natürlich auch die Kaufkraft gestärkt
wird.

Wenn wir über die Rahmenbedingungen der Touris-
muswirtschaft in einem gemeinsamen Europa reden, dann
ist es sicherlich auch notwendig, über eine Harmonisie-
rung der Steuern nachzudenken. Entsprechend einer Ini-
tiative des Europaparlaments war es möglich, unter ande-
rem arbeitsintensive Leistungen mit einem ermäßigten
Mehrwertsteuersatz zu belegen. Tatsächlich entschied
sich ein Großteil der europäischen Länder – darunter al-
lerdings nicht Deutschland –, diese Möglichkeit mit ihren
eventuellen positiven Auswirkungen auf den Arbeits-
markt wenigstens zu testen. Selbstverständlich könnten
wir einer Erhöhung des Freibetrags für freiwillig gege-
bene Trinkgelder zustimmen.

Es müssen aber durchgängige Regelungen für alle be-
troffenen Branchen getroffen werden. Das Gastgewerbe
darf nicht bevorteilt werden. Es gibt auch noch andere
Branchen in diesem Dienstleistungsgewerbe.


(Beifall bei der PDS)


Wir plädieren für eine Anhebung der bisherigen Nied-
riglöhne, die gerade in diesem Bereich geläufig sind. Wir
sind für gesicherte Einkünfte der Beschäftigten statt steu-
erfreier Trinkgeldgeschenke.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419817000
Das Wort hat
jetzt der Kollege Hinsken.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1419817100
Werte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als die CDU/CSU-
Fraktion diese Anfrage eingereicht hat, wussten wir nicht,
was auf uns zukommt. Damals war die Welt noch in Ord-
nung. Seit dem 11. September hat sie sich verändert. Ge-
rade im Tourismusbereich müssen wir feststellen, dass
dieser 11. September ein besonders schwarzer Tag war. Er
wirkt sich katastrophal auf das Reisegeschehen und auf
alles, was dazugehört, aus. Wir können und müssen täg-
lich feststellen, dass immer neue Hiobsbotschaften über
uns hereinbrechen.

So hörten wir gestern, dass wieder eine der ältesten eu-
ropäischen Fluggesellschaften, die belgische Sabena,
Pleite gemacht hat.


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Ja, aber wegen Swissair!)


Wir nehmen zur Kenntnis, dass allein in den ersten sechs
Wochen seit dem 11. September die Buchungen in den
Reisebüros um 75 000 zurückgegangen sind; das
entspricht 15 Prozent. Das sind fundierte Zahlen, die
von Start Amadeus, einer Buchungsgesellschaft, gelie-
fert wurden. Wir müssen feststellen, dass gerade die

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Rosel Neuhäuser

19391


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(A)



(B)


Deutschen ihre Ferienplanung für die Wintermonate aus-
gesetzt haben und eine kleine Pause einlegen.

Ich meine aber auch, dass ein kleiner Hoffnungs-
schimmer vorhanden ist. Wir können jetzt feststellen, dass
die Buchungen seit einigen Tag wieder anziehen. Gerade
wir Deutsche als Reiseweltmeister haben allen Anlass, al-
les zu tun, um den Mitbürgern die schönsten Tage, die
schönsten Wochen des Jahres zu verschönern und sie teil-
haben zu lassen, damit sie diese Zeit so verbringen kön-
nen, wie sie das wünschen. Deshalb sind jetzt nicht nur die
Reisewirtschaft, die Carrier und alle, die in diesem Be-
reich beschäftigt sind, sondern auch wir Politiker aufge-
fordert, die Ängste zu nehmen und vor allen Dingen den
Verunsicherungen zu begegnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Allerdings muss ich sagen, dass Patentrezepte für den

Umgang mit der Krise bislang noch nicht gefunden wor-
den sind. Wenn wir aber alles daran setzen, das Vertrauen
in das Reisen wieder herzustellen, dann leisten wir einen
großen Beitrag dazu, dass sich die Tourismuswirtschaft
wieder erholen und weiterentwickeln kann.

Ich möchte das aufgreifen, was Staatssekretär Mosdorf
hier gesagt hat. Er hat ohne Zweifel gerade auf dem Touris-
mussektor einige Akzente gesetzt und gute Arbeit geleistet.


(Beifall der Abg. Brunhilde Irber [SPD])

Darum bedauere ich es, dass er in den nächsten Deutschen
Bundestag nicht mehr einziehen möchte. Die SPD wird
durch diesen Verlust ärmer. Das sage ich, weil ich so emp-
finde. Ich meine schon, Herr Staatssekretär Mosdorf, sa-
gen zu dürfen, dass die Bundesregierung richtig gehandelt
hat, weil sie sich bereit erklärt hat, die übernommene Haf-
tungsgarantie für die Airlines bis Ende Januar zu ver-
längern.

Es handelt sich aber um eine weitere Wettbewerbsver-
zerrung, wenn deutsche Fluggesellschaften künftig für die
Garantie ein Entgelt zahlen müssen, aber andere Länder
wie Großbritannien oder Portugal den Unternehmen eine
kostenlose Haftungsübernahme anbieten. Renommierte
Verkehrspolitiker wie der Vorsitzende des Verkehrsaus-
schusses des Deutschen Bundestages, Herr Kollege
Oswald, sind hier anwesend. Ich bitte deshalb darum, dass
man gerade vonseiten der Verkehrspolitik Einfluss nimmt,
dass in diesem Bereich die Wettbewerbsverzerrungen in-
nerhalb Europas nicht weiter verschärft werden, sondern
dass man endlich harmonisiert, was insbesondere die deut-
sche Tourismuswirtschaft dringend braucht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Staatssekretär Mosdorf hat bezüglich des Touris-

mus von der Erdgebundenheit gesprochen; Klaus Brähmig
und Ernst Burgbacher haben diesen Punkt ebenfalls ange-
sprochen. Wenn wir aus der aktuellen Situation Kapital
schlagen wollen – wir wissen nämlich, dass die Menschen
zwar nicht mehr so viel fliegen, aber auf den Urlaub nicht
verzichten wollen –, dann müssen wir alles tun, um die vie-
len Wettbewerbsverzerrungen, die wir in der Bundesrepu-
blik Deutschland haben, endlich zu beseitigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das ist der Punkt!)


Ich fordere deshalb, dass die Rahmenbedingungen ver-
bessert werden. Sonst kann sich unser Land als Reiseziel
gegenüber den Mitkonkurrenten auf der europäischen
Ebene nicht behaupten, weil die Urlauberströme an unse-
rem Land vorbeiführen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich sage das deshalb, weil innerhalb Europas und auch
innerhalb der Bundesrepublik Deutschland 83 Prozent der
Urlaubsreisen und der Tagesausflüge mit dem PKW bzw.
mit dem Omnibus unternommen werden. Ich möchte dazu
anmerken, verehrte Frau Kollegin Irber, dass die Bundes-
republik Deutschland das Land ist, das innerhalb der Euro-
päischen Union, ja weltweit mit Abstand die höchsten Steu-
ern auf Benzin hat, nämlich 72 Prozent. Nehmen wir uns
ein Beispiel an Österreich. Dort liegt die Steuerbelastung
um 10 Prozentpunkte niedriger, nämlich bei 62 Prozent.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419817200
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Roth?


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1419817300
Selbstverständlich
gerne.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419817400
Bitte.


Birgit Roth (SPD):
Rede ID: ID1419817500
Herr Kollege, Sie be-
schweren sich über die Wettbewerbsverzerrungen. Wür-
den Sie mir bitte einmal erklären, wie es sein kann, dass
die Bundesregierung das Rabattgesetz und die Zugabe-
verordnung abgeschafft hat, weil sie für unsere Unter-
nehmen wettbewerbsschädigend waren, dass aber die
CDU/CSU-Fraktion dagegen gestimmt hat? Sie hat in
diesem Punkt die Bundesregierung nicht unterstützt und
nicht klar gesagt, dass das Rabattgesetz und die Zugabe-
verordnung wettbewerbsschädigend waren. Sie haben der
Abschaffung nicht zugestimmt.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Falsches Thema!)



Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1419817600
Verehrte Frau Kollegin
Roth, gerade im Hinblick auf die Abschaffung des Ra-
battgesetzes haben wir immer wieder gesagt, dass einige
positive Aspekte zu verzeichnen sind. Wir haben aber
auch mit Vertretern von Verbänden, beispielsweise von
Reisebüroverbänden, gesprochen, die von der Abschaf-
fung negativ betroffen sind. Solange es in der Europä-
ischen Union keine Harmonisierung auf diesem Gebiet
gibt und solange es zu weiteren Wettbewerbsverzer-
rungen kommt, ist es eine Selbstverständlichkeit, dass die
Union dagegen stimmt; denn wir sind nur für ganze und
nicht für halbe Sachen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh!)


Ich habe eben gesagt, dass die steuerliche Belastung
von Benzin in Österreich viel niedriger ist als bei uns.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Ernst Hinsken

19392


(C)



(D)



(A)



(B)


Gerade bezogen auf die Ökosteuer haben Sie ja die Mög-
lichkeit, diejenigen, die mit dem Auto in Urlaub fahren
möchten, zu entlasten. 28 Pfennig sind es ab dem 1. Ja-
nuar kommenden Jahres. Das bedeutet für einen Nord-
deutschen, der Urlaub in Süddeutschland verbringen
möchte, oder für einen Süddeutschen, der Urlaub an der
Nord- oder Ostsee verbringen möchte, bei 200 Liter Sprit,
die er benötigt, eine Mehrbelastung von weit über 50 DM.
50 DM entsprechen bei uns in Bayern: einem Mittagessen
für eine vierköpfige Familie.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das ist Mengenlehre! Als die dran war, waren Sie wohl gerade krank!)


Das muss in dieser Debatte einmal gesagt werden.

In keinem anderen Land greift der Staat als Fiskus dem
einzelnen Bürger und dem Autofahrer tiefer in die Tasche
als bei uns.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Was halten Sie denn von England? Erzählen Sie mal etwas dazu! Wie sind denn die Benzinpreise in England?)


Das ist aber noch nicht alles. Wir müssen leider feststel-
len, dass die Ökosteuer für die Hotellerie und die Gastro-
nomie weitere negative Auswirkungen hat. Es kann nicht
von der Hand gewiesen werden, dass ein mittelständi-
scher Betrieb mit 40 bis 50 Betten durch die Ökosteuer
Jahr für Jahr mit 10 000 DM belastet wird. Das Geld fällt
für ihn nicht als Manna vom Himmel, sondern er muss es
erwirtschaften. Er kann es nur erwirtschaften, indem er
die Öktosteuer umlegt. Dies führt zu einem höheren Preis.
Und aufgrund des höheren Preises sind die Leute dann
nicht mehr bereit, den Urlaub bei ihm zu verbringen. Sie
gehen dann ins Ausland, wo diese Belastungen nicht zu
tragen sind.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419817700
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Irber?


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1419817800
Ja, gerne.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419817900
Bitte sehr.


Brunhilde Irber (SPD):
Rede ID: ID1419818000
Kollege Hinsken, ist Ihnen
bekannt, dass wir im Jahr 2000 die höchsten jemals statis-
tisch erfassten Übernachtungszahlen in Deutschland zu
verzeichnen hatten, nämlich 326 Millionen Übernachtun-
gen, und dies trotz Ökosteuer?


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das hat aber nichts mit der Bundesregierung zu tun! – Jörg Tauss [SPD]: Das passt nicht ins Konzept!)



Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1419818100
Sie sagen es selbst, Frau
Kollegin Irber, trotz Ökosteuer. Es wären nämlich viel
mehr gewesen, gäbe es diese Ökosteuer nicht,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


weil dann Urlaub bei uns in der Bundesrepublik Deutsch-
land interessanter geworden wäre. Ich bin Ihnen für diese
Zwischenfrage, die Sie ja teilweise schon selbst beant-
wortet haben, dankbar.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Ernst kann man den Ernst nicht nehmen!)


Meine Damen und Herren, es ist ja nicht nur diese
Wettbewerbsverzerrung festzustellen. Es geht auch um
verschiedene andere Dinge, die uns belasten, die uns be-
wegen müssen. Ich frage Sie und frage uns alle: Erstens.
Warum ist in zwölf Ländern der Europäischen Union
– das ist auch Thema unserer Anfrage – die Mehrwert-
steuer im Beherbergungsbereich niedriger als bei uns?


(Zuruf von der SPD: Warum habt ihr da nichts gemacht?)


Zweitens. Warum ist in zehn Ländern der Europäischen
Union die Mehrwertsteuer im Freizeitbereich niedriger
als bei uns?


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Warum hat Waigel das nicht gemacht? Können Sie das mal sagen? Sagt Ihnen der Name Waigel etwas?)


Drittens. Warum ist in acht Ländern der Europäischen
Union der Mehrwertsteuersatz in der Gastronomie niedri-
ger als bei uns?


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Warum hat Waigel das nicht geregelt?)


Das ist doch deshalb so, weil die Bundesregierung hier
nicht schaltet und weil sie das Interesse der Tourismus-
wirtschaft nicht so im Auge hat, wie es sein könnte.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das ist der entscheidende Punkt!)


Ich frage des Weiteren, verehrte Kolleginnen und Kol-
legen: Worauf führen Sie es zurück – und ist das EU-kon-
form? –, dass die Griechen jetzt ein Kopfgeld von 78 DM
pro Urlauber einführen?


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Warum hat denn Waigel den Mehrwertsteuersatz nicht gesenkt? Das will ich doch mal hören!)


– Passen Sie auf, sonst wissen Sie nicht Bescheid, und
wenn Sie nicht Bescheid wissen, können Sie nicht mitre-
den! Nur, damit das klar ist. Durch Schreien allein wird
man nicht klug.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Uwe Küster [SPD]: Fragen Sie mal Ihren Waigel, was der mit dem Mehrwertsteuersatz gemacht hat!)


– Sie müssen zuhören und überlegen. Sie können auch
aufstehen und sich zu einer Zwischenfrage melden. Dann
bekommen Sie auch eine Antwort von mir.

Ist es EU-konform, meine Damen und Herren, wenn,
wie ich vor vier Wochen in Erfahrung brachte, in Spanien
Senioren über 60 Jahre in Ein-, Zwei-, Drei- und Vier-
Sterne-Hotels in saisonschwachen Zeiten den Urlaub um
20 bis 30 Prozent billiger verbringen dürfen als sonst? Das

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Ernst Hinsken

19393


(C)



(D)



(A)



(B)


ist doch wettbewerbsverzerrend. Wenn bei uns ein Vor-
schlag kommt, der in diese Richtung geht, dann wird das
verneint. Bei uns heißt es immer: Das geht nicht.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Dazu hat der Staatssekretär etwas gesagt! Hören Sie doch einmal zu!)


Geht nicht gibt’s nicht. Wir müssen überlegen, was wir
tun können und was wir tun müssen, um der Tourismus-
wirtschaft auf die Beine zu helfen.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das ist der Ruf nach Subventionen!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419818200
Herr Kollege, Sie ha-
ben Ihre Redezeit weit überschritten.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1419818300
Verehrte Frau Präsiden-
tin, ich danke Ihnen herzlich für Ihre Nachsicht. Aber das
war notwendig, damit ich vor allen Dingen den Kollegin-
nen und Kollegen auf der linken Seite einiges an Nach-
hilfeunterricht erteilen konnte.

Unser aller Aufgabe ist es – gerade jetzt vor dem Wech-
sel von der D-Mark zum Euro –, alles zu tun, damit sich
die deutsche Tourismuswirtschaft in Europa und auch
weltweit behaupten kann.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419818400
Nun hat der Kollege
Eckhard Ohl das Wort für die SPD-Fraktion.


Eckhard Ohl (SPD):
Rede ID: ID1419818500
Verehrte Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr
Hinsken, um Sie kennen zu lernen, würde ich selbst dann
nach Bayern fahren, wenn die Ökosteuer 50 Pfennige be-
trüge, so sympathisch sind Sie mir durch Ihren Vortrag
eben geworden.


(Beifall des Abg. Eduard Oswald [CDU/CSU])


Sehr verehrte Damen und Herren der CDU/CSU-Frak-
tion, Sie stellen eine merkwürdige Große Anfrage, indem
Sie in der Einleitung bereits mit Unterstellungen und
Schlussfolgerungen arbeiten, das dazu gehörige Fakten-
wissen dann aber erst abfragen.


(Beifall der Abg. Brunhilde Irber [SPD])


Deshalb ist sicherlich kein Böser, wer da Schlimmes
denkt. Trotzdem sind die Fragen zum Tourismus im um-
fassenden Sinne sehr informativ


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Die Große Anfrage haben wir gestaltet, Herr Ohl!)


und eine gute politische Möglichkeit, um ein positives Re-
sümee unserer Tourismuspolitik zu ziehen und auf durch-
aus vorhandene Reserven aufmerksam zu machen.

Die Welttourismusorganisation ermittelt – trotz ho-
her Schwankungen in den vergangenen Jahren – stets ein

über den anderen Branchen liegendes Wachstum und pro-
gnostiziert dies auch für die kommenden Jahre.


(Beifall bei der SPD)


So ist weltweit die Zahl der Touristen im Jahr 2000 um
7,4 Prozent auf fast 700 Millionen gestiegen. Die von der
Europäischen Union eingesetzte High-Level-Group
schätzt anhand der aktuellen Entwicklung, dass die Zahl
der internationalen individuellen Touristenbewegungen
in Europa zwischen 1995 und 2010 um 57 Prozent zu-
nehmen werde. Das ist für 2,8 Millionen Beschäftigte in
Deutschland eine erfreuliche Prognose, die sich in den
letzten Jahren mehr als bewahrheitete.

Weil der Anteil Deutschlands im Jahre 2000 die euro-
päische Durchschnittsrate deutlich übertraf, was der Op-
position verborgen blieb, war das Jahr 2000 das Rekord-
jahr überhaupt; die Steigerungsrate war in Deutschland
um 10,5 Prozent höher als die des weltweiten Tourismus.


(Beifall bei der SPD)


Dieser positive Trend aus den Vorjahren fand im Jahre
2000 erfreulicherweise auch in den neuen Bundeslän-
dern seine Fortsetzung. So erhöhten sich die Touristen-
ankünfte um 8 Prozent und die Übernachtungen um
10 Prozent, was zeigt, dass die Gäste länger als früher
bleiben, wenngleich gerade in den neuen Bundesländern
große Reserven und regionale Unterschiede zu verzeich-
nen sind, denen ich mich noch kurz zuwenden werde. Den
Anteil der rot-grünen Bundesregierung an dieser positi-
ven Entwicklung und die perspektivische Sichtweise, die
uns erwarten lässt, dass es noch besser wird, hat der
Staatssekretär soeben erläutert.

Der geringe gestalterische Spielraum, der Ihnen, meine
sehr verehrten Damen und Herren der Opposition, neben
der Beschäftigung mit sich selbst, wie täglich den Medien
zu entnehmen ist, politisch noch bleibt, sollte von Ihnen
konstruktiver und ehrlicher genutzt werden, als Sie es mit
Ihrer Großen Anfrage getan haben.


(Beifall bei der SPD – Ernst Hinsken [CDU/ CSU]: Das nehmen Sie sofort zurück! – Gegenruf des Abg. Dr. Uwe Küster [SPD]: Backen Sie mal kleine Brötchen!)


Die Welttourismusorganisation, die Europäische
Union und sämtliche nationalen Fachgremien bestätigten
zum Zeitpunkt Ihrer Anfrage eine erfolgreiche nachhal-
tige Entwicklung der Tourismuswirtschaft. Im Gegensatz
dazu stellten Sie am 3. April eine Große Anfrage, in der
Sie als Binsenweisheit einen sich verschärfenden Wettbe-
werb entdecken, schlechtere wirtschaftliche Standortfak-
toren herbeireden, was den Bemühungen der Tourismus-
wirtschaft vollkommen zuwider läuft, und damit unser
Produkt, den Tourismus, auch in der Europäischen Union
schlechtreden.


(Beifall bei der SPD – Klaus Brähmig [CDU/ CSU]: Völliger Quatsch, Herr Ohl!)


Damit verdienen Sie sich die Einschätzung, an der Rea-
lität vorbei nicht konstruktiv und ehrlich zu agieren.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das hat man Ihnen falsch aufgeschrieben!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Ernst Hinsken

19394


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich bezweifle, dass der Vorspann Ihres Fragenkatalogs
in seinem Wortlaut dem Interesse unserer Tourismuswirt-
schaft entspricht.


(Beifall bei der SPD)


Unter vollkommener Negierung der Zusammenhänge, die
eine zunehmend globalisierte Weltwirtschaft mit sich
bringt, unter Negierung schneller durchschlagender
Schwankungen auf der Grundlage wesentlich vergrößer-
ter Wettbewerbszonen verfolgen Sie die Strategie, den
deutschen Wirtschaftsstandort schlechtzureden.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Völliger Quatsch!)


Weder begreifen Sie durchaus vorhandene Probleme, die
diese Entwicklung mit sich bringt, als Herausforderung
noch helfen Sie bei der Lösung; vielmehr stellen Sie sie
als national hausgemacht dar, um so auf billige und pri-
mitive Weise daraus politisch Kapital zu schlagen.


(Beifall bei der SPD – Klaus Brähmig [CDU/ CSU]: Ist doch völliger Quatsch!)


Leider hat uns der 11. September mit etwas konfron-
tiert, was in keiner Kalkulation, auch nicht in der der Tou-
rismuswirtschaft, mehr vorkam, nämlich mit der Angst
um Frieden und Sicherheit. Dadurch verliert – leider – Ihr
Argument, dass andere EU-Mitgliedstaaten niedrigere
Flugtransportkosten haben und somit eine profitablere Art
der Ausweitung zu neuen Zielorten als bessere Rahmen-
bedingungen in Anspruch nehmen können. Uns alle er-
schreckt, dass es auf einmal nicht mehr nur um Wettbe-
werb, sondern um Solidarität unter Wettbewerbern geht,
um den Terrorismus erfolgreich zu bekämpfen.

Auf 39 Fragen erhalten Sie 39 Antworten, die belegen,
dass eine Benachteiligung der deutschen Tourismuswirt-
schaft durch die nationalen Rahmenbedingungen in
keiner Weise gegeben ist.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Aber dann haben Sie das nicht gelesen, Herr Ohl! Sie müssen das auch einmal lesen! – Klaus Brähmig [CDU/ CSU]: Immer diese alte Schallplatte! Thema verfehlt, kann ich nur sagen!)


Wäre dies deutlich geworden, kämen Sie, gemessen am
Zeitraum rot-grüner Regierungsverantwortung – nach
16 Jahren Regierungsverantwortung in arge Erklärungs-
not.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Thema verfehlt, kann ich nur sagen!)


Daran, dass der Tourismus in Deutschland einen gleich
großen Anteil am Bruttoinlandsprodukt hat wie in Frank-
reich mit seinen langen Küsten und der Weltmetropole Pa-
ris, wird deutlich, dass mittlerweile sogar Standortvorteile
ausgeglichen werden. Im Messe- und Kongressgeschehen
setzt Deutschland sogar Führungsansprüche. Hinsichtlich
der Entwicklung der Beschäftigung in dieser Branche lie-
gen nur Spanien, Griechenland und Italien vor uns. Mit
8 Prozent liegen wir weit vor Österreich mit 4,8 Prozent
und Frankreich mit 2,9 Prozent.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir gestehen aber ein, dass Sie in Ihrer Regierungszeit die
Auseinandersetzung mit Sonne und Wärme nicht gewin-
nen konnten und uns dieses Erfolgserlebnis ebenfalls ver-
sagt bleiben wird.


(Beifall bei der SPD)


Als Nachteile hinsichtlich der nationalen Rahmenbe-
dingungen führen Sie immer wieder die unterschiedlichen
Mehrwertsteuersätze an. Richtig, in einem Hotel in
Frankreich zahlen Sie für eine Übernachtung nur 5,5 Pro-
zent Mehrwertsteuer, aber trotzdem allgemein einen
höheren Preis als in Deutschland.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Richtig!)


Für Essen und andere Konsumgüter zahlt man dann aber
19,6 Prozent Mehrwertsteuer. Worauf stützen Sie diesbe-
züglich Ihr Argument der schlechteren Rahmenbedin-
gungen?

Meine sehr verehrten Damen und Herren, werte Kolle-
ginnen und Kollegen, ich sprach vorhin von den in den
letzten Jahren erreichten großen Fortschritten, aber auch
von den territorialen Unterschieden und großen Reserven
in der Entwicklung der Tourismuswirtschaft in den ost-
deutschen Bundesländern.

Nach dem Grundgesetz sind der Tourismus und seine
Förderung Ländersache. Er bleibt aber selbstverständlich
in die allgemeinen Förderprogramme der Bundesregie-
rung einbezogen. Besonders in den neuen Ländern gilt es,
mit deren Hilfe den Bekanntheitsgrad der ostdeutschen
Tourismusgebiete zu erhöhen und im In- und Ausland
verstärkt ein positives Image aufzubauen. Die touristi-
schen Angebote müssen parallel dazu weiter profiliert und
vervollkommnet werden. Dazu zählen Angebote wie Ur-
laub auf dem Bauernhof oder das Kurgewerbe, das seit
1997/98 auf Beschluss der alten Bundesregierung durch
geringere Zuschüsse und kürzere Kurdauern mit einer
Stagnation bzw. mit leichten Rückgängen leben musste
und nur allmählich Verbesserungen verzeichnen kann.


(Zuruf von der SPD: Das war Herr Seehofer!)


Gerade für Thüringen, wo in Heiligenstadt, Bad Salzun-
gen und Bad Langensalza Kureinrichtungen vorhanden
sind, die durchaus mit Karlsbad konkurrieren können, ha-
ben Sie während der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung
die Rahmenbedingungen verschlechtert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Völliger Quatsch!)


Deutschland wird nach Erschließung dieser Reserven
im europäischen Vergleich noch besser dastehen, wenn-
gleich ich weiß, dass dieser Entwicklungsprozess noch ei-
nige Jahre in Anspruch nehmen wird. Voraussetzung dafür
sind nicht gesonderte Rahmenbedingungen – auch Geld
halte ich nicht für eine ausschließlich notwendige Voraus-
setzung –, sondern ein Nichtnachlassen von Patriotismus
und Solidarität. Zu den unverzichtbaren materiellen Kri-
terien zählen die Festschreibung des Solidarpaktes und
die Festlegung, Förderschwerpunkt der EU zu sein; die
ideellen Kriterien sind andere.

Als Bundestagsabgeordneter aus Thüringen weiß ich,
dass nach zehn Jahren Harz noch lange nicht gleich Harz

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Eckhard Ohl

19395


(C)



(D)



(A)



(B)


ist, dass der Thüringer Wald noch lange keinem Vergleich
mit dem Bayerischen Wald standhält und Ostsee noch
lange nicht Ostsee ist. Das schmerzt, kann aber objektiv
noch nicht anders sein und spornt an.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das steht in der Pressemitteilung, Herr Ohl!)


Schmerzlich ist aber, wenn zehn Jahre nach der Wende je-
der Ostdeutsche in Westdeutschland war, aber erst jeder
sechste bis achte Westdeutsche in Ostdeutschland. Hier
liegen große Reserven.


(Beifall bei der SPD)


Die ostdeutschen Bundesländer waren vom westlichen
internationalen Tourismus abgekoppelt; vom Osten ka-
men nur Dauerurlauber bei freier Kost und Logis. Die Er-
höhung des Bekanntheitsgrades bzw. die bessere Ver-
marktung unserer landschaftlichen Schönheiten und des
kulturellen Erbes verlangen noch große Anstrengungen,
um den ostdeutschen Bundesländern Chancengleichheit
innerhalb der Europäischen Union und besonders hin-
sichtlich der Osterweiterung zu gewähren.

Ich weiß, wovon ich rede, habe ich doch in den zurück-
liegenden Jahren circa 60 Botschaftsbesuche absolviert
und dabei erschreckende Unkenntnis über den östlichen
Teil unseres Vaterlandes hinnehmen müssen. 25 Bot-
schafter haben in der Zwischenzeit Nordthüringen be-
sucht, wissen mit den Namen Nordhausen, Eichsfeld, Un-
strut-Hainich oder Wartburgkreis umzugehen, konnten
sich durch Leistungspräsentationen in Berlin oder vor Ort
ein Bild von unserer schönen Heimat machen und sind
seit ihren Besuchen begeisterte Thüringen-Fans.

An dieser Stelle möchte ich mich beim Bundeswirt-
schaftsministerium, bei Herrn Staatssekretär Mosdorf so-
wie unserer Sprecherin Kollegin Irber für die großzügige
Unterstützung dieses Tuns und Handelns in Thüringen be-
danken. Hocherfreut bin ich über die Ankündigung des
Staatssekretärs, verstärkt Bemühungen zu einem Bünd-
nis unter den Bundesländern zugunsten der Tou-
rismuswirtschaft, aber hauptsächlich mit dem Hinter-
grund, die von mir angesprochenen Niveauunterschiede
am Standort Deutschland abzubauen, zu betreiben.


(Beifall der Abg. Brunhilde Irber [SPD])


In Ihrer Anfrage vermisse ich jegliche Ansatzpunkte zu
Problemen der neuen Länder. Ich hätte mich gern länger
mit Ihnen darüber unterhalten, wie gut die Rahmenbedin-
gungen in den neuen Ländern inzwischen sind.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das machen wir im Ausschuss, Herr Ohl!)


8 500 Beherbergungsbetriebe, davon 6 000 Hotels, wur-
den in den letzten Jahren zum größten Teil auf moderne
technische und bauliche Standards gebracht. Diese enor-
men Kapazitäten müssen sich tatsächlich zu einer Jobma-
schine für den Mittelstand entwickeln.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Das funktioniert aber nicht, wenn Sie nach allem, was
nach Bundespolitik riecht, angefangen bei der Mehrwert-
steuer, über 630-Mark-Jobs bis hin zum Betriebs-

verfassungsgesetz, mit der Lanze stechen wie Don
Quichotte bei den Windmühlen, sondern auch die Lan-
desregierungen müssen Verantwortung erkennen und ihre
Hausaufgaben machen, Herr Brähmig.


(Beifall bei der SPD – Klaus Brähmig [CDU/ CSU]: Das ist doch Quatsch! Selber Hausaufgaben machen!)


Elf Jahre nach der Wende gelingt es in Thüringen noch
immer nur äußerst mangelhaft, die Vernetzung der Wirt-
schafts- und Politikbereiche zugunsten der Tourismusent-
wicklung auf lokaler, regionaler und Landesebene zu ge-
stalten. Ein Berg, ein See, ein Spaßbad und ein Hotel
ergeben noch keinen Tourismus.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419818600
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist abgelaufen.


Eckhard Ohl (SPD):
Rede ID: ID1419818700
Zwei Sätze noch. – Wir stehen
damit nur mit vielen im Wettbewerb. Wettbewerb heißt
verkaufen und das tun wir auch nach elf Jahren noch
schlecht.

Die deutsche Tourismuswirtschaft hat Reserven und
diese liegen zum Teil in den neuen Ländern. Das hat die
Bundesregierung erkannt. Ebenso hat sie erkannt, wie
man helfen kann.

Mäkeln Sie als Opposition nicht an Rahmenbedingun-
gen herum, die in den Ländern der EU keinesfalls hintan-
stehen!


(Beifall bei der SPD)


Nehmen Sie Einfluss auf die von Ihnen regierten neuen
Bundesländer, um einfach und pragmatisch mitzuhelfen,
diese Reserven zu erschließen!


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Gerade in Thüringen und Sachsen läuft der Tourismus ganz besonders gut! Das haben Sie noch gar nicht mitgekriegt! Was Sie fordern, machen wir!)


Herr Brähmig, davon habe ich in Ihrer Rede kein Wort
vernommen.


(Beifall bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419818800
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache
14/7329. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ent-
schließungsantrag ist abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Aufstiegsfortbildungsförderungsge-
setzes (AFBG-ÄndG)

– Drucksache 14/7094 –

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Eckhard Ohl

19396


(C)



(D)



(A)



(B)


Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Bun-
desministerin Edelgard Bulmahn.

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Kollegen und Kolleginnen! Eine Berufs-
ausbildung reicht heute nicht mehr für ein ganzes Leben
aus. Mit der Reform des Aufstiegsfortbildungsförde-
rungsgesetzes geben wir deshalb allen jungen Menschen,
die interessiert und qualifiziert sind, die Chance, sich
fortzubilden und ihren Meister zu machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Reform, die wir heute vorlegen, ist familien-
freundlich und sozial. Sie ist aber nicht nur ein wichtiger
Beitrag zur Qualifizierung, sie ist auch ein wichtiger Bei-
trag zur Mittelstandsförderung und zur Gründung
neuer Unternehmen. Damit schaffen wir gerade für
diese Unternehmen bessere Entwicklungsmöglichkeiten
sowie neue Ausbildungs- und Arbeitsplätze vor allem in
kleinen und mittleren Betrieben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir können nicht bis morgen warten, sondern müssen
uns schon heute Gedanken darüber machen, wie wir in
Zukunft unseren Bedarf an qualifizierten Fachkräften
decken können. Deshalb hat die Bundesregierung eine
breit angelegte Qualifizierungsoffensive ins Leben geru-
fen. Wir modernisieren die berufliche Bildung und schaf-
fen neue Berufe in wachsenden Zukunftsbranchen. Wir
haben mit dem Programm JUMP 330 000 Jugendliche
von der Straße geholt und ihnen eine zweite Chance auf
Ausbildung und Beschäftigung gegeben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir können sagen, dass das Erfolg zeigt; denn auch in die-
sem Jahr wird jeder Jugendliche, der arbeiten kann und ar-
beiten will, einen Ausbildungsplatz erhalten. Diesen Kurs
werden wir in den kommenden Jahren konsequent fort-
setzen.

Mit der Reform des AFBG, dem so genannten Meister-
BAföG, motivieren wir vor allem junge Fachkräfte, sich
fortzubilden und den Schritt in die Selbstständigkeit zu
wagen. Das ist zugleich ein ganz wichtiger Beitrag zur
Verwirklichung der Gleichwertigkeit von allgemeiner und
beruflicher Bildung.

Der Erfahrungsbericht zum alten AFBG, zum alten
Meister-BAföG, den die Bundesregierung im September

1999 vorgelegt hat, zeigt ganz deutlich, dass die Förder-
leistungen in der Vergangenheit häufig nicht ausreichten,
um den Lebensunterhalt zu sichern. Manch einer verzich-
tete deshalb gänzlich auf Fortbildung. Viele Maßnahmen
wurden überhaupt nicht gefördert. Das Antrags- und Be-
willigungsverfahren war zu langwierig und zu kompli-
ziert.

Das alles ändern wir mit der Novellierung des Geset-
zes. Wir werden den Kreis der Geförderten erweitern. Wir
werden die Leistungen verbessern, das Verfahren unbüro-
kratischer gestalten und mehr Maßnahmen als bisher för-
dern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Davon, liebe Kolleginnen und Kollegen, profitieren vor
allem junge Fachkräfte, die eine Familie haben, künftige
Existenzgründer und nicht zuletzt ausländische Fach-
kräfte, die bei uns leben und arbeiten.

Wie sieht das neue AFBG genau aus? Für Förderleis-
tungen nach dem neuen AFBG stellen Bund und Länder
im Jahre 2002 rund 190 Millionen DM zur Verfügung.
Das ist fast doppelt so viel wie heute. Bis zum Jahre 2005
werden wir die Mittel für das neue Meister-BAföG bis auf
über 222 Millionen DM weiter steigern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Unterhaltsbeitrag für eine Vollzeitfortbildung
steigt bei Alleinstehenden auf maximal 1 195 DM. Das
sind 10 Prozent oder in der Summe 110 DM mehr. Außer-
dem sorgen wir mit einem Zuschuss von 35 Prozent zu den
Lehrgangs- und Prüfungsgebühren dafür, dass die Darle-
hensbelastung sinkt, und zwar deutlich. Der gewährte
Kredit muss also nicht mehr voll zurückgezahlt werden.

Wir verbessern die familienbezogenen Leistungen er-
heblich. Die Unterhaltsbeiträge für Kinder steigen von
250 DM auf 350 DM. Darüber hinaus wird der Kinderbe-
treuungszuschuss für Alleinerziehende von 200 DM auf
250 DM erhöht und das Kindergeld wird zukünftig nicht
mehr auf das Einkommen angerechnet. Gerade für dieje-
nigen, die Kinder haben, verbessern wir die Leistungen
also spürbar.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist meiner Ansicht nach genau richtig, weil es sich
eben häufig um junge Familien handelt, die vor dieser Si-
tuation stehen.

Ein weiterer Kritikpunkt an dem alten AFBG war, dass
viele Fortbildungen überhaupt nicht gefördert wurden.
Ich teile diese Kritik und deshalb haben wir das geändert.
Nach dem neuen Gesetz können Fortbildungen in Ge-
sundheits- und Pflegeberufen, Qualifizierungsmaßnah-
men an staatlich anerkannten Ergänzungsschulen und me-
diengestützte Fortbildungen gefördert werden.

70 Prozent aller Arbeitsplätze und 80 Prozent aller
Ausbildungsplätze werden bei uns von mittelständischen
Unternehmen, von Handwerksbetrieben und Selbststän-
digen im Handel, im Dienstleistungsgewerbe oder in den

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Vizepräsidentin Anke Fuchs

19397


(C)



(D)



(A)



(B)


freien Berufen geschaffen. Deshalb verbessern wir die
Förderung von Existenzgründern, und zwar in erhebli-
chem Umfang. Wir schaffen damit insbesondere für den
Generationenwechsel im Mittelstand eine bessere Grund-
lage; denn vor einem solchen stehen wir. Das Institut für
Mittelstandsforschung schätzt, dass bei uns allein in den
nächsten fünf Jahren in circa 380 000 Betrieben ein Ge-
nerationenwechsel stattfinden wird. Wenn wir sicherstel-
len wollen, dass genügend junge Leute zur Verfügung ste-
hen, die diese Betriebe übernehmen können, dann ist eine
Novellierung dieses Gesetzes zum gegenwärtigen Zeit-
punkt außerordentlich wichtig. Deshalb wird es auch ge-
macht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir erleichtern den Fortbildungsabsolventen den
Schritt in die Selbstständigkeit, indem wir ihnen künftig
fünf anstatt bisher drei Jahre Zeit geben, um ein Unter-
nehmen zu gründen und die ersten zwei Beschäftigten
einzustellen. Unter diesen Voraussetzungen greift dann
der Darlehenserlass. Der Darlehenserlass für Existenz-
gründer wird von 50 Prozent auf 75 Prozent angehoben.
Ein Existenzgründer zum Beispiel, der 20 000 DM an
Lehrgangs- und Prüfungsgebühren bezahlt hat, muss
zukünftig unter Berücksichtigung des Zuschusses von
35 Prozent nur noch 3 250 DM zurückzahlen. Das zeigt,
welche Verbesserungen dieses Gesetz für junge Leute, ge-
rade für Existenzgründer mit sich bringt.

Schließlich erhöhen wir den Vermögensfreibetrag für
Existenzgründer von 10 000 DM auf 70 000 DM. Exis-
tenzgründer erhalten damit gerade in der schwierigen An-
fangsphase eine wesentlich bessere Unterstützung.

Ferner sorgen wir mit diesem Gesetz dafür, dass aus-
ländische Fachkräfte, die sich fortbilden wollen, mit
ihren deutschen Kolleginnen und Kollegen gleichgestellt
werden. Sie können künftig schon nach dreijähriger statt
wie bisher nach fünfjähriger Erwerbstätigkeit gefördert
werden.

Meine sehr geehrten Herren und Damen, mit der Re-
form dieses Gesetzes erhalten Fachkräfte, die sich fortbil-
den wollen, die Unterstützung, die sie brauchen. Unsere
Betriebe bereiten wir damit auf den bestehenden demo-
graphischen Wandel, auf den Generationenwechsel, vor.
Außerdem schaffen wir so neue Arbeits- und Ausbil-
dungsplätze.

Diese Reform ist daher ein ganz wichtiger Beitrag zur
Mittelstandsförderung. Sie ist aber auch ein zentraler
Baustein unserer Bildungspolitik, einer Politik, die den
Menschen nützt, die ihnen hilft und die sich auch sehen
lassen kann.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419818900
Nun hat das Wort der
Kollege Werner Lensing, CDU/CSU-Fraktion.


Werner Lensing (CDU):
Rede ID: ID1419819000
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Bun-
desregierung hat, Frau Ministerin, seit Beginn dieser Le-
gislaturperiode tausend und einen Tag verstreichen lassen,
um einen einzigen Gesetzentwurf zur Änderung des so
genannten Meister-BAföG einzubringen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)


Genauso wie die Erzählungen aus Tausenundeiner Nacht
märchenhaft sind, ebenso realitätsfern sind bei Ihnen im-
mer noch Ihre Vorstellungen über die Höhe der tatsächlich
benötigten finanziellen Mittel.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


– Sie aus den Reihen der SPD wollen mich durcheinander
bringen, aber das kriegen Sie nicht zustande. Ich sage Ih-
nen nur eines: Wenn Sie nicht zuhören, dann lernen Sie
auch nichts. Es ist ja Fortbildung, wie wir heute Abend
gehört haben.

Gleichwohl – das möchte ich ausdrücklich anerkennen, –
sind die Mittel erhöht worden. Das soll deutlich gesagt
werden.


(Beifall bei der SPD)


Ebenso deutlich muss aber gesagt werden – ich hoffe, der
Beifall hält an –, dass der eigentliche Bedarf höher sein
dürfte und sein wird, als dies der Haushaltsplan zulässt.

Über drei Jahre sind – ich wiederhole es – seit der letz-
ten Wahl ergebnislos vergangen. Zwei CDU/CSU-An-
träge und sogar ein Bericht der Bundesregierung waren
vonnöten, ehe Sie darangingen, sich konkret dieser drän-
genden Problematik anzunehmen.


(Jörg Tauss [SPD]: Euer Gesetz zu verbessern!)


So haben Sie sich eine lange Zeit nicht darum gekümmert,
die sogar durch Ihren eigenen Bericht erkannten Fehler
schnellstens zu korrigieren und damit die Attraktivität der
Aufstiegsfortbildung zu fördern.

Auch blieb von Ihnen völlig unbeachtet, dass für Meis-
terschüler aus Industrie und Handel die Fördermaßnah-
men keine echte Hilfe darstellen, da sich diese zumeist be-
rufsbegleitend weiterbilden und nur in den wenigsten
Fällen beabsichtigen, sich, wie erhofft, tatsächlich selbst-
ständig zu machen.

Deswegen freut es mich schon, dass Sie seinerzeit of-
fensichtlich unseren sinnvollen Anregungen im Plenum
so andächtig gelauscht, sich diese zu Herzen genommen
und nunmehr als Ihre Vorschläge zu einem großen Teil in
den vorliegenden Gesetzentwurf aufgenommen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Das ist Geschichtsklitterung!)


Doch leider haben Sie, wie immer, den Gesamtzusam-
menhang nur unzureichend verstanden und deswegen ist
das Gesamtkonzept nur halbherzig umgesetzt. Bedauerli-
cherweise ist somit eine wirkliche Reform bei allen Ver-
besserungen nicht geglückt.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Bundesministerin Edelgard Bulmahn

19398


(C)



(D)



(A)



(B)


Hätten die Damen und Herren in der Bundesregierung
sich beispielsweise mit den Aussagen der Verbände aus
Industrie und Handel sowie dem Handwerk auseinander
gesetzt, wüssten sie inzwischen, wo der Schuh wirklich
drückt.


(Jörg Tauss [SPD]: Die haben es doch gelobt, von morgens bis abends!)


Es nützt nämlich überhaupt nichts, die Fördermaßnahmen
hier und dort ein wenig anzuheben und naiv zu hoffen,
dass nunmehr der große Ansturm auf die Meister- und
Technikerausbildung geradezu automatisch folgt.

Es dürfte Ihnen allen bekannt sein, dass das Interesse
am Meister-BAföG im Jahr 2000 noch im Vergleich zum
Vorjahr – da waren Sie ja, ich konnte es leider nicht ver-
hindern, schon in der Regierung – um weitere 3,3 Prozent
zurückging, weil die Förderung weder von der Höhe noch
von den Bedingungen her für den angesprochenen Perso-
nenkreis reizvoll war.

Die Zahl der Geförderten sank nicht von ungefähr
auf – laut Angaben des Statistischen Bundesamtes –
52 000 Personen.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Weil Ihr Gesetz so war!)


– Hätten wir unser Gesetz nicht gemacht, Herr Rossmann,
wären Sie noch längst nicht so weit; dann hätten Sie noch
nicht einmal eine Anregung für das, was Sie jetzt weiter-
führen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir waren die Meister dieses Gedankens; das ist über-
haupt nicht zu leugnen, wenn man es historisch sauber,
objektiv – wie das die Art der CDU ist – bewertet.

Die Zahlen verdeutlichen hinsichtlich unserer derzeiti-
gen Konjunkturdaten eine trübe Bilanz. Traurigerweise
werden wir in den nächsten Jahren voraussichtlich einen
weiteren Rückgang der Zahl von Meisterschülern ver-
zeichnen müssen; zudem werden derzeit noch berufs-
tätige Meister in den Ruhestand gehen. Genau bei dieser
Problematik greift der Regierungsentwurf entschieden zu
kurz. Er ist halbherzig und lückenhaft.

Zu einer echten Reform fehlen dem Gesetzentwurf:
erstens der vollständige Erlass des Gesamtdarlehens bei
Existenzgründung, zweitens die Streichung der Vermö-
gensanrechnung und drittens die bessere Berücksichti-
gung von Teilnehmerinnen und Teilnehmern an berufsbe-
gleitenden Teilzeitmaßnahmen und damit zugleich die
Berücksichtigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mern aus Industrie, Handel und Dienstleistungen. Vier-
tens fehlt – es ist mir schon fast unangenehm, das alles
aufzählen zu müssen – die Senkung des Mindestumfangs
auf 2 000 Lehrgangsstunden, um so auch modulare Lehr-
gänge förderfähig zu machen. Fünftens fehlt die Ab-
schwächung der Beschäftigungsbedingungen für Kleinst-
betriebe auf eine Umsatzgrenze von 100 000 Euro pro Jahr.
Schließlich, sechstens, fehlt – es ist kaum zu glauben – die
Erhöhung des maximalen Förderbetrages auf mindestens
12 500 Euro.

Es ist also – dies als Fazit – ein grundsätzliches Pro-
blem, das zugleich in der prinzipiellen Anlehnung der
Aufstiegsfortbildung an das BAföG und in einer angeb-
lichen Gleichbehandlung der beruflichen mit der akade-
mischen Ausbildung liegt. Dabei ist der Unterschied sehr
groß. Während das BAföG einen berufsqualifizierenden
Abschluss bei Studentinnen und Studenten anstrebt, rich-
tet sich das neue Gesetz an Berufstätige mit einer bereits
abgeschlossenen Berufsausbildung.

Ich gehe aber davon aus – weil wir uns an den dem-
nächst stattfindenden Beratungen beteiligen werden –,
dass die grundlegenden Fehler bei der Fortbildungsförde-
rung im bevorstehenden Gesetzgebungsverfahren noch
beseitigt, unsere sechs Aspekte berücksichtigt werden und
die Schwachstellen des vorliegenden Entwurfs dadurch
eine Chance haben, ausgebessert zu werden. Geben Sie,
Frau Ministerin, den mittelständischen Betrieben eine
Chance zum Überleben, indem Sie noch geeignetere Vo-
raussetzungen für eine Ausbildung des benötigten Füh-
rungspersonals für die kommende Generation schaffen!

Ein letzter, aber dringender Wunsch: Meine Damen
und Herren von der Koalition, machen Sie aus diesem
ängstlichen Entwurf endlich eine durchgreifende Reform!


(Lachen des Abgeordneten Jörg Tauss [SPD])


Dann wird auch Herr Tauss sich erstmalig berechtigt
freuen können.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419819100
Das Wort hat jetzt der
Kollege Christian Simmert für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen.


Christian Simmert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419819200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Kollege, ängstlich sind wir nicht bei diesem Entwurf. Wir
haben etwas vorgelegt, was Sie nicht geschafft haben. Wir
haben Fehler korrigiert, die Sie in Regierungszeiten – jetzt
sind Sie ja in der Opposition – hätten beseitigen sollen.

Die rot-grüne Bundesregierung setzt mit der Novelle
des AFBG die dringend notwendige „Qualifizierungsof-
fensive“ in der beruflichen Bildung fort. Die Aufstiegs-
fortbildung wird wieder ein zentrales Förderinstrument
zur gezielten beruflichen Weiterbildung. Das ist die Auf-
fassung meiner Fraktion. Bündnis 90/Die Grünen setzen
sich nämlich grundsätzlich für eine bessere Verzahnung
von Erst- und Weiterbildung sowie für eine bessere
Durchlässigkeit zwischen den Bildungseinrichtungen ein.
Die Novelle des Meister-BAföG schließt hier eine Lücke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von der CDU/CSU-
und FDP-Vorgängerregierung, der verflossenen, haben
wir folgende Probleme in der Aufstiegsförderung über-
nehmen müssen: Die Gefördertenzahl und die für die För-
derung bereitgestellten finanziellen Mittel waren absolut
zu niedrig. Die förderberechtigten Berufsgruppen waren
auf einen zu engen Kreis beschränkt. Qualifizierung und
familiäre Verpflichtung waren kaum vereinbar. Unter den

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Werner Lensing

19399


(C)



(D)



(A)



(B)


Teilnehmerinnen und Teilnehmern waren aufgrund der
Zugangshindernisse kaum Migrantinnen und Migranten
vertreten. Der Darlehensteilerlass bot für Existenzgrün-
derinnen und Existenzgründer keinen Anreiz. Der Ver-
waltungsaufwand für die Antragsbearbeitung war über-
dimensioniert.

Mit der Novelle zum Meister-BAföG werden wir diese
Hindernisse beseitigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir stellen die Förderung des Fachkräftenachwuchses
und die von angehenden Existenzgründern auf eine neue
Grundlage. Dafür stellen die rot-grüne Koalition und die
Länder im kommenden Jahr rund 90 Millionen DM zur
Verfügung. Die rot-grüne Bundesregierung setzt mit die-
ser Novelle ein sehr deutliches Zeichen: Mehr Menschen
mit Kindern – Frau Ministerin, Sie haben dies gerade er-
wähnt – haben durch unser neues Meister-BAföG Chan-
cen, sich zu qualifizieren.

Familien mit Kindern und Alleinerziehende erhalten
nämlich künftig bessere Förderkonditionen bei Vollzeit-
und Teilzeitfortbildungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir erhöhen den Kinderzuschlag beim Unterhaltsbeitrag
von 250 auf 350 DM und den Kinderbetreuungszuschuss
auf 250 DM. In Härtefällen wird Alleinerziehenden ein
Darlehen gestundet oder erlassen. Das Kindergeld wird
nicht auf das Einkommen angerechnet. An dieser Stelle
berücksichtigt Rot-Grün ganz gezielt die Lebensum-
stände von Familien und Alleinerziehenden und erhöht
ihre Beteiligungsmöglichkeiten in der beruflichen Weiter-
bildung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Das ist praktizierte Familienfreundlichkeit!)


Es kann nicht um Kind oder Karriere gehen. Wir wollen
Eltern beides ermöglichen.

Bundesweit werden ausländische Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer inländischen gleichgestellt. Sie können
durch unsere Reform in verstärktem Maße gefördert wer-
den. Das bedeutet, dass sie bereits nach dreijähriger Er-
werbstätigkeit gefördert werden können. Wir begreifen
Migrantinnen und Migranten als Teil der Gesellschaft und
wollen an dieser Stelle – anders als die Opposition in den
vergangenen Jahren – einen Beitrag zur Integration leis-
ten. Das Bündnis 90/Die Grünen will die Beseitigung von
Zugangshindernissen erreichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Darüber hinaus werden wir die geförderten Berufsfel-
der deutlich erweitern: Gesundheits- und Pflegeberufe
und die Abschlüsse an staatlich anerkannten Ergänzungs-
schulen werden uneingeschränkt in die Förderung einbe-
zogen. Teilzeitfortbildung und die Fortbildung über soft-
waregestützte Lernmodule werden ermöglicht. Gerade

mit der Teilzeitfortbildung werden wir auch Alleinerzie-
henden helfen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir machen mit die-
ser Novelle zum Meister-BAföG deutlich, dass sich die
Koalition ihrer Verantwortung und der Modernisierung in
der beruflichen Bildung stellt. Die Förderung von Fach-
kräften bei der Aufstiegsfortbildung wird so zu einer zen-
tralen Bildungsaufgabe, bei der der einzelne Mensch mit
seinen Möglichkeiten wieder im Mittelpunkt steht.

Sie könnten dieser Reform des Meister-BAföG eigent-
lich zustimmen. Ich freue mich auf die Debatten im zu-
ständigen Ausschuss. Wir werden uns hier zur zweiten
und dritten Lesung wiedersehen. Dann erwarten wir Ihre
freudigen und mutigen Zustimmungen und keine ängstli-
chen Gegenstimmen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Werner Lensing [CDU/ CSU]: Wir erwarten, dass Sie auf unsere Vorschläge eingehen!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419819300
Für die FDP-Fraktion
spricht die Kollegin Cornelia Pieper.


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1419819400
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Lieber Kollege Simmert, Sie haben ge-
sagt, die alte Koalition habe es nicht erreicht, die Defizite
beim Meister-BAföG abzubauen.


(Jörg Tauss [SPD]: Die Defizite haben Sie erst geschaffen!)


Ich darf Sie daran erinnern, dass es 1996 war, als unter der
Regierungskoalition, an der die FDP und die Union betei-
ligt waren, das Meister-BAföG auf den Weg gebracht
worden ist.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Während die Kolleginnen und Kollegen von der SPD und
von den Grünen immer noch der alten Regelung, der För-
derung der beruflichen Fortbildung nach dem alten Ar-
beitsförderungsgesetz, nachtrauerten, haben wir für die
Herstellung der Gleichwertigkeit von allgemeiner und
beruflicher Bildung, was eigentlich unser gemeinsames
Ziel ist, einen wichtigen Reformschritt getan.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

geht so nicht!)


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419819500
Frau Kollegin, der
Kollege Tauss möchte eine Zwischenfrage stellen. Ich
möchte diese ungern zulassen, weil eine Kollegin gleich
weg muss; die sitzt hier wie auf glühenden Kohlen.

Herr Tauss, ich gestatte Ihnen danach aber eine Kurz-
intervention. Können wir uns so einigen? – Gut.


(Jörg Tauss [SPD]: Wenn Frau Pieper bis zum Schluss bleibt, dann machen wir das!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Christian Simmert

19400


(C)



(D)



(A)



(B)



Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1419819600
Frau Präsidentin, ich be-
danke mich für Ihren guten Vorsitz und den Hinweis. Ich
weiß, dass sich Herr Tauss gern in Debatten einmischt.
Das kann er auch tun, aber wir sollten die Fachberatungen
lieber im Ausschuss führen. Dann müssen wir seine Pole-
mik hier nicht ertragen.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist eine Unverschämtheit! Ich bin fast betroffen!)


In der mittelständischen Industrie und im Handwerk
steht ein Generationswechsel an. Frau Ministerin
Bulmahn hat darauf hingewiesen: In über 300 000 Unter-
nehmen werden in den nächsten fünf Jahren die
Führungsstrukturen völlig ausgetauscht bzw. werden die
Betriebe von neuen Eigentümern übernommen. Es wird
oft beklagt, dass der hierfür benötigte Nachwuchs nicht in
vollem Umfang zur Verfügung steht. Betriebsaufgaben
wären eine Folge, die wir nicht tatenlos hinnehmen kön-
nen. Selbst in den neuen Bundesländern würde eine sol-
che Entwicklung demotivierend wirken und dem zarten
Pflänzchen des Aufschwungs das Wasser entziehen. Ge-
rade hier leisten kleine und mittelständische Unterneh-
men den wichtigsten Beitrag zur Schaffung von neuen
Ausbildungs- und Arbeitsplätzen und damit auch für das
Funktionieren unserer sozialen Sicherungssysteme.


(Beifall bei der FDP)


Ohne Unternehmensgründungen gibt es keine Arbeits-
plätze. Umso besorgniserregender ist die Tatsache, dass
die Anzahl der Existenzgründungen in den neuen Län-
dern seit Mitte der 90er-Jahre wieder rückläufig ist. Der
Anteil der Selbstständigen an der Gesamtzahl der Er-
werbstätigen insgesamt liegt in Deutschland immer noch
unter dem OECD-Durchschnitt. Die Aufstiegsfortbildung
schafft eine wesentliche Grundlage dafür, damit diese De-
fizite abgebaut werden können, damit junge Frauen und
Männer den Weg in die Selbstständigkeit gehen können.
Und das ist gut so.


(Zuruf von der CDU/CSU: Dieser Spruch passt doch gar nicht zu Ihnen! – Dr. Uwe Küster [SPD]: Er ist eindeutig besetzt!)


Wir sind seit Mitte der 90er-Jahre mit dem Meister-
BAföG einen mutigen Schritt vorangegangen und haben
den Rechtsanspruch auf Förderung einer beruflichen
Höherqualifizierung mit dem AFBG gesetzlich gesichert.
Natürlich haben wir mit dem im Januar 1996 in Kraft ge-
tretenen AFBG Neuland betreten. Schon bald zeigten sich
strukturelle und technische Defizite des Gesetzes. Allein
das Antragsverfahren erwies sich als sehr bürokratisch.
Ich habe Ihnen die Anträge mitgebracht. Das sind neben
dem Antrag auf Förderung sechs Zusatzanträge und die
circa 18 zu erbringenden Bescheinigungen.


(Jörg Tauss [SPD]: Das war schon ein tolles Gesetz!)


Natürlich schreckte das viele Ausbildungsteilnehmer
ab. Wissen Sie, der Vorteil von Politikern besteht darin,
dass sie zugeben können, Fehler gemacht zu haben. Das
kann ich allerdings bei Ihnen, Herr Tauss, nicht erkennen;
sonst würde ich nicht solche Sprüche hören.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Die Gefördertenzahl stieg von circa 43 000 im Jahre
1996 bis zum heutigen Tag auf 50 000. Das sind natürlich
noch immer zu wenig. Wir alle haben nach eingehender
Analyse des Berichtes über die Umsetzung und In-
anspruchnahme des Aufstiegsfortbildungsförderungsge-
setzes im Sommer 1999 die Probleme erkannt. Doch die
Bundesregierung unternahm außer einer Ankündigung
erst einmal nichts. Erst der Gesetzentwurf der Union zur
Änderung des AFBG im Oktober 2000 und die nachfol-
gende Ausschussanhörung im Mai 2001 weckten die Bun-
desministerin Bulmahn aus ihrem Dornröschenschlaf auf.
Es war Gefahr im Verzuge. Es überrascht mich nicht, dass
genau einen Tag vor der Anhörung der Öffentlichkeit der
Referentenentwurf des Bildungsministeriums vorgestellt
wurde. Es hat sich gezeigt, dass er weit hinter unseren
Vorschlägen zurückbleibt.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: So schöne himmelblaue Augen und dann solche Lügen!)


Die Messlatte, die wir an ein geändertes Gesetz anle-
gen, sieht folgendermaßen aus – wir werden das in den
Ausschussberatungen mit entsprechenden Änderungsan-
trägen verstärken –:

Erstens. Das Antragsverfahren muss für den Antrag-
steller grundlegend vereinfacht werden.

Zweitens. Der Unterhaltsbeitrag muss deutlich erhöht
werden. Dazu ist mit dem Vorschlag ein wesentlicher
Schritt getan.

Drittens. Die Vermögensfreibeträge müssen gestrichen
werden.

Viertens. Die Prüfungsgebühren und die Kosten für das
Meisterstück bzw. modernere Formen der praktischen
Prüfung müssen den Meisterschülern im Rahmen des
Darlehens zu 50 Prozent erlassen werden.

Fünftens. Die Zeit zwischen Lehrgangsende und der
letzten Prüfung muss als Ausbildungszeit angerechnet
werden.


(Jörg Tauss [SPD]: Freibier für alle!)


Sechstens. Existenzgründungen während der Meister-
ausbildung müssen berücksichtigt werden.

Last, but not least siebtens. Die Bedingungen für einen
hundertprozentigen Darlehenserlass – das hat auch schon
die Union gefordert – müssen geändert werden, der Zeit-
raum muss auf mindestens zwei Jahre verlängert werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Fazit: Es liegt uns ein Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung vor, der zu verbessern ist. Darauf kommt es an.
Die FDP wird daran mitarbeiten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419819700
Jetzt hat das Wort die
Kollegin Maritta Böttcher für die PDS-Fraktion.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19401


(C)



(D)



(A)



(B)



Maritta Böttcher (PDS):
Rede ID: ID1419819800
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Mit der heutigen Einbringung des
Gesetzentwurfs ist die Bundesregierung um ein Jahr in
Verzug, wenn ich ihre eigenen Versprechungen zugrunde
lege. Das ist kein nebensächlicher Aspekt; denn durch
diese Verzögerung kommen den prognostizierten 60 000
nach dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz Geför-
derten ein Jahr später die finanziellen Verbesserungen zu-
gute, deren Höhe die Bundesregierung mit 46 Millionen
Euro im ersten Jahr des In-Kraft-Tretens beziffert. Wegen
des Fortbestands der bestehenden Regelungen sind circa
10 000 Fortbildungswillige daran gehindert worden, be-
reits in diesem Jahr eine Fortbildung aufzunehmen.

Der Entwurf stellt ohne Zweifel eine Verbesserung
gegenüber dem Istzustand dar. Aus meiner Sicht sind
neben den höheren finanziellen Zuwendungen, die sich
aufgrund der Gesetzesänderung ergeben, die wichtigsten
Fortschritte: die Ausdehnung des Anwendungsbereichs
auf weitere Berufsgruppen, die Verbesserung der Teilnah-
mebedingungen für Fortbildungswillige mit Familie, für
Alleinerziehende sowie für Ausländerinnen und Auslän-
der sowie die verbesserten Bedingungen für mehr berufs-
begleitende Fortbildung in Teilzeitform.

Jedoch können die grundlegenden Mängel des Geset-
zes mit diesen Verbesserungen noch nicht überwunden
werden. Selbst die CDU/CSU-Fraktion geht mit ihrem
Gesetzentwurf in einigen Punkten weiter.


(Widerspruch des Abgeordneten Jörg Tauss [SPD])


Aber zu dieser sachlichen Feststellung – hören Sie erst
zu! – gehört auch die ebenso sachliche Feststellung dazu,
dass der gegenwärtige unbefriedigende Zustand haupt-
sächlich von der CDU/CSU zu verantworten ist


(Jörg Tauss [SPD]: Und von der FDP! Das wollen wir nicht vergessen!)


und dass alle Mängel, die auch sie jetzt beklagt, schon vor
In-Kraft-Treten des Gesetzes von 1996 absehbar waren.


(Beifall bei der PDS)


Wir halten den mit dem Gesetzentwurf vorgesehenen
Schritt vor allem deshalb nicht für ausreichend, weil er
drei grundlegenden Anforderungen nicht hinreichend
gerecht wird:

Erstens. Er leistet nicht den Beitrag für das viel
beschworene lebensbegleitende Lernen möglichst vieler
Menschen, der für die berufliche Weiterbildung notwen-
dig und möglich wäre.

Zweitens. Die berufliche Fortbildung wird weiterhin
einseitig auf einen vertikalen Karriereaufstieg begrenzt.
Damit gibt es keinen Raum für Qualifizierung im Sinne
von horizontaler Aufgabenerweiterung bis hin zu Quali-
fikationen für Branchen- und Berufswechsel.

Drittens. Die Gleichrangigkeit von akademischer und
beruflicher Bildung wird zwar postuliert, aber nicht tat-
sächlich erreicht. Unterschiedliche Lebenssituationen
von Studierenden und Meisterschülern – ich nenne sie
einmal so – werden nicht hinreichend berücksichtigt.


(Beifall bei der PDS)


Um diesen Kriterien mehr Geltung zu verschaffen,
stellt die PDS-Fraktion folgende Hauptforderungen:

Erstens. Alle noch verbliebenen Einschränkungen,
durch die bestimmte Berufsgruppen vom Förderanspruch
ausgeschlossen sind, müssen aufgehoben werden.

Zweitens. Eine Zweitförderung muss generell und
nicht nur im Ausnahmefall ermöglicht werden.


(Beifall bei der PDS)


Drittens. Die Teilnahme an den Maßnahmen zur beruf-
lichen Fortbildung muss gebührenfrei sein.

Viertens. Wir sind für eine Unterhaltsregelung, bei der
die eine Hälfte als Zuschuss und die andere Hälfte als
zinsloses staatliches Darlehen gewährt wird.


(Beifall bei der PDS)


Längerfristig halten wir eine Entkopplung des AFBG
vom BAföG ohnehin für unumgänglich. Das wäre die Vo-
raussetzung dafür, dass die Fortbildungswilligen wieder
auf einen höheren Unterhalt zurückgreifen könnten, wie
das übrigens bis 1993 bereits üblich war. Wenn sich also die
Bundesregierung bei der strukturellen Umgestaltung der
Weiterbildung im Ganzen weitgehend zurückhalten will, so
sollte sie wenigstens bei diesem in ihrer Verantwortung
liegenden Teilbereich nicht kleckern, sondern klotzen.

Wir werden unsere Vorschläge im Ausschuss noch ein-
mal auf den Tisch bringen, damit in der nächsten Woche
ein neues Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz verab-
schiedet werden kann, das seinen Namen wirklich ver-
dient.


(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419819900
Nun hat das Wort der
Kollege Dr. Ernst Dieter Rossmann für die SPD-Fraktion.


Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1419820000
Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Chancen im Wan-
del, Chancen durch Bildung“, das war das Motto der
Jugenddebatte heute Morgen. Wir finden, es ist hervorra-
gend, dass wir nicht nur heute Morgen Ansprüche formu-
liert haben, sondern heute Nachmittag ein Gesetz verab-
schieden können, das diese fundamentalen Ansprüche
verwirklichen kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist ein fulminanter Erfolg für unsere Ministerin und die
Bundesregierung, nicht nur das BAföG verbessert zu ha-
ben, sondern nun auch eine Änderung des Meister-BAföG
zu erreichen.

Man muss sich vor Augen führen: Wann hat es das in
einer Legislaturperiode jemals gegeben, dass die Mittel
für das BAföG um 50 Prozent oder über eine Milliarde
gesteigert wurden? Beim Meister-BAföG haben wir eine
Steigerung um 100 Prozent. Wann hat es das jemals
gegeben?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119402


(C)



(D)



(A)



(B)


Angesichts dieser Zahlen – Herr Kollege Lensing ist
leider nicht mehr da –, muss man schon eine gewisse
karnevalistische Beckmesserei betreiben können, um
diese Zahlen kritisieren zu wollen. Frau Pieper, ein biss-
chen Respekt vor den Bemühungen, diese Mittel be-
reitzustellen, müssten Sie doch haben, wenn Sie sich vor
Augen führen, wie schwer es Ihnen gefallen ist, damals
einen kleinen Schritt mitzutun.


(Beifall bei der SPD)


Umso mehr Achtung könnten Sie jetzt vor den Anstren-
gungen dieser Regierung haben.

An die Adresse von Frau Böttcher muss ich sagen:
Revolutionäre Ungeduld in diesem Gewande trifft die
Sache nicht ganz. Man muss wissen, dass nicht nur Geld
mobilisiert worden ist, sondern tatsächliche strukturelle
Reformen auf den Weg gebracht wurden. Ich will das
gerne an ein paar Beispielen verdeutlichen. Die Minis-
terin hat auf den Nachholbedarf bei den notwendigen Re-
formschritten verwiesen; nunmehr wird ein echtes Wei-
terbildungsgesetz daraus.

Es gibt endlich eine erweiterte Förderung für alle.
Konnten bisher Maßnahmenkosten nur über Darlehen un-
terstützt werden, ohne dass es irgendeine Förderung für
das Meisterstück gab, so gibt es jetzt Zuschüsse, die von
0 auf 35 Prozent steigen. 0 Prozent waren Sie, 35 Prozent
sind wir.


(Beifall bei der SPD)


Es gibt in Bezug auf das Meisterstück eine Darlehensbe-
zuschussung von 3 000 DM. 0 DM waren Sie, 3 000 DM
sind wir.


(Beifall bei der SPD)


Die Förderung gibt es darüber hinaus nicht mehr nur für
eine Vollzeitausbildung, sondern auch für eine Teilzeit-
ausbildung. Nur Vollzeitförderung waren Sie, Förderung
in jedem Fall sind wir.


(Beifall bei der SPD)


Das ist doch etwas, bei dem man dem Kollegen
Lensing und anderen Kritikern wirklich sagen muss: Mit
kleiner Münze aufrechnen zu wollen lässt außer Acht, um
was es in der Substanz geht. Um es drastischer auszu-
drücken: Wenn wir wissen, dass Meisterkurse bis zu
30 000 DM kosten können, dann sind 10 000 DM eine
Summe, die die Betroffenen sehr wohl zu schätzen wissen
werden – 10 000 DM, haben oder nicht haben!


(Beifall bei der SPD)


Frau Böttcher hat ja angesprochen, dass es in Bezug auf
den strukturellen Unterschied zwischen BAföG und
Meister-BAföG angeblich keine Verbesserung gebe. Wir
erweitern den Umfang des nicht anrechenbaren Vermö-
gens auf 70 000 DM. Wissen Sie, wo Sie standen? – Bei
10 000 DM. Jochen Steffen, ein alter Sozialist, hätte
gesagt: „Nun kommen Sie!“

Bezüglich der Punkte, die neu sind, möchte ich einen
weiteren Aspekt ansprechen: Das Gesetz wird eine er-
weiterte Förderung in allen Zukunftsbereichen, die bisher
ausgespart waren, schaffen. Es war an der Zeit – Sie

waren hinter der Zeit –, dass endlich eine mediengestützte
Fortbildung, eine angemessene Förderung von Zweitfort-
bildung sowie die Förderung der Fortbildung im differen-
zierten System der Ergänzungsschulen mit einbezogen
werden.

Vor allen Dingen war es sträflich von Ihnen, in einem
so wichtigen Zukunftsbereich wie Gesundheit und Pflege
in Deutschland einen Flickenteppich zuzulassen. Dies
kam zustande, weil Sie keine bundeseinheitliche För-
derung gewollt haben. Es war ein Skandal, dass NRW,
Bayern und Baden-Württemberg – die drei größten Bun-
desländer – nicht mit in die Förderung für Gesundheits-
und Pflegeberufe einbezogen werden konnten. Wenn wir
diesen Zustand ändern, wer will das dann kritisieren oder
kleinreden? Sie könnten mit uns zusammen in Kranken-
häuser, Schulen und andere Ausbildungsstätten gehen und
für die geplanten Änderungen werben, wenn es Ihnen um
die Sache geht.

Ich möchte auf einen weiteren Punkt aufmerksam
machen: Mit Recht beklagen wir in unserer Gesellschaft,
dass es immer noch zu wenig Spitzenwissenschaftlerin-
nen, zu wenig Professorinnen und zu wenig weibliche
Führungskräfte in der Wirtschaft gibt. Das wollen wir
gemeinsam ändern. Nur ist es wichtig, zu wissen, dass
diese Umstände genauso für den Bereich des Handwerks,
des Mittelstandes und der kleinen selbstständigen Un-
ternehmen gelten. Lassen Sie uns das deshalb nicht nur
beklagen, sondern gemeinsam ändern!

Ich möchte ein paar Zahlen nennen: Beim BAföG
machen Frauen 50 Prozent aller Geförderten aus; gegen
ein Verhältnis 50 zu 50 wird man nichts sagen können.
Beim Meister-BAföG machen Frauen 20 Prozent der
Geförderten aus; gegen das Verhältnis von 80 zu 20 muss
man etwas sagen. Diese Tatsache ist ein Skandal; man
muss an diesem Punkt ansetzen und etwas tun. Das zeich-
net diese Regierung aus, dass sie an der Stelle etwas tut,
indem durchgängig auch in vielen anderen Bereichen
– Frau Bulmahn und Herr Simmert haben es ange-
sprochen – Verbesserungen für Frauen erreicht werden:
mit Zuschüssen zur Kinderbetreuung, mit Unterhaltsbe-
darf für Kinder, mit der Erhöhung der Förderungshöchst-
dauer von fünf auf zehn Jahre, wenn Kinderer-
ziehungszeiten einzubeziehen sind. Natürlich bedeutet es
auch eine Verbesserung, wenn zudem Teilzeitmaßnahmen
gefördert werden; denn gesellschaftliche Realität ist im-
mer noch, dass Frauen eher in Teilzeit Aufstiegsfortbil-
dung betreiben können. Genauso ist dies der Fall, wenn
Gesundheits- und Pflegeberufe fair einbezogen werden.
Das ist also eine Chance, gesellschaftliche Gleichstel-
lung in einem zentralen Bereich von Fortbildung und
auch von wirtschaftlicher Tätigkeit zu erreichen.

Unser Appell, unsere Bitte an Wirtschaft, Handwerk,
Verbände lautet dementsprechend: Machen Sie mit und tun
auch Sie alles dafür, dass diese Aufstiegsfortbildung für
Frauen populär und damit zu einer Chance wird, und wer-
ben Sie überhaupt dafür, dass dieses Gesetz jetzt angenom-
men wird! Das können wir zusammen erreichen, das kann
das Handwerk tun, das können die Wirtschaftsverbände
tun, indem sie in Schulen und in Fachschulen gehen, indem
sie in die Handwerksversammlung gehen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Dr. Ernst Dieter Rossmann

19403


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich möchte Herrn Lensing, auch wenn er nicht mehr
hier ist, Folgendes sagen: Wenn wir zu den Innungsober-
meistern in die Handwerksversammlung gehen, dann
hören wir häufig den folgenden Dreiklang: Mit euch
Sozialdemokraten und Grünen haben wir nicht unbedingt
viel am Hut, aber das Meister-BAföG, das ihr vorhabt, ist
exzellent. Das macht ihr wirklich gut.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Weshalb sagen sie uns das? – Das sagen sie, weil sie noch
wissen, was ehrliche politische Arbeit ist, und weil sie
auch wissen, was ein Meisterstück ist.

Dieses neue Meister-BAföG ist so etwas wie ein Meis-
terstück. In der Vergangenheit wurden die Mittel nicht
abgerufen. Das Glas blieb bei Ihnen, um ein Bild zu ge-
brauchen, zu zwei Dritteln voll. Sie stellten als Anspruch
mehr bereit, als dann abfloss.

Mit dem neuen Gesetz haben wir die Chance, dass wir
mehr Menschen erreichen, dass mehr Mittel ausgegeben
werden können, dass das Glas völlig leer wird, um in dem
Bild zu bleiben. Frau Ministerin, ein leeres Glas, das wird
dann ein voller Erfolg für Sie. Herzlichen Glückwunsch
zu diesem Gesetz!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419820100
Nun erteile ich das
Wort der Kollegin Ilse Aigner für CDU/CSU-Fraktion.


Ilse Aigner (CSU):
Rede ID: ID1419820200
Sehr geehrte Frau Präsiden-
tin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich
hier mit einer Augenbinde erscheine, dann brauchen Sie
nicht zu meinen, dass ich unter die Piraten gegangen bin.
Das ist auch keine vorzeitige Maskerade, sondern Folge
einer kurzfristigen Erkrankung. Aber man könnte meinen,
dass die Bundesregierung vielleicht unter die Piraten ge-
gangen ist, weil sie den Meisterschülern und den sonsti-
gen Aufstiegsfortbildungswilligen die Reform drei Jahre
lang vorenthalten hat.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist leider so!)


Wenn ich Ihre Ausführungen vorhin richtig verstanden
habe, dann haben Sie nämlich schon bei Ihrer Regie-
rungsübernahme festgestellt, dass alles, was 1996 von der
CDU/CSU und von der FDP eingeführt worden ist, falsch
war. Sie hätten damals schon eigentlich alles besser ge-
wusst.

Wenn das so ist, dann hätten Sie die Reform eigentlich
auch schon zum Zeitpunkt Ihrer Regierungsübernahme
einleiten können.


(Jörg Tauss [SPD]: Nicht so einäugig, Frau Kollegin!)


Das haben Sie aber nicht gemacht.

Sie haben es auch nicht gemacht, als Sie, Frau Minis-
terin, im Jahre 1999 Ihren ersten selbst erstellten Bericht
vorgetragen haben. Sie haben es auch nicht gemacht, als

die CDU/CSU-Fraktion einen entspechenden Antrag
eingebracht hat. Sie haben es auch nicht gemacht, als die
CDU/CSU-Fraktion vor einem Jahr den Gesetzentwurf
eingebracht hat.


(Dr.-Ing. Rainer Jork [CDU/CSU]: So lange kann ein Meisterstück dauern!)


Sie haben das also über drei Jahre verschleppt. Deshalb ist
das ein negatives Beispiel in diesem Bereich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Herr Rossmann, Sie haben gesagt, die Mittel seien um
100 Prozent gesteigert worden. Ich habe auch Ihre heutige
Pressemitteilung gelesen. Darin heißt es, dass der Ansatz
von 89 Millionen DM auf 113 Millionen DM gesteigert
worden sei. Ich weiß nicht, wo Sie da 100 Prozent sehen.
Von 89 Millionen DM auf 113 Millionen DM ist keine
Steigerung um 100 Prozent. Soweit beherrsche ich die
Prozentrechnung noch und Sie können das sicherlich
auch. Insofern haben Sie mit Nebelkerzen geworfen. Aber
das macht nichts, ich wollte das nur klarstellen.

Im Übrigen muss man auch immer von der Basis aus-
gehen. Herr Rossmann, als Sie die Regierung übernom-
men haben, standen im Haushalt 167 Millionen DM,
verteilt auf zwei Haushaltsjahre. Statt zu reformieren,
haben Sie die Ansätze sofort gekürzt, und zwar ordentlich.


(Jörg Tauss [SPD]: Das haben wir gemacht, weil die Mittel nicht abgerufen worden sind, Frau Kollegin! Ihr Gesetz hat nicht funktioniert! – Weitere Zurufe von der SPD)


– Herr Tauss, das ist alles schön und gut. Aber warum ha-
ben Sie es dann erst jetzt geändert? Sie hätten es schon vor
zwei Jahren ändern können. Das ist genau die Messlatte:
Warum haben Sie es nicht schon eher gemacht?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Frau Ministerin, ich bedanke mich aber dafür, dass das
Gesetz jetzt, wenigstens endlich nach drei Jahren, auf den
Weg gebracht worden ist – ein Jahr nachdem wir unseren
Gesetzentwurf vorgelegt haben. Ich bedanke mich auch
dafür, dass Sie viele Teile unseres Gesetzentwurfs
aufgenommen haben. Das ist ein Schritt in die richtige
Richtung. Dafür bedanke ich mich auch im Namen all der-
jenigen, die in diesem Bereich tätig sind.

Frau Ministerin, ich möchte Sie direkt ansprechen – es
handelt sich um eine Bitte unserer Fraktion –: Wenn man
es rückwirkend zum September einführte, dann wäre das
ein wichtiges Signal und ein tolles Zeichen für den Mit-
telstand. Wenn man es erst für die Zeit danach einführt,
dann bedeutet das zusätzliche Schwierigkeiten in der Um-
stellungsphase.


(Beifall des Abg. Dr.-Ing. Rainer Jork [CDU/CSU])


Auf die Gemeinsamkeiten möchte ich nicht weiter ein-
gehen; sie sind hier schon mehrfach angesprochen wor-
den.


(Jörg Tauss [SPD]: Von Gemeinsamkeiten haben wir nichts gehört!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Dr. Ernst Dieter Rossmann

19404


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich möchte nun die Unterschiede deutlich darstellen. Sie
haben ausgeführt, dass bei Existenzgründungen der Er-
lassanteil des auf Prüfungs- und Lehrgangsgebühren
entfallenden Restdarlehens bei 75 Prozent liegt. Unser
Gesetzentwurf sieht einen Erlassanteil von 100 Prozent
vor. Das wäre für die Existenzgründer das richtige Zei-
chen gewesen.


(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: 100 Prozent sind mehr als 75 Prozent!)


Ich komme auf die Kosten des Meisterstücks zu spre-
chen. Auch wir haben ein entsprechendes Darlehen vor-
gesehen und man kann sich mit Sicherheit darüber strei-
ten, ob 3 000 DM oder 5 000 DM eine angemessene Höhe
darstellen. Wir haben 5 000 DM vorgeschlagen, weil nur
so die Kosten in vielen Bereichen wirklich gedeckt wer-
den können. Für jemanden, der in einer Ausbildung steht,
ist das eine Menge Geld. Das wäre zwar nur ein kleiner
Beitrag zur Unterstützung; aber auch das wäre ein Zei-
chen. Sie hätten da durchaus mitmachen können.

Was den Zuschuss beim Maßnahmebeitrag für Lehr-
gangs- und Prüfungsgebühren angeht, haben Sie 35 Pro-
zent vorgeschlagen, während unser Gesetzentwurf einen
Zuschuss in Höhe von 50 Prozent vorsieht. Der Unter-
schied liegt also bei 15 Prozent. Wenn Sie die Mittel so
eingesetzt hätten, wie sie im Haushaltsgesetz ursprüng-
lich gestanden haben, dann hätten Sie unserem Vorschlag
folgen können.

Im Hinblick auf den Zuschussanteil am Unterhalts-
beitrag für Alleinstehende ohne Kind nehmen Sie sogar
eine Reduzierung vor. Nach dem Istzustand liegt der Zu-
schussanteil bei 37 Prozent, während der Regierungsent-
wurf 35 Prozent vorsieht. Im Unionsentwurf sind dagegen
50 Prozent vorgesehen. Das haben wir ausgerechnet. Das
können Sie in den Ausschussberatungen ja widerlegen.

Ich komme zur Erhöhung des Unterhaltsbedarfs für
Teilnehmer und deren Ehegatten: Der Istzustand liegt bei
100 DM für Teilnehmer und bei 420 DM für Ehegatten.
Der Unionsentwurf sieht eine Anhebung des Unterhalts-
bedarfs für Teilnehmer auf 300 DM und für Ehegatten auf
440 DM vor. Da der Regierungsentwurf keine Anhebung
vorsieht, bleibt er unter dem, was wir vorschlagen.

Die Ausdehnung des Förderungszeitraums nach Been-
digung der Maßnahme und vor der Prüfung, wenn Teil-
nehmer durch Anfertigung des Meisterstücks vom Ver-
dienst abgehalten werden, ist eigentlich ein ganz
wichtiger Punkt, den Sie überhaupt nicht beachtet haben.
Viele müssen nach Abschluss der Schule erst ihr Meister-
stück erstellen, ohne in dieser Zeit gefördert zu werden.
Wir haben gefordert, dass für maximal drei Monate eine
Förderung per Darlehen erfolgt. Sie haben nichts derglei-
chen vorgesehen. Ich halte das für falsch, weil die betrof-
fenen Menschen gerade in dieser Zeit dringend eine Un-
terstützung brauchen.

Hinsichtlich der Vermögensanrechnung möchte ich
Ihnen Folgendes sagen: Obwohl Sie die Beträge aufge-
stockt haben, ist der Verwaltungsaufwand nach wie vor
riesig. Seit Ihrer Regierungsübernahme ist ein wesentli-
cher Bestandteil, nämlich die Vermögensteuer, weggefal-
len. Die eigentliche Zielgruppe, nämlich die Kinder rei-

cher Eltern, erfasst man gar nicht mehr, weil das Vermö-
gen der Eltern nicht einbezogen wird, sondern aus-
schließlich das Vermögen derjenigen, die in den entspre-
chenden Maßnahmen sind. Egal, wie man es dreht und
wendet: Es ist auf alle Fälle richtig, dass derjenige, der
Geld angespart hat – ob über eine Lebensversicherung,
über einen Bausparvertrag oder wie auch immer –, sein
Guthaben auflösen muss, wenn er eine gewisse Grenze
überschreitet. Andernfalls kann er an der Maßnahme
überhaupt nicht mehr teilnehmen oder keine Bezuschus-
sung erhalten. Wir meinen, dass der Verwaltungsaufwand
nicht gerechtfertigt ist. Aus diesem Grunde sollte die Ver-
mögensanrechnung komplett fallen gelassen werden.

Frau Ministerin, ich hoffe, dass in den Ausschussbera-
tungen das eine oder andere nachgebessert wird. Das ist
unser Interesse. Ich glaube, dass die Mitglieder unserer
Fraktion und die Kolleginnen und Kollegen der Regie-
rungsfraktionen ein gemeinsames Ziel haben. Ich hoffe,
dass wir uns, bayerisch gesagt, zusammenraufen. Vor al-
len Dingen diejenigen, die diese Maßnahmen betreffen,
wären Ihnen außerordentlich dankbar, wenn bestimmte
Maßnahmen rückwirkend zum 1. September in Kraft trä-
ten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419820300
Eigentlich wollte der
Kollege Rossmann jetzt eine Frage stellen. Da die Kolle-
gin Aigner jedoch weg muss, bitte ich damit einverstan-
den zu sein, dass wir nachher zwei Kurzinterventionen
durchführen.

Jetzt hat der Kollege Christian Lange, SPD-Fraktion,
das Wort.


Christian Lange (SPD):
Rede ID: ID1419820400
Frau Präsiden-
tin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute
Abend ist – im wahrsten Sinne des Wortes – eine Stern-
stunde für Meisteranwärter und für das Handwerk in
Deutschland.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD] und des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich empfehle daher, statt den komplizierten Begriff AFBG
zu benutzen, einfach zu sagen: Wir novellieren das
Meister-BAföG.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Mit dem Meister-BAföG wollen wir erreichen, dass
wieder mehr Menschen den Mut haben, sich selbstständig
zu machen, weil sie denken: Das Handwerk hat wieder
goldenen Boden und ist daher unsere Zukunft.

Das ist der Grund, warum das Änderungsgesetz zum
Meister-BAföG heute Abend in erster Lesung hier einge-
bracht wird.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Ganz meisterlich!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Ilse Aigner

19405


(C)



(D)



(A)



(B)


Meine Damen und Herren von der Opposition, ich
spreche insbesondere den Kollegen Lensing an, der leider
nicht mehr da ist: Ich wundere mich schon über die Ge-
schichtsklitterung, die Sie in Sachen Meister-BAföG hier
zum Besten geben.


(Jörg Tauss [SPD]: Richtig so!)


Wir wollen es uns in Erinnerung rufen: Es gab einmal ein
AFG. Nach diesem AFG wurde wunderbar gefördert. Die
Förderung von Meisterinnen und Meistern gemäß diesem
AFG wurde von Ihrer Regierung ausgesetzt. Warum? –
Sie wurde ausgesetzt, weil Sie den Meisterinnen und Meis-
tern kein Geld zur Verfügung stellen wollten. Dann gab es
einen Proteststurm vonseiten des Handwerks und der
Länder, insbesondere von Bayern, Baden-Württemberg
und Niedersachsen. Just diese drei Länder haben dafür ge-
sorgt, dass es ein Jahr später erstmals wieder eine neue
Förderung im Bereich des Handwerks gab.

Was hat Ihre Regierung getan? – Sie hat nicht die alte
Regelung wieder eingesetzt, sondern ein AFBG einge-
führt, das sich am Studenten-BAföG orientiert. Dadurch
entstanden Probleme, deshalb müssen wir heute dieses
Gesetz novellieren.


(Jörg Tauss [SPD]: Aber nicht in Beträgen!)


Ich sage Ihnen: Wie die Kollegin Aigner zu sagen, wir
würden sogar noch Mittel vorenthalten, finde ich schon
mehr als dreist, da sie als CDU/CSU-Politikerin einer
Fraktion angehört, die die Mittel gestrichen hat und den
Meisterinnen und Meistern keine länger als ein Jahr dau-
ernde Förderung bewilligen wollte.


(Beifall bei der SPD – Manfred Grund [CDU/CSU]: Wie ist das möglich?)


Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen: Wenn
Sie – das tun Sie immer wieder – sagen, wir hätten in die-
sem Bereich gestrichen, dann geht das ebenfalls an der
Wahrheit vorbei. Die Haushaltsansätze sind in der Ver-
gangenheit nicht ausgeschöpft worden, auch nicht der aus
dem Jahre 2001, den wir um 10 Millionen auf 80 Milli-
onen DM erhöht haben. Sie wurden wegen der Probleme
im Bereich des Antragsverfahrens und aufgrund der unat-
traktiven Rahmenbedingungen nicht ausgeschöpft.

Der einzige Vorteil des AFBG im Unterschied zur vor-
herigen Förderung war: Es gibt seitdem einen Rechtsan-
spruch. Es geht an der Rechtslage vorbei, hier zu sagen,
dass Förderung vorenthalten wurde. Es wurde zwar nicht
ausgeschöpft, aber selbst wenn ausgeschöpft worden
wäre, hätte ein weiterer Bewerber die Förderung erhalten
können. Das war der einzige qualitative Sprung beim
AFBG. Deshalb ist Ihre hier ansetzende Kritik völlig an
der Wirklichkeit vorbeigegangen.

Ohne Meister-BAföG fehlt es in vielen Fällen an der
notwendigen Finanzierungsgrundlage, um den Lebensun-
terhalt und die Lehrgangsgebühren für die Meisterkurse
aufzubringen. Das Gesetz der früheren Regierung hat ge-
nau hier erhebliche Mängel gehabt. Deshalb wird die För-
derung nunmehr ausgeweitet und in wesentlichen Punk-
ten verbessert. Wir setzen damit die Erfahrungen über die
Inanspruchnahme des AFBG durch die dargestellten

strukturellen und technischen Änderungen im Gesetz um
und tragen außerdem der wachsenden Bedeutung der be-
ruflichen Weiterqualifizierung und des lebensbegleiten-
den Lernens Rechnung.

Um potenziellen Existenzgründerinnen und Existenz-
gründern den Schritt in die Selbstständigkeit zu erleichtern,
werden die Fristen für die Existenzgründung und zur Ein-
stellung von zum Beispiel zwei Beschäftigten als Vorausset-
zung für den Darlehenserlass auf zwei Jahre verlängert.
Wir wissen, dass, wer anfängt, sehr klein anfängt. Genau
weil er ganz klein anfängt, mussten wir an dieser Stelle Ihr
altes Gesetz verändern, damit es an die tatsächlichen Bedin-
gungen von Existenzgründerinnen und Existenzgründern
angepasst wird. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir den
Darlehenserlass auf 75 Prozent angehoben haben. Vorgezo-
gene Existenzgründungen aufgrund von Ausnahme-
bewilligungen entsprechend der Handwerksordnung sind
künftig beim Darlehenserlass zu berücksichtigen. Der Ver-
mögensfreibetrag – wir haben es vorhin gehört – wurde von
10 000 auf 70 000 DM erhöht, um für Existenzgründungen
angespartes Vermögen zu schonen. Das ist für diejenigen,
die sagen, dass sie ihres Glückes eigener Schmied sein und
in die Selbstständigkeit gehen wollen, ein pragmatischer
Ansatz. Deshalb ist er von so großer Bedeutung.


(Beifall bei der SPD)


Damit setzen wir einen deutlichen Akzent bei der För-
derung von Existenzgründungen im Mittelstand und
bauen die Gleichwertigkeit von allgemeiner und berufli-
cher Weiterbildung aus. Dies schafft eine gute Basis für
die berufliche Fortentwicklung des Einzelnen und wird
auch neue Arbeits- und Ausbildungsplätze in kleinen Un-
ternehmen schaffen. Die berufliche Fortbildung ist auch
Voraussetzung für die Übernahme von qualifizierten
Tätigkeiten als Fach- und Führungskraft und zur Grün-
dung einer selbstständigen beruflichen Existenz.

Gerade in den mittelständischen Unternehmen, im Hand-
werk, ist die Qualifikation als Meister nicht nur die Basis des
eigenen Unternehmens, sie ist auch ein Qualitätssiegel. Des-
halb will ich Ihnen, Frau Ministerin, an dieser Stelle – ge-
rade auch als Wirtschaftspolitiker – besonders herzlich dafür
danken, dass es gelungen ist, diese Novelle auf den Weg zu
bringen und dass sie zum 1. Januar 2002 in Kraft treten wird.
Damit hält die Bundesregierung ihr Versprechen aus der
Koalitionsvereinbarung. Wir werden damit zum Motor der
Meisterausbildung in Deutschland.

Lassen Sie mich zum Schluss noch an ein Wort unse-
res Bundespräsidenten Johannes Rau anknüpfen. Er sag-
te: Existenzgründungen haben im Handwerk Tradition.
Ich sage: Jetzt haben sie auch Zukunft.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419820500
Wie angekündigt, hat
jetzt der Kollege Jörg Tauss – wenn er noch will – das
Wort zu einer Kurzintervention.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das muss aber nicht sein!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Christian Lange (Backnang)


19406


(C)



(D)



(A)



(B)


– Wir sind eben nicht dazu gekommen, weil die Kollegin
unter Zeitdruck war. Ich hatte den Eindruck, Sie sind da-
mit einverstanden.

Herr Kollege Tauss, bitte.


Jörg Tauss (Plos):
Rede ID: ID1419820600
Insofern muss es sein, Frau Präsi-
dentin. Da Frau Pieper uns verlassen musste, nachdem sie
hier Darstellungen abgegeben hat, die schlicht nicht der
Wahrheit entsprachen, muss ich das hier noch richtig-
stellen. Herr Kollege Lange hat gerade schon darauf hin-
gewiesen, daher kann ich mich jetzt kurz fassen.

Ich halte es wirklich – ich sage dies ausdrücklich an die
Adresse der FDP gerichtet – für ein Höchstmaß an Unred-
lichkeit, wenn von Ihrer Seite verschwiegen wird
– vielleicht liegt das daran, dass Frau Pieper nicht genau
weiß, was vor ihrer Zeit im Bundestag geschehen ist –, dass
Sie ein Gesetz abgeschafft und ein Jahr lang überhaupt
keine Förderung gewährt haben. Daraufhin haben Sie ein
Gesetz gemacht, das so schlecht war, dass Sie hier den
ganzen Abend daran herummäkeln – es war Ihr eigenes Ge-
setz –, um dann diejenigen zu kritisieren, die Ihr Werk ver-
bessern. Ich halte dies, mit Verlaub, für eine Unverschämt-
heit. Berichten Sie das Frau Pieper. Ich bin von ihr nichts
anderes gewohnt und habe auch nichts anderes erwartet;
dass sie mir dies allerdings als Polemik unterstellt, ist der
Höhepunkt der Chuzpe. Diese Form des Umgangs ist inak-
zeptabel und noch nicht einmal der Liberalen würdig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419820700
Nun hat zu einer Kurz-
intervention der Kollege Rossmann das Wort. Bitte sehr.


Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1419820800
Ich hätte Frau
Kollegin Aigner gerne darauf hingewiesen – ich tue das
jetzt für das Haus –, dass jeder Kollege in der Vorlage der
Regierung nachlesen kann, dass auf Seite 4 dargelegt
wird, dass gegenwärtig 45 Millionen Euro von Bund und
Ländern gemeinsam für das Meister-BAföG zur Verfü-
gung gestellt werden. Auf Seite 5 sind für das Jahr 2002
unter „Mehrkosten der Novelle“ 46 Millionen Euro ange-
geben. Das sind 100 Prozent Plus. Deshalb wäre der Kol-
legin Aigner zu sagen: Es schadet nicht, manches zu lesen
und dann auch Prozentrechnung zu üben.

Danke.


(Beifall bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419820900
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 14/7094 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse sowie an den Ausschuss für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? – Es gibt keine anderen Vor-
schläge. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann,
Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP
Punktekatalog überarbeiten – Verkehrssünder-
kartei entrümpeln – Bonussystem ausbauen
– Drucksache 14/6963 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen, wobei die
FDP sieben Minuten erhalten soll. Sind Sie damit einver-
standen? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so
beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Horst Friedrich für die FDP-Fraktion.


Horst Friedrich (FDP):
Rede ID: ID1419821000
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir, zu
Eingang meiner Rede eine kleine Korrektur vorzuneh-
men. Wie Sie alle beim Lesen des ersten Absatzes sicher-
lich gemerkt haben, ist das Kraftfahrt-Bundesamt natür-
lich nicht 40 Jahre, sondern 50 Jahre alt geworden. Ich
nehme an, dass Sie alle das festgestellt haben. So etwas
passiert eben.

Die FDP legt Ihnen heute Abend den ersten Teil eines
mehrstufigen Programms vor, das dazu dienen soll, die
Verkehrssicherheit in Deutschland weiter zu verbessern.
Wir wollen die Belastungsgrenze für den deutschen Au-
tofahrer nicht weiter nach oben ausdehnen; sie ist er-
reicht.


(Beifall bei der FDP – Lachen bei Abgeordneten der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Da klatschen nur die Betroffenen!)


Wir wollen sicherstellen, dass der deutsche Autofahrer
nicht die Milchkuh der Nation ist und bleibt, sondern dass
das besser wird.

Wie Sie alle sicherlich gelesen haben, besteht der heute
vorliegende Antrag aus vier Teilen. Der erste und sicher-
lich wichtigste und aufwendigste Teil – wenn man es mit
der Umsetzung ernst meint – ist mit Sicherheit, den Ver-
warnungs-, Bußgeld- und Punktekatalog so zu entrüm-
peln und zu überarbeiten, dass die Punktewertigkeit und
die Gewichtung an der Unfallträchtigkeit des jeweiligen
Vergehens zu messen sind.


(Rita Streb-Hesse [SPD]: Scheinargument!)


Die Punkteverteilung erfolgt derzeit nach dem Prinzip
Zufall. Es kann nicht sein, dass jemand, der einem ande-
ren aus dem Auto heraus den Vogel zeigt und dabei erwi-
scht wird, mehr Punkte in Flensburg erhält als derjenige,
der bei Rot über die Ampel fährt; denn die Unfallträchtig-
keit des zweiten Vergehens ist deutlich höher als die des
ersten. Da muss es einen Gleichklang geben. Diese Rege-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Vizepräsidentin Anke Fuchs

19407


(C)



(D)



(A)



(B)


lungen müssen endlich entrümpelt und vom Kopf auf die
Füße gestellt werden.


(Beifall bei der FDP – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das soll der Bundestag beschließen? Also wirklich! Sollen wir jetzt über Ihre Punkte beschließen?)


Wir haben im Übrigen allen im Zuge der Novellierung
des Führerscheinrechtes zugesagt, dass das Punktesystem
überarbeitet werden soll. Wir haben es damals nicht mehr
umgesetzt, weil es arbeitsmäßig nicht mehr zu schaffen
war. Aber es ist hohe Zeit, dies endlich anzugehen.

Zweitens sind wir der Meinung – das ist aus unserer
Sicht genauso wichtig –, dass das Bonussystem bei frei-
williger Nachschulung ausgebaut werden muss,


(Beifall bei der FDP)


damit Ersttätern die Möglichkeit eingeräumt wird, bei De-
likten, die mit bis zu drei Punkten geahndet werden, den
Eintrag durch eine freiwillige Nachschulung entweder
ganz zu verhindern oder wenigstens zu reduzieren.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Wollen Sie eine Bagatellgrenze für Sicherheit einführen?)


Drittens. Die Registrierungsfrist für Verkehrsdelikte
bis zu drei Punkten – das sind dann nach einer Überarbei-
tung und Überprüfung sicherlich die weniger sicherheits-
relevanten Vergehen – soll von zwei Jahren auf ein Jahr
reduziert werden, um das Mitschleppen ganzer Da-
tensätze zu verhindern. Es ist nämlich nachweisbar: Nur
300 000 der rund 7 Millionen registrierten Verkehrssün-
der in Flensburg bilden tatsächlich den Kernbereich, auf
den wir uns eigentlich konzentrieren müssten. Davon wie-
derum sind rund 73 000 tatsächlich von dem Entzug des
Führerscheins bedroht und 300 000 haben mehr als acht
Punkte. Der Datenbestand für den Rest, der nicht mehr
auffällig wird, wird sozusagen mitgeschleppt. Wir als Li-
berale sind der Meinung, dass dieses System endlich ent-
staubt und überarbeitet werden muss. Das kann es eigent-
lich nicht sein.


(Beifall bei der FDP)


Als Sahnehäubchen – das regt Sie sicherlich am meis-
ten auf – und gewissermaßen als positives Signal sind wir
der Meinung, dass aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums
des Kraftfahrt-Bundesamtes eine Amnestie für Sünder
mit einem Punktekonto von bis zu drei Punkten eingeführt
werden sollte.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und ein Freibier!)


Um gleich Einwürfen der Union entgegenzutreten, die ich
gelesen habe: Amnestie ist durchaus ein probates Mittel in
der Regierungsform Demokratie und nicht nur auf König-
reiche beschränkt.

Für uns steht dieses Programm nicht alleine. Es ist, wie
gesagt, nur der erste Teil. Wir gehen weiter. Der nächste
Schritt wird unser Vorschlag sein, den Katalog der Prü-
fungstätigkeit für Prüfeinrichtungen nach § 29 StVZO,
also die Arbeitsgrundlage für TÜV, Dekra und freiberuf-

liche Ingenieure, zu überarbeiten. Dieser Paragraph
stammt aus der Zeit vor 30 Jahren. Mittlerweile hat sich
allerdings die Technik des Autos deutlich verändert. In
diesem Paragraphen ist noch enthalten, dass auch Fahr-
zeuge, die noch keine drei Jahre alt sind, auf Durchros-
tung zu überprüfen sind. Drei Jahre alte Autos haben heut-
zutage keine Rostschäden mehr. Aber der TÜV, Dekra und
andere Prüfeinrichtungen müssen es noch überprüfen,
weil es im Katalog steht.

Umgekehrt gilt: Probleme, die etwa hinsichtlich der
Stoßdämpfer bekannt sind, werden überhaupt nicht im
Prüfkatalog aufgeführt, weil es noch keine Prüfverfahren
gibt. Andererseits steht fest, dass bis zu 14 Prozent aller
Autos mit nicht ausreichend funktionierenden Stoß-
dämpfern unterwegs sind. Das ist eine der größten Ursa-
chen für Verkehrsunfälle und für mangelnde Verkehrssi-
cherheit.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Steht im Antrag doch gar nicht drin!)


– Bevor Sie sich aufregen, schauen Sie sich doch lieber
einmal die vorliegende Statistik an. Dann unterhalten wir
uns in aller Ruhe.


(Beifall bei der FDP)


Aus unserer Sicht soll das gesamte Paket durch eine
komplette Neubearbeitung der Fahrlehrerausbildung
abgerundet werden.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Machen Sie es doch! Stellen Sie doch den Antrag!)


Wenn wir die Verkehrssicherheit wirklich ernst nehmen,
dann muss man von Beginn an die Grundlagen legen.
Herr Schmidt, warum regen Sie sich eigentlich so auf? Es
steht doch in Ihrem eigenen Verkehrsbericht, dass der Be-
ruf des Fahrlehrers vom Fortbildungsberuf zum Ausbil-
dungsberuf umgestellt werden soll. Sie erwähnen dies
zwar im Bericht, aber Sie handeln nicht dementspre-
chend. Das ist das eigentliche Problem.


(Beifall bei der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ich denke, Sie sind liberal! Sie wollen aber alles regeln!)


Der Fahrlehrer braucht eine deutlich bessere Ausbildung
im pädagogischen Bereich. Nur wenn er in der Lage ist,
das, was er lernt, tatsächlich so rüberzubringen, dass da-
mit eine Verhaltensveränderung einhergeht, werden wir in
der Lage sein, bezüglich der mangelnden Verkehrssicher-
heit nicht nur die Auswirkungen, sondern endlich die Ur-
sachen zu bekämpfen. Deswegen müssen wir in diesem
Punkt nacharbeiten.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Das wird die Fahrschulen in Deutschland noch teurer machen, als sie ohnehin schon sind!)


Wir werden Ihnen entsprechende Vorschläge machen.


(Beifall bei der FDP)


In diesem Gesamtzusammenhang ist dieser erste
Schritt von uns zu sehen. Ich freue mich auf die sachlich
hoch stehende Diskussion im Ausschuss und gehe davon

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Horst Friedrich (Bayreuth)


19408


(C)



(D)



(A)



(B)


aus, dass es eigentlich keine Argumente gegen unseren
Antrag gibt.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Dazu war das aber kein geeigneter Beitrag! – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fasching ist erst im Februar!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419821100
Nun hat die Kollegin
Rita Streb-Hesse das Wort für die SPD-Fraktion.


Rita Streb-Hesse (SPD):
Rede ID: ID1419821200
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Das 50-jährige Jubiläum des Kraft-
fahrt-Bundesamtes, das die Eingeweihten eigentlich als
Flensburger Verkehrssünderkartei kennen, sollte ein An-
lass sein zum Feiern für alle, die an der Verkehrssicherheit
interessiert sind und daran arbeiten, für die Verbände, die
Organisationen, die Verwaltung und auch und gerade für
uns in der Politik.

Wir wissen, dass diese Bundesbehörde entscheidend
dazu beiträgt, dass die im Straßenverkehrsrecht festgeleg-
ten Regeln zur Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer einge-
halten werden und bei einer Übertretung oder einem Ver-
stoß die angemessene Sanktion erfolgt.


(Dr. Karlheinz Guttmacher [FDP]: Angemessen!)


Dort werden alle Verkehrsordnungswidrigkeiten und
Straftaten erfasst und je nach ihrer Schwere und Bedeu-
tung im Rahmen des 1974 eingeführten Punktesystems
bewertet.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Es wird Zeit, dass man das mal entstaubt!)


Dass im Laufe der Jahre – Kollege Friedrich, Sie sind
länger in diesem Haus als ich – eine Anpassung des Ver-
warnungs-, Bußgeld- und Punktekatalogs an neue Ver-
kehrsvorschriften, Unfallhäufigkeiten und -ursachen er-
folgen musste und dies auch geschieht, zeigt die in der
letzten Legislaturperiode 1998 vorgenommene Novellie-
rung, die seit dem 1. Januar 1999 gilt.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Da wurden die Punkte nicht novelliert! Das Führerscheinrecht wurde verändert! Der Katalog wurde nicht überarbeitet!)


Damals wurde das Punktesystem in § 4 des Straßenver-
kehrsgesetzes verankert und damit eine bundesweit ein-
heitliche Grundlage geschaffen.

Darüber hinaus ermöglicht ein Bonussystem den Ab-
bau von Punkten. Betroffene können bei einem Punkte-
stand von bis zu acht Punkten mit der freiwilligen Teil-
nahme an einem Aufbauseminar eine Minimierung um
vier Punkte erreichen. Bei einem Punktestand von 9 bis 13
Punkten können sie ebenfalls noch durch die Teilnahme
an einem Seminar eine Reduzierung um zwei Punkte er-
reichen. Sogar noch bei einem Punktestand von 14 Punk-
ten – da sind ja schon jede Menge Verkehrsdelikte zu-

sammengekommen – kann man mit der Teilnahme an ei-
nem Aufbauseminar und an einer verkehrspsychologi-
schen Einzelberatung auch Punkte tilgen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist bekannt!)


Ich verdeutliche es für alle hier noch einmal. Es ist ganz
gut, dass man die Tabelle kennt, wenn ich auf Ihre drei
Punkte komme.

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Das Punktesys-
tem mit seiner Präventivwirkung hat sich bewährt und ist
breit akzeptiert. Es intendiert und bewirkt ein faires und si-
cheres Verkehrsverhalten und bietet Angebote und Hilfe-
stellung, die dies auch unterstützen. Die aktuellen Zahlen,
die ich aus dem Haus und auch aus dem Amt habe, spre-
chen für sich: Von den 50 Millionen Führerscheininhabern
sind heute lediglich 12 Prozent in Flensburg registriert und
von diesen erreichen nur 0,3 Prozent – das bestätigt Ihre
Zahl – 18 Punkte und mehr.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Ich habe keine anderen Zahlen! Ich habe sie nicht aus dem Haus; ich habe sie selber erarbeitet!)


Diese positive Wirkung wird nun mit Ihrem Antrag – das
überrascht uns schon alle – infrage gestellt.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Nee!)


– Doch. Denn nach Ihrer Vorstellung wollen Sie, Herr
Kollege Friedrich, eine Stärkung des Rechtsbewusstseins
im Verkehr dadurch erreichen – jetzt kommt es –, dass wir
eine Generalamnestie bekommen. Für die, die das nicht
gelesen haben: Das Jubiläum ist für die FDP ein Anlass,
alle Daten für im Zentralregister erfasste Verkehrssünder
mit bis zu drei Punkten zu löschen.


(Zuruf von der SPD: Unglaublich!)


Sie haben eine Presseerklärung der CDU erwähnt. Ich
würde das Gleiche sagen: Generalamnestien passen zu
feudalistischen Systemen,


(Zurufe von der FDP: Oh!)


zu Diktaturen, zu Herrschersystemen, aber sie passen
nicht zu einer Demokratie.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Wenn Sie weiter keine Argumente haben, Frau Kollegin! – Jörg van Essen [FDP]: Man merkt, dass Sie keine Rechtspolitikerin sind! Sonst würden Sie so etwas nicht sagen!)


Kollege Friedrich, ich denke, das ist auch nicht im Inte-
resse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort im Amt.
Es passt nicht zu einer Bundesbehörde, die rechtsstaatlich
arbeitet.


(Beifall bei der SPD – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Die kann es sowieso nicht erlassen!)


Sie wissen aber, dass das zutiefst ungerecht wäre, weil
mit diesem „Ablass“, wie ich ihn nenne, nur denjenigen
die Punkte gestrichen würden, die gerade im Register ein-
getragen sind. So denkt die FDP folgerichtig auch an ein
Weniger an Sanktionen bei zukünftigen Verstößen und

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Horst Friedrich (Bayreuth)


19409


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fordert die Reduzierung der zweijährigen Tilgungsfrist
auf ein Jahr. Diese Halbierung würde die anerkannte
Präventivwirkung schwächen, wie zahlreiche Untersu-
chungen belegen. Zum einen bemühen sich die Betroffe-
nen, in diesem Zeitraum keine weiteren Verkehrsverstöße
zu begehen, zum anderen werden gerade Mehrfachtäter
im zweiten Jahr erneut auffällig. Dann müsste man Ihre
Statistik aber jedes Mal neu eröffnen.

Meine Damen und Herren, glauben Sie nicht, dies wäre
schon das Ende der liberalen Großzügigkeit. „Freie Fahrt
für freie Bürger“ habe ich schon vor ein paar Jahren
gehört.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das steht nicht darin!)


– Das unterstelle ich Ihnen aber. – Damit es nun überhaupt
nicht erst zu einer Eintragung ins Zentralregister kommt,
möchte die FDP auch schon hier ein Bonussystem an-
wenden. Das hätte zur Konsequenz, dass mit einer frei-
willigen Nachschulung der Verstoß gleichsam als nicht
geschehen abgehakt werden könnte.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Was haben Sie denn gegen einsichtige Täter?)


– Wunderbar, Herr Kollege, wenn man nicht wüsste und
tagtäglich erfahren müsste, dass gerade die Häufigkeit
dieser Verstöße schwächere Verkehrsteilnehmer wie Kin-
der und Fußgänger gefährdet. Zu den Vergehen, die mit
bis zu drei Punkten geahndet werden, gehören zum Bei-
spiel das Überschreiten von innerörtlichen Geschwindig-
keitsbegrenzungen mit bis zu 20 Stundenkilometern, die
Nichtbeachtung von Stoppschildern, Warnanlagen und
Zebrastreifen sowie zu dichtes Auffahren.

Meine Damen und Herren von der FDP, Sie – ich denke
hier insbesondere an den Kollegen Friedrich – versuchen
mit populistischen Scheinbegründungen wie „eingeschli-
chene Registrierungsbürokratie“, „Entrümpelung“ und
„Maßstab der Unfallträchtigkeit“ zu bemänteln, dass Sie
und die FDP einen Teil der Verkehrsvergehen weiterhin
als Kavaliersdelikte einstufen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Diese Unterstellung muss ich mit großer Empörung zurückweisen, Frau Kollegin! Populismus ist uns vollkommen fremd! Habe ich noch nie gehört!)


Sie versuchen, dies mit Begriffen wie „Verkehrssünder“,
Einmaltäter oder „Genusstrinker“ – ich erinnere an die
Diskussion zur Promillegrenze – auch den Verkehrsteil-
nehmern zu suggerieren.

In Fortführung dieser Einstellung müssten wir dann al-
lerdings auch für die 88 Prozent der Führerscheininhaber,
die sich gesetzeskonform verhalten, ein Bonussystem ein-
führen. Man könnte sagen: Wer fünf Jahre unfallfrei ge-
fahren ist, darf einmal bei Rot über die Ampel fahren.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das haben Sie doch vorgeschlagen!)


– Nein, das haben Sie vorgeschlagen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das Letzte haben Sie vorgeschlagen!)


Sie haben einen neuen Koalitionspartner in Hamburg, der
diese Auffassung von Rechtsstaatlichkeit sicherlich nicht
teilen wird. Aber vielleicht gelingt es Ihnen ja, Kollege
Friedrich, Herrn Schill für ein solches Bonussystem zu
gewinnen.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Er gibt Herrn Friedrich drei Minuspunkte!)


Auch im Verkehr gilt das Prinzip Sicherheit. Unsere
Aufgabe in diesem Hause ist es, das Verkehrsrecht so fort-
zuschreiben, dass es ein Mehr an Sicherheit und ein faires
Miteinander aller Verkehrsteilnehmer gewährleistet. Das
haben wir zu Beginn dieses Jahres mit einer weiteren No-
vellierung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Vor-
schriften getan.

Das Punktesystem wurde und wird den aktuellen Not-
wendigkeiten angepasst, ist praxistauglich und leistet ei-
nen wesentlichen Beitrag zur Verkehrssicherheit. Die
SPD-Fraktion sieht derzeit keinen Anlass für eine erneute
Überarbeitung. Vielmehr möchten sich meine Fraktion
und ich an dieser Stelle bei allen, die im Kraftfahrzeug-
Bundesamt und den ihm angeschlossenen Dienststellen
arbeiten, mit einem herzlichen Glückwunsch zum 50-
jährigen Jubiläum bedanken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Diese Rede war mindestens fünf Punkte wert!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419821300
Nun hat der Kollege
Wolfgang Börnsen für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Noch so ein Dauersünder!)



Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1419821400
Frau
Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Punkte-
inhaber ebenso wie Nichtpunkteinhaber! In den Wochen
vor den Präsidentschaftswahlen in Frankreich laufen die
französischen Verkehrsorganisationen regelmäßig Sturm.
Und warum? – In unserem charmanten Nachbarland ist es
Tradition, dass ein neuer Präsident als eine der ersten
Amtshandlungen eine Generalamnestie für Verkehrssün-
der erlässt;


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Und das in der Demokratie! Wie schön! – Renate Blank [CDU/CSU]: Wie ist das bei uns?)


schön für die Wähler, aber schlecht für die Sicherheit.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Die dortige Erfahrung zeigt: So kurz vor den Wahlen
geht mancher Franzose gern etwas mehr Risiko ein. Da
weiß man, dass mögliche Sanktionen nur von kurzer
Dauer sind. Die Unfallstatistik weist – um das ganz seriös
zu sagen – in dieser Zeit steil nach oben. Polizei und Po-
litessen werden offen ausgelacht.

Die Freien Demokraten und Kollege Horst Friedrich
– mit ein wenig Schalk im Nacken – fordern in ihrem An-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Rita Streb-Hesse

19410


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trag eine Amnestie aus Anlass des fünfzigjährigen Beste-
hens des Kraftfahrt-Bundesamtes in Flensburg. Natürlich
ist dieses Jubiläum ein Grund zum Feiern, gerade für eine
Bundesbehörde, die in meinem Wahlkreis ihren festen
Standort hat, in der tüchtige Frauen und Männer tätig sind,


(Beifall des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


eine Behörde, die es verdient, als europäische Behörde
ausgebaut zu werden.

Seit fünf Jahrzehnten sorgt das KBA in Flensburg für
mehr Sicherheit, Struktur und Überblick im Straßenver-
kehr unseres Landes. Doch ein Überblick reicht nicht aus,
wenn es um mehr Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer
geht, sondern man braucht einen Durchblick. Nicht nur
Verkehrsexperten aller Couleur fragen sich mit Sorge und
Zweifel, lieber Horst Friedrich, ob dieser Durchblick ge-
währleistet ist, wenn dieser liberale Vorschlag, bei fast
3 Millionen Autofahrern durch den Wegfall von Anfangs-
punkten für eine weiße Weste zu sorgen, in die Tat umge-
setzt wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Polizei, die ich gefragt habe, argumentiert: Frei-
briefe dieser Art schaden unserer Autorität.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Sie erklärt ja auch, sie blitzt nur da, wo die Gefahrenlage es erfordert!)


Vom Verkehrssicherheitsrat wird die Auffassung vertre-
ten: Wehret den Anfängen. Wer in Flensburg mit Punkten
belastet sei, habe sie verdient, denn er habe sich in irgend-
einer Weise rücksichtslos verhalten.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das hat Lübke schon gesagt, und es hat nicht gestimmt!)


Von der Verkehrswacht kommt die Warnung, keinen
Wahlgag auf Kosten von Sicherheit im Straßenverkehr zu
landen.

Als ich in meinem ersten Bundestagsjahr als Flens-
burger Abgeordneter den Vorschlag einer Bonusregelung
für Autofahrer einbrachte, erntete ich hier im Plenum
Hohn und Spott aus allen Reihen, auch und ganz beson-
ders von den Freien Demokraten.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das war vor meiner Zeit, Wolfgang!)


Damals galt nur ein Grundsatz: Wer sich verkehrsgefähr-
dend verhält, der muss bestraft werden. Eine Gnade für
ein solches Vergehen darf es nicht geben.

Heute, gut zehn Jahre später, hat sich diese Auffassung
erfreulich gewandelt. Wer sich als Verkehrsteilnehmer um
vorbildliches Verhalten bemüht, der muss die Chance
haben, dass Besserung belohnt wird, doch – diese Ein-
schränkung ist bisher von allen Fraktionen geteilt worden –
dieser Wille muss dauerhaft sein und von eigenen
Bemühungen begleitet werden. Ein treuer Augenauf-
schlag reicht für das Aussetzen von Strafe nicht aus.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Schade, schade, schade!)


Abgesehen davon: Wir, der Gesetzgeber, würden un-
sere eigenen Auflagen, Ansprüche und Anforderungen,
die wir mit dem Punktesystem verbunden haben, unter-
laufen. Dem Ansehen des Deutschen Bundestages dient
eine Hauruckaktion dieser Art keinesfalls.

Trotzdem hat die FDP-Idee Charme. Oder um es mit
Arthur Schopenhauer zu sagen:

Der Spleen ist oft das Beste an einem Menschen, sein
kreativster Teil, mit dem große Energien freigesetzt
werden können, ein Stück Utopie zu verwirklichen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Sehr schön!)


Der Antrag sollte Anstoß sein, darüber nachzudenken,
wie sich das gängige Verfahren durch weniger bürokra-
tischen Aufwand, weniger Formalismus und weniger
Gängelung für die Verkehrsteilnehmer optimieren lässt.
Es lässt sich optimieren.


(Jörg van Essen [FDP]: Sehr richtig!)


Das Punktesystem in Deutschland gilt bisher in seiner
Kombination aus Strafe und Belohnung als vorbildlich.
Wer sich nicht an die Verkehrsregeln hält und sich und an-
dere in Gefahr bringt, wird belangt. Punkte bremsen den
Übermütigen. Punkte machen Fehlverhalten deutlich. Ne-
ben den Bußgeldern bekommt der Verkehrsregelverletzer
bei Ordnungswidrigkeiten einen bis vier Punkte, bei
Straftaten fünf bis sieben Punkte. Von den 48 Millionen
Führerscheinbesitzern ist derzeit jeder neunte Fahrer in
der Sünderkartei in Flensburg registriert. 80 Prozent da-
von sind Männer, 20 Prozent davon Frauen.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Weil die Frauen besser fahren können!)


Wer häufiger die Verkehrsregeln bricht, wird härter be-
straft. Wer Punkte sammelt zeigt, dass er nichts gelernt
hat. Er erhält zusätzlich Verwarnungen oder Anordnun-
gen, an Aufbauseminaren teilzunehmen. Wer stur und
völlig uneinsichtig bleibt, dem wird der Führerschein ent-
zogen. Die Aufgabe des Führerscheins erfolgt – Horst
Friedrich und meine Vorrednerin haben das bereits gesagt –
bei 0,3 Prozent der Autofahrer. Das ist ein Beleg dafür,
dass es gelingt, notorische Wiederholungstäter herauszu-
fischen. Diese Zahl ist darüber hinaus aber auch ein Be-
leg dafür, dass sich die überwiegende Anzahl der Auto-
fahrer in Deutschland verantwortlich im Straßenverkehr
verhält. Das gilt für die junge Generation wie für die an-
deren Generationen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wer einsichtig ist, wird belohnt. Die Punkte für eine
Ordnungswidrigkeit verfallen für denjenigen, der zwei
Jahre vorbildlich fährt.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch okay!)


Das ist pädagogisch vertretbar und psychologisch ver-
nünftig. Ein Konto von weniger als acht Punkten reduziert

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Wolfgang Börnsen (Bönstrup)


19411


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man um vier Punkte, nimmt man freiwillig an Aufbau-
seminaren teil. Persönlicher Einsatz zur Besserung wird
vorausgesetzt. Das ist richtig. Die Reduzierung von Punk-
ten ist so an das positive Verhalten der Einzelnen im Ver-
kehr gebunden und nicht an das Jubiläum einer Behörde.

Ziel dieses Bonus-Malus-Systems ist die Unfallver-
meidung. Es ist nicht nur eine Teilmaßnahme, es zeigt
auch Wirkung. Was in unserer Republik jedoch fehlt – das
beklagen wir noch immer –, ist ein Gesamtkonzept für
mehr Sicherheit im Straßenverkehr. Das wurde von den
drei bisher tätigen sozialdemokratischen Verkehrsmi-
nistern zwar angekündigt, doch gibt es bis heute noch
keine Konkretisierung dieser Ankündigung.

Ganz anders dagegen handelt die Europäische Union.
Sie hat ein Zehnjahresprogramm aufgelegt. Sie zeigt Be-
troffenheit. Das ist praktizierte Mitverantwortung. Euro-
pas Unfallbilanz – wir in Deutschland tragen dazu bei –
ist bitter, bedrückend und belastend.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Man darf bei einem solchen Thema, das so eingeführt
worden ist, nicht vergessen: Täglich sterben in Europa
123 Menschen im Straßenverkehr. Verkehrsunfälle in der
EU sind, wie bei uns, die Haupttodesursache für Bürger
unter 45 Jahren. Einer von 20 Bürgern in unseren 15 Län-
dern wird jährlich durch einen Verkehrsunfall getötet oder
zu einem Invaliden. Einer von drei Bürgern muss im
Laufe seines Lebens wegen eines Autounfalls ins Kran-
kenhaus. Einer von 80 Bürgern beendet sein Leben durch
einen Unfall 40 Jahre zu früh. In der EU haben wir jähr-
lich 42 500 Verkehrstote zu beklagen. Über 3,5 Millionen
Menschen werden Jahr für Jahr Opfer von Verkehrsunfäl-
len mit schweren Schädigungen. Dies darf nicht als Preis
der Mobilität hingenommen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Zwei Entwicklungen fallen in der Unfallbilanz auf
– sie gelten für Europa ebenso wie für Deutschland –:
Zum einen geht die Anzahl der schweren Unfälle seit über
30 Jahren deutlich, aber immer langsamer zurück. Zum
anderen ist die Zahl der Verkehrsunfälle, parallel zur stei-
genden Anzahl der Fahrzeuge, bei uns dramatisch gestie-
gen. In unserem Land registrierte man 1970 1 Million Un-
fälle, heute sind es 2,4 Millionen.

Neben dem menschlichen Leid, neben Schmerz und
persönlichem Schaden sind dafür nicht nur von den Be-
troffenen, sondern von allen Bürgern unermessliche
Kosten zu tragen. Der Europäische Verkehrssicherheits-
rat beziffert die Höhe der Unfallschäden auf jährlich
160 Milliarden Euro, also auf das Doppelte des gesamten
EU-Haushaltes.

Die EU bilanziert nicht. Doch sie handelt konsequent.
Ihre Absicht ist es, die Anzahl der Verkehrstoten bis 2010
auf 25 000 zu senken. In unserem Land gibt es noch kein
Ziel dieser Art und auch kein Sicherheitskonzept mit ei-
ner festen Ausrichtung. Die EU arbeitet aktuell an einer
Richtlinie, bei der es darum geht, wie Straßen sicherer ge-
macht werden können und insbesondere Unfallschwer-
punkte beseitigt werden können.

Bei uns stellt der Dekan der Universität Gießen,
Professor Aberle, fest, dass jährlich 80 Milliarden DM an
Steuern und Gebühren von der Straße kassiert werden,
davon aber nur 35 Milliarden DM zur Verbesserung der
Infrastruktur eingesetzt werden. Gezielte Verkehrspla-
nung kann Gefährdungen von vornherein verhindern. Der
Verkehr in Deutschland nimmt von Jahr zu Jahr zu. Die
Regierung trägt dem aber nicht Rechnung. Die Zweck-
entfremdung von 45 Milliarden DM, die nicht zur Er-
höhung der Sicherheit auf den Straßen eingesetzt werden,
ist nicht gerechtfertigt. Das darf so nicht bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die EU setzt auf sichere Frontpartien, besonders bei
Geländewagen, um einen besseren Schutz für Fußgänger
und Radfahrer zu erreichen. Bei uns zögert und zaudert
man bei dieser Frage noch, und dies trotz der Aufforde-
rung der Kinderkommission, trotz des Appells von Ex-
perten aus allen Fraktionen und trotz des Wissens, dass
diese Kuhfänger voller Risiken sind und dass nach Auf-
fassung des Europäischen Verkehrssicherheitsrats in je-
dem Jahr 2 000 Menschenleben gerettet werden könnten
und mehr als 15 000 Unfallopfern die schweren Verlet-
zungen erspart bleiben könnten, würde man die passive
Sicherheit der Fahrzeuge querbeet endlich auch bei uns
verbessern.


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Einverstanden, das können wir machen!)


Ein Zusammenstoß mit einem Geländewagen mit
Frontschutzbügeln bei 20 Kilometern pro Stunde hat die
gleiche Aufprallwirkung wie ein Zusammenstoß mit ei-
nem Fahrzeug mit einer normalen Frontpartie bei 40 Ki-
lometern pro Stunde. Das ist verheerend für Fußgänger
und tödlich für Kinder. Anstatt die Autokonzerne zu mehr
Fahrzeugsicherheit zu verpflichten und sie auf die Selbst-
bindung aufmerksam zu machen, weicht man den Hin-
weisen aus Brüssel aus, verweist darauf, dass es noch eu-
ropäischer Regelungen bedarf und macht auf nationaler
Ebene nichts. Das geht nicht. Da muss auch in Deutschland
konsequent gehandelt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die EU packt das Thema Tagesfahrtlicht an. Unserer
Auffassung nach muss dieses Thema wegen der Erfah-
rungen in Skandinavien im Zusammenhang mit der Frage
der Verkehrssicherheit stärker beachtet werden. Das gilt
auch für die intelligenten akustischen Sitzgurtwarn-
vorrichtungen. Auch sie können, wenn sie angemessen
eingebaut werden, dazu beitragen, dass Menschenleben
gerettet werden.

Wir brauchen – damit nehme ich Bezug auf den Antrag
der Freien Demokraten – keine Generalamnestie. Wir
brauchen eine neue Diskussion über die Verkehrssicher-
heit und die entsprechenden Gesetze, Bestimmungen und
Regelungen in Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Wolfgang Börnsen (Bönstrup)


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Wir brauchen eine Mobilisierung des Gedankens, dass wir
alle mitverantwortlich dafür sind, zu mehr Verkehrs-
sicherheit zu kommen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das steht in den Punkten 2 bis 4!)


Ich bin schon der Auffassung, dass es richtig ist, die
Sache hier im Parlament quer durch alle Fraktionen anzu-
packen, solange die Regierung in dieser Frage noch im-
mer zögert. Ich könnte mir sehr wohl vorstellen, dass man,
ausgehend von der Initiative der Liberalen, zu einer na-
tionalen Verkehrssicherheitskampagne kommt, in die
alle gesellschaftlichen Gruppen eingebunden werden,
vom Kindergarten über die Schulen


(Rita Streb-Hesse [SPD]: Die haben wir doch! Die läuft doch seit Januar!)


– die haben wir noch nicht – bis hin zum Bundespräsi-
denten, und dazu beitragen, dass der Verkehrssicherheits-
rat, die Verkehrswacht, die Polizei, der ADAC und alle an-
deren, die täglich für Sicherheit im Verkehr da sind, in
ihrem Bemühen gestärkt und unterstützt werden.

Es bleibt – damit komme ich zum Schluss – aber leider
die Tatsache, dass Jahr für Jahr einer von 100 Mitbürgern
in Deutschland im Straßenverkehr tödlich verunglückt
bzw. zum Invaliden wird. Es bleibt auch die Tatsache,
dass dieser traurige Tatbestand nicht unabänderlich ist,
dass es an uns allen liegt, dagegen Front zu machen.
50 Jahre Kraftfahrt-Bundesamt in der schönen Fördestadt
Flensburg sollten deshalb ein Anstoß für eine nationale
Verkehrssicherheitskampagne, aber nicht Anlass dafür
sein, generell intensiver über eine weiße Weste für Auto-
fahrer nachzudenken.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419821500
Nun erteile ich dem
Kollegen Albert Schmidt für die Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen das Wort.

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Der Kaiser hat Geburtstag, da dürfen
alle kleinen Ganoven aus dem Knast. Nach diesem Mus-
ter ist Ihr Antrag gestrickt, den Sie uns heute hier in die-
ser Debatte zumuten.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Diese Aussage ist unter deiner Würde!)


– Lieber Horst Friedrich, das ist nicht Liberalismus, das
ist Feudalismus.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Überhaupt nicht! Das ist ein schwaches Argument, weil du kein besseres dagegensetzen kannst!)


Ich frage mich: Warum beantragt ihr eigentlich nicht,
dass anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des Kraftfahrt-
Bundesamtes auch noch den Straftätern ihre Strafgelder
zurückgezahlt werden? Das wäre doch einmal ein Wahl-

geschenk. Ich frage mich: Warum beantragt ihr nicht, das
anlässlich des 40-jährigen Bestehens des Kaufhofes alle
Diebe freigelassen werden oder ihre Strafgelder zurück-
gezahlt bekommen? Liebe Kolleginnen und Kollegen von
der FDP, so kann man mit dem ernsthaften Thema Ver-
kehrssicherheit nun beim besten Willen nicht umgehen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das stimmt, so wie Sie es tun, sicherlich nicht!)


Schauen wir uns doch einmal an, was in diesem Punk-
tesystem, wie wir es heute haben, wirklich geschieht,
nach welchem Prinzip es funktioniert. Es ist im Grunde
schon ausgeführt worden, ich brauche es nur noch einmal
zusammenzufassen. Das Punktesystem enthält natürlich
Sanktionen, das heißt Bewertung von Straftaten, von Ord-
nungswidrigkeiten mit bestimmten Strafpunkten. Es ent-
hält weiter einen Katalog von abgestuften Maßnahmen,
die die Verwaltungsbehörden zu treffen haben. Aber es
enthält eben nicht nur Strafen, sondern es enthält auch ein
Anreiz-, ein Bonussystem, das sehr differenziert ist und
keineswegs nur dem Erstauffälligen, sozusagen dem Erst-
täter, eine Chance gibt, sondern selbst bei hohen Punkt-
einträgen die Möglichkeit bietet, durch freiwillige Teil-
nahme an Aufbauseminaren das Punktekonto in
Flensburg zu entlasten.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Erst dann! Das ist ja das Problem!)


Wenn ich freiwillig an einem Aufbauseminar teil-
nehme, mache ich deutlich, dass ich einsehe, einen Fehler
begangen zu haben, und nicht nur darauf warte, bis mir die
Allgemeinheit hier großzügig entgegenkommt. Ich zeige,
dass ich bereit bin, dafür auch etwas zu tun, nämlich mich
nachschulen zu lassen. Dann bekomme ich bis zu vier
Punkte erlassen, wenn mein Konto unter acht Punkten
liegt, und ich bekomme sogar, wenn ich über neun liege,
bei einer solchen freiwilligen Maßnahme immer noch
zwei Punkte abgezogen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das haben wir alle mit beschlossen, Herr Kollege Schmidt!)


Wenn man 14 Punkte hat, wird man erst einmal zu ei-
nem obligatorischen Aufbauseminar verdonnert; aber
man hat durch freiwillige Teilnahme an einer psychologi-
schen Beratung immer noch die Möglichkeit, einen Ab-
zug von zwei Punkten zu bekommen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist alles bekannt!)


Das ist doch ein Anreizsystem, das im Grunde genom-
men dazu führt, sein persönliches Punktekonto, wenn
man im unteren Bereich ist, auf null zu bekommen. Ich
verstehe also überhaupt nicht, was hier noch für Hand-
lungsbedarf sein soll.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Nein, das ist genau nicht der Fall!)


– Das ist sehr wohl der Fall, lieber Kollege Friedrich,
nämlich dann, wenn das Punktekonto bei vier oder weni-
ger liegt. Dann kann ich sehr wohl auf null kommen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Wolfgang Börnsen (Bönstrup)


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Die Präventivwirkung dieses Systems hat sich be-
währt – das ist mehrfach angesprochen worden –, es funk-
tioniert.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Nur 0,3 Prozent der betroffenen Kraftfahrerinnen und
Kraftfahrer in Deutschland fallen mit einem Punktekonto
von 18 oder mehr Punkten auf. Alle anderen liegen deut-
lich darunter.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Wo steht, dass wir das System abschaffen wollen?)


– Richtig, aber ihr tut so, als ob man etwas erfinden
müsste, was es im Grunde schon gibt.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist eine Unterstellung! Ihr habt es überhaupt nicht durchgelesen!)


Die Hälfte eures Antrags will Dinge, die es schon gibt,
und die andere Hälfte ist Quatsch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: „Quatsch“ ist kein parlamentarischer Ausdruck!)


Quatsch ist zum Beispiel, dass die Tilgungsfrist auf ein
Jahr verkürzt werden soll. Das heißt im Klartext, dass die
Präventivwirkung des ganzen Systems halbiert wird. Das
ist doch nicht verantwortliche Sicherheitspolitik, das kann
man doch nicht im Ernst wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte zum Schluss kommen und die Redezeit
nicht ausschöpfen, weil im Wesentlichen alles bereits ge-
sagt worden ist, nur noch nicht von allen.

Ich finde, die FDP macht mit diesem Antrag hier eine
Show, und zwar – das ist jetzt nicht mehr lustig – letztlich
zulasten der Verkehrssicherheit, wie es der Kollege
Börnsen zu Recht ausgeführt hat.

Sich angesichts der noch immer zu verzeichnenden
Zahlen – hinter jeder Zahl verbirgt sich ein persönliches
Schicksal, ein Schicksal von Menschen, von Kindern
womöglich, die Opfer von Verkehrsunfällen wurden, Op-
fer von Ordnungswidrigkeiten, Opfer auch von Straftaten
im Straßenverkehr – nicht um einen einzigen sachlichen
Grund zu bemühen, sondern leichtfertig zu sagen: „Weil
das Amt 50 Jahre alt wird, gibt es eine Generalamnestie“,
das ist nicht Politik, das ist Show. So muss das genannt
werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Abschließend nenne ich einen weiteren Grund, lieber
Kollege Horst Friedrich, aus dem ich diesem Antrag nicht
zustimmen werde: Ich selbst habe nämlich ein Konto mit
null Punkten. Und was bekomme ich zu dem famosen Ju-
biläum? Ich bin im Straßenverkehr bisher nicht auffällig
geworden und werde daher nicht belohnt. Alle anderen je-
doch, die auffällig wurden, erhalten noch eine Gratifika-

tion, nur weil das Kraftfahrt-Bundesamt 50 Jahre alt wird?
Das ist nicht Politik, sondern wirklich Quatsch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419821600
Nun hat der Kollege
Winfried Wolf für die PDS-Fraktion das Wort.


Dr. Winfried Wolf (PDS):
Rede ID: ID1419821700
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Werte Kolleginnen! Werte Kollegen! Werter Kol-
lege Friedrich, ich glaube, wir können nichts dagegen ha-
ben, dass Bürokratie abgebaut und dass entrümpelt wird.
Ich glaube aber, dass von den letzten drei Rednern das
Wichtigste gesagt wurde: dass der Antrag gnadenlos
populistisch und rechtsstaatlich gesehen zumindest frag-
würdig ist.


(Zuruf von der SPD: Liberal!)


Ich glaube, dass Ihr Wort, Herr Friedrich, wonach der
deutsche Autofahrer die Melkkuh der Nation sei, aus dem
Munde eines Abgeordneten, der 16 Jahre als – nach eige-
nen Worten – „Melker vom Dienst“ regiert hat, etwas
skurril klingt.


(Beifall bei der PDS und der SPD)


Der ACE – der Auto Club Europa – hat am 5. Novem-
ber dazu – ähnlich, wie sich Kollegin Rita Streb-Hesse
äußerte – Folgendes geschrieben – ich zitiere –:

Mittels Nachschulungen besteht bereits heute die
Möglichkeit, den Punktestand in Flensburg abzutra-
gen. Dieses sinnvolle System wird mit dem FDP-An-
trag durch eine Amnestie hinfällig.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Sie verwechseln Einmaligkeit mit Dauerregelung!)


Er schreibt weiter:

Die FDP will offenbar den Kreuzungsverkehr bei
gelb geschalteter Ampel salonfähig machen.


(Heiterkeit und Beifall bei der PDS und der SPD)


Apropos Rechtsstaat: Man muss sich wirklich einmal
überlegen, was es bedeutet, wenn man sagt, der Anlass
sei das 50-jährige Bestehen der Flensburger Verkehrs-
sünderkartei. Ein Register gibt sich die Ehre, wegen sei-
nes 50-jährigen Bestehens eine Teillöschung vorzuneh-
men. Man fragt sich: Was ist in 60 Jahren, was in 75
Jahren?


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was, wenn der Bundeskanzler Geburtstag hat?)


Gibt es dann vielleicht eine Verdoppelung der Bonus-
punkte oder einen Tag mit Alkohol am Steuer straffrei, ei-
nen „Wiesheu-Rabatt“? Das alles sind Fragen, die sich der
ernsthafte Zuhörer hier stellt.


(Beifall bei der PDS und der SPD – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Wiesheu ist nicht Mitglied der FDP!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Albert Schmidt (Hitzhofen)


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(C)



(D)



(A)



(B)


Ich glaube, dass der Kollege Börnsen richtigerweise
auf die Situation in Frankreich und auf die nachweisbare
Statistik hingewiesen hat, wonach, da Chirac jetzt klas-
sischerweise wieder ankündigt, dass er im Falle seiner
Wahl eine Amnestie veranlassen werde, schon jetzt Ma-
cho-Gehabe an den Tag gelegt wird, die Aggressivität
steigt und der gewöhnliche sterbliche Franzose bzw. die
Französin auf der Straße die Sau rauslässt.


(Heiterkeit bei der SPD)


Ich glaube, es gäbe genügend Gründe, Kollege
Friedrich und andere, in Bezug auf das Thema Verkehr
ernsthafte Fragen aufzuwerfen, auch in dem Bereich, der
hier genannt wurde.

Gerhard Mauz, der berühmte Gerichtskorrespondent,
hat sich jüngst im „Tagesspiegel“ mit dem Satz zu Wort
gemeldet:

Der Tod im Verkehr ist längst zum Absterben des Ge-
fühls für Recht und Unrecht geworden.

Und er stellt die Frage, wie es kommen kann, dass un-
sere Zivilgesellschaft die meisten Toten, die nicht auf
natürliche Weise aus dem Leben scheiden, im Verkehrs-
sektor hat, während es bis 1918 die durch Ertrinken zu
Tode Gekommenen waren. Bis nach dem Zweiten Welt-
krieg waren die durch Mord und Totschlag Verstorbenen
noch weit zahlreicher als die im Straßenverkehr Getöte-
ten. Jetzt haben wir trotz Rückgang der Gesamtzahl der
Getöteten sechs- bis siebenmal mehr im Verkehrssektor
als durch Mord und Totschlag Getötete.

Man könnte auch den Aspekt der beteiligten Ge-
schlechter, den Herr Börnsen genannt hat, ausbauen und
sagen: Nicht nur in der Kartei zeichnet sich ein Verhältnis
von 20 Prozent Frauen zu 80 Prozent Männern ab, son-
dern auch bei den im Straßenverkehr Getöteten waren nur
20 Prozent Frauen, die am „gegnerischen“ Steuer saßen,
80 Prozent jedoch Männer. Das heißt: Töten im Straßen-
verkehr ist Männersache. Die Frage ist allerdings nicht:
„Ist das genetisch bedingt?“, sondern das hat konkret et-
was mit der Gesellschaft zu tun und könnte auch entspre-
chend geändert werden.

Ich glaube, dass Sie, Herr Kollege Friedrich, und die
anderen Kollegen der FDP ein weites Feld vor sich haben.
Über manche Unterschrift unter dem vorliegenden An-
trag – auch über die von Ihnen, Herr Kollege van Essen –
habe ich mich gewundert; denn ich finde diesen Antrag
wirklich unsinnig. Die Aufgabe, auf dem Gebiet des Ver-
kehrs etwas zu ändern, ist ein Feld, das beackert werden
sollte. Dem vorliegenden Antrag aber sollte man ein Be-
gräbnis erster bzw. zweiter Klasse angedeihen lassen.

Danke schön.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jawohl, zurückziehen!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419821800
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/6963 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Damit sind Sie ein-
verstanden? – Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modula-
tion von Direktzahlungen im Rahmen der Ge-
meinsamen Agrarpolitik (Modulationsgesetz)

– Drucksache 14/7252 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft

Ich eröffne die Aussprache. Alle Reden sind zu Proto-
koll gegeben1). Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-
fes auf Drucksache 14/7252 an den in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschuss vorgeschlagen. Damit sind Sie
einverstanden? – Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 sowie Zusatzpunkt 7
auf:

11. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich
Adam, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Gunnar
Uldall, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Abschaffung der Kapazitätsbeschränkungen
für Werften in Mecklenburg-Vorpommern
– Drucksache 14/6950 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Margrit Wetzel, Dr. Ditmar Staffelt, Gerd
Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD sowie der Abgeordneten Andrea Fischer

(Berlin), Werner Schulz (Leipzig), Kerstin Müller


(Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion

des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Faire Wettbewerbsbedingungen für die Werft-
industrie in Mecklenburg-Vorpommern
– Drucksache 14/7295 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Dr. Winfried Wolf

19415


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 3

Ich eröffne die Aussprache. Alle Reden sind zu Proto-
koll gegeben1). Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/6950 und 14/7295 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Damit sind Sie einverstanden? – Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.

Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b
auf:

12 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schut-
zes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie
zur Erleichterung der Überlassung der Ehe-
wohnung bei Trennung
– Drucksache 14/5429 –

(Erste Beratung 155. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/7279 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Margot von Renesse
Anni Brandt-Elsweier
Ronald Pofalla
Volker Beck (Köln)

Rainer Funke
Sabine Jünger

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend (13. Ausschuss)

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-

rung
Aktionsplan der Bundesregierung zur
Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Maria
Eichhorn, Ilse Falk, Renate Diemers, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Ankündigungen zur Bekämpfung von Ge-
walt gegen Frauen umsetzen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Petra Bläss,
Monika Balt, Maritta Böttcher, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der PDS
Frauenrechte sind Menschenrechte – Gewalt
gegen Frauen effektiver bekämpfen

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung
Entschließung des Europäischen Parlaments
zu der Mitteilung der Kommission an den
Rat und das Europäische Parlament „Wei-
tere Maßnahmen zur Bekämpfung des Frau-
enhandels“
KOM (1998) 726 – C5-0123/1999 – 1999/2125

(COS) (EuB-EP 629)


– Drucksachen 14/2812, 14/5093, 14/5455,
14/4170 Nr. 1.1, 14/6902 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Renate Gradistanac
Ilse Falk
Irmingard Schewe-Gerigk
Ina Lenke
Christina Schenk

Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Ent-
schließungsantrag der Fraktion der PDS vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Der Kollege Pofalla sowie Frau Bundesministerin
Dr. Herta Däubler-Gmelin haben ihre Reden zu Protokoll
gegeben.2)

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-
Fraktion der Kollegin Anni Brandt-Elsweier das Wort.


Anni Brandt-Elsweier (SPD):
Rede ID: ID1419821900
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wo Menschen mitei-
nander leben, da streiten sie auch. Leider geht es dabei
nicht immer gewaltfrei zu. Dabei ist das Phänomen der
Gewalt in allen gesellschaftlichen Schichten zu finden. Es
tritt sowohl bei Deutschen als auch bei Ausländern auf
und ist weder ein Unterschichtproblem noch ein spezi-
fisch großstädtisches Phänomen.

Meist sind Frauen die Hauptbetroffenen. Sie sind auch
die Leidtragenden von Prostitutionstourismus und in-
ternationalem Frauenhandel, den zu bekämpfen wir
alle aufgerufen sind. Deshalb freue ich mich, dass gestern
in den Ausschüssen der Koalitionsantrag „Prävention und
Bekämpfung von Frauenhandel“ einstimmig verabschie-
det worden ist.


(Beifall der Abg. Hanna Wolf [München] [SPD])


Die betroffenen Frauen, die in der Regel aus Not und
Verzweiflung zu uns kommen, werden häufig ausgebeu-
tet und von skrupellosen Geschäftemachern wie Ware ge-
handelt. Hier gilt es, die Frauen zu schützen und die Täter
zu verurteilen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der PDS)


Da dies ohne die Zeugenaussagen der Opfer nicht mög-
lich ist, ist es notwendig, dass die betroffenen Frauen, die
den Mut zur Aussage haben, einen Abschiebeschutz und
unter bestimmten Voraussetzungen auch ein Bleiberecht
erhalten.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Für ausländische Frauen ist die Situation häufig dop-
pelt belastend, da sie oft einen ungeklärten Aufenthalts-
status haben. Die Novellierung des § 19 des Ausländerge-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Vizepräsidentin Anke Fuchs

19416


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 4 2) Anlage 5

setzes, in dem das eigenständige Aufenthaltsrecht von
Ehegatten geregelt wird, stellt hier eine eindeutige Ver-
besserung dar. Die allgemeine Wartefrist wurde von vier
auf zwei Jahre herabgesetzt und die Härteklausel so um-
gestaltet, dass unerträgliche Lebenssituationen der Be-
troffenen berücksichtigt werden können. Die Zeiten, in
denen eine Ausländerin neben ihrem prügelnden Mann
ausharren musste, weil sie bei einer Trennung von ihm
eine Ausweisung zu befürchten hatte, sind also endgültig
vorbei.

Ich möchte hier auch an die weltweiten Menschen-
rechtsverletzungen gegen Frauen, wie zum Beispiel Mas-
senvergewaltigung im Kriegsfall, genitale Verstümme-
lung oder die gnadenlose Unterdrückung der Frauen
durch die Taliban in Afghanistan erinnern. Es ist deshalb
notwendig, dass in einem Zuwanderungsgesetz zukünftig
auch Opfer von nicht staatlicher Gewalt oder ge-
schlechtsspezifischer Verfolgung einen besseren Flücht-
lingsschutz erhalten. Es ist wirklich an der Zeit, die
Entschließung des Deutschen Bundestages vom 31. Ok-
tober 1990 umzusetzen.

Wir werden die weltweiten Probleme nicht einfach lö-
sen können, aber wir können jetzt dazu beitragen, dass
den Frauen, die zu uns kommen und unsere Hilfe suchen,
diese Hilfe gewährt wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Leider gehört auch für deutsche Frauen Gewalt noch zu
ihrem Alltag: sei es am Arbeitsplatz, in der Öffentlichkeit
oder in der Partnerschaft. Mit dem Aktionsplan der Bun-
desregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen
haben wir erstmals ein ressortübergreifendes, umfassen-
des Gesamtkonzept erfolgreich umgesetzt, um die unter-
schiedlichen Arten von Gewaltanwendung wirkungsvoll
und nachhaltig bekämpfen zu können. Dabei geht es nicht
nur um individuelle Hilfsangebote, sondern vor allem da-
rum, strukturelle Veränderungen in unserem Rechtssys-
tem, aber auch in der Gesellschaft zu erreichen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ich kann mit einiger Genugtuung sagen, dass wir in den
letzten drei Jahren gute Arbeit geleistet haben. Im Rah-
men der gesetzgeberischen Kompetenz haben wir zum
Beispiel durch den Täter-Opfer-Ausgleich und das Ge-
setz zur gewaltfreien Erziehung eine deutliche Verbes-
serung für Gewaltopfer erreicht.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Das Kernstück des Aktionsprogramms ist das heute zu
verabschiedende Gewaltschutzgesetz. Wir haben damit
endlich eine wirksame Norm, die den misshandelten
Frauen die Möglichkeit gibt, sich aus einer Gewaltsitua-
tion zu lösen, ohne ins Frauenhaus flüchten zu müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dieses Gesetz ist kein „Vorschlaghammer“, wie es der
Sachverständige Bock in der Anhörung zu bezeichnen
pflegte, sondern, verehrte Frau Justizministerin, für die
Frauen ein Meilenstein in der Rechtsgeschichte. Dafür
sind wir Ihnen dankbar.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der PDS)


Besonders wichtig finde ich, dass auch bei Belästi-
gungen und Nachstellungen außerhalb einer Partner-
schaft in Form des so genannten Stalking in Zukunft ge-
richtliche Schutzanordnungen die betroffenen Frauen
wirksamer schützen können. Hier wird noch zu prüfen
sein, ob die Regelung im Zivilrecht ausreicht oder even-
tuell noch eine strafrechtliche Ergänzung vorgenommen
werden muss.

Es wird für die Zukunft sicherlich noch viel zu tun blei-
ben. Aber wir haben eine Vielzahl von Maßnahmen er-
griffen, um insbesondere Frauen in Zukunft besser gegen
Gewalt und Misshandlung zu schützen. Wir sind damit
auf einem guten Weg.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419822000
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Ilse Falk von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Ilse Falk (CDU):
Rede ID: ID1419822100
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Jährlich suchen circa 50 000 Frauen
mit ihren Kindern Schutz in einem der bundesweit
453 Frauenhäuser bzw. in Frauenschutzwohnungen. Die
gesellschaftlichen Kosten der Gewalt in engen sozialen
Beziehungen werden auf 29 Milliarden DM geschätzt.
Diese Zahlen sind übrigens aus dem SOLWODI-Rund-
brief aus dem April letzten Jahres.

Es ist daher keineswegs Ausdruck einer einäugigen
Perspektive, wenn wir uns heute erneut mit der Gewalt ge-
gen Frauen und Kinder beschäftigen, ohne zu verkennen,
dass es ganz sicher auch Fälle gibt, in denen umgekehrt
Männer von häuslicher Gewalt betroffen sind.

Jeder von uns kennt die schrecklichen Schilderungen
von Frauen, die oft nach jahrelangem Martyrium endlich
den Mut gefunden haben, sich aus gewalttätigen Bezie-
hungen zu befreien, und Schutz im Frauenhaus gesucht ha-
ben. Sie mussten aus der familiären Beziehung fliehen, die
eigentlich für sie und ihre Kinder ein Hort der Geborgen-
heit sein sollte, und haben sich in die Obhut von Dritten ge-
flüchtet, von denen sie Hilfe erhofften und auch bekamen.

Das Gewaltschutzgesetz, dem auch unsere Fraktion ihre
Zustimmung gibt, ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Mit dem Platzverweis setzt der Staat ein Zeichen und un-
terstreicht: Gewalttätigkeit ist keine innerfamiliäre Angele-
genheit und auch kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Anni Brandt-Elsweier

19417


(C)



(D)



(A)



(B)


Als Familienpolitikerin freut es mich, dass es in den
Beratungen noch gelungen ist, in den vorliegenden Ent-
wurf des Gesetzes explizit auch die Berücksichtigung
des Kindeswohls aufzunehmen, das heißt, nach § 2
Abs. 6 des Gewaltschutzgesetzes kann die bedrohte Per-
son die Überlassung der Wohnung auch verlangen, wenn
das Wohl von im Haushalt lebenden Kindern be-
einträchtigt ist. Kinder leiden sehr unter dem Miterleben
der Gewalt gegen die Mutter. Da häufig in der Praxis der
Gerichte und auch in der der Jugendämter so lange kein
Zusammenhang zwischen der Gewalt gegen die Mutter
und einer möglichen Gefährdung des Kindes gesehen
wird, wie die Kinder nicht selbst geschlagen werden, wird
mit dieser klarstellenden Regelung anerkannt, dass das
Kindeswohl bereits durch das Leben in gewaltgeprägten
Lebensumständen beeinträchtigt wird.

So wichtig die Möglichkeit ist, gegen den Täter einen
Platzverweis auszusprechen: Sie ersetzt das Schutzange-
bot der Frauenhäuser nicht. Diese sind mit ihren Bera-
tungs- und Begleitangeboten auch künftig unverzichtbar.
Dies entspricht nicht nur den Erfahrungen in Österreich,
sondern zum Beispiel auch den Modellversuchen in ein-
zelnen Bundesländern, wie sie zum Beispiel in Baden-
Württemberg durchgeführt werden.

Uns allen ist bewusst, dass dieses Gesetz allein Gewalt
gegen Frauen nicht verhindern kann und Frauen und Kin-
der weiterhin die Hauptleidtragenden in gewaltgeprägten
Beziehungen bleiben. Aber es wird helfen, den gewalttäti-
gen Familienvätern sehr deutlich zu machen, dass sie
durch ihr eigenes Versagen auch selbst – schmerzlich
spürbar – zu Leidtragenden werden. So ist zu hoffen, dass
diese Maßnahmen zusätzlich eine präventive Wirkung
entfalten werden.

Zur wirksamen Bekämpfung der Gewalt gehört ein Ge-
samtkonzept, das bereits von der alten Bundesregierung
aus CDU/CSU und FDP auf den Weg gebracht wurde und
das die rot-grüne Bundesregierung aufgegriffen hat und in
ihrem Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen
Frauen zusammengefasst und weiterentwickelt hat. Die-
ses Gesamtkonzept findet ausdrücklich unsere Billigung
und Unterstützung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir werden wie in der Vergangenheit so auch künftig
darauf achten, dass die im Aktionsplan angekündigten
Maßnahmen auch umgesetzt werden. Zu diesem Zweck
hat meine Fraktion ihren Antrag eingebracht, der heute
mit zur Entscheidung ansteht. Wir möchten so von der
Bundesregierung erfahren, welche Pläne umgesetzt, wel-
che angestoßen wurden und welche noch verwirklicht
werden müssen. Wir wissen, dass vieles bereits auf den
Weg gebracht wurde, möchten aber auch über die weite-
ren Ergebnisse informiert werden.

Schwerpunkt im Gesamtkonzept ist für uns die Ge-
waltprävention. Dabei geht es in erster Linie nicht um Ge-
setze, sondern um die Verankerung von Werten und Hand-
lungsoptionen, die für das Zusammenleben in der
Gesellschaft wichtig sind. Hier fehlt es Eltern häufig an
Kompetenz und Konfliktlösungsstrategien. Die Stär-

kung der Elternkompetenz ist einer der drei Punkte des
Familienkonzepts der CDU/CSU. Welche Bedeutung die-
sem Vorhaben zukommt, zeigt sich immer stärker. Erzieher
und Lehrer beklagen das mangelnde Unrechtsbewusstsein
bei Anwendung von Gewalt. Kinder akzeptieren oft keine
Grenzsetzung hinsichtlich ihres eigenen Handelns und
können mit Verboten und Misserfolgen nicht umgehen.
Eltern fühlen sich überfordert, ihren Kindern Grenzen zu
setzen, weil sie selbst ohne Grenzsetzung aufgewachsen
sind. Hier müssen wir in Zukunft verstärkt und vor allem
frühzeitig Maßnahmen ergreifen.

Wir lassen uns aber nicht entmutigen. Wir werden wei-
ter kämpfen und mit kommunalen und regionalen runden
Tischen gegen Gewalt und anderen Initiativen die Pro-
bleme aufdecken und bewusst machen. Mit der heutigen
Verabschiedung des Gewaltschutzgesetzes bringen wir ei-
nen weiteren wichtigen Mosaikstein des Gesamtkonzepts
auf den Weg. So viel aus meiner Sicht zu diesem Thema.

Ich möchte noch ergänzen, dass der Kollege Pofalla
aus der Sicht des Rechtspolitikers Stellung genommen
hat. Er musste seine Rede zu Protokoll geben, weil er auf-
grund der gewaltigen Verschiebung der Tagesordnung in
große Terminkonflikte gekommen ist. Wir haben uns also
auch aus rechtspolitischer Sicht dazu geäußert. Das ist
nicht vergessen worden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419822200
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Irmingard
Schewe-Gerigk vom Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

legen! Gewalt gegen Frauen ist keine Privatsache. Gewalt
gegen Frauen ist ein Problem der inneren Sicherheit. Das
wurde allerdings nicht immer so gesehen. Viel zu lange
waren Justiz und Polizei auf einem Auge blind und haben
entsprechende Fälle als Privatangelegenheit oder Fami-
lienstreit angesehen. Wenn sie eingegriffen haben, waren
sie nicht selten parteilich, meist zugunsten der Männer.

Dass dies heute in den meisten Fällen nicht mehr so ist,
haben wir unter anderem den Interventionsprojekten
wie zum Beispiel der Berliner Initiative „Gewalt gegen
Frauen“, aber auch den Frauenhäusern und Beratungs-
stellen zu verdanken, die das Thema nicht nur aus der Ta-
buzone geholt haben, sondern auch sehr konkrete Vor-
schläge zur Prävention und Hilfsangebote gemacht haben.

So war es naheliegend, dass die rot-grüne Bundesre-
gierung kurz nach Beginn ihrer Amtszeit einen Aktions-
plan zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen beschlos-
sen hat, der den unterschiedlichen Formen von Gewalt
Rechnung trägt. Der gesetzgeberische Schwerpunkt liegt
dabei in dem verbesserten Schutz von Frauen im fami-
liären Nahbereich. Ein solcher Schutz tut Not, denn nach
Untersuchungen des Frauenministeriums wird geschätzt,
dass es in jeder dritten Partnerschaft zu Gewalt kommt.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Ilse Falk

19418


(C)



(D)



(A)



(B)


Obwohl sich die Angst der meisten Frauen oftmals aus-
schließlich auf den öffentlichen Raum bezieht, sieht die
statistische Realität anders aus: Die meisten Gewalttaten
finden zu Hause in den Wohnungen statt, und zwar durch
den Ehemann oder den Partner. Das heißt: Die eigenen
vier Wände sind für die Frau der gefährlichste Ort.

Gewalttaten in der Familie werden häufig aus Furcht
oder Scham, aber auch aufgrund der bisherigen unklaren
rechtlichen Lage polizeilich oder gerichtlich nicht be-
kannt. Die Folge ist: Viele Täter bleiben ohne Strafe. Ich
sage hier bewußt „Täter“, obwohl mich in den letzten Mo-
naten viele Briefe von Männern erreicht haben, die mir
mitteilten, dass mehr Frauen ihren Männern körperliche
Gewalt antun als umgekehrt. In der Anhörung zu dem Ge-
setzentwurf hatten wir das Vergnügen, dazu das wissen-
schaftliche Pendant zu hören.

Die Männer entwickeln in diesem Zusammenhang
plötzlich ein ganz sensibles Sprachempfinden. Sie sagen,
das Gesetz sei ein reines Frauenschutzgesetz und diskri-
miniere Männer, da ja immer nur von Tätern, nicht aber
von Täterinnen die Rede sei. Sicherlich gibt es auch
Frauen, die ihren Partnern Gewalt antun. Ich finde das ge-
nauso verwerflich wie umgekehrt. Vielleicht sollten wir
deshalb im Gesetz festhalten, dass Täter im Sinne des Ge-
setzes auch Täterinnen sind.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Fakt bleibt jedoch: Bei den Erwachsenen sind fast aus-
schließlich Frauen die Opfer und Männer die Täter sexu-
eller Gewaltdelikte; soweit das Landeskriminalamt Nord-
rhein-Westfalen 1998.

Das Gesetz, das wir heute verabschieden, zeigt einen
Perspektivwechsel: Nicht mehr die Frau und ihre Kinder
müssen ihre Wohnung und die gewohnte Umgebung ver-
lassen, sondern der Gewalttäter. Er erhält die rote Karte.
Die Polizei sollte sich aber auch künftig in Fällen häusli-
cher Gewalt direkt mit den Beratungsstellen in Verbin-
dung setzen, damit die gefährdete Frau unmittelbar Un-
terstützung und Beratung erhalten kann. Durch ein
effektives polizeiliches Vorgehen in Zusammenarbeit mit
den psychosozialen Beratungsstellen kann eine gelungene
Interventionskette entstehen.

Das sollte in jedem Fall Inhalt der Ländergesetze sein.
In der Vergangenheit waren die Aktivitäten der Polizei bei
häuslicher Gewalt auf Streitschlichtung und Deeskalation
ausgerichtet. Der Fortbestand der Gewaltbeziehung zwi-
schen Täter und Opfer wurde nicht in Frage gestellt. Be-
reits mehrere Länder haben ihre Polizeigesetze dem
neuen Gewaltschutzgesetz angepasst. Ich nenne als Bei-
spiele die Länder Mecklenburg-Vorpommern und Baden-
Württemberg. In Nordrhein-Westfalen geht ein entspre-
chender Gesetzentwurf in die zweite und dritte Lesung.
Wie ich höre, will auch Bayern ab dem nächsten Jahr neue
Polizeirichtlinien für ein verändertes polizeiliches Verhal-
ten einführen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


– Ja, auch Bayern. Applaus.

Insofern wird den berechtigten Anliegen des PDS-An-
trages Rechnung getragen.

Wir haben uns im Laufe der Verhandlungen dafür stark
gemacht, dass auch Kinder, wenn sie Opfer häuslicher
Gewalt werden, durch das neue Gesetz geschützt werden.
Unserer Meinung nach ist eine ausdrückliche „go-order“
auch in diesem Fall vorzusehen. Darum werden wir bei
der Neuregelung des Kinderrechteverbesserungsgesetzes
entsprechende Regelungen aufnehmen. Das wird sehr
bald geschehen.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, im Ausschuss
haben wir dieses Gesetz einstimmig verabschiedet. Das
ist nicht nur der guten Zusammenarbeit zwischen allen
Fraktionen, sondern auch der Justizministerin und den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ihres Hauses zu ver-
danken.

Ich finde, es ist ein gutes Zeichen, dass die Opfer nun
das Recht auf ihrer Seite haben.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419822300
Das Wort
hat nun die Kollegin Ina Lenke von der FDP-Fraktion.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1419822400
Wir beraten heute über das Gesetz
zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Ge-
walttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der
Überlassung der Ehewohnung bei Trennung. Meine Da-
men und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Es
gibt Schätzungen, nach denen jede dritte Frau von häusli-
cher Gewalt betroffen ist und jede siebente in ihrem Le-
ben sexuelle Gewalt erfährt. Gerade die eigenen vier
Wände – das ist hier schon gesagt worden – können also
für Frauen zu einem sehr gefährlichen Ort werden.

Die Vorläufer des Gesetzentwurfs stammen aus Öster-
reich. Dort hat das Parlament bereits 1996 ein ähnliches
Gesetz verabschiedet, das Regelungen gegen Gewalt ge-
gen nahe Angehörige und zum Verlassen der gemeinsa-
men Wohnung durch den gewalttätigen Partner enthält.

Wir, die FDP-Bundestagsfraktion, begrüßen das Ge-
setz und werden ihm zustimmen.

Wenn in Deutschland jährlich mehr als 40 000 Frauen
in 450 Frauenhäusern Zuflucht suchen, dann ist die Dun-
kelziffer im Bereich häuslicher Gewalt wirklich sehr
hoch; denn erst dann, wenn der Leidensdruck für die
Frauen nicht mehr auszuhalten ist, flüchten sie ins Frau-
enhaus.

Als ich mich in den 90er-Jahren in meinem Landkreis
für die Einrichtung eines Frauenhauses eingesetzt habe,
waren die Widerstände noch groß. Durch die Einrichtung
von Frauenhäusern in allen Teilen des Bundesgebiets
wurde häusliche Gewalt aus der Tabuzone herausgenom-
men.

Wenn das Gewaltschutzgesetz, das wir heute verab-
schieden wollen, in Kraft tritt, wird es zum Aufenthalt in

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Irmingard Schewe-Gerigk

19419


(C)



(D)



(A)



(B)


den Frauenhäusern noch eine Alternative geben. Das Ge-
waltschutzgesetz gibt den Opfern von häuslicher Gewalt
nämlich das Recht, im persönlichen Umfeld zu verblei-
ben. Das hilft ganz besonders den Kindern. Nach Erleb-
nissen, die sicherlich traumatisch sind, können die Kinder
nun in ihrem häuslichen Umfeld verbleiben und damit in
der Nähe zur Schule wohnen oder den nahe gelegenen
Kindergarten besuchen.

Das Gesetz stärkt Kinder, die Gewalt miterleben müs-
sen. Sie erfahren, dass Gewalt nicht siegt, sondern dass
die vermeintlich Schwache Rechte hat und diese Rechte
dann auch erhält.


(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie erleben dann, dass unser Staat sichtlich Schutz ge-
währt.

Meine Damen und Herren, über das Gewaltschutzgesetz
hinaus werden wir auf nationaler und internationaler Ebene
Gewalt gegen Menschen, insbesondere gegen Frauen und
Kinder, weiterhin ächten und aktiv an Problemlösungen
arbeiten müssen: durch Prävention, durch Kooperation
zwischen Institutionen sowie durch Vernetzung von Hilfs-
angeboten und durch andere wirksame Maßnahmen. Der
Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung von
Gewalt gegen Frauen ist das Versprechen der Bundesregie-
rung, hier mehr zu tun. Hier hat die Bundesregierung in
ihrem Verantwortungsbereich weiter gearbeitet.

Aber auch die FDP-Bundestagsfraktion hat sich, wie
die Kolleginnen von SPD und Grünen wissen, bei § 19
Ausländergesetz für Frauen mit Kindern für den in man-
chen Fällen so notwendigen Sozialhilfebezug eingesetzt.
Aber Sie sind sicherlich einig mit mir, dass es da noch viel
zu tun gibt. Hier sind ganz besonders die Maßnahmen ge-
gen Frauenhandel oder gegen Zwangsprostitution zu
nennen, welche meiner Meinung nach nur im Rahmen der
Europäischen Union erfolgreich sein werden. Für mich
sage ich Ihnen hier aber auch, dass ich Möglichkeiten für
eine echte, nachhaltige Lösung dieses schwierigen Pro-
blems in absehbarer Zeit kaum sehe, dass wir also auch
hier wahrscheinlich nur step by step etwas machen kön-
nen. Der eingeschlagene Weg zeigt das ja auch.

Meine Damen und Herren, Frauenrechte sind Men-
schenrechte. Alle Maßnahmen, die dies zum Ziel haben,
wird die FDP-Bundestagsfraktion unterstützen.


(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419822500
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Petra Bläss von der PDS-Fraktion.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419822600
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Mit der heutigen Verabschiedung des
Gewaltschutzgesetzes wird in der Tat ein Tabu gebrochen.
Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass damit ein jahr-
zehntelanger Kampf für den Schutz von Frauen vor Ge-
walt ein Stück weit belohnt wird.


(Beifall bei der PDS)


Dieses Gesetz ist ein wichtiger Beitrag dazu, dass ge-
sellschaftlich endlich anerkannt wird, dass Gewalt im
häuslichen Bereich – einige Kolleginnen haben es in die-
ser Debatte schon gesagt – nichts ist, was niemanden an-
geht. Dieses Gesetz ist ein Instrument, das Frauen in den
eigenen vier Wänden besser vor der Gewalt ihrer Partner
schützt; denn die Wegweisung aus der gemeinsamen
Wohnung kann für den Täter in der Tat spürbare Folgen
haben. Wir alle verbinden mit der Verabschiedung dieses
Gesetzes die Hoffnung, dass mehr Frauen als bisher er-
muntert werden, sich gegen Gewalttäter zur Wehr zu set-
zen.

Über die Bedeutung dieses Gesetzes herrscht Konsens
im Hohen Hause. Ich halte es für ein sehr gutes Signal,
dass das Gesetz tatsächlich parteiübergreifend verab-
schiedet werden wird. Ich möchte auch hervorheben, dass
die ressortübergreifende Zusammenarbeit mit dem
Bundesjustizministerium und mit dem Ministerium für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend – auch für andere
Gesetzgebungsverfahren – wirklich beispielgebend war.


(Beifall bei der PDS, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Anhörung hat deutlich gemacht, dass es viele juris-
tische Einzelregelungen gibt, die nicht so einfach sind. Es
kann durchaus sein, dass sich in der Praxis Änderungs-
notwendigkeiten ergeben und noch Klarstellungen vorzu-
nehmen sind. Ich möchte dies anhand von sechs Punkten
erläutern.

Erstens. Es gibt Zweifel, ob die vorsätzliche Verlet-
zung als Tatbestand ausreicht. Gerichtliche Maßnahmen
müssten schon bei einer erheblichen Beeinträchtigung der
Schutzgüter greifen.

Zweitens. Neben der physischen Gewalt muss meines
Erachtens auch psychische Gewalt als Wegweisungs-
grund ins Gesetz aufgenommen werden. Wir haben hier
schon über den erweiterten Gesundheitsbegriff diskutiert.

Drittens. Die Dreimonatsfrist für Opfer, in der sie die
Überlassung der Wohnung schriftlich verlangen können,
kann unter Umständen zu kurz sein, insbesondere bei jah-
relangen Gewaltbeziehungen. Man sollte über eine Ver-
längerung auf sechs Monate nachdenken.

Viertens. Es ist schon hervorgehoben worden, dass die
Berücksichtigung des Kindeswohls in viele Paragraphen
Einzug gehalten hat. Das wäre auch im Hinblick auf die
Verlängerung der Frist für die Wohnungsüberlassung
wichtig. Nötig ist eine entsprechende Anpassung im
Kindschaftsrecht.

Fünftens. Die Last, eine neue Wohnung zu suchen,
sollte in der Regel beim Täter liegen – das ist eigentlich
Konsens gewesen –; das betrifft auch die Übernahme der
Kosten bei der Wohnungssuche und beim Umzug.

Sechstens. Verstöße gegen das Rückkehrverbot bzw.
Belästigungen durch Nachstellungen sollten ebenfalls un-
ter Strafe gestellt werden.


(Beifall bei der PDS)

Mit dem Gewaltschutzgesetz sind die notwendigen zi-

vilrechtlichen Regelungen auf Bundesebene getroffen

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Ina Lenke

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worden. Jetzt sind die Länder gefordert, und zwar auf
zwei Ebenen: zum einen hinsichtlich der Änderung der
Polizei- und Sicherungsgesetze – hierbei ist es wichtig,
auf die österreichischen Erfahrungen zurückzugreifen –,
zum anderen hinsichtlich der finanziellen Ausstattung der
Frauenhäuser. Frau Kollegin Falk hat auf den hohen
Auslastungsgrad dieser Einrichtungen schon aufmerksam
gemacht. Es geht nicht um die Alternative „Wegweisung
oder Frauenhaus“; es muss vielmehr beides geben. Es
stimmt mich durchaus optimistisch, dass wir diesen Ge-
setzentwurf an demselben Tag verabschieden, an dem wir
das Fakultativprotokoll zum CEDAW-Abkommen end-
lich ratifizieren. Das ist ein hoffnungsvolles Signal für uns
alle.

Danke.

(Beifall bei der PDS, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419822700
Ich
schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalt-
taten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der
Überlassung der Ehewohnung bei Trennung, Drucksa-
chen 14/5429 und 14/7279.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Der
Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.


(Beifall im ganzen Hause)

Wir kommen zur Abstimmung über den Ent-

schließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache
14/7327. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ent-
schließungsantrag ist bei Zustimmung der PDS-Fraktion
gegen die Stimmen aller anderen Fraktionen abgelehnt.

Tagesordnungpunkt 12 b: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
auf Drucksache 14/6902. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung, in Kenntnis des
Aktionsplans der Bundesregierung zur Bekämpfung von
Gewalt gegen Frauen auf Drucksache 14/2812 und der
Entschließung des Europäischen Parlaments zu der Mit-
teilung der Kommission mit dem Titel „Weitere Maßnah-
men zur Bekämpfung des Frauenhandels“, eine Ent-
schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese
Entschließung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Die Entschließung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen, der FDP und der PDS gegen die Stimmen
der CDU/CSU angenommen.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion der CDU/CSU auf Drucksache 14/5093 mit dem Ti-
tel „Ankündigungen zur Bekämpfung von Gewalt gegen
Frauen umsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss für Familie, Seni-
oren, Frauen und Jugend unter Buchstabe c seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion der PDS auf Drucksache 14/5455 mit dem Titel
„Frauenrechte sind Menschenrechte – Gewalt gegen
Frauen effektiver bekämpfen“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU gegen
die Stimmen der PDS und bei Enthaltung der FDP ange-
nommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:

– Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zu dem
Übereinkommen vom 18. Dezember 1979 zur
Beseitigung jeder Form von Diskriminierung
der Frau
– Drucksache 14/7009 –

(Erste Beratung 192. Sitzung)


– Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu der Entschließung vom 22. Mai
1995 zur Änderung des Übereinkommens vom
18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form
von Diskriminierung der Frau
– Drucksache 14/7011 –

(Erste Beratung 192. Sitzung)


– Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Fakultativprotokoll vom
6. Oktober 1999 zum Übereinkommen vom
18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form
von Diskriminierung der Frau
– Drucksache 14/7012 –

(Erste Beratung 192. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

(13. Ausschuss)

– Drucksache 14/7334 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Renate Gradistanac
Renate Dietmers
Irmingard Schewe-Gerigk
Ina Lenke
Petra Bläss

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Ina Lenke

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Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre ge-
rade, dass alle Reden zu Protokoll gegeben werden sol-
len.1) Gibt es dagegen Widerspruch? – Das ist nicht der
Fall.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom
18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form von Dis-
kriminierung der Frau auf Drucksache 14/7009. Der Aus-
schuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend emp-
fiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 14/7334, den Gesetzentwurf anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Beides ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist ein-
stimmig angenommen.

Wir stimmen nun über den von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu der Entschlie-
ßung vom 22. Mai 1995 zur Änderung des Über-
einkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskrimi-
nierung der Frau auf Drucksache 14/7011 ab. Der
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 14/7334, den Gesetzentwurf anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist wiederum einstimmig ange-
nommen.

Schließlich stimmen wir über den von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Fa-
kultativprotokoll vom 6. Oktober 1999 zum Über-
einkommen zur Beseitigung jeder Form von
Diskriminierung der Frau auf Drucksache 14/7012 ab.
Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 14/7334, den Gesetzentwurf anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist wiederum einstimmig ange-
nommen.

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Sportausschusses (5. Ausschuss)

– zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne-

ten Klaus Riegert, Friedrich Bohl, Peter
Letzgus, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU

– zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne-
ten Dr. Klaus Kinkel, Hildebrecht Braun

(Augsburg), Rainer Brüderle, weiterer Abge-

ordneter und der Fraktion der FDP

zu der Großen Anfrage der Abgeordneten Klaus
Riegert, Friedrich Bohl, Peter Letzgus, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Doping im Spitzensport und Fitnessbereich

– Drucksachen 14/2769, 14/2918, 14/1032, 14/1867,
14/7004 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dagmar Freitag
Klaus Riegert
Dr. Klaus Kinkel

Auch hier sollen alle Reden zu Protokoll gegeben wer-
den2). Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Sportaus-
schusses auf Drucksache 14/7004. Der Ausschuss emp-
fiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ableh-
nung des Entschließungsantrages der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/2769 zu ihrer Großen An-
frage mit dem Titel „Doping im Spitzensport und Fitness-
bereich“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU und der
FDP bei Enthaltung der PDS angenommen.

Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Entschließungsantrages der Fraktion der FDP auf Druck-
sache 14/2918 zu der eben genannten Großen Anfrage.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussem-
pfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthal-
tung der PDS angenommen.

Schließlich empfiehlt der Sportausschuss unter Nr. 3
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/7004 die
Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die
Stimmen der CDU/CSU und FDP angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Medizinprodukte-
gesetzes (2. MPG-ÄndG)

– Drucksache 14/6281 –

(Erste Beratung 176. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14. Ausschuss)

– Drucksache 14/7331 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Monika Knoche

Auch hier sollen alle Reden zu Protokoll genommen
werden3). Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Medizinproduktegesetzes, Drucksachen 14/6281 und
14/7331. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-

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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

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1) Anlage 6

2) Anlage 7
3) Anlage 8

zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig an-
genommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
einstimmig angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b auf:

a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Tierschutzbericht 2001 der Bundesregierung
– Drucksache 14/5712 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-
schaft (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marianne
Klappert, Brigitte Adler, Hermann Bachmaier,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken, Steffi
Lemke, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch
und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Verbesserungen im Tierschutz national und eu-
ropaweit vorantreiben
– Drucksache 14/7180 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-
schaft (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung

Alle Reden sollen zu Protokoll genommen werden1).
Gibt es Widerspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/5712 und 14/7180 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a bis 17 c sowie
Zusatzpunkt 8 auf:

17.a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate
Blank, Dr. Hans-Peter Uhl, Dagmar Wöhrl, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Instandhaltungswerke der Deutschen Bahn AG
in Nürnberg und München erhalten

– Drucksache 14/7147 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung

b) Beratung des Antrags der Abgeodneten Horst
Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann,
Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP
Neues Konzept für Ausbesserungswerke der
Deutsche Bahn AG vorlegen
– Drucksache 14/7158 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heide
Mattischeck, Reinhard Weis (Stendal), Karin
Rehbock-Zureich, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Albert
Schmidt (Hitzhofen), Franziska Eichstädt-Bohlig,
Helmut Wilhelm (Amberg), weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Zukunft der Instandhaltungswerke der Deut-
schen Bahn AG
– Drucksache 14/7179 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Michael

(Hamburg)

CDU/CSU
Instandhaltungswerke der Deutschen Bahn AG
in Delitzsch, Chemnitz, Opladen und Zwickau
erhalten – neue Investoren für Stendal, Leipzig-
Engelsdorf und Neustrelitz
– Drucksache 14/7282 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für. Angelegenheiten der neuen Länder

Auch hier sollen alle Reden zu Protokoll genommen
werden2). Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/7147, 14/7158, 14/7179 und 14/7282
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor-
geschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

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1) Anlage 9 2) Anlage 10

Gesetzes zur Änderung des Saatgutverkehrs-
gesetzes
– Drucksache 14/5927 –

(Erste Beratung 173. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft (10. Ausschuss)

– Drucksache 14/7244 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Bleser

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulrich Heinrich,
Ulrike Flach, Marita Sehn, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP
Innovationspotenzial moderner Technologien
für mittelständische Pflanzenzüchter erhalten
– Drucksachen 14/2297, 14/5907 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Heino Wiese (Hannover)


Alle Reden sollen zu Protokoll genommen werden1).
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Saatgutverkehrsgesetzes, Drucksachen 14/5927 und
14/7244. Der Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernäh-
rung und Landwirtschaft empfiehlt unter Nummer I sei-
ner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegen-
stimmen von CDU/CSU und FDP sowie bei Enthaltung
der PDS angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor ange-
nommen.

Unter Nummer II seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 14/7244 empfiehlt der Ausschuss die An-
nahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS
bei Gegenstimmen von CDU/CSU und FDP.

Tagesordnungspunkt 18 b: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft auf Drucksache 14/5907 zu dem Antrag
der Fraktion der FDP mit dem Titel „Innovationspotenzial

moderner Technologien für mittelständische Pflanzen-
züchter erhalten“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag
auf Drucksache 14/2297 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der PDS bei Gegenstimmen
von CDU/CSU und FDP angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Dr. Barbara Höll, Heidemarie Ehlert,
Dr. Uwe-Jens Rössel, Roland Claus und der Frak-
tion der PDS eingebrachten Entwurfs eines ... Ge-
setzes zur Änderung des Einkommensteuer-
gesetzes
– Drucksache 14/4438 –

(Erste Beratung 129. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des

Finanzausschusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/5215 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Heinz Seiffert
Dr. Barbara Höll


(8. Ausschuss)

– Drucksache 14/5218 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Jochen Henke
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Dr. Günter Rexrodt
Dr.Uwe-Jens Rössel

b) Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Dr. Barbara Höll, Heidemarie Ehlert,
Dr. Uwe-Jens Rössel, Roland Claus und der Frak-
tion der PDS eingebrachten Entwurfs eines ... Ge-
setzes zur Änderung des Einkommensteuer-
gesetzes
– Drucksache 14/4437 –

(Erste Beratung 129. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des

Finanzausschusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/5211 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Nina Hauer
Dr. Barbara Höll


(8. Ausschuss)

– Drucksache 14/5212 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Jochen Henke
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Dr. Günter Rexrodt
Dr.Uwe-Jens Rössel

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

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(B)


1) Anlage 11

Alle Reden bis auf eine sollen zu Protokoll genommen
werden1).

Die Kollegin Barbara Höll möchte Ihre Ausführungen
mündlich vortragen. Dazu gebe ich ihr jetzt das Wort.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1419822800
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Es ist eigentlich eine komfortable
Situation für mich: Ich kann Ihnen zwei Gesetzentwürfe
der PDS zur Änderung des Einkommensteuergesetzes
vorstellen. Sie können sich von mir überzeugen lassen
und diesen Gesetzentwürfen zustimmen.


(Beifall bei der PDS)

In unserem ersten Gesetzentwurf geht es um Änderun-

gen bei den Arbeitnehmerabfindungen. Wir wollen die
Freigrenzen so hoch setzen, dass 48 000 DM bei Abfin-
dungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer steuer-
frei bleiben. Bei denjenigen, die bereits das 50. Lebens-
jahr vollendet haben, wollen wir die Freigrenze auf
60 000 DM anheben.

Der zweite Gesetzentwurf beinhaltet, die zweijährige
Befristung der Absetzbarkeit der doppelten Haushalts-
führung aufzuheben.

Ich denke, unsere Gesetzentwürfe sind relativ über-
sichtlich und auch für Nichtfinanzpolitikerinnen und
Nichtfinanzpolitiker, die derzeit nicht so zahlreich im Ple-
num vertreten sind, nachzuvollziehen.


(Ina Lenke [FDP]: Was? Mal langsam!)

Sie können deshalb auch zustimmen.


(Beifall bei der PDS)

Zum ersten Gesetzentwurf. Wir erhalten ständig Bot-

schaften aus der Wirtschaft, die belegen, dass die Arbeits-
losenzahlen nicht zurückgehen, sondern ansteigen.
Siemens plant den Abbau von 12 000 Stellen und Privat-
banken von 20 000 Stellen. Das Handwerk rechnet damit,
dass in diesem Jahr insgesamt 200 000 Stellen wegfallen.
Diese aktuellen Zahlen belegen eindeutig, dass es für
Menschen immer schwerer wird, überhaupt Arbeit zu fin-
den. Das gilt erst recht für Arbeit an ihrem Wohnort. Das
heißt, dass viele Menschen darauf angewiesen sind, flexi-
bel zu sein. Sie müssen herumfahren und schauen, wo sie
überhaupt eine Arbeit erhalten können. Sie müssen des-
halb oftmals eine Arbeit annehmen – sie sind froh, wenn
sie es können – eben nicht an ihrem Wohnort, sondern in
Gebieten, die weit von ihrem Wohnort entfernt sind. Der-
zeit betrifft das fast 400 000 Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer in der Bundesrepublik.

Natürlich entstehen ihnen hohe Kosten, wenn sie eine
zweite Wohnung unterhalten müssen. Diese Kosten für
eine zweite Wohnung sind steuerlich geltend zu machen,
aber leider nur für zwei Jahre. Genau darum geht es. Es
ist eine unsoziale Regelung, die erst 1996 unter der
schwarzen Regierung ins Steuerrecht eingeführt wurde.
Rot-Grün hat jetzt die Möglichkeit, diese unsoziale Rege-
lung endlich aus dem Steuerrecht zu streichen.


(Beifall bei der PDS)


Wir haben darüber im Ausschuss und auch hier im Ple-
num bereits diskutiert. Oftmals wird gesagt, innerhalb
von zwei Jahren könne man den Wohnort wechseln. Das
geht eben nicht so einfach, aufgrund des föderalen Sys-
tems der Bundesrepublik. Ich selber komme aus Sachsen.
Meine beiden Kinder sind schulpflichtig, besuchen das
Gymnasium und werden ihr Abitur nach zwölf Jahren ab-
legen. Wenn ich jetzt nach Baden-Württemberg ziehen
würde, müssten sie auf einmal 13 Jahre zur Schule gehen.
Umgekehrt würde es natürlich noch schwieriger. Wenn
Sie mit schulpflichtigen Kindern aus Baden-Württemberg
nach Sachsen oder Thüringen ziehen wollen, haben Sie
ein Riesenproblem, weil dann die zwölfjährige Schul-
pflicht gar nicht zu realisieren ist. Das ist ein Beispiel
dafür, wie schwierig es ist, eine solche Umzugsmentalität
zu fördern.

Zweitens ist es auch wichtig und richtig, wenn wir ak-
zeptieren, dass Menschen in ihrem gewohnten sozialen
Umfeld bleiben wollen. Es geht oftmals um die Betreuung
und Pflege von Verwandten, der Eltern zum Beispiel. Das
ist etwas, was wir auch fördern möchten. Es geht darum
– auch das fordern wir mit unserem Entwurf –, dieses
Recht auch für Singles zu verwirklichen; denn auch sie
haben, auch ohne den Trauschein nachweisen zu können,
solche sozialen Beziehungen und Bindungen, die sie an
ihrem Wohnort halten.

Wir meinen, es kann nicht sein, dass durch das Steuer-
recht genau die Menschen bestraft werden, von denen oft-
mals Mobilität und Flexibilität gefordert werden. Das ist
unsozial und falsch und sollte endlich gestrichen werden.


(Beifall bei der PDS)


Der zweite Punkt unseres Antrags betrifft die Abfin-
dungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Hier
muss ich leider meine Kollegen und Kolleginnen der SPD
daran erinnern, dass sie uns im Rahmen der Beratungen
zur Unternehmensteuerreform und zur Reform der Ein-
kommensteuer versprochen haben, das, was sie für Un-
ternehmer im Steuerrecht verwirklicht haben, schnellst-
möglich auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
nachzuvollziehen. Wir haben nach der Unternehmensteu-
erreform die Rechtssituation, dass Unternehmerinnen und
Unternehmer beim Ausscheiden aus dem Berufsleben ei-
nen Freibetrag von 100 000 DM haben und der Betrag, der
bei der Veräußerung oder Aufgabe des Betriebes darüber
hinausgeht, nur mit dem halben Steuersatz belegt wird.
Dem kann man folgen, weil es hier auch für Unterneh-
merinnen und Unternehmer um Alterssicherung geht.
Wenn man das einmal im Leben verwirklicht, ist das
steuerrechtlich zu vertreten.

Bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sind die
steuerlichen Freibeträge seit 1999 massiv nach unten ge-
gangen. Sie betragen nur noch 16 000 DM. Wenn man das
50. bzw. 55. Lebensjahr erreicht hat, steigen sie etwas
gestaffelt, aber auch nur bis auf 24 000 DM. Für Beamte
gibt es sogar noch die Regelung, dass man einen langen
Zeitraum von 15 bis 20 Jahren im Beamtendienstverhält-
nis nachweisen muss.

Es kann ja wohl nicht sein, dass Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer durch Sie wesentlich schlechter behan-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

19425


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 12

delt werden als Unternehmer und Unternehmerinnen. Wir
wissen alle, dass es ab dem 50. Lebensjahr extrem schwie-
rig wird, wieder eine Arbeit zu erhalten. Oft sagen mir Be-
kannte, ich bin 48 Jahre alt und habe gar keine Chance,
mir etwas anderes zu suchen, obwohl ihre Arbeitsbedin-
gungen, gerade in den neuen Bundesländern, oft an Mob-
bing grenzen. Sie sagen, ich bin froh, noch hier sein zu
dürfen.

Wenn Menschen in solch einer Situation aus verschie-
densten Gründen ihre Arbeit verlieren, haben sie viel-
leicht noch das Glück, dass sie mit ihrem Arbeitgeber über
eine Abfindung verhandeln können. Vielfach heißt das
aber – wie Sie wissen –, dass sie auf einen Aufhebungs-
vertrag eingehen müssen, um überhaupt eine Abfindung
zu bekommen. Das bedeutet aber, dass sie drei Monate
kein Arbeitslosengeld erhalten. Diese Menschen müssten
dann zumindest die Möglichkeit haben, einen größeren
Teil der Abfindung steuerfrei behalten zu können. Das
wäre nur ein Gleichziehen, das sich sowohl steuerrecht-
lich als auch in sozialer Hinsicht begründen ließe.

Ich erwarte, dass Rot-Grün das Versprechen einlöst,
das Sie uns in den Beratungen zur Reform der Unterneh-
mensteuer gegeben haben, und hier endlich die Ungleich-
behandlung beendet wird. Insoweit müssten Sie unserem
Gesetzentwurf zustimmen können.

Ich bedanke mich.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419822900
Wir kom-
men zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Frak-
tion der PDS zur Änderung des Einkommensteuergeset-
zes auf Drucksache 14/4438. Der Finanzausschuss emp-
fiehlt auf Drucksache 14/5215, den Gesetzentwurf abzu-
lehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-
men! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter
Beratung bei Zustimmung der PDS-Fraktion und Gegen-
stimmen aller anderen Fraktionen abgelehnt. Damit ent-
fällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Bera-
tung.

Tagesordnungspunkt 19 b: Wir kommen zur Abstim-
mung über den Gesetzentwurf der Fraktion der PDS zur
Änderung des Einkommensteuergesetzes auf Drucksa-
che 14/4437. Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksa-
che 14/5211, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte die-
jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Gegenstimmen! – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei Zustimmung der

PDS-Fraktion, Enthaltung der FDP-Fraktion und Gegen-
stimmen der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU-
Fraktion abgelehnt. Damit entfällt auch hier nach unserer
Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Ich rufe Zusatzpunkt 9 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Auf-
hebung des Gesetzes zur Förderung der Ratio-
nalisierung im Steinkohlenbergbau
– Drucksache 14/7238 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung

Alle Reden sollen zu Protokoll genommen werden1.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 14/7238 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderwei-
tige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 10 auf:

Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes
– Drucksache 14/7283 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

Auch hier sollen alle Reden zu Protokoll genommen
werden2. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 14/7283 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderwei-
tige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Freitag, den 9. November 2001, 9 Uhr
ein.

Die Sitzung ist geschlossen.