Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001
Dr. Barbara Höll
19426
(C)
(D)
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(B)
1) Anlage 13
2) Anlage 14
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(A)
(B)
Adam, Ulrich CDU/CSU 8.11.2001
Andres, Gerd SPD 8.11.2001
Behrendt, Wolfgang SPD 8.11.2001*
Bierwirth, Petra SPD 8.11.2001
Brinkmann (Detmold), SPD 8.11.2001
Rainer
Flach, Ulrike FDP 8.11.2001
Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 8.11.2001
Frick, Gisela FDP 8.11.2001
Friedhoff, Paul K. FDP 8.11.2001
Friedrich (Altenburg), SPD 8.11.2001
Peter
Dr. Haussmann, Helmut FDP 8.11.2001
Dr. Hendricks, Barbara SPD 8.11.2001
Imhof, Barbara SPD 8.11.2001
Kauder, Volker CDU/CSU 8.11.2001
Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 8.11.2001
Lippmann, Heidi PDS 8.11.2001
Meckel, Markus SPD 8.11.2001
Moosbauer, Christoph SPD 8.11.2001
Opel, Manfred SPD 8.11.2001
Reichard (Dresden), CDU/CSU 8.11.2001
Christa
Schenk, Christina PDS 8.11.2001
Schlee, Dietmar CDU/CSU 8.11.2001
Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 8.11.2001
Hans Peter
Simm, Erika SPD 8.11.2001
Dr. Spielmann, Margrit SPD 8.11.2001
Straubinger, Max CDU/CSU 8.11.2001
Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 8.11.2001
Dr. Thomae, Dieter FDP 8.11.2001
Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 8.11.2001
DIE GRÜNEN
Dr. von Weizsäcker, SPD 8.11.2001
Ernst Ulrich
Zapf, Uta SPD 8.11.2001
Zierer, Benno CDU/CSU 8.11.2001*
* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung
des Europarates
Anlage 2
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung der Großen Anfrage: Rahmenbedin-
gungen für die Tourismuswirtschaft innerhalb der
Europäischen Union (Tagesordnungspunkt 7)
Sylvia Voß (CDU/CSU): Wir alle wissen: Wenn einer
eine Reise tut, dann kann etwas erleben. Nicht mehr erle-
ben wird der reiselustige Tourist ab dem kommenden Jahr,
dass er zwischen Kofferpacken, Katze zu den Eltern brin-
gen, Pflanzen der Nachbarin übereignen und Umtauschen
der falsch ausgestellten Bahnplatzkarten noch das hastige
Hineinstürzen in eine Bank einplanen muss. Auch die
Warteschlange am Bankschalter und die Ungewissheit, ob
die Bank seines Vertrauens die nötige Währung gerade
vorrätig hat, kann er nicht mehr erleben. Doch wer wird
das schon vermissen? Touristen aller beteiligten EU-Län-
der profitieren von der Euro-Einführung, Nachteile wer-
den beseitigt.
Auch die Tourismuswirtschaft hat hiervon Vorteile,
zum Beispiel davon, dass die Fremdwährungskosten
immerhin bis zu 5 Prozent der Reisekosten für grenz-
überschreitende Wechsel- und Überweisungsspesen und
für die Absicherung von Wechselkurs- und Zinsrisiken
entfallen. Diese Kosten entstehen bisher hauptsächlich
dadurch, dass die Touristikunternehmen ihre Reisekapa-
zitäten bereits ein bis eineinhalb Jahre im Voraus buchen
und die Währungen absichern müssen. Aber darüber ha-
ben wir schon bei anderer Gelegenheit gesprochen. Klar
ist: Es wird sich im Euroland einiges ändern für Anbie-
ter und Kunden. Wettbewerbsvor- und -nachteile werden
transparenter wahrnehmbar.
Auch die CDU/CSU hat dies erkannt und sofort der
Bundesregierung in Form einer Großen Anfrage mitge-
teilt. Große Fragen tun sich mir jedoch bezüglich unserer
Opposition auf, wenn man sich den Gehalt einiger Fragen
anschaut, aber das ist jetzt nicht unser Thema, sondern die
Antworten unserer Bundesregierung, die dann hoffentlich
einige Klarheit in das Denken der Antragsteller bringen!
Wir können feststellen: Der Tourismus kommt in
Deutschland nicht zu kurz und er muss sich im Vergleich
entschuldigt bis
Abgeordnete(r) einschließlich
entschuldigt bis
Abgeordnete(r) einschließlich
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlagen zum Stenographischen Bericht
mit den anderen EU-Ländern keinesfalls verstecken. Wir
geben dem wichtigen Wirtschaftszweig dort, wo er unsere
Mitarbeit braucht, unsere Unterstützung. Auch wenn wir
keinen eigenständigen Tourismusminister haben wie im
Übrigen auch die anderen EU-Länder nicht , ist die Tou-
rismuswirtschaft bei Rot-Grün und dem Bundeswirt-
schaftsminister in guten Händen. Zwar ist die Zahl der zu-
ständigen Mitarbeiter für Tourismuspolitik in den
Ministerien nahezu aller betroffenen EU-Länder gleich
sie liegt zwischen einer und elf Personen , aber allein
die Tatsache, dass von allen EU-Ländern nur Deutschland
einen Tourismusauschuss hat, zeigt, wie hoch wir hier die
Bedeutung der Branche einschätzen, wieviel Aufmerk-
samkeit Regierung und Opposition ihr schenken.
Auf dem Weg zu den von uns allen angestrebten glei-
chen Wettbewerbsbedingungen für die Tourismuswirt-
schaft innerhalb der Europäischen Union sind noch einige
Schritte zu gehen. Aber eins macht die Antwort unseren
Kollegen von der rechten Seite des Hauses wohl endlich
deutlich: Rot-Grün handelt. Rot-Grün ist schon einen
guten Teil dieses Weges gegangen. Während die christde-
mokratischen Kolleginnen und Kollegen Fragen stellen,
haben wir schon längst Artworten gegeben. Zum Beispiel
hat Rot-Grün für Deutschland die Mittel der nationalen
Tourismusorganisation seit 1998 deutlich angehoben als
einziges EU-Land überhaupt. Wenn Sie ehrlich sind, lie-
ber Kollege Brähmig, werden Sie zugeben, dass es das mit
einer christlich-liberalen Koalition nicht gegeben hätte.
Wir Koalitions-Touristiker haben gezeigt, dass man sich
in unseren Fraktionen auch in Zeiten der Haushaltskonso-
lidierung mit guten Argumenten durchsetzen kann.
Die zusätzlichen finanziellen Mittel sind bei der DZT
gut angelegt. Denn sie arbeitet effizient daran, das
Deutschlandbild sowohl im In- als auch im Ausland zu
verbessern. Durch gezielte Werbung und ländertypische
Aktionen weckt die DZT die Neugierde der ausländischen
Touristen. Sorgt sich um das gute Image für das Reiseland
Deutschland und unterstützt somit das Ziel, Reiseauf-
kommen nach Deutschland zu steigern. Nur der gute
Wille allein reicht dafür jedoch nicht aus. Deswegen
wurde die finanzielle Ausstattung für das Auslandsmar-
keting verbessert. Viele ausländische Touristen werden
also auch dank der von der Bundesregierung unterstützten
DZT in unser Land kommen, um sich von den beein-
druckenden Kultur- und faszinierenden Naturschönheiten
Deutschlands selbst ein Bild zu machen. Auch die Deut-
schen, die am liebsten in ihren eigenen Landesgrenzen
verreisen, werden gut umsorgt. Denn nicht zu vergessen
ist an dieser Stelle, dass neben dem Bund vor allem die
Länder und Kommunen Budgets für das Inlandsmarke-
ting bereithalten.
Wenn wir nicht schon vor dieser Anfrage davon über-
zeugt gewesen wären, dass für den deutschen Gaststätten-
bereich und Beherbergungssektor keine Mehrwertsteuer-
vergünstigungen gelten sollten, wären wir spätestens nach
der Beantwortung durch die Bundesregierung vollständig
überzeugt. Dieser Hilfestellung bedurfte es bei uns nicht;
vielleicht bringt sie aber unsere christdemokratischen Kol-
legen in Ihrem Denken weiter. Deutschland hat mit seinen
16 Prozent einen vergleichsweise geringen Mehrwertsteu-
ersatz. Nachteile für die genannten Bereiche bestehen
nicht. Wie auch? Lediglich fünf Mitgliedstaaten der EU
unterschreiten in allen Bereichen der Gaststättenumsätze
den deutschen Mehrwertsteuersatz. Auf dem Weg zu mehr
europäischer Einheitlichkeit ist es dennoch ein erklärtes
Ziel der Bundesregierung, auf diesem Gebiet die Aus-
gewogenheit zwischen den europäischen Ländern zu ver-
bessern.
Mehr Ausgewogenheit wünschen wir uns auch auf dem
Gebiet der Beherbergungsstatistik. Die Tourismusstatis-
tik-Richtlinie der Europäischen Union bringt uns hier ei-
nen Schritt weiter. Die deutsche Regierung hat ihren Teil
zur Umsetzung der Richtlinie geleistet und in das Gesetz-
gebungsverfahren gegeben. Für gute Leistungen der Tou-
rismusmitarbeiter aller Bereiche und auch für uns Touris-
muspolitiker ist eine zuverlässige und vergleichbare
Datengrundlage ein mitentscheidendes Kriterium. Es
bleibt zu hoffen, dass alle EU-Länder möglichst schnell
ihren Beitrag zur Harmonisierung der Beherbergungssta-
tistik leisten.
Abschließend ein paar Worte zu den EU-Mitteln zur
Förderung des Tourismus: Hier können wir feststellen,
dass die Förderinstrumente vorrangig dem Strukturaus-
gleich für benachteiligte Gebiete der transeuropäischen
Zusammenarbeit dienen. Wettbewerbsnachteile entstehen
daraus nicht. Im Gegenteil, denn schließlich wird dadurch
dafür Sorge getragen, dass schwächeren Regionen unter
die Arme gegriffen wird. Dadurch wird es für diese erst
wieder möglich, am Wettbewerb teilzunehmen und eben-
falls ans Ziel zu gelangen. Wenn letztlich alle Länder die
Ziellinie erreicht und überschritten haben, bedeutet das
mehr Wettbewerb. Aber Wettbewerb belebt bekanntlich
das Geschäft. Das Reiseland Deutschland das hat
die Antwort der Bundesregierung noch einmal deutlich
herausgestellt braucht diesen Wettbewerb nicht zu
fürchten.
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Modulation von Direktzahlungen im Rahmen
der Gemeinsamen Agrarpolitik (Modulationsge-
setz) (Tagesordnungspunkt 10)
Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Es ist jetzt fast
genau ein Jahr her, seitdem die BSE-Krise einen Stein ins
Rollen brachte. Wir wissen alle, dass dies nicht die erste
Krise ist, die die Landwirtschaft erschüttert und den lau-
fenden Strukturwandel deutlich forciert. Weinskandal,
genmanipulierte Lebensmittel, Schweinepest und auch
gefundene Pestizidrückstände in Bier beunruhigten schon
vor Jahren die Bevölkerung. Jeder wollte doch gern glau-
ben, dass man durch die Wissenschaft, durch strengere
Gesetze und Kontrollen, die Gefahrenquellen beseitigen
kann. Diese Sicherheit gibt es seit BSE nicht mehr. Ge-
rade der Stand der wissenschaftlichen Kenntnisse war
hauchdünn und viel weiter sind wir leider immer noch
nicht. Die erlebte Unsicherheit war es, die dazu führte,
dass nach BSE das Vertrauen in die bäuerliche Landwirt-
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schaft nicht alleine durch stärkere Kontrollen und stren-
gere Gesetze wieder hergestellt werden kann. Zwar haben
wir durch das Verfütterungsverbot von Tiermehl, durch
den sensiblen Umgang bei der Tötung von Tierbeständen
gezeigt, dass wir diese Unsicherheit in der Bevölkerung
ernst nehmen und die bestmögliche Sicherheitsstufe ein-
räumen, aber es ist offensichtlich, dass Veränderungen an-
stehen.
In meiner Rede zum Agrarbericht 2001 sagte ich: Die
Landwirte gehören nicht an den Pranger, sondern mit ins
Boot. Ich bin auch nicht der Meinung eine Drohkulisse
aufzubauen oder jemanden gegen die Wand laufen zu las-
sen. Vielmehr werbe ich dafür, gerade auch unter dem
Berufsstand, den eingeschlagenen Weg, hin zu einer um-
weltgerechteren Landwirtschaft, gemeinsam zu beschrei-
ten. In persönlichen Gesprächen ist die Bereitschaft ja
einfach vorhanden, nur muss um den Weg zum Ziel ge-
rungen werden. Aus meiner Erfahrung heraus sehe ich nur
eine vernünftige Chance im Miteinander! Uns allen liegt
eine umweltgerechte Landwirtschaft, Verbraucherschutz,
Entwicklung der ländlichen Räume, um nur drei Schlag-
lichter zu nennen, am Herzen. Aus diesem Grund liegt
heute der Gesetzentwurf zur Modulation von Direktzah-
lungen auf dem Tisch und es ist ein wichtiges Element
dieser neuen Agrarpolitik. Nicht nur der Bund hat die Mo-
dulation als geeignetes Mittel angesehen, um Gelder sinn-
voll für eine umweltgerechtere Landwirtschaft umzu-
schichten. Auch Vertreter der Länder hatten sich positiv
geäußert. Im Juli diesen Jahres einigten sich Bund und
Länder auf ein Modell, das bei einem Freibetrag von
20 000 DM eine Prämienkürzung von 2 Prozent vorsieht
und ab dem Jahr 2003 in Kraft treten soll. Also: Erhält ein
Betrieb mehr als 20 000 DM an Prämiengeldern, dann
werden alle weiteren Zahlungen für seine Produkte um
2 Prozent gekürzt. Die EU sieht Kürzungen der Aus-
gleichszahlungen von bis zu 20 Prozent vor. Unser Gesetz
setzt bei 2 Prozent an. Die Kürzungen der Direktzahlun-
gen machen bundesweit 105 Millionen DM aus. 166 Mil-
lionen DM würden auf diese Weise zusätzlich für
Agrarumweltmaßnahmen und Strukturpolitik im ländli-
chen Raum zur Verfügung stehen. Hört sich erst mal gut
an, aber insbesondere die Kofinanzierung ist Stein des
Anstoßes für die Länder. Ich komme aus Sachsen-Anhalt
und weiß, dass schon jetzt die GAK-Mittel nicht voll ab-
gerufen werden können, weil die Kofinanzierung nicht
mehr gewährleistet ist. Das ist schwer. Mit den geplanten
Kürzungen der Direktzahlungen wären zwar besonders
die neuen Bundesländer betroffen, aber die Rückführung
der Gelder in die Regionen ist realisierbar.
Welche Belastungen kommen auf diese Weise auf den
Bund und die Länder zu? Der Bund ist bereit, 37 Milli-
onen DM zusätzlich für eine Umorientierung in der
Landwirtschaft einzusetzen. Eine Umorientierung kann
aber nur in einer gemeinsamen Kraftanstrengung gelin-
gen, deshalb brauchen wir die Hilfe der Länder und er-
warten nun, dass sie ihren Teil dazu beitragen: das sind
24 Millionen DM für eine umweltgerechtere Produktion
von Nahrungsmitteln und für die Stabilisierung der länd-
lichen Räume. Ein weiterer Stein des Anstoßes ist die Um-
setzung, Aufsicht und Verwaltung der Modulation. Hier-
für kann der Bund die Verantwortung nicht übernehmen.
Ganz klar ist geregelt: Diese Aufgaben sind Landesho-
heit! Und ganz abgesehen davon, wäre mit so einer Än-
derung von Finanzierungszuständigkeiten zwischen Bund
und Ländern eine Änderung des Grundgesetzes notwen-
dig. Diese Forderung ist praktisch undiskutabel.
Modulation ist ein geeignetes Mittel, um Gelder für
eine nachhaltige Entwicklung der ländlichen Räume um-
zulenken. Und das Mittelvolumen von 166 Millionen DM
ist dafür eine gute Basis. Übrigens finde ich es falsch, dass
Sie, Herr Kollege Heinrich, in mehreren Interviews ver-
suchten den Eindruck zu erwecken als seien Subventio-
nen ein verbrieftes Recht der landwirtschaftlichen Unter-
nehmen, ihre Kürzung unredlich und ein Einsatz in
umweltrelevanten Maßnahmen ungeeignet, um die Land-
wirtschaft und den ländlichen Raum zu stärken.
Ich habe das Gefühl Sie versuchen hier fünf gerade sein
zu lassen und setzten in alter FDP-Manier Stützungen mit
eigen Erwirtschaftetem gleich! Und letztlich war es doch
die Politik von CDU und FDP, die die Abkehr von ökolo-
gischen Zielen forciert hat. Nur nichts Neues fordern und
entscheiden, immer alles schön beim Alten lassen. Egal,
was sich da um uns herum in Europa tut. Wenn wir heute
eine geringe Akzeptanz des Berufsstandes unter der Be-
völkerung konstatieren müssen, ist das auch ein Ergebnis
der jahrelangen umweltignoranten Politik, für die neben
der CDU die FDP die Verantwortung mitträgt.
Wir wollen zukünftig eine positive Entwicklung vo-
rantreiben. Deshalb mein eindringlicher Appell an die
Länder unser Gesetz zu unterstützen und nicht kurzsich-
tig zu sein. Natürlich sind wir uns bewusst, dass gerade
die finanzschwachen neuen Länder jede Mark zweimal
umdrehen, ehe sie sie einmal ausgeben.
Weshalb aber verschließen sich die südlichen Bundes-
länder der Modulation völlig? Das war zwar von Anfang
an zu erwarten, verwundert dennoch. Gerade Bayern und
Baden-Württemberg rühmen sich, Gelder für Sonderpro-
gramme in der Landwirtschaft zur Verfügung zu stellen.
Umweltmaßnahmen werden groß geschrieben, heißt es.
Wenn das so ist, dann verwundert es einmal mehr, dass
das Modulationsgesetz der Bundesregierung so verteufelt
wird. Die sachliche Begründung verschließt sich mir
völlig.
Im Gegensatz dazu lobte der saarländische Umweltmi-
nister Mörsdorf noch im Sommer diesen Jahres die neuen
Chancen, die das Modulationsgesetz für das Saarland
bringen würden. Diese Einsicht wäre beim Votum im
Bundesrat sehr hilfreich.
Wir werden die Modulation einführen. Auch ohne
Bundesrat wäre dies möglich. Allerdings müsste dann die
Freibetragsgrenze von 20 000 DM fallen. Davon wäre
dann jeder Betrieb in Deutschland betroffen. Kann uns da-
ran gelegen sein? Nutzen wir die Zeit, um miteinander im
Gespräch zu bleiben und gemeinsam: Bund und Länder
für einen gesteigerten Umweltschutz, eine Stärkung der
ländlichen Räume und die Interessen unserer Landwirt-
schaft zu sorgen.
Meinolf Michels (CDU/CSU): Ich habe noch einmal
die Protokolle aus der Debatte über die Agrarreform 1992
nachgelesen.
Wesentlicher Inhalt dieser Reform war: der Getreide-
interventionspreis wurde um über 30 Prozent gesenkt; die
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Einkommensverluste sollten über eine Flächenbeihilfe
ausgeglichen werden. Sprecher aller Fraktionen haben auf
die Gefahr hingewiesen, die sie in der Möglichkeit staat-
licher Kürzungen sehen. Recht hatten sie nun wirds
wahr! Die Getreidepreise sind zumal in diesem Jahr
schlechter denn je. Und dann hat die Kommission in Brüs-
sel die Importzölle gesenkt und die Exportbeihilfen ge-
strichen. Lassen Sie sich doch einmal über die Getreide-
marktsituation berichten.
Der vorliegende Gesetzentwurf zur Einführung einer
Modulation wird von den Regierungsfraktionen als wei-
terer Meilenstein der so genannten Agrarwende gefeiert.
Vorab möchte ich dies zum Anlass nehmen, um aus-
drücklich klar zu stellen, dass die CDU/CSU-Fraktion
sei es in Zeiten, als wir die Regierung stellten, aber auch
jetzt in der Opposition eine Fortentwicklung der Agrarpo-
litik immer als notwendig angesehen hat. Wir haben stets
konstruktiv zu diesem Prozess beigetragen.
Ich möchte nur an die gerade erwähnte Mac Sherry Re-
form 92 erinnern. Wir haben mit viel Geld den Struktur-
wandel in der Landwirtschaft begleitet und dadurch er-
träglicher gemacht. Und dies besonders in sozialer
Hinsicht.
Sie, Frau Künast, propagieren eine Agrarwende das
bedeutet weg vom bisher Dagewesenen. Meine Berufs-
kollegen sagen, Nun soll alles, was wir mit viel Arbeit
geleistet haben, falsch sein ? Wir haben doch die Men-
schen bestens ernährt. Es sind gerade die jungen Bauern,
die den Mut verlieren. Ja sie empfinden sich gedemütigt.
Die in Ihrem Hause gefertigten Papiere zeigen vor allem
eins: immer weniger Hilfe! Die Agrarpolitik der Bundes-
regierung ist für die Betriebe nicht mehr kalkulierbar.
Bei der Agrardebatte 92 hat der damalige Obmann der
SPD, unser Kollege Oostergetelo, zu Recht ausgeführt,
Verlässlichkeit ist ein wesentliches Element in der Poli-
tik. Obwohl die gegenwärtige Beschlusslage der EU eine
Laufzeit bis 2006, 2008 hat, will die Bundesregierung den
deutschen Landwirten in dieser Zeit die Planungssicher-
heit streitig machen. Das können wir schon heute unein-
geschränkt festhalten: dass die Einführung der Modula-
tion in der vorliegenden Form für einen großen Teil der
deutschen Landwirte eine weitere Verschlechterung ihrer
Wirtschaftslage bedeutet.
Ich bleibe mit meiner Kritik doch sehr moderat, wenn
ich da lese, was die Mehrheit der Länder im Bundesrat als
Stellungnahme zu diesem Thema vorgetragen hat. Schon
laufende Länderprogramme wie zum Beispiel K.U.L.A.P.
in Bayern können mit diesen Mitteln nicht auch finanziert
werden. Es müssen neue sein. Ich betone noch einmal, wir
sträuben uns nicht gegen Fortentwicklung oder Moderni-
sierung im Bereich der Landwirtschaft, nur es muss dann
auch für diesen Wirtschaftsbereich sinnvoll sein.
Ihr Gesetzentwurf sieht vor, dass ein großer Teil der
den Bauern vorenthaltenen 54 Millionen Euro landwirt-
schaftsfremd investiert werden soll. Dazu werden die
31 Millionen Euro Kofinanzierung ebenfalls an den unser
Volk ernährenden Bauern vorbei fließen. Frau Künast, ich
möchte Sie wirklich dringend bitten, mit uns gemeinsam
zu prüfen, ob wir nicht wenigstens einen Teil der Mittel
für die Einführung des Vorruhestands in der Landwirt-
schaft und gleichzeitig auch einen weiteren Schritt zur
Altersabsicherung der Frauen in der Landwirtschaft tun
können. Es ist ausdrücklich zu begrüßen, dass für den
ländlichen Raum Programme mit finanzieller Unterstüt-
zung des Bundes aufgelegt werden sollen. Aber es ist er-
wiesenermaßen ausdrücklich volkswirtschaftlich falsch,
wenn dies mit Geldern geschieht, die den praktisch täti-
gen Bauern entzogen werden.
Gestatten Sie mir abschließend, für alle wohlwollend
darauf hinzuweisen, dass wir hier und gerade in der jetzi-
gen Zeit für alle unsere Mitmenschen eine große Verant-
wortung tragen. Jeden Fehler, den wir hier machen, müs-
sen unsere Mitmenschen ausbaden. Nehmen wir doch
nicht alles für selbstverständlich!! Stellen Sie sich doch
einmal vor, die gegenwärtige Resignation bei unseren jun-
gen Bauern würde dazu führen, dass Milch und Brot Man-
gelware würden. In der Landwirtschaft liegt zwischen
Saat und Ernte eine lange Zeit.
Ulrich Heinrich (FDP): Die FDP-Bundestagsfraktion
wird das Gesetz zur Modulation ablehnen, da es die deut-
sche Landwirtschaft in keiner Weise fördert. Gefördert
wird nur die Bürokratie, die in keinem vernünftigen Ver-
hältnis zum Nutzen steht. Denn für 2 Prozent Modulation
muss letztendlich der gleiche bürokratische Aufwand ge-
trieben werden wie für 20 Prozent. Wir lehnen auch eine
Umverteilung von produktbezogenen Hilfen ab. Denn
derzeit gibt es keinen Spielraum für politische Umvertei-
lungsmäzchen. Dies hat auch der Bundesrat so erkannt
und hat aus Frau Künasts großen Plänen die Luft heraus-
gelassen. Die Forderungen der Länder sind sehr berech-
tigt, dass das eingesparte Geld auch im Land verbleiben
soll.
Selbst Agrarkommissar Fischler sprach nur von einem
schmalen Hauch, wie er sich ausdrückte, der im Zusam-
menhang mit der Modulation in Deutschland gegangen
werden soll. Darüber hinaus hat er angekündigt, dass die
Grundlagen der Modulation geändert werden würden, un-
ter anderem soll auch verhindert werden, dass die Ge-
samtausgaben für die Landwirtschaft insgesamt in die
Höhe getrieben werden. Die FDP sieht wie gesagt in
diesem Ansatz keinen in die Zukunft weisenden Weg. Wir
wollen einen echten Umbau der Hilfen für die Landwirt-
schaft erreichen, der nach einer längeren Übergangsphase
in einer produktunabhängigen Förderung münden soll. Zu
einer auf die Zukunft gerichteten Agrarpolitik gehören
klare und verlässliche Rahmenbedingungen, mit denen
die Landwirte mittel- und langfristig kalkulieren können.
Frau Künast wird mit derartigen Gesetzesvorlagen kaum
in der Lage sein, die notwendigen Reformen auf den Weg
zu bringen. Eine geeignete Vorbereitung der deutschen
Landwirtschaft auf die unmittelbar bevorstehende WTO-
Runde und EU-Osterweiterung finden leider nicht statt.
Ein weiterer Grund zur Ablehnung der Modulation ist,
dass bereits vorhandene Landesprogramme wie das Meka
und das Kulap mit diesem Vorhaben nicht in Überein-
stimmung zu bringen wären. Lassen Sie mich zum
Schluss noch einmal deutlich herausstellen, dass vonsei-
ten der Landwirtschaft kein finanzieller Spielraum für
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Umverteilungsprogramme vorhanden ist und der büro-
kratische Aufwand nicht akzeptiert werden kann.
Kersten Naumann (PDS): Wir reden einerseits über
Modulation und andererseits über Einkommenssenkun-
gen bei einem Großteil der Landwirte. Der Einstieg in die
Modulation ist ein Einstieg in intensiveren Wettbewerb.
Es ist ein Einstieg in stärkeren Kostendruck und der Be-
ginn eines schleichenden Ausstiegs aus Direktzahlungen.
Die Modulation ist keine geeignete Alternative zur
Neuausrichtung der Agrarpolitik und widerspricht der
regionalspezifischen Fördergerechtigkeit. Dagegen würde
ein gleichberechtigtes Konzept der Verteilung von Di-
rektzahlungen aus Mitteln der GAP und von Mitteln in die
ländliche Entwicklungspolitik bedeuten, dass natürliche
regionale Standortbedingungen Berücksichtigung finden.
Ich denke hier auch an die jeweilige Wirtschaftskraft der
Bundesländer und insbesondere an die sozialpolitischen
Faktoren wie die Arbeitslosenquote.
Es zeigt sich: Die europäische Agrarpolitik und ihre
stetige Reformierung zu mehr Wettbewerbsfähigkeit ist
eine verfahrene Kiste. Hinterherhinkend sollen Verfah-
rensfehler durch eine Förderung des ländlichen Raumes
und für eine umweltgerechtere Produktion wieder gut-
gemacht werden, was zu neuen Ungerechtigkeiten führt.
Die PDS wird sich nicht gegen die Modulation aus-
sprechen. Allerdings gibt es noch eine Reihe von Pro-
blemen zu klären. So darf einer Türöffnerfunktion mit
2 Prozent auf keinen Fall eine wenn auch schrittweise
Erhöhung bis zu 20 Prozent folgen. Modulation darf nicht
zu Entwicklungs- und Liquiditätsproblemen der Agrar-
betriebe führen. Zuerst muss unseres Erachtens das Pro-
blem der Kofinanzierung geklärt werden. Eine steigende
Modulationsquote führt zu einseitigen Mehrbelastungen
gerade der neuen Bundesländer. Deshalb muss sicher-
gestellt werden, dass genügend nationale und Kofinan-
zierungsmittel der Bundesländer zur Verfügung stehen.
Die Umschichtung von Mitteln zugunsten der länd-
lichen Entwicklung sollte zur Erweiterung des finanziel-
len Spielraumes für außerlandwirtschaftliche Aktivitäten,
keinesfalls jedoch zur Substitution von Mitteln der
GA Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur
führen. Im Zuge der Neuorientierung der Agrarpolitik
sollten ökologisch wirtschaftende Betriebe von der Kür-
zung ausgenommen und der Freibetrag für die Klein-
erzeuger für die Zukunft gesichert werden. Vorab sollte
sorgfältig geprüft werden, ob und welche Wirkungen auf
die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und die Be-
schäftigung im ländlichen Raum ausgehen. lm vorgeleg-
ten Referentenentwurf ist außerdem nicht hinreichend ge-
klärt, wofür die Mittel tatsächlich eingesetzt werden
sollen.
Fakt ist auch, dass ein höherer Verwaltungsaufwand
auf allen Ebenen nicht von der Hand zu weisen ist. Die
Bundesregierung macht es sich da ziemlich einfach, einen
höheren Aufwand zuzugeben, aber gleichzeitig zu be-
haupten, dass dieser mit dem vorhandenen Personal und
den vorhandenen Sachmitteln zu bewerkstelligen ist. Soll
das etwa heißen, dass die Verwaltungsbehörden zurzeit
nicht ausgelastet sind?
Abschließend bleibt die Frage: Warum diese Eile?
Wessen Interessen sollen hier durchgezogen werden?
Ich empfehle der Bundesregierung mehr Übersicht bei
den zu bewältigenden Problemen im ländlichen Raum,
mehr Weitsicht bei ihren Entscheidungen und mehr
Durchsicht bei ihren eigenen Gesetzentwürfen, damit die
Menschen in der Landwirtschaft und im ländlichen Raum
eine gute Aussicht haben.
Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Mit dem Entwurf des Modulationsgeset-
zes legt die Bundesregierung einen weiteren zentralen
Baustein für eine zukunftsfähige und auf Nachhaltigkeit
gerichtete Agrarpolitik vor.
Wer öffentliche Mittel vergibt, muss dies begründen
können. Eine Dekade nach der Agrarreform von 1992 ver-
blasst die Rechtfertigung für pauschale Direktzahlungen.
Das Argument Direktzahlungen werden gewährt, weil
die Landwirte vor 10 Jahren Preissenkungen bei ihren
Produkten hinnehmen mussten verliert inzwischen an
Gewicht.
Anders ist es, wenn Sie den Steuerzahlern sagen:
Diese Mittel werden zunehmend für Leistungen der
Landwirtschaft zur Verbesserung der Umwelt, für art-
gerechte Tierhaltung und für eine nachhaltige ländliche
Entwicklung eingesetzt. Das sind gesellschaftlich er-
wünschte Leistungen. Das Problem ist, dass diese Leis-
tungen nicht oder nur teilweise über den Markt abgegol-
ten werden. Deshalb bedarf es weiterer Anreize. Und
genau dazu verschafft uns die Modulation neue Möglich-
keiten.
Es geht also künftig um gezielte Anreize für er-
wünschte Leistungen statt Verteilungspolitik mit der
Gießkanne. Das Prinzip muss zunehmend lauten: Keine
staatliche Leistung ohne Gegenleistung. Im Grundsatz ist
diese schrittweise Neuorientierung auch bereits auf brei-
ter Basis akzeptiert. So haben bei der Agrar- und Um-
weltministerkonferenz am 13. Juni 2001 in Potsdam der
Bund und alle Länder einmütig festgehalten: Die Modu-
lation ist grundsätzlich ein geeignetes Instrument, um
durch Umschichtung von EU-Finanzmitteln von der 1. in
die 2. Säule der gemeinsamen Agrarpolitik die Förderung
besonders umweltgerechter Produktionsverfahren zu ver-
stärken.
Wir sind uns also im Grundsatz einig: Die schrittweise
Verlagerung von Mitteln aus dem Marktbereich in eine
gezielte Förderung in der 2. Säule ist sinnvoll und unver-
zichtbar.
Bei der praktischen Umsetzung versuchen aber einige
auf Zeit zu spielen. Da wird auf die BSE-Krise und die
Einkommenssituation der Landwirte verwiesen. Bei allen
verständlichen Problemen in der Bullenmast: Die Situa-
tion für die Masse der Landwirte ist besser als sie dar-
gestellt wird. Ich erinnere an Milcherzeugerpreise, die
10 Prozent über dem Vorjahr liegen. Ich erinnere an die
sehr gute Getreideernte. Ich verweise auf die letzte Um-
frage des ifo-Instituts, nach der die Landwirte ihre wirt-
schaftliche Situation als besser einschätzen als im Vorjahr.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19431
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(D)
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(B)
Da wird weiter auf die anstehende Halbzeitbewertung
der Agenda 2000 verwiesen. Die Einführung der Modula-
tion müsse zurückgestellt werden, bis klar ist, was die
Kommission für die plane. Dazu kann ich nur sagen: Ge-
nau umgekehrt wird ein Schuh draus: Wenn wir jetzt nicht
zeigen, was wir wollen, brauchen wir uns nicht zu wun-
dern, wenn am Ende Vorschläge auf dem Tisch liegen, die
nicht den deutschen Interessen entsprechen. Das sage ich
mit besonderem Nachdruck an die Adresse der Abgeord-
neten von CDU und CSU. Ich erinnere an die Worte von
Kommissar Fischler, der Ihnen diese Zusammenhänge auf
dem CDU-Landwirtschaftskongress im Mai diesen Jahres
glasklar dargelegt hat.
Wir müssen uns an die Spitze der Diskussion in Europa
stellen. Sonst laufen wir Gefahr, dass Mittel im Zuge der
Osterweiterung nicht innerhalb der Landwirtschaft zu-
gunsten des ländlichen Raumes umverteilt werden, son-
dern verloren gehen. Deshalb appelliere ich an alle: Las-
sen Sie uns jetzt diese Chance nutzen, Agrarpolitik
zukunftssicher zu machen.
In der bisherigen Diskussion über die Modulation war
es mir ein wichtiges Anliegen, zu einer breit getragenen
Lösung zu kommen. Deswegen bin ich insbesondere den
Wünschen der Länder weit entgegengekommen. Mit dem
jetzt vorgelegten Gesetzentwurf haben wir aus meiner
Sicht einen akzeptablen Kompromiss gefunden: Wir set-
zen einerseits ein deutliches Zeichen für eine Neuorien-
tierung der Agrarförderung. Wir gehen andererseits mit
einem mäßigen Kürzungssatz von 2 Prozent auch auf die
Landwirtschaft zu, zumal die gekürzten Mittel der Land-
wirtschaft nicht verloren gehen, sondern ergänzt um zu-
sätzliche nationale Kofinanzierungsmittel für gezielte
Fördermaßnahmen zur Verfügung stehen. Mit dem vorge-
sehenen Freibetrag von 10 000 Euro nehmen wir Rück-
sicht auf kleinere Betriebe. Gleichzeitig wird verhindert,
dass die Modulation einseitig zulasten bestimmter Regio-
nen, insbesondere der neuen Bundesländer geht. Durch
die Verschiebung auf 2003 bleibt genügend Zeit, die ver-
waltungsmäßige Umsetzung sorgfältig vorzubereiten und
insbesondere ein überzeugendes Wiederverwendungs-
konzept zwischen Bund und Ländern abzustimmen. Bei
der Ausgestaltung dieses Wiederverwendungskonzepts
sind wir schon gut vorangekommen.
Der Bund hat den Ländern bekanntlich bei der Ver-
wendung von Modulationsmitteln seine Beteiligung über
die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruk-
tur und des Küstenschutzes angeboten. Im Vordergrund
stehen dabei Maßnahmen zur Stärkung einer nachhal-
tigen, umweltgerechten Landbewirtschaftung, die über
gesetzliche Mindeststandards hinausgehen. Mir geht es
darum, dass zum Beispiel enge Fruchtfolgen erweitert
werden, durch Zwischenfruchtanbau und Winterbegrü-
nung Vorsorge gegen Erosion und Nitratauswaschung ge-
troffen wird und Emissionen durch Anwendung moderner
Gülleausbringungstechnik vermieden werden. Darüber
hinaus möchte ich denjenigen Landwirten eine Förderung
anbieten, die besonders umwelt- und tiergerechte Hal-
tungsverfahren praktizieren.
Derzeit werden entsprechende Fördermaßnahmen in-
tensiv mit den Ländern beraten. Damit sollen den Ländern
differenzierte Maßnahmen angeboten werden, die je nach
den regionalen Besonderheiten und Bedürfnissen in An-
spruch genommen werden können und deren Einhaltung
kontrolliert werden kann.
Mein Ziel ist, dass Bund und Länder im Dezember über
die Grundzüge für die Umsetzung der Modulation über
die Gemeinschaftsaufgabe beschließen. Bekanntlich hat
der Bundesrat zum Gesetzentwurf der Bundesregierung
zwar grundsätzlich eine positive Haltung eingenommen,
dies aber mit einer Reihe von Forderungen verbunden.
Die Länder fordern unter anderem, gesetzlich festzulegen,
dass die Wiederverwendung der Mittel vorrangig in dem
Land erfolgen soll, wo die Mittel durch Kürzung angefal-
len sind. Dieses Grundprinzip hatten wir bereits anlässlich
der Agrarministerkonferenz am 9. Juli 2001 vereinbart.
Die Bundesregierung steht zu dieser politischen Verein-
barung und kann daher einer gesetzlichen Festlegung zu-
stimmen.
Anders sieht es dagegen bei den übrigen Gesetzes-
anpassungen aus, die die Länder fordern. Vorrangig geht
es hier um die Finanzierungsfrage. Der Bund ist wie
bei der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der
Agrarstruktur und des Küstenschutzes bereit, 60 Pro-
zent der Kosten zu übernehmen. Die Länder ich kann
das ja aus deren Sicht verstehen fordern mehr zu über-
nehmen. Der Streitwert, über den wir uns unterhalten, be-
trägt 12 Millionen Euro, aufzuteilen auf 16 Länder. Die-
ser Betrag käme der Landwirtschaft zusätzlich zugute. Er
flösse in Maßnahmen, die in den Ländern noch nicht aus-
reichend berücksichtigt werden. In Anbetracht des Streit-
wertes bin ich optimistisch, dass wir gemeinsam eine Lö-
sung finden.
Schließlich noch eine Bemerkung zum Thema Verwal-
tungsaufwand. Ich bestreite nicht, dass die Modulation ei-
nen gewissen zusätzlichen Verwaltungsaufwand mit sich
bringt. Dieser ergibt sich vor allem aus dem vorgesehenen
Freibetrag. Der aber ist Kernelement des gefundenen
Kompromisses und geht auch auf den Wunsch zahlreicher
Länder zurück. Insoweit muss der daraus resultierende
Aufwand akzeptiert werden.
Im Übrigen sind wir dabei, auf Fachebene gemeinsam
mit den Ländern ein Verwaltungsverfahren zur Durch-
führung der Modulation zu entwickeln. Es zeichnet sich
inzwischen eine Lösung ab, die administrierbar und mit
vertretbarem Aufwand umsetzbar ist.
Meine Damen und Herren, allen Versuchen von
CDU/CSU und FDP zum Trotz: Die Modulation wird
kommen! Wir müssen für die offenen Fragen nicht heute
oder morgen eine Lösung finden. Ich bin optimistisch,
dass wir das bis 2003 schaffen. Und ich bin sicher: Es wird
Ihnen nicht gelingen, mithilfe der Länder dieses wichtige
Element der Agrarwende zu torpedieren.
Die Modulation ist ein Chance. Eine Chance für eine
umweltverträgliche Landwirtschaft mit artgerechter Tier-
haltung. Eine Chance für eine zukunftsfähige und auf
Nachhaltigkeit gerichtete Agrarpolitik. Wir sollten sie
nicht länger ungenutzt lassen!
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119432
(C)
(D)
(A)
(B)
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
a) Abschaffung der Kapazitätsbeschränkungen
für Werften in Mecklenburg-Vorpommern
b) Faire Wettbewerbsbedingungen für die Werft-
industrie in Mecklenburg-Vorpommern (Ta-
gesordnungspunkt 11 und Zusatztagesord-
nungspunkt 7)
Dr. Margrit Wetzel (SPD): In den 90er-Jahren erhiel-
ten die Werften in Mecklenburg-Vorpommern hohe In-
vestitionsbeihilfen aus öffentlichen Mitteln, um ihre
Umstrukturierung zu modernen, wettbewerbs- und leis-
tungsfähigen Schiffbaubetrieben zu ermöglichen. Da sie
mit diesen Beihilfen keine grundlegenden Wettbewerbs-
vorteile gegenüber anderen europäischen Werften auf-
bauen sollten, wurden von der EU Kapazitätsbegrenzun-
gen in Höhe von insgesamt 327 000 cgt auferlegt, die für
die Schiffbaubetriebe in Wismar, Rostock, Stralsund und
Wolgast bis zum Jahre 2005 gelten.
Die Modernisierung der Werften ist mit beispielhafter
Kreativität gelungen: Leistungsfähige moderne Betriebe
mit überzeugendem Management, mit hoher Systemkom-
petenz und Präzisionsfertigung sind zugleich Vorbild für
neue Kooperationsformen, in denen komplexe Module an
Subunternehmer abgegeben, bestimmte Fertigungstech-
niken gebündelt ausgegliedert und schließlich in der
Produktverantwortung der Werft zu modernen, zeitge-
recht fertig gestellten, qualitativ hochwertigen High-Tech-
Schiffen zusammengebaut und abgeliefert werden. Die
Leistungsfähigkeit und Ablieferungsqualität der ostdeut-
schen Werften ist im Reigen der westlichen Industrielän-
der wettbewerbsfähig; entsprechend konnten Aufträge ak-
quiriert werden.
Und doch musste trotz voller Auftragsbücher in Wis-
mar und Warnemünde Kurzarbeit verhängt werden. Der
Grund: die von der EU festgelegten Kapazitätsbegren-
zungen zum Schutz der anderen europäischen Werften.
Tatsächlicher Wettbewerber der ostdeutschen Werften
sind aber nicht vorrangig die europäischen Mitbewerber,
sondern ist die koreanische Schiffbauindustrie. Aufträge,
die bei ostdeutschen Werften platziert sind und aufgrund
der Kapazitätsbegrenzungen nicht ausgeführt werden
können, gehen umgehend nach Korea und schwächen da-
mit nicht nur den ostdeutschen, sondern den gesamten eu-
ropäischen Schiffbaumarkt.
Der Weltschiffbaumarkt hat sich durch das Zusam-
menwirken der hohen Leistungsfähigkeit der modernen,
großen koreanischen Werften mit einer unverantwortli-
chen koreanischen Dumpingpreispolitik, bei der Schiffe
bis zu 40 Prozent unter den eigenen Gestehungskosten an-
geboten werden, dramatisch verändert. Korea hält inzwi-
schen mehr als 50 Prozent der Marktanteile bei Schiffs-
neubauten. Wir haben im Deutschen Bundestag mehrfach
Debatten darüber geführt und der Bundesregierung mit
der breiten Mehrheit aller Fraktionen den Rücken gestärkt
für eine überzeugende deutsche und europäische Politik
gegen das unseriöse Vorgehen Koreas und die Klageerhe-
bung vor der WTO.
Bereits im Jahr 2000 beantragte die Bundesregierung
eine Überprüfung der nicht mehr zeitgemäßen Kapa-
zitätsbeschränkungen der Ostwerften. Es ist nicht nachzu-
vollziehen, dass Korea seine Schiffbaukapazitäten mit
Geldern des IWF ausbaut und ostdeutsche Werften gleich-
zeitig im Auftrag europäischer Wettbewerbshüter Auf-
träge ablehnen sollen, die die hier dringend notwendige
Arbeit sichern könnten. Der Antrag der Bundesregierung
wurde von der EU-Kommission unter Verweis auf die
Überkapazitäten am Weltschiffbaumarkt negativ beschie-
den. Insofern ist die im CDU-Antrag erhobene Forderung
mehr als unrealistisch und entspricht auch nicht den Ver-
einbarungen, mit denen wir überfraktionell die Arbeit des
Wirtschaftsministeriums politisch begleitet haben. Ich
darf an dieser Stelle gerade auch dem Bundeswirtschafts-
minister, seinen Staatssekretären und Beamten danken,
die uns imAusschuss regelmäßig und umfassend über ihre
Bemühungen, die Schwierigkeiten der Verhandlungen in
Brüssel und mögliche Erfolgsaussichten in Teilbereichen
unterrichtet haben. Herzlichen Dank für diese vertrauens-
volle Zusammenarbeit, mit der Sie sich auch immer die
Unterstützung des ganzen Hauses gesichert haben!
Der enge Rahmen der jährlich und pro Werft festge-
legten Produktionsbeschränkungen macht es den Werften
unmöglich, betriebswirtschaftlich sinnvoll auf ihre Pro-
duktivitätsentwicklungen, auf die Verringerung der Ferti-
gungstiefe oder auf technologisch bedingte Änderungen
der Produktionsplanungen zu reagieren. Die Bundes-
regierung hat nach der Ablehnung des Antrages im
Jahr 2000 deshalb Spielräume gesucht, wie man diesem
Umstand Rechnung tragen und den Werften, auf ihre
faktischen Gegebenheiten gründend auf eine akzeptable
und faire Weise Luft verschaffen könnte. Die Regierung
hat nach zahlreichen langwierigen und intensiven
Gesprächen mit der Europäischen Kommission ausge-
handelt, dass die für die Werften in Mecklenburg-Vor-
pommern bis 2005 weiterhin geltenden Kapazitätsbe-
grenzungen ab 2001 flexibel gehandhabt werden können:
Die ostdeutschen Werften dürfen Kapazitäten, die sie in
einem Jahr nicht ausnutzen, auf das nächste Jahr übertra-
gen. Sie dürfen Kapazitäten untereinander austauschen,
indem sie nicht selbst genutzte Anteile auf eine andere
ostdeutsche Werft übertragen, und sie dürfen werfttypi-
sche arbeitsintensive Leistungen, die sie an Dritte verge-
ben eine bei den deutschen Werften inzwischen übliche
Praxis zur Erzielung höherer Effizienz bei der Berech-
nung ihrer Schiffbauproduktion berücksichtigen.
Diese von der Europäischen Kommission genehmigte
neue Regelung sichert den ostdeutschen Werften größere
betriebswirtschaftliche Spielräume und schafft ihnen
Luft, weil die Regelung bereits für 2001 gilt. Die Kurzar-
beit konnte aufgehoben werden und die Bundesregierung
hat in enger Abstimmung mit dem Ministerpräsidenten
des Landes wesentlich dazu beigetragen, die Werftar-
beitsplätze in Mecklenburg-Vorpommern zu sichern.
Wir freuen uns über diesen Verhandlungserfolg, der ein
für die Werften praktikables Ergebnis erzielt hat. Wir alle
hätten lieber eine Aufhebung der Kapazitätsbeschränkun-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19433
(C)
(D)
(A)
(B)
gen gehabt, sollten nach der erfolgten Ablehnung des ent-
sprechenden Antrages durch die Kommission aber die
Leistung der Bundesregierung, die mit hoher Kreativität,
Kompetenz, Sensibilität und Nachdruck in den Verhand-
lungen erbracht wurde, auch entsprechend würdigen und
anerkennen. Noch einmal: Dank für dieses Ergebnis, ma-
chen Sie weiter auf diesem Weg, begleiten Sie unsere
Werften politisch auf dem knallhart umkämpften Schiff-
baumarkt!
Ich möchte diese Gelegenheit aber auch nutzen, noch
einmal wieder darauf hinzuweisen, dass die deutschen
Werften keine Beihilfen und Subventionen bräuchten,
wenn wir endlich faire Wettbewerbsbedingungen auf dem
Weltmarkt hätten: Wir brauchen ein OECD-Schiffbauab-
kommen, dem sich alle wichtigen Schiffbaunationen ver-
pflichtet wissen, einAbkommen, das faire Regelungen der
Preisgestaltung enthält und Sanktionen bei Verstößen vor-
sieht. Wir gehen davon aus, dass die Bundesregierung uns
in Kürze einen Bericht zu den Fortschritten bei diesen in-
ternationalen Verhandlungen vorlegen wird. Das Stich-
wort Sanktionen erinnert daran, dass das Parlament die
Regierung beauftragt hat, zu eruieren, inwieweit der In-
ternationale Weltwährungsfonds ein Mandat erhalten
könne, sich zur Überwachung und Bewertung der Einhal-
tung von Kreditbedingungen auch mit sektoralen Angele-
genheiten zu befassen. Wir sind nach wie vor nicht bereit,
zu akzeptieren, dass deutsche und europäische Gelder des
IWF in Korea und sei es auch nur indirekt dazu ver-
wandt werden, den Weltschiffbaumarkt dramatisch in sei-
nem Gefüge zu stören, deutsche und andere europäische
Werften um ihre Existenzgrundlagen zu bringen und ein
langfristig selbstzerstörerisches Dumpingpreisgefüge am
Markt zu etablieren, das durch die entstehenden Überka-
pazitäten auch noch dazu beiträgt, die Umsatzentwicklung
des gesamten Schifffahrtsmarktes ins Wanken zu bringen.
Ich bitte deshalb alle Fraktionen des Hauses, in den
Ausschussberatungen doch wieder zu einer einvernehm-
lichen Linie zu finden und unserem Antrag zuzustimmen.
Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Wir
stehen vor dem Scherbenhaufen, den die Politik hinter-
lassen hat, urteilte vor kurzem der Betriebsrat der Aker-
MTW-Werft in Wismar und brachte die Stimmung unter
den Wismarer Schiffbauern auf den Punkt: Trotz vieler
Aufträge Kurzarbeit. Wer soll das verstehen? Die SPD-
Bürgermeisterin dieser Hansestadt stellte knallhart fest:
Ich bin von Landes- und Bundesregierung enttäuscht.
Die Werften in Mecklenburg-Vorpommern leiden un-
ter dem Diktat aus Brüssel. Noch immer gelten die Kapa-
zitätsobergrenzen. Kurzarbeit bei vollen Auftrags-
büchern, Brüssel zeigt der Bundesregierung auch für den
Schiffbau die rote Karte.
Das jetzt als Erfolg verkaufte Austauschverfahren zwi-
schen den Werften ist lediglich ein Verfahrenstrick unterhalb
der Deckelung ohne tatsächliche Lösung. Neue Aufträge
können nicht angenommen, zusätzliche Arbeitsplätze nicht
geschaffen werden. Das Verfahren selbst ist fragwürdig.
Keine Werft will freiwillig ihr Kontingent aufgeben, keine
auf Auftragschancen verzichten.
Allein die von Brüssel genehmigte so genannte Out-
sourcing-Formel bringt eine geringe Erleichterung. Die
Peene-Werft in Wolgast kann damit pro Kalenderjahr ein
Viertel Schiffe mehr bauen. Eine Zukunftslösung ist das
keinesfalls, so Gewerkschaftsvertreter.
Was wir brauchen, ist ein fairer Wettbewerb für die
Küste ohne Kontingente, Subventionen und Reglementie-
rungen; und das weltweit. Dafür muss sich die Bundesre-
gierung bei OECD, den G-7-Staaten, in Brüssel, aber auch
in Fernost, einsetzen. Ohne Wettbewerbsverzerrung ha-
ben deutsche Werften eine Zukunft, weil deren Bauten
weltweit für Qualität stehen. Bleibt es bei Staatshilfen, ist
die Zukunft von 50 der 100 Werften extrem gefährdet.
Schiffbau und Schifffahrt stehen vor den größten He-
rausforderungen, die sie je gehabt haben: Nicht gelöst
sind die unfairen Handelspraktiken der Südkoreaner. Bis
zu 40 Prozent unter den Herstellungskosten verkaufen sie
ihre Boote. Korea ist im Weltschiffbau Nr. Eins, Japan
folgt und China holt auf.
Seit drei Jahren zaudert und zögert die EU-Kommis-
sion bei Sanktionen gegen Fernost. Deutschland als wich-
tigstes europäisches Schiffbauland bleibt ohne Durch-
setzungskraft, Dänemark dominiert in Brüssel das
Geschehen. Immer mehr zeigt sich: Es war falsch, auf die
EU und den guten Willen der Koreaner zu setzen. Besser
wäre eine OECD- oder G-7-Vereinbarung über klare faire
Handelsbedingungen im Weltschiffbau gewesen. Drei
Jahre hat man nichts unternommen, nun dramatisiert sich
die Lage. Es muss endlich gehandelt werden. Chefsache
muss der Schiffbau werden.
Nicht gelöst ist, ob die auslaufende Abwehrbeihilfe für
die Werften vom EU-Industrieministerrat verlängert wird.
Nicht gelöst ist, ob das derzeit laufende Programm be-
grenzt bleibt auf Ablieferungstermine bis 2003. Ungewiss
ist auch, ob es für bestehende Schiffsneubauaufträge bis
2004 gestreckt wird. Was macht die Bundesregierung? Sie
veranstaltet eine publikumswirksame zweite Maritime
Konferenz; halbherzig ohne Kanzler, ohne den zuständi-
gen Wirtschaftsminister. Die erste Konferenz dieser Art in
Emden endete mit Appellen, und dabei blieb es; das Ros-
tocker Treffen ist dieser Ausrichtung treu geblieben.
Wird jetzt nicht konkret und knallhart gehandelt, sind
besonders die mittelständischen Werften existenziell ge-
fährdet; darauf weisen die Fachverbände mit großer Sorge
hin. Damit geriete auch die maritime Wirtschaft insge-
samt in Bedrängnis, denn der Schiffbau ist und bleibt die
Kernbranche. Ein Einbruch hier hätte nicht nur verhee-
rende Folgen für die Küste, sondern auch Konsequenzen
bei den Zulieferern. 70 Prozent der Wertschöpfung eines
Schiffes kommen aus Süd- und Westdeutschland.
220 000 Arbeitskräfte sind in Deutschland in der ma-
ritimen Wirtschaft beschäftigt. Die Schifffahrt mit
49 000 Beschäftigten und einem Umsatz von 18 Milliar-
den Mark stellt den größten Anteil. Die maritime Zulie-
ferindustrie und der Schiffbau mit zusammen 96 000 Be-
schäftigten, die einen Umsatz von 24 Milliarden Mark
erwirtschaften, folgen.
Die Wettbewerbshilfe ist anerkennenswert, sie stärkt
die Wirtschaft. Doch seit Mai vergangenen Jahres gibt es
ein Gezerre um die Werften in Schleswig-Holstein. Der
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119434
(C)
(D)
(A)
(B)
Bundesregierung ist es nicht gelungen, die Landesregie-
rung in Kiel zur Einhaltung ihres Anteils bei der Kofinan-
zierung der Werftenhilfe zu bewegen; alle anderen vier
norddeutschen Länder haben den Vertrag eingehalten,
eine Situation zum Nachteil des Schiffbaulandes Schles-
wig-Holstein.
Solange Bundeswirtschaftsminister und Bundeskanz-
ler nicht ihre ganze Autorität für den Schiffbau einsetzen,
bleibt es bei reinen Ankündigungen. Eine Zukunft für das
Werftenland Deutschland entsteht daraus nicht.
Werner Kuhn (CDU/CSU): An der mecklenburgi-
schen und vorpommerschen Küste gab und gibt es etliche
traditionsreiche Schiffsbauplätze mit einer wechselrei-
chen Geschichte, geprägt von einem stetigen Struktur-
wandel über die Jahrhunderte. Nach dem Krieg bis Ende
der 80er-Jahre hat sich das Kombinat Schiffbau in der
ehemaligen DDR auf eine Jahreskapazität von über
500 000 BRT bei 35 000 Beschäftigten entwickelt.
Nach der Wende erfolgte durch die Treuhandanstalt die
erste Privatisierung, die komplett auf den Bremer Vulkan
Verbund zugeschnitten war. Wie sich im Nachhinein he-
rausstellte, wurde das Geld für die Investitionsbeihilfe
zweckentfremdet genutzt und das Cash-Management von
Herrn Hennemann war die zarteste Versuchung, seit es
Plünderungen gibt. Ein schwerer Rückschlag für die Plat-
zierung der ostdeutschen Werften Wismar, Rostock, Stral-
sund und Wolgast am internationalen Markt.
Dann erfolgte der zweite Anlauf, unsere Werften in
Mecklenburg-Vorpommern zu wettbewerbsfähigen Kon-
taktwerften umzurüsten. Das erfolgte mit finanziellen
Mitteln der Europäischen Union aus dem GA-Fonds und
den Investitionszulagen aus dem Land. Für die Förder-
mittel der EU wurde wieder im Nachhinein betrachtet
aber ein zu hoher Preis bezahlt. Eine Kapazitätsbegren-
zung für alle vier Werftstandorte von 327 000 CGT über
einen Zeitraum von zehn Jahren ist viel zu starr und un-
flexibel, um auf den internationalen Wettbewerb zu rea-
gieren.
Sicher hat die Bundesregierung mit der Übertragbar-
keit von Teilen der Quote von einem Geschäftsjahr ins an-
dere, mit einer möglichen Verschiebung der Anteile in-
nerhalb des Werftenverbundes Ost für eine kurzfristige
Entlastung der angeschlagenen Werften in Mecklenburg-
Vorpommern gesorgt. Das Grundproblem der deutschen
Werften am internationalen Markt ist damit aber keines-
falls gelöst. Durch die anhaltenden Wettbewerbsverzer-
rungen der Koreaner mit ihren Dumpingpreisen, die mit
bis zu 40 Prozent unter den Herstellungskosten liegen,
verliert die deutsche maritime Verbundwirtschaft von
Monat zu Monat immer mehr Marktanteile.
Es kann nicht angehen, dass die Koreaner mit verdeck-
ten und sogar offenen Subventionen wie Betriebskos-
tenzuschüssen, Steuernachlässen, Schiffbaubeihilfen und
der Vergabe zinsloser Kredite einen Auftrag nach dem an-
deren im Frachtschiffbau verbuchen können und unsere
hochmodernen Kompaktwerften wegen der besagten Ka-
pazitätsbegrenzung sich nicht einmal am Wettbewerb be-
teiligen können. Mittlerweile konzentrieren sich mehr als
50 Prozent der Kapazität im Weltschiffbau auf Südkorea
und deutsche Unternehmen sind gezwungen, nur noch als
Zulieferer oder Lizenzgeber Stück für Stück ihre System-
führerschaft aus der Hand zu geben. Von diesem Preis-
kampf besonders geschädigte Marktsysteme sind Contai-
nerschiffe, Chemikalien- und Produktentanker.
Wie Ihnen sicher bekannt ist, liegt Mecklenburg-Vor-
pommern mit seinem Bruttoinlandsprodukt aufgrund der
Strukturschwäche im unteren Drittel im Vergleich der
Länder in der Bundesrepublik. Die vier Kompaktwerften
sind mittlerweile die einzigen noch verbliebenen industri-
ellen Kerne im Nordosten. Eine Lösung, die Ferti-
gungstiefe der Werften zu verringern und mit Outsourcing
die Kapazität scheinbar zu erhöhen, bringt keine wirkli-
che Verbesserung der Industrielandschaft und keine ent-
sprechende Entlastung des Arbeitsmarktes in Mecklen-
burg-Vorpommern. Die Hauptzulieferer das können sie
in allen einschlägigen Statistiken nachlesen befinden
sich im Westen und Süden Deutschlands. Die Funktion
der Werften als Kristallisationspunkte für die Entwick-
lung von kleinen- und mittelständischen Unternehmen ist
von der jetzigen Bundesregierung und von der rot-roten
Landesregierung sträflich vernachlässigt worden.
Bei einer Arbeitslosenquote, die sich Richtung 20 Pro-
zent bewegt, und einem Wirtschaftswachstum in Meck-
lenburg-Vorpommern, das mittlerweile rote Zahlen
schreibt, nutzen den Menschen, deren Existenz vom
Schiffbau abhängt, keine langwierigen bilateralen Ver-
handlungen zwischen der Bundesregierung und Korea.
Eine Klage vor der Welthandelsorganisation wegen un-
zulässiger Subvention mag ja zum Erfolg führen, ist aber
ebenfalls kein probates Mittel der Soforthilfe. Das jetzt
schon über zehn Jahre in Aussicht gestellte OECD-Ab-
kommen über einen fairen Schiffbauwettbewerb wird
wohl eher das Jüngste Gericht entscheiden, als dass wir
auch nur mittelfristig klare Verhältnisse haben werden.
Deshalb fordert die CDU/CSU-Fraktion in ihrem Antrag
die Bundesregierung und die Europäische Union eindeu-
tig auf, die wirtschaftsfeindlichen Kapazitätsbeschrän-
kungen der Werften in Mecklenburg-Vorpommern inner-
halb des kommenden Jahres komplett aufzuheben.
Weiterhin fordern wir: Erstens. Damit die deutsche ma-
ritime Industrie nicht weiter an Boden verliert, ist die un-
bedingte Wiedereinführung der Schiffbaubeihilfe in Höhe
von mindestens 300 Millionen DM für das Haushaltsjahr
2002 zu vollziehen. Hier müssen besonders die bereits er-
wähnten Marktsegmente wie Containerschiffe, Chemie-
und Produktentanker wieder international wettbewerbs-
fähig gemacht werden.
Zweitens. Wir fordern die Bundesregierung auf, fol-
gende Änderungen im steuerlichen Bereich mit sofortiger
Wirkung zu realisieren: Zulassungen von Rückstellungen
für Drohverluste im Schiffbau, Änderungen der Mehr-
wertsteuererhebung während der Bauzeit von Schiffen.
Drittens. Die deutsche Schiffbauindustrie darf ihre
Technologieführerschaft nicht kampflos aufgeben. Des-
halb muss Forschung und Entwicklung zielorientiert
gefördert werden. Die Bewilligungsprozesse müssen be-
schleunigt werden und die Förderquote F und E muss
auch komplett ausgeschöpft werden. Die politische Ex-
portunterstützung besonders für öffentliche Aufträge von
Drittländern muss intensiviert werden. Das Gleiche gilt
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19435
(C)
(D)
(A)
(B)
für eine großzügigere Anwendung des Garantieprozede-
res für ausländische Besteller.
Die Werftindustrie in Mecklenburg-Vorpommern ist
längst noch nicht über dem Berg. Das zeigen die nur rar
gefüllten Auftragsbücher für die kommenden Jahre. Trotz
der erreichten Flexibilität bezüglich der Schiffbauquote
ist kein Normalzustand in dieser Industriebranche in
Mecklenburg-Vorpommern zu verzeichnen. Ganz konkret
fordern wir die Bundesregierung auf, die bestehenden Ka-
pazitäten der ostdeutschen Werftindustrie für den Auftrag
Korvette K 130 in vollem Umfang zu nutzen. Es kann
nicht angehen, dass bei einem Gesamtauftragsvolumen
von 1,72 Milliarden nur 1,5 Prozent sprich 26 Millionen
DM in unserem Bundesland realisiert werden. Wenn sie
den Aufbau Ost wirklich ernst nehmen, dann erwarten wir
hier volles Engagement, damit die Menschen auch in
Mecklenburg-Vorpommern wieder Zuversicht erreichen.
Wo ist die Chefsache Aufbau Ost, Herr Bundeskanzler?
Dazu genügt nicht die ruhige Hand, denn Arbeit schafft
man nicht mit links.
Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Die Zukunft der Werften in Mecklenburg-Vor-
pommern ist eine der Angelegenheiten, die sich praktisch
alle Fraktionen zu Eigen gemacht haben. Schon in der
Vergangenheit waren oft nur wenige Unterschiede zu er-
kennen. Ich darf daran erinnern, dass wir erst im Frühjahr
einen breiten überfraktionellen Konsens erzielt haben.
Uns eint die Sorge um die ökonomische Zukunft der
Werften und die Sorge um die Sicherheit der Arbeitsplätze
in der Werftindustrie.
Bündnis 90/Die Grünen stellen fest, dass es der Bun-
desregierung nach langen, schwierigen und zähen Ver-
handlungen gelungen ist, die Europäische Kommission zu
einer positiven Entscheidung in der Frage der Kapazitäts-
begrenzungen zu bewegen. Dies ist umso bemerkenswer-
ter, als noch im vergangenen Jahr der Wunsch der Bun-
desregierung nach einer entsprechenden Überprüfung
durch die EU-Kommission negativ beschieden wurde.
Uns allen ist bewusst, dass der enge Rahmen der jähr-
lich und pro Werft festgelegten Produktionsbeschränkun-
gen wenig sinnvoll ist. Diese Kapazitätsbegrenzungen
sind eine Fessel für die Produktivitätsentwicklung und
eine Bremse für notwendige ökonomische Planungen und
Entscheidungen für die Zukunft. Wir begrüßen es daher
ausdrücklich, dass die Bundesregierung mit großem
Engagement und mit hohem Nachdruck die Interessen
Mecklenburg-Vorpommerns, die Interessen der in den
Werften Beschäftigten und natürlich der Werftindustrie
selbst gegenüber der EU-Kommission vertreten hat. So ist
es gelungen übrigens ohne großen öffentlichen Wirbel
zu veranstalten , ein erfreuliches und vor allem ein hand-
habbares Ergebnis zu erzielen.
Der Antrag der Union, der heute überwiesen werden
soll, ist aus meiner Sicht erledigt. Im Interesse der Sache
wäre es daher hilfreich, wenn die Opposition diesen An-
trag zurückziehen würde und dem Antrag der Koalitions-
fraktionen beitreten oder diesem zumindest zustimmen
würde.
Die Bundesregierung hat zwar die Kapazitätsobergren-
zen nicht wegverhandeln können. Sie hat aber erreicht,
dass diese Obergrenzen ab sofort flexibel und damit den
betrieblichen Erfordernissen entsprechend angewandt
werden können. Das heißt im Klartext, dass nicht genutzte
Kapazitäten von einem Jahr auf das nächste übertragen
werden können. Das heißt konkret, dass nicht selbst ge-
nutzte Kapazitäten auf eine andere ostdeutsche Werft
übertragen werden können. Diese vereinbarte neue Rege-
lung trägt mehr zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit
der ostdeutschen Werften bei, als alle Anträge der Oppo-
sition zusammen. Dank unserer intensiven und erfolgrei-
chen Bemühungen haben die Werften größere betriebs-
wirtschaftliche Spielräume. Gleichzeitig haben wir damit
einen erheblichen Beitrag zur Sicherung der Arbeitsplätze
geleistet.
Hans-Michael Goldmann (FDP): Die zweite Natio-
nale Maritime Konferenz am Anfang dieser Woche in der
Hansestadt Rostock hat gezeigt, welche große Bedeutung
die maritime Wirtschaft, nicht nur an der Küste, sondern
insgesamt in Deutschland hat.
Die Säulen dieser maritimen Wirtschaft sind: Schiff-
bau und Werften, Seeverkehrs- und Hafenwirtschaft, ma-
ritime Zulieferer und Dienstleister, Meerestechniken, ma-
ritime wissenschaftstechnische Infrastruktur: Aber auch
maritimer Tourismus und Fischereiwesen, Meeresbiolo-
gie und Meeresmedizin sind außerordentlich bedeutend,
sie sichern eine Vielzahl hoch qualifizierter Arbeitsplätze
und haben aufgrund ihres Eigenpotenzials und angemes-
sener politischer Begleitung sehr gute Zukunftschancen.
Unter diesem Gesichtspunkt ist es zu begrüßen, dass
sich die Wettbewerbsbedingungen durch Kapazitätsver-
änderungen für die Werftindustrie in Mecklenburg-Vor-
pommern ein bisschen verbessert haben. Die Werften in
Mecklenburg-Vorpommern haben in den 90er-Jahren
hohe Investitionsbeihilfen erhalten, sodass moderne Wett-
bewerbs- und leistungsfähige Schiffbaubetriebe entstehen
konnten. Als Ausgleich dafür wurden den Werften in Wis-
mar, Rostock, Stralsund und Wolgast Kapazitätsbegren-
zungen auferlegt (327 000 cgt), die bis zum Jahre 2005
gelten sollen. Ab 2005 sollten diese Kapazitätsbegren-
zungen flexibel gehandhabt werden. Es war immer Anlie-
gen aller an der maritimen Wirtschaft, an den Werften und
ihren Arbeitsplätzen Interessierten, diese Kapazitätsbe-
schränkungen aufzuweichen.
Lange hat sich die europäische Ebene dagegen ge-
wehrt. Vor allem die Dänen waren es, die sich deutschen
Bestrebungen entgegenstellten. Es ist gut, dass es jetzt der
Bundesrepublik Deutschland mit Unterstützung der Län-
der und aller werftinteressierten Menschen geglückt ist,
eine Regelung auf europäischer Ebene zu erreichen, die
ein bisschen mehr Freiheit für die Werftindustrie in Meck-
lenburg-Vorpommern mit sich bringt. Aber die neue Frei-
heit, die im Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
bejubelt wird, weil die Bundesregierung in ganz hervor-
ragender Weise den Werften in Mecklenburg-Vorpom-
mern Rechnung getragen hat, sie relativiert sich bei ge-
nauem Hinsehen doch sehr stark.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119436
(C)
(D)
(A)
(B)
Denn die Werften in Mecklenburg-Vorpommern nut-
zen ihre Kapazitäten jährlich; insofern gibt es keine Ka-
pazitätsübertragung auf das nächste Jahr. Ein Verschieben
von Kapazitäten sozusagen innerhalb der Werftenland-
schaft Mecklenburg-Vorpommerns gibt es auch nicht.
Dafür ist auch die Konzernkonkurrenz zu stark. Und die
Vergabe werftypischer arbeitsintensiver Leistungen bei
der Berechnung ihrer Schiffbauproduktion in der
Großenordnung von 10 Prozent an andere schafft ver-
gleichsweise wenig neue Luft für die Werften.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die
Grünen und von der sozialdemokratischen Partei, Sie
übertreiben in Ihrem Antrag, wenn Sie sagen, dass diese
von der europäischen Kommission genehmigte neue
Regelung zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der
Werften in besonderer Weise dazu beiträgt, ihnen größere
betriebswirtschaftliche Spielräume zu verschaffen und
insbesondere Werftarbeitsplätze zu sichern. Dies ist nicht
der Fall. Wir müssen weiter kämpfen, und zwar für unsere
Werften, für unsere Werften insgesamt.
Der Blick muss dabei nach Südkorea gehen. Die Ver-
handlungen mit Südkorea bezüglich einer Einschränkung
der äußerst aggressiven Marktpreisdumpingpolitik sind
bis jetzt nicht von Erfolg gekrönt. Es reicht überhaupt
nicht aus, wenn der Rat der Europäischen Union die Kom-
mission unter anderem auffordert, sich weiter um faire
Wettbewerbsbedingungen für den maritimen Bereich, für
die Werften zu bemühen, indem unverzüglich konstruk-
tive Verhandlungen mit der Republik Korea aufzunehmen
sind, um dem unlauteren Wettbewerb Einhalt zu gebieten.
Mit Rechtsmitteln muss nicht nur gedroht werden, son-
dern sie müssen mit Nachdruck vorangetrieben werden.
Europa muss Farbe bekennen. Die Europäische Union
und nicht die europäische Schiffbauindustrie muss Klage
gegen Korea erheben.
Aber es gibt noch eine weitere Bedrohung, die die
Wettbewerbsfähigkeit deutscher Werften aushebelt. Da-
bei ist die Rede von der neuen Regelung für Exportkredite
für Schiffe (CIRR-Commercial Interest Reference Rate).
Mit Inkraftsetzen, der in Aussicht genommenen Zinsrege-
lung zu Beginn des Jahres 2002, besteht die Gefahr, dass
mit diesem neuen Instrument wiederum internationale
Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der EU und welt-
weit, das heißt insbesondere mit Korea entstehen. Wir be-
grüßen ausdrücklich, dass der Antrag von SPD/ Die Grü-
nen zum CIRR-Sachverhalt einen Bericht einfordert. Da
sitzen wir im selben Boot.
Deshalb haben wir zu dieser außerordentlich bedeutsa-
men Regelung bei Schiffbaukrediten (CIRR) als jüngstes
Beispiel für Wettbewerbsverzerrungen im Schiffsbau und
als ein Beispiel der Benachteiligung deutscher leistungs-
fähiger Werften eine Kleine Anfrage gestellt. Die Antwort
der Bundesregierung ist sehr interessant.
Ich freue mich, dass die CDU/CSU-Bundestagsfrak-
tion sowie SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit Anträgen
und Aktivitäten dazu beigetragen haben, die Wettbe-
werbsbedingungen für die Werftindustrie in Mecklen-
burg-Vorpommern zu verbessern. Die verbesserten Rah-
menbedingungen fallen in Mecklenburg-Vorpommern
auf fruchtbaren Boden. Ich finde es außerordentlich posi-
tiv, dass die IHK Rostock einen Arbeitsausschuss Mari-
time Wirtschaft für ihren IHK-Bereich und einen Ge-
samtausschuss Maritime Wirtschaft für das Land Meck-
lenburg-Vorpommern etabliert hat, der sich als
Sprachrohr aller ihrer Industrie- und Handelskammern für
die maritime Wirtschaft versteht.
Die FDP-Bundestagsfraktion wird auch zukünftig alle
Anstrengungen unternehmen, um der maritimen Wirt-
schaft in Deutschland den Stellenwert zu geben, der ihr
richtigerweise zusteht.
Rolf Kutzmutz (PDS): Auch ich möchte namens der
PDS-Fraktion von dieser Stelle aus dem maritimen Koor-
dinator der Bundesregierung, Herrn Staatssekretär
Dr. Gerlach, für sein bisheriges engagiertes und unterm
Strich recht erfolgreiches Wirken für die Zukunft der
Werften gerade auch in Mecklenburg-Vorpommern,
ausdrücklich danken. Wir begleiten diese Prozesse be-
kanntlich schon seit Jahren konstruktiv und offensiv wie
bisher eigentlich alle Fraktionen dieses Hauses. Und wer
die freudigen Reaktionen auf die erzielten und noch ab-
sehbaren Kompromisse auf der zweiten maritimen Kon-
ferenz am Dienstag in Warnemünde miterleben konnte,
der weiß, dass solche Politik auch von den Betroffenen
honoriert wird.
Umso mehr erstaunt und enttäuscht mich, dass die
von mir an sich geschätzten Kollegen Wolfgang Börnsen
und Ulrich Adam und mit ihnen ihre Fraktion seit
Ende September mit dem heute hier debattierten Antrag
von Bord gegangen sind. Sie von der CDU/CSU müss-
ten doch aus in langjähriger Regierungsverantwortung
erwachsener intimer Kenntnis der Brüsseler Szene ei-
gentlich am besten wissen, dass dort gerade bei Schiff-
baufragen das Florett intensiver Verhandlungen viel Er-
folg versprechender als der Säbel solcher Anträge mit
Maximalforderungen ist. Und ich finde es ausgespro-
chen unverfroren, dass ausgerechnet die Partei von Frau
Breuel und den Herren Kohl, Waigel und Seite, die den
Vulkan-Skandal politisch zu verantworten haben, sich
jetzt hinstellt, als könne man von Brüssel und den ande-
ren EU-Mitgliedstaaten das Blaue vom Himmel verlan-
gen. Ohne die notwendige Zweitfinanzierung nach dem
Vulkan-Debakel bräuchten wir uns heute nicht mit Ka-
pazitätsbeschränkungen auseinander setzen, wäre das
Misstrauen in die deutsche Beihilfepolitik allerorts nicht
so groß.
Wer heute einen Monat vor den entscheidenden Rats-
entscheidungen zur befristeten Fortführung der Werften-
hilfe so ein Spektakel anzettelt wie die CDU/CSU, der
setzt sich schon dem Verdacht aus, das Gegenteil von dem
erreichen zu wollen, was er öffentlich verkündet. Ich
glaube aber nicht, dass solches populistisches Vor-Wahl-
kampf-Getöse bei den Betroffenen verfängt. Es sollte
mich nicht wundern, wenn es auf seine Urheber zurück-
fällt.
Natürlich unterstützt die PDS in dieser Situation den
Antrag der Koalition. Wir alle sollten aber nicht die Au-
gen davor verschließen, dass nicht nur ja wahrscheinlich
nicht mal in erster Linie auf internationalem Parkett in
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19437
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Brüssel und bei der WTO , sondern hier zu Hause noch
Aufgaben zu erledigen sind, wenn der deutsche Schiffbau
weiter in der Weltklasse mitspielen will. Ich meine die
auch in Warnemünde erneut angemahnte stärkere Koope-
ration über alle Phasen des Wertschöpfungsprozesses hin-
weg von der Qualifizierung des Personals über For-
schung bis Vertrieb der Produkte. Erfolgreiche Ansätze,
wie das in Mecklenburg-Vorpommern entwickelte Inno-
regio-Projekt Maritime Allianz müssen auch andernorts
angeschoben und gefördert werden.
Und ich meine auch, dass wir bei einer Wiederauflage
einer modifizierten Werftenhilfe noch einmal über deren
Kostenverteilung reden müssen. Es geht nicht an, dass
zwei Drittel von den Küstenländern zu tragen sind, aber
30 Prozent der damit subventionierten Wertschöpfung
allein in Bayern und Baden-Württemberg stattfinden.
Wenn sich die CDU/CSU in dieser Frage mal zu einer Ini-
tiative aufschwingen würde, dann könnten wir sie auch
wieder ernst nehmen.
Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
minister für Wirtschaft und Technologie: Die Problematik
der Kapazitätsbegrenzungen der Werften in Mecklen-
burg-Vorpommern muss vor dem Hintergrund des hier
geltenden europäischen Rechts beurteilt werden.
Wie Sie wissen, haben in den Neunzigerjahren die ost-
deutschen Werften hohe Investitionsbeihilfen aus öffent-
lichen Mitteln erhalten: 5 Milliarden DM. Diese von der
Europäischen Kommission auf der Grundlage der so ge-
nannten Siebten Schiffbaurichtlinie genehmigten Bei-
hilfen ermöglichten die erfolgreiche Privatisierung und
Erhaltung dieser Werften.
Als wettbewerblicher Ausgleich gegenüber den ande-
ren europäischen Werften mussten die ostdeutschen
Schiffbaukapazitäten bis Ende 1995 um 40 Prozent auf
insgesamt 327 000 cgt compensated gross tonnage, eine
Maßzahl für die schiffbauliche Leistung reduziert und
für zehn Jahre auf diese Höhe begrenzt werden. Übrigens
entsprach dieser Kapazitätsabbau etwa dem Schrump-
fungsprozess, der auch in den Schiffbauindustrien der an-
deren EU-Staaten in den Achtzigerjahren stattgefunden
hat.
Das schon erwähnte einschlägige europäische Recht
ließ es zu, dass die EU-Kommission nach fünf Jahren
also nach Ablauf des Jahres 2000 und nach Maßgabe
der weltweiten Verhältnisse von Angebot und Nachfrage
auf den Schiffbaumärkten die Kapazitätsbegrenzungen
hätte lockern oder aufheben können.
Dieser Rechtslage steht seit langem entgegen, dass seit
Jahren eine Lockerung wünschenswert ist. Denn um ihre
Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, hatten die ostdeut-
schen Werften auch nach ihren Umstrukturierungen
weltweiten Trends im Schiffbausektor folgend ihre
Fertigungstiefen weiter verringert. Auf die damit erreich-
ten hohen Produktivitätszuwächse konnte wegen der star-
ren Kapazitätsbegrenzungen nur mit weiterem Arbeits-
platzabbau reagiert werden.
Auf diese Situation haben die Landesregierung Meck-
lenburg-Vorpommern und die Bundesregierung zum Ab-
lauf der Fünfjahresfrist rechtzeitig reagiert. Im Frühjahr
2000 ein Jahr vorher stellte die Bundesregierung bei
der EU-Kommission den Antrag auf Lockerung der Ka-
pazitätsgrenzen. Dieser Antrag ist von der EU-Kommis-
sion abgelehnt worden.
Sie hat ihre Ablehnung mit den bestehenden hohen
Überkapazitäten auf dem Schiffbauweltmarkt begründet.
Sie verwies darauf, dass die ostdeutschen Werften zwar
zum größten Teil Containerschiffe bauen, dass sie aber
auch in der Lage sind und es auch tatsächlich tun , bei-
spielsweise Kreuzfahrtschiffe zu bauen. Damit stehen sie
im Wettbewerb mit anderen europäischen Werften. Bei
Containerschiffen ist die Lage auf den Weltschiff-
baumärkten nach wie vor angespannt. Es gab auch aus
einzelnen Mitgliedstaaten entsprechend deutliche ableh-
nende Signale.
Eine formale Anhebung der Kapazitätsgrenzen der
ostdeutschen Werften hat aufgrund der geltenden Rechts-
lage und gegenwärtigen Marktlage keine Chancen. Die-
ser Tatsache Rechnung tragend, unterbreitete die Bun-
desregierung den Vorschlag, eine systemkonforme
Neubewertung der bis 2005 weiter geltenden Kapazitäts-
grenzen vorzunehmen. Diesem Vorschlag, durch den die
ostdeutschen Werften größere betriebswirtschaftliche
Spielräume erhalten, ist die EU-Kommission jetzt weit-
gehend gefolgt.
Angesichts intensiver Bemühungen der Bundesregie-
rung hat die Kommission vor wenigen Tagen die Ent-
scheidung getroffen, dass die Kapazitätsbegrenzungen
der Werften in Mecklenburg-Vorpommern in Zukunft fle-
xibel gehandhabt werden können. Ab 2001 dürfen in ei-
nem Jahr nicht genutzte Kapazitäten auf das nächste Jahr
oder eine andere Werft übertragen und an Dritte verge-
bene Leistungen bei der Berechnung der Schiffbaupro-
duktion berücksichtigt werden.
Das ist das bestmögliche Ergebnis, das den ostdeut-
schen Werften mehr Luft zum Atmen lässt und den größ-
ten Teil ihrer Probleme löst. Die von der Europäischen
Kommission genehmigte Regelung trägt zur Sicherung
der Wettbewerbsfähigkeit und zur Erhaltung der Arbeits-
plätze der ostdeutschen Werften bei. Beispielsweise und
das ist ein sehr greifbares Resultat könnte daraufhin bei
der Aker-MTW-Werft, Wismar, seit Oktober anberaumte
Kurzarbeit für rund 400 Mitarbeiter wieder beendet wer-
den. Alle Werften haben die Flexibilisierung begrüßt. Sie
eröffnet durch die jetzt mögliche Übertragung von 2001
auf 2002 bei einigen Werften im nächsten Jahr sogar noch
mehr Spielraum.
Lassen Sie mich anknüpfend an diese für einen
großen Bereich des deutschen Schiffbaus wichtige Ver-
besserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen
kurz über die vorgestern stattgefundene Zweite Nationale
Maritime Konferenz berichten. Die Konferenz hat ein Si-
gnal für alle am Schiffbau Beteiligten gegeben, gemein-
sam die Zukunftschancen für den maritimen Sektor in
Deutschland zu ergreifen.
Stichworte waren neue Technologien, mehr Koopera-
tion, Schaffung eines Netzwerkes, Maßnahmen gegen
Ausflaggung.
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Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
a) des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung
des zivilrechtlichen Schutzes bei Gewalttaten
und Nachstellungen sowie zur Erleichterung
der Überlassung der Ehewohnung bei Tren-
nung
b) der Beschlussempfehlung und des Berichtes
zu:
der Unterrichtung: Aktionsplan der Bun-
desregierung zur Bekämpfung von Gewalt
gegen Frauen
dem Antrag: Ankündigungen zur Bekämp-
fung von Gewalt gegen Frauen
dem Antrag: Frauenrechte sind Menschen-
rechte Gewalt gegen Frauen effektiver
bekämpfen
der Unterrichtung: Entschließung des Eu-
ropäischen Parlaments zu der Mitteilung
der Kommission an den Rat und das Euro-
päische Parlament Weitere Maßnahmen
zur Bekämpfung des Frauenhandels
Ronald Pofalla (CDU/CSU): Gewalt darf in unserer
Gesellschaft keine Chance haben. Auch die Familie oder
die Partnerschaft sind kein rechtsfreier Raum. Durch den
vorliegenden Gesetzentwurf wird insoweit Klarheit ge-
schaffen. Es werden Regelungslücken geschlossen sowie
Instrumentarien zur Eindämmung der Folgen von Gewalt
eingeführt. Diesem Gesetzentwurf kommt daher Signal-
wirkung zu. Er sorgt dafür, dass zum einen derjenige, der
prügelt und Gewalt gegen den Partner oder auch die Kin-
der anwendet, sich über die Folgen im Klaren sein muss.
Er sorgt weiterhin dafür, dass den Opfern häuslicher Ge-
walt Möglichkeiten gegeben werden, sich vor weiteren
Gewalttaten und Erniedrigungen zu schützen.
Das Optimum wäre natürlich, Gewalt von vornherein
zu verhindern, doch das ist nicht möglich. Aber andau-
ernde Gewalt und ständige Misshandlungen können nun
bekämpft werden. Der Eingriff in die Privatsphäre der Fa-
milie bzw. Partnerschaft bleibt zugleich erträglich und ist
auch gerechtfertigt. Prügeln ist eben nicht Privatsache.
Der Gesetzentwurf verdient deshalb grundsätzlich un-
sere Zustimmung, nicht zuletzt auch deswegen, weil ent-
scheidende Änderungen im Laufe des Gesetzgebungsver-
fahren vorgenommen worden sind.
So ist insbesondere zu begrüßen, dass nunmehr das
Kindeswohl als Tatbestandsmerkmal in § 2 Abs. 6 des Ge-
setzentwurfes ausdrücklich berücksichtigt wird. Erst jetzt
schützt das Gesetz umfassend und lässt keinen Raum
mehr für Interpretations- und Auslegungsversuche. Ge-
rade Kinder müssen vor der Saat der Gewalt geschützt
werden, die leider manchmal bereits in der Familie gelegt
wird. Durch die Änderungen und die Aufnahme des Kin-
deswohls ist endgültig und eindeutig geklärt: Auch Kin-
der müssen vor häuslicher Gewalt geschützt werden.
Obwohl die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dem Ge-
setzentwurf im Großen und Ganzen zustimmt, lehnen wir
gleichwohl die Art. 10 und 11 des Entwurfes, in denen die
Situation gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften
berücksichtigt wird, ab. Es soll hier keine präjudizierende
Wirkung für das noch im Streit befindliche Lebenspart-
nerschaftsgesetz von der Entscheidung über den vorlie-
genden Gesetzentwurf ausgehen.
Ein wichtiger Grund für die Zustimmung der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist jedoch auch die Art
und Weise des Gesetzgebungsvorgangs selbst. Ganz im
Gegensatz zu den Gesetzgebungsverfahren beispiels-
weise bei der unseligen ZPO-Reform oder gar dem so ge-
nannten Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, bei dem die
Gesetzentwürfe mehr oder minder am Bundestag und sei-
nen Gremien in hohem Tempo vorbeigezogen wurden,
fand im vorliegenden Fall eine gute und konstruktive Zu-
sammenarbeit zwischen der Regierung und den Bundes-
tagsfraktionen statt.
Tatsache ist, dass hier mit der Regierung namentlich
mit dem Parlamentarischen Staatssekretär, dem Herrn
Kollegen Professor Pick und mit den Kolleginnen und
Kollegen der Koalitionsfraktionen ein reibungsloses und
sachliches Zusammenarbeiten möglich war. Frei von
ideologischen Scheuklappen und persönlichen Eitelkeiten
konnten hier sinnvolle Lösungen gefunden werden. Eine
Situation, die man leider in letzter Zeit aufgrund des Re-
formierungseifers der Ministerin und den daraus resultie-
renden Hoppla-Hopp-Gesetzen nicht sehr häufig im
Rechtsausschuss vorfinden konnte. Gerade deswegen
möchte ich mich bei dem Kollegen Herrn Staatssekretär
Professor Pick bedanken, der meines Erachtens sehr viel
Ruhe in die Diskussion gebracht hat, für die Art und Weise
der Berichterstattergespräche.
Auch den Kolleginnen und Kollegen Berichterstatterin-
nen und Berichterstattern gilt mein Dank für ein erfolg-
reiches Verfahren. Hier insbesondere der Kollegin Frau von
Renesse, der es gelungen ist, ein gutes Arbeits- und Dis-
kussionsklima unter den Berichterstattern zu schaffen. Ihre
Besonnenheit und Sachkunde waren hier sehr von Nutzen.
Von Anfang an konnten Opposition und Koalition mitei-
nander diskutieren. Der Erfolg liegt nun auf der Hand: ein
durchdachtes, von allen Fraktionen getragenes Gesetz.
Ich würde es sehr begrüßen, wenn wir in Zukunft mehr
Gesetze in dieser Form verabschieden könnten. Damit
wäre allen geholfen, vor allem aber den Bürgerinnen und
Bürgern. Denn auf vernünftige und durchdachte Gesetze
haben die Bürgerinnen und Bürger einen Anspruch. Wenn
aber Gesetze nur aufgrund parlamentarischer Mehrheiten
und nicht durch politischen Diskurs in die Welt gesetzt
werden, können sie nicht die Qualität von Gesetzen ha-
ben, die durch Konsensfindung und aufgrund fachlicher
Diskussionen in den Ausschüssen entstanden sind. Dieses
bitte ich die Kolleginnen und Kollegen der Regierungs-
koalition und insbesondere auch die Frau Ministerin in
Zukunft zu bedenken.
Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der
Justiz: Ich finde es bedauerlich, dass wir angesichts der
Bedeutung dieses wichtigen Gesetzes nur so wenig Zeit
haben, um uns mit der Bekämpfung der Gewalt gegen
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Frauen und der häuslichen Gewalt insgesamt zu befassen.
Gerade in einer Zeit, in der sich viele Menschen ange-
sichts äußerer Bedrohungen in die eigenen vier Wände
zurückziehen, ist es doch besonders tragisch, wenn einige
auch dort den erhofften Frieden und die ersehnte Gewalt-
losigkeit nicht finden können.
Deshalb ist es umso wichtiger, dass viele Frauen den
heutigen Tag, an dem der Deutsche Bundestag endlich
nach vielen Jahren der vergeblichen Forderungen dieses
Gewaltschutzgesetz beschließt, als guten Tag rot in ihrem
Kalender anstreichen. Ich freue mich auch, dass viele
Frauen aus Frauenhäusern und aus dem Berliner Inter-
ventionsprojekt trotz der späten Abendstunde hierher in
den Bundestag gekommen sind, um diesen Beschluss
selbst mitzuerleben.
Lassen Sie mich gleich zu Beginn meines Beitrages
klarstellen: Bei der Bekämpfung von Gewalt gegen
Frauen geht es nicht darum, irgendeinen Geschlechter-
kampf mit pauschalen Schuldzuweisungen an das eine
oder andere Geschlecht auszufechten. Das Gewaltschutz-
gesetz ist kein Antimännergesetz, obwohl das ist eine
schreckliche Zahl rund 85 Prozent der Geschlagenen
Frauen sind. Vielmehr geht es darum, dass Gewalt als
Mittel zur Lösung von privaten Konflikten nicht akzepta-
bel ist, egal ob die Gewalt von Männern gegen Frauen
oder von Frauen gegen Männer auch das soll in circa
acht Prozent der Fälle so sein verübt wird. Unser
Rechtsstaat kann sie nicht tolerieren; Polizei, Gerichte,
Gesetzgeber dürfen nicht wegsehen.
Wenn die von uns allen gewünschte Gesellschaft mit
weniger Gewalt Wirklichkeit werden soll, ist es eine un-
serer wichtigsten Aufgaben, unsere Anstrengungen auch
und gerade auf die Verhinderung häuslicher Gewalt zu
richten. Wir müssen dies schon deshalb tun, weil Gewalt-
erfahrung bei Kindern eben auch dazu führt, dass dies spä-
ter als falsche Konfliktslösungsmuster weitergegeben
werden, sprich: Gewalt gebiert Gewalt. So verewigt sich
der Gewaltkreislauf.
Da mein Zeitbudget so begrenzt ist, möchte ich nur
drei mir besonders wichtig erscheinende Punkte hervor-
heben:
Erstens. Das Gewaltschutzgesetz ist ein Meilenstein
bei der Bekämpfung von Gewalt im häuslichen Bereich.
Zweitens. Das Gewaltschutzgesetz muss in der Praxis
mit Leben erfüllt werden.
Drittens. Wir dürfen in unseren Bemühungen, in den
Köpfen der Menschen die Einstellung zu häuslicher Ge-
walt zu verändern, nicht nachlassen; denn dies ist ein lan-
ger und mühevoller Weg.
Zum ersten Punkt: Das Gewaltschutzgesetz ist ein Mei-
lenstein. Häusliche Gewalt hat es zu allen Zeiten gegeben
und wird es wohl leider auch in Zukunft trotz aller
Bemühungen immer geben. Sicherlich sind die Zeiten
längst vorbei, als die Juristen unter ausdrücklicher Billi-
gung durch kirchliche Autoritäten den Ehemännern ein
Recht zur Züchtigung ihrer Ehefrauen zugestanden haben.
Den betroffenen Frauen mag es wenig genutzt haben, dass
die Züchtigung erst am Ende eines Stufenplans
freundliche Ermahnung; wenn dies nicht nutzte, heftiges
Schelten; dann körperliche Züchtigung stand und nur
mäßig ausgeübt werden sollte, denn die Demütigung, die
Ohnmacht und die Verletzungen blieben. In der Regel wa-
ren die Frauen der Gewalt hilflos ausgesetzt. Die Obrigkeit
schritt nur bei exzessivem Gebrauch des Züchtigungsrechts
ein. Dann war sie aber auch erfinderisch bei den Strafen,
wie ein Wirtshausverbot für schlagende Männer belegt.
Da wir schon bei der Rechtsgeschichte sind: Hier fin-
det sich auch etwas über Männer, die Opfer ihrer Ehe-
frauen geworden sind. Hatten Männer sich von ihren Ehe-
frauen schlagen lassen, so wurden sie dafür von der
Obrigkeit bestraft; denn dies wurde als ein Verstoß gegen
die göttliche Ordnung angesehen. Entweder wurde als Eh-
renstrafe wie in der Stadt Zwickau das Dach des Wohn-
hauses abgedeckt, da der Ehemann dessen Schutz nicht
mehr würdig war. Eine besonders schimpfliche Strafe war
der so genannte Eselsritt: Der Esel galt schon damals als
Inbegriff der Dummheit, der Lasterhaftigkeit, Trägheit
und Störrigkeit. Der arme Sünder musste einen Ritt auf
dem Esel durch die Stadt machen, wobei er dem Gespött
der Mitbürgerinnen und Mitbürger ausgesetzt war. Eine
besonders demütigende Variante beim Eselsritt war, dass
die Person rücklings auf dem Tier sitzen und sich mit den
Händen an dessen Schwanz festklammern musste.
Zurück in die Gegenwart: Das Züchtigungsrecht des
Ehemannes ist schon lange nicht mehr anerkannt, und
trotzdem ist doch lange Zeit entschieden zu wenig zur
Verhinderung dieser Gewalt unternommen worden. Es ist
nämlich erst 25 Jahre ich wiederhole: 25 Jahre her,
dass hier in Berlin das erste Frauenhaus in Deutschland
eingerichtet worden ist und das Tabuthema häusliche
Gewalt ans Tageslicht geholt wurde. Heute gibt es sechs
dieser Zufluchtsstätten in Berlin und die vorhandenen
Plätze reichen gerade einmal aus. Die Zahl der wegen
häuslicher Gewalt um Rat suchenden Frauen hat daneben
stetig zugenommen. Aber so wichtig Frauenhäuser und
Frauenberatungsstellen sind und auch in Zukunft bleiben
werden: Wir müssen das Übel an der Wurzel packen. Wir
müssen die häusliche Gewalt an der Wurzel bekämpfen
und den Tätern durch geeignete Sanktionen klar machen,
dass körperliche Gewalt zur Lösung von privaten Kon-
flikten nicht geduldet wird.
Der Schläger geht, die Geschlagene/der Geschlagene,
das Opfer bleibt. Diesen Grundsatz werden wir mit dem
Gewaltschutzgesetz verankern. Wir muten es den Opfern
nicht mehr länger zu, selber für ihren Schutz zu sorgen
und dabei auch den Verlust der vertrauten Wohnung und
Umgebung in Kauf nehmen zu müssen. Aber den Tätern
muten wir nicht nur den zumeist vorläufigen Verlust
zu. Der gerichtlich verordnete Wohnungsverlust hilft ih-
nen dabei, sich der eigenen Probleme bewusst zu werden.
Viele leugnen ja die Anwendung der Gewalt überhaupt
oder, wenn sie sie zugeben, verniedlichen sie sie. Das wis-
sen wir nicht erst seit der unbewussten ausholenden
Handbewegung, die vor einigen Wochen für Schlagzei-
len in den Medien sorgte.
Ganz besonders müssen wir an die Kinder denken, die
Gewalt unter ihren Eltern oder bei einem Elternteil mit
dessen Partner miterleben und deshalb miterleiden. Ich
kann daher nur unterstützen und begrüßen, dass der Aspekt
des Kindeswohls als Ergebnis der parlamentarischen Be-
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ratungen noch stärker im Gewaltschutzgesetz berücksich-
tigt wird. Wir wollen im Rahmen der Beratungen zum Ge-
setzentwurf des Kinderrechte-Verbesserungsgesetzes
noch nach weiteren Möglichkeiten suchen, um den Schutz
der Kinder bei häuslicher Gewalt zu verbessern.
Wenn wir heute übrigens im Gegensatz zum Gesetz,
in dem wir die Gewalt als Mittel der Erziehung geächtet
haben, glücklicherweise über die Grenzen der Fraktionen
hinweg gemeinsam das von der Bundesregierung erar-
beitete Gewaltschutzgesetz verabschieden werden, so ist
dies wirklich ein Meilenstein. Damit haben wir wirklich
ein Denkmal gesetzt.
Zum zweiten Punkt: Das Gewaltschutzgesetz muss in
der Praxis mit Leben erfüllt werden. Wir alle wissen: Das
beste Gesetz nutzt nichts, wenn es in der Praxis nicht rich-
tig angewendet wird. Deshalb appelliere ich an die Län-
der, uns bei unserem Bemühen zu unterstützen. Ganz be-
sonders ist es zu begrüßen, wenn in einigen Bundes-
ländern eigene Aktionspläne zur Bekämpfung von Gewalt
gegen Frauen aufgelegt werden. Wir wissen: Ein schnel-
les Eingreifen und damit ein Eingreifen der Polizei ist bei
häuslichen Gewalttaten zum Schutz der Opfer unabding-
bar. Es gibt Modellversuche in einigen Ländern, deren
Wirkungen heute schon abgeschätzt werden können: Der
Erfolg ist klar. Deshalb sind einige Bundesländer auch
schon dabei, ihre Polizeigesetze zu ändern und die Woh-
nungsverweisung durch die Polizei ausdrücklich zu re-
geln. Ich freue mich, dass wir in den Länderpolizeigeset-
zen dem österreichischen Wegweisungsrecht entsprech-
ende Regelungen bekommen. Ich erinnere nur an das bre-
mische Gesetz, dort steht die entsprechende Regelung
schon im Gesetzblatt vom 26. Oktober 2001.
An die Bundesländer, die ihre Polizeigesetze aus wel-
chen Gründen auch immer nicht ergänzen wollen, appel-
liere ich, von den bestehenden polizeirechtlichen Mög-
lichkeiten Gebrauch zu machen und verstärkt Wohnungs-
verweisungen bei häuslicher Gewalt auszusprechen. Ein
gutes Funktionieren der gesetzlichen Regelungen in der
Praxis erfordert aber auchAus- und Fortbildungsmaßnah-
men bei der Polizei, bei der Justiz, bei den Beratungsstel-
len und Frauenhäusern, und ich kann hier auch nur an die
Länder appellieren, hier die nötigen Maßnahmen zu tref-
fen.
Damit komme ich auch zu meiner dritten und ab-
schließenden Bemerkung: Wir dürfen in unseren Bemühun-
gen, in den Köpfen der Menschen die Einstellung zu häus-
licher Gewalt zu verändern, nicht nachlassen. Wir müssen
hier zu einem Umdenken gelangen. Häusliche Gewalt ist
keine Privatangelegenheit; es ist keine bloße Familienstrei-
tigkeit, wie sie auch oft verharmlosend genannt wird. Es
geht hier um wichtige Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit
oder Freiheit; Menschenrechte, für deren Schutz sich die
Rechtsordnung doch sonst so stark macht und einsetzt. Der
Schutz kann nicht an der Haustür enden. Mit dem Gesetz zur
Ächtung der Gewalt in der Erziehung haben wir das Recht
eines jeden Kindes auf gewaltfreie Erziehung im Bürger-
lichen Gesetzbuch verankert. Mit vielen Maßnahmen ver-
suchen wir zu einer Veränderung im Bewusstsein der Eltern
auch der künftigen beizutragen. Auch bei der häuslichen
Gewalt unter Erwachsenen müssen wir das Bewusstsein
dafür schaffen, dass Gewalt nicht Recht ist.
Das Reichsgericht hat in einer Entscheidung in Straf-
sachen aus dem Jahr 1885 zum Züchtigungsrecht des Ehe-
mannes ausgeführt: Ein Erziehungsrecht oder eine Er-
ziehungspflicht des Mannes gegenüber der Ehefrau ergibt
sich aus diesen Bestimmungen gemeint ist das Preußi-
sche Allgemeine Landrecht in keiner Weise und ein
solches Erziehungsrecht ist die Grundlage des Züchti-
gungsrechts. Beim Mangel dieses Rechtes und einer aus-
drücklichen gesetzlichen Bestimmung fehlt es für die An-
nahme eines Züchtigungsrechtes des Ehemannes gegen
die Ehefrau im preußischen Rechte an jeder Grundlage.
In seiner Entscheidung beruft sich das Reichsgericht
zur Bestätigung seiner Auffassung auf ein Reskript aus
dem Jahre 1812 aus dem Jahre 1812 sowie auf die
ständige Rechtsprechung des Obertribunals zu Berlin. Am
Ende der Entscheidung heißt es dann, dass das Strafge-
setzbuch ich zitiere unzweideutig zu erkennen gebe,
dass es weder den Tatbestand der Körperverletzung noch
deren Verfolgbarkeit als mit dem Wesen der Ehe unver-
träglich ansieht.
Wenn also schon seit fast 200 Jahren für einen großen
Teil unseres Landes anerkannt ist, dass sich ein Ehemann
bei Misshandlung seiner Ehefrau wegen Körperverlet-
zung strafbar macht, warum sind dann so lange Zeit so
viele Straftaten von den staatlichen Organen und der Ge-
sellschaft geduldet worden? Ich meine, dieses Beispiel
zeigt, dass das Problem in den Köpfen der Menschen sitzt,
wie hartnäckig sich alte Vorstellungen in den Köpfen hal-
ten können. Da müssen wir nun ansetzen. Dass Recht und
Gewalt sich nicht vereinbaren lassen, belegt schon ein al-
tes deutsches Rechtssprichwort: Wo Gewalt Recht ist,
hat das Recht keine Gewalt.
Heute können wir gemeinsam der Gewalt das Recht
entgegensetzen und damit einen wichtigen Beitrag für un-
seren Rechtsstaat leisten!
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Gesetzentwürfe zu:
Änderung des Gesetzes zu dem Übereinkom-
men vom 18. Dezember 1979 zur Beseitigung
jeder Form von Diskriminierung der Frau
Entschließung vom 22. Mai 1995 zur Ände-
rung des Übereinkommens vom 18. Dezember
1979 zur Beseitigung jeder Form der Diskri-
minierung der Frau
Fakultativprotokoll vom 6. Oktober 1999 zum
Übereinkommen vom 18. Dezember 1979 zur
Beseitigung jeder Form von Diskriminierung
der Frau
Renate Gradistanac (SPD): Bisher war sie eine
zahnlose Tigerin, die UN-Konvention zur Beseitigung je-
der Form von Diskriminierung der Frau, kurz: CEDAW.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19441
(C)
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(A)
(B)
Ab jetzt können diskriminierte Frauen direkt vor dem
UN-Frauenrechtsausschuss klagen oder die Überprüfung
eines frauenfeindlichen Gesetzes beantragen. So weit
mein Zitat aus der letzten Emma.
Frauen oder Frauenrechtsorganisationen können also
künftig ihre Rechte vor dem UN-Frauenrechtsausschuss
geltend machen, wenn der nationale Rechtsweg ausge-
schöpft ist. Damit stärkt das Fakultativprotokoll zum
Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskri-
minierung der Frau die nationalen und internationalen
Rechte der Frauen.
Das über 20-jährige CEDAW-Abkommen hat
Schwächen durch das Recht der Vertragsstaaten auf Vor-
behalte. Auch die Bundesrepublik Deutschland hat 1985
ihren Vorbehalt bei der Hinterlegung der Ratifizierungs-
urkunde erklärt. Der Grund dafür war, dass der freiwillige
Dienst von Frauen mit der Waffe in der Bundeswehr da-
mals nicht möglich war. Heute ist dies verfassungsrecht-
lich geklärt und der Vorbehalt kann zurückgenommen
werden.
Eine Reihe von Vertragstaaten begründet ihre Vorbe-
halte mit dem Verweis auf Religion und religiöses Recht
oder mit dem Verweis auf traditionelle Gebräuche.
Vorbehalte gibt es zum Beispiel gegen Art. 16 Ehe und
Familie von Staaten mit islamischer Religion. Dadurch
wird die Wirksamkeit des Übereinkommens erheblich
eingeschränkt.
Das Frauenrechtsübereinkommen hat im Übrigen die
meisten Vorbehalte von allen Menschenrechtsüberein-
kommen.
Anfang des Jahres 2000 wurden die deutschen Staa-
tenberichte, die die Situation in Deutschland bis 1998 wi-
derspiegeln, präsentiert. Der CEDAW-Ausschuss zeigte
sich betroffen darüber, dass Teilzeitbeschäftigung vor al-
lem im Bereich gering qualifizierter Tätigkeiten angebo-
ten wird und deshalb weniger Möglichkeiten für berufli-
ches Vorankommen bestehen. Weiter war der Ausschuss
betroffen darüber, dass Einrichtungen, die zur besseren
Vereinbarkeit von Familie und Beruf gedacht sind, wie
zum Beispiel Kinderkrippen, Ganztagskindergärten und
Betreuungseinrichtungen für Kinder im schulpflichtigen
Alter, nur im geringen Umfang zur Verfügung stehen und
insbesondere Ganztagsschulen in Deutschland die Aus-
nahme darstellen.
Der CEDAW-Ausschuss lobte die neue SPD-geführte
deutsche Bundesregierung dafür, dass sie eine große De-
legation mit einem umfangreichen Sachverstand ge-
schickt hat, die von der Parlamentarischen Staatssekretä-
rin Edith Niehuis im Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend geleitet wurde. Der Aus-
schuss lobte die neue Regierung weiterhin für ihre breit
angelegten gesetzgeberischen und politischen Initiativen,
Programme und Projekte, die der verfassungsrechtlichen
Garantie der Gleichberechtigung von Frauen und Män-
nern tatsächliche Geltung verschaffen sollen, insbeson-
dere das Programm Frau und Beruf, das darauf ausge-
richtet ist, die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in
allen gesellschaftlichen Bereichen zu ermöglichen.
Mit unserem Aktionsprogramm zur Bekämpfung von
Gewalt gegen Frauen, mit dem Kernstück des heute ver-
abschiedeten Gewaltschutzgesetzes, haben wir die Anre-
gungen des Ausschusses aufgenommen, Schritte zur
Bekämpfung häuslicher und familiärer Gewalt zu unter-
nehmen. Positiv wurde vermerkt, dass die SPD-geführte
Bundesregierung eine Studie über die Lebenssituation
und soziale Integration ausländischer Frauen und
Mädchen in Auftrag gibt. Der Ausschuss bittet darum, im
nächsten Bericht eine umfassende Bewertung der Situa-
tion ausländischer Frauen vorzunehmen, einschließlich
ihres Zugangs zu Bildung und Ausbildung, zu Arbeit und
den damit verbundenen Sozialleistungen sowie zur Kran-
ken- und Sozialversicherung.
Ich gehe davon aus, dass das CEDAW-Beschwerde-
recht lebendiges Recht sein wird, das von Frauen und
Frauenbewegten aktiv für die Herstellung von tatsächli-
cher Gleichberechtigung genutzt werden wird. Vorrangi-
ges Ziel muss es jetzt sein, nachdem man sich auf das neue
Instrument geeinigt hat, dass möglichst viele CEDAW-
Vertragsstaaten das Zusatzprotokoll ratifizieren; denn nur
Frauen aus diesen Vertragsstaaten werden es anwenden
können.
Lobenswert finde ich dass die SPD-geführte Bundes-
regierung erstmals eine Broschüre herausgegeben hat, um
CEDAW einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen.
Ich wünsche mir, dass in Zukunft für die Frauenbewe-
gung, die seit jeher international vernetzt und gut organi-
siert ist, die Hemmschwelle, sich auf ein internationales
Verfahren einzulassen, geringer wird. Diskriminierung
und Benachteiligung von Frauen ist nicht nur als soziales
oder politisches, sondern auch als rechtliches Problem zu
sehen.
Renate Diemers (CDU/CSU): Seit einigen Tagen
wird in der Presse insbesondere in den Berliner Tages-
zeitungen über einen Aufsehen erregenden Fall von Dis-
kriminierung berichtet. Es handelt sich um die Tochter ei-
nes Diplomaten aus einem befreundeten moslemischen
Land.
Dem 15-jährigen Mädchen wird von ihrem Vater vor-
geworfen, sie habe Kontakt zu einem Jungen gehabt.
Nachdem sie deswegen zur Strafe von ihrem Vater ge-
schlagen worden war, flüchtete sie in ein Berliner Heim
für moslemische Mädchen. Dort bat sie um Hilfe, da sie
um ihr Leben fürchte. Ihr drohe im Heimatland der Tod
wegen Verletzung der Familienehre.
Der Vater buchte tatsächlich in der Zwischenzeit einen
Flug für die Tochter nach Hause. Derzeit wird der Fall vor
dem Vormundschaftsgericht vorbereitet. Der Entzug des
Sorgerechtes ist wegen der diplomatischen Immunität des
Vaters zwar nicht unmöglich, aber im Prinzip nicht zu er-
warten. Nach Einschätzung von Fachleuten bei UNICEF
und Amnesty International scheinen nun zwei Fakten
festzustehen: Zum Ersten droht dem Mädchen in der Tat
die Steinigung oder die Zwangsheirat und zum Zweiten
gestaltet es sich sehr schwierig, dem Mädchen trotz des
derzeitigen Aufenthaltes in Deutschland zu helfen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119442
(C)
(D)
(A)
(B)
Ich möchte mit diesem Fall, der sich direkt vor unseren
Augen zu einer Tragödie entwickelt, auf die Vielschich-
tigkeit des Themas Diskriminierung aufmerksam ma-
chen. Diskriminierung ist viel mehr als Benachteiligung
und es ist keineswegs nur eine ungerechte Behandlung.
Derartige Diskriminierung wie in dem aktuellen Fall ist
zutiefst menschenverachtend, sie ist entwürdigend und
widerspricht allen Menschenrechten. So ist Diskriminie-
rung keine Familienangelegenheit.
Allerdings dürfen wir das Problem der Diskriminie-
rung nicht immer nur anhand von Einzelfällen themati-
sieren, sondern es ist zwingend notwendig, die Problema-
tik insgesamt mit ihren kompletten systematischen
Strukturen anzugehen. Sehr hilfreich und absolut notwen-
dig war, dass in den UN-Übereinkommen von 1979 der
Begriff Diskriminierung eindeutig definiert wurde: Beab-
sichtigte und unbeabsichtigte Diskriminierungen gehören
dazu.
Die krassen und krassesten Beispiele für Diskriminie-
rung sind relativ bekannt: Drangsalierungen, Berufsver-
bote, Beschneidungen und auch die offene Androhung ei-
ner Tötung bei angeblichem Fehlverhalten. Aber auch
für uns inzwischen selbstverständliche Rechte wie zum
Beispiel das Wahlrecht, die Wohnortwahl, die Teilnahme
am kulturellen Leben, Mitarbeit in Vereinen oder schlicht-
weg Autofahren oder der Besuch von Schulen werden den
Frauen und Mädchen in vielen Ländern bis heute vorent-
halten.
Diese Verbote bzw. frauenverachtenden Gesetze wer-
den vielfach mit kulturellen Unterschieden, religiösen
Aspekten und anderen Traditionen begründet. Aber sind
wirklich die besagten kulturellen oder religiösen Unter-
schiede, die anderen Sitten und Gebräuche in vielen Staa-
ten die Hauptursache für Diskriminierungen? Diese Frage
wird meistens auch bei uns mit einem Ja beantwortet
und ich muss zugeben, dass es vordergründig auch so
scheint.
Wir sollten uns jedoch darüber im Klaren sein, dass wir
wenn wir dieser Argumentation folgen zugleich eine
Unvermeidlichkeit der Situation akzeptieren. Das heißt,
es wäre dann eben aufgrund der unterschiedlichen kultu-
rellen und religiösen Traditionen nahezu selbstverständ-
lich, dass Frauen diskriminiert werden.
Außerdem möchte ich an dieser Stelle noch hinzufü-
gen, dass dieser Versuch einer Erklärung mit der immer
noch bestehenden allgemeinen Tabuisierung des Themas
Gewalt gegen Frauen einhergeht. Allein schon aus diesen
Gründen lehne ich die Scheinargumentation hinsichtlich
der Traditionen und Religion ab. Keine Diskriminierung,
also auch von Frauen und Mädchen, ist durch irgendetwas
zu rechtfertigen, weder durch Religion noch durch Sitten
oder Traditionen. Wir sollten, wir müssen offen und mu-
tig mit dieser Frage umgehen und das Kernproblem von
Ungleichbehandlung beim Namen nennen: Die eigentli-
che Ursache liegt in der Machtverteilung zwischen
Frauen und Männern. Sobald diese Machtfrage als
Hauptursache erkannt und auch anerkannt ist, werden
ganz neue Handlungsmöglichkeiten und Ziele sichtbar.
Wir müssen uns konsequent dafür einsetzen, dass die
Macht zwischen Frauen und Männern anders, nämlich ge-
recht, verteilt wird. Wir sind uns sicher einig, dass Frauen
keine Sonderrechte benötigen, weder bei uns noch in an-
deren Ländern, sondern sie haben lediglich den Anspruch
auf die gleichen Rechte wie Männer. Das heißt im Klar-
text, Frauen fordern nicht mehr Rechte, sondern aus-
drücklich nur nicht weniger Rechte als Männer.
Solange diese Chancengleichheit allerdings nicht er-
reicht ist, nicht selbstverständlich ist, sind gesetzliche
Maßnahmen nicht nur gerechtfertigt, sondern weitere
dringend erforderlich. Dies ist eine zentrale Verantwor-
tung aller demokratischen Rechtsstaaten.
Ein weiterer kleiner Schritt zur Chancengleichheit ist
es, wenn wir heute einige Korrekturen beim UN-Über-
einkommen von 1979 zur Beseitigung jeder Form von
Diskriminierung der Frau vornehmen. Ein Gesetzentwurf
bezieht sich auf den Dienst von Frauen mit der Waffe, der
in dem Übereinkommen geregelt ist. Da unser Grundge-
setz in der Zwischenzeit geändert wurde, liegt es nahe,
auch den bisher geltenden Vorbehalt Deutschlands gegen
diesen Punkt zurückzunehmen.
Die zweite Maßnahme betrifft die Tagungsdauer des
Ausschusses bei den Vereinten Nationen, der im Rahmen
des Abkommens eingerichtet wurde. Es lag kein objekti-
ver Grund vor, dass ausgerechnet dieser UN-Ausschuss
eine zeitliche Beschränkung in der Tagungsdauer hatte.
Kein anderer Menschenrechtsausschuss der Vereinten Na-
tionen hat eine derartige zeitliche Vorgabe. Darum stim-
men die Mitglieder meiner Fraktion diesem Gesetz zu.
Schließlich stimmen wir heute über einen Gesetzent-
wurf zum Fakultativprotokoll zu dem Abkommen ab,
durch das Frauen nun mehr Möglichkeiten erhalten, sich
wegen Diskriminierungen an den Ausschuss zu wenden.
Das heißt, Frauen können sich nun direkt und persönlich
an den Ausschuss wenden und der Ausschuss kann ab so-
fort auch von sich aus tätig werden. Dieser UN-Ausschuss
verfügt dann über die gleichen Möglichkeiten, wie sie bei
anderen Menschenrechtsübereinkommen der Vereinten
Nationen sowieso schon bestehen. Es gab auch hier kei-
nen Grund für eine Ungleichbehandlung und es wurde
Zeit für die Änderungen, die wir heute für Deutschland
beschließen.
Aber uns muss bewusst sein, dass auch weiterhin poli-
tische Initiativen, gesetzliche Regelungen, Druck der Öf-
fentlichkeit und Veränderungen im Denken notwendig
sind. Wir sind nur dann glaubwürdig, wenn wir selbst alle
also auch wir Politikerinnen und Politiker im Grund-
satz von der Notwendigkeit einer Chancengleichheit wirk-
lich überzeugt sind. Gegenseitige Achtung, Respekt und
Normalität im Umgang miteinander sind in diesem Zu-
sammenhang grundlegende und unverzichtbare Elemente,
in anderen Ländern und ausdrücklich auch hier bei uns.
Irmgard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Eine Revolution hat begonnen. Dieser Eröff-
nungsausruf der Weltfrauenkonferenz im Jahr 1995 sollte
im Jahrhundert der Emanzipation eine Trendwende sig-
nalisieren. Vom größten Frauentreffen des letzten Jahr-
hunderts gingen großer Optimismus und Zuversicht aus.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19443
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(A)
(B)
Deklarationen und Regierungsversprechungen sollten
den neuen Weg weisen in eine frauenfreundliche Zukunft.
Ein wichtiges Ziel der Weltfrauenkonferenz war
die weltweite Ratifizierung des Zusatzprotokolls der
Frauenkonvention. 1993 stellten die Vereinten Nationen
der so genannten Anti-Diskriminierungs-Konvention
CEDAW , die bereits 1979 verabschiedet wurde, die-
ses Zusatzprotokoll zur Seite.
Jahrelang hatte sich die Regierungskoalition aus
CDU/CSU und FDP geweigert, dieses wichtige Überein-
kommen der Vereinten Nationen zu unterzeichnen. So-
lange solche Abkommen jedoch nur auf dem Papier ste-
hen und gar nicht erst ratifiziert werden, bleiben
universelle Menschenrechte für Frauen ein unerreichba-
res Ziel. Die rot-grüne Koalition hat erkannt: Die Ratifi-
zierung des Zusatzprotokolls ist ein großer Schritt zur
Stärkung der Frauenrechte.
Bis heute war die UN-Konvention zur Beseitigung je-
der Form von Diskriminierung der Frau eine zahnlose
Tigerin. Alle paar Jahre überprüften die Vereinten Natio-
nen die Lage der Frauen in allen 148 Unterzeichnerlän-
dern. Sollten dabei Diskriminierungen von Frauen offen-
sichtlich werden, wurde die betreffende Regierung
gerügt, meist jedoch ohne Folgen. Nach 22 Jahren des Be-
stehens der Frauenrechtskonvention kann von einem
Ende der Diskriminierungen von Frauen in den Unter-
zeichnerstaaten nicht gesprochen werden. Grund dafür
ist: Die Frauen selbst können im Falle einer Diskriminie-
rung nichts unternehmen. Dies wird sich nun durch das
Zusatzprotokoll ändern. Das rechtliche Instrumentarium
der Konvention wird gestärkt.
Ab jetzt können diskriminierte Frauen wie auch Frau-
enrechtsorganisationen direkt vor dem UN-Frauenaus-
schuss klagen. Außerdem kann der UN-Ausschuss jeder-
zeit eigenständig Untersuchungen durchführen, wenn
Hinweise auf schwerwiegende oder systematische
Rechtsverletzungen vorliegen. Das heißt also, wem die
Menschenrechte der Frauen missachtet werden. Das neue
Instrument zur Sicherung der Menschenrechte umfasst
sowohl die Diskriminierung von Frauen im privaten
Bereich, also im Arbeitsleben und in der Familie, wie
auch strukturelle Aspekte.
Die Unterzeichnerstaaten der Frauenrechtskonvention
verpflichten sich, alle vier Jahre einen Rechenschaftsbe-
richt über die Umsetzung der Konvention vorzulegen.
Dieser Verpflichtung ist die rot-grüne Bundesregierung
im vergangenen Jahr nachgekommen. In diesem Bericht
hat sich die Bundesregierung auch zu Maßnahmen der
Bekämpfung von Frauenhandel geäußert. In seiner Emp-
fehlung hat der UN-Frauenrechtsausschuss ausdrücklich
auf rechtliche Verbesserungen im Umgang mit Opfern
von Menschenhandel hingewiesen.
Bereits im Herbst des vergangenen Jahres hat die rot-
grüne Koalition die Verwaltungsvorschriften zum Aus-
ländergesetz geändert. Dies ist jedoch nicht ausreichend.
Noch immer werden die Opfer von Menschenhandel als
Täterinnen wahrgenommen, die gegen das Ausländerge-
setz verstoßen haben. So kommt es, dass in den europä-
ischen Gefängnissen mehr Opfer als Täter von Men-
schenhandel sitzen. Das dürfen wir nicht länger dulden.
Wir brauchen hier dringend einen Perspektivwechsel.
Mehr Effektivität bei der Verfolgung der Täter kann nur
durch einen stärkeren Opferschutz und durch eine engere
internationale Zusammenarbeit erreicht werden.
Der UN-Frauenrechtsausschuss hat die hohe Erwerbs-
losigkeit der Frauen in Ostdeutschland kritisiert. Eine
leichte Senkung hat es seitdem gegeben, aber wir müssen
noch enorme Anstrengungen unternehmen.
Ein anderer Kritikpunkt war die mangelnde Verbesse-
rung der rechtlichen und sozialen Lage von Prostituierten.
Dies haben wir inzwischen erledigt.
Frauenrechte sind auf der ganzenWelt noch nicht durch-
gesetzt.Auch bei uns ist die Demokratie zwischen den Ge-
schlechtern nicht durchgesetzt. Jetzt haben wir ein gutes
Instrument zur Durchsetzung. Das sollten wir nutzen.
Ina Lenke (FDP): Vor nunmehr 22 Jahren wurde das
Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskri-
minierung der Frau (CEDAW) geschlossen. Die Ratifi-
zierung dieses Abkommens war ein Meilenstein in der
Gleichstellungsgeschichte. Erstmals gelang es Frauen-
rechte als Menschenrechte umfassend in allen Lebensbe-
reichen zu definieren. 168 Staaten haben bisher diese
Übereinkommen ratifiziert, allerdings mit zahlreichen
Vorbehalten. Auch Deutschland ratifizierte dieses Ab-
kommen nur unter dem Vorbehalt, dass Frauen keinen
Dienst an der Waffen leisten müssen. Nachdem nach den
Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes die Bun-
desregierung endlich genötigt wurde, diese alte liberale
Forderung nach vollständiger Gleichstellung der Frauen
auch in den Streitkräften umzusetzen, ist es an der Zeit,
dass auch der Vorbehalt bei der Ratifizierung des Über-
einkommens entfallen muss.
Die Änderung des Artikels 12 a Grundgesetz war ein
wichtiger Schritt auf nationaler Ebene zur vollkommenen
Gleichberechtigung der Frau in unserer Gesellschaft. Lei-
der wurde dieser Schritt von den Regierungsfraktionen
nur unter Zwang und nicht aus Überzeugung umgesetzt.
Ich möchte in Erinnerung rufen, dass die Anträge der
FDP-Fraktion zur Änderung des Artikels 12 a Grund-
gesetz noch kurz vor der Entscheidung des Europäischen
Gerichtshofes von Rot-Grün abgelehnt wurden.Wie wich-
tig auch heute noch das unabdingbare Beharren auf die
Anerkennung von Frauenrechten als Menschenrechte ist,
zeigen in erschreckender Weise die jüngsten Ereignisse:
Besonders die Frauen, die unter radikalmuslimischen Re-
gimes leben müssen, sind schlicht rechtlos und es wird
ohne internationale Hilfe noch nicht einmal möglich sein,
ihnen auch nur annähernd menschenwürdiges Leben zu
ermöglichen.
An dieser Stelle wird deutlich, dass Frauenrechte kein
alter Hut sind, sondern ein brandaktuelles Thema, wel-
ches an Bedeutung vielleicht sogar noch ernster zu neh-
men ist. Aus diesem Grund ist es dringend notwendig, das
nun vorliegende Zusatzprotokoll umzusetzen, um die
Gleichstellung des CEDAW mit den anderen Menschen-
rechtsausschüssen der Vereinten Nationen zu gewährleis-
ten und um zu unterstreichen, dass der Weg zur
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119444
(C)
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Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern ein un-
umkehrbarer und integraler Bestandteil der Zivilisation
ist. Die Liberalen vertreten aus ihrer gesamten politischen
Grundhaltung seit jeher die Auffassung, jede Form von
Diskriminierung entschieden zu bekämpfen. Dies gilt so-
wohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene.
Die vorliegenden Gesetzentwürfe fügen den vorhande-
nen Instrumentarien des Übereinkommens wichtige In-
strumente wie Untersuchungsverfahren und Individual-
beschwerderecht hinzu. Die Fraktion der FDP unterstützt
ausdrücklich die vorliegenden Gesetzentwürfe.
Petra Bläss (PDS): Wir haben heute über die wirksa-
mere Handhabung des umfassendsten internationalen
Menschenrechtsinstruments für Frauen zu befinden. Bei
dem Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der
Diskriminierung der Frau handelt es sich um ein völker-
rechtlich verbindliches Dokument. Es hat eine zentrale
Rolle auf der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking und im
Peking plus fünf-Prozess gespielt. Seit 1979 ist in ihm die
Anerkennung von Frauenrechten als Menschenrechten
festgeschrieben. Maßstabsetzend ist die Definition von
Frauendiskriminierung in Art. 1 als jede mit Geschlecht
begründete Unterscheidung, Ausschließung oder Be-
schränkung bei Inanspruchnahme von Menschenrechten
und Grundfreiheiten. Ebenso ist es der in Art. 5 geforderte
Abbau stereotyper Rollenzuweisung.
Zur heutigen Beschlussfassung stehen drei Vorlagen.
Erstens geht es um die Änderung des Tagungsmodus des
CEDAW-Ausschusses. Diese ist unstrittig, wird doch hier
einer Forderung der Mitglieder nachgekommen.
Zweitens soll der Vorbehalt der Gleichbehandlung im
Militär gestrichen werden. Unabhängig von unserer Auf-
fassung zum Militärdienst von Frauen stimmen wir dem
zu, weil wir uns den hier notwendigen Gleichstellungs-
maßnahmen nicht verweigern wollen.
Die wichtigste Entscheidung ist die überfällige Ra-
tifizierung des Fakultativprotokolls vom Oktober 1999.
Das Übereinkommen wird dazu um zwei Kontrollverfah-
ren ergänzt: Bei Verletzung der im Dokument festge-
schriebenen Rechte sind künftig direkte Beschwerden
von Einzelpersonen oder Gruppen beim CEDAW-Aus-
schuss möglich vorausgesetzt, Übereinkommen und Fa-
kultativprotokoll wurden ratifiziert und alle nationalen
Rechtsmittel ausgeschöpft. Sowohl das Untersuchungs-
verfahren als auch das Individualbeschwerdeverfahren
haben das Ziel, den Schutz von Menschenrechten von
Frauen zu verbessern. Es handelt sich zweifellos um eine
neue Qualität internationaler Instrumente zum Schutz von
Menschenrechten.
Gestatten Sie mir noch drei Anmerkungen zum Um-
gang mit diesen internationalen Dokumenten:
Erstens zur Öffentlichkeitsarbeit: Es ist notwendig,
dieses neue Rechtsinstrument bekannt zu machen. Neben
der vorgesehenen Publikation scheint mir die gezielte Ar-
beit mit Multiplikatorinnen besonders sinnvoll. Frauen-
politisch Engagierte sind hier zweifellos die wichtigste
Stütze.
Zweitens zur notwendigen nationalen Berichterstat-
tung an das CEDAW-Komitee: Der nächste Bericht wird
im August 2002 fällig. Wir fordern die Transparenz des
Verfahrens. Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis hat auf
meine Anfrage hin bereits im Ausschuss zugesichert, dass
wir unterrichtet werden. Notwendig aber ist hier auch die
Einbeziehung der Nichtregierungsorganisationen. Dass
ihre Kompetenz ein großer Gewinn ist, haben wir im Pe-
king-Prozess erfahren.
Nicht unwichtig ist der Umgang mit der Einschätzung
des letzten nationalen Berichts durch das CEDAW-Komi-
tee vom Jahresanfang 2000 auch wenn die Masse der
Kritikpunkte noch auf das Konto der Kohl-Regierung
geht. Seinerzeit wurde die Bundesregierung klar aufge-
fordert, die immer noch andauernde Benachteiligung von
Frauen zu beenden. Besonders hervorgehoben wurde die
Abstimmung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Neben
der Lohndiskriminierung und dem Mangel an weiblichen
Führungskräften wurde auch Kritik an den begrenzten
Anstrengungen und Maßnahmen, gleiche Rechte und
Chancen auf den privaten Sektor auszuweiten, geübt.
Weiterhin wird auf die besondere Benachteiligung ost-
deutscher Frauen, insbesondere ihr überproportional ho-
her Anteil an den Arbeitslosen, den erheblichen Mangel
an Kinderbetreuungseinrichtungen und die unbefriedi-
gende rechtliche Situation ausländischer Frauen in
Deutschland erwähnt. Drittens hat die Politik eine große
Verantwortung, die Bedeutung des Übereinkommens zu
stärken: Das heißt zum Beispiel, sich bei allen Gesetzge-
bungsverfahren darauf zu beziehen, was im Übrigen jetzt
auch zunehmend geschieht.
Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass wie
Inge von Bönninghausen, die Vorsitzende des Deutschen
Frauenrates meinte CEDAW kein Geheimkürzel bleibt.
Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:
Mit dem vorliegenden Gesetz zu dem Fakultativprotokoll
zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von
Diskriminierung der Frau bittet die Bundesregierung um
Ihre Zustimmung, dieses internationale Abkommen ratifi-
zieren zu können.
Noch im März 1998 gehörte Deutschland in New York
zu den Bedenkenträgern, als das Fakultativprotokoll auf
UN-Ebene verhandelt wurde. Aber wenn es um die Si-
cherung von Menschenrechten geht, haben demokrati-
sche Staaten nicht zuvorderst Bedenkenträger zu sein,
sondern mitzuhelfen, die Respektierung von Menschen-
rechten überall durchzusetzen.
Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass der Schritt
von massiven Menschenrechtsverletzungen zur Diktatur
und zum Terror nur ein kleiner Schritt ist, dann ist die ge-
genwärtige Situation ein Beweis dafür. Die Taliban ver-
letzen seit Jahren die Menschenrechte von Frauen auf ver-
achtenswürdige Art und Weise und sie sind es auch, die
den internationalen Terrorismus unterstützen. Darum las-
sen Sie uns das Mögliche tun, Frauenrechte als Men-
schenrechte international durchzusetzen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19445
(C)
(D)
(A)
(B)
Das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der
Diskriminierung der Frau ist über 20 Jahre alt. Es ist das
wichtigste internationale Dokument, das klarstellt: Frau-
enrechte sind Menschenrechte. Obwohl dieses Überein-
kommen auf UN-Ebene 1979 beschlossen wurde, gab es
in der Folgezeit immer wieder Versuche, die Menschen-
rechte der Frauen eben nicht als unveräußerlichen und in-
tegralen Bestandteil der allgemeinen Menschenrechte
anzuerkennen. Darum war es notwendig, auf der Men-
schenrechtsweltkonferenz 1993 für den Schutz der Frau-
enrechte einzutreten, ebenso auf den Weltfrauenkonferen-
zen, zuletzt 1995 in Peking. Sie haben nicht nur noch
einmal bekräftigt, dass Frauenrechte universale Men-
schenrechte sind, sondern auch gefordert, für Durchset-
zungs- und Überwachungsmechanismen zu sorgen, die
die menschenrechtlichen Forderungen für Frauen über-
haupt erst zur Wirkung kommen lassen können.
Darum brauchen wir das heute zur Abstimmung ste-
hende Fakultativprotokoll. Darum haben wir auch als da-
mals noch neue Bundesregierung im Rahmen unserer EU-
Präsidentschaft bei den Verhandlungen Anfang 1999 aktiv
daran mitgewirkt, dass das Fakultativprotokoll auf UN-
Ebene beschlossen wurde.
Das war für alle sichtbar ein fortschrittlicher Re-
formschritt in der deutschen Frauenpolitik, auch ein Para-
digmenwechsel.
Deutschland gehörte dann am 10. Dezember 1999 zu
den ersten Staaten, die das Fakultativprotokoll zeichne-
ten ein notwendiger Schritt, damit das Protokoll über-
haupt von den Staaten ratifiziert werden kann.
Es lohnt sich, dem Übereinkommen zur Beseitigung
jeder Form von Diskriminierung der Frau zum Durch-
bruch zu verhelfen. Dieses Übereinkommen definiert um-
fassend den Begriff Diskriminierung der Frau und ver-
pflichtet darüber hinaus die Vertragsstaaten, durch
geeignete gesetzgeberische und sonstige Maßnahmen, ge-
gebenenfalls auch Sanktionen, Diskriminierungen von
Frauen zu unterbinden.
Was ist nun das Besondere am Fakultativprotokoll? Es
ermöglicht einen Standard, der auch bei anderen UN-
Menschenrechtsübereinkommen üblich ist, nämlich das
Individualbeschwerdeverfahren. Das heißt, es ermöglicht
Frauen oder Frauengruppen, nach Ausschöpfung des in-
nerstaatlichen Rechtsweges einen eventuellen persönli-
chen Diskriminierungsfall vom Ausschuss zur Beseiti-
gung jeder Form von Diskriminierung auf UN-Ebene
überprüfen zu lassen. Diesem Ausschuss, dem 23 von den
Mitgliedstaaten gewählte unabhängige Sachverständige
angehören, obliegt die Aufgabe, die Individualbe-
schwerde zu überprüfen. Aber nicht nur das: Er hat da-
rüber hinaus die Möglichkeit, ein Untersuchungsverfah-
ren gegen diejenigen Vertragsstaaten einzuleiten, die sys-
tematisch und schwerwiegend gegen die im Übereinkom-
men niedergelegten Rechte verstoßen.
Dieses Untersuchungsverfahren ist eine wichtige Er-
gänzung zum Individualbeschwerdeverfahren. Das Fa-
kultativprotokoll ist damit besonders bedeutsam für
Frauen in den Ländern, die kein dicht geknüpftes rechtli-
ches Netz zum Schutz vor Diskriminierung haben.
Der Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminie-
rung der Frau ist auf UN-Ebene für die Frauen in der Welt
ein bedeutender Ausschuss. Bislang hat er die Einhaltung
der Konvention mittels Prüfung der von den Vertragsstaa-
ten in regelmäßiger Folge vorzulegenden Staatenberichte
vorgenommen.
Die Bundesrepublik hat mittlerweile vier Berichte vor-
gelegt und im vergangenen Jahr vor dem Ausschuss vor-
gestellt. Im nächsten Jahr werden wir erstmalig einen
Bericht vorlegen, der die Arbeit der jetzigen Bundesre-
gierung dokumentieren wird.
Mit der Auswertung der Berichte der 168 Vertragsstaa-
ten und der Formulierung daraus folgender Empfehlun-
gen hatte dieser UN-Ausschuss schon viel Arbeit. Hinzu
kommt nun die Umsetzung des Fakultativprotokolls. Die-
ser enorme Arbeitsanfall ist der Grund, warum die Bun-
desregierung das Begehren des Ausschusses unterstützen
möchte, die geltende Beschränkung der Tagungsdauer auf
zwei Wochen im Jahr aufzuheben. Auch hierzu bitten wir
Sie um Ihr zustimmendes Votum, ebenso wie für die
Rücknahme des Vorbehalts, den die Bundesrepublik 1985
bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde erklärt hat.
Nachdem der freiwillige Dienst von Frauen mit der Waffe
in der Bundeswehr im vergangenen Jahr auf eine klare
verfassungsrechtliche Grundlage gestellt und zugleich er-
möglicht wurde, fehlt dem damals erklärten Vorbehalt die
Grundlage.
43 Staaten haben das Fakultativprotokoll bisher ge-
zeichnet, 27 ratifiziert. Die Bundesrepublik Deutschland
hat gezeichnet und möchte nun das Fakultativprotokoll
ratifizieren, das heißt auch für Deutschland in Kraft treten
lassen. Mit der Ratifikation möchten wir auch ein Signal
geben gegenüber den Staaten, die noch zögern, diesem
Fakultativprotokoll beizutreten, sie ermutigen, ebenfalls
zu ratifizieren.
Ich würde mich freuen, wenn der Deutsche Bundestag
diesem Weg mit großer Mehrheit zustimmen könnte.
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts zu den Entschließungsanträgen und der
Großen Anfrage: Doping im Spitzensport und
Fitnessbereich
Dagmar Freitag (SPD): Wir befassen uns heute mit
der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage
der CDU/CSU-Fraktion zu Doping im Spitzensport und
Fitnessbereich und mit den Entschließungsanträgen, die
CDU/CSU und FDP dazu gestellt haben. Ich bedauere
außerordentlich, dass das Thema heute zu später Stunde
auf der Tagesordnung steht. Das wird weder seiner Be-
deutung noch dem öffentlichen Interesse an der Proble-
matik gerecht.
Der Sportausschuss hat sich in zwei Anhörungen am
26. Januar 2000 zu Doping im Spitzensport und am
14. März 2001 mit Doping im Freizeit- und Fitnessbereich
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119446
(C)
(D)
(A)
(B)
mit den aufgeworfenen Fragen beschäftigt. Lassen Sie
mich zunächst noch einmal auf die einleitenden Feststel-
lungen in der Großen Anfrage eingehen.
Herr Kollege Riegert, die SPD-Bundestagsfraktion
stimmt mit Ihnen durchaus in der Bewertung überein, dass
es die vordringliche Aufgabe des Sports selbst ist und
auch bleiben soll, in eigener Verantwortung Doping zu
bekämpfen. Dies wird auch in unserem Antrag vom 3. Juli
2001 deutlich, in dem festgestellt wird: die Verantwor-
tung, Doping im Spitzensport wirkungsvoll zu bekämp-
fen, liegt zunächst bei den Organisationen des Sports.
Von daher, Herr Kollege Riegert, sind Ihre wiederhol-
ten Einlassungen, der deutsche Sport würde von unserer
Seite ständig Verdächtigungen ausgesetzt, gar krimi-
nalisiert, nun wirklich überhaupt nicht nachvollziehbar.
Wer wie wir offen und konstruktiv die objektiv vorhande-
nen Probleme davon gibt es wahrlich eine Reihe an-
spricht, bringt den Sport nicht in Verdacht; im Gegenteil:
Unsere Diskussionen sind ausschließlich vom Bemühen
um einen manipulationsfreien Sport und einen fairen
sportlichen Wettbewerb geleitet. Das muss im Interesse
des Steuerzahlers, des Zuschauers, vor allem aber im In-
teresse derjenigen Sportlerinnen und Sportler sein, die
ohne den Einsatz von unerlaubten Substanzen in den
Wettkampf gehen.
Ich habe im Übrigen keinen Zweifel, dass die Ent-
scheidungsträger im deutschen Sport sehr wohl zwischen
einer konstruktiven Diskussion und Worthülsen unter-
scheiden.
In den Diskussionen vor allem der letzten Wochen ha-
ben wir uns mit dem Doping der Vergangenheit und sei-
nen Folgen beschäftigt. Gesundheitliche Beeinträchtigun-
gen mit erheblichen physischen, aber auch psychischen
Schäden sind erkennbare Folgen eines menschenverach-
tenden Dopingsystems. Doping ist aber ob es uns gefällt
oder nicht auch ein Thema der Gegenwart und ich bin
sicher, es ist nicht vermessen, anzunehmen, auch ein
Thema der Zukunft.
Die Dopingmethoden erfahren neue Entwicklungen,
die zur Leistungssteigerung verwendeten Substanzen än-
dern sich, die Konsumenten und Dealer sind nicht allein
im Hochleistungssport, sondern ebenso in Teilbereichen
des Breitensports und in der Bodybuildingszene zu fin-
den. Sich verändernde Bedingungen erfordern neue Ant-
worten. Es ist nicht nur, aber auch unsere Aufgabe, uns
diesen Herausforderungen zu stellen.
Ich begrüße ausdrücklich, dass eine zentrale Forderung
unseres Antrags mit dem Bundeshaushalt 2002 realisiert
wird, nämlich die Beteiligung des Bundes am Stiftungs-
kapital der Nationalen Anti-Doping-Agentur, mit deren
zukünftiger Arbeit wir alle ein Stück Hoffnung verbinden.
Alle für den Sport relevanten Kräfte sind aufgerufen, sich
einzubringen nicht nur mit guten Worten und Wün-
schen, sondern auch mit einer spürbaren Beteiligung am
Stiftungskapital! Der Bund jedenfalls nimmt seine Rolle
auch an dieser zentralen Stelle der Dopingbekämpfung
wahr.
Machen wir uns aber nichts vor die NADA allein
wird die vielfältigen und zum Teil ungeklärten Probleme
nicht vollständig lösen können. Es wäre fatal, sich jetzt
zurückzulehnen und lediglich wieder die nächsten Erfah-
rungen abwarten zu wollen. Wir warten, nicht erst seit
gestern, gemeinsam auf die endgültige Bewertung der
Verschärfungen im Arzneimittelgesetz. Dieses Verfahren
ist im Hinblick auf weitere Diskussionen keineswegs zu
beanstanden. Ich kann jedoch nicht erkennen, dass diese
Wartezeit jegliche weitere Überlegung zur Doping-
bekämpfung zu unterbinden hat. Selbstverständlich muss
es legitim sein, auch schon jetzt über mögliche weiter ge-
hende Schritte nachzudenken, vor allem wenn Fachleute
bereits hilfreiche Hinweise dazu gegeben haben.
Die Sachverständigen haben in der Anhörung die Än-
derung des AMG als einen Schritt in die richtige Richtung
bezeichnet. Dennoch muss heute festgestellt werden, dass
die Staatsanwaltschaften nur in wenigen Fällen aufgrund
von entsprechenden Anzeigen der Verbände Ermittlungs-
verfahren einleiten. Nach unseren Informationen sind alle
Verfahren bislang eingestellt worden.
Der Grund hierfür dürfte nach Aussage von Experten
unter anderem darin liegen, dass kaum zu ermitteln ist,
wer dem Athleten die Dopingsubstanzen verschafft hat
und der Athlet selbst hat vermutlich nur wenig Interesse
an entsprechender Aufklärung.
Wer das Dopingproblem glaubwürdig lösen will, muss
erkannte Lücken schließen. Mit Beschluss der 24. Konfe-
renz am 19./20. Oktober 2000 in Potsdam haben die
Sportminister der Länder die Auffassung vertreten, die
Diskussion um ein Anti-Doping-Gesetz müsse ernsthaft
aufgegriffen und forciert werden. Die Konferenz hat die
Sportreferentenkonferenz beauftragt, gemeinsam mit
dem Deutschen Sportbund und dem Nationalen Olympi-
schen Komitee die damit zusammenhängenden Fragen zu
klären und gegebenenfalls Vorschläge für einen Gesetz-
entwurf zu erarbeiten.
Dabei geht es doch gar nicht um die Frage, ob der au-
tonome Sport oder der Staat das Doping wirkungsvoller
bekämpfen kann. Die einzig sinnvolle Frage ist, wie Do-
ping gemeinsam am besten sanktioniert werden kann. Da-
her sind alle Partner nicht nur aufgefordert, sondern aus
meiner Sicht verpflichtet, ihre Aufgaben ernst zu nehmen.
Das gilt auch für den Gesetzgeber.
Meine Fraktion ist der Überzeugung, dass ein Anti-Do-
ping-Gesetz, das die bestehenden Vorschriften bündelt
und notwendige Ergänzungen aufnimmt, ein guter und
richtiger Weg wäre. Der darüber eingeleitete Dialog hat
bereits positive Signale ergeben. Bedenkenträger im or-
ganisierten Sport, vor allem aber die Hardliner in den Uni-
onsfraktionen sollten sich endlich von der Vorstellung lö-
sen, der Gesetzgeber sei ein Gegner des Sports. Um es
zum wiederholten Mal deutlich zu machen: Im Mittel-
punkt unserer Überlegungen steht eindeutig der Schutz
des sauberen Sportlers und der Schutz des fairen sportli-
chen Wettbewerbs. Von dieser Haltung lassen wir uns
auch durch Unterstellungen nicht abbringen. Die öffentli-
che Diskussion über ein Anti-Doping-Gesetz ist im
Gang und das ist gut so.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19447
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(B)
Klaus Riegert (CDU/CSU): Die Große Anfrage der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die Antwort der Bundesre-
gierung und die Anhörung zum Thema Doping haben
mehr als deutlich gemacht, dass sich Doping nicht auf den
Spitzensport beschränkt. Doping ist in fast allen gesell-
schaftlichen Bereichen ein Phänomen. In der Regel ohne
ärztliche Verordnung und Kontrolle werden verbotene, oft il-
legal eingeführte Substanzen eingenommen. Allein im Frei-
zeit- und Fitnessbereich geht man von bis zu 350 000 Bür-
gerinnen und Bürgern aus, die sich mit anabolen
Steroiden aufpuschen und sich einer dauerhaften körper-
lichen und psychischen Schädigung aussetzen ohne öf-
fentliche Aufmerksamkeit. Diese wird fast ausschließlich
auf wenige spektakuläre Fälle im Spitzensport gelenkt,
dem einzigen Bereich, in dem Kontrollen durchgeführt
werden. Deshalb ist es von einigen Koalitionspolitikern
höchst fahrlässig, Doping immer wieder am Spitzensport
festzumachen. Warum wollen Sie im Freizeitbereich nur
Erkenntnisse über Doping gewinnen und aufklären? Im
Spitzensport wollen Sie Kontrollen, ein Gesetz und Be-
strafung. Dort wollen Sie Doping als Straftatbestand fest-
machen und im Freizeitbereich lediglich über Doping in-
formieren. So steht es in ihrem Antrag! Dies macht Sie in
der Bekämpfung des Dopings unglaubwürdig!
Zwei Jahre haben die Koalitionsfraktionen gebraucht,
um nach der Antwort der Bundesregierung auf die Große
Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Doping im
Spitzensport und Freizeitbereich im Sportausschuss ei-
nen eigenen Antrag vorzulegen, 16 Monate nach den An-
trägen der Bundestagsfraktionen der CDU/CSU und der
FDP. Wir finden es richtig, dass die Koalitionsfraktionen
die Anträge von CDU/CSU und FDP inhaltlich im We-
sentlichen übernommen, um nicht zu sagen: schlicht und
einfach abgeschrieben haben. Dazu hätte es nicht andert-
halb Jahre bedurft.
Zwei wesentliche Unterschiede müssen jedoch heraus-
gehoben werden: Die Koalitionsfraktionen glauben nach
wie vor, Doping durch ein ausschließlich ich betone
das den Sport betreffendes Anti-Doping-Gesetz wir-
kungsvoll bekämpfen zu können und vermeiden im An-
trag konkrete Vorschläge, durch welche Maßnahmen die
Bundesregierung unmittelbar dem Sport bei der Bekämp-
fung des Dopings helfen kann, zum Beispiel durch eine
stärkere finanzielle Unterstützung bei der Ausweitung der
unangemeldeten Trainingskontrollen. Einen gemeinsa-
men Antrag wollten Sie nicht, weil sie ein ausschließlich
den Sport betreffendes Anti-Doping-Gesetz wollen, wohl
wissend, dass Ihre eigene Bundesregierung dies nicht tun
wird. Sie wissen genau, dass Sie für dieses Anti-Doping-
Gesetz noch nicht einmal die Rückendeckung der Rechts-
und Gesundheispolitiker der eigenen Fraktion haben. Sie
sollten eigentlich wissen, dass Ihr Parlamentarischer Ge-
schäftsführer Wilhelm Schmidt ein Anti-Doping-Gesetz
in dieser Legislaturperiode aus schwerwiegenden rechtli-
chen Bedenken für nicht machbar hält. Sie stellen einen
Scheinantrag! Mehr nicht. Er soll der eigenen Rechtferti-
gung dienen. Der Sache dient er nicht. Er läuft ins Leere:
bei der eigenen Fraktion, bei der Bundesregierung; der
Deutsche Sportbund will ein solches Gesetz nicht, das Na-
tionale Olympische Komitee nicht, die Sportler nicht.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht sich in ihrer
Ablehnung eines auf den Sport zugeschnittenen Anti-Do-
ping-Gesetzes durch die Haltung der Bundesregierung
bestätigt. In ihrer Antwort vom 27. Oktober 1999, Druck-
sache 14/1867, weist die Bundesregierung auf die Ver-
schärfungen des Arzneimittelgesetzes hin. Durch die Än-
derung des Arzneimittelgesetzes haben wir das
Inverkehrbringen von Dopingmitteln, das Verschreiben
und Anwenden unter Strafe gestellt. Eine umfassende
Auswertung der im Vollzug des novellierten AMG ge-
wonnenen Erfahrungen liegt noch nicht vor. Warum kön-
nen Sie diese Erkenntnisse nicht abwarten? Die Bundes-
regierung weist mit Recht darauf hin, dass der Hinweis
auf gesetzliche Regelungen anderer Länder wie zum Bei-
spiel Frankreich und Italien aufgrund fundamental unter-
schiedlicher Rechtslagen unzutreffend ist. Sie hat Recht!
Die Bundesregierung hat sich wiederholt aus straf-
rechtlichen und verfassungsrechtlichen Gründen gegen
die Schaffung eines Straftatbestandes ausgesprochen, der
das aktive Dopen durch Sportler unter Strafe stellt. Auch
hier unterstützen wir die Haltung der Bundesregierung.
Wir sehen uns auch in diesem Punkt durch die Haltung des
Deutschen Sportbundes und des Nationalen Olympischen
Komitees bestätigt! Ein eigenständiges, auschließlich den
Sport betreffendes Anti-Doping-Gesetz kriminalisiert den
Sport. Ein solches Gesetz lässt Dopingvergehen in allen
anderen gesellschaftlichen Bereichen unkontrolliert und
ungestraft zu. Dies ist nicht unsere Auffassung. Deshalb
lehnen wir diesen Teil Ihres Antrages entschieden ab. Wir
lassen nicht zu, dass der Sport insbesondere der Spit-
zensport kriminalisiert werden soll, andere Bereiche des
Dopingmissbrauchs durch Sie bagatellisiert werden. Wir
wollen eine sorgfältige Auswertung, wie sich die Ver-
schärfungen des Arzneimittelgesetzes im Hinblick auf
eine wirksame Bekämpfung des Dopings ausgewirkt ha-
ben. Sollte sich Handlungsbedarf ergeben, sollen Lösun-
gen im Rahmen vorhandener gesetzlicher Regelungen an-
gestrebt werden.
Was nützen übrigens Anti-Doping-Gesetze wie in
Frankreich oder Italien, auf die Koalitionspolitiker bei je-
der sich bietenden Gelegenheit hinweisen, wenn dort jähr-
lich nur 800 bzw. 500 unangemeldete Trainingskontrollen
durchgeführt werden? Wo nicht oder kaum kontrolliert
wird, schrecken auch Gesetze nicht ab. Der Sport hat in
eigener Zuständigkeit mit subsidiärer Hilfe des Staates ein
Kontrollsystem aufgebaut, dass gut funktioniert, aber
durchaus verbesserungsfähig ist. In Deutschland werden
rund 4 000 unangemeldete Trainingskontrollen durchge-
führt, fünfmal so viel wie in Frankreich, achtmal so viel
wie in Italien. Dies ist wirksame Abschreckung und
Prävention.
Wir sollten uns dennoch nicht der Illusion hingeben, der
Sport, insbesondere der Spitzensport, sei dopingfrei oder
werde es eines Tages sein. Die Versuchung, sich durch Ein-
nahme unzulässiger Substanzen Wettbewerbsvorteile ver-
schaffen zu wollen, wird angesichts zunehmender Profes-
sionalisierung und Kommerzialisierung eher größer
werden. Die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger an
unsere Athleten und die medienwirksame Herausstellung
von Spitzenleistungen der Athleten erhöhen den Leis-
tungsdruck permanent. Deshalb wird Doping mit großer
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119448
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(B)
Wahrscheinlichkeit nie ganz auszuschließen sein. Aber wir
können noch besser werden: Wir brauchen noch mehr un-
angemeldete Trainingskontrollen, vor allem im C- und D-
Kader Bereich. Es kann nicht angehen, dass talentierte
Nachwuchssportler einmal in drei Jahren kontrolliert wer-
den. Wir müssen unser Kontrollsystem verfeinern und ver-
stärkt kontrollieren. Statt Staatsanwälte und Gerichte mit
Dopingverfahren zu überfrachten, sollen wir dieses Geld
besser für Prävention und mehr Kontrollen aufwenden.
Unsere Forderung, der Bund müsse mehr Geld für
Kontrollen zur Verfügung stellen, nützt den Sportlerinnen
und Sportlern. Sie wollen kontrolliert werden, um nicht
dem Verdacht ausgesetzt zu sein, zu manipulieren. Sie
sollten sich unserer Forderung nach mehr Kontrollen an-
schließen statt Luftnummern zu fordern. Dies ist Wohlge-
fälligkeitsverhalten gegenüber der Regierung. Sonst
nichts. Der Sport allein kann das nicht leisten. Hier ist der
Bund gefordert, mehr Mittel zur Verfügung zu stellen. Der
Bundesminister verkündet öffentlich ständig mehr Geld
für die Bekämpfung des Dopings. Die Haushaltszahlen
sprechen eine andere Sprache. Das Hin- und Herschieben
von Haushaltsmitteln, wie es der Bundesminister des In-
nern zurzeit tut, ist wenig hilfreich. Er will den Anschein
erwecken, als erhöhe er die Mittel. In Wirklichkeit kürzt
er oder verteilt die Kürzungen um.
Wir brauchen endlich die Einrichtung der von den
Sportverbänden unabhängigen Nationalen Anti-Doping-
Agentur und die Ausweitung der Befugnisse im Bereich
der Sportgerichtsbarkeit. Hier hätten wir von der Bundes-
regierung mehr Initiative und mehr Vorbildfunktion er-
wartet. Von 60 Millionen DM Stiftungskapital war die
Rede. Staat, Wirtschaft und Sport sollten sich beteiligen.
Heute sprechen wir von 10 Millionen vom Bund, von ei-
ner Beteiligung der Länder von rund 2 Millionen DM und
von einer nicht genau bezifferten Beteiligung der Wirt-
schaft an den laufenden Kosten. Es wäre besser gewesen,
der Bundesminister des Innern hätte nicht so die Backen
aufgeblasen, sondern erst die Mittel bereitgestellt bzw.
eingesammelt. Ein hohes einmaliges Stiftungskapital ist
für eine unabhängige Arbeit von großer Bedeutung.
Wir halten die Finanzierung der NADA durch den
Bund für völlig unzureichend. Ganze 10 Millionen DM
aus dem Verkauf der Liegenschaft des Bundesinstituts für
Sportwissenschaft in Köln stellt er zur Verfügung. Dies
sind keine zusätzlichen Mittel. Dafür kürzt die Bundesre-
gierung im Gegenzug die Mittel für den Spitzensport um
über 20 Millionen DM. Durch ihre Hinhaltetaktik und den
unzureichenden eigenen Beitrag hat die Bundesregierung
die Wirtschaft von einem stärkeren Engagement für die
NADA verprellt. Dennoch bleibt die Wirschaft gefordert,
einen nennenswerten Beitrag zum Stiftungskapital zu
leisten. Wir fordern die Bundesregierung auf, nur 10 Mil-
lionen DM der Kürzungen für den Spitzensport zurück-
zunehmen und der NADA zuzuführen. Dies wäre ein
glaubwürdiger Beitrag der Bundesregieung zur wirkungs-
vollen Bekämpfung des Dopings. Die Nationale Anti-Do-
ping-Agentur muss eng mit der World Anti-Doping-
Agency (WADA) zusammenarbeiten. Erfolgreiche
Bekämpfung des Dopings ist nur international erreichbar.
Nationale Alleingänge auch im Gesetzgebungsverfah-
ren sind wenig hilfreich. Hier sind in erster Linie die
Spitzensportverbände gefordert, ein einheitliches, für alle
internationalen Spitzensportverbände verbindliches Re-
gelwerk zu schaffen. Die Politik muss diese Bemühungen
unterstützen.
Wir brauchen ein abgestimmtes Forschungsprogramm.
Neueste wissenschaftliche und medizinische Erkennt-
nisse müssen umfassend und unmittelbar in die Bekämp-
fung des Dopings einfließen können. Das Bundesinsitut
für Sportwissenschaft muss hier federführend tätig wer-
den, damit Forschungsaufträge gezielt vergeben und ko-
ordiniert werden können. Wir brauchen ein energisches,
konsequentes und abgestimmtes Vorgehen der Bundesre-
gierung und der Länder zur Eindämmung des Dopings im
Freizeit- und Fitnessbereich. Neueste Studien besagen
eindeutig, dass im Fitness- und Freizeitbereich der Miss-
bruch von Dopingsubstanzen, die unkontrollierte Ein-
nahme zu dauerhaften gesundheitlichen Schädigungen bis
hin zu Todesfällen führt. Es ist beängstigend, wenn immer
mehr junge Menschen zu leistungsteigernden Substanzen
greifen, ohne sich über die Folgewirkungen Gedanken zu
machen. Dies ist ein gesellschaftliches Pulverfass. Was
die Koalitionsfraktionen in ihrem Antrag fordern, ist ein-
deutig zu wenig. Sich auf die Gewinnung von Kenntnis-
sen zu beschränken, um dann aufklären zu können, zeigt,
dass sie die Gefährdung junger Menschen durch Doping
im Fitness- und Freizeitbereich unterschätzen.
Es muss ernsthaft geprüft werden, inwieweit auch un-
angemeldet Kontrollen bei Sportveranstaltungen oder im
Fitnessbereich durchgeführt werden können. Wir können
diese Entwicklung nicht einfach zur Kenntniss nehmen,
uns mit Untersuchungen zufrieden geben. Erkenntnisse
und Aufklärung ja, aber auch wirkungsvolle Kontrollen
und Unterbindung des illegalen Handels. Wir müssen
Maßnahmen ergreifen, um diese Besorgnis erregende
Grauzone in den Griff zu kriegen.
Doping wird von den Koalitionsfraktionen in weiten
gesellschaftlichen Bereichen tabuisiert. Nur nicht im
Spitzensport. Hier wird kontrolliert und sanktioniert. Was
wir brauchen, sind international verbindliche Regeln und
Sanktionen unter der Verantwortung des Sports. Dies ist
richtig und wichtig. Spitzensport hat eine Vorbildfunktion
für den gesamten Sport, insbesondere für junge Menschen.
Deshalb müssen die Anstrengungen bei der Bekämpfung
des Dopings im Spitzensport fortgesetzt und verstärkt
werden, national und international. Dazu brauchen wir
kein eigenes, auf den Sport zugeschnittenes Anti-Doping-
Gesetz. Wir müssen endlich aufhören, Doping allein am
Spitzensport festzumachen. Wir müssen die öffentliche
Aufmerksamkeit viel stärker auf die Gefahren der unkon-
trollierten Einnahme leistungsfördernder Substanzen len-
ken und wirksame Maßnahmen ergreifen. Hier sind Hun-
dertausende junger Menschen gefährdet. Wir werden in
der Bekämpfung des Dopings nur glaubwürdig sein, wenn
wir Doping als unerlaubte und gefährliche Manipulation
des eigenen Körpers und des Geistes brandmarken und
bekämpfen, und zwar umfassend. Deshalb geift ein Anti-
Doping-Gesetz zu kurz und ist ausschließlich gegen den
Sport gerichtet. Dies ist mit uns und so wie es aussieht
mit dieser Bundesregierung und dem Sport nicht zu ma-
chen. Und das ist gut so!
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19449
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Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Zentrales Thema der heutigen Debatte ist die Auseinan-
dersetzung um die notwendigen Maßnahmen zur Doping-
bekämpfung im Sport. Das weiterhin ungelöste Problem
des Dopings im Sport ist uns in drei öffentlichen An-
hörungen im Sportausschuss durch viele Experten be-
stätigt worden. Dabei ist zunehmend die Forderung nach
einem Anti-Doping-Gesetz in den Mittelpunkt gerückt.
Der von der Opposition wiederholt ins Spiel gebrachte
vermeintliche Gegensatz eines autonomen Sports auf der
einen Seite und eines sich ausbreitenden Staates auf der
anderen Seite hat sich längst überholt. Die gute Zusam-
menarbeit von Sport und Staat in der Dopingbekämpfung
lässt sich auch durch die Opposition nicht schlechtreden.
Die staatliche Förderung der Kontrolllabore in Köln
und Kreischa hat wesentlich dazu beigetragen, dass in
Deutschland ein dichtes Netz von Dopingkontrollen ent-
standen ist. Dopinganalytik und Dopingforschung werden
auch weiterhin von uns mit den notwendigen finanziellen
Mitteln ausgestattet werden. Diese Mittel werden in Zu-
kunft bei der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA)
zusammengefasst. Sport und Staat werden gemeinsam
unter dem Dach dieser Institution einen wichtigen Beitrag
für die weitere Verbesserung der Dopingbekämpfung
leisten.
Die Partnerschaft von Sport und Staat kann aber nicht
darüber hinwegtäuschen, dass sich auch die internationa-
len und nationalen Rahmenbedingungen des Sports ver-
ändert haben. Die internationale Bedeutung des Sports
zeigt sich besonders bei den Großereignissen wie Olym-
pischen Spielen oder Weltmeisterschaften. Der Sport ist
längst zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor in unserer
Gesellschaft geworden.
Wir brauchen Strukturen, die diese Entwicklung be-
gleiten. Die zunehmende Kommerzialisierung des Sports
und der sportliche Wettbewerb benötigen einen Rahmen,
in dem sich dieses Schutzgut Sport mitsamt seines kon-
stitutiven Fairnessgedankens weiterentwickeln kann.
Längst wissen viele Experten und auch Vertreter des
Sports, dass es bei einem nationalen Anti-Doping-Gesetz
nicht um einen staatlichen Eingriff in die Autonomie des
Sports geht, sondern um eine ergänzende Regelung, durch
die auch der Staat deutlich macht, dass Doping im Sport
gesamtgesellschaftlich nicht zu akzeptieren ist.
Es geht der Regierungskoalition dabei vor allem da-
rum, dem umfassenden Dopingproblem ein wirksames
Gesamtkonzept entgegenzustellen. Dafür müssen bishe-
rige Gesetzesregelungen zusammengefasst und Gesetzes-
lücken geschlossen werden. Die NADA muss im nächs-
ten Jahr ihre Arbeit aufnehmen können. Die
Aufklärungsarbeit über die gesundheitlichen Gefahren
des Doping muss verstärkt werden.
Kernpunkt unserer Strategie muss aber die staatliche
Sanktionierung des Dopingbetrugs im Sport sein. Der sich
selbst dopende Sportler verletzt bewusst den sportlichen
Wettbewerb und betrügt seine Konkurrenten. Gerade die-
ser Bereich wird durch die bisherigen Gesetze nicht er-
fasst, sondern muss durch ein Anti-Doping-Gesetz gere-
gelt werden. Die Debatte um mögliche Vollzugsdefizite
beim Arzneimittelgesetz läuft daher am Kernproblem
vorbei.
Der Münchner Mediziner Dr. Strasburger hat erst kürz-
lich in einer Stellungnahme für den Sportausschuss vor-
geschlagen, die Dopingbekämpfung in Deutschland auf
drei Säulen zu stellen: Erstens. Die Dopingpraxis in der
ehemaligen DDR gehört aufgearbeitet und den gesund-
heitlich geschädigten Opfern dieser Dopingpraxis muss
geholfen werden. Zweitens. Dem Doping im Sport müsse
durch eine Proklamation drastischer Sanktionen begeg-
net werden. Drittens. Für Dopingkontrollen, Prävention
und Rechtsverfahren müssen die erforderlichen Mittel
und Rechtsrahmen bereitgestellt werden. Die für dieses
Drei-Säulen-Modell der Dopingbekämpfung notwendi-
gen Institutionen liegen auf der sportpolitischen Hand:
DDR-Dopingopferfonds, Anti-Doping-Gesetz, Nationale
Anti-Doping-Agentur.
Es muss jetzt aus unserer Sicht darum gehen, dieses
Drei-Säulen-Modell parallel umzusetzen. Die NADA
wird im nächsten Jahr ihre Arbeit aufnehmen. Ein Fonds
zur Unterstützung der DDR-Dopingopfer sollte im Zuge
der Haushaltsschlussberatungen eingerichtet werden. Der
Entwurf für ein Anti-Doping-Gesetz muss unter Mitwir-
kung der Sportorganisationen parlamentarisch weiter vo-
rangebracht werden. Und zwar so schnell wie möglich.
Dr. Klaus Kinkel (FDP): Doping ist in aller Mun-
de und das leider nicht nur im übertragenen Sinne! Do-
ping ist eine Denaturierung des Sports, eine schlimme
Geißel gerade jetzt, wo Deutschland sich um die Olym-
pischen Sommerspiele 2012 bewerben will, müssen wir
uns das immer wieder bewusst machen. Deutschland will
die Olympischen Spiele aber saubere Spiele, bitte
schön! Es darf nicht zu einem olympischen Wettstreit der
Pharmaindustrie kommen!
Die Devise im Leistungssport lautet im Zeichen von
Über-Kommerzialisierung und Hollywoodisierung
stärker als je zuvor: Immer höher, schneller, weiter! Wenn
der Körper am Ende seiner Steigerungsfähigkeiten ange-
langt ist, treiben Sportler allzu oft auf das Doping zu. Do-
ping ist aber leider beileibe nicht auf den Spitzensport be-
schränkt die schlimmen Vorfälle dort sind nur die Spitze
des Eisbergs. Das hat die Anhörung des Sportausschusses
vor einem halben Jahr gezeigt Experten sagen, dass
allein über 200 000 Freizeit-Bodybuilder in deutschen Fit-
ness-Studios zu Doping-Mitteln greifen 300 Millio-
nen DM gehen dabei über den Tresen. Die schlimmen ge-
sundheitlichen Schäden, die das Doping hervorrufen
kann, zeigen sich am deutlichsten bei den Opfern des sys-
tematischen DDR-Staatsdopings. Der Staat muss bei die-
sen zum Teil schlimmen Einzelschicksalen helfen des-
halb hat die FDP in den laufenden Haushaltsberatungen
den Antrag eingebracht, 2002 endlich einen Dopingopfer-
Entschädigungsfonds mit 2 Millionen DM ins Leben zu
rufen.
Was lernen wir aus der DDR-Erfahrung und den
schlimmen Doping-Fällen der letzten Jahre? Wir müssen
dem Doping den rücksichtslosen Kampf ansagen! Aber
muss da gleich wieder der Gesetzgeber her? Die Regie-
rungskoalition will ein Anti-Doping-Gesetz. Muss es im
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119450
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deutschen Sport wirklich so weit kommen? Wollen wir
Fitness-Studios wirklich mit Polizeihunden durchforsten?
Gehört ein erwachsener Sportler, der sich mit unerlaubten
Mitteln Vorteile gegen andere Sportler verschafft und sich
vor allem selbst schadet, wirklich vor den Kadi? Ist es Sa-
che der staatlichen Justiz und damit des Steuerzahlers,
über die Einhaltung der Wettbewerbsregeln im Sport zu
richten? Nein. Solange es geht, sollte der Sport das mit
seinen starken, unabhängigen Verbänden möglichst ei-
genverantwortlich regeln. Die Autonomie des Sports ist
ein hohes Gut. Der Staat sollte nur subsidiär eingreifen. Er
steckt mit dem Strafrecht, dem Arzneimittelgesetz und
mit den Jugendschutzbestimmungen einen Rahmen. Da-
rüber hinaus sollte der Staat nur dann eingreifen, wenn das
zum Schutz der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen
Ordnung wirklich unabdingbar ist.
Im Übrigen: Wer den Staat ruft, wird ihn so schnell
nicht wieder los! Trotzdem: Die öffentliche Hand darf
sich beim Sport nicht ganz raushalten dazu ist er gesell-
schaftspolitisch zu wichtig. Auch finanziell muss der
Staat dem autonomen Sport helfen. So muss die nationale
Anti-Doping-Agentur jetzt endlich ihre Arbeit aufnehmen
können das darf nicht an der Finanzierung scheitern.
Sportverbände und Wirtschaft dürfen nicht aus der Pflicht
entlassen werden, sich an der Finanzierung der NADA zu
beteiligen. Beide müssen ein überragendes Interesse an
einem sauberen Sport haben nicht zuletzt als Werbe-
träger und sollten bei der Finanzierung der NADA mit
einem angemessenen Beitrag mithelfen. Aber niemand
beteiligt sich freiwillig an einem Phantom der Bund
sollte deshalb im nächsten Halbjahr zeigen, dass es ihm
Ernst ist mit der NADA, damit sie wirklich endlich auf die
Füße kommt.
Darüber hinaus fordert die FDP-Bundestagsfraktion
die Bundesregierung auf, sich für eine weltweite Harmo-
nisierung der Doping-Bekämpfung stark zu machen und
die europäische und die internationale Zusammenarbeit
im Bereich des Zolls und bei der Bekämpfung des Inter-
net-Handels mit Doping-Mitteln auszubauen. Denn auf
diesem Gebiet ist der Staat wirklich der richtige Akteur!
Das können die Verbände nicht allein genauso wenig,
wie die dringend erforderliche Datenerhebung zum Do-
ping im Fitness-Sport und eine verstärkte Aufklärungsar-
beit über Gefahren des Dopings. Hier sollten Bund, Län-
der und Sportverbände, auch mit Unterstützung der
Wirtschaft und der Medien, dazu beitragen, das Bewusst-
sein über Doping-Gefahren unter den Sportlern und Trai-
nern und in der Bevölkerung, im Breitensport, weiter zu
schärfen. Wir dürfen uns den Sport durch das Doping
nicht kaputtmachen lassen! Aber wir dürfen den autono-
men Sport auch nicht selbst kaputtmachen, indem wir
gleich auf die Knute des Gesetzes setzen.
Gustav-Adolf Schur (PDS): Doping ist ein uner-
schöpfliches Thema, es beschäftigt uns in geradezu
beängstigender Regelmäßigkeit im Deutschen Bundestag
und in seinen Ausschüssen: Parlamentsdebatten, aufwen-
dige Expertenanhörungen, Evaluierungsgespräche zu
Stiftungsgründungen, WADA und NADA, Dopingopfer-
verbände und, und, und.
Bisher steht gesichert zu dieser Problematik fest: Der
Dopingmissbrauch in Deutschland steigt, sowohl im
Spitzen- als auch im Fitnessbereich. Er bewegt sich in
Schwindel erregenden Höhen und hat die Zahl von zwei-
hunderttausend weit überschritten. Kriminelle Energie er-
wies sich bisher stärker als alle Regeln, als Recht und Ge-
setz. Es geht um Maximalprofite für Drogenhersteller und
Drogenhändler; für Athleten aller Leistungskategorien
mit Siegambitionen gibt es einen hemmungslos aufberei-
teten Markt für das Erreichen von so genannten Sieger-
typen bzw. Schönheitskönigen und -königinnen.
Uns fehlen Maßnahmen, die den Drogenhandel min-
destens so verfolgen wie den Dopinghandel, den Drogen-
missbrauch konsequent bestrafen und eine wirkungsvolle
Aufklärung und Prävention garantieren. Ersteres sollte
mit der Novellierung des Arzneimittelgesetzes gewähr-
leistet werden. Zum Zweiten ist ein Anti-Doping-Gesetz,
wie bereits in Frankreich und Italien installiert und Erfolg
versprechend praktiziert, unbedingt notwendig bzw.
überfällig. Selbstverständlich erfordert das eine zielstre-
bige und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen dem
Gesundheitsministerium, dem Bundesinnenministerium,
den Bildungseinrichtungen der Länder und dem Deut-
schen Sportbund. Der Zeitraum bis zur Sommerpause ist
dazu angemessen.
Wenn aber heute immer mehr Töne laut werden, man
müsse erst den Erfahrungsbericht zur Novellierung des
Arzneimittelgesetzes abwarten und dann erst ein Anti-
Doping-Gesetz entwickeln, dann sind die Olympischen
Spiele 2004 von Athen bereits Geschichte und Dopingtote
im Fitnessbereich gehören zur Normalität, ehe ein Anti-
Doping-Gesetz verabschiedet ist.
Dass eine zügige, gewissenhafte und fachliche Vorbe-
reitung des Gesetzentwurfes nicht zur Wahlkampffarce
verkommen darf, liegt doch einzig und allein an uns allen.
Die PDS unterstützt jede Initiative in dieser Richtung.
Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister des Innern: Die Dopingbekämpfung im Sport
ist ein Kernelement der Sportpolitik der Bundesregierung.
Nach der von der Verfassung vorgegebenen Zuständig-
keitsverteilung konzentriert sich die Bundesregierung auf
die Dopingbekämpfung im Spitzensport sowie auf den
Gesundheitsschutz von Sportlerinnen und Sportlern.
Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass in erster Line
der Sport selbst auf nationaler und internationaler Ebene
für die Dopingbekämpfung und insbesondere für die
Durchführung der gebotenen Trainings- und Wettkampf-
kontrollen sowie für die konsequente Durchführung ab-
schreckender Sanktionen zuständig ist.
Die Bundesregierung ist bereit, da unterstützend ein-
zugreifen, wo die Mittel des Sports nicht weiterhelfen. Sie
wird nicht nachlassen, ihren Einfluss geltend zu machen,
um erkennbare Defizite bei der Dopingbekämpfung zu
beseitigen.
Eine Maßnahme zur effektiveren Dopingbekämpfung
wurde mit der Verschärfung des Arzneimittelgesetzes ge-
troffen. Damit das gesetzliche Dopingverbot für das Um-
feld der Sportlerinnen und Sportler, den Arzt, Trainer oder
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19451
(C)
(D)
(A)
(B)
sonstige Betreuer, auch wirksam durchgesetzt werden
kann, müssen den Ermittlungsbehörden die einen An-
fangsverdacht begründenden Tatsachen allerdings auch
bekannt werden. Wie wichtig dies ist, zeigt auch die Stu-
die des Lübecker Mediziners Dr. Boos über Dopingmiss-
brauch in Fitnessstudios. In 17 Prozent der Fälle, bei de-
nen sich ein Anabolikamissbrauch ergab, wurden anabole
Steroide ärztlich verordnet.
Die Große Anfrage zu Doping im Spitzensport und
Fitnessbereich sowie die Antwort der Bundesregierung
darauf lassen keinen Zweifel daran, dass es nicht nur im
Spitzensport, sondern auch im Fitness- und Freizeitbe-
reich ein Dopingproblem gibt. Auch das wurde durch die
Studie von Dr. Boos eindringlich bestätigt.
Der Dopingmissbrauch im Freizeit- und Fitnessbereich
ist ein ernsthaftes gesellschaftliches Problem, bei dessen
Bewältigung in erster Linie die Bundesländer gefordert
sind. Die Möglichkeiten des Bundes sind hier begrenzt.
Eine besondere Rolle bei der Bekämpfung des Doping im
Freizeit- und Fitnessbereich spielt die umfassende Auf-
klärung über Auswirkungen des Doping auf die Gesund-
heit des Fitnesstreibenden. Ich begrüße es daher sehr, dass
die Sportministerkonferenz bereits im Dezember 1999 die
Verantwortlichkeit der Länder bekräftigt hat.
Große Hoffnung im Hinblick auf eine effektive Do-
pingbekämpfung setze ich auf die Gründung der Stiftung
Nationale Anti-Doping-Agentur. Ihre Gründung wird von
der Bundesregierung nachhaltig unterstützt. So ist beab-
sichtigt, die bisherige Bundesförderung von über 2 Milli-
onen für die Dopinganalytik in die NADA zu überführen.
Außerdem wird der Bund 10 Millionen DM in das Stif-
tungsvermögen der NADA einbringen. Darüber hinaus
soll die Forschungsförderung zur Dopingbekämpfung im
bisherigen Rahmen fortgeführt werden. Auch die Bun-
desländer beabsichtigen, 2 Millionen DM zum Stiftungs-
kapital beizutragen.
Um die NADA zu einem unabhängigen Instrument der
Dopingbekämpfung zu entwickeln, sollten alle gesell-
schaftlichen Kräfte, die für Fairness und Chancengleich-
heit eintreten, bei der NADA eingebunden werden.
Eine neue Form der Partnerschaft von Sport und Poli-
tik wurde erstmals mit der Gründung der Welt-Anti-
Doping-Agentur im November 1999 geschaffen. In den
Gremien der WADA sind staatliche Stellen und Sportor-
ganisationen gleichermaßen vertreten. Ich halte die
WADA für ein wichtiges, wenn nicht gar das wichtigste
Instrument der Dopingbekämpfung auf internationaler
Ebene. Von ihr erwarte ich wichtige Impulse für eine ein-
heitliche, von allen Beteiligten akzeptierte, Doping-
bekämpfung.
Was die Schaffung eines Anti-Doping-Gesetzes anbe-
langt, sollten wir nicht in Aktionismus verfallen, sondern
zunächst sorgfältig prüfen, ob sich die Verschärfung des
Arzneimittelgesetzes bewährt hat und ob eventuell noch
Handlungsbedarf besteht und wo sich Lücken in der Do-
pingbekämpfung auftun. Mit dem Sport wurde seinerzeit
vereinbart, nach etwa zwei Jahren eine entsprechende
Auswertung des Arzneimittelgesetzes vorzunehmen.
Leider liegen uns noch nicht alle erforderlichen Infor-
mationen von allen Bundesländern vor, sodass derzeit
keine abschließende Bewertung möglich ist. Es zeigt sich
jedoch, dass die Verbotsregelungen des Arzneimittelge-
setzes erste Wirkungen zeigen, insbesondere bezüglich
der Aufdeckung ärztlichen Fehlverhaltens.
Allerdings müssten die Sportverbände noch mehr als
bisher den Strafverfolgungsbehörden die für einen An-
fangsverdacht erforderlichen Tatsachen mitteilen, damit
diese ein Ermittlungsverfahren einleiten können. Ich un-
terstütze daher das Vorgehen des Deutschen Sportbundes,
der seine Mitgliedsverbände verpflichtet hat, Anzeige bei
der Staatsanwaltschaft zu stellen, wenn sich ein Verdacht
der verbotenen Weitergabe von Dopingsubstanzen durch
Trainer oder Sportarzt ergibt. Denn nur die Sportorgani-
sationen verfügen über entsprechende Informationen, da
sich in ihrer Sphäre die Dopingverstöße ereignen.
Wir sollten uns mit dem Sport bemühen, für eine kon-
sequente Umsetzung der bestehenden Vorschriften zu sor-
gen. Wenn wir dann jedoch zu der Erkenntnis kommen,
dass weiterhin gesetzliche Defizite bestehen, so sollten
wir gemeinsam mit dem Sport nach möglichen Rege-
lungsmöglichkeiten suchen.
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zum Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Ände-
rung des Medizinproduktegesetzes (2. MPG-
ÄndG) (Tagesordnungspunkt 15)
Carola Reimann (SPD): Wir beraten heute einen Ge-
setzentwurf, der den Verbraucherschutz in der Medizin
zum Wohle des Patienten verbessert. Gleichzeitig wird es
von der Medizinprodukte-Industrie schon längst erwartet
und ist ein Beispiel dafür, dass wirtschaftliche Interessen
und Verbraucherschutz Hand in Hand gehen können. Der
Entwurf setzt zwei EU-Richtlinien, die Richtlinie
98/79/EG und die Richtlinie 2000/70/EG, und bezieht da-
mit In-vitro-Diagnostika und Medizinprodukte, die sta-
bile Derivate aus menschlichem Blut oder Blutplasma
enthalten, in den Anwendungsbereich des Medizinpro-
duktegesetzes ein. In-vitro-Diagnostika sind im Wesentli-
chen Reagenzien und Geräte für medizinische Laborun-
tersuchungen; zu den Medizinprodukten, die stabile
Derivate aus menschlichem Blut oder Blutplasma enthal-
ten, gehören zum Beispiel mit Albumin beschichtete Ka-
theter. Mit den neuen Regelungen wird der Marktzugang
für diese Produkte wesentlich erleichtert. Sie sind im ge-
samten europäischen Wirtschaftsraum verkehrsfähig,
wenn sie die im Gesetz vorgegebenen Voraussetzungen
für das Inverkehrbringen erfüllen und die CE-Kennzeich-
nung tragen. Der Markt für medizintechnische Produkte
ist ein globaler Wachstumsmarkt. Er wächst in den Indu-
strienationen um circa 5 bis 7 Prozent jährlich. Der Welt-
markt für Medizinprodukte hat bereits jetzt ein geschätz-
tes Volumen von etwa 200 Milliarden DM pro Jahr. Das
Produktionsvolumen der deutschen Medizinprodukte-In-
dustrie, die in 1 200 Betrieben rund 110 000 Mitarbeiter
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119452
(C)
(D)
(A)
(B)
beschäftigt, liegt bei circa 28 Milliarden DM. Der Expor-
tanteil von mehr als 50 Prozent unterstreicht die interna-
tionale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Medizinpro-
dukte-Industrie. Über die Umsetzung europäischen
Rechts hinaus verfolgt das Gesetz eine Reihe weiterer
Ziele. So trägt es den bisherigen Erfahrungen in der An-
wendung des Medizinprodukterechts Rechnung, indem es
Korrekturen und Klarstellungen vornimmt sowie Rege-
lungslücken schließt.
Auf einige Schwerpunkte des Gesetzes außerhalb der
Richtlinienumsetzung möchte ich näher eingehen: Dies
sind zum einen die neuen Regelungen zur Aufbereitung
von Medizinprodukten, die keimarm oder steril angewen-
det werden. Wichtig war uns eine Lösung, die zum einen
dem vorbeugenden Verbraucherschutz, andererseits aber
auch der Finanzierbarkeit unseres Gesundheitswesens
Rechnung trägt. Ich möchte Ihnen die zentralen Neurege-
lungen kurz skizzieren: Für die Aufbereitung, auch von so
genannten Einmalprodukten, dürfen nur Verfahren ange-
wendet werden, die sicherstellen, dass der Erfolg nach-
vollziehbar gewährleistet ist und die Sicherheit und Ge-
sundheit von Patienten, Anwendern oder Dritten nicht
gefährdet wird. Bindend hierfür ist die gemeinsame Emp-
fehlung zu den Anforderungen an die Hygiene bei der
Aufbereitung von Medizinprodukten, die von der Kom-
mission für Krankenhaushygiene und Infektionspräven-
tion am Robert-Koch-Institut und vom Bundesinstitut für
Arzneimittel und Medizinprodukte ausgegeben wird. In
der Vergangenheit haben sich Betriebe als externe Dienst-
leister etabliert, die im Auftrag von Krankenhäusern Me-
dizinprodukte aufbereiten. Die Anforderungen an die
Aufbereitung gelten nun auch für diese Betriebe. Darüber
hinaus müssen sich Betriebe und Einrichtungen anzeigen,
die Medizinprodukte für andere aufbereiten. Damit wird
eine wirkungsvolle Überwachung durch die zuständigen
Behörden erst möglich. Ein weiterer Schwerpunkt des
Gesetzes ist die Neustrukturierung und teilweise Ände-
rung der Vorschriften über die Anzeigepflichten sowie zur
Überwachung und zur Abwehr von Risiken. Das Gesetz
differenziert künftig klar und deutlich zwischen den Re-
gelungen über die allgemeinen Bestimmungen für die
Durchführung der Überwachung, den Regelungen über
die Maßnahmen bei unrechtmäßiger und unzulässiger
Anbringung der CE-Kennzeichnung und den Regelungen
zu den Verfahren zur Abwehr von Risiken. Diese werden
deshalb auch gesondert in einzelnen Paragraphen gere-
gelt, was bisher nicht der Fall war.
In diesem Zusammenhang wird auch der Umfang der
behördlichen Überwachung neu geregelt. Bislang sieht
das geltende Recht nur eine stichprobenartige Überwa-
chung vor. Die generelle Einschränkung der Überwa-
chung auf Stichproben hat sich aber als nicht sachgerecht
erwiesen. Daher wird einerseits die bisherige Einschrän-
kung des Überwachungsauftrages aufgehoben, es ande-
rerseits aber den Behörden überlassen, den Umfang der
Überwachung unter Berücksichtigung des Risikopotenzi-
als der jeweiligen Medizinprodukte selbst zu bestimmen.
Im Zusammenhang mit der Überwachung und der Ab-
wehr von Risiken bei Medizinprodukten möchte ich auch
auf den Sicherheitsplan für Medizinprodukte hinweisen.
Auf der Grundlage des Medizinproduktegesetzes werden
hier die Einzelheiten zur Erfassung, Bewertung und Ab-
wehr von Risiken bei Medizinprodukten geregelt. Die Ri-
sikobewertung bei Medizinprodukten erfolgte bisher auf
der Grundlage der europäischen Richtlinien, des Medi-
zinproduktegesetzes, der Medizinprodukteverordnung,
der von der europäischen Kommission erarbeiteten Leit-
linien und einer Bekanntmachung des BMG. Dabei sind
vereinzelt Schwierigkeiten aufgetreten, weil detaillierter
verbindliche Vorgaben gefehlt haben. Zur Vermeidung
von Defiziten im Gesundheitsschutz werden die Ver-
pflichtungen der Beteiligten und die zu beachtenden Ver-
fahren künftig in dieser Verordnung konkretisiert. Wich-
tig war uns auch die Deregulierung und Straffung des
Medizinproduktegesetzes. In diesem Zusammenhang ha-
ben wir eine Reihe von Verordnungsermächtigungen und
Verweisungsketten gestrichen. Lassen Sie mich hierzu ein
Beispiel nennen: Nach den Vorgaben der europäischen
Richtlinien müssen Medizinprodukte, damit Sie in den
Verkehr gebracht werden dürfen, unter anderem die so ge-
nannten grundlegenden Anforderungen erfüllen. Diese
sind in den Anhängen der entsprechenden europäischen
Richtlinien verbindlich vorgeschrieben. Bisher enthält
das Gesetz die Regelung, dass Voraussetzung für das In-
verkehrbringen von Medizinprodukten die Erfüllung der
grundlegenden Anforderungen ist. Weiterhin gibt es eine
Ermächtigung, dass das Bundesgesundheitsministerium
durch Rechtsverordnung die grundlegenden Anforderun-
gen an Medizinprodukte bestimmen kann. In der Verord-
nung dies ist die Medizinprodukteverordnung wird
dann auf die einschlägigen Anhänge der Richtlinien ver-
wiesen. Jetzt haben wir im Gesetz selbst auf die Anhänge
der Richtlinien verwiesen und uns den Umweg über die
Verordnung gespart. Wir haben eine gleitende Verwei-
sung vorgesehen, sodass Änderungen in den Anhängen
der Richtlinien automatisch auch im deutschen Medizin-
produktegesetz zu berücksichtigen sind.
Dass der Ansatz einer Regelung im Gesetz zu einer
besseren Lesbarkeit und zu einem besseren Verständnis
des Gesetzes beiträgt, wurde uns von verschiedenen Sei-
ten bestätigt. Ähnlich wie mit den grundlegenden Anfor-
derungen sind wir mit der Klassifizierung von Medizin-
produkten, mit der klinischen Bewertung einschließlich
klinischer Prüfung und den Mindestkriterien für die Be-
nennung von Prüfstellen umgegangen. Auch diese Rege-
lungen sind unmittelbar in das Gesetz aufgenommen. Da-
gegen kann auf die Ermächtigungsnorm zur Regelung
einer Zertifizierung von Sachverständigen ganz verzich-
tet werden, da wir unter Aspekten des Gesundheits-
schutzes keine Notwendigkeit sehen, speziell im Medi-
zinproduktegesetz bundeseinheitliche Anforderungen an
Sachverständige zu stellen. Weitere Punkte der Deregu-
lierung sind der Bund-Länder-Ausschuss sowie der bis-
lang noch nicht etablierte Ausschuss für Medizinpro-
dukte. Diese sollten das Bundesministerium für
Gesundheit dabei unterstützen, sich notwendige Informa-
tionen für Entscheidungen zu verschaffen. Der erforderli-
che Abstimmungs- bzw. Beratungsbedarf mit den Län-
dern und den betroffenen Kreisen kann jedoch auf andere
Weise gezielter und flexibler erfolgen. Deshalb können
die beiden Ausschüsse entfallen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19453
(C)
(D)
(A)
(B)
Im Rahmen des 2. MPG-ÄndG wird auch das Heilmit-
telwerbegesetz (HWG) geändert. Das Heilmittelwerbege-
setz betraf bislang nur Medizinprodukte, soweit es sich
um Gegenstände handelte. Die Besonderheiten der Medi-
zinprodukte blieben damit aber unberücksichtigt. Daher
soll das Heilmittelwerbegesetz künftig grundsätzlich auf
Medizinprodukte anwendbar sein. Da Medizinprodukte
in Laienhand im Hinblick auf ihr Gefährdungspotenzial
nicht mit Arzneimitteln vergleichbar sind, erfolgt jedoch
eine differenzierte Ergänzung des Heilmittelwerbegeset-
zes. Im Ergebnis wird somit eine verbesserte Aufklärung
und Information der Patienten erreicht. Das wird unserem
Ziel gerecht, den Patienten mündiger zu machen. Da auch
die rasante Entwicklung im Bereich der Medien Stich-
wort Internet für den Verbraucher positiv genutzt wer-
den soll, ist die Werbung für Medizinprodukte nicht mit
der für Arzneimittel gleichgestellt. Die Neuregelungen
berücksichtigen jedoch auch den grundsätzlichen An-
spruch des Verbrauchers auf einen Schutz vor unsach-
gemäßer Beeinflussung. Letztendlich überwiegt aber in
einer aufgeklärten Gesellschaft der Anspruch auf Infor-
mation, die auch mittels Werbung erfolgen kann.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Punkt nen-
nen, der im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens heftig
diskutiert wurde: Die Frage der Zulässigkeit privater
Prüfzeichen neben der CE-Kennzeichnung. Mit dem vor-
liegenden Gesetz dürfen neben der CE-Kennzeichnung
zusätzliche Zeichen angebracht werden, wenn sie nicht in
die Irre führen und die Sichtbarkeit und Lesbarkeit der
CE-Kennzeichnung nicht beeinträchtigen. Mit dem zu-
sätzlichen privaten Prüfzeichen muss auch künftig ein zu-
sätzlicher Nutzen verbunden sein.
Dr. Sabine Bergmann-Pohl (CDU/CSU): Die Bun-
destagsfraktion der CDU/CSU begrüßt den vorliegenden
Gesetzentwurf zur Änderung des Medizinprodukte-
gesetzes.
Das Medizinproduktegesetz hat sich nach meinem
Eindruck in den vergangenen nunmehr fast sieben Jahren
weitgehend bewährt. Aber auch Bewährtes gilt es weiter-
zuentwickeln. Hinzu kommen die Notwendigkeit der
Umsetzung von EG-Recht in deutsches Recht und die für
die Beteiligten löbliche Vereinfachung von Regulie-
rungsvorschriften mit dem Ziel einer größeren Transpa-
renz ein Anliegen, das meine Fraktion uneingeschränkt
unterstützt.
Lassen Sie mich nun auf einige Punkte des Gesetzent-
wurfes näher eingehen, die mir und meiner Fraktion be-
sonders wichtig sind: Das vorliegende Gesetz ist ein gutes
Beispiel dafür, wie man rechtliche Vorschriften ver-
schlanken und Überregulierungen vermeiden kann. Dop-
pelnennungen, unnötige Verweisungsketten und überflüs-
sige Vorschriften wurden gestrichen. Beispielsweise finde
ich den Verzicht auf den Bund-Länder-Ausschuss für Me-
dizinprodukte und den Ausschuss für Medizinprodukte
beim BMG gut, da solche Gremien zwar in der Ge-
schäftsführung erheblichen bürokratischen Aufwand be-
deuten, im inhaltlichen Output aber häufig bescheidene
Ergebnisse nach dem Motto Ist gut, dass wir darüber ge-
sprochen haben produzieren.
Bund-Länder-Arbeitsgruppen oder themenspezifische
Ad-hoc-Gruppen können auch ohne gesetzliche Regelun-
gen bei gegebenem Anlass tagen. Und sie tun es auch, wie
beispielsweise die Task Force beim RKI zum Thema:
Überlegungen und Empfehlungen zur Minimierung des
Risikos einer iatrogenen Übertragung der vCJK durch po-
tenziell kontaminierte Medizinprodukte beweist, die in
Kürze ihre Ergebnisse präsentieren wird. Man braucht
also nicht unnötige Paragraphen, die ein schnelles, ziel-
gerichtetes Agieren eher behindern.
Im Ergebnis der Neustrukturierung des Gesetzes hat
sich nicht nur die Lesbarkeit, sondern auch vor allem die
praktische Handhabbarkeit für die Beteiligten verbessert.
Man hat bei den Beratungen zum Gesetz die Empfeh-
lungen und Erfahrungen der Praxis durch Auswertung ei-
nes Erfahrungsberichts berücksichtigt.
Qualitätsgesichtspunkte sind bei der Herstellung, dem
Betreiben, der Anwendung und der Instandhaltung von
Medizinprodukten außerordentlich wichtig. Meine Frak-
tion begrüßt, die Intensität der Überwachung durch die
Länder am Risikopotenzial des Medizinproduktes zu ori-
entieren. Eine CE-Kennzeichnung kann eine Marktüber-
wachung nicht überflüssig machen.
Ein besonderes Anliegen ist für uns die Wiederaufbe-
reitung von Medizinprodukten, insbesondere von Ein-
malprodukten. Lassen Sie mich dies erläutern. Medizini-
sche Instrumente werden immer ausgereifter. Früher
bestanden diese Instrumente hauptsächlich aus Metall,
Keramik und Glas. Diese ließen sich einfach sterilisieren.
Heute hingegen werden bei der Herstellung von medizi-
nischen Instrumenten in großer Zahl Kunststoffe einge-
setzt. Das macht die Instrumente funktionaler und viel-
seitig einsetzbar. Kunststoffe lassen sich aber schwerer
sterilisieren. Problem ist in diesem Zusammenhang, dass
diese Produkte bei der Herstellung oft vom Hersteller
nicht für eine Aufbereitung oder Wiederverwertung aus-
gelegt werden warum auch immer. So werden bestimm-
te Produkte als Einmalprodukte bezeichnet, obwohl eine
Wiederaufbereitung nach heutigem Stand der Technik
möglich ist.
Moderne medizinische Instrumente sind oftmals teuer,
so kosten einige über 1 000 DM. In der Anhörung wurde
deutlich, dass aufgrund des erheblichen Kostendruckes in
den Krankenhäusern kostenintensive Einmalprodukte,
die zum Beispiel in der minimal invasiven Chirurgie ein-
gesetzt werden, aufbereitet werden. In etlichen Kranken-
häusern gibt es keine Voraussetzungen, mittels validierter
Verfahren eine ordnungsgemäße Wiederaufbereitung
nachzuweisen. Das kann die Sicherheit der Patienten ge-
fährden. Die finanzielle Situation wird sich bei der Ein-
führung der DRGS eher noch verschärfen. Experten ha-
ben errechnet, dass bei der Wiederaufbereitung so
genannter Hightech-Medizinprodukte bis zu einer Milli-
arde DM an Einsparungen zu erbringen sei. Wir müssen
also abwägen zwischen einem möglichst optimalen vor-
beugenden Verbraucherschutz und den finanziellen Mög-
lichkeiten der GKV.
Ich halte den jetzt eingeschlagenen Weg, die Anforde-
rungen an die Aufbereitung im Medizinproduktegesetz, in
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119454
(C)
(D)
(A)
(B)
der Medizinprodukte-Betreiberverordnung und in der
neuen Hygiene-Richtlinie des Robert-Koch-Institutes
für geeignet, beiden Interessen gerecht zu werden. Aller-
dings müssen die Vorschriften vor Ort strikt eingehalten
und auch streng kontrolliert werden. Meiner Bitte an das
Bundesministerium für Gesundheit, im Rahmen der Ge-
sundheitsministerkonferenz dieses Thema anzusprechen,
wurde von der Parlamentarischen Staatssekretärin ent-
sprochen, wofür ich dankbar bin. Die Länder müssen
durch angemessene Kontrollen und eine kontinuierliche
Überwachung der Wiederaufbereitung von Medizinpro-
dukten mittels produktspezifischer validierter Verfahren
die Sicherheit der Patienten und Anwender gewährleisten.
Das Gesetz regelt weiterhin die Werbung für Medizin-
produkte. Bisher fehlte es an einer ausdrücklichen Rege-
lung. In der Rechtsprechung gab es divergierende Ent-
scheidungen. So haben die Gerichte für Medizinprodukte
in bestimmten Fällen das Heilmittelwerbegesetz ange-
wandt. Die Beseitigung bisher bestehender gesetzlicher
Unsicherheiten wird von uns begrüßt. Es war dabei eine
Abwägung zwischen dem Schutz des Verbrauchers und
seinem Informationsrecht einerseits und den wirtschaftli-
chen Interessen von Herstellern andererseits zu treffen.
Medizinprodukte fallen jetzt grundsätzlich unter das
Heilmittelwerbegesetz. Aber die strukturellen Unter-
schiede von Medizinprodukten gegenüber Arzneimitteln
wurden berücksichtigt. Arzneimittel können vielfach Wir-
kungsweisen und Nebenwirkungen entfalten, die der Ver-
braucher ohne weiteres nicht überblicken kann. Hier be-
darf der Verbraucher eines stärkeren Schutzes als bei
bestimmten Medizinprodukten. Beispielsweise bei Bril-
len, Hörgeräten oder Blutzuckermessgeräten überwiegt
das Informationsinteresse des Verbrauchers. So ist auch
zukünftig eine Werbung für diese Medizinprodukte mög-
lich.
Dieses Gesetz ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Po-
litik mit Gesetzen nur einen Rahmen für das Handeln der
Beteiligten vorgeben sollte. Selbstregulierung, Selbstver-
pflichtungen und Eigenverantwortung der Beteiligten
sollte zunächst der Vorrang eingeräumt werden. Wirk-
same flankierende Kontrollmechanismen sind unerläss-
lich, wenn es um die Gesundheit der Patienten und An-
wender geht. Aber folgender Grundsatz muss aus meiner
Sicht beachtet werden: Kontrolle mit Augenmaß ja,
Überregulierungen und Bürokratie nein.
Vielleicht sollte Rot-Grün diese Methode der Deregu-
lierung auch in anderen Bereichen der Gesundheitspolitik
anwenden. Das wäre gegenüber der bisherigen chaoti-
schen Regulierungswut im Bereich der gesetzlichen
Krankenversicherung bestimmt für alle Beteiligten eine
Erleichterung.
Monika Knoche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir
haben es ja bereits vernommen: Die Novelle des 2. MPG-
Änderungsgesetzes ist in erster Linie ein Gesetz zur Ak-
tualisierung, Vereinfachung bzw. zur Deregulierung und
Anpassung einzelstaatlicher Gesetze, die die Mindest-
standards, klinische Prüfung, Marktüberwachung, Inver-
kehrbringen und Kennzeichnungen von Medizinproduk-
ten regeln. Diese Maßnahmen werden von der Fachwelt
und Industrie begrüßt. Dennoch ist das 2. MPG-Ände-
rungsgesetz als mehr als nur eine rein technische Umset-
zung zweier EU-Richtlinien in deutsches Recht zu verste-
hen.
Das Gesetz, über das wir heute abschließend reden,
lässt eine Reihe von Auswirkungen und eine Fülle von
Bezügen zu anderen gesetzlichen Regelungen erkennen.
Denn das eigentliche Novum des Medizinproduktege-
setzes 2. MPG-Änderungsgesetz besteht darin, dass
zum einen In-Vitro-Diagnostika IVD, zum anderen De-
rivate humanen Ursprungs, wie zum Beispiel Bestandteile
aus menschlichem Blut, neu in den Anwendungsbereich
dieses Gesetzes aufgenommen werden.
Das ist von größerer Bedeutung. Denn diese neue Res-
source humanbiologischer Herkunft wird einem weiteren
Zuwachs unterliegen. Gerade wegen der neuen Regelun-
gen für IVD und Derivate menschlichen Ursprungs kann
dieses Gesetz nur in Kenntnis und im Zusammenhang mit
einer Reihe ebenfalls berührter gesetzlicher Regelungen
betrachtet werden.
Ich nenne hier nur ein paar Beispiele, damit wir diese
Zusammenhänge nicht aus den Augen verlieren. Manches
davon wird systemisch weiterzuentwickeln sein, respek-
tive Gesetzesnovellen an anderer Stelle nach sich ziehen.
Stichwort Probandenschutz.
Da es an den forschenden Universitätskliniken gängige
Praxis ist, den Patienten für die Bio- und Gentechnik Blut,
Gewebe und Zellen, also genetisches Material, zu entneh-
men, sind die Probleme des Probandenschutzes sowie der
informierten Zustimmung von Spendern und Empfängern
als Problemkreis berührt.
Das Medizinproduktegesetz hat keine Antworten auf
Fragen des informed consent, der nicht nur für Empfän-
ger, sondern gerade auch für Spender gilt. Bekannte Fra-
gen dabei sind: Wie wird im klinischen Alltag sicherge-
stellt, dass der informed consent bzw. die Einwilligung
der Spender zur Beforschung ihrer die genetische Iden-
tität einschließenden Körpersubstanzen gewährleistet
ist? Wissen die Patienten, zu welchem Forschungszwecke
sie gegebenenfalls ihre Einwilligung an der Entnahme
und wissenschaftlichen Verwendung ihrer Körpersub-
stanzen gegeben haben? Was geschieht mit lagerungs-
fähigen Gewebe- und Zeltspenden, die ja alle die geneti-
schen Fingerabdrücke ihrer Spender enthalten? Bei der
Anhörung kamen diese Fragen zur Sprache.
Wir haben uns darauf verständigt, dies alles weiter zu
diskutieren und hier die Erarbeitungen der Enquete-Kom-
mission Recht und Ethik der modernen Medizin zu be-
achten. Denn allein den Ethikkommissionen der Kran-
kenhäuser können diese Entscheidungen in Zukunft nicht
mehr überlassen werden. Zu Fragen des Leistungskata-
logs der gesetzlichen Krankenversicherung machten
während der Anhörung Vertreter der Spitzenverbände der
Krankenkassen darauf aufmerksam, dass es einiger Klar-
stellungen bedarf, was die Versorgungsansprüche der Ver-
sicherten und den medizintechnischen Fortschritt angeht.
Denn auch hiervon handelt das Medizinproduktegesetz.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19455
(C)
(D)
(A)
(B)
Sie merken es schon, meine Herren und Damen, es geht
hier um Ressourcenallokation in Zeiten anhaltenden fi-
nanziellen Drucks auf die Kassen.
Damit Allokationsentscheidungen nicht zu Vertei-
lungsfragen werden die, wie allgemein gesehen wird,
ethische Fragen in der modernen Medizin sind sollten
wir im Arzneimittelgesetz, Heilmittelwerbegesetz, Trans-
fusionsgesetz, Sozialgesetzbuch und gegebenenfalls in ei-
nem Gentestgesetz das Weitere bearbeiten. Das MPG ist
weitgehend eine technische Umsetzung. Es genoss bei der
Anhörung überaus übereinstimmende Zustimmung. Was
auf die gute Arbeit des BMG zurückzuführen ist.
Detlef Parr (FDP): Auch wenn das Gesetz vornehm-
lich die Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales
Recht vornimmt, gibt es einige interessante Aspekte, die
mit dieser Novelle angegangen werden. Zu begrüßen ist,
dass der Versuch unternommen wird, das Medizinpro-
dukterecht praktikabler und handhabbarer zu gestalten.
Überregulierungen werden abgeschafft. Stattdessen wird
der Selbstverpflichtung der Betroffenen weitgehend Prio-
rität eingeräumt.
Viel ist im Vorfeld diskutiert worden über den Sicher-
heitsplan, der den Rahmen für die Marktüberwachung
vorgibt. Alle Beteiligten waren Sich dabei einig, dass die
Marktüberwachung der Länder besser koordiniert werden
muss und der Informationsaustausch besser funktionieren
muss als in der Vergangenheit. Allerdings, auch das ist
klar, kann es eine ständige Überprüfung bereits auf dem
Markt befindlicher Medizinprodukte nicht geben. Das ist
viel zu aufwendig und das macht auch keinen Sinn. Es
wird vielmehr darauf ankommen, in der Praxis ein risiko-
abgestuftes Verfahren zu entwickeln. Das Gefährdungs-
potenzial eines Medizinproduktes sollte ausschlaggebend
dafür sein, wie engmaschig das Überwachungssystem ist.
Die Anforderungen sollten nach Gefahrenstufen gestaffelt
werden.
Intensive Diskussionen hat es um die Frage gegeben,
inwieweit eine Wiederaufbereitung von Medizinproduk-
ten möglich sein soll. Dabei haben insbesondere zwei
Aspekte eine Rolle gespielt: An erster Stelle die Sicher-
heit für die Patienten und an zweiter Stelle die Wirt-
schaftlichkeit. Fest steht: Es muss sichergestellt sein, dass
Patienten keinesfalls durch wiederaufbereitete Medizin-
produkte zu Schaden kommen können. Nur dann, wenn
Produkte ohne Risiken für die Patienten wieder aufberei-
tet werden können, ist es möglich, das zuzulassen. Nur bei
hohen Sicherheitsanforderungen sollte hierauf nicht
verzichtet werden, wenn dadurch knappe Ressourcen
geschont werden können. Aber diese Produkte müssen
unbedingt die gleichen Anforderungen erfüllen wie neu-
wertige.
Kritisch sehe ich die Erweiterung des Prüfungsauftrags
der Ethik-Kommissionen, die das Gesetz nun vorsieht.
Bereits heute sind die Kommissionen überlastet. Die Mit-
glieder müssen hauptsächlich Forscher sein. Im Neben-
amt wie es heute geschieht sind die erweiterten Auf-
gaben nur schwerlich zu erfüllen.
Wenn wir eine durchgreifende Gesundheitsreform
wollen, müssen wir auch das Heilmittelwerbegesetz auf
den Prüfstand stellen. Überregulierungen finden sich auch
hier. Die Werbung von Medizinprodukten soll jetzt den
Regelungen dieses Gesetzes unterworfen werden. Zu den
zukünftig verbotenen Werbemethoden soll auch die un-
verlangte Abgabe von Proben zählen. Wir halten eine sol-
che Restriktion für überflüssig.
In der Anhörung wurde deutlich, dass das Gesetz im
Hinblick auf Hinweise, die auf europäische Richtlinien
und deren Anhänge gemacht werden, schwer lesbar ist.
Die Umsetzung europäischen Rechts in nationales Recht
gestaltet sich offenbar immer wieder schwierig.
Wir werden die Entwicklung in den nächsten Monaten
sehr intensiv beobachten, um zu sehen, ob sich die ge-
troffenen Entscheidungen auch in der Praxis bewähren.
Dr. Ruth Fuchs (PDS): Das Zweite Gesetz zur Ände-
rung des Medizinproduktegesetzes setzt EU-Richtlinien
über In-Vitro-Diagnostika sowie über Produkte, die sta-
bile Derivate aus menschlichem Blut oder Blutplasma
enthalten, in nationales Recht um. Zum anderen gibt es
Antworten auf herangereifte Probleme, die sich in den
letzten Jahren aus der Arbeit mit dem Medizinprodukte-
gesetz ergeben haben. Dieser Rechtsbereich ist in der
Bundesrepublik bekanntlich noch relativ neu. Es ist des-
halb verständlich, dass jetzt die bisher gesammelten Er-
fahrungen ihren Niederschlag in einer Gesetzesnovellie-
rung finden.
Das Gesetz schließt bestehende Lücken und hilft, die
Sicherheit für Patienten und Anwender beim Umgang mit
Medizinprodukten zu erhöhen. In diesem Zusammenhang
finden wir es auch wichtig, dass die Aufgaben der zustän-
digen Bundesoberbehörde bei der Erfassung und Bewer-
tung von Vorkommnissen bei der Anwendung von Medi-
zinprodukten genauer bestimmt werden. Ebenso zu
begrüßen ist die Klarstellung, dass Werbung für Medizin-
produkte grundsätzlich unter die Bestimmungen des Heil-
mittelwerbegesetzes fallen soll.
Das jetzt vorliegende Gesetz wird angesichts der dy-
namischen wissenschaftlich-technischen Entwicklung
wiederum nur für einen gewissen Zeitraum Bestand ha-
ben können. Das sollte der Gesetzgeber schon jetzt im
Blick behalten. Eine kontinuierliche Analyse der ein-
tretenden Veränderungen gegebenenfalls durch eine
ständige Arbeitsgruppe des Bundesministeriums für Ge-
sundheit könnte dem Rechnung tragen. Schon jetzt
scheinen sich einige Felder abzuzeichnen, die entspre-
chend beobachtet werden sollten. Beispielsweise werden
gemäß Art. 11 ergänzende Regelungen zu Kontrollunter-
suchungen und Vergleichsmessungen in medizinischen
Laboratorien in die Medizinproduktebetreiber-Verord-
nung aufgenommen. Hier wäre in der Folgezeit darauf zu
achten, ob künftig nicht vom Hersteller verlangt werden
sollte, die Qualität von In-Vitro-Diagnostika auch durch
Prüfung der Einsatzstoffe und durch Funktionsprüfungen
unter Standardbedingungen zu sichern. Ähnliches gilt
nach unserer Auffassung für die Anforderungen an die
Tätigkeit der Medizinprodukteberater. Absehbar ist, dass
Medizinprodukte hinsichtlich Sortiment, Qualität und
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119456
(C)
(D)
(A)
(B)
Einsatzhäufigkeit weiter an Bedeutung gewinnen. Die
Frage einer Zertifizierung dieser Sachverständigen, die
jetzt negativ entschieden wurde, sollte deshalb noch nicht
ad acta gelegt werden. Schließlich geht es darum, die Be-
ratung der Ärzte für den Umgang und bei der Anwendung
von Medizinprodukten stets mit gesicherter Sachkunde
und Eindeutigkeit zu gewährleisten.
Dem vorliegenden Gesetz geben wir unsere Zustim-
mung.
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
a) der Unterrichtung: Tierschutzbericht 2001
der Bundesregierung
b) des Antrags: Verbesserungen im Tierschutz
national und europaweit vorantreiben (Tages-
ordnungspunkt 16 a und b)
Heino Wiese (Hannover) (SPD): Ich möchte mich
zunächst bei Marianne Klappert bedanken; sie hat uns
eine komplexe Darstellung der offenen Themen im Tier-
schutzbereich präsentiert. Dass der Kollege Ronsöhr dem
in vielen Punkten nicht beipflichtet, ist mir auch klar.
Ich halte die Legehennenverordnung für ein wichtiges
Signal an die Geflügelhalter. Ich glaube nicht, dass die
Verordnung die optimale Schnittmenge zwischen Tier-
schutz, Hygiene, ökologischen Rahmenbedingungen und
wirtschaftlichen Notwendigkeiten abbildet. Ich glaube,
dass bei objektiver wissenschaftlicher Betrachtung andere
und bessere Formen artgerechter Haltung gefunden wer-
den können. Aber das ist jetzt nicht mehr die Frage. An der
langjährigen Verweigerungshaltung der Eierproduzenten
ist das gescheitert. Aber es gibt ja auch noch die Geflü-
gelhaltung zu Mastzwecken und da rate ich den Geflügel-
haltern, schnell zu eigenen konstruktiven Vorschlägen zu
kommen. Wenn mir da jemand sagt: Die Mastputen wer-
den doch gar nicht in Käfigen gehalten, so halte ich das
für blanken Zynismus. Wenn sich die Puten aufgrund ih-
rer überzüchteten großen Brüste nicht mehr bewegen kön-
nen, braucht man ja auch keinen Käfig mehr. Die Öffent-
lichkeit und die Medien sind hinreichend aufmerksam,
dass ihnen diese Tierquälerei das Putenfleisch sehr
schnell verleiden wird. Die Geflügelwirtschaft muss also
schnellstens konstruktive Vorschläge machen. Sonst wer-
den emotionale Reaktionen Platz greifen.
Zu einer Position von Marianne Klappert habe ich eine
etwas andere Auffassung. Vielleicht liegt das daran, dass
mir das Fleisch von Weideochsen besonders gut
schmeckt. Ich halte die Kastration bei männlichen Rin-
dern für vertretbar, wenn dadurch die Haltung aus dunk-
len engen Ställen auf die Weide verlagert wird. Natürlich
sollte man die Kastration sachgerecht und hygienisch ein-
wandfrei durchführen und nicht durch unerfahrene Aus-
zubildende. Die Prämisse lautet, dem Tier möglichst
keine Schmerzen zuzufügen.
Ich bin aber der Meinung, dass man beim Tierschutz
nicht eindimensional denken darf. Wenn Tiere durch
vermeintlich artgerechte Haltung krank werden oder in
Dauerstress geraten oder nur durch Medikamenteneinsatz
lebensfähig sind, so ist das auch eine Form von Leiden,
die dem Tier zugefügt werden. Halterinnen und Halter
von Haustieren, die ihre kleinen Lieblinge buchstäblich
zu Tode füttern oder streicheln, sind auch Tierquäler.
Ein wesentlicher Grundsatz im Umgang mit Tieren
sollte aber sein, dass es sich nicht um Sachen oder Pro-
dukte handelt, sondern um Mitgeschöpfe. Wenn sich das
alle Handelnden bewusst machen, dann haben wir eine
Chance auf mehr Mitgefühl für die Tiere. Um diese
Chance zu verbessern, lassen Sie uns einen erneuten Ver-
such machen und den Tierschutz im Grundgesetz veran-
kern.
Die lieben Kolleginnen und Kollegen aus den Parteien,
die das große C im Namen führen, sollten zeigen, dass für
sie die christliche Nächstenliebe auch für die Mitge-
schöpfe gilt. Alle anderen Parteien im Deutschen Bun-
destag haben die Notwendigkeit der grundgesetzlichen
Verankerung lange eingesehen. Zeigen Sie, dass auch Sie
einsichtsfähig sind!
Marianne Klappert (SPD): Tierschutzpolitik ist keine
einfache Sache. Sie fand jahrelang eher unter Ausschluss
einer größeren Öffentlichkeit statt oder ohne größeres öf-
fentliches Interesse. Lediglich in Zeiten besonderer emo-
tionaler Anfälligkeit, zum Beispiel Weihnachten oder
Ostern, wurde den Missständen bei der Tierhaltung eine
größere Beachtung geschenkt in Form von aufrütteln-
den, gelegentlich reißerischen, nicht immer seriösen Me-
dienberichten. Leider verebbte die daraufhin einsetzende
Empörungswelle recht schnell wieder, wenn das Thema
aus den Medien verschwunden war.
Das ist seit der BSE- und MKS-Krise anders gewor-
den. Damit erhalten Tierschutzanforderungen nicht nur
einen höheren Stellenwert und eine höhere Beachtung, es
gibt auch öffentlich unterstützt eine größere, viel
größere Chance, diese Anforderungen auch durchzuset-
zen.
Allerdings hält die Geschwindigkeit von Veränderun-
gen in diesem Bereich nicht immer mit den Erfordernis-
sen Schritt. Das hat vor allem damit zu tun, dass Tier-
schutz schon lange keine nationale Angelegenheit mehr
ist, sondern eine europäische, ja sogar weltweite. Und da-
mit verlängern sich erfahrungsgemäß die Entscheidungs-
prozesse. Darüber hinaus ist Tierschutzpolitik aber auch
das Bohren von dicken Brettern. Nicht selten dauert es bis
zu durchgreifenden Erfolgen in diesem Bereich Jahre, gar
Jahrzehnte. Die Legehennenhaltungsverordnung ist ein
Beispiel dafür, das Tierschutzgesetz ein anderes. Das
muss zunächst einmal zur Kenntnis genommen werden.
Dies hat viel mit politischer Vernachlässigung der The-
matik zu tun.
Mit dieser Nachrangigkeit hat die jetzige Bundesregie-
rung aufgeräumt. Der Tierschutzbericht der Bundesregie-
rung ist ein Beleg dafür. Aber nicht nur der Tierschutzbe-
richt, über den die Bundesministerin schon ausführlich
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informiert hat, belegt dies, viel mehr noch die heftig um-
strittene, jetzt aber mit deutlicher Mehrheit durchgesetzte
Legehennenhaltungsverordnung. Sie markiert nichts we-
niger als einen Paradigmenwechsel in der Tierschutzpoli-
tik. Zum ersten Mal werden nicht wirtschaftliche Interes-
sen in den Vordergrund gestellt, zum ersten Mal gilt eine
Verordnung in diesem Bereich nicht in erster Linie dem
Produzentenschutz, sondern dem Tierschutz.
Ich gebe zu: Ich habe eine Verordnung in dieser Form
lange Zeit nicht für möglich gehalten. Umso erfreuter bin
ich, dass sie in dieser Form durchgesetzt werden konnte.
Und ich will dafür nicht nur der Ministerin danken, son-
dern auch den Bundesländern, die im Bundesrat dieser
Verordnung zugestimmt haben. Dabei waren auch Bun-
desländer mit einer CDU- oder CSU-geführten Regie-
rung. Und diese haben sich mit ihrer positiven Entschei-
dung als deutlich innovativer und fortschrittlicher
erwiesen, als die Unionsfraktion, die mit dem Hinweis auf
die Notwendigkeit von EU-weit gleichen Regelungen am
liebsten den Status quo zementiert hätte. Bundesministe-
rium und Bundesländer haben mit dieser Verordnung ei-
nen Meilenstein für den Tierschutz gesetzt. Und damit ist
eine alte Forderung der SPD-Bundestagsfraktion nun
Wirklichkeit geworden. Das heißt nicht, dass wir uns
nicht auch europaweit für eine Abschaffung der Käfighal-
tung von Legehennen einsetzen müssen und werden. Aber
einer muss den Anfang machen, wir haben ihn gemacht.
Ich will aber nicht verhehlen, dass der Tierschutzbe-
richt der Bundesregierung keine reine Erfolgsstory ist. Er
kann es nicht sein. Zu komplex ist dieser Bereich, zu stark
sind die Versäumnisse der Vergangenheit. Deshalb zielt
unser Antrag darauf, diese Versäumnisse wenigstens teil-
weise auszugleichen und auf dem eben begonnenen Weg
zu tatsächlich nachhaltigen Verbesserungen beim Tier-
schutz weitere Schritte voranzukommen. Und da ist und
bleibt die zentrale Forderung, den Tierschutz nun endlich
verfassungsrechtlich abzusichern.
Darüber ist jetzt fast ein Jahrzehnt intensiv beraten und
sehr kontrovers diskutiert worden und manchmal hatte es
den Anschein, als stünde bei dieser Frage der Fortbestand
des christlichen Abendlandes auf dem Spiel. Dabei wol-
len wir Befürworter eigentlich nichts mehr, als dem Tier-
schutz auch im Rechtssystem dieser Republik den Rang
einzuräumen, den er braucht, um sich gegen andere
Rechte behaupten zu können. Für dieses beklagenswerte
Defizit ist allerdings nicht die Regierung verantwortlich
zu machen, auch nicht die Regierungsfraktionen, sondern
ganz allein die Fraktion von CDU und CSU.
Ich weiß, dass die CDU/CSU-Fraktion, hier immer ihr
Dauerargument anführt, dass sie dem praktischen Tier-
schutz den Vorzug gibt vor dem eher symbolischen, wie
sie es nennt. Das würde ich ja gerne glauben, wenn dem
ihre Taten entsprechen würden. Sie will den symbolischen
Tierschutz in Form eines Staatszieles nicht, obwohl es in
der Partei da Gott sei Dank durchaus andere Ansich-
ten gibt. Aber sie will auch wirkliche Verbesserungen im
praktischen Tierschutz nicht, sonst wäre sie nicht Sturm
gelaufen gegen die Legehennenhaltungsverordnung. Ihre
Tierschutzpolitik wenn man sie überhaupt so nennen
kann bewegt sich im Ungefähren und für die Tiernutzer
damit im Ungefährlichen. Aber wir werden sie im einen
wie im anderen Fall nicht aus der Verantwortung ent-
lassen.
Im einen Fall: Auch wenn die Abstimmung über ein
Staatsziel Tierschutz vor eineinhalb Jahren nicht erfolg-
reich verlaufen ist, weil die CDU/CSU dagegen gestimmt
hat, so bleibt dieses Thema doch auf der Tagesordnung
des Bundestages. Wir werden dieses Thema in den nächs-
ten Monaten noch einmal in den Ausschüssen beraten und
im Plenum darüber abstimmen. Dann wird sich zeigen, ob
sie sich weiterhin so verbohrt verhält wie bisher. Wer sich
vor dem Staatsziel Tierschutz fürchtet, hat große Angst
vor einem maßvollen Tierschutz.
Ich bleibe dabei, dass Tierschutz ein Maßstab für den
moralischen Standard einer Gesellschaft ist. Der Schutz
leidensfähiger Tiere ist für den Menschen auch dann eine
Verpflichtung, wenn man selbst von ihnen nichts zurück
bekommt. Und weil ich diese Verpflichtung uneinge-
schränkt bejahe, plädiere ich auch heute wiederum
nachdrücklich dafür, den Tierschutz auch verfassungs-
rechtlich abzusichern.
Im anderen Fall: Unser Antrag zählt eine Reihe von
Maßnahmen auf, die dem praktischen Tierschutz voran-
helfen werden. Ich lade alle ein, diese Maßnahmen mit
uns in den Ausschussberatungen und hier im Plenum auf
den Weg zu bringen. Dann wird sich zeigen, ob sich die
Tierschutzpolitik der CDU/CSU in Lippenbekenntnissen
erschöpft die kosten zwar nichts, helfen aber auch nicht
weiter , oder ob sie mit uns den Tierschutz in Deutsch-
land und in Europa voranbringen will.
Die Legehennenhaltungsverordnung mit ihrer zu-
kunftsweisenden Tierschutzpolitik kann nur der Anfang
sein. Es gibt natürlich auch andere Tierhaltungen, die
dringend tierschutzgerechter gestaltet werden müssen.
Ich nenne hier den großen Bereich der Masttierhaltung.
Was sich da vielfach abspielt, spottet oft jeder Beschrei-
bung. Da werden Hochleistungsrassen einseitig auf
Schnellwüchsigkeit und Muskulatur gezüchtet, in der Pu-
tenmast zum Beispiel. In 21 Wochen erreichen Puten ihr
Schlachtgewicht von 20 Kilogramm. Dass sie dann viel-
fach nicht mehr stehen oder laufen können, weil der
Brustmuskel zu schwer geworden ist, wird nur gelegent-
lich öffentlich. Immer noch werden zur Anpassung an
Haltungssysteme Amputationen von Körperteilen vor-
genommen. Das ist an sich ein perverser Vorgang: Anstatt
die Haltungsbedingungen den Tieren anzupassen, wie es
nicht nur der Tierschutz fordert, sondern auch der gesunde
Menschenverstand, werden die Tiere den Haltungssyste-
men angepasst. Das ist ohne Zweifel billiger. Aber es ist
und bleibt ein Tierschutzskandal.
Oder um ein anderes Beispiel anzuführen : die
Schweinehaltung. Deutschlands beliebtester Fleischlie-
ferant ist buchstäblich eine arme Sau. Da werden männ-
liche Schweine kastriert, um den penetranten Ebergeruch
zu verhindern. Diese Kastration geschieht in den ersten
Lebenswochen ohne Betäubung. Anschließend stehen die
Tiere vielfach in dunklen Boxen, auf Spaltenböden aus
Beton. Jedes Beschäftigungsmaterial fehlt. Diese Ein-
tönigkeit führt zu Verhaltensstörungen, zum Beispiel
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zu Kannibalismus. Das heißt: Die Tiere beißen sich ge-
genseitig die Schwänze ab. Damit das nicht geschieht,
werden die Schwänze schon vorher abgekniffen und die
Eckzähne von Schweinen abgeschliffen. Sieht so ein ver-
antwortungsbewusster Umgang mit dem Mitgeschöpf
Tier aus?
Man könnte diese Liste beliebig verlängern. Aber zur
Beschreibung der Probleme und der politischen Aufga-
benstellung reicht das wohl. Wenn hier nicht auf
tierschutzverantwortliches Handeln der Halter gesetzt
werden kann und so sieht es vielfach wohl aus , dann
bleiben nur gesetzliche Regelungen. Deshalb fordern wir
die Bundesregierung auf, die relevanten Haltungsverord-
nungen zu überprüfen und sie strikt an einer artgerechten
Tierhaltung auszurichten. Ich bin fest davon überzeugt,
dass es uns gelingen wird, auch in diesen Bereichen
zukünftig mehr Tierschutz durchzusetzen.
Ein Dauergegenstand der Tierschutzdiskussionen sind
die Schlachttiertransporte. Hier ist auch dank der Bun-
desregierung auf EU-Ebene manches erreicht worden.
Aber die Defizite sind unübersehbar. Das fängt bei der im-
mer noch zu langen Transportzeit an und endet bei den
häufig unzureichenden Kontrollen. Und es ist nach wie
vor nicht einzusehen, warum für solche Transporte immer
noch Exporterstattungen gezahlt werden.
Die SPD-Fraktion unterstützt die Bundesregierung
nachdrücklich in ihrem Bemühen, diese Erstattungen radi-
kal zu kürzen bzw. abzuschaffen. Aber das allein wird die
Langzeittransporte nicht verhindern und die sich damit er-
gebenden Probleme nicht beseitigen. Deshalb ist es drin-
gend geboten, absolute Transportzeitbegrenzungen vor-
zuschreiben. Ich habe mit großem Interesse gelesen, dass
meine Kollegen und Kolleginnen von der Union in einem
Antrag europaweit eine Beschränkung der Transportzeit
auf sechs Stunden fordern; das lese ich gern. Ich glaube,
dass wir hier eine Doppelstrategie fahren müssen, um zum
Erfolg zu kommen: eine europaweit für alle verbindliche
Transportzeitbegrenzung unterhalb des gegenwärtigen
Niveaus von acht Stunden und national eine noch darüber
hinaus gehende Verringerung der Transportzeit. Selbst der
Deutsche Bauernverband hält national eine Begrenzung
der Transporte auf vier Stunden für machbar. Aber viel-
leicht müssen wir ja gar nicht den Weg einer gesetzlichen
Begrenzung beschreiten. Vielleicht genügt es ja, diese
Transportzeitverringerung auf vier Stunden zu einem Kri-
terium des konventionellen Siegels zu machen. Dass die
Kontrollen verbessert werden müssen der Bericht der
EU-Kommission listet in diesem Bereich eine ganze
Reihe, von Defiziten auf , dass vor allem auch in Dritt-
staaten die Verladung von Schlachttieren nach denselben
Anforderungen durchzuführen ist wie innerhalb der EU,
das sind außerordentlich wichtige tierschutzpolitische
Forderungen, bei der die Bundesregierung auf die nach-
drückliche Unterstützung hoffentlich des ganzen Parla-
ments rechnen kann. Aber die Tiertransportprobleme dür-
fen natürlich nicht nur auf die Transportzeitdauer verengt
werden. Mindestens genauso wichtig ist das Wie des
Transports, die Transportdurchführung. Wenn die Bedürf-
nisse der Tiere, zum Beispiel nach Wasser und Futter tat-
sächlich erfüllt werden und nicht nur auf dem geduldigen
Papier des Transportplans, dann wird ein großer Teil der
gravierenden Missstände abgestellt sein. Und darum müs-
sen wir kämpfen.
Abschließend noch ein Wort zur Tierversuchsproble-
matik: Ich habe an dieser Stelle für meine Fraktion schon
häufiger darauf hingewiesen, dass es nicht um ein Verbot
von Tierversuchen geht. Ein solches Verbot wäre unrealis-
tisch und unethisch. Aber ich bin sehr dafür, dass die Zahl
der Tierversuche und die Zahl der Versuchstiere zurück-
geführt wird. Auch diese Forderung bleibt Dauerthema in
der Tierschutzpolitik. Eine solche Formulierung, wie sie
die Union in einem Antrag benutzt hat, die Zahl der Tier-
versuche auf das unbedingt notwendige Maß zu reduzie-
ren und dazu die Entwicklung von Ersatz- und Ergän-
zungsmethoden zum Tierversuch weiter voranzutreiben,
klingt zwar gut, ist aber an sich eine bare Selbst-
verständlichkeit. Ein bisschen konkreter wäre schon
schön. Und weil es eine bare Selbstverständlichkeit ist,
wollen wir das natürlich auch. Doch erscheint es uns sinn-
voller, zunächst von der Bundesregierung einen geson-
derten Bericht zu erbitten über die aktuellen Tierver-
suchszahlen, die sich gegenüber früher ja auch aufgrund
anderer statistischer Erhebungen verändern werden. Erst
danach wird man Handlungsstrategien entwickeln kön-
nen, wie Tierversuche und Tierversuchszahlen verringert
werden können.
Der Tierschutz hat in der Bundesregierung und in den
sie tragenden Fraktionen einen hohen Stellenwert, einen
ungleich höheren, als er ihn zu Zeiten der konservativ ge-
führten Regierung hatte. Wir erschöpfen uns nicht in Lip-
penbekenntnissen, sondern treiben den Tierschutz kon-
kret voran. Aber wir vergessen auch nicht, dass eine
Bewusstseinsänderung in der Bevölkerung hin zu mehr
Tierschutz auch von dem Stellenwert abhängt, den das
Parlament dem Tierschutz zuschreibt. Deshalb müssen
wir das eine tun nämlich den Tierschutz konkret ver-
bessern, und das andere nicht lassen, nämlich die funda-
mentale Rechtsverbesserung durch Aufnahme des Tier-
schutzes in das Grundgesetz leisten. Zu beidem werden
wir noch in dieser Legislaturperiode Gelegenheit haben,
nicht zuletzt bei der Beratung unseres Antrags in den Aus-
schüssen.
Helmut Lamp (CDU/CSU): Ich möchte meine Aus-
führungen mit einem sehr bemerkenswerten Zitat der
Tierschutzbeauftragten der SPD-Fraktion, unserer Kolle-
gin Marianne Klappert, beginnen: Die rot-grüne Regie-
rung hat in ihrer kurzen Amtszeit schon mehr für den Tier-
schutz getan, als die vorherige Bundesregierung in
16 Jahren. Ich staune über so viel Sarkasmus gegen-
über der eigenen Regierung. Das hätte ich Ihnen gar nicht
zugetraut, liebe Kollegin.
Denn wir wissen doch alle, wie erschreckend traurig
der Tierschutz dieser Regierung in der Praxis wirklich
aussieht. Hier einige wenige Beispiele:
Im Zusammenhang mit der BSE-Krise hat diese Regie-
rung bisher über 70 000 nachweislich gesunde Rinder ins
Feuer geschickt ohne mögliche Alternativen zu suchen
oder von sich aus ernsthaft zu prüfen. Ich habe selbst erfah-
ren müssen, dass es dem Landwirtschaftsministerium eher
lästig war, wenn eventuelle Verwertungsmöglichkeiten für
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das zur Verbrennung bestimmte Fleisch aufgezeigt wurden.
Von einem vernünftigen Grund für das Töten der Rinder,
wie ihn das Tierschutzgesetz fordert, kann keine Rede sein.
In Frankreich werden etwa 20 000 ausgewachsene Bul-
len kastriert mit ausdrücklicher Zustimmung der deut-
schen Verbraucherministerin. Alleiniger Grund: Siche-
rung von Prämien für die französische Landwirtschaft.
Ich wundere mich über die relative Gleichgültigkeit
der Medien gegenüber der Tatsache, dass unter dieser Re-
gierung die Tierversuche von 1996 zu 1999 um knapp
4 Prozent zugenommen haben. Was bedeuten diese 4 Pro-
zent mehr Tierversuche in der Realität? Das bedeutet un-
ter anderem, dass 425 Hunde, 516 Schweine, 656 Rinder,
17 866 Mäuse und Ratten, 17 329 Vögel, 39 703 Fische
mehr als im letzten Jahr der Kohl-Regierung für Ver-
suchszwecke ihr Leben lassen mussten.
Die Bundesregierung will offensichtlich nicht zur
Kenntnis nehmen, dass auch die Haltungsformen der Bio-
landwirtschaft dringend einer kritischen Prüfung unterzo-
gen werden müssen gerade auch aus Sicht des Tier-
schutzes. Die Frankfurter Rundschau hat ja Recht wenn
sie schreibt: Nicht jedes Schnitzel aus ökologischer Tier-
zucht stammt von glücklichen Tieren! Sehr viele der
Bioschweine sind die reinsten Wurmbiotope und werden
oft nicht bedarfsgerecht gefüttert. Dementsprechend mi-
serabel sind die täglichen Gewichtszunahmen der
Schweine in den Ökoställen. Auch muss es doch nach-
denklich stimmen, dass aus jedem vierten Öko-Ferkel
kein Öko-Schwein wird, weil es das Ökoleben nicht aus-
hält und krepiert!
Und nun noch die neue Hennenhaltungsverordnung
ein Akt der Selbstbefriedigung unserer Regierung ohne
Nutzen für das Federvieh. Die Fraktionen der SPD und
der Grünen müssten eigentlich vehemente Gegner dieser
Verordnung sein, verurteilen sie doch mit ihrem Antrag
vom 17. Oktober 2001 Tierhaltungsformen, die mit ho-
hem Medikamenteneinsatz und Verstümmelung der Tiere
verbunden sind. Und genau das wird nun durch die neue
Verordnung erheblich gefördert. Die Form der Hühner-
haltung, die die Regierung anstrebt Freilandhaltung in
großen Herden ist nicht wirklich tiergerecht. Eier, die
überdurchschnittlich teuer sind, die überdurchschnittlich
viele Krankheitskeime oder Medikamentenrückstände
aufweisen, stammen in aller Regel aus solchen und ähnli-
chen Haltungsformen. Die Mortalitätsrate dieser Hal-
tungsform liegt nicht selten über 20 Prozent. Ständige
Neuinfizierung mit Krankheiten und ausgeprägter Kanni-
balismus schaffen Platz in den großen Hühnerställen mit
Auslauf. Kannibalismusopfer müssen stundenlange,
schreckliche Todesqualen aushalten, bevor der Tod sie er-
löst. Sie werden Stück für Stück von ihren Artgenossen
bei lebendigem Leib zerrissen. Diese Qualen der Frei-
landhühner lassen sich allein durch Stutzen der Schnäbel
mindern.
Für viele Hühner ist es ein relatives Glück, dass die
Hühnerhalter ihre Produktion ins nahe Ausland nach
Belgien, Holland, Tschechien verlegen werden, in Län-
der, die gar nicht daran denken, die Käfighaltung aufzu-
geben. Natürlich ist auch die Käfighaltung keine befriedi-
gende Form der Hühnerhaltung, doch Kirchturmpolitik
entpuppt sich gerade im Tierschutz immer wieder als
reine Augenwischerei.
Besonders bedauerlich ist, dass erste hoffnungsvolle
Ansätze zu wirklich tiergerechten Haltungsformen von
Ministerin Künast mit dem Wort Käfig ist Käfig er-
schlagen werden. Die Ministerin verhindert damit die
weitere Entwicklung von Volieren für Kleingruppenhal-
tung mit Sitzstangen, Schar- und Ruheräumen.
Abschließend möchte ich einige Problembereiche des
Tierschutzes ansprechen, die wir schon bald in den zu-
ständigen parlamentarischen Gremien behandeln sollten:
Wir müssen uns um die Haltung von Heimtieren küm-
mern. Es gibt viermal mehr Hunde und Katzen als Schafe
in Deutschland. Bis auf eine Minderheit sind die Schaf-
halter in der Tierhaltung ausgebildete Fachkräfte, die al-
lermeisten Hunde- und Katzenhalter sind dies jedoch
nicht.
Wir sollten neben Tierexporten ebenso Tierimporte
und Transittransporte kritisch beleuchten. Nicht nur der
Transportdauer, sondern eher noch den Transportbedin-
gungen und der Qualifikation des Begleitpersonals sollte
unser besonderes Interesse gelten. Es kann zum Beispiel
nicht länger geduldet werden, dass polnische Pferde auf
dem Transport nach Frankreich quer zur Fahrtrichtung in
den Waggons aufgestellt werden. Jedes Abbremsen oder
Anfahren des Zuges führt so zwangsläufig zum gegensei-
tigen Treten der Tiere.
Das betäubungslose Schlachten von Tieren aus religiö-
sen Gründen, das so genannte Schächten, ist rechtlich
nach wie vor umstritten. Hier muss schnell Klarheit ge-
schafft werden. Darüber hinaus ist zu überlegen, wie die
wahrscheinlich hohe Dunkelziffer in diesem Bereich ein-
gegrenzt werden kann.
Nicht nur Qualzüchtungen sind zu verbieten, sondern
umgehend sollten wir auch die Haltung von qualgezüch-
teten Tieren verbieten, solange Importe nicht unterbunden
werden können.
Es gibt also noch erhebliche Problemfelder im Bereich
des Tierschutzes, die einer Lösung harren. Hierzu hat uns
die frühere Regierung mit einer Steilvorlage bedacht. Ich
zitiere den Tierschutzbericht 2001 der jetzigen Bundesre-
gierung: Das Tierschutzgesetz, das zuletzt im Jahr 1998
umfassend novelliert worden war, hat sich grundsätzlich
bewährt. Der Tierschutz in Deutschland wurde maßgeb-
lich verbessert. Hier werden die Verdienste der ehemali-
gen Kohl-Regierung um den Tierschutz ausdrücklich an-
erkannt!
Also, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koali-
tion, weg mit den Nebelkerzen und hin zum wirklichen,
praxisgerechten Tierschutz der Vorgängerregierung!
Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit
der Neuorientierung in der Landwirtschaft haben wir auch
für den Tierschutz die Weichen neu gestellt. Er ist wichti-
ger Bestandteil unserer neuen Agrarpolitik denn eine
ökonomisch erfolgreiche und nachhaltige Landwirtschaft
ist nur mit gesunden Tieren in artgerechter Haltung mög-
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lich. Dies haben die Erfahrungen mit BSE nur allzu deut-
lich gezeigt.
Wir lösen unser Versprechen ein, die Haltungsbedin-
gungen für Tiere konsequent zu verbessern. Den wohl
sichtbarsten Erfolg in Richtung artgerechte Tierhaltung
haben wir vor kurzem erreicht. Mit der Verabschiedung
der neuen Legehennenverordnung wird es in Deutschland
zukünftig keine Legebatterien mehr geben, sondern nur
noch Hühner in Boden-, Volieren- oder Freilandhaltung.
Bereits ab In-Kraft-Treten der Verordnung, also ab An-
fang nächsten Jahres, ist der Bau von neuen Legebatterien
verboten. Die bereits existierenden Käfigbatterieanlagen
erhalten eine fünfjährige Übergangsfrist: Sie dürfen nur
noch bis Ende 2006 betrieben werden und müssen bereits
ab 2003 circa 20 Prozent mehr Platz für die Hühner zur
Verfügung stellen.
Mit der vollständigen Abschaffung der Käfighaltung
auch der in der EU weiterhin zugelassenen so genann-
ten ausgestalteten Käfige mit Sitzstangen und Nest sind
wir Vorreiter in Europa in Sachen Tierschutz. Gleichzei-
tig schaffen wir Bedingungen, die die Umstellung auf art-
gerechte Tierhaltung erleichtern und die Wettbewerbs-
position dieser Betriebe unterstützen: Landwirte werden
durch Investitionsförderungen bei der Umstellung auf die
artgerechte Boden- und Freilandhaltung unterstützt, eine
verstärkte Forschung soll die Entwicklung von entspre-
chenden Haltungsformen optimieren. Die Kennzeich-
nung von Eiern sowie eine Informationskampagne für den
Verbraucher sollen den Absatz von artgerecht erzeugten
Eiern steigern und sichern. Damit haben bäuerliche und
mittelständische Betriebe in der Eierproduktion und Ge-
flügelhaltung wieder eine Chance. Billigeier aus nicht
tiergerechter Produktion sollen keine ungerechtfertigten
Vorteile gegenüber artgerecht erzeugten Eiern haben.
Auch für andere Tiere wird die rot-grüne-Bundesregie-
rung entsprechende Haltungsverordnungen vorlegen.
Dringend erforderlich sind Verbesserungen für die ca.
25 Millionen Schweine in Deutschland sowie für Mastge-
flügel und Puten. Aber auch die Haltung von Tieren außer-
halb der Landwirtschaft kann und muss durch Haltungs-
verordnungen verbessert werden. So haben wir durch die
neue Tierschutz-Hundeverordnung Anforderungen an die
Haltung von Hunden festgelegt, wie beispielsweise An-
forderungen an Auslauf und genügend Betreuung. Drin-
gend erforderlich sind auch Verbesserungen in der Pelz-
tierhaltung, wie sie von uns schon lange eingefordert
werden.
Ab 2003 werden veränderte Förderrichtlinien in der
Gemeinschaftsaufgabe Verbesserungen der Agrarstruk-
tur und des Küstenschutzes (GAK) und das Bundespro-
gramm Tiergerechte Haltungsverfahren die artgerechte
Tierhaltung in der Landwirtschaft unterstützen. Gleich-
zeitig fordern wir die Streichung von Privilegien für ge-
werblich-industrielle Massentierhaltung, beispielsweise
im Baurecht.
Zur artgerechten Tierhaltung gehören neben den Hal-
tungsbedingungen auch eine artgerechte Tierernährung:
Das bedeutet einerseits eine klare Kennzeichnung von
Futtermitteln hinsichtlich ihrer Inhaltstoffe, andererseits
aber auch die Minimierung des Arzneimitteleinsatzes in
der Tierhaltung. Zur Vermeidung von durch Massentier-
haltung begünstigten Krankheiten und zur Förderung ei-
nes schnellen Wachstums werden Nutztieren eine Viel-
zahl von Medikamenten, unter anderem Antibiotika,
verabreicht. Die Folgen sind Resistenzen bei den Tieren
und ernsthafte Gefahren für die menschliche Gesundheit.
Der Einsatz von antibiotischen Leistungsförderern muss
jetzt beendet werden. Wir wollen den Antibiotikaeinsatz
in der Tierhaltung minimieren und eine bessere Kontrolle
der Medikamentenabgabe in der Tierhaltung sicherstel-
len. Deswegen unterstützen wir Verbraucherministerin
Renate Künast darin, mithilfe einer verbindlichen Selbst-
verpflichtung der Futtermittelindustrie Antibiotika als
Leistungsförderer aus dem Futter zu verbannen. Zur ver-
besserten Kontrolle der Medikamentenvergabe ergreifen
wir mit Nordrhein-Westfalen die Initiative zur Novellie-
rung des Arzneimittelgesetzes und des tierärztlichen Dis-
pensierrechts.
Nicht akzeptabel ist die Lange Liste der Verstöße ge-
gen den Tierschutz bei Tiertransporten. Wir fordern daher
international bessere Standards, eine Verkürzung der
zulässigen Höchstdauer von Schlachttiertransporten von
acht auf vier Stunden und die Streichung der EU-Export-
erstattung für lebendes Schlachtvieh. Das geplante Qua-
litätssiegel für konventionell erzeugte Lebensmittel bietet
eine gute Chance, schnell eine Begrenzung der Trans-
portzeiten für einen großen Anteil der Fleischproduktion
zu erreichen. Daher setzen wir uns dafür ein, dass die Be-
grenzung der Tiertransportzeit als Kriterium für das Qua-
litätssiegel aufgenommen wird. Schon aus Vorsorgegründen
angesichts der Maul-und-Klauenseuche oder Schweinepest
muss vermieden werden, dass die meisten Schweine in
Deutschland vier- bis fünfmal transportiert werden und so
einen erheblichen Teil ihres kurzen Lebens auf der Auto-
bahn verbringen. Daher ist es notwendig, geschlossene Pro-
duktionssysteme und regionale Strukturen bei Schlacht-
höfen und Metzgereien stärker zu fördern.
Ebenso bedauerlich ist die wenn auch geringfügige
Zunahme der Tierversuche, insbesondere weil sie sich aus
der Zunahme an gentechnischen Versuchen begründet.
Hier ist es vorrangig, die internationale Anerkennung von
Alternativmethoden voranzutreiben, um Tierversuche im
großen Stil zu verringern.
Zur besseren rechtlichen Absicherung des Tierschutzes
werden wir noch in dieser Legislaturperiode einen erneu-
ten Antrag auf Aufnahme des Tierschutzes ins Grundge-
setz stellen. Die Verankerung des Tierschutzes im Grund-
gesetz ist überfällig, da das Tierschutzgesetz alleine nicht
den beabsichtigten Schutz für die Tiere bietet. Entschei-
dungen aus der Justiz haben immer wieder gezeigt, dass
der Tierschutz gegenüber grundgesetzlich garantierten
Rechten wie der Berufsfreiheit den Kürzeren zieht. Durch
eine Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz soll eine
faire Abwägung der Rechtsgüter sichergestellt werden.
Marita Sehn (FDP): Das deutsche Tierschutzgesetz
hat nach seiner Novellierung eine weitere spürbare Ver-
besserung des Tierschutzes gebracht, so steht es in dem
Entschließungsantrag von Rot-Grün. Trotzdem waren vor
fünf Jahren weder SPD noch Grüne, geschweige denn die
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19461
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PDS, bereit, der Novelle der christlich-liberalen Koalition
zuzustimmen.
Auch wenn Grün-Rot immer so tut, als hätten sie den
Tierschutz erfunden vielleicht darf ich Sie daran erin-
nern: Es war die FDP, die bereits 1992 die Verankerung
des Tierschutzes als Staatsziel in das Grundgesetz gefor-
dert hat. Auch zu Beginn dieser Legislaturperiode haben
wir erneut die Initiative ergriffen.
Natürlich hat die FDP eine andere Vorstellung vom
Tierschutz als die Bundesregierung. Tierschutz muss im-
mer im Zusammenhang mit Ökologie, mit Ökonomie und
den sozialen Aspekten gesehen werden. Wer dies ver-
nachlässigt, der handelt kurzsichtig und richtet mehr
Schaden an, als er Gutes tut. Lassen Sie es mich so zu-
sammenfassen: Wir wollen einen ethischen, wissen-
schaftlich begründeten Tierschutz und keinen ideologi-
schen. Die FDP wird sich nicht an dem Kampf um die
Lufthoheit über den Ökostammtischen beteiligen.
Nicht umsonst hat die SPD bei der Debatte um die No-
velle des Tierschutzgesetzes die sachliche und rationale
Argumentation und Diskussion unter der alten Bundes-
regierung so gelobt. Davon kann heute keine Rede mehr
sein. Die Legehennenverordnung ist ein gutes Beispiel
dafür. Die Geflügelhaltung einfach ins Ausland zu verla-
gern, damit ist dem Tierschutz nicht gedient, der Wirt-
schaft aber geschadet. Ist der Schutz der Hühner im Aus-
land denn weniger wichtig als der in Deutschland
gehaltenen?
Die Bundesregierung betriebt eine Pharisäerpolitik:
Wasser predigen, Wein trinken das ist das Motto von
Grün-Rot. In Deutschland die Käfighaltung verbieten und
dann die Billigeier aus dem Ausland importieren. In
Deutschland den Atomausstieg proklamieren und billigen
Atomstrom importieren das ist die Moral der Bundesre-
gierung.
Tierschutz kann sich nicht auf den Export von Tier-
schutzproblemen ins Ausland beschränken. Manchmal ist
es sinnvoller, weniger für viele Tiere zu erreichen als al-
les für keine. Aber genau das macht die Legehennenver-
ordnung. Sie vertreibt die Geflügelhaltung aus Deutsch-
land und ignoriert die Haltungsbedingungen im Ausland.
Mit den ausgestalteten Käfigen haben die Geflügelhal-
ter eine interessante Alternative zu der bisherigen Käfig-
haltung vorgestellt. Ein hohes Maß an Umwelt- und Tier-
schutz bei einer sehr guten Hygiene und einer
Wirtschaftlichkeit, welche die gesicherte Existenz der Be-
triebe ermöglicht. So könnte für die FDP eine zukunfts-
orientiertes Haltungssystem aussehen.
Aber Sachargumente haben in der gesamten Diskus-
sion keine Rolle gespielt. Mit dem Argument: Ich will
keine ausgestalteten Käfige, ich will überhaupt keine Kä-
fige hat Frau Künast jede fachliche Auseinandersetzung
im Keim erstickt. Das ist Politik nach dem Trotzköpfchen-
Prinzip.
Die Regierung setzt anstatt auf Information und den
mündigen Bürger auf Restriktion und den bevormundeten
Bürger. Anstatt in eine Aufklärung der Bürger zu inves-
tieren, um eine Veränderung des Einkaufverhaltens zu er-
reichen, setzt die Bundesregierung lieber auf Verbote.
Aber die Regierung hat ein Problem mit ihrer Politik des
Ladentheke, wenn die Verbraucher an der Ladenkasse
nicht mitmachen. Dann gibt es genau das, was Frau
Künast angeblich nicht will: Es gibt die grüne Zwangsbe-
glückung. Die Grünen, die Partei der Basisdemokratie,
wollen nicht den mündigen Bürger, sie wollen den bevor-
mundeten.
Die FDP will den Tierschutz als Staatsziel in der Ver-
fassung verankert sehen. Gerade Tierschutz ist ein Anlie-
gen, das alle Bürgerinnen und Bürger bewegt. Gerade
Tierschutz ist ein Bereich, in dem sich mit Information
oftmals mehr ausrichten lässt als mit Restriktion. Gerade
Tierschutz, die Achtung und der Respekt vor den Mitge-
schöpfen, lässt sich nicht verordnen. Der Tierschutz, als
Staatsziel im Grundgesetz fixiert, zeigt die Vision und
das, ohne gleich auf Restriktion zu setzen.
Eva Bulling-Schröter (PDS): Schmerzen sind
Schmerzen, ob bei einem Tier oder beim Menschen. Tiere
können sich vielleicht nicht ganz so deutlich artikulieren;
aber sie leiden genauso, oft versteckt oder auch stumm.
Wir Menschen haben es in der Hand, das Leid der Tiere,
welches ihnen nach wie vor auch hier in Deutschland zu-
gefügt wird, endlich zu beenden.
In Tierschutzbericht 2001 werden wieder deutlich stei-
gende Zahlen bei Versuchstieren registriert. Ich zitiere:
Die Zahl der verwendeten Affen und Halbaffen ist im
Vergleich zum Vorjahr um 21,8 Prozent gestiegen.
Auch die Zahl der verwendeten Hunde und Katzen
ist im Berichtszeitraum angestiegen.
Voraussichtlich, so der Bericht weiter, ist für das Jahr
2000 ein deutlicher Anstieg der erfassten Tiere zu erwar-
ten, weil die neue Versuchstiermeldeverordnung wesent-
lich mehr Tiere erfasst. Warum sich dann die Diskussion
über die Versuchstierzahlen nicht mehr auf die Gesamt-
zahl, sondern auf die einzelnen Teilbereiche konzentrie-
ren wird, wie der Bericht meint, ist mir schleierhaft. Sind
denn Tiere, die aus wissenschaftlichen Zwecken oder zur
Transplantation getötet werden, keine Versuchstiere?
Die Ursache für die Steigerung der Versuchstierzah-
len geht auf die gewachsene Bedeutung der Grundlagen-
forschung zurück, so der Bericht. Wenn in Gesprächen
mit Wissenschaftlern dann festgestellt wird, dass bei-
spielsweise nur jedes zehnte genmanipulierte Tier über-
haupt verwertbar ist, muss sich die Bundesregierung fra-
gen lassen, was sie denn tut, um Alternativmethoden
endlich zum Durchbruch zu verhelfen.
Nach wie vor gilt, dass die Ergebnisse vieler Tierver-
suche nicht auf den Menschen übertragbar sind. Ein Me-
diziner wird dadurch nicht schlechter ausgebildet, wenn
er nicht am lebenden Tier übt bzw. bestimmte Operatio-
nen per Computeranimation ausführt. Dafür gibt es in-
zwischen genügend Beispiele. Ich fordere Frau Ministe-
rin Künast auf, sich hier endlich mit der Pharmalobby
anzulegen und Alternativmethoden auf die Tagesordnung
zu setzen. Das Ganze muss natürlich, sofern es öffentliche
Forschungseinrichtungen oder Ämter betrifft, mit einer
vernünftigen finanziellen und personellen Ausstattung
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119462
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verbunden werden, unter anderen auch bei der ZEBET,
der Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Er-
satz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch.
Jetzt zu etwas Positiverem: Das Engagement von Frau
Ministerin Künast hat in der Hennenhaltung etwas be-
wegt. Mit dem Beschluss des Bundesrates über ein Verbot
der Käfighaltung von Legehennen bis 2006 ist ein erster
Meilenstein erreicht. Viele Tierschutzverbände hätten
sich noch kürzere Fristen gewünscht; leider war das nicht
durchsetzbar. Machen wir uns deutlich, worüber wir spre-
chen: 42 Millionen Legehennen vegetieren jährlich in
Drahtgitterkäfigen dahin. Das bleibt ein Skandal.
Ein anderer ist die traurige Tatsache, dass es diesem
Bundestag immer noch nicht gelungen ist, den Tierschutz
im Grundgesetz zu verankern. Vor allem die christlichen
Parteien CDU und CSU finden merkwürdigerweise nach
wie vor keinen Grund, Mitgeschöpfe verfassungsrecht-
lich zu schützen. Der so genannte Standort Deutschland
oder, anders gesagt, gewisse Lobbygruppen sind eben in
dieser Frage für sie maßgeblicher als die Tierlobby. Ver-
gessen sollte man nicht, dass in Deutschland 4,8 Milli-
onen Hunde und 5,5 Millionen Katzen leben. Deren Be-
sitzer und Besitzerinnen haben meist eine hohe
Sensibilität für dieses Thema. Sie werden sich sehr genau
ansehen, wie Parteien zur Verankerung des Tierschutzes
im Grundgesetz stehen.
Zum Schluss: Das Verbot der Käfighaltung ist ein ers-
ter Schritt, weitere Schritte müssen folgen, ob in der Frage
der Tiertransporte, der Putenhaltung oder beim Verbot der
Pelztierzucht. Wir werden die Regierung bei jedem Schritt
in Richtung eines besseren Tierschutzes unterstützen.
Anlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
Instandhaltungswerke der Deutschen Bahn
AG in Nürnberg und München erhalten
Neues Konzept für Ausbesserungswerke der
Deutschen Bahn AG vorlegen
Zukunft der Instandhaltungswerke der Deut-
schen Bahn AG
Instandhaltungswerke der Deutschen Bahn
AG in Delitzsch, Chemnitz, Opladen und
Zwickau erhalten neue Investoren für Sten-
dal, Leipzig-Engelsdorf und Neustrelitz
(Tagesordnungspunkt 17 a bis c und Zusatzta-
gesordnungspunkt 8)
Horst Schmidbauer (Nürnberg) (SPD): Wenn bei
der Debatte um die Instandhaltungswerke der Bahn AG
eine Initiative zuallererst zu begrüßen ist, dann ist es nicht
etwa die allzu durchsichtige politische Feuerwehraktion
der CSU-Landesgruppe, sondern dann ist es die Initiative
von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Er hat die Zukunft
der Instandhaltungswerke zur Chefsache gemacht. Er hat
in konstruktiven Gesprächen mit Bahnvorstand, Gewerk-
schaft und Betroffenen für die Werke in den neuen Bun-
desländern bereits tragfähige Lösungen auf den Weg ge-
bracht.
Wir begrüßen diese positive Entwicklung sehr, zum
Beispiel für den Erhalt des Werkes Leipzig-Engelsdorf,
das laut Bahnvorstandsbeschluss von 25. September an
eine Investorengruppe verkauft wird. Zum Erhalt der an-
deren sächsischen Werke, Delitzsch, Zwickau und Chem-
nitz laufen konkrete Verhandlungen über mögliche Joint
Ventures und Privatisierungen zwischen Vertretern der
Kommunen, des Landes und des Bahnvorstandes.
Erfolg gab es auch für das Werk Stendal in Sachsen-
Anhalt: Hier wurde bereits ein LOI mit Alstom zur ge-
meinsamen Modernisierung ausgemusterter Dieselloko-
motiven unterzeichnet. Verhandlungen über ein Joint
Venture, mit dem diese Aktivitäten weitergeführt werden
können, laufen.
Auch über das Werk Neustrelitz in Mecklenburg-Vor-
pommern laufen bereits zielorientierte Verhandlungen
zwischen Land und Bahn. Dort soll das Thema betriebs-
nahe Instandhaltung für verschiedene Bahnbetreiber wei-
ter verfolgt werden.
Ich bin mir also sicher: Der Bundeskanzler wird auch
Lösungen für die anderen Werke in den strukturschwa-
chen Regionen erreichen.
Der Bundeskanzler das kommt auch in dem gemein-
samen Antrag der Koalitionsfraktionen zum Ausdruck
hat erkannt, dass Gewerkschafter auf der einen Seite
und Unternehmen auf der anderen Seite zusammenzu-
bringen sind und dass beide verstehen müssen, dass ein
so großes Unternehmen wie die Bahn AG nicht nur einen
betriebswirtschaftlichen Auftrag hat, sondern dass es auch
immer um Strukturpolitik und um Rücksicht auf Arbeit-
nehmer geht. So der Kanzler wörtlich in seiner Presse-
konferenz am 30. August.
Das ist richtig so; dem kann ich nur voll beipflichten.
Für diese Rolle des klugen und umsichtigen Mittlers ge-
bührt dem Bundeskanzler ein großes Dankeschön.
Wir Sozialdemokraten sind uns völlig einig: Es liegt in
unser aller Interesse, nicht zuletzt im Interesse der Bahn-
beschäftigten selbst, dass die Bahn zu einem konkurrenz-
fähigen, am Markt operierenden Unternehmen wird. Die
Politik der Bundesregierung hat hier unübersehbare Er-
folge erzielt. Die Bahn hat endlich die Chance, zu einem
prosperierenden Unternehmen zu werden. Da nützen alle
Krokodilstränen nichts, wenn jetzt Unionspolitiker, die
einst die lautstärksten Anwälte der Privatisierung waren,
in heftigem Kontrast zu ihrer sonstigen Marktphilosophie
laut nach unmittelbarem staatlichen Interventionismus
schreien.
Klar ist und von uns so erkannt aber auch: Die Aus-
besserungswerke stellen in strukturschwachen Gebieten
einen wichtigen Standortfaktor dar und die Arbeits-
platzängste der Bahnmitarbeiter werden von niemandem
ernster genommen als von uns Sozialdemokraten. Da
wird es keiner CSUlerin und keinem CDUler gelingen,
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19463
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uns links zu überholen, um dann bei nächster Gelegenheit
wieder scharf nach rechts abzubiegen!
Ein erster wichtiger Schritt ist damit erreicht, dass
Bundesregierung, Bahnvorstand und die Transnet sich
darin einig sind, dass Instandhaltungsaufgaben ein Kern-
geschäft des Bahnkonzerns sind und bleiben werden. Un-
ter dieser Voraussetzung lässt sich auch die jetzt noch an-
stehende schwierige Aufgabe der noch in Diskussion
befindlichen Werkschließungen sachlich und zielorien-
tiert behandeln. Das wird auch geschehen.
Es ist gut, wenn jetzt auch seitens der DB AG erst ein-
mal die vom Kanzler geschaffene Pause genutzt wird:
Zum Nachdenken, zum Nacharbeiten, um neue Rahmen-
bedingungen und neue Sachinformationen aufzunehmen
und ernst zu nehmen, mit dem Ziel, von dem Personalab-
bau wegzukommen.
Es gilt, diese Phase als Chance zu nutzen, um neue,
nicht nur betriebswirtschaftlich, sondern auch gesell-
schaftspolitisch verträgliche Denkansätze und Lösungen
zu entwickeln.
Es gilt, die Chance zu nutzen, um die Erhaltung der un-
bestritten hohen Kompetenz vor Ort und das Gebot der
Wirtschaftlichkeit auf einen Nenner zu bringen. Es gilt,
die Chance zu nutzen, um einen Beitrag zur Standortsi-
cherung in strukturmäßig angeschlagenen Orten wie
zum Beispiel in Nürnberg zu leisten und die enorme
Kompetenz und Arbeitsleistung der dortigen Bahnmitar-
beiter nicht verloren gehen zu lassen.
Es gilt die Chance zu nutzen, um die Ergebnisse des
neuen, neutralen Gutachtens gründlich zu würdigen. Es
wird sich ja womöglich zeigen, dass die Bahn noch ganz
andere, bessere Zukunftsperspektiven hat, wenn man über
den Tellerrand des magischen Jahres 2005 hinausschaut.
Der steigende Bedarf der Folgejahre, die politischen An-
forderungen an die Verkehrszuwächse auf der Schiene,
das alles kann und muss nochmals sauber gegengerechnet
werden.
Es gilt, die Chance zu nutzen, um die Sicherheit durch
eine Zertifizierung der Instandhaltung zu stärken. Ich er-
innere mich gerne und leidenschaftlich daran, wie dank-
bar Politik und Bahnvorstand nach der Katastrophe von
Eschede waren, als es dem Nürnberger Werk gelang, die
Sicherheitsanforderungen und -überprüfungen in einer
enormen Arbeitsleistung und mit höchster Qualität in kür-
zester Zeit zu bewerkstelligen. Dankbarkeit darf nicht
vergessen werden. Sie verpflichtet auch für die Zukunft.
Es gilt, die Chance zu nutzen, dass die Bahn die Aus-
gewogenheit bei ihren Standorten sowohl zwischen Ost
und West wie auch zwischen Nord und Süd wahrt und es
keinen Kahlschlag in Süddeutschland gibt, wo es die
stärkste Nachfrage nach Instandhaltungsleistung gibt.
Es gilt, die Chance zu nutzen, um auch mit weiteren
Bundesländern, wie zum Beispiel mit Bayern, zu einer
Kooperation hinsichtlich finanzieller Unterstützung und
Investitionsförderung zu kommen. So sehr wir uns freuen,
dass die bayerische CSU jetzt aktiv geworden ist und auch
zur Strukturförderung für die Bahn bereit ist, so springt
die CSU doch wieder einmal zu kurz. Nicht Feuerwehr
spielen, wenn das Feuer schon auf dem Dach der bayeri-
schen Instandhaltungswerke ist, sondern frühzeitig das
Großunternehmen Bahn mit in den Blick nehmen, wenn
es um Landesentwicklung und Standortsicherung geht:
Das hätten die CSU und ihre Regierung im Freistaat tun
müssen.
Da hilft es wenig, wenn man jetzt zähneknirschend auf
das schaut, was Nordrhein-Westfalen längst in großer
Voraussicht für seine eigenen Interessen auf dem Bahn-
sektor zu tun und zu leisten bereit war.
Was gerade Nürnberg angeht, so weiß ich nur zu gut,
dass die bayerische Staatsregierung die Entwicklung die-
ses Standorts zu einem erstklassigen Kompetenzzentrum
der Verkehrstechnologie das wäre Nürnberg schon aus
Tradition, von Haus aus, dank der vorhandenen Arbeits-
kräfte, dank der ansässigen Ideenschmieden schlicht
und einfach verschlafen hat. Dieser Ausbau des Kompe-
tenzzentrums mit freistaatlicher Hilfe wäre der Schlüssel
zum Erfolg auch in der Problematik des Instandhaltungs-
werkes gewesen. Dieser Schlüssel wurde weggeworfe-
nen. Jetzt aber nach dem Motto: Hoppla, da gibt es ja
Probleme wird es höchste Zeit, den Rettungsanker von
50 Millionen DM zu werfen.
Mit einiger Ironie kann ich es nur sehen, dass man of-
fensichtlich auch in der Unionsfraktion erkannt hat, dass
es heute nicht nur um die spezifisch bayerischen Pro-
bleme geht, sondern dass die Bahn Deutschland in seiner
Gesamtheit verpflichtet ist. Man hat in der Fraktionsspitze
der Union wohl selbst erkannt, dass der Antrag Blank,
Uhl, Wöhrl und Co. wirklich nur ein lokalpolitischer Ali-
biantrag ist, und ruck-zuck wurde in den letzten Stunden
noch ein neuer Antrag der CDU/CSU nachgeschoben, der
den Horizont in Sachen Bahn wieder etwas über den
weiß-blauen Horizont hinaus weitet. Auf die innere Un-
zulänglichkeit und Widersprüchlichkeit der jetzt vorlie-
genden beiden Unionsanträge werde ich jetzt nicht näher
eingehen.
Ich kann Ihnen, meine Damen und Herren der Union,
nur raten: Springen Sie über Ihren schwarzen Schatten.
Sehen Sie die Probleme ebenso differenziert wie ziel-
orientiert und in ihrer ganzen Komplexität, wie wir es in
unserem SPD/Grünen-Antrag tun, und stimmen Sie die-
sem unserem Antrag zu. Damit machen wir das Tor auf für
vernünftige Lösungen im Interesse der Bahn, der Bahn-
mitarbeiter in Bayern und in der ganzen Republik und
bringen die Probleme auf die richtige Schiene.
Dr. Michael Luther (CDU/CSU): Seit Monaten wird
nun schon in der Öffentlichkeit die Schließung von In-
standhaltungswerken der DB AG diskutiert. Das sich pri-
vatisiert nennende Unternehmen Bahn AG hat sich vor-
genommen, wirtschaftlicher zu arbeiten und hatte deshalb
die Unternehmensberatung Roland Berger beauftragt, die
wirtschaftliche Situation der Instandhaltungswerke zu be-
gutachten. lm Ergebnis dieses Gutachtens sollen eine
Reihe von Werken für die schwere Instandhaltung in ganz
Deutschland davon in Sachsen alle vier vorhandenen
Werke geschlossen werden.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119464
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Seit langem bemühen sich Kommunalpolitiker, Lan-
despolitiker, wir als Bundespolitiker, Gewerkschaften,
Betriebsräte und Mitarbeiter der betroffenen Unterneh-
men, diese Werke zu retten. Zwischenzeitlich sind drei
Gegengutachten zum so genannten Berger-Gutachten
der Öffentlichkeit bekannt geworden, die jeweils für ein-
zelne bestimmte Standorte aufgestellt wurden und nach-
weisen, dass die Zahlen des Berger-Gutachtens falsch
sind. An dieser Stelle hätten die Bundesregierung, der
Bundeskanzler, der Bundesverkehrsminister und nicht zu-
letzt Staatsminister Schwanitz eingreifen müssen, um das
alte Konzept der Bahn AG überprüfen zu lassen.
Das ist aber offensichtlich von Rot-Grün nicht gewollt.
Nicht anders ist zu erklären, warum diese Kahlschlagpo-
litik der Bahn Unterstützung des Bundeskanzlers findet.
Was will also Schröder? Das erste, was mir aufgefallen
ist: Nach Vollendung der Schließungspläne wird es in den
Ländern Saarland, Baden-Württemberg, Bayern, Thürin-
gen und Sachsen kein einziges Werk für schwere Instand-
haltung mehr geben. Ein Schelm, der dabei Böses vermu-
tet. Es geht und das werfe ich vor darum, ob ein
Standort wirtschaftlich ist oder nicht. Ich habe den Ein-
druck, dass ausschließlich politische Interessen der SPD
durchgesetzt werden sollen. Nun könnte jemand einwen-
den, da gibt es doch noch ein Werk in Kassel, in Hessen
ebenfalls CDU-regiert , dass erhalten bleibt und sogar
einen Arbeitskräftezuwachs erfahren soll. Der Wahlkreis-
abgeordnete in Kassel ist Bundesfinanzminister Eichel.
Ein Schelm, der hier Böses vermutet.
Speziell für das sächsische Instandhaltungswerk in
Zwickau engagiere ich mich selbst seit geraumer Zeit. In
diesem Werk bemüht sich schon seit längerem der dortige
Betriebsrat gemeinsam mit der Unternehmensleitung an-
dere Aufträge ins Werk zu holen. So gab es bereits erfolg-
versprechende Kontakte zu Spezialwagenbetreibern, bei-
spielsweise Bau und Reparatur von PKW-Transportern,
da, wie ja allen bekannt, das VW-Werk Mosel in der Nähe
liegt. Leider verhinderte die Bahn-Zentrale kategorisch
diese Bemühungen! Warum?
Ich möchte im Weiteren beim Zwickauer Beispiel blei-
ben. Viele Zwickauer Politiker bemühten sich in der Ver-
gangenheit, auf dem riesigen bislang ungenutzten Bahn-
gelände Voraussetzungen zu schaffen, um neue Industrie
anzusiedeln. Zusammen mit dem Kernbestand des In-
standhaltungswerkes könnte somit ein sinnvoller Indus-
triestandort entwickelt werden. Im Rahmen dieser
Bemühungen haben wir in Zwickau alleine drei Jahre
dafür gebraucht, herauszubekommen, wer für die einzel-
nen Grundstücke dieses Geländes bei der DB AG zustän-
dig ist. Ein Schelm, der hier nichts Böses vermutet. Die
Geschichte lässt sich beliebig fortsetzen. Genannt sei bei-
spielsweise auch die Container-Verladestation in
Zwickau, die nur mit unermüdlichem Einsatz der privaten
Investoren und sächsischen Politikern aus der Deutschen
Bahn AG gebrochen werden konnte. Nahezu die Hälfte
der Arbeitsplätze, die bei der Bahn vernichtet werden sol-
len, fallen auf Sachsen. Der Region gehen damit 2 370 Ar-
beitsplätze verloren. Arbeitsämter warnen schon heute
vor dem sprunghaften Anstieg der Arbeitslosenzahlen.
Der Freistaat Sachsen hat in den vergangenen zehn
Jahren ohne die SPD einen hoffnungsvollen wirt-
schaftlichen Aufschwung erfahren. 1998 ging die SPD zu-
sammen mit ihrem Bundeskanzler mit dem Versprechen
in den Wahlkampf, den Aufbau Ost endlich zur Chefsache
machen zu wollen. Sie sind jetzt für diese schlimme Ent-
wicklung verantwortlich. Auf seiner Ostreise im August
dieses Jahres wollte der Bundeskanzler seine Erfolge ver-
künden. Dabei hätte der Bundeskanzler am Donnerstag,
dem 23. August 2001, auf eine Demonstration von zu
Recht entrüsteten Bahnwerkern treffen sollen. Unser Me-
dienkanzler wollte sich dieser Begegnung mit dem Volk
nicht stellen und hat gekniffen. Ihm kam dabei die Maze-
donien-Entscheidung nur recht. Obwohl er andere Mög-
lichkeiten gehabt hätte, rief er sein Bundeskabinett just an
diesem Tag zusammen.
Großzügig hat er dann die Betriebsräte für einen späte-
ren Termin in das Bundeskanzleramt geladen, natürlich
ohne große Medienbegleitung. Im Rahmen dieses Ge-
spräches wurde ein Kompromiss ausgehandelt, wonach
bis zum 30. November dieses Jahres also in 22 Tagen
die Konzepte nochmals überprüft werden sollen. Was ist
geschehen? Nichts! Niemand bei der Deutschen Bahn AG
nimmt die drei vorhandenen Gegengutachten, welche das
Zahlenwerk des Berger-Gutachtes wiederlegen, über-
haupt zur Kenntnis. In Gesprächen mit Betriebsräten
muss man erfahren, dass schon heute Tatsachen geschaf-
fen werden, die einen Fortbestand der Werke nicht mehr
zulassen. Herr Bundeskanzler, Sie haben noch nicht ein-
mal die von Ihnen selbst zugesagte Schamfrist eingehal-
ten.
Meine Damen und Herren von der Regierungskoali-
tion, mit ihrem Antrag wollen sie nun den Eindruck er-
wecken, dass sie sich zusammen mit ihrem Bundeskanz-
ler noch einmal ganz ernsthaft um den Erhalt der
Instandhaltungswerke kümmern. Das kann doch aber nur
schlicht und einfach mit dem berühmten Nasenring
verglichen werden, mit dem sie die Bahnwerker herum-
führen wollen. Die einzige Sorge, die sie offensichtlich
jetzt noch haben, ist die anstehende Bundestagswahl
2002. So haben sie in Engelsdorf bei Leipzig 150 der 300
Beschäftigten die Hoffnung gemacht, dass sie einen Inves-
tor hätten, der sie man höre und staune bis Ende 2002
also bis kurz nach der Bundestagswahl übernehmen
will. In Delitzsch sagten sie den 330 Beschäftigten zu,
dass ihr Bahnwerk noch ein Jahr länger bestehen soll bis
2003 also bis kurz nach der Bundestagswahl. Lediglich
den Chemnitzer Bahnwerkern versprachen sie die even-
tuelle Sicherung von 100 der bisherigen 880 Arbeitsplät-
zen zu. Ein Schelm, der hier nichts Böses denkt.
Herr Bundeskanzler, laut Grundgesetz haben Sie in Ih-
rer Funktion die Aufgabe, die Interessen aller Bundeslän-
der in gleicher Weise zu vertreten und keines zu bevorzu-
gen oder zu vernachlässigen. Doch Sie tun das Gegenteil.
Sie vernachlässigen Sachsen, weil die Sachsen vorrangig
CDU wählen und weil es ein neues Bundesland ist. Ich
weiß, dies ist ein herber Vorwurf. Aber die von mir ge-
nannten Fakten sind nun einmal ein schwer zu widerle-
gender Anscheinsbeweis.
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Herr Bundeskanzler, ändern Sie endlich Ihre Hand-
lungsweise! Setzen Sie sich für den Erhalt der Instand-
haltungswerke in den neuen Bundesländern ein! Auch
Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoali-
tion, sind hier gefordert. Machen Sie sich wirklich für den
Erhalt der Werke stark. Stimmen Sie unserem Antrag zu!
Renate Blank (CDU/CSU): Der 26. Juni 2001 wird in
die Geschichte der traditionsreichen Eisenbahnstadt
Nürnberg als Schreckenstag eingehen. An diesem Tag ver-
kündete der Vorstand der Deutschen Bahn AG die Schlie-
ßung von acht Instandhaltungswerken im Bundesgebiet,
darunter die Standorte Nürnberg und München-Neuaubing.
Zum 31. Dezember 2003 sollen in Nürnberg und Mün-
chen die Lichter ausgehen. Nach diesem unsinnigen Plan
von Herrn Mehdorn sollen in Bayern rund 1 000 Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter im gesamten Bundesgebiet
rund 6 000 ihre Arbeitsplätze verlieren. Eine sehr ver-
ständliche Empörung, ja sogar Wut und große Enttäu-
schung machten sich bei den Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmern breit.
Meinem Kollegen Dr. Uhl aus München und mir als
Nürnbergerin, in deren Wahlkreisen die betroffenen
Werke liegen, sind die Reaktionen der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer vollkommen verständlich und nach-
vollziehbar. Zudem kann ich als Verkehrspolitikerin diese
unüberlegte Entscheidung absolut nicht nachvollziehen,
zumal das Werk Nürnberg nach dem Unglück von
Eschede, das uns alle zutiefst betroffen gemacht hat, her-
vorragende Arbeit leistete. Damals ist gerade das Nürn-
berger Ausbesserungswerk der Bahn noch für die schnelle
Überholung von 59 ICE-Garnituren der ersten Generation
gelobt worden. Hoch qualifizierte Mitarbeiter und Spe-
zialisten haben damals nicht abgewartet, sondern selbst-
verständlich energisch angepackt ohne auf Überstunden
und Feiertage zu achten. Der Dank: Jetzt, nur drei Jahre
später und unter einem neuen Bahnchef, wird die Kom-
petenz der rund 700 Nürnberger Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter über Nacht in Abrede gestellt für mich ein
Skandal!
Ein anderes Bahn-Argument, dass der Wartungsbedarf
bei den ICE- Zügen der dritten Generation nicht mehr so
hoch sei mir sind die ganzseitigen teuren Zeitungsan-
zeigen der Bahn noch gut im Gedächtnis, worin sie unter
dem Motto Neue Züge brauchen weniger Wartung der
Öffentlichkeit suggerieren wollte, dass einige Instandhal-
tungswerke durchaus entbehrlich seien ist ebenfalls
falsch, denn der Instandhaltungsaufwand vom ICE I im
Vergleich zum ICE III steigt um das 2,7fache. Weder mit
dem Vergleich von Fixkosten noch von Investitions-
bedürfnissen kann die Schließung vom noch im Bundes-
eigentum stehenden Unternehmen Deutsche Bahn AG be-
gründet werden, auch wenn sich das Berger-Gutachten,
das sich in zahlreiche Widersprüche verstrickt, reichlich
Mühe geben musste, hier negative Zahlen für die Werke
Nürnberg und München zu konstruieren. Wie anders ist es
zu erklären, dass nun ein neues Gutachten in Auftrag ge-
geben wurde? Ich bin überzeugt, dass dieses neue Gut-
achten aufzeigen wird, dass die Schließung der Werke
vollkommen unangebracht ist.
Uns drängt sich ohnehin der Verdacht auf, ja, ich bin
sogar davon überzeugt, dass die Schließung der beiden
bayerischen Werke nichts mit betriebswirtschaftlicher
Planung zu tun hat, sondern einzig und allein eine gezielte
politische Aktion gegen Bayern ist. Dieses rücksichtslose
Vorgehen nach dem Motto von Bundeskanzler
Schröder: Steine statt Brot für Bayern stellt eine reine
parteitaktische Strafaktion von Rot und Grün dar. Wenn
die Stilllegungspläne verwirklicht werden, gibt es kein
einziges Ausbesserungswerk mehr im Süden Deutsch-
lands. Und welch ein Wunder: Statt Reduzierung oder
Schließung gibt es eine Ausbesserungswerkserweiterung
ausgerechnet in Kassel, der ja, so ein Zufall! politi-
schen Heimat von Bundesfinanzminister Hans Eichel.
Dies ist ein starkes Stück, übrigens auch im Hinblick auf
die lapidare Art und Weise, wie gerade die Betroffenen in
Nürnberg und München von der praktisch überfallartigen
Entscheidung erfahren haben.
Des Weiteren deutet die Akzeptanz und Passivität der
Bundesregierung und insbesondere des Verkehrsministers
offenkundig darauf hin, dass hier eine klar erkennbare
parteipolitische Strategie zugrunde liegt. Und ich wieder-
hole meinen Vorwurf, ob es Ihnen passt oder nicht, meine
Damen und Herren von den Regierungsfraktionen: Die
Stilllegungspläne sind das Produkt von rot-grüner Kunge-
lei in Berlin und eine massive Benachteiligung Bayerns.
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich das überaus
bewundernswerte Engagement der Belegschaft für dem
Erhalt ihrer Werke loben: In Nürnberg kämpften sie im
wahrsten Sinne Tag und Nacht für den Erhalt des Werkes;
einige hatten sich sogar an das Werkstor gekettet und
lange einen Hungerstreik durchgehalten. Hut ab vor die-
ser Leistung! Vom Einsatz der Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeiter, dem Engagement des Betriebsrats und der Ge-
werkschaften konnte ich mich vor Ort und in vielen
Gesprächen überzeugen.
Mein Kollege Dr. Uhl und ich haben bereits im Som-
mer den Beschäftigten zugesagt, uns für den Erhalt der
Werke Nürnberg und München mit einem Antrag im
Deutschen Bundestag einzusetzen; dies ist nun heute auf
den Weg gebracht. Zu den Werken außerhalb Bayerns
wird ja noch der Kollege Dr. Luther entsprechende Aus-
führungen machen. Schade ist, dass die bayerischen Bun-
destagsabgeordneten von SPD und Grünen im Vorfeld
nicht auf unser Angebot reagiert haben, sich unserem An-
trag anzuschließen, obwohl es im bayerischen Landtag zu
einem parteiübergreifenden Beschluss zum Erhalt der
Werke in Nürnberg und München gekommen ist.
Nachdem unser Antrag längst vorlag und Rot-Grün die
Brisanz erkannt hatte, ist eiligst noch ein eigener Antrag
zusammengeschustert worden. Was haben Sie sich ei-
gentlich bei Ihrem nichts sagenden Antrag gedacht? Die
Mitarbeiter sind bereit, für ihr Werk zu kämpfen und Sie
tönen vollmundig vor Ort, um dann so einen inhaltslosen
Antrag zu fabrizieren. Es genügt eben nicht, wie gesche-
hen, die SPD-Fahne vor dem Nürnberger Werkstor zu his-
sen. Man sollte schon konkrete Beschlüsse fassen.
Wenn die SPD in ihrem Antrag die Vermittlung von
Verkehrsminister Bodewig lobt, der zwar ein Gespräch
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119466
(C)
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(A)
(B)
mit Gewerkschaften und Betriebsräten geführt hat, aber
zu keinerlei Zusagen bereit war, und die konsequente
politische Unterstützung durch Regierung und rot-grüne
Fraktion begrüßt, ist das einfach absurd. Minister
Bodewig und auch der Kanzler haben die Entwicklung
schlicht verschlafen und sind viel zu spät aufgewacht
und das, obwohl es sich bei der Bahn nicht um irgendein
privates Unternehmen handelt. Eigentümer ist ja immer-
hin der Bund; da kann der Unternehmensvorstand nicht in
geradezu selbstgefälliger Weise derart weittragende Ent-
scheidungen treffen. Wenn der Bundeskanzler immer
wieder betont, wie wichtig ihm die Arbeitsplätze in unse-
rem Lande sind, dann kann diese Bundesregierung nicht
tatenlos zusehen, wie Teile eines Unternehmens mit dem
unverkennbaren Siegel des Bundeseigentums aufgegeben
werden.
Die Bundesregierung kann sich nicht mit Hinweisen
auf betriebswirtschaftliche Argumente des Bahnvorstands
ihrer sozialpolitischen Verantwortung entziehen. Wenn
Rot-Grün im Antrag schreibt: Das Ziel muss sein, dass
keiner der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der DB AG
durch die Sanierungsmaßnahmen in die Arbeitslosigkeit
entlassen wird, dann ist dies reine Augenwischerei; denn
es ist bekannt, dass spätestens nach drei Jahren die Ar-
beitslosigkeit droht. Die Zusage von Kanzler Schröder,
bis zum 30. November 2001 ein neues Gutachten erarbei-
ten zu lassen, ist doch nur vor dem Hintergrund zu sehen,
dass er beim SPD-Parteitag Mitte November in Nürnberg
keinesfalls Demonstrationen brauchen kann; vielleicht
verkündet er ja auch auf dem Parteitag den Erhalt der
Werke in Nürnberg und München.
Einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung der Werke leis-
tet der Freistaat Bayern, obwohl er dazu nicht verpflichtet
wäre, da es sich um ein Unternehmen im Eigentum des
Bundes handelt. Der bayerische Wirtschafts- und Ver-
kehrsminister Otto Wiesheu, dem ich an dieser Stelle aus-
drücklich für seinen intensiven Einsatz danke, hat bereits
finanzielle Mittel für Umstrukturierungsmaßnahmen in
Aussicht gestellt.
Klar ist: Die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer sowie die Gewerkschaften sind durchsichtige
parteitaktische Manöver leid; sie wollen nicht mit wohl-
tönenden Worten abgespeist werden, sondern verlangen
zu Recht klare Entscheidungen von der Politik. Wir wer-
den weiter um den Erhalt der Werke und damit der
Arbeitsplätze ringen. Die Belegschaft hat grandios
gekämpft, der bayerische Wirtschaftsminister leistet sei-
nen Beitrag und die Medien haben die Bedeutung der
Werke und den Einsatz der Mitarbeiterinnen und Mitar-
beiter stets ausführlich begleitet. Jetzt sind Sie am Zug:
Stimmen Sie unserem Antrag zu!
Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Die allermeisten von uns werden mit mir ei-
nig sein, dass mit der Umstrukturierung der DB AG auch
eine Produktivitätssteigerung verbunden sein muss. Ge-
eignete Maßnahmen zur Konsolidierung und Verbesse-
rung der Gesamtwettbewerbsfähigkeit der DB AG sowie
zur Zukunftssicherheit sind unbedingt erforderlich. Dass
dies auch mit schwierigen Einschnitten verbunden ist, die
sozialverträglich abgefedert werden müssen, ist unbestrit-
ten. Hier erfüllt der Bund als Eigentümer seine Verpflich-
tungen: Neben der der Steigerung der Schieneninvestiti-
onsmittel auf fast 9 Milliarden DM, mit der auch eine
Beschäftigungsoffensive im Bahnbereich verbunden ist
stellt die Bundesregierung zusätzlich 2,3 Milliarden DM
jährlich für die soziale Absicherung der Bundesbahnbe-
schäftigten zur Verfügung. Als einen weiteren Beitrag zur
Sozialverträglichkeit hat das Kabinett zudem die Verlän-
gerung der Vorruhestandsregelung beschlossen.
Darüber hinaus hat sich Bundeskanzler Schröder als
Moderator Zwischen der DB und der Transnet zur Verfü-
gung gestellt, um die Wirtschaftlichkeit der DB-Werke
noch einmal zu überprüfen. Hierbei muss gerade auch im
Zuge des zunehmenden Wettbewerbs auf der Schiene
überprüft werden, ob nicht mehr Fremdaufträge von an-
deren Bahnen zu einer höheren Auslastung der betroffe-
nen Werke führen werden. Ein Ansatz zum Beispiel von 3
Prozent Fremdaufträgen für die DB-Werke erscheint mir
bei einer zunehmenden Zahl von NE-Eisenbahnen in
Deutschland sehr unrealistisch zu sein.
Der Bund erwartet aber auch vom Vorstand der DB AG,
dass er seiner besonderen sozialen und strukturpolitischen
Verantwortung nachkommt und den Sanierungsprozess
sozialverträglich gestaltet. Dazu muss ein offensives
Standortmanagement betrieben werden und die aktive Su-
che nach potentiellen Investoren fortgesetzt werden.
Dass dies sehr erfolgreich sein kann, beweist das Werk
in Stendal. Nachdem der Alsthom-Konzern 51 Prozent
der Anteile übernommen hat, ist der Fortbestand des Wer-
kes nicht mehr gefährdet. Ja, mit innovativen betriebs-
wirtschaftlichen Konzepten wie der Instandsetzung und
Modernisierung von Wagen und Loks mit anschließen-
dem Leasinggeschäft wird eine gute Auslastung des Wer-
kes erreicht. Wo die Länder, die DB und der Bund an ei-
nem Strang ziehen, werden ebenfalls gute Ergebnisse
erzielt. Die Standortsicherung des Werkes in Delitzsch ist
so gut wie sicher; das Land Nordrhein-Westfalen hat das
Werk Krefeld mit 60 Millionen DM Investitionsbeihilfen
zukunftsfähig gemacht. Geradezu scheinheilig ist in die-
sem Zusammenhang der CDU/CSU-Antrag zur Rettung
des ICE-Werkes in Nürnberg. Die CSU-Mehrheit im
Bayerischen Landtag hat sich kürzlich geweigert, mit ei-
ner Wirtschaftshilfe von 60 Millionen DM den Standort
Nürnberg zu modernisieren und damit wie in Krefeld das
Spitzen-Know-how der Beschäftigten für die Zukunft zu
sichern. Ich halte das Werk in Nürnberg unter den Bedin-
gungen des Zusammenwirkens aller Beteiligten für
durchaus zukunftsfähig.
Auch wenn ein Abbau der Kapazitäten möglicherweise
nicht überall zu vermeiden ist, muss als sicher gelten: Kei-
ner der betroffenen Eisenbahnerinnen und Eisenbahner
wird in die Arbeitslosigkeit entlassen. Zwei Drittel der
Beschäftigten haben tariflichen Anspruch auf Weiterbe-
schäftigung. Auszubildende können ihre Ausbildung ab-
schließen.
Beschäftigte werden durch die Erschließung neuer
Betätigungsfelder, durch Qualifizierungsmaßnahmen und
durch Jobsuche unterstützt. Durch die Installation einer
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19467
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Jobbörse konnten beispielsweise in München-Neuaubing
bereits 120 Mitarbeiter vermittelt werden.
Der Bundesregierung hat deutlich gemacht, dass sie
gemeinsame Modernisierungsbemühungen von DB,
Gewerkschaft, Ländern und Investoren vorbehaltlos un-
terstützt. Wir brauchen eine moderne, wettbewerbs-
fähige Bahn, um die verkehrspolitischen Herausforde-
rungen zu meistern. Ein Erfolg der Bahnreform liegt im
ureigensten Interesse der Beschäftigten und natürlich
der Millionen Fährgäste, die täglich mit der Bahn un-
terwegs sind.
Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Sie werden sich
daran erinnern, dass wir uns 1993 in diesem Hause über
die Gründe für die Bahnreform einig waren. Der wesent-
liche Punkt war dabei die gemeinsame Auffassung, dass
die Bahn zukünftig unternehmerisch geführt und damit
von solcher politischen Einflussnahme befreit werden
sollte, die nicht ordnungspolitisch, sondern wahlkreisspe-
zifisch motiviert ist. Dass damit nicht nur der Verzicht auf
Zusatzforderungen etwa weitere Haltepunkte für Fern-
verkehrszüge in der eigenen Region , sondern auch die
Hinnahme von zu erwartenden Härten durch den Um-
strukturierungsprozess bei der Bahn verbunden ist, war
immer klar.
In diesem Punkt ist absolute Einigkeit nötig. Wenn wir
wieder mit einem Wettlauf darüber anfangen, wer die mei-
sten Staatsgelder der Bahn in seine Region lenkt, ist jeder
Kollege gezwungen, dieses Spiel mitzuspielen, und wir
können den Erfolg der Bahnreform gleich vergessen. In-
sofern gefallen mir einige Anträge, die hier heute debat-
tiert werden, überhaupt nicht, Andererseits wundert es
mich auch nicht, dass die Haupt- und Staatspartei Bay-
erns, die CSU, hier vorprescht.
Die FDP ist sicher nicht weniger besorgt um die Men-
schen in den betroffenen Orten, sie weigert sich aber, sich
auf dieses überholte Argumentationsmuster einzulassen,
weil sie das Ganze im Blick behält. Es muss in diesem
Land auch möglich sein, die ökonomische Wahrheit zu sa-
gen. Wer das nicht tut und immer durch Staatsinterventio-
nen überlebensunfähige Betriebe stützt, wird eines Tages
Wirtschaftszustände ernten, die wir im Osten unseres
Landes gerade überwunden haben.
Voraussetzung für eine solch klare Sprache ist aller-
dings die Unanfechtbarkeit der ökonomischen Argu-
mente. Darüber kann man streiten, in diesem besonderen
Fall muss man darüber sogar streiten, und hier setzt auch
die Kritik der FDP am Standortschließungskonzept der
Bahn ein.
Die DB AG verfügt über ein im Übrigen von der Po-
litik wegen der hohen Verantwortung gewollt hoch be-
zahltes Management mit vielen hoch qualifizierten und
hoch bezahlten Fachleuten. Deren Standortanalysen soll-
ten von solcher Qualität sein, dass die damit verbundenen
Entscheidungen auch Prüfung und Kritik in der Sache
standhalten.
Stattdessen hat die DB AG in starkem Maße den Ein-
druck erweckt, unsachgemäß und willkürlich zu handeln.
Nach den ersten massiven Protesten gegen die ursprüng-
lich als wirtschaftlich zwingend notwendig bezeichnete
Schließung mehrerer Werke wurden die Pläne relativiert.
Ursprünglich nicht beabsichtigte Privatisierungen wurden
nun kurzfristig in das Konzept einbezogen.
So geht das, wenn ein Bundeskanzler die Analysen der
Bahn prüft. Dass die Bahnverantwortlichen bei dieser
Prüfung durchgefallen sind, ist äußerst blamabel und ver-
unsichert alle diejenigen, die auch künftig mit der Bahn zu
tun haben werden bzw. von deren Entscheidungen abhän-
gig sind.
Der Vorwurf der Willkürlichkeit und mangelnder Pro-
fessionalität trifft daher auch die Bundesregierung, auf
deren Intervention hin die ursprünglichen Pläne hastig
und in für Außenstehende nicht nachvollziehbarer Weise
überarbeitet wurden.
Dieses Parlament hat deshalb ein berechtigtes Interesse
daran, die maßgeblichen Fakten nachvollziehen zu kön-
nen. Dies gilt in noch stärkerem Maße für die Bedienste-
ten der betroffenen Standorte, die sich von der DB AG und
der Bundesregierung verschaukelt fühlen.
Nicht nur die Politik hat also die Verpflichtung, sich
aus einzelnen Entscheidungen des Unternehmens DB AG
herauszuhalten, sondern auch die Bahnmanager haben die
Verpflichtung, zunächst einmal richtig zu rechnen und nur
aufgrund belastbarer Analysen zu entscheiden. Nicht nur
die Politik, wie von Herrn Mehdorn immer wieder einge-
fordert, sondern auch die Bahn hat mit dem Auftrag der
Bahnreform gefälligst sorgfältig und verantwortlich um-
zugehen, sonst gefährdet sie selbst die Ziele eines Erstar-
kens des Schienenverkehrs in Deutschland,
Solche Fälle wie der vorliegende legen einen Makel
auch auf zukünftige Entscheidungen der Bahn, weil nie-
mand sicher sein kann, ob sie wirklich sachgerecht sind.
Das ist für die Akzeptanz auch zukünftig notwendiger
Umstrukturierungen katastrophal, weil das Signal ausge-
sandt wird, die Politik werde es schon richten.
Kurzfristig stiftet der Bundeskanzler mit Blick auf den
Wahlzettel 2002 Frieden, längerfristig ist diese Politik
zum Scheitern verurteilt.
Dr. Winfried Wolf (PDS): Vor wenigen Monaten, am
27. Juni 2001, protestierte die PDS heftig gegen die Ab-
sicht der Deutschen Bahn AG, acht von 18 Standorten
der Fahrzeug-Instandhaltung zu schließen. Die Kapa-
zitäten zur Instandhaltung von Loks und Wagen würden
auf ein Minimum reduziert, 6 000 Arbeitsplätze rund
die Hälfte der bisher hier vorhandenen würden damit
abgebaut.
Die PDS begrüßt es, dass die Protest-Aktionen erste
Erfolge zeigen: Nicht zuletzt durch das Engagement der
betroffenen Landesregierungen werden die Standorte
Neustrelitz, Stendal und Leipzig-Engelsdorf unabhängig
von der Deutschen Bahn AG weiterarbeiten können. Die
übrigen zur Schließung vorgesehenen Instandsetzungs-
werke werden noch einmal überprüft. Das Ergebnis wird
erst Ende des Monats bekannt werden.
Bahnchef Mehdorn nannte die Schließungsabsichten
Konsolidierung und mit dem Interesse, das Unter-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119468
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nehmen für den Börsengang gewinnträchtig zu machen,
betriebswirtschaftlich notwendig. Die PDS nennt dies
gedankenlose Zerstörung von Ressourcen und ver-
kehrspolitisch unsinnige Opfer im Interesse der Gewinn-
maximierung.
Mehdorn begründet den geplanten Abbau wiederholt
mit zukünftigen Investitionen in neue Loks und in neues
Wagenmaterial, die den Instandhaltungsbedarf drastisch
reduzieren würden. Tatsächlich sind jedoch Lokomo-
tiven und Waggons überaltert, wenn auch noch immer
unverzichtbar. Die Instandhaltung hinkt immer mehr hin-
terher. Dies hat massive Ausfälle zur Folge. Die alten
Fahrzeuge werden länger benötigt, als es steuerliche Ab-
schreibung und anspruchsvolle Investitionspläne der
Deutschen Bahn vermuten lassen. Das aber heißt: Der In-
standhaltungsbedarf ist enorm. Die Werke könnten voll
und ganz ausgelastet werden, und zwar für mehrere
Jahre.
Die von Mehdorn ins Auge gefasste Hauruck-Investi-
tion mit völlig neuer Technologie musste die Bahn in
den letzten Jahren schon mehrfach ausbaden. Dies mün-
dete fast immer darin, dass Lokomotiven und Triebwagen
ohne ausreichende Tests und Probezeiten in den laufenden
Schienenbetrieb übernommen wurden. Sie erwiesen sich
in der Folge als extrem instandhaltungsintensiv, wobei zu-
vor entsprechende Kapazitäten für die Instandhaltung
weder in der Bahn-Industrie noch bei der Bahn selbst
aufgebaut worden waren. Auch das heißt: Der Instandhal-
tungsbedarf bleibt hoch.
Fast täglich betont Bundesminister Bodewig, dass in
den nächsten Jahren der Schienen-Güterverkehr sich ver-
doppeln und der Personenverkehr erheblich anwachsen
werden. Stimmen diese Vorgaben und es sind die Vor-
gaben des zukünftigen Bundesverkehrswegeplans , dann
wären für einen massiv erneuerten und wohl auch erheb-
lich erweiterten Lok- und Wagenpark eher höhere Kapa-
zitäten der Instandhaltung erforderlich, als gegenwärtig
vorgesehen.
In der Realität stellt sich der von der Deutschen Bahn
AG geplante Abbau der Instandhaltung ähnlich wie der
Interregio-Abbau als ein weiterer Beweis für den Rück-
zug der Schiene dar. Die Schrumpfbahn kommt.
Die PDS spricht sich entschieden für den Erhalt aller
betroffenen Bahnwerke aus. Wir weisen darauf hin, dass
durch die weiterhin drohende Schließung der Standorte
in Chemnitz, Delitzsch und Zwickau erneut und in
besonderem Maße Arbeitsplätze der Deutschen Bahn in
den neuen Ländern betroffen wären. Es ist nicht
nachzuvollziehen, wie die Deutsche Bahn mehr Verkehr
auf der Schiene bewältigen will, wenn in der Instand-
haltung der Fahrzeuge keine Reserven vorgehalten wer-
den. Und da mehr Verkehr auf der Schiene eine
Forderung der offiziellen Verkehrspolitik ist, ist hier
auch der Bund gefordert. Die PDS unterstützt deshalb
die Anträge, die Erhalt und Zukunft für Bahn-Instand-
haltung fordern.
Anlage 11
Zu Protokoll gegebene Reden
zu
a) Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des
Saatgutverkehrsgesetzes
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts: Innovationspotenzial moderner Technolo-
gien für mittelständische Pflanzenzüchter erhalten
(Tagesordnungspunkt 18 a und b)
Heino Wiese (Hannover) (SPD): Dass das Saatgut-
verkehrsgesetz so spät am Abend beraten werden soll,
sagt nicht nur etwas über unsere Arbeitszeiten und die Ar-
beitsfülle des Parlamentes, es sagt auch etwas über den
Stellenwert in der Öffentlichkeit, den dieses Gesetzesvor-
haben erfährt. Leider, denn es ist für viele Pflanzenzüch-
ter und Sortennehmer von großer Bedeutung.
Bei der Anhörung im Ausschuss haben sich daher fast
alle Experten für die umfassende Neuregelung bedankt,
die aufgrund der großen Zahl von Veränderungen der
Saatgutrichtlinien der EG notwendig geworden waren.
Der Deutsche Bauernverband hat uns sehr zum Leid-
wesen von Ihnen, Herr Kollege Carstensen sogar aus-
drücklich für das Gesetz gelobt. Ich möchte das Lob an
unsere Kollegin Steffi Lemke weitergeben, die sich
außerordentlich um die Neufassung verdient gemacht hat.
Das Saatgutverkehrsgesetz ist ein Verbraucherschutz-
gesetz. Es stellt sicher, dass Landwirte und Gartenbaube-
triebe Saatgut und Vermehrungsmaterial der verschiede-
nen Sorten in hoher Qualität erhalten können. Gute
Qualität des Endproduktes und damit gute Äpfel, Toma-
ten, Kartoffeln und andere Lebensmittel für die Verbrau-
cherinnen und Verbraucher. Außerdem gibt das neue Ge-
setz Rechtssicherheit für das Bundessortenamt in
Hannover, das jetzt klare Vorgaben für die Zulassung
neuer Sorten bekommen hat.
Wichtig dabei ist auch die Kompetenz, schädlichen
Sorten die Zulassung zu entziehen. Wir sind mit diesem
Gesetz ein großes Stück weitergekommen, was die Rege-
lung des Saatgutrechtes betrifft.
Eine wesentliche Aufgabe, die jetzt dazukommt, ist die
Neuregelung des Sortenschutzes, eine Aufgabe, der wir
uns schnellstmöglich annehmen sollten. Dafür gibt es eine
Reihe von dringenden und wichtigen Gründen. Der wich-
tigste ist für mich die unsägliche Nachbauregelung, die zu
Hunderten oder sogar Tausenden von Gerichtsverfahren
geführt hat. Allein 900 Verfahren sind zurzeit vor dem Eu-
ropäischen Gerichtshof. Die Saatguttreuhand, die augen-
scheinlich große Schwierigkeiten hat, zwischen privat-
rechtlichen Verträgen und öffentlich-rechtlichen
Aufgaben zu unterscheiden, hat sich Verhaltensweisen
angemaßt, die ihr in keiner Weise zustehen.
Den Fehler hat hierbei aber der Gesetzgeber gemacht,
weil aus Opportunitätsgründen auf eine klare gesetzliche
Regelung verzichtet wurde; zugunsten eines so genannten
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19469
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Kooperationsabkommens zwischen Pflanzenzüchtern
und Bauernverband und zulasten der Bauern.
Ein zweiter wichtiger Grund ist die Frage: Wie gehen
wir mit GVO in neuen Sorten um? Die nin der Diskussion
stehende Biopatentrichlinie wird uns vor neue Herausfor-
derungen stellen.
In diesem Zusammenhang möchte ich kurz auf den An-
trag der FDP eingehen. Ich glaube nicht, dass die Biopa-
tenrichtlinie und die Zulassung von neuen gentechnisch
veränderten Sorten wirklich, wie die FDP behauptet, die
mittelständischen Züchter stärken. Ich bin vielmehr ziem-
lich sicher, dass damit eine Wettbewerbsverzerrung zu-
gunsten der großen Unternehmen eingeleitet wird. Natür-
lich können die größeren Unternehmen viel eher
patentrechtliche und biotechnische Apparate aufbauen,
als das durch kleinere Mittelständler erreicht werden
kann.
Ich möchte nicht missverstanden werden: Ich bin aus-
drücklich dafür, die Chancen der grünen Gentechnik zu
nutzen. Dafür müssen wir den Sortenschutz aber in der Tat
so gestalten, dass wir die einzigartige Vielfalt der mittel-
ständischen Saatzuchtunternehmen in Deutschland erhal-
ten und schützen. Das Saatgutverkehrsgesetz war der
erste Teil einer transparenten und umfassenden Regelung
des Saatgutrechtes; für das Sortenschutzgesetz werden
wir das in ähnlich verantwortlicher Weise tun.
Wir haben auch in diesem Bereich viel vor uns und wir
werden es tun.
Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Es ist jetzt fast
genau ein Jahr her, seitdem die BSE-Krise einen Stein ins
Rollen brachte.
Wir wissen alle, dass dies nicht die erste Krise ist, die
die Landwirtschaft erschüttert und den laufenden Struk-
turwandel deutlich forciert. Weinskandal, genmanipu-
lierte Lebensmittel, Schweinepest und auch gefundene
Pestizidrückstände in Bier beunruhigten schon vor Jahren
die Bevölkerung. Jeder wollte doch gern glauben, dass
man durch die Wissenschaft, durch strengere Gesetze und
Kontrollen, die Gefahrenquellen beseitigen kann. Diese
Sicherheit gibt es seit BSE nicht mehr. Gerade der Stand
der wissenschaftlichen Kenntnisse war hauchdünn und
viel weiter sind wir leider immer noch nicht. Die erlebte
Unsicherheit war es, die dazu führte, dass nach BSE das
Vertrauen in die bäuerliche Landwirtschaft nicht alleine
durch stärkere Kontrollen und strengere Gesetze wieder-
hergestellt werden kann.
Zwar haben wir durch das Verfütterungsverbot von
Tiermehl oder durch den sensiblen Umgang bei der Tö-
tung von Tierbeständen gezeigt, dass wir diese Unsicher-
heit in der Bevölkerung ernst nehmen und die bestmögli-
che Sicherheitsstufe einräumen, aber es ist offensichtlich,
dass Veränderungen anstehen.
In meiner Rede zum Agrarbericht 2001 sagte ich: Die
Landwirte gehören nicht an den Pranger, sondern mit ins
Boot. Ich bin auch nicht der Meinung eine Drohkulisse
aufzubauen oder jemanden gegen die Wand laufen zu las-
sen.
Vielmehr werbe ich dafür, gerade auch unter dem Be-
rufsstand, den eingeschlagenen Weg, hin zu einer um-
weltgerechteren Landwirtschaft, gemeinsam zu beschrei-
ten. In persönlichen Gesprächen ist die Bereitschaft
vorhanden, nur muss um den Weg zum Ziel gerungen
werden. Aus meiner Erfahrung heraus sehe ich nur eine
vernünftige Chance im Miteinander. Uns allen liegt eine
umweltgerechte Landwirtschaft, Verbraucherschutz, Ent-
wicklung der ländlichen Räume um nur drei Schlaglich-
ter zu nennen, am Herzen.
Aus diesem Grund liegt heute der Gesetzentwurf zur
Modulation von Direktzahlungen auf dem Tisch und ist
ein wichtiges Element dieser neuen Agrarpolitik.
Nicht nur der Bund hat die Modulation als geeignetes
Mittel angesehen, um Gelder sinnvoll für eine umweltge-
rechtere Landwirtschaft umzuschichten. Auch Vertreter
der Länder hatten sich positiv geäußert.
Im Juli diesen Jahres einigten sich Bund und Länder
auf ein Modell, das bei einem Freibetrag von 20 000 DM
eine Prämienkürzung von 2 Prozent vorsieht und ab dem
Jahr 2003 in Kraft treten soll.
Also: Erhält ein Betrieb mehr als 20 000 DM an Prä-
miengeldern, dann werden alle weiteren Zahlungen für
seine Produkte um 2 Prozent gekürzt. Die EU sieht Kür-
zungen der Ausgleichszahlungen von bis zu 20 Prozent
vor. Unser Gesetz setzt bei 2 Prozent an.
Die Kürzungen der Direktzahlungen machen bundes-
weit 105 Millionen DM aus.
166 Millionen DM würden auf diese Weise zusätzlich
für Agrarumweltmaßnahmen und Strukturpolitik im länd-
lichen Raum zur Verfügung stehen. Das hört sich erstmal
gut an, aber insbesondere die Kofinanzierung ist Stein des
Anstoßes für die Länder.
Ich komme aus Sachsen-Anhalt und weiß, dass schon
jetzt die GAK-Mittel nicht voll abgerufen werden können,
weil die Kofinanzierung nicht mehr gewährleistet ist. Das
ist schwer. Mit den geplanten Kürzungen der Direktzah-
lungen wären zwar besonders die neuen Bundesländer be-
troffen, aber die Rückführung der Gelder in die Regionen
ist realisierbar.
Welche Belastungen kommen auf diese Weise auf den
Bund und die Länder zu? Der Bund ist bereit, 37 Milli-
onen DM zusätzlich für eine Umorientierung in der Land-
wirtschaft einzusetzen. Eine Umorientierung kann aber
nur in einer gemeinsamen Kraftanstrengung gelingen,
deshalb brauchen wir die Hilfe der Länder und erwarten
nun, dass sie ihren Teil dazu beitragen: Das sind 24 Mil-
lionen DM für eine umweltgerechtere Produktion von
Nahrungsmitteln und für die Stabilisierung der ländlichen
Räume.
Ein weiterer Stein des Anstoßes ist die Umsetzung,
Aufsicht und Verwaltung der Modulation. Hierfür kann
der Bund die Verantwortung nicht übernehmen. Ganz klar
ist geregelt: Diese Aufgaben stehen in der Landeshoheit.
Und ganz abgesehen davon, wäre mit so einer Änderung
von Finanzierungszuständigkeiten zwischen Bund und
Ländern eine Änderung des Grundgesetzes notwendig.
Diese Forderung ist praktisch undiskutabel.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119470
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Modulation ist ein geeignetes Mittel, um Gelder für
eine nachhaltige Entwicklung der ländlichen Räume um-
zulenken. Und das Mittelvolumen von 166 Millionen DM
ist dafür eine gute Basis. Übrigens finde ich es falsch, dass
Sie, Herr Kollege Heinrich, in mehreren Interviews ver-
suchten, den Eindruck zu erwecken als seien Subventio-
nen ein verbrieftes Recht der landwirtschaftlichen Unter-
nehmen, ihre Kürzung unredlich und ein Einsatz in
umweltrelevanten Maßnahmen ungeeignet, um die Land-
wirtschaft und den ländlichen Raum zu stärken.
Ich habe das Gefühl, Sie versuchen hier fünfe gerade
sein zu lassen und setzten in alter FDP-Manier Stützungen
mit eigen Erwirtschaftetem gleich! Und letztlich war es
doch die Politik von CDU und FDP, die die Abkehr von
ökologischen Zielen forciert hat. Nur nichts Neues for-
dern und entscheiden, immer alles schön beim Alten las-
sen. Egal, was sich da um uns herum in Europa tut. Wenn
wir heute eine geringe Akzeptanz des Berufsstandes unter
der Bevölkerung konstatieren müssen, ist das auch ein Er-
gebnis der jahrelangen umweltignoranten Politik, für die
neben der CDU die FDP die Verantwortung mitträgt.
Wir wollen zukünftig eine positive Entwicklung vo-
rantreiben. Deshalb mein eindringlicher Appell an die Län-
der, unser Gesetz zu unterstützen und nicht kurzsichtig zu
sein. Natürlich sind wir uns bewusst, dass gerade die fi-
nanzschwachen neuen Länder jede Mark zweimal umdre-
hen, ehe sie sie einmal ausgeben.
Weshalb aber verschließen sich die südlichen Bundes-
länder der Modulation völlig? Das war zwar von Anfang
an zu erwarten, verwundert dennoch. Gerade Bayern und
Baden-Württemberg rühmen sich Gelder für Sonderpro-
gramme in der Landwirtschaft zur Verfügung zu stellen.
Umweltmaßnahmen werden großgeschrieben, heißt es.
Wenn das so ist, dann verwundert es einmal mehr, dass
das Modulationsgesetz der Bundesregierung so verteufelt
wird. Die sachliche Begründung verschließt sich mir völ-
lig.
Im Gegensatz dazu lobte der saarländische Umweltmi-
nister Mörsdorf noch im Sommer dieses Jahres die neuen
Chancen, die das Modulationsgesetz für das Saarland
bringen würde. Diese Einsicht wäre beim Votum im Bun-
desrat sehr hilfreich.
Wir werden die Modulation einführen. Auch ohne den
Bundesrat wäre dies möglich. Allerdings müsste dann die
Freibetragsgrenze von 20 000 DM fallen. Davon wäre
dann jeder Betrieb in Deutschland betroffen. Kann uns da-
ran gelegen sein? Liebe Kolleginnen und Kollegen, nut-
zen wir die Zeit, um miteinander im Gespräch zu bleiben
und gemeinsam Bund und Länder für einen gesteigerten
Umweltschutz, eine Stärkung der ländlichen Räume und
die Interessen unserer Landwirtschaft zu sorgen.
Meinolf Michels (CDU/CSU): Ich habe noch einmal
die Protokolle aus der Debatte über die Agrarreform 1992
nachgelesen.
Wesentlicher Inhalt dieser Reform war: der Getreide-
interventionspreis wurde um über 30 Prozent gesenkt; die
Einkommensverluste sollten über eine Flächenbeihilfe
ausgeglichen werden. Sprecher aller Fraktionen haben auf
die Gefahr hingewiesen, die sie in der Möglichkeit staat-
licher Kürzungen sehen. Recht hatten sie nun wirds
wahr! Die Getreidepreise sind zumal in diesem Jahr
schlechter denn je. Und dann hat die Kommission in Brüs-
sel die Importzölle gesenkt und die Exportbeihilfen ge-
strichen. Lassen Sie sich doch einmal über die Getreide-
marktsituation berichten.
Der vorliegende Gesetzentwurf zur Einführung einer
Modulation wird von den Regierungsfraktionen als wei-
terer Meilenstein der so genannten Agrarwende gefeiert.
Vorab möchte ich dies zum Anlass nehmen, um aus-
drücklich klar zu stellen, dass die CDU/CSU-Fraktion
sei es in Zeiten, als wir die Regierung stellten, aber auch
jetzt in der Opposition eine Fortentwicklung der Agrarpo-
litik immer als notwendig angesehen hat. Wir haben stets
konstruktiv zu diesem Prozess beigetragen.
Ich möchte nur an die gerade erwähnte Mac Sherry Re-
form 92 erinnern. Wir haben mit viel Geld den Struktur-
wandel in der Landwirtschaft begleitet und dadurch er-
träglicher gemacht. Und dies besonders in sozialer
Hinsicht.
Sie, Frau Künast, propagieren eine Agrarwende das
bedeutet weg vom bisher Dagewesenen. Meine Berufs-
kollegen sagen, Nun soll alles, was wir mit viel Arbeit
geleistet haben, falsch sein ? Wir haben doch die Men-
schen bestens ernährt. Es sind gerade die jungen Bauern,
die den Mut verlieren. Ja sie empfinden sich gedemütigt.
Die in Ihrem Hause gefertigten Papiere zeigen vor allem
eins: immer weniger Hilfe! Die Agrarpolitik der Bundes-
regierung ist für die Betriebe nicht mehr kalkulierbar.
Bei der Agrardebatte 92 hat der damalige Obmann der
SPD, unser Kollege Oostergetelo, zu Recht ausgeführt,
Verlässlichkeit ist ein wesentliches Element in der Poli-
tik. Obwohl die gegenwärtige Beschlusslage der EU eine
Laufzeit bis 2006, 2008 hat, will die Bundesregierung den
deutschen Landwirten in dieser Zeit die Planungssicher-
heit streitig machen. Das können wir schon heute unein-
geschränkt festhalten: dass die Einführung der Modula-
tion in der vorliegenden Form für einen großen Teil der
deutschen Landwirte eine weitere Verschlechterung ihrer
Wirtschaftslage bedeutet.
Ich bleibe mit meiner Kritik doch sehr moderat, wenn
ich da lese, was die Mehrheit der Länder im Bundesrat als
Stellungnahme zu diesem Thema vorgetragen hat. Schon
laufende Länderprogramme wie zum Beispiel K.U.L.A.P.
in Bayern können mit diesen Mitteln nicht auch finanziert
werden. Es müssen neue sein. Ich betone noch einmal, wir
sträuben uns nicht gegen Fortentwicklung oder Moderni-
sierung im Bereich der Landwirtschaft, nur es muss dann
auch für diesen Wirtschaftsbereich sinnvoll sein.
Ihr Gesetzentwurf sieht vor, dass ein großer Teil der
den Bauern vorenthaltenen 54 Millionen Euro landwirt-
schaftsfremd investiert werden soll. Dazu werden die
31 Millionen Euro Kofinanzierung ebenfalls an den unser
Volk ernährenden Bauern vorbei fließen. Frau Künast, ich
möchte Sie wirklich dringend bitten, mit uns gemeinsam
zu prüfen, ob wir nicht wenigstens einen Teil der Mittel
für die Einführung des Vorruhestands in der Landwirt-
schaft und gleichzeitig auch einen weiteren Schritt zur
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19471
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Altersabsicherung der Frauen in der Landwirtschaft tun
können. Es ist ausdrücklich zu begrüßen, dass für den
ländlichen Raum Programme mit finanzieller Unterstüt-
zung des Bundes aufgelegt werden sollen. Aber es ist er-
wiesenermaßen ausdrücklich volkswirtschaftlich falsch,
wenn dies mit Geldern geschieht, die den praktisch täti-
gen Bauern entzogen werden.
Gestatten Sie mir abschließend, für alle wohlwollend
darauf hinzuweisen, dass wir hier und gerade in der jetzi-
gen Zeit für alle unsere Mitmenschen eine große Verant-
wortung tragen. Jeden Fehler, den wir hier machen, müs-
sen unsere Mitmenschen ausbaden. Nehmen wir doch
nicht alles für selbstverständlich! Stellen Sie sich doch
einmal vor, die gegenwärtige Resignation bei unseren jun-
gen Bauern würde dazu führen, dass Milch und Brot Man-
gelware würden. In der Landwirtschaft liegt zwischen
Saat und Ernte eine lange Zeit.
Helmut Heiderich (CDU/CSU): Die Novellierung
des Saatgutrechtes ist veranlasst durch die Aufnahme ver-
schiedener EU-Regelungen, die schon aus dem Jahr 1998
datieren, in das deutsche Recht.
Diese Gelegenheit hätte genutzt werden müssen, das
schon seit Jahren immer komplexer gewordene Rege-
lungswerk zu durchforsten und zu vereinfachen. Stattdes-
sen werden durch den Regierungsentwurf und insbeson-
dere durch den Änderungsantrag der Regierungskoalition
zusätzlich bürokratische Hürden aufgebaut. So spricht die
Bundesregierung selbst von einer Ausweitung der
behördlichen Tätigkeit bei Bund und Ländern.
Nach dem, was bisher erkennbar ist, werden dadurch
zusätzliche Kosten verursacht: Da diese als Gebühren
weitergegeben werden, ist abzusehen, dass sich das im Er-
gebnis negativ auf die Preise deutschen Z-Saatgutes aus-
wirkt. Damit wird sowohl die Wettbewerbsfähigkeit der
mittelständischen Saatgutzüchter beeinträchtigt, wie auch
die Kostenbelastung der Landwirte erhöht. Während in al-
len anderen Wirtschaftsbereichen ständig von Deregulie-
rung geredet wird, werden im Agrarbereich immer neue
Auflagen gemacht und zusätzliche Prüfungen gefordert.
Dass der Großteil der konkreten Ausgestaltung im Ge-
setzentwurf nicht enthalten ist, sondern auf noch zu erlas-
sende Verordnungen verlagert wird, macht diese Proble-
matik noch schwerwiegender. Wenn der Bundestag in
einem solchen Umfang, wie hier vorgesehen, Ermächti-
gungen an die Bundesregierung gibt, dann gibt er in ho-
hem Maße seine Einflussmöglichkeiten aus der Hand.
Nach den rechtsbeugenden bzw. rechtswidrigen Eingrif-
fen der Bundesregierung in die Zulassung gentechnisch
verbesserter Sorten im Vorjahr und in diesem Jahr muss
jedem klar sein, dass mit einem solchen offenen Gesetz-
entwurf dem willkürlichen Handeln der Bundesregierung
Tür und Tor geöffnet wird.
Im Ergebnis werden dann die Abgeordneten in der Öf-
fentlichkeit für Belastungen durch die Regierung verant-
wortlich gemacht, auf welche sie keinerlei Einfluss mehr
gehabt haben. Die aktuelle Diskussion um die Verschär-
fung der Immissionsschutzregeln gibt ein entsprechend
negatives Beispiel. So muss die Einführung des allgemei-
nen Begriffs die Umwelt als Risikogrund für die Sor-
tenzulassung als weiteres Einfallstor willkürlicher Argu-
mente befürchtet werden.
Ebenso untergräbt die Veränderung des Begriffes lan-
deskultureller Wert in seiner bewährten Form durch den
Änderungsantrag von Rot-Grün zusätzlich die Verläss-
lichkeit des bisherigen Saatgutrechts.
Hinderlich sind auch die Verschärfungen und Erweite-
rungen für gentechnisch fortentwickeltes Saatgut. Zu
recht moniert der Antrag der FDP die seit Jahren ideolo-
gische Blockade dieser Zukunftstechnologie durch grüne
Minister und deren Fraktion. Europäisches Parlament und
europäische Kommission haben gerade in den letzten Mo-
naten und Wochen starke Aktivitäten entfaltet, um den
jahrelangen Stillstand in Europa zu überwinden.
81 Studien der letzten Jahre in der EU haben deutlich
gemacht, dass diese Technologie ausgereift ist. Dass sie
kein Risiko für Umwelt oder Gesundheit mit sich bringt.
Auch der 2. Gentechnikbericht der Bundesregierung be-
stätigt, dass die häufig geäußerten Bedenken keine Be-
stätigung gefunden haben. Deswegen ist es kontrapro-
duktiv, jetzt neue zusätzliche Hürden für gentechnisch
verbessertes Saatgut im Saatgutverkehrsgesetz aufzu-
bauen. Solche Erschwernisse werden allenfalls dazu bei-
tragen, die Abwanderung dieser Technologie aus
Deutschland zu verstärken.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert deshalb im
Einklang mit der Europäischen Kommission und dem
Gentechnikbericht der Bundesregierung eine Vereinfa-
chung und Verschlankung der Zulassungsverfahren. Dazu
gehört insbesondere die Festlegung von Schwellenwerten
für alle Saatgutbereiche. Dazu gehört die Validierung von
Untersuchungsverfahren und Prüfstellen, die der Bundes-
regierung bis heute nicht gelungen sind.
So bleibt dem Zufall nach wie vor Tür und Tor geöff-
net. Wie in diesem Sommer in Brandenburg werden da-
durch Zerstörungsmaßnahmen amtlich angeordnet, die
sich bei der Nachprüfung durch Fachlabors als
Fehlalarm herausstellen. In diesem Bereich muss die
Bundesregierung ihre Entscheidung endlich auf die
wissenschaftlichen Fakten begründen, statt durch rechts-
beugende Eingriffe die Verlässlichkeit des Anerken-
nungsverfahrens zu gefährden.
Wir lehnen diese Gesetzesnovellierung, die zu einer
Kostensteigerung für die Landwirte, zu weiterer Bürokra-
tisierung, zu stärkerer Regierungsabhängigkeit der Ver-
fahren sowie zur Wettbewerbsverschlechterung für Saat-
gutunternehmen und -anwender führt, ab.
Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gegen-
stand der heutigen Debatte ist das Saatgutverkehrsgesetz:
ein Gesetz, das die Voraussetzungen regelt, unter denen
Saatgut in den Verkehr gebracht, sprich: gehandelt oder
abgegeben werden darf, ein Gesetz, das in dieser Form
seit dem Jahre 1953 besteht und seitdem zahlreichen Än-
derungen und Ergänzungen unterworfen war, ein Gesetz,
das von Normalsterblichen aufgrund seiner komplizierten
Struktur und Regelungen eigentlich nicht mehr verstan-
den werden kann.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119472
(C)
(D)
(A)
(B)
Die diesem nationalen Gesetz übergeordneten EU-
Richtlinien wurden im Februar 1999 aus zwei Gründen
geändert: Zum einen war es dringend notwendig, die be-
sonderen Anforderungen an gentechnisch verändertes
Saatgut zu regeln. Und zum Zweiten schien es wegen des
zunehmenden Rückgangs der biologischen Vielfalt auch
in der Landwirtschaft erforderlich, die Zulassung auch
von solchen Sorten zu ermöglichen, die den sehr strengen
Kriterien nicht genügen und dies eigentlich auch gar
nicht sollen, wie zum Beispiel alte Sorten oder Landsor-
ten.
Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung
setzt diese Änderungen auf EU-Ebene nunmehr in das
deutsche Recht um. Darüber hinaus wurden auf Initiative
der Koalitionsfraktionen im Laufe des Gesetzgebungs-
verfahrens einige Verbesserungen und Ergänzungen vor-
genommen, die ich nachfolgend kurz darstellen möchte.
In der nicht öffentlichen Anhörung am 10. Oktober 2001
zum vorliegenden Gesetzentwurf fand der entsprechende
Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen fast durchweg
die Zustimmung der anwesenden Sachverständigen.
Zunächst zu den Anforderungen für gentechnisch ver-
ändertes Saatgut. Die saatgutrechtliche Zulassung einer
Pflanzensorte kann zukünftig von vorneherein versagt
werden, wenn hinreichende Gründe für die Annahme
bestehen, dass die Sorte ein Risiko für die Gesundheit
von Menschen, Tieren oder Pflanzen oder die Umwelt
darstellt im Bereich gentechnisch veränderter Sorten
eine unerlässliche Handlungsoption. Wir erinnern uns
alle an den Fall der Bt-Maissorte, als das Bundessorten-
amt gar keine rechtliche Grundlage gehabt hätte, einer
solchen Sorte die Zulassung zu verweigern, obwohl es
Hinweise darauf gab, dass sie ein Risiko für die Umwelt
darstellt. Diesem Umstand haben wir durch die neue
Regelung abgeholfen und das Bundessortenamt hat
dies im Rahmen der Anhörung begrüßt. Ebenso haben
wir dafür gesorgt, dass eine Gefährdung der Umwelt
durch eine Sorte bzw. deren Anbau zu einer Rücknahme
einer bestehenden Zulassung führen kann. Auch das war
bislang nicht möglich. Wir haben durch weitere Ergän-
zungen die lückenlose Kennzeichnung von gentechnisch
verändertem Saatgut in allen Phasen des Inverkehrbrin-
gens sichergestellt.
Kommen wir zum zweiten Bereich, der durch die geän-
derte EU-Richtlinie verbessert werden sollte, nämlich zur
Erhaltung der biologischen Vielfalt in der Landwirtschaft
durch die Saatgutgesetzgebung beizutragen.
Erst kürzlich hat der Wissenschaftliche Beirat der Bun-
desregierung den gegenwärtigen und unwiederbringli-
chen Verlust der Gen- und Artenvielfalt als dramatische
Krise der Biosphäre bezeichnet. Auch die genetischen
Ressourcen landwirtschaftlicher Nutzpflanzen aus jahr-
hundertealter traditioneller Zucht und Bewirtschaftung
stünden auf dem Spiel. Pflanzenzüchtung, die den jetzt
noch gar nicht absehbaren Erfordernissen der Zukunft ge-
wachsen sein will, braucht biologische Vielfalt. Und wir
müssen erhebliche Anstrengungen unternehmen, um wei-
tere irreversible Verluste an lebensnotwendiger Vielfalt zu
verhindern.
Konkret haben wir deshalb im Saatgutverkehrsgesetz
folgende Änderungen vorgesehen: Der Spielraum bei
der Sortenzulassung wurde dahingehend erweitert, dass
ungünstige Eigenschaften einer Sorte durch andere
günstige Eigenschaften ausgeglichen werden können.
Dies ist unter anderem auch für ökologisch gezüchtete
Sorten von Vorteil. Die neue Formulierung des so ge-
nannten landeskulturellen Wertes orientiert sich damit
am Wortlaut der EU-Richtlinie. Darüber hinaus bleibt
die Abgabe von Saatgut zu Ausstellungszwecken zum
Beispiel für Freilichtmuseen und Schaugärten weiterhin
erlaubt. In der EU-Richtlinie war das ursprünglich nicht
vorgesehen. Dies ist aber für die zahlreichen Initiativen,
die sich um den Erhalt der biologischen Vielfalt
bemühen, eine wesentliche Voraussetzung für ihre wert-
volle Arbeit.
Ein weiteres Stichwort in diesem Zusammenhang: Er-
haltungssorten. Leider bedarf es zunächst einer konkreten
Durchführungsverordnung von EU-Seite, bevor auch in
Deutschland solche Sorten tatsächlich zugelassen werden
können. Wir halten es für dringend erforderlich, und ha-
ben dies auch in einer entsprechenden Entschließung zum
Ausdruck gebracht, dass sich die Bundesregierung ein-
setzt, damit diese konkreten Regelungen so rasch wie ir-
gend möglich erlassen werden. Die Zulassungskriterien
für diese Erhaltungssorten müssen dabei so gestaltet wer-
den, dass keine unüberwindbaren Hürden für die Initiati-
ven und Züchter geschaffen werden, sei es in finanzieller
oder bürokratischer Hinsicht oder durch zu strenge An-
forderungen an die Sorten. Viele Erhaltungsinitiativen
oder ökologische Züchter stehen seit Jahren schon in den
Startlöchern und warten darauf, dass sie ihre Sorten
schlicht und ergreifend an andere abgeben dürfen. Da dies
bislang verboten ist, entgehen der Landwirtschaft aber
auch den Verbrauchern die enormen Potenziale, die in ei-
ner größeren biologischen Vielfalt im verfügbaren Sor-
tenspektrum liegen.
Lassen Sie mich nun noch ein paar grundsätzliche An-
merkungen zur Saatgutgesetzgebung machen: Seinen Ur-
sprung hat das heutige Saatgutverkehrsgesetz in der im
Jahre 1934 erlassenen Verordnung über Saatgut. Mit
dieser Verordnung griff zum ersten Mal der Staat in die bis
dahin privatwirtschaftlich organisierte Saatgutprüfung
ein. Das war damals angesichts der Ernährungslage der
Bevölkerung im letzten Jahrhundert und nach den beiden
Weltkriegen auch durchaus sinnvoll und notwendig: Der
Staat sorgte mit der Prüfung der Saatgutqualität vor der ei-
gentlichen Aussaat dafür, dass Missernten so weit wie
möglich vermieden und durch die im Laufe der Jahre ent-
standenen hohen Auflagen ein gewaltiger Zuchtfortschritt
gerade im Bereich der Erträge erreicht wurde.
Doch man kann durchaus mal die Frage stellen: Ist ein
derart kompliziertes und überregeltes Gesetzeswerk noch
zeitgemäß? Ist angesichts der heutigen Höchsterträge un-
serer landwirtschaftlichen Kulturarten und der Überpro-
duktion ein solches System noch sinnvoll? Oder gibt es
Möglichkeiten, andere transparentere und auch kosten-
günstigere Systeme, die eine vernünftige Saatgutversor-
gung sicherstellen können, ohne die Beteiligten in ein
allzu enges Paragraphenkorsett zu zwängen?
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19473
(C)
(D)
(A)
(B)
Durch die strikten Auflagen des heutigen Saatgutver-
kehrsgesetzes wird es tatsächlich vielen züchterisch täti-
gen Landwirten, Erhaltungsinitiativen, die sich um die
Bewahrung der biologischen Vielfalt bemühen, oder
Züchtern insbesondere im Bereich der ökologischen
Züchtung unverhältnismäßig erschwert, für ihre Anbau-
verfahren geeignetes Saatgut oder Saatgut, das eine pflan-
zengenetische Ressource darstellt, in den Verkehr zu brin-
gen oder auszutauschen. Dies ist eine kontraproduktive
Einschränkung sowohl des wirtschaftlichen Handelns der
züchterisch Tätigen als auch des Rechts der Landwirte
und sonstigen Saatgutanwender auf eine eigenverant-
wortliche Auswahl aus einem angemessenen Sortenspek-
trum. Die Entscheidung darüber, welche Sorte überhaupt
anbauwürdig ist, wurde bislang ausschließlich von den
staatlichen Stellen getroffen. Eine stärkere Rückführung
dieser Verantwortung in die Praxis liegt jedoch im öffent-
lichen Interesse.
Ein ausreichendes Qualitätsniveau des Saatgutes
könnte meines Erachtens weitgehend auch über die
Marktmechanismen erreicht werden. Für die Sicherung
von rechtlichen Ansprüchen an eine bestimmte Saatgut-
qualität würden Gewährleistungsansprüche, wie sie in an-
deren Wirtschaftsbereichen üblich sind, genügen. Denk-
bar wäre zum Beispiel, dass Saatgut, das einige wichtige
Kriterien der Saatgutanerkennung, insbesondere Keim-
fähigkeit, Gesundheit und Reinheit als Mindestanforde-
rung an die Saatgutqualität erfüllt, ohne weitere Ein-
schränkungen, jedoch mit einer ausführlichen und
eindeutigen Kennzeichnung, in den Verkehr gebracht
werden darf.
Darüber hinaus könnte Saatgut neben der Saatgutaner-
kennung zusätzlich das Verfahren der heutigen Sortenzu-
lassung durchlaufen. Dies entspricht dem derzeit für das
Inverkehrbringen von Saatgut vorgeschriebenen Verfah-
ren, um wie bisher als zertifiziertes Saatgut in den Verkehr
gebracht werden. Saatgut dieser Sorten genügt über die
Mindestanforderungen hinaus weitergehenden bzw. ande-
ren Ansprüchen. Ich halte es für ziemlich unwahrschein-
lich, dass es solches System dazu führen würde, dass
sämtlicher Zuchtfortschritt infrage gestellt wäre, oder die
Landwirte einer unabsehbaren Gefahr ausgesetzt sein
würden, durch Saatgut minderer Qualität Missernten zu
erleiden.
Vor diesem Hintergrund haben die Koalitionsfraktio-
nen die Bundesregierung in einer Entschließung aufge-
fordert, innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren die
Saatgutgesetzgebung auf den Prüfstand zu stellen und
Vorschläge für ihre Vereinfachung und Liberalisierung zu
unterbreiten. Diese Forderung wurde in der Anhörung
zum Saatgutverkehrsgesetz am 10. Oktober 2001 von al-
len Experten einhellig unterstützt und ist ein weiterer
Schritt in Richtung eines modernen Saatgutrechts.
Eine Anmerkung zum Schluss: Den Antrag der FDP,
der hier in Form der Beschlussempfehlung ebenfalls noch
mal zur Debatte steht, habe ich bereits im Februar dieses
Jahres in meiner Rede hier im Hause ausreichend kriti-
siert. Und mehr Aufmerksamkeit hat er aus meiner Sicht
nun wirklich nicht verdient.
Ulrich Heinrich (FDP): Auch das Saatgutverkehrsge-
setz reiht sich nahtlos in die für die rot-grüne Bundesre-
gierung so typischen Gesetze ein, die der deutschen Land-
wirtschaft das Leben und die Zukunft zunehmend
schwerer machen. Nicht nur aus diesem Grund wird die
FDP der Änderung des Saatgutverkehrsgesetzes nicht zu-
stimmen.
Entscheidend für die Ablehnung meiner Fraktion sind
insbesondere zwei zentrale Schwachpunkte in diesem Ge-
setzentwurf.
Erstens: Wieder einmal enthält ein Gesetz der Bundes-
regierung eine Fülle von Persilscheinen in Form von
Ermächtigungen. Diese Ermächtigungen ermöglichen es
der Bundesregierung, weitreichende Entscheidungen am
Parlament vorbei zu treffen. Das ist schon aus grundsätz-
lichen Erwägungen abzulehnen. Für die FDP gilt weiter-
hin der Grundsatz, dass wichtige politische Entscheidun-
gen im Parlament zu diskutieren und zu treffen sind. Mit
diesem Gesetz wird dieser Grundsatz meiner Fraktion
zum wiederholten Mal unterlaufen.
Zweitens. Das gilt umso mehr, wenn wie im vorliegen-
den Fall des Saatgutverkehrsgesetzes ein so sensibler Be-
reich wie die grüne Gentechnik berührt wird. Gerade hier
wird von der Bundesregierung ein ideologischer Kon-
frontationskurs gegen die Wirtschaft und Pflanzenzüchter
gefahren. Insbesondere die Tatsache, dass SPD und Grüne
nicht bereit sind, verlässliche Rahmenbedingungen für
die Zukunft der Grünen Gentechnik zu schaffen; muss uns
zu äußerster Vorsicht mahnen.
Nur ein Beispiel: Anstatt die Vorschläge der EU-Kom-
mission zur Beendigung des De-facto-Moratoriums zu un-
terstützen, setzt sich die zuständige grüne Bundesminis-
terin Künast weiterhin für eine Nullwert-Regelung bei
Saatgut mit GVO-Anteilen ein. Eine Kennzeichnungs-
vorschrift für GVO macht aber erst ab einer Grenze von
1 Prozent Sinn. Das hat sich in der Vergangenheit schon
bei der Kennzeichnung von Nahrungsmitteln bewährt.
Außerdem ist ein Nullwert unrealistisch und lässt natürli-
che Phänomene unberücksichtigt. Hier müssen endlich
verlässliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, da-
mit die Wirtschaft auch weiterhin am Standort Deutsch-
land in moderne Technologien investiert.
Für die FDP-Bundestagsfraktion fordere ich Bundes-
kanzler Schröder nochmals nachdrücklich auf, auch bei
der Grünen Gentechnik endlich eine Politik ohne Scheu-
klappen umzusetzen. Weiteres Zögern und Zaudern kön-
nen wir uns nicht mehr erlauben.
Kersten Naumann (PDS): Die Bundesregierung hat
sich mit der Umsetzung der EG-Rechtsvorschriften zum
Saatgutverkehr viel Zeit gelassen. Nun wird wieder halb-
herzig und im Nachhinein mit zu lösenden Problemen
gekämpft, für deren Vollzug erst ein Änderungsantrag ein-
gebracht werden musste. Verabschiedet wird ein Gesetz,
bei dem schon jetzt klar ist, dass weitere Änderungen im
Nachgang zu erwarten sind.
Das komplexe Saatgutrecht hätte längst auf seine
ökonomische Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit unter
nationalen Bedingungen geprüft werden können. Über
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119474
(C)
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60 Paragraphen und allein 30 Verordnungsermächtigun-
gen zeugen nicht gerade von Transparenz und Einfach-
heit in der Anwendung des Gesetzes. Der tatsächliche
Bedarf eines derart ausgestalteten Rechtssystems hätte
längst einer generellen Überprüfung unterzogen werden
können.
Was wir brauchen, ist eine gläserne Produktion auch
bei der Saatgutproduktion, bei der Verwendung und dem
Inverkehrbringen von Saatgut, insbesondere deshalb, weil
mit dem Gesetz zwei Schwerpunkte neu behandelt wer-
den: die Nutzung, der Umgang und der Handel mit gen-
technisch verändertem Saatgut und der Erhalt genetischer
Ressourcen insbesondere alter Landsorten für den ökolo-
gischen Landbau.
Wir begrüßen, dass für Saatgut gentechnisch veränder-
ter Sorten Kennzeichnungsvorschriften aufgenommen
werden und gesetzliche Ermächtigungen geschaffen wer-
den, um künftig in Verordnungen insbesondere das In-
verkehrbringen von Saatgut aus pflanzengenetischen
Ressourcen sowie von Saatgut für den ökologischen
Landbau regeln zu können.
Die Frage der rechtlichen Grundlagen für das Inver-
kehrbringen von GVO durch Saatgut ist diffizil: Einer-
seits wird das Tor für weitreichende Anwendungen im
Saatgutbereich geöffnet, andererseits will sich die Bun-
desregierung rechtlich absichern, eingreifen zu können.
Letzteres ist, wie die belegten Beispiele der Handhabung
des Bt-Maises im Jahr 2000 und T-25-Maises Artuis bei
der Aussetzung der Sortenzulassung zeigen, bereits fak-
tisch angewendet worden.
Hier ist das Widerrufsrecht gesetzlich zu verankern,
und zwar nicht nur, wenn es ausschließlich und den
Schutz der Umwelt geht. Bereits bestehende und nachge-
wiesene negative Auswirkungen einer GVO-Sorte auf an-
dere Sorten, zum Beispiel durch Pollenflug einer transge-
nen Pflanze auf andere Feldbestände, werden nicht bzw.
nicht ausreichend berücksichtigt. Da wissenschaftlich im-
mer noch nicht nachgewiesen ist, was GVO in der Um-
welt anrichten kann, zum Beispiel erste Auswirkungen
wie resistente Superunkräuter in Kanada, die ursprünglich
von ehemaligen Kulturpflanzen stammen und nicht ernst
genommen werden, ist es keinesfalls vertretbar, dass
GVO-Saatgut einem konventionellen Saatgut gleichge-
stellt wird.
Dem Gesetzentwurf kann aus diesen Gründen nicht
zugestimmt werden.
Noch ein Wort zum Antrag der FDP. Ihr Versuch, der
Gentechnik über die Saatgutzüchtung aufs Trapez zu ver-
helfen, ist ein weiteres Belegexemplar für die ausgespro-
chene Risiko- und Wirtschaftsfreundlichkeit ohne Rück-
sicht auf Verluste. Verbraucherinteressen, nachhaltige
Produktion auch im Interesse zukünftiger Generationen
und Schutz der ohnehin in Mitleidenschaft gezogenen
natürlichen Ressourcen sind wohl Fremdwörter für die
FDP. Angesichts der dramatischen Veränderungen in der
Landwirtschaft durch BSE, mehrere Seuchen MKS,
Schweinepest und den Tierarzneiskandal ist dieser An-
trag hinsichtlich der Förderungsablehnung ökologischer
Produktionsweisen und der Kritik an Naturschutzflächen
schlichtweg überholt und abzulehnen.
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten:
Der vorliegende Gesetzentwurf geht im Wesentlichen auf
umfassende Änderungen der Saatgutrichtlinien der EG
zurück. Die Änderungen im Gemeinschaftsrecht wurden
vorgenommen, um diesen Rechtsbereich weitergehend zu
harmonisieren und den Gegebenheiten des Binnenmark-
tes anzupassen. Zudem galt es, neueren Entwicklungen
im Bereich der Pflanzenzüchtung und des Saatgutwesens
Rechnung zu tragen.
Die Änderungen der Saatgutrichtlinien betreffen fol-
gende Regelungen: Die Begriffsbestimmung des Inver-
kehrbringens von Saatgut wurde neu gefasst. Danach soll
das Abgeben von Saatgut an amtliche Prüf- und Kontroll-
stellen und an Erbringer von Dienstleistungen zur Saat-
gutaufbereitung oder zu Erzeugung landwirtschaftlicher
Rohstoffe, zum Beispiel Biodiesel, künftig nicht mehr den
saatgutrechtlichen Inverkehrbringensregelungen unterlie-
gen.
Des Weiteren soll es möglich sein, zusätzliche Qua-
litätsanforderungen an chemisch behandeltes Saatgut so-
wie weniger restriktive Anforderungen an Saatgut zur Er-
haltung genetischer Ressourcen und an Saatgut zur
Nutzung im ökologischen Landbau zu stellen.
Für so genannte Erhaltungssorten sollen vereinfachte
Voraussetzungen für die Sortenzulassung festgelegt wer-
den können. Dies ist wichtig, um auch für diese erhal-
tenswerten, überwiegend regionalspezifischen Sorten die
Saatgutvermarktung zu eröffnen.
Entsprechend dem Stand der modernen Pflanzenzüch-
tung sollen in das Saatgutrecht Zulassungsvoraussetzun-
gen für gentechnisch veränderte Pflanzensorten aufge-
nommen werden. Dabei muss insbesondere sichergestellt
werden, dass die Anforderungen der gentechnikrechtli-
chen Freisetzungsrichtlinie bezüglich der vorzunehmen-
den Umweltverträglichkeitsprüfung in vollem Umfang
Anwendung finden. Zudem sollen spezifische Kenn-
zeichnungsvorschriften für gentechnisch verändertes
Saatgut festgelegt werden.
Weitere gemeinschaftsrechtliche Änderungen betref-
fen die Novellierung der speziellen Anforderungen an die
Erzeugung von Saatgutmischungen, die Festlegung von
Vorschriften für die Eignung von Sortenbezeichnungen
und die Anforderungen an Vermehrungsmaterial von
Zierpflanzen. Diese komplexen Novellierungen des Ge-
meinschaftsrechts werden durch den Entwurf eines Zwei-
ten Gesetzes zur Änderung des Saatgutverkehrsgesetzes
in das nationale Recht umgesetzt.
Da die beschriebenen Änderungen der Saatgutrichtli-
nien den bislang noch ausstehenden Erlass umfassender
gemeinschaftsrechtlicher Durchführungsvorschriften er-
fordern, ist es bei der obligatorischen Umsetzung unum-
gänglich, im Saatgutverkehrsgesetz mittels einer Vielzahl
von Verordnungsermächtigungen die spätere Umsetzung
gemeinschaftsrechtlicher Durchführungsvorschriften in
den saatgutrechtlichen Verordnungen zu eröffnen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19475
(C)
(D)
(A)
(B)
Anlage 12
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Entwürfe eines ... Gesetzes zur
Änderung des Einkommensteuergesetzes (Tages-
ordnungspunkt 19 a und b)
Horst Schild (SPD): Die zwei vorliegenden Gesetz-
entwürfe der PDS-Fraktion betreffen einkommensteuerli-
che Regelungen: Zum einen die Anhebung der Freibe-
träge für Arbeitnehmerabfindungen, zum anderen die
unbegrenzte Absetzbarkeit der Kosten im Rahmen der
doppelten Haushaltsführung. Als Begründung führt die
PDS unter anderem an, die Besteuerung von Arbeitneh-
mern sei in den letzten Jahren verschärft worden.
Wie beurteilt denn die Fraktion der PDS unsere im letz-
ten Jahr verabschiedete Steuerreform, die allein in der ers-
ten Stufe im Jahr 2001 eine Entlastung für Arbeitnehmer,
Unternehmen und Familien von 45 Milliarden DM
bringt? Alle Steuersenkungsstufen bis 2005 zusammen
bedeuten eine Steuerentlastung von 95 Milliarden DM.
Davon entfällt der Großteil, nämlich 67 Milliarden DM,
auf private Haushalte. Das ist eine beispiellose Steuerent-
lastung in der Geschichte der Bundesrepublik. Und die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer spüren das ganz
konkret an ihrer Lohn- und Steuerabrechnung.
Die von der PDS nun eingebrachten Vorschläge führen
zu zusätzlichen Steuerausfällen von rund 1,5 Milliarden
DM.
Wenn Sie sich die aktuellen Haushaltsdaten von Bund,
Ländern sowie den Kommunen anschauen und die mor-
gige Steuereinschätzung wird diesen Befund bestätigen ,
so müssen Sie zur Kenntnis nehmen, dass die Grenze der
fiskalischen Belastbarkeit für alle Gebietskörperschaften
erreicht ist.
Die Steuereinnahmen sinken stark, was vor allem auf
die derzeitige schwache konjunkturelle Lage zurückzu-
führen ist. Deutschland kann sich nicht von der weltwirt-
schaftlichen konjunkturellen Entwicklung abkoppeln.
Sinkende Steuereinnahmen, die nun alle Gebietskörper-
schaften zu verkraften haben, sind die unmittelbare Folge.
Und die Fraktion der PDS will ja sicher nicht die Haus-
halte noch zusätzlich unter Druck setzen, sodass Bund,
Länder und Kommunen Kürzungen im investiven oder
sozialen Bereich vornehmen müssten.
Vor diesem Hintergrund müssen wir die Anträge zum
jetzigen Zeitpunkt ablehnen.
Sie würden auch schon aus dem schlichten und abseh-
baren Grund scheitern, dass im Bundesrat keine Mehrheit
für die Vorstellungen besteht.
Was die steuerliche Behandlung von Arbeitnehmerab-
findungen angeht, so stehen wir derzeit im fachlichen Dis-
kussionsprozess.
Was die Regelungen zur doppelten Haushaltsführung
angeht, so plädiere ich dafür, diese und zahlreiche andere
Normen im Rahmen einer umfassenden Reform des Ein-
kommensteuerrechts auf den Prüfstand zu stellen. Das
wird unsere große Aufgabe in der nächsten Legislaturpe-
riode sein. Der Bürger hat ein Recht auf ein verständli-
ches, einfaches, transparentes und gerechtes Steuersys-
tem.
Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Soweit mit
dem Antrag 14/4437 beantragt wird, Aufwendungen für
die doppelte Haushaltsführung länger als zwei Jahre als
Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben zuzulassen, hat
dies zunächst einen steuertechnischen Aspekt. In unserem
Steuerrecht gilt das Nettoprinzip. Das heißt, alle Aufwen-
dungen, die zur Erzielung von Einnahmen gemacht wer-
den, sind von den Erlösen abzuziehen. Nur was dann als
Differenz übrig bleibt, ist zu versteuern. Aufwendungen,
die der privaten Lebensführung dienen, können nicht
steuerlich geltend gemacht werden. Theoretisch ist die
Abgrenzung von Aufwendungen der privaten Lebens-
führung und der Aufwendung zur Erzielung von Einnah-
men ganz einfach. In der Praxis gibt es jedoch Grenzbe-
reiche und auch Aufwendungen, die beiden Bereichen
dienen. Bei den Kosten für eine Zweitwohnung handelt es
sich um einen solchen Grenzbereich. Zweifelsohne ist der
mit der Arbeitsaufnahme an einem anderen Ort verbun-
dene Aufwand zunächst einmal Aufwand zur Erzielung
von Einkünften. Allerdings ist dies nicht von Dauer. Der
natürliche Verlauf ist, dass man sich in die Nähe seiner Ar-
beit mit seinem Lebensmittelpunkt begibt. Wer dies nicht
tut, betreibt privaten Aufwand. Der Zeitpunkt, zu dem die
Betriebskosten in Kosten der privaten Lebensführung
umschlagen, kann objektiv nur schwer bestimmt werden,
und es ist von Fall zu Fall sicherlich anders. Deshalb war
es dem Gesetzgeber erlaubt, eine allgemeine Frist von
zwei Jahren durch das Jahressteuergesetz 1996 einzu-
führen.
Sofern Sie eine Ungleichbehandlung zwischen Arbeit-
nehmern und Abgeordneten als Begründung für Ihr Än-
derungsbegehren anführen, verkennen Sie die Tatsachen.
Ein Abgeordneter hat im Prinzip zwei Arbeitsplätze
gleichzeitig. Er ist zum einen am Parlamentssitz tätig und
zum anderen im Wahlkreis. Diese zwei Arbeitsorte hat er
für die Dauer seiner Wahl. Deshalb können die Lebens-
sachverhalte überhaupt nicht miteinander verglichen wer-
den. Dem Antrag fehlt insoweit die sachliche Grundlage,
deshalb kann ihm nicht zugestimmt werden.
Soweit mit der Drucksache 14/4438 die Verbesserung
bei der Besteuerung von Abfindungen bei Arbeitnehmern
bei Kündigung oder Gerichtsurteil angestrebt wird, ist das
berechtigt. Wir hatten hierzu bereits mit unserem Entsch-
ließungsantrag vom 11. Oktober 2000, 14/4285, entspre-
chende Forderungen gestellt.
Es gibt zwei Wege, um an dieser Stelle Gerechtigkeit
herzustellen: erstens Anhebung der Freibeträge nach § 3
Nr. 9 EkStG und/oder zweitens Einbeziehung in das Ver-
fahren zur Besteuerung von außerordentlichen Einkünf-
ten mit dem halben Steuersatz nach 34 Abs. 3 EkStG.
Diesen Weg wollten wir mit unserem Antrag zur Wie-
dereinführung des halben Steuersatzes für Gewinne aus
der Betriebsveräußerung und auch der selbstständigen
Handelsvertreter auch bei den Arbeitnehmerabfindungen
zum Steuersenkungsergänzungsgesetz Umdruck Nr. 6
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119476
(C)
(D)
(A)
(B)
gehen. Dies sollte nicht nur für die Zukunft gelten, son-
dern rückwirkend ab 1. Januar, weil es häufig nicht in der
freien Bestimmung, der Betroffenen lag und liegt, wann
sie ausscheiden oder einen Betrieb aufgeben. Niemand
sollte in das durch den Pannenbetrieb der Koalition ent-
standene Loch fallen. Wir stützten uns bei unserem Vor-
schlag auf die eindeutigen Ergebnisse der Anhörung vom
25. Oktober 2000. Dies wurde leider abgelehnt und die
Umsetzung bei den Handelsvertretern und Arbeitnehmer-
abfindungen für später versprochen. Bis heute ist nichts
erfolgt. Auch die Regelungen für die Betriebsaufgabe sind
trotz ihrer Nachbesserungsversuche völlig unbefriedi-
gend, sodass wir zum Unternehmensteuerfortentwick-
lungsgesetz wieder Anträge gestellt haben. Auch diese
haben Sie am Mittwoch im Finanzausschuss abgelehnt.
Da der Inhalt der Anträge nicht besonders schwer zu
bewältigen ist, bleibt die Gelegenheit, einen Blick auf die
Steuerpolitik zu werfen.
Die Kürzungen durch das Steuerentlastungsgesetz ge-
rade bei den Arbeitnehmern machen die soziale Schief-
lage der Steuerpolitik von Rot-Grün deutlich. Während
Konzerne künftig Veräußerungsgewinne steuerfrei kas-
sieren dürfen, werden Arbeitnehmer nur in geringfügigem
Umfang entlastet. Dieser Tage war in der Presse zu lesen,
dass allein durch die Erleichterung bei den Kapitalgesell-
schaften beim Verkauf von Aventis 1 Milliarde Euro Steu-
ern gespart wird. Ich empfinde es als einen Skandal, dass
ausgerechnet Sozialdemokraten eine solche Schieflage
produzieren. Eine solch unsoziale Regelung hätten wir
einst als Union einmal leisten sollen! Welchen verbalen
Krieg hätten Sie hier im Hause mit Unterstützung der Ge-
werkschaften angezettelt? Aber Sozialdemokraten mei-
nen, alles zu dürfen. Wenn zwei das Gleiche tun, dann ist
das eben noch nicht das Gleiche. Aber: Murks bleibt
Murks. Das gilt für große Teile Ihrer Reformen. Ich
wundere mich über das Stillhalten der Gewerkschaften
und der sie hier vertretenden Kolleginnen und Kollegen.
Wie ungerecht Ihre Reform ist und wie unsozial sie
sind, macht auch die Stellungnahme der Kirchen zur An-
passung der Besteuerungsgrundlagen deutlich: Die
Kirchen weisen darauf hin, dass durch das Halbeinkünf-
teverfahren Personen nicht mehr nach ihrer Leistungsfä-
higkeit zur Steuer herangezogen werden. Durch die 1975
unter Ihrem Kanzler Helmut Schmidt eingeführte Vollan-
rechnung der Körperschaftsteuer auf die Einkommen-
steuer und die damit erfolgte endgültige Versteuerung auf
der personalen Ebene wurde dem Sozialstaatsprinzip
vollends Rechung getragen. Nur in diesem System gibt es
tatsächlich die Versteuerung nach Leistungsfähigkeit.
Beim Halbanrechungsverfahren wird dieses verwischt,
weil die Einkünfte aus Körperschaften nur noch zur
Hälfte in den sozialen Ausgleich einbezogen werden. Die
übrige Hälfte wird bei der Leistungsfähigkeit nicht
berücksichtigt. Ausgerechnet Sozialdemokraten konzi-
pieren ein solch kapitalfreundliches Recht.
Die von der Regierung bisher durchgeführte Steuerre-
form ist für den größten Teil der arbeitenden Menschen
keine Steuerentlastung, sondern eine Belastung. Die Bei-
spiele zeigen, dass mit dem Tarif 2005 noch nicht einmal
die heimlichen Steuererhöhungen kompensiert werden.
Der Kollege Rauen hat das hier mehrfach vorgerechnet.
Dabei muss man berücksichtigen, dass es bei der augen-
blicklichen Inflationsrate sicherlich nicht bei den im Bei-
spiel unterstellten Lohnerhöhungen von 2,5 Prozent blei-
ben wird. Der moderne Brotpreis, nämlich die Preise
für Benzin und Energie, treibt die Inflationsrate nach
oben. Wir liegen gegenwärtig bei 2,5 Prozent. Da wären
Lohnerhöhungen von 2,5 Prozent gerade der Inflations-
ausgleich. Ich kann mir kaum vorstellen, dass sich die Ge-
werkschaften damit begnügen werden. Ankündigungen in
dieser Richtung gibt es ja schon reichlich. Dementspre-
chend wird die Lohn- und Preisentwicklung noch stärker
angeheizt und es bleibt nach der kalten Progression für
den Arbeitnehmer nichts mehr übrig.
Ich will in diesem Zusammenhang noch einmal ver-
deutlichen, dass die von der Koalition vorgelegten Vor-
stellungen im Wesentlichen Menschen mit höherem Ein-
kommen und die großen Kapitalgesellschaften entlasten.
Handwerkern, Facharbeitern und insbesondere dem Mit-
telstand haben Ihre Vorstellungen wenig Entlastung ge-
bracht. Der Mittelstand wurde zunächst einmal belastet
und seine Entlastung tritt dann am Sankt-Nimmerleins-
Tag oder im Jahre 2005 ein. Die wenigen Verbesserungen,
die noch lange keine gute Reform ausmachen, sind aus-
schließlich unserem harten Widerstand im Bundestag zu
verdanken. Wir haben uns bei Gegenfinanzierungsmaß-
nahmen immer um einen Gleichschritt mit den Entlas-
tungsmaßnahmen bemüht. Davon kann hier keine Rede
sein: Belastungen ab 1. Januar 2000 und Entlastungen ab
2005. Das ist der Unterschied zwischen der Koalitionspo-
litik und einer Telefonzelle: Bei der Telekom müssen Sie
erst bezahlen und können dann wählen. Bei Schröder
wählen Sie erst und bezahlen dann.
Auch das Märchen von der Mittelstandsentlastung
erweist sich als solches. Im Rahmen der verschie-
denen Steuergesetze wird die Mittelstandsentlastung mit
29,8 Milliarden DM bezeichnet. Allerdings kommen erst
die Belastungen und dann 2005 die Entlastungen. In der
Großen Anfrage, Drucksache 14/4603, bestätigen sie,
dass bis jetzt allenfalls eine Entlastung von 4,5 Milliarden
DM erfolgte.
Dies wird auch bei den Abschreibungen deutlich. Der
Mittelstand schreibt überwiegend nach den Allgemeinen
Tabellen ab, diese wurden zum 1. Januar 2001 verändert
verschlechtert. Als nun die Branchentabellen, nach denen
überwiegend die großen Gesellschaften abschreiben,
geändert werden sollten, wird das Verfahren ausgesetzt.
Eine erhebliche Benachteiligung des Mittelstandes durch
eine massive Wettbewerbsverzerrung.
Sie sind und bleiben die Koalition der Steuererhöhun-
gen. Ein Blick auf die Steuerquote macht dies deutlich.
Sie betrug 1982 24,9 Prozent, 1993 24,4 Prozent, 1998
22,0 Prozent und wird voraussichtlich 1999 22,85 Pro-
zent, 2000 22,98 Prozent und 2001 23 Prozent betragen.
Also ein Anstieg. Dies wird auch nicht durch die infolge
der Ökosteuer gesunkenen Rentenbeiträge wettgemacht.
Auch wenn Sie mit Ihrer ständig wiederholten Floskel,
es handle sich um die größte Steuerreform in der Ge-
schichte Deutschlands, den Menschen etwas anderes
weismachen wollen: Die Fakten sind andere.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19477
(C)
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Ihre Politik senkt die Binnenkaufkraft. Die Ökosteuer
brachte im Jahr 2000 zusätzlich 7,8 Milliarden DM mehr
in die Steuerkassen. In dieser Höhe haben sie die Mehr-
leistungen an die Rentenversicherung in der Antwort auf
die Kleine Anfrage, Drucksache 14/4410, bezeichnet. Das
hätte rechnerisch zu einer Absenkung der Rentenversi-
cherungsbeiträge um 0,5 Beitragspunkte reichen müssen.
Gesenkt haben sie aber nur 0,2, das heißt, Sie haben
3,32 Milliarden DM zurückgegeben und 7,8 Mil-
liarden DM eingenommen. Also unter dem Strich 4,4 Mil-
liarden DM abkassiert. Alles andere ist Augenwischerei.
Sie haben den Eindruck erzeugt, dass durch Rasen für die
Rente etwas Gutes für die Rentenversicherung getan wird.
Sie haben den Eindruck erzeugt, die Ökosteuer würde 1 : 1
zur Beitragssenkung eingesetzt, deshalb belaste sie die
Menschen nicht. Im Gegenteil, Sie haben sogar von einer
doppelten Dividende gesprochen. Das ist angesichts der
Fakten ein Betrug der Menschen. Sie setzen weniger als
die Hälfte zur Beitragssenkung ein. Ich nenne das mo-
derne Wegelagerei an der Tankstelle, beim Heizöl und
beim Strom.
Dies hat Finanzminister Eichel auch in der Regie-
rungsbefragung vom 20. Juni 2001 bestätigt, indem er
einräumte, dass eigentlich eine Erhöhung des Rentenbei-
trages um 0,2 oder 0,3 Punkte notwendig gewesen wäre,
und dass deshalb die Ökosteuer nur ausgereicht habe, um
eine geringere Erhöhung zu machen. Damit ist klar, dass
eben das gerade nicht 1 : 1 wieder zurückgegeben worden
ist. Dies ist der falsche Weg. Diesen Kurs wollen Sie mit
der Erhöhung der Tabak- und Versicherungsteuer weiter
vorantreiben. Nachdem Sie die Richtung endgültig ver-
loren hatten, verdoppelten sie ihre Anstrengungen fällt
mir dazu nur ein. Es ist überhaupt nicht einzusehen, dass
einzelne Gruppen zur Finanzierung dieses gesellschafts-
politischen Problems herangezogen werden. Richtiger
wäre es, durch Umschichtungen im Haushalt die erfor-
derlichen Mittel freizumachen. Man darf das Ziel der
langfristigen Senkung der Staatsquote nicht aus dem Auge
verlieren. Dies ist wieder einmal ein Schritt in die falsche
Richtung.
Ebenso wenig wie man dem Energieverbrauch faktisch
ausweichen kann, gibt es praktisch keine Möglichkeit, der
Tabak- und Versicherungsteuer auszuweichen. Verträge
sind geschlossen und in der Regel nur langfristig änder-
bar. Auch können Raucher ihr Verhalten ohne psychische
Folgen kaum kurzfristig abändern. Deshalb wird die für
die Terrorismusbekämpfung geplante Steuererhöhung di-
rekt die Konsumkraft beeinträchtigen. Wie bei der Öko-
steuer muss für dieselbe Leistung mehr Geld aufgewandt
werden. Da die Verbraucher nicht über zusätzliche
Einanhmen verfügen, wird dieses zulasten anderer Aus-
gaben gehen. Dies wiederum wird direkte Folgen für die
Konjunktur haben. Im Verbund mit der gegenwärtig lau-
fenden Benzinpreiserhöhung wird sich diese Entwicklung
noch verstärken. Der private Verbrauch als wichtiger Fak-
tor für die Konjunktur wird durch den Staat erneut belas-
tet und damit wird ein negatives Konjunktursignal ge-
setzt.
Bei dieser Gelegenheit wollen Sie sich auch noch eine
Sparkasse schaffen. Der Eichel will sich wie ein Eich-
hörnchen einen Wahlvorrat anlegen, aus dem dann
Wahlgeschenke oder Maßnahmen zur Ankurbelung der
Konjunktur wahlwerbewirksam finanziert werden sol-
len. Sie weisen wegen angeblicher Verhaltensänderungen
die durch die Erhöhung der Tabaksteuer zu erwartenden
Einnahmen viel zu niedrig aus. Sie rechnen sich künstlich
arm, weil sich in der Vergangenheit gezeigt hat, das sich
dieses Verhalten nach einer gewissen Zeit wieder aus-
gleicht. Es werden 5,6 Milliarden DM Mehreinnahmen
statt der ausgewiesenen 3 Milliarden DM.
Am Beispiel der Ökosteuer wird die Politikmethode
der rot-grünen Bundesregierung und ihres Kanzlers be-
sonders deutlich. Nimm dir ein sympathisches Thema:
Ich tue etwas für die Umwelt und die Rente. Vergiss
deine Versprechen von gestern: 6 Pfennig sind genug, es
bleibt bei der nettolohnbezogenen Rente, weitere Stufen
der Ökosteuer gibt es nur im Rahmen der Europäischen
Union. Gib einigen Menschen ein kleines Stück, zum
Beispiel die Senkung der Lohnnebenkosten, gib ihnen das
Gefühl, etwas für die Umwelt zu tun. Nimm vielen
gleichzeitig ein Mehrfaches von dem, was du gegeben
hast, unter einer anderen Überschrift, damit die Menschen
nichts merken, zum Beispiel Steuersenkung und Er-
höhung der Bemessungsgrundlage. Das ist linke Ta-
sche, rechte Tasche.
Auf der einen Seite gibt der Bundesfinanzminister mit
dem Steuersenkungs- und dem Steuersenkungsergän-
zungsgesetz, der Erhöhung der Kilometerpauschale und
Heizkostenzuschüsse und auf der anderen Seite nimmt er
ein Vielfaches davon über Abschreibungen und Ökosteuer
wieder weg. Aus der linken Tasche nimmt er mehr als das,
was er vorher in die rechte Tasche hineingetan hat.
Ich nenne das Eicheln. Unter dem Strich macht der
Staat immer ein gutes Geschäft dabei. Dieses Eicheln
scheint sich zu einer Regierungsmethode zu entwickeln.
Ganz nebenbei wird der Staatskuchen immer größer, was
ja auch sozialistischer Ideologie entspricht. Im Ergebnis
bedeutet dies immer mehr Bevormundung der Menschen,
weil sie anstelle der eigenen Entscheidung sich mit der
kollektiven Wertschätzung abfinden müssen. Dazu wächst
die Bürokratie, weil natürlich für die Verteilung auch Auf-
wand entsteht. Für den Bürger bedeutet das im Endeffekt
weniger Entscheidungsfreiheit und damit auch weniger
Verantwortung; für mich heißt das Entmündigung und für
die Verteilungskosten geht immer mehr von der Substanz
verloren.
Wenn durch die Ökosteuer rund 5 Milliarden DM ein-
genommen und 3,2 Milliarden allein für die Wiedergut-
machung von sozialen Folgen in Form von Kilometer-
pauschale und Heizkostenpauschale ausgegeben werden,
dann wird der Unsinn hier besonders deutlich. Wer misst
eigentlich die Bürokratiekosten? Wenn man hier einmal
ehrlich wäre, müsste man feststellen, dass sich die Öko-
steuer aus der Sicht des Fiskus als Nullsummenspiel er-
weist. Dafür werden die Bürger mit viel Ärger überzogen
und es gibt Verzerrungen, weil die Reparaturmaßnahmen
natürlich nicht unbedingt bei denen ankommen, die be-
lastet werden. Trotz aller Bürokratie wird dies nie richtig
möglich sein. Deshalb: Sinnvoll ist nur, den Unsinn mit
Stumpf und Stiel auszurotten und die Ökosteuer abzu-
schaffen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119478
(C)
(D)
(A)
(B)
Ein anderes Beispiel für die Regierungsmethoden: Ver-
sprich den Menschen etwas und lass es andere bezahlen.
Ein beredtes Beispiel für diese Politik ist das Kindergeld.
Es wird zu zwei Dritteln von Ländern und Gemeinden fi-
nanziert, während sich der Bund als Spender abfeiern
lässt. Das nenne ich Schrödern. Zum Schrödern gehört
auch, den Menschen etwas wegzunehmen und sich dafür
noch als Held abfeiern zu lassen. Den Bürgern wird ange-
droht, ihnen etwas zu nehmen, was sie nicht entbehren
wollen oder notwendig brauchen, wie zum Beispiel im
Rahmen der Steuerreform bei den Abschreibungen. Wenn
der Widerstand dann groß wird, stellt sich der Kanzler hin,
nimmt ein kleines Stück davon zurück und lässt sich dafür
feiern. Die Verbände reden nur über das Zurückgenom-
mene, weil sie ja ihre Leistung gegenüber ihrer Mitglied-
schaft rechtfertigen müssen. Im Ergebnis merken die
Menschen aber gar nicht, dass unter dem Strich ihnen
durch die Regierung etwas genommen ist. Symbolhaft:
Durch ein Kabinettsmitglied lässt der Kanzler androhen:
Wir hauen euch den Arm ab. Der Kanzler sorgt dann
dafür, dass es nur die Hand ist. Die Menschen meinen,
weil sie den Arm behalten haben, sei ihnen etwas Gutes
geschehen, und übersehen dabei, dass am Ende die Hand
fehlt.
Langsam, aber sicher verstehen die Bürger Ihre Me-
thode und kommen Ihnen auf die Schliche. Ihre Politik
besteht aus Schrödern und Eicheln. Aber sie dient
nicht den Menschen.
Die Früchte Ihrer falschen Politik können Sie jetzt am
Arbeitsmarkt ernten. Wir haben nun 3,73 Millionen Ar-
beitslose. Die normalerweise übliche Herbstbelebung
bleibt aus. Die saisonbereinigte Arbeitslosenquote stieg
im Oktober auf 9,5 Prozent. Dies können Sie nun nicht
auf die Folgen der Ereignisse vom 11. September 2001
abschieben. Die Bundesanstalt für Arbeit hat laut Frank-
furter Allgemeine Zeitung vom 7. November 2001 deut-
lich gemacht, dass der Arbeitsmarkt kaum vom Terror be-
lastet sei. Wenn der Aufschwung im Wahljahr ein
Aufschwung des kommenden Kanzlers Schröders war,
dann hat der Abschwung auch einen Namen: Gerhard
Schröder.
Wer wirklich etwas für die Menschen tun will, der
muss für eine bessere Konjunktur sorgen. Dazu wäre eine
richtige Steuerreform notwendig. Nur das hilft auch den
Arbeitnehmern nachhaltig. Teilanträge wie die Vor-
schläge der PDS tun dies nicht, deshalb lehnen wir diese
Anträge ab. An die Koalition richten wir den Appell: Tun
Sie endlich etwas, sorgen Sie dafür, dass die ruhige
Hand des Kanzlers sich endlich bewegt und richtige
Maßnahmen vorschlägt. Sie brauchen sich nur an unseren
Anträgen zu orientieren, die Sie heute und morgen ableh-
nen.
Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich
teile nicht die Ansicht der PDS, dass die Freibeträge für
Abfindungen generell erhöht werden sollten. Freibeträge
sind steuerliche Subventionen und müssen inhaltlich ge-
rechtfertigt und angemessen sein. Der derzeitige Freibe-
trag beträgt grundsätzlich 16 000 DM. Für ältere Arbeit-
nehmer mit langjähriger Betriebszugehörigkeit gelten
darüber hinaus noch höhere Freibeträge, so dass bis zu
24 000 DM steuerfrei bleiben können. Außerdem haben
wir im Steuerentlastungsgesetz die Fünftelungsregelung
eingeführt. Damit wird auch bei Abfindungen, die diese
Freibeträge übersteigen, die Steuerprogression nicht
übermäßig stark wirksam.
Auch das sind Subventionen, aber maßvolle und des-
halb gerechtfertigt. Denn letztendlich sollen Abfindungen
ja einen Zweck erfüllen. Sie entschädigen den Arbeitneh-
mer für den Verzicht auf Zukunftseinkommen, das ja we-
sentlich auf seinem im Laufe der Betriebszugehörigkeit
angesammelten Wissen und seinen Erfahrungen beruht. Es
ist deshalb durchaus gerechtfertigt, ja sogar notwendig,
Abfindungen günstiger zu besteuern als andere Einkünfte.
Bei den älteren Arbeitnehmern kommt aber noch ein
Argument hinzu: Für sie ist die Abfindung nicht nur eine
Entschädigung für entgangenes Einkommen, sondern sie
finanziert häufig den Einkommensausfall bis zum Über-
gang in die Rente, ist also eine Altersvorsorge. Aus die-
sem Grunde sollten Abfindungen, die der Altersvorsorge
dienen, zukünftig stärker steuerlich begünstigt werden.
Für die Inhaber von kleinen und mittelständischen Un-
ternehmen haben wir im Steuersenkungsgesetz den Frei-
betrag für Gewinne aus Betriebsveräußerung und -auf-
gabe von bisher 60 000 DM auf jetzt 100 000 DM erhöht.
Auch diese steuerliche Begünstigung von Veräußerungs-
gewinnen soll einer besseren Altersvorsorge hier des be-
troffenen Unternehmers dienen. Schon aus Gründen der
Gleichbehandlung darf diese Begünstigung aber nicht auf
Unternehmer beschränkt bleiben. Vielmehr muss eine
vergleichbare Steuerbegünstigung auch für Arbeitnehmer
geregelt werden.
Die Fraktionen des Bündnisses 90/Die Grünen setzt
sich deshalb schon seit dem letzten Jahr dafür ein, dass
auch für Arbeitnehmer ab dem 55. Lebensjahr oder bei
Berufsunfähigkeit einmal im Leben ein erhöhter Freibe-
trag auf Abfindungen gewährt wird. Ich habe bislang eine
Freibetragshöhe von 100 000 DM in die Debatte einge-
bracht.
Grundsätzlich sollte die steuerliche Behandlung von
Abfindungen sobald wie möglich neu geregelt werden.
Das ist zwischen den Koalitionsfraktionen unstrittig und
das haben wir übereinstimmend im Ausschuss erklärt. Al-
lerdings wird eine Neuregelung der Abfindungen sicher-
lich nicht billig. Gerade vor dem Hintergrund der morgi-
gen Steuerschätzung müssen wir genau prüfen, was die
öffentlichen Haushalte insbesondere im nächsten Jahr
noch an Steuerausfällen verkraften können, bevor hier
eine positive Entscheidung fallen kann.
Unsere Arbeitswelt fordert in immer höherem Maße
den flexiblen und mobilen Arbeitnehmer. Das ist eine
ganz unbestreitbare Tatsache. Das Steuerrecht muss dem
natürlich Rechnung tragen. Und das tut es auch. Die Kos-
ten der Mobilität können als Werbungskosten steuerlich
geltend gemacht werden: zum einen über die Entfer-
nungspauschale, zum anderen über die auf zwei Jahre
begrenzte steuerliche Anerkennung von doppelter Haus-
haltsführung und konsequenterweise über die steuerliche
Anerkennung von arbeitsplatzbedingten Umzugskosten.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19479
(C)
(D)
(A)
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Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend hat im August dieses Jahres die Ergebnisse ei-
ner Studie der Universität Mainz zum Thema Mobilität
vorgelegt. Eine wichtige Erkenntnis aus der Studie über-
rascht nun sicherlich nicht übermäßig, andererseits wis-
sen wir es nun auch wissenschaftlich abgesichert: Die
meisten mobilen Lebensformen gibt es nur deshalb, weil
eine ganz bestimmte Form von Mobilität, nämlich ein
Umzug, vermieden werden soll. Man entscheidet sich
also bewusst für eine bestimmte Form, mobil zu sein. Und
das ist richtig so, denn natürlich soll jeder und jede selbst
entscheiden können, wo und wie er oder sie wohnen und
arbeiten will. Aber, ab einem bestimmten Punkt ist diese
Entscheidung dann Privatsache und es ist nicht mehr ge-
rechtfertigt, die Kosten dieser privaten Entscheidung der
Allgemeinheit aufzubürden. Meiner Ansicht nach sind
zwei Jahre hinreichend lang, um sich für einen neuen
Wohnort zu entscheiden. Dass ein doppelter Haushalt da-
nach nur noch als Privatangelegenheit angesehen wird, ist
absolut gerechtfertigt. Ich lehne es deshalb ab, diese Be-
fristung wieder aufzuheben.
Gerhard Schüßler (FDP): Die von der PDS einge-
brachten Gesetzentwürfe enthalten Anliegen, über die
man durchaus diskutieren kann. Das gilt insbesondere für
die Begrenzung der Anerkennung der Kosten für die dop-
pelte Haushaltsführung. Diese Befristung hat im Jahre
1995 die SPD im Vermittlungsverfahren zum Jahressteu-
ergesetz 1996 durchgesetzt. In einer Zeit, in der immer
mehr Mobilität gefordert wird, ist die Beschränkung der
Mobilitätskosten beim Werbungskostenabzug eigentlich
widersinnig. Auf der anderen Seite ist das Argument nicht
von der Hand zu weisen, dass eine länger als zwei Jahre
dauernde doppelte Haushaltsführung auch privat veran-
lasst ist. Nach geltendem Recht dürfen gemischt veran-
lasste Kosten in diesem Fall nicht als Werbungskosten ab-
gezogen werden.
Die FDP wird sich bei diesem Gesetz enthalten. Wir
sind der Auffassung, dass privat und beruflich veranlasste
Kosten aufzuteilen sind. Der beruflich veranlasste Teil
sollte abzugsfähig sein. Das gilt auch für die doppelte
Haushaltsführung.
Ablehnen werden wir den zweiten Gesetzentwurf der
PDS. Zwar ist auch hier die Begründung nachvollziehbar.
Die Ausweitung der Steuerfreiheit für Abfindungen und
Übergangsgelder passt allerdings nicht zu einer durch-
greifenden Steuerreform mit niedrigen Tarifen und mög-
lichst keinen Sondertatbeständen, wie sie der FDP vor-
schwebt.
Anlage 13
Zu Protokoll gegebene Reden
zum Entwurf eines Gesetzes über die Aufhebung
des Gesetzes zur Förderung der Rationalisie-
rung im Steinkohlenbergbau (Zusatztagesord-
nungspunkt 9)
Norbert Formanski (SPD):Anfang der 60er-Jahre er-
wies es sich als notwendig, den deutschen Steinkohlen-
bergbau an die grundlegend veränderte energiewirtschaft-
liche Situation anzupassen und hierfür unterstützende
staatliche Regelungen zu ergreifen. Sie zielten darauf ab,
die Bemühungen des Bergbaus um eine verbesserte Pro-
duktivität und um geringere Kosten zu fördern, durch Ka-
pazitätsanpassungen die Förderung zu drosseln und durch
Zusammenschlüsse wirtschaftlicher arbeitenden Schacht-
anlagen zu schaffen.
Das Gesetz zur Förderung der Rationalisierung im
Steinkohlenbergbau schuf daher zum 1. September 1963
den Rationalisierungsverband des Steinkohlenbergbaus,
RatV, als bundesunmittelbare Körperschaft des öf-
fentlichen Rechts und übertrug ihm im Wesentlichen
Finanzierungsaufgaben.
Mitglieder des Rationalisierungsverbandes mussten
damals alle Gesellschaften werden, die zum Zeitpunkt der
Errichtung des Verbandes mindestens ein Steinkohlen-
bergwerk mit einer verwertbaren Förderung von
100 000 Tonnen pro Jahr betrieben. Mit der Stilllegung
von Zechen und der Bildung von bergbaulichen Großein-
heiten in allen Revieren ging jedoch die Zahl der Mit-
glieder fortlaufend bis auf fünf Gesellschaften Ende
2000, von denen lediglich zwei noch Schachtanlagen be-
trieben zurück.
Der Rationalisierungsverband kann mithin als eine
frühe Antwort auf die strukturellen und finanziellen Pro-
bleme des heimischen Steinkohlenbergbaus verstanden
werden, indem er dank öffentlicher Körperschaft die Fi-
nanzierung privater Investitionen in einem wichtigen Sek-
tor der Gesamtwirtschaft ermöglichte.
Nach einer Zeit von rund 38 Jahren hat sich nicht nur
die gesellschaftsrechtliche Situation des Steinkohlenberg-
baus durch die Zusammenfassung aller deutschen Zechen
in der Deutschen Steinkohle AG, DSK, geändert, auch die
Finanzmarktverhältnisse sowie die strategische ener-
giewirtschaftliche Lage machen es nicht länger erforder-
lich, ein Sonderfinanzierungsinstitut aufrechtzuerhalten.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist somit die
logische Konsequenz aus der faktischen Entwicklung.
Der Rationalisierungsverband des Steinkohlenbergbaus
hat seine Tätigkeit zum 31. Dezember 2000 eingestellt.
Der Rechnungsabschluss des Verbandes fand den un-
eingeschränkten Bestätigungsvermerk einer Wirtschafts-
prüfungsgesellschaft. Der Verwaltungsrat und die Ver-
bandsversammlung haben dem Vorstand Entlastung
erteilt. Der Rationalisierungsverband des deutschen
Steinkohlenbergbaus besteht somit seit dem 31. Dezem-
ber 2000 nicht mehr.
Über diese Fakten kann nicht ernsthaft kontrovers disku-
tiert werden, da das Gesetz nur den Ist-Zustand nachvoll-
zieht. Es hat keine Auswirkungen auf die gegenwärtige und
zukünftige Kohlepolitik. Sollte sich die Opposition jedoch
Sorgen über den Fortgang der Rationalisierung im Bergbau
machen, kann ich Ihnen versichern: Diese Sorgen sind un-
berechtigt. Der deutsche Steinkohlenbergbau arbeitet auf
High-Tech-Niveau und wird es auch zukünftig weiter unter
dem Dach der DSK tun.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119480
(C)
(D)
(A)
(B)
Sollte es Ihnen darüber hinaus generell um die Zukunft
des Steinkohlenbergbaus gehen, kann ich auch hier Ihre
Sorgen entkräften. Die SPD-Bundestagfraktion hat im
Juli 2001 in einem Entschließungsantrag klar Position für
die deutsche Steinkohle bezogen. Der Antrag ist ein klares
Signal nach Brüssel, um in der Diskussion über die Nach-
folge des EGKS-Vertrages, der am 23. Juli 2002 ausläuft,
die deutsche Position zu markieren.
Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt die Auffas-
sung der Bundesregierung, dass ein nationales
Steinkohlenkonzept erforderlich ist. Sie unterstützt in
diesem Zusammenhang auch die Forderung der Bun-
desregierung gegenüber der Europäischen Kommission
nach einem nationalen Energiesockel, in eigener na-
tionaler Zuständigkeit.
Der deutsche Steinkohlenbergbau ist als wichtiger Be-
standteil des Energiemixes zu erhalten und die rechtlichen
und finanziellen Grundlagen für ein nationales Stein-
kohlenkonzept sind zu schaffen.
Drei weitere Kernforderungen müssen erfüllt werden:
Die nationale Kohlevereinbarung zum sozialverträg-
lichen Abbau der Steinkohlenförderung bis 2005 muss
gesichert sein. Aus Gründen der langfristigen Planungs-
sicherheit muss die Fortführung dieser Vereinbarung bis
2015 ermöglicht werden. Das Fördervolumen muss auch
über diesen Zeitraum hinaus einen lebens- und leistungs-
fähigen Steinkohlenbergbau in Deutschland sowie den
Zugang zu den heimischen Lagerstätten gewährleisten.
Als Bergmann und Gewerkschafter sind für mich zwei
weitere Punkte unverzichtbar:
Erstens. Die uneingeschränkte Sozialverträglichkeit
der Anpassung bleibt unverzichtbar. Betriebsbedingte
Kündigungen darf es im Steinkohlenbergbau auch zu-
künftig nicht geben. Trotz der Nutzung innovativer per-
sonalpolitischer Instrumente bleibt die Anpassungsgeld-
regelung unverzichtbar. Sie muss deshalb verlängert
werden.
Ein lebens- und leistungsfähiger Bergbau erfordert,
dass die Belegschaftsentwicklung der DSK wieder ein
ausgewogenes Maß findet. Der ausschließlich haushalts-
politisch erzwungene Vorrang des Personalabbaus vor
einer langfristigen Belegschaftsentwicklung hat zu einem
wachsenden Know-how-Verlust und zur Ausdünnung in
den jüngeren Jahrgängen geführt. Zu den erforderlichen
Maßnahmen gehört deshalb nicht nur die Einstellung und
Übernahme von Auszubildenden für Untertage-Berufe,
sondern auch die Neueinstellung junger Facharbeiter. Nur
dann können die Voraussetzungen für einen langfristig
lebens- und leistungsfähigen Bergbau geschaffen werden.
Auf dem Kongress der IGBCE am 24. Oktober 2001 in
Frankfurt hat unser Bundeskanzler Gerhard Schröder den
Bergleuten noch einmal ausdrücklich versichert, dass der
deutsche Steinkohlenbergbau, auch vor dem Hintergrund
des 11. September, für die Versorgungssicherheit in unse-
rem Land unverzichtbar ist.
Bei der Nachfolge des EGKS-Vertrages geht es nun
darum, der heimischen Steinkohle ihren Platz in der Ener-
gieversorgung zu sichern. Sie ist als heimischer Ener-
gieträger angesichts unserer weitreichenden Importab-
hängigkeit, aber auch als Kern der bergbau- und maschi-
nenbautechnischen Industrie unverzichtbar. Sie steht aus
geologischen Gründen außerhalb des Wettbewerbs und ist
deshalb auch weiterhin auf staatliche Subventionen ange-
wiesen.
Wir bringen diese Subventionen weiterhin auf, weil die
Entscheidung über den Primärenergieträger-Mix bei der
Kernenergie wie bei den erneuerbaren Energien und
ebenso bei der Steinkohle weiterhin unserer politischen
Verantwortung unterliegt. Wir können diese Entschei-
dung weder dem Wettbewerb anheim stellen, noch an die
Europäische Kommission delegieren.
Der bisherige Vorschlag der EU-Kommission für eine
Verordnung des Rates über staatliche Beihilfen für den
Steinkohlenbergbau beinhaltet noch viele Ungereimthei-
ten und muss nachgebessert werden. Positiv ist sicherlich,
dass die EU-Kommission einen Sockel heimischer
Primärenergieträger als strategisches Instrument ... zur
Sicherung der Energieversorgung zulassen will. Durch
die Bezugsgröße Produktionseinheit müssten die Kosten
und Beihilfen für jede Schachtanlage allerdings differen-
ziert ausgewiesen werden und die EU-Kommission
könnte sich vorbehalten, über die Verwendung der Beihil-
fen pro Schachtanlage zu entscheiden. Der geforderte
Stilllegungsplan ist nicht akzeptabel, besser wäre die Dis-
kussion über die Fördermenge und daraus abgeleitet dann
der Beschluss über stillzulegende Bergwerke, wobei so-
ziale und regionale Belange natürlich berücksichtigt wer-
den müssen.
Der geforderte kontinuierliche und nennenswerte Ab-
bau der Beihilfen für die laufende Förderung und die
Auslaufbergwerke ist ein klarer Widerspruch zum lang-
fristigen nationalen Energiesockel in der eigenen Ent-
scheidungskompetenz der EU-Mitgliedstaaten.
Bis spätestens 31. Dezember 2006 will die Kommis-
sion zusätzlich einen Bericht über die Erfahrungen mit
dieser Verordnung vorlegen. Aufgrund dieses Berichtes
und unter Berücksichtigung der Entwicklung der erneuer-
baren Energieträger soll dann der Anteil der Kohle am
Sockel der heimischen Energieträger bestimmt werden.
Hier wird ein künstlicher Konflikt zwischen Kohle und
erneuerbaren Energieträgern konstruiert und in unzulässi-
ger Weise in die nationalen Zuständigkeiten der Mit-
gliedsländer eingegriffen.
Gestützt auf das Wort des Bundeskanzlers und den Ent-
schließungsantrag der SPD-Bundestagsfraktion können
die Beschäftigten des Steinkohlenbergbaus den anstehen-
den Verhandlungen mit der EU-Kommission mit Opti-
mismus entgegensehen.
Wolfgang Weiermann (SPD): Der Rationalisie-
rungsverband wurde am 1. September 1963 durch das
Gesetz zur Förderung der Rationalisierung im Steinkoh-
lenbergbau als bundesunmittelbare Körperschaft des öf-
fentlichen Rechts errichtet. Zum Zeitpunkt seiner Errich-
tung zählte er 39 Mitglieder; seine Tätigkeit wurde
wiederholt verlängert, zuletzt durch das sechste Ände-
rungsgesetz vom 15. Dezember 1995. Ende des Jahres
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19481
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(A)
(B)
2000 waren nur noch zwei Bergbauunternehmen unter
dem Dach der RAG AG aktiv.
Der Rationalisierungsverband hatte den gesetzlichen
Auftrag, durch Bewährung von Darlehen und Bürgschaf-
ten an seine Mitglieder die Wettbewerbsfähigkeit des
deutschen Steinkohlenbergbaus zu steigern, seine Pro-
duktionsseinrichtungen und Produktionsverfahren zu ver-
bessern, zur Anpassung der Absatzmöglichkeiten beizu-
tragen und dazu Rationalisierungsinvestitionen finanziell
zu sichern.
Die vom Rationalisierungsverband durchgeführten
Maßnahmen beinhalteten die Finanzierung der Rationali-
sierungsinvestitionen im Umfang von 3,4 Milliarden DM,
von Lagerbeständen an Steinkohle und Koks mit 1,3 Mil-
liarden DM, die Finanzierung der nationalen Steinkoh-
lenreserve mit 1,4 Milliarden DM und die Mobilisierung
der Einbringungsforderungen nach Gründung der Ruhr-
kohle AG im Jahr 1968 mit l,1 Milliarden DM für die
langfristige Finanzierung von Investitionen, zu denen die
Bergbaugesellschaften bis 1973 verpflichtet waren.
Der Geschäftsumfang des Rationalisierungsverbandes
belief sich im Zeitraum seines Bestehens auf 7,2 Milli-
arden DM. Seit 1995 hatten die Mitglieder des Verbandes
keine neuen Kredite beantragt.
Gemäß Verordnung über die Auflösung des Rationali-
sierungsverbandes des Steinkohlenbergbaus vom 6. Ok-
tober 2000 hat der Verband am 31. Dezember 2000 seine
aktive Tätigkeit beendet und wurde zum gleichen Zeit-
punkt aufgelöst. Der Vorstand hat die Abwicklung durch-
geführt und zum 31. Mai 2001 abgeschlossen.
Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft C & L Deutsche
Revision AG hat dem Rechungsabschluss zum 31. Mai
2001 und dem Jahresbericht für das Rumpf-Haushalts-
jahr vom 1. Januar bis zum 31. Mai 2001 den uneinge-
schränkten Bestätigungsvermerk erteilt. Verwaltungsrat
und Verbandsversammlung haben den Vorstand entlastet.
Damit können die Rechtsvorschriften zum Rationalisie-
rungsverband des Steinkohlenbergbaus aufgehoben wer-
den.
Die beteiligten Bundesressorts und Länderministerien
haben dem Gesetzentwurf zugestimmt. Bund, Länder und
Gemeinden werden durch die Aufhebung von Rechtsvor-
schriften nicht mit Kosten belastet. Auswirkungen auf
Einzelpreise, das Preisniveau, insbesondere das Verbrau-
cherpreisniveau, sind nicht zu erwarten.
Eine Befristung des Gesetzes entfällt. Der Gesetzent-
wurf ist mit dem Recht der Europäischen Union verein-
bar.
Ich möchte noch einmal festhalten: Es geht bei diesem
Gesetzentwurf nicht um die zukünftige Kohlepolitik und
es geht bei diesem Gesetzentwurf nicht um die 1997 ab-
gestimmte Kohlefinanzierungsregelung, den so genann-
ten Kohlekompromiss. Von der eigentlichen Entschei-
dung, die mit diesem Gesetzentwurf zu treffen ist, ist die
Auseinandersetzung und die Entwicklung um die Zu-
kunft, das heißt die Planungssicherheit der Kohle nicht
berührt.
Dies sind Fragen, die im Rahmen der Gemeinschafts-
regelungen der EU-Staaten zugunsten des Steinkohlen-
bergbaus beantwortet werden müssten. Stichworte hierzu
sind unter anderem: nationaler Energiesockel, EGKS-
Nachfolgeregelungen und Referenzbergbau.
Aus Gründen der Versorgungssicherheit, sofern so be-
schieden, müsste eine Steinkohleförderung auch nach
2005 staatlich unterstützt werden. Ein nationalen Ver-
sorgungssockel, dessen wesentlicher Bestandteil für
Deutschland die einheimische Steinkohle ist, könnte
durch die Mitgliedstaaten in eigener Verantwortung fest-
gelegt und von einer beihilferechtlichen Kontrolle durch
die Kommission freigestellt werden. Die nationale Stein-
kohleförderung könnte dann bis auf das noch zu defi-
nierende Sockelniveau zurückgeführt werden.
In dem im November 2000 vorgelegten Grünbuch
Hin zu einer europäischen Strategie für Energieversor-
gungssicherheit hat die Kommission dank der intensiven
Bemühungen der Bundesregierung diese Notwendigkeit
der Aufrechterhaltung eines Sockelbergbaus zur Absiche-
rung gegen Import- und Preisrisiken anerkannt.
Als Nachfolgeregelung zum EGKS-Vertrag, dessen
völliges Auslaufen wir bedauern, hat die Kommission mit
dem Vorschlag vom 25. Juli 2001 Vorschriften für die Ge-
währung staatlicher Beihilfen zugunsten des Steinkohle-
bergbaus empfohlen. Der Vorschlag hat eine Laufzeit bis
2010; die Anwendung der konkreten Regelungen für die
Beihilfegewährung ist aber nur bis 2007 gesichert. Kri-
tisch ist, dass Planungssicherheit nur bis zum Jahr 2007
besteht, weil die Regelungen für die Zeit danach erst 2007
getroffen werden sollen. Dies schafft keine sichere Per-
spektive für die Steinkohleindustrie und ihre Mitarbeiter.
Die deutsche Bergbauindustrie ist weltweit technisch
führend in Bereich der Förder-, Umwelt-, Sicherheits- und
Kraftwerktechnik. Gerade diese Kombination macht einen
erheblichen Teil ihrer Stärke aus. Um diesen Standard hal-
ten und verbessern zu können, ist jedoch eine einheimische
Kohleförderung vonnöten. In dem schon erwähnten Grün-
buch hat die EU-Kommission unter anderem auch die Not-
wendigkeit zur Bewahrung und Förderung des techni-
schen Know-hows im Steinkohlebergbau und damit die
Notwendigkeit von Referenzbergwerken anerkannt.
Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Der Gesetzentwurf ist
ein Beitrag dazu, überflüssige und überholte Gesetze ab-
zuschaffen. Der Rationalisierungsverband des Steinkoh-
lenbergbaus wurde 1963 mit einer klaren und richtigen
Zielsetzung sowie in einer entsprechend angemessenen
Struktur eingerichtet. Entgegen der ursprünglichen Idee,
diese Körperschaft des öffentlichen Rechts in letzter
Zeit bestand sie nur noch aus einem Mitglied nur für
kürzere Zeit einzusetzen, hat der Rationalisierungsver-
band zum 31. Dezember des letzten Jahres seine unter-
stützenswerte Tätigkeit auf dem Gebiet der Finanzierung
von Investitionen und weiteren Maßnahmen der Bergbau-
unternehmen beendet. Diese Tätigkeit wurde in den letz-
ten Jahren ohnehin durch die Rückführung der Subven-
tionen im deutschen Steinkohlebergbau zumindest
flankiert. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt da-
her dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung zu.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119482
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Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Die Situation des deutschen Steinkohlenbergbaues ist ge-
prägt von der Verringerung der Förderkapazitäten, dem
Abbau der Beschäftigungszahlen und den immer geringer
werdenden Subventionen. Während 1996 noch 10,4 Mil-
liarden DM an öffentlichen Hilfen für die Steinkohle be-
zahlt wurden, waren es 1998 nur noch 8,5 Milliarden DM.
Bis 2005 werden diese Zahlungen bis 5,3 Milliarden DM
weiter verringert werden. 1970 gab es noch 69 Stein-
kohlebergwerke in Deutschland, heute sind noch 12 in
Betrieb. Das hat einen schwierigen Strukturwandel in den
Bergbauregionen zur Folge gehabt.
Die betroffenen Regionen haben große Anstrengungen
unternommen, andere beschäftigungspolitische Schwer-
punkte zu setzen. Dieser Strukturwandel ist auch noch
nicht an seinem Ende angekommen. Der Grund dafür ist
bekannt: Die heimische Steinkohle ist im internationalen
Wettbewerb nicht konkurrenzfähig. Steinkohle, die im Ta-
gebau gewonnen wird, ist immer günstiger als die unter-
tage abgebaute deutsche Steinkohle. Wir können mit
Kohlepreisen von 250 DM pro Tonne nicht gegen 70 DM
pro Tonne konkurrieren.
Diese Tatsache führte zu dem Steinkohlekompromiss
von 1997 zwischen dem Bund, den Ländern und den be-
troffenen Unternehmen und Gewerkschaften. Durch ihn
wurde der Weg für die Förderung der deutschen Stein-
kohle bis 2005 vorgezeichnet. Damit haben sowohl die
Beschäftigten als auch die Unternehmen einen verlässli-
chen Plan für die nähere Zukunft in der Hand. Wir werden
an diesem Kompromiss festhalten. Ein gezieltes Herun-
terfahren der deutschen Steinkohleförderung verringert
die eingesetzten Subventionen und lässt den betroffenen
Menschen die Zeit, sich umzuorientieren. Wir werden uns
auch auf der EU-Ebene dafür einsetzen, dass der Kom-
promiss bis 2005 umgesetzt wird. Das Auslaufen des Eu-
ropäischen Kohle- und Stahlvertrages im nächsten Jahr
darf nicht dazu führen, dass die Zechen von einem Tag auf
den anderen geschlossen werden und Zehntausende Men-
schen auf einen Schlag arbeitslos werden. Der Abbau der
Kohlesubventionen muss auf jeden Fall sozialverträglich
erfolgen.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein weiterer Hin-
weis auf die schwindende Bedeutung des deutschen Stein-
kohlenbergbaues. Der 1963 errichtete Rationalisierungs-
verband des Steinkohlenbergbaues hatte zu Beginn
39 Mitglieder und zwischenzeitlich einen Geschäftsum-
fang von 7,2 Milliarden DM. Im letzten Jahr waren es nur
noch zwei Bergbauunternehmen und drei Bergbau-Altge-
sellschaften, die in diesem Verband organisiert waren.
Seit 1995 hat kein Mitglied des Rationalisierungsverban-
des mehr neue Kredite beantragt. Folgerichtig wurde der
Rationalisierungsverband zum 31. Dezember 2000 aufge-
löst. Der vorliegende Gesetzentwurf dient nun der Aufhe-
bung der gesetzlichen Grundlagen dieses Verbandes.
Es ist nun an der Zeit, den Blick nach vorne zu richten
und neue Wege für die betroffenen Regionen zu ebnen. Es
geht darum, den Menschen Möglichkeiten zu eröffnen,
Arbeitsplätze in Zukunftsindustrien zu bekommen. Die
Regionen müssen sich aus den alten Strukturen lösen und
neue Wege beschreiten. Dies wurde bereits in Nord-
rhein-Westfalen erfolgreich in Angriff genommen.
Industriezweige wie die chemische Industrie, der Ma-
schinenbau, die Nahrungsmittelindustrie, die Elektro-
industrie, der Fahrzeugbau und vor allem die Umwelt-
industrie rangieren längst vor der immer stärker
schrumpfenden Montanindustrie. Auch der Dienstleis-
tungssektor ist in NRW deutlich gewachsen und liegt mit
62,7 Prozent der Erwerbstätigen über dem Durchschnitt in
Deutschland. In den vergangenen Jahren hat sich das
Land NRW immer stärker zu einem internationalen Me-
dienstandort entwickelt. Unter den zahlreichen Zeitungs-
und Buchverlagen befindet sich mit dem Gütersloher Ber-
telsmann-Konzern auch eines der weltgrößten Medienun-
ternehmen.
Die Grünen in NRW haben schon in den vergangenen
Jahren mit der Gründungsoffensive GO! die Förderung
von Existenzgründungen gerade bei kleinen und mittleren
Unternehmen äußerst effektiv vorangetrieben. Auf Antrag
der Grünen und der SPD wurde die Mittelstandsoffensive
NRW, die Initiative für mehr Beschäftigung und Innova-
tion, in den Landtag eingebracht und beschlossen.
Eine weitere innovative Branche, die genauere Be-
trachtung verdient, ist der Anlagenbau. In Deutschland
werden effiziente und technisch hochwertige Anlagen
hergestellt, die sich auch im Export gut behaupten. Effizi-
ente Kohlekraftwerke sind für die Länder wie China, die
noch lange auf Kohle setzen werden, ein begehrtes Im-
portgut. Auch diese Kraftwerkstechnologien haben eine
Zukunft, unabhängig davon, in welchem Maße in
Deutschland Kohle abgebaut wird.
Auch die erfolgreiche Förderung der erneuerbaren
Energien durch die rot-grüne Bundesregierung bietet neue
Möglichkeiten für den Strukturwandel. Zurzeit arbeiten
120 000 Menschen in der Erneuerbaren-Energien-Bran-
che. Jedes Jahr kommen 10 000 Arbeitsplätze hinzu. Die-
ser Boom wurde möglich durch die umfangreiche Förde-
rung der erneuerbaren Energien. Hier ist vor allem das
Erneuerbare-Energien-Gesetz zu nennen. Die festen Ein-
speisevergütungen für Wind, Sonne, Wasser und Bio-
masse haben zu einem Boom in den verschiedenen Bran-
chen geführt und einen Innovationsschub ausgelöst. In
diesen Branchen wird nicht nur der Bedarf an Anlagen in
Deutschland gedeckt, sondern auch die Grundlagen für
den Export von morgen gelegt.
Beispielhaft für den enormen Erfolg des EEG ist das
rasante Wachstum der Windenergie. Mit einer Gesamt-
leistung von fast 7 000 Megawatt, Mitte 2001, hat
Deutschland seinen Spitzenplatz weltweit ausgebaut.
Mehr als die Hälfte des europäischen Windstroms und
über ein Drittel der Weltproduktion werden in Deutsch-
land erzeugt. Die Windenergie trägt mittlerweile 2,5 Pro-
zent zur Stromerzeugung in Deutschland bei und hat über
30 000 Arbeitsplätze geschaffen.
Ähnliche Entwicklungschancen bietet der Bereich der
Bioenergien, in dem wir mit der Biomasse-Verordnung die
richtigen Weichen gestellt haben. Bioenergien wie Holz,
Pflanzenabfälle oder Gülle stehen in ausreichender Form
zur Verfügung und sind äußerst vielseitig verwendbar. Mit
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19483
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der neuen Regelung wird endlich der Investitionsstau in
diesem Bereich aufgelöst; Arbeitsplätze vor allem im
ländlichen Raum werden geschaffen.
Dazu kommen noch das 100 000-Dächer-Programm
für Photovoltaik und das Marktanreizprogramm für er-
neuerbare Energien. Hier entstehen Arbeitsplätze. Die
vom Strukturwandel betroffenen Regionen sind gut bera-
ten, diese für Umwelt und Wirtschaft vorteilhaften Alter-
nativen weiter auszubauen. Wer heute einen Schwerpunkt
in dieser Branche setzt, sichert sich Arbeitsplätze auf
lange Sicht.
Walter Hirche (FDP): Das Gesetz hat seinen Zweck
verloren und soll aufgehoben werden. Dazu kann man nur
dreimal Ja sagen in der ersten, der zweiten und der drit-
ten Lesung. Die Chance, derartig überflüssig gewordene
Gesetze aufzuheben, würden wir gern öfter nutzen.
Rolf Kutzmutz (PDS): Mit der heutigen Debatte wird
ein zweifellos wichtiges Kapitel westdeutscher Energie-
und Strukturpolitik geschlossen. Allein schon die in der
Gesetzesbegründung genannten, vom Rationalisierungs-
verband bewegten Milliardenbeträge signalisieren seine
Bedeutung für Struktur- und Regionalentwicklung, insbe-
sondere in Nordrhein-Westfalen und im Saarland. Allein
in den 60er-Jahren, als der Verband das Hauptinstrument
einer auch sozial abgefederten Rückführung der Stein-
kohleförderung war, wurden auf diesem Wege
39 Großschachtanlagen und 28 Kleinzechen mit einem
jährlichen Fördervolumen von 30 Millionen Tonnen still-
gelegt. Dafür flossen damals knapp 350 Millionen DM an
öffentlichen Mitteln. Rund 270 000 Arbeitsplätze ver-
schwanden seinerzeit durch Stilllegung und forcierte Ra-
tionalisierung.
In den folgenden Jahrzehnten traten andere Instru-
mente zur Bewältigung der weltwirtschaftlich und tech-
nologisch bedingten Kohlenkrise in den Vordergrund.
Strukturpolitische Erwägungen, auf die mit dem Rationa-
lisierungsverband 1963 eine durchaus zeitgemäße Ant-
wort gegeben wurde, spielen heute gewiss nicht mehr eine
solche Rolle wie vor vier Jahrzehnten. Die energiepoliti-
sche Frage von damals ist aber auch heute nach wie vor
aktuell: Wie viel können und müssen uns die deutschen
Steinkohlevorräte und ihre Förderung wert sein?
Zwar ist Steinkohle wegen ihrer Emissionen und zu-
mindest die deutsche wegen ihrer Kosten energiepoli-
tisch nicht mehr die erste Wahl. Anders als Atomkraft-
werke bleibt sie aber als Option für die kommenden
Generationen unverzichtbar. Ich meine: Wir dürfen arbei-
tende Kohlegruben nicht unwiederbringlich absaufen las-
sen, nur weil deren Förderung anderswo zu einem Drittel
des Preises zu kaufen wäre. Natürlich brauchen wir heute
nicht wie nach der ersten Energiekrise 1974 wieder
eine unter Trägerschaft eines Rationalisierungsverbandes
stehende nationale Steinkohlereserve auf Halde fahren zu
lassen. Aber gerade Zeiten wie die heutigen beweisen,
dass die Fähigkeit zu autarker Energieversorgung lebens-
wichtig bleibt.
Wie viel wir aus diesen lebenden Gruben jedoch
tatsächlich fördern, dass sollte in erster Linie eine finan-
zielle und in zweiter eine regionalpolitische Frage sein.
Auch der bloße Erhalt bestehender Förderfähigkeiten
wird jedes Jahr noch Milliarden kosten. Und klar muss
meines Erachtens sein, dass diese Aufgabe keine regio-
nale, sondern eine nationale ist. Denn es ist eine Fähigkeit,
die dem Saarland ebenso wie Baden-Württemberg zugute
kommt. Dass damit in den Kohleländern auch noch
Arbeitsplätze gesichert werden, wäre wichtig, aber eben
nur ein Nebeneffekt, der nicht rechtfertigt, ihnen allein
oder auch nur überwiegend diese finanziellen Lasten auf-
zubürden.
Ich glaube, unter solchen Prämissen ließe sich auch ge-
genüber der EU ein neues Kapitel Kohlepolitik schreiben.
Anlage 14
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Strafrechtlichen Rehabilitie-
rungsgesetzes (Zusatztagesordnungspunkt 10)
Hans-Joachim Hacker (SPD): Am 19. Oktober 2001
hat der Deutsche Bundestag in erster Lesung den FDP-
Entwurf eines Rehabilitierungsänderungsgesetzes bera-
ten. In meiner Rede bin ich bei dieser Gelegenheit aus-
führlich auf die Erfordernisse eingegangen, die sich auf
dem Gebiet der Wiedergutmachung von SED-Unrecht er-
geben haben und die vom deutschen Gesetzgeber nach der
Wiedervereinigung zu leisten waren. Hierbei habe ich so-
wohl das Erreichte dargestellt hierzu zähle ich insbe-
sondere die Rehabilitierung, die den Betroffenen Ehre
zurückgibt als auch die materiellen Entschädigungsleis-
tungen.
Erneuern muss ich meine kritische Bewertung der
Leistungen von CDU/CSU und FDP in ihrer damaligen
Regierungsverantwortung. Das Gesetzgebungswerk war
Stückwerk und hatte schwere Schieflagen. Erst mit dem
Zweiten Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtli-
cher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in
der ehemaligen DDR im Jahre 1999 hat die rot-grüne Ko-
alition die Schieflagen beseitigt und damit zentrale Wahl-
versprechen der SPD gegenüber den Opferverbänden ein-
gelöst. An dieser Stelle möchte ich auf eine Wiederholung
der einzelnen Regelungen verzichten, da dies meiner
Rede vom 19. Oktober 2001 entnommen werden kann.
In meiner Stellungnahme zum FDP-Gesetzentwurf
habe ich zugesagt, dass die Koalition den bestehenden
Handlungsrahmen ernsthaft prüfen und dafür sorgen
wird, dass eine notwendige Novellierung rechtzeitig er-
folgt. Mit dem heute diskutierten Gesetzentwurf wird
diese Zusage eingelöst. Nach Prüfung des Sachverhaltes
kommen wir zu dem Ergebnis, dass die Antragsfrist
gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 des Strafrechtlichen Rehabilitie-
rungsgesetzes erneut um zwei Jahre, nunmehr bis zum
31. Dezember 2003, verlängert werden muss. Nach Rück-
fragen bei den neuen Ländern steht fest, dass immer noch
eine gleich bleibend hohe Zahl von Rehabilitierungsan-
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trägen eingeht. Wir müssen davon ausgehen, dass auch im
nächsten und übernächsten Jahr mit einer nicht unbedeu-
tenden Zahl von Anträgen auf Rehabilitierung zu rechnen
ist. Hierbei handelt es sich um einen erheblichen Antrags-
rückstau und wir wollen nicht, dass die Opfer von rechts-
staatswidrigen Verfolgungsmaßnahmen wegen des Ab-
laufens der bislang geltenden Antragsfrist Rechtsverlust
erleiden. Das heißt, es würde nicht nur die Rehabilitierung
formal unmöglich werden, sondern auch Ansprüche auf
Kapitalentschädigung und Unterstützungsleistungen wür-
den entfallen. Das wäre eine unvertretbare Härte für die
Opfer der zweiten deutschen Diktatur. Wir sorgen mit un-
serem Gesetzentwurf dafür, dass diese Folge nicht eintritt.
Ich rufe an dieser Stelle auch die zuständigen Landes-
behörden auf, alle Möglichkeiten zu nutzen, um in der Öf-
fentlichkeit die neue Rechtslage nach Verabschiedung des
Gesetzes darzustellen. Damit wollen wir erreichen, dass
alle Antragsberechtigten ihre Rechte wahrnehmen. Ein
gleicher Appell geht an die Opferverbände. An die Bun-
desregierung, konkret an das Bundesjustizministerium,
muss ich diesen Appell nicht richten; denn ich weiß, dass
die Öffentlichkeitsarbeit des BMJ auf diese Problematik
eingestellt ist.
Im Vergleich zum Inhalt des FDP-Gesetzentwurfes
muss ich feststellen, dass wir einen so weit gehenden Re-
gelungsbedarf, wie ihn die FDP-Fraktion sieht, nicht se-
hen, weder im Beruflichen noch im Verwaltungsrechtli-
chen Rehabilitierungsgesetz. Die Regelungsmethodik
dieser beiden Gesetze ist so angelegt, dass eine auffal-
lende Zahl von Antragstellungen nach dem 31. Dezember
2001 nicht erwartet wird. Vielmehr gehe ich davon aus,
dass Verwaltungsunrecht oftmals in Verbindung mit
Vermögenseingriffen abgearbeitet wurde und auch die
beruflichen Fördermaßnahmen nach der Wiedervereini-
gung durch die Opfer politischer Verfolgung genutzt wor-
den sind.
Da diese Frage in der öffentlichen Diskussion bereits
angesprochen wurde, will ich auf folgende Regelung ver-
weisen: Das Berufliche Rehabilitierungsgesetz regelt in
§ 20 Abs. 2 unter Buchstabe b, dass nach Ablauf der An-
tragsfrist in diesem Gesetz 31. Dezember 2001 der An-
trag nach § 17 Abs. 1 auf Ausstellung einer Bescheinigung
über das Vorliegen politischer Verfolgung bis zum 31. De-
zember 2006 vom Rentenversicherungsträger gestellt
werden kann, soweit dies zum Ausgleich von Nachteilen
in der Rentenversicherung erforderlich ist. Auch in dieser
Sache sollte seitens der Verfolgten rechtzeitig mit den
Rentenversicherungsträgern Kontakt aufgenommen wer-
den.
Ich fordere die Mitglieder des federführenden Rechts-
ausschusses sowie der mitberatenden Ausschüsse auf, die
Beratungen des Gesetzentwurfes zügig durchzuführen,
damit das Gesetz, wie beabsichtigt, am 1. Januar 2002 in
Kraft treten kann.
Hartmut Büttner (Schönebeck) (CDU/CSU): Die Lan-
desbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheits-
dienstes der ehemaligen DDR hatten allen Mitgliedern
des Bundestages bereits im Februar diesen Jahres einen
interessanten Vorschlag zugeleitet. Die fünf Landesbeauf-
tragten von Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt,
Berlin, Thüringen und Sachsen regten an, die am 31. De-
zember dieses Jahres auslaufende Frist zur Antragstellung
für die beiden SED-Unrechtsbereinigungsgesetze unbe-
fristet zu verlängern. Als Begründung wurde genannt,
dass noch breite Kreise von Berechtigten von den recht-
lichen Möglichkeiten der Rehabilitierung nichts erfahren
hätten. Als Beleg wurden Aktionen der Landesbeauf-
tragten in Thüringen und Sachsen-Anhalt genannt, nach
denen zahlreiche Personen erstmals Anträge nach Vor-
Ort-Beratungen gestellt hätten. Die Landesbeauftragten
waren selbst überrascht über das plötzliche zahlenmäßige
Ansteigen der Antragstellungen nach den Informations-
aktionen. Auch elf Jahre nach der Wiedervereinigung be-
steht offensichtlich immer noch ein Beratungsbedarf und
wir haben viele ehemaligen Opfer noch nicht erreichen
können.
Im Oktober hatten die Landesbeauftragten einen er-
neuten Vorstoß unternommen, um zu einer Entfristung
oder zumindest einer Fristverlängerung zu kommen. Am
schnellsten haben die Kollegen der FDP darauf reagiert
und uns einen Gesetzentwurf zur Verlängerung der An-
tragsfristen um zwei Jahre vorgelegt. Diesen Gesetzent-
wurf hatten wir in der letzten Sitzung in erster Lesung be-
raten. Von der Bundesregierung und die sie tragenden
Parteien war monatelang in dieser Frage gar keine Reak-
tion zu vernehmen gewesen, geschweige denn ein Ge-
setzentwurf vorgelegt worden. Nachdem sich meine Frak-
tion für eine Verlängerung um fünf Jahre ausgesprochen
hatte, habe ich mit viel Interesse die Beiträge aus der Sit-
zung vom 19. Oktober des Redners der Grünen und des
Redners der SPD nachgelesen. Hören konnte bekanntlich
diese Reden niemand, wurden sie doch alle zu Protokoll
gegeben.
Der Grund hierfür verdeutlicht leider auch, welchen
Stellenwert die Probleme der Opfer der SED-Diktatur
mittlerweile in diesem Hohen Haus haben. Die Debatte
sollte am späten Freitagnachmittag stattfinden. Der heuti-
gen Debatte wird es vermutlich nicht besser ergehen: letz-
ter Punkt der Tagesordnung in der Nacht von Donnerstag
auf Freitag von 2 Uhr 10 bis 2 Uhr 45. Wir sollten uns
gemeinsam bemühen, die zweite und dritte Lesung der
Gesetzentwürfe zu einer etwas interessanteren Zeit statt-
finden zu lassen. Ansonsten dokumentieren wir den SED-
Opfern, dass auch der Deutsche Bundestag sie nur als
lästige Übung am Rande des parlamentarischen Gesche-
hens empfindet.
Hans-Christian Ströbele, der Redner der Grünen, mit
dem ich in den meisten politischen Fragen nicht überein-
stimme, hatte diesmal sehr richtig ausgeführt, dass Opfer
von Verfolgungen nicht im Takt der bundesdeutschen
Bürokratie denken und handeln. Diese Menschen seien
durch das Leben gezeichnet und sie hätten oft traumati-
sche Erfahrungen mit dem Staat gehabt. Deshalb spreche
er sich gegen zu enge Befristungen bei Entschädigungs-
gesetzen von Opfern aus. Er äußerte auch die Hoffnung,
sich in den Ausschussberatungen auf praktikable gemein-
same Verlängerungsregelungen zu einigen.
Umso enttäuschter war ich vom Debattenbeitrag des
von mir ansonsten geschätzten SPD-Kollegen Hans-
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(C)
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Joachim Hacker. Er schlug tatsächlich allen Ernstes nur
eine Verlängerung der strafrechtlichen Rehabilitierung
um zwei Jahre vor. Für Leistungen nach den verwal-
tungsrechtlichen und beruflichen Rehabilitierungsgeset-
zen sah Herr Hacker keine Verlängerungsnotwendigkeit.
Herr Hacker erläuterte mit keinem Satz der Begründung
solch eine gespaltene und zwiespältige Haltung.
Heute liegt uns nun ein Gesetzentwurf der Koalitions-
fraktionen vor. Dieser Gesetzentwurf entspricht auch nur
dem unzureichenden und dürftigen Verlängerungsvor-
schlag des Kollegen Hacker. Die Verlängerung allein nur
für Leistungen nach dem strafrechtlichen Reha-Gesetz
würde außer den direkten Haftopfern alle anderen Opfer-
gruppen außer Acht lassen.
Nach den Enttäuschungen der Opfer über die Weige-
rung der Bundesregierung, eine Ehrenpension von mo-
natlich 1 000 DM für die Haft- und Zersetzungsopfer des
SED-Regimes zu zahlen, sollte man den Opfern keinen
neuen Grund geben, über die Prioritätensetzung im ge-
einten Deutschland zu Recht entsetzt zu sein. Deshalb
kann ich nur anregen, einmal auf Berichterstatterebene
zusammenzukommen, um möglichst zu einer gemeinsa-
men Haltung der Bundestagsfraktionen zu kommen.
Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Mit dem hier vorgelegten Gesetzentwurf beweist
die Koalition, dass die Opfer der Verfolgung aus der DDR
nicht befürchten müssen, dass ihr Schicksal in Vergessen-
heit gerät. Insofern schließt sich diese Aussprache gut an
die Diskussion vom Nachmittag zu zehn Jahren Stasi-Un-
terlagen-Gesetz an.
Es ist an der Zeit, diesen Gesetzentwurf einzubringen.
Bundestag und Bundesrat werden jetzt zügig arbeiten
müssen, um bis zum Jahresende die nötige Gesetzesände-
rung herbeizuführen. Ich bin froh darüber, dass die zu Un-
recht Inhaftierten über das Jahresende hinaus die Mög-
lichkeit haben, ihre berechtigten Ansprüche auf
Haftentschädigung anzumelden. Das gilt auch für jene,
die von den russischen Behörden erst jetzt rehabilitiert
werden und von daher erst jetzt oder noch später Anträge
stellen können.
Wenn ich zu Beginn meiner Ausführungen von den
Opfern des staatlichen Verfolgung in der DDR spreche,
dann beschränke ich mich absichtlich nicht nur auf die
Opfer strafrechtlicher Verfolgung in der früheren DDR.
Nicht ohne Grund haben wir nicht nur das strafrechtliche
Rehabilitierungsgesetz unter dem Dach des Unrechtsbe-
reinigungsgesetzes, sondern auch das Berufliche, und das
Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz. Wir soll-
ten die anstehenden Beratungen in den Ausschüssen nut-
zen, um sehr sorgfältig darüber zu beraten, ob das Ablau-
fen der Antragsfristen, insbesondere des im Beruflichen
Rehabilitierungsgesetzes, möglicherweise Härten zur
Folge hat, die wir alle nicht in Kauf nehmen wollen. Bei
den Rentenregelungen im Beruflichen Rehabilitierungs-
gesetz wird die Härte des Ablaufs der individuellen An-
tragsfrist dadurch gemildert, dass bis 2006 die BfA von
sich aus die Ansprüche der Betroffenen überprüft. An die-
ser Stelle mag der Fristablauf hinnehmbar sein.
Sorgen macht mir aber etwas anderes: Der § 8 des Be-
ruflichen Rehabilitierungsgesetzes regelt beispielsweise
auch Ausgleichsleistungen für besonders Bedürftige.
Würden die Antragsfristen nach dem BerRehaG auslau-
fen, könnte es passieren, dass sozial besonders Benach-
teiligte Ansprüche verlieren würden. Wir müssen sorgsam
prüfen, ob die HHG-Stiftung in der Lage wäre, das alles
aufzufangen. Ich habe offen gestanden Zweifel, ob die
Verbände der Betroffenen in den wenigen verbleibenden
Wochen des zu Ende gehenden Jahres noch in der Lage
sein werden, mögliche Anspruchsberechtigte noch recht-
zeitig dazu zu bewegen, Anträge zu stellen. Einen ge-
naueren Überblick müssen wir uns auch noch über die
Personen machen, die in der Vergangenheit rehabilitiert
worden sind, aber noch keinen Antrag auf Kapitalent-
schädigung gestellt haben. Das sind auch jene, die schon
vor Inkrafttreten der Unrechtsbereinigungsgesetze die
Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 des Häftlingshilfegeset-
zes erhalten, aber noch immer keinen Entschädigungsan-
trag gestellt haben.
Es muss aber in diesem Zusammenhang auch darauf
verwiesen werden, dass der Zugang zur Stiftung für ehe-
malige politische Häftlinge für alle erhalten bleibt. Es
geht um dies deutlich herauszustellen nur um die Ka-
pitalentschädigung für die erlittene Haft, nicht um fort-
laufende Leistungen zum Lebensunterhalt.
Beim Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz
haben wir es hauptsächlich mit Enteigneten aus den
Grenzbezirken zu tun, deren Verfahren bereits abge-
schlossen ist. Allem Anschein nach versuchen zurzeit eine
Reihe der Bodenreformopfer (1945 bis 1949) ihr Glück
auf diesem Wege. Nach meiner Übersicht entstünde durch
einen Fristablauf zum Jahresende keine unvertretbare Re-
gelungslücke.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch Dank sagen dem
für die Unrechtsbereinigung zuständigen Referatsleiter
des Bundesjustizministeriums, Herrn Jürgen Lehman, der
in diesen Tagen in den Ruhestand tritt. Herr Lehmann hat
mit großem Engagement über Jahre hinweg dieses
Rechtsgebiet geprägt und nicht nur meiner Fraktion
immer wieder als überaus sachkundiger Berater zur Ver-
fügung gestanden. Ich möchte ihm im Namen meiner
Fraktion für seine Arbeit herzlich danken und für den
neuen Lebensabschnitt alles Gute wünschen.
Rainer Funke (FDP): Zum Gesetzentwurf der Koali-
tionsfraktionen zur Änderung des strafrechtlichen Reha-
bilitierungsgesetzes kann man mit den Worten Schillers
sagen: Spät kommt ihr, doch ihr kommt. Der lange
Schlaf entschuldigt euer Säumen nicht.
Mit den beiden Unrechtsbereinigungsgesetzen von
1992 und 1994 beabsichtigte der Gesetzgeber diejenigen
Personen zu rehabilitieren, die in der damaligen DDR un-
ter rechtsstaatswidrigen Maßnahmen gelitten haben.
Dazu zählt die strafrechtliche, aber auch die verwaltungs-
und berufsrechtliche Rehabilitierung. In beiden Rehabili-
tierungsgesetzen ist die Antragstellung bis zum 31. De-
zember 2001 befristet. Es hat sich herausgestellt, dass die
möglicherweise von den Rehabilitierungsgesetzen Be-
troffenen noch nicht in dem Umfang von den Möglich-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 200119486
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keiten Gebrauch gemacht haben, die die Rehabilitie-
rungsgesetze einräumen. Das mag vor allem mit der man-
gelnden Aufklärung in manchen Bundesländern zusam-
menhängen.
Deswegen hat die FDP-Fraktion schon am 30. Mai
2001 einen Gesetzentwurf eingebracht, der eine Verlän-
gerung der Antragsfrist bis zum 31. Dezember 2003 so-
wohl für die strafrechtliche als auch für die verwaltungs-
rechtliche Rehabilitierung vorsieht. Mit dem Entwurf der
FDP-Fraktion ist man sehr sorglos umgegangen mit dem
Hinweis, irgendwann käme auch ein Regierungsentwurf.
Dieser kommt nun am Jahresende in großer Hast auf den
letzten Drücker und dann auch nur noch in abgespeckter
Form: nämlich nur bezogen auf die strafrechtliche Reha-
bilitierung. Dabei ist häufig das Unrecht durch verwal-
tungsrechtliches Handeln der DDR nicht geringer zu ach-
ten als die strafrechtliche Verfolgung.
Bei der abgespeckten Version der Koalitionsfraktionen
haben die Finanzminister von Bund und Ländern die
Hand geführt. Das werden die Opfer aber zu Recht nicht
verstehen. Mangelnde Aufklärung, die ja zu einer Verlän-
gerung der Fristen führen soll, kann nicht in strafrechtli-
ches und verwaltungsrechtliches Handeln aufgespalten
werden. Der Antrag der Koalitionsfraktionen ist ein
schlechtes Gesetz und muss unbedingt in den Ausschus-
sberatungen nachgebessert werden.
Petra Pau (PDS): Die Koalitionsfraktionen legen kurz
vor dem Verfall der Antragsfristen zur strafrechtlichen
Rehabilitierung von Menschen, welche in der DDR Un-
recht erlitten haben, einen Verlängerungsantrag vor. So-
viel ich weiß, sind die Bundesländer Thüringen und Sach-
sen im Bundesrat aktiv geworden. Am 19. Oktober dieses
Jahres haben wir einen ähnlichen Antrag der FDP beraten.
Sie alle wollen, dass die Antragsfrist verlängert wird, die
SED-Opfer haben, um rehabilitiert zu werden.
Das unterstütze ich grundsätzlich, weil Betroffene er-
fahrungsgemäß immer in einer schwächeren Situation
sind, nicht nur SED-Opfer. Außerdem würde eine solche
Fristverlängerung gegen keinerlei rechtsstaatliche Prinzi-
pien verstoßen.
Das unterstütze ich konkret, weil ich aus zahlreichen
Gesprächen weiß, dass viele Betroffene bislang nicht ein-
mal wissen, dass sie rehabilitiert werden können, und was
sie dafür tun müssen, womit ich bei meinem ersten Ein-
wand wäre.
Die Fristverlängerung wird wenig helfen, wenn sie
nicht zugleich so verkündet wird, dass die Betroffenen sie
auch erfahren. Ich fordere also von der Bundesregierung
eine begleitende Öffentlichkeitskampagne. Eine Fristver-
längerung um zwei Jahre könnte so sinnvoll und ausrei-
chend sein.
Zweitens erinnere ich daran, dass die PDS-Fraktion be-
antragt hatte, weitere bürokratische Hürden abzubauen,
etwa für politisch Verfolgte, die in DDR-Haftanstalten ge-
sundheitlich Schaden nahmen, ohne dies nun mit einem
amtlichen Attest und Siegel nachweisen zu können. Lei-
der fanden sich dafür bislang keine parlamentarischen
Mehrheiten.
Auch die Nachzahlung der erhöhten Entschädigungen
von Amts wegen fand bisher keine parlamentarische
Mehrheit.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 198. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2001 19487
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